Daniel Rober! Kramer Das Söldnerwesen
Daniel Robert Kramer
Das Söldnerwesen Militä risches Unternehmertum in der Gen...
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Daniel Rober! Kramer Das Söldnerwesen
Daniel Robert Kramer
Das Söldnerwesen Militä risches Unternehmertum in der Genese des internationalen Systems
III VS VERLAG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten ClVS Verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Dorothee Koch / Marianne scnumers VS verlag für SOzialwissenschaften ist eine Marke von Springer rectmenen. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer scence-ausmess Media. www.vs-verlag.de Daswerk einschließlich aller seinerTeile ist urheberrechtlich geschützt. Jede verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne ZustimmungdesVerlags unzulässig und strafbar, Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverlitmungen und die Einspeicherung und Verarbei tung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichn ungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschu tz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermannbenutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: «ünkenooke Medienemwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Nethertands ISBN 978-3-531-17394-8
Für Esther
Inhaltsverzeichnis 1.
Einlei tung
.
13
1. Teil: Das Söldnerwesen im Prozess der europäischen Staatswerdung 2.
3. 4. 5. 6. 7.
8. 9.
10. 11.
Kriegsführung und Staa tswerd ung als orga nisiertes Verbrechen .......... .......... .. .. .. ............... .. ... .. Das Söldnerwesen in der grie chisc he n Antike und dem Römische n Reich... ......... ......... ............ ..... Die freien Kompanien ...... ...... ... ....... .. ...... ... .... Die Cewalthau fen der Schweizer. .. ....... ............. Die deutschen Landsknechte......... ............ ..... ... Söldnerheere des Dreißi gjährigen Krieges........ .... Alb rech t von Walle nstein. .. ................. .............. Auswirkunge n des Dreißigjäh rigen Krieges auf den Prozess der Staa tsb ildung in Eur opa. Der Solda tenha ndel im Europ a des 17. und 18. Jahrhunderts ...... ..................... ....... ................ Die Entwicklung des Nationa lstaa tes im 19. Jahrhundert. ..................................................
21 27 33 43 45 49
51 55
60 64
H. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.
Ph asen der europä ische n Expan sion... ............ .... Die Handelskompan ien . VOC..... ..................... ..................... ............. BEIC.... ...... .. ... ....... ...... .. ....... .. ....... .............. Companh ia Ceral do Cornereie do BrasiL .............. Compagni e des Indes...... ......... ......... ......... ..... Deutsche Kolon isation sgesellschaften. British South Africa Company......... ......... ......... Der Nie de rga ng der Handelskompani en.
69 73 80 87 91 93 94
98 100
Inhaltsverzeichnis
8 21. 22.
Die Blüte ze it staatlich organisierter Gewalt: 19141945... ......... ............... ....... .. ......... .... ..... ....... Söldner im Prozess der Dekolonialisierung...... ....
104 111
III. Teil: Das globalisierte Söldnerwesen 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34.
Die Prototyp en der modernen Militär- und Sicherheitsunternehmen . Post-1989 . Executive Outcomes . Militärisches Untern ehmertum in Sierra Leone . EO in Sierra Leone . Reg ionale und intern ationale Söldner in den Mano River Kriegen . Sandline International in Sierra Leone . Militä r- und Sicherheitsunternehmen des 21. Jah rhunderts . Eine globale Ökonomie de s Söldnerwesens . . Die Freelancer des 21. Jahrhunderts Greencard-Söldner. . Die Vereinten Nationen als Söldnerorganisation .
129 133 136 138
140 144 147 151 161 165 168
171
IV. Teil: Kontinuitäten des Söldnerwesens 35. 36.
Von den Handelskompani en zu den Militär- und Sicherh eitsunternehmen . Da s Söldnerwe sen in der Genese des internationalen System s .
183 195
V. Teil: Anhang 37. 38.
Literaturver zeichnis Sonsti ge Quellen
. ..
205 213
Abkürzungsverzeichnis AFRC
.
AMIS ANC AU BEIC BSAP OPF ECOMOG
. . . .. . . .
EO MONUC
.
MPLA
.
RUF SAS SLST OPF UNAMIO
. . . . .
UNOP
.
UNOPKO
.
UNITA
.
VOC
.
.
Armed Forces Revolutionary Council African Union Mission in Sudan African National Congress African Un ion British East India Company Brit ish South Africa Police Oiamond Protection Force Economic Community of West African States Monitoring Group Executive Outcomes Mission de l'Organisation de s Nations Un ies en Republiqu e Democratique du Congo Movimento Popular de Libertacäo de Angola Revolutionary Un ited Front Special Air Service Sierra Leon e Selection Tru st Oil Protection Force United Nations/African Union Mission in Oarfur United Nations Oevelopment Programme United Nation s Oepartment of Peac ekeeping Op erations Uniäo Na cional para a Ind ep endencia Total de Angola Verenigde Oost-Indische Compagn ie
Alles unterliegt steterVeränderung. Nichts hat sichje wirklich geändert. (Immanuel Wallerstein, Das moderne Weltsystem, Seite 13)
Es magkrude merkantilistisch klingen, es so auszudrücken, aber Wohlstand ist in der Regel notwendig, um militärische Machtabzustützen, und militärische Macht ist in der Regel notwendig, um Wohlstand zu erwerben und zu stützen. (Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mächte. Ökonomischer Wandel und militärischer Konflikt von 1500 bis 2000, Seite 12)
1 Einleitung Die Geschichte des Krieges ist gleichsam die Geschichte des Söldnerwesens. Gruppen von Männern, die sich zum Zweck der Kriegsführung zusammenschlossen und ihre Dienste dem Meistbietenden zur Verfügung stellten, haben in der Herausbildung des internationalen Staatensystems zu allen Zeiten eine wesentliche Rolle gespielt. Söldnern kamen an verschiedenen Kreuzwegen der Geschichte immer wieder entscheidende Funktionen zu. In den frühen Staatsbildungsprozessen im Europa des 13. und 14. Jahrhunderts traten Söldner erstmals in Gestalt autonomer, differenzierter Organisationen auf den Schlachtfeldern Italiens und Frankreichs in Erscheinung. In Form der freien Kompanien trugen Söldnerheere in einem bis dahin ungekannten Maße zur Verschmelzung militärischen und wirtschaftlichen HandeIns bei. Die Compagnias wurden zwischen dem 15. und dem frühen 17. Jahrhundert durch die von Schweizern und Deutschen organisierten Gewalthaufen verdrängt. Mit der Beendigung des Dreißigjährigen Krieges durch den Westfälischen Frieden von 1648 werden in vereinfachender historischer Lesart der Niedergang des Söldnerwesens und der Aufstieg des Staates bezeichnet. Diese Gegenüberstellung führt jedoch in die Irre. Bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass es sich lediglich um einen Formenwandel des Söldnerwesens handelte. Während es richtig ist, dass das Söldnerwesen nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges innerhalb Europas an Bedeutung verlor, nahm es mit den historischen Handelskompanien eine neue Form nicht-staatlicher, ökonomisch motivierter Gewaltorganisation an. Vom 17. Jahrhundert ausgehend beschleunigte sich durch die Aktivitäten der Handelskompanien die weltweite Expansion der im Entstehen begriffenen europäischen Staaten. Das Organisationsmodell der Handelskompanie ist von den verschiedenen europäischen Staaten im Verlauf einer fast dreihundertfünfzigjährigen Phase kolonialer Expansion genutzt worden und blieb im Kern unverändert. Bis in das späte 19. Jahrhundert übernahmen die chartered companies wesentliche Funktionen in der Machtausweitung der europäi-
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1 Einleitung
sehen Staaten und legten die Grundlagen für die Verstaatlichung der außereuropäischen Welt. Die historischen Handelskompanien wurden im Prozess der europäischen Expansion zur Speerspitze, die den Weg für die Unterwerfung der außereuropäischen Völker und Territorien bereitete und deren Einbindung in ein Welt umfassendes ökonomisches System erzwang. Die Aktivitäten der Handelskompanien legten nicht nur außerhalb Europas die Grundlagen für die Staatswerdungsprozesse der folgenden Jahrhunderte, sondern beeinflussten in verschiedener Weise auch die Ausdifferenzierung des Staates innerhalb Europas. Während das Organisationsmodell der Handelskompanie mit der Auflösung der britischen Mozambique Company 1942 ein Ende fand, wurden andere Organisationsformen des Söldnerwesens seit den späten 1950er Jahren zunehmend wichtig. Neben staatlichen Söldnern, die in die Armeen ehemaliger Kolonialmächte eingegliedert worden waren, handelte es sich um indigene Verbände, die von den Kolonialisten ausgebildet und finanziert wurden, sowie um freischaffende Söldner, die ohne eine stabile Organisationsstruktur in losen, in ihrer Zusammensetzung wechselnden Gruppen zusammenarbeiteten. Die ehemaligen Kolonialherren griffen im Kampf gegen Befreiungsbewegungen und kommunistisch orientierte Gruppen in der Dritten Welt auf solche freischaffenden Söldnergruppen zurück, da es diese ermöglichten, politische Verwerfungen gering zu halten und verdeckt Einfluss auf den Verlauf der Befreiungskriege zu nehmen. In diese historische Phase - zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und den 1960er Jahren - fällt die Gründung der ersten Prototypen moderner Militär- und Sicherheitsunternehmen. An deren Aufbau orientierten sich in den folgenden Dekaden zahlreiche Nachahmer. Seit den 1980er Jahren wuchs die Branche infolge der zunehmenden Dominanz des neoliberalen Wirtschaftsdogmas kontinuierlich. Multinationale Unternehmen investierten in größerem Umfang in die unsicheren Regionen der Peripherie. In der Folge stieg die Nachfrage nach professionellen Sicherheitskräften, die die Niederlassungen, Konzessionsgebiete, Transportwege und Angestellten dieser Unternehmen vor Bedrohungen schützen sollten. Mit dem Ende des Kalten Krieges
1 Einleitung
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1989, dem Ende des Apartheidsystems in Südafrika 1992 und dem auf den 11. September 2001 folgenden Krieg gegen den Terror gab es jeweils einen starken Impetus, der zur Gründung weiterer Militär- und Sicherheitsunternehmen und dem Boom des neuen Söldnerwesens führte. Spätestens mit dem Beginn des Krieges im Irak im Jahr 2003 ist einer breiteren Öffentlichkeit die wachsende Bedeutung von privaten Militär- und Sicherheitsunternehmen bekannt geworden. Diese Firmen, deren Angestellte in den Medien in der Regel als Söldner bezeichnet werden, sind im weitesten Sinne mit der Organisation von Gewalt befasst. Sie beraten und trainieren das irakisehe Militär und die Polizei, sichern Konvois der Besatzungsmächte sowie transnationaler Unternehmen und bewachen infrastrukturelle Knotenpunkte. Diese Formen der Organisation von Gewalt dienen dem Aufbau eines an den Interessen der Interventen ausgerichteten Staatsapparates sowie der ökonomischen Strukturen des Irak. Die von den USA initiierte Neuordnung der irakischen Wirtschaft zielt darauf ab, den irakischen Markt für internationale Investoren zu öffnen und dessen Wirtschaft in die bestehende liberale internationale Wirtschaftsordnung einzufügen. Die historischen Handelskompanien haben als eine Manifestation des Söldnerwesens besondere Ähnlichkeiten mit den privaten Militär- und Sicherheitsunternehmen der Gegenwart. Die Organisation von Gewalt in Form der Handelskompanien stellte ein rein ökonomisches Unterfangen dar. Weder die Investoren noch das Management oder die beauftragten Söldner verfolgten ideologische, ethnische oder religiöse Zielsetzungen. Die Aktivitäten der Handelskompanien dienten primär dem Aufbau militärischer Verbände in überseeischen Territorien, der Aneignung von Ressourcen und der Sicherung von Transportwegen. Die heutigen Militärund Sicherheitsunternehmen teilen diese Charakteristika. Die Entstehung des internationalen Systems der Gegenwart mit seinen scharfen Ungleichheiten ist ohne die Aktivitäten der historischen Handelkompanien nicht nachvollziehbar. In der Aufrechterhaltung dieses Systems übernehmen Militär- und Sicherheitsunternehmen eine zunehmend wichtige Funktion.
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1 Einleitung
Die wachsende Bedeutung der neuen Söldner ruft unter Journalisten, Friedensforschern und Sozialwissenschaftlern die Sorge wach, da s Gewaltmonopol des Staates sei bedroht. Ein Blick in die Geschichte der Organisation von Gewalt zeigt jedoch, dass ein solches Gewaltmonopol de facto nie gegeben war. Nicht die Tätigkeiten, die Firmen wie Blackwater, DynCorp oder Triple Canopy im Irak, in Afghanistan, in Kolumbien und dutzenden anderen Staaten ausführen, sind neu, sondern die Wahrnehmung durch die Gesellschaften, denen sie entwachsen sind. Die Profession des Söldners wird von der politischen Öffentlichkeit mit Verachtung gesehen. Die internationale Gemeinschaft der Staaten verfolgt vordergründig eine Ächtung des Söldnerwesens. Diese oberflächlichen Betrachtungen verdecken aber den grundlegenden strukturellen Zusammenhang: Die Konsolidierung der Staaten in Europa und die Entstehung des internationalen Staatensystems sind nur möglich gewesen, weil Gewalt im Verlauf der Jahrhunderte durch die Indienststellung von Söldnern organisiert worden war. Söldner sind - in einem Satz - Personifikationen der ökonomischen Logik der Gewalt. Sie sind Produkte der Gesellschaften, denen sie entstammen. Der Historiker Michael Mallett hat es folgender Maßen ausgedrückt: " Sold aten, sogar Söldner, sind kein e fremde Rass e. Sie handeln in Übereinstimmung mit den Nor me n und Gebo ten der Gesellsch aften, derer sie ein Teil sind."!
Die Militär- und Sicherheitsunternehmen stellen um die Jahrtausendwende nicht die einzige Manifestation des Söldnerwesens dar. Seit dem Ende des Kalten Krieges wurden neben Militär- und Sicherheitsunternehmen weitere Formen des Söldnerwesens (wieder) relevant. Der Typus des Freelancers, ein Nachkomme des freischaffenden Söldners aus den Dekolonialisierungskriegen, wurde in verschiedenen Kriegs- und Krisengebieten aktiv. Die Aufstellung indigener Verbände fand eine
1 Mich ael Ma llett (1974): Mercen ari es and their Masters : 2. Alle Übers etzungen aus dem Englischen übernommener Zitate wurden vom Autor vorgenommen.
1 Einleitung
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historische Fortsetzung - die starke Nachfrage auf dem Markt der Militär- und Sicherheitsunternehmen führte dazu, dass diese begannen, weltweit geeignetes Personal zu rekrutieren. Es entwickelte sich eine globale Ökonomie des Söldnerwesens. Der große Bedarf an Soldaten im Irak- und Afghanistankrieg hatte zur Folge, dass die USA das bewährte französische Modell der Fremdenlegion übernahmen - als GreencardSöldner traten vor allem Lateinamerikaner, gelockt durch das Versprechen der amerikanischen Staatsbürgerschaft, in die US-Armee ein. Während es sich bei diesen Erscheinungsformen des Söldnerwesens letztlich um Modifikationen bekannter Manifestationen handelte trat ein historisch neuer Söldnertyp auf die Weltbühne: Der Söldner im Dienst der Vereinten Nationen. Diese internationale Organisation der Staaten handelt nicht nur als Auftraggeber von Militär- und Sicherheitsunternehmen, sondern führt in einer dem Söldnerwesen eng verwandten Form globaler Aufgabenteilung eine stetig wachsende Anzahl militärischer Friedensoperationen durch. In der vorliegenden knappen Abhandlung soll gezeigt werden, dass Söldner in der Herausbildung des heutigen internationalen Systems in verschiedenen Manifestationen eine grundsätzliche Rolle gespielt haben. Im jeweils historischen Kontext wurden sie nicht als Söldner bezeichnet, da das heutige Verständnis dieser Profession nicht gegeben war. Im Rückblick allerdings wird deutlich, dass sich die Organisation von Gewalt durch die Rekrutierung von risikobereiten Individuen zum Zweck der Verfolgung ökonomischer Ziele wie ein roter Faden durch die Geschichte der internationalen Beziehungen zieht. Der Begriff Söldner ist auf unterschiedliche historische Akteure angewendet worden, deren übergreifende Gemeinsamkeit in dem Fakt besteht, dass durch ihre Indienststellung aus materiellen Motiven Gewalt organisiert wurde. Von dieser Gemeinsamkeit abgesehen handelt es sich um sehr unterschiedliche Söldnertypen, deren jeweils spezifische Funktionsweise im historischen Kontext nicht verstanden werden kann, wenn der Terminus Söldner nicht hinterfragt und problematisiert wird. Die Militär- und Sicherheitsunternehmen der heutigen Zeit passen sich in die in [ahrhun-
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1 Einleitung
derten gewachsenen Strukturen des internationalen Systems ein. Durch diese Strukturen ist ein komplementäres Verhältnis der Organisation von Gewalt und der Durchsetzung ökonomischer Interessen vorgegeben. Insofern stellt der heutige Boom der Branche lediglich ein Symptom dieser tief liegenden strukturellen Zusammenhänge dar und ist nicht die Ursache für fortbestehende Ungleichheiten. Der Aufbau der vorliegenden Abhandlung orientiert sich im Wesentlichen an der geschilderten Chronologie. Um einen allgemeinen Verständnisrahmen zu schaffen, wird jedoch in einem ersten Schritt im Rückgriff auf drei theoretische Ansätze skizziert, in welcher Weise die Prozesse der Organisation von Gewalt, der Entstehung des modernen Staates und der Herausbildung einer Weltwirtschaft miteinander verwoben sind. Bei diesen handelt es sich um Ansätze der USamerikanischen Sozialwissenschaftler Charles Tilly und Immanuel Wallerstein sowie um die Abhandlung ,Krieg und Kapitalismus' des deutschen Soziologen Werner Sombart. Diese eher abstrakten Überlegungen der drei Wissenschaftler werden dann auf den folgenden Seiten durch Darstellungen konkreter Ausprägungen des Söldnerwesens nachvollziehbar. Die Rolle des Söldnerwesens in der Entstehung des Staates und der Geschichte der internationalen Beziehungen wird in der vorliegenden Abhandlung nur bruchstückhaft nachgezeichnet werden können. An einigen Stellen wird die historische Darstellung verkürzt sein, wichtige Zusammenhänge können nicht erwähnt werden. Der Komplexität der historischen Prozesse, die zur Entstehung des heutigen internationalen Systems führten, kann hier nicht in umfassender Weise Rechnung getragen werden. Es wird darauf fokussiert, einen wesentlichen, übergreifenden Zusammenhang sichtbar zu machen - die Bedeutung kommerzialisierter organisierter Gewalt in der Genese und Aufrechterhaltung des internationalen Staatensystems. Neben der Darstellung exemplarischer historischer Ereignisse und Entwicklungen wird zu diesem Zweck an einigen Stellen auf die Überlegungen bekannter und weniger bekannter Militärhistoriker, Staatstheoretiker und Sozialwissenschaftler
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zurückgegriffen. Der übergeordnete Zweck der vorliegenden Skizze ist es, den Blick auf Akteure - eben Söldner - zu lenken, die in den Sozialwissenschaften und der öffentlichen Wahrnehmung in der Regel als Abweichungen von der sozialen Norm, als Soziopathen oder .Betriebsunfälle der Geschichte' wahrgenommen werden. Doch damit macht man es sich zu einfach. Die soziale Wirklichkeit zeigt vielmehr, dass Söldner ein konstituierendes Merkmal der Weltgesellschaft darstellen. Der Afrikanist Albert Wirz hat postuliert, dass Kriege historische Knotenpunkte darstellen, die den Blick auf grundsätzliche Widersprüche freigeben, und sich deshalb in besonderem Maße zur Beobachtung der Dynamiken eines gegebenen sozialen Systems eignen.? In diesem Verständnis werden hier Söldner betrachtet: Es handelt sich um soziale Akteure, die den Blick auf grundsätzliche Widersprüche des internationalen Systems lenken. Daher eignen sie sich in herausragender Weise zur Analyse der Dynamiken des internationalen Systems. Söldner stellen keineswegs Abweichungen von der sozialen Norm dar. Im Gegenteil: Das Söldnerwesen ist ein konstituierendes Merkmal der sozialen Ordnung der Welt. Einer sozialen Ordnung, deren Grundmuster sich im Zuge der europäischen Expansion herausbildeten.
2
Albert Wirz (1982): Krieg in Afrika: 4
I. Teil: Das Söldnerwesen im Prozess der europäischen
Staatswerdung 2 Kriegsführung und Staatswerdung als organisiertes Verbrechen Bevor im weiteren Verlauf dieser Abhandlung konkrete empirische Formen des Söldnerwesens vorgestellt werden, soll zunächst im Rückgriff auf Charles Tilly, Immanuel Wallerstein und Werner Sombart in allgemeiner Weise der historische Funktionszusammenhang der Organisation von Gewalt skizziert werden. Mit diesen Autoren wird hier davon ausgegangen, dass die historischen Prozesse, die zu der Herausbildung des internationalen Staatensystems führten, nicht zu verstehen sind, wenn der Bedeutung der Organisation von Gewalt für das Entstehen der europäischen Staaten und die globale Ausbreitung dieser gesellschaftlichen Organisationsform nicht Rechnung getragen wird. In Europa nahm die Genese des heute weltweit dominierenden Modells des Staates ihren Anfang. Von Europa ausgehend wurde im Zuge der kolonialen Expansion der Rest der Welt im Laufe mehrerer Jahrhunderte in ein europäisches Machtgefüge gezwungen. Die erfolgreiche Unterwerfung der außereuropäischen Völker und Reiche setzte bestimmte Bedingungen voraus. Die Grundvoraussetzung bestand in der effektiven Organisation von Gewalt. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Charles Tilly hat in seinem Aufsatz ,Kriegsführung und Staatswerdung als organisiertes Verbrechen' den engen Zusammenhang zwischen Kriegsführung und Staatswerdung beschrieben. Charles Tilly stellt zunächst - ebenso wie andere Staatstheoretiker - den historischen Fakt in den Mittelpunkt, dass in den frühen Staatswerdungsprozessen Europas - als Orientierungspunkte sollen die Jahreszahlen 1200 bis 1500 dienen - viele Akteure über das Recht verfügten, Gewalt auszuüben. Die Bandbreite zog sich von Piraten und Königen, religiösen Führern, Adligen verschiedenen Standes, über Steuereintreiber und regionale Machthaber hin zu Söldnern.
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I. Teil: Prozess der europäischen Staatswerdung
Der Kern der Staatswerdungsprozesse bestand nunmehr darin, dass "Regierungen die Gewaltausübung organisier(t)en, und, wenn möglich, monopolisierttjen". " Die Organisation von Gewalt stellt Tilly in vier Formen dar: Kriegsführung (" war making") Staatswerdung ("state making") Schutz (" protection") und Extraktion ("extraction").4 Im Fall der Kriegsführung ging es für die Herrschenden darum, Konkurrenten außerhalb des eigenen Territoriums auszuschalten. Die organisierte Gewalt in der komplementären Dimension der Staatswerdung diente dazu, Rivalen innerhalb des eigenen Territoriums zu neutralisieren. Schutz bezieht sich auf den Schutz der Menschen innerhalb eines staatlichen Territoriums: " Das Geschäft von Regierungen ist es, Schutz zu verkau fen (.. .) ob die Menschen es woll en od er nicht." 5
Durch den Vergleich der Staatswerdung mit Methoden des organisierten Verbrechens macht Charles Tilly deutlich, dass der Bevölkerung eines bestimmten Territoriums Schutz gegen deren Willen aufgedrängt wurde: Im Gegenzug für Gehorsam (durch die Zahlung von Steuerabgaben, Pacht oder Frondienste) erhielt das Individuum Schutz durch den Staat. Dieser Schutz bestand im Grunde darin, von Soldaten und Steuereintreibern in Ruhe gelassen zu werden. Die Abgabe von Steuern oder das Ableisten von Frondiensten stellte keine freie Wahl der Bevölkerung dar. Um diesen Zusammenhang deutlich zu machen, gebraucht Tilly den Begriff der Schutzgelderpressung (protection racket). Der Staat schuf Charles Tilly (1985): War Making and Stat e Making as Organized Crime: 171 Ebd .: 181 5 Ebd .: 175 3 4
2 Kriegsführung und Staatswerdung als organisiertes Verbrechen
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etwa der Mafia des 20. Jahrhunderts vergleichbar - Bedrohungen und bot gleichzeitig Schutz vor diesen Bedrohungen an . Neben Kriegsführung, Staatswerdung und der Schutzgelderpressung diente die Organisation von Gewalt der Ausbeutung von Ressourcen in den Territorien, die durch Kriegsführung dem eigenen Zugriff zugeführt worden waren. Die Extraktion schuf ihrerseits die Grundlagen, um die ersten drei Organisationsformen der Gewalt aufrechtzuerhalten und zu optimieren. Diese Aufteilung in vier Kategorien der Gewaltorganisation dient ausschließlich analytischen Zwecken. In der Entstehung des internationalen Staatensystems griffen die vier Organisationsformen der Gewalt ineinander und waren empirisch nicht zu unterscheiden. Charles Tilly erweitert dieses grob skizzierte Modell der Gewaltorganisation um externe Einflüsse. Ohne diese wäre die Herausbildung der Staaten nicht überzeugend erklärbar. Tilly identifiziert drei interdependente Einflussfaktoren: " Ersten s existierten Ressourcenflüsse in der Form von Krediten und Gütern, insbesondere Kredite und Güter zum Zw eck der Kriegsführung. Zw eitens best and ein Wettb ew erb zwi schen Staaten um die Hegemonie über um strittene Territorien, der die Krieg sführung befördert e und die Unterschied e zwischen Kriegsf ührung. Staatswerdung und Ressourcenausbeutung zeitweise au slöschte. Drittens wurden zwischenzeitlich Koalitionen zwischen Staaten gebildet, die ihre Bemühungen für be stimmte Zeiträume aufeinander abstimmten, um einen gegebenen Staat in eine bestimmte Form und Position innerhalb des internationalen Netzwerkes zu zwingen."6
Der erste Einflussfaktor bezeichnet die zur effektiven Organisation von Gewalt nötigen Finanzierungsinstrumente. Der Aspekt der finanziellen Darlehen und der Versorgung mit Gütern weist darauf hin, dass in der Herausbildung des internationalen Staatensystems Institutionen des Finanzwesens zentral waren. Banken, das Börsenwesen. Aktiengesell-
6
Ebd .: 185
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I. Teil: Prozess der europäischen Staatswerdung
schaften sowie die private Wirtschaft im Allgemeinen, beispielsweise Handelsgesellschaften und individuelle private Investoren, schufen Voraussetzungen für die Verstaatlichung der europäischen wie außereuropäischen Cesellschaften.? Die Entstehung von Finanzierungsinstrumenten ist - wie später gezeigt werden wird - eng mit der Geschichte der Handelskompanien verflochten. Als zweiten Einflussfaktor nennt Tilly den Wettbewerb zwischen den europäischen Staaten um die Verfügung über außereuropäische Territorien. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Abhandlung wird gezeigt, dass dieser Wettbewerb in ganz entscheidendem Maße durch die historischen Handelskompanien ausgetragen wurde. Der dritte Einflussfaktor - die Bildung von temporären Koalitionen - zielte im Wesentlichen darauf ab, eine bestimmte Machtstruktur im internationalen Staatensystem aufrechtzuerhalten oder herzustellen. Dies ist ein dauerhaftes Merkmal der internationalen Beziehungen - auch die Koalition der Willigen, die sich im Zuge des Irakkrieges bildete, kann in dieser Sichtweise interpretiert werden. Diese Zusammenhänge sollen durch die Wiedergabe des folgenden Zitats noch einmal verdeutlicht werden: " Zur kriegerischen Verfolgung ihr er Inter essen mussten di e Machthaber wohl od er üb el di e unter ihr er Kontrolle steh end en Bevölk erungen ausbeuten und die Akkumulation von Kapital durch diejenigen befördern, die ihnen durch Kredite und die Versorgung mit Gütern helfen konnten, Kriege zu führen. Kriegsführung, Extra ktion und di e Akkumulation von Kapital wirkten in der Gestaltung der europäischen Staatswerdung zusammen."
8
Diese in aller Kürze skizzierten Überlegungen von Charles Tilly dienen als der übergreifende gedankliche Rahmen der vorliegenden Abhandlung, der des Weiteren ein von dem amerikanischen Soziologen Immanuel Wallerstein in seiner Theorie des Weltsystems formuliertes ParaElla Gepken-Jager (2005): Verenigde Oost-Indische Compagnie (VOC). The Dutch East India Company: 80 8 CharIes TiIly (1985): 172 7
2 Kriegsführung und Staatswerdung als organisiertes Verbrechen
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digma zu Grunde liegt. Wallerstein postuliert, dass die inneren Prozesse der europäischen Staatswerdung nicht isoliert von den damit verbundenen Entwicklungen in der außereuropäischen Welt betrachtet werden können: " Staaten können sich nicht entwickeln und können nicht verstan den werd en, außer im Kontext der Entwicklung des Welts ystems."9
Söldner übernahmen sowohl in der Kriegsführung, der außereuropäischen Staatswerdung, als auch in der Extraktion von Ressourcen und damit einhergehend der Akkumulation von Kapital eine konstituierende Funktion. Diese vier Entwicklungen, deren Interdependenz anhand des Modells von Charles Tilly skizziert worden ist, führten im Ergebnis zu einem globalen Sozialsystem, das Immanuel Wallerstein als "europäische Weltwirtschaft" bezeichnet. Ausgehend von der iberischen Expansion im späten 15. und frühen 16. Jahrhundert, so Wallerstein, "e ntstand das, was man eine ,europäische Weltwirtschaft' nennen kann (.. .) Es war ein in seiner Art einm aliges Sozialsystem. das noch heute den Grundzug des modemen Welts ystem s bildet, und ist - anders als Imperien, Stadtstaaten und Nationalstaaten - eine wirtschaftliche, kein e politische En titä t (...) es ist deshalb eine Weltwirtschaft, weil di e Verbindung zwischen den Teilen des Systems vor allem eine ökonomische ist - freilich durch kulturelle Bindungen zu einem gewissen Gr ad ver stärkt, zuweilen auch (.. .) durch politische Arrangements und Bündnisse.:"?
Die von Tilly und Wallerstein beschriebenen Abhängigkeiten zwischen Kriegsführung, Staatswerdung, der Akkumulation von Kapital und der kolonialen Expansion wurden in ähnlicher Weise bereits 1913 von dem deutschen Soziologen Werner Sombart in seinem Werk ,Krieg und Kapitalismus' thematisiert. Dass einem großen Teil der Kriege, die zwischen lmmanuel Wallers tein (1986): Das modeme Welts yst em - Die Anfänge kapitalistischer Landwirtschaft und die europ äische Weltökonomie im 16. Jahrhundert: 99 10 Ebd .: 27
9
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I. Teil: Prozess der europäischen Staatswerdung
dem 16. und 18. Jahrhundert in Europa ausgetragen wurden, kapitalistische Interessen zu Grunde lagen, bedurfte für ihn keiner näheren Erklärung - zu offensichtlich sei der Fakt, dass diese Kriege als eine Folge des Kapitalismus gesehen werden müssen. Ihm gehe es hingegen darum zu zeigen, inwiefern der Kapitalismus als eine Folge des Krieges zu betrachten sei. Sombart bestreitet nicht, dass der Krieg ökonomische Ressourcen zerstöre, aber dies sei nur die eine Seite. Das "doppelte Gesicht des Krieges" zeichne sich dadurch aus, dass der Krieg die kapitalistische Entwicklung überhaupt erst ermöglicht habe. Wichtige Bedingungen, an die die Entwicklung des Kapitalismus gebunden war, konnten sich erst im Krieg erfüllen: " lch denke vor allem an die Staatenbildung, wie sie zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert in Europa vor sich geht, die eine Voraussetzung war für die eigenartige Entfaltung des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die modemen Staaten aber, das wird man nicht erst zu belegen brauchen, sind allein das Werk der Waffen : ihr Äuß eres, ihr e Abgrenzungen nicht minder wie ihre innere Gliederung: die Verwaltung, die Finanzen sind unmittelbar in Erfüllung krieg erisch er Aufgaben in modernem Sinne erfüllt worden : Etatismus. Fiskalismus, Militarismus sind in diesen Jahrhunderten ein und dasselbe. Insbesondere sind auch
die Kolonien, wie jedermann weiß, in tausend blutigen Kämpfen erobert und verteidigt worden : von den italienischen Koloni en in der Levante bis zu dem großen englischen Kolonialreich. das den anderen Nationen Schritt für Schritt mit dem Schwert in der Hand abgerungen wurde (...) Vergegenwärtigt man sich aber die überragende Bedeutung, die die Kolon ien für die Entwicklung des modern en Kapitalismus hab en (...) so genügt di ese eine Leistung de s Krieges: die Eroberung der Kolonialreiche. um ihn auch als Schöpfer kapitalistischen Wesens zu betrachten ."!'
Auf den folgenden Seiten wird eine Darstellung der Genese des Söldnerwesens die von Charles Tilly, Immanuel Wallerstein und Werner
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Werner Sombart (1913): Krieg und Kapitalismus: 11
3 Griechische Antike und Römisches Reich
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Sombart in allgemeiner und abstrakter Weise beschriebenen Zusammenhänge veranschaulichen.
