Ingo Marzi (Herausgeber) Kindertraumatologie 2. Auflage
Ingo Marzi (Herausgeber)
Kindertraumatologie 2., überarbeite...
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Ingo Marzi (Herausgeber) Kindertraumatologie 2. Auflage
Ingo Marzi (Herausgeber)
Kindertraumatologie 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage
Unter Mitarbeit von Dorien Schneidmüller
Mit Beiträgen von L. Audigé • V. Bühren • C. Castellani • H.-G. Dietz • J. Frank • R. Kraus • A.A. Kurth • L. von Laer • W.E. Linhart • M. Maier • I. Marzi • C. Ploss • S. Rose • W. Schlickewei • P.P. Schmittenbecher • F.J. Schneider • D. Schneidmüller • C. Seebach • M. Seif El Nasr • T. Slongo • A. Thannheimer • T.J. Vogl • A. Weinberg • L.M. Wessel • A. Wetter • A.M. Worel
Mit 611 z.T. zweifarbigen Abbildungen in 1100 Einzeldarstellungen und 50 Tabellen
1 23
Prof. Dr. med. Ingo Marzi Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Universitätsklinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt am Main
ISBN 978-3-642-00989-1
2. Auflage Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York
Die 1. Auflage ist im Steinkopff Verlag Darmstadt erschienen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Springer-Verlag GmbH Ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.
Planung: Kathrin Nühse, Dr. Fritz Kraemer, Antje Lenzen, Heidelberg Projektmanagement: Hiltrud Wilbertz, Heidelberg Titelbild: © claireliz (www.fotolia.com) Zeichnungen: Rose Baumann, Schriesheim; Emil Wolfgang Hanns, Gundelfingen Einbandgestaltung: deblik, Berlin Satz: TypoStudio Tobias Schaedla, Heidelberg SPIN 12566167 Gedruckt auf säurefreiem Papier
106/2111 wi
543210
V
Vorwort zur 2. Auflage Unfälle bei Kindern stellen für alle Beteiligten eine besondere Stresssituation dar, an erster Stelle natürlich für das betroffene Kind. Die Erwartungshaltung der meist beunruhigten und verunsicherten Eltern an den behandelnden Arzt ist außerordentlich hoch. Diese Situation sicher und erfolgreich zu meistern und dem verletzten Kind eine optimale, kindgerechte Behandlung mit bestmöglichem Ergebnis zu gewähren, erfordert umfassende Kenntnisse in der Kindertraumatologie. Vor diesem Hintergrund wurde das vorliegende Buch konzipiert. Es besteht aus einem allgemeinen und einem speziellen Teil. Im allgemeinen Teil werden die Besonderheiten bei Frakturen und Verletzungen im Kindesalter systematisch dargestellt und wachstumstypische Phänomene beschrieben. Prinzipien der konservativen und operativen Frakturbehandlung, der Behandlung von Weichteilverletzungen, die besondere Bedeutung der Röntgendiagnostik und eine kindgerechte Schmerzbehandlung sind darin wesentliche Abschnitte. Im speziellen Teil sind neben der normalen Anatomie und der Röntgendarstellung alle Verletzungen der Extremitäten einschließlich Becken und Wirbelsäule unter Berücksichtigung wachstumsspezifischer Besonderheiten dargestellt. Die spezifischen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sowie technische Hinweise zur konservativen und operativen Behandlung sind in klar strukturierten Übersichten zusammengestellt. Der einheitliche Aufbau mit Schemazeichnung und Röntgenbild erleichtert die Orientierung und ermöglicht ein schnelles Nachschlagen. Die aktuellen Klassifikationen von Frakturen im Kindesalter sind in den Übersichten mit aufgenommen. Die einzelnen Kapitel werden durch Fallbeispiele charakteristischer Verletzungen, wie sie am häufigsten im Kindesalter vorkommen, abgerundet. Diese umfassende Darstellung der Kindertraumatologie ist erst möglich geworden durch die Mitarbeit zahlreicher Autoren aus unfallchirurgischen, kinderchirurgischen und orthopädischen Kliniken im In- und Ausland. Sie alle engagieren sich über ihre Kliniken hinaus in nationalen und internationalen Fachgesellschaften, wie der Sektion Kindertraumatologie der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO), der Vereinigung LiLa – Licht und Lachen für kranke Kinder und in vielen anderen Bereichen. Für diese engagierte Mitarbeit zur optimalen Behandlung von verletzten Kindern danke ich allen Autoren ganz besonders. Meiner Mitarbeiterin Frau Dr. Schneidmüller gilt mein ausdrücklicher Dank für die große Unterstützung bei der Realisierung dieses Projektes. Allen Autoren danke ich für Aktualisierung der Kapitel dieser 2. Auflage. Frau Dr. Volkert danke ich nochmals für die konstruktive Umsetzung der 1. Auflage und dem Springer Verlag und hier besonders Frau Wilbertz für die Realisierung dieser 2. Auflage in einem neuen Format. Dieses Lehr- und Arbeitsbuch soll neben der systematischen Weiterbildung und Vertiefung der Kenntnisse in der Kindertraumatologie auch als Leitfaden für die tägliche Arbeit eingesetzt werden und so dazu beitragen, dass allen verletzten Kindern eine altersentsprechende, erstklassige und erfolgreiche Behandlung zuteil wird.
Frankfurt, im November 2009 Professor Dr. med. Ingo Marzi
VII
Inhaltsverzeichnis I 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.2 1.2.1 1.2.2 1.3 1.3.1 1.3.2 1.4
Knochenwachstum und Knochenheilung . . . . . 1 L. v. Laer Knochenwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dickenwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Längenwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Knochenheilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kallusbildung und Konsolidationszeiten . . . . . . . . . . Heilungszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heilungsstörungen und Wachstumsstörungen (WTS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dickenwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Längenwachstum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spontankorrekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 2 2 3 3 4 5 5 6 8
2
Verletzungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
L. v. Laer Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Gelenkbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Gelenknaher Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Schaftbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Luxationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Schulter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Ellenbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Hüfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Knie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
3
Frakturklassifikationen im Kindesalter . . . . . . .19
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.2
5
Radiologische Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .37
5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.2 5.3 5.4 5.4.1 5.4.2
Th.J. Vogl, A. Wetter und D. Schneidmüller Radiologische Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Radiographie (klassisches Röntgen) . . . . . . . . . . . . . . 38 Sonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Computertomographie (CT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Magnetresonanztomographie (MRT) . . . . . . . . . . . . . 38 Weitere Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Entwicklung des kindlichen Skeletts . . . . . . . . . . . . . 39 Diagnostische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Besondere kindliche Frakturformen . . . . . . . . . . . . . . 44 Wirbelsäulenfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Pathologische Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
Allgemeiner Teil
T. Slongo, L. Audigé, D. Schneidmüller und L. v. Laer AO-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter . . . . 20 Knochen und Segment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Fraktur-Subsegment-Code . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Kindercode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Frakturschweregradcode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Ausnahme- und Dislokationscode . . . . . . . . . . . . . . . 22 Li-La-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
4
Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .31
4.1 4.2 4.3 4.4 4.5
R. Kraus Oberarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Unterarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Oberschenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Unterschenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Verletzungsschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
6
Behandlungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .49
6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4
A.M. Worel und T. Slongo Konservative Therapiemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . 50 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Konservative Frakturbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . .55 Technische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Konsolidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Operative Therapiemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Reposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Osteosyntheseverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Andere Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Metallentfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
7 7.1 7.2 7.3 7.3.1 7.3.2 7.4 7.5 7.6 7.7
Gefäßverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .75 J. Frank Ursachen, Verletzungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . 76 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Scharfe direkte Gefäßverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Stumpfe direkte und indirekte Gefäßverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Primärbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Komplikationen, Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . 77 Nachkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
8
Nervenverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .79
8.1 8.2 8.3 8.4 8.5 8.6 8.7
J. Frank Ursachen, Verletzungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . 80 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Primärbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Komplikationen, Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . 82 Nachkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
VIII
Inhaltsverzeichnis
9
Sehnenverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .85
9.1 9.2 9.2.1 9.2.2 9.3 9.3.1 9.3.2 9.4 9.5 9.5.1 9.5.2 9.6 9.7
J. Frank Ursachen, Verletzungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . 86 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Strecksehnen der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Beugesehnen der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Strecksehnenverletzungen der Hand . . . . . . . . . . . . . 89 Beugesehnenverletzungen der Hand . . . . . . . . . . . . 89 Primärbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Strecksehnenverletzungen der Hand . . . . . . . . . . . . . 90 Beugesehnenverletzungen der Hand . . . . . . . . . . . . 91 Komplikationen, Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . 92 Nachkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93
10
Medikamentöse Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .95
T. Slongo und D. Schneidmüller 10.1 Schmerztherapie und Sedierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 10.1.1 Leitgedanken zur Schmerzbehandlung . . . . . . . . . . 96 10.1.2 Voraussetzung für eine adäquate Schmerzbehandlung in einer mittelgroßen Kinderklinik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 10.1.3 Erhebung der Schmerzanamnese . . . . . . . . . . . . . . . . 97 10.1.4 Schmerzerfassungsinstrumente (Scores) bei Kindern und Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 10.1.5 Schmerzprotokolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 10.1.6 Medikamentöse Schmerztherapie bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen . . . . . . . . . 100 10.1.8 Durchführung von ambulanten Kleineingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 10.1.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 10.2 Antibiotikaprophylaxe und -therapie . . . . . . . . . . . . 106 10.2.1 Antibiotikaprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 10.2.2 Antibiotikatherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 10.3 Thromboseprophylaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
II
Spezieller Teil
11
Schulter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
11.1 11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.1.5 11.2 11.2.1 11.2.2
W. Schlickewei, M. Seif El Nasr, W.E. Linhart und F.J. Schneider Schultergürtel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Frakturen der Klavikula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Verletzungen des Akromioklavikulargelenks . . . . 118 Verletzungen des Sternoklavikulargelenks . . . . . . 120 Frakturen der Skapula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Glenohumeralgelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Glenohumerale Luxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
12
Oberarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
12.1 12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4
W.E. Linhart und F.J. Schneider Proximaler Humerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Frakturen des proximalen Humerus . . . . . . . . . . . . . 134 Diaphysäre Frakturen des Humerus . . . . . . . . . . . . . 136 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
13
Ellenbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
13.3.3 13.3.4
L.M. Wessel, D. Schneidmüller, A. Weinberg und C. Castellani Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Suprakondyläre Humerusfrakturen . . . . . . . . . . . . . . 143 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Epikondyläre distale Humerusfrakturen . . . . . . . . . 157 Transkondyläre distale Humerusfrakturen (Gelenkfrakturen des Condylus radialis, des Condylus ulnaris und Y-Fraktur des distalen Humerus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Ellenbogenluxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
14
Proximaler Radius und Olekranon . . . . . . . . . 167
13.1 13.1.1 13.2 13.2.1 13.3 13.3.1 13.3.2
P.P. Schmittenbecher Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Altersabhängige Röntgenbefunde . . . . . . . . . . . . . . 169 Luxationen und Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 14.2.1 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 14.1 14.1.1 14.2 14.2.1
15
Unterarm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
C. Ploss und I. Marzi 15.1 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 15.1.1 Knochenkerne und Fugenschluss . . . . . . . . . . . . . . . 186 15.2 Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 15.2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 15.2.2 Inzidenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 15.2.3 Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 15.2.4 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 15.2.5 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 15.2.6 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
16
Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
J. Frank und I. Marzi 16.1 Frakturen der Handwurzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 16.1.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 16.1.2 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 16.1.3 Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
IX Inhaltsverzeichnis
16.1.4 16.1.5 16.1.6 16.1.7 16.2
16.2.1 16.2.2 16.2.3 16.2.4 16.2.5 16.2.6 16.2.7 16.2.8 16.3
16.3.1 16.3.2 16.3.3 16.3.4 16.3.5 16.3.6 16.3.7 16.3.8 16.3.9 16.4
17
Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Komplikationen/Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . 209 Mittelhandfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Therapieziel/Korrekturgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Komplikationen/Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . 213 Fingerfrakturen und Fingerluxationen . . . . . . . . . . 217 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Therapieziel/Korrekturgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Konservative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Komplikationen/Wachstumsstörungen . . . . . . . . . . 222 Nachkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
Oberschenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
M. Maier, D. Schneidmüller und I. Marzi 19.1 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 19.1.1 Knochenkerne und Fugenschluss . . . . . . . . . . . . . . . 262 19.2 Frakturen des Femurschaftes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 19.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 19.3 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
20
Knie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
20.3.2 20.3.3 20.4 20.4.1 20.4.2 20.4.3 20.5 20.5.1
D. Schneidmüller und I. Marzi Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Entwicklung der Beinachse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Frakturen des Kniegelenks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Verletzungen der Patella . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Patella partita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Patellafraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Patellaluxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Bandverletzungen am kindlichen Knie . . . . . . . . . . 295 Eminentia-intercondylaris-Ausrisse . . . . . . . . . . . . . . 295 Intraligamentäre Kreuzbandläsionen . . . . . . . . . . . . 296 Femorale Kollateralbandausrisse . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Meniskusschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Scheibenmeniskus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
21
Unterschenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
20.1 20.1.1 20.2 20.2.1 20.2.2 20.3
20.3.1
Becken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
17.2.2 17.2.3 17.3 17.4
A. Thannheimer und V. Bühren Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Altersabhängige Röntgenbefunde . . . . . . . . . . . . . . 226 Frakturen des Beckens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Avulsionsverletzungen (=Apophysenabrissfrakturen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Beckenrand- und Beckenringfrakturen . . . . . . . . . . 230 Azetabulumfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Komplexverletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
18
Hüfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
17.1 17.1.1 17.2 17.2.1
19
D. Schneidmüller und I. Marzi 21.1 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 21.1.1 Faszienlogen des Unterschenkels . . . . . . . . . . . . . . . 304 21.2 Frakturen des Unterschenkelschaftes . . . . . . . . . . . 304 21.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 21.2.2 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 21.3 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
22 H.-G. Dietz und D. Schneidmüller 18.1 Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 18.2 Frakturen des proximalen Femurs . . . . . . . . . . . . . . . 247 18.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 18.2.2 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 18.2.3 Behandlungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 18.3 Apophysenlösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 18.4 Traumatische Hüftluxationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 18.5 Coxitis fugax, Morbus Perthes und Epiphysiolysis capitis femoris (ECF) . . . . . . . . . . . . . . 250 18.5.1 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
22.1 22.1.1 22.1.2 22.2 22.2.1 22.2.2 22.3
22.3.1 22.4
22.4.1 22.5
Sprunggelenk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 D. Schneidmüller und I. Marzi Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Knochenkerne und Fugenschluss . . . . . . . . . . . . . . . 318 Altersabhängige Röntgenbefunde . . . . . . . . . . . . . . 319 Frakturen der distalen Tibia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Distorsionstrauma des Sprunggelenks . . . . . . . . . . 327 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Osteochondrosis dissecans tali . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
X
Inhaltsverzeichnis
23
Fuß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
23.6
D. Schneidmüller und I. Marzi Physiologische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 Knochenkerne und Fugenschluss . . . . . . . . . . . . . . . 340 Verletzungen im Bereich des Fußskeletts . . . . . . . . 341 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Talusfraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Kalkaneusfraktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 Fußwurzelfraktur – Verletzungen des Vorfußes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
24
Wirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
23.1 23.1.1 23.2
23.2.1 23.3 23.3.1 23.4
23.4.1 23.5
23.5.1
24.1 24.1.1 24.2 24.3 24.3.1 24.3.2 24.3.3 24.3.4 24.3.5 24.3.6 24.3.7 24.3.8 24.4 24.5 24.6 24.7
25
25.1 25.1.1 25.1.2 25.1.3 25.1.4 25.1.5 25.1.6 25.2 25.2.1 25.2.2 25.2.3
S. Rose und I. Marzi Physiologie, Anatomie und Entwicklung der Wirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Physiologische Röntgenbefunde . . . . . . . . . . . . . . . . 357 Verletzungen der Wirbelsäule – Allgemeines . . . . 358 Verletzungen der Halswirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . 364 Okzipitalfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Atlantookzipitale Dislokationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 Atlasfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 Atlantoaxiale Dislokationen (AAD) . . . . . . . . . . . . . . 369 Axis- und Densfrakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Os odontoideum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Verletzungen des Segments C2/C3 und Pseudosubluxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Verletzungen von C3-C7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 Verletzungen der thorakalen Wirbelsäule . . . . . . . 380 Verletzungen der lumbalen Wirbelsäule . . . . . . . . . 382 Rückenmarksschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
Knochentumoren und pathologische Frakturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 C. Seebach und A.A. Kurth Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Epidemiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Diagnostische Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Bildgebende Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Biopsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Benigne Knochentumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Osteoidosteom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Osteoblastom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Enchondrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394
25.2.4 Multiple Enchondromatose (chondrale Dysplasie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 25.2.5 Osteochondrom (osteokartilaginäre Exostose) . . . 395 25.2.6 Multiple kartilaginäre Exostosen . . . . . . . . . . . . . . . . 395 25.2.7 Chondroblastom (Codman-Tumor) . . . . . . . . . . . . . . 395 25.2.8 Chondromyxoidfibrom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 25.2.9 Nichtossifizierendes Knochenfibrom (NOF) . . . . . . 396 25.3 Maligne Knochentumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 25.3.1 Osteosarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 25.3.2 Ewing-Sarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 25.3.3 Fibrosarkom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 25.4 Semimaligne Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 25.4.1 Riesenzelltumor (Osteoklastom) . . . . . . . . . . . . . . . . 399 25.5 Tumorähnliche Knochenläsionen . . . . . . . . . . . . . . . 399 25.5.1 Solitäre Knochenzyste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 25.5.2 Aneurysmatische Knochenzyste . . . . . . . . . . . . . . . . 400 25.5.3 Fibröse Dysplasie (Morbus Jaffé-Lichtenstein) . . . 401 25.5.4 Eosinophiles Granulom (Langerhans-ZellHistiozytose, Histiocytosis X) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
26
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
XI
Autorenverzeichnis PD Dr. med. Laurent Audigé, DVM PhD
Prof. Dr. med. Wolfgang E. Linhart
Methodology AO Clinical Investigation and Documentation Stettbachstrasse 6 8600 Dübendorf, Schweiz
Abteilung für Kinderorthopädie Universitätsklinik für Kinderchirurgie Auenbrugger Platz 34 8036 Graz, Österreich
Prof. Dr. med. Volker Bühren
Dr. med. Marcus Maier
Unfall- und Wiederherstellungschirurgie Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau Prof.-Küntscher-Straße 8 82418 Murnau
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60596 Frankfurt
Dr. med. Christoph Castellani
Prof. Dr. med. Ingo Marzi
Universitätsklinik für Kinderchirurgie Auenbrugger Platz 34 8036 Graz, Österreich
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Universitätsklinikum der Johann Wolfgang GoetheUniversität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60590 Frankfurt am Main
Prof. Dr. med. Hans-Georg Dietz Kinderchirurgische Klinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital Klinikum der Universität München Lindwurmstraße 4 80337 München
Dr. med. Carola Ploss Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie Klinikum Pforzheim GmbH Kanzlerstraße 2–6 75175 Pforzheim
PD Dr. med. Johannes Frank Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60596 Frankfurt
Prof. Dr. med. Stefan Rose Chirurg, Unfallchirurg, Handchirurg Groupe Chirurgical Ettelbruck 151, Av. Salenty 9080 Ettelbruck, Luxemburg
Dr. med. Ralf Kraus Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH Rudolf-Buchheim-Straße 7 35392 Gießen
Prof. Dr. med. Andreas A. Kurth Klinik für Orthopädie und orthopädische Chirurgie Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Langenbeckstraße 1 55131 Mainz
Prof. Dr. med. Wolfgang Schlickewei Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Kindertraumatologie St.-Josefs-Krankenhaus Freiburg Sautierstraße 1 79104 Freiburg
Prof. Dr. med. Peter P. Schmittenbecher
Prof. Dr. med. Lutz von Laer
Kinderchirurgische Klinik Städtisches Klinikum Karlsruhe gGmbH Moltkestraße 90 76133 Karlsruhe
Burgstrasse 12 4125 Riehen, Schweiz
Dr. med. Frank J. Schneider Abteilung für Kinderorthopädie Universitätsklinik für Kinderchirurgie Auenbrugger Platz 34 8036 Graz, Österreich
XII
Autorenverzeichnis
Dr. med. Dorien Schneidmüller
Dr. med. Axel Wetter
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60596 Frankfurt
Klinik für Radiologie und Neuroradiologie Klinikum Duisburg, Wedau Kliniken Zu den Rehwiesen 9 47055 Duisburg
Dr. med. Caroline Seebach
Dr. med. Andreas M. Worel
Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60596 Frankfurt
Grabmattweg 13 2545 Selzach, Schweiz
Dr. med. Mahmoud Seif El Nasr Abteilung für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie St.-Nikolaus-Stiftshospital GmbH Hindenburgwall 1 56626 Andernach
Dr. med. Theddy Slongo Abteilung für Kinderchirurgie Chirurgische Universitäts-Kinderklinik Inselspital 3010 Bern, Schweiz
Dr. med. Andreas Thannheimer Abteilung für Unfallchirurgie und Sportorthopädie Klinikum Garmisch-Partenkirchen Auenstraße 6 82467 Garmisch-Partenkirchen
Prof. Dr. med. Thomas J. Vogl Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7 60596 Frankfurt
Prof Dr. med. Annelie Weinberg Kindertraumatologie Research Unit: Unfallverhütung und -prophylaxe Universitätsklinik für Kinderchirurgie Auenbrugger Platz 34 8036 Graz, Österreich
Prof. Dr. med. Lucas M. Wessel Kinderchirurgische Klinik Universitätsmedizin Mannheim Klinikum Mannheim GmbH Theodor-Kutzer-Ufer 1-3 68163 Mannheim
1
Knochenwachstum und Knochenheilung L. v. Laer
1.1
Knochenwachstum – 2
1.1.1 1.1.2
Dickenwachstum – 2 Längenwachstum – 2
1.2
Knochenheilung – 3
1.2.1 1.2.2
Kallusbildung und Konsolidationszeiten Heilungszeiten – 4
1.3
Heilungsstörungen und Wachstumsstörungen (WTS) – 5
1.3.1 1.3.2
Dickenwachstum – 5 Längenwachstum – 6
1.4
Spontankorrekturen – 8
– 3
2
1
Kapitel 1 · Knochenwachstum und Knochenheilung
1.1
Knochenwachstum
II
III
I
IV V
1.1.2 Längenwachstum
Das Längenwachstum erfolgt durch das Organ der Wachstumsfuge, der Physe. An jedem Ende der vier großen Röhrenknochen finden sich je eine Fuge an den Phalangen von Fingern und Zehen; sowie an den Metakarpalia und den Metatarsalia ist jeweils auch nur eine Wachstumsfuge angelegt. Diese sitzen an den Phalangen proximal, an den Metakarpalia und den Metatarsalia distal. Der erste Strahl macht dabei jeweils eine Ausnahme, die Fuge des Metacarpale I und die des Metatarsale sitzen proximal (⊡ Abb. 1.1). Bei den großen Röhrenknochen sind die Fugen am jeweiligen Längenwachstum der einzelnen Knochen unterschiedlich beteiligt (⊡ Abb. 1.2). Dieses Phänomen des exzentrischen Wachstums ist an den oberen Extremitäten ausgeprägter als an den unteren.
III IV
1.1.1 Dickenwachstum
Der Knochen wächst mit Hilfe der Wachstumsfuge in die Länge, mit Hilfe des periostendostalen Systems in die Dicke. Durch periostalen Knochenanbau wird die Dickenzunahme gewährleistet, durch gleichzeitigen endostalen Abbau wird eine Gewichtszunahme verhindert. Das heißt, während der auf der einen Seite durch das Periost angebaut wird, wird er auf der anderen Seite durch das Endost abgebaut, um den als Röhrenknochen angelegten Knochen auch als solchen zu erhalten. Der Körper folgt dabei stets dem von Roux formulierten Gesetz, dass er versucht, mit einem Minimum an Material ein Optimum an Belastbarkeit zu gewährleisten. Diese beiden Systeme, Endost und Periost, stehen im funktionellen Gleichgewicht zueinander. Sie gewährleisten die Heilung von Frakturen (s.u.) ebenso wie das Remodeling von Kallusmassen, Achsabweichungen usw. Ihre Funktion (Anbzw. Abbau) ist – zweckgebunden – austauschbar.
II
V
I
⊡ Abb. 1.1. Lokalisation der Fugen an Hand und Fuß. Phalangen und Metatarsalia bzw. Metakarpalia weisen jeweils eine Fuge auf. Diese liegt bei den Metatarsalia/Metakarpalia distal, bei den Phalangen proximal. Eine Ausnahme macht jeweils das Metatarsale/Metakarpale des 1. Strahls, hier liegt die Fuge proximal wie bei den Phalangen
30%
80%
55%
20%
20%
Aufbau der Fuge Der für das Längenwachstum verantwortliche Teil der Wachstumsfuge, die Physe, grenzt auf der einen Seite an den Gelenkträger, die Epiphyse, auf der anderen Seite an die Metaphyse, den Übergang zum Schaft. Im Bereich, der unmittelbar an die Epiphyse angrenzt, erfolgt im so genannten Stratum germinativum der eigentliche Längenzuwachs durch die Proliferation von Knorpelzellen. Diese ordnen sich metaphysenwärts zunehmend pallisadenförmig an und bilden den so genannten Säulenknorpel. Die Knorpelzellen werden sozusagen auf Kosten der Grundsubstanz zunehmend größer, bilden den Blasenknorpel
80%
70%
45%
⊡ Abb. 1.2. Wachstumsanteil der einzelnen Wachstumsfugen der langen Röhrenknochen. An jedem Ende der vier langen Röhrenknochen befindet sich je eine Epiphysenfuge. Der Wachstumsanteil der einzelnen Fugen am Längenwachstum der einzelnen Knochen ist unterschiedlich. Die proximale Humerusfuge ist zu 80%, sämtliche Fugen um den Ellenbogen sind zu 20% und die Fugen des distalen Vorderarms wieder zu 80% am Längenwachstum der jeweiligen Knochen beteiligt. An den unteren Extremitäten ist diese Exzentrizität weniger deutlich ausgeprägt. Die Fuge des proximalen Femurs hat einen Wachstumsanteil von 30%, die distale von 70%, die proximale Tibiafuge von 55% und die distale von 45%.
3 1.2 · Knochenheilung
Mineralisation
ohne Proliferation
Proliferation
mit Proliferation
⊡ Abb. 1.3. Schematischer Aufbau der Wachstumsfuge. Aus klinischer Sicht sind zwei Teile voneinander zu unterscheiden, der epiphysennahe Teil mit Proliferationspotenz (Stratum germinativum und die beginnende Schicht des Säulenknorpels) und der metaphysennahe Teil ohne Proliferationspotenz (Säulenknorpel, Blasenknorpel). Die Fuge wird durch drei wesentliche Gefäßsysteme ernährt, ein epiphysäres, ein metaphysäres und ein periostales, die miteinander kommunizieren können.
bis sie schon im Bereich der Metaphyse zunehmend mineralisiert und in Knochensubstanz umgebaut werden. Die Ernährung der gesamten Fuge erfolgt über drei Gefäßsysteme, ein periostales, ein epiphysäres und ein metaphysäres System, die miteinander kommunizieren können. Funktionell gesehen steht der Aggression der Proliferation des epiphysären Anteils der Fuge die Aggression der Mineralisation des metaphysären Anteils der Fuge gegenüber (⊡ Abb. 1.3). Beide Systeme halten sich während der eigentlichen Phase des Wachstums im Gleichgewicht. Aus klinisch funktioneller Sicht genügt es daher, lediglich zwei wesentliche Teile der Fuge voneinander zu unterschieden, den epiphysären Anteil mit Proliferationspotenz und den metaphysären Anteil ohne Proliferationspotenz.
a
b
⊡ Abb. 1.4. Physiologischer Fugenschluss. a Die Mineralisation beginnt aus dem metaphysären Bereich der Fuge sozusagen punktförmig auf den epiphysennahen Teil der Fuge überzugreifen. b Von dort breitet sie sich langsam über die gesamte Fuge aus. Bei der distalen Tibia beginnt der Verschluss exzentrisch im ventralen Bereich des medialen Malleolus und breitet sich von dort nach dorsal und nach ventral aus, bis zum Schluss der laterale Quadrant der Fuge verknöchert wird.
zum 10./12. Lebensjahr sind aufbauende und mineralisierende Kräfte im Gleichgewicht, der Knochen wächst. Hormonelle und humerale Einflüsse führen dann gegen das Ende der Wachstumsphase zu einer kurzen Ruhephase, in der meta- und epiphysäre Funktion der Fuge ruhen, der Knochen hört für einen Moment auf zu wachsen, die Fuge hat aber noch Wachstumspotenzial. Mineralisation und Proliferation haben einen kurzen »Waffenstillstand« geschlossen. Diese kurze Ruhephase geht dann schnell in die eigentliche Verschlussphase über, in der die Proliferationspotenz zunehmend versiegt und die Mineralisation immer mehr auf die Fuge übergreift und diese durchwandert. Dieser Vorgang beginnt meist exzentrisch – wie wir es zumindest an der distalen Tibiafuge kennen –, höchstwahrscheinlich im Bereich des Punktes der essenziellen Ernährung der Fuge (⊡ Abb. 1.4). Der Zeitpunkt des Schlusses ist individuell und vom Geschlecht, aber auch vom Wachstumspotenzial der einzelnen Fugen abhängig.
1.2
Knochenheilung
1.2.1 Kallusbildung und Konsolidationszeiten
Sistieren des Wachstums – physiologischer Fugenschluss Die Wachstumsfuge macht im Lauf ihres Lebens drei unterschiedliche Phasen von unterschiedlicher Länge durch. Während des eigentlichen Wachstums – von der jeweiligen Lokalisation der Fuge abhängig – bis etwa
Die Knochenbruchheilung erfolgt im Wachstumsalter selbst im Rahmen stabiler Osteosynthesen praktisch immer sekundär über Kallusbildung. Das Frakturhämatom wird anfänglich bindegewebig organisiert. In diesen fixierenden Bindegewebskallus wandern Osteoblasten ein
1
4
1
Kapitel 1 · Knochenwachstum und Knochenheilung
und führen zur langsam zunehmenden Mineralisation des Fixationskallus und damit zur zunehmenden Stabilisierung der Fraktur. Damit wird die Fraktur bewegungsund später auch belastungsfähig stabilisiert. Die Wiederherstellung der ursprünglichen Form erfolgt dann, auch induziert durch die funktionellen Beanspruchungen, erst im Lauf der Zeit je nach Alter des Patienten und Richtung der funktionellen Nutzung bis zur vollständigen Wiederherstellung der ehemaligen Form. Dieser Vorgang kann, abhängig von der Kallusbildung, Monate, sogar Jahre dauern, wenn gleichzeitig auch noch die Spontankorrektur einer Achsabweichung stattfindet (s.u.).
Das Ausmaß der Kallusbildung ist von unterschiedlichen Faktoren abhängig. Je mehr Achsabweichungen vorliegen, desto größer ist der Kallus, vor allem in der Konkavität von Achsenknicken. Je instabiler die Fraktur und je jünger das Kind, desto mehr Kallus bildet sich (Beispiele: Klavikulafrakturen, Apophysenausrisse am Becken, Oberschenkelfrakturen bei Neugeborenen usw.). Die Heilungszeit bis zur bewegungsstabilen Konsolidierung ist von der Frakturfläche und von der Lokalisation der Fraktur abhängig. Schrägfrakturen mit der größeren Frakturfläche heilen nahezu doppelt so schnell wie Querfrakturen, metaphysäre Frakturen fast doppelt so schnell wie diaphysäre. Der Fixationskallus ist anfänglich palpatorisch sehr schmerzhaft und wird mit zunehmender Mineralisierung indolenter. Nach den üblichen Ruhigstellungszeiten (s.u.) ist der Kallus bei der Palpation indolent. Dies ist das klinische Zeichen der Bewegungsstabilität. Der Patient benötigt im Blick auf die Frakturheilung keine weitere Ruhigstellung mehr. Eine radiologische Bestätigung dieses Phänomens ist grundsätzlich nicht erforderlich. Wird das Konsolidationsröntgen aus anderen Gründen durchgeführt, so spricht eine periostale Kallusüberbrückung des Frakturspaltes im Bereich dreier Kortikales (von vier in zwei Ebenen dargestellten) für die bewegungsstabile Heilung der Fraktur (⊡ Abb. 1.5).
1.2.2 Heilungszeiten
Die üblichen Konsolidationszeiten der häufigsten Frakturen bis zur bewegungsstabilen Heilung der Fraktur sind in ⊡ Tab. 1.1 dargestellt.
⊡ Tab. 1.1. Richtwerte für durchschnittliche Konsolidationszeiten
⊡ Abb. 1.5. Schema der Beurteilung der Bewegungsstabilität im Konsolidationsröntgenbild. Wenn der Frakturspalt an drei von vier im a.-p. und seitlichen Röntgenbild dargestellten Kortikales periostal überbrückt ist, ist die Fraktur aus radiologischer Sicht als bewegungsstabil zu bezeichnen.
Frakturlokalisation
Konsolidationszeit (Wochen)
2–3 2–3 3–6 3–4 3–4 4–6 3–4 6–12 4–12 3–6 3–4 3–4 4–5 3–4 3–4 1–2
Klavikula Humerus proximal Humerusschaft Humerus distal Unterarm proximal Ulnaschaft, Radiusschaft Unterarm distal Handwurzel Schenkelhals Femurschaft Femur distal Tibia proximal Tibiaschaft Tibia distal Metakarpale und Metatarsale Finger und Zehen
5 1.3 · Heilungsstörungen und Wachstumsstörungen (WTS)
1.3
Heilungsstörungen und Wachstumsstörungen (WTS)
1.3.1 Dickenwachstum
Störungen des Dickenwachstums äußern sich in Heilungsstörungen, wenn die Konsolidation einer Fraktur ganz oder teilweise ausbleibt, d.h. wenn es zu vollständigen oder partiellen Pseudarthrosen kommt. Vollständige Pseudarthrosen im Schaftbereich – ob hyper- oder atroph – sind außerordentlich selten, ihre Ursachen sind entweder pathologisch oder iatrogen. Sie haben, vor allem wenn es sich um hypertrophe Pseudarthrosen handelt, eine gute Prognose. Im meta-/epiphysären Bereich sind zwei Lokalisationen bekannt, die für Pseudarthrosen aufgrund der an den Fragmenten ansetzenden Muskelzüge und der dadurch bedingten chronischen Instabilität geradezu prädestiniert sind: die konservativ behandelte dislozierte Fraktur des Condylus radialis humeri (Ursache iatrogen) und die konservativ und operativ behandelte Fraktur des Epicondylus ulnaris (Ursache iatrogen und idiopathisch?). Während beim einen eine schwere Gelenkdeformität resultiert (⊡ Abb. 1.6), sind beim anderen die Folgen eher gering einzuschätzen. Nur in etwa 10% nach Pseudarthrosen des Epicondylus ulnaris werden Beschwerden angegeben, die behandlungsbedürftig sind und auch behandelt werden können.
⊡ Abb. 1.6. Schema einer Pseudarthrose des Condylus radialis humeri. Bei konservativ behandelten dislozierten Frakturen besteht die große Gefahr, dass es zu echten Pseudarthrosen kommt. Das Fragment deformiert sich bis Wachstumsabschluss und weicht meist nach dorsoradial aus, sodass zum Schluss eine erhebliche Deformität des Gelenks resultiert, meist verbunden mit einer Valgusdeformität.
Während bei Pseudarthrosen des Condylus radialis nahezu jeder Patient im Lauf der Zeit Beschwerden bekommt, die nur bedingt behandelt werden können (eine sekundäre Rekonstruktion des Gelenks ist nicht mehr möglich). Partielle Pseudarthrosen bzw. Konsolidationsstörungen und -verzögerungen finden wir an zwei typischen Stellen: diaphysär im Rahmen von klassischen Grünholzfrakturen, die im Falle einer Therapie nicht vollständig durchgebrochen wurden. Dabei heilt die Fraktur im Bereich der angebrochenen Kortikalis prompt ab, was aber die Abheilung auf der Seite der vollständig gebrochenen Kortikalis verhindert (⊡ Abb. 1.7); an dieser Stelle bleibt die periostale Überbrückung des Frakturspalts aus. Dadurch besteht die Gefahr einer echten Refraktur (innerhalb eines Jahres bei inadäquatem Trauma), die dann in 20–30% der Fälle auch eintritt. Metaphysär spielt die partielle Konsolidationsstörung klinisch eine Rolle im Rahmen der metaphysären Biegungsbrüche der proximalen Tibia (metaphysäre Grünholzfraktur). Diese
⊡ Abb. 1.7. Schema der Entstehung einer partiellen Pseudarthrose (einer Konsolidationsverzögerung) diaphysär. a Bei diaphysären Grünholzfrakturen ist die eine Kortikalis angebrochen, die andere vollständig durchgebrochen. b Belässt man diese Situation bei der Reposition, ohne dass der klaffende Frakturspalt auf der Konvexseite der Fehlstellung komprimiert wird, so heilt die angebrochene Kortikalis prompt ab, während bei der Gegenkortikalis die Konsolidation ausbleibt. Dies birgt die Gefahr einer Refraktur in sich. c Die gleiche Problematik ist beim Erwachsenen im Rahmen »sperrender« Plattenosteosynthesen bekannt und führt zu den gleichen Folgen, wie bei den inkomplett durchgebrochenen Grünholzfrakturen.
1
6
Kapitel 1 · Knochenwachstum und Knochenheilung
1
a
b
⊡ Abb. 1.8. Schema der Entstehung einer partiellen Pseudarthrose (Konsolidationsverzögerung) metaphysär. Wie bei der Diaphyse kann es auch bei der Metaphyse zu Biegungsbrüchen kommen, die der gleichen Problematik folgen, wie bei den diaphysären Frakturen (⊡ Abb. 1.7). a Auch hier heilt die angebrochene Kortikalis prompt ab, während die Heilung auf der Gegenseite, der des klaffenden Frakturspalts, ausbleibt. b Die Folgen sind anders als bei der Diaphyse, es kommt nicht zur Refraktur, sondern zur partiellen Stimulation der nahe gelegenen Fuge, sozusagen im Rahmen der protrahierten Heilungsbemühungen. Dies verstärkt die primär vorhandene Achsabweichung. Klinisch ist dieses Problem an der proximalen Tibia bedeutungsvoll.
Brüche stehen stets in einer mehr oder weniger ausgeprägten Valgusachsabweichung. Dadurch kommt es auf der lateralen Seite (Konkavität der Achsabweichung) zum prompten Abheilen der Fraktur, während auf der medialen Seite die Konsolidation deutlich verzögert ist. Durch diese Verzögerung bzw. die vermehrten und prolongierten Umbauvorgänge auf der medialen Seite wird die nahe gelegene Fuge einseitig stimuliert, es kommt zum medialen Mehrwachstum (s.u.) und dadurch zur Verstärkung des primär schon vorhandenen Valgus (⊡ Abb. 1.8).
1.3.2 Längenwachstum
Grundsätzlich sind sämtliche Wachstumsstörungen, die das Längenwachstum betreffen, samt ihren Folgen vom Alter des Patienten beim Unfall abhängig. Je älter der Patient ist, desto weniger ausgeprägt sind die Folgen. Die stimulativen Wachstumsstörungen (WTS), bei denen es zur Funktionssteigerung der die Fraktur umgebenden bzw. ihr nahe gelegenen Fugen kommt, sind nach sämtlichen Frakturen im Wachstumsalter zu erwarten, ja obligatorisch. Ihre Folgen sind vom Alter des Patienten beim Unfall sowie von der Dauer der Reparationsvorgänge um die Fraktur abhängig. Erleidet der Patient die Fraktur in seiner eigentlichen Wachstumsphase – bis etwa zum 10. Lebensjahr – so ist mit einer Verlängerung des betroffenen Skelettabschnitts zu rechnen. Fällt die Fraktur in die Ruhe- und Fugenschlussphase, so ist eher mit
⊡ Abb. 1.9. Schema der Folgen stimulativer Wachstumsstörungen (WTS) an den unteren Extremitäten. Nach jeder Fraktur im Wachstumsalter kommt es durch die obligatorischen WTS zu Längenalterationen. Diese spielen lediglich an den unteren Extremitäten im Blick auf die Wirbelsäulenstatik eine Rolle. Häufigkeit und Ausmaß derartiger Differenzen können nur durch Kontrollen erfasst werden, die daher stets funktionell erfolgen sollten.
einer Verkürzung zu rechnen. Je mehr Achsabweichungen, Seit-zu-Seit-Verschiebungen und Kallus remodeliert werden müssen, desto länger ist die Stimulationszeit und desto ausgeprägter sind die Folgen, seien es Verlängerung oder Verkürzung. Dabei überschreitet jedoch das Ausmaß der Differenzen selten den Durchschnitt von 1 cm und spielen die Folgen der Längendiskrepanzen lediglich im Bereich der unteren Extremitäten im Blick auf die Wirbelsäulenstatik eine Rolle (⊡ Abb. 1.9). Sie sollten aus klinischer Sicht daher stets funktionell gemessen werden! Eine partielle Stimulation ist selten und spielt klinisch nur eine Rolle an der proximalen Tibia (⊡ Abb. 1.8) und am Condylus radialis humeri. Nach Frakturen des Condylus radialis humeri kommt es obligatorisch zu einem
1
7 1.3 · Heilungsstörungen und Wachstumsstörungen (WTS)
a a
b
b
c
⊡ Abb. 1.10. Wachstumsstörung stimulativ, partielle Stimulation einer Fuge. a Obligatorisch gehört zur Fraktur des Condylus radialis humeri die partielle Stimulation des betroffenen radialen Fugenanteils. b Je instabiler die Fraktur versorgt wird, desto länger die Konsolidationszeit der Fraktur, desto länger die Dauer der radialen Stimulation und desto ausgeprägter die durch das radiale Mehrwachstum bedingte Varisierung der Ellenbogenachse.