3 Das Söldnerwesen in der griechischen Antike und dem Römischen Reich Es wird gesagt, das Söldnerwesen sei das zweitälteste Gewerbe der Welt. Ausgehend von den frühen Hochkulturen über die Reiche der Antike, das Mittelalter, die Renaissance, die Neuzeit, Absolutismus und Imperialismus bis in die Gegenwart standen Krieger im Dienste fremder Völker und wurden für ihre Tätigkeiten materiell entlohnt. Selbstverständlich ist es im Rahmen der vorliegenden Abhandlung nicht möglich, diese umfassenden weltgeschichtlichen Entwicklungen auch nur annähernd adäquat darzustellen. Die kulturellen und politischen Wurzeln des modernen Europa liegen nach allgemeiner historischer Auffassung in der griechischen Polis, dem Römischen Reich sowie den italienischen Stadtstaaten. Während auf die Bedeutung des Söldnerwesens in der Genese der italienischen Stadtstaaten im nächsten Kapitel genauer eingegangen wird, folgen an dieser Stelle zunächst einige fragmentarische Beispiele zum Söldnerwesen in der griechischen Antike und dem Römischen Reich. Der Peloponnesische Krieg zwischen dem von Athen geführten Attischen Seebund und dem Peloponnesischen Bund unter Sparta zog sich mit einigen Unterbrechungen von 431 bis 404 vor Christus und endete mit dem Sieg Spartas. Der Historiker Thukydides legte mit ,Der Peloponnesische Krieg' eine umfassende zeitgenössische Schilderung dieses Konfliktes vor. In den letzten Jahren des Krieges waren beinahe alle griechischen Staaten in den Konflikt hineingezogen worden. Nach dessen Beendigung waren tausende Männer verfügbar, die sich in den vorangegangenen knapp 30 Jahren ausschließlich mit der Kriegsführung befasst hatten und bereit waren, ihre Waffendienste an den Meistbietenden zu verkaufen. Der Triumphzug der kampferprobten griechischen
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I. Teil: Prozess der europäischen Staatswerdung
Söldner fand seinen Anfang mit dem Auftritt des berühmtesten der griechischen Söldnerheere, den Zehntausend. Der persische Satrap Kyros hatte 402 damit begonnen, im großen Stil Truppen zu werben. Griechische Offiziere rekrutierten in seinem Auftrag Athener, Arkadier und Ätolier. Dieses Söldnerheer von knapp 13.000 Mann hatte sich bis auf 70 Kilometer an Babylori am Ufer des Euphrat vorgekämpft, als Kyros von den Feinden getötet und die Heerführer der griechischen Söldnertruppen in einen Hinterhalt gelockt wurden. Nunmehr führerlos, rückten Truppenführer aus der zweiten Reihe nach und übernahmen das Kommando. Die Hoffnung der Perser, mit dem geschwächten Söldnerhaufen ein leichtes Spiel zu haben, erfüllte sich nicht. Diese Söldnerarmee verfügte über ein zu jener Zeit ungewöhnlich großes Reservoir an fähigen Offizieren, denen es gelang, die Zehntausend in einem von ständigen Kämpfen begleiteten Rückzug wieder in heimatliche Gefilde zu führen. Eine Beschreibung dieser historischen Episode legte mit ,Der Zug der Zehntausend' der Athener Xenophon vor, der von Kyros als Kriegsberichterstatter eingestellt worden war. Xenophon fungierte als einer der Befehlshaber des Söldnerheeres und schilderte den Rückzug aus Kleinasien in seiner frühen Kriegsreportage. Die Kämpfe der Zehntausend machten großen Eindruck auf zeitgenössische Beobachter. Erstmals war es einem griechischen Heer gelungen, ins Kernland des persischen Reiches vorzustoßen. Und zum ersten Mal kehrte ein Heer zurück, das sich nicht auflöste, sondern in den Dienst neuer Geldgeber trat. Der größte Teil der Zehntausend musterte 399 bei dem thrakischen Dynasten Seuthes an, später traten 5.000 von ihnen in den Dienst Spartas." Xenophon hatte nach seiner Rückkehr verlauten lassen, dass die Griechen selbst schuld an ihrer Armut seien - man könne in Asien Dienst tun, wo der Sold in schweren Goldmünzen ausgezahlt werde. Das Kriegshandwerk wurde zu einem Erwerbszweig der Griechen, der Söldnerdienst für fremde Mächte zu einer regulären Einkommensquelle, und im Zuge
12 Wern er Dahlheim (1995): Die Antike. Gr iechenland und Rom von den Anfängen bis zur Expansion de s Islam: 285
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dieser Entwicklungen bildete sich eine Form des Berufssoldatenturns aus. Griechen standen unter anderem auf Seiten der Perser, der Ägypter, die das persische Joch abzuschütteln versuchten, des Tyrannen von Syracus sowie Karthagos, das auf Sizilien die dortigen griechischen Städte bekämpfte. Daneben gab es noch die Kriegsschauplätze im griechischen Mutterland. Der Athener Iphikrates übernahm im Korinthischen Krieg (395-386) das Kommando über eine angeworbene Söldnertruppe. mit der er bald auf allen Schauplätzen des Krieges auftauchte. Er diente in den folgenden Jahren vom Hellespont bis Ägypten, vermählte sich mit der Tochter des thrakischen Königs, wurde zum Symbol des erfolgreichen Söldnerführers und zum Vorbild vieler junger M änner.P Die Anwerbung der griechischen Söldner bereitete den fremden Mächten keine Schwierigkeiten. Die Behörden der griechischen Städte behinderten die Arbeit der ausländischen Werber nicht, da die in ärmlichen Verhältnissen lebenden Bürger auf diese Weise im Ausland beschäftigt werden und sich einen Lebensunterhalt verschaffen konnten. Der Historiker Werner Dahlheim geht davon aus, dass zwischen 400 und 375 zu jeder Zeit zwischen 25.000 und 50.000 Griechen in irgendeinem Teil des Mittelmeerraumes unter Waffen standen.> In dem Heer, mit dem die Perser 343 das abgefallene Ägypten zurückeroberten, standen zehntausend Griechen, und in der Schlacht von Issos 333 kämpften 30.000 sowohl auf persischer als auch ägyptischer Seite. Mit dem Terminus Römisches Reich wird ein von der Stadt Rom bzw. dem römischen Staat zwischen etwa 600 vor Christus bis 600 nach Christus beherrschtes Territorium bezeichnet. Eine klare Abgrenzung zu der vorrömischen Epoche ist ebenso wenig möglich wie zum Byzantinischen Reich . Die Ausdehnung dieses Gebietes wandelte sich im Verlauf der Jahrhunderte ebenso wie dessen Herrschaftsform. die sich von einer Königsherrschaft über die Republik und schließlich zum Kaiserreich entwickelte. Um 400 vor Christus hatte der römische Stadtstaat mit einer
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gezielten Expansion begonnen, im dritten Jahrhundert war beinahe die gesamte italienische Halbinsel unter Kontrolle gebracht worden. Die Expansion nach Sizilien führte zu einem Konflikt mit dem nordafrikanischen Reich Karthago, zu dem bis zu diesem Zeitpunkt freundschaftliche Beziehungen bestanden hatten. In der Folge wurden die Drei Punischen Kriege ausgetragen (die Römer bezeichneten die Karthager als Punier), in denen Karthago stets Teilerfolge erzielen konnte, aus denen aber die Römer im Endeffekt als Sieger hervorgingen. Karthago seinerseits war etwa im neunten Jahrhundert im heutigen Tunesien gegründet worden und hatte seinen Machtbereich kontinuierlich ausgedehnt. Unter anderem waren auf Sizilien, Sardinien, Korsika und den Balearen Kolonien eingerichtet worden. Anfangs hatte das karthagische Heer aus Bürgern des Reiches bestanden, der im Verlauf der Expansion stetig steigende Bedarf an Kriegern hatte dann jedoch dazu geführt, dass sowohl Truppen aus unterworfenen Völkern rekrutiert als auch Söldner beauftragt wurden. Im 1. Punischen Krieg (264-241) hatten griechische Söldner als Militärberater Anstrengungen unternommen, die karthagische Streitmacht zu reorganisieren und zu erneuern, keltische Söldner nahmen an den Kämpfen gegen die Römer teil. Im 2. Punischen Krieg (218201) überwogen in der Armee Hannibals, der durch seinen von Kriegselefanten begleiteten Zug über die Alpen ins römische Kernland noch heute bekannt ist, schließlich die Söldnertruppen. Sie rekrutierten sich aus Numidern, Iberern, Libyern, Elymern, Sikulern, Sarden, Italikern, Kelten und Griechen. Die Volksgruppen wurden entsprechend ihrer bevorzugten Kampfweise eingesetzt. So dienten etwa die Numider als leichte Kavallerie, während sich die Balearen als herausragende Schleuderer bewährten. In der Regel wurden die Einheiten von karthagischen Befehlshabern geführt, einige blieben aber auch unter dem Kommando eigener Offiziere. Im Dritten Punischen Krieg (149-146) wurde Karthago von den Römern endgültig vernichtet, die Stadt geschliffen und ihre Bewohner in die Sklaverei verkauft. Im Verlauf der Kriege gegen Karthago war das Römische Reich im Mittelmeerraum stark expandiert und zur überlegenen militärischen Macht in der Region geworden. Ur-
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sprünglich unterlagen alle Bürger Roms einer Art allgemeiner Wehrpflicht. Jeder Mann im Alter zwischen 17 und 45 Jahren konnte zum Kriegsdienst eingezogen werden. Sie hatten die Kosten für ihre Bewaffnung selbst zu tragen, was dazu führte, dass Arme nur schwach bewaffnet kämpften, aber nach Schlachten die Möglichkeit hatten, die Waffen Gefallener zu übernehmen. Die römischen Krieger erhielten keinen Sold, sondern lebten von der Kriegsbeute und Plünderungen. Es handelte sich im Prinzip um ein Bürgerheer, das nur in Kriegszeiten aufgestellt wurde. Durch die fortlaufenden Kriege erwies sich dieses System aber als zunehmend unbrauchbar, da die immer häufiger eingezogenen Kleinbauern in der Heimat keine Felder mehr bestellen konnten, ihre zivilen Berufe vernachlässigen mussten und darüber hinaus diese Heere einen zu geringen Grad der Professionalität aufwiesen. Angesichts der aus diesen Zusammenhängen resultierenden Schwächung der römischen Militärkraft gelang es dem Feldherren Gaius Marius etwa 107 vor Christus eine Militärreform durchzusetzen und den Aufbau einer Berufsarmee zu veranlassen. Der Wandel von einem Milizheer zu einem Berufsheer bedeutete jedoch nicht, dass Söldner in der militärischen Organisation des Reiches keine Rolle mehr spielten. Das Römische Reich hatte in seiner Geschichte stets in der Peripherie des Reiches lebende Völker mit der Sicherung seiner Grenzen beauftragt und für diese Tätigkeiten entlohnt. Auch innerhalb des römischen Heeres waren Söldner aktiv. Spätestens seit dem Zweiten Punischen Krieg, in dem Rom unter anderem die den Karthagern dienenden Numider abwarb, bildeten Söldner, zunächst als Schützen und Reiter, einen Bestandteil der römischen Streitmacht. Das römische Heer war in Legionen unterteilt, die zwischen 3.000 und 6.000 Mann stark waren. Zu diesen gehörten Reiter als Flankenschutz und Hilfstruppen, die in der Regel aus unterworfenen Völkern gestellt wurden. Der Anteil der Söldner wuchs im weiteren Verlauf der römischen Geschichte kontinuierlich. Die verschiedenen Völker wurden wie bei den Karthagern entsprechend bestimmter herausragender Eigenschaften eingesetzt. So dienten beispielsweise Bretonen und Germanen als Kundschafter, Syrer als Bogenschützen und Thraker sowie Gallier als Reiter.
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Der permanente Kriegszustand und die Konzentration ökonomischer Ressourcen in den Händen weniger korrupter Vertreter der Oberschicht führten im weiteren Verlauf der römischen Geschichte zu immer schlechteren Bedingungen für die Berufssoldaten, die Rekrutierungsprobleme wuchsen, und um diesen Mangel auszugleichen wurde in immer größerem Umfang auf Krieger aus den barbarischen Stämmen zurückgegriffen. Ab dem 2. Jahrhundert nach Christus bestanden die römischen Legionen " au s Söldnerbanden verschied ener Art, zum großen, vielleich t schon größten Teil reinen Barbaren, Germanen, die im Gefecht brav, außerhalb des Gefechts und namentlich auch im Fried en sehr schwer zu regieren waren . Hatten schon die diszipl iniert en Legionen oft genug gem eutert , so waren jetzt Kaiser und Reich gan z und gar dem guten Willen di eser Banden preisgeg eben. Die Germanen im Dienst der Kaiser der ersten bei den Jahrhunderte hatt en im me r das Gefühl gehabt, bloße Hilfstru pp en zu sein; der Gedanke der Au flehnung schoß nicht in die Halme, da die strafend en und räch end en Legionen daneben standen . Die national-römi schen Banden, die jetzt noch Legionen hießen, an Zahl sehr schwach, waren, selber mit Barbaren durchsetzt, von eine r den Frem d-Söldne rn nur gar zu ähn lichen Gesinnung. Ni ch ts hindert e die germanisch en Krieger, di e heute den Sold des Kaisers genommen hatten, morgen, wenn sie fanden, daß in irgend ein em Punkte ihr Vertrag nicht erfü llt od er ihr e For de ru ngen nicht befried igt seien, die Waffen gegen ihre bish erigen Kriegsherren zu kehren ."15
Der Niedergang des Römischen Reiches ist eines der am kontroversesten diskutierten Themen der Altertumswissenschaft. Auch wenn der Wandel in der militärischen Organisation von einigen Forschern als wesentlich betrachtet wird, kann diese Interpretation hier weder gestützt noch kritisiert werden. Es sollte lediglich darauf verwiesen werden, dass ver15 Hans Delbrück (1920) : Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politi schen Geschichte: 259 H.
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schiedene Formen des Söldnerwesens an den historischen Quellen Europas bereits eine Rolle gespielt hatten, bevor das Söldnerwesen in den Italienkriegen des 14. Jahrhunderts in einem bis dahin unbekannten Grad der Verschmelzung militärischen und ökonomischen Unternehmertums seine erste historische Blütezeit erreichte.
4 Die freien Kompanien Eine Voraussetzung für die Entwicklung des Söldnerwesens in der frühen Neuzeit bestand in der Ablösung der Naturalwirtschaft durch die Geldwirtschaft. Seit dem 12. Jahrhundert waren durch die Aktivitäten der Städte und einzelner Handelshäuser Kapitalmärkte entstanden, durch die Finanzmittel verfügbar wurden, die von den Städten und Landesherren über Steuern und Anleihen zur Anwerbung von Söldnertruppen verwendet werden konnten." Der Militärhistoriker Gerhard Papke schreibt hierzu: " Die Struktur und das Funktionier en des damaligen Kriegswesens wird nur dem wirklich ver ständlich, der den durch und durch merkantilen Charakter in seiner vollen Bedeutung erkenn t. Wie jed es an de re Geschäft, so beruhte auch der Kriegsdienst auf ein er soliden, rechtlich verbindlichen Grundlage, auf Kapitalkraft od er Kreditwürdigkeit des Kriegsherren wie auch des Obersten und Werbeherren, und auf der Kalkulation von Gewinn und Verlust. Spekulation führte auch hier zu einem erhöh ten Risiko, brachte also erh eblichen Gewinn oder völligen Ruin. Der Chef eine s Regiments (.. .) war also ein Unternehmer."1 7
Seinen Aufschwung nahm das Söldnerwesen infolge der Kreuzzüge, durch die sich im 13. Jahrhundert der Fernhandel mit der Levante (dem heutigen Nahen und Mittleren Osten) etabliert hatte. Von den entstandenen Handelsnetzen hatten in besonderem Maße die italienischen Städ16 Gerhard Papke (1983): Von der Miliz zum stehenden Heer. Wehrwesen im Absolutismus: 114 17Ebd .: 115
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te profitiert. Einzelne Familien waren durch den Handel immer einflussreicher geworden, und es kam im Verlauf des 13. Jahrhunderts zunehmend zu Machtkämpfen mit den vom Kaiser eingesetzten Magnaten, die bis dahin formal die Herrschaft in den italienischen Kommunen ausgeübt hatten. Nach dem Tod des Kaisers Friedrich II. Ende 1250 nahmen die Kämpfe zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der Kommunen und zwischen unterschiedlichen Städten zu. Eine Reihe von Städten wurde so mächtig, dass sie sich zu autonomen Regionalstaaten entwickelten. Weder dem Papst noch dem Heiligen Römischen Reich gelang es, diese Prozesse gewaltsam zu stoppen. Die wachsende Konkurrenz zwischen den italienischen Stadtstaaten und die Interessen externer Mächte führten im 14. und 15. Jahrhundert zu einer Reihe von miteinander verflochtenen Kriegen, in denen neben fast allen italienischen Stadtstaaten und dem Papsttum in wechselnden Koalitionen sämtliche größeren europäischen Staaten, etwa Frankreich, Spanien, Habsburg und zwischenzeitlich auch die Schweiz sowie das Osmanische Reich beteiligt waren. Der Kaiser Heinrich VII. hatte während seines Zuges nach Rom zwischen 1310 und 1313 Anstrengungen unternommen, die kaiserliche Macht in Italien zu stärken. Die in seinem Gefolge nach Italien geführte Streitmacht zerstreute sich nach dessen Tod 1313 in alle Teile Europas, ein Teil blieb jedoch in Italien zurück. Pisa hatte auf der Seite des Kaisers gekämpft und sich Florenz und Neapel zu Feinden gemacht. Zu seinem Schutz warb Pisa Krieger des toten Kaisers an. Die Expansion des internationalen Söldnermarktes im Italien des 14. Jahrhunderts hatte begonnen. Durch parallele Entwicklungen in anderen Teilen Europas ergab sich für die konkurrierenden italienischen Stadtstaaten, das Papsttum und externe Mächte die Möglichkeit, in großem Maßstab Söldner zu rekrutieren. In dieser Entwicklungsphase des europäischen Staatensystems, die auch als der Aufstieg Europas bezeichnet worden ist, war der Hundertjährige Krieg (1337-1453) mit den Hauptakteuren Frankreich und England eine der wichtigsten Brutstätten für kampferprobte und
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erfahrene Krieger. Bei diesem Konflikt handelte um eine Reihe von Kriegen zwischen England und Frankreich sowie einen mit diesen verwobenen innerfranzösischen Krieg. Die Verwendung von Söldnern war während dieser Kriege allgegenwärtig. Flamen und Brabanzonen", Deutsche und Basken kämpften stets zahlreich auf englischer Seite . Ebenso kamen in den innerfranzösischen Machtkämpfen Söldner, teils durch England finanziert, zum Einsatz. In den Friedensphasen wurden die Söldner, besonders für Frankreich, stets zu einem Problem. Als marodierende Banden verheerten sie ganze Landstriche und lebten von dem, was sie der Bevölkerung entreißen konnten. Zahlreiche Veteranen dieser Kriege suchten in Zeiten schlechter Auftragslage Beschäftigungsfelder außerhalb Frankreichs und trugen zur Professionalisierung ihres Berufsstandes bei. Sie übernahmen in den italienischen Kriegen als Söldnerführer herausragende Rollen. In diesen Zeitraum fällt die Gründung der Cornpagnias'? oder freien Kompanien. Diese eigenständigen Unternehmungen gelangten in der Kriegsführung des 14. Jahrhunderts zu herausragender Bedeutung. Soldaten, Ritter, Abenteurer und soziale Außenseiter aus ganz Europa schlossen sich den Kompanien an, aber auch in den Reihen nicht erbberechtigter Söhne aus Familien verschiedenen Standes fanden sich zahllose Rekruten. In den folgenden Dekaden entwickelte sich eine Konkurrenz zwischen deutschen, italienischen, französischen, spanischen und ungarischen Söldnern, um nur die wichtigsten Herkunftsregionen zu nennen. Die Söldnerverbände waren korporativ organisiert, mit klar ausgearbeiteten Hierarchien der militärischen Führerschaft und ebenso klar definierten Zuständigkeitsbereichen innerhalb eines Organisationsstabs, etwa dem eines Schatzmeisters. Bei den Söldnertruppen handelte es sich um autonome Kampfeinheiten, die sich in losen Bündnissen unter einem Führer zusammenschlossen. In Italien wurden die Führer unter der Bezeichnung Condottiero berühmt und berüchtigt. In ihrer Ver-
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Aus dem Fran zösischen für Bewohner Brabants, eine s Gebietes in Niede rlothringen . Von compagnium: Brotgenossenschaft.
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antwortung lag es, Logistik, Strategien und militärische Taktiken zu planen. Bei diesen Capitanos handelte es sich um erfahrene Soldaten, die den Krieg zu ihrer Lebensweise und Bestimmung erhoben hatten und über das notwendige organisatorische, politische und ökonomische Geschick verfügten, die permanenten bewaffneten Auseinandersetzungen in ihrem Sinne zu nutzen. Die Compagnias können als eine Art Kapitalanlage betrachtet werden, die allerdings nur im Krieg ökonomischen und politischen Gewinn ermöglichte. Der Krieg wird nicht, wie in späteren Zeiten, als Mittel zum Zweck betrachtet, sondern wird von militärischen Unternehmern als risikoreiches Geschäft um seiner selbst willen geführt,2° Die Condotta - der Vertrag - wurde zwischen einem weltlichen oder religiösen Machthaber und einem Söldnerführer abgeschlossen. Bei Vertragsabschluss erhielt der Condottiero in der Regel einen Geldbetrag, für den er Bürgen zu stellen hatte. Er verpflichtet sich, den Sold regelmäßig an die geworbenen Krieger auszuzahlen. Die Verträge waren für einen bestimmten Zeitraum gültig, wurden sie nicht verlängert, war jeder frei, zu gehen, wohin er wollte. Dieser Umstand hatte zur Folge, dass die meisten Kompanien eine sehr instabile Struktur aufwiesen. Die Personalfluktuation war hoch.st Um das Fortbestehen einer Kompanie zu ermöglichen, war es daher wichtig, einen Personalkern unter Vertrag zu halten, der für die notwendigen Kontinuitäten sorgte. Der innere Personenverband einer Kompanie wurde häufig durch verwandtschaftliche Beziehungen stabilisiert." Dieser sorgte dafür, dass eine Kompanie ihre corporate identity entwickeln und aufrechterhalten konnte. Die Söldnerverbände jedoch, die sich den Kompanien anschlossen, konnten nur durch das Charisma des Condottiero zusammengehalten werden. Der offensichtliche Grund lag darin, dass sich die Söldner aus rein ökonomischen Gründen in eine Zweckgemeinschaft begeben hatten. Wenn es Probleme gab (militärische Niederlagen, geringen Sold etc.) wurde es Gerha rd Papke (1983): 119 Stefan Selzer (2001): Deutsche Söldner im Italien des Tre cen to: 72 22 Ebd .: 74 20
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schwierig, diese Truppen weiter zu führen. Nur durch ihre persönliche Autorität konnten die Condottieri eine Ordnung innerhalb der Kompanie herstellen. Ein stets wiederkehrendes Moment, in dem der Condottiero seine Macht beweisen musste, war die Verteilung der Beute. Je bekannter ein Condottiero und sein engstes Mitarbeiterteam waren, desto einfacher fiel es ihnen, fähige Krieger anzuziehen, zu disziplinieren und lukrative Aufträge zu gewinnen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Erfolg und Bestand einer Kompanie eng an bestimmte Anführer geknüpft gewesen ist. Einige Beispiele bekannter Kompanien und ihrer Capitanos: Nachdem im Jahr 1291 die letzte Bastion der Kreuzzügler in Akko (im heutigen Israel) gefallen war, schlossen sich etliche Kreuzfahrer Roger de Flor an, der im Jahr 1302 die Katalanische Kompanie oder Große Kompanie gegründet hatte. Diese bekämpfte im Auftrag von Byzanz und Aragon die Türken im Süden des Mittelmeerraumes. Die Blütezeit der frühen Kompanien begann aber erst, als Werner von Urslingen 1342 ein Söldnerheer aufstellte, das er mit Bezug auf Roger de Flor als die Grande Compagnia bezeichnete. Er zog 3.000 deutsche Lanzenreiter, die im Auftrag Pisas Florenz bekämpft hatten, unter seinem Befehl zusammen. Auf seinem Brustpanzer waren die folgenden eindeutigen Worte eingelassen: Herr der Gran Compagnia, Feind Gottes, des Mitleids und des Erbarmens. Rückblickend lässt sich sicher mit Berechtigung sagen, dass es sich hierbei um eine frühe Form von corporate design gehandelt hat. Im Unterschied zu anderen zu diesem Zeitpunkt aktiven Söldnerkompanien agierte die Grande Compagnia auch unabhängig von Auftraggebern und über längere Zeiträume planmäßig. Durch den Zustrom neuer Söldner stetig vergrößert, verwüstete und plünderte sie Siena, Perugia und Bologna und verheerte die Romagna und die Emilia (13421343). Nachdem er sich für einige Zeit hinter die Alpen hatte zurückziehen müssen, begründete Werner von Urslingen 1350 mit Konrad von Landau und Fra Moriale die Grande Compagnia neu. Er stellte sich zunächst in den Dienst der Gegner des Papstes, wechselte aber rasch die Seite und kämpfte für den Papst gegen seine früheren Auftraggeber. Zu
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ihrer Blütezeit um 1353 zählte die Große Kompanie mehrere zehntausend Mann.> Der Engländer [ohn Hawkwood (1320-1394) wurde zu einem der bekanntesten Condottiero des 14. Jahrhunderts und diente im Verlauf von 30 Jahren verschiedenen Konfliktparteien.v Nachdem er als englischer Soldat zu Beginn des Hundertjährigen Krieges in Frankreich gekämpft hatte, schloss er sich einer Compagnia in Burgund an. Anschließend stand er eine zeitlang im Dienst der Großen Kompanie, die in der Region um Avignon gegen die Truppen des Papstes vorging. Später schloss sich Hawkwood der von Albert Sterz gegründeten Weißen Kompanie an, die 1361 nach Italien gekommen war. Er stieg zum Kommandeur auf und löste Sterz ab. Im Verlauf der nächsten Jahre kam die Weiße Kompanie auf Seiten zahlreicher italienischer Fraktionen zum Einsatz. Die Weiße Kompanie hatte ihren Namen auf Grund der neuartigen Brustpanzer bekommen, die, stets frisch poliert, das Sonnenlicht reflektierten und großen Eindruck auf zeitgenössische Beobachter machten. Nachdem Hawkwood 1364 für Pisa gegen Florenz, 1369 für Perugia gegen die päpstlichen Truppen und 1370 auf Seiten der Visconti gegen eine Allianz von Florenz, Pisa sowie weiterer Städte gekämpft hatte zog seine Compagnia Mitte der 1370er Jahre für den Papst gegen Florenz ins Feld. Er betrieb sein Geschäft bis in die späten 1380er Jahre mit Erfolg und sein Unternehmen erarbeitete sich einen guten Ruf (beispielsweise war die Neigung zum desertieren unter seinen Truppen weniger stark ausgeprägt als in anderen Söldnerarmeen). Schließlich wurde Hawkwood in den frühen 1390er Jahren Befehlshaber der Truppen Florenz', das sich gegen die Expansionsbestrebungen Milans verteidigte. Er war in dieser Unternehmung erfolgreich und ihm wurde die Bürgerschaft von Florenz verliehen, wo er seine letzten Jahre verbrachte und 1394 starb. William Caferro (2003): 'Slaying the Hyd ra-H eaded Beast' : Italy and the Com pa nies of Adven ture in th e Four teenth Century: 289 24 William Caferro (2006): lohn Hawkwood . An English Mercenary in Fourteenth-Century Italy; Franc es S. Saunder s (2004): Hawkwood. Diabolical Engli shman
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Die militärischen Taktiken und Techniken der Großen Kompanien und der Weißen Kompanie waren im 14. Jahrhundert die am weitesten fortentwickelten. Die Einführung der Lanze und des Langbogens in die italienischen Kriege wird den Kompanien zugeschrieben. Ihre Kampfbereitschaft war unabhängig von den Jahreszeiten. Ein Chronist des Stadtstaates Florenz berichtete, dass die Männer der Weißen Kompanie keine Furcht vor den Elementen kannten - sie kämpften im Sommer wie im Winter, bei Tag und bei Nacht. Die Kompanien steigerten ihre Kampfkraft außerdem durch ihre Bereitschaft, sich gegebenenfalls für gewisse Zeiträume zusammenzuschließen. Nachdem die Weiße Kompanie 1365 bei ihrem Versuch, Siena einzunehmen, gescheitert war, schloss sie sich einige Monate später mit der Kompanie von Ambrogio Visconti (Compagnia di S. Giorgio) zusammen. Siena verzichtete angesichts dieser Streitmacht auf Widerstand und musste einen hohen Geldbetrag an die Kompanien zahlen, um den Plünderungen zu entgehen. Eine ebenso gefürchtete Kompanie waren die Brettoni, eine bretonische Kompanie, die auf Einladung des Papstes die Schlachtfelder des Hundertjährigen Krieges verlassen hatte und nach Italien gekommen war. Das große Selbstbewusstsein der Brettoni wird durch die folgende Anekdote deutlich. Als der Papst sie fragte, ob sie in der Lage wären, Florenz zu unterwerfen, lautete ihre Antwort: .Does the sun enter there? If so, so can we. 25 " Waren die Kompanien zunächst von den verschiedenen Konfliktparteien der Kriege in Italien ins Land geholt worden, stellte die Anwesenheit einer stetig wachsenden Anzahl von Kompanien die italienischen Stadtstaaten zunehmend vor Schwierigkeiten. Wenn der Auftraggeber der Compagnias aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage war, die in dem Vertrag festgelegten Summen zu zahlen, wechselten diese die Seite. Nach dem Ende eines Vertrages oder eines bestimmten Einsatzes verblieben die Compagnias häufig in der Region und begannen, sich durch Raub und Brandschatzung zu ernähren. Da die
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Stadtstaaten in der Regel militärisch schwach waren, ergaben sich häufig Situationen, in denen die Städte die Kompanien bezahlen mussten, um nicht von ihnen angegriffen zu werden. Entschieden sie sich dahingegen, Widerstand zu leisten, benötigte man zu diesem Zweck wiederum die Unterstützung durch andere Kompanien. Die Abhängigkeit von den freien Kompanien wurde für die italienischen Städte zu einem wachsenden Problem. Die kurzfristigen vertraglichen Bindungen zwischen den Kompanien und ihren Auftraggebern führten dazu, dass die geschäftlichen Beziehungen von Misstrauen und Unsicherheiten geprägt waren. Je offensichtlicher es wurde, dass sich eine militärische Notsituation an die andere anschloss, umso klarer wurden die Vorteile von längerfristig angelegten Verträgen.s Die Städte begannen, Söldnerführer über längere Zeiträume zu binden. Im 15. Jahrhundert vollzog sich ein Prozess, in dem bestimmte Kompanien auf der Seite einer Stadt verblieben, die Söldnertruppen stabilisiert wurden und die Stadtoberen in die Position kamen, die Verfasstheit der von ihnen bezahlten Truppen regelmäßig zu überprüfen. In diesem Zeitraum wurden die von Deutschen, Engländern und anderen Fremden geführten Kompanien nach und nach von italienischen Condottieri verdrängt. Zu den erfolgreichsten zählten Facino Cane de Casale, Francesco Bussone da Carmagnola, Niccolo Piccinino und Braccio da Montone. Auch die italienischen Söldnerführer waren stets auf die eigene Machtausweitung bedacht. Auf der einen Seite erwuchs nunmehr die Gefahr, dass sich diese lokalen Söldnerführer an die Macht putschten und die Kontrolle über die Städte übernahmen, zu deren Schutz sie angestellt worden waren. So installierte sich Francesco Sforza 1450 als Herrscher über Mailand. Auf der anderen Seite gelang es einer Reihe italienischer Städte allerdings, die Söldnerverbände mit Hilfe verschiedener Strategien zu kontrollieren. Durch die Vergabe von Verträgen an mehrere, konkurrierende Söldnerführer etwa wurde erreicht, dass sich diese wechselseitig überwachten und in Schach hielten. Als
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effektiv erwies es sich, loyale und erfolgreiche Condottieri zu belohnen man erschloss ihnen Möglichkeiten, in die Aristokratie der Städte aufzusteigen, beispielsweise, in dem sie in einflussreiche Familien einheirateten. Die in die Hierarchien der Städte integrierten Söldnerführer wurden dergestalt assimiliert und stellten keine Bedrohung mehr dar. Im übergreifenden Ergebnis wurden die Eigeninteressen der Söldner immer stärker an diejenigen ihrer Auftraggeber gebunden, wodurch sich für einen gewissen Zeitraum eine Stabilisierung einer Reihe italienischer Stadtstaaten ergab. Im Jahr 1494 hatte der französische König Karl VIII. eine Invasion nach Italien gestartet, mit der er das Ziel verfolgte, Neapel zu unterwerfen. Unter den 25.000 Kriegern, die Karl VIII. ins Feld führte, waren cirka 8.000 Schweizer Söldner. Auf dem Weg nach Neapel gelang es ihm, Florenz unter seine Kontrolle zu bringen. Auch Neapel wurde ohne größere Probleme besetzt. Die Geschwindigkeit, mit der es dem französischen König gelang, diese einflussreichen Stadtstaaten zu übernehmen, veranlasste die italienischen Regenten sowie den Papst zu größter Sorge. In diese Periode fiel das Wirken des Staatsphilosophen und Literaten Niccolo Machiavelli (1469-1527), der in seinem heute bekanntesten Werk ,Der Fürst' unter dem Eindruck der Geschehnisse die Meinung vertreten hatte, die wichtigste militärische Machtstütze des Fürsten habe ein stehendes Volksheer nach römischem Vorbild zu sein. Der Grund für die schnellen Niederlagen der italienischen Potentaten habe darin gelegen, dass sie sich auf Söldnerheere verlassen hatten. Offenbar sah Machiavelli darüber hinweg, dass der Erfolg des Franzosen zu einem nicht unwesentlichen Teil auf ebendiesen Söldnern beruhte. Dessen ungeachtet: Die Anwerbung von Söldnern wurde von Machiavelli abgelehnt, da, wie er argumentierte, deren Führer entweder ungeschickt seien, was sich zum Nachteil des Auftraggebers auswirke, oder aber herausragende Führer, woraus eigene machtpolitische Ambitionen erwüchsen: " Die Hauptstütze aller Staaten (. ..) sind gute Gesetze und gute Streitkräfte, und da gute Gesetze nicht ohne gute Streitkräfte bestehen können und da , wo gute Streitkräfte sind,
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auch gute Gesetze sein müssen, so üb erg ehe ich die Gesetze und red e von den Streitkräften . Ich sage also, da ss die Truppen, mit denen ein Fürst seinen Staat verteidigt, entwe der aus seinen Landsleuten od er aus Söldnern, aus Hil fstruppen od er aus gemischten Tru ppe n best ehen . Die Söldner und die Hil fstruppen sind unnütz und gefährlich, und wer sein e Macht auf ang eworbene Truppen stützt, der wird nie fest und sicher dastehen; denn dies e sind un ein ig, ehrgeizig, unbändig, treulos; fre ch gegen ihr e Freun de, feig gegen di e Feinde, ohn e Gottesfurcht und ohne Glau ben gegen di e Menschen (...) Ich will di e Verk ehrtheit de s Söldnerwesen s noch be sser beweisen . Die Söldnerführer sind entweder hervorragende Männer od er nich t. Sind sie es, so ist kein Verlass au f sie, weil sie stets nach eigene r Größe trachten, ind ern sie en twe de r dich, ih ren Kriegsherren, od er and re gegen dein en Willen unterdrücken. Ist aber der Feldhauptmann untüchtig, so bereitet er seinem Kriegsherren meist den Unt ergang. Wenn aber eine r en tgeg ne t, dass, wer Waffen in der Hand hat, stets derart handeln werd e, sei er nun Söldner od er nicht, so er wide re ich, dass di e kriegsführende Macht entweder ein Für st od er ein Freistaat sein sollte.'? "
Trotz dieser mahnenden Worte Machiavellis sollten Söldner die Kriegsführung in Europa auch weiterhin dominieren. Allerdings wandelte sich die Erscheinungsform des Söldnerwesens. Die Blütezeit der Compagnias fand ihr Ende. Auf den italienischen Schlachtfeldern traten nunmehr zwei neue Söldnertypen in den Vordergrund, die bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 eine zentrale Rolle in der europäischen Kriegsführung übernehmen sollten: die Schweizer Pikeniere sowie die deutschen Landsknechte.
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Niccolo Machiavelli (1990, Erstausgabe 1514): Der Fürst: 64
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5 Die Gewalthaufen der Schweizer Die in Bünden zusammengeschlossenen Bauernkantone der Alpentäler hatten sich stets erfolgreich gegen die Herausbildung fremder Landeshoheit zu wehren gewusst. Im 13. Jahrhundert hatte sich die Praxis herausgebildet, dass in den von einzelnen Kantonen verfolgten Raubzügen in benachbarte Gebiete große Freiwilligenhaufen mitzogen.> Diese rekrutierten sich aus den Söhnen der Bauernhöfe, die keine Arbeit in der Heimat fanden. Die Freiwilligen mussten selbst für ihren Unterhalt sorgen und nutzten die Kriegszüge, um sich gewaltsam das zum Überleben Notwendige zu verschaffen. Das fortschreitende Bevölkerungswachstum führte dazu, dass etliche Bergbewohner das Kriegshandwerk zu ihrem Haupterwerb machten. Zur Mitte des 13. Jahrhunderts war der Söldnerdienst - wenn auch in vergleichsweise geringem Umfang - zu einer steten Einkommensquelle geworden. Im Jahr 1241 standen Schweizer auf der Seite des Kaisers Friedrich 11. von Hohenstaufen vor Faenza." Über 1.000 Mann zogen 1279 mit König Rudolf von Habsburg nach Burgund. Zu Anfang des 14. Jahrhunderts verfolgte das Habsburger Reich das Ziel, das strategisch wichtige Gebiet der Eidgenossen in seinen Herrschaftsbereich mit einzubeziehen. Drei im Ewigen Bund zusammengeschlossene Bauernkantone nahmen den Kampf auf und revolutionierten im Zuge dieses Unterfangens die Kriegsführung. Es gelang ihrem Bauernaufgebot, eine 2.000 bis 3.000 Mann starke Truppe aus schwer gepanzerten Reitern und Fußknechten komplett aufzureiben. Im Jahr 1339 kam es auf dem freien Feld vor der Stadt Laupen zu einem Kampf zwischen der Stadt Freiburg und dem Zwergstaat Bern, auf dessen Seite rund 1.000 Mann aus den Reihen der Eidgenossen standen. Erstmals wurden diese für ihren Dienst direkt bezahlt und waren nicht allein von Plünderungen abhängig. Die Schweizer gewannen diese erste reguläre Feldschlacht, durch die ein kompletter Sieg der Infanterie über die 28
Siegfri ed Fiedler (1985): Kriegswesen und Kriegsführung im Zeitalte r der Landsknechte:
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schwere Reiterei bezeichnet wurde. Die Effektivität der Infanterie bestand in dem Zusammenhalt einer großen Gruppe von Kämpfern, die sich nach taktischen Plänen geschlossen auf dem Kampfplatz zu bewegen vermochten - dem Gewalthaufen. Damit hatten die Schweizer spätesten im frühen 14. Jahrhundert die Effektivität der Gewalthaufen - und damit der Infanterie - gegenüber der schweren Reiterei bewiesen. In verschiedenen folgenden Schlachten wurde deutlich, dass gepanzerte Reiter gegen eine mit Stangenwaffen ausgerüstete, diszipliniert kämpfende Infanterie nicht viel auszurichten vermochten. In den Burgunderkriegen (1474-1477) zeigte sich, dass die Schweizer einen Leistungsstand erreicht hatten, gegen den kein Reiterheer mehr anzukommen vermochte. In den Gewalthaufen - einer bis zu mehrere tausend Mann umfassenden, beinahe quadratischen Kampfformation - standen in der ersten Reihe die Pikeniere mit ihren bis zu sechs Meter langen Spießen, dahinter Hellebardenträger und Schwertkämpfer. Häufig bildeten das erste und letzte Glied gepanzerte Doppelsöldner. Bei diesen handelte es sich um besonders erfahrene Krieger, die den doppelten Sold erhielten. Die Doppelsöldner der ersten Linie hatten die Hauptlast des Angriffs zu tragen. Wenn der Feind standhielt, kamen diese ins Gedränge, da die hinteren Glieder unaufhaltsam nachrückten. Damit die Spießgesellen ihre Tötungswerkzeuge zum Einsatz bringen konnten, brauchten sie einige Meter Raum vor sich. Erst wenn der Feind zurück wich, brachen die Hellebardenträger aus dem Gewalthaufen hervor und brachten nunmehr ihre Hieb- und Stichwaffen zum Einsatz. Die Aufgabe des letzten Gliedes bestand demgegenüber darin, die vorderen Reihen in den Feind hineinzutreiben und jeden, der versuchte, zu desertieren, niederzumachen. Nachdem die Eidgenossen im Schwabenkrieg 1499 gegen Habsburg und dessen Verbündeten, den Schwäbischen Bund, ihre Unabhängigkeit zunächst durchgesetzt hatten, begann eine starke Nachfrage nach
6 Die deutschen Landsknechte
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den Schweizer Reisl äufem'". Zu Tausenden zogen sie los, um jenseits der Alpen auf Seiten Mailands, Frankreichs, des Kaisers, des Papstes und anderer zahlungsfähiger Auftraggeber zu kämpfen.