⊡ Abb. 1.11. Wachstumsstörung hemmend, partieller vorzeitiger Verschluss einer Fuge. a Im Rahmen von Epiphysenfrakturen bei noch weit offenen Fugen, aber auch von Epiphysenlösungen, kann b es zur partiellen Verknöcherung der Wachstumsfuge, zur epi-/metaphysären Brückenbildung kommen. c Während der Rest der Fuge normal weiter wächst, sistiert das Wachstum an der Stelle der Brücke. Es kommt zur zunehmenden Deformität, z.B. an der distalen Tibia, bei medialem Verschluss zur zunehmenden Varusdeformität, der die Fibula zwangsläufig folgt.
radialen Mehrwachstum aufgrund einer partiellen Stimulation und damit zur Varisierung der Ellenbogenachse. Je stabiler die Fraktur versorgt wurde, desto kürzer ist die Konsolidationszeit und desto weniger ausgeprägt die Varisierung (⊡ Abb. 1.10). Zusammenfassend sind die stimulativen Wachstumsstörungen obligatorisch nach sämtlichen Frakturen im Wachstumsalter zu erwarten. Ihre Folgen sind vom Alter des Patienten beim Unfall abhängig und ihre Dauer ist begrenzt (maximal bis zu zwei Jahren). Im Gegensatz dazu sind die hemmenden WTS, bei denen die Funktion der Wachstumsfuge gehemmt wird, nur fakultativ nach fugenkreuzenden und fugennahen Frakturen zu erwarten. Auch sie können Teile einer Fuge oder auch die gesamte Fuge betreffen, wobei der partielle vorzeitige Verschluss weitaus häufiger ist als der vollständige Verschluss. Der partielle Verschluss führt zum verkürzenden Achsenfehler, der vollständige Verschluss zur vollständigen Verkürzung des betroffenen Skelettabschnitts ohne zusätzliche Achsabweichung. Diese WTS dauern bis zum Wachstumsabschluss des betroffenen Skelettabschnitts, also deutlich länger als die stimulativen WTS (⊡ Abb. 1.11). Die Ursache der hemmenden WTS kann unterschiedlich sein. Bei den typischen Epiphysenfrakturen (Typ Salter-Harris III und IV) bei noch weit offenen Fugen kann es zum knöchernen Auffüllen des Frakturspalts, auch im Bereich des Stratum germinativum, kommen. Je nach Weite des Frakturspalts ist die so entstandene »Ausheilungsbrücke« mehr oder weniger breit und kann altersabhängig im weiteren Wachstum wieder spontan gesprengt werden oder bleibt und führt dann zum zunehmenden Fehlwachstum. Bei Epiphysenlösungen (Typ Salter-Harris I und II) oder fugennahen Frakturen ist ein derartiges knöchernes Auffüllen des Frakturspalts nicht möglich, hier führen Gefäßschäden zum mehr oder weniger ausgeprägten Untergang des Wachstumsknorpels
mit anschließender Verknöcherung der Nekrosezone im Bereich des Stratum germinativum. Dieser Vorgang kann sich selbstverständlich auch im Rahmen der Epiphysenfrakturen (Typ Salter-Harris III und IV) abspielen. Derartige Nekrosenbrücken sind zu breit, um durch die Wachstumsschubkräfte gesprengt zu werden. Grundsätzlich besteht kein Unterschied zwischen der Wachstumsprognose von Epiphysenfrakturen und Epiphysenlösungen. Letztere kommen, vor allem im Bereich der unteren Extremitäten, jedoch meist in einem Alter vor, in dem WTS mit klinisch relevanten Folgen nicht mehr zu erwarten sind. Hingegen sind neben dem Alter des Patienten noch weitere grundsätzliche Faktoren für das Auftreten hemmender WTS verantwortlich. Einmal das Alter der betroffenen Fuge. Je höher der Wachstumsanteil der Fuge ist, desto länger wächst sie und kann dementsprechend länger Fehlwachstum erzeugen. Das Ausmaß der Dislokation spielt eine wesentliche Rolle. Nach undislozierten Frakturen ist signifikant seltener mit hemmenden Wachstumsstörungen zu rechnen als nach dislozierten Frakturen. Ein weiterer ungeklärter Faktor spielt eine ebenso bedeutende Rolle: Hemmende Wachstumsstörungen treten mit ca. 30% signifikant häufiger im Bereich der unteren Extremitäten auf als mit nur ca. 5% im Bereich der oberen Extremitäten. Nimmt man sämtliche Wachstumsstörungen, stimulative und hemmende, zusammen, so kann man sagen, dass beide schicksalhaft sind und nicht primär direkt-therapeutisch vermieden werden können. Durch die Therapie können lediglich bessere Voraussetzungen geschaffen werden: für die stimulativen WTS durch Reduktion des Remodelings und für die hemmenden lediglich bei den Epiphysenfrakturen durch Diminuierung eines weiten Frakturspalts. Für Epiphysenlösungen können bezüglich der Wachstumsprognose therapeutisch keine besseren Voraussetzungen geschaffen werden. Die Wachstumspro-
8
1
Kapitel 1 · Knochenwachstum und Knochenheilung
gnose lässt sich durch die Reposition nicht verbessern, höchstens verschlechtern, wenn man rüde und oft genug reponiert und durch zusätzliche operative Maßnahmen die Gefäßversorgung der Fuge beschädigt.
Grundsätzlich ist der wachsende Körper in der Lage, sämtliche Achsabweichungen in allen drei Ebenen des Raumes im Verlauf des Wachstums wieder spontan, d.h. ohne äußeres Zutun, zu korrigieren. Daran sind ganz unterschiedliche Mechanismen beteiligt, die aber ebenso wie auch die WTS grundsätzlich vom Alter des Patienten bei Unfall, von der Lebenserwartung der nächstgelegenen Fuge, von der Funktion bzw. den Funktionsebenen des nächstgelegenen Gelenks und vom Ausmaß der Achsabweichung abhängig sind. Je jünger der Patient, je höher (je langlebiger) der Wachstumsanteil der nächstgelegenen Fuge, je multiplaner das nächstgelegene Gelenk und je größer das Ausmaß der Achsabweichung sind, desto größer und zuverlässiger ist die Korrektur. Dazu gesellt sich ein grundsätzliches Verhalten. Eine Varusdeformität wird am ganzen Körper grundsätzlich besser korrigiert
als eine Valgusdeformität und Achsabweichungen in der Hauptbewegungsebene, der Sagittalebene, werden besser korrigiert als die in der Frontalebene. Der funktionelle Stimulus ist bedeutungsvoller als der statische. An den Spontankorrekturen sind, wie schon gesagt, unterschiedliche Mechanismen beteiligt. Die Seit-zuSeit-Verschiebung wird allein durch das periostendostale System remodeliert (⊡ Abb. 1.12). Achsenknicke in der Frontal- und Sagittalebene werden kombiniert durch das periostendostale Remodeling und gezieltes asymmetrisches Korrekturwachstum der Epiphysenfugen korrigiert. Während im Schaftbereich das Remodeling des eigentlichen Achsenknicks erfolgt, stellen sich die durch den Achsenknick schräg gestellten Epiphysen langsam wieder orthograd zur Belastungsebene ein. Diese beiden Mechanismen scheinen voneinander abhängig zu sein (⊡ Abb. 1.13). Es ist jedoch nicht bekannt, durch welche Faktoren das geschieht. Verkürzungsfehlstellungen können ungezielt durch die stimulativen WTS korrigiert werden, was jedoch unzuverlässig ist. Eine gezielte Längenkorrektur findet sich nur bei paarigen Knochen gegenüber dem Partnerknochen, nicht aber gegenüber der Gegenseite. Da der Mensch über kein Organ für symmetrisches Wachstum
⊡ Abb. 1.12. Schema der Spontankorrektur der Seit-zu-Seit-Verschiebung. Durch Kallusremodeling erfolgt über periostalen An- und Abbau und endostalen Ab- und Anbau die zunehmende Formung der frakturbedingten Strukturveränderungen bis hin zur Restitutio ad integrum.
⊡ Abb. 1.13. Spontankorrektur eines Achsenknicks. Durch das periostendostale Korrektursystem erfolgt das Remodeling im Schaftbereich. Die durch den Achsenknick schräg gestellten Epiphysen (Gelenke) werden durch asymmetrisches Wachstum der Wachstumsfugen selbst wieder senkrecht zur Belastungsebene eingestellt.
1.4
Spontankorrekturen
9 1.4 · Spontankorrekturen
verfügt, muss man damit rechnen, dass posttraumatische Längenalterationen sich im weiteren Wachstum kaum korrigieren werden. Seltene Verlängerungsfehlstellungen werden nicht korrigiert. Rotationsfehler können im Verlauf der physiologischen Detorsionsvorgänge ungezielt korrigiert werden, wobei man noch sehr wenig über das gesamte Phänomen der Detorsionen an den unterschiedlichen Knochen weiß. Bekannt ist bislang in der Literatur die Spontankorrektur von Rotationsfehlern am Oberarm und am Oberschenkel (⊡ Abb. 1.14), beides Lokalisationen, an denen ein Rotationsfehler funktionell hervorragend kompensiert wird, sodass während der relativ langen Zeit der Korrektur der Patient keine Beschwerden hat. Die Rotationsfehler, die von Scharniergelenken umgeben sind, wie z.B. am Unterschenkel oder an den Fingerphalangen, können funktionell nicht kompensiert werden und führen sehr viel schneller zu Beschwerden. Erleichternd ist dabei, dass die funktionell gut kompensierbaren Fehler im Rahmen einer frischen Fraktur weder radiologisch noch klinisch diagnostizierbar und messbar sind und daher auf konservativem Wege auch nicht
korrigiert werden können und müssen. Im Gegensatz dazu sind die funktionell nicht kompensierbaren Fehler klinisch gut beurteil- und messbar, sodass sie im Rahmen einer frischen Fraktur auch gut beseitigt werden können. Spontankorrekturen können in die Therapie integriert werden. Die periostendostalen sowie die epiphysären Korrekturen beeinflussen die Häufigkeit und das Ausmaß von Längendifferenzen, was bei den Korrekturen der Rotationsfehler nicht der Fall ist. Aus diesem Grund sollten nur in Ausnahmefällen erhebliche Achsabweichungen an den unteren Extremitäten den Korrekturkräften des weiteren Wachstums überlassen werden. Ziel der Therapie kann also nur sein, durch die geeignete Primärtherapie den Umfang der Reparation und des Remodelings so klein wie möglich zu halten, um Häufigkeit und Ausmaß posttraumatischer Längendifferenzen den idiopathischen Differenzen zuzuweisen, die bei etwa 25–30% knapp 1 cm betragen. An den oberen Extremitäten hingegen spielen Längendifferenzen im posttraumatischen Rahmen keine Rolle. Hier können also zuverlässige Korrekturen durchaus in die Primär- oder auch Sekundärtherapie integriert werden. Dies sind am proximalen Humerus bis etwa zum 11./12. Lebensjahr Korrekturen bis zu 50° Varusstellung und von Achsabweichungen in der Sagittalebene (⊡ Abb. 1.15), mit
a
ARF
IRF b
⊡ Abb. 1.14. Spontankorrektur von Rotationsfehlern am Beispiel des Oberschenkels. Rotationsfehler am Oberschenkel stellen sich in einer Antetorsionsdifferenz der Schenkelhälse dar. a, b Die Antetorsion nimmt physiologischerweise von Geburt bis Wachstumsabschluss von ca. 35° auf ca. 15° ab. Der Außenrotationsfehler des distalen Fragments (ARF), erkennbar an der verminderten Antetorsion der betroffenen Seite, zieht diese Detorsion praktisch vor. Durch vermehrte einseitige Detorsion kann der Innenrotationsfehler des distalen Fragments (IRF), erkennbar an der vermehrten Antetorsion der betroffenen Seite, im Lauf des weiteren Wachstums wenigstens diminuiert und damit klinisch bedeutungslos werden.
⊡ Abb. 1.15. Integration von Spontankorrekturen in die Therapie. Zuverlässige Spontankorrekturen, wie z.B. die einer Varusachsabweichung im Bereich des proximalen Humerus bis zu 50° und bis zu einem Alter von 12 Jahren können primär und postprimär in die Therapie integriert werden; die Achsabweichung wird zuverlässig korrigiert werden.
1
10
1
Kapitel 1 · Knochenwachstum und Knochenheilung
Abkippungen am proximalen Radiusende bis zu 50° bis zu einem Alter von 10 Jahren (⊡ Abb. 1.16) und Abkippungen nach dorsal und radial von etwa 40° am distalen Radius (⊡ Abb. 1.17). Die Zumutbarkeits- und Toleranzgrenzen werden in den einzelnen Kapiteln des speziellen Teils jeweils aufgeführt werden.
⊡ Abb. 1.16. Integration von Spontankorrekturen in die Therapie. Zuverlässige Spontankorrekturen, wie z.B. die einer radialen Abkippung des Radiuskopfes bis zu 50° und bis zu einem Alter von 10 Jahren können primär und postprimär in die Therapie integriert werden; die Achsabweichung wird zuverlässig korrigiert werden.
⊡ Abb. 1.17. Integration von Spontankorrekturen in die Therapie. Zuverlässige Spontankorrekturen, wie z.B. die einer Dorsal- und Radialabkippung im Bereich des distalen Unterarms bis zu 50° und bis zu einem Alter von 12 Jahren können primär und postprimär in die Therapie integriert werden; die Achsabweichung wird zuverlässig korrigiert werden.
2
Verletzungsformen L. v. Laer
2.1
Frakturen
– 12
2.1.1 2.1.2 2.1.3
Gelenkbereich – 12 Gelenknaher Bereich – 14 Schaftbereich – 15
2.2
Luxationen
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4
Schulter – 16 Ellenbogen – 17 Hüfte – 18 Knie – 18
– 16
12
Kapitel 2 · Verletzungsformen
2.1
2
Frakturen
Im Gegensatz zum Erwachsenen sind die Verletzungen im Wachstumsalter, solange die Wachstumsfugen noch weit offen sind, außerordentlich stereotyp, unabhängig von der Richtung des Unfallmechanismus. Dabei schützt die Fuge das Gelenk, sodass es ganz selten zu Gelenkfrakturen, jedoch sehr viel häufiger zu Epiphysenlösungen und anderen metaphysären Frakturen kommt. Das Verhältnis zwischen artikulären und extraartikulären Frakturen beträgt 1:50. Das schließt komplizierte Trümmerfrakturen im Bereich der Gelenke, wie sie beim Erwachsenen zu finden sind, aus. Selbst die seltenen Frakturen im Gelenkbereich folgen einem stereotypen Muster und stellen an die operative Rekonstruktion kaum die technischen Anforderungen, wie beim Erwachsenen. Während die repräsentativen Gelenkfrakturen der oberen Extremitäten, die Frakturen des Condylus radialis humeri, stets im Hauptbelastungsbereich des Gelenks liegen, verläuft der Frakturspalt bei den repräsentativen Gelenkfrakturen der unteren Extremitäten, der medialen Malleolarfrakturen, stets im Randbereich, außerhalb der Hauptbelastungszone. Dies ändert sich erst mit beginnendem Fugenschluss bei den sog. Übergangsfrakturen. Aber selbst bei diesen Frakturen im Übergangsalter zum Erwachsenen bleibt die Stereotypie – wohl dann eine andersartige – erhalten und folgt noch nicht den willkürlichen Verletzungsmustern der Erwachsenen. Es gibt zahlreiche Einteilungen der Frakturen im Wachstumsalter, die sich meist jedoch auf die Verletzungen der Wachstumsfuge konzentrieren. Dabei geht man davon aus, dass sie einen Hinweis auf die Wachstumsprognose der einzelnen Verletzungen geben würden – dies ist jedoch nicht der Fall. Eine Einteilung sämtlicher Frakturen nach der Wachstumsprognose ist unmöglich, denn diese ist von allzu unterschiedlichen Parametern abhängig (s.o.). Eine Einteilung nach therapeutischen Richtlinien zu formulieren ist ebenso wenig praktikabel, da sich die Therapie einerseits nach der Lokalisation der Fraktur und deren Dislokationsausmaß, andererseits nach individuellen, sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen und Gegebenheiten richten muss. Es bleibt also lediglich die morphologische Beschreibung, um im Disput in der Literatur, in Dokumentationen und dergleichen vergleichsweise zu wissen, wovon man redet. Im Folgenden seien daher kurz die typischen Frakturen im Wachstumsalter und deren Gegebenheiten skizziert; erst im Anschluss daran wird der Versuch einer Klassifikation unternommen, der nicht Vollkommenheit sondern Benutzbarkeit im Rahmen von Dokumentationen zur Qualitätssicherung beansprucht.
2.1.1 Gelenkbereich
Bisher wurden physäre Frakturen in einer einzigen Klassifikation untergebracht (Salter-Harris, Aitken). Da diese nur die morphologische Struktur lediglich in der Fuge, jedoch nicht des betroffenen Knochenabschnitts berücksichtigt, sollten diese, zumindest gedanklich, getrennt werden. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen den tatsächlichen Gelenkfrakturen und den Schaftfrakturen, unabhängig von der Art und Lokalisation einer Fugenschädigung. Bei den Gelenkfrakturen muss man lediglich den Zustand der Fugen beachten, da bei beginnendem Fugenschluss andere Verletzungsformen zu erwarten sind als bei weit offenen Fugen. Bei den Gelenkfrakturen sind also Frakturen bei noch weit offenen Fugen und Frakturen mit beginnendem Fugenschluss zu unterscheiden. Bei den klassischen Gelenkfrakturen z.B. der distalen Tibia steht der Frakturspalt senkrecht zur Belastungsfläche und liegt im exzentrischen, medialen Bereich der Gelenkfläche außerhalb der Belastungszone. Diese Frakturen kommen in zwei Varianten vor (mit und ohne metaphysären Ausbruch) und wurden von Aitken (Aitken Typ II und III) und Salter-Harris (Salter-Harris Typ III und IV) beschrieben. Mit beginnendem physiologischen Fugenschluss liegt der Frakturspalt – bei den so genannten Übergangsfrakturen – üblicherweise schräg zur Gelenkfläche und meist im zentralen bis lateralen Bereich des Gelenks, im Hauptbelastungsbereich. Je nach Unfallmechanismus kann es dann noch zum zusätzlichen Ausbruch eines mehr oder weniger ausgeprägten metaphysären Keils kommen. Diese Frakturen werden meistens fälschlicherweise unter die typischen Malleolarfrakturen subsumiert. Da sie anders behandelt werden müssen und eine andere Wachstumsprognose haben (typische Epiphysenfrakturen können im Gegensatz zu Übergangsfrakturen zu WTS des partiellen Verschlusses mit relevanten Folgen führen) als die typischen Frakturen, sollte man sie jedoch von diesen abgrenzen und anders benennen. Wir müssen also bei den Gelenkfrakturen unterscheiden zwischen fugenkreuzenden Frakturen und solchen, die die Fuge nicht tangieren. Bei den fugenkreuzenden Frakturen müssen wir unterscheiden zwischen den klassischen bei noch weit offenen Fugen und den Übergangsfrakturen. Die klassischen Epiphysenfrakturen wiederum sind einzuteilen in die mit und die ohne metaphysäre Beteiligung. Dies gilt im Grundsatz auch für die Übergangsfrakturen, die meist nur in zwei Ebenen verlaufen und lateral liegen (two plane fractures). Wenn es aber zum Ausbruch eines zusätzlichen metaphysären Keils kommt, ist dieser meist größer als bei den klassischen Frakturen und setzt sich nicht obligatorisch wie diese in eine fugenkreuzende Epiphysenfraktur fort (triplane I),
2
13 2.1 · Frakturen
sondern nur fakultativ (triplane II); dann aber zusätzlich zur ohnehin schon vorhandenen ventralen Epiphysenfraktur (⊡ Abb. 2.1, ⊡ Abb. 2.2). Bei den Gelenkfrakturen, bei denen die Epiphysenfuge nicht tangiert wird, handelt es sich um knöcherne Bandausrisse (z.B. Eminentia-intercondylica-Fraktur der
Salter - Harris III Aitken II
Salter - Harris IV Aitken III
⊡ Abb. 2.1. Fugenkreuzende Epiphysenfrakturen bei noch weit offenen Fugen. Links: epiphysäre Fraktur, rechts: epi-metaphysäre Fraktur.
b
a
⊡ Abb. 2.3. a Epiphysäre Bandausrisse, b Flake Fractures.
I
II
ventra l
ventra l
triplane
twoplane
latera l
proximalen Tibia oder fibulotalarer Bandausriss aus der Fibulaspitze) und um osteochondrale oder chondrale Flake Fractures im Rahmen von Luxationen (z.B. bei Patellaluxationen). Zu ossären, chondralen oder periostalen Bandausrissen kommt es gehäuft bis zum 10./12. Lebensjahr, wenn die Bänder noch stabiler sind als ihr Ansatz. Jenseits dieser Altersgrenze finden sich weitaus häufiger Bandrupturen, was jedoch nicht heißt, dass es unterhalb des 10. Lebensjahrs keine Rupturen und jenseits des 12. Lebensjahrs keine Ausrisse gibt (⊡ Abb. 2.3a, b).
medial
ventra l
⊡ Abb. 2.2. Fugenkreuzende Epiphysenfrakturen bei beginnendem Fugenschluss. Übergangsfrakturen. Links: epiphysäre Fraktur, rechts: epimetaphysäre Fraktur.
14
Kapitel 2 · Verletzungsformen
2.1.2 Gelenknaher Bereich Epiphysenlösung. Die am weitesten peripher liegende
2
der metaphysären Schaftfrakturen ist die Epiphysenlösung. Die Epiphyse ist zwar Träger des Gelenks, dieses ist jedoch durch diese Verletzung nicht direkt betroffen. Die Lösung erfolgt im Bereich des Blasenknorpels, der mechanisch schwächsten Schicht der Wachstumsfuge. Da diese Schicht zusätzlich durch hormonelle Einflüsse präpubertär gelockert wird, kommt es vor allem im Bereich der unteren Extremitäten um die Pubertät herum öfter zu Epiphysenlösungen. Sie zählen mit zu den häufigsten Verletzungen im Wachstumsalter und treten an den oberen Extremitäten etwa viermal häufiger auf als an den unteren (z.B. Fingerphalangen, distaler Radius, proximaler Radius, proximaler Humerus) (⊡ Abb. 2.4).
Salter - Harris I
Salter - Harris II Aitken I
⊡ Abb. 2.4. Epiphysenlösungen. Links: epiphysäre Lösung, rechts: epimetaphysäre Lösung
Stauchungsfrakturen. Etwas weiter im Schaft finden wir die klassische Kontusion des Wachstumsalters, die metaphysären Stauchungsfrakturen. Es handelt sich um wohl schmerzende, jedoch harmlose Frakturen, bei denen meist nur eine Kortikalis eingestaucht, die andere intakt geblieben ist. Sie sind an sämtlichen Metaphysen zu finden, am häufigsten im Bereich des distalen Unterarms (⊡ Abb. 2.5). Grünholzfrakturen. Grünholzfrakturen (Biegungsbrü-
che) sind auch im Bereich der Metaphyse zu finden. Klinisch spielen sie eigentlich nur eine Rolle im Bereich der proximalen Tibia (stimulative WTS und Kap. 20 Knie) (⊡ Abb. 2.6). Cave: Bei Grünholzfrakturen handelt es sich, gleich welcher Lokalisation (Schaft oder Metaphyse), um Biegungsbrüche und nicht um subperiostale Stauchungsbrüche!
⊡ Abb. 2.5. Metaphysäre Stauchungsfrakturen (Wulstbrüche).
Metaphysäre Frakturen. Nicht zu vergessen sind die vollständig durchgebrochenen metaphysären Frakturen, als deren typische Vertreter z.B. die suprakondylären Humerusfrakturen des Typs III und IV anzusehen sind. Stressfrakturen. Stressfrakturen kommen mit zwei Al-
tersgipfeln vor, einmal als »Toddler’s Fractures« im Alter zwischen 2 und 4 Jahren und zum anderen um die Pubertät herum. Bei den Kleinen führt die ungebändigte Freude an der Fähigkeit, laufen und rennen zu können, einerseits zu gehäuften Miniunfällen, zum anderen sicher auch zu einer Überlastung der Knochenstruktur, wodurch es immer wieder zu Fissuren und oft nicht sichtbaren Frakturen im Bereich der Tibia, der Fibula, der Fußwurzelknochen und des Femurs kommen kann. Bei den Größeren ist meist exzessiver Sport Ursache für Überlastungsfrakturen entweder im Bereich der proximalen Tibia oder der Metatarsalia.
⊡ Abb. 2.6. Metaphysäre Biegungsbrüche (Grünholzfrakturen).
15 2.1 · Frakturen
Seitenbandausrisse. Ossäre, chondrale oder periostale metaphysäre Seitenbandausrisse sind im Bereich des distalen Femurs selten einmal möglich (⊡ Abb. 2.7). Muskelausrisse. Vor allem im Bereich des Ellenbogens,
aber auch am Becken kommt es vornehmlich in der Jugend, einerseits hormonell bedingt, andererseits wegen des gesteigerten sportlichen Stresses zu Muskelausrissen mitsamt der Apophyse, an der sie ansetzen (Epicondylus ulnaris, Spina iliaca anterior inferior und superior, Trochanter minor usw.) (⊡ Abb. 2.8). Apophysenfugen weisen die gleiche morphologische Struktur auf wie Epiphysenfugen. Da sie funktionell anders belastet werden (Zugbelastung statt Druckbelastung), sind sie nicht am Längenwachstum der Knochen beteiligt.
2.1.3 Schaftbereich Grünholzfakturen. Typische Frakturen des Wachstumsalters sind Grünholzfrakturen, die am häufigsten im Bereich des Unterarmschafts vorkommen. Um es nochmals zu betonen: bei den Grünholzfrakturen handelt es sich stets um Biegungsbrüche (keine subperiostalen Stauchungsbrüche)! Das bedeutet, dass sie per definitionem stets eine mehr oder weniger ausgeprägte Achsabweichung aufweisen. Wir können drei wesentliche Formen voneinander unterscheiden: die klassische Grünholzfraktur, die gestauchte des Kleinkindalters und die gebogene, die Bowing Fracture (⊡ Abb. 2.9). Bei der klassischen Grünholzfraktur ist die eine Kortikalis (auf der Konkavseite der Achsabweichung) lediglich angebrochen, während die gegenseitige Kortikalis vollständig durchgebrochen ist. Belässt man diese Situation, so heilt die angebrochene Kortikalis, während auf der Gegenseite die frakturüberbrückende Kallusheilung verhindert wird: die prompt abgeheilte Kortikalis sperrt sozusagen die Heilung der anderen. Diese Situation birgt die Gefahr einer Refraktur in sich, die in 20–30% erwartet werden muss. Die gestauchte Grünholzfraktur kommt praktisch nur bis zum 5. Lebensjahr vor und birgt die eben geschilderte Problematik nicht, ebenso wenig wie die geboge-
⊡ Abb. 2.7. Metaphysäre Bandausrisse.
a
⊡ Abb. 2.8. Metaphysäre Muskelausrisse (Apophysenausrisse).
b
c
⊡ Abb. 2.9. Diaphysäre Biegungsbrüche (Grünholzfrakturen). a Gestauchte Grünholzfraktur, b klassische Grünholzfraktur, c Bowing Fracture.
2
16
Kapitel 2 · Verletzungsformen
2
⊡ Abb. 2.10. Diaphysäre Schrägfrakturen und Trümmerbrüche.
⊡ Abb. 2.11. Diaphysäre Querfrakturen.
nen Grünholzfrakturen, die Bowing Fractures des späten Kindes- und Jugendalters. Hier liegt das Problem u.U. in der funktionshemmenden Achsabweichung, die beseitigt werden muss.
2.2
Schrägfakturen. Schrägfrakturen stellen, die isolierte Ti-
biafraktur ausgenommen, längsinstabile Frakturen dar, da eine stabile gegenseitige Verhakung der Fragmente fehlt. Wegen der großen Frakturfläche heilen sie schnell und brauchen damit fast die Hälfte der Konsolidationszeit von diaphysären Querfrakturen. Dazu gehören natürlich auch die Frakturen mit inkompletten oder kompletten Drehkeilen sowie Trümmerfrakturen (⊡ Abb. 2.10). Querfrakturen. Querfrakturen heilen wegen ihrer deutlich kleineren Frakturfläche wesentlich langsamer als Schrägfrakturen. Stehen die Fragmente aufeinander, so sind die Frakturen längsstabil (⊡ Abb. 2.11).
Luxationen
Luxationen lösen im Allgemeinen vollständig dislozierte metaphysäre Frakturen ab, sobald die Stabilität des Bandansatzes zu Lasten der Bandstabilität zugenommen hat (s. auch Bandläsionen), d.h. sie kommen gehäuft kurz vor der Ausreifung des betroffenen Skelettabschnitts vor.
2.2.1 Schulter
Schulterluxationen sind im Allgemeinen erst jenseits des 10./12. Lebensjahrs zu erwarten. Als Begleitverletzungen der ventralen Luxation können wie beim Erwachsenen Flake Fractures, direkte Schäden am Humeruskopf und ventrale Pfannenrandausrisse auftreten (⊡ Abb. 2.12).
17 2.2 · Luxationen
⊡ Abb. 2.13. Ellenbogenluxation.
⊡ Abb. 2.12. Schulterluxation.
2.2.2 Ellenbogen
Die Ellenbogenluxation tritt unterhalb des 8./9. Lebensjahrs kaum auf. Es handelt sich meist um eine dorsale Luxation. Als Begleitverletzung ist am häufigsten der Abriss des Epicondylus ulnaris zu beobachten, neben radialen Seitenbandausrissen und osteochondralen Flakes aus dem radialen Kondylus (⊡ Abb. 2.13). Eine der häufigsten übersehenen Verletzungen ist die Radiuskopfluxation, entweder isoliert oder im Rahmen von Monteggia-Läsionen. Zu diesen gehören nicht nur die klassische Monteggia-Fraktur, sondern sämtliche proximalen und mittleren Ulnafrakturen in Kombination mit Radiuskopfluxationen oder Luxationsfrakturen. Man muss an die Luxation denken, um sie zu diagnostizieren und man muss systematisch jedes Ellenbogenröntgenbild auf die korrekte Position des Radiuskopfes zum Capitulum humeri überprüfen (⊡ Abb. 2.14a, b). Die Pronation douloureuse Chassaignac stellt weder eine Luxation noch eine Subluxation dar. Es handelt sich lediglich um eine schmerzhafte Blockierung des Radiuskopfes in extremer Pronationsstellung, die durch einen raschen, gezielten Handgriff wieder gelöst werden kann.
a
b
c ⊡ Abb. 2.14. In sämtlichen Röntgenbildern des Ellenbogens muss der Radiuskopf auf das Capitulum humeri zentriert sein! a a.-p., normal, b seitlich, normal, c Monteggia-Läsion.
2
18
Kapitel 2 · Verletzungsformen
2.2.3 Hüfte
2
Die seltenen traumatischen dorsalen Hüftluxationen sind stets Folge hoher Geschwindigkeitstraumen. Begleitverletzungen in Form von Flakes, Pfannenrandabrissen usw. sind daher leicht möglich.
2.2.4 Knie
Knieluxationen sind kaum traumatisch, sondern angeboren, wohingegen Patellaluxationen zu etwa einem Drittel posttraumatisch, zu zwei Dritteln habituell sind. Begleitverletzungen der traumatischen Patellaluxationen sind Flake Fractures im Bereich der Patella oder auch des lateralen Femurkondylus neben medialen Retinakulumausrissen.
3
Frakturklassifikationen im Kindesalter T. Slongo, L. Audigé, D. Schneidmüller und L. v. Laer
3.1
AO-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter – 20
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5
Knochen und Segment – 20 Fraktur-Subsegment-Code – 21 Kindercode – 21 Frakturschweregradcode – 22 Ausnahme- und Dislokationscode
3.2
Li-La-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter – 24
– 22
20
3
Kapitel 3 · Frakturklassifikationen im Kindesalter
Die Einteilung von Verletzungen nach verschiedenen Klassifikationen ist eine notwendige Voraussetzung, um in multizentrischen Studien anhand einer großen Anzahl von Kranken eine Aussage z.B. über Aufwand und Ergebnisse unterschiedlicher Therapiemethoden oder die Prognose von bestimmten Verletzungen treffen zu können. Eine umfassende, spezifische Klassifikation für Frakturen der langen Röhrenknochen im Kindesalter wurde bisher noch nicht entwickelt, sodass meist die für Erwachsene gültige AO-Klassifikation auf das kindliche Skelett übertragen wurde. Aufgrund der Besonderheiten des kindlichen Skeletts ist dies jedoch nicht sinnvoll. Im Gegensatz zum Erwachsenen lässt sich aufgrund der Verletzung keine Hierarchie bezüglich des Schweregrads sowie kein therapeutischer Hinweis ableiten. Art und Ausmaß der Therapie sind nicht standardisiert und viel mehr abhängig vom Alter des Kindes sowie der Frakturlokalisation und -dislokation. Klassifikationen machen nur Sinn, wenn sie sich nach morphologischen Gesichtspunkten richten und in ein vernünftiges Dokumentationssystem eingebettet sind. Solche Dokumentationen sind auch für die Kindertraumatologie unerlässlich und stellen gleichzeitig die Grundlage für eine adäquate Qualitätssicherung dar. Es sollte selbstverständlich sein, dass wachsende Patienten mit Verletzungen des Bewegungsapparats kompetent nachkontrolliert werden. Eine Klassifikation sollte daher Teil einer Dokumentation sein, um für diesen Zweck sinnvoll genutzt werden zu können. Ziel einer kinderspezifischen Klassifikation und Dokumentation muss sein, über eine prospektive Datensammlung zu fundierten Therapieempfehlungen zu kommen. Diese könnten dann in erweiterte Klassifikationen integriert werden. Die Tatsache, dass der Wachstumsabschluss zur endgültigen Beurteilung abgewartet werden muss, und die Vielfalt der möglichen Verletzungen in den verschiedenen Altersstufen erlaubt derzeit noch keine Integration von klassifikationsorientierten Therapieempfehlungen im Kindesalter. Dies ist aber erklärtes Entwicklungsziel aller vorgestellten Fraktureinteilungen für die Zukunft. Im Folgenden werden die beiden aktuellen Frakturklassifikationen im Kindesalter für lange Röhrenknochen vorgestellt, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben.
3.1
AO-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
T. Slongo und L. Audigé Die vorliegende Klassifikation wurde von der AO Paediatric Expert Group (PAEG) in Zusammenarbeit mit der AO Investigation und Documentation (AOCID) sowie der International Working-Group for Paediatric Trau-
Diagnosis Location Bone 12 34
Segment 123
ru tf
Morphology Subsegment EMD
Pattern 1–9
Severity Humerus: I–IV .1 .2 Radius: I–III Femur: I–III
⊡ Abb. 3.1. Prinzip der Frakturklassifikation im Kindesalter.
matology (IAGKT) entwickelt. Sie wurde mit Hilfe des AO Classification Supervisory Committee einem strikten Validierungsprozess unterzogen. Sie gilt heute als weltweit anerkannte und auch durch die OTA (Orthopaedic and Trauma Association of North America) anerkannte Klassifikation. Die vorgeschlagene Klassifikation basiert auf der AO-Klassifikation von Müller für Erwachsene und berücksichtigt kinderspezifische Frakturbesonderheiten (⊡ Abb. 3.1). Die Beurteilung erfolgt anhand der konventionellen anterior-posterioren und lateralen Unfallbilder.
3.1.1 Knochen und Segment
Gemäß der AO-Klassifikation von Müller für Erwachsene werden die einzelnen Knochen durchnummeriert: 1=Humerus, 2=Radius/Ulna, 3= Femur, 4=Tibia/Fibula. Ausgenommen die Monteggia- und Galeazzi-Verletzung werden paarige Knochen mit gleichem Verletzungsmuster (Kindercode) durch einen Frakturcode klassifiziert, wobei die schwerwiegendere Fraktur angegeben wird. Ist nur ein Knochen betroffen, erfolgt ein entsprechender Zusatz (r, u, t, f) hinter dem Segmentcode (22u beschreibt z.B. eine isolierte Ulnaschaftfraktur). Sind beide Knochen mit unterschiedlichem Verletzungsmuster betroffen (z.B. komplette Radiusfraktur und Bowingfraktur der Ulna), muss jeder Knochen separat mit dem entsprechenden Buchstabenzusatz klassifiziert werden. Die Knochensegmente werden nach 1=proximal, 2=diaphysär und 3=distal unterschieden, wobei die Definition sich vom Erwachsenen unterscheidet. Die Metaphyse wird begrenzt durch ein Quadrat über der gesamten Länge der Epiphysenfugen (⊡ Abb. 3.2). Für die paarigen Knochen Ulna/Radius und Tibia/Fibula müssen dabei beide Epiphysenfugen in dieses Quadrat eingeschlossen werden. Somit können folgende drei Segmente unterschieden werden: ▬ Segment 1: proximale Epiphyse und Metaphyse (Quadrat), ▬ Segment 2: Diaphyse, ▬ Segment 3: distale Epiphyse und Metaphyse (Quadrat).
21 3.1 · AO-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
Epiphyse
proximal 1
E
Metaphyse M
Malleolarfrakturen bei Kindern werden als distale Tibiafrakturen klassifiziert (z.B. ist die mediale Malleolusfraktur eine typische Fraktur Salter-Harris III oder IV der distalen Tibia, klassifiziert als 43).
3.1.2 Fraktur-Subsegment-Code
Schaft 2
Diaphyse
D
Metaphyse M distal 3 Epiphyse
E
a
Die Schweregradeinteilung A-B-C der Erwachsenenklassifikation wurde durch eine Frakturklassifikation jeweils für Diaphyse (D), Metaphyse (M) sowie Epiphyse (E) ersetzt. Die häufigsten Verletzungen im Kindesalter sind die Schaftfrakturen (Segment 2) sowie die epi-/metaphysären Frakturen (Segment 1 und 3). Die Einteilung in E-M-D unterscheidet klar zwischen intra- und extraartikulären Frakturen, da epiphysäre Frakturen definitionsgemäß intraartikulär liegen. Metaphysäre Verletzungen werden durch Lage zu dem Quadrat identifiziert (das Zentrum der Fraktur muss dabei innerhalb des Quadrats liegen) (⊡ Abb. 3.10). Eine Ausnahme bildet das proximale Femur, bei dem die Metaphyse zwischen dem Femurkopf und der intertrochantären Linie liegt. Bei Anwendung dieser Quadratdefinition kann eine Fehlklassifikation durch nicht korrekte a.-p.-Aufnahmen bzw. durch Angulation des Knochens in der frontalen Ebene entstehen.
3.1.3 Kindercode
b ⊡ Abb. 3.2. a Die Metaphyse wird identifiziert durch ein Quadrat mit der Kantenlänge der weitesten Strecke der Epiphysenfugen in der a.-p. Röntgenaufnahme. Für paarige Knochen müssen beide Knochen eingeschlossen werden. b Eine transparente Vorlage mit Quadraten kann zur genaueren und zuverlässigeren Diagnose über das entsprechende Röntgenbild gelegt werden.
Spezielle kindliche Besonderheiten wurden in einen Kindercode übertragen. Sie sind spezifisch für die unterschiedlichen Fraktursubsegmente E, M, D und werden dementsprechend für jedes einzelne Fraktursubsegment klassifiziert. Bei den epiphysären Frakturen erhalten die Frakturen nach Salter und Harris entsprechend den Code E/1 bis E/4. E/5 bis E/9 bezeichnen andere kindliche Frakturen wie die Tillaux-Fraktur (E/5), die Triplane-Fraktur (E/6), die intraartikuläre Avulsionsfraktur (E/7), die »flake fracture« (E/8) und andere Frakturen, die unter E/9 zusammengefasst werden (⊡ Abb. 3.3). An der Metaphyse werden drei Frakturarten unterschieden: die Wulst-, Spiral- und Grünholzfraktur (M/2), die komplette Fraktur (M/3) und die metaphysäre osteoligamentäre, muskuloligamentäre Avulsion und einfache Avulsionsverletzungen (M/7) (⊡ Abb. 3.4), sowie die proximale, metaphysäre Ulnafraktur mit Dislokation des Radiuskopfes als M/6 (proximalste Monteggia-Verletzung). Der Kindercode für diaphysäre Frakturen (Segment 2) ist in ⊡ Abb. 3.5 dargestellt. Er umfasst Bowingfrakturen (D/1), Grünholzfrakturen (D/2), komplette Querfrakturen (Winkel 30°–D/5), Monteggia-Verletzungen (D/6) und Galeazzi-Verletzungen (D/7). Ein 30°-Winkel sollte in den Röntgenbildern verwendet werden für eine zuverlässigere Klassifikation. D/9 fasst alle übrigen Frakturen zusammen, die keiner der genannten Kategorien zugeordnet werden können.
3.1.4 Frakturschweregradcode
Eine Unterteilung der Schweregrade ist notwendig im Hinblick auf die Indikation verschiedener Osteosynthesemethoden. Dieser Code unterscheidet zwischen einfachen Frakturen, Keilfrakturen (partiell instabile Frakturen mit drei Fragmenten einschließlich eines vollständig dislozierten Fragments) und komplexen Frakturen (vollständig instabile Frakturen mit mehr als drei Fragmenten).
3.1.5 Ausnahme- und Dislokationscode
Da nicht alle Kinderfrakturen nach o.g. Schema klassifiziert werden können wurden folgende zusätzliche Definitionen und Regeln aufgestellt: ▬ Apophysenfrakturen werden den metaphysären Frakturen zugerechnet. ▬ Übergangsfrakturen mit oder ohne metaphysären Keil zählen zu den epiphysären Frakturen. ▬ Intra- bzw. extraartikuläre knöcherne Bandausrisse werden den epiphysären bzw. metaphysären Frakturen zugeordnet. ▬ Suprakondyläre Humerusfrakturen (Code 13-M/3) werden zusätzlich nach dem Dislokationsausmaß in vier Grade (I–IV) nach von Laer eingeteilt: a) Typ I: stabile, inkomplette Fraktur, in streng seitlicher Ansicht schneidet die Roger’sche Linie das Capitellum radii. In der ap-Ansicht besteht ein varus/valgus Gap < 2 mm.
3
23 3.1 · AO-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
M/2 inkomplette Fraktur (Wulst oder Grünholz)
M/3 komplette Fraktur
M/6 metaphysäre Monteggia-Verletzung
M/7 metaphysäre Avulsionsverletzung
⊡ Abb. 3.4. Festlegung metaphysärer Frakturen (M).