6 Die deutschen Landsknechte Die deutschen Söldner, deren Bezeichnung Landsknecht seit den 1480er Jahren belegt ist, orientierten sich an den Schweizer Vorbildern. Galten sie zunächst als die schlechteren Schweizer, entwickelten sie die Kampftaktiken fort und konnten die Schweizer sukzessive verdrängen. Die Landsknechte können als Prototypen des deutschen Söldnertums zwischen 1490 und cirka 1530 angesehen werden. Der deutsche König und spätere Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Maximilian 1., hatte Ende des 15. Jahrhunderts die Aufstellung von Söldnerverbänden veranlasst, die in den italienischen Kriegen die Interessen des Kaisertums und der mit diesem verbundenen Mächte durchsetzen sollten. Georg von Frundsberg - Vater der Landsknechte - perfektionierte die Taktik des Gewalthaufens und fügte mit seinen Landsknechten den im Auftrag der Franzosen kämpfenden Schweizern 1522 bei Mailand eine verheerende Niederlage zu. Frundsberg hatte - wie die Schweizer vor ihm - erkannt, dass die Zeit der schweren Reiterei endgültig vorbei und die Infanterie zur bestimmenden Kraft auf den Schlachtfeldern geworden war. Drei Jahre später feierte er seinen größten Erfolg, als er in einer Allianz mit spanischen Kräften 6.000 Söldner aus Schwaben und Tirol gegen Schweizer und Franzosen zum Einsatz brachte und diese vernichtend schlug. Die Landsknechte führten - im Gegensatz zu den Schweizern früh die Verwendung von Handfeuerwaffen ein. Bei diesen handelte es sich um Arkebusen und Musketen, deren Kugeln auf kurze Entfernung
Dieser Begriff rührt wahrscheinlich von dem Umstand her, dass die Schweizer Söldner .auf Reisen gingen' .
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Harnische und Brustpanzer durchschlagen konnten. Allerdings setzte der effektive Gebrauch dieser Feuerwaffen große Erfahrung voraus, die entsprechenden Spezialisten erhielten einen besseren Sold als etwa Pikeniere. Georg von Frundsberg entwickelte eine Reihe taktischer Neuerungen, die ursächlich für die militärischen Erfolge der von ihm organisierten Gewalthaufen waren. Zu Beginn des Gefechts traten die Arkebusiere vor und schossen in die gegnerischen Formationen. In den Ladepausen und im Nahkampf traten die Arkebusiere in den Gewalthaufen zurück und wurden von den Pikenieren geschützt. Der verlorene Haufen drang nunmehr auf den Feind ein. Diese Todeskommandos rekrutierten sich aus Freiwilligen, verurteilten Straftätern und ausgelosten Landsknechten. Daraufhin folgte die Hauptstreitmacht, eine Formation aus zahlreichen Pikenieren, Hellebardieren sowie Zweihandschwertkämpfern. Der neuartigen Form der Kriegsführung hatten die Condottieri wenig entgegenzusetzen. Zu Beginn des 16. Jahrhundert waren die Compagnien Geschichte geworden. Die Kriege Europas wurden zunehmend im Rückgriff auf die Schweizer Reisläufer und die deutschen Landsknechte geführt, deren militärische Erfolge immer mehr Machthaber dazu veranlassten, sie in ihren Dienst zu nehmen. Die Erfolge der Landsknechte waren nicht nur Ergebnis eines (relativ) disziplinierten Vorgehens geschlossener taktischer Einheiten, sondern in ebenso starkem Maße durch die Ausdifferenzierung militärischer Organisationsformen ermöglicht worden. Während die grundsätzlichen militärischen Prinzipien und taktischen Vorgehensweisen von den Schweizern übernommen worden waren, wurden Anwerbung und Musterung stärker als bei den Vorbildern durch bürokratische Praktiken geprägt.3 1 Der Söldnerführer wurde vom Kaiser, einem Fürsten oder einer Stadt durch den Bestallungsbrief oder das Patent mit der Aufstellung eines Landsknechtverbandes beauftragt. Nachdem der Truppenbedarf errechnet worden war, erhielt dieser
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Hans-Michael Möll er (1976): Das Regiment der Landsknecht e: 14 H.
6 Die deutschen Landsknechte
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finanzielle Mittel, mit denen er von ihm ausgewählte Hauptleute ausstattete und mit der Aufbringung einer Kompanie beauftragte. Den Hauptleuten wurden Werbebezirke und Musterplätze zugewiesen. Sie zogen dann von Trommlern begleitet auf die Marktplätze der Städte und lockten Interessierte an . Die Werber wurden von Feldschreibern begleitet, die jeden bewerbsman in eine Liste eintrugen.v Diese Verzeichnisse verfügten unter anderem über Rubriken, in denen zur schnelleren Übersicht Kürzel über die Art der Bewaffnung vorgesehen waren, mit der der Bewerber sich zur Musterung einzufinden bereit erklärt hatte. Die Rekruten bekamen einen Laufzettel, auf dem der Ort der Musterung und der Termin des spätmöglichsten Erscheinens eingetragen waren sowie ein Laufgeld, das als eine Art Spesen verstanden wurde und den Rekruten zum Erscheinen bei der späteren Musterung verpflichtete. Die Musterplätze, an denen mehrere tausend bewaffnete Männer zusammentrafen, waren bei der Bevölkerung gefürchtet. Es kam vor, dass Städte Söldnerführer dafür bezahlten, nicht als Musterplatz ausgewählt zu werden. Während der Musterung wurde der Rekrut dann anhand seiner nachzuweisenden Fähigkeiten und seiner Bewaffnung eingeschätzt. Fühlte er sich unter Wert eingestuft, konnte er von der Musterung zurücktreten. Wurde in beiderseitigem Interesse eine Einigung gefunden, konnte die Aufnahme des Söldners in den Verband besiegelt werden. Dies geschah durch symbolische Handlungen, das Ableisten eines Eides sowie die öffentliche Verlesung eines Artikelbriefes. Von diesem Moment an stand der Landsknecht unter der Rechtssprechung und der disziplinarischen Verfügung des Verbandes.
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Ebd .
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Der organisatorische Aufbau der Landsknechtsverbände war differenziert. Durch die Einführung einer Reihe von Ämtern wurde es möglich, die stetig wachsenden Verbände zu kontrollieren und zu lenken. Ein Obrist verfügte über einen Staat (Stab), der eine Vielzahl von Spezialisten für bestimmte Tätigkeitsfelder umfasste. Zu diesem zählten beispielsweise der Zahlmeister, dem die Verwaltung der Kriegskasse oblag. Der Schultheiß besetzte das Amt des Richters. Der Quartiersmeister war für den Aufbau und die Verwaltung der Lager zuständig, während der Provost, unterstützt vom Scharfrichter, als eine Art Militärpolizei für Ordnung und Disziplin im Lager zu sorgen hatte. Der Tross- oder Hurenwebel schließlich war für die Organisation des umfangreichen Trosses zuständig, der sich stets im Gefolge der Söldnerverbände bewegte. Bei diesem handelte es sich um Händler, Gaukler, Handwerker, Prostituierte und die Familien der Landsknechte. Die Truppen wurden sukzessive "veramtet", die in die Heeresorganisation eingeführten Ämter ähnelten "Funktionären der zivilen Verwaltung, deren Aufgaben entsprechend ihrem besonderen Arbeitsfeld modifiziert wurden't .P In ihrer Gesamtheit schufen vielfältige Rechts- und Ordnungsämter ein institutionelles Gerüst mit verhältnismäßig klaren Rang- und Kompetenzabstufungen.> Der Militärhistoriker Hans-Michael Möller betrachtet insbesondere die Rechtspflege der Landsknechtverbände als ein Novum in der Militärgeschichte: die Gerichte der Schultheißen waren mit Schöffen und Gerichtsoffizieren, aber auch mit Vertretern der Landsknechte besetzt. Der bereits zitierte Gerhard Papke sieht in der Form der "Gemeinweibel", die die Landsknechte vor ihren Führern vertraten, und dem "Recht der langen Spieße", durch das Delinquenten durch alle Landsknechte gemeinsam exekutiert wurden, einen "genossenschaftlichdemokratischen Zug, der dem Landsknechtsturn in seiner Blütezeit anhaftete">. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts bildeten sich durch diese Entwicklungen Formen der militärischen Organisation heraus, die in der Hans-Michael Möll er (1976): 262 Ebd. 35 Gerhard Papke (1983): 122 33 34
7 Söldnerheere des Dreißigjährigen Krieges
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ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dazu führten, dass Söldnerheere das Kriegsgeschehen endgültig bestimmten. Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges, der für die weitere Entwicklung des europäischen Staatensystems fundamentale Bedeutung erlangen sollte, waren Landsknechtsheere die entscheidenden Akteure. Bei diesem zwischen 1618 und 1648 ausgefochtenen Konflikt, der sich in erster Linie auf den Territorien des heutigen Deutschlands und Polens abspielte, handelte es sich wie bei dem Hundertjährigen Krieg um eine Abfolge verschiedener, in einem Zusammenhang stehender Einzelkriege. Es ging sowohl um die Vormachtstellung innerhalb Europas, in der sich die habsburgerischen Mächte Österreich und Spanien mit ihren Konkurrenten Frankreich, Niederlande, Dänemark und Schweden auseinandersetzten und beide Seiten über Verbündete unter den deutschen Fürsten verfügten, als auch um einen Religionskrieg, in dem die Interessen der Katholischen Liga und der Protestantischen Union aufeinander prallten.
7 Söldnerheere des Dreißigjährigen Krieges Die wachsende Größe der Heere war mit stetig steigenden Kosten für deren Aufbringung und Unterhalt verbunden. Die europäischen Machthaber waren im 16. und 17. Jahrhundert zunächst mit der Aufgabe überfordert, die zunehmend komplexe Organisation und Finanzierung der Gewaltausübung zu bewerkstelligen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts hatten etliche Potentaten damit begonnen, die Rekrutierung und Versorgung ihrer Armeen eigenständigen militärischen Unternehmern zu überantworten. Im Dreißigjährigen Krieg erreichte dieses System seinen Höhepunkt. In dieser Zeitspanne waren europaweit cirka 1.500 professionelle Werber aktiv, die im Auftrag militärischer Unternehmer Truppen rekrutierten.v Zwischen 1630 und 1635 beteiligten sich ungefähr 400
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Geoffrey Parker (1996): The Military Revolution: 64 ff.
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militärische Unternehmer direkt am Krieg. > Diese stellten Truppen auf, organisierten deren Versorgung, Bewaffnung, die nötige Logistik und befehligten die Söldnerheere im Feld. Die Nachfolger der Condottieri waren wie diese gleichsam Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber des Krieges . Zu den bekanntesten zählten der 1599 in Brabant geborene Graf von Tilly, der für Spanien, Lothringen und den Kaiser ins Feld gezogen war, bevor er 1610 von Maximilian I. mit der Reorganisation des bayrischen Heerwesens und beim Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges zum Feldherrn der Katholischen Liga ernannt wurde. Der 1580 geborene Graf Peter Ernst II. von Mansfeld hatte im Langen Türkenkrieg um die Jahrhundertwende das Kriegshandwerk erlernt und zwischen 1604 und 1607 für die Habsburger in den Niederlanden gekämpft. Im Jahr 1610 ging er zu den Protestanten über und stand zwischen 1611 und 1621 als Obrist in den Diensten der Protestantischen Union. In den folgenden zwei Jahren arbeitete er zunächst für den Pfalzgrafen Friedrich, bevor er 1623 seine Truppen entlassen musste. Bereits ein Jahr später warb er im Auftrag Englands und mit französischer Unterstützung neue Truppen, brachte diese zunächst in den Niederlanden zum Einsatz und unterstellte sich dann auf Geheiß seiner Geldgeber dem König von Dänemark. Im April 1626 erlitten seine Truppen eine schwere Niederlage. Er starb im selben Jahr auf seinem Weg nach Venedig, wo er Geld zur Werbung neuer Truppen aufzubringen gedacht hatte. Als letztes Beispiel soll Christian von BraunschweigWolfenbüttel erwähnt werden, der bereits im Alter von 22 Jahren im Auftrag des pfälzischen Regenten ein 10.000 Mann starkes Söldnerheer aufstellte. Da von Beginn an Probleme mit der Finanzierung dieser Truppen gegeben waren, wurden verschiedene Städte geplündert und Kontributionen erpresst. Nachdem er sich einige Zeit lang mit Mansfeld zusammengetan hatte, wurde sein Heer 1623 von Tillys Truppen fast
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Ebd .
8 Albrecht von Wallerstein
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vollständig vernichtet. Er versuchte 1626 noch einmal, ein neues Söldnerheer aufzustellen, verstarb aber im selben Jahr an hohem Fieber. Diese und zahlreiche andere militärischen Unternehmer des Dreißigjährigen Krieges führten mit unterschiedlichem Erfolg ihre Geschäfte durch. Während einige ihre Unternehmen nach Niederlagen aufgeben mussten, bewerkstelligten es andere, trotz wiederholter Misserfolge im Geschäft zu bleiben. Eine Anzahl Söldnerführer konnte durch militärische Erfolge ihren Ruf ausweiten und brachte es zu ansehnlichem Vermögen. Es gab Kriegsunternehmer, die mit ihren Kriegsgewinnen Land erwarben, sich zur Ruhe setzten und einen friedlichen Lebensabend verbrachten. Anderen hingegen war es nicht vergönnt, die Früchte ihrer Arbeit zu genießen. So verhielt es sich auch mit Albrecht von Wallenstein, dem bekanntesten und erfolgreichsten der militärischen Unternehmer des Dreißigjährigen Krieges.
8 Albrecht von Wallenstein Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges kam der Söldnerführer Albrecht von Wallenstein nicht nur in den Besitz großer Ländereien und eines umfassenden Vermögens, sondern entwickelte Methoden der militärischen Organisation, die im Resultat das Militärwesen in seiner Gesamtheit reformierten. Zwischen 1625 und 1634 war er zweimal Oberbefehlshaber des Kaisers und kämpfte auf Seiten der Katholischen Liga gegen die protestantischen Mächte in Deutschland sowie gegen Dänemark und Schweden. Der Beginn seiner militärisch-unternehmerischen Karriere lag im Jahr 1617, als der im Krieg mit Venedig befindliche spätere Kaiser Ferdinand II. an seine Stände appellierte, ihm auf eigene Kosten militärische Unterstützung zukommen zu lassen - Wallenstein folgte diesem Aufruf. Die von Wallenstein geworbenen, ausgerüsteten und in den Kampf geführten Truppen fügten den Venezianern Niederlagen zu, durch die diese veranlasst wurden, einem Friedensschluss zuzustimmen. Ein Jahr später bot Wallenstein Ferdinand an, auf eigene Kosten
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eine Truppe aufzustellen und gegen die Aufständischen in Böhmen zum Einsatz zu bringen. Mit einem neu geworbenen Heer schloss er sich den kaiserlichen Truppen an, schlug 1619 die Truppen des auf protestantischer Seite kämpfenden Mansfeld und machte reiche Beute. Bis 1620 warb er weitere Söldner in den spanischen Niederlanden, unter anderem Arkebusiere und Kürassiere. Die finanziellen Mittel zu deren Werbung wurden von ihm vorgestreckt, die Schuldensumme Ferdinands erhöhte sich kontinuierlich. Um 1621 hatten die katholischen Truppen einige Erfolge verbuchen und zahlreiche Güter aufständischer, protestantischer Potentaten und Städte übernehmen können. Gegen ein Darlehen überschrieb Ferdinand Wallenstein eine Reihe von Ländereien in Böhmen. Da die kaiserliche Verwaltung Probleme mit der Bewirtschaftung der eroberten Gebiete hatte, wurden Wallenstein 1622 weitere Güter überlassen. Im Jahr 1624 befasste sich Wallenstein mit der Entwicklung seiner Länderein, zu deren Fürst er ernannt worden war. Unter anderem betrieb er die Gründung eines Jesuitenkollegs, einer Schule und einer Universität, führte zahlreiche Bauvorhaben durch und reorganisierte die Landesverwaltung. Parallel dazu kamen die katholischen Truppen im Norden des Landes unter Druck, da aus Geldmangel deren Umfang reduziert worden war und externe protestantische Mächte in den Krieg eingetreten waren. Wallenstein bot die Aufstellung neuer Truppen an und wurde 1625 zum Oberbefehlshaber des ligistischen Heeres ernannt. Zu dieser Zeit - auf dem Höhepunkt seiner Macht - kontrollierte er Territorien, die sich von den baltischen Staaten bis nach Böhmen ausdehnten und galt als reichster Mann Europas.> Es gelang ihm als ersten, eine 50.000 Mann starke Armee aufzustellen.'? Die Versorgung und Organisation einer solch gewaltigen Armee erforderte den Aufbau eines komplexen kriegswirtschaftlichen Systems. Wallenstein entwickelte effektivere Besteuerungsmethoden und setzte neben der Besteuerung der Bevölkerung auch die Besteuerung der Städte und lokaler Machtha-
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Micha el Howard (1976): War in European History: 29 William McNeill (1982): 115
8 Albrecht von Wallenstein
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ber auf den von ihm kontrollierten Territorien durch. In diesen Kontributionen sah Wallenstein einen offiziell erhobenen Beitrag zur Finanzierung der Armee - er hatte erkannt, dass die Kriegsfinanzierung am besten funktionierte, wenn den Besteuerten genug blieb, um ihre Existenz zu sichern, und damit eine Grundlage, auf der wieder genügend heranwachsen konnte, um im nächsten Jahr die Besteuerung erneut mit Erfolg durchführen zu können. Er vermied willkürliche Plünderungen durch seine Truppen, setzte Disziplin mit Hilfe drakonischer Strafen durch und forderte lediglich die Summen ein, die ausreichten, um sein kriegerisches Unternehmen kontinuierlich fortführen zu können.w Im Verlauf der Kriegshandlungen war von Wallenstein klar geworden, dass das Hauptproblern in der Verpflegung und Versorgung der Söldner bestand. Er kaufte auf seinen böhmischen Besitzungen Güter zu Preisen, die er selbst festlegte. In seinem Herzogtum Friedland schuf Wallenstein ein Nachschubgebiet zur Versorgung seines Heeres. Die Einführung eines einheitlichen Maß- und Gewichtsystems, einer eigenen Münze und die Einrichtung eines streng gegliederten zentralisierten Verwaltungsapparates bildeten Grundlagen für sein erfolgreiches Kriegswirtschaftssystem. Der Getreideüberschuss des Wallersteinschen Herrschaftsgebietes musste in einem Speicher abgeliefert werden, wurde gemahlen und lagerte auf Abruf. In diesem Getreidespeichersystem bestand das frühe Modell des Magazinsystems, das der gesamten Kriegsführung der nächsten 150 Jahre zu Eigen werden sollte." In Zusammenarbeit mit dem Prager Bankier [an de Witte ließ er Manufakturen für die Herstellung von Uniformen, Waffen, Munition und Rüstzeug nach einheitlichen Maßen aufbauen. Die Produktion der Tuch-, Leinen- und Bekleidungsindustrie wurde ausgebaut. Die Eisengruben stellten neben Werkzeugen (Nägeln, Hacken, Schaufeln, Äxten etc.) Stückkugeln für die Artillerie her. Musketen, Luntenschloßgewehre und Hakenbüchsen wurden in größeren Mengen produziert und in die Bewaffnung der Truppen auf-
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Hellmut Diwald (1984): Wallenstein: 286 Gerhard Papke (1983): 157
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genommen. Uniformen und Schuhwerk passte man den verschiedenen Körpergrößen an, ein Umstand, der sich insbesondere bei langen Märschen vorteilig auswirkte. Kriegsmaterialien, die nicht in Friedland generiert werden konnten, erwarb Wallenstein auf allen Handelsplätzen Europas. Aus den Niederlanden wurden Musketen, Piken und Rüstungen bezogen, während Salpeter vornehmlich in Polen und Schlesien erstanden wurde. Der Historiker William McNeill schreibt hierzu : "Noch nie hatte man - und hat man seith er - eine vollständi ge re und grandios ere Verschm elzung von p rivat em und mi litärisch em Unterne hme r tum erleb t." 42
Im Verlauf der folgenden Kriegsjahre gelangte Wallenstein zu der Auffassung, dass sich die deutschen Kriegsparteien arrangieren und zu einem Ausgleich finden müssten. Die andauernden Zerstörungen Deutschlands und der Einfluss der in wechselnden Koalitionen zusammengeschlossenen externen Mächte ließen ihn immer zögerlicher agieren. In orthodoxen katholischen Machtkreisen wurde dieses Verhalten als Verrat interpretiert und hinter den Kulissen begann man, die Entmachtung Wallensteins zu betreiben. Im Jahr 1634 wurde er von einer Gruppe Offiziere unter dem Kommando seines irischstämmigen Obersten Walter Butler ermordet. Zu diesem Zeitpunkt hatte Albrecht von Wallenstein nicht nur die Kriegsführung revolutioniert, sondern damit einhergehend auch einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Genese des europäischen Staates geschaffen. Der Aufbau stehender Heere, die Erhebung regulärer Steuern und die Institutionalisierung eines Verwaltungsapparates wurden zu Stützpfeilern der weiteren Staatsbildung.
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William McN eill (1982) : 115
9 Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges
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9 Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf den Prozess der Staatsbildung in Europa Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges kam über die Hälfte der deutschen Bevölkerung um, besonders betroffen waren Sachsen, Brandenburg und die Pfalz. Weite Landstriche wurden entvölkert, agrarwirtschaftlich erschlossene Gebiete lagen brach, der zuvor bereits entwickelte Bergbau kam zum Erliegen. Der Handel ging zurück, da Waren knapp geworden waren. Und doch war dies nur - um die Metapher von Werner Sombart aufzunehmen - das eine Gesicht des Krieges. In einer längerfristigen Perspektive gab der auf den oben geschilderten Innovationen basierende militärisch-unternehmerische Erfolg Wallensteins einen starken Impetus für die Etablierung stehender Heere. Der Aufbau stehender Heere ist seinerseits als Nukleus der modernen Staatsbildung zu begreifen. Denn ihr Unterhalt erforderte - im Gegensatz zu Söldnerheeren - eine langfristige Sicherung der Soldzahlungen. Diese konnte nur durch die flächendeckende und kontinuierliche Erhebung von Steuern und eine staatliche Regulierung des Wirtschaftslebens ermöglicht werden. Die Notwendigkeit eines Instrumentariums zur Erhebung von Steuern schuf wiederum die Grundlage für die sukzessive Herausbildung von Verwaltungsbürokratien. Ohne diese war es nicht möglich, das Wirtschaftsleben mittel- oder unmittelbar zu kontrollieren, den Güteraustausch zu organisieren und - vor allem - einen beachtlichen Prozentsatz des öffentlichen Vermögens abzuziehen.v Die interdependenten Prozesse des Aufbaus stehender Heere, der flächendeckenden Erhebung von Steuern sowie der Herausbildung von Verwaltungsbürokratien führten dazu, dass es den europäischen Herrschern in der Phase des Absolutismus - als Orientierung dienen die Jahreszahlen 1600-1800 - gelang, innerhalb Europas die Zahl der Gewaltanbieter auf bestimmten Territorien zu reduzieren. Der Soziologe Norbert Elias hat diese Entwicklung anhand von Monopolisierungspro-
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Fernand BraudeI (1986): Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts - Der Handel: 570-571
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zessen in zwei Dimensionen dargestellt. In dem Bereich der physischen Gewalt wurde es für die Herrschenden durch den Aufbau der stehenden Heere zunehmend möglich, Gewalt zentral zu organisieren, zu monopolisieren und auszuüben. In dem Bereich der Finanzierung der stehenden Heere und des sich herausbildenden Verwaltungsapparates bekamen die absoluten Herrscher durch die Erzwingung eines Steuermonopols Zugriff auf große Einkommen, die es ihnen ermöglichten, Geldrenten im Interesse ihrer Herrschaft an eine wachsende Anzahl von Menschen zu vergeben.v' Die militärischen, höfischen und verwaltungstechnischen Dienste, die benötigt wurden, konnten infolge der Ausbildung des Steuermonopols nunmehr bezahlt werden, es war nicht länger nötig, an die relevanten Untertanen (den Adel) Ländereien zu vergeben. Dadurch wurde der Besitz des absoluten Regenten nicht weiter geschmälert, gleichwohl wurden die Vertreter der adligen Stände abhängig von den Geldzahlungen - und damit der Gunst - des Königs. Norbert Elias hat diesen Entwicklungszusammenhang mit dem Begriff des Königsmechanismus beschrieben. Vereinfacht bezeichnet dieser Begriff die Strategie eines Herrschenden, ihn bedrohende Interessengruppen gegeneinander auszuspielen, ein Machtgleichgewicht zwischen diesen herzustellen und sie dergestalt zu zwingen, immer wieder an ihn - den Herrschenden zur Verfolgung ihrer Interessen heranzutreten. Dadurch wird die Anzahl einflussreicher Interessengruppen sukzessive verkleinert, die kontinuierlich sinkende Anzahl von Potentaten gerät in ein Abhängigkeitsverhältnis zu dem einen, absoluten Herrscher. Die Einziehung der Steuern diente jedoch nicht nur der Vergabe von Renten an die schrumpfende Elite der Untertanen, der Finanzierung stehender Heere und gegebenenfalls der Kriegsführung, sondern desgleichen zur Finanzierung des zu diesen Zwecken parallel wachsenden staatlichen Aufwandes - der Verwaltung. Im übergreifenden Ergebnis wurde ein Prozess in Gang gesetzt, in dem sich Verwaltungsbürokratien aus sich selbst heraus erneuerten und vergrößerten. Die Verwaltungsunterlagen etwa vermehr-
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Norbert Elias (1982): Über den Prozeß der Zivilisation: 306 H.
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ten sich in atemberaubender Geschwindigkeit und deren schiere Masse machte es notwendig, dass ein System für die Aufbewahrung und die Suche bestimmter Dokumente entwickelt werden musste - zwischen 1550 und 1650 waren von den europäischen Potentaten der Reihe nach Staatsarchive gegründet worden.f Die Amtsinhaber brachten ständig neue Verordnungen, Regelungen und Direktiven hervor, die ihrerseits die Ausweitung der Verwaltungstätigkeiten notwendig werden ließen. Die Ausweitung der VerwaItungstätigkeiten wiederum machte es erforderlich, dass sich auch die Amtsinhaber bei ihrer Arbeit an bestimmte Vorschriften hielten. Gleichmäßigkeit und Regelmäßigkeit führten zu einer Professionalisierung der VerwaItungsbediensteten, die spätestens zum Ende des 17. Jahrhunderts zu einem unverzichtbaren Werkzeug der Herrschenden geworden waren. Im Zuge der fortschreitenden Zentralisierung des Staatsapparates im 18. Jahrhundert gelangten die Amtsinhaber innerhalb der wachsenden Bürokratien sukzessive zu stetig wachsendem Einfluss und leiteten aus dieser Position schließlich das Recht ab, ihre Vorstellungen - gegebenenfalls auch gegen die Interessen des absoluten Herrschers - durchzusetzen. Die Bürokraten, die bis dahin Diener des Regenten gewesen waren, wurden in dieser Entwicklungsphase zunehmend zu Dienern eines unpersönlichen Staates. Selbstverständlich darf die Bedeutung Wallensteins für den ursächlichen Prozess des Aufbaus stehender Heere nicht überbewertet werden. Bereits vor seiner Karriere als Kriegsunternehmer waren Vorstöße unternommen worden, die die Aufstellung stehender Heere zum Ziel gehabt hatten. Beispielsweise war von dem französischen König Karl VII. (1412-1461) der Versuch unternommen worden, sich durch die Aufstellung eigener Verbände von den Söldnertruppen unabhängig zu machen, die Frankreich in den Friedensphasen des Hundertjährigen Krieges verwüsteten. Durch königliche Ordonnanz übertrug er ständig von ihm besoldeten Hauptleuten den Aufbau von Kompanien, die ausschließlich dem König verpflichtet waren und nicht nur für einen Feld-
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Martin van Crefeld (1999): Auf stieg und Untergang des Staates: 157
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zug, sondern auf Dauer zur Verfügung gehalten wurden.v Allerdings hatten sich die im Kern aus schwer gepanzerten Rittern zusammensetzenden Ordonnanzkompanien nicht den taktischen Forderungen des gewandelten Krieges anpassen können. Ein zweites Beispiel besteht in der Oranischen Heeresreform, durch die bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts große Fortschritte in der Lenkung und Ausbildung von Armeen erzielt worden waren. Die wesentlichen Neuerungen hatten in der Einführung täglichen Exerzierens und Übens - des Drills - gelegen. Exerzieren bezog sich auf den Waffengebrauch und Gefechtsbewegungen, Üben bedeutete Schanzarbeiten und Lagerbefestigung. Das Laden und Abfeuern von Musketen und anderen Feuerwaffen etwa wurde systematisch in ständigen Wiederholungen geübt und führte dazu, dass die Soldaten auf Befehle hin ihre Waffen synchron zum Einsatz zu bringen vermochten. Die Bedienung der Feuerwaffen beschleunigte sich, das Feuern in Salven steigerte deren Effektivität. Das Marschieren im Gleichschritt ermöglichte es, dass sich die Soldaten nach vorgeschriebenen Mustern bewegen ließen. Die nötigen Bewegungsabläufe wurden verinnerlicht und halb automatisch vorgenommen, die Fehlerquoten konnten stark gesenkt werden. Die im Wesentlichen von Moritz von Nassau (1584-1647) durchgeführte Heeresreform hatte bemerkenswerte Erfolge zeitigen können. Die Niederlande hatten sich sowohl gegen die spanischen Besatzer durchgesetzt als auch im Dreißigjährigen Krieg behauptet. In dessen Verlauf waren die skizzierten militärorganisatorischen Entwicklungen im kriegswirtschaftlichen System Wallensteins kumuliert, die Erfahrungen mit den Vor- und Nachteilen der Söldnerheere gaben nach dessen Ende den ausschlaggebenden Impetus zum die weitere Staatsbildung konstituierenden Aufbau stehender Heere. So löste etwa der Kurfürst Friedrich Wilhelm in BrandenburgPreußen nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges entgegen den Gepflogenheiten seine Truppen nicht auf, sondern forderte von den Ständen finanzielle Mittel zur Heeresvermehrung. Er war zu der Überzeu-
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Gerhard Papke (1983): 163
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gung gelangt, dass ein auch in Friedenszeiten unterhaltenes Heer sowohl die innen- als auch außenpolitische Machtstellung des Staates verbessern würde. Während in einigen europäischen Staaten bereits zuvor ähnlich gelagerte Entwicklungen gegriffen hatten, folgten andere dem Beispiel mit einiger Verzögerung. Die Hauptentwicklungslinie jedoch war einheitlich. Die Erfahrungen mit den Söldnerheeren während des Dreißigjährigen Krieges - auf der einen Seite militärorganisatorische Innovationen, auf der anderen die Unberechenbarkeit einer nicht kontinuierlich besoldeten Soldateska - beschleunigten den sukzessiven Aufbau stehender Armeen. Der Aufbau stehender Heere führte nicht nur zur Ausbildung eines Steuermonopols und der damit untrennbar verbundenen Machtentfaltung von Verwaltungsbürokratien, sondern hatte darüber hinaus die Ausweitung einer Reihe von Wirtschaftszweigen zur Folge. Die Ernährung der Truppen musste durch agrarwirtschaftliche Unternehmungen verlässlich und langfristig gesichert, deren Unterbringung in zu diesem Zweck errichteten Gebäuden ermöglicht werden. Die Bekleidung nach genormten Maßen wurde in spezialisierten Manufakturen vorgenommen, die Belieferung mit Rohstoffen (Wolle, Leinen, Leder etc.) musste gesichert werden. Schließlich wurde die von Wallenstein vorweggenommene fortlaufende Produktion von einheitlichen und in ihrer Qualität gesicherten Rüstungsgütern elementar und beförderte die weitere Entwicklung der Rüstungsindustrie. Während des Dreißigjährigen Krieges hatte sich bereits eine Form des internationalen Rüstungsgeschäfts herausgebildet. Der Handel mit dem für die Produktion von Explosivstoffen unverzichtbaren Salpeter war im Hauptteil über etablierte Handelshäuser abgewickelt worden, hatte aber zu engeren Beziehungen wirtschaftlicher Eliten in Deutschland, Holland und Italien sowie einer Verfestigung der europäischen Fracht- und Handelsrouten geführt.v
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Zunckel (1997): Rüstungsgeschäfte im Dreißigjährigen Krieg
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Zusammengenommen wurde in dieser Perspektive durch den Dreißigjährigen Krieg die Staatsbildung in Europa befördert, da in seinem Nachklang die Genese des Gewalt- und Steuermonopols beschleunigt worden war. Die europäische Staatsbildung schuf ihrerseits die Voraussetzungen für den Erfolg der kolonialen Expansion. In einem Satz: Der Dreißigjährige Krieg hatte wesentliche Grundlagen für die Entwicklung einer europäischen Weltwirtschaft geschaffen. Der Aufbau stehender Heere und eines an den absoluten Herrscher gebundenen Beamtenapparates bedeuteten jedoch keinesfalls das Ende des Söldnerwesens innerhalb Europas. Im 17. und 18. Jahrhundert wandelte sich lediglich einmal mehr dessen Erscheinungsform.
10 Der Soldatenhandel im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts Es war im 17. wie 18. Jahrhundert gängige Praxis, die eigenen Landeskinder an andere Souveräne zu vermieten. Der so genannte Soldatenhandel entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und war bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine allgemein akzeptierte Praxis. Soldaten wurden angeworben (oder gepresst), ausgebildet, ausgerüstet und an fremde Mächte vermietet. Bei den so genannten Subsidien handelte es sich ursprünglich um Jahresgelder, die von einer Militärmacht an einen Landesherrn gezahlt wurden, um diesen in Friedenszeiten zu binden, im Kriegsfall zur Neutralität zu verpflichten oder zur Bereitstellung von Truppen, wofür dann allerdings zusätzliche Zahlungen nötig wurden." Diese Geldzuwendungen gingen im Allgemeinen über die Kosten für den Unterhalt der Söldnertruppen hinaus, so dass Subsidienverträge zu einem einträglichen Geschäft wurden. Mit Ausnahme der Schweiz, die lediglich Truppen vermietete, waren alle europäischen Staaten sowohl Anbieter als auch Nachfrager militärischer Einheiten. Einige Beispiele:
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Gerhard Papke (1983): 194 H.
10 Der Soldatenhandel im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts
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Vor allem die Regenten der ehemaligen Kleinstaaten des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nationen betrieben Soldatenhandel. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges wurden die deutschen Staaten zu den wichtigsten Anbietern auf dem internationalen Söldnermarkt. In den vorangegangenen Dekaden hatten sich abertausende Deutsche als Söldner verdingt und neben militärischer keinerlei andere Expertise ausgebildet. Für viele dieser Individuen war es nahe liegend, einen Unterhalt im Geschäft des Krieges zu suchen. Im Jahr 1660 wurde ein erstes Regiment Deutscher an Venedig vermietet.'? Die Armee Württembergs diente den Niederlanden und 1707 der Niederländischen Ostindien Kompanie (Verenigde Oost-Indische Compagnie - VOC) . Deutsche stellten bis zu einem Drittel der Soldaten in der französischen Armee vor der Revolution 1789. Auf der anderen Seite stellten deutsche Staaten ihrerseits Söldner ein. Im Jahr 1705 waren 40 Prozent der Offiziere in der bayerischen Armee Italiener und Franzosen. In einem der bayerischen Regimenter dienten Männer aus 16 Ländern. Franzosen stellten ein Drittel der Offiziere Brandenburg-Preußens, während sich 1693 mehr als 35 Prozent der Armee Sachsens aus Ausländern rekrutierte. Ähnlich verhielt es sich im Fall der Niederlande. Deren Armee wurde im 18. Jahrhundert beinahe ausschließlich von Offizieren aus Deutschland, Frankreich, Schottland und Irland geführt, die Schottische Brigade der Niederländer setzte sich aus schottischen Offizieren und Söldnern aus ganz Europa zusammen. Auf der anderen Seite dienten niederländische Söldner im Krieg gegen Frankreich 1701 auf britischer Seite. Die britische Armee rekrutierte in der Hauptsache aus den deutschen Staaten, stellte während der Napoleonischen Kriege (1792-1815) aber auch Schweizer, Albaner, Italiener und Franzosen ein. Engländer, Schotten und Iren dienten im 18. Jahrhundert in den Armeen Frankreichs, Preußens, Österreichs, Russlands und der Niederlande. Zwischen 1688 und 1727 mietete Italien mehrmals die Armee Hessen-Kassels, während italienische Regimenter in den Armeen Frankreichs, Österreichs und Preußens standen. 49 [anice
E. Thomson (1994): Mercenaries, Pirates and Sovereigns: 28 ff .
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I. Teil: Prozess der europäischen Staatswerdung
Janice E. Thomson hat den multinationalen Charakter der europäischen Armeen des 18. Jahrhunderts herausgearbeitet: Die vier größten Armeen des Kontinents hatten zwischen 25 und 60 Prozent Soldaten fremder Nationalität in ihren Reihen.v Friedrich der Große übernahm nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) Offiziere aus Frankreich, Italien, der Schweiz, Ungarn und Litauen in seine Streitkräfte. Der Anteil von Söldnern im preußischen Militär lag 1786 bei 50 Prozent, in England 1778 bei 32 Prozent, im Frankreich nach der Revolution bei 33 Prozent und in Spanien 1751 bei 25 Prozents! Die Landgrafen von Hessen-Kassel hatten sich in diesem Geschäftszweig als führende Unternehmer etabliert. Allein zwischen 1702 und 1763 schloss Hessen-Kassel 30 Subsidienverträge, die cirka 40 bis 50 Prozent des Finanzbedarfs der Regenten in diesem Zeitraum deckten.v Vor diesem Hintergrund erklärt sich das folgende Zitat eines Landgrafen: " Diese Truppen sind unser Peru. Würden wir sie verlieren, würden wir alle un sere Ressourcen einbü ßen .." 53
Während des Österreichischen Erbfolgekrieges zwischen 1740 und 1748 vermietete Hessen insgesamt an die 17.000 Soldaten an beide im Konflikt beteiligte Parteien. Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) erreichte der Soldatenhandel seinen Höhepunkt. Von den 30.000 Söldnern, die für England gegen die Unabhängigkeitskräfte in Nordamerika zu Felde zogen, rekrutierten sich um die 8.000 aus Hessen. Die britischen Zahlungen an Hessen-Kassel zwischen 1776 und 1785 beliefen sich nach Abzug aller werbungs- und unterhaltsbedingten Ausgaben auf 12, 6 Millionen Taler, eine Summe, deren Höhe im Vergleich mit dem jährliEbd . Ebd .: 29 52 Jörg Ulbert (1999) Fran zösische Subsidienzahlungen an Hess en-Kassel während des Dreißigjährigen Krieges: 159. 53 Zitiert nach Thomson (1994): 28 50
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10 Der Soldatenhandel im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts
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chen Steueraufkommen Hessen-Kassels von ungefähr 260.000 Talern deutlich wird.v Nicht nur in britischen Diensten, sondern auch auf der Seite der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung kamen Söldner zum Einsatz. Mitentscheidend für die in letzter Konsequenz erfolgreichen militärischen Operationen der Unabhängigkeitskräfte waren die Aktivitäten des hoch dekorierten preußischen Offiziers Friedrich Wilhelm von Steuben. Bei seinem Eintritt in die Kontinentalarmee 1777 begann von Steuben mit der Reorganisation der amerikanischen Truppen, die sich zu diesem Zeitpunkt in einem sehr schlechten Zustand befanden. Es gelang ihm, die diversen kleinen Gruppen von Freischärlern in eine schlagkräftige Armee umzubauen. Die Entscheidungsschlacht des Unabhängigkeitskrieges, die 1781 zwischen amerikanisch-französischen sowie britischen Truppen ausgetragen wurde, ist unter der Bezeichnung ,die deutsche Schlacht' in die Geschichte eingegangen. Neben dem Regiment von Steubens in der amerikanischen Armee und den Deutschen auf britischer Seite hatten in Form des Regiments Royal Deux-Ponts (Zweibrücken) auch auf französischer Seite Deutsche an den Kämpfen teilgenommen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es zwischen 1600 und 1800 gängige europäische Praxis gewesen ist, Fremde für sich kämpfen zu lassen bzw. den eigenen Staatsangehörigen zu erlauben, in den Armeen fremder Staaten zu dienen. Diese Praxis trug nicht nur zur Konsolidierung der Staaten innerhalb Europas bei, sondern hatte auch nicht unwesentlichen Einfluss auf dem Weg der Vereinigten Staaten von Amerika in die Unabhängigkeit.
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Jörg Ulbert: 160
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I. Teil: Prozess der europäischen Staatswerdung
11 Die Entwicklung des Nationalstaates im 19. Jahrhundert Während des Absolutismus hatten sich, wie kurz skizziert wurde, staatliche Strukturen verfestigt, die jedoch untrennbar mit der Person des absoluten Herrschers verbunden waren. Im Laufe des späten 19. Jahrhunderts und des frühen 20. Jahrhunderts wurde diese Herrschaftsform, ausgehend vom amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1775-1783) und der Französischen Revolution 1789, durch die Idee des Nationalstaates abgelöst. Verkürzt gesagt, wurden die im Absolutismus gewachsenen staatlichen Strukturen in einigen Staaten von Gruppen übernommen, die im Zuge revolutionärer Umwälzungen an die Macht gekommen waren. In anderen Ländern verlief der gesellschaftliche Umbruch nicht revolutionär, gleichwohl gewannen in einem schleichenden Umbruchprozess Vertreter des unpersönlichen Beamtenapparates und eines zunehmend wohlhabenden Bürgertums politischen Einfluss. Die kollektive Vorstellung einer über Sprache, Tradition und Gebräuche verbundenen Bevölkerung führte zu dem sozialpsychologischen Konstrukt einer Nation. Diese Vorstellung trug wesentlich zur Stabilität des Organisationsmodells des nunmehr entstehenden Nationalstaates bei. Die Idee der Nation diente - und dies ist hinsichtlich der Monopolisierung von Gewalt zentral - der Rechtfertigung für die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht. Im Frankreich der Revolution waren der Anspruch auf die Staatsbürgerschaft und der Dienst in der Bürgerarmee als komplementär betrachtet worden.v In Preußen wurde die Idee einer allgemeinen Wehrpflicht in Reaktion auf die französischen Siege kopiert. Diese Sozialtechnik zur Mobilisierung opferbereiter Massen schien ein Erfolg versprechendes Modell zur Durchsetzung machtpolitischer Interessen und wert, übernommen zu werden. Allerdings wurde in Preußen versucht, möglichst wenige gesellschaftliche Änderungen vorzunehmen - die politische Gleichheit der Bürger sollte vermieden werden. Die vorläufige Lösung bestand darin, tendenziell alle männlichen Bürger des Staates zu
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Andreas Herberg-Rothe (2003): Der Krieg . Geschichte und Gegenwart: 61
11 Die Entwicklung des Nationalstaates im 19. Jahrhundert
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Soldaten zu machen. Es kam zu einer "Militarisierung der Gesellschaft", durch die das Ideal des patriotischen, opferbereiten Soldaten zunehmend wirkungsmächtig wurde.w Innerhalb Europas waren die Herrschenden durch den sukzessiven Aufbau stehender Heere unabhängig von den Söldnerheeren geworden, die das Kriegsgeschehen in Kontinentaleuropa in den vorangegangenen Jahrhunderten bestimmt hatten. Die Verstaatlichung der Söldnerarmeen hatte es notwendig gemacht, neue Organisationsformen zu schaffen - der Aufbau von Verwaltungsbürokratien ist ursächlich mit dieser Transformation verbunden. Die hohen Kosten für stehende Armeen und die wachsende Komplexität eines sich ausdifferenzierenden Verwaltungsapparates schufen stetig steigende staatliche Finanzausgaben. Durch die Herausbildung von Organisationsstrukturen, die die Erhebung von Steuern, die Vereinheitlichung bestimmter Regeln und die gewaltsame Durchsetzung dieser Regeln ermöglichten, wurden die europäischen Gesellschaften nach und nach verstaatlicht, d. h., die Person des Herrschers wurde vom Staat abgetrennt. Herrschaft wurde zunehmend in der Form unpersönlicher staatlicher Strukturen institutionalisiert und ausgeübt. Der israelische Militärhistoriker Martin van Crefeld sieht neben der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in dem Aufbau von Polizeien und des Gefängniswesens die zentralen Prozesse, in deren Folge sich die Organisationsform des Staates sukzessive verfestigte.v Van Crefeld schreibt: " Das Gefängniswesen war ein typisches Werk zeug in den Händen des Staat es, denn es setzte eine Unmenge von Formblättern und Regelungen, Heerscharen von Aufsehern (. ..) und natürlich befestigte Gebäude (voraus), in denen die unglücklichen Beaufsichtigten eingespe rrt wurden ." 58
56 Ebd. 57 Martin van Cre feld (1999): 235 58 Ebd .
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I. Teil: Prozess der europäischen Staatswerdung
Max Weber schrieb in seinem Monumentalwerk ,Wirtschaft und Gesellschaft' über die Herausbildung der .Beamtenherrschaft": " In einern modemen Staat liegt die wirkliche Herrschaft (...) notwendig und unvermeidlich in den H änden de s Beamtcntums, de s militäri schen wie des zivilen. Wie der sogenannte For tschritt zum Kapitalismus seit dem Mitt elalter der einde utige Maßstab der Mod ernisierung der Wirtschaft, so ist der Fortschritt zu m bürokratischen, au f Anstellung, Gehalt, Pension, Avancement, fachmäßiger Schulung und Arbeitsteilung, festen Kompetenzen, Aktenmäßigkeit, hierarchisch er Unter- und Überordnung ruhenden Beamtenturn der eben so einde u tige Maßstab der Mod emisierung des Staates, des monarchischen wie des demokratischen (...) Angestellte Beamte entscheiden über alle Alltagsbedürfnisse und Alltagsbeschwerd en (. ..) Von dem bürgerlich en Verwaltungsbeamten unterscheid et sich der militärisch e Herrschaftstr äger . der Offizier, in dem hier en tschei de nde n Punkt nicht. Auch das moderne Massenheer ist ein bürokratisches Heer, der Offizier eine Sonderkategori e des Beamten im Gegensatz zum Ritter, Kondottiere, Häuptling od er hom erischen Held en ." 59
Innerhalb Europas waren in der frühen Neuzeit einige der hier oberflächlich und verkürzt beschriebenen Kriege ausgefochten worden und hatten zur Entstehung embryonaler Formen des europäischen Staates beigetragen. Ausgehend von dem Westfälischen Frieden hatte sich der moderne Staat zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert durch die Idee der Souveränität, das Entstehen eines Nationalbewusstseins, den Aufbau sich selbst erneuernder Verwaltungsbürokratien und die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht herauskristallisiert. Parallel zu diesen innereuropäischen Staatswerdungsprozessen waren die europäischen Staaten außerhalb Europas in immer stärkere Konkurrenz über die Reichtümer Asiens, Amerikas sowie Afrikas geraten. Bereits 1482 war der Portugiese Diogo Cäo der westafrikanischen Küste bis zur Höhe der Mündung des Kongoflusses gefolgt. Nur 10 Jahre später verschlug es Christoph Columbus auf der Suche eines 59Max Weber (1980, Erstausgabe 1921): Wirtschaft und Gesellschaft: 825
11 Die Entwicklung des Nationalstaates im 19. Jahrhundert
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Seeweges nach Indien auf den amerikanischen Kontinent. Im Jahr 1498 schließlich entdeckte Vasco da Gama die richtige Route. Diese führte um das Kap der Guten Hoffnung an Indien und Ceylon (Sri Lanka) vorbei zu den Gewürzinseln der Molukken in Hinterindien, dem heutigen Indonesien. Damit war erstmals in der Menschheitsgeschichte von einer zusammenhängenden Weltgeschichte zu sprechen: Die Entwicklungen innerhalb Europas standen von nun an in einem Zusammenhang mit den Entwicklungen in Amerika, Afrika und Asien. Im 17. Jahrhundert begann sich das Modell der Handelskompanie durchzusetzen. Nach Außen dehnten die erstarkenden europäischen Staaten mit Hilfe der chartered companies ihre Herrschaftsbereiche aus, forcierten die außereuropäische Staatswerdung und den internationalen Handel. In den außereuropäischen Gebieten wurden durch den Einsatz von Gewalt neue Märkte erschlossen, und in diesem Prozess wurde die soziale, politische und ökonomische Struktur der außereuropäischen Gesellschaften tiefgreifend verändert. Wieder hatte das Söldnerwesen seine Erscheinungsform geändert. Europäer aus allen Teilen des Kontinents kamen im Auftrag der Handelskompanien als Soldaten und Matrosen zum Einsatz. In den außereuropäischen Territorien wurden einheimische Hilfstruppen aufgestellt, um den Interessen der Handelskompanien gewaltsam Geltung zu verschaffen. Die überseeischen Aktivitäten der Handelskompanien beförderten gleichsam die Konsolidierung der Staaten innerhalb Europas. Hier sollen lediglich zwei Aspekte benannt werden. Zum einen wurde durch den Export verarmter Massen aus den europäischen Unterschichten und religiöser Minderheiten in die Kolonien die innere Ordnung der Exportstaaten begünstigt. Das Destabilisierungspotential dieser marginalisierten Massen wurde auf elegantem Wege entschärft. Waren die marginalisierten Vertreter der europäischen Gesellschaften erst einmal aus ihrer europäischen Heimat entfernt worden, konnten sie als Siedler, Söldner, Soldaten oder Händler dazu beitragen, ferne Territorien zu übernehmen und für das Mutterland nutzbar zu machen - sofern sie nicht den widri-
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I. Teil: Prozess der europäischen Staatswerdung
gen Umständen zum Opfer fielen. Zweitens ermöglichten die durch die koloniale Expansion generierten Finanzmittel den europäischen Potentaten, durch den Ausbau der Bürokratien ihre Herrschaft zu festigen. Eine zunehmend wohlhabende Schicht von Kaufleuten sorgte dafür, dass die Interessen eines entstehenden Bürgertums Einfluss entfalteten. Durch deren Bestreben nach politischer Teilhabe wurden die vorherrschenden absolutistischen Herrschaftsstrukturen nach und nach aufgeweicht. Selbstverständlich handelte es sich hierbei nicht um lineare Prozesse, die in allen europäischen Staaten gleichförmig verliefen und zu denselben Ergebnissen führten.
11. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
12 Phasen der europäischen Expansion Die Herausbildung einer europäisch dominierten Weltwirtschaft war spätestens mit den spanischen und portugiesischen Entdeckungen im späten 15. Jahrhundert gegeben. Im 17. Jahrhundert beschleunigte sich der Prozess der kolonialen Expansion europäischer Mächte. Angetrieben durch Konkurrenz und befördert durch die Entwicklung des Modells der Handelskompanie wurden die überseeischen Territorien in den folgenden Jahrhunderten unter den europäischen Mächten aufgeteilt. Im Verlauf dieser Konkurrenzkämpfe bildeten sich globale ökonomische und politische Strukturen heraus, die bis in das 21. Jahrhundert hinein wirkungsmächtig geblieben sind. Zu einem Verständnis dieser komplexen Entwicklungen ist es zunächst hilfreich, in drei Phasen europäischer Expansion zu unterscheiden. Zwischen 1450 und 1650 hatte sich durch die spanischen und portugiesischen Entdeckungsfahrten und Eroberungen bereits eine die Kontinente verbindende Wirtschaft herausgebildet. Während die Kosten (und damit das Risiko) für die erste Amerikafahrt des (gebürtigen Genuesers) Christoph Columbus im Jahr 1492 direkt von den spanischen Regenten getragen wurden, waren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die folgenden Expeditionen von Privatpersonen oder den Konquistadoren selbst finanziert worden.w Von Beginn des 17. Jahrhunderts an übernahmen die Kompanien der Vereinigten Niederlande die von den Portugiesen geschaffenen Handelsstrukturen und damit die Vormachtstellung in dem entstehenden transkontinentalen ökonomischen System:
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Ed uardo Galeano (1992): Die offenen Adern Lateinamerikas: 54-59.
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
" (.. .) die Rolle der portugiesischen Entd ecker und Erober er in der kolonialen Welt war es, .d ie Hunde loszulassen, um das Wild aufzuscheuchen, da s dann von anderen erlegt wurde', und hauptsächlich waren die Holländer die Nutzni eßer ." 61
Als sich die Konkurrenz zu anderen europäischen Mächten im 17. Jahrhundert verschärfte, griff auch die portugiesische Krone verspätet zu dem neuartigen, holländischen Modell eines wirtschafts- und sicherheitspolitischen Werkzeugs in Form der Handelskompanie. allerdings mit eher bescheidenem Erfolg . Die schärfsten Konkurrenten der niederländischen Welthandelsmacht waren in dieser Phase Frankreich und England. Nachdem Frankreich im 17. Jahrhundert eine Zeitlang zur dominierenden Macht auf dem europäischen Kontinent geworden war und mit einigem Erfolg seine kolonialen Besitzungen hatte erweitern können, schlossen sich England und die Niederlande in einer Allianz gegen den Sonnenkönig zusammen. Anfang des 18. Jahrhunderts war Frankreich infolge seiner Kriegsanstrengungen nahe am wirtschaftlichen Ruin, und da auch seine Gegner einsahen, dass ein Sieg kaum erreichbar sein würde, kam es zu einer Reihe von Friedensschlüssen. Sowohl Frankreich, die Niederlande als auch England blieben zunächst die bestimmenden globalen Akteure. Im späten 18. Jahrhundert löste dann Großbritannien die Vereinigten Niederlande und Frankreich als nunmehr führende globale Handeismacht ab. In dieser Entwicklungsphase des internationalen Systems führte, von England ausgehend, die Industrielle Revolution zu tief greifenden ökonomischen und sozialen Umwälzungen. Vor diesem Hintergrund hat der italienische Historiker C. M. Cipolla einen engen Zusammenhang zwischen dem Prozess der kolonialen Expansion Englands sowie der Industriellen Revolution hergestellt. Der Aufstieg Englands zur beherrschenden Weltmacht stehe mit der Industriellen Revolution in einem engen Zusammenhang, die Industrielle Revolution sei ihrerseits
61 C. R. Boxer (1977): The Portuguese Seabome Empire 1415-1825 : 106
12 Phasen der europäischen Expansion
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ohne die vorangegangene koloniale Expansion nur unzureichend erklärbar: " Die eur opä ische maritim e Exp an sion war einer der Umstände, die den Weg für di e Industriell e Revolution ebne ten. Dies auf der Basis zu be str eiten, da ss kein e H ändler WestIndi ens od er Ostindien-Abent eurer unter den .En trep rene ur s' waren, di e in Eur opa Fabriken bauten, ist so vern ünftig wie jed e Beziehung zwischen der Wissenschaftlichen Revolution und der Industriellen Revolution auf der Basis zu bestreiten, da ss weder Galileo noch New ton eine Textilfabrik in Manchest er einge richtet hab en . Die Zusamme nhänge in der Menschheitsgeschichte stellen sich nicht immer so offensichtlich und ordinär da r." 62
Ohne diese Abhängigkeitsgeflechte hier tiefergehend bearbeiten zu wollen : Die tragenden Akteure der Industriellen Revolution waren die von Werner Sombart als kapitalistische Unternehmer bezeichneten Kreise. Durch Investitionen in die kolonialen Unternehmungen der verschiedenen Handelskompanien waren im Kreis dieser Entrepreneurs Gewinne erzielt worden, die im Zuge der Industriellen Revolution in neuartige technologische Mittel und Methoden reinvestiert wurden. Auf der anderen Seite wurden durch die Industrielle Revolution Technologien verfügbar, die in der weiteren Kolonisation große Bedeutung gewinnen sollten. Hier werden lediglich drei schlagwortartig genannt: Telegraphennetze, durch die die Kommunikation über große Entfernungen möglich wurde. Dampfschiffe, mit deren Hilfe Flüsse landeinwärts befahren werden konnten und das Landesinnere der überseeischen Territorien erschlossen wurde. Und schließlich Innovationen in der Waffentechnologie. Insbesondere das Maschinengewehr wurde im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu einem entscheidenden Werkzeug in der Unterwerfung außereuropäischer Völker.
C. M. Cipolla (1965): Guns, Sails and Em pire s: Technological Inno vation and the Early Phases of Eur ope an Expansion 1400 -1700: 146
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
Die Vorherrschaft britischer Kompanien währte von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie waren ein integraler Bestandteil im Aufbau des British Empire, das seinerseits die Ausformung des internationalen Staatensystems und des Weltmarktes determinierte. Die Handelskompanien wirkten kontinuierlich in der Ausgestaltung der internationalen Beziehungen mit. Die letzte der historischen Handelskompanien, die Territorien in Übersee direkt verwaltete, die Companhia de Mocambique, wurde 1942 aufgelöst. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich die USA als die dominierende Macht durch. Diese Position halten sie bis heute. In dem folgenden Schaubild sind die Phasen der kolonialen Expansion noch einmal zusammengefasst. Dominierende Weltmächte im Prozess der kolonialen Expansion Historische Phase 1450 -1650 1650 -1750
1750 - Zweiter Weltkrieg Seit dem Zweiten Weltkrieg
Dominierende Weltmächte Spanien und Portugal Niederlande, schärfste Konkurrenten Frankreich und Großbritannien Großbritannien USA
Handelskompanien erlangten als Werkzeuge der europäischen Mächte zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert eine unverzichtbare Bedeutung. Die historischen Vorläufer der heutigen Militär- und Sicherheitsunternehmen beeinflussten in entscheidendem Maße die weitere Ausgestaltung des Weltsystems, und zwar eines Weltsystems, das erstmals in der Geschichte der Menschheit eine globale Reichweite entwickelt hatte. In den überseeischen Besitzungen der Handelskompanien wurden sozialstrukturelle Realitäten geschaffen, die die Grundlage für die Verstaatlichung der Gesellschaften in diesen Weltregionen herstellten. Die von den Handelskompanien geknüpften Verbindungen zwischen den euro-
13 Die Handelskompanien
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päischen Staaten und deren überseeischen Besitzungen schufen die Grundstrukturen der heutigen internationalen Handelsströme. Die Handelskompanien waren in sämtlichen Weltregionen präsent, ihre Geschichte zog sich über beinahe 350 Jahre hin und ist dementsprechend reich an Beispielen. An dieser Stelle soll noch einmal Werner Sombart zitiert werden: " Man weiß, dass seit dem 17. Jahrhundert es üblich wurde, di e staatlichen Hoh eitsrechte, vor allem auch die Kriegsmittel, den privilegierten Handelsgesellschaften zu übertragen, denen dadurch recht eigentlich die Eroberung der Kolonien als Aufgabe einheimfiel. und zwischen denen der Kampf um den Futterplatz (sow eit er au ßerhalb Eur op as entschiede n wurde) zum Austrag kam . Dass in dies em Kampfe die Größe der staatlichen Machtmittel letzten Endes die Entscheidung gab, und da ss der Sieg nicht von friedlichen Kaufleuten, sondern von gewandten Geschäftsleuten und brutalen Seeheld en erfochten wurde, liegt auf der Hand."63
13 Die Handelskompanien Wie in den freien Kompanien, den Landsknechtsverbänden und dem Soldatenhandel verschmolzen auch in den chartered companies militärisches und ökonomisches Unternehmertum. Dieses Amalgam begründete im frühen 17. Jahrhundert einen neuartigen Organisationstyp, durch den die Unterwerfung der außereuropäischen Welt unter die Interessen der europäischen Staaten ermöglicht wurde. Der Begriff .charter' ist am adäquatesten mit Freibrief oder Schutzbrief zu übersetzen. Im Kern handelte es sich bei den chartered companies um privat finanzierte Unternehmen, die von den Regierungen ihrer Herkunftsstaaten mit weitgehenden Rechten ausgestattet wurden, um Fernhandel zu betreiben bzw. Territorien zu erwerben. Die 63Werner Sombart (1913) : 12
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
Rechte und Pflichten der Handelskompanien wurden in einem Vertragder charter - niedergelegt. Durch diese wurde beispielsweise das Recht übertragen, Steuern zu erheben, Münzen zu prägen, Verträge mit lokalen Herrschern zu schließen, Regierungsgewalt auf einem bestimmten Territorium auszuüben, die Rechtsprechung vorzunehmen, Handelsmonopole durchzusetzen und, zu diesem Zweck, Armeen aufzustellen und Kriege zu führen. Ein Freibrief der britischen Krone aus dem Jahr 1661 beispielsweise ermächtigte die British East India Company (BEIC) "gegen nicht-christliche Prinzen und Menschen Krieg zu führen oder mit ihnen Frieden zu schließerr?«. Das Söldnerwesen fand in den Handelskompanien in zwei Formen seinen Ausdruck. Die Matrosen und Soldaten, die im Auftrag der Handelskompanien den überseeischen Handel absicherten und in den eroberten Gebieten Handelsniederlassungen aufbauten, rekrutierten sich aus den verschiedenen Staaten Europas. Neben den europäischen Söldnern gliederten die Handelskompanien indigene Söldner in ihre Armeen ein. Sowohl in Amerika, Asien, Ozeanien als auch in Afrika wurden Männer angeworben, um im Dienste der Kompanie an der Erzwingung einer kolonialen Ordnung mitzuwirken. Die Bedeutung der historischen Handelskompanien im Prozess der weltweiten Kolonialisierung lag nicht nur in der innovativen Organisationsform, in der politische, ökonomische und militärische Interessen zusammengefasst wurden, sondern in gleichem Maße in der damit einhergehenden Entwicklung neuartiger Finanzierungsinstrumente. Wie eingangs im Rückgriff auf Charles Tilly skizziert, war neben der Kriegsführung, der Schutzgelderpressung (der Erhebung von Steuern) und der Ausbeutung von Ressourcen ein wesentlicher Einflussfaktor in der Entstehung des Staates in der Fortentwicklung von Finanzierungsmodellen zu sehen. Die Unternehmungen der Handelskompanien des 17. und 18. Jahrhunderts waren durch den Verkauf von Anteilen - heute: Aktien an private Investoren ermöglicht worden. Die älteste bekannte Aktie der
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[anice E. Thomson (1994): 36
13 Die Handelskompanien
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Welt ist eine Aktie der VOC, datiert auf den 27. September 1606. Die Geschichte der Handelskompanien markiert die Entstehung des modernen Finanzwesens. Das heute selbstverständliche Modell der Minderung des Risikos für den einzelnen Investor durch die Streuung des Investitionskapitals mittels Aktien hat seinen Ursprung im globalen Siegeszug der Handelskompanien. Sie sind die eigentlichen Vorläufer der modernen, auf Aktienkapital gegründeten Unternehmen, die heutigen Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHs) können in einem technischen Sinn als chartered companies verstanden werden. Die Handelskompanien wurden, wie bereits gesagt, generell auf private Initiative gegründet. Die Investoren wurden dabei in einigen Fällen von den Regierungen unterstützt und ermutigt, in anderen Fällen wurden ihre Aktivitäten zunächst nur geduldet. Die Finanzierung war entweder ausschließlich durch privates (Aktien)kapital gesichert worden oder der Staat war Anteilseigner in der jeweiligen Unternehmung, d. h., es handelte sich um frühe Formen von public-private-partnerships. Obgleich die Handelskompanien auf private Initiative gegründet und durch privates Kapital finanziert wurden, ist ihr Siegeszug nur in Verbindung mit ihren erstarkenden Heimatstaaten erklärbar. Für die europäischen Staaten, die privat finanzierte Unternehmen mit souveränen Rechten ausstatteten, bot sich in den Handelskompanien ein Instrument, unabhängig vom staatlichen Haushalt in Übersee zu intervenieren und das hohe Risiko der überseeischen Handelsunternehmungen an private Investoren zu delegieren. Der Sozialhistoriker Fernand Braudel schreibt hierzu: " Der Staat ist schon desh alb immer mit von der Parti e, weil er auf dem als Basis wesentlichen Inlandsmarkt die Privilegien vergibt und garantiert, die im übrigen keine Gratisgeschenke darstellen. Da sich die modernen Staaten ständig in Geldnot befinden, beruht jede Handelskompanie auf eine m Gesch äft mit dem Fiskus. Die Kompani en müssen ihre immer erst nach langwierigen Verhandlungen verlängerten Monopole stets aufs neue bezahlen.ö>"
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Fernand BraudeI (1985): 488
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
Jede der zahlreichen historischen Handelskompanien hat ihre eigene Entstehungs- und Wirkungsgeschichte. Die ersten Handelskompanien waren bereits Anfang des 16. Jahrhunderts gegründet worden, die letzten zum Ende des 19. Jahrhunderts während des Scramble for Africa. Die britische Muscovy Company etwa war bereits 1555 ins Leben gerufen worden, die ebenfalls britische Royal Niger Company erst 1886. Sie unterschieden sich voneinander in Bezug auf die Dauer ihres Bestehens, hinsichtlich der Größe ihres Einflussgebietes und ihrer organisatorischen Stärke, ihres Geschäftsfeldes und schließlich im Grad ihrer Autonomie von den jeweiligen Heimatstaaten. Viele Handelskompanien bestanden lediglich wenige Jahre, während andere auf eine generationenübergreifende Geschichte zurückblicken. Die Deutsche Neuguinea-Kompagnie beispielsweise erhielt 1885 einen kaiserlichen Schutzbrief, der ihr die Hoheitsrechte in KaiserWilhelms-Land (der nordöstliche Teil der Insel Neuguinea, heute PapuaNeuguinea) übertrug und sie ermächtigte, Verträge mit lokalen Herrschern abzuschließen sowie Land zu erwerben. Schon 1899 kaufte das Deutsche Reich die Hoheitsrechte zurück und Kaiser-Wilhelms-Land wurde ein Teil der Kolonie Deutsch-Neuguinea. Die britische Hudson's Bay Company dagegen hielt 200 Jahre lang das Handelsmonopol über ein Drittel des Territoriums des heutigen Kanadas. Sie war ermächtigt worden, eine eigene Armee und Flotte aufzubauen und ihren Herrschaftsbereich mit allen Mitteln, die ihr geeignet schienen, zu behaupten. Die ausgedehnte Infrastruktur der Handelsstützpunkte blieb nach dem Verlust des Monopols 1870 die Grundlage für den Aufbau eines Netzes von Warenhäusern, die heute in vielen abgelegenen Regionen Kanadas ein Monopol innehaben.e Es gab Handelskompanien, die lediglich über einige hundert Mann verfügten, wie die Königlich-Preußische Asiatische Compagnie in Emden nach Canton und China (1751-1765), wohingegen die VOC im Laufe ihres Bestehens über eine Million Menschen nach Ostindien (In66
Zur Hudson Bay Company heute siehe unter: www.hbc.com
13 Die Handelskompanien
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donesien und Malaysia) verbrachte. Damit korrelierte natürlich der Machtbereich der jeweiligen Organisation: Während beispielsweise die Brandenburgisch-Africanische Compagnie zwischen 1683 und 1686 einen nur cirka 30 Kilometer langen Küstenstreifen im heutigen Ghana verwaltete, kontrollierte die britische North Borneo Company zwischen 1878 und 1909 die Hälfte Borneos, die British South Africa Company monopolisierte die Gewalt von 1889 ausgehend bis 1923 in ausgedehnten Territorien des südlichen Afrikas (Rhodesien), die die Fläche der heutigen Staaten Simbabwe und Sambia umfassten. Die Unterscheidung der Kompanien nach Geschäftsfeldern kann in der historischen Rückschau dazu dienen, die Masse der Handelskompanien nach einem System zu ordnen. Janice E. Thomson hat die chartered companies beispielsweise in Handels- und Plantagenkompanien unterschieden.w Es gab einige Kompanien, bei denen diese Unterscheidung angemessen ist. Die Emder Compagnie etwa entsandte lediglich vier Schiffe nach China, ihre Aktivitäten waren auf den Handel beschränkt. Die Fahrten wurden zu einem wirtschaftlichen Erfolg, Waren wie Tee, Porzellan, Seide, Baumwolle und Arzneimittel wurden importiert und mit hohem Gewinn versteigert. Dahingegen verwalteten die Companhia de Mocambique und die Niassa Company auf dem Territorium des heutigen Mosambiks in erster Linie Plantagen (Kopra, Zucker, Tee, Baumwolle, Reis und Cashew). Im Allgemeinen gilt aber, dass diese strikte Trennung nur im Rückblick möglich ist. In der Geschichte der Handelskompanien war es durchaus häufig, dass ein und dieselbe Kompanie in beiden Bereichen tätig war beziehungsweise dass sie ihre Geschäftsaktivitäten im Verlauf ihres Bestehens ausweitete. Der Grad der staatlichen Kontrolle über die Handelskompanien variierte zwischen den verschiedenen Staaten ebenso wie im Zeitverlauf. Janice E. Thomson definiert an dem einen Ende des Spektrums die VOC als eine rein private Handelsgesellschaft, während die französischen und portugiesischen Kompanien im Grunde Staatsunternehmen gewesen
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[anice E. Thomson (1994): 32
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
seien." Zwischen diesen beiden Polen verortet sie die Britisch East India Company, die Monopole von der Krone pachtete und dieser dadurch zu einer Einkommensquelle verhalf, die sich der parlamentarischen Kontrolle (zunächst) entzog. Dagegen bezeichnet die Wirtschafssoziologin Gertraude Mikl-Horke die VOC als eine "staatliche Handelsbehörde mit privatwirtschaftlicher Pinanzierungw. Diese differierende Einschätzung der beiden Wissenschaftlerinnen macht deutlich, dass es offensichtlich schwierig ist, im Rückblick das Verhältnis von privater und staatlicher Kontrolle über die Kompanien genau zu beurteilen. Im Rahmen der vorliegenden Abhandlung ist dies aber auch nicht nötig. Zentral ist der Umstand, dass es sich bei den Handelskompanien um Mischformen staatlich und privat organisierter Gewalt handelte, die im Ergebnis in der Herausbildung des internationalen Staatensystems elementaren Anteil hatten. Trotz der skizzierten Unterschiede hinsichtlich der Dauer ihres Bestehens, der Größe ihrer Einflussgebiete und ihrer organisatorischen Stärke, ihrer Geschäftsfelder und der Anbindung an den Heimatstaat teilen alle chartered companies die folgenden Merkmale:
in den überseeischen Territorien erzwangen sie durch den Einsatz militärischer Gewalt den Aufbau ökonomischer Strukturen, durch den militärisch abgesicherten internationalen Handel legten sie die Grundlagen für das heute bestehende internationale System und sie stellten Arrangements zwischen Vertretern europäischer Regierungen und der privaten Wirtschaft dar, die die Erschließung neuer Märkte bzw. die Absicherung bestehender Einflusszonen zum Ziel hatten.
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Ebd. : 33 Gertraude Mikl-Horke (1999): Historische Soziologie der Wirtschaft: 308
13 Die Handelskompanien
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Zur Illustration des Modells Handelskompanie soll exemplarisch die Geschichte einiger Handelskompanien nachgezeichnet werden. Deren Unternehmensgeschichten überschneiden sich teilweise im zeitlichen Verlauf oder in ihren Aktivitäten. Aus der Masse der Handelskompanien ragen zwei Kompanien heraus: Die 1599 gegründete BEIC sowie die 1602 geschaffene VOc. Sie gelten als die Prototypen der chartered cornpanies, ihre Unternehmensgeschichten ziehen sich von 1602 bis 1795 bzw. von 1599 bis 1858, also im Fall der VOC über 193, im Fall der BEIC über 259 Jahre. Begonnen wird mit einer Darstellung der VOc. Die Dominanz der Niederlande innerhalb der globalen Handelsgeflechte im 17. Jahrhundert ist der Grund für dieses Vorgehen. Daran anschließend wird der Fokus auf die BEIC gerichtet, die ihren niederländischen Konkurrenten als stärkste Handelskompanie im 18. Jahrhundert ablöste. Nachdem die Entwicklung dieser beiden einflussreichsten Handelskompanien skizziert wurde, werden eine portugiesische und eine französische Handelskompanie im Mittelpunkt stehen. Deren Gründungen im 17. Jahrhundert waren das Resultat der Bemühungen Frankreichs und Portugals, der zunehmenden Konkurrenz der Niederlande durch die Übernahme des neuen, innovativen Organisationsmodells entgegenzutreten. Während es im Fall der Companhia Geral do Comercio do Brasil für den portugiesischen Regenten ausschließlich darum ging, mithilfe privater Investitionen die Handelswege nach Brasilien gegen die Angriffe der Holländer zu sichern, erlangte die französische Compagnie des Indes im 18. Jahrhundert eine herausragende handels- und finanzpolitische Bedeutung. Schließlich werden deutsche Kolonisationsgesellschaften und eine britische Kompanie vorgestellt, die im Zuge des Scramble for Africa gegründet worden waren. Im ausgehenden 19. Jahrhundert erfuhr das Modell der Handelskompanie im Wettlauf der Kolonialmächte um die wenigen verbliebenen überseeischen Territorien noch einmal einen starken Impetus.
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
14VOC Der Aufstieg der Holländer zur führenden Welthandelsmacht ist in wesentlichem Maße auf Innovationen in zwei Bereichen zurückzuführen: dem Finanz- und dem Militärwesen. Zu beiden Aspekten sind bereits einige Anmerkungen vorgenommen worden. Es war in den Vereinigten Niederlanden, wo sich fortschrittliche, neuartige Finanzierungsinstrumente durchsetzten. Die um 1600 in Amsterdam gegründete, weltweit erste Börse ermöglichte eine Diversifizierung der Finanzierungsgrundlage und damit eine Ausweitung des Handels. Die Wirtschaftshistorikerin Ella Gepken-Jager vertritt die Auffassung, dass die VOC als die weltgeschichtlich erste GmbH angesehen werden kann.v Die Haftung des einzelnen Aktionärs war auf seine Einlage beschränkt und durch diese Minderung des Risikos für den einzelnen Investor konnten große Finanzmengen generiert werden. Zum anderen hatten die Niederländer das Militärwesen verbessert. Entscheidende Fortschritte in der Organisation militärischer Gewaltanwendung waren von dem holländischen Generalkapitän der Land- und Seestreitkräfte, Moritz von Nassau (1567-1625), angestoßen worden. Ab 1590 hatte er im Zuge der Oranischen Heeresreform mit einer Reorganisation der Streitkräfte der Vereinigten Niederlande begonnen. Neben der Einführung einer differenzierteren Gliederung der Truppe mit gut funktionierenden Befehlshierarchien bestand die effektivste Neuerung in der systematischen Anwendung des Drills. Moritz von Nassau hatte erkannt, dass tägliches Exerzieren, Marschieren und Üben die Soldaten zu effektiveren Werkzeugen machte." Gleichzeitig wurde eine genauere Überwachung der Soldaten durch Offiziere nötig, deren Kader man sukzessive erweiterte. Durch diese Neuerungen in der Ausbildung und Lenkung von bewaffneten Kräften entstand ein Pool gedrillter Soldaten und Söldner, die ihrerseits in den überseeischen Ge-
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Ella Gepken-Jag er (2005): 43 William McNeill(1982) : 120 ff .