D/1
D/2
D/4
D/5
D/6
D/7
⊡ Abb. 3.5. Einteilung diaphysärer Frakturen (D). D/1 Bowing-Fraktur; D/2 Grünholzfraktur; D/4 komplette Fraktur gerade, weniger als 30°; D/5 komplette Fraktur schräg, mehr als 30°; D/6 Monteggia Fraktur; D/7 Galiazzi Fraktur; D/9 andere Frakturen
24
3
Kapitel 3 · Frakturklassifikationen im Kindesalter
b) Typ II: stabile, inkomplette Fraktur, in streng seitlicher Ansicht schneidet die Roger’sche Linie das Capitellum radii nicht mehr. c) Typ III: stabile, komplette Fraktur, noch mit Knochenkontakt der Frakturflächen unabhängig der Dislokationsebene. d) Typ IV: stabile, komplette Fraktur ohne jeglichen Knochenkontakt. ▬ Radiuskopffrakturen (21-M/2 oder /3; oder 21-E/1 oder /2) werden zusätzlich nach der axialen Abweichung und dem Ausmaß der Dislokation klassifiziert: keine Angulation und keine Dislokation (I), Angulation mit Dislokation weniger als eine halbe Schaftbreite (II) sowie Angulation mit Dislokation mehr als eine halbe Schaftbreite (III). ▬ Schenkelhalsfrakturen. Epiphysenlösungen ohne und mit metaphysärem Keil werden entsprechend den Subsegment-E-Frakturen nach Salter und Harris in E/1 und E/2 unterteilt. Frakturen des Schenkelhalses werden als metaphysäre Typ-M-Frakturen klassifiziert: transzervikal (I), basozervikal (II) und pertrochantär (III). Die intertrochantäre Linie begrenzt die Metaphyse.
▬ Aufgrund der therapeutischen Relevanz wird noch einmal extra zwischen Gelenkfrakturen (a=articular) und Schaftfrakturen (s=shaft/non-articular) unterschieden. Die Wachstumsfuge kann in zwei funktionell unterschiedliche Bereiche unterteilt werden, den epiphysären mit und den metaphysären ohne proliferative Potenz. Epiphysäre Frakturen zählen zu den Gelenkfrakturen, Epiphysenlösungen aufgrund fehlender Gelenkbeteiligung im weiteren Sinn zu den Schaftfrakturen. Damit ist die therapeutisch wichtige Unterteilung Schaft gegenüber Gelenk gewahrt. Gelenkfrakturen müssen anatomisch rekonstruiert werden, während bei Schaftfrakturen eine mögliche altersabhängige Spontankorrektur in das Therapiemanagement einfließt. Hierbei muss beachtet werden, dass die Spontankorrektur im Bereich der Diaphyse deutlich geringer ausfällt als in der Metaphyse.
Der vollständige Frakturcode setzt sich somit aus fünf bzw. sechs Codes zusammen, je nachdem ob ein Ausnahmecode angewendet wird. 1 3.2
Li-La-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
D. Schneidmüller und L. v. Laer Der gemeinnützige Verein Li-La e.V. hat zu diesem Zweck gemeinsam mit dem Institut für Evaluative Forschung in Orthopädischer Chirurgie der Universität Bern eine Dokumentation entwickelt und diese samt der dazugehörigen Klassifikation innerhalb einer multizentrischen Studie an 2308 Frakturen erprobt und validiert. Die Dokumentation sowie Klassifikation sind als Version 2.1 mit einem Online-Dokumentationssystem beim Institut für Evaluative Forschung in Bern sowie auf der Webseite von Li-La (www.li-la.org) einsehbar. ▬ Die erste Ziffer bezeichnet entsprechend der AOKlassifikation für den Erwachsenen den betroffenen Röhrenknochen (⊡ Abb. 3.6). ▬ Die zweite Ziffer differenziert das betroffene Knochensegment. Es wird zwischen proximal, Mitte und distal unterschieden, wobei im Schaft das Quadrat über der Epiphysenfuge des jeweiligen Knochens die Grenze nach distal und proximal (inklusive Metaphyse) markiert (⊡ Abb. 3.7).
2
3
4
⊡ Abb. 3.6. Bezeichnung des betroffenen Röhrenknochens.
25 3.2 · Li-La-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
2. Segment
1 proximal (Quadrat) inkl. Schenkelhals
2 Mitte
Quadrat von med. und lat. Epiphysenfugen ausgehend (ap Rx) 3 distal (Quadrat)
▬ Die vierte Ziffer beschreibt den eigentlichen Frakturtyp, jeweils für Gelenk- und Nichtgelenkfrakturen separat. So werden im Gelenkbereich epiphysäre und epi-metaphysäre Frakturen bei offenen Fugen und bei beginnendem Fugenschluss voneinander unterschieden. Alle Sonderformen wie osteochondrale Frakturen oder knöcherne Bandausrisse werden unter »others« subsumiert (⊡ Abb. 3.8). Am Schaft werden folgende Frakturtypen unterschieden: die Epiphysenlösungen, die metaphysären Grünholz- und Wulstfrakturen, die komplette metaphysäre Fraktur inkl. Quer-, Schräg- und Torsionsbrüche, die Grünholz- und Bowingfraktur im Schaftbereich, die komplette Fraktur des Schafts inkl. Quer-, Schräg- und Torsionsfrakturen sowie alle Mehrfragmentfrakturen. Hier bildet ebenfalls das Quadrat über der Epiphysenfuge die Grenze zwischen Schaft und Metaphyse. Sonderformen wie Band- und Apophysenausrisse werden unter »others« zusammengefasst (⊡ Abb. 3.9). ▬ Unterscheidung zwischen tolerabler und nicht tolerabler Dislokation im Hinblick auf das therapeutische Vorgehen (0=undisloziert, 1=tolerable Dislokation, 2=nicht tolerable Dislokation). ▬ Bei paarigen Knochen wird der haupttragende Knochen klassifiziert (Radius bzw. Tibia). Soll der paarige Knochen klassifiziert werden, erfolgt ein entsprechender Zusatz: F für Fibula bzw. U für Ulna (⊡ Abb. 3.10). ▬ Aufgrund der Frakturhäufigkeit und der speziellen anatomischen Gegebenheiten erfolgt eine separate Klassifikation der Gelenkfrakturen des distalen Humerus als einzige Ausnahme (⊡ Abb. 3.11). Übersicht der Li-La-Klassifikation s. ⊡ Abbildung 3.12, ⊡ Abbildung 3.13.
⊡ Abb. 3.7. Festlegung des Knochensegments.
1
2
3
4
epiphysäre Frakturen bei offenen Fugen (Slater-Harris III/Aitken II)
epi-metaphysäre Frakturen bei offenen Fugen (Slater-Harris IV/Aitken III)
epiphysäre Frakturen bei beginnendem Fugenschluss (Two-Plane Übergangsfraktur)
epi-metaphysäre Frakturen bei beginnendem Fugenschluss (Triplane I/II Übergangsfraktur)
⊡ Abb. 3.8. Epiphysäre Frakturen. 1 Fraktur Salter III, 2 Fraktur Salter IV, 3 Twoplane-Fraktur, 4 Triplane-Fraktur, 5 Andere.
3
26
Kapitel 3 · Frakturklassifikationen im Kindesalter
1
3
⊡ Abb. 3.9. Schaftfrakturen. 1 Epiphysenlösungen (Salter I und II). 2 Metaphysäre Grünholz- und Wulstfrakturen, diaphysäre Grünholz-, Bowingfraktur. 3 Quer-, Schräg-, Torsionsfrakturen. 4 Alle Mehrfragmentfrakturen. 5 Andere.
⊡ Abb. 3.10. Bei paarigen Knochen wird der tragende Knochen (Radius oder Tibia) klassifiziert, ansonsten Fibula oder Ulna angegeben.
2
3
4
27 3.2 · Li-La-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
2
1
3
⊡ Abb. 3.11. Frakturen des distalen Humerus als Ausnahme. 1 Condylus radialis Fraktur. 2 Y-Fraktur. 3 Condylus ulnaris Fraktur.
LiLa Klassifikation Version 2
1. Stelle Lokalisation im Skelett: (1-4)
2. Stelle Lokalisation im Knochen (Segment): (1-3)
3. Stelle Morphologie: – Gelenk (a) – Schaft (s)
4. Stelle Spezifizierungen Morphologie: – Gelenk (1-5) – Schaft (1-5)
5. Stelle Dislokationsausmass: – undisloziert (0) – tolerabel (1) – nicht tolerabel (2)
– bei paarigen Knochen wird jeweils der haupttragende Knochen klassifiziert: Radius oder Tibia – soll der Gegenknochen klassifiziert werden, so wird an 6. Stelle das U bzw. das F eingefügt (siehe Gelenkfrakturen Olekranon) – die Metaphyse wird mit dem Quadrat über der zugehörigen Fuge definiert (Zirkelschlag von den Ecken der Epiphysenfuge aus)
Gelenkverletzungen, die statistisch nicht ins Gewicht fallen, werden an der jeweiligen Lokalisation mit 5= andere klassifiziert (proximaler Humerus, proximaler und distaler Radius, proximale und distale Ulna und proximales Femur) ⊡ Abb. 3.12. Übersicht über die Li-La-Klassifikation.
6. Stelle (Ausnahme) paariger Knochen nicht tragend – Ulna (U) – Fibula (F)
3
28
Kapitel 3 · Frakturklassifikationen im Kindesalter
Gelenkfrakturen
3
1.1.a.5.0-2.: andere praktisch keine Gelenkfrakturen, Flakes, Tuberkulumausrisse etc., werden unter andere (=5) subsumiert
proximaler Humerus
1.3.a.1-5.0-2. 1. Condylus radialis Fx 2. Y-Fx 3. Condylus ulnaris Fx 4. / (leer) 5. andere 2.1.a.5.0-2.: andere praktisch keine Gelenkfrakturen, Übergangsfx, Meisel etc. beim Jugendlichen werden unter andere (=5) subsumiert
2
1
3
proximaler Radius
2.1.a.5.0-2.U: andere kaum Gelenkfx, artikuläre Olekranon Fx und Fx des Processus coronoideus werden unter andere (=5) subsumiert 2.3.a.5.0-2.: andere praktisch keine Gelenkfrakturen, Übergangsfx etc. werden unter andere (=5) subsumiert
distaler Radius
3.1.a.5.0-2.: andere praktisch keine Gelenkfrakturen, Flakes etc. werden unter andere (=5) subsumiert
proximales Femur
3.3.a.1-5.0-2. 1. epiphysäre (Salter III) Fx bei offenen Fugen 2. epi-metaphysäre (Salter IV) Fx bei offenen Fugen 3. epiphysäre (two plane) Fx bei beg. Fugenschluss 4. epi-metaphysäre (triplane) Fx bei beg. Fugenschluss 5. andere
1
4.1.a.1-5.0-2. 1. epiphysäre (Salter III) Fx bei offenen Fugen 2. epi-metaphysäre (Salter IV) Fx bei offenen Fugen 3. epiphysäre (two plane) Fx bei beg. Fugenschluss 4. epi-metaphysäre (triplane) Fx bei beg. Fugenschluss 5. andere
2
3
2
1
3
4
4
4.3.a.1-5.0-2. 1. epiphysäre (Salter III) Fx bei offenen Fugen 2. epi-metaphysäre (Salter IV) Fx bei offenen Fugen 3. epiphysäre (two plane) Fx bei beg. Fugenschluss 4. epi-metaphysäre (triplane) Fx bei beg. Fugenschluss 5. andere 1
⊡ Abb. 3.13. Übersicht über die Li-La-Klassifikation.
2
3
4
3
29 3.2 · Li-La-Klassifikation für Frakturen im Kindesalter
Schaftfrakturen 1.1-3.s.1-5.0-2. 1. Epiphysenlösung ohne und mit metaphysärem Keil (Salter I und II) 2. metaphysäre Stauchungs- und metaphysäre Grünholz Fx/ diaphysäre Grünholzfrakturen 3. Quer-, Schräg- und Torsions Fx 4. Mehrfragment Fx 5. andere
2
1
1
2.1-3.s.1-5.0-2. 1. Epiphysenlösung ohne und mit metaphysärem Keil (Salter I und II) 2. metaphysäre Stauchungs- und metaphysäre Grünholz Fx/ diaphysäre Grünholzfrakturen 3. Quer-, Schräg- und Torsions Fx 4. Mehrfragment Fx 5. andere
3.1-3.s.1-5.0-2. 1. Epiphysenlösung ohne und mit metaphysärem Keil (Salter I und II) 2. metaphysäre Stauchungs- und metaphysäre Grünholz Fx/ diaphysäre Grünholzfrakturen 3. Quer-, Schräg- und Torsions Fx 4. Mehrfragment Fx 5. andere
4.1-3.s.1-5.0-2. 1. Epiphysenlösung ohne und mit metaphysärem Keil (Salter I und II) 2. metaphysäre Stauchungs- und metaphysäre Grünholz Fx/ diaphysäre Grünholzfrakturen 3. Quer-, Schräg- und Torsions Fx 4. Mehrfragment Fx 5. andere
2
3
2
1
1
4
3
2
4
3
3
4
4
4
Epidemiologie R. Kraus
4.1
Oberarm
– 33
4.2
Unterarm – 34
4.3
Oberschenkel
4.4
Unterschenkel – 34
4.5
Verletzungsschwerpunkte
– 34
– 34
32
4
Kapitel 4 · Epidemiologie
Zur fachgerechten Behandlung von Frakturen im Wachstumsalter gehören unabdingbar Kenntnisse über die Inzidenz solcher Verletzungen. Insbesondere die verschiedenen Altersgipfel bestimmter Verletzungen in Abhängigkeit von der somatischen und psychosozialen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen führen zu spannenden Erkenntnissen auf diesem Gebiet und helfen Frakturrisiken einzuschätzen und Vermeidungsstrategien zu entwickeln. Verletzungen im Kindesalter machen zwischen 13 und 32% aller medizinisch erfassten und dokumentierten Verletzungen aus. Die Rate an knöchernen Verletzungen liegt bei 10–25%. Eine Analyse der einschlägigen Literatur ergibt, dass unter der Gesamtheit der Frakturen 88,6% die Extremitätenknochen und davon wiederum 62,7% die langen Röhrenknochen betreffen. Deren Anteil am Gesamtfrakturaufkommen liegt bei etwa 55,5%. Die restlichen 11,4% verteilen sich auf Frakturen am Körperstamm, unter denen Schlüsselbein- und Schädelfrakturen führend sind (⊡ Tab. 4.1). Das Gesamtfrakturrisiko, die Prävalenz, liegt im mitteleuropäisch-städtisch geprägten Umfeld bei 21–25 Frakturen auf 1000 Kinder pro Jahr. Das Risiko, bis zum Abschluss des Wachstumsalters eine Fraktur erlitten zu haben, wird derzeit auf 15–45% mit steigender Tendenz geschätzt. Die Altersverteilung aller Frakturen zeigt, dass bis zum 10. Lebensjahr die Verletzungshäufigkeit pro Lebensjahr leicht zunimmt, ab dem 11. Lebensjahr deutlich ansteigt und nach einem Gipfel um das 13. Lebensjahr wieder abfällt. Eine in verschiedensten Studien gleich bleibende Größe ist die Geschlechterverteilung der Frakturen im Wachstumsalter. Jungen erleiden 1,2- bis 1,6-mal häufiger Frakturen der langen Röhrenknochen als Mädchen.
Nachdem in den frühen Altersgruppen das Verhältnis noch nahezu ausgeglichen ist, steigt der Anteil der Jungen vor dem Gipfel der allgemeinen Altersverteilung um das 8. Lebensjahr überproportional an und bleibt bis zum Wachstumsende auf höherem Niveau. Als Ursache dafür darf im Wesentlichen die höhere Risikobereitschaft männlicher Jugendlicher in der Präpubertät und Pubertät angesehen werden (⊡ Abb. 4.1). Die folgenden Daten entstammen zwei von Li-La initiierten prospektiven Studien an insgesamt 1783 Frakturen der langen Röhrenknochen im Wachstumsalter, die in je einem Quartal 2003 (n=678) und 2005 (n=1105) an 16 kinder-, unfall- und allgemeinchirurgischen Abteilungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz behandelt wurden. Neben der Erhebung demographischer Daten wurde eine exakte Frakturklassifizierung nach der neu-
⊡ Abb. 4.1. Alters- und Geschlechtsverteilung über alle Fraktur- und Unfallgruppen (n=678).
⊡ Tab. 4.1. Verteilung der Verletzungslokalisationen in fünf Studien, welche die Gesamtheit der Frakturen im Kindes- und Jugendalter erfassen Verletzungslokalisation
(Brudvik 2003) n=1725
(Jonasch 1981) n=263166
(Jones 2002) n=498
(Landin 1983) n=8682
(Worlock 1986) n=923
Schädel
2,3%
2,8%
7,8%
1,8%
3,6%
Wirbelsäule
0,1%
0,3%
1,8%
0,9%
–
Knöcherner Thorax
–
0,1%
4,4%
–
0,7%
Becken
0,1%
0,2%
0,5%
–
Schulterblatt/Schlüsselbein
8,0%
8,9%
3,0%
8,1%
6,3%
Extremitäten davon lange Röhrenknochen Hand Fuß
89,5%
87,7%
80,8%
88,7%
89,0%
67,7% 21,2% 11,1%
65,1% 22,4% 12,1%
61,9% 25,3% 12,8%
60,4% 30,7% 8,9%
74,8% 16,5% 8,7%
Andere
–
0,4%
2,2%
–
0,4%
33 4.1 · Oberarm
esten Version der im Jahr 2000 erstmals durch von Laer und Mitarbeiter publizierten Klassifikation für Frakturen im Wachstumsalter vorgenommen. Der Unfalltyp wurde den Kategorien häuslicher Unfall, Spielplatz, Schule, Sport, Verkehr und andere Unfälle zugeordnet (Häufigkeitsverteilung ⊡ Abb. 4.2).
3,50%
10,60%
22% Schule Spielplatz Sport Verkehr zu Hause andere
20,50% 4,80%
38,70% ⊡ Abb. 4.2. Häufigkeitsverteilung der Unfallursachen (n=678). Andere sind Kindesmisshandlung, Fraktur ohne Unfallereignis (pathologische Fraktur), landwirtschaftlicher Unfall, unbekanntes Unfallereignis.
Knöcherne Verletzungen der oberen Extremität kommen 2- bis 3-mal häufiger vor als solche der unteren Extremität. Das Gros der Frakturen im Wachstumsalter mit 65% stellen metaphysäre Frakturen, während diaphysäre Frakturen mit 25% und epiphysäre Frakturen mit 10% deutlich seltener sind. Während bei metaphysären Frakturen die obere Extremität mit einer Rate von 8,5 zu 1 die untere Extremität dominiert, ist das Verhältnis bei dia- und epiphysären Verletzungen nahezu ausgeglichen. Die distale Meta- und Epiphyse ist am einzelnen langen Röhrenknochen 7- bzw. 14-mal häufiger betroffen als die jeweils proximale Meta- und Epiphyse. Schaftfrakturen finden sich am peripheren paarigen Röhrenknochen einer Extremität (Unterarm, Unterschenkel) fünfmal häufiger als am proximalen Röhrenknochen der gleichen Extremität (Oberarm, Oberschenkel). Diaphysäre Frakturen kommen tendenziell häufiger bei Kindern unter 10 Jahren vor, während die Altersverteilung der metaphysären Frakturen der Gesamtverteilung folgt und epiphysäre Verletzungen am Ende des Wachstumsalters stark zunehmen (⊡ Abb. 4.3). Die im Folgenden angeführten Prozentsätze der o.g. Studie spiegeln den Anteil an den hier ausschließlich behandelten Frakturen der langen Röhrenknochen wider (⊡ Abb. 4.4). In Klammern angegeben ist jeweils der extrapolierte Anteil am gesamten Frakturaufkommen im Wachstumsalter, die hier verwendete Klassifikation entspricht sowohl der Li-La- wie auch der AO-Klassifikation ( Kap. 3). Die Literaturangaben beziehen sich jeweils auf den Anteil an allen Frakturen bei Kindern und Jugendlichen.
4.1
⊡ Abb. 4.3. Altersverteilung epi-, meta- und diaphysärer Frakturen (n=678).
45% 40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 1.1
1.2
1.3
2.1
2.2
2.3
3.1
3.2
3.3
4.1
4.2
4.3
⊡ Abb. 4.4. Häufigkeitsverteilung der Frakturen im Wachstumsalter (n=678) unter Benutzung zweistelliger Codes der Li-La-Klassifikation.
Oberarm
Humerusfrakturen kommen in 20,8% der Frakturen langer Röhrenknochen im Wachstumsalter vor. Proximale Frakturen des Humerus (Code 1.1) mit 4,1% (2,3%) rekrutieren sich fast ausschließlich aus metaphysären, subkapitalen Verletzungen. Der Altersgipfel liegt bei 11–14 Jahren, Verletzungsursache sind überwiegend Sportverletzungen. Hier spielen insbesondere Reitunfälle eine Rolle. Oberarmschaftfrakturen (Code 1.2) sind mit 1,1% (0,6%) selten, in der Literatur finden sich Angaben zwischen 0,2 und 0,7% aller Frakturen. Ein eigentlicher Altersgipfel ist nicht erkennbar, die Häufigkeit nimmt jedoch mit zunehmendem Alter ab. Ebenso fehlt eine überwiegende Verletzungsursache. Distale Frakturen des Humerus (Code 1.3) sind dagegen mit 15,6% (8,6%) häufig und stellen damit die zweithäufigste Verletzungsgruppe. Die Literaturangaben schwanken zwischen 4,6 und 9,2%. Ellenbogennahe Humerusfrakturen kommen gehäuft bei Verletzungen im häuslichen Be-
4
34
Kapitel 4 · Epidemiologie
reich und auf Spielplätzen vor. Eine Sonderstellung nimmt die suprakondyläre Humerusfraktur ein. Hier ergibt sich ein eindeutiger Altersgipfel bei 3–6 Jahren. Er liegt eher niedriger, als bisher in der Literatur angenommen.
4.2
4
Unterarm
Unterarmfrakturen stellen in jeder Altersgruppe und bei jeder Verletzungsursache die zahlenmäßig größte Gruppe, insgesamt 55,4% aller Verletzungen. Proximale Unterarmfrakturen (Radiuskopf, -hals und Olekranon; Code 2.1) kommen in 3,8% (2,1%) vor. Eine bevorzugte Altersgruppe gibt es nicht. Unter den Verletzungsursachen finden sich zu gleichen Teilen häusliche, Spielplatz- und Sportunfälle, während Verkehrs- und Schulunfälle kaum vorkommen. Die Häufigkeit von Frakturen des Unterarmschafts (Code 2.2) wird in der Literatur extrem unterschiedlich eingeschätzt. Während manche Arbeitsgruppe diese mit 3,4 bzw. 6,5% eher niedrig ansetzt, liegt der Anteil bei anderen Autoren um 13%. Ursache dürfte eine unterschiedliche Zuordnung der überaus häufigen Frakturen im meta-/ diaphysären Übergangsbereich sein. In unseren Studien mit der Definition der Metaphyse als Quadrat über der Wachstumsfuge, wie sie von Hofmann von Kapherr vorgeschlagen wurde, betrug der Anteil von Unterarmschaftfrakturen 10,8% (5,9%). Unterarmschaftfrakturen kommen in jedem Verletzungszusammenhang und in jeder Altersgruppe nahezu gleich verteilt vor. Typische Frakturform ist die Grünholzfraktur, die 37,5% der Fälle ausmacht. Die größte Frakturgruppe stellt der distale Unterarm (Code 2.3) mit 40,8% (22,6%). Häufigkeitsunterschiede in der Literatur von 19,4–39% hängen möglicherweise mit den oben angeführten Abgrenzungsschwierigkeiten zum Unterarmschaft zusammen. Der Altersgipfel der distalen Unterarmfrakturen liegt im 13. und 14. Lebensjahr. Sie ereignen sich überdurchschnittlich häufig bei Sport- und Schulverletzungen, während die Inzidenz bei Verkehrsunfällen deutlich geringer ist.
4.3
Oberschenkel
Femurfrakturen kommen im gesamten Patientenkollektiv nicht häufig vor und nehmen nur 5,2% der Brüche langer Röhrenknochen bei Kindern und Jugendlichen ein. Frakturen des proximalen Oberschenkels (Code 3.1), zu denen traumatische Epiphysenlösungen genauso gezählt werden wie Oberschenkelhals- und intertrochantäre Frakturen, sind extrem selten und liegen bei 0,6% (0,3%), Landin fand unter 8682 Frakturen sogar nur 0,05% proximale Oberschenkelfrakturen. Statistisch abgesicherte Angaben zu einem Altersgipfel finden sich nicht.
Oberschenkelschaftfrakturen (Code 3.2) stellen im eigenen Patientenkollektiv 3,2% (1,7%) der Frakturen. Auch in der Literatur weisen homogene Angaben zwischen 1,0 und 1,6% die diaphysäre Femurfraktur als eher seltene Verletzung aus, was die Vielzahl der veröffentlichten Untersuchungen zur Behandlung von Oberschenkelschaftfrakturen nicht unbedingt vermuten lässt. Nur etwa 20% kommen jenseits des 10. Lebensjahrs vor, ein bevorzugter Verletzungstyp ist nicht erkennbar. Distale Femurfrakturen (Code 3.3.) fanden sich in 1,4% (0,7%), sämtliche Literaturangaben lassen eine Gesamthäufigkeit von unter 1% vermuten. Der Altersverlauf ist zweigipflig mit einer Betonung unter dem 6. und über dem 13. Lebensjahr.
4.4
Unterschenkel
Der Anteil von Tibia- und Fibulafrakturen liegt bei 18,5% der untersuchten Frakturen der langen Röhrenknochen. Frakturen des proximalen Unterschenkels (Code 4.1) kommen in 2,0% (1,1%) der Fälle vor. Die Angaben in der Literatur liegen auch hier etwas niedriger, meist unter 1%. Typischerweise finden sich metaphysäre Biegungsbrüche im Vorschulalter sowie Eminentia-Ausrisse und Frakturen der Tuberositas tibiae zwischen dem 10. und 14. Lebensjahr. Eine bevorzugte Verletzungsursache kann nicht benannt werden. Unterschenkelschaftfrakturen (Code 4.2) lassen im eigenen Patientenkollektiv keinen signifikanten Altersgipfel erkennen und machen 7,2% (4,0%) der Verletzungen aus. Die Literaturübersicht ergibt ebenfalls Werte um 5%. Statistiken aus dem alpinen Raum, insbesondere älteren Datums, weisen zum Teil dreifach höhere Prozentsätze aus, wohl in Zusammenhang mit noch nicht entwickeltem Skischuhwerk und einer daraus folgenden erhöhten Gefahr einer Unterschenkelschaftfraktur. Erheblich homogener erscheint die Einschätzung distaler Unterschenkel- und Sprunggelenkverletzungen (Code 4.3) mit 3,5–6,6%. Die zitierte Studie (Li-La) kommt hier auf 9,3% (5,1%), davon 10,8% Übergangsfrakturen. Distale Unterschenkelfrakturen haben einen eindeutigen Altersgipfel nach dem 12. Lebensjahr. Sowohl Unterschenkelschaft- als auch sprunggelenknahe Frakturen weisen einen Verletzungsschwerpunkt im Straßenverkehr auf.
4.5
Verletzungsschwerpunkte
Statistisch signifikante Verletzungsschwerpunkte finden sich in drei Konstellationen. Ein erster Schwerpunkt liegt bei Klein- und Vorschulkindern bei distalen Oberarmfrakturen, resultierend aus häuslichen oder Spielplatz-
35 4.5 · Verletzungsschwerpunkte
⊡ Tab. 4.2. Statistisch relevante Verletzungsschwerpunkte nach Frakturlokalisation und Unfalltyp in der Li-La-Studie 2003 (n=678) Zweistelliger Frakturcode
Unfallzusammenhang
Anteil am Gesamtaufkommen
1.3
Häuslich+Spielplatz
61,2%
2.3
Sport
57,7%
4.2 und 4.3
Verkehr
71,4%
unfällen. Bei adoleszenten, selbstständigen Verkehrsteilnehmern häufen sich Unterschenkelschaft- und distale Unterschenkelfrakturen mit dem höchsten Aufkommen an Übergangsfrakturen. Der dritte Schwerpunkt liegt auf sportbedingten distalen Unterarmfrakturen in allen Altersklassen (⊡ Tab. 4.2). Die Synopse der Ergebnisse zu Häufigkeit der Frakturtypen, Altersgipfel und Verteilung der Unfallursachen unterstreicht, dass Frakturen der langen Röhrenknochen bei Kindern und Adoleszenten in Abhängigkeit von deren altersspezifischen Aktivitäten geschehen. Jede Überlegung zur vorbeugenden Aufklärung und Verletzungsprophylaxe muss diesen Grundsatz einbeziehen. Maßnahmen zur Unfallverhütung müssen insbesondere im Sport- und Freizeitbereich sich immer ändernden Gegebenheiten, wie z.B. aktuellen Trendsportarten, angepasst werden. Außerdem belegen Langzeitstudien, dass die allgemeine Zunahme von Frakturen im Wachstumsalter zur Hälfte auf die Zunahme von Sportunfällen zurückzuführen ist.
Signifikanzniveau im Chi-Quadrat-Test: p Tag 8
Gipsabnahme
bei Konsolidation Tag 28
Unverzichtbare Informationen
1. Aufklärung und Schilderung des Vorgehens bei der Keilung 2. Festlegen der Therapieziele: a) Schmerzfreiheit: kurzfristig b) Funktion wiederherstellen: mittelfristig c) Kosmetik – restitutio ad integrum: langfristig 3. Alternativen, Probleme, Optionen Technik primär Der zur Keilung vorgesehene Gips wird angelegt, nachdem der Bereich der Fraktur und die drei Abstützpunkte proximale und distale Konkavitätsgipfel und konvexes Hypomochlion (⊡ Abb. 6.3) mit einer Lage Polsterwatte abgedeckt wurden. In üblicher Weise erfolgt die Anlage des zirkulären Gipses, wobei die zur Keilung bestimmte Seite der Frakturkonkavität doppelt so stark sein muss wie die konvexe Seite (4 und 2 Lagen rigider Kunststoff-Binde statt 3 und 3, bzw. 2 und 1 Lagen Gipslonguetten statt 1 und 1). Bis zum Abschluss des Abbindevorgangs muss auf den Abstützpunkt über dem distalen Fragment modellierender Druck knapp unterhalb der Schmerzgrenze ausgeübt werden, um eine Keilung in die Polsterung hinein zu vermeiden. Zum Abschluss erfolgt die Gipsspaltung auf der Seite der Hauptfraktur, am Unterschenkel ventral paramedian. Technik der Keilung Der Zeitpunkt der Keilung sollte um den 8. Tag herum gewählt werden, da sich bis dahin bereits ein Fixationskallus gebildet hat und die initiale Schwellung weitgehend zurückgegangen ist. Zunächst wird der bis dahin gespaltene Gips geschlossen und nach dem Abbinden (bei Weißgips evtl. am Folgetag!) anhand der Unfallbilder bzw. unter Bildverstärker die Keilungsebene markiert und der Gips in der Konkavität semizirkulär (auf ca. ⅔ der Zirkumferenz) durchtrennt. Der Keil sollte dabei in den tiefsten Punkt der Konkavität (beachte kombinierte Fehlstellungen in mehreren Ebenen) eingebracht werden. Je weiter peripher die Fraktur, desto weiter proximal muss die Keilungsstelle liegen, um den Hebelarm zu verbessern. Mittels Gipsspreizer oder durch Biegen der gegipsten Extremität proximal und distal der Fraktur erfolgt langsam die Redression unter Beobachtung des Patienten. Bei den ersten Beschwerden wird etwas gewartet, ggf. ein wenig zurückgefahren, bis der Patient Beschwerdefreiheit signalisiert. Dies wird so lange wiederholt, bis die gewünschte Stellung erreicht ist. Falls der Patient dabei persistierende Beschwerden angibt, muss der Abstand beider Keilungsränder wieder etwas verringert werden. Über einigen zusätzlich eingebrachten Lagen Polsterwatte wird ein passend zurechtgeschnittenes Kork- oder Holzstückchen eingelegt und durch die
53 6.1 · Konservative Therapiemöglichkeiten
⊡ Abb. 6.3. Gipskeilung. Der Keil muss immer in den tiefsten Punkt der Konkavität eingebracht werden. Beachte kombinierte Fehlstellungen in mehreren Ebenen. Um die angestrebte Hebelwirkung zu erzielen, muss der Keil um so weiter proximal platziert werden, je weiter distal die Fraktur liegt.
Keilungsränder der rigiden Kunststoff- oder WeißgipsLonguette eingeklemmt. Nach BV-Dokumentation des Resultats wird die Keilungsstelle mittels rigider Kunststoff- oder Weißgipsbinde zirkulär verschlossen. Hierbei ist ein Absinken des Kork- oder Holzkeils in oder unter den Gips mit der Folge von Drucknekrosen peinlichst zu vermeiden. Nach 24 Stunden erfolgt eine Gipskontrolle. Klagt der Patient bis dahin über Beschwerden ohne Einnahme von Schmerzmitteln, kann der Gips ggf. in zwei Halbschalen gespalten und provisorisch mittels elastischer Binde fixiert werden, die daheim sukzessive nachgespannt und nach einigen Tagen durch eine semirigide Kunststoffbinde ersetzt werden kann. Komplikationen Beim Keilen besteht die Gefahr der Druckulkusbildung auf der Gegenseite der Keilung. Bei Schmerzen muss an dieser Stelle der Gips gefenstert und nachgepolstert werden. Ist der Patient beschwerdefrei, wird der Gips wieder zirkulär verschlossen. Mit dieser (anästhesiefreien) Vorgehensweise kann die einzige Komplikation dieser Technik, die Bildung von Druckusuren durch die Keilung, zuverlässig vermieden werden. Sekundärdislokationen sind kaum zu befürchten, da die Verfestigung des Fixationskallus durch die Redression nicht unterbrochen und somit die Frakturkonsolidation nicht verzögert wird.
Extension Lediglich die Pflasterextension erfüllt das Hauptkriterium der konservativen Behandlung, die Nichtinvasivität. Sie entstammt der präosteosynthetischen Ära und hat insbesondere bei Frakturen von Femur und Tibia eine lange Tradition als Verfahren der Wahl, bevor Kriterien wie kindgerechte Behandlung, Hospitalismusvermeidung und Kosteneffizienz für klinische Entscheidungen an Bedeutung gewannen. Sie bedeutet nicht zwingend Hospitalisation, wenn wie in Skandinavien Vorrichtungen zur Heimextension vorhanden und die entsprechende Instruktion gewährleistet ist. Insbesondere vor dem 4. Lebensjahr gilt sie mancherorts noch als Methode der Wahl, deren Dauer durch einen Becken-Bein-Gips ggf. abgekürzt werden kann (⊡ Abb. 6.4). Sie kann ferner die Zeit bis zu einer definitiven Frakturversorgung überbrücken. Neben den fehlenden Risiken eines invasiven Vorgehens ist ein weiterer Vorteil der geringe (Kosten-)Aufwand. Nachteile sind die lang dauernde hochgradige Immobilisation und die damit verbundene Deprivation des Patienten von seinem sozialen Umfeld sowie die eingeschränkte bzw. strahlenintensive Überprüfbarkeit des Behandlungsverlaufs. Im Kontext eines kindgerechten und patientenzentrierten Therapiekonzepts sollte sie zwar gekannt und beherrscht werden, aber lediglich als Überbrückungsund Rückzugsreserve, nur in besonderen Fällen auch als Behandlungsalternative eingesetzt werden.
6
54
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
Der Hanging-Cast (Oberarmgips mit axialem Zusatzgewicht am Ellenbogen) ist als eine Art Extension zwar eine Redression, erscheint jedoch aufgrund der Instabilität (Fraktur meist über oder nahe dem Gipsrand), der Hebelwirkung im Liegen und seines hohen Gewichts wenig geeignet und nicht kindgerecht.
6
Rucksackverband Der Rucksackverband (⊡ Abb. 6.5) reduziert die Beweglichkeit der Schultern und dadurch die Schmerzen einer frischen Klavikulafraktur, indem die Schultern etwas nach dorsal gezogen werden. Mancher betrachtet ihn daher als dynamische Frakturbehandlung zur Korrektur der Fragmentstellung. Dies ist jedoch aufgrund der dreidimensionalen Scherwirkungen auf das Schlüsselbein allenfalls theoretisch denkbar, in der Praxis bedarf es für eine solche Wirkung eines kräftigen Zugs mit Schmerzen in der Fraktur und schnürender Wirkung in der Axilla mit den entsprechenden Folgen für Zirkulation, Sensibilität und Motorik. Nach praktischer Prüfung etlicher konfektionierter Produkte, die bei Kindern meist zu klein oder zu groß ausfallen und trotz richtiger Anwendung zu axillären Dekubitalulzera führen, ziehen wir den individuell binnen Minuten hergestellten und angepassten Gazeschlauchverband vor, der in der Mitte auf ⅔ seiner Gesamtlänge mit Watte gepolstert, hinter dem Nacken und unter den Achseln geführt und zwischen den Schulterblättern zu einer 8er-Form gebunden wird, sodass er leicht nachgespannt werden kann.
Blount-Schlinge (Cuff’n Collar) (⊡ Abb. 6.6)
⊡ Abb. 6.4. Overhead-Extension.
⊡ Abb. 6.5. Rucksackverband mit gepolstertem Schlauch.
Bei nicht oder nur in einer Ebene in die Antekurvation dislozierten suprakondylären Humerusfrakturen kann der Zug der Trizepssehne zur Stabilisierung bzw. dynamischen Redression der Fraktur ausgenutzt werden, indem der Ellenbogen im Verlauf mehrerer Tage sukzessive in die maximal tolerierte und schwellungsbedingt mögliche Spitzwinkelstellung gebracht wird. Durch die ansteigende Zuggurtungswirkung wird bei abnehmender Schwellung die Fraktur immobilisiert und redressiert. Am Unfalltag,
⊡ Abb. 6.6. Blount-Schlinge, Cuff’n Collar.
55 6.1 · Konservative Therapiemöglichkeiten
spätestens um den 4. Tag, wird eine gepolsterte Handgelenkschlinge (wattegepolsterter Gazeschlauch) an eine ebensolche um den Nacken gelegte Schlinge gehängt und täglich bis zur gerade noch tolerierten Spitzwinkelbildung nachgezogen, bis das Handgelenk dicht am Jugulum ist und die Hand praktisch auf der gegenseitigen Schulter zu liegen kommt. Vorteile sind neben der zuverlässigen Stellungskorrektur die bessere Mobilität und einfachere Körperpflege als mit einem Oberarmgips. Es bedarf allerdings eines Minimums an Compliance durch Patient und Eltern, da die initiale Unsicherheit in gute Kooperation mit täglichem Nachspannen in den ersten 5–7 Tagen verwandelt werden muss. Dies gelingt zuverlässig, wenn man beiden das Verfahren, am besten bei der Kontrolle am 4. Tag, in Ruhe erklärt und sie als Mitarbeiter gewinnt. Bei schmerzlosem Verlauf ohne interkurrente Stürze ist bei korrekter Indikation eine Röntgenkontrolle erst zur Überprüfung der Konsolidation erforderlich.
überbrückt. Durch die kontinuierliche Anpassung dieses »Brace« an den abschwellenden Muskulaturmantel wird dessen schienende Wirkung unterstützt. Durch eine frühfunktionelle Mobilisierung werden die anatomischen Beziehungen erhalten bzw. wiederhergestellt. Den minimalen Scherbewegungen wird eine fördernde Wirkung auf die Kallusbildung zugeschrieben.
Tape Das Konzept der konservativen frühfunktionellen Behandlung fibulotalarer Bandläsionen einschließlich Ruptur hat sich vielfach bewährt und die fibulotalare Bandnaht als Primärtherapie abgelöst. Zahlreiche Techniken und konfektionierte Materialien konkurrieren auf diesem Markt. Sie basieren alle auf dem Prinzip, während der Heilungsphase der ersten 6 Wochen durch eine funktionelle Führung des oberen Sprunggelenks die tibiotalare Abrollbewegung zu ermöglichen und den fibulotalaren Stress der Supinationsbewegung zu verhindern.
Sarmiento-Brace Die funktionelle Frakturbehandlung nach Sarmiento ist streng genommen eher eine aktive Immobilisation als eine Redression. Sie ist indiziert bei mäßig dislozierten diaphysären Humerus-, Tibia- und kompletten Unterschenkelfrakturen und besteht in der anatomisch exakten Anpassung einer primär gespaltenen und mit Klettverschlüssen adaptierbaren zirkulären Schiene, welche die benachbarten Gelenke einfasst, aber nicht rigide
6.1.2 Konservative Frakturbehandlung (⊡ Tab. 6.3 Indikationen, ⊡ Tab. 6.4 Vor- und Nachteile)
Röntgenkontrollen Die Indikation zur Röntgenuntersuchung als einem invasiven Diagnoseinstrument sollte eng gestellt werden und einer kritischen Überlegung folgen. Das bedeutet, dass
⊡ Tab. 6.3. Indikationen und Behandlungsmöglichkeiten für Retention und Redression Art
Form
Indikationen
Retention (passiv)
Bandage Desault/Velpeau, Gilchrist Schiene zirkulärer Gips
proximale (evtl. diaphysäre) Humerusfraktur alle Lokalisationen undislozierte stabile Frakturen
Redression (aktiv dynamisch)
Gipskeilung Bandage Rucksack Schlinge (Blount) (Pflaster-)Extension Sarmiento-Brace Tape
isolierte Tibiaschaftfraktur distale Unterarmfraktur Klavikulafraktur suprakondyläre Humerusfraktur I (evtl. II) dislozierte Femurfraktur beim Kleinkind 10 Jahre
1
2
2–3
proximal
1
2–3
3
diaphysär
2
3–4
4–6
suprakondylär
1–2
2–3
3–4
Condylus
3
3–4
4
Y-Fraktur
2–3
3
3–4
Epicondylus ulnaris (und Ellenbogenluxation)
2–3
2–3
2
Olekranon
1
2–3
3–4
Proximales Radiusende
1
2
2
Unterarm diaphysär
3
4
4–6
Distaler Radius
2
3–4
4
Epiphysenlösung distaler Radius
2
2–3
3–4
Handwurzel
–
4–6
6–12
Mittelhand basal und subkapital
–
2
2–3
Mittelhand diaphysär
–
3–4
4–6
Finger
1–2
2–3
2–3
Schenkelhals
–
4–6
6–12
subtrochantär
3–4
4–5
4–6
Diaphyse
1–3
4–5
4–6
Kondylen inkl. Epiphysenlösungen
2–3
3–4
4
Eminentia
–
3–4
4
2–3
3–4
4
–
3–5
4–6
OSG
2–3
3–4
4–5
Fußwurzel und Kalkaneus
–
4–8
6–12
Mittelfuß
2–3
3
3–4
Klavikula Humerus
Tibia proximale Metaphyse diaphysär
61 6.2 · Operative Therapiemöglichkeiten
6.2
Operative Therapiemöglichkeiten
T. Slongo 6.2.1 Reposition
Bevor die Frage über ein offenes oder geschlossenes Vorgehen beantwortet werden kann, gilt es primär die Notwendigkeit einer Reposition zu erörtern. Wie bereits in Kap. 1 dargelegt wurde, gibt es alters-, lokalisationsund dislokationsabhängige Kriterien, die es zu kennen und zu respektieren gilt. Werden sie übergangen, kann es einerseits zu unnötigen, das Kind belastenden Narkosen und Therapien kommen oder im anderen Fall zu bleibenden Achsfehlstellungen, weil eine potenzielle Instabilität falsch beurteilt wurde.