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bieten die Ausbildung lokaler Söldnerverbände übernehmen konnten. Lediglich soviel zu den Voraussetzungen: Die Verfügung über Risikokapital und die Fortentwicklung des Militärwesens waren tragende Säulen der niederländischen Expansion. [an Pieterszoon Coen, Generalgoverneur der VOC und deren erfolgreichster Verwalter, hatte im Jahr 1614 in einem Brief an die Direktoren der VOC, die Siebzehn Herren, geschrieben: " Die Herren sollt en aus Erfahrung wiss en, dass der Handel in Asien unter dem Schutz und mit der Hilfe unserer eigenen Waffen durchgeführt und aufrecht erhalten werden sollte und dass diese Waffen durch die aus dem Handel gewonnenen Profite geführt werden müssen . Wed er kann der Handel ohne Krieg aufrechterhalten werd en, noch der Krieg ohn e den Handel."
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Die VOC war unter der Maßgabe gegründet worden, dass es unumgänglich sei, die spanischen und portugiesischen Feinde in Übersee zu bekämpfen. Sie verfolgte das Ziel, deren Einflussbereiche zu zerstören und die geschaffenen Handelsnetze zu übernehmen, und war im Ergebnis in diesem Unterfangen erfolgreich.v Einige Hintergrundfakten zu diesem Prozess: Der auf 21 Jahre angelegte Schutzbrief der Vereinigten Niederlande von 1602 hatte der VOC das Handelsmonopol über die Regionen östlich des Kaps der Guten Hoffnung und westlich der Magellanstrasse übertragen. In diesen Gegenden sollte die VOC Verträge mit Prinzen und Potentaten abschließen und zu diesem Zweck wurde sie auch ermächtigt, Handelsstützpunkte zu errichten, eigene Verwalter zu ernennen und Kriege zu führen. Die Inbesitznahme der Gewürzinsel Banda (aus der Inselgruppe der Molukken) 1621 unter der Leitung von Coen hatte zur Folge, dass die indigene Bevölkerung in 15 Jahren von 15.000
Zitiert nach: Geoffrey Park er (1991): Europe and th e Wid er World, 1500-1750: Th e Military Balance: 179 73 Ebd . 72
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
auf 600 Bewohner sank.> Durch den Einsatz japanischer Söldner waren sämtliche M änner, die älter als 15 Jahre waren, getötet worden. Sklaven aus anderen Regionen wurden eingeführt und Monokulturen, beispielsweise Muskatnuss, betrieben. Nachdem Coen zwischen 1617 und den 1630ern verschiedene Inseln des indonesischen Archipels unter seine Kontrolle gebracht hatte, erlangte die VOC um 1670 die globale ökonomische Vormachtstellung. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatte das zu diesem Zeitpunkt erfolgreichste transnationale Unternehmen Handelsposten in Persien (heute Iran), Bengalen (heutiges Bangladesch und ein Teil Indiens), Malakka (Teil des heutigen Malaysia), in Siam (Thailand), auf dem chinesischen Festland (Kanton), Formosa (heutiges Taiwan) und im südlichen Indien eingerichtet. In diesem Expansionsprozess hatte die VOC nach dem Muster der Übernahme der Insel Banda indonesische Söldner eingestellt, um Sumatra, Teile Javas, Macassar und Bantam zu .befrieden'. In dem Kampf um Kalkutta, der sich von 1715 bis 1719 hinzog, setzte die Compagnie 5.000 Europäer und 20.000 lokale Söldner ein." Als das reichste Unternehmen, das die Welt bis dahin gesehen hatte, verfügte die VOC am Höhepunkt ihrer Macht über mehr als 150 Handelsschiffe, 40 Kriegsschiffe, 50.000 Angestellte und eine private Armee von 10.000 Mann. Um 1700 war die maximale Gewinnausschüttung in der Unternehmensgeschichte erreicht: die Profitspanne erreichte zu diesem Zeitpunkt 125 Prozent." Die Portugiesen waren auf vier Kontinenten erfolgreich bekämpft worden und zu den Handelswaren, die die Macht der VOC nunmehr begründeten, zählten Gewürze aus Ostindien, Silber aus Mexiko und Peru, Gold aus Guinea und Monomotapa'", Zucker aus Brasilien sowie Sklaven aus Westafrika. Die Handelsströme stellten sich zu jener Zeit beispielsweise in folgender Form dar: Mit SilTh e Economi st (1998): The Spice Trad e - A Taste of Ad venture Janic e E. Thomson (1994): 39 76 Ella Gepken-Jag er (2005): 49 77 Dieses afrikanische Reich umfasste das heutige Sambia, Simb abwe, Teile Mosambiks sow ie Südafrikas. 74 75
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ber aus den Minen Perus wurde in China Rohseide gekauft. Diese Rohseide bezahlten die [apaner mit Gold und Kupfer. Gold und Kupfer wiederum dienten dem Kauf von Textilien in Indien. Schließlich wurden die Textilien in Ostindien gegen Gewürze getauscht. Die Vorherrschaft der VOC währte vom Anfang des 17. Jahrhunderts bis Mitte des 18. Jahrhunderts. Zu Beginn hatte sich ihr Geschäft auf den Import von Gewürzen gegründet. Die Geschäfte hatten sich aus dem überseeischen ebenso wie aus dem innerasiatischen Handel ergeben. Im 18. Jahrhundert lag der Schwerpunkt des Unternehmens zunehmend auf dem Export von Textilien von Indien nach Europa, wo sich eine dauerhaft hohe Nachfrage eingestellt hatte. Einfach gearbeitete Textilien exportierte die VOC nach Südamerika und in die Karibik, wo sie für die Sklaven auf den Plantagen gebraucht wurden. Im selben Zeitraum erweiterte die VOC ihren Handel auf Tee, der in China eingekauft wurde, sowie auf Kaffee und Zucker aus Java. Im Laufe des Jahrhunderts hatten die Holländer die Kontrolle über große Teile Javas ausgebaut und waren dergestalt in der Lage, die lokale Bevölkerung zum Anbau dieser zwei Produkte zu zwingen. Es wurde bereits gesagt, dass im gesamten Zeitraum des Bestehens der VOC cirka eine Million Menschen mit dem Unternehmen nach Asien verbracht wurden. Da die Vereinigten Niederlande eine recht niedrige Bevölkerungszahl hatten, war es für die VOC stets notwendig gewesen, Seeleute und Soldaten aus anderen europäischen Staaten anzuwerben. Deutsche stellten die größte Gruppe unter den Ausl ändern." Die deutschen Staaten, die während des Dreißigjährigen Krieges vollkommen zerstört worden waren, bildeten nach dem Westfälischen Frieden den wichtigsten Pool für Söldner. Andere VOC-Söldner kamen zu großer Zahl aus Frankreich, den südlichen Niederlanden (dem heutigen Belgien) und den baltischen Staaten. In der Regel dienten die Ausländer
Roelof van Geld er (2004): Das ostindische Abenteu er. Deutsche in Diensten der Vere inigten Ostindischen Kompanie der Niederlande (VOC) 1600 bis 1800: 22
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
in den niederen Rängen, während die Führungspositionen für Holländer reserviert waren. Die VOC war aus einer Fusion kleinerer niederländischer Kompanien (den sog. Vorkompanien) hervorgegangen, die sich im Konkurrenzkampf mit den Portugiesen gegenseitig behindert hatten. Wie die Vereinigten Niederlande selbst war die VOC föderal organisiert, d. h., sie setzte sich aus sechs voneinander relativ unabhängigen Kammern zusammen.?? Diese Kammern wählten ein Direktorium, die Herren XVII, das an der Spitze des Unternehmens stand. Die Versammlung der Siebzehn Herren bestimmte weitgehend die Politik der VOC, innerhalb des Direktoriums hatten die Amsterdamer die Vorherrschaft - es handelte sich um ein streng oligarchisch organisiertes Unternehmen. Prägend war desgleichen, dass " im Labyrinth der Oost Indische Compagnie stets be stimmte Familiendynastien vertreten sind . In sämtlichen Verzeichnissen der .Herren XVII' und der .Herren XIX' (der Leiter der 1621 gegründeten holländisch-Westindischen Kompanie) stößt man auf Angehörige einiger mächtiger Familien wie der Amsterdamer Blickers oder der seeländischen Lampsin s. Sie verdanken ihre Stellung nicht dem Staat, sondern ihrem Geld und gesellschaftlichen Rang und Anseh en'? ",
Die Kontrolle der Regierung der Vereinigten Niederlande über das Geschäftsgebaren der VOC war formal gegeben, da sie über die sechs Kammern Einfluss auf die Unternehmensleitung nahm, praktisch stellte sich dies jedoch schwieriger dar. Dies lag in der Natur des Fernhandels, da es auf Grund der Entfernungen unmöglich war, das Vorgehen des Unternehmens vor Ort direkt zu beeinflussen. In einigen Fällen betrieb die VOC gezielt eine Politik, die der ihrer Heimatregierung entgegenstand. So wurden die Angriffe auf portugiesische Handelsschiffe
Dies e ve rtraten Arnsterdam, Zeeland/Middelburg, Delft, Rotterdam, Hoorn und Enkh uizen . 80 Fernand Braudei (1986): 490 79
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auch zu Zeitpunkten fortgeführt, zu denen die Regierung der Vereinigten Niederlande Friedensverträge mit den Portugiesen geschlossen hatte (so zwischen den 1620ern und 1640ern). Im Jahr 1651 weigerte sich die VOC, die Insel Pularoon den Briten zurückzugeben, obgleich die Regierungen im fernen Europa einen entsprechenden Vertrag geschlossen hatten. Trotz der Erfolge der VOC hatte das Unternehmen 1798 ein großes Defizit aufgebaut. Mehrere Gründe waren dafür ausschlaggebend gewesen. Erstens gewannen die europäischen Konkurrenten, insbesondere England, zunehmend an Macht. Zweitens hatte sich durch mangelnde Kontrolle und Transparenz ein sehr hohes Korruptionsniveau eingestellt, das zu unternehmerischen Fehlentscheidungen führte. Die Geschichte des Unternehmensrechts der Compagnie zeigt deutliche Parallelen zu heutigen Problemen der corporate governance auf: Die Macht der Direktoren war zentral.s' Die im Laufe der Geschichte der VOC unternommenen Versuche, den Aktionären mehr Mitspracherechte zu erlauben, waren nicht erfolgreich, der Einfluss der Investoren auf die Unternehmensentscheidungen war auf eine kleine Gruppe von Großaktionären beschränkt. Die Direktoren handelten primär in ihrem eigenen Interesse und vernachlässigten die Interessen der Aktionäre. Dieser Umstand spiegelt sich in dem Vorkaufsrecht der Direktoren: Zu niedrigen Preisen konnten sie die aus Asien eingeführten Waren einkaufen. Damit gingen Insiderhandel und Aktienspekulation einher, da der Handel der Wertpapiere von Informationen über die Ankunft und Ladungen der Schiffe abhing. Zu diesen Informationen hatte das Direktorium einen privilegierten Zugang. Und schließlich verschlangen die permanenten Kriege in Ostindien zunehmend Ressourcen: Der Anteil der Kosten für Sicherheit stieg zum Nachteil der Profitspanne. Der Aufstieg und Niedergang der VOC spiegelt die Phase der holländischen Vormachtstellung im internationalen Handel in etwa wi-
Siehe zu den Parall elen zwischen der VOC und heutigen Akti eng esellschaften : Ella Gepken-Jager (2005): 80-81
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
der. Im internationalen Kontext waren die Kriege der VOC auch die Kriege der Vereinigten Niederlande und umgekehrt.v Zwar verstieß die Compagnie in einigen Fällen gegen die europapolitischen Ziele ihrer Heimatregierung, aber das änderte nichts an dem Fakt, dass die staatlichen Schutzbriefe regelmäßig erneuert worden waren. Im 18. Jahrhundert wurde die VOC von der BEIC als führendes transnationales Unternehmen abgelöst. England hatte im Siebenjährigen Krieg (1756-1763) Frankreich geschlagen und überließ die in Indien eroberten Gebiete der BEIC. Infolge des Vierten EnglischNiederländischen Krieges von 1780 bis 1784 bekam die VOC Schwierigkeiten, ihre Handelsnetze aufrechtzuerhalten, und Ende des 18. Jahrhunderts wurde sie schließlich aufgelöst. England hatte seine schärfsten Konkurrenten auf dem internationalen Markt, die Niederlande und Frankreich, erfolgreich verdrängt.
Willem Sinninghe Damste/Marijke van de Vrugt (2005): Winding up the Company: 83107
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15 BEIC
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15 BEIC Die BEIC war 1599 von einer Gruppe wohlhabender Londoner Geschäftsleute gegründet worden. Ihr voller Name lautete ,Governors and Company of Merchants of London Trading to the East-Indies' . Wie die VOC stellte sie einen direkten Vorläufer der modernen Aktiengesellschaft dar, die Aktionäre hafteten im Fall von Verlusten nur mit ihrem Anteil am Aktienkapital. Zu Beginn investierten 125 mit den entsprechenden Mitteln ausgestattete Unternehmer in die Kompanie. Bei diesem Personenkreis handelte es sich um einen geschlossenen Zirkel, einer Zunft nicht unahnlich.v Nur denjenigen, die von den bestehenden Mitgliedern akzeptiert wurden, war der Zugang zum Kreis der Investoren möglich. An der Spitze stand ein Gouverneur, an dessen Seite der Court of Directors arbeitete. Diese wurden von dem Court of Proprietors ernannt und waren diesem gegenüber rechenschaftspflichtig. Unterhalb dieser Organisationseinheiten bestanden zehn Komitees, die dem Court of Directors zuarbeiteten. Im Dezember 1600 erhielt die BEIC einen Schutzbrief der Krone, der ihr ein 15jähriges Handelsmonopol garantierte. Zwei Jahre später landete die erste Expedition auf Sumatra an . Die fortlaufenden Zusammenstöße mit den Holländern veranlassten die Kompanie, sich zunächst auf das indische Festland zu konzentrieren. Nachdem 1615 ein Abkommen mit dem mächtigsten Mogulkaiser des Subkontinents abgeschlossen worden war, gelang es der BEIC, die Portugiesen sukzessive zu verdrängen. Handelsniederlassungen wurden 1639 in Madras und 1668 in Bombay sowie Kalkutta gegründet. Zwischenzeitlich hatte die Krone weitere Schutzbriefe ausgestellt, durch die die souveränen Rechte der BEIC ausgeweitet worden waren. Um gegenüber der VOC konkurrenzfähig zu sein, wurde ihr das Recht zugesprochen, Münzen zu schlagen, Bündnisse einzugehen, eigene Truppen aufzubauen, Krieg zu führen und Frieden zu schließen. Ab 1680 stellte die BEIC eigene Streitkräfte 83 [anice
E. Thomson (1994): 36
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auf. Jede der drei administrativen Einheiten Indiens (Bombay, Madras und Bengalen) verfügte über eine eigene Armee. Diese Armeen rekrutierten sich in der überwiegenden Zahl aus der lokalen Bevölkerung. Die so genannten Sepoys kamen aus den höheren Kasten, die Offiziere waren generell Briten, die an der unternehmenseigenen Militärakademie in England ausgebildet wurden. Im frühen 18. Jahrhundert nahmen die Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und England um die kolonialen Besitztümer zu. Als es schließlich zum Ausbruch des Siebenjährigen Krieges kam, wurde dieser im Fall des indischen Kriegsschauplatzes zwischen den Truppen der BETC und der französischen Armee ausgetragen. In der Schlacht von Plassey 1757 wurde der letzte Widerstand in Bengalen durch die Armee der BETC niedergeschlagen. Der mit den Franzosen verbündete lokale Herrscher musste sich dem Willen der britischen Kompanie beugen. Die vormals von den Franzosen kontrollierten Gebiete wurden von der BETC übernommen. Die hohen Tributforderungen der Briten verschärften in der Folge die bengalische Hungersnot zwischen 1770 und 1773, bei der geschätzte zehn Millionen Menschen umkamen. In der Periode von 1757 bis 1857 konnte die BETC ihre globale Handelsvorherrschaft ausbauen. Nachdem das Konkurrenzunternehmen VOC seit den 1780er Jahren zügig an Einfluss verloren hatte, gewann das britische Handelskapital eine einzigartige Machtstellung. Die Gewinne, die während der ersten einhundert Jahre des Bestehens der BEIC gemacht wurden, erlaubten es dem Unternehmen, seine Macht in England auszubauen. Die Kompanie verfügte über eine eigene, einflussreiche Lobby im englischen Parlament. Obgleich es Geschäftsleuten, die nicht der BETC angehörten, 1694 gelang, das Monopol zu brechen, war es für andere englische Unternehmen schwierig, in den monopolistisch beherrschten Markt des Fernhandels einzusteigen. So investierte die alte BETC in eine 1698 von konkurrierenden Geschäftsleuten neu gegründete Ostindien-Kompanie und beherrschte diese letztlich durch eine frühe Form feindlicher Übernahme. Nachdem die bei den Kompanien 1702 fusioniert waren, liehen sie dem Finanzministerium eine bedeutende Summe und erhielten im Gegenzug für zunächst drei
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Jahre weitgehende Handelsrechte. In den folgenden Dekaden geriet die BEIC immer dann unter Druck, wenn es um eine Verlängerung der königlichen Privilegien ging. Interessengruppen von Händlern, die nicht der BEIC angehörten, standen dem Monopol der Kompanie aus nahe liegenden Gründen ablehnend gegenüber. Die Krone verdiente an dem Monopol, das sie dem Unternehmen zusprach und war entsprechend an einer Aufrechterhaltung interessiert. Dem Parlament war auf der anderen Seite daran gelegen, diese exklusive Einnahmequelle der Krone zu beschneiden bzw. seinerseits am Überseehandel teilzuhaben. Im Jahr 1766 wurde das Monopol der BEIC durch einen Untersuchungsausschuss des Parlaments erneut in Frage gestellt. Es wurde argumentiert, dass die Regierung große Summen in die militärische Absicherung der Handelsaktivitäten investiere, der Fernhandel zu einer ständigen Einkommensquelle im staatlichen Haushalt geworden sei und es deshalb vonnöten wäre, die Finanzen des Unternehmens stärker zu kontrollieren. Im Jahr 1767 wurde die BEIC zur Zahlung von 400.000 Pfund jährlich verpflichtet. Nachdem dieses Arrangement 1769 für fünf Jahre erneuert worden war, konnte das Unternehmen 1773 die geforderte Summe nicht zahlen und musste sich von der Regierung Geld leihen. Die Hungersnot in Bengalen zwischen 1770 und 1773 hatte die Produktivität der Arbeitskräfte extrem eingeschränkt, die Kosten für militärische Sicherheit waren stetig angestiegen und eine wuchernde, zunehmend unkontrollierbare Administration hatte zu Ineffizienzen geführt. In dieser bedrohlichen Situation war das Parlament der BEIC zunächst zu Hilfe gekommen, indem es 1773 das Teegesetz erließ, wodurch der Kompanie stärkere Rechte im Amerikahandel übertragen worden waren. Schließlich stellte die Regierung 1784 jedoch die militärische und zivile Verwaltung Indiens unter seine Kontrolle, die ersten Schritte zur Verstaatlichung der BEIC wurden durchgeführt. Obgleich die Handelskompanie 1813 durch ihr aggressives Vorgehen den größten Teil Indiens, Burmas, Singapur und Hongkong unter ihre Kontrolle gebracht hatte (ein Fünftel der Weltbevölkerung lebte zu diesem Zeitpunkt im Machtbereich der BEIC), war die finanzielle Lage aufgrund der ho-
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
hen Expansionskosten weiterhin äußerst angespannt. Sich gezwungenermaßen mit der Bitte um stärkere Unterstützung an das Parlament wendend, musste die geschwächte Kompanie weitgehende Zugeständnisse machen. Der Handelsbrief der BETC aus dem Jahr 1813 beschränkte deren Monopol auf den China- und Teehandel. Im Ergebnis übernahm der Staat in den einhundert Jahren zwischen 1757 und 1857 durch mehrere Gesetze sukzessive die vollständige administrative und organisatorische Kontrolle über die BEIC, deren Macht in Übersee sich parallel dazu aber weiter ausgedehnt hatte. Nach 1857 wurde die BETC innerhalb weniger Jahre durch die Regierung vollständig enteignet. Durch die so genannte Sepoy Mutiny (Meuterei der Sepoy) verlor die Kompanie für die englische Regierung ihre Bedeutung als Verwalter Indiens. Die Armee der BETC bestand 1857 aus 37.000 Europäern aller Ränge und 286.000 Sepoys.v Zahlreiche politische, ökonomische, soziale, militärische und religiöse Probleme führten zu dem Aufstand, der das Ende der Kompanie besiegeln sollte. Im Folgenden soll lediglich auf diejenigen Ursachen eingegangen werden, die sich unmittelbar auf die am Aufstand beteiligten Sepoys bezogen. Im Gegensatz zu den Armeen von Bombay und Madras war die Armee Bengalens, die als einzige revoltierte, sehr homogen und rekrutierte sich aus kastenbewussten, Land besitzenden Ethnien aus dem Tal des Canges ,8s Die BETC hatte dieses Kastenbewusstsein zunächst forciert, doch als ab den 1840er Jahren die Unterschiede weniger stark in den Vordergrund gestellt werden sollten, hatten diese Sepoys große Befürchtungen, ihren privilegierten Status zu verlieren. Unter den Zugeständnissen, die die BETC gegenüber der britischen Regierung hatte machen müssen, war zudem die Erlaubnis gewesen, Missionaren den Zugang zu ihren Territorien zu gewähren. Die Sepoys, in der Hauptzahl hinduistischen und moslemischen Glaubens, hatten zunehmend das Gefühl, man wolle sie zum Christentum bekehren. Verschärfend kam der Umstand hinzu, dass 84 Christopher
Hibb ert (1978): The Great Mutiny: 63 Seerna Alavi (1995): The Sepoys and the Cornpany. Tradition and Transition in Northem India 1770 -1830
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16 Companhia Geral do Comercio do Brasil
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die BEIC zwischen 1851 und 1852 Sepoys in den burmesischen Kolonialkrieg entsandt hatte. In der hinduistischen Tradition dieser Söldner war es verwerflich, über schwarzes Wasser zu reisen, dementsprechend unzufrieden kehrten sie nach Indien zurück. Schlussendlich war der Auslöser der Rebellion, ironischerweise, die Einführung einer neuen Waffe, der Enfield. Sie verfügte über eine bedeutend größere Reichweite als ihre Vorgänger und sollte zügig in den Dienst der Söldnertruppen gestellt werden. Allerdings verbreiteten sich unter diesen Gerüchte, die Magazine der Waffe seien standardmäßig mit Schweine- oder Rinderfett zu pflegen. Sowohl im Glauben der Hindu als auch der Moslems war damit ein Tabu gebrochen worden. Die Weigerung der Sepoys, die neue Waffe zu nutzen, wurde von den britischen Offizieren äußerst hart bestraft. Am 9. Mai 1857 befreiten Teile der bengalischen Kavallerie inhaftierte Kameraden und töteten in den darauf folgenden Wochen geschätzte 11.000 Europäer. Die Rebellion breitete sich aus, aber mit Unterstützung von anderen indigenen Söldnern, beispielsweise Sepoys aus dem Punjab und Gurkhas aus Nepal (die seit 1816 zunehmend rekrutiert worden waren), wurde der Aufstand Mitte 1858 schließlich niedergeschlagen. Mit dem Government of India Act, der 1858 vom britischen Parlament verabschiedet wurde, verlor die BEIe alle indischen Territorien. Diese wurden als Kronkolonie unter staatliche Kontrolle gestellt, das Vermögen der Handelskompanie wurde von der Krone übernommen, die auch in alle laufenden Verträge eintrat. Die BEIC verwaltete noch einige Jahre den Teehandel, bevor sie 1874 durch den East India Stock Dividend Redemption Act endgültig aufgelöst wurde.
16 Companhia Geral da Cornerein da Brasil Die Companhia Geral do Comercio do Brasil wurde auf Drängen des königlichen Beraters Antonio Vieira 1649 per Dekret des portugiesischen Königs [ohann IV. gegründet und gute 70 Jahre später, im Februar 1720, aufgelöst. Die Companhia war nicht ins Leben gerufen worden, um neue
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Territorien zu akquirieren, sondern um den bestehenden portugiesischen Handel abzusichern. Ihre Aufgabe sollte darin bestehen, ein Konvoisystem zum Schutz der Handelsschiffe aufzubauen, und dadurch die Lieferungen von Sklaven aus Westafrika nach Brasilien und brasilianischem Zucker nach Europa zu garantieren. Die Companhia versprach, 36 Kriegsschiffe auszurüsten und den transatlantischen Handel gegen die zunehmenden Übergriffe der Holländer zu sch ützen.w Im Gegenzug erhielt sie das Monopol auf die vier wichtigsten brasilianischen Importe (neben Sklaven): Wein, Mehl, Olivenöl und Stockfisch. Sie wurde außerdem autorisiert, Zölle auf alle brasilianischen Exporte zu erheben, genoss Steuervergünstigungen in Portugal, und Investoren waren vor dem Zugriff der Inquisition geschützt. Mit der Gründung einer Handelskompanie nach holländischem und englischem Vorbild sollte benötigtes Kapital generiert werden, da die Krone allein nicht zur Finanzierung dieses Vorhabens in der Lage war. Obgleich sowohl der Staat Gründungskapital zuschoss und es generell jeder Privatperson, ob Portugiesen oder Ausländern, Christen oder Juden, erlaubt war, Anteile zu erwerben, fehlten der Companhia von Beginn an ausreichend finanzielle Mittel. Deshalb konnte das Unternehmen die vertraglich vereinbarten Leistungen auch stets nur zum Teil erfüllen. Die militärische Absieherung des Handels zwischen Portugal und Brasilien war zwar verhältnismäßig erfolgreich, aber die vertraglich fixierte Pflicht zur Versorgung der brasilianischen Siedler mit den oben genannten Grundnahrungsmitteln konnte nie erfüllt werden. Infolge dieser Schwächen und des Wegfalls der wichtigsten Fürsprecher am Hof verlor die Kompanie nach und nach die gewährten Privilegien, bis sie schließlich 1720 per königlichem Dekret aufgelöst wurde.
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C. R. Boxer (1969): 222
17 Compagnie des Indes
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17 Compagnie des Indes Die erste große französische Handelskompanie wurde 1664 vom Begründer des Merkantilismus, Jean-Baptiste Colbert, ins Leben gerufen. Die Compagnie des Indes Orientales erhielt vom Regenten Louis XIV. ein auf 50 Jahre angelegtes Monopol über den französischen Handel im indischen und pazifischen Ozean. Obgleich die Kompanie in einigen Teilen Indiens Handelsstützpunkte errichtete und das Geschäft zu Beginn recht gut lief, wurde sie 1719 in die von dem Bankier [ohn Law neu gegründete Compagnie d'Occident (auch: Compagnie du Mississippi) überführt. [ohn Law übernahm desgleichen weitere schwächere Kompanien wie die Compagnie du Chine, die Compagnie de St. Domingue, die Compagnie de Guinee sowie die Compagnie de Senegal. Diese wurden in der neu geschaffenen Compagnie des Indes zusammengefasst, die während der folgenden Jahrzehnte das Monopol über den gesamten französischen Fernhandel hielt und über eine unternehmenseigene Bank die gesamte Finanzwirtschaft Frankreichs beeinflusste. Der gebürtige Schotte [ohn Law hatte sich in Paris mit dem Regenten Frankreichs (Philipp von Orleans) angefreundet und wurde, nachdem er 1719 zum Katholizismus konvertiert war, zum Generalkontrolleur der Finanzen ernannt. Bereits 1716 hatte Law die Banque Generale gegründet, die Kredite auf Papiergeldbasis vergab. Diese Banknoten gewannen nach und nach das Vertrauen der Öffentlichkeit, wohl nicht zuletzt aufgrund der Unterstützung durch Philipp von Orleans. Durch den Zukauf der verschiedenen Handelskompanien hatte Law 1719 zunehmend gewinnträchtige Monopole und Privilegien unter dem Dach der Compagnie des Indes vereinen können. In Frankreich setzte eine sehr starke Nachfrage nach den Aktien der Kompanie ein, gleichzeitig emittierte die inzwischen Banque Royale genannte Hausbank stetig neue Banknoten und Anleihen, mit denen diese Aktien erworben werden konnten. Es kam zu einem Aktienboom, der Konsum in Frankreich schnellte in bisher nicht gekannte Höhen. Anfang 1720 brach das Finanzgebäude Laws zusammen, als bekannt wurde, dass er den Wert der amerikanischen Kolonien
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stark übertrieben hatte. Das Vertrauen in das Papiergeld schwand, die Spekulanten transferierten ihr Kapital von Paris nach London. Law musste außer Landes fliehen, aber die Compagnie überlebte die Krise und wurde 1723 von Louis XV. mit neuen Privilegien ausgestattet, die neben den Monopolen auf Tabak und Kaffee auch das Recht umfassten, nationale Lotterien zu organisieren. Zwischen 1726 und 1746 brachte die Compagnie des Indes gute Dividenden. Der Reichtum, der besonders französischen Hafenstädten wie Bordeaux, Nantes und Marseille zu Gute kam, speiste sich überwiegend aus dem Handel mit Porzellan und Tee aus China, Baumwolle und Seide aus China sowie Indien, Kaffee aus dem Jemen, Pfeffer aus Mahe (heutige Seychellen) sowie Elfenbein und Sklaven aus Westafrika. Der Siebenjährige Krieg brachte dann schwere Verluste von Territorien und Schiffen. In diesem Weltkrieg zwischen den europäischen Großmächten der damaligen Zeit, der in Mitteleuropa, Indien, Nordamerika, der Karibik und auf allen Weltmeeren ausgetragen wurde, ging es für Frankreich und England um die Vorherrschaft in Indien und Nordamerika. Einige Jahre später, 1770, wurde die Compagnie des Indes zum Verkauf ihrer verbleibenden Besitztümer an den französischen Staat veranlasst. Der König übernahm die Schulden und löste das Unternehmen auf.
18 Deutsche Kolonisationsgesellschaften Reichskanzler Otto von Bismarck war kein Freund des kolonialen Gedankens. In den 1880er Jahren entstand aber zunehmend Druck zur Durchsetzung einer reichsdeutschen Kolonialpolitik. In der deutschen Öffentlichkeit waren einflussreiche Interessengruppen aktiv, die der breiten Bevölkerung den Wert kolonialer Besitzungen mit Hilfe von illustrierten Veröffentlichungen und exotischen Veranstaltungen nahe zu bringen versuchten. Währenddessen ergriffen private Investoren und kolonialbegeisterte, weit gereiste Pioniere die Initiative und brachten einige Territorien unter die Kontrolle von Kolonisationsgesellschaften.
18 Deutsche Kolonisationsgesellschaften
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Das Deutsche Reich wurde gedrängt, die privaten Unternehmer bei der Einrichtung deutscher Kolonien zu unterstützen. Schutzgebiete sollten deklariert und bei Bedarf militärische Unterstützung durch die deutsche Marine gestellt werden. Aber das Reich scheute zunächst die Kosten. Deshalb wurde von staatlicher Seite versucht, die Verwaltung und die Absicherung der Schutzgebiete in der Verantwortung der Kolonisationsgesellschaften zu belassen. Zu diesem Zweck wurden den Gesellschaften mittels kaiserlicher Schutzbriefe quasi-staatliche Hoheitsrechte übertragen. Die bekannteste Initiative zum Erwerb kolonialen Besitzes ging von Dr. Carl Peters aus. Dr . Carl Peters schuf durch private Initiative die Grundlagen für die Kolonie Deutsch-Ostafrika, die grob dem heutigen Tansania sowie Teilen Ruandas und Burundis entsprach. Er gründete 1884 gemeinsam mit einflussreichen Geschäftsleuten die Gesellschaft für Deutsche Kolonisation. Bereits Ende desselben Jahres traf Peters' Expedition an der Ostküste Afrikas ein. Hier wurde eine kleinere Gruppe aus Trägem, Dienern und Söldnern zusammengestellt. Bei den Söldnern handelte es sich um berufsmäßige afrikanische Krieger, die so genannten Askaris. Ursprünglich von den Briten ausgebildete sudanesische Söldner sowie die von den Europäern als gute Kämpfer geschätzten südafrikanischen Zulu vervollständigten dieses private Expeditionskorps. Auf dem Weg ins Hinterland wurden mit verschiedenen lokalen Potentaten Verträge abgeschlossen, durch die die Afrikaner Hoheitsrechte über ihr Territorium an Dr. Peters abtraten. Weiterhin verpflichteten sie sich, die Gesellschaft für Deutsche Kolonisation in jeder Weise zu unterstützen sowie bei Bedarf Arbeitsdienste und militärische Gefolgschaft zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug erhielten sie von den Deutschen Schutz solcher Art, wie sie im Verständnis von Charles Tilly zum Ausdruck kommt. Nachdem Peters zwölf Verträge mit indigenen Herrschern abgeschlossen hatte, war die Gesellschaft in den Besitz eines Gebietes gelangt, das der Fläche Süddeutschlands entsprach." Wenig später erhielt
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Fred Mercks (1984): Auf der Strasse des Todes: 151
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II. Teil: Da s Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
die Gesellschaft für Deutsche Kolonisat ion, die b isher eine rein private Unternehmung gewesen w ar, einen Schutzbrief des Kaiser s: " Wir verleihen der besagten Gesellschaft unter der Bedingung, dass sie eine deu tsche Gesellscha ft bleib t und d ass d ie Mitglied er des Direk torium s ode r die sonst m it der Leitung betrau ten Personen Ang ehörige des Deutschen Reiches sind, sowie den Rech tsnac hfolgern dies er Ges ellschaft unter den gleich en Vora uss etzungen, die Befugnis zur Ausübung aller aus den Un s vorgelegten Ver trägen fließenden Rech ten, eins chließlich der Gerich tsbarkeit gegenü ber den Eingebore nen und den in dies en Gebieten sich niederlassend en od er zu Handels un d an der en Zw ecken sich aufha ltende n Angehörigen des Reichs und anderer Natione n, unter Au fsicht Un serer Regierung und vo rbeha ltlich w eiter er von Uns zu erlassende r Anordn ung en di eses Uns eres Schut zbriefes."88
Parallel zu der Inbesitznahme Deutsch-Ostafrikas w urde auf der anderen Seite des Globus ein ähnlich gelagertes Unterfangen durchgeführt. Die Neu guinea-Kompagn ie war 1882 in Berlin als Neu gu ineaKon sortium gegründet worden. Ihr Ziel war der Erwerb von Kolonialbesitz in der Südsee, insbesondere Neu gu inea, dem Bismarck-Archipel und den Salomonen-Inseln. Zu den Gründungsm itglied ern zählten Bankiers und Großfinanziers, u . a. der Bankier Adolph von H ansemann und Gerson von Bleichröd er. Später beteiligten sich wei tere p rivate Investoren wie Gu ido Henckel von Donnersm arck, Christ ian Kraft zu Hohenlohe-Öhringen und Adolph Woermann. Als Repräsentant der Kompanie war OUo Finsch tät ig, der 1884 die Nordkü ste Neu gu ineas und da s Bismarck-Archipel für die Kompanie in Besitz nahm. Im Mai 1885 wurden der Kompanie mit eine m kaiserl ichen Schutzb rief d ie Hoheitsrechte üb ertragen . Ein Jahr später w urde da s Territorium der Kompanie um die n ördlichen Salomonen erweitert. Dem Unternehmen oblagen die umfassende n Aufgab en eine r autonomen Selbst verwaltung. Ihr war durch den kaiserlichen Schutzbrief zuerkann t worden, Land in Besitz zu nehmen, mit den Einheimischen Verträge abzuschließen und eine Schutztruppe 88 Entn om men aus Fred Mercks (1984): 151-152
18 Deutsche Kolonisationsgesellschaften
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aufzubauen. Sie war darüber hinaus seit 1894 für die Prägung der der Reichsmark gleichwertigen Neuguinea-Mark verantwortlich. Die Ziele der Kompanie lagen vor allem in der Vorbereitung der geplanten Besiedlung des Gebietes durch Deutsche. Handel und die Plantagenwirtschaft sollten in der Zukunft durch deutsche Siedler vorangetrieben werden. Im Jahr 1898 kaufte das Deutsche Reich durch einen Vertrag mit der Neuguinea-Kompagnie die Hoheitsrechte zurück, die es ab 1899 dann auch ausübte. Nachdem durch private Initiativen der Prozess der deutschen Kolonialisierung initiiert worden war, wurde das Deutsche Reich mit einiger Verzögerung selbst aktiv. In einer zeitgenössischen Beschreibung der Kolonialisierung auf den Marshallinseln spiegelt sich der eingangs beschriebene Mechanismus des ,Schutzes' der Bevölkerung. In dem Lehrbuch ,Deutschlands Kolonien' aus dem Jahr 1899 heißt es: " Seit der Erkläru ng der deutschen Schutzh errschaft.. . ist Ruh e und Ordnung eingetreten . Jede s der kleinen Eilande hatte sein en besonderen Oberhäuptling, und auf m anchen gab es sog ar m ehrere Könige, die sich best ändig befehdet en . Seit 1888 ist dem Kriegs zustand ein En de bereitet, indem di e deutsche Regierung unverzü glich di e Einfuhr von Waffen, Munition und Branntwein verbot und ein e allgeme ine Entw affnung durchführte.e?"