Repositionskriterien Keine Reposition bei ▬ allen stabilen, unverschobenen Brüchen der oberen und unteren Extremität unabhängig vom Alter (⊡ Abb. 6.8); ▬ stabilen Stauchungsbrüchen oder metaphysären Grünholzfrakturen, die innerhalb der Toleranzmargen liegen; ▬ instabilen Brüchen des Humerus, sofern initial eine tolerable Achsabweichung besteht (primär nur Fixation→Kontrolle); ▬ praktisch allen Klavikulafrakturen.
⊡ Abb. 6.8. Stabile Radiusfraktur, nur Fixation im Gips.
Reposition bei ▬ allen Frakturen, stabilen wie instabilen, die außerhalb der altersabhängigen und lokalisationsabhängigen Toleranzmarge liegen. Insbesondere trifft dies auf Frakturen des Unterarmschafts zu, da hier Achsabweichungen zu deutlichen Funktionsstörungen führen können (⊡ Abb. 6.9). An der unteren Extremität gilt es vor allem auf Erhaltung der Länge, Achse und Rotation zu achten.
Offen oder geschlossen? Ob eine Fraktur offen oder geschlossen reponiert werden muss, hängt nicht nur von der Frakturmorphologie, sondern auch von der Erfahrung des behandelnden Arztes ab. Dabei sind folgende Aspekte zu berücksichtigen: Der Behandlung geht eine eingehende Analyse der Fraktur voran mit der Frage nach Reponierbarkeit, Stabilität, Heilungsverhalten und Prognose. ▬ Die erste Behandlung sollte die letzte, d.h. die definitive sein, keine Nachrepositionen oder sekundäre Stabilisierungen erforderlich machen. Dies bedingt, dass kritische Frakturen im Operationssaal bzw. in Operationsbereitschaft versorgt werden sollten. ▬ Jede Reposition sollte unter adäquater Analgesie, d.h. in der Regel Narkose oder Plexusanästhesie, durchgeführt werden. Die meisten modernen Stabilisierungsverfahren, ob konservativ oder operativ, lassen eine geschlossene Behandlung zu. Dies gilt zunehmend auch für Plattenosteosynthe-
⊡ Abb. 6.9. Instabile distale Unterarmfraktur, Reposition und korrekte Stabilisierung erforderlich.
6
62
6
Kapitel 6 · Behandlungsprinzipien
– Frakturen der distalen Femurkondylen; – Frakturen des Tibiaplateaus bei Dislokation über 2 mm; – Frakturen der distalen Tibia (two- und triplane fractures), sofern keine Versorgung mittels durchbohrter Schrauben möglich ist→Möglichkeit der gezielten geschlossenen Reposition, praktisch einzige Ausnahme bei einer Gelenkfraktur; – dislozierte bzw. Trümmerfrakturen von Talus und Kalkaneus; – Frakturen des Radiuskopfes bzw. -halses stellen keine Indikation für primär offenes Vorgehen dar (⊡ Abb. 6.11); – Dislozierte Frakturen der distalen Radiusepiphyse.
sen, falls eine solche heute bei einem Kind noch indiziert sein sollte (sog. minimalinvasive Plattenosteosynthese). Falls eine offene Reposition notwendig wird, sollte wenn immer möglich eine stabile innere oder äußere Osteosynthese durchgeführt werden. Eine offene chirurgische Reposition und konservative Fixierung mittels Gipsverband ist kaum noch zulässig, da bei jeder konservativen Fixierung, auch wenn eine offene Reposition erfolgt ist, eine sekundäre Dislokation eintreten kann. Prinzipiell können die meisten Frakturen im Kindesalter auch bei Durchführung einer Osteosynthese geschlossen reponiert behandelt werden. Eine Ausnahme bilden Gelenkfrakturen, die prinzipiell dargestellt (offen oder arthroskopisch) und anatomisch reponiert und fixiert werden sollten.
Offene Reposition Offene Repositionen von Frakturen im Kindesalter sind selten. Dabei müssen zwei Indikationen unterschieden werden: ▬ Frakturen, die prinzipiell für eine geschlossene Reposition vorgesehen sind, die sich jedoch nicht adäquat reponieren lassen, um einer stabilen Versorgung zugeführt werden zu können→sekundär offene Reposition. ▬ Frakturen, die primär einer offenen Reposition zugeführt werden müssen bzw. für eine offene Reposition geplant werden müssen.
Sekundäre offene Reposition ▬ Häufigste Frakturtypen: – Querfrakturen der Diaphyse durch direktes Trauma → Fragmente in verschiedenen Kompartmenten, – diaphysäre Mehretagenfrakturen, – Gelenkfrakturen mit sekundärer Dislokation über 2 mm in der gipsfreien Fünftageskontrolle. ▬ Häufigste Lokalisationen: – distaler Humerus, suprakondylär, – Unterarmschaftfrakturen, – Femurschaftfrakturen (quer), – Frakturen der distalen und proximalen Tibia.
⊡ Abb. 6.10. Die allermeisten Gelenkfrakturen müssen offen reponiert werden, um eine sichere Gelenkkongruenz zu erhalten, wie z.B. bei der abgebildeten Condylus-radialis-Fraktur.
a
Primär offene Reposition ▬ Häufigste Frakturtypen: – Gelenkfrakturen mit Dislokation über 2 mm (⊡ Abb. 6.10), – teilweise offene Frakturen, – Defektfrakturen (äußerst selten). ▬ Häufigste Lokalisationen: – Frakturen des Condylus radialis, Epicondylus ulnaris, Y-Frakturen des distalen Humerus, sofern Dislokation primär über 2 mm; – Hüftkopfgleiten mit Abrutsch über 10°; – dislozierte Schenkelhalsfrakturen,
b ⊡ Abb. 6.11. Geschlossene Reposition und Fixierung einer dislozierten Radiushalsfraktur mittels ESIN. a Dislokation. b Reposition und Osteosynthese.
63 6.2 · Operative Therapiemöglichkeiten
Die angeführten Punkte stellen lediglich die Basis für eine eingehende und korrekte Analyse der therapeutischen Strategie dar. Im individuellen Fall muss auf die Fraktur abgestimmt werden, daneben sind die eigenen fachlichen und technischen, d.h. auch instrumentellen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Nicht zu vernachlässigen sind heute besonders in unseren Breitengraden die sozioökonomischen Aspekte bis hin zur Möglichkeit der schnellen Wiedererlangung der Spielfähigkeit bzw. des Schulbesuchs und die häusliche Pflege.
kann und zu ihrer Entfernung keine Narkose benötigt wird. Sie ist praktisch überall und immer verfügbar. Indikationen. Offen oder geschlossen reponierte meta-
physäre Frakturen aller Röhrenknochen, praktisch unabhängig vom Alter. Gelenkfrakturen bei jüngeren Kindern (9
BSN Gesamtskala
0–10
>11
Rumpfhaltung
Beinhaltung
⊡ Tab. 10.2. Kindliche Unbehagens- und Schmerzskala (KUSS)
4
⊡ Tab. 10.3. Fünf Parameter zur KUSS-Schmerzerfassung
Hester-Poker-Chip-Skala
Kein Schmerz
3
⊡ Abb. 10.3. Hester-Poker-Chip-Skala.
Weinen
Dieses Schmerzmessinstrument besteht aus vier Chips= Mühlesteinen. Die Zahl der Mühlesteine entspricht der Schmerzintensität (⊡ Abb. 10.3).
2
Motorische Unruhe
gar nicht
0
Stöhnen, Jammern, Wimmern
1
Schreien
2
entspannt, lächelnd
0
Mund verzerrt
1
Mund und Augen grimassieren
2
neutral
0
unstet
1
Aufbäumen, Krümmen
2
neutral
0
strampelnd
1
an den Körper gezogen
2
nicht vorhanden
0
Code für SI
A
B
C
D
mäßig
1
KUSS (Punktzahl)
0–1
2–3
4–7
8–10
ruhelos
2
10
99 10.1 · Schmerztherapie und Sedierung
Gesichterskala
Visual Analogue Scale (VAS) für Jugendliche
Dem Kind wird eine Skala mit sechs nebeneinander angeordneten Gesichtern gezeigt, deren Ausdruck graduell von »keine Schmerzen« bis zu »stärksten erdenkbaren Schmerzen« reicht (⊡ Abb. 10.4). Man beachte, dass die Gesichter keine Tränen aufweisen. ▬ Alter: ≥ 4 Jahre. ▬ Skala: 0=keine Schmerzen, 2–10 schwache bis stärkste Schmerzen (⊡ Tab. 10.4). ▬ A keine Intervention nötig. ▬ B Intervention nötig, Evaluation. ▬ Ab C Intervention dringend; Evaluation, wenn konstant oder wiederkehrend über 24 Stunden → Schmerzteam einschalten. ▬ Anleitung: Die Gesichter werden dem Kind gezeigt, dabei müssen diese entsprechend der Anleitung kommentiert werden: – Die Gesichter zeigen, wie fest etwas weh tun kann. – Das linke Gesicht zeigt, dass es nicht weh tut. – Die Gesichter nach rechts zeigen, dass es immer mehr weh tut. – Das rechte Gesicht zeigt so starke Schmerzen, wie man sich gar nicht vorstellen kann. – Zeige nun das Gesicht, das zeigt, wie viel weh du jetzt gerade hast.
Dieses Schmerzerfassungsinstrument besteht wiederum aus einer geraden Skala mit den Extremen »keine Schmerzen« und »unerträgliche Schmerzen«. Das Kind stellt mit dem Schieber auf dieser Geraden die momentan empfundene Schmerzstärke ein, die auf der Rückseite des Schiebers als Wert zwischen 0 und 100 abgelesen werden kann. ▬ Alter: ≥ 12 Jahre. ▬ Skala: 0–9 = keine Schmerzen 10–100 = schwache bis stärkste Schmerzen (⊡ Tab. 10.5). ▬ A keine Intervention nötig. ▬ B Intervention nötig, Evaluation. ▬ Ab C Intervention dringend; Evaluation, wenn konstant oder wiederkehrend über 24 Stunden → Schmerzteam einschalten. ▬ Anleitung: Dem Jugendlichen wird die Skala erklärt von keinen Schmerzen bis unerträgliche Schmerzen. – Der Schieber wird bewegt und der Jugendliche muss seine Schmerzen einordnen. – Der Jugendliche muss immer wieder nach den momentanen Schmerzen gefragt werden. – Nach Festlegung der Schmerzintensität auf der Skala kann auf der Rückseite der entsprechende Wert ermittelt werden. Dieser Wert stellt die Grundlage der Schmerzbehandlung bzw. Schmerzintervention dar. Er muss zur Verlaufskontrolle in ein Protokoll eingetragen werden.
10.1.5 Schmerzprotokolle
0
2
4
6
8
10
Das Führen eines Schmerzprotokolls, unabhängig vom verwendeten Schmerzerfassungssystem, ist die unabdingbare Voraussetzung einer korrekten Schmerztherapie. Einerseits kann nur dadurch der Schmerzverlauf objektiviert werden, andererseits lässt sich nur durch diese Dokumentation bzw. Protokollierung der Effekt unserer Schmerztherapie über die Zeit erkennen. Dieses Schmerzprotokoll soll dem Pflegeteam wie auch dem Arzt zur Verfügung stehen. ▬ Das Schmerzprotokoll bietet die Möglichkeit zur Dokumentation von – Schmerzerfassung, – Schmerztherapie,
⊡ Abb. 10.4. Gesichterskala.
⊡ Tab. 10.5. Interventionsskala zur Visual Analogue Scale (VAS) für Jugendliche
⊡ Tab. 10.4. Interventionsskala zur Gesichterskala Code
A
B
C
D
Code
A
B
C
D
Gesichterskala (Rückseite ablesen)
0
2–4
6
8–10
VAS (Rückseite ablesen)
0–9
10–35
36–69
70–100
100
Kapitel 10 · Medikamentöse Therapie
– Nebenwirkung der Schmerztherapie, – Vitalzeichen. ▬ Zielsetzung der Schmerzerfassung und Protokollierung ist: – herausfinden, ob ein Kind objektiv Schmerzen hat; – die Schmerzdimensionen, z.B. Schmerzintensität, Lokalisation, Begleitumständen, erfassen; – Darstellung des Schmerzverlaufs; – individuell angepasste Schmerzinterventionen; – Beurteilung der Wirkung/Nebenwirkung der Schmerzbehandlung (medikamentöse/nichtmedikamentöse Interventionen).
⊡ Tab. 10.6. Häufigkeit der Schmerzerfassung und Protokollierung2
Schmerzerfassung und Dokumentation erfolgen immer, sowohl bei manifesten als auch bei vermuteten Schmerzen. Auf dem Schmerzprotokoll wird alles dokumentiert, was mit Schmerzen im Zusammenhang steht (⊡ Tab. 10.6). ⊡ Tab. 10.7 gibt die Überwachungshäufigkeit postoperativ, nach Sedierung und bei Opiattherapie wieder. 2
10.1.6 Medikamentöse Schmerztherapie bei
Schmerzzustände/ Schmerztherapieart
Häufigkeit
Manifeste und vermutete Schmerzen
– mindestens 1-mal pro Schicht
Intervention (medikamentös/nichtmedikamentös), die nicht in regelmäßigen Abständen erfolgt
– vor der Intervention – nach der Intervention, im Zeitraum der zu erwartenden Wirkung – nach Ablauf der zu erwartenden Wirkung, mindestens 1 mal pro Schicht
Bei fixer Schmerztherapie
– in der Regel 1-mal pro Schicht
Postoperativer Schmerz
– 1-stdl. während 4 Std. – 2-stdl. während 8 Std. – 4-stdl. während 24 Std. oder kontinuierlich mit Schmerzpumpe
Arbeitsgruppe Berner Schmerzfachteam: Dr. Ph. Liniger, Frau Dr. F. Stucki, Frau Dr. P. Schwander, Frau Dr. A. Ridolfi-Lüthy, Frau K. Hirter Pflegefachfrau
Säuglingen, Kindern und Jugendlichen
10
Grundsätze der medikamentösen Schmerztherapie ▬ Die Schmerztherapie ist in aller Regel eine Symptomtherapie. Die Schmerzätiologie muss immer sorgfältig und unverzüglich, meist parallel zur Therapie, abgeklärt werden. ▬ Bei jeder Schmerztherapie sind immer Indikation, Kontraindikationen und Nebenwirkungen der Medikamente zu beachten, ebenso wie Wirkungseintritt und -dauer. ▬ Die Verabreichung der Schmerzmittel soll in festen Intervallen erfolgen; wenn möglich immer per os; ▬ vor dem Schmerzreiz (ein einmal aufgetretener Schmerz ist schwieriger zu behandeln); ▬ Schmerzdauertherapie erst, wenn Diagnose und Prozedere klar sind, sonst Bolus und anschließendes Schmerzfenster.
Spezielle klinische Situation ▬ Bei Fraktur, Gelenkerguss, Weichteilabszess Ruhigstellen mit Gipsschiene. ▬ Bei Schmerzen im Gips zuerst Gips kontrollieren und ggf. korrigieren, erst danach systemische Schmerztherapie. ▬ Bei akutem Abdomen Schmerztherapie erst wenn Prozedere festgelegt ist; falls Operation geplant: Morphin i.v.
Grundsätzliches zu einigen Medikamenten ▬ Paracetamol ist das am besten dokumentierte Schmerzmittel bei Früh- und Neugeborenen. Es ist ein schwaches Analgetikum ohne Entzündungshemmung. Der Wirkungseintritt und die Absorption sind rektal sehr unterschiedlich. Es ist als analgetische Basismedikation in vielen Situationen indiziert. ▬ Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wirken stärker als Paracetamol und sind zusätzlich entzündungshemmend und fiebersenkend. Wir gebrauchen am häufigsten Ibuprofen; Diclofenac und Ketorolac eignen sich für Kombinationstherapien. Vor dem 6. Lebensmonat ist die Wirkung schlecht dokumentiert. Nicht an Säuglinge unter 3 Monaten verabreichen! ▬ Opioide sind die potentesten Schmerzmittel, die zur Verfügung stehen. Sie weisen jedoch verschiedene Nebenwirkungen auf, die bedacht werden müssen. Indiziert bei sehr starken Schmerzen jeder Genese (⊡ Tab. 10.7). Überwachung. Eine Opiattherapie muss gemäß SRK(Sedationstiefe, Respirationstiefe und -frequenz, Kreislauffunktion) Richtlinien (⊡ Tab. 10.8) überwacht werden!
p.o. p.r.
Mo-Sulfat MSTcontinus
0,3–0,6 mg 0,3–0,6 mg
0,15–0,3 mg 0,15–0,3 mg
0,05(–0,1) mg 0,1–0,2 mg 0,01–0,02 mg
0,1–0,2 mg TOP 20 mg MTD 160 mg 0,02–0,1 mg
Codein+Pa. 1+16 mg Codein+Pa. 1+25 mg
1,0–1,5 mg MTD 200 mg
1–2 mg MTD 400 mg
0,5 mg TOP 30 mg MTD 120 mg
10 mg TOP 800 mg MTD 2400 mg
1 mg MTD 150 mg 1 mg
15 mg MTD 60 mg/kg
20 mg MTD 4 g 1. Dos. 40 mg, ab 2. Dos. 20–25 mg
mg/kg/Dosis
p.o. p.r.
4h4h
(2)–4 h 4h 1h
4h 1h
4h
4h
4–6 h
6h
6h
8h 8h
6h
6h 6h
Dosisintervall
T: 10/30/60/100/200 mg Sa: 20/30/60/100/200 mg Sup: 30/60/100/200 mg
Gt 1%: 1 Tr=0,5 mg (≅ 10 mg/ml) T: 10/20/50 mg Sup: 10/20/30 mg
Amp: 10 mg/ml
Amp: 20 mg/2 ml
T, BT: 30+500 mg: Codein+Paracetamol Sup: 30+750: Codein+Paracetamol
T: 50 mg Gt: 1 Tr=1 mg (≅ 20 mg/ml) (Insel)
Kaps: 50 mg T (retard): 100/150/200 mg Gt: 1 Tr=2,5 mg (≅ 100 mg/ml) Sup: 100 mg Amp: 100 mg/2 ml
Amp: 30 mg/ml
T: 200/400/600 mg T (retard) 800 mg Sa: 600 mg
Drag: 25/50 mg Gt: 1 Tr=0,5 mg (≅ 15 mg/ml) Sup: 12,5/25/50/100 mg
Fertiglösung 500 mg, 1 g
T: 500 mg BT: 500 mg/ 1g Sa: 150/250 S: 30 mg/ml Gt: 1 Tr=4 mg (≅ 100 mg/ml) Sup: 30/80/150/200/300/600 mg/1 g
Konfektion
60’
20’ 20–40’
5–10’ 10’
2–3’ 3 Mo.
15 mg
– nicht geeignet für EEG – p.r. 2 cm ab ano – Antagonist: Flumacetil Anexate
Chloralhydrat Nervifne
S: 100 mg/1 ml
p.o. 75 mg p.r. 75 mg
>3 Mo.
2000 mg
– kontraindiziert bei (Verdacht auf ) akut erhöhten Hirndruck – nicht antagonisierbar – bei kl. Kindern möglichst große Menge rektal verabreichen (p.o. führt zu Übelkeit)
Bedingungen für Sedationen Cave: Elektrolytstörung, Störung des Flüssigkeits-/Säure-Basen-Haushalts, Probleme der Atemwege Personal Überwachung auf der Station: Pflegefachperson Überwachung außerhalb der Station (Transport, Bettenhochhaus): Pflegefachperson ausgebildet, mit CPR-Kurs für Kinder i.v. Dormicum: Patient immer nüchtern (Zeiten s.u.). Verabreichung durch OA oder Assistenzarzt, IPS-OA im Hause. Überwachung/ Verabreichung: 1 Person ist für die Überwachung, die zweite für den Eingriff zuständig. Der Arzt versichert sich, bevor er den Patienten verlässt, dass es sich um eine leichte Sedation handelt (conscious). Der Arzt muss innerhalb 2 Minuten beim Patienten sein. Material in Bereitschaft (für jede Sedationstiefe) Sauerstoff (Wandanschluss oder Flasche) Absaugpumpe mit Absaugkatheter Beatmungsbeutel (klein für Kinder bis 20 kg), passende Maske Pulsoximeter und Sonde (Blutdruckapparat und Manschette) Notfallset Überwachung bei bildgebenden Untersuchungen (MRI, CT, Szintigraphie) während der Dauer der Untersuchung kontinuierliche Pulsoxymetrie, engmaschige klinische Kontrolle, wenn nötig Sauerstoffgabe via Trichter bei i.v. Dormicum: Arzt und Pflegefachperson bleiben während der Dauer der Überwachung beim Patienten Dokumentation Medikamente und Überwachung (Klinik, SRK) werden dokumentiert ▼
105 10.1 · Schmerztherapie und Sedierung
⊡ Tab. 10.9. Fortsetzung Nüchternzeiten Muttermilch, Nahrung, Flaschenmahlzeit
Klare Flüssigkeit, Tee, Wasser, Sirup
Säuglinge 2 J.: spricht und kann selbstständig aufsitzen – Kind 1 cm ausgedehnter Weichteilschaden mit Lappenbildung oder Décollement mittelgradige Muskelkontusion einfache Quer- oder kurze Schrägfrakturen mit kleiner Trümmerzone
Grad 3
ausgedehnter Weichteilschaden mit Zerstörung von Haut, Muskel und neurovaskulären Strukturen Hochrasanztraumen
Hautwunde ≤1 cm Durchspießung von innen nicht verschmutzt minimale Muskelkontusion einfache Quer- oder kurze Schrägfraktur
3A
noch adäquate Knochendeckung durch Weichteile möglich Stück-, Schussfrakturen
3B
Deperiostierung und freiliegender Knochen plastische Weichteildeckung nötig massive Kontamination
3C
rekonstruktionspflichtige Gefäßverletzung
107 10.2 · Antibiotikaprophylaxe und -therapie
10.2.2 Antibiotikatherapie
Kommt es zu einer Wundinfektion, wird neben der chirurgischen Sanierung eine spezifische Antibiotikatherapie notwendig. Hierbei muss ein frühzeitiger mikrobiologischer Keimnachweis zum Erstellen eines Antibiogramms durchgeführt werden, um spezifisch behandeln zu können. Im Verlauf sind dabei regelmäßige Laborkontrollen sowie rezidivierende mikrobiologische Abstriche nötig, um Nebenwirkungen zu erfassen bzw. auf ein wechselndes Erreger- und Resistenzspektrum reagieren zu können. Bis zum Erstellen eines Antibiogramms erfolgt eine ungezielte initiale Therapie mit einem Breitspektrumantibiotikum. Dabei muss der Haupterreger von Wundinfektionen (Staphylococcus aureus) berücksichtigt werden. In der Regel erfolgt auch hier eine Basistherapie mit einem
Cephalosporin, bei schwereren Infektionen in Kombination mit z.B. Clindamycin oder Imipenem. Nach Keimbestimmung und Antibiogramm wird die Medikation entsprechend umgestellt. Auch in der Antibiotikatherapie führt eine Langzeittherapie nicht zu einer Reduktion der Infektionsrate, sondern zum Entwickeln von Antibiotikaresistenzen. ⊡ Tab. 10.12 stellt einen Vorschlag für das Vorgehen bei kindlichen Verletzungen dar, der in Zusammenarbeit mit dem Institut für medizinische Mikrobiologie, Dr. V. Schäfer und dem Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Dr. J. Brand der Uniklinik Frankfurt erarbeitet wurde. Bei der Auswahl des richtigen Antibiotikums muss das lokale Erreger- und Resistenzspektrum berücksichtigt werden, sodass keine allgemeingültige Richtlinie gegeben werden kann.
⊡ Tab. 10.12. Indikationen für Antibiotikatherapie und Prophylaxe4
4
Ursache/Krankheitsbild
Häufige Erreger
Vorschlag medikamentöse Therapie
Dosierung
Offene Fraktur Große Weichteilwunde
Staphylococcus aureus
1. Wahl: Cefuroxim kontaminierte Wunde/Immunsuppression: Imipenem
40 mg/kg 3×tgl. 20 mg/kg 3×tgl.
Gasbrand
Clostridium perfringens
Penicillin G
8000–80000 IE/kg 4–6×tgl.
Tierbisse
Pasteurella multocida Capnocytophaga canimorsus Eikenella corrodens Staphylokokken Streptokokken
1. Wahl: Amoxicillin/Clavulansäure oder Cefuroxim kontaminierte Wunde/Immunsuppression: Imipenem
40 mg/kg 3×tgl. (i.v.) 40 mg/kg 3×tgl. 20 mg/kg 3×tgl.
Menschenbisse
aerobe und anaerobe Keime der Mundflora Eikenella corrodens Klebsiella pneumoniae
1. Wahl: Amoxicillin/Clavulansäure
40 mg/kg 3×tgl. (i.v.)
Verbrennungen
Pseudomonas aeruginosa Staphylokokken (resistent) A-Streptokokken Pilzinfektion
1. Wahl: Cefuroxim (ohne Pseudomonas) Pseudomonas: Imipenem resist. Staphylokokken: Ceftazidim + Vancomycin MRSA: Vancomycin Verdacht auf Pilzinfektion: Amphotericin B
40 mg/kg 3×tgl. 20 mg/kg 3×tgl. 40 mg/kg 3×tgl. 15 mg/kg 3×tgl. (Spiegel!) 0,5–1 mg/kg
Erysipel
A-Streptokokken
Penicillin G
8000–80000 IE/kg 4–6×tgl.
Osteomyelitis
Haemophilus influenza Staphylococcus aureus Enterobacter
Ceftriaxon + Clindamycin
50 mg/kg 2×tgl. + 10 mg/kg 3×tgl.
Empyem
Staphylococcus aureus hämolysierende Streptokokken
1. Wahl: Cefuroxim kontaminierte Wunde/Immunsuppression: Imipenem
40 mg/kg 3×tgl. 20 mg/kg 3×tgl.
Offenes SchädelHirn-Trauma
Staphylococcus aureus Anaerobier Enterobacter
1. Wahl: Meronem kontaminierte Wunde/Immunsuppression: Vancomycin
20 mg/kg 3×tgl. 15 mg/kg 3×tgl. (Spiegel!)
Erstellt in Zusammenarbeit mit Dr. Volker Schäfer, Institut für medizinische Mikrobiologie der Universitätsklinik Frankfurt und Dr. Jörg Brand, Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin der Universitätsklinik Frankfurt
10
108
Kapitel 10 · Medikamentöse Therapie
10.3
Thromboseprophylaxe
D. Schneidmüller
10
Die Gabe niedermolekularer Heparine hat sich zur Prophylaxe der Venenthrombose etabliert. Das Risiko einer Venenthrombose liegt beim Kind zwar deutlich niedriger als beim Erwachsenen, ist nach einer Umfrage in deutschen Kliniken mit 188 Thrombosen pro Jahr jedoch höher als häufig angenommen. Die Inzidenz einer Thrombose für hospitalisierte Kinder aller Fachdisziplinen liegt bei 5,3 pro 10000 mit einer Mortalität von 2,2%. Die Altersgipfel liegen dabei im Säuglingsalter bis zum 1. Lebensjahr und in der Pubertät. Die Traumatologie bzw. Chirurgie stellt mit 6% aber einen verhältnismäßig kleinen Anteil der Indikationen für eine Thromboseprophylaxe. Der überwiegende Teil der Erkenntnisse zur Thrombosetherapie und -prophylaxe stammt aus anderen Bereichen der Pädiatrie- wie z.B. der Kinderkardiologie oder -onkologie. Eine retrospektive multizentrische Studie an 58716 Kindern untersuchte das Thromboembolierisiko nach Trauma mit dem Ergebnis einer Thromboembolie-Inzidenz von 0,08% (45 Kinder). Dabei steigt das Risiko mit dem Alter der Kinder sowie mit dem Schweregrad der Verletzung (Injury Severity Score ISS). Das höchste Risiko lag bei Kindern mit einem Zentralvenenkatheter und es bestand ein Zusammenhang mit Schädel-HirnTraumen oder einer Kraniotomie, Abdominal- und Thoraxtraumen, Laparotomie, Wirbelsäulenverletzungen, Wirbelsäuleneingriffen sowie Verletzungen der unteren Extremität. Weltweit werden Kinder nach adaptierten Therapieempfehlungen für Erwachsene behandelt. Eine gesonderte Zulassung von antithrombotischen Medikamenten für Kinder gibt es nicht. So muss die Therapie bzw. Prophylaxe für jedes Kind individuell nach Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses und nach entsprechender Aufklärung der Eltern durchgeführt werden. Die Leitlinie der AWMF zur Thromboseprophylaxe in der Chirurgie gibt zum Einsatz der Thromboseprophylaxe bei Kindern nur wenig Hilfestellung. Sie empfiehlt eine Thromboseprophylaxe bei Jugendlichen mit beginnenden Pubertätszeichen mit entsprechenden expositionellen und dispositionellen Risikofaktoren. Bei Kindern sei eine medikamentöse Prophylaxe nur in Ausnahmenfällen erforderlich. Als Risiken für eine Thrombose müssen expositionelle Faktoren wie ▬ Thoraxtrauma und Abdominaltrauma mit notwendiger Operation oder Organrupturen und retroperitonealem Hämatom, ▬ Trauma/Frakturen mit notwendiger Operation/Osteosynthese,
▬ ▬ ▬ ▬ ▬
ausgedehnte Weichteilverletzungen, Verbrennungen und Verbrühungen >35%, metabolische Azidose, Schock mit Sepsis, Immobilisation
berücksichtigt werden sowie entsprechend dem Erwachsenen die individuellen dispositionellen Risikofaktoren: ▬ Adipositas (oder KG >40 kg bzw. ein BMI >30), ▬ Varikosis, ▬ maligne Organerkrankungen, ▬ Herzinsuffizienz, ▬ orale Kontrazeptiva, ▬ Rauchen, ▬ Thrombose in der Anamnese, ▬ kongenitaler AT-III- bzw. Protein-C-Mangel. Zum Einsatz kommen in der Thromboseprophylaxe fast ausschließlich niedermolekulare Heparine (NMH) aufgrund ihrer einfachen Handhabung bei meist einmaliger subkutaner Gabe, geringer Beeinflussbarkeit durch Nahrung oder Medikamente, geringer Kumulierungsgefahr, guter Steuerbarkeit, guter Bioverfügbarkeit, geringer Nebenwirkungen und geringeren Gesamtkosten. Wegen der langen Halbwertszeit sollten die NMH jedoch mindestens 6–8 Stunden vor einem operativen Eingriff abgesetzt werden. Ein Monitoring kann prinzipiell über eine Anti-Faktor-(F)Xa-Messung erfolgen. Dosisempfehlungen werden von Enoxaparin (Clexane) und Dalteparin (Fragmin) gegeben (⊡ Tab. 10.13). Es wurden jedoch auch Anwendungen von Nadroparin (Fraxiparin) 0,3 ml s.c. einmal täglich unabhängig von Alter und Gewicht des Kindes ohne Anti-FXa-Monitoring zur Kurzzeitprophylaxe beschrieben, ohne dass es zu einer Thrombose kam oder unerwünschte Nebenwirkungen auftraten. Hierbei handelte es sich jedoch um eine Untersuchung an einem kleinen Kollektiv. Unter der Therapie mit NMH ist die Rate an Nebenwirkungen gering mit 4% für kleinere (Petechien, Wundrandblutungen) und 5% für größere Blutungen (vor allem nach Nierentransplantationen). Die Osteoporoseentwicklung ist beim Kind vernachlässigbar und eine heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) wurde bisher bei Kindern unter NMH nicht beschrieben. Über die Dauer der Therapie existieren ebenfalls keine genauen Angaben in der Literatur. Die Anwendungsdauer ist abhängig von der vorliegenden Verletzung sowie den Risikofaktoren und beträgt in der Regel zwischen 7 und 14 Tagen. Neuere Medikamente wie direkte Thrombin-Inhibitoren oder selektive Faktor-Xa-Hemmer (Fondaparinux= Arixtra) befinden sich noch nicht in der Anwendung bei Kindern.
109 10.3 · Thromboseprophylaxe
⊡ Tab. 10.13. Dosierempfehlung für die subkutane Gabe von niedermolekularem Heparin zur Thromboseprophylaxe bei Kindern Zielspiegel (Anti-FXaE/ml)
Enoxaparin (Clexane)
Daleparin (Fragmin)
Monitoring
0,2–0,4
2 Mo. 0,5 mg/kg/12 h
50–100 E*/kg/24 h
nach Dosisfindung i.d.R. nicht notwendig
* E Anti-FXa-Einheiten (Clexane 1 mg=110 E)
Neben der medikamentösen Thromboseprophylaxe sollte auch beim Kind nicht auf begleitende physikalische Maßnahmen wie ▬ Krankengymnastik, ▬ Kompressionsstrümpfe, ▬ Frühmobilisation, ▬ Aufforderung und Anleitung zur Eigenübung (Muskelpumpe), ▬ Kreislauf- und Atemtherapie verzichtet werden. In der Praxis bilden oft das Auftreten von Pubertätsmerkmalen sowie ein Körpergewicht von ca. 40 kg die Alters- bzw. Gewichtsgrenze für eine Prophylaxe. Eine klare Richtlinie, ab welchem Alter und bei welchen Indikationen eine medikamentöse Thromboseprophylaxe durchgeführt werden sollte, gibt es bisher nicht. So bleibt es nach wie vor eine individuelle Entscheidung des Arztes nach Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses, wann eine und welche Thromboembolieprophylaxe eingesetzt wird.
10
11
Schulter W. Schlickewei, M. Seif El Nasr, W.E. Linhart und F.J. Schneider
11.1
Schultergürtel
11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4 11.1.5
Physiologische Befunde – 112 Frakturen der Klavikula – 112 Verletzungen des Akromioklavikulargelenks – 118 Verletzungen des Sternoklavikulargelenks – 120 Frakturen der Skapula – 122
– 112
11.2
Glenohumeralgelenk
11.2.1 11.2.2
Glenohumerale Luxation – 124 Fallbeispiele – 128
– 124
112
Kapitel 11 · Schulter
11.1
Schultergürtel
W. Schlickewei und M. Seif El Nasr 11.1.1 Physiologische Befunde
Bei der Interpretation der Röntgenbilder ist das (seltene) Vorhandensein von akzessorischen Knochen im Bereich des Schultergelenks (⊡ Abb. 11.1a–c) zu berücksichtigen. Die Knochenkerne des Schultergürtels (⊡ Abb. 11.2) treten zu verschiedenen Zeitpunkten auf (⊡ Abb. 5.1). Der Fugenschluss tritt im Bereich des Schultergürtels zwischen dem 15. und 18. Lebensjahr ein, lediglich im medialen Ende des Schlüsselbeins ist noch im Alter bis zu 25 Jahren gelegentlich eine offene Fuge zu beobachten. Verletzungen im Bereich des Schultergürtels sind bei Kindern meistens unkompliziert und treten nur ausnahmsweise als Komplexverletzung auf. Im klinischen Alltag finden sich am häufigsten Klavikulafrakturen, während Schultereckgelenkverletzungen oder Skapulafrakturen eher eine Rarität darstellen. Traumatische Schulterluxationen treten hingegen eher im sportlich aktiven Adoleszentenalter auf.
Geburtstraumatische Frakturen werden häufig erst durch den sich früh bildenden Kallus und die dadurch bedingte Schwellung auf Höhe der Fraktur diagnostiziert. Klinische Zeichen wie ein asymmetrischer MoroReflex oder ein asymmetrisches Stillverhalten werden selten beobachtet. Der direkte Sturz auf die Schulter ist sonst der häufigste Unfallmechanismus, und Sportverletzungen sind die häufigste Unfallursache. Indirekte Krafteinwirkung wie der Sturz auf den ausgestreckten Arm spielen kaum eine Rolle. Bei Kleinkindern sind die Frakturen – bedingt durch den dicken Periostschlauch – meist undisloziert, während im Adoleszentenalter dislozierte Frakturen überwiegen. Nahezu die Hälfte der Frakturen ereignen sich in der ersten Lebensdekade, Jungen sind deutlich häufiger betroffen als Mädchen. Die klinischen Frakturzeichen weisen schnell auf die
11.1.2 Frakturen der Klavikula
11
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Beim Neugeborenen ist die Klavikulafraktur die häufigste geburtstraumatische Schädigung (1,7%). Im Kindesalter ist sie die vierthäufigste Fraktur und macht 5–15% aller Knochenbrüche aus, mit steigender Tendenz bei den Adoleszenten, bedingt durch Verletzungen bei extrem sportlichen Aktivitäten.
a
b
⊡ Abb. 11.2. Knochenkerne der Skapula
c
⊡ Abb. 11.1. Akzessorische Knochenkerne. a Os acromiale, b Kapselknochen am AC-Gelenk, c großer Sesamknochen im Lig. coracoacromiale.
113 11.1 · Schultergürtel
Diagnose. Bei dislozierten Frakturen sind sie durch die geringe Weichteildeckung evident. ▬
Klassifikation Die gebräuchlichste Klassifikation der Klavikulafraktur ist die nach Allmann. Typ I betrifft die Frakturen im mittleren Drittel, Typ II die lateral der korakoklavikulären Bänder und Typ III die Frakturen des medialen Drittels. Die Subtypen beschreiben ▬ undislozierte (a), ▬ dislozierte (b) und ▬ mehrfragmentäre (c) Frakturen. Im Bereich des medialen Klavikuladrittels treten drei Verletzungsformen auf. Am häufigsten liegt eine Fraktur durch die Wachstumsfuge vor. Echte Schaftbrüche im medialen Drittel, also Frakturen zwischen dem medialen Ansatz des M. sternocleidomastoideus und der medialen Wachstumsfuge sind deutlich seltener. Sternoklavikuläre Luxationen sind beschrieben, dürften jedoch zum Großteil fehldiagnostizierte Fugenverletzungen darstellen. Die Frakturen der medialen Wachstumsfuge werden nach Salter und Harris klassifiziert. Bei den meisten handelt es sich um Salter-Harris-I- und -II-Frakturen. Das epiphysäre Fragment – ohne oder mit einem kleinen metaphysären Keil – verbleibt im Sternoklavikulargelenk. Eine weitere Einteilung dieser Verletzungen beschreibt die Dislokationsrichtung des Schaftes. Die anteriore Dislokation ist die häufigere, die posteriore, mit einer möglichen Beeinträchtigung der mediastinalen Strukturen, die wichtigere. Im Bereich des lateralen Drittels erfolgt die Klassifikation der eher seltenen AC-Gelenk-Verletzungen nach der Rockwood-Klassifikation des Erwachsenen. Die Frakturen im lateralen Drittel werden in Anlehnung an diese Klassifikation nach Dameron und Rockwood klassifiziert (⊡ Abb. 11.3). Bei den kindlichen Verletzungen dieser Region handelt es sich in der Regel nicht um echte AC-Gelenk-Sprengungen, sondern um laterale Klavikulafrakturen. Das mediale Fragment durchspießt dabei den dicken Periostschlauch, reißt ihn auf und disloziert durch die einwirkenden Kräfte des Traumas und der ansetzenden Muskeln. Der Periostschlauch verbleibt in Verbindung mit dem peripheren Fragment, die korakoklavikulären Bänder bleiben an der Unterseite des Periostschlauchs intakt! Folgerichtig wird die Einteilung dieser Verletzungen in Abhängigkeit von der Dislokation des medialen Fragments vorgenommen, die Unterscheidung in Fugenverletzungen oder Schaftfrakturen ist unbedeutend. ▬ Typ I Dehnung des Lig. acromioclaviculare oder Fissur der lateralen Klavikula ohne Läsion des Peri-
▬
▬
▬
▬
ostschlauchs. Radiologisch keine Dislokation nachweisbar. Typ II Partielle Perforation und Riss des Periostschlauchs, geringe Instabilität mit radiologisch erweitertem AC-Gelenk/Frakturspalt ohne wesentliche Vergrößerung der akromioklavikulären Distanz. Typ III Erweiterter Riss des Periostschlauchs mit deutlicher Instabilität und Hochstand des medialen Fragments. Die korakoklavikuläre Distanz ist um 25– 100% erweitert. Typ IV Entsprechend Typ III, nur mit dorsaler Dislokation des medialen Fragments. Das Fragment kann dabei auch den M. trapezius knopflochartig perforieren und damit geschlossen irreponibel sein. Im a.p.-Strahlengang kann diese Verletzung unterschätzt werden. Erst im axialen Strahlengang ist das nach dorsal stehende Schaftfragment erkennbar. Typ V Komplette Spaltung des Periostschlauchs, Dislokation des medialen Fragments nach proximal subkutan. Die korakoklavikuläre Distanz ist um mehr als 100% erweitert. Typ VI Nach distal disloziertes mediales Fragment, mit Verhakung unter dem Processus coracoideus.
Typ I
Typ III
Typ V
Typ II
Typ IV
Typ VI
⊡ Abb. 11.3. Klassifikation der lateralen Klavikulafrakturen nach Dameron und Rockwood.
11
114
Kapitel 11 · Schulter
Fraktur im mittleren Drittel – Typ I nach Allmann
Besonderheiten
häufigste Form der Klavikulafraktur
Diagnostik
Rx a.-p. genügt in der Regel im Einzelfall auch Sonographie denkbar
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
nur beim Jugendlichen Verkürzung der Schulter möglichst vermeiden hohe Korrekturpotenz durch Remodeling
Primärbehandlung
Ruhigstellung im Mitella-Tuch Redressierung im Rucksackverband beim Kind meist undurchführbar! nur bei stark dislozierten Frakturen bringt der Rucksackverband eine Schmerzlinderung durch Auseinanderziehen der schmerzenden Knochenenden (aber keine Redressierung!)
Konservative Therapie
11
Indikation
i.d.R. konservativ
Verfahren
Mitella-Tuch für 2 Wochen oder Gilchrist-Verband beim Jugendlichen 3–4 Wochen
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle, bei kleinen Kindern klinischer Befund oder Kontrolle mittels Sonographie ausreichend
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
offene Fraktur, Gefäß-Nerven-Schaden, Durchspießungsgefahr nur ausnahmsweise beim Adoleszenten mit erheblicher Verkürzung
Verfahren
Einzelfallentscheidung für Plattenosteosynthese oder ESIN
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
Platte bzw. ESIN nach 3 Monaten
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
selten Irritationen des Plexus durch den Kugelkallus
Wachstumsstörungen
kaum zu erwarten
Nachkontrollen
zu vernachlässigen
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
115 11.1 · Schultergürtel
Fraktur im lateralen Drittel – Typ II nach Allmann
Besonderheiten
Periostschlauch bleibt intakt, ebenso die korakoklavikulären Bänder (s. Klassifikation) Konsolidierung durch periostale Knochenbildung
Diagnostik
Rx a.-p. und Schulter axial wegen Dislokationsrichtung und Ausmaß
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
bei Typ IV, V und VI nach Dameron und Rockwood Reposition erforderlich hohe Korrekturpotenz durch Remodeling Ausbildung einer Neoklavikula im Periostschlauch möglich
Primärbehandlung
Ruhigstellung im Mitella-Tuch nur bei stark dislozierten Frakturen bringt der Rucksackverband eine Schmerzlinderung durch Auseinanderziehen der schmerzenden Knochenenden (aber keine Redressierung!)
Konservative Therapie Indikation
alle Typ-I-, -II- und -III-Verletzungen nach Dameron und Rockwood
Verfahren
Mitella-Tuch oder Gilchrist-Verband für 2 Wochen, beim Jugendlichen 3–4 Wochen
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
bei Typ-IV-, -V- und -VI-Verletzungen nach Dameron und Rockwood offene Fraktur, Gefäß-Nerven-Schaden, Durchspießungsgefahr selten beim Adoleszenten mit erheblicher Verkürzung
Verfahren
beim Kind mit noch kräftigem Periostschlauch nach Reposition Naht des Periostschlauchs beim Jugendlichen bevorzugt nicht AC-Gelenk fassen, alternativ Fixation mit resorbierbarer Kordel zum Korakoid
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 3 Monaten bei Zuggurtung durch das AC-Gelenk nach 5–6 Wochen
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Konsolidierung bei Zuggurtung durch das AC-Gelenk nach Metallentfernung
Komplikationen
Serombildung nach Zuggurtung
Wachstumsstörungen
kaum zu erwarten
Nachkontrollen
zu vernachlässigen
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
11
116
Kapitel 11 · Schulter
Fraktur im medialen Drittel – Typ III nach Allmann
Besonderheiten
sehr selten meist Fraktur durch die Fuge, diese bedingt 80% des Längenwachstums letzte Fuge, die schließt Dislokation des Schaftfragments nach mediastinal, kann mediastinale Strukturen komprimieren und einen Notfall darstellen! (jedoch Rarität)
Diagnostik
Rx a.-p., CT mit Rekonstruktion (!), auch MRT mit Rekonstruktion möglich, dabei Darstellung der Fugenverletzung (s. Fallbeispiele)
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Schmerzlinderung nur im Notfall Entlastung der mediastinalen Strukturen (s. Primärbehandlung) hohe Korrekturpotenz durch Remodeling
Primärbehandlung
Reposition selten erforderlich nur bei Dislokation nach mediastinal mit Komprimierung mediastinaler Strukturen kann eine notfallmäßige geschlossene oder offene Reposition erforderlich werden Ruhigstellung im Mitella-Tuch
Konservative Therapie
11
Indikation
fast immer (s. Primärbehandlung)
Verfahren
Mitella für 2 Wochen, beim Jugendlichen 3–4 Wochen
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
nur bei der oben beschriebenen Notfallindikation und bei Fehlwachstum nach dorsal, Stabilisierung mit resorbierbarer Kordel Redislokationstendenz nach mediastinal besteht durch Wachstum; Verlaufsbeobachtung!
Verfahren
Zuggurtung keine alleinige K-Draht-Osteosynthese wegen der Wanderungstendenz der Drähte! Fixation mit PDS-Naht an Sternum plus Kapselnaht; keine K-Drähte wegen hoher Wanderungsgefahr!
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
keine Metallimplantate
Sportfähigkeit
nach Konsolidierung
Komplikationen
Drahtwanderung bei alleiniger K-Draht-Osteosynthese, daher nicht durchführen! Ausriss der Zuggurtung (resorbierbares Material, prinzipiell auch Drahtnaht möglich)
Wachstumsstörungen
kaum zu erwarten
Nachkontrollen
in den ersten Jahren zum Ausschluss retrosternalen Wachstums
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
117 11.1 · Schultergürtel
Technische Aspekte
Klavikula
Material
Lagerung
Rückenlagerung, Arm frei beweglich, Schultertisch bzw. Durchleuchtungsmöglichkeit sicher-
Vicryl (3,0) für Periostnähte K-Drähte (1,4 mm), Cerclagedraht (1,25) für Zuggurtung Kleinfragment-Rekoplatten (3,5 mm) für Plattenosteosynthese Titan-Federnagel (2,0) für ESIN
stellen Beach-Chair-Lagerung für Kinder eher ungünstig
Zugang
in Verlaufsrichtung der Klavikula auf Höhe der Fraktur oder Säbelhiebschnitt Narben neigen hier zu Keloidbildung!
Spezielle Aufklärung
OP-Prinzip
Periostnaht Verschluss des dicken Periostschlauchs nach Reposition der Klavikula Zuggurtung klassische Zuggurtung, wenn irgend möglich ohne Transfixation von AC- oder SC- Gelenk,
konservative Alternative besprechen und dokumentieren! Serombildung, Infektgefahr Narbenbildung eher geringes Risiko von Gefäß-Nerven-Läsionen
auch resorbierbare Kordel um Korakoid möglich Plattenosteosynthese bei Mehrfragmentfraktur Brückenplatte, keine Denudierung der freien Fragmente ESIN Auffädeln der Fraktur von medial
Metallentfernung
ESIN evtl. ambulant, Platte oder Zuggurtung ggf. kurz stationär
Sonstige Besonderheiten
keine
11
118
Kapitel 11 · Schulter
11.1.3 Verletzungen des
Akromioklavikulargelenks Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Verletzungen des Akromioklavikulargelenks sind im Wachstumsalter kaum zu beobachten. Mögliche Ursachen sind direkte Schultertraumen, zum Beispiel bei jugendlichen Ringern. Der Verletzungsmechanismus führt in der Regel zu einer (metaphysären) Fraktur. Das klini-
sche Bild korreliert mit der Verletzung des Erwachsenen (Klaviertastenphänomen).
Klassifikation In der Einteilung der Verletzung werden nach Rockwood sechs Typen unterschieden. Die Verletzungen der Typen 3–6 bedürfen einer spezifischen Behandlung (s. auch: laterale Klavikulafrakturen).
Akromioklavikulargelenkverletzung (AC-Gelenk-Verletzung)
11
Besonderheiten
im Wachstumsalter ist »Pseudoluxation«, die Epiphysenlösung der lateralen Klavikula, abzugrenzen
Diagnostik
zur Analyse der Schultereckgelenkinstabilität ist die Aufnahme mit und ohne Gewicht (5–10 kg) immer noch als Methode der Wahl anzusehen, die Sonographie im Seitenvergleich erlaubt ebenfalls eine Aussage zur Dislokation
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Ziel der Behandlung ist die Erhaltung der Stabilität des Gelenks und das Vermeiden von Faktoren, die zu einer Arthrose des Gelenks führen können
Primärbehandlung
Rucksackverband
Konservative Therapie Indikation
in der überwiegenden Zahl der (seltenen) Fälle
Verfahren
Rucksackverband für ca. 2–3 Wochen
Nachbehandlung
frühfunktionell, Sportkarenz für 4 Wochen
Rx-Kontrolle
i.d.R. nicht erforderlich
Sportfähigkeit
nach 4 Wochen
Operative Therapie Indikation
in Ausnahmefällen bei kompletter Gelenkzerreißung (Typ 3–6)
Verfahren
Zuggurtung mit resorbierbarem Nahtmaterial (PDS)
Nachbehandlung
frühfunktionell mit Vermeiden von Überkopfbewegungen für 6 Wochen
Rx-Kontrolle
vor Entfernen der transfixierenden Bohrdrähte
Metallentfernung
nach 6 Wochen
Sportfähigkeit
nach 8–12 Wochen
119 11.1 · Schultergürtel
Komplikationen
verbleibende Instabilität
Wachstumsstörung
nicht bekannt
Nachkontrollen
klinisch 6 Monate nach Trauma
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
Technische Aspekte
AC-Gelenk
Material
resorbierbares Nahtmaterial (PDS) Bohrdrähte 1,8 mm
Lagerung
Beach-chair-Lagerung
Zugang
laterale Inzision über dem AC-Gelenk
Spezielle Aufklärung
Nachblutung, Nervenverletzung, Infektion
OP-Prinzip
Sicherung der readaptierenden Bandnähte und passagere Sicherung mit Zuggurtung
Metallentfernung
im Intervall nach 6 Wochen, ambulant
Sonstige Besonderheiten
keine
LiLa: --------------------------------------------
11
120
Kapitel 11 · Schulter
11.1.4 Verletzungen des
Sternoklavikulargelenks
ten wie Ringen und Turnen sind prädestiniert, derartige Unfälle herbeizuführen. Das klinische Bild imponiert mit Schwellung und Schmerzen.
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Die typische SC-Gelenkluxation des Erwachsenen ist beim Kind extrem selten, differenzialdiagnostisch ist die traumatische Epiphysiolyse abzugrenzen, die ebenso kaum vorkommt. In der Literatur wird über Einzelfälle berichtet. Ursache einer Verletzung des Sternoklavikulargelenks kann der Sturz auf den ausgestreckten Arm sein. Sportar-
Klassifikation Unterschieden werden die Verletzungen des Sternoklavikulargelenks nach der Richtung der Dislokation (anterior, posterior).
Sternoklavikulargelenkverletzung (SC-Gelenk-Verletzung)
Besonderheiten
Begleitverletzungen der Thoraxorgane (Pneumothorax) sind v.a. bei posteriorer Luxation beschrieben
Diagnostik
die konventionelle a.-p. Röntgenaufnahme erlaubt häufig nicht, die Diagnose zu sichern; bei Verdacht auf Luxation ist eine Schnittbilduntersuchung als Methode der Wahl anzusehen, wobei die CT eine bessere Rekonstruktion erlaubt und die MRT eine bessere Darstellung der Weichteile, Gefäße und der beteiligten Fuge
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Ziel der Therapie ist die Wiederherstellung der Stabilität
Primärbehandlung
Ruhigstellung in Gilchrist-Verband oder im Mitella-Tuch
11
Konservative Therapie Indikation
Methode der Wahl, sekundär ist ein gutes Remodeling zu erwarten
Verfahren
geschlossene Repositionsmanöver wenig aussichtsreich, Befundkontrolle durch Röntgen- oder MRT-Kontrolle; keine Repositionsmanöver indiziert
Nachbehandlung
Schonung für 3 Wochen
Rx-Kontrolle
nur bei unsicherem Befund
Sportfähigkeit
nach 6 Wochen
Operative Therapie Indikation
bei instabiler Situation, deutlicher anteriorer oder posteriorer Luxation, sekundär bei Beschwerden (aufwendiger)
Verfahren
offene Einrichtung; 8er Drahtnaht oder PDS-Naht, transossäre Bohrkanäle, ggf. ergänzt mit Periostlappenplastik
Nachbehandlung
Schonung und Vermeiden von Außenrotationsbewegungen im Schultergelenk für 4–6 Wochen
121 11.1 · Schultergürtel
Rx-Kontrolle
vor Aufnahme der vollen Aktivität
Metallentfernung
fakultativ bei Drahtnaht nach ca. 3 Monaten
Sportfähigkeit
nach 6–8 Wochen
Komplikationen
intraoperativ Verletzungen von Nachbarstrukturen (Lunge, große Gefäße), deswegen keine Verwendung von Bohrdrähten!
Wachstumsstörung
nicht zu erwarten
Nachkontrollen
Funktionskontrollen im Verlauf
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
Technische Aspekte
SC-Gelenk
Material
Drahtnaht durch Bohrkanäle als 8er-Naht, als Alternative ggf. PDS
Lagerung
Beach-chair-Lagerung
Zugang
bogenförmige Inzision über dem SC-Gelenk
Spezielle Aufklärung
Verletzung von Nachbarstrukturen, auffällige Narbenbildung
OP-Prinzip
Zuggurtung
Metallentfernung
fakultativ nach ca. 3 Monaten bei Verwendung von Drahtnähten
Sonstige Besonderheiten
keine
LiLa: --------------------------------------------
11
122
Kapitel 11 · Schulter
11.1.5 Frakturen der Skapula 3
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Frakturen der Skapula sind selten, sie machen unter 1% der Frakturen aus. Abscherverletzungen am Glenoid entstehen bei Schulterluxationen (inkl. knöcherne Bankard-Läsion, s. dort). Korakoidabrissfrakturen können im Zusammenhang mit lateralen Klavikulafrakturen und AC-Gelenk-Verletzungen auftreten. Die übrigen Skapulafrakturen sind Folge von Hochrasanztraumen wie Verkehrsunfälle und Sturz aus großer Höhe mit direkter Krafteinwirkung. Gleichzeitig vorliegende Rippen- oder Wirbelfrakturen dominieren im klinischen Bild, sodass Skapulafrakturen teils erst im Polytrauma-CT auffallen. Ein gezieltes Fahnden nach klinischen und radiologischen Frakturzeichen bei klinischem Verletzungsverdacht an der Schulter ist erforderlich.
4
2
6 5 1
⊡ Abb. 11.4. Einteilung der Skapulafrakturen.
Klassifikation
11
Eine spezielle Klassifikation kindlicher Skapulafrakturen gibt es nicht. Üblicherweise erfolgt die Einteilung nach Lokalisation der Fraktur (⊡ Abb. 11.4): ▬ Korpusfrakturen (1), ▬ Spinafrakturen (2), ▬ akromiale Frakturen (3), – mit Einengung des subakromialen Raums, – ohne Einengung des subakromialen Raums, ▬ Korakoidfrakturen (4), ▬ Skapulahalsfrakturen (5), ▬ Glenoidfrakturen (6), ▬ thorakoskapuläre Dissoziation (⊡ Abb. 11.5).
⊡ Abb. 11.5. Thorakoskapuläre Dissoziation.
Skapulafraktur
3 4
2
6 5 1
Besonderheiten
sehr selten
Diagnostik
Rx a.-p. Schulter axial Rx Skapula tangential in den konventionellen Rx sind die Frakturen in ihrem Verlauf und im Ausmaß der Dislokation nicht immer beurteilbar, in diesen Fällen CT
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Schmerzreduktion Rekonstruktion des Glenoids bei größerer Dislokation wenig Aussagen zu Korrekturpotenz
Primärbehandlung
Ruhigstellung im Gilchrist-Verband
123 11.1 · Schultergürtel
Konservative Therapie Indikation
i.d.R. konservativ
Verfahren
Gilchrist-Verband für 2 Wochen
Nachbehandlung
frühfunktionelle spontane Übungen, Bewegungsbad, Ausnutzen des Wasserauftriebs ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
bei Floating Shoulder, ggf. nur Versorgung der Klavikula bzw. der Skapula, Versorgung der Skapula nur bei dann noch bestehender grober Dislokation; Abstützung des Skapulahalses bei Floating Shoulder grob dislozierte Glenoidfrakturen Einzelfallentscheidungen
Verfahren
Platten- und Schraubenosteosynthese
Nachbehandlung
funktionell ab Schmerzfreiheit
Rx-Kontrolle
nach ca. 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 8–12 Wochen (nur Klavikula, Skapulaplatte kann belassen werden)
Sportfähigkeit
ca. 3 Wochen nach Metallentfernung
Komplikationen
Zugangsmorbidität
Wachstumsstörungen
kaum zu erwarten
Nachkontrollen
zu vernachlässigen
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
Technische Aspekte
Skapula
Material
Schrauben (2,0–3,5) Plattenosteosynthese (2,0–3,5)
Lagerung
Rückenlagerung, Arm frei beweglich bei vorderen Zugängen Bauchlagerung, Arm frei beweglich bei dorsalen Zugängen Seitenlage auf Gegenseite bei kombinierten Zugängen, Durchleuchtungsmöglichkeit sicher-
LiLa: --------------------------------------------
stellen; Arm steril auf Armstütze Zugang
ventral
→ Säbelhiebschnitt → deltoideopektoraler Zugang dorsal → entlang dem lateralen Skapularand unter und über M. teres major (Zwei-Portal-Zugang) Stabilisierung der Margo lateralis i.d.R. ausreichend Spezielle Aufklärung
Verletzungsgefahr von N. suprascapularis, N. axillaris
OP-Prinzip
Plattenosteosynthese klassische Plattenosteosynthese Schraubenosteosynthese klassische Schraubenosteosynthese
Metallentfernung
nach 8–12 Wochen; dorsale Skapulaplatten belassen
Sonstige Besonderheiten
keine
11
124
Kapitel 11 · Schulter
11.2
Glenohumeralgelenk
W.E. Linhart und F.J. Schneider Obwohl das Schultergelenk ein Synovialgelenk vom Typ des Kugelgelenks ist, besitzt es nicht die natürliche Stabilität, die diesem Gelenktyp allgemein beigemessen wird, da das flache Glenoid mit dem sphärischen Humeruskopf artikuliert und vorwiegend durch die Gelenkkapsel, glenohumerale Bänder und die Rotatorenmanschette geführt wird. Diese Stabilisierung vorwiegend über Weichteile erlaubt dem Schultergelenk einerseits den größten Bewegungsumfang aller Gelenke, andererseits bewirkt die mangelhafte knöcherne Führung eine besondere Anfälligkeit gegenüber Kapselverletzungen, Subluxationen oder Luxationen.
11.2.1 Glenohumerale Luxation
häufiger rezidivieren als bei Erwachsenen. Bei kleinen Kindern ist die Schulterluxation hingegen extrem selten und wird vor allem in Verbindung mit einer Plexusparese oder als angeborene Erkrankung (Ehlers-Danlos- oder Marfan-Syndrom) beobachtet.
Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Eine vordere Schulterluxation wird durch einen Sturz auf den über die Horizontale abduzierten Arm verursacht, eine Position, die eine Hebelwirkung nach vorne auf den Humeruskopf ausübt und die vorderen und unteren Kapselanteile überdehnt oder sogar vom Glenoidhals abreißt. Der vordere Labrumabriss mit oder ohne knöchernen Anteil ist von herausragender Bedeutung für die dauerhafte Schultergelenkstabilität (Bankart-Läsion) (⊡ Abb. 11.6a,b; ⊡ Abb. 11.7). Eine hintere Schulterluxation wird entweder durch einen Sturz auf den in der Schulter gebeugten und addu-
Inzidenz
11
Die Inzidenz der glenohumeralen Luxation beträgt bei Kindern und Jugendlichen etwa 2%. Im Kindesalter stellt die proximale Humeruswachstumsfuge aufgrund der Festigkeit der Bänder und Weichteile den mechanisch schwächsten Teil im Schultergelenkkomplex dar. Daher ist die häufigste Verletzung eine Salter-Harris-Typ-II-Verletzung. Während der Pubertät, wenn die Wachstumsfuge verknöchert, kommt es zu einem deutlichen Anstieg von Kapsel- und Rotatorenverletzungen, Subluxationen und Luxationen. In großen Serien von Schulterluxationen, die über einen Verlaufszeitraum von 20 Jahren nachbeobachtet wurden, waren Kinder unter 10 Jahren nur zu 1,6% betroffen. Dagegen traten knapp 20% der Schulterluxationen zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr auf. In mehr als der Hälfte dieser Verletzungen handelte es sich dabei um Luxationen, die nach dem Erstereignis rezidivierten. Das bedeutet, dass Schulterluxationen im Jugendalter
⊡ Abb. 11.6. Bankart-Läsion.
a
⊡ Abb. 11.7. Bankart-Läsion; MRT.
b
125 11.2 · Glenohumeralgelenk
zierten Arm oder durch ein Überwiegen der Innenrotatoren im Rahmen von epileptischen Krampfanfällen verursacht. Dabei wird der Humeruskopf nach hinten gehebelt und die Kapsel wird überdehnt oder reißt ein. Es sind vor allem indirekte Traumen, welche die häufigsten Unfallursachen darstellen. Während diese Verletzungen bei Kindern zu Wachstumsfugenläsionen führen, überwiegen im Jugend- und Erwachsenenalter eher metaphysäre Brüche und Weichteilläsionen, z.B. in Form von Rotatorenmanschettenläsionen, Subluxationen oder Luxationen. Auch als geburtstraumatische Verletzungen sind Schulterluxationen beschrieben. Tatsächlich handelt es
sich dabei aber um eine Epiphysenlösung der proximalen Humeruswachstumsfuge, die infolge eines schwierigen Geburtsverlaufes bei der Entwicklung der Schulter auftreten kann. Die Humerusepiphyse steht zwar innerhalb des Gelenks, die Metaphyse ist aufgrund der Traumatisierung und Epiphysenlösung verschoben. Da der Kopfkern noch nicht verknöchert und im Röntgenbild nicht sichtbar ist, wird dies als Schulterluxation fehlinterpretiert. Eine weitere Form der Schulterluxation ist die sog. »atraumatische Luxation«, bei welcher die Kinder ihre Schulter willkürlich subluxieren oder luxieren können. Es ist unklar, ob dieses Phänomen spontan auftritt oder die Folge eines Minimaltraumas darstellt. Bei dieser Form der Luxation spielen psychische Faktoren eine Rolle. Andererseits müssen kausale Ursachen wie eine Pfannendysplasie oder habituelle Schulterluxationen – auch nach traumatischer Erstluxation mit persistierender Instabilität – in diesen Fällen ausgeschlossen werden. Eine traumatische Luxation verursacht Schmerzen, eine Schwellung und Funktionseinschränkung im Bereich der Schulter. Die Stellung des Armes hängt von der Luxationsrichtung ab. Bei einer vorderen Luxation wird der Arm in leichter Abduktion und Außenrotation gehalten, und es ist klinisch eine leere Gelenkpfanne erkennbar (⊡ Abb. 11.8). Eine hintere Luxation zeigt eine Adduktion und Innenrotation. Eine untere Luxation weist ebenfalls eine Abduktionsstellung des Arms auf, wobei dieser auf oder hinter dem Kopf liegt (luxatio erecta). Eine willkürliche Subluxation oder Luxation verursacht keine oder nur geringe Schmerzen und Schwellung.
Klassifikation
⊡ Abb. 11.8. Klinisches Bild einer ventralen Schulterluxation; leere Pfanne
Schulterluxationen werden entweder nach der Luxationsrichtung in vordere, hintere, untere oder multidirektionale Luxationen eingeteilt. Die vordere Schulterluxation ist die bei weitem häufigste. Eine andere Einteilung erfolgt nach der Ursache in traumatisch, atraumatisch, willkürlich, habituell, angeboren usw. (⊡ Tab. 11.1).
⊡ Tab. 11.1. Ursachenorientierte Einteilung der Schulterluxation Traumabedingt
Ohne Trauma
Erstluxation: Traumatische Luxation mit Zerreißung der Kapsel, Bankart-Läsion usw.
Angeborene Luxation: Laxizität, Bindegewebserkrankungen
Rezidivierende Luxation: Luxation bei posttraumatischer Kapselinsuffizienz, Bankart-Luxation, Hill-Sachs-Delle
Erworbene Luxation: Plexusparese, neurologische Erkrankung Willkürliche Luxation: Laxizität, psychische Faktoren
11
126
Kapitel 11 · Schulter
Glenohumerale Luxation
Besonderheiten
primäre traumatische Schulterluxation im Wachstumsalter extrem selten, eher im Adoleszentenalter beim Sport; angeborene Skelettanomalien (Glenoiddysplasie und angeborene Luxationen, neurologische Erkrankungen) können die Luxation begünstigen; Kinder mit willkürlich auslösbaren Subluxationen und Luxationen sollten bzgl. Verhaltensauffälligkeiten abgeklärt werden, sie benötigen spezielle Muskelaufbauprogramme
Diagnostik
Klinik: vordere Luxation (häufig): federnde Abduktionsstellung sowie eine leere Pfanne; hintere Luxation: Adduktion und Innenrotation; untere Luxation: Abduktionsstellung des Armes, wobei dieser auf oder hinter dem Kopf liegt (luxatio erecta). Ausschluss einer Verletzung des N. axillaris oder des Plexus brachialis. Kontrolle der Armdurchblutung vor und nach Reposition. Rx der Schulter a.-p. (2. Ebene meist nicht möglich), ggf. transthorakale Aufnahme bei unklarer Luxationsrichtung (jedoch hohe Strahlenbelastung); MRT bei unklarer Luxationsrichtung, Beurteilung einer evtl. dysplastischen Pfanne oder von Zusatzverletzungen; Ultraschalluntersuchung als nichtinvasive Maßnahme auch bei Neugeborenen und Säuglingen sowie bei Weichteilverletzungen sinnvoll, erfordert jedoch sonographische Erfahrung; I.d.R. ist eine MRT zur Beurteilung der Gesamtverletzung einschließlich des Labrums, der Rotatorenmanschette oder auch anderer Verletzungen, wie z.B. einem knorpeligen Apophysenausriss beim Jugendlichen erforderlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Reposition mit Wiederherstellung des Gelenkflächenkontaktes; Vermeiden einer Gelenkinstabilität, einer Funktionseinschränkung, eines Gefäß-Nerven-Schadens; Vermeiden einer Reluxation
Primärbehandlung
obligate Röntgenaufnahme vor einem Repositionsmanöver, um Diagnose zu sichern und proximale Humerusfraktur auszuschließen; beim Kind in Kurznarkose geschlossene Reposition in analoger Technik wie beim Erwachsenen unter kurzzeitiger Muskelrelaxation zur Vermeidung von Sekundärschäden; Notfallindikation
11
Konservative Therapie Indikation
Erstluxation ohne morphologischen Schaden
Verfahren
nach erfolgter Reposition Ruhigstellung im Gilchrist-Verband für 2–3 Wochen, Ausschluss einer operationspflichtigen Verletzung durch Sonographie oder MRT
Nachbehandlung
schrittweise Krankengymnastik unter Vermeidung einer Außenrotation bei vorderer Luxation für 4 Wochen
Rx-Kontrolle
Repositionskontrolle mit Röntgen; im Intervall MRT zum Ausschluss einer Labrumläsion
Sportfähigkeit
frühestens nach 6 Wochen, Kontaktsportarten und Überkopfsportarten (Tennis) nach 10–12 Wochen
Operative Therapie Indikation
bei dislozierter Labrumverletzung und rezidivierender Luxation
Verfahren
arthroskopische Labrumrefixation mit Fadenanker (resorbierbar oder Titan) und Kapselraffung, ausnahmsweise offene Refixation (knöcherne Bankart-Läsion)
127 11.2 · Glenohumeralgelenk
Nachbehandlung
Ruhigstellung in der Schulterweste für 4 Wochen, Vermeidung der Außenrotation für mindestens 6 Wochen
Rx-Kontrolle
nicht regulär erforderlich
Metallentfernung
Entfällt
Sportfähigkeit
frühestens nach 10 Wochen, Kontaktsportarten und Überkopfsportarten (Tennis) nach 12 Wochen
Komplikationen
Reluxation; Aufklärung über Reluxationsgefahr unerlässlich
Wachstumsstörungen
nicht zu erwarten, außer bei Begleitverletzungen an der proximalen Oberarmepiphyse
Nachkontrollen
Jahreskontrolle sinnvoll
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
Technische Aspekte
Schulterluxation
Material
Ankernähte, resorbierbar
Lagerung
extendierte Schulter (Seitenlage) oder Beach-chair-Lagerung
Zugang
arthroskopisch, falls technisch schwierig auch Miniarthrotomie
Spezielle Aufklärung
Rezidivgefahr
OP-Prinzip
Stabilisierung der verletzten Kapselstrukturen, Labrumrefixation mit Fadenanker Anfrischen der Ruptur und Insertionszone Ausschluss weiterer intraartikulärer Verletzungen während Arthroskopie
Metallentfernung
entfällt
Sonstige Besonderheiten
schwierige Stabilisierung bei Pfannendysplasie und habitueller Luxation in diesen Fällen nach
LiLa: --------------------------------------------
Abschluss des Wachstums ggf. knöcherner Pfannenrandaufbau primär i.d.R. arthroskopische Verfahren, auch wiederholt zurückhaltende OP-Indikation bei multidirektionaler Instabilität
11
128
Kapitel 11 · Schulter
11.2.2 Fallbeispiele Fall 11.1 Klavikulaschaftfraktur, Typ Ib nach Allmann.
a Unfallbild. b Konservative Behandlung mit Kalluswolke
11 Fall 11.2 Klavikulaschaftfraktur Typ IIIc nach Allmann mit Dislokation im Sternoklavikulargelenk, Mädchen, 14 J.
a Unfallbild. b CT-Kontrolle mit 3-D-Rekonstruktion. c,d Rekonstruktion mit Platte und Knochenanker
129 11.2 · Glenohumeralgelenk
Fall 11.3 Laterale Klavikulafraktur Typ III nach Dameron und Rockwood. Konservative Behandlung. Periostale Knochenneubildung im Periostschlauch.
a Unfallbild. b 1 Monat nach Unfall. c 6 Monate nach Unfall.
11
130
Kapitel 11 · Schulter
Fall 11.4 Klavikulaschaftfraktur. Typ Ic nach Allmann.
a–c Floating Shoulder bei gleichzeitiger Skapulahals- und -korpusfraktur. Versorgung durch Plattenosteosynthese.
11
12
Oberarm W.E. Linhart und F.J. Schneider
12.1
Proximaler Humerus
– 132
12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4
Physiologische Befunde – 132 Frakturen des proximalen Humerus – 134 Diaphysäre Frakturen des Humerus – 136 Fallbeispiele – 138
132
Kapitel 12 · Oberarm
12.1
Proximaler Humerus
12.1.1 Physiologische Befunde
Die proximale Humeruswachstumsfuge stellt sich in der a.-p. Aufnahme als zeltförmig dar (⊡ Abb. 12.1a,b), während sie in der seitlichen Aufnahme proximal konvex erscheint. Die Spitze befindet sich im posteromedialen Abschnitt. Ein schmaler Streifen der hinteren proximalen und medialen Metaphyse liegt intrakapsulär und ist nicht von Knorpel überzogen. Der Gelenkkapselansatz stellt einen starken Zügel dar und beginnt genau unter diesem Streifen. Diese anatomische Charakteristik zusammen mit dem dicken Periost posteromedial und dem relativ dünnen Periost anterolateral sind die Erklärung dafür, dass bei proximalen Humerusfrakturen das metaphysäre Fragment anterolateral das Periost zerreißt und ein schmales posteromediales metaphysäres Fragment an der Epiphyse stehen bleibt (⊡ Abb. 12.2).
Knochenkerne und Fugenschluss Das primäre Ossifikationszentrum für den Humerus tritt um die 6. Embryonalwoche auf. Das sekundäre Ossifikationszentrum des Humeruskopfes entsteht zwischen dem 6. Lebensmonat und dem 1. Lebensjahr, jenes für das Tuberculum majus zwischen dem 7. Monat und dem 2. Lebensjahr. Das Verknöcherungszentrum für das Tuberculum minus tritt zwei Jahre später, also zwischen 2,5 und 4 Jahren auf. Diese proximalen sekundären Verknöcherungszentren verschmelzen zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr. Die proximale Humeruswachstumsfuge wird beim Mädchen zwischen dem 14. und 17. Lebensjahr und beim Knaben zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr verschlossen (⊡ Abb. 12.3). Die proximale Humeruswachstumsfuge ist für 80% des Längenwachstums des Humerus verantwortlich. Dies ist auch der Grund dafür, dass Brüche in diesem Bereich ein großes Korrektur-Potenzial aufweisen.
12
⊡ Abb. 12.2. Typische Salter-Harris-II-Verletzung: Epiphysiolyse mit posteromedialem metaphysärem Keil. Die Metaphyse ist nach anterolateral verschoben, der in der Pfanne bewegliche Humeruskopf nach posterior abgekippt.
⊡ Abb. 12.1. a a.-p.-Aufnahme mit Zeltform der Wachstumsfuge, b Seitaufnahme mit konvexer Form der Wachstumsfuge.
⊡ Abb. 12.3. Knochenkerne am proximalen Humerus.
133 12.1 · Proximaler Humerus
Altersabhängige Röntgenbefunde
⊡ Abb. 12.6. Zweites Lebensjahr, Knochenkern Tuberculum majus.
⊡ Abb. 12.4. Neugeborenes.
⊡ Abb. 12.5. Erstes Lebensjahr, Knochenkern Humeruskopf.
⊡ Abb. 12.7. Viertes Lebensjahr. Beginnende Verschmelzung der Kopfkerne.
12
134
Kapitel 12 · Oberarm
12.1.2 Frakturen des proximalen Humerus
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Circa 40% aller knöchernen Verletzungen des Oberarms betreffen den proximalen Abschnitt. In einem Drittel der Fälle handelt es sich um Epiphysenlösungen, selten ohne, meist mit metaphysärem Keil (Salter-Harris I und II). In zwei Dritteln der Fälle finden sich subkapitale Humerusfrakturen bei Kindern zwischen 5 und 14 Jahren. Epiphysäre und epimetaphysäre Brüche sind extrem selten. Proximale Humerusfrakturen entstehen sowohl durch direkte Traumen, wie einem Sturz auf die Schulter, als auch durch indirekte Traumen infolge eines Sturzes nach rückwärts auf den gestreckten Arm. Beim Neugeborenen sind geburtstraumatische Verletzungen möglich. Beim Säugling und Kleinkind muss an Kindesmisshandlung gedacht werden. Pathologische Frakturen, die im Rahmen von juvenilen Knochenzysten auftreten, sind am Oberarm besonders häufig.
Das klinische Bild ist je nach dem Alter des betroffenen Kindes unterschiedlich. Beim Neugeborenen, Säugling oder Kleinkind kann die Diagnose schwierig sein. Schmerzen beim Bewegen des Ärmchens bis hin zum kompletten Funktionsverlust (Pseudoparalyse) prägen das klinische Bild. In jedem Fall sollte eine Osteomyelitis, Plexuslähmung oder Klavikulafraktur ausgeschlossen werden. Beim größeren Kind oder Jugendlichen findet sich eine umschriebene Schwellung mit entsprechender Bewegungseinschränkung und Schmerzen.
Klassifikation Die am häufigsten gebrauchten Einteilungen für Wachstumsfugenverletzungen sind die nach Aitken sowie Salter und Harris. Salter-III- und -IV-Verletzungen sind am proximalen Humerus extrem selten. Darüber hinaus finden sich auch subkapitale Humerusfrakturen außerhalb der Wachstumsfuge sowie Apophysenausrisse, die die Tubercula majus und minus betreffen.
Fraktur des proximalen Humerus
12
Besonderheiten
wegen der anfänglich 3, später 2 unterschiedlichen Knochenkerne des Humeruskopfes kann die Diagnose unverschobener Brüche Schwierigkeiten bereiten, die schräg projizierte Fuge kann eine Fraktur vortäuschen; auf pathologische Frakturen bei juvenilen Knochenzysten achten
Diagnostik
Rx a.-p. und seitlich; im a.-p. Bild stellt sich die Fuge »zeltartig« aufgeworfen dar, im seitlichen Bild konvex
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
rasche Schmerzfreiheit, freie Schulterfunktion und symmetrische Schulterkontur (Kosmetik) Abwägen der Spontankorrektur gegen eine operative Behandlung, die Spontankorrekturfähigkeit von verbliebenen Fehlstellungen in diesem Bereich ist sehr hoch, v.a. die Seit-zu-Seit-Verschiebung und der Achsenknick in der Frontal- und Sagittalebene; folgende Korrekturmöglichkeiten können bei der Indikationsstellung zur Operation berücksichtigt werden: < 5. Lj.: Achsknick in Frontalebene 70–90° und Knochenkontakt, Seitverschiebung bis Schaftbreite 5.–12. Lj.: Achsknick in Frontalebene 30–70°, Seitverschiebung um / Schaftbreite >12. Lj.: 30° mit Seitverschiebung) unterschieden werden. Typ III steht für die Dislokation in zwei Ebenen mit Rotationsfehler. Beim Typ IV handelt es sich um eine komplett dislozierte Fraktur.
Klassifikation Bewährt hat sich die therapiebezogene Klassifikation nach von Laer u. Mitarb. Diese unterscheidet vier verschiedene Typen (⊡ Abb. 13.8). Typ I beschreibt die nicht dislozierte Fraktur. Beim Typ II besteht eine Dislokation in der sagittalen Ebene. In 98% der Fälle handelt es sich um eine Antekurvation, nur selten besteht eine Rekurvation. Bei diesem Typ muss
Typ I
Typ II
Typ III
Typ IV
⊡ Abb. 13.8. Klassifikation suprakondylärer Humerusfrakturen nach von Laer.
Salter-I-Verletzung – Epiphysenlösung
Besonderheiten
ausgesprochen selten, v.a. bei Neugeborenen und im 1. Lj., Geburtstrauma möglich, Ausschluss von Kindesmisshandlung Epiphyse im Neugeborenenalter nicht sichtbar; sekundäre Frakturzeichen wie Fat-Pad-Zeichen unsicher; daher Diagnose nicht einfach
Diagnostik
Rx a.-p. und seitlich; initial nicht sichtbar alternativ Sonographie (MRT ausnahmsweise) bei Beschwerdepersistenz Rx-Kontrolle; ausgeprägte Kallusbildung und Verdichtung metaphysär
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
kein Rotationsfehler, kein Varus oder Valgus >10° prinzipiell wird nur eine Korrektur in der Bewegungsebene (sagittal bis 20° Ante-/Rekurvation) höchstens bis zum 5.–6. Lj. ausgeglichen
Primärbehandlung
medikamentöse Analgesie; Oberarmgipsschiene
13
Konservative Therapie Indikation
nahezu immer, außer bei nicht reponiblen Frakturen
Verfahren
2–3 Wochen Oberarmgips
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung Freigabe zu eigentätigen Bewegungen; im 1. Lj. Physiotherapie nicht sinnvoll
Rx-Kontrolle
4.–5. Tag Stellungskontrolle bei drohender Instabilität, sonst keine Konsolidierungskontrolle klinisch, indolenter Kallus
Sportfähigkeit
entfällt
145 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
Operative Therapie Indikation
bei Rotationsfehlstellung bzw. bei kompletter Dislokation
Verfahren
geschlossene Reposition; Repositionsergebnis nicht sichtbar im Röntgen; sonographische Kontrolle ggf. perkutane K-Draht-Osteosynthese bei klinischen Zeichen der totalen Dislokation offene Reposition und perkutane K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
2–3 Wochen Oberarmgipsschiene
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle, vor Metallentfernung gipsfrei zur Konsolidierungskontrolle (nach 3–4 Wochen)
Metallentfernung
nach 3 Wochen; Konsolidierungskontrolle vor Metallentfernung
Sportfähigkeit
entfällt
Komplikationen
Übersehen der Verletzung bei meist sehr kleinen Kindern Varisierung der Ellenbogenachse (meistens durch Rotationsfehler; selten durch radiales Mehrwachstum) Nervenläsionen, ebenfalls schwer festzustellen (N. ulnaris, iatrogene Schädigung vermeiden, Nn. radialis und medianus traumatisch; dann immer motorischer und sensibler Ausfall) Gefäßverletzung selten Kompartmentsyndrom
Wachstumsstörung
prinzipiell Cubitus varus/valgus durch ungleichmäßiges Wachstum möglich, schicksalhaft, selten, wenig ausgeprägt durch belassene Rotationsfehler kombinierte Fehlstellungen mit klinischem Cubitus varus möglich
Nachkontrollen
bis zur freien Funktion und bei gleichen Ellenbogenachsen Kontrolle der Ellenbogenachsen auf Asymmetrie bzw. Wachstumsstörungen
Klassifikation
AO: 13-E/1.1-3
LiLa: 1.3.s.1.0-2.
Suprakondyläre Humerusfraktur Typ I (ohne Dislokation)
Besonderheiten
es geht immer ein adäquates Trauma voraus; geringe Schwellung und schmerzbedingte Bewegungseinschränkung es handelt sich um undislozierte, stabile Frakturen
Diagnostik
Rx a.-p. und seitlich; Fat-Pad-Zeichen (!), Rogers-Hilfslinie normal; initial manchmal nicht sichtbar, erst in der sekundären Diagnostik nach 10–14 Tagen durch periostale Reaktion
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Schmerzausschaltung da keine Dislokation, immer problemlose Heilung
Primärbehandlung
Schmerzbehandlung, Oberarmgipsschiene oder Blount-Schlinge
13
146
Kapitel 13 · Ellenbogen
Konservative Therapie Indikation
immer, da keine Dislokation und keine Komplikation zu erwarten
Verfahren
2–3 Wochen Oberarmgipsschiene oder Blount-Schlinge
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung eigentätige Bewegungsübungen, Physiotherapie nicht notwendig
Rx-Kontrolle
keine Kontrolle notwendig
Sportfähigkeit
2–4 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
nie gegeben
Verfahren
entfällt
Nachbehandlung
s.o.
Rx-Kontrolle
nicht notwendig
Metallentfernung
entfällt
Sportfähigkeit
s.o.
Komplikationen
prinzipiell Wachstumsstörung durch ungleichmäßiges Wachstum möglich, jedoch nur schlecht dokumentierte Einzelbeobachtungen und eher unwahrscheinlich
Wachstumsstörung
s.o.
Nachkontrollen
nicht notwendig
Klassifikation
AO: 13-M/3.1-3.I
LiLa: 1.3.s.3.0-2.