Zu diesem Zeitpunkt hatte das Deutsche Reich neben den Kolonien in Ostafrika, Neuguinea, den Salomonen und Marshallinseln weitere Schutzgebiete eingerichtet: Togo, Kamerun, Südwestafrika, Mikronesien, Samoa sowie Kiautschou sollten deutschen Interessen zugeführt werden. Die Erfahrungen der Portugiesen, Franzosen und Briten hatten gezeigt, dass es bei den für Europäer unbekömmlichen klimatischen Bedingungen schwierig war, schlagkräftige Polizeieinheiten vor Ort zu unterhalten. Die Anwerbung einheimischer Söldner setzte sich sukzessive durch. Nur mit deren Hilfe war es möglich, die Territorien gegen innere und äußere Feinde zu sichern. Die Zahl der indigenen Söldner wuchs konti-
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Kurt Ha ssert (1899): Deutschlands Kolonien : 205
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
nuierlich. Während 1885 lediglich einige Dutzend in den Diensten der Kaiserlichen Schutztruppe standen, waren es zu Beginn des Ersten Weltkriegs bereits beinahe 10.000 Mann.w Im Verlauf des Ersten Weltkriegs wurden dann abermals tausende indigener Söldner rekrutiert. Während der gesamten deutschen Kolonialzeit haben zwischen 40.000 und 50.000 Afrikaner, Asiaten und Ozeanier für das Deutsche Reich als Söldner ihren Dienst geleistet,91
19 British South Africa Company Als Cecil Rhodes gegen Ende des 19. Jahrhunderts die British South Africa Company gründete, hatte er es im Verlauf der vorangegangenen Dekaden durch Diamantenförderung und -handel bereits zu einem Vermögen gebracht. Er war zum richtigen Zeitpunkt nach Südafrika gekommen und hatte durch den sukzessiven Aufkauf von Claims die Grundlagen für das Wirtschaftsimperium De Beers geschaffen. Rhodes war allerdings nicht nur ökonomisch motiviert, sondern ein überzeugter Verfechter des kolonialen Gedankens. Sein Traum war ein britischafrikanisches Reich, das sich von Kapstadt nach Kairo erstreckte. Sorgen machten ihm die Portugiesen, die über Angola und Mosambik herrschten, sowie die Deutschen, unter deren Kontrolle sich im Westen Deutsch-Südwest (Namibia) und im Osten Tansania befanden. Auf Seiten beider Kolonialmächte gab es Interessengruppen, die das Ziel verfolgten, die jeweiligen Territorien miteinander zu verbinden. Eine vertikale Teilung des Kontinents durch ein unter der Kontrolle anderer Kolonialmächte stehendes zusammenhängendes Gebiet hätte das Ende von Cecil Rhodes Traum bedeutet. Deshalb sah er es als dringlich an, die 90 91
Thomas Morlang (2008): Askari und Fitafita: 22 Ebd .
19 British South Africa Company
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Gebiete nördlich Südafrikas unter die Kontrolle der britischen Krone zu bringen. Unter Mithilfe einflussreicher Freunde und Geschäftspartner gelang es ihm 1889, für seine Unternehmung einen Freibrief der britischen Krone zu erlangen. Nach dem bekannten Muster der OstindienKompanie wurden seiner Gesellschaft weitreichende Rechte übertragen. Die British South Africa Company wurde ermächtigt, eine eigene Armee aufzustellen, militärische Stützpunkte zu errichten, Verträge mit lokalen Herrschern zu schließen, Territorien zu verwalten, Recht zu sprechen und eine eigene Währung zu prägen. Um 1900 hatte Rhodes' Unternehmen Territorien unter Kontrolle, die in etwa den heutigen Staaten Sambia (Nordrhodesien) und Simbabwe (Südrhodesien) entsprechen. Es waren Verträge mit lokalen Potentaten geschlossen worden, deren Inhalte den Afrikanern nicht in ihrer vollen Tragweite zugänglich gewesen waren. Mehrere tausend Siedler hatten sich in Matabele-, Shona- und Manikaland niedergelassen. Periodisch kam es zu Aufständen der afrikanischen Völker, denen schrittweise das Land genommen und die Lebensgrundlage entzogen wurde. Diese Aufstände wurden mit militärischer Gewalt niedergeschlagen. Zum Schutz der ersten Siedler war bereits 1889 die Britisch South Africa Police (BSAP) gegründet worden, die in den folgenden Dekaden wesentlich in der Aufstandsbekämpfung sein sollte. In den Zeiträumen zwischen den militärischen Einsätzen übernahm die BSAP eher polizeiliche Aufgaben, blieb aber in ihrer Organisationsstruktur und Funktionsweise militärisch geprägt. Bei der Niederschlagung der Rebellion der Matabele 1893 kamen neben ungefähr 750 Polizisten der BSAP und einer unbekannten Zahl Freiwilliger 700 Verbündete des Volkes der Tswana zum Einsatz. Der Kampf gegen die 100.000 Krieger des Häuptlings Lobengula war nicht zuletzt deshalb erfolgreich, weil das Maxim-Maschinengewehr erstmals systematisch zum Einsatz gebracht wurde. Auch im Zweiten Matabelekrieg und dem damit verbundenen Kampf gegen die revoltierenden Shona zwischen 1896 und 1897 kam dem Maxim-Maschinengewehr eine zentrale Rolle zu. Nachdem der Widerstand in Rhodesien zunächst gebrochen worden
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
war, kam die BSAP im Zweiten Burenkrieg (1899-1902) und im Ersten Weltkrieg in Deutsch-Ostafrika und dem Caprivi-Streifen zum Einsatz. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war verfügt worden, dass die BSAP auch indigene Soldaten in ihre Reihen aufnehmen solle. Im April 1916 wurde das Rhodesia Native Regiment aufgestellt, das aus 54 Europäern und 456 Afrikanern bestand.v Als im Jahr 1923 die Charter von der britischen Regierung nicht erneuert, Südrhodesien zu einer Kolonie und Nordrhodesien zu einem Protektorat erklärt wurden, stellte die BSAP den Kern der Sicherheitskräfte in diesen nunmehr unter direkterer staatlicher Kontrolle stehenden Verwaltungseinheiten. Erst nachdem die Handelskompanie die direkte administrative Kontrolle der Territorien an die britische Krone abgegeben hatte, konnten aus der Förderung von Mineralressourcen und agrarwirtschaftlichen Unternehmungen Gewinne erzielt und an die Anteilseigner ausgeschüttet werden. Im Jahr 1933 verkaufte die British South Africa Company die Extraktionsrechte südlich des Sambesi an die südrhodesische Regierung, hielt aber die nordrhodesischen Extraktionsrechte sowie über das südliche Afrika verteilte Schürfrechte und Besitztümer wie Eisenbahnen, Immobilien und Agrarflächen unter ihrer Kontrolle. Nachdem auch im Zweiten Weltkrieg rhodesische Sicherheitskräfte gekämpft hatten, kamen diese seit den frühen 1960er Jahren in den Kämpfen gegen erstarkende afrikanische Unabhängigkeitsbewegungen zum Einsatz.
20 Der Niedergang der Handelskompanien Obgleich sich die Geschichte der hier vorgestellten Handelskompanien über mehr als 300 Jahre erstreckte, sie sich in ihren konkreten Ausformungen unterschieden und ihre Heimatstaaten unterschiedliche, sich im
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Richard Allport (2003): Rhodesia and South Africa: Military History
20 Der Niedergang der Handelskompanien
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Zeitverlauf wandelnde innere Strukturen aufwiesen, stellte sich der grundlegende sozialökonomische Mechanismus folgender Maßen dar: Wirtschaftlich motivierte Privatpersonen erkannten die Potentiale des Fernhandels sowie der Erschließung neuer Territorien und stellten Risikokapital zur Verfügung. Von ihren Heimatstaaten wurden sie mit Privilegien ausgestattet, die es ihnen ermöglichten, die heimischen Märkte als Basis ihrer Geschäfte zu nutzen. Durch die Entwicklung neuer Finanzierungsinstrumente wurde es möglich, das Risiko auf eine Vielzahl von Investoren zu verteilen und den stetig steigenden Kapitalbedarf der Kompanien zu decken. Durch die Fortentwicklung der Waffentechnologie und des Militärwesens gelang es, die Schlagkraft bewaffneter Verbände zu verstärken, auch wenn diese sich aus den niederen Schichten, indigenen Alliierten und/oder unterworfenen Völkern rekrutierten. Die Handelskompanien wurden nicht in einem formalen, linearen Prozess aufgelöst. Der Niedergang der Kompanien hatte unterschiedliche, jeweils spezifische Gründe. Allerdings sind einige Gemeinsamkeiten auszumachen. Einer der häufigsten Gründe bestand in Fusionen, in deren Zuge schlechter aufgestellte Unternehmen von mächtigeren Konkurrenten übernommen wurden. Durch Firmenzusammenschlüsse wurde die Existenz einer Reihe von chartered companies beendet. Es wurde bereits geschildert, dass die BETC 1698 eine von konkurrierenden Geschäftsleuten gegründete Ostindien-Kompanie übernahm. Bereits 1610 hatte die VOC einen Zusammenschluss mit der BEIC vorgeschlagen, der aber von den Briten abgelehnt worden war, da man fürchtete, von der finanziell, materiell und personell besser ausgestatteten VOC dominiert zu werden. Die Compagnie des Indes unter [ohn Law kaufte kleinere Kompanien auf, die Interessen in Asien, Afrika, Nordamerika und der Karibik vertraten. Die 1779 gegründete North West Company, ursprünglich als Konkurrenz zu der britischen Hudson Bay Company von den neu entstandenen Vereinigten Staaten aufgebaut, wurde im Jahr 1821 von der britischen Kompanie übern om men .s' Einige 93 [anice
E. Thomson (1994): 97
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
andere Handelskompanien wurden auf Grund zwischenstaatlicher Abkommen liquidiert. Die Holländische Westindische Kompanie etwa, deren Aufgabe in der Bekämpfung der spanisch-portugiesischen Vorherrschaft in Südamerika bestanden hatte, gab infolge eines Friedenvertrags zwischen den Niederlanden und Portugal 1661 alle Ansprüche auf Brasilien auf. Der Grund für den übergreifenden, historischen Niedergang der Handelskompanien bestand jedoch in deren schrittweiser Verstaatlichung, die durch Finanznöte oder den Bankrott der Unternehmen angestoßen worden war. Die Ursachen dafür lagen in schlechtem Management, um sich greifender Korruption und steigenden Kosten für die militärische Absicherung des Handels. Diese Zusammenhänge sind in den obigen Skizzen einiger ausgewählter Handelskompanien bereits zum Ausdruck gekommen und sollen nunmehr lediglich in knapper Form zusammengefasst werden. Die französischen und portugiesischen Handelkompanien waren beispielsweise von Beginn an mit zu wenig Kapital ausgestattet gewesen. Die British South Africa Company ging in einer Kombination aus Unterkapitalisierung, steigenden Kosten für die militärische Absicherung der Handelniederlassungen und -wege sowie Korruption nieder. Massive Korruption führte ebenfalls dazu, dass die VOC trotz umfassender Privilegien in Finanznot geriet. Die Verwaltungsbürokratie des Unternehmens war über Dekaden gewachsen, die Aktivitäten der Niederlassungen in Niederländisch-Indien (lndonesien) waren vom Hauptsitz des Unternehmens aus kaum kontrollierbar. Das Direktorium in Holland verfolgte seinerseits eigene Interessen und war nicht primär an denjenigen der Anteilseigner ausgerichtet. Spekulation und Insiderhandel schwächten die ökonomische Performance. Von den Aktivitäten der BEIC profitierte, wie dargestellt, in erster Linie die Krone, während das Parlament daran interessiert war, das Handelsmonopol der BEIC zu brechen. Durch das Zusammenwirken eines mächtiger werdenden Parlaments und einer durch Korruption, Meutereien und Kriege geschwächten BEIC wurde der Prozess der Verstaatlichung des seitdem mächtigsten transnationalen Unternehmens eingeleitet.
20 Der Niedergang der Handelskompanien
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Der schottische Ökonom Adam Smith hatte 1776 in seinem einflussreichen Werk ,Der Wohlstand der Nationen' dargestellt, weshalb die Verleihung eines Handelsmonopols sinnvoll, aber keineswegs von Dauer sein könne: " Übe rni mm t es eine Gesellscha ft von Kaufl euten, au f eigene s Risiko und eigene Kosten neu e Handelsb eziehungen mit eine rn en tfernt gelegenen und primitiven Volk au fzunehmen, mag es nicht unvernünftig sein, sie zu einer Gesellschaft mit gemein samen Kapital zu sam menz u sch ließen und ihr im Falle des Erfolges ein Monopol in diesem Handel für eine best immte Anzahl von Jahren zu gewähren . Dies ist die einfachste, ja selbst verst ändliche Weise, auf welche der Staat sie dafür entschä d igen kann, dass sie ein gefährliches und aufwendiges Wagnis unternommen haben, aus dem später di e Allgem einheit Nu tzen ziehen wird (...) Doch sollt e das Monopol mit Ablau f dieser Frist fraglos aufgelöst werd en . Entsprechend sollten auch di e Fort s und Garnisonen, falls solche überhaupt einge richtet werden mussten, von der Regierung üb ernommen werden, wob ei di e Gesellschaft zu entschädigen ist, und der Handel sollt e dann allen Bürgern offen stehen . Wird das Monopol aber beibehalten, so werden alle Untertanen höch st un sinnig auf zweifache Weise best eu ert: Einm al durch die hoh en Preise für Waren, die sie im Falle eine s freien Handels wesentl ich billiger kau fen könnten, zum anderen durch ihr en völligen Ausschluss von ein ern Geschäftszweig, in dem viele von ihn en gerne und mit Erfolg tätig sein könnten."94
Neben dem Vorteil des Freihandels gegenüber dauerhaften Handelsmonopolen sah Adam Smith die Handelskompanien durch die komplexen Aufgaben schlicht überfordert: " Au f einern Markt einzu kau fen, um mit Gewinn au f eine rn anderen zu verkaufen, wenn viele Wettbewerber auf beiden tätig sind, zu beobachten, wi e sich di e Nachfrage gelegentlich ändert, aber auch wi e sich die Konkurrenz verhält, die sich weit häufiger und stärker verändert, od er wie das An gebot schwankt, das an de re zur Deckung di eser Na chfra ge au f den Markt bringen können, und geschickt und umsichtig jedes Warensortiment nach Menge und Qualität allen di esen Um ständen anzu passe n, da s alles ähnelt einer Kriegfüh-
94 Adam Smith (1978, Erstausgabe 1776): Der Wohlstand der Nationen: 641
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
rung, deren Operationen ständig wechseln, wob ei man kaum zum Erfolg kommen kann, wenn man nicht unermüdlich wachsam und mit Um sicht tätig ist, eine Führung, die von den Direktoren eine r Akti engesellschaft auf die Dauer nicht erwartet werd en kann."95
Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Besitzungen der Handeiskompanien nach und nach von deren Heimatstaaten übernommen worden. Die Welt war unter den Kolonialmächten aufgeteilt, globale Handelsnetzwerke und Abhängigkeiten hatten sich verfestigt. Während die europäischen Mächte um 1800 ungefähr 35 Prozent der Territorien der Welt unter ihrer Kontrolle hatten, waren es zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 überwältigende 84 Prozent."
21 Die Blütezeit staatlich organisierter Gewalt: 1914-1945 Der Erste und der Zweite Weltkrieg gingen als totale Kriege in die Geschichte ein. Das sozialpsychologische Konstrukt der Nation entfaltete seine bis dahin größte Wirksamkeit. Die Mobilisierung opferbereiter Massen wäre ohne die Vorstellung der Nation nicht möglich gewesen. Die Massenheere, die sich in diesen Konflikten aufrieben, gründeten auf den Werten des Patriotismus. Dieser Aspekt der bedingungslosen Identifikation mit der Idee der Nation rechtfertigt es, die beiden Weltkriege als die eigentlichen Höhepunkte der Verstaatlichung der Gewalt zu begreifen. Dies hatte zur Folge, dass das Söldnerwesen zwischen 1914 und 1945 - zumindest vordergründig - keine wichtige Rolle spielte. Jedoch keineswegs mit dem Ergebnis einer nunmehr stärker eingehegten Gewalt. Im Gegenteil. In den bis dahin zerstörerischsten Kriegen der Menschheitsgeschichte kamen geschätzte 17 Millionen (Erster Weltkrieg) 95 96
Ebd . Geoffrey Parker (1996) : 5
21 Die Blütezeit staatlich organisierter Gewalt 1914 - 1945
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bzw. zwischen 50 und 60 Millionen Menschen (Zweiter Weltkrieg) um. An dieser Stelle soll jedoch weder auf die beispiellose Gewaltfähigkeit von ideologisierten Menschenrnassen eingegangen werden noch auf die zerstörerischen Gewaltpotentiale einer immer besser funktionierenden und vollkommen unpersönlichen Organisation der Gewalt durch Bürokratien. Vielmehr werden einige Manifestationen des Söldnerwesens dargestellt, die auch in der Phase der totalen Staatenkriege in verschiedenen Regionen der Erde Einfluss nahmen. In beiden Weltkriegen kämpften auf den Seiten der europäischen Mächte in großem Umfang indigene Hilfstruppen, die in den Kolonien rekrutiert worden waren. In einer weiteren Ausprägung des Söldnerwesens kamen französische und spanische Fremdenlegionäre sowie britische Gurkhas zum Einsatz. Neben diesen direkt in die staatlichen Armeen eingebundenen Söldnertruppen waren weitere Söldnertypen aktiv. Bei diesen handelte es sich um Abenteurer, die von einem Kriegsschauplatz zum nächsten zogen, Deserteure, die die Seiten wechselten, sowie Ex-Militärs, die eigenständig die Initiativen ergriffen, die sie für richtig hielten. Im Ersten Weltkrieg kämpften indigene Söldner in den überseeischen Besitzungen der europäischen Staaten auf Seiten der jeweiligen Kolonialherren. Seit April 1914 organisierte auf der Seite des Deutschen Reiches Paul von Lettow-Vorbeck den Widerstand gegen die Briten. Cirka anderthalb Jahre später hatten die deutschen Streitkräfte in Ostafrika ihre Höchststärke erreicht. Neben 2.998 Europäern kamen 11.300 Askari zum Einsatz.v Obgleich Lettow-Vorbeck den Krieg mit einigem Erfolg führte, wurde die Übermacht der britischen Truppen erdrückend. Bereits Ende 1914 hatte Großbritannien mehrere tausend Inder nach Kenia verschifft, die durch die King's African Rifles verstärkt worden waren. Diese afrikanischen Spezialkräfte hatten die britischen Kolonialherren bereits 1902 aus den bestehenden indigenen Verbänden der Central African Rifles, Uganda Rifles und East Africa Rifles gebildet. Nach-
Heiko Brendel (2008): Gu erilleros für den Kaiser? Asymmetr isch e Kriegs führung in Ostafrika. 1914-1918: 235-265
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
dem die mit Großbritannien verbündete Südafrikanische Union Deutsch-Südwestafrika erobert hatte, wurden südafrikanische Truppen nach Ostafrika verlegt. Der Bure [an Smuts übernahm das Kommando über die britischen Truppen, die sich neben Briten und Südafrikanern aus Indern und den King's African Rifles rekrutierten. Es gelang diesen personell weit überlegenen Truppen im Verlauf der nächsten drei Jahre nicht, die Deutschen und Askari unter dem Befehl Lettow-Vorbecks endgültig zu schlagen. Im November 1918 erreichte Lettow-Vorbeck die Nachricht von der Niederlage des Deutschen Reiches, und die Schutztruppe kapitulierte. Nach der Kapitulation der Deutschen wurde aus ehemalig deutschen Askari ein zusätzliches Bataillon der King's African Rifles gebildet. Im Zweiten Weltkrieg waren es vor allem die Kolonialmächte Frankreich und England, die in großem Stil indigene Truppen zum Einsatz brachten. Diese historische Dimension des Zweiten Weltkriegs ist erst in jüngster Zeit zum Gegenstand wissenschaftlicher Analysen geworden und im Bewusstsein der meisten Menschen nicht präsent. Lediglich einige Zahlen hierzu. Auf britischer Seite stammte jeder zweite Soldat aus den Kolonien, insgesamt sechs Millionen, von denen allein 2,5 Millionen aus Indien kamen, über eine halbe Million aus West- und Ostafrika. Auf französischer Seite wurden etwa eine Million Afrikaner rekrutiert, von denen mehr als 100.000 bereits in den ersten Kriegsmonaten umkamen.s' Die nach den napoleonischen Kriegen 1831 gegründete französische Fremdenlegion kämpfte in beiden Weltkriegen. Während des Ersten Weltkriegs dienten rund 44.000 Söldner aus 100 Nationen in der Legion. Neben den Kämpfen in Frankreich wurden diese auch in Gallipoli, Serbien und Monastier eingesetzt. Einen bedeutenden Prozentsatz der Fremdenlegionäre stellten seit dem Deutsch-Französischen Krieg 187071 stets deutsche Staatsbürger dar. In den 1920ern war der Anteil DeutRheinisches Journalistlnnenbüro/Recherche International e. V. (Hrsg.) (2005): .Un sere Opfer zählen nicht' . Die Dritte Welt im Zw eiten Weltkrieg; Charlotte Wied em ann (2009): Wessen Krieg und we ssen Ehre ?
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21 Die Blütezeit staatlich organisierter Gewalt 1914 - 1945
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scher in den einzelnen Truppenteilen auf 50 bis 75 Prozent gestiegen.99 Im Zweiten Weltkrieg teilte sich die Legion. Während einige Truppenteile auf der Seite des freien Frankreichs von de Gaulle standen, dienten andere unter dem Vichy-Regime. Ungefähr 2.000 Fremdenlegionäre waren nach der Niederlage Frankreichs in die Wehrmacht integriert und in Nordafrika gegen die Briten eingesetzt worden. In Syrien kämpften verschiedene Einheiten der Fremdenlegion gegeneinander. Die Legionäre auf Seiten de GaulIes kamen in Marokko und Italien zum Einsatz, waren 1944 bei den Kämpfen in Frankreich und ein Jahr später bei der Befreiung Deutschlands beteiligt. Insgesamt fanden während des Zweiten Weltkrieges cirka 9.000 Fremdenlegionäre den Tod. Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielt die Fremdenlegion erneut einen starken Zuzug ehemaliger deutscher Soldaten. Nachdem die Deutschen beinahe 70 Prozent der Legionäre ausmachten, reduzierte man ihren Anteil auf ein Viertel.t?? Die spanische Fremdenlegion wurde 1920 gegründet. Die Aufstände in den spanischen Protektoraten Nordafrikas hatten in den Augen des spanischen Regenten die Aufstellung einer Eliteeinheit notwendig gemacht. Cirka ein Viertel der Legionäre speiste sich aus Ausländern. Im spanischen Bürgerkrieg kämpfte die Legion im Auftrag General Francos an der Seite der deutschen Legion Condor. Im Jahr 1939 wurde die Legion durch Freiwillige aus Italien verstärkt, die von Mussolini geschickt worden waren. Nach dem Sieg über Nepal erhielt Großbritannien durch einen Vertrag im Jahr 1816 das Recht, für seine eigene und die indische Armee aus den örtlichen Stämmen Söldner zu rekrutieren. Im Zweiten Weltkrieg dienten etwa 10.000 Gurkha in britischen Divisionen. Gurkha waren in Nordafrika, Italien, Malaya und in Birma im Einsatz. Nach der indischen Unabhängigkeit 1947 verblieben vier der zehn Regimenter bei der britischen Armee.
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Fred Mercks (1984): 84 Eckard Michels (1999): Deutsche in der Fremdenlegion 1870-1965
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
Neben diesen in staatliche Armeen integrierten Söldnerverbänden waren weitere Söldnertypen während der historischen Hochphase staatlich organisierter Gewalt in verschiedenen Regionen der Welt aktiv. Einige Beispiele hierzu: Etwa zwischen 1910 und 1920 wurde im Zuge der Mexikanisehen Revolution eine Reihe von Kämpfen ausgefochten, in denen sich sozialrevolutionäre Gruppen sowohl gegen die herrschende Oligarchie erhoben als auch untereinander kriegerische Auseinandersetzungen über die Ziele der Revolte austrugen. Nachdem 1910 der langjährige Diktator Diaz zur Flucht in das Exil gezwungen worden war, wurde Francisco Madero zum Präsidenten gewählt. Dieser enttäuschte die Erwartungen von Emilio Zapata und Pancho Villa, die auf seiner Seite gekämpft hatten. Madero wurde 1913 vom Oberkommandierenden der Armee, Victoriano Huerta, gestürzt. Diesem stellte sich eine Koalition bewaffneter Gruppen entgegen, die sich unter der Führung Venustiano Carranzas zusammengeschlossen hatten. Nachdem Huerta das Land 1914 verlassen musste, zerbrach diese Koalition. Es folgte ein von 1915 bis 1920 andauernder Bürgerkrieg, in dem sich Truppen Carranzas, Villas und Zapatas bekämpften. Im Lager Carranzas stieg Alvaro Obregon zum wichtigsten militärischen Führer auf. Pancho Villa wurde in die Defensive gedrängt, und nachdem Zapata 1919 ermordet worden war, kam es zu einem Ausscheidungskampf zwischen Carranza und Obregon, den letzterer schließlich für sich entschied. Ihm gelang es auch, Villa zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes zu bewegen. In diesen hier grob umrissenen Konflikten schlossen sich Söldner auf Seiten aller Konfliktparteien den militärischen Auseinandersetzungen an. Sie kamen unter anderem aus den USA, Kanada, Frankreich, Wales, Schweden, Südafrika, Deutschland, Holland, Italien und der Schweiz.l'" Die Falange de los Etranjeros für Madero, die Amerikanische Legion für Pancho Villa sowie Söldner in den Armeen Carranzas und Obregons waren im Ver-
101 Siehe die Websit e Sold iers of Fortune http://www.netdotcom.com/revmexpc/fortune.htm
in
the
Mexican
Revolution:
21 Die Blütezeit staatlich organisierter Gewalt 1914 - 1945
109
lauf der Mexikanischen Revolution allgegenwärtig. Vier exemplarische Beispiele: Der Schwede Ivor Thord-Gray, 1878 in Stockholm geboren, diente 12 Jahre in der britischen Armee. Er kämpfte im Zweiten Burenkrieg (1899-1902) und später im Sold der USA auf den Philippinen (18991902). Er kam 1913 nach Mexiko, und nachdem er kurze Zeit für Villa als Chef der Artillerie gearbeitet hatte, diente er sowohl unter Carranza als auch Obregon. Der US-Amerikaner Tex O'Reilly hatte sich unter anderem im Spanisch-Amerikanischen Krieg (1898), während des Aufstandes auf den Philippinen und während der Boxer-Rebellion in China (19001901) an Kämpfen beteiligt, bevor er sich 1911 der Falange Maderos anschloss, um später auf der Seite Pancho Villas aktiv zu werden. Der Südafrikaner Benjamin Viljoen, dekorierter General der Burenarmee, wurde 1911 zum Militärberater Maderos ernannt. Emil Holmdahl, 1883 in Iowa geboren, kämpfte zunächst auf den Philippinen und in Honduras, bevor er in der Mexikanischen Revolution sowohl für Madero, Villa als auch Obregon zum Einsatz kam. In den frühen 1920er Jahren kämpften die in Nordmarokko ansässigen Kabylen unter der Führerschaft Abd el Krims gegen die spanischen Kolonialtruppen. Sowohl aus der spanischen als auch der französischen Fremdenlegion hatten sich zahlreiche Deserteure dem antikolonialen Kampf der Kabylen angeschlossen. Die Berber hatten in der Regel darauf verzichtet, die Überläufer zu ermorden, und ihnen stattdessen geholfen, über Tanger den Kontinent zu verlassen. Einige Deserteure blieben jedoch bei den Kabylen und unterstützten sie auf unterschiedliche Art: Durch das Schreiben von Flugblättern, die weitere Fremdenlegionäre zum Desertieren bewegen sollten. Durch die Ausbildung an erbeuteten Waffen und die Vermittlung technischen Know-hows. Der Deutsche Walter Noah etwa, der aus der spanischen Legion übergelaufen war, verhalf den Kabylen mit der Reparatur erbeuteter Feldtelephone zu einem eigenen Femmeldenetz.tw Die massiven Verluste auf spani-
102 Frank Westenfeld er (2007): Fü r Abd EI Krim . Die Desert eure der Frem de nlegion in Marokko
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
scher Seite führten zu einem Strategiewechsel der Kolonialisten - es kam zu einem breit angelegten Einsatz von Senfgas, das bei dem deutschen Chemiker und Unternehmer Hugo Stoltzenberg eingekauft worden war. Gegen 1925 war der Widerstand der Berber gebrochen. Vier Monate vor dem Beginn des Zweiten ChinesischJapanischen Krieges 1937 wandte sich Song Meiling, die Frau des späteren Präsidenten der Republik China, Chiang Kai-Shek, an den USamerikanischen Piloten und pensionierten General Major Claire Lee Chennault.rv Dieser sollte die chinesische Luftwaffe begutachten und Vorschläge zur Verbesserung ihrer Durchschlagskraft unterbreiten. In den folgenden Jahren baute Chennault eine aus US-amerikanischen Freiwilligen bestehende Fliegerstaffel auf, die - ohne dass die USA offiziell in den Krieg eingetreten wären - gegen japanische Bomber zum Einsatz kam. Das US-Militär stand diesem Arrangement ablehnend gegenüber, aber 1941 ermöglichte die persönliche Intervention des USPräsidenten Roosevelt amerikanischen Reserveoffizieren, als Freiwillige nach China zu gehen. Die Piloten und das Bodenpersonal reisten mit falschen Pässen nach Asien, in Burma wurde das Training durchgeführt. Die American Volunteer Group (AVG) wurde unter dem Namen Flying Tigers bekannt. Als die [apaner 1939 ihre Angriffe auf China verschärften, warb Chennault mit einigem Erfolg weitere Freiwillige in den USA an und organisierte über einen Freund um die 100 Kampfflugzeuge, deren Order Großbritannien nach dem Fall Frankreichs übernommen und zunächst zurückgestellt hatte. In der vorangegangenen Zeit hatte Chennault im ,Freien China' ein strategisches Netz von Flugfeldern erbauen lassen und ein Frühwarnsystem gegen feindliche Luftangriffe eingerichtet. Gegen Ende 1941 kam es zu den ersten Einsätzen bei Kunming und Rangun, in deren Verlauf etliche japanische Bomber abgeschossen wurden. Während Chennault das Kommando über die American Volunteer Group innehatte, war sein offizieller Job ,Berater der chinesischen Nationalbank' und in seinem Pass wurde ,Farmer' als Beruf 103 [ohn
Toland (1963): The Flying Tigers, Random House
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22 Söldner im Prozess der Dekolonialisierung
angegeben.w' Nachdem die USA infolge des Angriffs auf Pearl Harbour im Dezember 1941 in den Krieg gegen Japan eingetreten waren, wurde das Jagdgeschwader in die US-amerikanische Luftwaffe eingegliedert. Bei diesen Beispielen handelt es sich, wie bereits gesagt, lediglich um einige Schlaglichter, die vor dem Hintergrund der direkt von Staaten organisierten Gewalt verblassen. Sie sollen hier dem Zweck dienen, zu verdeutlichen, dass das Söldnerwesen auch in der Blütezeit staatlich organisierter Gewalt Bestand hatte. Das Söldnerwesen wurde an den Rand der Geschichte des Krieges gedrängt, hatte aber nicht aufgehört zu existieren. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam das Söldnerwesen dann wieder in deutlicher sichtbaren Ausprägungen zum Ausdruck.
22 Söldner im Prozess der Dekolonialisierung Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wandelte sich die Machtkonfiguration des internationalen Systems. Die kulturelle, politische, wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft wurde nunmehr von den USA übernommen. Durch den Kalten Krieg begünstigt, entstand in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren eine Phase des negativen Friedens in Europa. Kriege innerhalb Europas gehörten bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien 1992 der Vergangenheit an . Auch wenn sich die Gesellschaften des Westens an die Abwesenheit bewaffneter Konflikte gewöhnt hatten, waren die internationalen Beziehungen nicht friedvoller geworden: Zwischen 1945 und 1989 fanden weltweit cirka 150 Kriege statt. Diese Kriege wurden überwiegend in den ehemaligen Kolonien ausgetragen, die zum Austragungsort der ideologischen Auseinandersetzungen der beiden Blöcke des Kalten Krieges geworden waren. Zeitgleich entwickelten sich in diesen Territorien politische Bewegun-
104 Siehe di e von Veteranen http://www.flyingtigersavg.com/tigerl .htm
betri ebene
Website
unter:
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gen, die für das Selbstbestimmungsrecht und die Unabhängigkeit kämpften. In diesem Bemühen wurden sie durch die Supermächte und deren Verbündete unterstützt bzw. behindert. Die ehemaligen Kolonialmächte, die zu diesem Zeitpunkt die Geschäfte von den Handelskompanien bereits seit einiger Zeit übernommen hatten, traten ihre Besitztümer nur widerwillig ab. Dort, wo es unvermeidbar schien, setzten sie ihren Einfluss dafür ein, dass die neuen, unabhängigen Staaten von Regimes geführt wurden, die den eigenen politischen und ökonomischen Interessen dienten. In ehemaligen Kolonien, in denen sich sozialistische oder kommunistische Bewegungen durchzusetzen drohten, entstand ein neues Betätigungsfeld für Söldner. Dabei ist in vier Formen des Söldnerwesens zu unterscheiden. Bei der ersten handelt es sich um Soldaten, die in den Armeen fremder Staaten Dienst taten und somit als staatliche Söldner zu bezeichnen sind. In der zweiten Ausprägung wurden Indigene von intervenierenden Mächten ausgebildet und ausgerüstet. In einer dritten Manifestation wurden Staaten dafür bezahlt, ihre Truppen einem im Krieg befindlichen Staat zur Verfügung zu stellen. Schließlich tritt das Söldnerwesen in einer vierten Form auf - selbstständige Söldner, Freelancer im eigentlichen Sinne des Worts, werden auf den Schlachtfeldern der Dekolonialisierung aktiv und prägen die öffentliche Wahrnehmung des Söldnerwesens nachhaltig. Diese vier Söldnertypen der Dekolonialisierung werden im Folgenden kurz beschrieben. Zunächst zu den staatlichen Söldnern. Die französische Fremdenlegion kämpfte in allen Kolonialkriegen der Franzosen, über Vietnam und Algerien bis nach Sub-SaharaAfrika. Legionäre kamen in Indochina (1947-1954) und während des algerischen Unabhängigkeitskriegs (1954-1962) zum Einsatz. In diesem auf beiden Seiten mit äußerster Grausamkeit geführten Unabhängigkeitskrieg machte die Fremdenlegion durch die Verübung schwerster Menschenrechtsverbrechen international negative Schlagzeilen. Dem zum Trotz wurden von französischer Regierungsseite keine Anstrengungen unternommen, die Täter strafrechtlich zu verfolgen. Auch im 21. Jahrhundert ist die Fremdenlegion für französische Interessen im Ein-
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satz. Im Jahr 2009 dienten Personen aus 136 Staaten in der Legion, der Eingangssold betrug 1.034 Euro monatlich, bei freier Unterkunft und Verpflegung. w Nach fünf Jahren Dienst konnten die Legionäre Anspruch auf die französische Staatsbürgerschaft erheben. Im November 2004 hatte die Fremdenlegion in C öte D'Ivoire einen ihrer jüngsten, international beachteten Auftritte. Dazu später mehr. In den 1950er und 1960er Jahren kämpfte die spanische Fremdenlegion in erster Linie in Nordafrika. Nachdem Marokko seine Unabhängigkeit erhalten hatte, verblieb sie in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla sowie bis 1975 in Spanisch-Sahara. Als General Francisco Franeo im November 1975 starb, wurden die spanischen Legionäre nach Spanien verlegt. Die spanische Regierung beschloss 1987, keine Ausländer mehr in die spanische Legion aufzunehmen. Aber vierzehn Jahre später wurde diese Regel wieder aufgehoben. Ausländer, deren Muttersprache Spanisch ist, konnten in allen Einheiten der spanischen Armee Dienst tun. Spanischsprachige Ausländer waren naheliegenderweise in erster Linie in den ehemaligen spanischen Kolonien Südamerikas zu finden. Bürger der folgenden Staaten kamen für einen Dienst in den spanischen Streitkräften in Frage: Argentinien, Bolivien, Costa Rica, Kolumbien, Cuba, Chile, Ecuador, EI Salvador, Äquatorialguinea, Guatemala, Honduras, Mexiko, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru, Dominikanische Republik, Uruguay und Venezuela. Wer im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung in Spanien war, konnte sich bewerben. Nach sechs Jahren Dienst wurde die spanische Staatsbürgerschaft verliehen. Die King's African Rifles kamen in der Niederschlagung des kommunistischen Aufstandes in Malaya 1954 auf der Seite Großbritanniens zum Einsatz. Mit der Unabhängigkeit der britischen Kolonien Uganda (1962) und Tansania (1961) wurden die Rifles in die neu gebildeten Armeen dieser Staaten übernommen. Im Falklandkrieg gegen Argentinien im Jahr 1982 waren nepalesische Gurkhas in der erfolgreichen Bekämpfung der Südamerikaner beteiligt.