Suprakondyläre Humerusfraktur Typ II (Dislokation in der sagittalen Ebene)
13
Besonderheiten
häufige Verletzung; in >95% der Fälle besteht eine Antekurvation; die Rekurvationsfehlstellung ist sehr selten (ca. 2%) Unterscheidung in stabilen (nur Antekurvation bis höchstens 20°) und drohend instabile Fraktur (Antekurvation mindestens 30°, Rekurvation; Hinweise für Verschiebung der frontalen Ebene) gewisse kombinierte Fehlstellung möglich, die sich durch Vordrehen des Condylus radialis verstärken kann; Folge ist der Cubitus varus
Diagnostik
Rx a.-p. und seitlich; Fat-Pad-Zeichen, Rogers-Hilfslinie läuft zu weit beugeseitig
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
kein Rotationsfehler, kein Varus oder Valgus prinzipiell wird nur eine Korrektur in der Bewegungsebene (sagittal bis 20° Ante-/Rekurvation) höchstens bis zum 5.–6. Lj. ausgeglichen
Primärbehandlung
medikamentöse Analgesie Oberarmgipsschiene
147 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
Konservative Therapie Indikation
bei stabilen Frakturen; bedingt bei drohend instabilen Frakturen
Verfahren
Ausgleich der Antekurvationsfehlstellung durch Redression in Hyperflexion unter Narkose oder Analgosedierung; Ruhigstellung im Blount-Verband
Nachbehandlung
nach 3 Wochen Entfernung des Blount-Verbandes
Rx-Kontrolle
nach 3–5 Tagen zum Ausschluss einer Rotationsfehlstellung nach 4 Wochen zur Konsolidierungskontrolle
Sportfähigkeit
bei nahezu freier Beweglichkeit im Ellenbogengelenk
Operative Therapie Indikation
bei drohend instabilen Frakturen, wenn die Redression nicht zum Erfolg führt bzw. ein Rotationsfehler entsteht
Verfahren
geschlossene Reposition in ITN, in Rückenlage auf Armbänkchen Ausschluss eines Rotationssporns perkutane gekreuzte K-Draht-Spickung offene Reposition nur selten bei Repositionshindernis erforderlich! perkutane radiale parallele oder gekreuzte K-Draht-Osteosynthese alternativ ESIN absteigend oder radialer Fixateur externe stabile Osteosynthese und intraoperative Kontrolle der Beweglichkeit (auf seitengleiche Unterarmachse und freie Streckung und Beugung bis 120° achten, im Technikteil ausführliche Beschreibung!)
Nachbehandlung
bei perkutaner K-Draht-Osteosynthese können Drahtenden über Hautniveau bleiben; 3–4 Wochen Oberarmgipsschiene bei Fixateur externe oder ESIN gipsfreie Nachbehandlung möglich
Rx-Kontrolle
nach 3–4 Wochen zur Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 3–4 Wochen
Sportfähigkeit
bei erreichter freier Beweglichkeit des Ellenbogengelenks
Komplikationen
Wachstumsstörung mit Ausbildung Cubitus varus/valgus sehr selten und schicksalhaft Durchleuchtung und Röntgenkontrolle nur approximativ in der Beurteilung der Stellung, daher klinische Kontrolle erforderlich bei perkutaner geschlossener K-Draht-Osteosynthese Verletzung des N. ulnaris in bis zu 15% der Fälle, daher Nerv über kleine Inzision darstellen, falls nicht sicher tastbar und schützbar
Wachstumsstörung
prinzipiell Cubitus varus/valgus durch ungleichmäßiges Wachstum möglich, schicksalhaft, wenig ausgeprägt extrem selten Cubitus varus meistens wegen übersehener Fehlstellung bei der Primärversorgung
Nachkontrollen
bis zur freien Funktion und bei gleichen Ellenbogenachsen Kontrolle der Ellenbogenachsen auf Asymmetrie bzw. Wachstumsstörungen
Klassifikation
AO: 13-M/3.1-3.II
LiLa: 1.3.s.3.0-2.
13
148
Kapitel 13 · Ellenbogen
Suprakondyläre Humerusfraktur Typ III (Dislokation in drei Ebenen mit Rotationsfehler) – suprakondyläre Humerusfraktur Typ IV (Dislokation in allen Ebenen; kein Kontakt zwischen den Fragmenten)
Besonderheiten
häufige Verletzung; Fehlstellung primär gut sichtbar, nach Reposition Beurteilung der Stellung stets approximativ (Gefahr der übersehenen Fehlstellung!); Rotationssporn gibt Hinweis auf Fehlstellung, kann im Verlauf zu komplexen Fehlstellungen führen; bei der Versorgung dieser Frakturen immer eine Anästhesie notwendig und eine endgültige Versorgung in einer Narkose anzustreben; klare Operationsindikation!
Diagnostik
Röntgen Ellenbogen in zwei Ebenen (bei ausgeprägter Fehlstellung reicht 1 Ebene präoperativ zur OP-Indikationsstellung); Beurteilung der peripheren Durchblutung (Puls, ggf. Doppler-Sonographie) und der peripheren Nervenfunktion (sensibel und motorisch), soweit in der Situation möglich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
keinen Rotationsfehler, keine Varus- oder Valgusfehlstellung belassen prinzipiell wird nur eine Korrektur in der Bewegungsebene (sagittal bis 20° Ante-/Rekurvation) höchstens bis zum 5.–6. Lj. ausgeglichen
Primärbehandlung
medikamentöse Analgesie; Oberarmgipsschiene, rasche Operationsorganisation
Konservative Therapie Indikation
nicht indiziert, da in 30–50% sekundäre Dislokationen mit komplexer Fehlstellung auftreten und ausgesprochen häufig Nachrepositionen erforderlich sind
Operative Therapie
13
Indikation
bei allen dislozierten Frakturen; da instabil und meist mit Achs- und Rotationsfehlstellung sowie erheblicher Schmerzhaftigkeit; darüber hinaus Risiko der anhaltenden Durchblutungsstörung und Nervenschädigung durch Dislokationsstellung
Verfahren
geschlossene (2 Versuche) oder offene Reposition in ITN Osteosynthese mit K-Draht, ESIN, Fixateur externe (detaillierte Beschreibung s.u. bei Techniken)
Nachbehandlung
bei perkutaner K-Draht-Osteosynthese Drahtenden nicht zwingend versenken, da dann auch ambulant ohne Narkose entfernbar; 3–4 Wochen Oberarmgipsschiene bei Fixateur externe oder ESIN gipsfreie Nachbehandlung möglich
Rx-Kontrolle
definitive intraoperative oder postoperative Kontrolle; nach 3–4 Wochen zur Konsolidierungskontrolle (vor Metallentfernung) (zur Beachtung: keine strenge a.-p. Aufnahme i.d.R. vorliegend, da im Gips gebeugt!)
Metallentfernung
nach 3–4 Wochen
Sportfähigkeit
bei erreichter freier Beweglichkeit des Ellenbogengelenks
Komplikationen
Wachstumsstörung mit Ausbildung Cubitus varus/valgus sehr selten und schicksalhaft; Durchleuchtung und Röntgenkontrolle nur approximativ in der Beurteilung der Stellung, daher klinische Kontrolle erforderlich; Vergleich mit unverletztem Arm klinisch empfohlen bei perkutaner geschlossener K-Draht-Osteosynthese Verletzung des N. ulnaris in bis zu 15% der Fälle, daher Darstellung (offen) oder sicherer Schutz (Miniinzision, Schutz durch Finger) des Nervs
149 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
Wachstumsstörung
Wachstumsstörung mit Ausbildung Cubitus varus/valgus durch ungleichmäßiges Wachstum sehr selten und schicksalhaft; Cubitus varus meistens wegen übersehener Fehlstellung bei der Primärversorgung
Nachkontrollen
bis zur freien Funktion und bei gleichen Ellenbogenachsen; Kontrolle der Ellenbogenachsen auf Asymmetrie bzw. Wachstumsstörungen
Klassifikation
AO: 13-M/3.1-3.III (IV)
Technische Aspekte
distaler Humerus
Material
K-Drähte in der Stärke 1,4–1,8 mm Minifixateur von AO (bis 2,5 mm) ESIN (Stärke / des Schaftdurchmessers)
Lagerung
Rückenlage, Arm auf Armbänkchen ausgelagert; Blutsperre empfehlenswert bei offenem Vorgehen
Zugang
ulnarer Zugang zur Schonung des N. ulnaris, evtl. kombiniert mit radialem Zugang, alternativ
LiLa: 1.3.s.3.0-2.
dorsaler Zugang in Bauchlage (Cave periartikuläre Verklebungen postoperativ) Spezielle Aufklärung
bei der gekreuzten, perkutanen K-Draht-Osteosynthese Verletzung des N. ulnaris mit lästiger,
aber in der Regel reversibler Parese (⊡ Abb. 13.9) beim radialen Fixateur externe Verletzung des N. radialis, Varusfehlstellung durch schicksalhaf-
tes Fehlwachstum möglich, jedoch äußerst selten (⊡ Abb. 13.10) nach operativer Behandlung, v.a. bei dorsalem Zugang, persistierende endgradige Bewe-
gungseinschränkung möglich OP-Prinzip
Reposition in Vollnarkose unter Relaxation, indem man dem Patienten quasi die Hand gibt
und unter ständigem Zug das Ellenbogengelenk beugt Varus- bzw. Valgusfehlstellung werden durch Pro- bzw. Supination ausgeglichen, anschließend
maximale Beugung (cave: Hyperflexion mit Überführung der Fraktur in Flexionstyp zur Beurteilung der Reposition ist v.a. die seitliche Ebene von Bedeutung, um Rotationsfehler (Spornbildung!) aufzuspüren zuerst Einbringen des radialen Drahtes unter seitlichem Strahlengang in ca. 30° zur Längsachse des Oberarms im Zentrum des Humerus, Drähte müssen satt im radialen und ulnaren Pfeiler liegen bei der gekreuzten K-Draht-Osteosynthese ulnaren Draht von der ventral tastbaren Spitze im gleichen Winkel einbringen (sicheres Tasten oder offene Darstellung des N. ulnaris!); Kreuzungsstelle der Drähte immer proximal der Fraktur, sonst Nachdrehen der Fraktur möglich! bei der alternativen, etwas weniger stabilen parallelen Spickung zweiten Draht im Abstand von 1 cm parallel zum ersten in den Condylus radialis einbringen beim radialen Fixateur externe dritten Draht, ebenfalls von radial (Drähte Stärke 2,0 mm),
senkrecht zum Humerusschaft einbringen und alle Drähte miteinander verbinden (cave: N. radialis!) für die ESIN Inzision unterhalb des Ansatzes des M. deltoideus am proximalen Oberarm und Fensterung der Kortikalis; nach Vorbringen zweier ESIN endgültige Reposition und divergentes Einbringen der beiden intramedullären Nägel unter Durchleuchtungskontrolle (schwierig, da enger spaltförmiger Markraum) Metallentfernung
K-Draht-Osteosynthese nach 3–4 Wochen Fixateur externe: nach 3–4 Wochen ESIN: elektiv nach 3–4 Monaten; prinzipiell nach sicherer Konsolidierung
Sonstige Besonderheiten
Beurteilung der Fehlstellung in der sagittalen Ebene mit Hilfe der Rogers-Hilfslinie (⊡ Abb. 13.7),
normalerweise schneidet diese den Kern des Condylus radialis im Zentrum; bei der Antekurvation liegt die Linie vor dem Capitulum, bei der Rekurvation hinter dem Capitulum klinische Kontrolle im Vergleich zur Gegenseite (⊡ Abb. 13.11) auffällige Narbenbildung bei ESIN am proximalen Oberarm besprechen
13
150
Kapitel 13 · Ellenbogen
N. radialis
N. ulnaris
⊡ Abb. 13.9. Gekreuzte K-Draht-Spickung bei suprakondylärer Humerusfraktur, Schema.
13
N. ulnaris
⊡ Abb. 13.11a–c. Intraoperativ muss die leicht valgische Ellenbogenachse symmetrisch zur gesunden Seite überprüft werden. Ist die Streckung voll, die Beugung bis mindestens 120° möglich, so ist eine relevante Fehlstellung ausgeschlossen.
⊡ Abb. 13.10. Radialer Fixateur externe bei suprakondylärer Humerusfraktur, Schema.
151 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
a
c
b
d
⊡ Abb. 13.12a–d. a,b Es besteht eine suprakondyläre Humerusfraktur Typ IV, bei der die Frakturflächen keinen Kontakt mehr zueinander aufweisen. c,d Die Fraktur wurde nach geschlossener Reposition absteigend mit zwei ESIN in achsengerechter Stellung versorgt.
13
152
Kapitel 13 · Ellenbogen
13.2.1 Fallbeispiele
Fall 13.1 Epiphysiolyse, Säugling, 4 Monate, Kindesmisshandlung.
a Unfallbild. b Nach Gipsruhigstellung metaphysäre Verbreiterung sichtbar.
Fall 13.2 Stabile suprakondyläre Humerusfraktur 2. Grades, Mädchen, 7 J., Sturz von der Schaukel.
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a Unfallbild. b Konservative Behandlung mit Redression in Blount-Verband.
153 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
Fall 13.3 Spontankorrektur einer Antekurvationsfehlstellung.
Neigungswinkel des Kapitulums von 20° als Ausdruck der Antekurvation. 2 Jahre nach dem Unfall hat sich der Neigungswinkel auf 35° erhöht.
13
154
Kapitel 13 · Ellenbogen
Fall 13.4 Suprakondyläre Humerusfraktur 3. Grades.
13
a Unfallbild. b,c Stabilisierung mit Fixateur externe und Gips. d,e Ausheilungsbild.
155 13.2 · Suprakondyläre Humerusfrakturen
Fall 13.5 Suprakondyläre Humerusfraktur 4. Grades.
a Unfallbild, erhebliche Dislokation. b,c Versorgung mit perkutaner K-Draht-Osteosynthese. d,e Ausheilung.
13
156
Kapitel 13 · Ellenbogen
Fall 13.6 Wachstumsstörung in der Frontalebene nach suprakondylärer Humerusfraktur.
a
13 b a Die Röntgenaufnahme bei Konsolidierung zeigt eine regelrechte Stellung in der Frontalebene. b 3 Jahre nach dem Unfall stellt sich ein zunehmendes radiales Wachstum mit Cubitus varus dar.
157 13.3 · Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen
13.3
Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen
A. Weinberg und C. Castellani 13.3.1 Epikondyläre distale Humerusfrakturen
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Insgesamt beträgt die Häufigkeit der epikondylären Frakturen inklusive der Ellenbogenluxationen 1,3% sämtlicher Extremitätenverletzungen. Die Fraktur des Epicondylus ulnaris ist mit über 90% weitaus häufiger als die des Epicondylus radialis. Die Frakturen beider Epikondylen sind in den meisten Fällen Begleitverletzungen der Ellenbogenluxation (⊡ Abb. 13.13). Zu isolierten ulnaren epikondylären Verletzungen kann es selten durch direkte Traumen kommen. Es handelt sich um extraartikuläre Frakturen. Die betroffene Fuge stellt eine Apophyse dar, die hauptsächlich als Bandansatz und zur Formgebung fungiert und nicht zum Längenwachstum des Arms beiträgt.
13.3.2 Transkondyläre distale Humerus-
frakturen (Gelenkfrakturen des Condylus radialis, des Condylus ulnaris und Y-Fraktur des distalen Humerus) Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Die transkondylären Humerusfrakturen – Frakturen des Condylus radialis sowie des Condylus ulnaris und YFrakturen – sind die zweithäufigsten Verletzungen des kindlichen Ellenbogens mit 1,8% sämtlicher Extremitätenfrakturen. Die häufigste Fraktur ist die des Condylus radialis humeri (90%), gefolgt von der des Condylus ulnaris und der Y-Fraktur (je etwa 5%). Der Altersgipfel der Frakturen des Condylus radialis humeri liegt mit 4–5 Jahren leicht unter der der suprakondylären Oberarmfrakturen. Der Altersgipfel der Frakturen des Condylus ulnaris liegt um das 12. Lebensjahr herum. Die Y-Frakturen kommen am häufigsten in der präpubertären Phase vor. Der Unfall entsteht meist durch Sturz auf die ausgestreckte Hand, selten durch direktes Trauma. Die transkondylären Frakturen sind in ihrem Ausmaß oft schwer zu bewerten, da der sichtbare Knochenkern nicht der Gelenkfläche entspricht. Daher ist die Beurteilung des Gelenkspaltes nur indirekt – außer durch MRT – möglich. Ein MRT ist in der Regel jedoch nicht indiziert. Man muss unbedingt dislozierte von undislozierten Frakturen des Kondylus differenzieren. Die unverschobene Fraktur des Condylus radialis bezeichnet man als sog. »hängende Fraktur«, da sie noch im knorpeligen Anteil fixiert ist. Da dieser knorpelige Anteil jedoch nicht direkt auf dem Röntgenbild erkennbar ist, muss eine radiologische Verlaufskontrolle nach wenigen Tagen erfolgen, um die primäre Einschätzung der Stabilität zu bestätigen. Bei dislozierten Frakturen liegt hingegen eine Gelenkverletzung mit Stufenbildung vor, die operativ eingerichtet und stabilisiert werden muss. Klinisch imponieren die Gelenkverletzungen durch eine erhebliche Schwellung mit Hämatombildung, und durch Schmerzhaftigkeit, verbunden mit erheblich eingeschränkter Beweglichkeit und Fehlstellung.
13.3.3 Ellenbogenluxation
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
⊡ Abb. 13.13. Begleitverletzungen Ellenbogenluxation, häufig kombiniert mit Epicondylus-ulnaris-Abriss.
Die Ellenbogenluxationen finden sich gehäuft nach dem 10. Lebensjahr und sind nicht selten mit Frakturen des Epicondylus ulnaris kombiniert (⊡ Abb. 13.13). Zumeist kommt es aufgrund des Sturzes auf die ausgestreckte Hand zu radiodorsalen Luxationen, selten einmal durch direkten Sturz auf den dorsalen Ellenbogen zu ventralen Luxationen.
13
158
Kapitel 13 · Ellenbogen
Da keine Fugen verletzt werden, sind keine Wachstumsstörungen zu erwarten. Die Prognose der Luxation ist durch die Begleitverletzungen bestimmt. Der Ausriss des Epicondylus ulnaris ist die häufigste Begleitverletzung, gefolgt vom Ausriss des radialen, weniger oft des ulnaren Seitenbandes. Selten kommt es im Kindesalter zu einem Ausriss des Epicondylus radialis oder des Pro-
cessus coronoideus ulnae, einer Radiuskopf- oder einer Oberarmfraktur. Der übersehene radiale Seitenbandausriss kann zu rezidivierenden Reluxationen führen. Persistierende ulnare Instabilitäten sind selten und können zu störenden Instabilitätsgefühlen führen. Mitunter ist es möglich, dass radiale Osteochondrosen behandlungsbedürftig werden.
Epikondyläre distale Humerusfraktur
13
Besonderheiten
extraartikuläre Fraktur; die betroffene Fuge stellt eine Apophyse dar, die hauptsächlich die Aufgabe der Formgebung hat und nicht zum Längenwachstum des Arms beiträgt
Diagnostik
Rx a.-p. und seitlich; nur bei Kindern unter 5 Jahren, bei denen der Kern des Epicondylus noch nicht sichtbar ist, muss die Diagnose aufgrund der Klinik erfolgen: direktes Trauma, ulnare Schwellung und ulnarer Zeigeschmerz; in diesem Alter ist das Dislokationsausmaß von untergeordneter Bedeutung, da es keine Konsequenz hat
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
freie Funktion des Ellenbogens ohne Instabilitäten; bei den zugehörigen Fugen handelt es sich um Apophysenfugen, daher sind keine Korrekturen zu erwarten
Primärbehandlung
Ruhigstellung in Oberarmgipsschiene; Kontrolle von Durchblutung, Sensibilität und Motorik des Arms
Konservative Therapie Indikation
alle undislozierten Frakturen, als undisloziert kann eine maximale Dislokation von 0,5 cm betrachtet werden
Verfahren
Oberarmgips in Neutralstellung bei 90° gebeugtem Ellenbogengelenk
Nachbehandlung
physikalische Therapie primär nicht notwendig, nur dann, wenn über 6–8 Wochen der Bewegungsumfang unverändert eingeschränkt ist
Rx-Kontrolle
nach 3–5 Wochen Konsolidierungskontrolle
Sportfähigkeit
bei freier Funktion
Operative Therapie Indikation
alle dislozierten Frakturen, v.a. wenn diese ins Gelenk eingeschlagen sind; des Weiteren gilt ein Dislokationsausmaß von 0,5 cm, bei einigen Autoren auch über 0,2 cm, als Operationsindikation; bei einer gleichzeitigen Ellenbogenluxation sollte dringlich operiert werden, bei einem reinen Epiphysenabriss sofort oder nach wenigen Tagen der Abschwellung
Verfahren
Schraubenosteosynthese mit kanülierten selbstschneidenden Schrauben, ggf. mit Unterlegscheibe (ca. 3,5 mm), nur in Ausnahmefällen divergierende K-Draht-Spickung oder Zuggurtung; intraoperative Darstellung des N. ulnaris, der aufgrund der Instabilität aus dem Lager herausgelöst sein kann
159 13.3 · Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen
Nachbehandlung
bei der Schraubenosteosynthese möglichst funktionell, bei K-Draht-Osteosynthese bei kleinen Kindern für 3 Wochen Ruhigstellung im Oberarmgips; nach stabiler Osteosynthese kann sofort mit spontanem Bewegen begonnen werden; eine physikalische Therapie ist primär nicht notwendig, nur dann, wenn über 6–8 Wochen der Bewegungsumfang unverändert eingeschränkt ist
Rx-Kontrolle
postoperativ, dies kann intraoperativ oder innerhalb der 1. Woche geschehen, Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
Schrauben nach 3 Monaten; K-Draht zum Zeitpunkt der Konsolidierung, wenn diese herausstehen, ansonsten nach 8–12 Wochen
Sportfähigkeit
bei freier Funktion
Komplikationen
Pseudarthrosen des ulnaren Epicondylus kommen nach der konservativen Therapie bei bis zu 40% vor, nach der operativen Behandlung bei etwa 10%; Beschwerden bereiten die Pseudarthrosen nur in 10% aller Fälle; selten auch Irritationen des N. ulnaris
Wachstumsstörung
da es sich um Apophysen handelt, ist mit konsekutiven Wachstumsstörungen nicht zu rechnen
Nachkontrollen
bei freier Funktion kann Behandlung abgeschlossen werden, da mit Wachstumsstörungen nicht gerechnet werden muss
Klassifikation
AO: 13-M/7.1-3
LiLa: 1.3.s.5.0-2.
Transkondyläre Fraktur des distalen Humerus – Fraktur des Condylus radialis, des Condylus ulnaris und Y-Fraktur des distalen Humerus
Besonderheiten
Risiko einer Pseudarthrose und einer Gelenkfehlstellung nach Condylus-radialis-Frakturen
Diagnostik
Röntgen a.-p. und seitlich. Indirekte Zeichen: radialseitige Weichteilschwellung und Kortikalisunterbrechung im a.-p. Bild, im Seitbild: von proximal dorsal nach ventral distal verlaufender Frakturspalt. Verlauf im Knorpel radiologisch nicht sichtbar: Handelt es sich um eine inkomplette Fraktur, bei der der knorpelige Gelenkanteil noch stabil ist, eine sog. hängende Fraktur, so ist hier keine Gefahr einer sekundären Dislokation gegeben; handelt es sich aber um eine komplette artikuläre Fraktur, so kann und wird diese selbst in der Gipsruhigstellung zunehmend dislozieren. Dies kann prinzipiell durch ein MRT oder eine Ultraschalluntersuchung bei entsprechender Erfahrung unterschieden werden Klinisch hat sich jedoch der Ausschluss einer sekundären Dislokation durch eine zweite, gipsfreie Röntgenkontrolle am 4.–6. Tag nach Unfall etabliert
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Stabilisieren aller instabilen vollständigen artikulären Frakturen, um sekundäre Dislokationen mit der Gefahr der Pseudarthrose zu verhindern und die Folgen der Wachstumsstörung klein zu halten Da es sich um Gelenkfrakturen handelt, sind keine Korrekturen zu erwarten; oberstes Prinzip ist die anatomische Gelenkrekonstruktion
Primärbehandlung
Oberarmgipsschiene
13
160
Kapitel 13 · Ellenbogen
Konservative Therapie Indikation
undislozierte stabile (inkomplette artikuläre, sog. hängende) Frakturen
Verfahren
Oberarmgips in 90°-Stellung
Nachbehandlung
3–4 Wochen; nach Gipsabnahme, bzw. bei bewegungsstabilen Osteosynthesen postoperativ Beginn mit spontanem Bewegen, Physiotherapie ggf. im Verlauf
Rx-Kontrolle
Röntgenkontrolle nach 4–6 Tagen zum Ausschluss einer sekundären Dislokation; Konsolidierungsröntgen nach 4 Wochen
Sportfähigkeit
bei freier Funktion
Operative Therapie Indikation
Operative Therapie der Condylus-radialis-/-ulnaris-Frakturen: primär als auch sekundär dislozierte Frakturen Operative Therapie der Y-Frakturen: primär als auch sekundär dislozierte Frakturen
Verfahren
Operative Therapie der Condylus-radialis-/-ulnaris-Frakturen: offene Reposition mit Darstellung der Gelenkfläche, anatomischer Einpassung und metaphysärer und ggf. epiphysärer Schraubenosteosynthese; alternativ können 2 K-Drähte bei kleinen Kindern divergierend angewandt werden, hierbei jedoch eine zusätzliche Gipsruhigstellung Operative Therapie der Y-Frakturen: offene Reposition mit Schraubenosteosynthese sowohl quer zum Gelenkverlauf als auch metaphysär; bei Beginn des Wachstumsabschlusses in diesen Fällen auch eine Plattenosteosynthese zur übungsstabilen Nachbehandlung indiziert
13
Nachbehandlung
falls möglich funktionell entsprechend dem Schmerzniveau des Patienten
Rx-Kontrolle
postoperativ (ist sowohl intraoperativ als auch innerhalb der 1. Woche möglich), Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 8–12 Wochen
Sportfähigkeit
bei freier Funktion, bei stabiler Versorgung kann die Bewegung sofort frei gegeben werden
Komplikationen
schwerwiegendstes Problem bei Frakturen des radialen Kondylus Überschätzung der Stabilität und Übersehen einer sekundären Dislokation
Wachstumsstörung
Risiko eines partiellen Fugenschlusses und avaskulärer Nekrosen. Die typische Wachstumsstörung ist jedoch eine passagere Stimulation der Fuge, die nach radialen und Y-Frakturen zur Varisierung, nach ulnaren Frakturen zur Valgisierung führen kann. Das Ausmaß der Varisierung nach radialen und Y-Frakturen ist dabei von der Zeitdauer der Konsolidierung abhängig und somit von der Stabilität der Fraktur und dem angewandten Osteosyntheseverfahren
Nachkontrollen
½- bis 1-jährliche Kontrollen mindestens 2 Jahre postoperativ
Klassifikation
AO: 13-E/4.1-3
LiLa: 1.3.a.1-5.0-2.
161 13.3 · Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen
Ellenbogenluxation
Besonderheiten
v.a. Adoleszente
Diagnostik
Röntgenübersichtsaufnahme mit Nachweis einer Luxation oder Luxationsfraktur, ossäre Begleitverletzungen oft erst im a.-p. und seitlichen Röntgenbild, das nach der Reposition angefertigt werden muss, nachzuweisen; Prüfung der radialen und ulnaren Seitenbandinstabilität nach Reposition der Luxation in Narkose bzw. in Sedation klinisch am gestreckten Ellenbogen
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Beseitigung der Luxation, Vermeidung von Instabilitäten, Behandlung und Ausheilung der Begleitverletzungen, schnelles Erreichen der vollen Funktion
Primärbehandlung
notfallmäßige geschlossene Reposition, am besten in Kurznarkose, dabei Ausschluss oder Nachweis von Instabilitäten oder knöchernen Begleitverletzungen, die ggf. in gleicher Sitzung versorgt werden können
Konservative Therapie Indikation
stabiles Ellenbogengelenk nach Reposition, fehlende oder anatomisch stehende knöcherne Zusatzverletzungen
Verfahren
Ruhigstellung im Oberarmgips für 2–3 Wochen, initial als Gipsschiene
Nachbehandlung
Nach Gipsabnahme funktionelle Behandlung
Rx-Kontrolle
nach 7 Tagen Röntgenkontrolle im Oberarmgips zum Ausschluss einer sekundären Dislokation
Sportfähigkeit
3 Wochen nach Gipsabnahme
Operative Therapie Indikation
fehlende Stabilität nach Primärreposition mit Reluxationstendenz; ligamentäre Instabilitäten; knöcherne Apophysenausrisse, v.a. des Epicondylus ulnaris
Verfahren
offene Reposition des knöchernen Ausrisses (Epicondylus ulnaris oder radialis) und Fixation mit Kleinfragmentzugschraube; bei Ausrissen des Epicondylus ulnaris auch Darstellung des N. ulnaris; bei radialen Instabilitäten direkte Naht, Refixation von knöchernen Ausrissfragmenten mit Minischraube oder K-Drähten oder Bandrefixation mit Sehnenanker (2,4 mm) Nachbehandlung mit 2–3 Wochen Oberarmgips, außer bei stabiler Refixation durch Schraubenosteosynthese, in diesen Fällen Oberarmgipsschiene zur Abschwellung
Nachbehandlung
Gipsruhigstellungen für 2 bis maximal 3 Wochen, dann eigenständige Übungen, ggf. Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
Nach Reposition; Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
K-Draht nach 3 Wochen, Schrauben nach 12–16 Wochen
Sportfähigkeit
bei freier Funktion
Komplikationen
sekundäre Irritationen des N. ulnaris nach ulnarem Zugang; Bewegungseinschränkungen im Ellenbogengelenk, Pseudarthrose
Wachstumsstörung
selten, da Wachstumsfuge nicht direkt betroffen
Nachkontrollen
½- bis 1-jährliche Kontrollen mindestens 2 Jahre postoperativ, Abschluss bei freier Funktion
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
13
162
Kapitel 13 · Ellenbogen
Technische Aspekte
Kondylusfrakturen
Epikondyläre distale Humerusfraktur Material
Schrauben (kanülierte selbstschneidende Schrauben, meist 3,5 mm)
Lagerung
Rückenlage, auch Bauchlage möglich
Zugang
Ulnarer Zugang zum Ellenbogengelenk. Das ausgerissene Fragment lässt sich problemlos
darstellen. Der N. ulnaris muss freigelegt werden. Von der Spitze des Fragments wird ein Bohrloch von schräg hinten nach vorne gebohrt in einem Winkel von ca. 30° zum Oberarmschaft. Als Osteosynthesematerial ist eine Kleinfragment-Spongiosaschraube mit kurzem Gewinde geeignet oder auch eine kanülierte selbstschneidende Schraube ( Fall 13.7). Letztere hat den Vorteil, dass man das Fragment mit einem K-Draht provisorisch fixieren kann, worüber die Schraube eingebracht wird Alleinige K-Draht-Osteosynthese mit 1–2 K-Drähten nur, wenn anders nicht möglich, z.B. kleine Fragmente ( Fall 13.8). Spezielle Aufklärung
N.-ulnaris-Läsionen, Pseudarthrosen, Einschränkung der Beweglichkeit, Gelenkeinsteifungen
(heterotope Ossifikationen, Weichteilvernarbungen) Transkondyläre Fraktur des distalen Humerus (Fraktur des Condylus radialis, Condylus ulnaris und Y-Fraktur) Lagerung
Bauch- oder Rückenlage, in Bauchlagerung ist die Reposition bei Frakturen des Condylus radi-
alis teils einfacher; Y-Frakturen sollten ausschließlich in Bauchlage operativ versorgt werden Zugang
radialer Zugang bei Condylus-radialis-Frakturen ulnarer Zugang bei Condylus-ulnaris-Frakturen dorsaler Zugang mit/ohne Olekranonosteotomie bei transkondylären Frakturen (bei Adoles-
zenten wie beim Erwachsenen)
13
Spezielle Aufklärung
je nach Zugang Läsion der jeweiligen Nerven Pseudarthrose mit fehlender Einheilung, Bewegungseinschränkungen posttraumatische Arthrose
Verfahren
Operative Therapie der Condylus-radialis-/-ulnaris-Fraktur (⊡ Abb. 13.14, Fall 13.9, Fall 13.10) radialseitiger Zugang Darstellung der dislozierten Fraktur, unbedingt Darstellung der Gelenkfläche und anatomische Reposition der Gelenkinkongruenz temporäre Fixation mit K-Drähten parallel des Gelenks und senkrecht zur Frakturfläche Stabilisierung mit kanülierten, überbohrten Schrauben und/oder K-Draht, dieser kann parallel der schrägen Zugschraube (3–3,5 mm) zur Rotationssicherung eingebracht werden; der parallel zur Gelenkfläche in die Trochlea eingebrachte K-Draht (1,4–1,6 mm) erhöht die Stabilität der Osteosynthese und verhindert eine sekundäre Dislokation alternativ divergierendes Einsetzen von zwei K-Drähten bei kleinen Kindern, die jedoch eine zusätzliche Gipsruhigstellung benötigen Operative Therapie der Condylus-ulnaris-Fraktur ulnarseitiger Zugang Darstellung des N. ulnaris längerstreckig zur Mobilisierung Darstellung der Gelenkfläche und anatomische Reposition der Gelenkinkongruenz temporäre Fixation mit K-Drähten parallel des Gelenks und senkrecht zur Frakturfläche Stabilisierung mit kanülierten, überbohrten Schrauben und/oder K-Draht, dieser kann parallel der schrägen Zugschraube (3–3,5 mm) zur Rotationssicherung eingebracht werden; der parallel zur Gelenkfläche in die Trochlea eingebrachte K-Draht (1,4–1,6 mm) erhöht die Stabilität der Osteosynthese Reposition des N. ulnaris, Ventralverlagerung i.d.R. nicht erforderlich
163 13.3 · Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen
Operative Therapie der Y-Frakturen (⊡ Abb. 13.15) Bauchlage parallele Inzision der Trizepssehne Darstellung und Mobilisierung des N. ulnaris Reposition der Y-Fraktur unter der Trizepssehne, temporäre Fixation mit K-Drähten parallel zum Gelenkverlauf als auch metaphysär, intraoperative Röntgenkontrolle bei anatomischem Repositionsergebnis Stabilisierung mit kanülierten Zugschrauben über die K-Drähte falls Adoleszente mit großen Zugkräften auch Osteosynthese eines oder beider Pfeiler mit Kleinfragmentplatten (3,5-mm-Rekoplatte, selten Low Contact Plate) möglich; da hierbei die Fugen unter Kompression gesetzt werden, sollte dies erst um den Wachstumsabschluss erfolgen Olekranonosteotomie falls mit o.g. Vorgehen keine sichere anatomische Reposition erreicht werden kann; wird diese durchgeführt, dann anatomische, übungsstabile Reposition und Osteosynthese mit Platten, Verschluss der Olekranonosteotomie mittels Zuggurtung und funktionelle Nachbehandlung Metallentfernung
Zugschrauben nach 3–4 Monaten, Olekranonosteotomie nach 3 Monaten, Platten nach 5–6 Monaten
Sonstige Besonderheiten
anatomische Rekonstruktion des Gelenks im Vordergrund, um eine posttraumatische Arthrose zu vermeiden
⊡ Abb. 13.14. Osteosyntheseprinzip Condylus-radialis-Fraktur.
⊡ Abb. 13.15. Osteosynthesemöglichkeit Y-Fraktur des distalen Humerus.
13
164
Kapitel 13 · Ellenbogen
13.3.4 Fallbeispiele
Fall 13.7 Epicondylus-ulnaris-Fraktur.
a
b
c
a Zieldraht für kanülierte Schrauben. b,c Postoperative Kontrolle der Schraubenosteosynthese.
Fall 13.8 Epicondylus-ulnaris-Fraktur bei Ellenbogenluxation, Junge, 7 J., Sturz.
13
a,b Unfallbild. c,d Bohrdrahtosteosynthese.
165 13.3 · Epikondyläre und kondyläre Humerusfrakturen; Ellenbogenluxationen
Fall 13.9 Condylus-radialis-Fraktur, Mädchen, 6 J., Sturz von Schaukel.
a
b
c
d
a,b Unfallbilder. c,d Schraubenosteosynthese.
13
166
Kapitel 13 · Ellenbogen
Fall 13.10 Condylus-radialis-Fraktur, Mädchen, 6 J., Sturz von Spielgerät.
a,b Unfallbilder. c,d Bohrdrahtosteosynthese. e,f Ausheilungsergebnis nach 4 Wochen.
13
14
Proximaler Radius und Olekranon P.P. Schmittenbecher
14.1
Physiologische Befunde
– 168
14.1.1
Altersabhängige Röntgenbefunde – 169
14.2
Luxationen und Frakturen – 169
14.2.1 14.2.1
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Fallbeispiele – 179
– 169
168
Kapitel 14 · Proximaler Radius und Olekranon
Physiologische Befunde
14.1
Gelenkkapsel Kollateralbänder
Olekranon
Ringband Radiushals Processus coronoideus
Tuberositas radii
N. radialis R. profundus M. supinator
⊡ Abb. 14.1. Anatomie des proximalen Unterarms.
14 7.- 10. Lj.
14.-17. Lj.
3.- 6. Lj.
⊡ Abb. 14.2. Knochenkerne und Fugenschluss.
⊡ Abb. 14.3. Durchblutungssituation des proximalen Radius.
169 14.2 · Luxationen und Frakturen
14.1.1 Altersabhängige Röntgenbefunde
14.2
Die Radiushalsachse muss in jedem Alter, in jeder Einstellung und unabhängig vom Entwicklungsstand des Kopfkerns immer auf das Capitulum humeri treffen (⊡ Abb. 14.4a,b). Verletzungen der proximalen Radiusmetaphyse können bei weitgehend bzw. vollständig fehlender Verknöcherung der Epiphyse unterschätzt werden, man sieht ggf. nur eine geringe metaphysäre Gefügelockerung bei Epiphysiolyse bzw. Einstauchung (⊡ Abb. 14.5). Die Olekranonapophyse kann fehlen, einen sehr kleinen oder mehrere separate Knochenkerne aufweisen; die proximale Radiusepiphyse kann fehlen, sehr klein und selten zweigeteilt sein (⊡ Abb. 14.5).
14.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus
a
b
⊡ Abb. 14.4a,b. Ellenbogengelenk mit korrekter Position des Radiuskopfes zum Kapitulum. In jeder Bewegungsposition bzw. in jeder Projektion des Röntgenbilds schneidet die Verlängerung der Radiusachse das Capitulum humeri radialis.
Luxationen und Frakturen
und klinisches Bild Radiuskopfsubluxation. Sie ist die häufigste Verletzung
im Bereich des proximalen Radius (Chassaignac-Luxation) mit einer Inzidenz von 3,4–5,6% aller Skelett-Verletzungen und 27% der Ellenbogentraumen. Die Diagnose ergibt sich meist aus der typischen Anamnese bei Kindern bis einschließlich vier Jahren. Ursache ist ein abrupter Zug am Arm, wenn das Kind stolpert und vom Erwachsenen am gestreckten Arm gehalten bzw. an gestreckten Armen herumgeschleudert wird; seltener ist die Ursache ein Verklemmen des Armes in den Stäben des Gitterbettchens mit anschließender Drehbewegung. Der typische Spielunfall ereignet sich beim »Fangen«. Der Arm wird in mäßiger Ellenbogenstreckung und Pronation gehalten (»Pronation doloreuse«).Der proximale Radius rutscht aus dem Lig. anulare radii heraus, wenn eine muskuläre Stabilisierung als Gegenreaktion unmöglich ist. Oft wird der Unfall nicht beobachtet, häufig wird wegen der Schonung des gesamten Armes eine Schulterluxation vermutet. Mit vier Jahren hat der Radiuskopf seine endgültige Größe erreicht, dann wird die Verletzung deutlich seltener. Sollten trotz typischer Anamnese und klinischem Bild bereits mehrere Repositionsversuche erfolglos gewesen sein, so kann eine andere Ellenbogenverletzung wie die undislozierte suprakondyläre Fraktur vorliegen (Fehldiagnose). Isolierte proximale Radiusluxation. Sie ist eine äußerst seltene Verletzung, meist handelt es sich um eine Fehldiagnose bei übersehener Ulnafraktur (Monteggia-Verletzung mit geringem Bowing der Ulna oder plastischer Deformierung, »okkulte Ulnafraktur«). Die Verletzungsmechanismen entsprechen denen der Monteggia-Fraktur. Durch starken Zug am Unterarm rutscht der Radiuskopf unter dem Lig. anulare radii heraus oder das Ligament zerreißt bei ausgeprägtem Varusstress auf den Ellenbogen (Sportverletzung). Meist ist bei sofortiger Reposition ein geschlossenes Vorgehen erfolgreich. Wenn der Radius die Kapsel durchbohrt hat oder die Verletzung übersehen und verspätet reponiert werden soll, muss häufig offen vorgegangen werden. Differenzialdiagnostisch muss in diesen Fällen immer an eine kongenitale Luxation gedacht werden, die sich meist beidseitig mit Radiusüberlänge, hypoplastischem Kapitulum und konvexer radialer Kopfkontur darstellt.
⊡ Abb. 14.5. Kleinkind mit Radiushalsfraktur (schwarzer Pfeil); Kern der proximalen Radiusepiphyse und der Olekranonapophyse fehlen noch (weiße Pfeile).