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Siehe die Internetpräsenz der Fremdenlegion unter: http://www.legion-recrute.com/en/
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
Neben diesen staatlichen Söldnern wurden in verschiedenen Konflikten indigene Verbände ausgebildet, ausgerüstet und in den Kampf geschickt, ohne dass diese in den übergreifenden militärischen Apparat der Intervenierenden eingebettet worden waren. Im Verlauf der Vietnamkriege setzten Frankreich und die USA verschiedene Bergvölker für ihre Zwecke ein. Diese wurden unter dem aus dem französischen abgeleiteten Namen Montagnard, im englischen hill tribes, zusammengefasst. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich kulturell und sprachlich von den Mehrheitsgesellschaften in den Staatsgebieten Myanmars (Burma), Thailands, Laos', Kambodschas und Vietnams unterscheiden. Jenseits dieses gemeinsamen Nenners handelt es sich um eine heterogene Gruppe unterschiedlicher Ethnien. Die Hmong (auch als Meo bezeichnet) waren eine der Ethnien, die von den französischen Kolonialherren und später den US-Amerikanern für ihre Zwecke eingesetzt wurden. Die Franzosen hatten bereits während des ersten Indochinakriegs (19461954) unter den Hmong mit der Rekrutierung von Söldnergruppen begonnen. Zur Zeit der Indochinakonferenz standen 40.000 einheimische Bewaffnete unter dem Kommando von rund 400 französischen Offizieren. Die Finanzierung dieser Verbände war aus dem Verkauf des von den Hmong angebauten Opiums sichergestellt worden, das unter strengster Geheimhaltung zunächst von der französischen Luftwaffe abtransportiert worden war. Obgleich die USA erst im Nachklang des Zwischenfalls im Golf von Tonking 1964 offen in den Krieg in Vietnam eingetreten waren, hatten sie Südvietnam im Kampf gegen den kommunistischen Norden schon seit geraumer Zeit unterstützt. Bereits im Jahr 1961 hatte die CIA rund 9.000 Hmong zu Kampfzwecken gegen die Truppen der Demokratischen Republik Vietnam ausgebildet. Als die Kampfhandlungen 1963 außer Kontrolle zu geraten drohten, rekrutierte die eIA weitere 20.000 Kämpfer aus dieser Ethnie. Insgesamt kämpften cirka 30.000 Hmong während des Vietnamkriegs auf der Seite der USA. Die im Zentralen Hochland von Vietnam lebenden Degar hatten sich bereits in den 1950er Jahren zum Widerstand gegen die vietnamesisehe Majorität, deren kulturelles Erbe sie nicht teilten, organisiert. Als
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der Vietnamkrieg in den 1960er Jahren zunehmend eskalierte, nahmen die US-Militärs Verbindungen zu den Degar auf. Das Hochland Vietnams hatte sich als ein strategisch wichtiges Gebiet herauskristallisiert. Der berühmte Ho Chi Minh-Pfad, über den die Nordvietnamesen ihre Truppen in Südvietnam versorgten, verlief durch diese Region. Die USArmee begann mit dem Aufbau von Camps im Siedlungsgebiet der Degar, und Spezialkräfte rekrutierten im Verlauf der Zeit cirka 40.000 Kämpfer, durch die die militärischen Anstrengungen der USAmerikaner im Hochland in wesentlichem Maße mitgetragen wurden. In einer dritten Manifestation des Söldnerwesens wurde in einer modifizierten Form auf das bekannte Modell des Soldatenhandels zurückgegriffen. Australien und Neuseeland unterstützten die USA im Vietnamkrieg unter anderem mit der Entsendung einiger hundert Soldaten umfassender Kampftruppen. Die angelsächsischen Verbündeten trugen die Kosten für den Einsatz ihrer Truppen und stellten die notwendige Logistik selbst zur Verfügung. Im Gegensatz dazu finanzierten die USA den Einsatz koreanischer, thailändischer und philippinischer Truppen im Rahmen des unter dem Namen More Flags bekannt gewordenen The Free World Assistance Program. Die Republik Korea verlor 4.407, Thailand 350 und die Philippinen neun Soldaten auf den Schlachtfeldern Vietnams.l'" Im Vergleich zu den cirka 58.000 getöteten GIs und zehntausenden gefallenen Vietnamesen auf beiden Seiten mag dies zunächst wenig erscheinen, aber Fakt ist, dass diese verliehenen Soldaten an Stelle amerikanischer Soldaten starben. Zwischen 1965 und 1969 konnte die US-Administration unter Lyndon B. [ohnson über 60.000 koreanische, thailändische und philippinische Soldaten als Söldner in ihre Kriegsanstrengungen einbinden. Die Regierungen dieser drei Staaten erhielten großzügige finanzielle Entschädigungen. Die US-Armee organisierte die Entlohnung, den Transport, die Unterbringung, die Ausrüstung und den operativen Einsatz dieser Söldnerverbände.
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Robert M. Blackbum (1994): Mercenaries and Lyndon [ohnson ' s ' More Flags '
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Neben diesen Söldnertypen erlangte eine vierte Form des Söldnerwesens in der historischen Phase der Dekolonialisierung Bekanntheit. Diese wurde durch Europäer vertreten, die sich in kleinen Verbänden organisierten und selbstständig operierten. Bei diesen Söldnern handelte es sich weder um Soldaten fremder Nationalitäten, die in staatliche Armeen eingegliedert wurden (wie im Fall der französischen Fremdenlegion oder der britischen Gurkha), noch um lokale Kräfte, die durch die intervenierende Macht angeworben (Hmong, Degar), oder Truppenteile, die anderen Staaten in einer Ausprägung des Soldatenhandels gegen Bezahlung zur Verfügung gestellt wurden. Der Kongo und Biafra in den 1960er Jahren sowie Angola in den 1970er Jahren sind symptomatisch für den Einsatz dieser Söldnerorganisationen. Bei dem Typus des,weißen Söldners auf dem schwarzen Kontinent' handelte es sich um Abenteurer, die eigenständig Truppen zusammenstellten und Operationen durchführten. Offiziell hatten diese Söldner keine Anbindung an einen bestimmten Staat, de facto waren sie aber in der Regel Werkzeuge einer verdeckten Außenpolitik derjenigen Staaten, die die Entwicklungen in den ehemaligen Kolonien in Afrika durch die Organisation von Gewalt beeinflussen wollten. Dieser Söldnertypus wird im Wesentlichen durch Charaktere wie Siegfried Müller, Rolf Steiner, Mike Hoare oder Bob Denard verkörpert. Ein kurzes Porträt der ,Hunde des Krieges' veranschaulicht, dass diese widersprüchlichen Persönlichkeiten im gegebenen Rahmen eigene Agenden entwickelten. Der Krieg war von ihnen zu einer Lebensweise erhoben worden, und sie verfolgten ihre persönlichen Vorstellungen davon, welche Konfliktparteien jeweils ihrer Unterstützung bedurften. Der 1920 geborene Siegfried Müller trat 1933 in die Hitlerjugend ein und diente zwischen 1939 und 1945 in der Wehrmacht. Er erhielt zahlreiche militärische Auszeichnungen, unter anderem das Eiserne Kreuz Erster und Zweiter Klasse . Nachdem er im Zuge eines Lazarettaufenthalts in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten war, arbeitete er zwischen 1948 und 1956 in den labor service units der Amerikaner auf deren Militärflughäfen in Landstuhl und Rhein-Main. Während die-
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ser Zeit baute er starke Sympathien für die USA auf. Seine Abneigung gegen den Kommunismus konnte er in diesen Zusammenhängen weiter pflegen. Bevor er 1962 nach Südafrika ging, räumte er eine Zeitlang im Auftrag einer Erdölfirma vom deutschen Afrikakorps in Nordafrika verlegte Minen. Im Jahr 1964 arbeitete er als Söldner für den kongolesischen Sezessionisten Moise Tschombe, der die Abspaltung der rohstoffreichen Provinz Katanga (Shaba) vom kongolesischen Zentralstaat verfolgte und in diesem Unterfangen von der ehemaligen Kolonialmacht Belgien, weiteren europäischen Staaten sowie den USA unterstützt wurde. Unter der Führung des Iren Mike Hoare war Müller ein Jahr später an der Niederschlagung des Aufstands der Simba (Löwen) im Osten des Kongos beteiligt. Bei diesen handelte es sich um Anhänger des gestürzten Ministerpräsidenten Patrice Lumumba, die von Moskau, Peking und Havanna unterstützt wurden. Während seiner Zeit im Kongo wurde Müller mehrmals befördert und übernahm zeitweise die Führung des cirka 50 Mann starken Kommando 52, einer von sechs Einheiten, durch die das von den Simba besetzte Stanleyville (Kisangani) zurückerobert werden sollte. Der Einsatz der Söldner wurde zu einem überragenden Erfolg, die mehrere zehntausend Krieger starken Simba wurden durch cirka 500 bis 800 weiße Söldner und einige afrikanische Hilfstruppen aufgerieben. Als military technical assistance volunteers, sich selbst als Kongo-Freiwillige bezeichnend, wurden in der Hauptsache Belgier, Briten, Rhodesier, Südafrikaner und einige Deutsche im Auftrag der inzwischen installierten pro-westlichen Zentralregierung des Kongo tätig. Diese Kämpfe begründeten den Ruf der ,weißen Riesen', die unter dem Kommando von Mike Hoare riesige Territorien unter die Kontrolle der kongolesischen Zentralregierung brachten. Siegfried Müller gelangte zu Berühmtheit, als er 1966 zwei Journalisten aus der DDR, die sich als Westdeutsche ausgegeben hatten, ein Interview gab. In dessen Verlauf betrank sich Müller systematisch und war seinen Gesprächspartnern gegenüber sehr offen . Als die beiden Autoren das Interview als Dokumentarfilm unter dem Titel .Der lachende Mann. Bekenntnisse eines Mörders' veröffentlichten, kam es zu einem politischen Skandal. In der
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Bundesrepublik Deutschland wurde die öffentliche Aufführung des Films verboten, da es sich, so wurde verfügt, um einen Propagandafilm der DDR handele. Einige aufschlussreiche Äußerungen von KongoMüller werden hier wiedergegeben. Auf der einen Seite zeigt sich, dass Siegfried Müller durchaus eine ideologische Rechtfertigung für seine Söldnertätigkeiten suchte, wenn auch eher halbherzig: " Wir haben für Europa gek ämpft im Kongo, für die Idee de s Westens, und zwar, um es gan z gen au zu sagen, für Liberte, Fraternite usw. Sie kenn en di ese Sprüche (...) Wir hab en für die westliche Zivil isat ion gekämpft, wir hab en für den Kongo gekämpft. Der Kongo bedeutet in di esem Falle die westliche Zivili sation, einschließlich Europa, einschließlich unserer Nato, das habe ich ja allen Belgiern erklärt, der Kongo ist ein Nato-Fall. Er ist nicht wie ein Spielch en so dan eben, sondern der Kongo ist ein Nato-Fall, der Kongo ist ein Fall, wo wir Europa gegen den Kommunismus verteidigen (.. .) Für mich ist lediglich interessant, dass ich für den West en arb eite, für unsere freih eitlich e Demokratie.r''v"
Auf der anderen Seite wird deutlich, weshalb die BRD nicht begeistert über die Veröffentlichung des Interviews gewesen ist: " Ich habe, wenn ich in Leopoldville war, de s Öfteren die ses Goethe-Institut be sucht, und ich habe also eine wund er volle Aufnahme gefunden (...) Sicherlich ist es eine Institution der Bundesrepublik. aber ich möchte sag en, wir haben etwas, was zweifach läuft, und nicht nur im Kongo, sondern überall in der Welt, die offizielle und die inoffizielle Politik. Man kann es nicht ändern, aber es ist so. Und ich will daran nichts ändern, es ist eine Tat sache (.. .) da s Goethe-Institut hat total verstanden, um wa s es sich im Kongo dreht." 108
Obgleich Müller in dem Interview erzählte, dass er gerne an der ,Befriedung' der DDR oder Vietnams mitarbeiten würde, kam es zu keinen weiteren Einsätzen. Er kehrte in seine Wahlheimat Südafrika zurück, wo er unter anderem eine Sicherheitsfirma betrieb. Er starb 1983. 107 Der Dokumentarfilm .Der lachende Mann' http://www.youtube.com/w atch?v=nu l XtalrT_M&NR=1 108 Ebd .
ist
abrufbar
unter :
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Rolf Steiner trat 1950 siebzehnjährig in die französische Fremdenlegion ein. In den folgenden neun Jahren kämpfte er zunächst in den Indochinakriegen, später war er in Algerien im Einsatz. Nachdem er eine Zeit lang für die Organisation de l'armee secrete (OAS)109 der Algetierfranzosen gearbeitet hatte, ließ er sich 1967 für den Biafrakrieg anwerben, in dem die Igbo die Sezession vom nigerianischen Bundesstaat verfolgten. Er gründete die Vierte Kommandobrigade und begann mit der militärischen Ausbildung. Er leitete einige Kommandoaktionen hinter den feindlichen Linien, war aber in der Hauptsache mit organisatorischen Aufgaben befasst. Obgleich die christlichen Igbo hartnäckig und aufopfernd für ihre Unabhängigkeit vom muslimisch dominierten Norden kämpften, hatten sie keine Chance gegen die Übermacht des nigerianischen Zentralstaates. Nach einem Nervenzusammenbruch und Auseinandersetzungen mit seinem Vorgesetzten verließ Steiner Biafra . Zu diesem Zeitpunkt hatte er die Bekanntschaft einiger Mitarbeiter christlicher Hilfsorganisationen gemacht, die ihm von der Lage im Südsudan berichteten.nc Die Parallele zu Nigeria bestand in dem Fakt, dass der überlegene muslim ische Norden den marginalisierten christlichen Süden bekämpfte. Während die Machthaber in Khartum massive Hilfeleistungen aus dem Ostblock und von arabischen Staaten erhielten, wurde der Süden lediglich sporadisch von Uganda, Israel und christlichen Organisationen unterstützt. Schließlich wurde Steiner für die südsudanesischen christlichen Rebellen als Militärberater aktiv. Allerdings waren kaum Voraussetzungen für die effektive Organisation von Truppen gegeben, da die Menschen hungerten und sich vereinzelte Clans gegenseitig bekämpften. Steiner versuchte, erste Grundlagen zu schaffen. Aber bereits nach einigen Monaten wurde er im Jahr 1971 während einer Reise nach Uganda verhaftet. Uganda hatte zwischenzeitlich ein Interesse an besseren Beziehungen zum Nachbarstaat und lieferte ihn an den Sudan aus. 109 Die OAS war im Wint er 1960-1961 von fran zös isch en Milit ärs gegründet worden, um den Verbleib Aigeri ens unter fran zösischer Herrschaft zu erz wingen . Durch systematische Gewaltanwendung sollte die Beschwichtigungspolitik de GaulI es sabotiert werd en 110 Frank Westenfelder (2007): Ralf Steiner. Indochina, Algerien, Biafra und der Sudan
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Als erster weißer Söldner wurde er in Afrika zum Tode verurteilt. Infolge einer Intervention des deutschen Bundespräsidenten Gustav Heinemann wurde Steiner zu 20 Jahren Haft begnadigt und schließlich nach zwei Jahren entlassen. Er kehrte gesundheitlich angeschlagen nach Deutschland zurück. Nachdem er sich erholt hatte, verfolgte er das Bemühen, die Bundesregierung per Gerichtsbeschluss zur Einklage von 12, 5 Millionen Mark von der sudanesischen Regierung zu zwingen.'!' Er sei unschuldig gewesen, habe als Sündenbock gedient. Durch Folter habe er bleibende Schäden davongetragen, außerdem sei es zu massiven Verdienstausfällen gekommen, da er einen Job als Militärberater des äthiopischen Kaisers Haile Selassie nicht habe antreten können. Schließlich schrieb Steiner seine Memoiren .Carre rouge, du Biafra au Soudan, le dernier condottiere', die in der englischen Fassung unter dem Titel ,The Last Adventurer' veröffentlicht wurden. Steiner verwies stets mit Nachdruck darauf, nie für Geld gekämpft zu haben. Vielmehr sei er eine Art Entwicklungshelfer gewesen. Mike Hoare wurde 1920 in Irland geboren und diente während des Zweiten Weltkriegs in der britischen Armee. Er verließ diese im Rang eines Colonels und ließ sich in Südafrika nieder. Nachdem Hoare zwischen 1960 und 1961 auf Seiten der Sezessionisten Katangas gestanden hatte, war er 1964 wie Siegfried Müller und Bob Denard an der Befreiung Stanleyvilles beteiligt. Er leitete das 5 Commando, eine cirka 300 Mann umfassende Söldnereinheit. Einige Jahre nachdem er den Kongo verlassen hatte, übernahm er die Führung in einem Putschversuch auf den Seychellen. Auf dieser Inselgruppe im indischen Ozean sollte 1981 Präsident Rene gestürzt werden, der seinerseits ein Jahr zuvor durch einen Coup d'Etat an die Macht gekommen war und sich als sozialistischer Politiker verstand. Rene lehnte den angelsächsischen Einfluss in der Region und insbesondere die US-amerikanische Militärbasis auf Diego Garcia ab . Die cirka 50 Söldner, die seinen Sturz durchführen sollten, rekrutierten sich im Hauptteil aus südafrikanischen und rhodesi-
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Dietrich Strothmann (1976): Legionär ohne Legende. Die Irrfahrten des Ralf Steiner
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sehen Spezialkräften sowie Veteranen des Kongokriegs. Sie reisten, sich als eine Touristengruppe ausgebend (The Ancient Order of FrothBlowers, in etwa: Der altehrwürdige Orden der Bierschaumbläser), in einer Linienmaschine auf die Seychellen.u- Während der Gepäckkontrollen des Zolls wurde bei einem der Männer eine Waffe gefunden, woraufhin eine Schießerei auf dem Flughafen ausbrach. Nach mehreren Stunden wurde klar, dass Hoare und seine Leute ihren Plan nicht würden durchführen können. An Bord einer Linienmaschine der Air India, die sie in ihre Gewalt brachten, gelang es ihnen, bis auf vier Männer, nach Südafrika zurückzukehren. Kurz nach der Landung in Durban wurde die Gruppe verhaftet, bis auf Hoare und vier weitere Männer wurden jedoch alle anderen sofort wieder freigelassen. Während späterer Untersuchungen, unter anderem einer Kommission der VN, zeigte sich, dass der Putschversuch durch die USA, Frankreich sowie Südafrika unterstützt worden war. Südafrika geriet unter internationalen Druck, die Söldner angemessen zu bestrafen. Letztlich lautete die Anklage auf Flugzeugentführung. Die meisten Söldner konnten das Gefängnis nach einigen Monaten verlassen. Während der Verhandlungen hatte Hoare darauf bestanden, durch die südafrikanische Regierung unterstützt worden zu sein. Dem Richter sagte er: " lch betrachte Süd afrika als Bastion der Zivilisation in eine m Afrika, das eine r total en kommunistischen Vernichtung ausgeliefert ist. Ich sehe mich an vorderster Front in die sem Kampf um unsere Existen z." 113
Die südafrikanische Regierung bestritt, dass nachrichtendienstliche oder militärische Institutionen in die Pläne eingeweiht gewesen seien, auch wenn einzelne Mitarbeiter im Kontakt zu Hoare gestanden hätten und er mit Waffen sowie Munition versorgt worden sei. Mike Hoare wurde zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach drei Jahren wurde er entlassen und
112 Time (1982): South Africa: Cooked Goose 113 Ebd .
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zog nach Südfrankreich. Hoare schrieb mehrere Bücher, unter anderem ,Congo Mercenary' (1967), ,The Seychelles Affair' (1986) und ,Congo Warriors' (1991). Der 1929 in Bordeaux geborene Bob Denard (Geburtsname Gilbert Bourgeaud) war über Jahrzehnte der bekannteste französische Söldnerführer. Er kam mit der französischen Marine im Indochinakrieg und in Algerien zum Einsatz, bevor er eine Weile in dem zu diesem Zeitpunkt noch unter französischer Kontrolle stehenden Teil der Kolonie Marokko als Polizist tätig wurde. Bereits 1961 tauchte er im Kongo auf, stand auf der Seite Tschombes und war 1964 an der Befreiung Stanleyvilles beteiligt. In den folgenden Jahren war er im Jemen im Einsatz, wo er auf der Seite der royalistischen Kräfte gegen eine an der Ideologie des Ägypters Nasser orientierte Bewegung kämpfte. Neben einem kürzeren Einsatz in Angola arbeitete er mehrere Jahre als Berater für die profranzösische Regierung in Gabun und nahm 1977 an einem Putschversuch in Benin teil. Ein Jahr später wurde durch eine von ihm geführte Söldnertruppe der Präsident der Komoren gestürzt. Denard hatte Ali Soilih erst einige Zeit zuvor gewaltsam an die Macht gebracht, aber dessen politisches Programm war seit der Amtsübernahme durch sozialistische Ideen ergänzt worden. Vor diesem Hintergrund war eine Korrektur nötig geworden. Von 1978 bis 1989 führte Denard die Präsidentengarde des Inselstaats, konvertierte zum Islam, nahm die komorische Staatsangehörigkeit an und baute ein die Inseln durchdringendes wirtschaftliches Imperium auf. Als die Armee 1989 putschte und den Präsidenten tötete, wurde Denard verwundet und von französischen Fallschirmjägern nach Südafrika ausgeflogen. Er kehrte im Jahr 1995 mit einer kleinen Gruppe Söldner auf die Komoren zurück, um abermals die Regierung zu stürzen. Dieser Versuch wurde von einem französischen Expeditionskorps unterbunden und Denard vom Geheimdienst nach Paris ausgeflogen. Nachdem er zehn Monate in Haft verbracht hatte, wurden verschiedene Gerichtsverfahren gegen ihn durchgeführt. Im Juni 2006 wurde er zu einer auf Bewährung ausgesetzten Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt. Er starb im Oktober 2007 im Alter von 78 Jahren. Denard
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hatte sich stets als Korsar bezeichnet. Auch wenn er nicht mit Kaperbriefen ausgestattet gewesen sei, so habe ihm doch der französische Geheimdienst mit Alias-Reisepässen und anderen Hilfeleistungen zur Seite gestanden. Es gilt als gesichert, dass Denard lange Jahre vom Geheimdienst protegiert wurde. Er fungierte als Werkzeug der französischen Kolonialpolitik zur Verteidigung ihres Einflusses. Denard verfügte über enge Kontakte zu dem für Afrika zuständigen Berater des französischen Präsidenten, [acques Foccart. Dieser diente sowohl unter de Gaulle als auch Pompidou und entwickelte das Leitbild des Francafrique: Der politische und wirtschaftliche Einfluss Frankreichs sollte auch in der Dekolonialisierung aufrechterhalten und gegen die Interessen des Ostblocks sowie der angelsächsischen Länder verteidigt werden. Zu Foccarts wichtigsten Aufgaben zählte die Installierung bzw. die Pflege guter Beziehungen zu pro-französischen Regierungen, unter anderem zu Houphouet-Boigny in Cöte D'Ivoire, Omar Bongo in Gabun und Cnassingbe Eyaderna in Togo, die allesamt zu den am längsten herrschenden Potentaten Afrikas gehören sollten. Nachdem Houphouet-Boigny von 1960 bis zu seinem Tod 1993 das Präsidentenamt ausgeübt hatte, verschlechterte sich die innenpolitische Lage Cöte D'Ivoires kontinuierlich, bis es 2002 zum Ausbruch eines Bürgerkriegs kam. Omar Bongo brachte es mit seiner von 1967 bis 2009 andauernden Regentschaft auf eine Amtszeit von beinahe 42 Jahren, sein Sohn Ali Bongo Ondimba wurde nach Präsidentschaftswahlen im August 2009 zu dessen Nachfolger erklärt. Als Eyaderna 2005 starb und dessen Sohn Faure Cnassingbe die Nachfolge antrat, hatte der ehemalige Unteroffizier der französischen Kolonialarmee 38 Jahre als Präsident Togo regiert. Die Aktivitäten der weißen Söldner auf dem schwarzen Kontinent führten dazu, dass erstmals in der Geschichte des internationalen Systems eine rechtliche Definition des Söldners geschaffen wurde. Im Söldnerprozess von Luanda 1976 waren 13 amerikanische und britische Söldner verurteilt worden, vier von ihnen zum Tode, die restlichen zu langjährigen Haftstrafen. Diese Gruppe unter Colonel Calan, einem 25jährigen gebürtigen Zyprioten, hatte auf der Seite der von NATO-
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Staaten finanziell unterstützten Nationalen Front zur Befreiung Angolas (FNLA) gegen die Truppen der marxistisch orientierten Regierung gekämpft. Durch die öffentlichen Gerichtsverhandlungen der von der UdSSR, Kuba und der DDR unterstützten siegreichen Regierungspartei Volksbewegung zur Befreiung Angolas (MPLA) war international ausreichend politischer Druck zur Verfassung eines völkerrechtlichen Artikels über Söldner entstanden. Im Mai 1976 machte die 1960 in die Unabhängigkeit entlassene ehemalige britische Kolonie Nigeria - als erster Staat der Internationalen Gemeinschaft - einen Vorschlag zu einer Söldnervorschrift. Als 1977 der Artikel 47 der Genfer Konventionen durch kriegsvölkerrechtliche Vorschriften ergänzt wurde, definierte die Internationale Gemeinschaft im Zusatzprotokoll I erstmals den Akteur Söldner. Das Zusatzprotokoll I der Genfer Konvention ist das einzige international gültige Gesetz, das eine Definition des Söldners beinhaltet. Es wird hier wiedergegeben, um deutlich zu machen, dass der Zweck des Söldnerartikels in erster Linie darin bestand, den Einsatz von Söldnern weiterhin zu ermöglichen. Artikel 47 Zusatzprotokoll I vom 8. Juni 1977:114 (1) Ein Söldner hat keinen Anspruch auf den Status eines Kombattanten oder eines Kriegsgefangenen. (2) Als Söldner gilt, a) wer im Inland oder Ausland zu dem besonderen Zweck angeworben worden ist, in einem bewaffneten Konflikt zu kämpfen, b) wer tatsächlich unmittelbar an Feindseligkeiten teilnimmt, c) wer an Feindseligkeiten vor allem aus Streben nach persönlichem Gewinn teilnimmt und wer von oder im Namen einer im Konflikt beteiligten Partei tatsächlich die Zusage einer materielEn tnomme n aus Rainald Maaß (1990): Der Söldner und sein e kriegsvölkerrechtliche Rechtsstellung als Kombattant und Kriegsgefangen er: 8
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len Vergütung erhalten hat, die wesentlich höher ist, als die den Kombattanten der Streitkräfte dieser Partei in vergleichbarem Rang und mit ähnlichen Aufgaben zugesagte oder gezahlte Vergütung, d) wer weder Staatsangehöriger einer am Konflikt beteiligten Partei ist noch in einem von einer am Konflikt beteiligten Partei kontrollierten Gebiet ansässig ist, e) wer nicht Angehöriger der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei ist und f) wer nicht von einem nicht am Konflikt beteiligten Staat in amtlichem Auftrag als Angehöriger seiner Streitkräfte entsandt worden ist. Dieser Artikel ist - wie alle internationalen Übereinkommen - das Ergebnis eines Kompromisses. Anhand der Formulierungen und Einschränkungen wird deutlich, in welchem Maße die Ausarbeitung der Söldnerdefinition dem politischen Kalkül derjenigen Staaten unterlag, die ein Interesse an der Entsendung von Söldnern verfolgten. Während der erste Teil des Zusatzprotokolls eine abschreckende Wirkung haben sollte, wird im zweiten, entscheidenden Teil definiert, welche Bedingungen erfüllt werden müssen, um zu beurteilen, wer ein Söldner ist und wer nicht. Diese Definition ist kumulativ: Es müssen alle Charakteristika von (a) bis (f) erfüllt sein, um eine Person der Straftat bezichtigen zu können, Söldnertätigkeiten auszuüben. Diese Einschränkung entzieht dem Gesetz bereits jegliche Wirksamkeit. Es ist im Grunde nicht möglich, alle sechs Kriterien nachzuweisen. Auch der Nachweis eines einzigen Charakteristikums bereitet bereits beachtliche Schwierigkeiten. Drei Beispiele hierzu: Nach Art. 47 Abs. (a) muss ein Söldner "zu dem besonderen Zweck angeworben worden sein, in einem bewaffneten Konflikt zu kämpfen" . Hiermit sind zugleich mehrere Voraussetzungen gegeben: die Anwerbung muss zweckgerichtet sein, und der Zweck zielt auf einen
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Einsatz des Söldners in einem bewaffneten Konflikt.l' > Hieran schließt sich der Unterparagraph (b) an: der Söldner muss "tatsächlich unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen". Es reicht nicht allein der Einsatz in einem bewaffneten Konflikt aus, der Söldner muss Kriegshandlungen unmittelbar vornehmen. Durch die Formulierung dieser Erfordernisse wird sichergestellt, dass Personen, die ausschließlich Stabsfunktionen, logistische Aufgaben oder militärische Ausbildungs- oder Beratungsfunktionen wahrnehmen, nicht unter den Begriff des Söldners fallen. Im Ergebnis wurde durch diese Einschränkungen verhindert, dass die von verschiedenen Staaten in die Stellvertreterkriege entsandten Militärberater von der Definition erfasst werden. Schließlich erfordert das unter (c) formulierte Motivationserfordernis drei Bedingungen: das "Streben nach persönlichem Gewinn", die "Zusage einer Vergütung" und das Faktum, dass "diese Vergütung wesentlich höher ist als die üblicherweise gezahlten bzw. zugesagten". Durch die Voraussetzung des Strebens nach persönlichem Gewinn sollte der Söldner vom internationalen Freiwilligen abgegrenzt werden. Charakteristikum des internationalen Freiwilligen ist, dass er aus politischen und/oder ideologischen Gründen an einem bewaffneten Konflikt teilnimmt. Das historische Vorbild sind die Freiwilligen, die auf Seiten der Republikaner im spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) zum Einsatz kamen. Das materielle Interesse des Söldners sollte von dem idealistischen Motiv des Freiwilligen unterschieden werden. Die Staaten des Ostblocks hatten die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen Söldnern und internationalen Freiwilligen vertreten, legten aber keine Vorschläge für Kriterien vor, durch die diese Unterscheidung möglich gewesen w äre.!" Die objektive Beurteilung der Motivation eines Individuums für die Teilnahme an einem bewaffneten Kampf ist äußerst schwierig. Der Nachweis der "Zusage einer Vergütung" ist unter bestimmten Umständen vielleicht möglich. Einen Vergleich der Höhe dieser Vergütung mit den "üblicherweise
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Ebd .: 105 [ames Taulbee (1985): Myths, Mercenaries and Contemporary International Law : 368
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gezahlten oder zugesagten" vorzunehmen, ist hingegen praktisch kaum durchführbar, zumal die Wendung "üblicherweise" stark interpretationsabhängig ist. Ohne weiter ins Detail gehen zu müssen: Durch diese Formulierungen war sichergestellt worden, dass die in allen Konflikten tätigen Militärberater und Ausbilder nicht als ,Söldner' geächtet werden konnten. Deren Entsendung war dadurch völkerrechtlich nicht anfechtbar und konnte fortgeführt werden. In allen Unabhängigkeitskriegen der damaligen Entwicklungsphase des internationalen Systems ging es für die Auftraggeber der verschiedenen Söldnertypen darum, ihr politisches Weltordnungsmodell durchzusetzen und den Zugriff auf ökonomische Ressourcen aufrechtzuerhalten bzw. herzustellen. Trotz des Einsatzes europäischer und indigener Söldner wurde in den ehemaligen Kolonien nach und nach die formelle Unabhängigkeit durchgesetzt. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Selbstbefreiung der außereuropäischen Völker muss jedoch kritisch hinterfragt werden. Der Politikwissenschaftler Ekkehard Krippendorf hat die Dekolonialisierung als die letzte große Welle der" Verstaatlichung der außereuropäischen Gesellschaften" bezeichnet - als .Siaaiengesellscnaft" ließ sich die Weltwirtschaft von Europa und den USA am sichersten und effektivsten beherrschen.t'? In dieser hier geteilten Perspektive liegt das Wesentliche der Dekolonialisierung nicht in dem Umstand, dass die Völker der Dritten Welt nunmehr in selbst verwalteten Staaten lebten, sondern in der Tatsache, dass sie durch die gesellschaftliche Organisation in der Form von Staaten in das bestehende internationale System dauerhaft eingebunden werden konnten. Die Territorien, die über Jahrhunderte von den Handelskompanien und deren Heimatstaaten beherrscht worden waren, wurden zwischen 1950 und 1980 formal zu souveränen Staaten. Oe facto aber waren sie von diesem Zeitpunkt an in ein weltwirtschaftliches Abhängigkeitsgeflecht eingebunden, das ih-
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Ekkehard Krippendorf (1997): Staat: 470-473
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II. Teil: Das Söldnerwesen in der Verstaatlichung der Welt
ren Handlungsspielraum äußerst einschränkte. Der Prozess der Verstaatlichung der Welt wurde mit der Dekolonialisierung abgeschlossen.
III. Teil: Das globalisierte Söldnerwesen 23 Die Prototypen der modemen Militär- und Sicherheitsunternehmen
Bereits zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Grundmodell der Militär- und Sicherheitsunternehmen entwickelt, das zu Beginn des 21. Jahrhunderts zunehmende Wichtigkeit erlangen sollte. In den 1960er Jahren begann die Branche sich zu entfalten. Geschäftstüchtige ExMilitärs hatten erkannt, dass in den in der Dritten Welt ausbrechenden Konflikten Bedarf an militärischer Ausbildung, Beratung und der Strategieentwicklung auf verschiedenen Seiten gegeben war. In den 1970er Jahren war durch sozialistisch geprägte revolutionäre Bewegungen und den internationalen Terrorismus eine starke Bedrohung für diejenigen Regimes in den ehemaligen Kolonien entstanden, die sich an den Anforderungen einer von den USA und Europa dominierten Weltwirtschaft orientierten. Durch diese Bedrohungen der an den Interessen des Westens ausgerichteten internationalen Ordnung ergab sich ein Impetus für das Wachstum der Branche der Militär- und Sicherheitsunternehmen. In den 1980er Jahren, als sich die Ideologie des Neoliberalismus, von den USA und Großbritannien ausgehend, weltweit durchzusetzen begann, erweiterten transnational tätige Unternehmen ihren Aktionsradius. Die Ausweitung ihrer Tätigkeiten in instabile Regionen und Staaten schuf einen steigenden Bedarf nach Sicherheit, dem durch die Gründung privater Sicherheitsunternehmen begegnet wurde. Im Gegensatz zu den Söldnern des Kongos, Angolas und Biafras, die in temporären, losen Zusammenschlüssen direkt an Kampfhandlungen teilgenommen hatten, bildete sich der Typus des professionellen security contractors heraus. In der Form legaler, registrierter Unternehmen mit einer festen Organisationsstruktur ging es in dieser Ausprägung darum, durch Beratung und Ausbildung die militärischen Fähigkeiten des Kunden indirekt zu unterstützen.