Epiphysäre Radiuskopffraktur. Sie stellt im Kindesalter
die absolute Ausnahme dar, selten ist sie bei prämaturer Fuge möglich. Die Ursache ist meist ein Valgusstress im
14
170
Kapitel 14 · Proximaler Radius und Olekranon
Ellenbogen, wobei es zu einer Abscherung eines lateralen Epiphysenfragments kommen kann. Eine weitere mögliche Ursache ist ein schweres axiales Stauchungstrauma, z.B. durch einen Sturz auf die Hand bei gestrecktem Ellenbogen und proniertem Unterarm. Die Verletzung kann auch im Rahmen einer Luxation aufgetreten sein, deshalb muss eine Kontrolle der Kollateralbänder am Ellenbogen sowie des Processus coronoideus und des Epicondylus ulnaris erfolgen. Klassifikation: deskriptiv als Meißelfrakturen zu bezeich-
nen; bei (noch) offenen Fugen gilt die Klassifikation der epiphysären Frakturen nach Salter-Harris, hier liegt dann eine Salter-Harris-III- oder -IV-Fraktur vor, ggf. auch eine Übergangsfraktur. Metaphysäre Radiushalsfraktur. Diese ist mit einer Inzidenz von 1–1,3% aller Frakturen eine häufige Ellenbogenverletzung des Kindesalters. Sie ist eine typische Begleitfraktur der Ellenbogenluxation, häufiger aber durch einen Sturz auf den pronierten Arm bei gestrecktem Ellenbogen oder begleitend bei der Ulnaschaft-Parierfraktur als Monteggia-Äquivalent bedingt. Durch Valgusstress kommt es zur Abscherung des Radiuskopfes (⊡ Tab. 14.1). Zwei Drittel bis drei Viertel der Frakturen sind subkapital und metaphysär, ein Drittel bis ein Viertel der Frakturen sind Epiphysenlösungen; die meisten Frakturen liegen extrakapsulär, das proximale Fragment disloziert jedoch innerhalb der Kapsel.
Intraartikuläre Olekranonfraktur. Sie macht zusammen
mit den extraartikulären Frakturen 20° Intervention, eine Korrektur der Translation erfolgt nicht
Primärbehandlung
Lagerung auf Oberarmschiene
Konservative Therapie Indikation
bis 45° Abkippung 10. Lj.
Verfahren
10 Lj.: geschlossene Reposition durch direkten Druck auf das proximale Fragment unter Varusstress und Extension des Ellenbogens, 45° bzw. >20° oder Seitverschiebung >½ Schaftbreite
Verfahren
geschlossene Reposition und Fixation durch ESIN retrograd indirekte Reposition mit K-Draht als Joystick von dorsoradial; direkt offen selten notwendig und nur ausnahmsweise wegen Gefahr der Durchblutungsstörung indiziert
Nachbehandlung
funktionell bei ESIN; evtl. OA-Schiene für 1–2 Wochen; Belastung bei voller Beweglichkeit nach 4–6 Wochen
Rx-Kontrolle
Tag 0 (intraoperativ), Tag 28 (Konsolidierung)
Metallentfernung
nach 4–6 Wochen
Sportfähigkeit
nach Metallentfernung bei guter Beweglichkeit
Komplikationen
Formveränderung des Radiuskopfes, Verplumpung, Bewegungseinschränkung (Pro-/Supination), Pseudarthrose, Kopfnekrose, radioulnare Synostose
Wachstumsstörung
gering, partielle Wachstumshemmung möglich
Nachkontrollen
bis zur Funktionsfreiheit bei eingetretener Komplikation bis zum Wachstumsende
Klassifikation
AO:21-E/1(2).1-3.I–III
I
21-M/2(3).1-3.I–III
I
LiLa: 2.1.s.1-5.0-2.
175 14.2 · Luxationen und Frakturen
(Intraartikuläre) Olekranonfraktur
Besonderheiten
Inzidenz: 2 mm)
Verfahren
offene Reposition und Osteosynthese Querfraktur: Zuggurtung alternativ: ausschließlich 2 K-Drähte (10° und eine Verkürzung des Fingers >5 mm zu verhindern.
16.2.6 Konservative Therapie
16
Verletzungen der Mittelhandknochen ohne wesentlichen Rotationsfehler (10° an der Fingerkuppe, keine Verkürzung von >5 mm, keine Luxation im angrenzenden Karpo-Metakarpal-Gelenk
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Hochlagerung, abschwellende Maßnahmen, Schienenruhigstellung
Konservative Therapie Indikation
Regelfall bei Frakturen innerhalb der Toleranzgrenzen
Verfahren
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 3 Wochen
Nachbehandlung
Funktionelle Nachbehandlung mit Belastungsaufbau und Vollbelastung bis zur 6. Woche
Rx-Kontrolle
Entfällt bei unkomplizierten Frakturen, bei Dislokationsgefahr nach 1 Woche und nach Gipsabnahme
Sportfähigkeit
Nach 8 Wochen
Operative Therapie
16
Indikation
Luxation, Abkippung, Rotationsfehler und Verkürzung über die Toleranzgrenze
Verfahren
K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 4 Wochen, dann funktionelle Behandlung und Belastungsaufbau bis zur 8. postoperativen Woche
Rx-Kontrolle
Nach 1 Woche beim Gipswechsel und vor Metallentfernung nach 4 Wochen
Metallentfernung
Nach 4 Wochen
Sportfähigkeit
Nach Ablauf von 8 Wochen
Komplikationen
Sehnenverletzungen und -verklebungen, Bewegungsstörungen der Finger, persistierende Fehlstellungen, K-Draht-Infektionen
Wachstumsstörung
Nicht zu erwarten
Nachkontrollen
Die meisten Frakturen müssen nicht nachkontrolliert werden, wenn eine Zunahme der Fehlstellung befürchtet wird nach 6 Monaten und einem Jahr
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
215 16.2 · Mittelhandfrakturen
Mittelhandknochen – subkapitale Fraktur
Besonderheiten
Meist erst ab dem 8. Lebensjahr mit zunehmender sportlicher Aktivität
Diagnostik
Klinik und Röntgenaufnahme der Hand dorsopalmar, schräg, ggf. streng seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Keine Abkippung von >30–50°, kein Rotationsfehler von >10° an der Fingerkuppe, keine Verkürzung >5 mm
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Hochlagerung, abschwellende Maßnahmen, Schienenruhigstellung
Konservative Therapie Indikation
Regelfall bei Frakturen innerhalb der Toleranzgrenzen
Verfahren
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 3 Wochen
Nachbehandlung
Funktionelle Nachbehandlung mit Belastungsaufbau und Vollbelastung bis zur 6. Woche
Rx-Kontrolle
Entfällt bei unkomplizierten Frakturen, bei Dislokationsgefahr nach 1 Woche und nach Gipsabnahme
Sportfähigkeit
Nach 8 Wochen
Operative Therapie Indikation
Dislokation, Abkippung, Rotationsfehler und Verkürzung über die Toleranzgrenze
Verfahren
K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 4 Wochen, dann funktionelle Behandlung und Belastungsaufbau bis zur 6. postoperativen Woche
Rx-Kontrolle
Nach 1 Woche beim Gipswechsel und vor Metallentfernung bei K-Drähten nach 4 Wochen
Metallentfernung
Nach 4 Wochen
Sportfähigkeit
Nach Ablauf von 8 Wochen
Komplikationen
Sehnenverletzungen und -verklebungen, Bewegungsstörungen der Finger, persistierende Fehlstellungen, K-Draht-Infektionen, Osteonekrosen mit Beteiligung der Gelenkfläche
Wachstumsstörung
Nicht zu erwarten
Nachkontrollen
Die meisten Frakturen müssen nicht nachkontrolliert werden, wenn eine Zunahme der Fehlstellung oder Osteonekrosen befürchtet werden nach 6 Monaten und einem Jahr
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
16
216
Kapitel 16 · Hand
Mittelhandknochen – Schaftfraktur
Besonderheiten
Meist erst ab dem 8. Lebensjahr mit zunehmender sportlicher Aktivität
Diagnostik
Klinik und Röntgenaufnahme der Hand dorsopalmar, schräg, ggf. streng seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Keine Abkippung von >30°, kein Rotationsfehler von >10° an der Fingerkuppe, keine Verkürzung von >5 mm
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Hochlagerung, abschwellende Maßnahmen, Schienenruhigstellung
Konservative Therapie Indikation
Regelfall bei Frakturen innerhalb der Toleranzgrenzen, bei Dislokation ggf. schwierig im Gips zu behandeln
Verfahren
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 4 Wochen
Nachbehandlung
Funktionelle Nachbehandlung mit Belastungsaufbau und Vollbelastung bis zur 6. Woche
Rx-Kontrolle
Entfällt bei unkomplizierten Frakturen, bei Dislokationsgefahr nach 1 Woche und nach Gipsabnahme
Sportfähigkeit
Nach 8 Wochen
Operative Therapie
16
Indikation
Dislokation, Abkippung, Rotationsfehler und Verkürzung über die Toleranzgrenze
Verfahren
K-Draht-Osteosynthese, bei älteren Kindern Schrauben- oder Plattenosteosynthese
Nachbehandlung
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 4 Wochen, dann funktionelle Behandlung und Belastungsaufbau bis zur 8. postoperativen Woche
Rx-Kontrolle
Nach 1 Woche beim Gipswechsel und vor Metallentfernung bei K-Drähten nach 4 Wochen
Metallentfernung
Nach 4 Wochen, bei Schrauben oder Platten fakultativ nach 6 Monaten
Sportfähigkeit
Nach Ablauf von 8 Wochen
Komplikationen
Sehnenverletzungen und -verklebungen, Bewegungsstörungen der Finger, persistierende Fehlstellungen, K-Draht-Infektionen
Wachstumsstörung
Nicht zu erwarten
Nachkontrollen
Die meisten Frakturen müssen nicht nachkontrolliert werden, wenn eine Zunahme der Fehlstellung befürchtet wird nach 6 Monaten und einem Jahr
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
217 16.3 · Fingerfrakturen und Fingerluxationen
16.3
Fingerfrakturen und Fingerluxationen
16.3.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und
klinisches Bild Die Verletzungen der Phalangen sind die häufigsten Verletzungen der kindlichen Hand, die Verletzungsursachen entsprechen im Wesentlichen denen der Mittelhandfrakturen. Bei den Fingerfrakturen sind die Randstrahlen (Zeige- und Kleinfinger) mehr betroffen. Die Phalanxfrakturen sind etwas häufiger als die Mittelhandfrakturen mit einer deutlichen Häufung um das Metakarpophalangealgelenk (MCP-Gelenk). Dislokationen der MCP-Gelenke sind die häufigsten Gelenkluxationen an der Hand des Kindes. Der Daumen ist am meisten betroffen und das Zeigefingergrundgelenk häufig nicht zu reponieren. Die Luxation resultiert aus einer forcierten Hyperextension mit Ruptur der volaren Platte (Fibrocartilago palmaris). Nahe der Skelettreifung findet sich dann zunehmend die Luxation bzw. Läsion der palmaren Platte des proximalen Interphalangealgelenks (PIP-Gelenk). Von den Fingerfrakturen sind bis über 30% Epiphysenverletzungen. Die Verletzung der proximalen Phalanx (Salter-Harris II) ist dabei die häufigste, abgesehen von Quetschungen der distalen Phalanx und der damit verbundenen hohen Varianz der Fingerkuppenverletzung.
16.3.2 Klassifikation
Die Verletzungen im Bereich der Epiphysenfuge werden nach Aitken bzw. Salter-Harris klassifiziert. Hierzu wird entsprechend der Frakturanatomie eingeteilt und zwischen intraartikulärer und extraartikulärer Fraktur unterschieden. Hinzu kommt die Einteilung nach der Stabilität in stabile und instabile Frakturen. Eine weitere Einteilung von Fingerfrakturen und -luxationen ist in ⊡ Tab. 16.4 aufgeführt.
16.3.3 Besonderheiten
Wie bei den Mittelhandknochen finden sich Epiphysen an beiden Knochenenden. Ein sekundäres Ossifikationszentrum fehlt distal am 1. Mittelhandknochen und an den distalen Phalangen. Im Gegensatz zu den Fingergrundgelenken werden die Interphalangealgelenke breitflächig von den Bandstrukturen umhüllt, mit Faserverläufen bis zu den Metaphysen. Zusätzlich bestehen stabile Verbindungen zur palmaren Platte. Die Gelenke werden durch die Beuge- und Strecksehnen umgeben. Die Strecksehnen inserieren dabei an den Epiphysen, die Beugesehnen ziehen bis zu den Metaphysen der entsprechenden End- bzw.
⊡ Tab. 16.4. Fingerfrakturen und -luxationen Frakturen der distalen Phalanx Nagelkranzfraktur (einfach, Trümmerfraktur) Schaftfraktur (transvers, longitudinal) Gelenkfrakturen: palmar (Beugesehnenavulsion) Epiphysenfraktur dorsal (Mallet-Fraktur) Frakturen der Grund- u. Mittelphalanx Epiphysenfraktur Einfache Fraktur, Trümmerfraktur, Kompressionsfraktur, Defektfraktur Querfraktur, Schrägfraktur, Spiralfraktur, Avulsionsfraktur Luxationen der proximalen Interphalangealgelenke Typ 1
nicht dislozierter Abriss der palmaren Platte
Typ 2
Dissoziation zwischen eigentlichem u. akzessorischem Seitband; knöchern 30°, ein Rotationsfehler im Bereich der Fingerkuppe >10° und eine Verkürzung des Fingers von mehr als 5 mm zu verhindern. Bei Luxationen und Frakturen im Bereich der Fingergelenke ist das Ziel eine anatomische Wiederherstellung der Gelenkrelation und -flächen. Deformitäten in den Ebenen der Gelenkachsen korrigieren sich. Bei linearen Abweichungen (Abduktion bzw. Adduktion) kann keine verlässliche Vorhersage gemacht werden. Dieses Problem verstärkt sich bei größerem Abstand zur Fuge. Subkapitale Frakturen der Phalangen remodellieren nur gering. Bei der Primärbehandlung liegt die Anstrengung in einer adäquaten Schmerztherapie und der damit verbundenen Diagnostik. Bis zur definitiven Therapie, konservativ mit oder ohne Frakturreposition oder operativ, muss eine Schienenruhigstellung in Funktionsstellung erfolgen. Ist das Kind zu klein, kann mittels Wattepolsterung ein Faustverband zum Schutz angelegt werden. Insbesondere bei Fingerluxationen sollte frühzeitig eine adäquate Lokalanästhesie erfolgen.
16
220
Kapitel 16 · Hand
16.3.6 Konservative Therapie
Bei der Luxation des MCP-Gelenkes ist häufig eine operative offene Reposition notwendig, insbesondere wenn durch zusätzliche Einklemmung der palmaren Platte eine Reposition verhindert wird. Ein Repositionsmanöver ist jedoch indiziert. Die Reposition der PIP- und DIP-Gelenke ist nach adäquater Sedierung und Lokalanästhesie leicht. Die meisten Frakturen der Phalangen können konservativ behandelt werden. Bei Kindern unter 10 Jahren kann dabei eine Deformität in der Bewegungsebene von bis zu 30° akzeptiert werden. Zur Reposition des MCP-Gelenks erfolgt zunächst die intraartikuläre Anästhesie und dann die Hyperextension (bei dorsaler Dislokation in Bezug auf den distalen Fingeranteil). Damit kann die palmare Platte auf dem Mittelhandkopf langsam nach palmar geschoben und manchmal eine Reposition erreicht werden. Der Längszug muss, da er die Spannung der Sehnen erhöht und damit die Einklemmung verstärkt, vermieden werden. Die Luxationen der PIP- und DIP-Gelenke können meist leicht durch Längszug am entsprechenden Finger reponiert werden. Bei kleinen Kindern kann eine lokale Betäubung unmöglich sein, sodass dann eine Sedierung oder Narkose erforderlich ist. Das Verfahren der Wahl bei Fingerfrakturen ist die Ruhigstellung mittels Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger (Beugung der Fingergrundgelenke bis 70° und komplette Extensions der Langfinger bei einer Handgelenkextension von ca. 20–30°). Bei Kleinkindern ist dies wegen der kleinen Handgröße nicht möglich, und ein Faustgips kann gewählt werden. Eine Reposition, wie bei der häufigen Basisfraktur, wird meist durch Beugung im Grundgelenk und Zug am Finger erreicht. Bei den
16
⊡ Abb. 16.14a,b. Grundgliedfraktur am Kleinfinger, die konservativ behandelt werden konnte.
Schaftfrakturen lässt sich durch die gute Weichteilschienung (Beugesehnenscheide) oft eine konservative Therapie durchführen (⊡ Abb. 16.14). Es erfolgt die Gipskontrolle am Folgetag mit Überprüfung der Fingerposition und Hinweisen auf Druckstellen. Der Gips sollte für 3 Wochen, bei Frakturen des Schafts (insbesondere Querfrakturen) 4 Wochen bzw. im Bereich der Mittelphalanx 6 Wochen belassen werden. Bei Luxationen der MCP- und PIP-Gelenke erfolgt eine frühzeitige Mobilisierung nach einer kurzen Phase der Ruhigstellung von nicht mehr als 7 Tagen. Zur besseren Protektion und Vermeidung der Hyperextension können dann »Buddy-Splints« angelegt werden (⊡ Abb. 16.20). Luxationen des Daumengrundgelenks werden mittels Daumenschiene für 3 Wochen ruhiggestellt. Das MCP-Gelenk ist dabei leicht gebeugt, und es muss auf eine korrekte Stellung geachtet werden, damit die Kollateralbänder nicht überdehnt werden.
16.3.7 Operative Therapie
Gelenkluxationen der MCP-Gelenke, die geschlossen nicht zu reponieren sind, müssen operativ offen reponiert werden. Instabilitäten nach Gelenkluxationen der PIPGelenke sind beim Adoleszenten möglich und müssen bei Instabilität oder wenn die palmare Platte, das Seitband, osteochondrale Fragmente die Reposition behindern, operativ behandelt werden. Palmare PIP-Dislokationen kommen faktisch beim Kind nicht vor. Bei Fingerfrakturen ist bei Beteiligung der Gelenkfläche von mehr als 25% bzw. einer Dislokation von mehr als 1,5 mm eine offene operative Versorgung indiziert. Insgesamt müssen jedoch Frakturen der Phalangen nur selten operativ behandelt werden, abgesehen von den schweren und offenen Quetschverletzungen. Es kann jedoch durch Interposition von Periost, Sehnen und Sehnenhauben zu Repositionshindernissen kommen, die ein offenes operatives Vorgehen erfordern. Auch Schaftfrakturen, die konservativ nicht sicher gehalten werden können bzw. bei denen bei konservativer Behandlung ein Rotationsfehler auftreten könnte, sollten operativ stabilisiert werden. Verletzungen der Fingerkuppe müssen, wenn das Hämatom den gesamten Nagel einnimmt und anhebt bzw. eine Nagelkranzfraktur im Röntgenbild erkennbar ist, operativ behandelt werden. Kleinere Hämatome können durch Bohrlochentlastung des Hämatoms mittels Kanüle behandelt werden. Gelenkluxationen der MCP-Gelenke können über einen palmaren Zugang gut dargestellt werden. Dabei ist oftmals die Freilegung und ggf. die Durchtrennung des A1-Ringbandes und die Längsinzision der volaren Platte notwendig. Gelegentlich ist auch die Inzision des Lig. natorium und des Lig. metacarpale transversum su-
16
221 16.3 · Fingerfrakturen und Fingerluxationen
perficialis erforderlich. Besonders gefährdet bei diesem Zugang sind die im Subkutangewebe ausgespannten Digitalnerven. Bei zusätzlichen knöchernen Verletzungen empfiehlt sich der dorsale Zugang. Über die Längsspaltung des Extensorapparates kann dann bei Flexion das gesamte Gelenk überblickt werden. Mittels eines Dissektors ist es dann oftmals möglich, die palmare Platte und gelegentlich auch die komplett nach dorsal dislozierten Beugesehnen zu reponieren und die Gelenkluxation zu beseitigen. Bei chronischen Luxationen müssen oftmals zur Reposition beide Zugänge gewählt werden. Frakturen der Phalangen werden nach Reposition v.a. mit K-Drähten stabilisiert. Die Grundphalanx kann meist über einen dorsalen Zugang dargestellt werden (⊡ Abb. 16.15). Der Streckapparat kann gespalten oder das Periost peritendinös abgeschoben werden. Wesentlich ist nur, dass am Ende des operativen Eingriffs der Streckapparat wieder rezentriert wird. Besonders anspruchsvoll sind die subkapitalen und Kondylusfrakturen (⊡ Abb. 16.16). Diese Frakturen müssen anatomisch reponiert und wegen ihrer hohen Instabilität fixiert werden. Gelingt die exakte geschlossene Reposition nicht, muss die offene Reposition über einen dorsalen oder lateralen Zugang zum Finger erfolgen, die operative Versorgung dieser Fraktur an der Mittelphalanx ist dabei leichter (⊡ Abb. 16.17). Signifikante Verletzungen des Nagelbettes müssen wie eine offene Fraktur behandelt werden. Der Nagel muss angehoben, das Nagelbett gesäubert und mittels einer Naht mit resorbierbarem Faden der Stärke 5.0 genäht werden. Die Naht selbst und die anschließende Schienung mit dem gereinigten Fingernagel ist oftmals die beste Versorgung der begleitenden Nagelkranzfraktur. Transversal-, Quer- oder Trümmerfrakturen müssen ggf. mittels feiner K-Drähte reponiert und stabilisiert werden. Bei Beteiligung der Epiphysenfuge wird dies als Mallet-Finger bezeichnet (⊡ Abb. 16.18). Bei Beteiligung der Strecksehne und Dislokation der Epiphyse bzw. des dorsalen Fragments der Epiphyse werden eine Reposition und Stabilisierung erforderlich (⊡ Abb. 16.19). Die Nachbehandlung der MCP-Gelenkluxation ist die frühzeitige Mobilisierung nach einer kurzen Phase der Ruhigstellung für nicht mehr als 7 Tage. Zur besseren Protektion und Vermeidung der Hyperextension können dann »Buddy-Splints« angelegt werden (⊡ Abb. 16.20). Bei K-Draht-Osteosynthese erfolgt eine begleitende Ruhigstellung entsprechend der konservativen Frakturbehandlung, eine Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger oder der Faustgips/-verband bei Kleinkindern. Frakturen im Bereich des Endglieds werden nach dem Unfall und in der 1. Woche nach operativer Versorgung mittels 3-Finger-Schiene bzw. altersadäquat versorgt. Für die restlichen 3 Wochen ist dann oftmals eine Fingerschiene, die über das Endglied reicht und die
⊡ Abb. 16.15. Dorsale Zugangswege zum Handrücken und zu den Fingern.
⊡ Abb. 16.16a,b. Subkapitale Fraktur des Mittelglieds.
a
b
c
⊡ Abb. 16.17a–c. Schematische Darstellung einer Möglichkeit zur operativen Versorgung der subkapitalen Fraktur der Mittelphalanx. Die Reposition kann mittels K-Draht oder aber auch über einen intraossären Draht gesichert werden.
222
Kapitel 16 · Hand
anderen Fingergelenke frei lässt, ausreichend. Die Größe der Finger muss dabei berücksichtigt werden, und bei Kleinkindern kann für die Ruhigstellung ein Faustgips erforderlich sein.
16.3.8 Komplikationen/Wachstumsstörungen
⊡ Abb. 16.18. Typische Mallet-Fraktur des Kleinkindes mit Läsion durch die Epiphysenfuge des Fingerendglieds.
a
b ⊡ Abb. 16.19. Dislozierte Mallet-Fraktur. a,b. Schematische Darstellung der operativen Versorgung einer dislozierten Mallet-Fraktur am Fingerendglied mit K-Drähten.
16
Eine verzögerte Frakturheilung bzw. Pseudarthrose ist extrem selten und tritt dann oft nur in Kombination mit einem Hochrasanztrauma bzw. einer Quetschverletzung der Finger auf. Achsabweichungen und Rotationsfehler sind möglich und können sich störend auf die Funktion der Hand auswirken. Es ist dabei häufig so, dass Rotationsfehler meist durch inadäquate Reposition verursacht werden und Achsabweichungen aus Wachstumsstörungen resultieren. K-Draht-Infekte in Hautniveau nach einer operativen Versorgung kommen häufiger vor, führen jedoch nur selten zu einer Osteitis, dann jedoch im Einzelfall zu schweren Knochenzerstörungen. Insbesondere bei der Behandlung von verspätet festgestellten Gelenkluxationen und intraartikulären Frakturen muss mit dem Kind und dessen Eltern über das Risiko einer Bewegungseinschränkung, dem vorzeitigen Epiphysenschluss und der avaskulären Knochennekrose gesprochen werden. Die Klinodaktylie ist dabei die häufigste Deformität nach Gelenkfrakturen, es muss mit ihrem Auftreten von bis zu 20% bei diesen Verletzungen gerechnet werden. Ist die Abweichung geringer als 10°, führt das meist nicht zu einer Einschränkung. Eine höhergradige Fehlstellung kann ein Überlappen der Finger zur Folge haben. Bei den besonders schwierig zu behandelnden subkapitalen bzw. Kondylusfrakturen kommt es sehr leicht zu Bewegungsstörungen, Deformitäten und Ossifikationen im subkondylären Rezessus mit konsekutiver Bewegungseinschränkung. Eine Einschränkung der Beugung muss dann zur Funktionsverbesserung, meist von palmar, operativ behandelt werden. Es werden dabei die akzessorischen Seitbänder gelöst und der überschüssige Knochen reseziert.
16.3.9 Nachkontrollen
⊡ Abb. 16.20a,b. Buddy-Splints zur Stabilisierung benachbarter Finger, eine synchrone Beübung der beiden verbundenen Finger ist möglich.
Die meisten unkomplizierten Frakturen erfordern keine Nachkontrollen. Intraartikuläre Frakturen sollten nach 6 Monaten und 1 Jahr nachkontrolliert werden, um avaskuläre Nekrosen zu erfassen. Leichte posttraumatische Fehlstellungen, die nicht operativ korrigiert werden mussten, sollten nach 6 Monaten und dann jährlich kontrolliert werden, um eine Zunahme der Fehlstellung mit dem Wachstum auszuschließen.
223 16.3 · Fingerfrakturen und Fingerluxationen
Fingerfraktur
Besonderheiten
30% Epiphysenverletzungen, wenn es sich nicht um Quetschverletzungen handelt dann meist die proximale Phalanx, gehäuft Klein- oder Zeigefinger
Diagnostik
Klinik und Röntgenaufnahme des betroffenen Fingers dorsopalmar und streng seitlich
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Keine Abkippung von >30°, kein Rotationsfehler >10° an der Fingerkuppe, keine Verkürzung >5 mm, anatomische Gelenkrelation, gute Korrektur in der Ebene der Gelenkachse, unsichere Korrektur bei Achsabweichung, geringe Korrektur bei subkapitalen Frakturen
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Hochlagerung, abschwellende Maßnahmen, Schienenruhigstellung
Konservative Therapie Indikation
Regelfall bei Frakturen innerhalb der Toleranzgrenzen
Verfahren
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 3 Wochen, bei Schaftfrakturen 4 Wochen, bei Schaftfrakturen der Mittelphalanx bis 6 Wochen
Nachbehandlung
Funktionelle Nachbehandlung mit Belastungsaufbau und Vollbelastung bis zur 8. Woche
Rx-Kontrolle
Entfällt bei unkomplizierten Frakturen, nach Reposition und bei Dislokationsgefahr (Schräg-, Querfrakturen am Schaft) nach 1 Woche und nach Gipsabnahme
Sportfähigkeit
Nach 8 Wochen, Mittelphalanx nach 12 Wochen
Operative Therapie Indikation
Dislokation, Abkippung, Rotationsfehler und Verkürzung über die Toleranzgrenze; Gelenkluxationen und Gelenkbeteiligung >25% mit Dislokation über 1,5 mm
Verfahren
K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
Gipsschiene in Intrinsic-Plus-Stellung der Finger, bei Kleinkindern Faustverband, Ruhigstellung für 3 Wochen, bei Schaftfrakturen 4 Wochen, bei Schaftfrakturen der Mittelphalanx bis 6 Wochen
Rx-Kontrolle
Nach 1 Woche und vor Metallentfernung bei K-Drähten nach 4 Wochen
Metallentfernung
Nach 3–4 Wochen, Schaftfrakturen der Mittelphalanx nach 6 Wochen (>5 Jahre)
Sportfähigkeit
Nach Ablauf von 8 Wochen
Komplikationen
Sehnenverletzungen und -verklebungen, Bewegungsstörungen der Finger, persistierende Fehlstellungen, K-Draht-Infektionen, Osteonekrosen mit Beteiligung der Gelenkfläche
Wachstumsstörung
Nicht zu erwarten
Nachkontrollen
Die meisten Frakturen müssen nicht nachkontrolliert werden, bei intraartikulären Frakturen, wenn eine Zunahme der Fehlstellung oder Osteonekrosen befürchtet werden nach 6 Monaten und einem Jahr
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
16
224
Kapitel 16 · Hand
16.4
Fallbeispiele
Fall 16.1 Skaphoidfraktur, Junge, 11 J., Sportunfall.
a,b Unfallbilder. c,d MRT konservative Behandlung.
Fall 16.2 Palmare Flexion und Subluxation des Lunatum nach distaler Radiusfraktur; Junge, 13 J., Sturz.
16
a,b Unfallbilder, c klinisch sichtbare palmare Achsfehlstellung, d–f unter Zug Aufrichtung des Lunatums unter Zug, g, h Transfixation mittels K-Drähten.
17
Becken A. Thannheimer und V. Bühren
17.1
Physiologische Befunde – 226
17.1.1
Altersabhängige Röntgenbefunde – 226
17.2
Frakturen des Beckens – 227
17.2.1 17.2.2 17.2.3
Avulsionsverletzungen (=Apophysenabrissfrakturen) – 227 Beckenrand- und Beckenringfrakturen – 230 Azetabulumfrakturen – 238
17.3
Komplexverletzungen
17.4
Fallbeispiele
– 244
– 241
226
Kapitel 17 · Becken
Physiologische Befunde
17.1
Das Becken entwickelt sich aus den primären Wachstumszentren Darm-, Sitz- und Schambein. Diese grenzen im Bereich des Hüftgelenks aneinander, wodurch die Y-Fuge (Cartilago triradiata) entsteht (⊡ Abb. 17.1). Die sekundären Wachstumszentren bilden die Apophysen an der Crista iliaca, den Spinae iliacae anteriores superior und inferior sowie am Tuber ischiadicum (⊡ Abb. 17.2). Die Fuge zwischen Sitz- und Schambein schließt sich um
Darmbein
Y -Fuge
Schambein
das 3. Lebensjahr, die Y-Fuge um das 12.–15. Lebensjahr. Die Apophysenkerne werden um das 12. (Crista iliaca) bis 17. Lebensjahr (Tuber ischiadicum) radiologisch sichtbar. Die Fusion der sekundären Ossifikationszentren findet zwischen dem 16. und 25. Lebensjahr statt. Das kindliche Becken unterscheidet sich von dem des Erwachsenen durch die großen knorpeligen Flächen und die höhere Elastizität auch der knöchernen Anteile. Hierdurch können wesentlich größere Energiemengen absorbiert werden, ohne Frakturen zu hinterlassen. Gleichzeitig können Verletzungen der knorpeligen Anteile der radiologischen Diagnostik entgehen. Die Elastizität der Beckenhalbgelenke ermöglicht auch bei erheblichen Verformungen eine Fraktur an nur einer Stelle der Ringstruktur, entgegen der Regel des doppelten Ringbruchs bei dislozierten Frakturen des Erwachsenen. Daraus folgt auch das höhere Risiko von begleitenden Organverletzungen bei »einfach« imponierenden Frakturformen. Avulsionsfrakturen der Apophysen werden meist nur beim Heranwachsenden beobachtet. Nicht zuletzt können Verletzungen insbesondere der Y-Fuge Wachstumsstörungen bis zur vollständigen Hypoplasie einer Beckenhälfte verursachen.
17.1.1 Altersabhängige Röntgenbefunde (⊡ Abb. 17.3–17.5)
Sitzbein ⊡ Abb. 17.1. Y-Fuge und primäre Wachstumszentren.
1
▬ Die primären Wachstumskerne sind schon beim Säugling sichtbar. ▬ Die Wachstumsfuge zwischen Sitz- und Schambein schließt sich um das 3. Lebensjahr. ▬ Die Y-Fuge ist bis zum 12.–15. Lebensjahr nachweisbar. ▬ Die Apophysenkerne (sekundäre Wachstumszentren) erscheinen vom 12.–17. Lebensjahr und fusionieren um das 16.–25. Lebensjahr.
2
17 3
⊡ Abb. 17.2. Apophysen (sekundäre Wachstumszentren): 1 Spina iliaca anterior superior, 2 Spina iliaca anterior inferior, 3 Tuber ossis ischii.
⊡ Abb. 17.3. Beckenübersichtsaufnahme: 2-jähriger Knabe. Die primären Wachstums- zentren und die Y-Fuge sind gut erkennbar.
227 17.2 · Frakturen des Beckens
17.2
Frakturen des Beckens
17.2.1 Avulsionsverletzungen
(=Apophysenabrissfrakturen) Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
⊡ Abb. 17.4. Beckenübersichtsaufnahme: 6-jähriger Knabe. Die Fugen zwischen Sitz- und Schambein sind verschlossen.
Avulsionsverletzungen kommen selten vor. Sie machen 4–13,4% aller kindlichen Frakturen aus. Einige Autoren beobachteten am häufigsten den Abriss der Spina iliaca inferior, andere dagegen den der Spina iliaca superior. Avulsionsfrakturen treten vorwiegend beim jugendlichen Sportler im Alter von 12–16 Jahren auf. Durch Überbeanspruchung der an den Apophysen ansetzenden Muskulatur beim Sport kommt es zum Abriss des Wachstumskerns vom Becken.
Abriss der Spina iliaca anterior superior Ursache. Überlastung durch Zug des M. sartorius bei
gestrecktem Hüft- und gebeugtem Kniegelenk. Tritt vorwiegend bei Athleten auf. Klinik. Lokale Schwellung und Schmerzen nach sportli-
cher Belastung.
Abriss der Spina iliaca anterior inferior Ursache. Zug des M. rectus femoris bei Hyperextension
des Hüft- und Beugung des Kniegelenks, vorwiegend beim Fußballspielen. Klinik. Lokaler Schmerz und Schwellung nach Fußball-
spiel. a
Abriss der Tuberositas ossis ischii Ursache. Überbeanspruchung der Hamstring-Muskula-
tur durch Abduktion des in der Hüfte gebeugten und im Knie gestreckten Beins, vorwiegend bei gymnastischen Übungen. Klinik. Schmerzen beim Sitzen, lokaler Druckschmerz
bei der digital-rektalen Untersuchung. Im Verlauf der Heilung eventuell überschießende Knochenneubildung (»Tumor«).
b ⊡ Abb. 17.5a,b. Beckenübersichtsaufnahme: 16-jähriger Knabe. Die Y-Fuge ist verschlossen, die Apophysen sind bereits erkennbar.
17
228
Kapitel 17 · Becken
Klassifikation Am gebräuchlichsten ist die Einteilung nach AO (s.u.). Key und Cornwell geben folgende frakturorientierte Klassifikation an: I. Frakturen ohne Unterbrechung des Beckenrings A. Avulsionsfrakturen 1. Spina iliaca anterior superior 2. Spina iliaca anterior inferior 3. Tuberositas ossis ischii B. Frakturen des Sitz- oder Schambeins C. Beckenschaufelfrakturen D. Kreuz- oder Steißbeinfrakturen II. Einfache Unterbrechung des Beckenrings A. Fraktur zweier ipsilateraler Äste B. Symphysenruptur oder symphysennahe Fraktur C. Iliosakralgelenkssprengung oder ISG-nahe Fraktur III. Doppelte Unterbrechung des Beckenrings A. Bilaterale Sitz- und Schambeinfraktur B. Fraktur des vorderen und hinteren Beckenrings C. Multiple Frakturen IV. Azetabulumfrakturen A. Hüftluxation mit kleinem Pfannenrandfragment B. Lineare Fraktur in Kombination mit undislozierter Beckenringfraktur C. Lineare Fraktur in Kombination mit Hüftgelenksinstabilität D. Zentrale Hüftgelenksluxationsfraktur Von Laer teilt ein in Frakturen, welche ohne Folgen und solche, welche voraussichtlich mit gravierenden Folgen ausheilen (⊡ Tab. 17.1). Um den Besonderheiten der kindlichen Verletzungen Rechnung zu tragen, wurden aber auch verschiedene andere Klassifikationen eingeführt. Torode und Zieg entwickelten basierend auf der Watts-Klassifikation folgendes System: ▬ Typ 1 Avulsionsfrakturen ▬ Typ 2 Beckenschaufelfrakturen ▬ Typ 3 Einfache Beckenringfrakturen mit Diastase der Symphyse ohne Ruptur des hinteren SI-Gelenks ▬ Typ 4 Alle Frakturen, die ein freies knöchernes Fragment produzieren
17
Die gleichen Autoren haben auch eine Klassifikation der Komplikationen vorgeschlagen: ▬ Grad 1 Keine ▬ Grad 2 Eventuell beeinträchtigtes Wachstum mit sekundärem Remodelling ▬ Grad 3 Eventuell verzögerte Knochenbruch- heilung ▬ Grad 4 Nonunion, Fehlheilung, Schädigung der Cartilago triradiata, Fusion des SI-Gelenks und Beinlängendifferenz.
⊡ Tab. 17.1. Einteilung der Beckenverletzungen nach von Laer Läsionen ohne gravierende Spätfolgen
Läsionen mit möglichen gravierenden Spätfolgen
Apophysenausrisse Beckenschaufelfrakturen Isolierte Os-ilii-Frakturen Isolierte Schambeinastfrakturen Isolierte Iliosakrallockerung
Symphysenrupturen Malgaigne-Frakturen Azetabulumfrakturen
229 17.2 · Frakturen des Beckens
Avulsionsverletzung
Besonderheiten
häufig erst auffällig durch Kallusbildung und dann als Knochentumor fehlinterpretiert, insbesondere am Sitzbein
Diagnostik
Beckenübersichtsaufnahme, ggf. Sonographie oder MRT
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Schmerzfreiheit, Sportfähigkeit, Dislokation 2 cm
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Bettruhe, Thromboseprophylaxe, evtl. auch freifunktionelle Behandlung
Konservative Therapie Indikation
Regelfall
Verfahren
schmerzadaptierte Ruhigstellung mit gebeugtem Hüftgelenk (gestreckt bei Abriss der Tuberositas ossis ischii), dann frühfunktionell unter Entlastung an Unterarmgehstöcken für 2–4 Wochen
Nachbehandlung
zügiger Belastungsaufbau
Rx-Kontrolle
nur bei länger anhaltenden Beschwerden
Sportfähigkeit
nach 6–12 Wochen
Operative Therapie Indikation
selten bei grob dislozierten Frakturen oder großen Abrissfragmenten, bei schmerzhaften Pseudarthrosen
Verfahren
Reposition, Einzelschraubenosteosynthese oder Zuggurtung; bei Pseudarthrose Resektion des Abrissfragments
Nachbehandlung
kurzfristige Ruhigstellung, Belastungsaufbau nach 2–4 Wochen
Rx-Kontrolle
nur bei länger anhaltenden Beschwerden
Metallentfernung
fakultativ nach 12 Wochen
Sportfähigkeit
nach 12 Wochen
Komplikationen
überschießende Knochenneubildung, Pseudarthrose, Osteosyntheseversagen
Wachstumsstörung
keine gravierenden Folgen zu erwarten
Nachkontrollen
klinische Abschlusskontrolle 1 Jahr nach Unfall, insbesondere bei überschießender Kallusbildung
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
LiLa: --------------------------------------------
17
230
Kapitel 17 · Becken
17.2.2 Beckenrand- und Beckenringfrakturen
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Die einfache Beckenringfraktur beim Kind stellt insgesamt eine seltene Verletzung dar. Scham- oder Sitzbeinfrakturen zeigten in der Campbell-Serie eine Häufigkeit von 33,6% bei 134 kindlichen Beckenfrakturen. Symphysensprengungen lagen in der gleichen Serie bei 3%, kombinierte Scham- und Sitzbeinfrakturen kamen in 8,2% der Fälle vor. Etwa 18% aller kindlichen Beckenfrakturen sind Beckenrandfrakturen. Über 90% dieser Frakturen sind stabil und bedürfen keiner operativen Therapie. Die Beckenfraktur im Kindesalter entsteht durch eine erhebliche Gewalteinwirkung, sodass immer mit Begleitverletzungen gerechnet werden muss. Ursache sind meist Verkehrsunfälle oder Stürze aus großer Höhe. Ein Großteil der Patienten ist polytraumatisiert, etwa 25% haben ein Schädel-Hirn-Trauma. Umgekehrt ist bei jedem polytraumatisierten Kind bis zum Beweis des Gegenteils von einer Beckenfraktur auszugehen. Somit hat die Sicherung der Vitalfunktionen und die Suche nach Organ- und Weichteilverletzungen erste Priorität. Erst in zweiter Linie kommt die eigentliche Frakturversorgung. Der Inspektion der Beckenregion auf offene Wunden und Hämatome folgt die Stabilitätsprüfung. Obligatorisch ist die digital-rektale Untersuchung beim Narkotisierten. Pathognomonisch für Rektumläsionen sind perianale Hämatombildungen (⊡ Abb. 17.6). Weitere klinische Zeichen einer Beckenfraktur können eine große oberflächliche Hämatombildung inguinal und im Skrotum (Destot-Zeichen), eine Verringerung des Abstandes von Trochanter major und Schambeinhöcker im Vergleich zur Gegenseite bei lateralen Kompressionsfrakturen (Roux-Zeichen) und tastbare Frakturenden oder Hämatombildung bei der rektalen Untersuchung (Earle-Zeichen) sein.
17
⊡ Abb. 17.6. Perianales Hämatom bei Rektumläsion.
Bilaterale Schambeinfrakturen gehen häufig mit einer Verletzung des Urogenitaltrakts einher. Vordere Beckenringfrakturen entstehen durch direkten Anprall. Auch bei gering dislozierten Frakturen ist aufgrund der Elastizität und der Rückstellkräfte immer von einer erheblichen Energieeinwirkung auszugehen, sodass Begleitverletzungen, insbesondere des Urogenitaltrakts und des Rektums, ausgeschlossen werden müssen. Auch subkutane Décollementverletzungen können aufgrund der Hautelastizität zunächst weitgehend inapparent sein. Klinisch zeigen sich lokale Schwellungen und Schmerzen, insbesondere bei Druck auf die Symphyse. Klinische Zeichen von Beckenrandfrakturen sind eine lokale Schwellung und Hämatomverfärbung, evtl. auch eine Deformierung der Beckenkontur. Lokal werden Schmerzen angegeben.