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III. Teil: Das globalisierte Söldnerwesen
Im Folgenden wird die Entstehung und Entwicklung der Unternehmen DynCorp, Watchguard International, Saladin Security, Control Risks Group sowie Kroll Security skizziert. Vier Gründe sind für diese Auswahl entscheidend. Erstens lässt sich anhand von DynCorp und Watchguard exemplarisch zeigen, dass das heutige Modell der Militärund Sicherheitsunternehmen seine Ursprünge in den 1940er bis 1960er Jahren hat. Zweitens sind von den Gründungsvätern Watchguards weitere Firmen ins Leben gerufen worden (Saladin, Control Risks Group und Kroll). Dies zeigt zum einen, in welcher Weise sich das Modell Militär- und Sicherheitsfirma - von Watchguard ausgehend - in den 1970er Jahren durchzusetzen begann. Einhergehend damit lässt sich durch die Darstellung von Watchguard die frühe Ausdifferenzierung der Branche nachvollziehen. Während einige Unternehmen auf die Ausbildung ausländischer Armeen fokussierten, konzentrierten sich andere auf Risikoanalysen für internationale Unternehmen oder die Sicherung der Infrastrukturen international tätiger Investoren. Und schließlich sind die genannten Sicherheitsfirmen - mit Ausnahme von Watchguard - bis heute aktiv. Die Wurzeln der US-amerikanischen Sicherheitsfirma DynCorp liegen in dem Unternehmen Land-Air Inc., das bereits 1946 von USVeteranen des Zweiten Weltkriegs gegründet worden war.!" Anfangs beschränkte sich das Geschäft des Unternehmens darauf, Teams von Technikern zur Wartung von Fluggeräten zur Verfügung zu stellen. Im Laufe der folgenden Dekaden erweiterte sich der Angebotskatalog. Das Unternehmen übernahm die Wartung von Fluggeräten aller Teilstreitkräfte der US-Armee, befreundeter Staaten sowie kommerzieller Unternehmen, die US-Fluggeräte im Gebrauch haben. Desgleichen werden maritime Sicherheitsdienste. Management, Logistik und weitere Sicherheitsdienstleistungen ausgeführt. Während die Wurzeln von DynCorp bis in das Jahr 1946 zurückreichen, ist Watchguard International erst 1967 gegründet worden. Aus
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DynCorp (2007): ABrief History of DynCorp International
23 Prototypen
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dem Umfeld dieses Unternehmens gingen allerdings weitere Sicherheitsunternehmen hervor, die zum Teil bis heute tätig sind. Watchguard war im Jahr 1967 von David Stirling, dem Gründungsvater des britischen Special Air Service (SAS), ins Leben gerufen worden.tl? Stirling hatte während der britischen Operation im Jemen zwischen 1962 und 1964, deren Ziel die Unterstützung des gestürzten royalistischen Regimes gewesen war, erkannt, dass es in einem zunehmend durch revolutionäre Bewegungen beeinflussten internationalen Umfeld einen gesteigerten Bedarf an Sicherheit auf der Seite verschiedener Regierungen gab. l2o Dieser wachsende Sicherheitsbedarf konnte nicht durch die direkte Assistenz Großbritanniens gedeckt werden. David Stirling entwickelte in diesem Kontext den grundsätzlichen der heutigen internationalen Sicherheitsbranche zugrunde liegenden Gedanken: den der Kombination nationaler Interessen der Heimatregierung mit individuellen kommerziellen Interessen. Watchguard International beschränkte sich darauf, lokale Sicherheitskräfte zu trainieren und zu beraten. Alle Vertragsverhandlungen wurden dem britischen Foreign Office mitgeteilt und eventuelle Vorbehalte in die Entscheidungsfindung miteinbezogen.w Die letztendliehe Entscheidung zur Durchführung einer Operation lag aber bei Watchguard. Die von Watchguard eingestellten britischen Sicherheitskräfte rekrutierten sich aus Mitgliedern des SAS. Eine klare Trennlinie zwischen ,offiziellen' und ,privaten' Operationen des SAS ist während der Aktivitäten in den späten 1960er Jahren und den 1970er Jahren nicht zu ziehen. Während es diese Arrangements der britischen Regierung erlaubten, jede offizielle Beteiligung gegebenenfalls abzustreiten, waren die verschiedenen Operationen den außen- und sicherheitspolitischen Zielen der Regierung untergeordnet. Individuelle Sicherheitskräfte waren für den SAS tätig, wurden bei Bedarf aber freigestellt, um für kommerzielle Sicherheitsunternehmen wie Watchguard arbeiten zu können. Source Watch (2006): History of pri vat e military companies Christopher Kins ey (2007): Private Security Companies: 90 121 Ebd .: 91 119
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III. Teil: Das globalisierte Söldnerwesen
Bis Mitte der 1970er Jahre war Stirling durch kontroverse Unternehmungen wie die versuchte Ermordung des libyschen Herrschers Ghaddafi innerhalb der britischen Geheimdienstszene dann in Ungnade gefallen und sein Einfluss im Feld der kommerzialisierten Sicherheit ließ nach. Als eine späte Anerkennung der von ihm für das Vaterland geleisteten Dienste darf der Umstand gewertet werden, dass er 1990 den Ritterschlag erhielt. Auf dem von ihm bereiteten Boden erwuchsen neue Sicherheitsfirmen, die durch weniger spektakuläre und kontroverse, dafür aber umso nachhaltigere Aktivitäten die internationale Nachfrage nach Sicherheit zu bedienen wussten. Major David Walker, ein weiteres Gründungsmitglied des SAS, schuf 1974 zusammen mit drei SAS-Kameraden die Firma Control Risks.F? Vier Jahre später sollte Walker desgleichen das Unternehmen Saladin Security mitbegründen. Das ursprüngliche Kerngeschäft von Control Risks lag in der Beratung von Unternehmen, deren Angestellte durch Kidnapping bedroht waren. Besonders in Südamerika tätige Firmen waren an Versicherungen gegen diese Art der Bedrohung interessiert. Als Subunternehmen des Versicherungsmaklers Hogg Robinson bot Control Risks entsprechende Beratungsleistungen an, die ihrerseits eine Vorbedingung für Versicherungspolicen darstellten. 123 In den 1980er Jahren wurde Control Risks eigenständig. Sicherheitsberatungsleistungen wurden im Zuge der sich beschleunigenden Globalisierung durch internationale Unternehmen zunehmend stark nachgefragt, und das Unternehmen eröffnete Dependancen in Australien, Kolumbien, Deutschland, Holland und den Philippinen. Eine vergleichbare Entwicklung machte Saladin Security, die 1975 aus KMS Ud. hervorgegangen war.124 Im Unterschied zu Control Risks lag das ursprüngliche Geschäft in der Bereitstellung von Sicherheitsdienstleistungen für Regierungen und internationale Unternehmen in instabilen Regionen. Protection, d . h. Personen- und Objektschutz, Center for l'ublic Integrity (2007): Cozy, Clubby and Covert Control Risks (2007): History 124 Saladin Security (2007): Background 122 123
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wurde auf allen Kontinenten angeboten, der Schwerpunkt lag auf dem Mittleren Osten und Afrika. Ende der 1980er Jahre weitete Saladin seinen Dienstleistungskatalog aus und fokussierte auf Klienten aus der Öl-, Gas- und Minenindustrie. Die Angestellten des Unternehmens rekrutieren sich in der Hauptsache aus ehemaligen Militärs und Polizisten. Ein weiteres ehemaliges Mitglied des SAS, Arish Turle, hatte Anfang der 1980er Jahre Control Risks verlassen und sich der USamerikanischen Firma Kroll Security angeschlossen. Kroll Security war bereits 1972 von Jules B. Kroll gegründet worden. Das Kerngeschäft von Kroll lag zunächst in der Informationsbeschaffung bei Firmenübernahmen. Zu diesem Zweck wurde die finanzielle Situation potentieller Übernahmeziele durchleuchtet. In den 1990er Jahren konnte Kroll durch Übernahmen und Zusammenschlüsse sein Tätigkeitsfeld global ausweiten. Die Reputation des Unternehmens war weltweit gewachsen, nachdem es ihm gelungen war, versteckte Aktiva von [ean-Claude Duvalier, Ferdinand und Imelda Marcos sowie Saddam Hussein aufzuspüren.
24 Post-1989 Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Sieg des Kapitalismus entstand ein weltweiter Markt für Militär- und Sicherheitsunternehmen. Parallel zu der globalen Durchsetzung des neoliberalen Paradigmas und der Ausrichtung der einzelstaatlichen Ökonomien an diesem Leitbild griffen gesellschaftliche Entwicklungen, die zu dem bis heute andauernden Boom der Branche führten. Im Zuge dieser Prozesse entstand sowohl ein gesteigertes Angebot als auch eine wachsende Nachfrage. Zunächst zur Angebotsseite. Durch den Abbau der großen Armeen der Blockkonfrontation wurden zehntausende ehemaliger Militärs, insbesondere aus den Armeen der ehemaligen Sowjetunion, aber auch aus denen der NATO-Staaten, auf den freien Markt entlassen. Das Ende der Apartheid in Südafrika führte dazu, dass sich tausende im Kampf erprobte Angehörige des Sicherheitsapparates nach neuen Betätigungs-
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III. Teil: Das globalisierte Söldnerwesen
feldern umsahen. Doch nicht nur Ex-Militärs überschwemmten den entstehenden globalen Sicherheitsmarkt mit Software, auch die Versorgung mit militärischer Hardware gestaltete sich problemlos. Nicht mehr benötigte Rüstungsgüter wurden sowohl von den NATO-Staaten als auch den ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten zu Billigpreisen verkauft oder direkt verschenkt. Das wiedervereinte Deutschland etwa bot das gesamte Arsenal der Nationalen Volksarmee (NVA) zum Kauf an, darunter über 1.200.000 Feuerwaffen, 100.000 Fahrzeuge, 2.000 Panzer, 87 Kampfhubschrauber, 394 Kampfflugzeuge sowie 69 Kriegsschiffe.t> Ein nicht unwesentlicher Teil ging in Auktionen zu extrem niedrigen Preisen an private Händler, während der Rest zu Schnäppchenpreisen verschiedenen Staaten überlassen wurde. Die Nachfrageseite konstituierte sich zeitgleich durch den Ausbruch zuvor unterdrückter Konflikte in der Zweiten und Dritten Welt. Diese inneren Kriege führten zu einer starken Nachfrage der unterschiedlichen Konfliktparteien nach militärischer Expertise. War diese zuvor von einem der beiden Kontrahenten der Blockkonfrontation zur Verfügung gestellt worden, sahen sich die Kriegsparteien peripherer Staaten nunmehr mit der Notwendigkeit konfrontiert, die entsprechenden Unterstützungsleistungen aus anderen Kanälen zu beziehen. Aber auch Staaten mit gut organisierten und effektiven Streitkräften wurden zu Kunden der privaten Sicherheitsbranche. Nachdem unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges von einer Friedensdividende ausgegangen worden und die politische Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung der umfassenden Militärapparate entfallen war, kam es kurzfristig zu einer Kürzung von Rüstungsausgaben und einer Welle von Entlassungen der im Rüstungssektor beschäftigten Menschen. Allerdings zeigte sich innerhalb einiger weniger Jahre, dass in der neuen Weltordnung neue Bedrohungen erwuchsen und es erforderten, weltweit militärisch einzugreifen. Die staatlichen Sicherheitsapparate waren durch den vorangegangenen Abbau geschwächt worden, so dass zur Umsetzung militä-
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Otfried Nas sauer (1995): An Army Surplus - The NVA's Heritage
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rischer Maßnahmen Unterstützung durch kommerzielle Anbieter nötig wurde. Dieses Arrangement schien darüber hinaus für den Staat kostengünstiger zu sein, da die kommerziellen Sicherheitsanbieter im Gegensatz zu den staatlichen Sicherheitskräften nur dann bezahlt werden mussten, wenn sie zum Einsatz kamen. Die USA als militärisch und ökonomisch mächtigster Staat trieben die Auslagerung militärischer Dienstleistungen voran und entfalteten eine Sogwirkung auf andere Staaten. Bereits während des Vietnamkrieges hatten die US-Streitkräfte damit begonnen, zur Bedienung und Wartung der zunehmend komplexeren Waffensysteme auf private Unternehmen zurückzugreifen. In den 1990er Jahren wurde diese Strategie ausgeweitet, private Sicherheitsunternehmen kamen verstärkt auch in den Bereichen der Logistik und der Ausbildung zum Einsatz. Desgleichen wurde die Beratung und Ausbildung von Streitkräften befreundeter Staaten in wachsendem Umfang von Militär- und Sicherheitsunternehmen übernommen. Weitere Nachfrage ergab sich aus dem Fakt, dass die Vereinten Nationen durch die Aufhebung des Patts im Sicherheitsrat erstmals in ihrer Geschichte handlungsfähig geworden waren. Die stetig steigende Anzahl von Friedensoperationen verstärkte die Nachfrage nach militärischen Ausbildern, Beratern und Logistikern zusätzlich. Auf die Rolle der Vereinten Nationen als Nachfrager auf dem Markt der kommerzialisierten Sicherheit wird an späterer Stelle genauer eingegangen. Vor dem Hintergrund dieser grob skizzierten Zusammenhänge herrschte in den 1990er Jahren Goldgräberstimmung auf dem Markt der kommerzialisierten Sicherheit. Zwei Unternehmen sollten in dieser Entwicklungsphase des internationalen Systems eine überproportionale Bedeutung einnehmen. Das 1989 gegründete südafrikanische Unternehmen Executive Outcomes hatte erfolgreich in Angola (1992-1993) und Sierra Leone (1995-1996) Krieg geführt. Das britische Unternehmen Sandline International wurde 1996 ins Leben gerufen und folgte - wenn auch mit vergleichbar wenig Erfolg - dem von Executive Outcomes beschriebenen Weg . In den folgenden Jahren diente der Erfolg von Executive Outcomes
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III. Teil: Das globalisierte Söldnerwesen
als Modell für eine stetig wachsende Anzahl von Militär- und Sicherheitsunternehmen. Wenngleich die direkte Kriegsführung durch private Unternehmen aus verschiedenen Gründen nicht weiter verfolgt wurde, hatten die Erfahrungen des südafrikanischen Unternehmens deutlich werden lassen, dass die Zeit gekommen war, parastaatliche militärische Dienstleistungen auf dem internationalen Markt in großem Umfang anzubieten. Executive Outcomes ist das wichtigste Söldnerunternehmen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert gewesen. Aus diesem Grund werden einige Fakten zu dessen einzigartiger Rolle folgen. Einer kurzen Skizze des Entstehungshintergrundes folgt eine Darstellung des Einsatzes in Sierra Leone. Dieser veranschaulicht exemplarisch die zu Grunde liegenden strukturellen Zusammenhänge von organisierter Gewalt und ökonomischen Interessen.
25 Executive Outcomes
EO war 1989 in Pretoria gegründet worden und sowohl in Südafrika als auch Großbritannien registriert. Der Wind of Change hatte Südafrika erreicht, und bereits vor den ersten freien Wahlen 1994 war Angehörigen des Sicherheitsapparates des Apartheidstaates klar geworden, dass ihre Zukunft nicht im Dienste eines ANC126-geführten Staates lag. Zunächst wurde EO von Eeben Barlow geleitet, der während seiner militärischen Laufbahn den Aufklärungskommandos (Recces) des 32. Bataillons und später dem CCB127 der südafrikanischen Streitkräfte angehört hatte. Das 32. Bataillon (die sog. Buffalo Soldiers) hatte über zwei Dekaden als Speerspitze zur Destabilisierung der Frontstaaten (in erster Linie Angola und Mosambik) gedient. Das CCB hatte unter anderem die Aufgabe übernommen, durch den Aufbau von Tarnfirmen die gegen das damali-
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African National Congress . Civil Cooperation Bureau.
25 Executive Outcomes
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ge Apartheidregime verhängten internationalen Sanktionen zu umgehen. Während seiner Tätigkeiten für das CCB war Barlow hauptsächlich in Europa aktiv gewesen, und es ist zu vermuten, dass er in dieser Zeit Kontakte aufbauen konnte, die bei der Positionierung von EO hilfreich waren.P'' Die Kampfeinheiten, Piloten, Logistiker und Nachrichtendienstler, die von EO zum Einsatz gebracht wurden, rekrutierten sich neben den Buffalo Soldiers und den Recces aus den Reihen der Fallschirmjäger (Parabats), aus paramilitärischen Einheiten wie Koevoet und aus Kämpfern der IFp129. Durch den Umstand, dass sich der Hauptteil der EO-Mitarbeiter aus dem südafrikanischen Sicherheitsapparat speiste, war sichergestellt worden, dass sie vergleichbares Training erfahren hatten, bestimmte Befehlstrukturen und -ketten übernommen werden konnten sowie alle Beteiligten extensive Erfahrungen in der "Aufstandsbekämpfung" gesammelt hatten. Das CCB war 1990 aufgelöst worden, das 32. Bataillon folgte 1993. Für EO ergab sich daraus der günstige Umstand, dass genügend erfahrene Experten zur Verfügung standen, wenn sich durch einen Auftrag die Notwendigkeit ergab, größere Kontingente zusammenzustellen. Der ständige Mitarbeiterstab des Unternehmens wurde schlank gehalten, und es wurde ein Pool eingerichtet, der um das Jahr 1995 2.000 potentielle Mitarbeiter umfasste. Nachdem sich EO in den ersten drei Jahren seines Bestehens mit eher bescheidenen Aufträgen hatte begnügen müssen, trat Ende 1992 das ehemalige SAS-Mitglied Anthony Buckingham an die Firma heran. Buckingham vertrat eine Ölfördergesellschaft, die Konzessionen zur Ausbeutung angolanischer Vorkommen hielt, aber auf Grund des Krieges keinen Zugriff auf das schwarze Gold nehmen konnte. Zwischen 1993 und 1995 gelang es den angolanischen Regierungstruppen mit der Unterstützung des Unternehmens, die Aufständischen der UNITA 130 niederzuschlagen. Die zentrale Funktion von EO war die eines Schlagkraftverstärkers gewesen: Durch die Ausbildung angolanischer Truppen Da vid Shearer (1998): Priv ate Armi es and Military Inter vention: 41 lnkatha Free dom Party. 130 Uniäo Nacional para a Independencia Total de Angola. 128
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III. Teil: Das globalisierte Söldnerwesen
und deren Befehligung sowie den Einsatz von Aufklärungs- und Kommunikationstechniken geriet die UNITA in die Defensive. Mit der Unterstützung von EO erzielte die angolanische Armee Erfolge, die ihr in den vorangegangenen 18 Jahren verwehrt geblieben waren. Im Ergebnis konnte EO relativ kostengünstig den Zugriff der angolanischen Regierung - und damit verbunden der von dieser zur Förderung lizenzierten Unternehmen - auf wichtige Ölfelder herstellen. Dieser Erfolg bedeutete für EO, sich einen Ruf als effektive alternative Lösung in derartigen Zusammenhängen geschaffen zu haben.
26 Militärisches Unternehmertum in Sierra Leone Am Beispiel Sierra Leones lässt sich die enge Verknüpfung militärischen und ökonomischen Unternehmertums in komprimierter Form beobachten. Bereits vor der formellen Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1961 war die Wirtschaft Sierra Leones durch die Abhängigkeit von Rohstoffen gekennzeichnet. Im Jahr 1935 hatte das von Cecil Rhodes gegründete und seit 1920 von Ernest Oppenheimer geführte Förderunternehmen De Beers durch den SLST131 die vollständigen Rechte zur Diamantensuche, förderung und den Handel im Land für 99 Jahre übernommen. In den 1950er Jahren kam es zu einem Diamantenrausch. Die Regierung des Landes sah sich nicht in der Lage, dem nunmehr einsetzenden umfangreichen Schmuggel der Steine, vor allem nach Liberia, beizukommen. In diesem Kontext begann der SLST, seine eigene Sicherheit zu organisieren. Der Präsident von De Beers, Sir Ernest Oppenheimer, nahm 1953 einen Ruheständler aus den Reihen des britischen Geheimdienstapparates unter Vertrag. Sir Percy Sillitoe hatte lange Jahre an der Spitze des britischen Inlandsgeheimdienstes (MI5) gestanden. Die Aufgabe von Percy Sillitoe bestand nunmehr darin, die Bekämpfung des Diamantenschmuggels zu organisieren. Sillitoe ließ durch Informanten zunächst
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Sierra Leone Selection Trust.
26 Militärisches Unternehmertum in Sierra Leone
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Gerüchte bestätigen, denen zufolge die meisten Diamanten nach Monrovia geschmuggelt würden. In der liberianischen Hauptstadt hatten israelische und europäische Diamantenhändler Niederlassungen eingerichtet, durch die auch die Schmuggler finanziert wurden. Percy Sillitoe baute eine eigene Truppe auf, die sich aus weißen Rhodesiern und Südafrikanern rekrutierte. Diese Sicherheitskräfte wurden als die Diamond Protection Force (DPF) bekannt. Die DPF war bis zu 1.200 Mann stark zum Vergleich: Die Armee des Landes hatte zu dieser Zeit um die 2.000 Soldaten unter ihrem Befehl. 132 Obgleich die DPF nicht bewaffnet war, ging sie in massiver Weise gegen die Diamantenschmuggler vor. Leichtflugzeuge und später auch Helikopter wurden für Patrouillen eingesetzt, Flutlichtanlagen installiert und Abschnitte der Grenze vermint. Illegale Diamantensucher und -händler, die der DPF in die Hände fielen, wurden in der Regel zu Zwangsarbeiten verurteilt. Die Konfrontation mit den Schmugglern gewann an Schärfe, nachdem Sillitoe 1956 den Abenteurer Fouad Fred Kamil in seine Dienste genommen hatte. Kamil hatte zu diesem Zeitpunkt - unabhängig von der DPF - junge Männer aus Monrovia in einer bewaffneten Gruppe organisiert und operierte entlang der sierraleonisch-liberianischen Grenze. Ihre Aktivitäten bestanden darin, Diamantenschmuggler anzugreifen und deren Schmuggelgut zu iibernehmen.P" Sillitoe schuf folgendes Arrangement mit Kamil: Die Agenten Sillitoes informierten Kamil über die genauen Routen und Tätigkeiten der Schmuggler. Kamils Truppe übernahm es dann, den Schmugglern die Ware zu entwenden und an De Beers zu übergeben. Für seinen Einsatz erhielt Kamil ein Drittel des Wertes der Diamanten in Bargeld ausgezahlt. Diese Organisation der Bekämpfung des Diamantenschmuggels erwies sich als effektiv. Gegen Ende der 1950er Jahre schien der illegale Handel mit Diamanten weitgehend zerstört. Trotz des
J. Pham (2006): The Sierra Leon ean Traged y: History and Glob al Dim ensions: 68 Kamil (1979): The Diamond Underworld. End e der 1960er wurde der britische ExMilitär Michael Harbottle vom SLST als Chi ef Security Officer unter Vertrag genommen, seine Erinne ru ngen an dies e Zeit hat er eben falls ni ed erg eschrieben : Michael Harbottle (1976): The Knaves of Diamonds 132 Peter 133 Fred
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nunmehr hohen Risikos der illegalen Diamantensuche blieb dieses Betätigungsfeld aber für eine große Anzahl der Menschen in der Region eine der wenigen Möglichkeiten, ein Auskommen zu finden. Nachdem Sierra Leone 1961 unabhängig geworden war, entwickelte sich das Land zu einem ,Schattenstaat' - alle wesentlichen politischen und ökonomischen Entscheidungen wurden durch informelle Netzwerke getroffen, in denen die herrschenden Cliquen mit afrolibanesischen Familien zusammenarbeiteten. Der offizielle Diamantenmarkt verlor sukzessive an Bedeutung. Während eine schmale Elite immense Reichtümer anhäufte, blieb die Mehrheit der Bevölkerung vollkommen marginalisiert. Im Jahr 1991 kam es zum Ausbruch eines der brutalsten Bürgerkriege der neuesten afrikanischen Geschichte. Die Diamanten spielten eine wesentliche Rolle im Verlauf des Krieges, der das Land in Laufe der nächsten 11 Jahre weitgehend zerstören sollte. Sie stellten die ökonomische Grundlage für den Einsatz von zwei Söldnertypen dar. Bei diesen handelte es sich um die Ex-Militärs von Executive Outcomes, die sich in der Hauptsache aus Südafrikanern rekrutierten, und indigene Söldner aus den Staaten der afrikanischen Subregion, in erster Linie Liberianer und Burkinaben.
27 EO in Sierra Leone Die Südafrikaner bestimmten zwischen 1995 und 1996 den Konfliktverlauf. Im März 1995 übernahm EO von der Militärjunta in Sierra Leone den Auftrag, die Rebellen der Revolutionary Uni ted Front (RUF) aus der Umgebung der Hauptstadt Freetown zu vertreiben. Der Kontakt zwischen der Junta und EO war - wie der vorangegangene mit der angolanischen Regierung - von Anthony Buckingham hergestellt worden.P' Buckingham vertrat zu diesem Zeitpunkt als Aufsichtsratsvorsitzender die Interessen des Minenkonzerns Branch Energy, in dessen Händen die
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Venter (2006): War Dog . Fighting other People's Wars: 462
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Explorationsrechte für die Diamantenfelder in Kono lagen. Neben der Sicherung der Hauptstadt wurden drei weitere militärische Ziele festgelegt: Die Wiederherstellung des Zugriffs auf die Rohstoffe (Diamantenfelder und Rutilminen), die Zerstörung der Basen der RUF sowie schließlich die ,Säuberung' des verbleibenden Territoriums. Executive Outcomes arbeitete während des Einsatzes in Sierra Leone zwischen 1995 und 1996 mit verschiedenen Kriegsparteien zusammen - den Resten der sierraleonischen Armee, lokalen Milizen (Kamajors) und der westafrikanischen Eingreiftruppe Economic Community of West African States Monitoring Group (ECOMOG), die von Nigeria geführt wurde und von den Vereinten Nationen mandatiert worden war, um das Land zu befrieden. Kriegsmaterial organisierte sich das Unternehmen aus unterschiedlichen Kanälen. Beispielsweise kaufte EO zwei Mi-17 135 von den Vereinten Nationen in Angola.w Diese Luftunterstützung wurde für die Operationen in Sierra Leone elementar. Die RUF verfügte nicht über Fluggeräte, und auf der Seite der sierraleonischen Regierung waren vor dem Eintritt des Unternehmens in den Krieg lediglich ein von weißrussischen Ingenieuren und Piloten bedienter Helikopter vom Typ Mi-24 137 sowie einige Kampfjets des nigerianischen Militärs, die unter dem Befehl der ECOMOG standen, im Einsatz. Weder die Weißrussen noch die Nigerianer hatten aber Bereitschaft gezeigt, ihre Maschinen im Krieg gegen die RUF zu beanspruchen. Dies änderte sich, nachdem EO de facto den Oberbefehl im Kampf gegen die RUF übernommen hatte. Es kam in der Folge zu einigen Einsätzen, in denen die Helikopter des Unternehmens und die Kampfjets der durch die VN autorisierten Nigerianer gemeinsam Einsätze flogen:
Ein in der UdSSR entwickelter Mehrzw ecktransporthubschrauber, der sich auch als Kampfhubschrauber zur Bodenunterstützung eigne t und unter günstigen Bed ingungen bis zu drei Tonnen Last tragen kann. 136 Al Venter (2006): 487 137 Kampfhubschrauber au s sowjetischer Produktion. 135
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" Die in Sierra Leon e stationiert en nig erianisch en Alpha-Jets (...) wurd en ins Spiel gebracht, aber bevor sie zum Einsatz kamen, trafen sich beide Gruppen der Pilot en, um den Einsatz zu koordinieren . Man kam überein. dass die Mi-24 die Jets zu den Zielen .sp rechen' sollt en, wo diese, so hofft e m an, das Notwe ndige mit ihr en 500-Pfund Splitterbomben erledigen würden. Anschließend würden sich die Kampfhubschrauber heran stehlen und die Überlebend en abschie ßen .138"
Kurz nach der Ankunft in Sierra Leone hatte EO damit begonnen, in den Reihen der Armee als kompetent betrachtete Individuen zu identifizieren und auszubilden: " Glü cklicherweise waren nicht alle RSLMF139-Sold aten Loser. Einige hatten das Training der EO-Instru ktoren ern st genommen, und das zeigte sich : Sie war en wachsam, vertraut mit ihren Waffen, blieben unter sich, und wurden in einer Gruppe zusammengefasst, die wahrscheinlich der ersten, besch eid enen ,Spezialkräftee inhei t' Sier ra Leon es ähne lte.lw"
Der Vormarsch des Unternehmens verlief sehr viel schneller als angenommen. Nach nicht ganz einem Jahr war die RUF soweit geschwächt, dass sie sich zu Friedensverhandlungen bereit erklärte. Im Februar 1996 wurden Gespräche zwischen der Regierung und der RUF aufgenommen. Ahmed Tejan Kabbah, ein ehemaliger Bediensteter der Vereinten Nationen, übernahm nach Wahlen, die auf Drängen der Vereinten Nationen parallel zu den Friedensverhandlungen im Februar und März 1996 abgehalten wurden, das Präsidentenamt. Am 30. November 1996 unterzeichneten die Regierung und die RUF einen Friedensvertrag in Abidjan, obgleich es während des gesamten Zeitraums zu weiteren bewaffneten Zusammenstößen gekommen war. Kabbah hatte nach seiner Wahl zum Präsidenten den Vertrag mit EO von seinen Vorgängern übernommen und neu ausgehandelt. Obgleich die nunmehr demokratisch legitimierte Regierung durch den Zugriff auf die Diamantenfelder wieder die Verfü138 Al Venter (2006): 503 139 Republic of Sierra Leon e Military Forces 140 Al Venter (2006): 518
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gung über finanzielle Ressourcen gewonnen hatte, war an einen Wiederaufbau des Landes auf Grund der sehr schlechten Sicherheitslage weiterhin nicht zu denken. Wesentlich für die weiteren Entwicklungen im Land war der Fakt, dass Präsident Kabbah den Vertrag mit EO nicht über Ende 1996 hinaus verlängern konnte. Dies war eine der Vorbedingungen der RUF für die Verhandlungen gewesen, die zu dem Friedensvertrag vom November 1996 geführt hatten. Aber ein weiteres, gewichtiges Moment trat hinzu. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte direkt nach der Wahl damit begonnen, Druck auf die Regierung Kabbah auszuüben, um diese zu einer Reduzierung des Staatsdefizits zu bewegen. Während in einigen Quellen behauptet wird, der IWF hätte die Regierung durch die Verweigerung von Darlehen zur Beendigung des Vertrages mit EO gezwungen, stellen andere heraus, dass der IWF keine konkreten Forderungen an die Regierung gestellt hätte, in welcher Weise das Defizit abzubauen sei. 141 Tatsache ist, dass die Regierung die vorherigen Abmachungen mit EO brach und die Zahlungen an das Unternehmen kürzte.142 Im Januar 1997 verließ EO das Land, ohne in der zuvor festgelegten Höhe entlohnt worden zu sein. Die Regierung Kabbah hatte nicht lange Bestand. Im Mai 1997 kam es zu einem weiteren Putsch in der Geschichte Sierra Leones. Der Revolutionsrat der bewaffneten Kräfte (AFRC 143 ) übernahm die Macht in Freetown und die Regierung floh ins Exil nach Guinea. Zur ersten Version siehe: Sean Creehan (2002): Soldi ers of Fortune 500. Zu der zweiten Version siehe : Ian Douglas (1999): Fighting for Diamonds - Private military companies in Sierra Leone 142 Ian Douglas (1999): 187; David Isenberg (2000): Combat for Sale: The New, Post-Cold War Mercenaries 143 Armed Forces Revolutionary Council 141
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28 Regionale und internationale Söldner in den Mano River Kriegen Zu diesem Zeitpunkt hatte sich in der afrikanischen Subregion - der Mano River Region - eine Form des indigenen, regionalen Söldnerwesens herausgebildet. Nicht nur in Sierra Leone, sondern auch im Nachbarstaat Liberia wurde seit 1989 ein Bürgerkrieg ausgetragen. Auf beiden Seiten der Grenze kämpften zahllose junge Männer (weniger Frauen), die in den Phasen der Waffenstillstände und Verhandlungen den Eindruck gewannen, dass ihnen das Dasein als Krieger mehr eingebracht hatte als sie jemals in Friedenszeiten zu erwarten gehabt hätten. Es entwickelte sich ein frei fluktuierendes regionales Söldnerwesen: Sierraleoneans kämpften im liberianischen Konflikt, Liberianer in Sierra Leone, Söldner aus Burkina Faso kamen auf Seiten der verschiedenen Konfliktparteien zum Einsatz. Als die ersten bewaffneten Kräfte der RUF 1991, von liberianischem Territorium kommend, die Grenze nach Sierra Leone überschritten, waren unter den geschätzten 100 Kämpfern über die Hälfte Liberianer, daneben Burkinaben und sierraleonische Dissidenten. Einige erklärende Worte zum Hintergrund. Die RUF war bereits Mitte der 1980er Jahre von Studenten, die gegen die Repressionen der Regierung hatten vorgehen wollen, gegründet worden. Einige der frühen Anführer waren zwischen 1987 und 1988 in Libyen in Ausbildungslagern gewesen, wo sie für den ,revolutionären Kampf' trainiert worden waren. Unter diesen befand sich auch der spätere Führer der RUF, Foday Sankoh. Während der damaligen libyschen Schulungen in der revolutionären Kriegsführung hatte Sankoh den Liberianer Charles Taylor kennen gelernt, der Anfang der neunziger Jahre zu einem der weltweit erfolgreichsten Warlords aufstieg. Die Unterstützung der RUF durch Charles Taylor sollte für den Ausbruch und Verlauf des Krieges in Sierra Leone elementare Bedeutung gewinnen. Taylor verfolgte zwei Ziele. Zum einen hatte sich Sierra Leone 1990 bereit erklärt, der ECOMOG, die unter nigerianischer Führung die Nationale
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Patriotische Front Liberias (NPFLJ44) Charles Taylors bekämpfte, eine Operationsbasis in Sierra Leone zur Verfügung zu stellen. Durch die Unterstützung der RUF kalkulierte Taylor, diese Basis der ECOMOG zerstören zu können. Daneben hoffte er, durch den Zugriff auf die sierraleonischen Diamantenabbaugebiete die ökonomische Grundlage seines Krieges auszuweiten. Diese Rechnung ging auf. Auf dem Höhepunkt seiner Macht als Warlord 1992 umfasste Taylorland fast das gesamte liberianische Territorium sowie den Teil Sierra Leones mit den größten Diamantenvorkommen. Ohne einen formalen Staatsapparat gelang es ihm in den neunziger Jahren, die liberianische Kriegsökonomie in großem Maßstab an die globale Ökonomie anzudocken.tf Zur Kontrolle der sierraleonischen Territorien wurden Liberianer an die RUF abgestellt. Diese Söldner hatten keinen ethnischen Bezug zu der lokalen Bevölkerung und gingen mit äußerster Brutalität vor. Die Situation hatte einige Jahre bestand, bis durch den Einsatz britischer Spezialkräfte und einer bis zu 17.000 Personen starken Friedenstruppe der VN 2002 eine Niederlage der RUF erzwungen wurde. Der zunehmende militärische Druck auf die RUF hatte eine Reihe Kämpfer veranlasst, in den liberianisehen Krieg auszuweichen. Dort hatte eine erstaunliche Metamorphose stattgefunden: Seit 1997 war der ehemalige Warlord Taylor als gewählter Präsident an der Macht, nachdem er von den VN unterstützte Wahlen gewonnen hatte. Etliche Sierraleoneans waren in Taylors Milizen und Spezialeinheiten übergewechselt, und als 1999 eine neue bewaffnete Gruppe (Liberianer Vereinigt für Versöhnung und Demokratie - LURD) den Krieg gegen das Taylorregime aufnahm, kamen auch auf deren Seite Sierraleoneans zum Einsatz. Ab dem Jahr 2003 ging eine weitere bewaffnete Gruppe - Bewegung für Demokratie in Liberia (MODEL) - gegen Taylor vor. Diese wurde angeblich von Cöte D 'Ivoire gelenkt. Dazu hätte die ivorische Regierung gute Gründe gehabt, denn Taylor hatte seinerseits seit 2002 eine der drei bewaffneten Gruppen in C öte D'Ivoire National Patriotic Fron t of Liberi a. Siehe hier zu beispi elsweise: Marc-Antoine de Montelos (1999): Liberia od er di e Ausplünderung eines Landes
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III. Teil: Das globalisierte Söldnerwesen
massiv unterstützt. Bis zu 90 Prozent der Kämpfer der Ivorischen Volksbewegung des Großen Westens (MPIGO) waren nach Berichten liberianische Söldner. Ende 2003 hatten die inzwischen in den Neuen Kräften vereinigten ivorischen Rebellengruppen über die Hälfte des Territoriums der Cöte D'Ivoire unter ihrer Kontrolle. Unter einem Mandat der VN wurde eine Pufferzone eingerichtet, deren Kontrolle französischen Spezialkräften und der Fremdenlegion oblag. Der ivorische Präsident war mit diesem Arrangement sehr unzufrieden und holte zu seiner Unterstützung internationale Söldner ins Land. Im Jahr 2004 wurde bekannt, dass vier S üdafrikaner. ein Brite und ein Belgier Kampfhubschrauber im Auftrag der ivorischen Regierung flogen. Zwei Kampfjets und sechs Helikopter ließ der Präsident in Weißrussland kaufen, die dazugehörigen Piloten kamen Berichten nach ebenfalls aus dem Reich des Lukaschenko. Ende desselben Jahres schienen sich Gerüchte zu bestätigen, denen zufolge mehrere Dutzend Israelis als Berater für die ivorische Regierung tätig geworden waren. Als bei einem Angriff der ivorisch-weißrussischen Luftwaffe auf ein Militärcamp neun französische Soldaten getötet wurden, befahl der damalige Präsident Jaques Chirac die Zerstörung des gesamten Fluggeräts der Ivorer und die Verlegung von sechshundert Fremdenlegionären zur Verstärkung der im Land befindlichen französischen Friedenstruppe. Eine Folge dessen war, dass es zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen die französische Bevölkerung von Cöte D'Ivoire kam. In den darauf folgenden Evakuierungen unterstützte Großbritannien Frankreich unter anderem durch die Entsendung von Gurkhas. Eine weitere Folge bestand darin, dass die ivorische Regierung, nunmehr ohne Luftwaffe und unter zunehmendem internationalen Druck, in einem militärischen Patt gefangen war. In dieser Situation eines zweigeteilten Landes befindet sich die ehemalige französische Kolonie Elfenbeinküste bis heute.
29 Sandline International in Sierra Leone
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29 Sandline International in Sierra Leone Die Wurzeln von Sandline International liegen im Jahr 1996. Timothy Spicer, ehemaliger Scots Cuard'