Klassifikation Grundlegend unterscheiden die Klassifikationen entweder zwischen stabilen und instabilen Frakturformen oder Frakturen, die ohne Folgen oder solchen, die mit Defekt ausheilen. Auch im Kindesalter werden Beckenverletzungen vorwiegend nach den Klassifikationssystemen der Erwachsenenchirurgie eingeteilt, nicht zuletzt, um eine Vergleichbarkeit zu erreichen. Etwa ab dem 14. Lebensjahr (Verschluss der Y-Fuge) entsprechen die Frakturformen denen des Erwachsenen und werden entsprechend den Prinzipien der Erwachsenenchirurgie eingeteilt und behandelt. Die gebräuchlichste Klassifikation, die der Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO), basiert auf der Klassifikation von Pennal und Tile und teilt in stabile A-, partiell (rotatorisch) instabile B- und (vertikal) instabile C-Verletzungen ein (⊡ Abb. 17.7). Diese Klassifikation wird für die Einteilung der Beckenringfrakturen verwendet.
231 17.2 · Frakturen des Beckens
a
b
c ⊡ Abb. 17.7a–c. Klassifikation der Beckenringfrakturen nach Pennal und Tile.
17
232
Kapitel 17 · Becken
Beckenrandfraktur Typ A1
Besonderheiten
meist direkter Anprall, Kombination mit Beckenringverletzung möglich
Diagnostik
Beckenübersichtsaufnahme
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Schmerzfreiheit, Sportfähigkeit, Vermeidung von kosmetisch störenden Deformierungen
Primärbehandlung
Schmerztherapie, Bettruhe mit gebeugter Hüfte, Thromboseprophylaxe
Konservative Therapie Indikation
Regelfall
Verfahren
schmerzadaptierte Ruhigstellung mit gebeugtem Hüftgelenk, dann frühfunktionell unter Entlastung an Unterarmgehstöcken für 2–4 Wochen
Nachbehandlung
zügiger Belastungsaufbau
Rx-Kontrolle
nur bei länger anhaltenden Beschwerden
Sportfähigkeit
nach 6–12 Wochen
Operative Therapie
17
Indikation
selten bei grob dislozierten Frakturen
Verfahren
offene Reposition, Einzelschraubenosteosynthese oder K-Draht-Osteosynthese
Nachbehandlung
kurzfristige Ruhigstellung, Belastungsaufbau nach 4–6 Wochen
Rx-Kontrolle
postoperativ
Metallentfernung
fakultativ nach 12 Wochen
Sportfähigkeit
nach 12 Wochen
Komplikationen
Pseudarthrose, Osteosyntheseversagen, Dislokation durch Muskelzug, kosmetisch störende Deformierung
Wachstumsstörung
keine gravierenden Folgen zu erwarten
Nachkontrollen
klinische Abschlusskontrolle 1 Jahr nach Unfall, insbesondere bei überschießender Kallusbildung
Klassifikation
AO: A1
LiLa: --------------------------------------------
233 17.2 · Frakturen des Beckens
Vordere Beckenringfraktur Typ A2
Besonderheiten
Nur beim Kind ist aufgrund der Elastizität des knöchernen Beckens, und insbesondere der Beckenhalbgelenke, die sogenannte Einringverletzung trotz erheblicher Deformierung möglich.
Diagnostik
klinische Untersuchung (Begleitverletzungen!); Abdomensonographie, Beckenübersichtsaufnahme, CT, MRT
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Ausschluss von Begleitverletzungen, Frühmobilisierbarkeit
Primärbehandlung
Bettruhe, Schmerztherapie, Thromboseprophylaxe
Konservative Therapie Indikation
Regelfall bei geschlossenen Frakturen, Dislokation 40°: offene Reposition ( Trochanter-Flip-Osteotomie) oder subkapitale Keilosteotomie,
ggf. in situ Fixation bei gestörter Durchblutung stabil: < 40°: Schrauben- oder K-Drahtfixation > 40°: offene Reposition (Trochanter-Flip-Osteotomie) oder subkapitale Keilosteotomie,
ggf. Verschraubung bei gestörter Durchblutung nach Fugenschluss: ggf. subkapitale Keilosteotomie oder intertrochantäre Valgisations-Flexions-IRO-Osteotomie
nach Imhäuser Versorgung der Gegenseite: Schrauben/K-Draht prophylaktisch Nachbehandlung
6 Wochen Entlastung an Unterarmgehstützen, Krankengymnastik
Rx-Kontrolle
postoperativ, alle 6 Monate, im Wachstumsschub alle 3 Monate
Metallentfernung
nach Fugenschluss, ggf. Wechsel der Drähte notwendig
Sportfähigkeit
Beschwerdefreiheit, freie Funktion
Komplikationen
Femurkopfnekrose, Chondrolyse (Morbus Waldenström), Koxarthrose
Wachstumsstörung
möglich
Nachkontrollen
klinische und radiologische Kontrolle alle 6 Monate (im Wachstumsschub alle 3 Monate) bis zum Fugenschluss
Klassifikation
AO: --------------------------------------------
Technische Aspekte
Hüfte
LiLa: --------------------------------------------
Material
K-Drähte kanülierte und selbstschneidende Spongiosaschrauben: 3,5–4,5 mm Durchmesser
Lagerung
Rückenlage; anderes Bein auslagern Hüfte frei beweglich abdecken
Zugang/OP-Prinzip
Dislozierte Schenkelhalsfrakturen anterolateraler Zugang nach Watson-Jones
ventrale Kapselinzision und Frakturdarstellung Schonung der Wachstumsfugen (Ausnahme: Epiphysiolyse) Durchleuchtung intraoperativ zum Ausschluss einer Kopfperforation eines K-Drahtes,
Abschlussdokumentation Hüftluxation
18
Reposition einer posterioren Luxation: Zug nach ventral bei Flexion in Hüfte u. Knie
Außenrotation Reposition einer anterioren Luxation: Längszug bei Extension in Hüfte und Flexion im Knie
Innenrotation offene Reposition über posterolateralen Zugang nach Kocher-Langenbeck
cave: Darstellung des N. ischiadicus häufiges Repositionshindernis: eingeschlagene Piriformissehne, Kapsel oder eingeschlagenes
Labrum
259 18.5 · Coxitis fugax, Morbus Perthes und Epiphysiolysis capitis femoris (ECF)
18.5.1 Fallbeispiele Fall 18.1 Proximale Femurfraktur Typ I, Junge, 1½ J., Verletzung bei Krankengymnastik.
c
a
a Unfallbild. b,c K-Draht-Spickung.
b
Fall 18.2 Proximale Femurfraktur Typ II, Mädchen, 12 J., Sturz beim Eislaufen.
a a Unfallbild. b,c Schraubenosteosynthese.
b
c
18
260
Kapitel 18 · Hüfte
Fall 18.3 Proximale Femurfraktur Typ III, Junge, 16 J., Sturz vom Pferd.
a
b
d
a,b Unfallbilder, RÖ. c Unfallbild, CT. d Schraubenosteosynthese.
Fall 18.4 Proximale Femurfraktur Typ IV, beim Adoleszenten, Fenstersturz.
18 a a Unfallbild. b Schraubenosteosynthese.
b
c
19
Oberschenkel M. Maier, D. Schneidmüller und I. Marzi
19.1
Physiologische Befunde
19.1.1
Knochenkerne und Fugenschluss
19.2
Frakturen des Femurschaftes – 262
19.2.1
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild
19.3
Fallbeispiele
– 272
– 262 – 262
– 262
262
Kapitel 19 · Oberschenkel
19.1
Physiologische Befunde
Das Femur ist der längste und stärkste Röhrenknochen des Körpers. Physiologischerweise bestehen eine Antekurvation und eine leichte Lateralverbiegung des Femurschaftes. Die Epiphyse des distalen Femurs ist als einzige bei der Geburt radiologisch sichtbar, sie gilt als Reifezeichen beim Neugeborenen (⊡ Abb. 19.1, ⊡ Abb. 19.2). Die Epiphysenfuge und die Apophysenfuge am proximalen Femur bilden eine funktionelle Wachstumseinheit. Die Unversehrtheit dieser Fugen ist Voraussetzung für ein ungestörtes Längenwachstum und die Entwicklung des Schenkelhalses. Im Säuglingsalter besteht das Os femoris vorwiegend aus Geflechtknochen, der in den folgenden Jahren zu einem härteren lamellären Knochen umgebaut wird. Der Femurschaft vergrößert sich im Laufe des Wachstums im Durchmesser zugunsten des Kortikalisdurchmessers, während der Markraumdurchmesser in Relation dazu abnimmt. Daher sinkt das Frakturrisiko beim größeren Kind durch eine Zunahme der Knochenstabilität. Bei der Beurteilung von posttraumatischen Beinlängendifferenzen und Rotationsfehlern sind idiopathische Unterschiede zu beachten. Je nach Literaturangabe liegt die physiologische Beinlängendifferenz zwischen 0,5 und 1 cm und die Antetorsionsdifferenz bei bis zu 20° bei ca. 20% der Kinder.
⊡ Abb. 19.2. Geburtstraumatische Femurfraktur mit sichtbarem Epiphysenkern an distalem Femur. Apophysen und weitere Epiphysenkerne sind noch nicht erkennbar.
19.2
Frakturen des Femurschaftes
19.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus und 19.1.1 Knochenkerne und Fugenschluss
19 ⊡ Abb. 19.1. Ossifikationszentren am Femur: 8. Gestationswoche Femurschaft, distal 39. Fetalwoche, Kopf 4. Lebensmonat, Trochanter major 4.–6. Lebensjahr, Trochanter minor 11.–12. Lebensjahr.
klinisches Bild Die Inzidenz der Frakturen des Femurschaftes beträgt ca. 1,3%. Die Femurschaftfraktur ist nach der Unterschenkelfraktur die häufigste Verletzung der unteren Extremitäten. Meist ist ein direktes hochenergetisches Trauma Ursache der Verletzung, wie Stürze aus großer Höhe sowie Unfälle im Straßenverkehr als Fußgänger, Zweiradfahrer oder PKW-Insasse. So muss bei Vorliegen einer Femurschaftfraktur an Begleitverletzungen, Blutverlust, Schock sowie begleitende Weichteil-, Nerven- und Gefäßverletzungen gedacht werden. Eine Röntgenübersichtsaufnahme des angrenzenden Hüft- und Kniegelenks sollte zum Ausschluss einer Begleitverletzung wie z.B. einer Hüftluxation angefertigt werden. Zudem muss stets an Kindesmisshandlung v.a. bei Kleinkindern und Säuglingen als Ursache gedacht werden. Dabei sollte auf Widersprüche in der Anamnese sowie auf das Vorliegen weiterer Verletzungen wie Hämatome geachtet werden. Klinisch ist die Femurschaftfraktur in der Regel einfach zu erkennen durch lokale Schwellung, Verkürzung und Rotationsfehlstellung des betroffenen Beines (⊡ Abb. 19.3). Bei eindeutiger Fraktur mit Dislokation muss eine zweite Ebene der Röntgenaufnahme nicht erzwungen werden, um eine weitere Dislokation und Schmerzen zu vermei-
263 19.2 · Frakturen des Femurschaftes
⊡ Abb. 19.3. Dislozierte Femurfraktur mit Außenrotationsstellung nach PKW-Unfall.
den. Zusätzliche Weichteil-, Gefäß- und Nervenverletzungen müssen sorgfältig dokumentiert und bei der operativen Versorgung berücksichtigt werden. Die meisten Frakturen liegen im mittleren Schaftdrittel auf Höhe der maximalen Antekurvation. Mit 49% stellen die Schräg- und Torsionsfrakturen die Mehrzahl dar, Grünholzfrakturen sind im Bereich des Schaftes selten und treten eher an der distalen Femurmetaphyse auf. Im Vergleich zum Erwachsenen kommt es bei Kindern zu einer schnellen Frakturkonsolidierung mit meist deutlicher Kallusbildung. Das Kind ist in der Lage, Achsfehlstellungen im weiteren Wachstum auszugleichen, wohingegen die Korrekturmöglichkeit von Rotationsfehlstellungen in der Literatur kontrovers diskutiert wird. Rotationsfehlstellungen von bis zu 20° werden jedoch meist gut toleriert. Varusfehlstellungen werden aufgrund der muskulären Verteilung besser korrigiert als Valgusfehlstellungen. Je proximaler die Fehlstellungen, desto schlechter ist das Korrekturpotenzial, weshalb keine Fehlstellung bei Frakturen des proximalen Femurs belassen werden sollte. Daneben muss v.a. zwischen dem 2. und 10. Lebensjahr mit einem vermehrten Längenwachstum von durchschnittlich 1 cm bis zu einem Jahr nach Trauma gerechnet werden, was in der Therapieplanung berücksichtigt und im Verlauf kontrolliert werden muss. Je größer das nötige Remodeling, desto größer ist die Wachstumsstimulation, weshalb die Spontankorrektur meist nicht in das Therapiekonzept mit einbezogen wird und eine anatomische Reposition angestrebt wird. Abhängig vom Ausmaß können Beinlängendifferenzen zu einem Beckenschiefstand mit nachfolgendem Verkürzungshinken und skoliotischer Fehlhaltung führen. Die Wahl des therapeutischen Verfahrens bei der Femurschaftfraktur richtet sich außer nach den Begleitverletzungen vor allem nach dem Alter des Patienten. Bei Säuglingen und Kleinkindern stellt die konservative The-
rapie die Methode der Wahl dar. Bei Neugeborenen und Säuglingen steht eine Ruhigstellung im Becken-Bein-Gips im Vordergrund, es werden jedoch auch alternative Verfahren mit Anlage einer Pavlik-Bandage (gebräuchlich bei der kongenitalen Hüftluxation) beschrieben. Eine primäre Gipsruhigstellung wird bei Weichteilverletzungen oder einer Verkürzung von mehr als 2 cm nicht empfohlen. Die Overheadextension als nichtinvasive Pflasterextension kommt beim Kleinkind mit größerer Achsfehlstellung oder Verkürzung zur Anwendung. Eine temporäre Extensionsbehandlung beim älteren Kind kann nur noch in Ausnahmesituationen eine Alternative darstellen, falls eine primäre operative Versorgung nicht möglich sein sollte. Aber auch in diesen Fällen ist der Fixateur externe die vernünftigere Alternative. Die operative Therapie stellt die Behandlung der Wahl beim Kind ab 3–4 Jahren dar, wobei die elastisch stabile Nagelung (ESIN) mittlerweile hier im Vordergrund steht. Diese kann bei Frakturen nahezu aller Lokalisationen (proximal, distal) und Verläufe (quer, schräg) angewandt werden, auch spricht bei I–II° offenen Frakturen nichts gegen eine intramedulläre Nagelung nach entsprechendem Débridement. Bei nicht tolerablen Fehlstellungen ist im Einzelfall ggf. auch bei jüngeren Kindern eine operative Versorgung mittels ESIN möglich. Der Fixateur externe tritt neben der ESIN-Versorgung zunehmend in den Hintergrund und findet heute beim polytraumatisierten Kind, bei ausgedehnteren Weichteilschäden oder instabilen Schrägfrakturen oder Mehrfragmentfrakturen seine Anwendung. Insbesondere bei fehlender Abstützungsmöglichkeit ist der Fixateur externe gegenüber der ESIN von Vorteil. Er wird im Kindesalter ebenfalls sehr gut toleriert und ist auch kosmetisch im Ergebnis ausgezeichnet. Die Plattenosteosynthese bleibt Einzelfällen vorbehalten aufgrund des aufwendigen Verfahrens und kosmetisch ungünstigen Ergebnisses. Beim Adoleszenten mit bereits verschlossenen Wachstumsfugen kann eine Versorgung mit einem intramedullären Nagel oder einer durchgeschobenen Platte wie beim Erwachsenen erfolgen. Während des Wachstums besteht beim Einbringen des Nagels über die Fossa piriformis die Gefahr der Hüftkopfnekrose durch Störung der Gefäßversorgung am Schenkelhals. Deshalb wird beim Adoleszenten ein Zugang über den Trochanter major empfohlen.
Klassifikation Femurfrakturen im Kindesalter werden überwiegend nach dem Frakturtyp und der Morphologie eingeteilt. Dennoch müssen offene von geschlossenen Verletzungen hinsichtlich des Weichteilschadens differenziert werden. Hierbei kommt die Klassifikation nach Gustilo und Anderson ( Kap. 10) zur Anwendung.
19
264
Kapitel 19 · Oberschenkel
Subtrochantäre proximale Femurfraktur
Besonderheiten
keine Spontankorrektur
Diagnostik
Rx a.-p. (+ lateral) Klinik: meist deutliche Dislokation mit Verkürzung und Rotationsfehlstellung
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
keine Achsabweichungen belassen, da kein Korrekturpotenzial!
Primärbehandlung
stationäre Aufnahme, Analgesie
Konservative Therapie Indikation
undislozierte Frakturen 3. Lebensjahr oder Dislokation
Verfahren
geschlossene Reposition und retrograde ESIN ggf. offene Reposition und Winkelplatte
Nachbehandlung
bewegungsstabil, Abrollbelastung an UA-Gehstützen ggf. initiale Gangschule an UA-Gehstützen
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
4–6 Monate post OP (nach Konsolidierungskontrolle)
Sportfähigkeit
ca. 6 Wochen nach Konsolidierung; bei freier Funktion
Komplikationen
selten: Kompartmentsyndrom, Kortikalisperforation durch ESIN, überschießende Kallusreaktion, Pseudobursa/Infekt an ESIN-Eintrittsstelle, sekundäre Dislokation bei falscher Implantatlage/-größe
Wachstumsstörung
selten, 10 Jahre Verkürzung
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre nach dem Unfall bei Beinlängendifferenz 1- bis 2-jährliche Kontrollen bis Wachstumsabschluss
Klassifikation
AO: 32-D/1-9.1-3
LiLa: 3.2.s.3(4).0-2.
265 19.2 · Frakturen des Femurschaftes
Femurschaftquerfraktur
Besonderheiten
30% der Femurschaftfrakturen, v.a. direktes Trauma, meist im mittleren Schaftdrittel
Diagnostik
Rx a.-p. (+ seitlich), eine Ebene i.d.R. ausreichend Klinik: meist deutliche Dislokation mit Verkürzung und Rotationsfehlstellung
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Rotationsfehler 3. Lj. 10° Varus 3. Lj. 10° Valgus bis 10° Antekurvation 10°/Rekurvation keine ad latus 3. Lj. bis ½ Schaftbreite
Primärbehandlung
stationäre Aufnahme, Analgesie, ggf. OS-Schiene
Konservative Therapie Indikation
3. Lj. oder Überschreitung der Korrekturgrenzen
Verfahren
i.d.R. geschlossene Reposition, offene Reposition kann bei Repositionshindernissen (Muskel) oder in langen Durchleuchtungszeiten erforderlich werden retrograde ESIN bei Frakturen im proximalen und mittleren Schaftdrittel antegrade ESIN bei Frakturen im distalen Schaftdrittel Fixateur externe: bei offenen Frakturen, ggf. Polytrauma
Nachbehandlung
postoperativ bei korrekter Implantatlage, schmerzabhängige Vollbelastung möglich Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich (ggf. initiale Gangschule)
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 4–6 Wochen und 3–4 Monaten Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
4–6 Monate post OP (nach Konsolidierungskontrolle)
Sportfähigkeit
ca. 6 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
selten: Kompartmentsyndrom, Kortikalisperforation durch ESIN, überschießende Kallusreaktion, Pseudobursa/Infekt an ESIN-Eintrittsstelle, schmerzhafte Reizung des Tractus iliotibialis bei zu weit überstehenden ESIN, sekundäre Dislokation bei falscher Implantatlage/-größe
Wachstumsstörung
selten, 10 Jahre Verkürzung
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre nach dem Unfall bei Beinlängendifferenz 1- bis 2-jährliche Kontrollen bis Wachstumsabschluss
Klassifikation
AO: 32-D/4.1-3
LiLa: 3.2.s.3.0-2.
19
266
Kapitel 19 · Oberschenkel
Femurschaftschrägfraktur
Besonderheiten
zusammen mit den Torsionsfrakturen 49% aller Femurschaftfrakturen, v.a. direktes Trauma, meist im mittleren Schaftdrittel
Diagnostik
Rx a.-p. (+ seitlich), zweite Ebene zur Differenzierung Schräg-/Torsionsfraktur und Länge der Frakturzone sinnvoll, teilweise erst in Narkose durchführbar
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Rotationsfehler 3. Lj. 10° Varus 3. Lj. 10° Valgus bis 10° Antekurvation 10°/Rekurvation keine ad latus 3. Lj. bis ½ Schaftbreite
Primärbehandlung
stationäre Aufnahme, Analgesie, ggf. OS-Schiene
Konservative Therapie Indikation
3. Lj. operative Versorgung indiziert
Verfahren
i.d.R. geschlossene Reposition offene Reposition nur in Ausnahmefällen bei Repositionshindernis oder zu langen Durchleuchtungszeiten erforderlich retrograde ESIN bei Frakturen im proximalen und mittleren Schaftdrittel antegrade ESIN bei Frakturen im distalen Schaftdrittel bei schwer retinierbaren Frakturen, langgezogenen Schräg-/Torsionsfrakturen, offenen Frakturen ist der Fixateur externe eine gute Alternative oder Fixation des ESIN am Schaft durch gewindetragende Verschlusskappen an Eintrittsstelle zur Vermeidung eines Teleskoping
Nachbehandlung
postoperativ in Abhängigkeit von Frakturversorgung und Compliance 4–6 Wochen Teilbelastung Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich, ggf. initial Gangschule
Rx-Kontrolle
postoperativ und 4–6 Wochen post OP Stellungskontrolle; nach 3–4 Monaten Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
ESIN 4–6 Monate post OP nach Konsolidierungskontrolle, Fixateur externe nach Konsolidierungskontrolle ca. nach 8–12 Wochen
Sportfähigkeit
ca. 8 Wochen nach Konsolidierung
267 19.2 · Frakturen des Femurschaftes
Komplikationen
Beinverkürzung mangels Abstützung bei Schräg-/Torsionsfrakturen durch ESIN selten: Kompartmentsyndrom, Kortikalisperforation durch ESIN, überschießende Kallusreaktion, Pseudobursa/Infekt an ESIN-Eintrittsstelle, Reizung des Tractus iliotibialis bei zu weit überstehenden ESIN, sekundäre Dislokation bei falscher Implantatlage/-größe
Wachstumsstörung
selten, 10 Jahre Verkürzung
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre nach dem Unfall bei Beinlängendifferenz 1- bis 2-jährliche Kontrollen bis Wachstumsabschluss
Klassifikation
AO: 32-D/5.1-3
LiLa: 3.2.s.3.0-2.
Femurschaftmehrfragmentfraktur
Besonderheiten
ca. 20% der Femurschaftfrakturen: Schräg-/Torsionsfrakturen mit Keil, Mehrfragmentfrakturen, Etagenfrakturen i.d.R. direktes Trauma, meist im mittleren Schaftdrittel
Diagnostik
Rx a.-p. (+ seitlich) meist deutliche Dislokation mit Verkürzung und Rotationsfehlstellung
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
Rotationsfehler 3. Lj. 10° Varus 3. Lj. 10° Valgus bis 10° Antekurvation 10°/Rekurvation keine ad latus 3. Lj. bis ½ Schaftbreite
Primärbehandlung
stationäre Aufnahme, Analgesie, ggf. OS-Schiene
Konservative Therapie Indikation
3. Lj. operative Versorgung indiziert, i.d.R. geschlossene Reposition; offene Reposition nur in Ausnahmefällen erforderlich
Verfahren
Fixateur externe: Methode der Wahl insbesondere bei Polytrauma und offenen Frakturen selten: ESIN, da fehlende Abstützung, alternativ: Fixierung des intramedullären Kraftträgers durch gewindetragende Verschlusskappen oder Verriegelungsschraube selten: überbrückende, biologische Plattenosteosynthese nach Epiphysenfugenschluss und bei erheblicher Adipositas: Verriegelungsnagel
19
268
Kapitel 19 · Oberschenkel
Nachbehandlung
postoperativ abhängig vom Frakturtyp, Teilbelastung für 4–6 Wochen, bis Kallus sichtbar Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich, ggf. Gangschule
Rx-Kontrolle
postoperativ und nach 4–6 Wochen Stellungskontrolle; nach 3–4 Monaten Konsolidierungskontrolle
Metallentfernung
nach 8–10 Wochen bei Fixateur externe; nach 4–6 Monaten post OP bei ESIN (nach Konsolidierungskontrolle)
Sportfähigkeit
ca. 8 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
selten: Kompartmentsyndrom, Kortikalisperforation durch ESIN, überschießende Kallusreaktion, Pseudobursa/Infekt an ESIN-Eintrittsstelle, sekundäre Dislokation bei falscher Implantatlage/-größe, durch Teleskoping bei ESIN, Pin-Infekt bei Fixateur externe sekundäre Verkürzung/Rotationsfehler bei mangelnder Abstützung
Wachstumsstörung
selten, 10 Jahre Verkürzung
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre nach dem Unfall bei Beinlängendifferenz 1- bis 2-jährliche Kontrollen bis Wachstumsabschluss
Klassifikation
AO: 32-D/4(5).3
LiLa: 3.2.s.4.1-2.
Distales Femur: suprakondyläre Fraktur
Besonderheiten
selten, extraartikulär
Diagnostik
Rx a.-p. + seitlich (Femur mit Hüft- und Kniegelenk) ggf. Angiographie bei Verdacht auf Gefäßläsion
Therapieziel/ Korrekturgrenzen
kein Achsfehler keine Rekurvation
Primärbehandlung
OS-Gipsschiene, ggf. medikamentöse Analgesie Gefäß-/Nervenschaden: Notfallindikation
Konservative Therapie
19
Indikation
Stauchungsfraktur und undislozierte suprakondyläre Fraktur i.d.R. konservativ
Verfahren
OS-Gips für 4 Wochen
Nachbehandlung
nach Gipsentfernung schmerzabhängige Belastung, Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
bei Stauchungsfrakturen nicht notwendig, klinisch: schmerzfreier Kallus bei Stauchungsfrakturen nur Konsolidierungskontrolle nach 4 Wochen; dislozierte suprakondyläre Frakturen: 8. Tag Stellungskontrolle; nach 4 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Operative Therapie Indikation
instabile dislozierte Frakturen, Repositionshindernis, Begleitverletzungen
269 19.2 · Frakturen des Femurschaftes
Verfahren
i.d.R. geschlossene Reposition in ITN offene Reposition bei schwerer Dislokation, eingeschlagenen Weichteilen, Begleitverletzungen; Gefäß-/Nervenschaden gekreuzte K-Draht-Fixation, perkutan plus OS-Gipsschiene alternativ: K-Draht-Fixation plus Fixateur externe bei Weichteilschäden, Polytrauma, »Floating Knee«; alternativ: deszendierende ESIN
Nachbehandlung
K-Draht-Spickung: OS-Gips für 4–5 Wochen unter Entlastung, nach Gipsentfernung schmerzabhängige Aufbelastung ESIN, Fixateur externe: Beweglichkeit frei; Abrollbelastung ca. 4 Wochen Krankengymnastik i.d.R. nicht erforderlich
Rx-Kontrolle
postoperativ Stellungskontrolle; nach 5 Wochen Konsolidierungskontrolle gipsfrei
Metallentfernung
K-Drähte: 4–5 Wochen post OP (nach Konsolidierung); ambulant ESIN: 4–6 Monate post OP Fixateur externe: 4–6 Wochen post OP
Sportfähigkeit
bei symmetrischen Muskelverhältnissen; ca. 4–6 Wochen nach Konsolidierung
Komplikationen
Gefäßläsion bei Dislokation nach dorsal (A./V. femoralis) Cave: zusätzliche Band-/Meniskusverletzungen des Kniegelenkes
Wachstumsstörung
immer stimulative Wachstumsstörung – diskrete Beinverlängerung hemmende Wachstumsstörung: selten
Nachkontrollen
½-jährlich bis 2 Jahre Kontrolle von Beinlängendifferenzen und Achsfehlstellungen Rx-Kontrolle bei Achsabweichung (Ausschluss einer Brückenbildung der Wachstumsfuge)
Klassifikation
AO: 33-M/2(3).1-3
Technische Aspekte
Femurfraktur
LiLa: 3.3.s.2-4.0-2.
Konservative Therapie Overheadextension Overheadextension durch Heftpflasterverband und elastische Wickelung für ca. 3–4 Wochen oder 2 Wochen Overheadextension und Wechsel auf Becken-Bein-Gips für weitere 2 Wochen Extension mit ca. einem Drittel des Körpergewichts, Gesäß im distalen Bereich frei schwebend (⊡ Abb. 19.4) exakte Längen- und Rotationskontrolle nicht möglich und auch nicht erforderlich regelmäßige Kontrolle der Anordnung notwendig gelegentlich leichte Sedierung/Analgesie zur Anlage erforderlich ggf. ambulant fortsetzbar, meist jedoch unter stationären Bedingungen Becken-Bein-Gips (⊡ Abb. 19.5) Ziel: achsgerechte Stellung, Verkürzung bis 10 mm ist tolerabel Anlage ggf. in Narkose zur Reposition nach 2 Wochen Overheadextension, für weitere 2 Wochen Becken-Bein-Gips zirkulärer Gips von Beckenkamm bis einschließlich Fuß am frakturierten Bein und bis oberhalb des Kniegelenks am gegenseitigen Bein; alternativ nur Beckenring Neugeborene: 90°-/90°-Stellung in Knie und Hüfte Kleinkinder: 50°-/50°-Stellung in Knie und Hüfte geringe Abduktion, um Außenrotationsfehlstellungen zu vermeiden ausreichende Aussparung im Bereich des Genitales bei Gipsverband gelegentlich Verstärkung durch Holzstab quer ventralseitig über dem Becken/Oberschenkel erforderlich regelmäßige Gipskontrollen notwendig
19
270
Kapitel 19 · Oberschenkel
Operative Therapie Material
ESIN elastische Titannägel; Durchmesser: 2–5 mm (/ des Markraumdurchmessers)
Fixateur externe (unterschiedliche Fixateursysteme erhältlich) Lagerung
Rückenlage, Abdeckung bis oberhalb der Hüfte, Bein frei beweglich
Spezielle Aufklärung
OP-Prinzip
Für Frakturen des distalen Femurdrittels bzw. der distalen Metaphyse wird vorzugsweise die
Rotationsfehler, Beinlängendifferenz sekundäre Dislokation ESIN: Reizung/Infekt (häufig: Pseudobursa) über Nagelende, Flexionseinschränkung (Tractus) Fixateur externe: Pintractinfektion
deszendierende monolaterale Nageltechnik angewendet (⊡ Abb. 19.6). Die Fixation metaphysärer Frakturen mittels Nageltechnik beruht auf anderen biomechanischen Prinzipien als die Fixation von Schaftfrakturen. Eine korrekte innere Abstützung zur Stabilisierung der Nagelspitzen und somit des metaphysären Fragments muss gewährleistet sein. Folgende Abweichungen gegenüber der Standardtechnik sind zu berücksichtigen: Für die deszendierende Versorgung von Femurfrakturen liegen die monolateralen Eintrittsstellen subtrochantär anterolateral etwa 1–2 cm in Längsrichtung auseinander und 0,5–1 cm seitlich zueinander versetzt. Hautinzisionen sind ausreichend lang zu wählen. Um eine korrekte innere Verspannung, d.h. eine 3-Punkte-Abstützung zu erreichen, muss einer der Nägel S-förmig vorgebogen werden, sodass die Verspannung auf die Höhe der Frakturzone zu liegen kommt. Den ersten einfach vorgebogenen Nagel einführen, die Fraktur mit dem Nagel reponieren und primär stabilisieren. Den S-förmig gebogenen Nagel einbringen. Nach dem ersten Kontakt mit der Gegenkortikalis den Nagel um 180° drehen und evtl. die Vorspannung noch verstärken. Die Nägel bis an die Epiphysenfuge heranführen und die Nagelspitzen so ausrichten, dass sie divergent zueinander liegen (⊡ Abb. 19.7). Fixateur externe 2(–3) Fixateurpins jeweils proximal und distal mit 2 QF Abstand zur Fraktur (⊡ Abb. 19.8) Lage der Pins dorsolateral entlang des Septum intermusculare (Schonung der Muskulatur) i.d.R. zwei parallel verlaufende Verbindungsstäbe Überkorrektur der Länge vermeiden ausreichende Spaltung des Tractus iliotibialis klinische Rotationskontrolle intraoperativ tägliche Pinpflege durch Patienten bzw. Eltern (Entfernung der Krusten, Duschen erlaubt) Metallentfernung
ESIN nach 4–6 Monaten in ITN
Fixateur externe nach Röntgen (bei ausreichender Kallusbildung, nach ca. 6–8 Wochen), im Einzelfall auch am-
bulant möglich
19
271 19.2 · Frakturen des Femurschaftes
⊡ Abb. 19.6. Korrekte Lage der Eintrittsstellen am proximalen Femur; man beachte die versetzte Lage. Dies verhindert das Spalten des Knochens.
⊡ Abb. 19.4. Overheadextension.
⊡ Abb. 19.7. Korrekte Lage der beiden Nägel bei anterograder Technik; man beachte die gute Aufspannung und den Kontakt zur Kortikalis im distalen Drittel.
⊡ Abb. 19.5. Beckenbeingips.
⊡ Abb. 19.8. Eintrittstellen der Fixateurpins.
19
272
Kapitel 19 · Oberschenkel
19.3
Fallbeispiele
Fall 19.1 Proximale Femurschaftfraktur, Junge 3 J., Verkehrsunfall.
a Unfallbild. b,c ESIN, retrograd; knöcherne Überbauung.
Fall 19.2 Distale Femurschaftmehrfragmentfraktur, Junge, 9 J.
a
Fall 19.3 Femurschaftfraktur beim Säugling, 7 Mon., battered child.
b
a Unfallbild. b Fixateur externe, postoperativ.
19
a Unfallbild. b Konservative Therapie durch Overheadextension, Kalluswolke.
20
Knie D. Schneidmüller und I. Marzi
20.1
Physiologische Befunde – 274
20.1.1
Entwicklung der Beinachse
– 275
20.2
Frakturen des Kniegelenks – 276
20.2.1 20.2.2
Inzidenz, Verletzungsmechanismus und klinisches Bild Fallbeispiele – 285
20.3
Verletzungen der Patella – 287
20.3.1
20.3.2 20.3.3
Patella partita – 287 Patellafraktur – 287 Patellaluxation – 287
20.4
Bandverletzungen am kindlichen Knie – 295
20.4.1 20.4.2 20.4.3
Eminentia-intercondylaris-Ausrisse – 295 Intraligamentäre Kreuzbandläsionen – 296 Femorale Kollateralbandausrisse – 296
20.5
Meniskusschäden – 301
20.5.1
Scheibenmeniskus – 301
– 276
274
Kapitel 20 · Knie
20.1
Physiologische Befunde
3.- 6. Lj. 9. Em.
30%
10. Em. 2.- 4. Lj.
a
12.- 15. Lj.
b
⊡ Abb. 20.2. Auftreten der Knochenkerne. a Zwischen dem 5. und 7. Lj. sind häufig unregelmäßige Ossifikationszentren im Bereich des dorsalen Femurkondylus zu sehen. b Im Bereich der proximalen Tibiaepiphyse tritt ein zweites Ossifikationszentrum im 2.–3. Monat auf.
70% 55%
16.-24. Lj.
14.-18. Lj. 15.-18. Lj.
45%
⊡ Abb. 20.1. Anteil der Epiphysenfugen am Längenwachstum der unteren Extremität. Distale Femurepiphyse: – 40% des Längenwachstums des gesamten Beins, – 70% des Längenwachstums des Femurs. Proximale Tibiaepiphyse: – 30% des Längenwachstums des gesamten Beins, – 55% des Längenwachstums der Tibia.
20
⊡ Abb. 20.3. Verschluss der Wachstumsfugen. Tuberositas tibiae: 1. Ossifikationszentrum auf Höhe der Tibiaepiphyse: 12.–15. FW, 2. Ossifikationszentrum weiter distal: 7.–9. Lj., → vergrößert sich, bis es im Adoleszentenalter (w: 12.–15. Lj.; m: 15.–18. Lj.) zu einer Verschmelzung kommt.
275 20.1 · Physiologische Befunde
20.1.1 Entwicklung der Beinachse
Während der Entwicklung durchläuft die Beinachse des Kindes Phasen mit O- und X-Bein-Stellung. Als Säugling findet sich in der Regel ein Genu varum, welches sich am Ende des 1. Lebensjahres mit Laufbeginn neutralisiert und in ein Genu valgum übergeht. Am Ende des 2. Lebensjahres erreicht das X-Bein das maximale Ausmaß, sodass um das 8. Lebensjahr der normale Winkel erreicht ist: für Mädchen ±7°, für Jungen ±10° (⊡ Abb. 20.4).
15 °
tibiofemoraler Winkel
⊡ Abb. 20.4. Bestimmung des Tibiofemoralwinkels.
27 °
1. Lm.
17°
7°
3. Lj.
4°
10. Lj.
19. Lj.
⊡ Abb. 20.5. Entwicklung der sagittalen Ebene des Tibiakopfes. In der Behandlung von kindlichen Tibiakopfverletzungen ist die physiologisch erhöhte Rekurvation des Tibiaplateaus zu beachten; sie nimmt im Laufe der Entwicklung von 27° auf 4° ab.
20
276
Kapitel 20 · Knie
Altersabhängige Röntgenbefunde
20.2
Frakturen des Kniegelenks
20.2.1 Inzidenz, Verletzungsmechanismus
und klinisches Bild
⊡ Abb. 20.6. Neugeborenes; sichtbarer Knochenkern distales Femur.
⊡ Abb. 20.7. 2. Lebenswoche.
Frakturen des Knieglenks weisen am distalen Femur eine Inzidenz von 0,8% und an der proximalen Tibia eine von 1,2% auf. Verletzungen des Kniegelenks treten im Rahmen von Sportverletzungen, aber auch Hochrasanztraumen und Stürzen aus großer Höhe häufig auf. Schwerwiegende Verletzungen wie Frakturen oder Kniebinnenschäden sind jedoch seltener. Dies ist nicht zuletzt auf die erhöhte Laxizität der Bänder und Flexibilität des wachsenden Skeletts zurückzuführen. Beim Trauma werden die einwirkenden Kräfte beim Kind über die stabileren Bänder auf den Knochen übertragen, sodass es eher zu einer knöchernen Läsion kommt als zu einer Verletzung des Bandapparates (⊡ Tab. 20.1). Die Diagnostik kann erschwert sein aufgrund auftretender unregelmäßiger Ossifikationszentren und der im Kleinkindesalter nicht immer klaren Anamnese. Hier kann neben der obligatorischen Röntgenaufnahme die MRT oder später die Arthroskopie weitere Informationen liefern. Mögliche Begleitverletzungen wie Kniebinnenschäden oder Gefäßrupturen müssen ausgeschlossen werden. Die proximale Tibiaepiphyse ist im Vergleich zu anderen Epiphysen des Beins am häufigsten von begleitenden Gefäßverletzungen betroffen, aufgrund der Trifurkation der A. poplitea dorsal in Höhe der Tibiaepiphyse. Ist eine Reposition der Fraktur notwendig, sollte dies in Allgemeinanästhesie erfolgen. Dabei sollte eine definitive Stabilisierung der Fraktur vorgenommen werden, um eine Sekundärdislokation und Nachreposition zu vermeiden, was die Gefahr einer erhöhten Rate an Wachstumsstörungen mit sich bringen würde. Mit zunehmendem Alter sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Wachstumsstörung.
⊡ Tab. 20.1. Frakturen des Kniegelenks Suprakondyläre Fraktur Distales Femur
Proximale Tibia
Salter I/II
extraartikulär
Salter III/IV
intraartikulär
Übergangsfrakturen
intraartikulär
Übergangsfrakturen
intraartikulär
Salter III/IV
intraartikulär
Salter I/II
extraartikulär
Tuberositasausriss
intra-/extraartikulär
Patellafraktur
20 ⊡ Abb. 20.8. 4. Lebensjahr.
⊡ Abb. 20.9. 13. Lebensjahr.
Knöcherne Bandausrisse
277 20.2 · Frakturen des Kniegelenks
Bei bereits beginnendem Fugenverschluss spricht man von der sog. Übergangsfraktur. Ist lediglich die Epiphyse betroffen, so handelt es sich um eine Twoplane-Fraktur, besteht ein zusätzlicher metaphysärer Keil, handelt es sich um eine Triplane-Fraktur. Bei der operativen Versorgung der Übergangsfraktur kann die Gefahr der Fugenverletzung mit konsekutiver Wachstumsstörung vernachlässigt werden, fugenkreuzende Verfahren sind erlaubt, da in diesem Alter mit keinem relevanten Restwachstum mehr zu rechnen ist. Bei noch offenen Fugen dagegen muss grundsätzlich immer mit Wachstumsstörungen gerechnet werden. Stimulierende Wachstumsstörungen treten mehr oder weniger nach jeder Fraktur auf und führen zu einer Beinverlängerung. Das Ausmaß ist von der Aktivität und der Dauer der Reparaturvorgänge abhängig. Hemmende Wachstumsstörungen sind um so wahrscheinlicher, je näher die Fraktur an der Epiphysenfuge liegt. Bei komplettem vorzeitigem Verschluss der Fuge kann es aufgrund des großen Wachstumsanteils der kniegelenksnahen Epiphysenfugen am Längenwachstum der unteren Extremität je nach Alter des Kindes und der damit noch vorhandenen Wachstumsreserve zu einer erheblichen Beinverkürzung kommen. Bei einer partiell hemmenden Wachstumsstörung kommt es durch Brückenbildung in der Fuge zu einem Teilverschluss und damit zu einem konsekutiven Fehlwachstum mit Achsfehlstellung. Diese Wachstumsstörungen machen sich im klinischen Bild meist nach 6 Monaten bemerkbar, sodass regelmäßige klinische Nachuntersuchungen zur Erfassung eines solchen Fehlwachstums notwendig sind. Bei bestehendem Verdacht auf eine partielle Wachstumshemmung sind radiologische Kontrollen, ggf. die Durchführung einer MRT, zur Bestimmung des Ausmaßes und Darstellung der Brückenbildung notwendig, um evtl. eine Korrektur durchführen zu können. Bei unauffälligem Befund kann die Behandlung nach 2 Jahren abgeschlossen werden.
20
278
Kapitel 20 · Knie
Distales Femur: Epiphysenlösungen
Besonderheiten
häufigste Fraktur am distalen Femur; Hämarthros bei Kapselverletzung geburtstraumatisch; cave: