Sonja Blum · Klaus Schubert Politikfeldanalyse
Elemente der Politik Herausgeber: Hans-Georg Ehrhart (Institut für Fri...
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Sonja Blum · Klaus Schubert Politikfeldanalyse
Elemente der Politik Herausgeber: Hans-Georg Ehrhart (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, IFSH) Bernhard Frevel (Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, Münster) Klaus Schubert (Institut für Politikwissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster) Suzanne S. Schüttemeyer (Institut für Politikwissenschaft, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)
Die ELEMENTE DER POLITIK sind eine politikwissenschaftliche Lehrbuchreihe. Ausgewiesene Expertinnen und Experten informieren über wichtige Themen und Grundbegriffe der Politikwissenschaft und stellen sie auf knappem Raum fundiert und verständlich dar. Die einzelnen Titel der ELEMENTE dienen somit Studierenden und Lehrenden der Politikwissenschaft und benachbarter Fächer als Einführung und erste Orientierung zum Gebrauch in Seminaren und Vorlesungen, bieten aber auch politisch Interessierten einen soliden Überblick zum Thema.
Sonja Blum Klaus Schubert
Politikfeldanalyse 2., aktualisierte Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2009 2., aktualisierte Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Schindler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-17276-7
Inhalt Vorwortzur2.Auflage
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1
Einleitung
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2
PolitikwissenschaftundPolitikfeldanalyse
14
2.1 2.2
17 22
3
4
5
UrsprüngeundtheoretischeVerankerung EntwicklungslinienindenUSAundinDeutschland
TheorienundMethoden
33
3.1 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2 3.3
35 40 44 46 47 49
TheorienderPolitikfeldanalyse VergleichendeStaatstätigkeitsforschung AkteurzentrierterInstitutionalismus MikroPolicyAnalyse VonderTheoriezurMethode MethodischeZugänge
Akteure,InstitutionenundInstrumente
54
4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.3 4.4
54 54 61 68 84
AkteureundNetzwerke Akteure Netzwerke StrukturenundInstitutionen Steuerungsinstrumente Fallbeispiel:Akteure,Institutionenund InstrumentederUmweltpolitik
93
Prozesse–DerPolicyCycle
104
5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
108 116 125 129
ProblemwahrnehmungundAgendaSetting PolitikformulierungundEntscheidungsfindung Politikimplementierung Evaluierung AnalytischeStärkenundSchwächendes Phasenmodells
133 5
5.6
6
7
Fallbeispiel:DerPolitiksetzungsprozesszum RauchverbotinGaststätten
138
UrsachenundErklärungenfürpolitischeVeränderungen
145
6.1 6.2 6.2.1 6.2.2 6.2.3
146 156 161 164 170
PolicyStile PolitischesLernen LessonDrawing SocialLearning PolicyTransfers
Ausblick
177
Literaturverzeichnis
183
VerzeichnisderInfokästen
197
VerzeichnisderSchaubilder
198
6
Vorwortzur2.Auflage IndererstenAuflagediesesLehrbuchsvon2009habenwirdieVermu tung geäußert, dass die Politikfeldanalyse in Deutschland nun in eine neue Phase der „Normaldisziplin“ übergegangen ist. Dies sehen wir weiter bestätigt: Nicht zuletzt die mittlerweile feste Verankerung in HochschullehreundForschungslandschafthatdazubeigetragen,dass die erste Auflage dieses Lehrbuchs bereits nach einem Jahr weitge hendvergriffenwar.WirfreuenunssehrüberdiesepositiveResonanz undhabendieChancegenutzt,umfürdiezweiteAuflageeinigeAktua lisierungen und Ergänzungen vorzunehmen. So wurden z.B. die Aus führungen zum Akteurzentrierten Institutionalismus und zum Veto spieleransatz erweitert sowie das „PunctuatedEquilibrium“Modell neuindasKapitelzumpolitischenLernenaufgenommen. Ein besonderer Dank gilt Sandra AugustinDittmann, Nils C. Ban delow, Florian Blank, Janna Bockhorst, Bernhard Frevel, Hendrik Meyer und Annette Elisabeth Töller für hilfreiche Anmerkungen und Diskussionen.WirmöchtenunsaußerdembeidenzahlreichenStudie renden aus „Politikfeldanalyse“Seminaren und Standardkursen an der Universität Münster bedanken, die mit ihren oft treffenden Kom mentaren, ihren Diskussionsbeiträgen und ihrem Feedback zum Ent stehendiesesBuchesbeigetragenhaben.EinganzherzlicherDankan das Team vom Lehrstuhl für Deutsche Politik und Politikfeldanalyse und im Speziellen Cathryn Backhaus erfolgt hier „last, but definitely notleast“! Wir hoffen, dass diese Einführung in die Politikfeldanalyse ihren Zweck erfüllt, nämlich Studierende und Interessierte grundlegend in die Disziplin der PolicyForschung einzuführen. Aber auch, dass darü berhinaus„Politikfeldanalyse“Lustaufmehrweckt–Lustdarauf,sich intensiver mit den diskutierten Themen, theoretischen Ansätzen und FragestellungenderPolicyForschungzubeschäftigen. MünsterimSommer2010 SonjaBlumundKlausschubert
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1
Einleitung
WennmanheuteeineZeitungliestoderdieNachrichtenhörtbzw.im Fernsehen verfolgt, wird man oftmals mit einer verwirrenden Menge von Detailinformationen aus einzelnen Politikfeldern konfrontiert. EinigeBeispiele: Ö Die Forderung, man müsse den Risikostrukturausgleich so be grenzen, dass bestimmte Krankenkassen – insbesondere in Süd deutschland – bei der Finanzierung des Gesundheitsfonds nicht überproportionalbelastetwerden. Ö DasArgument,dassbeimBenzinpreisausprinzipiellenErwägun genanderÖkosteuerfestgehaltenwerdenmuss,weildamitdie Lohnnebenkosten gesenkt werden und die Mittel über die Ren tenversicherung sowieso wieder an die Verbraucher zurückflie ßen. Ö Die Diskussion, ob die Entfernungs bzw. Pendlerpauschale ent wederausGründenderGleichbehandlungundalsWerbungskos tenrichtigerweisewiedereingeführtwurde,oderobsievielmehr aus Umweltschutzgründen oder zum Subventionsabbau abge schafftwerdensollte. NichtimmerkannmandiesenSachargumenten(sofort)folgen.Aberin vielenFällenwirdauchunmittelbarklar,dasssichdanichtnur„Politi kermalwiederstreiten“,sondern,dassessichuminhaltliche,konkre te Sachinformationen, Sachfragen und Forderungen handelt, die für denLeser,denZuhöreroderZuschauerimDetailinteressantseinkön nen und insbesondere hinsichtlich möglicher Folgewirkungen persön lichvielleichtsogarwichtigsind.Seies,dasserodersieselbstgerade aufderSuchenacheinergünstigenKrankenkasseistodersichGedan kenüberdieAnpassungdeseigenenEinkommensandiegestiegenen Lebenshaltungskostenmacht.OftverliertsichaberderStreitderPar teien oder Politiker auch in Details, die für den Außenstehenden un übersichtlichbleiben.Oftmals–insbesondere,wennmansichfürden Gegenstand interessiert – erscheint der „Parteienstreit“ auch ober flächlich und der Bedeutung der Inhalte nicht angemessen. Vielleicht
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S. Blum, K. Schubert, Politikfeldanalyse, DOI 10.1007/ 978-3-531-92097-9_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
liegt in dieser immer wieder feststellbaren Diskrepanz sogar ein Teil deraktuellbeklagtenPolitikerundParteienverdrossenheitbegründet. Dennoch gilt: „Politik wird von Menschen gemacht. Menschen mit Interessen und Zielen, Menschen in Ämtern und Positionen.“ (Schubert/Bandelow 2009a: 1). Es ist und bleibt daher immer elemen tarwichtig,danachzufragen, Ö wasgeradeaufderpolitischenAgendasteht, Ö warumdiesesThemageradediskutiertwirdund, Ö obdas,wassachlichvorgebrachtwird,auchZielführendist, Ö wemdasnutzt, Ö wienachhaltigdasist,wasdapolitischentschiedenwird Ö undvielesanderemehr. DiePolitikfeldanalyseverstehtsichalspolitikwissenschaftlicheTeildis ziplin, die genau das will: Fragen an diejenigen stellen, die konkret Politikmachen,dieses„Policymaking“analysierenunddassogesam melte Wissen „über Politik“ wieder „für die Politik“ zur Verfügung stellen. IndieserkurzenSkizzewirdbereitseineUnterscheidungdeutlich, die für die Politikfeldanalyse grundlegend ist: Den Aspekt der politi schen Auseinandersetzung, des Konflikts, aber auch der Verhandlung und Konsensbildung bezeichnet man im Englischen als politics. Der inhaltliche Aspekt von Politik dagegen, „die Sache“, der konkrete materielleGegenstand,umdenesbeipolitischenAuseinandersetzun gen und Entscheidungen geht, wird im Englischen mit dem Begriff policy umschrieben. Im nächsten Kapitel wird diese Unterscheidung noch einmal aufgenommen. Hier soll zunächst nur festgehalten wer den, dass sich der Begriff Politikfeldanalyse in der deutschsprachigen Politikwissenschaft als Übersetzung für eine ganze Reihe von angel sächsischen Fachbegriffen etabliert hat. Diese werden weitgehend synonym verwendet, wenngleich sie nicht willkürlich austauschbar sind: policy analysis, policy studies, policy sciences, public policy, comparative public policy und New Science of Politics. In diesem Buch sollen die Begriffe Politikfeldanalyse, PolicyAnalyse und Policy Forschunggleichbedeutendverwendetwerden. DervorliegendeBandausderReihe„ElementederPolitik“dient als erste Einführung in die Begriffe, Modelle, theoretischen Ansätze undAnwendungsbereichederPolitikfeldanalyse.DieAutorensindsich
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derSchwierigkeiteinessolchenVorhabensdurchausbewusst,dennin der noch vergleichsweise jungen Disziplin haben sich mittlerweile vielfältige und komplexe Forschungsstränge entwickelt. Außerdem, wieHansGerdJaschkeinseinemEinführungsbandderElementeReihe sotreffendformulierte:„Sichkurzzufassen,gehörtimübrigennicht zu den Vorlieben und Stärken der meisten Sozialwissenschaftler“ (Jaschke 2006: 14). Den Versuch wollen wir dennoch unternehmen, dennesexistierenmittlerweilezwareinigesehrgutesowohldeutsch alsauchenglischsprachigeLehrbücherfürdenBereichderPolitikfeld analyse (z.B. Howlett/Ramesh/Perl 2009; Schneider/Janning 2006; Schubert/Bandelow 2009b). Und auch zur Vertiefung einzelner The men sind gerade in jüngster Zeit ausgezeichnete Herausgeberwerke auf den Markt gekommen (z.B. Moran/Rein/Goodin 2008; Sabatier 2007;Janning/Toens2008). Einen übersichtlichen und dennoch umfassenden Einführungs band suchten kaum politikfeldanalytisch vorgebildete, aber interes sierte Studierende und politikwissenschaftlich Interessierte jedoch bislangvergeblich.DiesenAnspruchhatdasvorliegendeBuch,dassich auchgutalsBasisLiteraturfürVorlesungenundSeminareeignet.Wir haben uns außerdem dafür entschieden, die Disziplin der Policy AnalysezwardemverfügbarenPlatzentsprechendkurz,aberdennoch inmöglichstgroßerBreitevorzustellen.Zwarmussdahermancherorts vereinfacht und die vielfältigen Diskussionsstränge des Faches ver kürzt wiedergegeben werden. Dennoch wird mit dem Buch eine um fassende Einführung in die PolicyAnalyse gegeben. Das teilweise kommentierte Literaturverzeichnis gibt den Leserinnen und Lesern eine Auswahl an weiterführender und vertiefender Literatur an die Hand. ImFolgendensollkurzderAufbaudesBuchesbeschriebenwer den. Im nächsten Kapitel werden die Ursprünge der PolicyAnalyse dargestelltunddiedisziplinärenEntwicklungslinienindenUSAundin Deutschland verfolgt. Wir orientieren uns hierbei weniger an einer kohärent temporalen Wiedergabe der Ereignisse, als an einem über blicksartigen Grobschnitt der wichtigsten Entwicklungsstationen: David Eastons Systemmodell oder Lowis Arbeiten zu PolicyArenen bilden Eckpunkte in diesem Sinne. Zugleich werden die Disziplin und ihre originären Fragestellungen von der traditionellen Politikwissen schaft abgegrenzt sowie Schnittmengen zwischen beiden Bereichen dargestellt.ZumVerständnisdieserGemeinsamkeitenundUnterschie
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deerscheintesunsnotwendig,ineinemTeildeszweitenKapitelsauch aufdieideengeschichtlichenundtheoretischenGrundlagenderPolicy Forschung einzugehen, die in den wenig erforschten Bereichen des PragmatismusundPluralismuszuverortensind. DasdritteKapitelunternimmtdenaufgrundderhohenDiversität schwierigen Versuch, der PolicyForschung spezifische Theorien und Methoden zuzuordnen. Auch hier wird überblicksartig auf die wich tigsten theoretischen und methodischen Ansätze eingegangen. Der Fokus liegt verstärkt darauf, den Studierenden ein erstes politikfeld analytisches Handwerkszeug mitzugeben, um eigene Fragestellungen für Referate, Studien oder Abschlussarbeiten anzudenken und zu umreißen. Daher soll gezeigt werden, welche theoretischen Ansätze auswelchemErkenntnisinteresseherauszurBeantwortungvonFrage stellungen gewählt werden können. Die ersten beiden inhaltlichen KapitelschaffensomitdieGrundlagenfürdenvertieftenEinstiegindie Begriffe, Konzepte und theoretischen Ansätze der PolicyForschung, derabdemviertenKapitelerfolgt. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit Akteuren, Institutionen und Steuerungsinstrumenten aus der Sicht der PolicyForschung. Der Blickpunktliegtstetsdaraufzuzeigen,wiemanalsPolitikfeldforscher dieseBegriffeundKonzepteeinzugrenzenundzuanalysierenvermag: Welche Akteursformen gibt es? Durch welche Strukturen der politi schen Interessenvermittlung sind die politischen Prozesse gekenn zeichnet? Wie und wozu schließen sich Akteure in Netzwerken zu sammen?InwiefernhabenInstitutionenundStrukturenEinflussaufdie politischen Inhalte? Welcher Steuerungsinstrumente können sich Ak teure zur Verfolgung ihrer Ziele bedienen? Diesen Fragen wird stets entlangderzentralentheoretischenAnsätzegefolgt,sodassauchhier demeinführendenCharakterdesBuchesentsprochenwird. Das fünfte Kapitel widmet sich der Analyse politischer Prozesse und dem hierfür nach wie vor zentralen Modell, dem PolicyCycle. EntsprechendeinerüblichenPhaseneinteilunggliedertsichdasKapitel in die Themenbereiche Problemwahrnehmung und Agenda Setting, Politikformulierung und politische Entscheidung, Implementierung, EvaluierungsowieNeuformulierungrespektiveTerminierungdespoli tischenProzesses.DieseStrukturerscheintnachwievoräußerstsinn voll,umdemAnspruchderPolicyForschungzurErklärung politischer Auseinandersetzungen und ihrer Ergebnisse zu folgen. Gleichwohl
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müssenabschließendauchdieStärkenundSchwächenbzw. Grenzen desPhasenmodellsabgewogenwerden. MitdemsechstenKapitelwerdendieKritikanderfehlendener klärenden Kraft des PolicyCycle aufgenommen und alternative, stär kertheoretischangelegteAnsätzediskutiert.MitdenbeidenTheorie ansätzen der PolicyStile sowie des Politischen Lernens werden zwei Erklärungsansätze für politische Veränderungen ausgewählt, die eine hoheBedeutungfürdiePolicyForschungentwickelthaben. Im siebten und letzten Kapitel schließlich werfen wir einen Aus blickaufdieweitereEntwicklungderPolitikfeldanalyse,beidemauch aktuellen Trends und Theorieansätzen Raum gegeben wird. Unter stütztwirddereinführendeCharakterdurchzweiFallbeispiele,diesich ergänzend und veranschaulichend an das vierte und fünfte Kapitel anschließen: Im ersten Fallbeispiel wird die Diskussion über Akteure, Institutionen und Instrumente anhand des Feldes Umweltpolitik ver anschaulicht. Im zweiten Fallbeispiel wird am Beispiel des Rauchver bots in Gaststätten gezeigt, wie ein konkreter Politikprozess anhand desPolicyCyclestrukturiertundanalysiertwerdenkann. Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, dass in die semBuch(beinahe)durchgängigdassogenannte„generischeMasku linum“genutzt,also(insbesondereimPlural)diemännlicheFormdes WortesverwendetunddabeiimmerauchdieweiblicheFormmitein geschlossenwird.ZumBeispielistdieRedevon„politischenEntschei dungsträgern“ oder von „Politikfeldforschern“, insbesondere dann, wenn gemischtgeschlechtliche Gruppen gemeint sind oder das Ge schlechtderPersonennichtbekanntist.AuchwennwirunsderProb lematik dieses Vorgehens bewusst sind, halten wir es angesichts des LeseflussesundangesichtsdesbegrenztenPlatzesfürpraktikabel,auf dieseSprachPolicyauszuweichen.
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PolitikwissenschaftundPolitikfeldanalyse
Der vom griechischen polis, dem Stadtstaat der Antike, abgeleitete Begriff „Politik“ entzieht sich einer einheitlichen und endgültigen Definition. An den klassischen Wortursprung anknüpfend bezeichnet PolitikdasHandelndesStaatesunddasHandelninstaatlichenAngele genheiten.SpeziellermeintPolitikinmodernenDemokratieneinakti vesHandeln,dasaufdieBeeinflussungstaatlicherMacht,denErwerb von Führungspositionen und die Ausübung von Regierungsverant wortung zielt (Schubert/Klein 2006: 230). Daneben sind vielfältige politischtheoretische Definitionen des Politikbegriffs vorgenommen worden, die je bestimmte Einzelaspekte und Sachverhalte hervorhe ben. Sie reichen vom Bemühen um die „gute Ordnung“ einer Gesell schaft, über die Unterscheidung von Freund und Feind bis hin zur gebräuchlichen Definition als Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regelungen und Entscheidun genabzielt. Über diese Schwierigkeit einer Bedeutungseingrenzung hinaus, trittimDeutschendieErschwernishinzu,dassfürdiesehrkomplexen und vieldimensionalen Erscheinungsformen nur ein einziger Begriff, nämlich „Politik“ existiert. In der Politikwissenschaft ist es daher üb lich,durchdieVerwendungderenglischenTerminipolicy,politicsund polity zu einer schärferen Differenzierung zu gelangen. Unter policy fallendabeidiekonkretenInhaltederPolitik,diemateriellinhaltlichen FragenundProbleme,aufdiemitpolitischenProgrammenundMaß nahmenreagiertwird,aberauchdieResultatederpolitischenAktivi täten in den jeweiligen Politikfeldern. Eine Auswahl möglicher Politik felder(Sozialpolitik,Gesundheitspolitik,Verbraucherpolitik,aberauch z.B. Standortverbesserungsinitiativen von Landesregierungen) zeigt, dassdiesesehrweitgefasstodersehrspeziellseinkönnen.Auchlas sensichdieeinzelnenPolitikfelderoftschwervoneinanderabgrenzen, denn politische Maßnahmen sind meist verschiedenen Feldern zuzu ordnenbzw.zeigenaufdiesenAuswirkungen.Sokannbeispielsweise der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen als familien, ge schlechter oder bildungspolitische Maßnahme betrachtet werden. EinerseitskönnendieGrenzenvonPolitikfelderninwissenschaftlichen 14 S. Blum, K. Schubert, Politikfeldanalyse, DOI 10.1007/ 978-3-531-92097-9_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Untersuchungen definiert werden. „Bezeichnungen für Politikfelder undAbgrenzungengegenanderePoliciesfindensichaberauchinder politischenDebatteoderinGesetzestexten.WaseinPolitikfeldist,wie esabzugrenzenistundwasalsseinezentraleThematikanzusehenist, bestimmen hier die politischen Akteure“ (Nullmeier/Wiesner 2003: 286). Die Kategorie politics umfasst politische Prozesse, wie sie sich durch das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Meinungen, Interes senundZiele,aberauchdurchAbsprachen,gegenseitigeAbstimmun gen,KooperationenundKoalitionsbildungenergeben.Diewichtigsten Bereiche, in denen diese, teils konflikthaften, teils auf Kooperation angelegten Prozesse des „Politikmachens“ stattfinden, liegen in der partei und interessenpolitischen Willensbildung, der politisch staatlichen Entscheidungsfindung und der politischadministrativen Implementierungsphase: Also vor allem in Bereichen, in denen allge mein verbindliche Entscheidungen herausgebildet, beschlossen und schließlichumgesetztwerden.UnterpolitywirdschließlichderBereich derpolitischenOrdnungenundVerfassungenzusammenfasstunddie sich daraus ergebenden Strukturen und Institutionen, also bspw. das ParteienoderRegierungssystem,aberauchdiepolitischeKultureines LandesunddiedarinvorherrschendenNormenundWerte. Im Fokus der Politikfeldanalyse nun stehen – wie der englische Begriff policy analysis bereits erkennen lässt – konkrete, materielle Politiken. Diese Ausrichtung unterscheidet die Politikfeldanalyse von der älteren Politikwissenschaft, die in erster Linie auf institutionelle und ideelle Bedingungen politischer Ordnungen (polity), später dann auchaufpolitischeKonfliktundKonsensprozesse(politics)fokussiert (Schmidt 1997: 567568). Das konkrete Handeln von Regierungen hingegen wurde traditionell in der deutschen Politikwissenschaft ver nachlässigt. Diese Lücke hat die PolicyForschung gefüllt, die sich be reitssehrfrühindenUSAentwickelteundseitetwaMitteder1980er JahreauchinDeutschlandraschaufgenommenwurde. Dasbedeutetnunaberkeineswegs,dassPolitikfeldanalysensich auf die erste der drei Politikdimensionen beschränken könnten. Viel mehr bilden Strukturen und Institutionen (polity) erst den Rahmen, innerhalbdessensichpolitischeProzesse(politics)vollziehen,diedann wiederumkonkretepolitischeInhalte(policy)zumGegenstandhaben und konkrete politische Resultate hervorbringen (können). In diesem Sinne muss also die Politikfeldanalyse immer alle drei Ebenen des
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Politikbegriffs betrachten. Ihr Hauptaugenmerk jedoch liegt auf den Fragen: (1) Was politische Akteure tun, (2) warum sie es tun und (3) wassieletztlichdamitbewirken(vgl.Dye1972:1). Politikfeldanalyse verschreibt sich also erstens der Analyse kon kreter Politik (1). Sie fragt nach den Outputsvon Politik, also den tat sächlichen, faktischen Ergebnissen von politischen Entscheidungen. Diesmutet–imSinneeinerreinen„Bestandsaufnahme“–ersteinmal recht überschaubar an. Tatsächlich ist es aber oft gar nicht so leicht, dieFragenachdenInhaltenundErgebnissenpolitischerEntscheidun genexaktzubeantworten.DennochmussineinemerstenSchrittder Versuch hierzu unternommen und Antwort auf die Fragen gegeben werden: Wer ist beteiligt, wie werden politische Lösungen gefunden undwassinddiefaktischenErgebnisse?Spannenderwirdesdannmit dem zweiten Schritt und der Beantwortung der Fragen: Wieso, wes halb und warum ist es zu diesen Politiken gekommen? Hier fragt die PolitikfeldanalysenachdenUrsachenvonpolitischenEntscheidungen (2).UndschließlichinteressiertsiesichfürdieWirkungendieserpoliti schen Entscheidungen (3). Diese durch bestimmte politische Pro gramme oder Maßnahmen freigesetzten Resultate werden häufig auch als Outcomes bezeichnet. Die PolicyForschung fragt dann bei spielsweise danach, ob die tatsächlich freigesetzten Wirkungen mit denvorabformuliertenpolitischenAbsichtenübereinstimmenoderob siedavonabweichen. Der Begriff „politischer Akteur“, also desjenigen, der politisch handelt,indenentsprechendenProzessenundgegebenenpolitischen Situationen„dabei“ist,wirdzurBeantwortungdieserFragenzumeist weitgefasst.ImFokusderPolitikfeldanalysestehtzwarinersterLinie die öffentliche Politik, weshalb im Englischen auch der Begriff public policy analysis üblich ist. In diesem Sinne will die Politikfeldanalyse eben herausfinden: „What governments choose to do or not to do“ (Dye 1972: 1). Dieses Zitat Dyes enthält jedoch eine gewisse Verkür zung, denn es kann eben nicht nur Regierungshandeln bzw. das poli tischadministrative System ins Blickfeld politikwissenschaftlicher Untersuchungen rücken. Vielmehr muss gleichzeitig auch immer das weitere politische Umfeld mitgedacht werden. Denn erst hierdurch kanneinVerständnisentwickeltwerden,warumpolitischeAkteure(im engerenSinne)tun,wassietun;warumaberauchmitunterbestimmte Ziele und Intentionen nur Absichten bleiben, gar nicht erst formuliert
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werden, oder letztlich bestimmte öffentliche Aufgaben nicht vom staatlichenSektorerbrachtwerden(Schneider/Janning2006:17). Über die genannten Fragestellungen und die Orientierung an „Inhalten“ zeigt sich der empirische, an der politischen Wirklichkeit ausgerichtete Anspruch der Politikfeldanalyse. Doch sie will beides – wissenschaftlicher und politischer sein als traditionelle Politikwissen schaft (Alemann/Kißler 1991: 5). Ihre Aussagen über die politische Wirklichkeit möchte die Politikfeldanalyse theoriegeleitet gewinnen undErkenntnisgewinnefürdiewissenschaftlicheTheoriebildungerzie len.GleichzeitigmöchtesieempirischeErkenntnisgewinneleisten,die von konkretem Nutzen für die politische Praxis sind. Die Policy Forschung verortet Theorie und Praxis nicht als Dualismen, sondern sucht gerade, hier aufgebrochene Gegensätze zu überwinden und konkretenNutzenfürWissenschaftundpraktischePolitikabzuwerfen. LetztereszeigtsichandenvielfältigausgeübtenBeratungstätigkeiten der PolicyForschung insbesondere in ihrem Heimatland, den USA. Angesichts ihrer praxisorientierten Ausrichtung ist die PolicyFor schung auch als „Betriebswirtschaftslehre“ der Politikwissenschaften bezeichnetworden(Schubert1991).GeradediesisthäufigzumKritik punktanderPolicyForschunggeworden,wieimVerlaufdesKapitels nochdeutlichwird. ImFolgendenwerdendieUrsprüngeunddietheoretischeVeran kerungderPolicyForschungskizziert.DadiePolitikfeldanalyseinden USAihrenUrsprungnahm,erstrelativspät(seitMitteder1980erJah re) in Deutschland Fuß fasste und überdies hierzulande – wie auch allgemein in Europa – andere Entwicklungslinien und Schwerpunkte aufweist als in den Vereinigten Staaten, sollen anschließend die Ent wicklungeninbeidenLändereinzelnnachgezeichnetwerden. 2.1 UrsprüngeundtheoretischeVerankerung Wenn die Politikfeldanalyse wie eben erwähnt den Anspruch erhebt, sowohlwissenschaftlicheralsauchpolitischerzuseinalstraditionelle Politikwissenschaft,soistdieszumindestdemAlltagsverständnisnach nicht frei von Widersprüchen. Gemeinhin werden dem Versuch, zu gleich wissenschaftlichtheoretisch als auch politischpraktisch orien tiertzusein,gewisseSchwierigkeitenbeigemessen.Nunwillaberdie PolicyForschung sowohl Wissenschaft sein, als auch Problemlösung,
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d.h.explizitnormativeVorgabenfüreine„besserePolitik“treffenund derpolitischenPraxisberatendzurSeitestehen.IhrLeitbildistalsodas einer „Wissenschaft von der Politik für die Politik“. Dieser scheinbare GegensatzistnurvordemideengeschichtlichenHintergrundderPoli tikfeldanalyseauflösbar.DahersollenimFolgendendieinDeutschland wenig erforschten theoretischen Ursprünge der PolicyForschung aufgezeigtwerden(vgl.imFolgendenauchSchubert2009). DieideengeschichtlicheVerwurzelungderPolicyForschungistim Pragmatismuszuverorten,derumdieWendezum20.Jahrhundertin denUSAentwickeltwurde.Bisindie1940erJahrehattediesephiloso phische Strömung insbesondere durch die „Chicago School of Pragmatism“hoheBedeutunginne.ZudenBegründerndesneuzeitli chen Pragmatismus zählen Vertreter verschiedenster Wissenschafts disziplinen: Insbesondere sind hier der Psychologe und Philosoph William James, der Wissenschaftstheoretiker Charles Sanders Peirce sowiederPädagogeundPhilosophJohnDeweyzunennen.DerNeo Pragmatismus wird mit Wissenschaftlern wie Richard Rorty sowie Hilary und Ruth Anna Putnam verbunden, jüngst auch u.a. mit Cheryl Misak. Zwischen der umgangssprachlichen und der philosophisch politischenBedeutungdesBegriffsPragmatismusgibtesdocherheb liche Unterschiede. Im Alltagsgebrauch wird unter Pragmatismus ein praktisches, unkompliziertes Handeln verstanden, das unmittelbare Lösungenanstrebt,aberfreivongroßenAmbitionenundhehrenIdea lenbleibt.„Pragmatisch“wirdinsofernauchoftmit„durchwursteln“ gleichgesetzt. Pragmatismus als philosophische Strömung orientiert sichdagegenandenFolgenmenschlichenHandelns.ImZentrumdie ses Weltbildes stehen also nicht nur oder zumindest nicht in erster Linie normative Fragen, sondern rücken – vorurteilsfrei – die prakti schen, inhaltlichen Folgen menschlichen und dementsprechend auch politischen Handelns in den Mittelpunkt. In einem nächsten Schritt werdendanndieseWirkungenundKonsequenzenbewertet.Zueiner Bewertung kommt es aber durchaus, indem bspw. gefragt wird, ob eine bestimmte politische Maßnahme richtig und angemessen bzw. förderlichundgerechtist.
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Infokasten21:Pragmatismus Pragmatismus ist eine philosophische Strömung, die die lebens praktischeBedeutungdesPhilosophierens(Nachdenkens,Reflek tierens)indenMittelpunktstelltunddanachfragt,welchenNut zen unterschiedliche Handlungen, Ideen, Wertungen etc. bewir ken.AusSichtdesPragmatismusistdieTrennungzwischeneiner (niederen)körperlichrealenWeltundeiner(höheren,dahinterlie genden)geistigabstraktenWeltfalsch.Vielmehrmüssendiegeis tigen Fähigkeiten des Menschen als zusätzliche Möglichkeit der Erfassung und (nutzbringenden) Gestaltung der Welt verstanden werden,d.h.dasintellektuelleSchaffenmussimmerwiederindie tatsächlicheWeltgeführtwerdenundsichdort(alspraktischund nützlich) bewähren. Ausgangspunkt des Pragmatismus ist eine pluralistische Welt mit offener (nichtdeterminierter) Zukunft für alle Individuen. Vielfalt und Offenheit lassen die Möglichkeit zur (politischen) Gestaltung und (nützlichen) Verbesserung der menschlichen Existenz zu, erfordern allerdings auch persönliche Verantwortungsbereitschaftund(immerwiederneue)Ordnungs leistungen(z.B.hinsichtlichdespolitischenZusammenlebensvon Menschen). Quelle:Schubert/Klein2006
Einen weiteren ideengeschichtlichen Ursprung hat die Policy Forschung im Pluralismus. Den Begriff führte der Brite Harold Laski (1917) in die politikwissenschaftliche Disziplin ein, nachdem er sich während eines USAAufenthalts mit dem Denken William James’ aus einandergesetzt hatte. Der Pluralismus sieht die Wirklichkeit als un übersehbare Vielfalt von Dingen, Eigenschaften und Erfahrungen. Diese Komplexität und Offenheit wird jedoch positiv bewertet, denn siebietetdieGrundlagedafür,dassdieWeltgestaltbar,veränderungs und verbesserungsfähig ist. Damit rücken das Individuum und sein Handeln in der Welt in den Mittelpunkt. Gesellschaftliche und politi scheArrangementshabensichvordemIndividuumzubewährenund dasIndividuumwirktanderenGestaltungundVerbesserungmit.We genihrerFixierungaufstaatlichesHandelnbzw.dieFrage,wasRegie rungentunundwarumsieestun,istderPolicyForschunghäufigeine starke TopDownOrientierung attestiert worden. Über ihr pluralisti
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sches Weltbild nimmt die PolicyAnalyse aber vielfach auch eine BottomupPerspektiveein. Infokasten22:BottomupundTopdownPerspektive BottomupbezeichneteinePerspektivevonUntennachOben.Po litische Zusammenhänge werden aus einer teilnehmenden, mit individuellenoderkollektivenpolitischenInteressenverbundenen Akteursperspektivebetrachtet.AucheinevonderpolitischenBa sis ausgehende Wirkung (z.B. eine „Graswurzelbewegung“) wird mitdemAdjektivbottomupgekennzeichnet. TopdownbezeichneteinePerspektivevonObennachUnten.Po litische Zusammenhänge werden aus einer hervorgehobenen bzw. übergeordneten (Macht)Position (z.B. von Regierungen) oder einer Position distanzierter (z.B. wissenschaftlicher) Be obachtung betrachtet. Wenn politische Prozesse von höherer, zentraler Stelle aus geplant, veranlasst und koordiniert werden, werdendiesemittopdownbeschrieben. WienundasIndividuuminderWeltpragmatischhandelt,entwickelte GeorgeHerbertMead(1983)inseinenArbeitenzur Intersubjektivität. Hiernach liegt der Ursprung des Individuums in der Gesellschaft und sein individuelles Handeln ist somit stets an das Soziale gebunden. Soziales Handeln sieht Mead als grundsätzlich nützlicher und vorteil hafter gegenüber rein rationalistischem Handeln. Denn soziales Han delnmusssicherstinderGesellschaftundinkollektivenProzessender Entscheidungsfindungdurchsetzen.HierdurchberuhtsozialesHandeln nichtnuraufbreitererErfahrungalsreinrationalistischesHandeln.Es steigen auch seine Chancen auf Realisierung. Als beispielhaft hierfür sieht Mead das moderne, wissenschaftliche Problemlösen an. Denn dieses beruht auf wissenschaftlichem Diskurs und Auseinanderset zung. Durch Einhaltung der wissenschaftlichen Gütekriterien ist es außerdem intersubjektiv, also transparent und für andere nachvoll ziehbar. KonkretteiltMeaddasinstrumentelleHandelnvonIndividuenin einen Prozess von fünf Stufen ein. Interessanterweise weist dieses ProzessmodellMeadseinenichtzuübersehendeÄhnlichkeitmitdem
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später für die Politikfeldanalyse entwickelten PolicyCycle auf (vgl. Kapitel 5). Als besonders entscheidend muss in dem im folgenden Infokasten beschriebenen Prozessmodell die Stufe der „Rückkopp lung“ gelten. Denn hier werden die Wahrnehmungen und Überzeu gungen des Individuums und sein entsprechendes Handeln mit der Realität abgeglichen. Gegebenenfalls wird daraufhin die Handlung an diekonkretenBedingungenderSituationangepasstundkorrigiert.In Meads Prozessmodell bleibt also das Denken und Handeln offen und beweglich für Neuerungen und innovative Lösungen (vgl. Schubert 2009).ImPolicyCycleentsprichtdiesderPhasederEvaluation,inder die Wirkungen politischer Programme mitden ursprünglichen Zielset zungenabgeglichenwerdenundesdaraufhinebenfallszuKorrekturen kommenkann. Infokasten23:
Stufen instrumentellen Handelns nach Mead (1983:14ff)
1.Handlungsimpuls: NotwendigkeitdesHandelnswirderkannt 2.AktiveWahrnehmung: AlternativeReaktionsmöglichkeitenwerden entwickeltundeinedavonausgewählt 3.Manipulation: KonkreterKontaktmitderRealität 4.Rückkopplung: Realitätskontakt wird mit der eigenen Wahr nehmungabgeglichenundHandlungggf.korri giert 5.Vollendung: Handlungwirdabgeschlossen
Abschließend ist festzuhalten, dass Pragmatismus wie auch Pluralis musderstarkeuropäischgeprägtenWissenschaftstradition,dieTheo rie und Praxis üblicherweise in ein dualistisches Gegeneinander setzt, recht fremd ist. Denn Wissenschaft muss sich im pragmatistischen SinnestetsanderWirklichkeitorientierenundimpluralistischenSinne an deren Gestaltung und Verbesserung mitwirken. Dieser Umstand konnte nicht nur der stärker praxis und beratungsorientierten Aus richtungderPolicyForschungindenUSAdenWegbereiten(undkann so zum Teil auch die verspätete Etablierung der Disziplin in Deutsch land erklären). Er bringt auch Folgen für das zugrunde gelegte Theo rieverständnismitsich.TheoretischeAnsätzemüssenindiesemSinne immereineMittlerrollezwischenTheorieundEmpirie,bzw.zwischen einerabgeleitetenWirklichkeitundeinerrealgemessenenWirklichkeit,
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einnehmen. Studierenden der Politikwissenschaft mögen die mit der Austarierung von Theorie und Empirie verbundenen Probleme nicht ganz fremd sein. Mitunter werden in Vorbereitung von Studien oder ExamensarbeitenBefürchtungenlaut:„Undwiepasstdiesepolitische EntwicklungjetztzumeinerTheorie?“AndieserStellesolltendieWor teWilliamJames’inErinnerunggerufenwerden:Theoriensindnichts anderesalsInstrumente,diesichinderWirklichkeitbewährenmüssen (James 1908). Es sind also keineswegs die politischen Entwicklungen, die nicht zur Theorie passen. Vielmehr reichen oft die zur Verfügung stehenden Theorien nicht zum Erfassen, Erklären und zur Gestaltung der Wirklichkeit – liefern also möglicherweise nicht das angemessen brauchbareInstrumentarium.DasZielderPolitikfeldanalyseistes,den unfruchtbaren Dualismus zwischen Theorie und Praxis durch eine Wirklichkeitsorientierungzuüberwinden. 2.2 EntwicklungslinienindenUSAundinDeutschland EntwicklungslinienderPolitikfeldanalyseindenUSA Als Wegbereiter der modernen PolicyForschung gelten Harold Lasswell und Daniel Lerner mit der Herausgabe ihres Buches „The Policy Sciences“ (1951). Die beiden Autoren vertreten darin den An spruch,dieRationalitätvonProblemlösungeninderPolitikzusteigern. Hierfür müsse die PolicyForschung einer bestimmten Programmatik folgen,indemsie(1)inhaltlichorientiertundmultidisziplinär,(2)prob lemlösungsorientiertund(3)explizitnormativorientiertzuseinhabe. Die inhaltliche Orientierung (1) der Politikfeldanalyse mit ihrem Fokus auf der PolicyDimension von Politik ist bereits angesprochen worden. Zwar wird mitunter eingewandt, dass die interdisziplinäre AusrichtungiminstitutionellenSinneaufgrundderstarkenZerklüftung der sozialwissenschaftlichen Landschaft weitgehend eine Vision ge blieben ist (Schneider/Janning 2006: 19). Allerdings muss diese Wer tung dahingehend ergänzt werden, dass in Lasswells Sinne nicht die Politikfeldanalyse selbst multidisziplinär entwickelt, sondern – mögli cherweise mit ihrer Hilfe – die Problemdiagnosen und die Problemlö sungenmultidisziplinärerstelltwerden.DennochweistdiePolitikfeld analyse selbst auch multidisziplinäre Bezüge auf, indem sie bspw. ErkenntnisseausanderenDisziplinenwiedenWirtschaftswissenschaf ten,derSoziologieoderdenRechtswissenschaftenaufgreiftundsiein
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ihremSinnenutzbarmacht.EinprominentesBeispielhierfüristderaus derIndividualpsychologiestammendeAnsatzdespolitischenLernens, deranspätererStelle(Kap.6.2)nochausführlichbehandeltwird. Die Problemlösungsorientierung (2) und die normative Ausrich tung (3) der PolicyForschung haben stark zu ihrem Aufschwung als wissenschaftliche Disziplin beigetragen. Allerdings hat sich die Policy Forschung in den USA diesbezüglich von Beginn an in zwei Stränge unterteilt, zwischen denen bis heute nur wenige Berührungspunkte existieren (vgl. Janning/Toens 2008). Adrienne WindhoffHéritier (1987: 12) spricht für die 1950er und 1960er Jahre von einer synopti schen und einer neopluralistischen Richtung der amerikanischen PolicyForschung. Im folgenden Kapitel werden die auch methodisch unterschiedlichenZugängedieserbeidenSträngediskutiert.Andieser Stelle sei jedoch bereits gesagt, dass der eine Strang der (synopti schen) Politikfeldanalyse eher anwendungsorientiert Gefahr läuft, in eine „theorielose Auftragsforschung“ (Wiedemann/Münch 2003) abzugleiten. Andererseits ist der andere Strang der (neopluralis tischen) PolicyForschung in seiner wissenschaftlichakademischen Ausrichtung weitaus weniger einer politischen Beratungstätigkeit verschrieben,alsessichderBegründerLasswellwohlerwünschthät te. Dafür hat sich jedoch die wissenschaftliche PolicyForschung nach Janning/Toens (2008: 7) von den Handlungsperspektiven politischer Akteureemanzipiert. Beim Aufbau der amerikanischen Wohlfahrtsprogramme unter Präsident Lyndon B. Johnson in den 1960er Jahren (War on Poverty), konntesichdiejungeDisziplinerstmalsinihremAnsprucheinerpoliti schen Beratungstätigkeit unter Beweis stellen. Im Zuge dieser prakti schen Anwendung stieß die PolicyForschung auf Probleme bei der UmsetzungundImplementierungvonpolitischenProgrammen.Zuvor war auch in der PolicyForschung häufig eine gewisse Staatszentrie rung vorherrschend gewesen und politische Prozesse vor allem aus einer TopdownPerspektive betrachtet worden. Durch die aufkom mendeImplementierungsforschungverändertesichdieseAnalyseper spektive: Der Staat wurde vom alleinigen zu nur noch einem der am Implementationsprozess beteiligten Akteure zurückgestuft und es wurde argumentiert, dass auch andere gesellschaftliche Gruppen bei der Umsetzung von Politiken eine wesentliche Rolle einnehmen (Jan ning/Toens2008:8).
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Vor diesem Hintergrund gelang der amerikanischen Policy Forschung in den 1970er Jahren ein theoretischkonzeptioneller Sprung, der vor allem in der Entwicklung zweier Modelle begründet lag (Schneider/Janning 2006: 20): Der Wiederaufnahme von David EastonsSystemmodell(1965)durchThomasDye(1972)einerseitsund der Entwicklung des PolicyArenenModells durch Theodore J. Lowi (1972)andererseits. AuchwennEastonsSystemmodelldenAblaufpolitischerProzes se stark vereinfacht betrachtet, stellt es bis heute einen wichtigen Bezugspunkt politikwissenschaftlicher und politikfeldanalytischer Forschung dar. Easton sieht politische Prozesse im Wesentlichen zwi schenvierBezugsgrößenverortet:Umwelt,politischesSystem,Inputs und Outputs. Aus der Umwelt werden Forderungen und Interessen, aberauchUnterstützungandaspolitischeSystemherangetragen.Dies ist der Input, der dann im politischen System zu Entscheidungen und Handlungen verarbeitet wird. Im Anschluss werden diese Entschei dungenwiederalsOutput(z.B.politischeMaßnahmenwieeineSteu ersenkung)andieUmweltherausgegeben.DurchdieReaktionendes Umfelds auf diese politischen Entscheidungen schließt sich der Kreis hinzumerneutenInput.WieallerdingsdieInputsdurchdaspolitische System verarbeitet werden, bleibt in dem vereinfachenden System modell Eastons offen. Das Element des politischen Systems ist daher auchhäufigalsblackbox–alsschwarzerundundurchsichtigerKasten –bezeichnetworden. Schaubild21:SystemmodellnachEaston Forderungen Inputs
Unterstützung
PolitischesSystem
Handlungen Outputs Entscheidungen
Umwelt
Quelle:Easton1965
Nun fragt aberdie Politikfeldanalyse nicht nur danach, waspolitische Akteuretun(Output),sondernwarumsieestun.Zielmussesdemnach sein, die Vorgänge im politischen System zu verstehen und somitaus dem schwarzen einen durchsichtigen, oder zumindest einen grauen
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Kasten zu machen (Bunge 1996: 110113). Licht in den Schatten der blackboxbrachtespäterderPolicyCycle,daswohlbisheutebekann teste politikfeldanalytische Modell. Diese Phasenheuristik der Politik gestaltung wird an späterer Stelle ausführlicher behandelt (Kap. 5). Vorerst kam jedoch Thomas Dye (1972) über die Aufnahme von Eastons Systemmodell zu dem Schluss, dass die bisherige Forschung zu stark auf Prozesse innerhalb des politischen Systems rekurriert hatte, um politische Entscheidungen wirklich verstehen zu können (vgl. Schneider/Janning 2006: 22). Daher müsse die PolicyForschung nun ganz neue Fragen stellen, bspw. wie die Inputs der Umwelt das politische System beeinflussen oder wie sich die Eigenschaften des politischen Systems auf den Output auswirken. Easton hat also mit seinem Systemmodell zu einer wesentlichen Neuerung in der Politik wissenschaft beigetragen, dass nämlich politische Entscheidungen nicht mehr allein dem politischen System zugeschrieben, sondern als von gesellschaftlichen Forderungen und Unterstützung abhängiges Ergebnisbetrachtetwerden. Bereits im gleichen Jahr, in dem Dye das Systemmodell Eastons aufgriff und hierüber zu einer Neuorientierung der Politikfeldanalyse führte, entwickelte Theodore Lowi mit seinem PolicyArenenModell wichtigeHinweiseaufdieFrage,wodurchdieProzesseimpolitischen Systemgeprägtwerden.LowistellteeinegeradezuradikaleTheseauf: Policies determine politics (Lowi 1972: 299), also der Politikinhalt be stimmtdenPolitikprozess.RadikalwardieseAnnahmedeshalb,weil– wie weiter oben formuliert wurde – materielle politische Inhalte sich erst durch Willensbildungs und Entscheidungsprozesse herausbilden. Dieser Tatsache war sich Lowi bewusst, aber er fügte dieser traditio nellen Sichtweise den Aspekt hinzu, dass gleichzeitig politische Pro zesseauchdurchEigenschaftendesbehandeltenpolitischenProblems geprägtwerden.DieMerkmaleeinerPolicybestimmenalsodieMerk male einer politischen Arena, innerhalb derer sich politischeProzesse vollziehen. Die wichtigste Unterscheidungslinie verläuft hierbei zwi schen distributiver, also verteilender Politik, und redistributiver, also umverteilenderPolitik(z.B.Sozialhilfe).ArenenvonUmverteilungspo litiken sind in sehr viel stärkerem Maße durch Konflikte gekennzeich net. Es handelt sich hier i.d.R. um „Nullsummenspiele“ mit klar zuzu ordnenden Gewinnern auf der einen und Verlierern auf der anderen Seite. Bei distributiven Politikarenen hingegen werden Leistungen allgemein zugänglich bereitgestellt. Wie dann Kosten und Nutzen
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dieser Leistungen (z.B. Steuererleichterungen, Patente) verteilt sind, bleibtjedochrelativundurchsichtig,sodassdieArenasehrvielstärker durch Konsens geprägt ist (vgl. Heinelt 2009: 116). Somit prägen also tatsächlich policies – d.h. der Charakter politischer Probleme oder die Merkmale eines Politikfeldes – die daraufhin ablaufenden politischen Prozesse, politics. Die für distributive Politiken genannten Beispiele (Steuererleichterungen,Patentvergabe)zeigenjedoch,dasssichdiese schwerlich in Reinform auffinden lassen, also immer auch redistributive Elemente beinhalten und es letztlich „von der Wahr nehmung der Kosten und des Nutzens durch die beteiligten gesell schaftlichenGruppen“(Kevenhörster2008:328)abhängt,obeinPro grammalsdistributivoderredistributivwahrgenommenwird. WährenddiebeidenbeschriebenenModelleauchindiedeutsche Politikfeldanalyse Eingang gefunden haben, entwickelten sich in den USAauchspezifischeAnsätze,diehierzulandekaumrezipiertworden sind.Dazugehörtbspw.derinfolgevonDouglassCater(1964)entwi ckelteAnsatzvonsubgovernments,indenen„Fachbürokraten,Lobby isten und Abgeordnete des Kongresses abgeschirmt von der Öffent lichkeit politische Entscheidungen und regionale Unterstützungsleis tungenaushandeln“(Schneider/Janning2006:25).HughHeclo(1978) vertratmitseinenissuenetworkseinenähnlichenAnsatz,derebenfalls davonausgeht,dassPolitikerundBeamteverstärktdieZusammenar beit mit Interessengruppen außerhalb des parlamentarischen Rah menssuchen.TeilsliegtesanihrerstarkenZugeschnittenheitaufdas politische System der USA, dass diese Ansätze in Deutschland kaum Popularitätentwickelnkonnten.TeilsbrauchtesaberauchdieInitiati ve interessierter deutscher Wissenschaftler, Ansätze aus anderen Ländern zu transferieren. So hat bspw. die stärkere Rezeption des in denUSAäußerstpopulärenMultipleStreamsAnsatzes(vgl.Kap.5.2)in Deutschlandgeradebegonnen(insbesondereRüb2009). EntwicklungslinienderPolitikfeldanalyseinDeutschland In der deutschen Wissenschaftslandschaft wurde die Politikfeldanaly se,dieseitden1960erJahrenindenUSAeinenimmensenAufschwung verzeichnete, zunächst skeptisch betrachtet. Dies ist einerseits da durch zu erklären, dass die PolicyForschung aufgrund ihrer pragmatistischenWurzelnalszuwenignormativkritisiertwurde(Jan ning/Toens2008:7).Siefragtebennichtnurdanach,wasRegierungen tun sollten, sondern danach, was sie tatsächlich tun. Während also
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ältereVertreterderPolitikwissenschaftnochinden1970erJahreneine zu wenig normative Ausrichtung der Politikfeldanalyse kritisierten, schiensiejüngeren,marxistischausgerichtetenPolitikwissenschaftlern zu wenig herrschaftskritisch (Janning/Toens 2008: 7) und paradoxer weise hierdurch zu stark normativ orientiert zu sein – allerdings in einem anderen Sinne. Denn gerade die explizit normative – im Sinne von Politik beratende – Ausrichtung wurde oft dahingehend missver standen, dass die PolicyForschung in ein reines Dienstleistungs oder garAbhängigkeitsverhältniszurPolitikabgleitenwürde. Dies erklärt, warum die Akzeptanz und Verbreitung der Politik feldanalyseinDeutschlanderstzueinemrechtspätenZeitpunkt,etwa abMitteder1980erJahrebegann.Allerdingsgabesdurchaushistori sche Vorläufer der PolicyForschung. Schon begrifflich zeigen sich deutliche Parallelen zwischen der heutigen PolicyForschung und der deutschenPoliceyWissenschaftdes17.und18.Jahrhunderts.Dernicht mit dem heutigen Wort Polizei zu verwechselnde PoliceyBegriff be zeichnete damals „innenpolitische staatliche Aktivitäten zum Zwecke der Sicherstellung allgemeiner Wohlfahrt“ (Schmidt 1997: 570). Die PoliceyWissenschaft war zugleich Gesetzgebungslehre, Regierungs lehre und „Lehre von der inneren Staatsgestaltung zum Zweck des ‚guten Lebens’“ (Jann 1989: 37). Auch inhaltlich orientierte sich die PoliceyWissenschaft also an einzelnen Bereichen von Staatstätigkeit (z.B. Rechtspolitik, Wirtschaftsförderung, Bildungspolitik) und somit letztlich an Politikfeldern. An dieser politikfeldorientierten Tradition anzuknüpfen,warderfrühenPolitikfeldanalyseinDeutschlandgleich wohl schwer möglich. Denn im wilhelminischen Zeitalterdes19. Jahr hunderts war die inhaltliche Dimension bei der Betrachtung von Poli tikprozessenweitgehendverlorengegangen(Schmidt1997:571). Folglich orientierte sich die junge Disziplin Politikfeldanalyse an denamerikanischenVorbildern.Gleichzeitigweistsieabersehrunter schiedliche Entwicklungslinien auf und bildete andere Schwerpunkte heraus als in ihrem Ursprungsland. Vor allem die Beratungsorientie rungderPolicyForschungistinDeutschlandsehrvielschwächeraus geprägtalsindenUSA.Dasbedeutetallerdingsnicht,siewürdenicht existieren. Die wichtigsten Auftraggeber für Politikberatung und Auf tragsforschung sind Regierung, Parlament und Lobbygruppen (vgl. Wiedemann/Münch 2003). Auch die erste Adaption der amerikani schenPolicyForschungfandzuBeginnder1970erJahrenichtinForm wissenschaftlicher Rezeption, sondern in Form politischer Beratungs
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tätigkeit statt. Wie auch zuvor in den Vereinigten Staaten wurde die junge Disziplin zur Unterstützung und Beratung bei politischen Re formprogrammenherangezogen.Endeder1960erbisMitteder1970er Jahre adaptierten eine Reihe sozialwissenschaftlicher Planungsfor scherdieMethodenderPolicyForschungzurUnterstützungsoziallibe ralerReformmaßnahmen(z.B.Böhret1970;Mayntz/Scharpf1973).Wie zuvorindenUSA,entstandenauchhierzulandesoImplementierungs und Evaluationsforschung infolge der Schwierigkeiten, die bei der Umsetzung politischer Entscheidungen beobachtet wurden. Als der Reformeifer der sozialliberalen Regierung nach der Ölkrise Mitte der 1970er Jahre ein jähes Ende fand, hatte die PolicyAnalyse als Instru ment für administrative Reformkonzepte auch bereits wieder ausge dient:VomMainstreamderPolitikwissenschaftwarsiebisdahinohne hinkaumrezipiertworden(Janning/Toens2008:7).Diewissenschaftli cheRezeptionsetzteerstseitMitteder1980erJahreverstärktein. Nach Manfred G. Schmidt (1987: 185200) lässt sich die Entwick lung der PolicyForschung in drei Phasen unterteilen. Die erste Phase sah sich in den 1960er Jahren durch die Frage geprägt: Does Politics matter? Diese unkonventionelle Frage musste für die Politikwissen schaftalsProvokationgelten.SchließlichwirdhierdurchimKernange zweifelt,obpolitischeFaktoren,ProzesseundInstitutionenüberhaupt einenEinflussaufdiePolitikentwicklunghaben,oderobnichtvielmehr die vorgegebenen sozioökonomischen Bestimmungsfaktoren die politischen Entwicklungen bestimmen. Aus heutiger Sicht mag ver wundern,dassdieFrage,obPolitikalsoüberhaupteineRollespiele,in den1960erJahrentatsächlichvielfachmitNeinbeantwortetwurde– unteranderemauch(tendenziell)vonDye(vgl.Schubert1991:24).In den folgenden Infokästen werden die jeweiligen Phasen der Policy Forschung anhand der Faktoren verdeutlicht, die sie für die wohl fahrtsstaatlicheEntwicklungeinesLandesalsursächlichsehen. Phase1:UrsachenwohlfahrtsstaatlicherEntwicklung VertreterderThese,Politikspielegegenübersozioökonomischen Bedingungen keine oder bestenfalls eine sehr nachrangige Rolle, sehen wohlfahrtsstaatliche Entwicklungen in erster Linie durch ökonomischeunddemografischeFaktorenbestimmt.Sieorientie rensichanderunterschiedlichenHöhederSozialausgabeninver schiedenen Ländern und erklären diese durch die unterschiedli chen wirtschaftlichen Entwicklungsstände und die damit in Ver
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bindung stehenden Altersstrukturen der Gesellschaften (z.B. Wilensky 1975). Mit fortschreitendem Entwicklungsstand eines Landes, so Wilensky, steigen auch seine wohlfahrtsstaatlichen Ausgaben. Die erste Phase der PolicyForschung vertrat also einen strukturalisti schen Ansatz, in dem Akteure kaum Bedeutung erfahren (vgl. Faust/Lauth 2006: 292). Die erzielten empirischen Ergebnisse blieben vor allem auf nationale Studien beschränkt. In der zweiten Phase brachtenjedochdienunvermehrtaufinternationaleVergleicheange legten Untersuchungen die harte These von bedeutungsloser Politik ins Wanken. Die zweite Phase sieht sich daher gegenüber der ersten durchdieGegenthesegeprägt:Politicsmatters!DiezweitePhasever trat akteurstheoretische Ansätze und untersuchte insbesondere im Rahmender„Parteiendifferenzthese“,welchenUnterschiedesfürdie Politikinhaltemacht,obsozialdemokratische,konservativeoderande reParteiendieRegierungstellen. Phase2:UrsachenwohlfahrtsstaatlicherEntwicklung Vertreter der These politischer Gestaltungsfähigkeit sehen die wohlfahrtsstaatliche Entwicklung in erster Linie durch Entschei dungenderpolitischenAkteurebestimmt.Sofandbspw.Manfred G. Schmidt (1982) in einem internationalen Wohlfahrtsstaatsver gleich heraus, dass keineswegs nur sozioökonomische Bedingun gen die Politikentwicklung beeinflussen, sondern es einen Unter schied macht, ob sozialdemokratische oder bürgerliche Parteien die Regierung stellen. Die Farbe der Regierung wird hier, neben anderen Faktoren, z.B. zur Erklärung unterschiedlicher Arbeitslo senquoten und unterschiedlicher Erfolge bei der Inflationsbe kämpfungherangezogen. DiedrittePhasederPolicyForschungstanddannfolgerichtigunterder Leitfrage:„WieundinwelchemAusmaßbestimmenpolityundpolitics die policy?“ Nach wie vor steht zwar die inhaltliche Dimension der PolitikimVordergrundvonAnalysen.Eshatsichabergezeigt,dassvor allementscheidendist,wiedasZusammenspielderdreiPolitikdimen sionenausgestaltetistundfunktioniert.DennwennauchdieEntschei dungen politischer Akteure hohen Einfluss auf die Politikentwicklung haben, sehen sich diese doch stets bestimmten strukturellen und
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institutionellen Zwängen ausgesetzt. So scheitert bspw. regelmäßig ein bestimmtes Sozialprogramm nichtam fehlenden Willen der politi schenEntscheidungsträger,sondernschlichtwegandenstrukturellen Finanzknappheiten. Die drittePhase vertritt daher einen institutionel lenAnsatz,derstrukturalistischeundakteurstheoretischeKomponen tenintegriert(Faust/Lauth2006:293). Phase3:UrsachenwohlfahrtsstaatlicherEntwicklung Vertreter der dritten Phase der PolicyForschung sehen die Ent wicklung von Wohlfahrtsstaaten prinzipiell durch verschiedene Ursachen bestimmt (z.B. institutionelle Arrangements, sozioöko nomischeBedingungen,Regierungsparteien).Bspw.argumentiert EspingAndersen (1990), die Wohlfahrtsstaaten seien früh durch sozioökonomische Bedingungen und Akteurskonstellationen auf bestimmte institutionelle Arrangements festgelegt worden (sozi aldemokratisch,konservativ,liberal),dieseitherihreweitereEnt wicklungentscheidendbestimmen.SogehenmancheWohlfahrts forscher davon aus, dass die Länder auch heute noch entspre chend ihrer jeweiligen Regimezugehörigkeit vor spezifischen ProblemenstehenundzuspezifischenLösungsmusterngelangen (z.B.Pierson2001). InjüngsterZeithatsichdiePolicyForschungverstärkteinerallgemei nen Perspektive auf die Regelung und Steuerung von Gesellschaften zugewandt (Schneider/Janning 2006: 32). Politische Steuerung kann als „der Versuch politischer Akteure aufgefasst werden, in Politikfel dern die gesellschaftliche Entwicklung gemäß konkretisierter Zielvor gaben zu beeinflussen“ (Faust/Lauth 2006: 301302). Im Rahmen der sogenannten GovernanceDebatte (vgl. z.B. Benz 2004) haben sich Fragen nach den Regulierungsmöglichkeiten und nach der Rolle des Nationalstaates in Zeiten von Europäisierung und Globalisierung ent wickelt. Auch tragen Europäisierung und Globalisierung dazu bei, dass sichdiePolitikfeldanalysenichtlängeraufdieEbenedesNationalstaa tes bzw. des Vergleichs von Nationalstaaten beschränken kann: „Die fortschreitende Integration der Europäischen Union seit dem Maast richtVertrag und die Vielzahl internationaler Vereinbarungen und VerpflichtungenzwingenzurAbkehrvoneineraufdienationalstaatli che Ebene beschränkten Politikfeldanalyse“ (Nullmeier/Wiesner 2003:
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319). Nachdem also in der zweiten Phase der PolicyForschung die Grenzen gegenüber der Akteursperspektive und in der dritten Phase gegenüber der institutionellen Perspektive geöffnet wurden, muss heute der Öffnung der Grenzen des Nationalstaates Rechnung getra genwerden(vgl.Faust/Lauth2006:312).EntsprechendhatdiePolicy Forschung neue theoretische Ansätze, wie bspw. den des Policy Transfers (vgl. Kap. 6.2) entwickelt, die der zunehmenden Verflech tung nationalstaatlicher Politikprozesse mit supranationalen und in ternationalen Entwicklungen und Institutionen Rechnung zu tragen suchen. Insofern befinden wir uns derzeit gewissermaßen in einer vierten Phase der PolicyForschung in Deutschland, die sich in erster LinievomÜbergangzur„Normaldisziplin“geprägtsieht. Inzwischen ist die Disziplin der Politikfeldanalyse nämlich nicht nur in der deutschen Hochschullehre fest verankert. Es hat sich auch eine vielfältige Forschungslandschaft herausgebildet, von denen hier einige Vertreter exemplarisch genannt werden sollen (vgl. Bandelow 2004). RenateMayntzundFritzW.ScharpfübernahmenbereitsAnfang der 1970er Jahre Methoden der amerikanischen PolicyForschung für die deutsche Planungsforschung. 1995 entwickelten sie mit dem „AkteurzentriertenInstitutionalismus“einenbisheutehäufigverwen deten analytischen Rahmen der Politikfeldanalyse (z.B. Mayntz/Scharpf 1995). Manfred G. Schmidt, der insbesondere durch seine Forschung zur Sozial und Wohlfahrtspolitik bekannt geworden ist,vertritteinenquantitativenAnsatz.SeinobenerwähnterVergleich von Wohlfahrtsstaaten etwa analysiert Aggregatdaten zu den Sozial ausgaben verschiedener Länder, für die dann wiederum für unter schiedliche Zeiträume eine sozialdemokratische oder bürgerliche Re gierungsbeteiligungüberprüftwird(z.B.Schmidt1982).VolkerSchnei derundFranzUrbanPappisindVertreterderquantitativenNetzwerk analyse (vgl. Kap. 4.1). Bei der Netzwerkanalyse handelt es sich um einenhandlungsbzw.steuerungstheoretischenAnsatz.Eswirddavon ausgegangen, dass (politische) Akteure innerhalb von Netzwerken agieren, die sich in ihrer Bestandsdauer, Größe und Stabilität unter scheiden (z.B. Schneider 2009; Pappi 1993). Hellmut Wollmann ist ein Vertreter der (international vergleichenden) Evaluations und Verwal tungsforschung. Wie oben bereits erwähnt, befasst sich diese For schungsrichtung mit der Wirksamkeit von (öffentlich finanzierten) Programmen, der allgemeinen Funktionsweise der Verwaltung und
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ihrer Modernisierung (z.B. Wollmann 2009). Frank Nullmeier oder ThomasSaretzkisindVertretervonsogenanntenideenbasiertenAna lysen.SeitBeginnder1990erJahrehabenentsprechendeAnsätzeeine so stark zunehmende Popularität innerhalb der Politikfeldanalyse erfahren,dassteilssogarvoneiner„kognitivenWende“dieRedeist. Auch wenn diese Wertung sicherlich überzogen ist (vgl. auch Bande low 2009), haben doch Analysen, die politische Ideen und Überzeu gungen als wichtige Bezugsgrößen zur Erklärung von politischen Ver änderungen begreifen, zunehmend an Bedeutung gewonnen. (z.B. Nullmeier/Rüb 1993; Saretzki 2009) Wir zählen uns zu den überwie gend qualitativ arbeitenden PolicyForschern und haben z.B. in dem Band „The Handbook of European Welfare Systems“ (Schu bert/Hegelich/Bazant 2009; dt. 2008) das gemeinhin als schwierig be werteteProjektunternommen,imRahmenqualitativerFallstudienmit einersehrhohenFallzahlzuarbeiten.IndemBandwerdendieWohl fahrtssysteme aller 27 Mitgliedsstaaten der EU auf der Basis einer gemeinsamenSystematik durch Experten ausden jeweiligenLändern untersuchtundanschließendvergleichendanalysiert. DiehiergenanntenVertreterstellennureinenkleinenAusschnitt derPolicyForschungslandschaftdarundweiterewerdenindieserEin führungnochvorgestellt.UnsgingesandieserStellejedochinerster Liniedarum,dieVielfaltderinnerhalbderPolicyForschungangewand ten qualitativen und quantitativen Methoden aufzuzeigen. Im folgen den Kapitel wird ein Überblick über diese Methoden gegeben und allgemeinderFragenachgegangen,wonachsichinderPolitikfeldana lyse die Wahl der zu verwendenden Theorie und Methodik entschei det.
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TheorienundMethoden
Im vorigen Kapitel wurden die Fragestellungen und das spezifische Erkenntnisinteresse der PolicyForschung behandelt: Im Mittelpunkt stehtimmerdiePolicy,sieistdieabhängigeVariable.ZuihrerErklärung werden die anderen beiden Politikdimensionen, Politics und Polity, herangezogen.DennzumeinensindmateriellePolitikinhalteErgebnis von Prozessen der Willensbildung, Entscheidung und Implementie rung. Und zum anderen bildenInstitutionen und Strukturen den Rah menfürpolitischeProzesseundErgebnisse. Infokasten31:AbhängigeundunabhängigeVariable DieabhängigeVariable(Wirkung)istdas,waserklärtwerdensoll. Die unabhängige Variable (Ursache) ist das, was von Außen zur Erklärung herangezogen wird. Um dies an einem einfachen Bei spiel zu verdeutlichen: Findet man eine nasse Straße vor (Wir kung),sokannvermutetwerden,dassesgeregnethatundRegen folglichdieunabhängigeVariableist.Diesmussjedochüberprüft werden, denn es ist auch möglich, dass eine andere, vielleicht noch unbekannte Ursache für die nasse Straße existiert; z.B. ein vorbeigefahrener Straßenreinigungswagen. Oder, um bei einem Beispiel aus der Politikwissenschaft zu bleiben, könnte der Wahl erfolg grüner Parteien (Wirkung) mit dem Vorhandensein post materialistischer Werteorientierungen in der Bevölkerung (Ursa che)erklärtwerden. DurchdieseFestlegungderabhängigenundderunabhängigenVariab len wird der Unterschied von politikfeldanalytischen Fragestellungen zu „klassisch“ politikwissenschaftlichen und „politischen“ Fragestel lungen deutlich. Die klassische politikwissenschaftliche Fragestellung orientiertesichander„richtigen“politischenOrdnung.Ihreabhängige VariableistalsodiePolity,dieVerfassung,dieStrukturen,Ordnungen undInstitutioneneinespolitischenSystems.AuspolitischerPerspekti
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S. Blum, K. Schubert, Politikfeldanalyse, DOI 10.1007/ 978-3-531-92097-9_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
veinteressierthingegeninersterLiniedieDimensionderPolitics.Hier werdenz.B.Fragendanachgestellt,welcheParteidieRegierungstellt oder wie Interessen in bestimmten Willensbildungs und Entschei dungsprozessen(z.B.Pressekampagnen,politischenProgrammenund Maßnahmen)durchgesetztwerdenkönnen. Das folgende Schaubild zeigt diese klassischen, politischen und poltitikfeldanalytischenFragestellungenmitihrenjeunterschiedlichen Erklärungsinteressen und ansätzen noch einmal in der Übersicht. Besonders wichtig ist hierbei, dass aus Sicht der Politikfeldanalyse politischeProzessealsgrundsätzlichgestaltundveränderbarbetrach tetwerden,wohingegenderstrukturelleRahmen(weitgehend)stabil und konstant bleibt. Wir sprechen im folgenden Schaubild bewusst nicht von abhängiger und unabhängiger Variable, sondern von zu erklärenden und zur Erklärung herangezogenen Politikdimensionen – nichtimmeristnämlichinderempirischenRealitätdasKausalverhält nis so eindeutig zuzuordnen. Außerdem können intervenierende Vari ablen als Filter oder Verstärkereffekt auf das Verhältnis der anderen beidenVariableneinwirken. Schaubild31:Klassische,politischeundpolitikfeldanalytischeFragen
Erklärtwerdensoll… ZurErklärungherangezogenwird… „Klassische“ Fragestellung
Polity
Politics
Polity
„Politische“ Fragestellung
Politics
Polity
Policy
Politikfeldanalyse
Policy
Polity
Politics
Quelle:modifiziertnachSchubert1991:27
MitderBegriffsklärungundVerortungderabhängigenundderunab hängigenVariablenwurdeersteinkleinerSchrittinRichtungTheorien derPolitikfeldanalysegetan.DerTheoriebildungnähernwiruns,indem die bisherige Begriffsbildung in Verbindung mit allgemeineren Theo rien diskutiert wird. Im vorangegangenen Kapitel sind bereits zwei theoretische Perspektiven der PolicyForschung angesprochen wor den: funktionalistische Ansätze auf der einen und handlungs bzw. steuerungstheoretische Ansätze auf der anderen Seite. Während bei den funktionalistischen Ansätzen der Strukturaspekt im Vordergrund
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steht(vgl.1.PhasederPolicyForschung),nehmenhandlungstheoreti sche Ansätze eine Akteursperspektive ein (vgl. 2. Phase der Policy Forschung).AllerdingssolltendiebeidenPerspektivennichtalsunver einbare Gegensätze betrachtet werden, sondern sich im Idealfall er gänzen(vgl.Wiedemann/Münch2003).DenninderRealitätwirdsich einePolicyimmerdurchbeidesgeprägtsehen:StrukturenundAkteu re. Ebenso giltes auchim weiteren Verlauf der Darstellung allgemein zu beachten, dass Theorien miteinander kombiniert werden und sich gegenseitigergänzenkönnen. InderPolicyForschungexistiereneineVielzahlvontheoretischen Ansätzen, Modellen und analytischen Rahmen. Diese häufig recht unvermittelt nebeneinander verwendeten Termini werden wir an späterer Stelle erläutern. Doch gerade aufgrund dieser Vielfalt ist der Politikfeldanalyse mitunter fehlende Theoriebildung vorgeworfen worden.DieKritikzieltdannnichtetwaindieRichtung,esexistierten nicht genügend theoretische Ansätze. Vielmehr wird die fehlende IntegrationdieserverschiedenenAnsätzezueinemeinheitlichenTheo riegebäude bemängelt (vgl. Wiedemann/Münch 2003). Im Folgenden werden die wichtigsten theoretischen Perspektiven und Ansätze der PolicyForschungvorgestellt.Vorabsollallerdingsgeklärtwerden,was eigentlich eine Theorie (in der Politikfeldanalyse) zu leisten hat und welche grundlegenden Analysekategorien mit der Theoriewahl ver knüpftsind. 3.1 TheorienderPolitikfeldanalyse Als Theorie bezeichnet man allgemein ein System von aufeinander bezogenen Aussagen. Dabei müssen Voraussetzungen und Randbe dingungen angegeben werden, unter denen diese Aussagen gelten sollen.UndschließlichsollenesTheorienermöglichen,Annahmenüber künftige Ereignisse und Veränderungen zu formulieren (von Beyme 1986:15).WissenschaftlerverfolgendurchdenGebrauchvonTheorien unterschiedlicheZiele.Unteranderemwollensieverstehen,beschrei ben, erklären, vorhersagen, vorschreiben, kritisieren, (Fragen) lösen und/oder überprüfen. Diese Tätigkeiten werden auch als Funktionen politischerTheorienbezeichnet(Schmitz/Schubert2006). InderPolicyForschungspielenTheoriennocheinmaleinespezi fischeRolle,diesichausderklarenPraxisorientierungergibt.Theoreti
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scheAnsätzeundPerspektivenwerdenbenötigt,umwissenschaftlich überdasausderpolitischenPraxisgewonneneWissenzureflektieren. DieTheoriewirdalsodazugenutzt,umausdem„praktischenWissen“ ein „abstraktes Wissen“ zu generieren (vgl. Schubert/Bandelow 2009a).DennerstabstraktesWissenermöglichtes,allgemeineAussa gentreffenzukönnen.Allerdingsunterscheidensichdietheoretischen ZugängenachihremAbstraktionsgrad,dersehrniedrigoderauchsehr hoch liegen kann. Es ist ein Merkmal der PolicyForschung, dass sie verstärkttheoretischeZugängemitniedrigembismittlerenAbstrakti onsgradwählt,dienäheranderpolitischenWirklichkeitliegen.Anhand des Abstraktionsgrades kann zwischen folgenden theoretischen Zu gängendifferenziertwerden:Konzepte,Modelle,analytischeRahmen undTheorien(vgl.Schubert/Bandelow2009a:712). In jeder wissenschaftlichen Arbeit müssen zunächst einmal die Konzeptegeklärtwerden,mitdenengearbeitetwerdensoll.Istetwa die Rede von einem „politischen Akteur“, so stellt dieser Begriff ein Konzept dar, das definiert werden muss. Wird hierbei ein enger Akteursbegriff (z.B. politische Entscheidungsträger) zugrunde gelegt, d.h. nur unmittelbar auf die an der politischen Entscheidung Beteilig tenfokussiert?OderwirdeinweiterAkteursbegriff(z.B.auchGewerk schafter)gewähltundauchdieAkteureimEinflussbereichbetrachtet? WerdennurindividuelleAkteureuntersucht(z.B.SigmarGabriel)oder auchkollektive(z.B.dieSPD)?DieseEingrenzungenundSpezifizierun gensindzumwissenschaftlichenArbeitennotwendig,abersiestellen noch keinen theoretischen Ansatz dar. Denn für letzteren ist kenn zeichnend,dassdieeinzelnenKonzepteundAussagenmiteinanderin Beziehunggesetztwerden(vgl.obigeDefinitionvonTheorie). Dieses in Bezug setzen von einzelnen Konzepten und Aussagen kann bereits mit einem niedrigen Abstraktionsgrad erfolgen, wie ihn ein theoretisches Modell beinhaltet. Modelle sind nie vollständig in sich geschlossen, sondern enthalten immer einen Bezug zur Empirie. Dadurch lassen sich aus Modellen sehr konkrete Aussagen über die Realitätableiten.EinprominentesBeispielfüreinsolchesModellstellt Scharpfs(1987)StudieüberdieunterschiedlichenErgebnissederWirt schaftspolitik Deutschlands, Österreichs, Schwedens und Großbritan niens in den 1970er Jahren dar. Sein Modell folgt den grundlegenden politikfeldanalytischen Fragestellungen: Es erklärt, warum bestimmte Akteure(Regierungen,Gewerkschaften,Zentralbanken)unterspezifi schen nationalen Bedingungen wirtschaftspolitische Entscheidungen
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getroffenhaben.UndeserlaubtweiterhinAussagendarüber,zuwel chen unterschiedlichen Ergebnissen (z.B. bezüglich Arbeitslosenquo ten, Inflationsentwicklung) diese politischen Entscheidungen geführt haben. Die Aussagen bleiben jedoch auf die konkreten Fälle be schränkt und sind nicht ohne weiteres auf andere Untersuchungsge genstände übertragbar. Im folgenden Infokasten wird dies anhand einesErgebnissesausScharpfsStudie(1987)beispielhaftgezeigt. Infokasten32:DiedeutscheWirtschaftspolitikimModell Bezüglich der oben genannten ModellFaktoren, stand die deut scheWirtschaftsundSozialpolitik1974,alsoimJahrnachderÖl krise, unter den spezifischen Bedingungen einer starken Wirt schaftskrise und in der Tradition einer keynesianistischen Wirt schaftspolitik. Vor diesem Hintergrund wartete die Finanzpolitik des Bundes 1974 mit Ausgabenprogrammen auf, um „die Nach fragelücke durch eine binnenwirtschaftliche Expansion“ (Scharpf 1987: 164) auszugleichen. Auch die Gewerkschaften, die nicht an eineanhaltendeKriseglaubten,erreichteninderLohnrunde1974 hohe Steigerungen der Lohnquote. Der Akteur „Bundesbank“ hingegenbefürchteteeineBeschleunigungdesPreisauftriebsund folgte daher einer restriktiven Geldpolitik. Infolgedessen beweg ten sich Geld und Lohnpolitik auf einem „frontalen Kollisions kurs“(Scharpf1987:173).AuchAussagendarüber,zuwelchenEr gebnissendiese(politischen)Entscheidungenführten,werdenge troffen: So stiegen etwa die Bruttoeinkommen aus unselbststän diger Arbeit noch 1974 um 10%, während diejenigen aus Unter nehmertätigkeitundVermögenbereitsum0,5%abfielen. Analytische Rahmen sind gegenüber theoretischen Modellen durch einen höheren Abstraktionsgrad gekennzeichnet. Zwar sind auch sie nie vollständig in sich geschlossen. Ihren externen Bezug finden sie jedoch nicht in der Empirie, sondern dadurch, dass sie verschiedene Theorien verbinden (vgl. Schubert/Bandelow 2009a). Dies kann nun wiederumzuzweierleiZweckendienen.Zumeinenkönnenanalytische Rahmendazugenutztwerden,unterschiedlichetheoretischeElemen te auf einer höher stehenden MetaEbene zu vergleichen und weiter zuentwickeln. Zum anderen können aber analytische Rahmen auch
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wiederumstarkempirischausgerichtetsein.Dannwollensiedurchdie Integration verschiedener Theorieelemente den empirischen Anwen dungsbereich erweitern und bessere Aussagen über die Realität er möglichen.EinBeispielfüreinensolchenempirischorientiertenanaly tischen Rahmen stellt der PolicyTransferansatz dar (vgl. Kap. 6.2). Er gehtderFragenach,wieundunterwelchenGegebenheitenPolitiken erfolgreich von einem Land in ein anderes Land übertragen werden. Als analytischer Rahmen integriert der PolicyTransferansatz bspw. ErkenntnisseausdenTheorienpolitischenLernensundderEuropäisie rungsforschung. TheorienweisendenhöchstenAbstraktionsgradauf.Sieerlauben daherallgemeineAussagenundeinehoheÜbertragbarkeit.Auchhier kann allerdings wieder zwischen Theorien geringer, mittlerer und hoher Reichweite unterschieden werden. Diese Differenzierung be ziehtsichaufdieAnzahlderFälle,aufwelchedieTheorienübertragen werden können. Während Theorien geringer Reichweite oft nur sehr wenige, konkrete Fälle betreffen, erlauben Theorien mittlerer Reich weite Aussagen über eine Reihe von Fällen mit ähnlichen Bedingun gen. Theorien hoher Reichweite beziehen sich auf sehr viele oder sogar alle Fälle, bleiben aber dadurch abstrakt und ohne weiteren empirischen Bezug nicht anwendbar. Für die Politikfeldanalyse haben diese Theorien hoher Reichweite allenfalls eine indirekte Bedeutung, indem sie Elemente für analytische Rahmen bereitstellen (Schu bert/Bandelow2009a:11). DiePolicyForschungbetrachtetdietheoretischenAnsätzeunter schiedlichen Abstraktionsgrades – Modelle, analytische Rahmen und Theorien – nicht hierarchisch (vgl. Schubert/Bandelow 2009a: 10). VielmehrmussessichanderFragestellungundamUntersuchungsge genstand entscheiden, welcher Abstraktionsgrad gewählt werden sollte. Beispielsweise sind einige Gegenstände und Prozesse so be schaffen,dassihrkonkreterVerlaufsehrunterschiedlichundstarkvom Einzelfallabhängigist.Daessomitkaummöglichist,allgemeingültige Aussagen zu treffen, ist es in diesen Fällen nicht sinnvoll, mit einer Theoriezuarbeiten.SohatsichetwafürdieUntersuchungvonPolicy Transfersgezeigt:WannundwarumeinLandeinerfolgreichesInstru mentoderProgrammvoneinemanderenLandkopiert,welchepoliti schen Akteure daran beteiligt sind und welche Resultate erzielt wer den.AlldieshatsichinderPraxisalssostarkeinzelfallabhängigerwie sen, dass in der entsprechenden Forschung nur mit empirienahen
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ModellenoderanalytischenRahmengearbeitetwird.Umesmiteinem Bild von Hudson/Lowe (2009: 8) auszudrücken: Versorgungsunter nehmen besitzen sehr detailliertes Kartenmaterial über die Lage von Gasleitungen, wohingegen die täglichen Wettervorhersagen Wetter karten für ganze Länder oder Kontinente nutzen. So gilt auch für die PolicyAnalyse: Unterschiedliche „Karten“ für unterschiedliche Zwe cke. Allgemein können verschiedene theoretische Ansätze unter schiedenwerdennach(1)ihrerAnalyseebene,(2)ihrerAnalysemetho de und (3) ihrer Analyseeinheit (vgl. Howlett/Ramesh 2003: 20). Als Analyseebene (1) kann entweder eine Makro, eine Meso oder eine MikroEbene gewählt werden. Die PolicyAnalyse in ihrer Gesamtheit will den kompletten Prozess öffentlicher Politik verstehen: Vom gro ßenBildderWeltwirtschaft,überdiekomplexenFragen,welcheThe men auf die politische Agenda rücken (und welche nicht) bis hin zur konkreten Anwendung von Policies in Klassenzimmern, Krankenhäu sernoderGefängnissen(Hudson/Lowe2009:5). Infokasten33:Makro,MesoundMikroEbene Theorien, die auf der MakroEbene ansetzen, haben einen sehr weitenAnalysefokusundErklärungsanspruch.Siefokussierenz.B. auf gesamte Regierungs oder Gesetzgebungssysteme. Theorien, dieaufderMesooderMikroEbeneansetzen,wollenzwarimmer nurTeilbereiche,dieseaberdafürumsobesserverstehen.Aufder MesoEbene können dann etwa konkrete sozialstaatliche Institu tionen(z.B.BundesagenturfürArbeit)indenBlickrücken;aufder noch darunter gelagerten MikroEbene konkrete Akteure und Handlungen(z.B.politischeEntscheidungsträger). Die wichtigste Differenzierung bezüglich der Analysemethode (2) verläuftzwischendeduktivemundinduktivemVorgehen.Beimdeduk tivenVorgehenwerdenbestimmteAnnahmenoderKonzepteaufden Einzelfall übertragen, also vom Allgemeinen auf das Spezielle ge schlossen. Beim induktiven Vorgehen hingegen werden vorab keine Annahmen aufgestellt, sondern der Einzelfall genau unter die Lupe genommen. Von diesem speziellen Fall wird dann – auch über den Vergleich mit anderen Fällen – auf das Allgemeine geschlossen. Es ist
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häufigformuliertworden,deduktivesVorgehenzieledarauf,zuerklä ren; induktives Vorgehen hingegen wolle verstehen (z.B. Schnei der/Janning 2006: 33). Dieser Differenzierung sollte jedoch noch die häufig vernachlässigte Abduktion hinzugefügt werden. Als Abduktion bezeichnetederPragmatikerPeirceden„Vorgang,indemeineerklä rendeHypothesegebildetwird“.AlsBeispielführterdenSchlusssatz an:„AlleBohnenausdiesemBeutelsindweiß.DieseBohnensindweiß. AlsostammendieBohnenausdemBeutel.“(Peirce1931)AlsAnalyse einheit (3) schließlich können entweder Individuen, Gruppen oder ganzesozialeStrukturenindenBlickrücken. DerSchwerpunktpolitikfeldanalytischerForschunghatsichmitt lerweile auf die Meso und Mikroebene verlagert (vgl. Schneider/ Janning 2006: 76). Dieser Trend gilt für die Politikwissenschaft allge mein und hängt damit zusammen, dass wie oben erwähnt der Fokus sichvonderstrukturellenaufdieAkteursebenebzw.aufdiestärkere VerknüpfungderbeidenEbenenverschobenhat.ImFolgendensollen wichtigeBeispiele für die verschiedenen theoretischen Ansätze gege benwerden,andenenauchjeweilsdiefokussierteMakro,Mesobzw. MikroEbene veranschaulicht wird: (1) Vergleichende Staatstätigkeits forschung, (2) Akteurzentrierter Institutionalismus und (3) ethnogra phischePolitikforschung. 3.1.1 VergleichendeStaatstätigkeitsforschung Die komparative Staatstätigkeitsforschung will Unterschiede und Gemeinsamkeiten in verschiedenen Politikfeldern und im Länderver gleich erklären. Der Hauptfokus der vergleichenden Staatstätigkeits forschung liegt auf den Feldern der Wirtschafts und Sozialpolitik. VorwiegendwähltsieMakroAnalyseebenen,quantitativeAnalyseme thoden und ganze soziale Strukturen als Analyseeinheiten. Ihre für Differenzen und Gemeinsamkeiten aufgezeigten Erklärungen bzw. unabhängigenVariablensindinallerRegel„sparsam“dosiert(Schnei der/Janning 2006: 79). Das heißt, es werden möglichst nur wenige oderauchnureineunabhängigeVariablezurErklärungherangezogen. Im deutschsprachigen Raum gliedert sich die vergleichende Staatstätigkeitsforschung im Wesentlichen in sechs theoretische Strömungen auf (vgl. Zohlnhöfer 2008: 157164; ausführlich auch Schmidtetal.2007:Kap.1).DieseSchulenmachenjeeineunterschied liche MakroVariable aus, durch die sie öffentliche Politiken entschei dend beeinflusst sehen. In den Bezeichnungen dieser sechs verschie
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denenStrömungenfindensichbereitsHinweisedarauf,welcheunab hängigenVariablenfürentdeckteUnterschiedezwischenderStaatstä tigkeitverschiedenerLänderherangezogenwerden: (1) SozioökonomischeSchule (2) Machtressourcentheorie (3) Parteiendifferenzlehre (4) PolitischinstitutionalistischeTheorien (5) InternationaleHypothese (6) Pfadabhängigkeit/LehrevomPolitikerbe (1) Die sozioökonomische Schule sieht Regierungen dazu gezwungen, mit vergleichsweise geringem Gestaltungsspielraum auf verschiedene wirtschaftliche und soziale Herausforderungen reagieren zu müssen. Zöllner (1963: 158) formulierte dieser Annahme entsprechend: „Die Sozialleistungsquote entwickelt sich weitgehend unabhängig von politischen Wertvorstellungen. Bei fortschreitender wirtschaftlicher EntwicklungbestehtkeinepolitischeAlternativehinsichtlichderFrage, oböffentlicheSozialleistungengewährtwerdensollenodernicht.“Die sozioökonomische Schule kann somit gut erklären, welche langfristi gen sozioökonomischen Entwicklungen Zwänge und Handlungsanrei ze für die Politik setzen (vgl. Schmidt 1997: 578). Aber dem Automa tismus, der den darauf folgenden politischen Entscheidungen zuge sprochen wird, würde bspw. seitens der Machtressourcentheorie widersprochen. (2) Die Machtressourcentheorie sieht politische Entscheidungen nicht durch wirtschaftliche oder soziale Entwicklungen determiniert, son dern durch die Machtmittel verschiedener gesellschaftlicher Gruppen bestimmt.InsbesonderediepolitischenKonflikteundAuseinanderset zungenzwischenArbeit(z.B.Gewerkschaften)aufdereinenundKapi tal(z.B.Arbeitgeberorganisationen)aufderanderenSeiteseienes,die über die Natur der staatlichen Politik entscheiden. In den Ländern, in denen die Arbeiterklasse über einen hohen Mobilisierungs und Orga nisationsgrad verfügt, müsste diesem Erklärungsansatz zufolge also eingutausgebautesWohlfahrtssystemmithohemUmverteilungsgrad aufzufindensein.PolitischeParteienoderParteienkoalitionenwerden von der Machtressourcentheorie gegenüber Gesellschaftsklassen nachrangigbehandelt.
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(3) Die Parteiendifferenzlehre stimmt zwar wie die Machtressourcen theorie der politischen Gestaltbarkeit von Staatstätigkeit zu (vgl. Zohlnhöfer 2008: 159), sieht jedoch unterschiedliche Parteiorientie rungenalswesentlicheGrößean.Parteiensinddaraufangewiesen,die InteressenihrerMitgliederundihrerWählerschaftzuvertreten.Einmal inderRegierungwirddannbspw.erwartet,dasssichsozialdemokrati sche Parteien für Arbeitnehmerinteressen oder grüne Parteien für Umweltschutz stark machen und entsprechende Politiken auf den Weg bringen. Folglich spricht die Parteiendifferenzlehre den politi schenParteienundEntscheidungsträgerndieFähigkeitzu,formulierte ZieleundProgrammeauchwirklichdurchzusetzen. (4)DiepolitischinstitutionalistischenTheorienhingegenattestierender PoliticsDimension bzw. der Gestaltungsfähigkeit politischer Akteure wenigergroßenSpielraumalsdieMachtressourcenunddieParteien differenzschule.SiehebenvielmehrdieBedeutungpolitischerStruktu ren und Institutionen hervor (z.B. Korporatismus versus Pluralismus; Föderalismus versus Zentralismus; Parlamentarismus versus Präsidentialismus). Herausragende Bedeutung hat innerhalb dieser AnsätzedasVetospielerTheoremnachTsebelis(1995)entwickelt(vgl. auch Kap. 4.2). Als Vetospieler bezeichnet Tsebelis all diejenigen Ak teure, deren Zustimmung für einen Politikwechsel notwendig ist. Der Schwerpunkt liegt darauf, dass auch Parteien an der Regierung nicht völlig frei die Interessen ihrer Klientel durchzusetzen vermögen, son dern von der Zustimmung institutioneller (z.B. Bundesverfassungsge richt),politischer(z.B.Koalitionspartner)sowiesonstiger(z.B.mächti ge Interessensverbände) Vetospieler abhängig sind. Das Vetospieler Theorem vertritt somit die zentrale These der institutionalistischen Schule,wonachdieArtderStaatstätigkeitinganzwesentlichemMaße durchinstitutionelleArrangementsgeprägtwird. Neu zu den ursprünglich vier Schulen der vergleichenden Staatstätig keitsforschung hinzugekommen ist die (5) internationale Hypothese, dieEuropäisierungundGlobalisierungzurErklärungvonunterschiedli chem öffentlichem Handeln heranzieht. Bspw. wird die Annahme vertreten, dass zunehmende Globalisierung und internationaler Wett bewerb zu einem Abwärtsdruck auf Sozialausgaben führen, so dass wohlfahrtsstaatliche Leistungen gekürzt und abgebaut werden. All gemein sieht sich diese Vorhersage allerdings nicht bestätigt, da in
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einigen sozialpolitischen Feldern ganz im Gegenteil Ausbaumaßnah men konstatiert werden können. Auch im Bereich der Europäischen Integration unterscheidet es sich zwischen den einzelnen Politikfel dern sehr deutlich, inwieweit der Nationalstaat nicht mehr die wich tigste Bezugsgröße zur Erklärung von Staatstätigkeit sein kann. Wäh rendeinzelneBereichewiedieGeldpolitikvollständigeuropäisiertsind (vgl.Zohlnhöfer2008:162),verfügtdieEUbspw.aufdemGebietder Sozialpolitik nur über weiche Einflusskanäle auf ihre Mitgliedsstaaten (z.B. Überzeugung, Verhandlung, BestPracticeVorgaben), insbeson dere im Rahmen der Offenen Methode der Koordinierung. In diesem Bereich entscheidet letztlich nach wie vor der Nationalstaat, welche öffentlichenPolitikenbetriebenwerden.(Schubertetal.2008) Als letzte Schule der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung schließlich ist diejenige zu nennen, die (6) Pfadabhängigkeit und Poli tikerbe in den Mittelpunkt stellt (vgl. auch Kap. 4.2). Ihre zentrale Aussageist,dassEntscheidungen,dieinderVergangenheitgetroffen wurden, einen Einfluss darauf haben, welche Entscheidungen in der GegenwartundinderZukunftgetroffenwerden.MitanderenWorten: „Keine Regierung beginnt ihre Arbeit zur Stunde Null“ (Zohlnhöfer 2008: 163). Ein populäres Beispiel für starke Pfadabhängigkeit ist das deutsche Rentensystem: Durch seine Umlagefinanzierung (Kern des sog.Generationenvertrags)siehtessichmitspezifischenHerausforde rungen konfrontiert; eine Umstellung auf ein Kapitaldeckungssystem ist wenn überhaupt nur langfristig und mit hohen Kosten durchführ bar. Dennoch hat sich gezeigt, dass auf dem Politikfeld Rente in den vergangenenJahrensehrweitreichendeReformendurchgeführtwur den, die auch bereits als Systemwechsel gewertet werden können (z.B. Hegelich 2006). Politische Gestaltungsfähigkeit wird also durch politisches Erbe nicht aufgehoben. Dennoch kann diese Schule We sentliches zum Verständnis von Staatstätigkeit beitragen: Sie macht deutlich, weshalb es zumindest unwahrscheinlicher oder auch teurer ist,dassdereinmaleingeschlagenePfadgewechseltwird. DieTheorieansätzedervergleichendenStaatstätigkeitsforschung konnten an dieser Stelle nur sehr verkürzt angesprochen werden. Es gingunsjedochauchmehrdarum,einVerständnisdafürherzustellen, welcheerklärendenVariablenfürbestimmtePolitikenausderMakro Perspektive herangezogen werden. Im Folgenden wird sich zeigen, dass Theorien der MesoEbene trotz ähnlicher Erkenntnisinteressen andereWegeeinschlagen.
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3.1.2 AkteurzentrierterInstitutionalismus Beim Mitte der 1990er Jahre durch Renate Mayntz und Fritz W. Scharpf entwickelten, von ihnen selbst als „Forschungsheuristik“ verstandenden Akteurzentrierten Institutionalismus (Mayntz/ Scharpf 1995) tauchen einige erklärende Variablen, die bereits für die Schulen vergleichender Staatstätigkeitsforschung angesprochen wur den, wieder auf. Allerdings setzt dieser analytische Rahmen auf der MesoEbene an, also treten weniger ganze gesellschaftliche Struktu ren in den Fokus als vielmehr Organisationen und kollektive Akteure (z.B. Ministerien, Parteien, Wirtschaftsunternehmen). Auch dem Akteurzentrierten Institutionalismus geht es um die Erklärung von öffentlicherPolitik–unddamitebenfallsvonStaatstätigkeitimweite renSinne.AlsunabhängigeVariablenziehtderTheorieansatzdiekom plexen Interaktionen der relevanten staatlichen wie nichtstaatlichen Akteure heran (vgl. Schneider/Janning 2006: 85). Um die Interaktion zwischen diesen Akteuren zu analysieren, greift der Ansatz insbesondereaufErkenntnissederNetzwerkanalyse(vgl.Kapitel4.1.2) undderSpieltheoriezurück. Infokasten34:Spieltheorie Die aus der Mathematik stammende Spieltheorie analysiert das Verhalten mehrerer Akteure in Entscheidungssituationen. Der Nutzen einer Entscheidung für einen Akteur, so die Annahme, wirdvondenEntscheidungenderjeweilsanderenAkteurebeein flusst. Entscheidungsträger treffen ihre Entscheidungen nicht al lein, sondern machen sie unter anderem vom erwarteten Verhal ten der anderen Akteure abhängig. Spieltheorie heißt der Ansatz deshalb, weil ursprünglich vom Verhalten der Teilnehmer bei Ge sellschaftsspielenwieSchachoderDameausgegangenwurde.Ei ne ausführliche Darstellung über Nutzen und Anwendung der SpieltheorieinderPolitikwissenschaftbietetMorrow(1994);sehr unterhaltsamzeigtderFilm„ABeautifulMind“(2001)dieLeistun gendesMathematikersJohnNashaufdemGebietderSpieltheo rie. Neben den spieltheoretischstrategischen Regeln sieht der Akteurzentrierte Institutionalismus die Interaktion und das Handeln
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vonAkteurenausgelöstundbedingt–nichtaberdeterminiert–durch strukturelle und institutionelle Faktoren. Institutionen sind nach Scharpf in einer vergleichsweise eng gefassten Definition sozial und kulturell sanktionierte „Regelsysteme […], die einer Gruppe von Ak teuren offenstehende Handlungsverläufe strukturieren“ (2000: 77): Institutionen strukturieren die Handlungsverläufe dadurch, dass sie erstens die Wahrnehmungen, zweitens die Präferenzen und drittens die Fähigkeiten (individueller wie kollektiver) Akteure prägen. Der letztePunkt–dieStrukturierungderFähigkeitenpolitischerAkteure– weistSchnittmengenmitdemobenbereitsangesprochenenVetospie lerTheorem nach Tsebelis auf. Als MakroTheorieansatz will letzterer jedochdasVorhandenseinbestimmterVetospielerzahlenmäßigerfas sen und hierüber allgemeine Aussagen über politische Wirkungen treffen. Der Akteurzentrierte Institutionalismus als MikroTheoriean satz legt hingegen seinen Schwerpunkt auf Akteurskonstellationen, die sich jedoch institutionell geprägt sehen (vgl. Schneider/Janning 2006: 92). Institutionen rücken hier jedoch nicht nur als erklärende Variablen ins Blickfeld, die den Handlungskontext von Akteuren be stimmen. Sie werden daneben auch als abhängige Variablen betrach tet,indemihreKontextgebundenheitundPfadabhängigkeit(vgl.Kapi tel4.2)sowiederUmstandbetontwird,dasssieauchselbstdurchdas HandelnvonAkteurenverändertwerdenkönnen(vgl.Schultze2004: 9). Neben den Institutionen bestimmen auch spezifische Interakti onsformendenHandlungsverlaufderAkteure,diesichwiederumaus den relevanten Akteuren, ihren Handlungsorientierungen sowie den konkreten Handlungssituationen ergeben. Die Handlungsorientierun gen der Akteure resultieren aus kognitiven Aspekten (d.h. dem Übereinstimmungsgrad der Situationsdeutungen durch die Akteure) sowie aus motivationalen Aspekten (d.h. ihren jeweiligen Interessen, Normen und Identitäten). Die Handlungssituationen wirken sich über konkret wahrgenommene Umweltaspekte auf die jeweilige Interakti onsform aus. Diese Umweltaspekte beinhalten z.B. wie Probleme wahrgenommen werden, ob die notwendigen Ressourcen zu ihrer Behandlung zur Verfügung stehen oder ob eine Wahl zwischen ver schiedenenHandlungsalternativenexistiert.Undletztlichmachtesfür das (zu erklärende) Handlungsergebnis bspw. einen Unterschied, ob die Interaktion auf hierarchischer Steuerung oder auf Verhandlungen beruht.DieamhäufigstenvorkommendenInteraktionsformenkönnen
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sich von Land zu Land unterscheiden und somit kulturelle Prägungen aufweisen. Infokasten 35: Anwendung des Akteurzentrierten Institutiona lismus Ein Anwendungsbeispiel für den Akteurzentrierten Institutiona lismus liefert Susanne K. Schmidt (1998): Sie nutzte das Modell nachMayntz/ScharpffürihreAnalysederRollederEuropäischen KommissioninnerhalbderLiberalisierungspolitikals„Forschungs heuristik“. Sie begründet die Auswahl dieses analytischen Rah mens damit, dass er es erlaube, institutionelle Faktoren mit der herausgehobenen Bedeutung von Akteuren (z.B. eben der Euro päischen Kommission) zu verbinden (Schmidt 1998: 45). Schmidt kommt zu dem Ergebnis, dass insbesondere die institutionelle Kompetenz der Kommission bedeutend ist, eigenständig Richtli nienandieMitgliedstaatenzurichten,wenndieseUnternehmen besondereRechtegewähren,diedemeuropäischenVertragsrecht widersprechen(Schmidt1998:333):1988etwagriffdieKommissi on in der europäischen Telekommunikationspolitik ganze sechs malzudiesemInstrument.DiesesBeispielzeigtinRückbezugauf die theoretischen Annahmen des Akteurzentrierten Institutiona lismus, wie ein politisches Ergebnis (nämlich die Liberalisierungs politik im Telekommunikationssektor) durch das Handeln des Ak teurs „Europäische Kommission“ im Rahmen eines spezifischen institutionellenHandlungskontextgeprägtwurde. 3.1.3 MikroPolicyAnalyse In ihrem Buch „MikroPolicyAnalyse“ (2003) vertreten Frank Null meier, Tanja Pritzlaff und Achim Wiesner einen Ansatz, der sich den kleinteiligen,detailliertenElementenundMechanismenvonPolitikfel dern widmen möchte: „Das Forschungsinteresse der MikroPolicy Analyse gilt den Eingespieltheiten, den elementaren Routinen und Strategien, die das Innenleben eines Politikfeldes prägen“ (Nullmeier etal.2003:9).Umdieseverstehenzukönnen,gälteesZugangzuden Akteuren in den untersuchten Politikfeldern zu erlangen. Die Mikro PolicyAnalyse will daher nicht länger von Außen – womöglich noch
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anhandvonstatistischenDaten–dieEreignisseinnerhalbeinesPolitik feldes zu verstehen suchen. Sie will sich tatsächlich „in die Materie stürzen“:DiesogenannteethnographischePolitikforschung(alsspezi elleVersionderMikroPolicyAnalyse)tutdies,indemsiedieVorgänge innerhalb eines Politikfeldes über einen längeren Zeitraum hinweg in teilnehmenderBeobachtungstudiert. Im Mittelpunkt steht hier also nicht mehr – wie beim Akteurzentrierten Institutionalismus – ein Gefüge aus Akteurskon stellationen,InstitutionenundSteuerungsinstrumenten,ausdemsich bestimmte politische Entscheidungen ergeben. Vielmehr widmet sich die MikroPolicyForschung der politischen Alltagspraxis, den (teils vielleichtbanalanmutenden)Regeln,AbläufenundRoutineninnerhalb eines PolicyBereichs. Politische Entscheidungen sollen dadurch noch tieferundbesserverstandenwerden.Vielleichtwurdeeinebestimmte Politik gar nicht eingeführt, weil eine Interessenorganisation über hohe Machtressourcen verfügte, sondern weil der Vorsitzende einen sogutenDrahtzumLeiterdesverantwortlichenReferatsimMinisteri um hat. Unter Umständen erfolgt nicht deshalb keine Reform der Arbeitsabläufe einer Behörde, weil die Kosten eines Pfadwechsels zu hoch lägen, sondern weil der konservative Leiter so weitermachen möchte,„wiewiresschonimmergemachthaben“.Diesezugespitzten Beispiele für mikropolicyanalytische Erkenntnisinteressen machen deutlich,dassaufderMakroundoftauchaufderMesoEbeneanset zende Theorien nicht in der Läge wären, diese Gründe für politische Entscheidungenzuerfassen. Nachdem der Forscher entsprechend seines Untersuchungsge genstandesundseinesErkenntnisinteressesnuneinendiesertheoreti schenZugängeeingenommenhat,liegtdernächsteForschungsschritt inderWahlderMethodik. 3.2 VonderTheoriezurMethode Um Bedeutung und Funktion von Methoden im Forschungsprozess erläutern zu können, muss zunächst deren Verhältnis zur Theorie be trachtet werden (vgl. Kortmann/Schubert 2006: 3637). Die Policy Forschung kennt keinen „MethodenDeterminismus“: Mit ihr kann keine konkret definierbare Methode oder Arbeitsweise verbunden werden. Dies ist zwar häufig als Beliebigkeit und Unausgereiftheit in
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der Vorgehensweise kritisiert worden – ähnlich wie der Policy Forschung auch ihr fehlendes einheitliches Theoriegebäude zum Vor wurf gemacht wurde. Positivgewendet bedeutet es jedoch,dass der Politikfeldanalyse ein MultiMethodenAnsatz zugrunde liegt, zumin dest aber ein offener MethodenPluralismus herrscht. Methoden sind letztlich, ebenso wie Theorien, vom Forschungsinteresse abhängig. Ihre Wahl folgt somit stets einer konkreten Zielsetzung, sie muss zur Beantwortung der Fragestellung einen Nutzen erbringen und dieser angemessensein. DiePolicyForschungbedientsichausdemmethodischenInstru mentenkastenderempirischenSozialforschung:MethodenderStatis tik kommen bei der Auswertung von Daten zum Einsatz, es werden Expertenmeinungen eingeholt, Beobachtungen oder Experimente durchgeführt–wennauchletztereseherselten.„Experimente“finden inderPolitikwissenschaftallgemeinvielmehrinderFormvonModell versuchenstatt,indenendieWirkungenvonbestimmtenProgrammen an einzelnen Städten oder anderen politischen Einheiten „getestet“ werden können. Letztlich kommt es aus Sicht der Politikfeldanalyse darauf an, aus dem zur Verfügung stehenden Set wissenschaftlicher Methodendiejenigeauszuwählen,diederAufgabenstellungunddem zu analysierenden Inhalt angemessen ist (vgl. Schubert 1991: 41). Die passendeMethodikentscheidetsichalsoanderabhängigenVariablen; nach dem zu erklärenden Sachverhalt wird auch die Theorie als Be zugsrahmen der Forschung gewählt. Und der theoretische Zugang bestimmt wiederum die Art und Weisedeswissenschaftlichen Vorge hens,alsoauchdiezuverwendendeMethodik. Auch wenn der Zusammenhang zwischen Theorie und Methode wiederum kein deterministischer ist und z.B. bei Verwendung eines bestimmten analytischen Rahmens noch immer verschiedene Vorge hensweisen möglich sind: Mitder Theorieauswahl ist der Rahmen für diepassendeMethodebereitsgesetzt.GewählteTheorieundMetho de bilden gemeinsam den Forschungsansatz. Möchte man bspw. ver schiedene Länder daraufhin überprüfen, ob ihr sozioökonomischer EntwicklungsstandEinflussaufdieHöhederSozialausgabenhat,soist man hierdurch auf statistische Analysen der entsprechenden Daten sätzefestgelegt.SollenhingegenimRahmenethnographischerPolitik forschung die handelnden Akteure eines Politikfeldes analysiert wer den, so stellt qualitative Feldforschung und teilnehmende Beobach tung die geeignete Methode dar. Im Folgenden sollen allgemeine
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methodische Zugänge und Forschungsansätze herausgearbeitet wer den.Anschließendwollenwirdenaufgrunddesobenangesprochenen Methodenpluralismus recht schwierigen Versuch unternehmen, der PolicyForschungspezielleMethodenzuzuordnenunddiese exempla rischzuerläutern. 3.3 MethodischeZugänge Allgemein ist eine Methode nichts anderes als ein Forschungsweg. Dieser Weg wird beschritten, um die „Realität“ systematisch und nachvollziehbar zu erheben (vgl. Behrens 2003: 205). Die zu analysie rende „Realität“ kann bspw. in Form von statistischen Daten oder anhand von Dokumenten greifbar gemacht werden. Während die Erhebung und Auswertung von Datensätzen quantitative Methoden bedingt, können Dokumente (z.B. Zeitungsartikel, Parlamentsdebat ten) auch qualitativ und interpretatorisch ausgewertet werden. Me thoden sind also Verfahren der Informationsgewinnung und der In formationsauswertung. Infokasten36:QuantitativeundqualitativeMethoden QuantitativeMethodenorientierensichanzahlenmäßigenAusprä gungen bestimmter Merkmale. Hierfür können Datensätze analy siert werden, aber auch Dokumente oder geführte Interviews (quantitative Inhaltsanalyse). Eine hohe Standardisierung soll die Vergleichbarkeit der Aussagen gewährleisten. Zumeist gehen quantitativeMethodendeduktivvor:SietestenHypothesen.Qua litativeMethodenhingegenführennichtzu(imengerenSinne)re produzierbarenundzahlenmäßigenAussagen.Siezielenvielmehr aufeinentieferenInformationsgehaltundeinbesseresVerständ nis der Untersuchungsfälle. Auch qualitative Vorgehensweisen können deduktiv sein; häufig sind sie jedoch explorativ angelegt unddienendazu,Hypothesenzugenerieren. Nun ist es fürdie Politikfeldanalyse spezifisch, dass sie zumeist retro spektiv vorgeht und vergangene Ereignisse erklären möchte – sieht man von aufdie Zukunft gerichteten Beratungstätigkeiten einmal ab.
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DieFragestellungengehenalsovoneinemzuerklärendenSachverhalt bzw.einerabhängigenVariableaus,undverortendieseamEndeeiner hypothetischenKausalkette:„HieristdaserwarteteEndproduktnicht dieempirischeBestätigungoderWiderlegungmonokausalerHypothe sen, sondern vielmehr die Erklärung bestimmter politischer Entschei dungen oder die Einschätzung der politischen Realisierbarkeit be stimmter PolitikOptionen“ (Scharpf 2000: 57). Mit anderen Worten: Auch wenn PolicyAnalysen deduktiv und Hypothesen testend vorge hen, bleiben sie nicht auf die Bestätigung kausaler Erklärungsketten beschränkt. Vielmehr sollen hierdurch auch breiter angelegte Erklä rungenundBewertungenerzieltwerden. ÜberdiealsrichtigerachtetenForschungsundErklärungsansät ze loderte in den Sozialwissenschaften lange Zeit der sogenannte MethodenoderauchPositivismusstreit(vgl.hierzuMaus/Fürstenberg 1969).EinKernpunktdieserinsbesondereinden1960er Jahrenhitzig geführten Debatten war der Gegensatz zwischen quantitativen und qualitativen Methoden. Während in der frühen PolicyForschung zu nächst noch quantitative Verfahren vorherrschten, sieht sich die Dis ziplin in jüngerer Zeit vor allem durch qualitative Vorgehensweisen geprägt(vgl.Kritzinger/Michalowitz2009). Quantitative wie auch qualitative Zugänge haben ihre spezifi schen Stärken und Schwächen. So stellte Peter TaylorGooby (2002: 597) mit Blick auf die zur Messung von politischem Wandel verwand ten Methoden fest: „Quantitative methods tend to produce findings whichplacegreateremphasisoncontinuityandresilience,whilecase studiesfocusattentionmoreonpoliticalprocesses.“QualitativeStudi enlegtenalsoihrenFokusaufVeränderungundWandel–undmach teneinAuffindenderselbigendaherwahrscheinlicher.Diesistnurein Beispiel dafür, wann eine Kombination quantitativer und qualitativer Verfahren zu empirisch gehaltvolleren Aussagen führen kann, als es die Verwendung nur einer Methodenrichtung vermag. Genau genom men kann es die ganz klare Trennung zwischen quantitativen und qualitativen Methoden ohnehin nie geben. So kommt der „härteste“ quantitativ arbeitende Empiriker nicht umhin, z.B. bei der Operationalisierung seiner Annahmen und der Umsetzung der Be obachtungen in Zahlen qualitative Entscheidungen zu fällen. Ebenso wenigkommteinqualitativarbeitenderForscherdaranvorbei,inseine AnalysequantitativeInformationen–undseiesnurinFormvonTabel lenundGrafiken–aufzunehmen.Erstseitden1990erJahrenhatsich
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jedochverstärktdieSichtweiseetabliert,geradeüberdieVerknüpfung quantitativerundqualitativerForschungswege–alsoübereinen„Me thodenmix“ – zu wertvollen Erkenntnissen gelangen zu können. Ein BeispielhierfüristdieQualitativeComparativeAnalysis(QCA),die1987 von Charles Ragin eingeführt wurde und deren Anspruch es ist, „so wohl die analytische Tiefe von Fallstudien als auch die analytische Breite der quantitativen Forschung auszuschöpfen“ (Obinger 2009: 236).DasAnalyseverfahrenderQCAbasiertaufderBooleschenAlgeb ra,welchedieAnbzw.AbwesenheitbestimmterMerkmalealsunab hängige Variablen überprüft (z.B. hohes Bruttoeinkommen pro Kopf) und hierüber eine bestimmte abhängige Variable (z.B. ausgebauter Sozialstaat)zuerklärensucht(vgl.zudenBegrifflichkeitenauchInfo kasten 31). Die QCA zeigt stellvertretend, dass sich quantitative und qualitative Methoden keineswegs gegenseitig ausschließen: Vielmehr kann eine Kombination beider Forschungsmethoden den Erkenntnis gewinnenormsteigern(Kritzinger/Michalowitz2009:255). Löbler (1990) hat einen guten Überblick über die Methoden der PolicyForschung gegeben, indem er sie mit den disziplineigenen Fra gestellungen verbindet. Er unterscheidet zwischen vier Dimensionen bzw. Aufgabenfeldern der Politikfeldanalyse. Die erste Dimension ergibtsichauchinAnlehnungandieinKapitel2vorgestellteDifferen zierung WindhoffHéritiers zwischen einer neopluralistischdeskripti venundeinersynoptischpräskriptivenPolitikfeldanalyse.Diedeskrip tive PolicyForschung will die Entstehung von Politiken beschreiben und erklären. Die präskriptive Politikfeldanalyse will praktische Bera tungstätigkeitenfürdiePolitikeinnehmen. Schaubild32:AufgabenderPolicyForschung
Prozess
Inhalt
Deskriptiv
Prozessanalysen
Strukturanalysen
Präskriptiv
Entscheidungsanalysen
Nutzenanalysen
Quelle:Löbler1990:12(vgl.auchWiedemann/Münch2003)
FürbeideAusprägungenderPolitikfeldanalysedifferenziertLöblernun weiterhinzwischeneinerprozessualenundeinerinhaltlichenDimensi on. Deskriptive Politikfeldanalysen können sich entweder der staatli chen Intervention in materiellen Politikbereichen widmen (Struktur analysen), oder auch die Wege der Problemverarbeitung durch das
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politischadministrative System verfolgen (Prozessanalysen). Präskrip tivePolitikfeldanalysenkönnenentwederdirekteEntscheidungshilfen andieRegierungliefern(Entscheidungsanalysen),oderaberstaatliche Maßnahmen und Programme wissenschaftlich begleiten und evaluie ren(Nutzenanalysen). Löbler (1990: 1314) trifft gleichzeitig auch eine Einschätzung, welche dieser Analysen am häufigsten zum Einsatz kommen. Für die deutsche PolicyForschung sieht er deskriptive Prozessanalysen als deutlich führend an (48%), gefolgt von Strukturanalysen (26,4%). Prä skriptiveAnalysenhingegenschätztLöblerinsgesamtaufnureinVier telallerpolitikfeldanalytischenStudien.SchneiderundJanning(2006: 41)fügenhinzu,dassindervorwiegendqualitativenForschungstradi tionderPolitikfeldanalyseEinzelfallstudienundvergleichendeFallstu diendominieren. Das Fallbeispiel (case study) widmet sich – wie der Name schon sagt–nureinemkonkretenFall.Dieskannz.B.dasGesundheitssystem Großbritanniens sein oder die politischen Konfliktlösungsmuster in Griechenland. Wie bei jeder wissenschaftlichen Arbeit werden vorab Forschungsfragen aufgestellt. Diese werden dann über die exakte Rekonstruktion eines empirischen Prozesses oder einer wissenschaft lich interessierenden Tatsache zu beantworten gesucht. Gleichzeitig soll der Gegenstand exemplarisch untersucht werden, d.h. die Aussa gensollenwiederumauchRückschlüsseaufandereFälleerlauben.Ob diegewonnenenErkenntnisse allerdingstatsächlichübertragbarsind, darf vielfach bezweifelt werden: „Tatsächlich sind die meisten Facet tenöffentlicherPolitiksingulärundsomitschlechtfürweitergehende Generalisierungen geeignet“ (Schneider/Janning 2006: 41). Einzelfall studiendienendahereherdazu,Hypothesenzugenerieren,indemsie zusätzliche Erkenntnisse über bestimmte Gegenstände erzielen oder auf überraschende Abweichungen vom Erwarteten aufmerksam ma chenundhierdurchneueForschunganleiten. AuchkomparativeAnalysenverschiedenerLänderumfassenhäu fignichtmehralsdreiodervierFälle.DenneinehöhereFallzahlkann praktisch nur im Rahmen statistischvergleichender Studien bewältigt werden,daihrqualitativerVergleichinallerRegelzuaufwendigundzu teuerist.FürdieinterpretatorischenAnalysenmitgeringerFallzahlgilt daherähnlicheswiefürdieEinzelfallstudie:Auchsieproduzierenkeine generellen und verallgemeinerbaren sozialwissenschaftlichen Er kenntnisse. Die größte Stärke komparativer Fallstudien liegt darin,
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dass sie prinzipiell eine hohe Auflösung und Tiefenschärfe in der Be schreibung und Auswertung öffentlicher Politiken bieten (Schnei der/Janning 2006: 41). Die Schwachstellen von Einzelfallstudien – ins besonderederenfehlendeFähigkeitzurHypothesentestung–können vergleichende Fallstudien allerdings nur dann überbrücken, wenn sie mehr sind als eine reine Aneinanderreihung von Fallbeispielen. Ein VergleichdarfalsonichtzumSelbstzweckdurchgeführtwerden,son dern muss sinnvolle Ergebnisse liefern. Hierfür ist es entscheidend, dassdierichtigenFälleverglichenwerden. Die Auswahl der zu vergleichenden Länder kann – eine Unter scheidung die bereits Mill (1885) traf – grundsätzlich entweder nach demKonkordanzprinzipodernachdemDifferenzprinziperfolgen,d.h. es können möglichst unterschiedliche oder möglichst ähnliche Fälle untersucht werden. Ein Vergleich möglichst ähnlicher Länder bietet sich dann an, wenn sich diese Länder in einem bestimmten Merkmal unterscheiden. Dieses bestimmte Merkmal ist dann die abhängige Variable,dieerklärtwerdensoll.EinVergleichmöglichstverschiedener Länderistdannsinnvoll,wennsichdieseLänderineinembestimmten Merkmalgleichen.EinbekanntesBeispielfürsolchein„mostdissimilar case design“ bildet Theda Skocpols (1979) Untersuchung zu „States and Social Revolutions“. In dieser historischen Analyse der Revolutio nen in Frankreich, Russland und China geht Skocpols der Frage nach, weshalb die Entwicklungen in drei so unterschiedlichen Systemen zu solchähnlichenpolitischenEreignissengeführthaben. Hiermit sind die wichtigsten methodischen Zugänge genannt, wobeideutlichwurde,dassdiesekeinesfallsexklusivderDisziplinder Politikfeldanalyse zuzuordnen sind. Daneben existieren auch noch Methoden, welche die PolicyForschung nicht mit der allgemeinen empirischenSozialforschungteilt.Hieristinsbesonderediecomputer gestützte Netzwerkanalyse zu nennen, die als interdisziplinäres For schungsfeldbspw.auchinderBiologieoderdenKommunikationswis senschaften Anwendung findet. Netzwerkansätze haben zwar mitt lerweileauchallgemeininderPolitikwissenschafteinegewisseBedeu tung entwickelt. Das Forschungsprojekt „Politiknetzwerke und politi sche Theorie“ rechnete aber von 1014 zu Politiknetzwerken gefunde nenPublikationenrund746unddamitmehralszweiDrittelderPolicy Forschung zu (vgl. Lang/Leifeld 2008: 223). Das kommende Kapitel (4.2)wirdsichintensivermitderpolitikfeldanalytischenNetzwerkana lyseauseinandersetzen.
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Akteure,InstitutionenundInstrumente
Alle Begriffe, die im Fokus dieses Kapitels stehen, wurden bereits in dem einen oder anderen Zusammenhang angesprochen. Wir haben gesehen, dass die theoretischen Ansätze der Politikfeldanalyse den politischen Akteuren (4.1) unterschiedliche Handlungsspielräume und Gestaltungsfähigkeiten zugestehen. Einige Ansätze gehen davon aus, dass das Handeln politischer Akteure in hohem Maße durch die sie umgebenden Institutionen (4.2) geprägt wird. Und ob nun Politiken stärker durch Akteure oder durch Institutionen bestimmt werden: ImmerstehenauchdieInstrumente(4.3)imBlickpunkt,diedieAkteure zurVerfolgungihrerZieleundzuZweckenderRegulierungundSteue rung einsetzen können. In diesem Kapitel wird sich diesen drei Berei chenderPolitikfeldanalysevertieftgewidmet. 4.1 AkteureundNetzwerke 4.1.1 Akteure FälltdasStichwort„politischerAkteur“,tretenoftdieBilderkonkreter Personen vor Augen: der Außenminister, die Bundeskanzlerin, der GrünenAbgeordnete des eigenen Wahlkreises. Diese Engpassung ist zunächst einmal richtig: Aus dem Französischen (acteur) bzw. Engli schen (actor) stammend bezeichnet der Begriff einen Handelnden oder auch einen Schauspieler – was mitunter auf dasselbe hinauslau fen mag. Handelnde Einheiten können aber nicht nur die Form indivi dueller Personen annehmen. „Nicht die Europäische Union, sondern der Nationalstaat bleibt der zentrale Akteur“, ist etwa bisweilen zu hören. In diesem Satz werden zwei handelnde Einheiten sprachlich personalisiertundalskomplexe,alsoausvielenIndividuenzusammen gesetzte Akteure behandelt. Es lässt sich also zwischen individuellen undkomplexenAkteurenunterscheiden. Komplexe Akteure lassen sich noch weiter in kollektive sowie korporativeAkteuredifferenzieren(vgl.Scharpf2000:95107).Kollek tive Akteure entstehen, indem Individuen sich kooperativ zusammen schließen. Das Ergebnis können strategische Allianzen, Clubs, Bewe 54 S. Blum, K. Schubert, Politikfeldanalyse, DOI 10.1007/ 978-3-531-92097-9_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
gungenoderVerbändesein.Eskommtzwischendenindiesenkollek tiven Akteuren versammelten Mitgliedern nur zu einer Zusammenar beit, nicht aber zu einer Verschmelzung. Die Mitglieder korporativer Akteure hingegen legen zur Verfolgung ihrer Ziele ihre Ressourcen zusammen; es entsteht eine neue Handlungseinheit mit eigener Rechtspersönlichkeit. Beispiele hierfür sind Regierung, Ministerien, politische Parteien, Gewerkschaften, Industrieverbände, Unterneh men,aberauchForschungseinrichtungen(Scharpf2000:24). Kollektive wie auch korporative Akteure profitieren davon, dass Individuen ihre Interessen und ihre Ressourcen bündeln. Jedoch sind kollektive Akteure letztlich von den Präferenzen ihrer Mitglieder ab hängig und werden von diesen kontrolliert. Korporative Akteure hin gegensindinsehrvielweiteremMaßeunabhängig(Scharpf2000:101). Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Die Umweltbewegung kannalskollektiverAkteurbezeichnetwerden.IhreMitgliedervertre ten bezüglich eines wahrgenommenen Problems (z.B. bedrohte Tier welt durch Autobahnbau) ähnliche Lösungswege (z.B. Verhinderung desAutobahnbaus).DieBewegungistdavonabhängig,dassdieindivi duellen Mitglieder ihre Interessen artikulieren, Kampagnen oder Un terschriftensammlungen starten. Ab dem Moment, da sich unter schiedlicheSträngeeinerUmweltbewegungjedochineinerökologisch orientiertenParteizusammenschließen,sinddiewirklichenHandlungs einheiten „nur noch indirekt die sie konstituierenden Individuen“ (Schneider2009:193).DietatsächlichHandelndenerlangendamiteine gewisseAutonomie.InunseremBeispielkönntendanndieSpitzenver treterderökologischenParteisichaufderEntscheidungsebenegegen den Autobahnbau aussprechen und diesen zu verhindern suchen. Sie sinddarinweitgehendunabhängigdavon,obsichauchdieParteibasis in diesem konkreten Fall gegen den Autobahnbau engagiert. Umge kehrt profitieren die einfachen Parteimitglieder davon, dassihre Inte ressenanhöhererStelleartikuliertwerden. Nun sollten allerdings kollektive und korporative Akteure nicht alsklarvoneinanderabgrenzbare,sondernalsmiteinanderverwobene Phänomenebetrachtetwerden(vgl.Schneider2009:194).Sokönnen etwa mehrere korporative Akteure eine dauerhafte Kooperation und Koordination eingehen und somit wiederum einen kollektiven Akteur bilden. Außerdem sind Einzelne in der Lage, sich entweder als indivi duelleroderalsTeileineskollektivenAkteurszuverhalten.Zwarmutet es mitunter irritierend an, wenn Sätze wie der folgende fallen: „Ich
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spreche da jetzt nicht als Parteimitglied, sondern in meiner Funktion alsAbgeordneter.“SchnellstelltsichdanndieFrage,obundwiediese in einer Person vereinten Rollen voneinander getrennt werden kön nen.TatsächlichkannabereinAbgeordneterz.B.gegeneinenAntrag seiner Partei stimmen, und damit seinem Gewissen folgen, oder sich trotz Bedenken für den Antrag entscheiden, und damit der Parteidis ziplin folgen. Es kann jedoch für Individuen äußerst problematisch werden, streitende Zielvorstellungen je einer ihrer verschiedenen Rollenzuordnenzumüssen. DerBegriffdespolitischenAkteurskannentwederrechtengge fasstwerden,indem z.B. nurdie Rolle von Funktionsträgern und Par teien in politischen Prozessen beleuchtet wird. Oder der Akteursbe griffkannweitgefasstwerden,indemauchJournalistenoderwissen schaftlichen Experten eine wesentliche Rolle für politische Willensbil dungs und Entscheidungsprozesse attestiert wird. Wie eng oder wie weit der Akteursbegriff gefasst werden sollte, muss sich letztlich im meranderFrageentscheiden:„Weristtatsächlichandenpolitischen ProzessenbeteiligtundhatEinfluss?“DieAntwortaufdieseFragewird von Politikfeld zu Politikfeld unterschiedlich ausfallen. So ist es denk bar,dassinderGentechnologiepolitikdieMeinungvonwissenschaftli chenExperteneinegroßeRollespielt,währendimBereichderAußen politikdieMedienweltundihreBerichterstattungwichtigereFaktoren darstellen. Alle Akteure wirken an politischen Prozessen mit, um dadurch bestimmteInteressendurchzusetzen.Aberwasgenausindeigentlich InteressenundwielässtsichzwischenverschiedenenArtenvonInte ressenunterscheiden?Ein„BlickaufdieInteressengruppeninDeutsch landmachtdeutlich,dasseinigeInteressenbesondersgutorganisiert sind, während andere nur unzureichend im organisierten Interessen spektrum vertreten sind“ (Heinze/Voelzkow 2003). Um diesen Um standzuerklären,lässtsichzwischenallgemeinenInteressenundspezi ellenInteressenunterscheiden.ImVorteilsindnichtetwaAllgemeinin teressen (z.B. Umweltschutz), sondern in aller Regel die speziellen Interessenvon(vergleichsweise)kleineren,homogenenGruppen.
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Infokasten41:AllgemeineundspezielleInteressen MancurOlson,einVertreterderNeuenPolitischenÖkonomie,der auch das Fach der Politikwissenschaft stark geprägt hat, wies in seiner „Logik kollektiven Handelns“ (1968) nach, dass „mit stei gender Gruppengröße die Bereitschaft zur Organisierung ab nimmt,dadievondemVerbandangebotenenunderkämpftenpo litischen Güter (z.B. höhere Löhne bei den Gewerkschaften) „un teilbar“ sind (Heinze/Voelzkow 2003). Es handelt sich um soge nannte „Kollektivgüter“, so dass sich eine hohe Zahl von „Tritt brettfahrern“ entwickeln kann: Wenn bspw. ein Umweltverband eine hohe Durchsetzungskraft erlangt und sich durch sein Enga gement im Ergebnis tatsächlich die Umweltsituation verbessert, so profitieren davon nicht nur die Mitglieder dieses Verbandes, sondern alle Menschen. Die Organisationsfähigkeit von allgemei nen Interessen ist daher niedriger als die von speziellen Interes sen. Dies trifft bspw. auch auf das Politikfeld des Verbraucher schutzeszu,solangediesersichnichtaufBereichemitspeziellen Interessen(z.B.Mieterbund)bezieht.ObwohlspezielleInteressen also strukturelle Organisationsvorteile haben, können aber auf grundäußererUmstände(z.B.Krisen)Massenaktionenentstehen, welche die Organisation auch von allgemeineren Interessen er leichternodergarerstermöglichen(Schubert1989:23).Dieskann bspw.erklären,warumderUmweltschutz,obgleichvonallgemei nem Interesse, eine schlechte Organisationsfähigkeit aufweist, in einigen Bereichen dennoch hoch organisiert ist (z.B. Atomkraft), inanderenhingegennicht(z.B.Tierschutz). Schneider(2003:123)weistdaraufhin,dassderInteressenbegriffauf eine „rationale, kühle und mäßigende Vorgehensweise in der Verfol gungvonZielenverweist.“InteressenaberaufdieamNutzenausge richtete Auswahl zwischen verschiedenen Handlungsoptionen zu reduzieren,scheintderRealitätnichtangemessenzusein–undzwar aus verschiedenen Gründen. Herbert Simon verwies bereits 1957 mit seinem Konzept der „bounded rationality“ – also der begrenzten Rationalität–darauf,dassdieAnnahmerationalhandelnderAkteurein hohem Maße unwahrscheinlich ist. Zum einen sind Menschen keine Maschinen, die komplexe Probleme exakt bestimmten, Lösungen
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entwickeln und dabei auch noch sämtliche notwendigen Informatio nenverarbeitenkönnen(vgl.Simon1957).EswerdenalsodieProble me niemals punktgenau bestimmt, sondern vielmehr ein vereinfa chendesBildderüberkomplexenRealitäterstellt.Ebensowenigistes wahrscheinlich, dass unter Abwägung aller Vor und Nachteile die objektiv beste aus einer Vielzahl von Möglichkeiten ausgewählt wird. DafürmüsstenzumindesteinmalalleMöglichkeitenbekanntsein.Am Schachspiel wurde häufig verdeutlicht, dass dies keineswegs voraus gesetzt werden kann: Selbst die besten Schachspieler wägen bei ei nemZugnichtalletheoretischdenkbarenOptionengegeneinanderab, sondernverfügenübereingewissesSetan„Lieblingszügen“.Daherist eshäufigso,dasssieebennichtdenbestenallermöglichenZügeaus wählen, sondern denjenigen, der sie persönlich zufriedenstellt. Hinzu kommt:DieSuchenachder„bestenLösung“sagtnochnichtsüberdie Kriterien, welche eine bestimmte Lösung zu der individuell besten machen. Nicht unbedingt sind traditionell angeführte Gründe wie Ressourcensteigerung oder anderweitige materielle Interessen aus schlaggebend.VielmehrkanneinAkteurauchbestimmteideelleWerte oderÜberzeugungenvertreten,dieeinebestimmteOptionfürihnzur „bestenLösung“machen–auchwennsichdieGründeklarbestimm barenKategorien(z.B.kostengünstigsteLösung)entziehen. Üblicherweise wird zwischen zwei Interessenvermittlungsstruk turenunterschieden:Korporatismusaufdereinen,Pluralismusaufder anderen Seite. Den folgenden Ausführungen muss vorangestellt wer den, dass die Gegenüberstellung von Korporatismus und Pluralismus als Interessenvermittlungsstrukturen mittlerweile vielfach als idealty pisch zugespitzt gilt. Korporatismus, so wird es heute zumeist gese hen, ist „kein neues System, sondern nur eine Strategie, ein Instru ment, manchmal auch nur eine kleine politische Taktik. […] Pluralis musistdieübergreifendeKategorie,Korporatismusnureinmöglicher, durch historisch bestimmte Konstellationen begünstigter Unterfall“ (vonAlemann2000).
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Infokasten42:NeoKorporatismus
Unter Korporatismus versteht man die Beteiligung staatlich aus gewählter Interessengruppen an politischen Entscheidungspro zessen. Im sogenannten NeoKorporatismus werden die beteilig ten Interessengruppen nicht mehr rein staatlich festgelegt. Aller dingsistesnachwievorvonderstaatlichenAnerkennungabhän gig, welche Interessengruppen an politischen Prozessen beteiligt (und somit Teil der neokorporatistischen Strukturen) sind, und welchenichtbeteiligtsind.ZweckdieserBeteiligunggesellschaft licher Organisationen (insbesondere Arbeitgeber und Arbeitneh merverbände) ist die Bindung dieser unterschiedlichen Interes sengruppen an gemeinsam getroffene Entscheidungen. Obgleich im liberalen NeoKorporatismus eine größere Offenheit herrscht als im klassischen Korporatismus, wird es doch als grundsätzlich zuvermeidenerachtet,dassdieeinzelnenInteressengruppenzu einanderineinemkonflikthaftenVerhältnisstehen.
Während der NeoKorporatismus auf Konsensmechanismen zwischen den Interessengruppen setzt, bleibt beim Pluralismus offen, welche Art von Beziehung zwischen den Interessengruppen herrscht. Hier sind verschiedene Formen von Konflikt und Konsens oder Konfronta tion und Kooperation beobachtbar, alle Variationen, von prinzipieller FeindschaftbiszurfreundschaftlichenVerbundenheit.
Infokasten43:Pluralismus
Im idealtypischen Interessensvermittlungssystem des Pluralismus wirddieoffeneAuseinandersetzungzwischendiversenpolitischen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen als wesentlicher Teil der politischen Willensbildung erachtet (Schubert/Klein 2006). Dies schließt keineswegs aus, dass diese Interessen nicht auch durch KonsensundKoalitionsmöglichkeitengeprägtsindundsomitauch gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten gesucht werden kann und soll.Dieunterschiedlichen,teilsebenauchdurchKonfliktegepräg tenInteressenwerdenaberstärkeranerkanntundihreVertretung undversuchteDurchsetzungalslegitimbewertet.Zusammenhänge mitdempluralistischenWeltbilddesPragmatismus,wieesinKapitel 2diskutiertwurde,sindersichtlich.
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Für Deutschland wurden traditionell neokorporatistische Strukturen identifiziert.Damitistgemeint,dassdieDivergenzenzwischenArbeit geberundArbeitnehmerinteressenmöglichstnichtdurchkonflikthaf te Auseinandersetzungen (z.B. Streik) gelöst werden, sondern eine einvernehmliche Lösung gesucht wird. Hierfür existieren bestimmte StrukturenwieetwadieTarifautonomie.AuchindenWillensbildungs und Entscheidungsprozessen sind Interessensverbände (und wiede rum insbesondere Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter) einge bunden. Daher wird auch von einem tripartistischen, also einem aus drei Parteien (Regierung, Arbeitgeber und Arbeitnehmer) bestehen den System gesprochen. Beispielhaft zeigen sich diese Interessenver mittlungswege in den „konzertierten Aktionen“, z.B. im Wirtschafts oder Gesundheitswesen. Während in Deutschland der Begriff der „konzertiertenAktion“engerdefiniertist(vgl.Infokasten),stehterim traditionell noch stärker korporatistisch geprägten System der öster reichischen Sozialpartnerschaft allgemein für das aufeinander abge stimmte Verhalten verschiedener Akteure zum Erreichen eines ge meinsamenZiels. Infokasten44:KonzertierteAktion Die erste konzertierte Aktion wurde 1967 vom damaligen Bundes wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) im Rahmen der Konjunktur förderunggestartet.ImKontextdesStabilitätsundWachstumsge setzes (1967) wurde festgelegt, dass die Gebietskörperschaften (Bund, Länder) und die Tarifparteien (Arbeitgeberverbände, Ge werkschaften) ihr Verhalten aufeinander abzustimmen haben, um dieviergroßenwirtschaftlichenZielezuerreichen(Preisniveaustabi lität,Vollbeschäftigung,außenwirtschaftlichesGleichgewichtsowie angemessenesundstetigesWirtschaftswachstum).ZehnJahrelang hielt diese erste konzertierte Aktion: Dann kam es zum Bruch zwi schenArbeitgebernundGewerkschaftern.Spätergabesnocheine weitere konzertierte Aktion im Gesundheitswesen und auch Ge rhard Schröders „Bündnis für Arbeit“ (1998) wies ähnliche Muster auf,obgleicheseineandereBezeichnungtrug. Für die Politikfeldanalyse ist es wichtig danach zu fragen, welche Ak teureaktivsind,wiesieihreInteressendurchzusetzenversuchenund
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ob sie in politische Willensbildungs und Entscheidungsprozesse ein gebundensind.Darüberhinaus–unddasistnunderoriginäreAnsatz der Netzwerkanalyse – ist es von hoher Bedeutung, welche Bezie hungsgeflechte zwischen den einzelnen Akteuren existieren. Die Netzwerkanalyse widmet sich dem Umstand, dass nicht allein ent scheidend ist,welche Akteure aktiv und beteiligt sind: Es macht auch einenUnterschied,wiedieseAkteurezusammenarbeiten,kooperieren undsichkoordinieren.DiesemThemawirdsichdernächsteAbschnitt zuwenden. 4.1.2 Netzwerke Überspitzt kann die Netzwerkanalyse als „Regenbogenpresse“ der Politikfeldanalyse bezeichnet werden. Zumindest dann, wenn man einer ihrer wichtigsten Fragestellungen folgt: „Wer mit wem?“ Diese Frage stellen Netzwerkanalytiker aufgrund folgender Annahme: Die ArtderBeziehungenzwischenverschiedenenpolitischenAkteurenhat Einfluss auf politische Entscheidungen (vgl. Marsh 1998: 3). So ein leuchtend uns dies auch heute erscheint: Für die traditionelle Politik wissenschaftwardieseAnnahmeallesanderealsselbstverständlich.In Kapitel2istbereitsangesprochenworden,dassnochbisindie1970er Jahre ein mechanistisches Verständnis vorherrschend war. Hiernach plant, reguliert und steuert der Staat einzelne Politikfelder als domi nanter, weitgehend autonomer Akteur. Erst mit den auftauchenden UmsetzungsundImplementierungsproblemenimRahmender(wohl fahrtsstaatlichen)ReformprogrammeverschobsichdieseAnalyseper spektive.DassvielfältigegesellschaftlicheGruppenfürdieUmsetzung vonPolitikeneinewichtigeRolleeinnehmen,istseitherweitgehender „commonsense“inderPolitikwissenschaft.Netzwerkanalyseninder PolicyForschung konzentrieren sich vor diesem Hintergrund auf die Fragestellungen, „über welche Beziehungsarten Akteure untereinan der verbunden sind und welche konkreten Muster diese Beziehungs mengenaufweisen“(Schneider/Janning2006:117). In Ansätzen ist die Bedeutung verschiedener Interessengruppen fürpolitischeProzessebereitsindenAusführungenzuKorporatismus und Pluralismus deutlich geworden: Auch hier wird davon ausgegan gen,dassdieInteressenvermittlungsformenzwischendenrelevanten Akteuren,abhängigdavonobsiedurchZusammenarbeitundKonsens oder durch Konflikt geprägt sind, zu unterschiedlichen politischen
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Ergebnissen führen. Im Gegensatz hierzu glauben jedoch Netzwerk analytiker nicht daran, dass bestimmte Strukturen unbedingt zu ein heitlichenProzessenführen.Netzwerkanalytikerschauendahergenau hin: Welche Netzwerke existieren auf einem bestimmten Politikfeld? Wie versuchen Akteure dieser Netzwerke Einfluss zu nehmen? Wel chen Einfluss entwickeln die Netzwerke tatsächlich auf politische Er gebnisse? Grundsätzlich können diese Beziehungsmuster auf drei Ebenenuntersuchtwerden,nämlicherstensaufEbenederindividuel lenAkteure,zweitensaufEbenevonTeilgruppeninnerhalbdesNetz werkes oder drittens auf Ebene des gesamten Netzwerkes (Schnei der/Janning2006:117). Der Terminus des Netzwerks kann sehr unterschiedlich konno tiert sein. Auf der einen Seite stehen Netzwerke wie die „Lokalen Bündnisse für Familie“ für ein Nutzen bringendes Zusammenwirken unterschiedlichsterAkteureausPolitik,Wirtschaft,Kulturundanderen gesellschaftlichen Bereichen. Auf der anderen Seite nährt der Netz werkbegriff den leicht aufkommenden Verdacht von Mauschelei, GrauzonenundanderendunklenGeschäften.Auchwennletztereswie im Fall des sprichwörtlichen „Kölner Klüngels“ durchaus Bestandteil politikwissenschaftlicher Netzwerkbetrachtungen sein kann: In aller RegelkennzeichnensichpolitischeNetzwerkedurcheinhohesMaßan professioneller Orientierung. Politischer Einfluss resultiert hierbei vor allem aus fachlichinhaltlicher Autorität und rationaler Überzeugung. Affektive Elemente wie Freundschaft oder Bestechung können in sozialenGebildennievölligausgeschlossenwerden.Diezwischenden Akteuren bestehende, vergleichsweise hohe Transparenz gibt aller dings eher Anlass zu der Vermutung, dass diese Elemente in politi schen Netzwerken in der Bundesrepublik seltener anzutreffen sind (Schubert1991:90). Auch in den USamerikanischen Anfängen der Netzwerkfor schunginden1950erund1960erJahrenwareneskeineswegsillegale Machenschaften,dieaufdiesesUntersuchungsfeldaufmerksammach ten. NetzwerkPionier David Truman (1951) identifizierte eine große Anzahl von Akteuren, die auf komplexem und oftmals informellem WegeandenpolitischenProzessenteilnahmen.IndividuenundGrup pen, die durch bestimmte politische Entscheidungen betroffen seien, sollten vor Beginn des Regierungshandelns konsultiert werden – so Truman (1951: 458). Auch in Deutschland ist es heute selbstverständ lich, dass Gesetzesentwürfe in einer frühen Phase in den Ministerien
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mitbetroffenenInteressengruppendiskutiertwerden.Auchverfügen diese Individuen oder Gruppen häufig über ein Praxiswissen, das für dieAusarbeitungderRechtstextevonhoherBedeutungist. Über die Konzentrierung auf Gesetzgebungs und Regierungs prozesse blieb der netzwerkanalytische Akteursbegriff lange Zeit auf das so genannte iron triangle beschränkt; das eiserne Dreieck aus Regierung, Ministerialbürokratie und Interessengruppen. Als „eisern“ wurde das Dreieck deshalb beschrieben, weil die drei Akteure aufei nander angewiesen sind und insbesondere in der USamerikanischen MilitärundTechnologiepolitikstarkeAbschottungseffekteaufweisen: So üben Regierung, Ministerialbürokratie und Interessenverbände zwarstarkewechselseitigeEinflussnahmenaus,sindjedochgegenüber externen Einflüssen äußerst verschlossen. Vor diesem Hintergrund wirdderBegriffdes„eisernenDreiecks“heuteauchallgemeinkritisch füreinsichnachAußenhinabschottendesDreiecksverhältnisverwen det. ImLaufederZeithatdienetzwerkanalytischeEngführungaufdas „eiserne Dreieck“ jedoch eine Öffnung erfahren, so dass heute zu meist auch andere Akteure – wie bei Sabatiers AdvocacyKoalitionen (Sabatier/Weible2007)z.B.JournalistenoderWissenschaftler–indas Blickfeld geraten. Auch Heclo definierte bereits 1978 den Begriff des PolicyNetzeseherweitals„Zusammenwirkenderunterschiedlichsten exekutiven,legislativenundgesellschaftlichenInstitutionenundGrup pen bei der Entstehung und Durchführung einer bestimmten Policy“ (WindhoffHéritier 1987: 45). Nach einer anderen Definition ist ein Netzwerk ein „Geflecht (sozialer, ökonomischer, politischer) Bezie hungen, das auf Dauerhaftigkeit, Freiwilligkeit und Gegenseitigkeit beruht“ (Schubert/Klein 2006: 206). Es lohnt, die drei Dimensionen dieserDefinition–nämlich(1)Dauerhaftigkeit,(2)Freiwilligkeitund(3) Gegenseitigkeit–nocheinmalgenauerzubetrachten. (1) Ein PolicyNetzwerk ist erstens auf Dauerhaftigkeit angelegt. Denn zurgemeinsamenInteressenvertretungmusseinegewisseVerlässlich keit gegeben sein. Dauerhaftigkeit ist jedoch kein sonderlich scharf umrissener Begriff. Ein Netzwerk zum Start eines Bürgerbegehrens etwa, das sich als Interaktionsform aus einer spezifischen Situation heraus entwickelt, kann sich nach einigen Monaten wieder auflösen. Die Mehrheit der Netzwerke zeichnet sich jedoch durch eine größere Beständigkeit aus, indem sie strukturell in einem bestimmten Bereich
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angelegt sind. Aus dieser Dauerhaftigkeit ergibt sich die Gefahr zu starker Abschottungseffekte von politischen Netzwerken (Schubert 1991: 90): Es kann sich ein gemeinsames, nach Außen und vor allem Nichtbeteiligten gegenüber kohärentes Problemverständnis entwi ckeln, demgegenüber andere Interessen und politische Alternativen nurschwervermittelbarsind.DieseArtvonIsolierungistinsbesondere im Hinblick auf eine mangelnde politische Antwortbereitschaft und fehlende Sensibilität gegenüber sozioökonomischen Entwicklungen problematisch. (2)ZweitensberuhenPolicyNetzwerkeaufFreiwilligkeit.Eineautoritär seitensdesStaatesherangetrageneKooperationundZusammenarbeit – wie sie sich im klassischen Korporatismus findet – fällt also nicht unter diese Konzeption. Dennoch lässt sich auch der Begriff der Frei willigkeit hinterfragen. Denkt man allein an soziale OnlineNetzwerke wie„facebook“oder„studivz“,soistbereitseinhoherDruckinRich tung Mitgliedschaft erkennbar (z.B. um Informationsdefizite zu ver meiden).Eskanndahererwartetwerden,dassdieserDruckbeipoliti schen Netzwerken noch verstärkt gilt. Dies trifft umso mehr zu, als auch die folgenden Ausführungen zur Gegenseitigkeit darauf verwei sen, wie sehr die einzelnen Mitglieder eines Netzwerkes aufeinander angewiesensind. (3) PolicyNetzwerke beruhen auf Gegenseitigkeit. Alle am Netzwerk beteiligten Akteure erhoffen sich einen Vorteil aus der Kooperation und müssen diesen (früher oder später) auch in irgendeiner Form erhalten. Tun sie dies nicht, so werden sie die Mitgliedschaft in dem Netzwerk irgendwann beenden. Gerade am Beispiel des eisernen Dreiecks wird jedoch deutlich, dass jeder Akteur die jeweils anderen beiden Akteure braucht, um die eigenen Interessen durchsetzen zu können(Schubert1991:92).SoistderInteressenverbandaufdiestaat licheBehördeangewiesen,um seinenMitgliedernpolitischinduzierte Vorteile verschaffen zu können. Die staatliche Behörde wiederum braucht die Interessengruppe, um für die eigenen Programme politi scheUnterstützungausdemBereichderKlientenbeschaffenzukön nen. Die Bürokratie erhält von Seiten der Regierung politische Unter stützung und wird von ihr finanziert. Die Regierung wiederum ist zur ImplementierungundAusführungihrerpolitischenBeschlüsseaufdie Behörden angewiesen. Dergleichen symbiotische Wechselbeziehun
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gen lassen sich vielfach nachweisen (vgl. für „Klassiker“ der iron triangleForschungz.B.Cater1964;Huntington1952).DieBeziehungen dergegenseitigenVorteiledurchdieMitwirkungimNetzwerkmüssen jedoch nicht immer so symmetrisch bzw. ausgewogen sein: Wenn bspw. ein Akteur stärker und regelmäßiger auf die Ressourcen des anderen angewiesen ist als umgekehrt, „so können sich asymmetri sche Beziehungen herausbilden, in denen der abhängige Partner er pressbarwird“(Schneider/Janning2006:124). Über die genannten Merkmale ist erst einmal nur etwas über den Nutzen von Netzwerken für die beteiligten Akteure gesagt. Eine hie rauf beschränkte Konzeption von Netzwerken geht davon aus, dass sich Akteure in Netzwerken zusammenfinden, um über das Zusam menbringen von Ressourcen ihre Interessen besser vertreten und durchsetzenzukönnen.Esgibtjedochneben„Interessen“imengeren Sinne noch einen weiteren Kitt, der Netzwerke zusammenhält: Über zeugungen und Ideologien. Hierauf hat insbesondere Sabatier mit seinem ebenfalls an Netzwerken orientierten AdvocacyKoalitionsan satzhingewiesen.DieKoalitionenausverschiedenstenAkteurenwer dendanachdurchvonallengeteilteKernüberzeugungenbezüglichder behandelten Policy zusammengehalten: „Policy core policy preferences are normative beliefs that project an image of how the policysubsystemoughttobe,providethevisionthatguidescoalition strategicbehavior,andhelpsunitealliesanddivideopponents“(Saba tier/ Weible2007:195). Im Folgenden werden vier Dimensionen von Netzwerken unter schieden (vgl. Jansen/Schubert 1995: 1113), die für die Analyse und EinordnungvonNetzwerkenäußersthilfreichsind.DieseDimensionen sind (1) Akteursart, (2) Netzwerkfunktionen, (3) Netzwerkstrukturen und(4)dieinnerhalbderNetzwerkeherrschendenMachtverteilungen. (1)Allgemeinlässtsichzwischenstaatlichen,privatenundgesellschaft lichen Akteuren differenzieren, die in Netzwerken aktiv sein können. ZumeistsinddieseAkteurekorporativerNatur,also„gesellschaftliche Interessengruppen, Einzelorganisationen wie z.B. (Groß)Unterneh men,StaatoderverschiedenestaatlicheAgenturen,Abteilungeneines Ministeriumsetc.“(Jansen/Schubert1995:12).IneinemerstenSchritt sollte also geklärt werden, welche Art von Akteuren im jeweiligen
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NetzwerkaktivistundinwieweitbestimmtegesellschaftlicheAkteure auf die staatliche Absicherung ihrer Existenz zurückgreifen können (z.B.durchrechtlicheAnerkennungvonTarifverträgen). (2)JedesNetzwerkdientspezifischenZielenundhatspezifischeFunk tionen. Einige sind oben bereits im Kontext des Merkmals Gegensei tigkeit angesprochen worden: Interessengruppen nutzen Netzwerke fürLobbyarbeit;politischeAkteurewollenEntscheidungenabstimmen undlegitimierenlassen;gemeinsameZieleoderÜberzeugungensollen überdieZusammenarbeitundgemeinsameEinflussnahmeverwirklicht werden.ZurFunktionserfüllunggreifenNetzwerkewiederumaufganz unterschiedliche materielle und immaterielle Ressourcen zurück. Jan sen/Schubert (1995: 12) nennen hierfür die folgenden Beispiele: Be schaffung von Informationen und Expertisen, politischer Einfluss, Kooperation inder Politikformulierung und Durchsetzung sowie auch Ressourcenströme(z.B.Geld,Beratung,Hilfeleistungen).
(3) Wie dauerhaft und stabil sind die untersuchten Netzwerke? Wie intensivsinddieBeziehungenzwischendeneinzelnenMitgliedern?Ist das Netzwerk streng hierarchisch geordnet oder durch einen eher lockeren Aufbau geprägt? Welche Verhaltensregeln und Normen gel ten innerhalb der Netzwerke? Dies sind Fragen, die im Rahmen der UntersuchungvonNetzwerkstrukturengestelltwerden.VonInteresse istweiterhin,welchenGradvonInstitutionalisierungdieInteraktionen zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren aufweisen. In nerhalb des Feldes Gesundheitspolitik kennzeichnen sich bspw. die Kassenärztlichen Vereinigungen durch einen hohen Institutionalisie rungs und Einbindungsgrad in politische Prozesse. Würde man das Netzwerkaufzeichnen,sowärenvermutlichvondiesenVereinigungen ausgehend intensive und vielfältige Wechselbeziehungen sichtbar. SelbsthilfegruppenhingegenweisenaufdemgleichenPolitikfeldeine sehr viel geringere Institutionalisierung und Einbindung auf. Im grafi schen Modell würden sie wohl am Rand des gesundheitspolitischen Netzwerks stehen. Netzwerke können sich überdies danach unter scheiden,wierelativoffenodergeschlossensienachAußenhinsind; wieschweresalsofürandereAkteureist,andenInteraktionenteilzu nehmen.
(4)DemFaktorMachtwirdbeiderUntersuchungpolitischerProzesse großes Gewicht zugesprochen. Denn, so die Annahme, Macht bzw. 66
Machtkonstellationen können erklären, welche Interessen sich letzt lich durchsetzen. Ungeachtet dessen, dass diese Annahme in Teilen hinterfragt werden kann (und z.B., wie in Kap. 6 näher erläutert, der Faktor „Zufall“ nach Annahme des MultipleStreamsAnsatzes eine wichtigereRollealszumeistangenommenspielt):DieNetzwerkanaly sekannwichtigeHinweisezurKlärungderMachtfrageliefern.Sowohl der Ressourcenbesitz entscheidet über die Macht von einzelnen Ak teuren und Akteursgruppen, als auch ihre Stellung innerhalb des Netzwerks (Jansen/Schubert 1995: 13). Ein wichtiger und mit allen anderen Mitgliedern vernetzter Akteur, der grafisch im Zentrum des Netzwerks anzutreffen ist, wird vermutlich über hohen Einfluss und Macht verfügen. Ein weitgehend ausgegrenzter und nur mit einem anderen Mitglied vernetzter Akteur hingegen wird wohl nur geringe Einflussmöglichkeitengeltendmachenkönnen. UmdieGliederungentlangdervierbeschriebenenDimensionennoch einmal zusammenzufassen: Nachdem in einem ersten Schritt die Art derimpolitischenNetzwerkaktivenAkteureherausgearbeitetworden ist, sollten in einem zweiten Schritt die zugrunde liegendenZiele und Funktionenanalysiertwerden.HiergewinntauchdieFrageanBedeu tung,aufwelcheBeziehungenundRessourcenzurFunktionserfüllung zurückgegriffen wird. In einem dritten Schritt rücken die Strukturen des Netzwerks ins Blickfeld: Stabilität, Intensität und Institutionalisie rungsgradsinddabeiwichtigeStichworte.Abschließendwirdnachder MachtverteilunginnerhalbdesNetzwerksgefragt,diesichinFormvon RessourcenundderrelativenStellungderAkteuredarstellt. ZurEingrenzungalldieserDimensionenwirdaufmathematische ModelleunddieGraphentheoriezurückgegriffen.Hiernachbestehtein NetzwerkauseinerReihevonPunkten(Knoten),dieAkteuresymboli sieren, und Linien (Kanten), die Beziehungen zwischen diesen Akteu rendarstellen(Schneider2009:206).Diesmachtdeutlich,dassessich beimNetzwerkansatzwenigerumeinentheoretischendennumeinen methodischen Ansatz handelt. Er findet mittlerweile sehr vielfältige Anwendungsgebiete wie zum Beispiel „kommunale Elitenetzwerke, sektorale Politiknetzwerke, europäische Mehrebenenprozesse und internationaleBeziehungen“(Lang/Leifeld2008:223).DieseAuflistung zeigt,dassdieNetzwerkanalyseheuteweitüberdieGrenzenderTeil disziplin Politikfeldanalyse hinaus Bedeutung für das Fach entwickelt hat.AmfolgendenSchaubildwerdeneinigederobengenanntenPunk
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te nochmals verdeutlicht: Es ist anzunehmen, dass A über besonders hohenEinflussund/oderMachtverfügt,daeralseinzigerAkteurüber direkteInteraktionenmitallenanderenMitgliedernverfügt.Hingegen scheint der Einfluss von F äußerst begrenzt zu sein – es sei denn, F wäreder„spindoctor“imHintergrund,derAlediglichalsKanalnutzt, umseineInteressenüberdasNetzwerkdurchsetzenzukönnen. Schaubild41:GrafischeDarstellungeinesNetzwerks
Quelle:EigeneDarstellung
TeilswirddieNetzwerkanalyseaufdiesemethodischeModellverwen dung beschränkt, ihre erklärende Kraft bestritten und ihr somit ein lediglich heuristischer Nutzen attestiert (vgl. Marsh 1998: 72). Die Netzwerkanalyse kann jedoch durchaus auch steuerungstheoretisch eingesetztwerden(vgl.Lang/Leifeld2008:223).Wieerwähnt,stelltin diesem theoretischen Ansatz der Staat oder staatliche Institutionen nur noch einen unter mehreren wichtigen Akteuren dar; politische Steuerung ist somit keine vonoben nach unten verlaufende Einbahn straße,sonderneinkomplexesGebildevonKooperationundVerhand lungslösungen (Schneider/Janning 2006: 161). Hier zeigen sich Zusam menhänge mit der Steuerungstheorie und der GovernanceDebatte (vgl.Kap.4.3). 4.2 StrukturenundInstitutionen Im vorigen Abschnitt wurde die PoliticsDimension zur Erklärung von Policiesbehandelt:Eswurdegeklärt,welcheArtvonAkteurenihreInte ressenimpolitischenProzessvertreten,welcheVermittlungsstrukturen dabei wirken können und wie sich Akteure in Netzwerken zusammen
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schließen. Im dritten Kapitel ist jedoch deutlich geworden, dass viele theoretische Ansätze der Politikfeldanalyse (politischinstitu tionalistische Theorien, Pfadabhängigkeit) nicht politische Akteure und derenMachtressourcenalsunabhängigeVariablefürgewähltePolitiken heranziehen, sondern die sie prägenden Strukturen und Institutionen. Und auch wenn Akteuren ein stärkeres erklärendes Gewicht zugestan den wird – wie im Akteurzentrierten Institutionalismus – so wird doch auch hierbei stets auf den entscheidend strukturierenden Einfluss der Polity verwiesen. Aber: Institutionen und Strukturen beeinflussen zwar dasHandelnpolitischerAkteure,lassenaberimmeraucheinengewissen EntscheidungsundGestaltungsspielraum.VordiesemHintergrundwird zunächst eine Begriffsklärung von Institutionen im Allgemeinen und politischen Institutionen im Speziellen vorgenommen. Anschließend werden die allgemeinen Funktionen politischer Institutionen diskutiert und der Frage nachgegangen, weshalb sich selbst bei mangelhafter Funktionserfüllung ihre Reform äußerst schwierig gestaltet. Abschlie ßendwirddieallgemeineFrage,welcheInstitutionenundStrukturenfür diePolicyAnalysevonBedeutungsind,amkonkretenBeispielderFami lienpolitikinDeutschlanddiskutiert. ZurBegriffsklärung:MitunterhörtmanSätzewie„FranzBecken bauer ist eine Institution im deutschen Fußball.“ In diesem umgangs sprachlichen Sinne scheint eine Institution erst einmal etwas von Be deutungzusein;etwas,aufdasauchandereMitspieleraufdemFeld– etwaaktiveFußballerindenBundesligen–zuachtenundsichdaranzu orientierenhaben.ÜberdasselbeMetierkönnteaberauchderSatzzu hörensein:„DerWeltfußballverbandFIFAistdiemächtigsteInstitution imFußball.“ImGegensatzzuFranzBeckenbauerkanndieFIFAdirekte Regeln erlassen, welche die nationalen Fußballverbände einzuhalten haben:Waspassiert,wennesnachderregulärenSpielzeitunentschie densteht?WiebreitundhochdarfdasTorsein?WiekönnensichNati onalmannschaftenfürinternationaleWettbewerbequalifizieren?Diese beispielhaftenFragenzeigen,dassdieFIFAinunterschiedlichenBerei chenüberunterschiedlicheRegelungskompetenzverfügt:Währendin den nationalen Ligen autonom über die Verfahrensweise nach einem Unentschiedenverfügtwerdenkann,legtdieFIFAdieinternationalen Vorgaben zur Breite und Höhe der Fußballtore fest. Auch die Regeln zur Qualifikation für internationale Wettbewerbe wie der Fußball weltmeisterschaft setzt sie selbst. Einige Institutionen des Fußballs (FIFA) haben also weiterreichende strukturierende und regulierende
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Kraft als andere (Franz Beckenbauer). Ebenso ist es auch im politi schen Raum. Dennoch bestimmen beide genannten Institutionen in gewisserWeisedieSpielregelnaufdemPlatz. Doch Institutionen sind mehr als nur Spielregeln: Sie sind „eine Ansammlungvonmehroderwenigerdauerhaftensozialengegenseiti gen Erwartungen, aus denen sich Regelsysteme herauskristallisiert haben, welche die sozialen Interaktionen steuern“ (van Waarden 2009:274).DieseRegelsystemekönnenwiebeidenVorgabenderFIFA formellerNatursein;oderwiebeiderprägendenGestaltdesFußball Kaisers Beckenbauer informeller Art. Neben diesen Regeln können Institutionen jedoch auch aus Normen oder Strategien bestehen (Schneider/Janning 2006: 141). Normen einer Gesellschaft (z.B. zur Steuerhinterziehung) sind in aller Regel nicht formalisiert und prägen doch das Verhalten der Akteure und die Anwendung der formellen Regeln(z.B.Steuergesetzgebung). FunktionalbetrachtetkönnenInstitutionenalsaufDauergestell te Problemlösungen bezeichnet werden (Schubert/Bandelow 2009a: 17).DurchihreDauerhaftigkeitschaffensieauchVerlässlichkeit,Stabi lität und Erwartungen. Politische Institutionen im engeren Sinne kön nen definiert werden als „Regelsysteme der Herstellung und Durch führung allgemeinverbindlicher Entscheidungen oder zumindest Ent scheidungsgrundlagen“ (Göhler 1988: 17). Mit dieser Definition wird Institutionen etwas in ihrer Wirkungsweise „Absichtsvolles“ zuge schrieben oder unterstellt. Dies ist der wesentliche Unterschied zur „Struktur“,welcher–trotzderdamitverbundenenWirkungen–inder Regel keine konkrete Absicht unterstellt wird. Daher wird auch der Begriff „Struktur“ zumeist allgemeiner und oft (z.B. Institutionen) übergreifendgefasst. Um diesen Unterschied zwischen Institutionen und Strukturen am politischen System der Bundesrepublik zu verdeutlichen, seien folgende Beispiele genannt: Politische Institutionen sind z.B. das Par lament,dasAmtdesBundeskanzlers,MinisterienoderdasBundesver fassungsgericht. Immaterielle politische Institutionen sind z.B. Verfas sungen (das deutsche Grundgesetz) oder die demokratischen Mehr heitsregeln.DieAnzahlunddiepolitischeOrientierungderimBundes tag vertretenen Parteien gibt Auskunft über die Struktur des Parla ments.ImmateriellepolitischeStrukturenergebensichetwaausdem Verhältnis zwischen Politik, Ökonomie und Gesellschaft im liberal kapitalistischenSystemderBundesrepublikDeutschland.
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UmzueinemPunktzurückzukehren,dereingangsinVerbindung mitderWeltdesFußballsgenanntwurde:Wirhabenfestgestellt,dass formelle und informelle Institutionen die Spielregeln auf dem Platz bestimmen. Der Spielverlauf, die entscheidenden Tore und die am Ende jubelnden Sieger hängen aber natürlich nur teilweise von den Spielregelnab:„DennohnedieFähigkeitenunddasGlückderSpieler, auf die es ebenfalls ankommt, wäre das Spiel nicht spannend und niemandwürdeesspielenwollen“(vanWaarden2009:274).Sosinn voll daher auch analytisch die Trennung zwischen der Politics und PolityDimension ist: Empirischpraktisch kann der „Spielverlauf“ erst durchdieInteraktionderEbenenverstandenundnachvollzogenwer den. Und nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb von Institutio nen handeln letztlich Akteure. Für die Welt des Fußball wiederum bedeutet das: „Entscheidend ist auf’m Platz.“ Und auch für die Welt derPolitikmerktGöhleran:„InsgesamtkommtesfürpolitischeInsti tutionen,soscheintes,stärkeralsallgemeinbeisozialenInstitutionen, nichtnuraufdieAdressaten,sondernauchaufdiehandelndenAkteu rean–politischeInstitutionensindinihrerFunktionzwarüberpersön lich,realiteraberzumeistOrganisationen;siesinddurchdasVerhalten angebbarerPersonenbestimmt“(Göhler1988:17). Institutionen werden gerade im Ländervergleich auch daraufhin analysiert,inwieweitsieihreFunktionenerfüllen.ZudiesenFunktionen politischer Institutionen gehört diejenige, den Mitgliedern einer Ge sellschaftRechteundPflichtenzuerteilen(vgl.Czada1995).Politische Institutionen regulieren überdies politische Prozesse von der Willens bildung, über die Entscheidung bis hin zur Implementierung. Zuerst einmal verteilen sie Ressourcen und Legitimität zwischen den politi schenAkteuren(vgl.auchimFolgendenvanWaarden2009:292).Dies erfolgtz.B.überdenorganisatorischenAufbauderRegierungunddie Kompetenzverteilung in der Verwaltung (die ihrerseits auch wieder aus Machtkämpfen und somit aus PoliticsProzessen erwachsen ist). Zweitens regeln Institutionen den Zugang von Personen, Themen, Problemen und Lösungen in den jeweiligen Politikfeldern. Im vor angegangenen Abschnitt ist etwa die konzertierte Aktion angespro chen worden, die eine Einrichtung, eine Institution, zur Beteiligung bestimmter Interessengruppen an den politischen Prozessen darstell te. Neben diesen formell geregelten Funktionen schaffen politische Institutionen auch erst „die physischen, kognitiven und moralischen
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Bedingungen für politisches Handeln“ (van Waarden 2009: 292). Als Beispielfürletztereskönnenhierdierechtlichgesichertenmoralischen Bedingungen wie freie Meinungsäußerung oder Gleichberechtigung dienen.Institutionenwirkenaußerdemidentitätsundsinnstiftendfür sozialeGruppenundNationen.EingutesBeispielfüreinesolcheIden tität stiftende Institution ist das deutsche Grundgesetz (vgl. „Verfas sungspatriotismus“). Gleichzeitig sind Verfassungen exemplarisch dafür, dass Institutionen nicht formalisiert sein müssen: So verfügt etwa Großbritannien nicht über eine geschriebene Verfassung, son dern orientiert sich an einem über Jahrhunderte entwickelten Ge wohnheitsrechtssystem. Einige wichtige Rechtsakte wie die Magna Charta werden zwar umgangssprachlich als Verfassungsdokumente bezeichnet. Sie besitzen aber im Gegensatz zum Grundgesetz keine höheren Verfassungsnormen, welche das Parlament in seinem Han delnbeschränkenkönnten(Brodocz/Vorländer2006). Über die genannten Punkte gelangt man nun zur wichtigsten Funktion politischer Institutionen, nämlich strukturierte, kollektive Entscheidungsfindung zu ermöglichen (vgl. van Waarden 2009: 292). HierfürsinddieanderengenanntenPunktenotwendig;nämlichRech te(z.B.zurGesetzgebung)ebensowiePflichten(z.B.zurGesetzesein haltung) zuzuteilen. Auch Macht und Kompetenzen müssen verteilt, der Zugang zu politischen Ämtern und die Beteiligung an politischen Prozessen geregelt sowie die normativen und moralischen Bedingun gengegebenwerden. Nunwirdaberdavonausgegangen,dasseinigeinstitutionelleAr rangements effektiver Politikgestaltung und Implementierung zuträg licher sind als andere (Howlett et al. 2009: 52). Gerade im Länderver gleichistesfürdiePolitikfeldanalysevonBedeutung,welchenUnter schied es etwa macht, ob ein politisches System föderalistisch oder zentralistisch geregelt ist; ob der Zugang zu politischen Ämtern nach dem Mehrheitswahlrecht oder nach dem Verhältniswahlrecht erfolgt. Doch selbst wenn wie für den Fall des deutschen Föderalismus wie derholt Reformbedarf, Ineffizienz oder institutionelle Trägheit attes tiertwird:DieReformpolitischerInstitutionenerweistsichalsäußerst schwierig. Dies bringt uns zu einem innerhalb des Kapitels zu politik feldanalytischen Theorien bereits angesprochenen Konzept zurück, namentlich dem der Pfadabhängigkeit. Dieser mitunter auch als QWERTYPhänomen(vgl.Infokasten)bezeichnetetheoretischeAnsatz kanndabeihelfen,dieseReformschwierigkeitenzuverstehen.
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Infokasten45:DasQWERTYPhänomen Ein einprägsames Beispiel für in diesem Fall technische Pfadab hängigkeit bildet die sogenannte QWERTYTastenbelegung – be nanntnachdenBuchstabeninderoberstenZeileamerikanischer Computertastaturen.1868ordnetederUSAmerikanerSholesdie Tastenerstmalsnichtmehralphabetisch,sondernnachergonomi schen und mechanischen Gesichtspunkten an – ein großer Fort schritt.AllerdingswardasPrinzipdesBlindtippensnochnichtbe kannt: Die Tastatur musste danach ausgerichtet sein, beim Such vorgang die Tasten schnell zu finden. Obwohl also die QWERTY Belegung beim heutigen Zehnfingersystem nicht auf effizientes Tippen ausgelegt ist, konnte sich doch nie einer der alternativen Belegvorschläge durchsetzen. Die Pfadabhängigkeit und die Kos ten eines Pfadwechsels lagen zu hoch: So sind schließlich alle Schreibkräfte nach dem QWERTYLayout ausgebildet und sämtli cheBürogerätemitentsprechendenTastaturenbestückt. Im QWERTYBeispiel lässt die Tatsache, dass sich bislang keiner der alternativen Vorschläge zur Tastenbelegung durchsetzen konnte, auf eine starke Pfadabhängigkeit schließen. Solch eine intensive Pfadab hängigkeitwurdelangeZeitauchfürdasdeutscheSystemderumlage finanzierten Rentenversicherung identifiziert. Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfahren bezeichnen zwei konträre Modi zur Finan zierung von Sozialversicherungen, insbesondere der Rentenversiche rung.BeieinerUmlagefinanzierungwerdendieindividuellentrichteten Rentenbeiträge nicht für die eigene Rente angespart, sondern unmit telbar für die jetzigen Leistungsempfänger ausgegeben. Wenn es entsprechend mehr Beitragszahler als Beitragsempfänger gibt, so können von diesen Überschüssen Rücklagen gebildet werden. Bei einer Kapitaldeckungsfinanzierung hingegen werden die Rentenbei trägeamKapitalmarktangelegtunddiezukünftigenRentenansprüche dann aus diesem individuell gesparten Geld entrichtet. Es wird deut lich, dass die Umlagefinanzierungen angesichts des demografischen Wandels spezifische Probleme aufweisen: Denn mit der alternden Bevölkerung sinkt der Anteil der Beitragszahler, während der Anteil derBeitragsempfängerzunimmt.TrotzdemwirdeinWechselzueinem Kapitaldeckungsverfahrenalsschwierigerachtet,daindiesemFalleine GenerationvonVersichertendoppeltbelastetwäre.DenndieseGene
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ration müsste nicht nur die im Umlageverfahren bereits erworbenen Ansprüche finanzieren, sondern gleichzeitig auch den Aufbau des KapitalstocksfürihreeigenezukünftigeRente.Daherwurdedasdeut sche Rentensystem unter PfadabhängigkeitsTheoretikern lange Zeit gern als Paradebeispiel für „institutionelle Trägheit“ und „Reformun fähigkeit“ aufgrund eines dereinst von Bismarck eingeschlagenen Pfadsangeführt. Gleichzeitig zeigt das Beispiel Rentensystem jedoch, wie Pfad wechsel einerseits theoretisch und andererseits empirischpraktisch erfolgen können. Die demografischen Entwicklungen etwa, die in der Wissenschaft bereits seit Mitte der 1970er Jahre absehbar waren, rücktenerstumdieJahrtausendwendeinspolitischeBewusstsein.Zu diesem Zeitpunkt allerdings hätte dann eine so genannte „critical juncture“ erreicht werden können, d.h. eine „Weggabelung“, an der entwederderaltePfadbeibehaltenodereinneuerPfadeingeschlagen werdenkann–inletzteremFallalsodurcheinenschlagartigenWech selaufeinKapitaldeckungssystem.Tatsächlichzeugtjedochdiejünge re Entwicklung des deutschen Rentensystems davon, wie ein Pfad wechsel nicht nur durch einen plötzlich Pfadwechsel an der „Wegga belung“, sondern durch für sich genommen kleinere, in ihrer Summe jedoch große Veränderungen bewirkt werden kann. Einen solchen Wandel bezeichnet man auch als inkrementell. Durch die Umstellung auf ein DreiSäulenSystem aus staatlicher, betrieblicher und privater Rente sowie auch die perspektivisch weiter abnehmende Bedeutung der staatlichen zugunsten der privaten, kapitalgedeckten Altersvor sorge kann von einem solchen graduellen Pfadwechsel gesprochen werden: Die Reformen haben die klassischen Prinzipien des Systems sukzessivverändert(z.B.Hegelich2006). Politische Institutionen haben nur ein begrenztes Änderungspo tenzial, aber im Idealfall auch die Fähigkeit zum „institutionellen Ler nen“. Institutionelles Lernen erfolgt, indem sich „eine Struktur ihrem Milieu, ein (Sub)System seiner Umwelt adaptiert >...@, jene Merkmale von Milieu und Umwelt >einprägt@, welche für das Funktionieren und Existieren des Systems in seiner Umwelt notwendig sind“ (Patzelt et al.o.J.). Ein weiterer Punkt, der im Ländervergleich politischer Institutio nen (auch im Hinblick auf effizientes Regieren) diskutiert wird, ist derjenige institutioneller Vetospieler bzw. Vetopunkte. Dieser theore tische Ansatz ist in Kapitel 2 im Rahmen der politischinstitutionalis
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tischen Theorien bereits kurz angesprochen worden. Zur Erinnerung: Als Vetospieler bezeichnet Tsebelis (1995) all diejenigen individuellen oder kollektiven Akteure, deren Zustimmung für einen Politikwechsel notwendig ist. Der Fokus seines Theorems liegt auf der Wahrschein lichkeit, mit der es in einem politischen System entweder zu politi schen Veränderungen (PolicyChange) oder zu politischem Stillstand kommt. Der sehr ähnliche VetopunkteAnsatz nach Immergut (1990) setztetwasandereSchwerpunkte:WährendTsebeliszwischeninstitu tionellen Akteuren (z.B. zweite Kammern, die im Gesetzgebungspro zesszustimmenmüssen)undpartisanenAkteuren(z.B.zweiParteien einer Koalitionsregierung) als den zwei Arten von Vetospielern unter scheidet,fokussiertImmergutaufformelleundinformelleVerhaltens regeln. Einen institutionellen Vetopunkt stellt etwa das Verhältnis wahlrecht dar.Während dasMehrheitswahlrecht wie in Großbritanni en ein ZweiParteienSystem begünstigt, bringt das Verhältniswahl rechtinallerRegeleinMehrparteiensystemhervor.Entsprechendsind Regierungsentscheidungen in Systemen mit Verhältniswahlrecht fast immervonderZustimmungmehrererKoalitionspartnerabhängig. Die gemeinsame These der beiden theoretischen Ansätze ist, dasspolitischerWandelumsoschwierigerwird,jemehrinstitutionelle Vetospieler bzw. punkte in einem politischen System existieren. Ver einfacht gesagt: Vetospieler entscheiden über Reformierbarkeit oder Reformstau(Schmidt2003).AllerdingsidentifiziertTsebelisnebender bloßen Anzahl noch zwei weitere Parameter, die über PolicyChange vs. Stillstand entscheiden: die Kongruenz (d.h. den Grad der inhaltli chenÜbereinstimmung)zwischendenVetospielernsowiedieKohäsi on(d.h.denGradderinternenGeschlossenheit)derVetospieler.Man kann den Vetopunktebegriff auch weiter fassen, indem nicht eine notwendigeZustimmung,sonderneinemöglicheAblehnungzurDefi nitionsgrundlage wird. Zum Beispiel besteht in vielen Ländern die Möglichkeit, durch Bürgerbegehren bzw. Referenden politische Ent scheidungen zu blockieren, ohne dass dies als regulärer Bestandteil des Gesetzgebungsprozesses ausgestaltet wäre. In der Schweiz hin gegen kann aufgrund eines festgelegten Verfahrens jedes vom Parla ment beschlossene Gesetz nachträglich dem Volk zur Abstimmung vorgelegtwerden.„Voxpopoli“istalsoeinklassischerVetopunkt,der nichtseltenaucheine„BremseinderHanddesVolkes“ist. Das „PolicyMaking“ findet demnach in einem institutionellen und strukturellen Rahmen statt, der sich heute, zumal im föderalisti
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schen Deutschland, immer auch als „Mehrebenensystem“ erweist. DieserbereitsausderOrganisationsforschungder1970erJahrestam mende Begriff wird auch mit Föderalismus in Verbindung gebracht (Benz2007b:297):HierfindetPolitikebennichtnuraufderzentralen, sondernaufmehrerenEbenenstatt.Mehrebenensysteme„liegenalso vor, wenn Befugnisse und Mittel zur Verwirklichung verbindlicher Entscheidungen auf territorial abgegrenzte, zentrale und dezentrale Organisationen aufgeteilt sind“ (Benz 2007b: 298). Allerdings, und auchdiesistmitdemBegriffMehrebenensystemkonnotiert,sinddie Hierarchien zwischen diesen verschiedenen Ebenen nicht eindeutig abgrenzbar, sondern es kann immer wieder zu Kompetenzstreitigkei tenundzursogenannten„Politikverflechtung“kommen(vgl.Scharpf etal.1976).MittlerweilewirdauchhäufigderausderEuropaforschung stammendeBegriffMultilevelGovernancebenutzt,derdannstetsauch die europäische (und internationale) Ebene, die dort angesiedelten Kompetenzen sowie die angewandten Regelungs und Steuerungs modi mit einschließt. Das folgende Schaubild stellt diese Zusammen hängevereinfachtdar. Schaubild42:Mehrebenensystem Europäische Union Ministerrat Kommission Parlament
Bund
Bundesrat Länder
Kommunen
Quelle:EigeneDarstellung
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Wichtig ist es hierbei zu beachten, dass die verschiedenen Ebenen keine unidirektionale Schichtung von den Kommunen bis zur EU auf weisen, sondern vielmehr ein komplexes Wechselverhältnis. So läuft z.B.derEinflussaufundderAustauschzwischenKommunen/Ländern undderEUnichtnurüberdenBund,sondernaufdirektemWege,der seinerseitsdemLobbyismusvonInteressengruppenvergleichbarist. Nachdemnunallgemeinbehandeltwordenist,wasInstitutionen undStrukturensindundwelcheFunktionensieerfüllen,stelltsichdie Frage:WelchedieserInstitutionensindfürdiePolicyAnalyseimSpezi ellen von Bedeutung? Diese Frage kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern nur am konkreten Beispiel eines Politikfeldes oder eines politischen Prozesses. Daher sollen im Folgenden die institutio nellen Grundlagen des Feldes Familienpolitik in Deutschland näher beleuchtetwerden:DiesesPolitikfeldeignetsichaufgrundseinerspä ten und vergleichsweise geringen Institutionalisierung sehr gut für diese Betrachtung. Dennoch hat die Auflistung nicht den Anspruch, abschließend zu sein, sondern soll Strukturen und Problematiken exemplarischaufzeigen. Zwar wurden bereits in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und verstärkt in der Weimarer Republik familienpolitische Maßnahmen getroffen, den „Beginn einer förmlichen und expliziten Familienpoli tik“(Wingen2003)markiertjedocherstdasJahr1953mitderinstituti onellen Neugründung des „Bundesministerium für Familienfragen“. Die Gründung dieses Ministeriums war nicht unumstritten. Insbeson derederMünsteranerSoziologeHelmutSchelskykritisiertedieBünde lung eines so offensichtlich durch seinen Querschnittscharakter ge prägtenPolitikfeldes:DieeinzelnenfamilienpolitischenBelangekönn ten am sinnvollsten in den bereits dafür vorhandenen Ressorts bear beitetwerden;nichtineinemeinzelnenMinisterium. Unabhängig von dieser Frage betraf die Aufgabenbündelung im „Bundesministerium für Familienfragen“ (dessen Bezeichnung und Ressortzuordnung über die Jahrzehnte oftmals gewechselt hat) nur die familienpolitischen Kompetenzen des Bundes. Daneben stellen auch die Bundesländer sowie die Kommunen institutionelle Akteure der deutschen Familienpolitik dar. Innerhalb dieses „Mehrebenensys tems“obliegenzwardemBunddiezentralenKompetenzenzurfami lienpolitischen Gestaltung. Die Länder können jedoch, neben ihrer Zuständigkeit für den Vollzug der Bundesgesetze, auch selbst ergän zendeFamilienleistungenverabschiedenunddadurcheigenefamilien
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politischeAkzenteundAnreizeschaffen.ZumBeispielzahltThüringen bereits ein solches „Betreuungsgeld“ aus, wie es für die umstrittene EinführungaufBundesebeneab2013geplantist.Außerdemverfügen dieLänderüberweiterreichendeKompetenzenaufanderenFeldern, welche die Familienpolitik tangieren bzw. Schnittmengen mit dieser aufweisen (z.B. Bildungspolitik). Auch die Städte und Kommunen stellen wichtige institutionelle Akteure der Familienpolitik dar. Nicht nur sind sie für den gesamten Bereich der Jugendhilfe und des Erzie hungswesens zuständig. Über ihren Querschnittscharakter ist die Familienpolitik auch in hohem Maße von den kommunalen Vollzugs aufgaben,z.B.derSiedlungsplanung,derWohnumfeldgestaltungoder der Schul, Sport und Kulturpolitik betroffen (vgl. Gerlach 2010: 145). ImMehrebenensystemmussaberauchdieEU,vielleichtinzunehmen demMaße,alsfamilienpolitischerAkteurbetrachtetwerden:Innerhalb ihres rechtlichen Kompetenzrahmens wird sie familienpolitisch vor allemüberdasInstrumentder Richtlinienaktiv.Darüberhinaussucht siejedochauchüber„weicheInstrumente“,alsoPolitikempfehlungen und BestPracticeVorgaben im Rahmen der so genannten Offenen MethodederKoordinierung,dieFamilienpolitikenihrerMitgliedsstaa tenzubeeinflussen. Eine wichtige institutionelle Voraussetzung der deutschen Fami lienpolitikistderdurchArt.6desGrundgesetzesgarantiertebesonde re staatliche Schutz von „Ehe und Familie“. Dieser Grundsatz geht verfassungsgeschichtlich auf den Ehe und FamilienschutzArtikel 119 derWeimarerReichsverfassungzurück.DaerinnerhalbdesGrundge setzes nicht weiter konkretisiert wurde, blieb eine nähere inhaltliche Auslegung allerdings den Gerichten vorbehalten (vgl. Joosten 1990: 18). Auch heute zeigt sich noch, dass die familienpolitische Gesetz gebung (z.B. zum neuen Unterhaltsrecht) häufig erst durch Richter spruch eine konkrete Auslegung erfährt. Die traditionell hohe Bedeu tungderGesetzgebungsowiediefamilienpolitischenEntscheidungen desBundesverfassungsgerichtesbildensomiteinewichtigeinstitutio nelleVoraussetzungfürdieEntwicklungderFamilienpolitikinDeutsch land(vgl.Bahle1998:23). WeiterhinunterliegtdieFamilienpolitikalsBereichderSozialpoli tik auch deren grundsätzlichen Gestaltungsprinzipien und Finanzie rungsformen(Dienel2002:35).DieausBeiträgenfinanzierten,lohnab hängigen Sozialversicherungssysteme wurden unter Bismarck einge führt, um gegen die industriellen Standardrisiken Alter, Arbeitsunfä
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higkeit, Krankheit und (später) Arbeitslosigkeit abzusichern. Sie sind bis heute stark erwerbsarbeitszentriert, während Familienkomponen tenerstumdieJahrhundertwendeinFormvonabgeleitetenRechten hinzugefügt wurden (Bahle 1998), z.B. durch die kostenlose Mitversi cherung von Familienangehörigen in der Krankenversicherung oder durch die Hinterbliebenenrente. Erst sehr viel später, nämlich (mit Ausnahme des ab 1954 gezahlten Kindergeldes) seit den 1970er Jah ren, kam es zur Einführung eigenständiger, universaler Familienleis tungen.ZudiesemZeitpunktwarendieKernprinzipiendesdeutschen Wohlfahrtsstaates bereits ausgestaltet: Dies wird allerdings auch als ein Grund angesehen, weshalb Familienpolitik eine relativ schwache institutionelle Position innerhalb des deutschen Wohlfahrtsstaates einnimmt(Bahle1998;vgl.Clasen2005). Durch die Verknüpfung mit dem Sozialstaatsprinzip, aber auch denzuvorgenanntenGrundrechtsbezugdurchArt.6istFamilienpolitik inersterLiniedurchdenBundgeprägt(Gerlach2010:144).Undhierist vor allem das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend–sodieheutigeRessortzuordnung–alsinstitutionellerAkteur zunennen.VoneinemanfangsnochsehrkleinenMinisteriummitmehr als knapper Finanzzuweisung hat sich das Familienministerium mitt lerweile nicht nur zu einem etablierten Ressort entwickelt (Wingen 2003). Spätestens Ursula von der Leyen, aber auch einige ihrer Vor gänger als Familienminister wie Heiner Geißler oder Rita Süssmuth, verfügtenauchübereinhohesStandinginnerhalbderRiegederBun desminister.DemBundesministeriumstehtderWissenschaftlicheBei rat für Familienfragen mit seinen (sozial)wissenschaftlichen Experti senberatendzurSeite.Außerdemwurdebereits1965dasInstrument der„Familienberichte“durcheinenBeschlussdesBundestagesinstitu tionalisiert, um in regelmäßigen Abständen Handlungsbedarf und Steuerungswege für die Familienpolitik aufzuzeigen (Gerlach 2010: 165). DiepolitischenParteienhabennachArt.21desGrundgesetzesdie wichtigeAufgabe,„beiderpolitischenWillensbildungdesVolkesmit“ zu wirken. Die beiden großen politischen Parteien vertreten traditio nell sehr konträre familienpolitische Vorstellungen und Interessen, so dassdiejeweiligeRegierungsbeteiligungvonSPDundCDU/CSUinder Vergangenheit stets unterschiedliche familienpolitische Schwerpunkt setzungennachsichgezogenhat.DieFamilienpolitikder„CParteien“ zeugte in sehr viel stärkerem Maße von der hohen Bedeutung der
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Christdemokratie für die Entwicklung der Familienpolitik (vgl. Bahle 1998:22),z.B.durchdieBefolgungdesSubsidiaritätsprinzips.Dasaus der katholischen Soziallehre entstammende Subsidiaritätsprinzip, das dieEigenverantwortlichkeitvonFamiliebetont,zeigtsichauchinstitu tionell verankert in Art. 6 Abs. 2 des Grundgesetzes, wo es heißt: „Pflege und Erziehung sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Zum anderen zeigt sich der EinflussderChristdemokratieauchinderKonzeptiondesFamilienlas tenausgleichsalseinnichtvertikal,sondernhorizontalumverteilendes unddamitstatuserhaltendesSystem(vgl.Bahle1998:22).In denver gangenen Jahren jedoch haben sich bezüglich der einst so deutlich prononcierten Parteiunterschiede in der Familienpolitik einige Ände rungen vollzogen. Auch wenn Differenzen nach wie vor zu erkennen sind: Spätestens mit dem Jahr 2002 haben alle Bundestagsparteien familienpolitische „Grundsatzprogramme verfasst, die sich in ihren Zielen nur noch punktuell voneinander unterscheiden“ (Gerlach 2010: 156). BezüglichweitererAkteurederdeutschenFamilienpolitikmüsste die Aufzählung an dieser Stelle noch fortgesetzt und bspw. auch die VerbändederfreienWohlfahrtspflege,ArbeitgeberundGewerkschaf ten,dieFamilienverbändeoder,voralleminjüngererZeit,auchUnter nehmen als Bereitsteller familienpolitischer Leistungen (insbesondere Kinderbetreuung)betrachtetwerden.BeidiesenAkteurenhandeltes sichjedochnichtuminstitutionelleAkteure,sodasssieandieserStelle ausgeblendetbleiben. Nach der bereits besprochenen Annahme einer generellen „Pfadabhängigkeit“ werden grundlegende politische Veränderungen durchinstitutionelleRahmenbedingungenblockiert.Insbesonderefür Deutschland ist aufgrund gehemmter, auf Konfliktvermeidung zielen derEntscheidungskulturensowiestarkersystemischerVetopunktedie sozialpolitischeReformfähigkeitalsäußerstbegrenztkonstatiertwor den (vgl. Lamping/Schridde 2004: 40). Die Familienpolitik macht aller dings gegenüber den anderen sozialpolitischen Bereichen eine Aus nahme:IndiesemPolitikfeldseidieAnzahlderVetospielererstaunlich niedrig(vgl.Clasen2005).Dementsprechendjedochgenerellaufeine geringe Zahl von Vetomöglichkeiten in familienpolitischen Prozessen zuschließen,wärevoreilig:SohatdochdiegeringeZahlanVetospie lern über lange Zeit nicht dazu geführt, dass mehr oder weiter rei chende Reformen durchgeführt worden wären (Ahrens/Blum 2009).
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Zum einen verfügen die Bundesländer über die Strukturen des deut schen Föderalismus, namentlich den Bundesrat, über hohe Einfluss und auch Blockademöglichkeiten innerhalb der familienpolitischen Entscheidungsprozesse. Dadurch haben sich die Strukturen des föde ralenSystemsauchimmerwiedergestaltend,hemmendoderfördernd auf familienpolitische Entscheidungen ausgewirkt. Und zum anderen hat sich auch das bereits oben angesprochene Bundesverfassungsge richtalsimmereinflussreichererinstitutionellerSpielerinderFamilien politikerwiesen. Insbesondere mit Bezug auf Art. 6 des Grundgesetzes, der Ehe undFamilieunterdenSchutzdesStaatesstellt,aberauchaufandere (Grund)Rechte, ist das Bundesverfassungsgericht wiederholt fami lienpolitischaktivgeworden.ZweidieserFällesollenhierexemplarisch genannt werden. Eine sehr frühe Entscheidung mit bis heute anhal tenden Folgen fällte das Verfassungsgericht 1957 bezüglich der Fami lienbesteuerung:MitBezugaufArt.6erklärteesdiebisdahindurch geführte steuerliche Zusammenveranlagung von Ehepartnern als verfassungswidrig. Denn hiernach wurden unverheiratete Partner nicht zusammen veranlagt; mussten also weniger Steuern zahlen als verheiratete Paare. Das auf diesen Entscheid hin und seit 1958 ange wendete„Ehegattensplitting“wurdeseitherkontroversdiskutiertund wiederholt Pläne zu seiner Abschaffung in die politischen Debatten eingebracht. Dennoch ist bis heute unklar, ob eine einfache Abschaf fungdes„SplittingVorteils“verfassungskonformginge. Ein weiteres Beispiel stellen die Urteile des Bundesverfassungs gerichts zum Familienlastenausgleich insbesondere in den 1990er Jahrendar.BesondersstarkdiskutiertwurdendieUrteilevom10.und 24.November1998,indenendie(höhere)steuerlicheFreistellungdes BetreuungsundErziehungsbedarfsfürKindergefordertwurde.Diese UrteilesetztenauchöffentlicheDiskussionenüberdiegrundsätzlichen Befugnisse des Gerichts in Gang. Weithin war die Meinung zu hören, das Gericht habe seine Grenzen gegenüber dem Gesetzgeber über schritten;allerdings:„AngesichtsderTatsache,dasseineRealisierung durchdiePolitik[...]verzögertoderverkürztgeschah[...]könnenwir also die Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts als notwendiges Korrektiv einer nicht immer am Ziel der Gerechtigkeit orientierten Demokratieverstehen“(Gerlach2000). Damit ist das Ende des kleinen „Exkurses“ zu Institutionen und Strukturen der deutschen Familienpolitik erreicht. Es sollte exempla
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rischAntwortaufdieFragegegebenwerden,welcheInstitutionenfür diePolicyAnalysevonBedeutungsind.FürdieFamilienpolitikhatsich gezeigt, dass so unterschiedliche Institutionen und Ordnungen aus schlaggebend sein können wie die Politikgestaltung innerhalb eines föderalistischenMehrebenensystems,die„Pfadabhängigkeiten“inner halb der grundsätzlichen Gestaltungsräume der Sozialversicherungs systemeoderauchdienachhaltigePrägungdurchchristdemokratische Normen wie das Subsidiaritätsprinzip. Aus einer MakroPerspektive heraussindInstitutionenundStrukturendieunabhängigenVariablen, diewirzurBeantwortungunsererFragestellungen–z.B.wiekamdie spezifische Ausgestaltung der „familienpolitischen Leistung x“ zu stande–heranziehenmüssen.Demsollte,nuneinerakteurzentrierten MesoPerspektive folgend, nochmals entgegengestellt werden, dass die (in diesem Fall familien)politischen Akteure über einen hohen GestaltungsspielrauminnerhalbdieserStrukturenverfügen;dasssiees letztlichsind,dieüberdie„spezifischeAusgestaltungderfamilienpoli tischenLeistungx“entscheidenundsomitimmerauchaufihrHandeln undihreInteressenfokussiertwerdenmuss. An den für das Politikfeld Familie exemplarisch beschriebenen StrukturenundInstitutionenistbereitseineProblematikangeklungen, die auch als „zentrales PolityDilemma“ (van Waarden 2009: 293) be zeichnet wird: Auf der einen Seite muss politische Macht gebündelt undgestärktwerden,umHandlungsfähigkeitzuerhalten.Undaufder anderen Seite muss politische Macht immer auch begrenzt und kon trolliertwerden.AmföderalistischenStaatsaufbauoffenbartsichdiese Problematikbesonderseindrücklich:ZumeinenistetwaimBereichdes UmweltschutzesdasPrinzipdervertikalenGewaltenteilungauchinso fern sinnvoll, als viele Umweltprobleme auf lokaler und regionaler Ebene am wirksamsten bekämpft werden können. Zum anderen braucht es einheitliche Programme und Vorgaben des Bundes sowie auch Nationen übergreifende Institutionen oder Abkommen – Um weltprobleme machen schließlich weder an Länder noch an Natio nengrenzen halt. So zeigt sich gerade im Bereich der Umweltpolitik einefortschreitendeInternationalisierungpolitischerInstitutionen. Innerhalb dieser internationalen Regime nimmt die Europäische UnioneinenbesonderenStellenwertein.AuchwenndieEUsicherlich (noch?)keinenBundesstaatdarstellt,soverfügtsiedochbereitsüber eineeigeneStaatlichkeitundeineeigenepolitischeTriasausExekutive (Kommission), Legislative (Parlament, Rat der Europäischen Union)
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und Judikative (Gerichtshof). Besonders weit fortgeschritten ist die Europäisierung in sogenannten regulativen Politikfeldern, also z.B. im Umweltschutz, der Produktsicherheit oder dem Verbraucherschutz (Schneider/Janning2006:219).DiessollimFolgendenamBeispielder Umweltpolitikveranschaulichtwerden. Die Basis der europäischen Zusammenarbeit im Umweltbereich wurde in ersten Sondierungsgesprächen 1972 gelegt. Mit der Zeit wurdedieUmweltpolitikzueinemimmergrößerenRechtsetzungsge bietderEuropäischenUnion.InArt.174desVertragsvonAmsterdam wurdendreiPrinzipienfestgelegt,welcheseitherdieUmweltpolitikin der EU strukturell prägen: Die Grundsätze der Vorsorge und Vorbeu gung,dasVerursacherprinzipsowiederGrundsatz,Umweltbeeinträch tigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen. An dieser Prinzipientrias müssen sich alle Mittel, die zur Erfüllung der Gemein schaftsaufgabe Umweltschutz in den Mitgliedsstaaten eingesetzt werden, ausrichten. Der Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen dort zubekämpfen,wosieentstehen,wirdamBereichderAbfallwirtschaft deutlich. Jede Gemeinde oder Region muss die Aufbereitung und Beseitigung ihrer Abfälle selbst sicherstellen – auf Ebene des deut schen Mitgliedsstaates wurde dieser Grundsatz in Art. 10 des Kreis laufwirtschafts und Abfallgesetzes implementiert: „Abfälle sind im Inlandzubeseitigen.“SomitwurdedurchdiesenstrukturellenGrund satz die Tatsache wirksam bekämpft, dass Abfälle häufig quer durch dieMitgliedsstaatenoderüberderenGrenzenhinaustransportiertund amZielortbeseitigtwurden.DennimUmweltbereichhateuropäisches RechtVorrangvorinnerstaatlichemRecht:NationalesRecht,dasnicht mit europäischem Recht im Einklang steht, wird außer Kraft gesetzt. DiepolitischenInstitutionendeseuropäischenPrimärrechtssowiedie Sekundärrecht setzenden Organe Europäische Kommission, Europäi schesParlamentundRatderEuropäischenUniongreifenhieralsoauf diemitgliedsstaatlicheEbenedurch. Gemäß dem Faktum, dass grenzüberschreitende Umweltproble me wie der Klimawandel auch nur in grenzüberschreitender Zusam menarbeitangegangenwerdenkönnen,istnebenderEuropäisierung auchdieInternationalisierungdesPolitikfeldesgestiegen.Esexistieren internationalepolitischeInstitutionenwieinsbesonderedieVereinten Nationen, die mit ihrer 1992 auf dem Gipfeltreffen in Rio de Janeiro verabschiedeten Klimarahmenkonvention die Umweltpolitik der Mit gliedsstaaten entscheidend geprägt haben. Das Klimasekretariat mit
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SitzinBonnwarmitanderErarbeitungdes1997beschlossenenKyoto Protokolls beteiligt. Im Rahmen der Umsetzung des KyotoProtokolls wiederumstarteteinderEuropäischenUnion2005derEmissionshan del. „Dem WeltKlima ist es egal, wo Treibhausgase eingespart wer den“, so der ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin zu die semHandelmitVerschmutzungsrechten. WennwirvondiesemBeispielausabschließendzudemHauptan spruch der Politikfeldanalyse zurückkehren, nämlich die abhängige Variable Policy unter Zuhilfenahme der unabhängigen Variablen Poli tics und Polity zu erklären, so wird deutlich, dass auch internationale politische Institutionen nicht vernachlässigt werden dürfen. Ohne Beachtung der politischen Institutionen Vereinte Nationen, Klimarah menkonvention sowie Europäische Union könnte im obigen Beispiel die Entstehung des Emissionshandels als umweltpolitisches Instru mentinDeutschlandnichterklärtwerden. 4.3 Steuerungsinstrumente Der vorangegangene Abschnitt war den Institutionen gewidmet, die Akteure in ihrem politischen Handeln strukturieren, beeinflussen und begrenzen. Zuvor wurde diskutiert, welche politischen Akteure ihre Interessen auf verschiedenen Wegen durchzusetzen suchen. Häufig werden auf einem Politikfeld (mehr oder weniger) konkrete Defizite identifiziert wie beispielsweise: „Wir müssen das Rentensystem für dendemografischenWandelzukunftsfähigmachen!“Oftwerdenauch denaufdiesemFeldbestehendenPolitikennegativeWirkungenattes tiert: „Die Anreize zur Frühverrentung kann sich unser Rentensystem nicht mehr leisten. Sie müssen beseitigt und das Renteneintrittsalter musserhöhtwerden!“DasgewählteBeispielzeigt,dasszumeistkein „objektiver Problemdruck“ existiert, sondern die Eigenheiten eines konstatierten Problems, die entsprechend zu erreichenden Ziele und einzusetzenden Instrumente stets von politischen Wertungen und Erfahrungenabhängen.SowurdeinderFrühverrentunglangeZeitein adäquates Mittel zur Entlastung des strapazierten Arbeitsmarktes gesehen. Heute hat sich aufgrund anderer Überzeugungen und ge machterErfahrungeneineandereWertungdurchgesetzt.Fürunsistes wichtig zu wissen, dass es stets spezifischer Programme und Steue rungsinstrumentebedarf,umkonkretepolitischeZielezuerreichen.
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In der politischadministrativen Praxis wird nicht systematisch zwischen Programm und Instrument unterschieden, sondern beide Begriffemituntersynonymverwendet.InderPolitikfeldanalysehinge gen hat es sich durchgesetzt, politische Programme in einem Ziele, Mittel und Wege einschließenden – kurz in einem umfassenderen Sinne zu verstehen. Idealtypisch umfassen Programme vier Elemente (vgl. Jann 1981: 49): In einem ersten Schritt wird die Ausgangslage politisch definiert. Dazu werden Probleme benannt, die einer politi schen Bearbeitung bedürfen. Im Lösungsteil werden die durch das ProgrammavisiertenZielegenauerdefiniert.ImWirkungsteilwirdeine Einschätzung der Auswirkungen vorgenommen, die durch das Pro gramm beabsichtigt und freigesetzt werden. Und schließlich werden imDurchführungsteildiekonkretenInstitutionen,diezurDurchführung desProgrammseingesetztwerden,aufgestellt.DiePraxishatgezeigt, dassdiesevierElementeinkeinerdurchgängigtemporalenbzw.chro nologischen Ordnung stehen. So zeigt die Wirkungs und Durchfüh rungsphase in aller Regel auch Einfluss und Rückwirkungen auf die Ausgangs oder die Lösungsphase. Zum Beispiel können durch das Programmfreigesetzte,unterUmständennichtintendierteWirkungen wiederumzuanderenEinschätzungenderProblemlageführen.Aufdie Komplexität der Phasen politischer Programmdurchführung wird im folgendenKapitelzumPolicyCyclenochausführlicheingegangen. ZuvorwollenwirunsmitdenkonkretenInstrumentenbeschäfti gen, die politischen Entscheidungsträgern zum Erreichen ihrer Ziele zur Verfügung stehen. Ein Instrument ist das konkrete operative Mit tel, das innerhalb eines Programms verwendet wird. Steuerungsin strumentesindnacheinersichhierananschließendenDefinitionsämt licheMöglichkeiten,dasVerhaltenderbeteiligtenAkteuresozubeein flussen, dass die gewünschten politischen Ziele erreicht werden (vgl. Jann 1981: 60). Wie die folgende Tabelle zeigt, dienen Steuerungsin strumente nicht immer dazu, gesellschaftliches Handeln bzw. andere Akteure zu beeinflussen oder zu lenken: Der Staat erfüllt eine große Anzahl von politischen Zielen selbst, indem er wichtige Güter oder Dienstleistungenöffentlichbereitstellt.
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Schaubild43:Steuerungsinstrumente Sicherstellung wichtigeröffent licherGüterund Ressourcen
BeeinflussunggesellschaftlichenHandelns
Direkte Indirekte Steuerung Steuerung Regulative Finanzie Regu Über Politik rung lierung zeugung Quelle: für unsere Zwecke leicht veränderte Darstellung nach Braun/Giraud 2009:162
BetrachtenwirnundiejenigenInstrumente,dieaufdieBeeinflussung desimweiterenSinnegesellschaftlichenHandelnszielen,genauer.Als erstes braucht es immer ein Problem, das bearbeitet werden soll. Anhand des exemplarischen Problems „Getränkedosen“ sollen im Folgenden die zur Verfügung stehenden Steuerungsinstrumente durchgegangenwerden. Wenn sich innerhalb der Regierung aufgrund eines gestiegenen Umweltbewusstseins die Erkenntnis durchsetzt, dass die überall ver streuten Getränkedosen ein zu lösendes politisches Problem darstel len,soistdamitnochnichtsüberdaseingesetzteInstrumentgesagt. DieEntscheidungkönnteaufeineMedienkampagnefallen,mitderdie Getränkekonsumenten auf die umweltschädlichen Wirkungen von Aludosenhingewiesenwerden.Eskönnteebenfallsversuchtwerden, in Gesprächen und Verhandlungen die Getränkeindustrie von einem umweltfreundlicheren Verpackungsmaterial zu überzeugen. Wenn dies gelänge, könnte sich die Getränkeindustrie die freiwillige Selbst verpflichtung auferlegen, z.B. mindestens 70% ihrer Getränke in um weltfreundlichenVerpackungenwieTetraPakoderMehrwegflaschen feilzubieten.KämedieIndustriedanndieserSelbstverpflichtungnicht nachoderglaubtedieRegierungvonBeginn annichtandieWirkung einer solchen, so könnte die Einführung eines Zwangspfands auf um weltschädliche Einwegverpackungen ein gangbarer Weg sein. Ein zur BearbeitungausgewähltespolitischesProblemverlangtalsonichtnur dieWahldes„richtigenLösungsweges“,sondernauchdes„richtigen Instruments“.WieauchbezüglichderProblemeundLösungen,sogibt es auch für die Wahl der Instrumente keine objektive „Richtigkeit“. Vielmehr erscheinen, wie in der Modewelt, bestimmte Instrumente gerade en vogue, während sie in einigen Jahren vielleicht aufgrund
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negativerErfahrungenwiederausderModeseinwerden.InBezugauf den Umweltbereich hatten etwa freiwillige Selbstverpflichtungen seitensderIndustrieinden1990erJahrenHochkonjunktur.Jehäufiger jedoch diesen Selbstverpflichtungen nicht nachgekommen wurde, desto stärker wurde von diesem Steuerungsinstrument Abstand ge nommen(Pehle2006). Eine Klassifizierung von Steuerungsinstrumenten sieht sich mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert, denn: „The variety of instru mentsavailabletopolicymakerstoaddressapolicyproblemislimited only by their imaginations“ (Howlett/Ramesh 2003: 88). Außerdem sind die Grenzen zwischen der Vielzahl von zur Verfügung stehenden Instrumentenoftfließend;eineentsprechendeAbgrenzungvoneinan der entsprechend schwierig. Und nicht zuletzt werden Policy Instrumentehäufigmiteinandergemischtundgekoppelt,etwaumdie freigesetzte Wirkung zu erhöhen. Um bei dem oben genannten Bei spielzubleiben,wirdz.B.sowohleineMedienkampagnezurumwelt bewussterenVerpackungswahlderVerbrauchergestartet,alsauchin Gespräche mit der Getränkeindustrie eingetreten sowie gleichzeitig SubventionenfürdieWahlumweltfreundlicherGetränkeverpackungen gewährt.ObwohlalsoeinesinnvolleKategorisierungvonSteuerungs instrumenten schwierig erscheint, sind wiederholt Versuche hierzu unternommen worden (z.B. Lowi 1985; Schubert 1991; Howlett/ Ramesh 2003). Dies ist für die Politikfeldanalyse als heuristisches In strumentsehrsinnvoll,darfabernichtdarüberhinwegtäuschen,dass derartigeKategorisierungeninderpolitischenPraxisoftproblematisch sind. KommenwiraufdieinSchaubild43dargestellteKategorisierung vonSteuerungsinstrumentenzurück:NebenderdurchdenStaatselbst wahrgenommenen Bereitstellung von wichtigen öffentlichen Gütern undRessourcengibtessolcheInstrumente,dieaufeineBeeinflussung desgesellschaftlichenHandelnszielen.Hierkannwiederumeineerste UnterscheidungzwischendirekterundindirekterSteuerunggetroffen werden:„DerStaatkannentwederaufZwangzurückgreifenoderauf verschiedeneArtenvonAnreizundindirekterLenkung“(Braun/Giraud 2009:162).InunseremobigenBeispielwärealsodasZwangspfandein direktes Instrument, die Kampagne zum Kauf umweltfreundlicher Verpackungsmaterialen hingegen ein indirektes Instrument. Denn bei letzteremverbleibttrotzentsprechenderAnreizediefreieWahlbeim Verbraucher.NachSchubert(1991:172ff.)kannnebenderdirekten(1)
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RegulierungweiterhinzwischendenindirektenSteuerungsinstrumen ten der (2) Überzeugung und der (3) Finanzierung differenziert wer den. Im Folgenden werden diese drei Typen von Steuerungsinstru menten im Detail behandelt und anschließend mit der Governance Debatte auf die Frage eingegangen, inwieweit der Staat (noch) über FähigkeitenzurSteuerungverfügt. Regulierung Regulierung bezieht sich hier auf die bürokratischrechtlichen Kom pensations und Steuerungsleistungen des Staates in den modernen IndustrieundWohlfahrtsstaaten.SpezifischsindalleArtenvonrecht lich gesetzten Vorschriften, Geboten, Verboten, Verordnungen, Erlas senetc.gemeint.AuchRegeln,NormenoderStandardsdienenregula tivenZielen,z.B.einzuhaltendeUmweltstandardsbeiderindustriellen Produktion. Das Instrument der Regulierung hat den Vorteil, wenig zeitundkostenintensivzusein–allerdingszeigensichauchGrenzen seiner Steuerungsfähigkeit. Um zum Beispiel zurückzukommen: Selbstverständlich war es auch vor Einführung des Dosenpfandes verboten,GetränkeverpackungenindieLandschaftzuwerfenanstatt dieseordnungsgerechtzuentsorgen.DieseVorschriftnütztederUm weltjedochwenig.Dieszeigt,dassdiegeringenKosteninderVerab schiedung regulativer Instrumente durch die hohen Kosten in deren Überwachung wieder ausgeglichen werden (vgl. Braun/Giraud 2009: 165):DasabweichendeVerhaltenmüsstegeortetwerden,umsanktio niert werden zu können. Solch eine Überwachung scheint allerdings beim unerlaubten Wegwerfen von Getränkedosen schlechterdings unmöglich.NunhatdasZwangspfandaufEinwegverpackungen–auch wiederumeineFormderRegulierung–zumindestfüreinverbessertes Landschaftsbildgesorgt.SeinHauptzieljedoch,nämlichdieMehrweg quoten deutlich zu erhöhen, hat es verfehlt: Nach einer vorüberge henden Abnahme der Einwegquoten sind diese nun wieder deutlich aufdemVormarsch.WorinauchimmerdieGründehierfürliegenmö gen (genannt werden z.B. Quersubventionierungen hin zu Einweg seitensderDiscounteroderGewöhnungseffektebeidenKunden):Die Grenzen der Lenkungswirkung des Instruments Regulierung werden hierdeutlich.DiskutiertwirdimZusammenhangmitdemSteuerungs instrumentdaherauchdiezunehmendeVerrechtlichungvielerPolitik felder in modernen Wohlfahrtsstaaten sowieVersuche der Entrechtli chung, also der Reduzierung negativer Folgen von Verrechtlichungs
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tendenzen (Schubert 1991: 177). Entrechtlichung – häufig auch als Deregulierungbezeichnet–kannz.B.dadurcherfolgen,dassGesetze miteinemVerfallsdatumversehenwerden. Überzeugung Überzeugung ist das aktive Bemühen, andere – Personen, Gruppen, Organisationen–dazuzubewegen,sicheinervorgegebenenMeinung oder Absicht anzuschließen. In dieser allgemeinen Form ist Überzeu gung sicher das wichtigste Element politischer Gestaltung. Und das zentraleMediumdesInstrumentsÜberzeugungistallgemeinbetrach tet Information. Denn Informationen werden als Mittel genutzt, um anderefürdieeigeneMeinungzugewinnen.Überzeugungsinstrumen tekönnenjedochnebenderInformationnochaufandereSteuerungs ressourcen zurückgreifen, nämlich absteigend nach dem Grad der Freiwilligkeit auf politische Werbung, Appell, Agitation (oder Propa ganda)undZwang.Immerhäufigerwirdhierzuauchaufwissenschaft licheStudienoderExpertisenzurückgegriffen(vgl.Braun/Giraud2009: 165). So sollen etwa mit dem Forschungsbericht des Beratungsunter nehmens PrognosAG („Betriebswirtschaftliche Effekte familien freundlicher Maßnahmen“) die Wirtschaftsunternehmen zu mehr Familienfreundlichkeit (flexible Arbeitszeiten, Betriebskindergärten etc.)bewegtwerden. Schaubild44:ÜberzeugungvonWerbungbisZwang Information PolitischeWerbung Appell GradderFreiwilligkeit Agitation/Propaganda Zwang Quelle:EigeneDarstellung
Die Anwendung von Zwang stellt in westlichen Demokratien einen seltenen Grenzfall politischer Steuerung dar: Dennoch gilt auch hier dasGewaltmonopoldesStaates,d.h.ausschließlichstaatlicheOrgane sindzurAnwendungphysischerGewaltberechtigt.Eskannallerdings Anlass zur Diskussion sein, ob Zwang tatsächlich dem Steuerungsin strumentderÜberzeugungdient.EinwichtigesBeispielfürinformatio
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nelleÜberzeugungsinstrumentesindschließlichauchöffentlichgeför derte Kampagnen, wie etwa die Fortsetzung von „Du bist Deutsch land“füreinekinderundfamilienfreundlichereGesellschaft. Finanzierung Das Steuerungsinstrument der Finanzierung kann in eine Einnahme und eine Ausgabenseite differenziert werden (Schubert 1991: 178). Staatliche Einnahmen bestehen aus Steuern und Abgaben, z.B. Ein kommenssteuer, Mehrwertsteuer, Kraftfahrzeugsteuer oder Hunde steuer. Steuern können erhoben werden, um eine bestimmte Len kungswirkung zu erzielen. Die so genannte Alkopopsteuer verfolgt etwa das Ziel, dem frühen und übermäßigen Alkoholkonsum von Ju gendlichen entgegenzuwirken. Auf der staatlichen Ausgabenseite kann zwischen Subventionen und Transferleistungen unterschieden werden. Subventionen sind finanzielle Zuwendungen des Staates, die zweckgebunden an bestimmte Branchen oder Regionen gezahlt wer den,umderenFunktionoderdieFunktioneinzelnerUnternehmenzu unterstützen. Als Transferleistungen bezeichnet man die zweckge bundene Zuweisung öffentlicher Mittel an private Haushalte oder Personen. Einerseits sollen Transferleistungen unterschiedliche Le benslagenundLebenschancenausundangleichen;andererseitsstel len sie auch ein sozial und gesellschaftspolitisches Steuerungsinstru ment dar. So dient z.B. das Elterngeld auch dem gesellschaftspoliti schenZiel,denNegativtrendderGeburtenratepositivzubeeinflussen. DieserknappeÜberblickzeigtdieVielfaltundBreitederzurVer fügung stehenden Steuerungsinstrumente. Die Entscheidung, welche InstrumentejeweilsmitwelchenZieleneingesetztwerden,prägtden politischen Stil der jeweiligen Regierungen. Bestimmte Instrumente sindenvogue,anderehingegenausderModegekommen.Insgesamt zeigt sich mit zunehmenden finanziellen Problemen der modernen Wohlfahrtsstaaten ein höherer Stellenwert regulativer Instrumente (Schubert1991:183).Wiewirgesehenhaben,istderEinsatzderjewei ligenInstrumenteimmermitspezifischenSchwierigkeitenverbunden. DasfolgendeSchaubildzeigtdieverschiedenenSteuerungsinstrumen te,ihreWirkungenundProblematikennocheinmalinderÜbersicht.
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Schaubild45:WirkungsweisevonSteuerungsinstrumenten Instrument
Regulierung
Finanzierung
Strukturierung
Überzeugung
Ressource
Macht
Finanzmittel
Anreiz
Information
Wirkung
Zwang Æ Befolgung
KostenNutzen Kalkül Æ Vor/Nachteil
Verhaltensangebot Wissen Æ Æ Reaktion Motivation
Beispiel
Umwelt standards
Kulturförderung Selbsthilfe einrichtung
Problematik Kontrolle Fehlende Sanktions möglichkeit
Kontrolle Kosten Kosten Bedarfs Mitnahmeeffekte einschätzung sozialeUngleich heit
Warnhinweise aufVer packungen Desinteresse Lernvermögen
Quelle:Görlitz/Burth1998:32,eigeneVeränderungen(mitHenrikHarms)
NachdemderBegriffderSteuerungsinstrumentedefiniert,einemögli cheKategorisierungdieseroperativenMittelvorgestelltundexempla risch veranschaulicht wurde, soll sich nun abschließend der Frage zugewendet werden, inwieweit denn Politik tatsächlich die Fähigkeit zur „Steuerung“ hat. Hierbei soll weniger versucht werden, eine Ant wort auf diese komplexe Frage zu finden, als einen kurzen Überblick überdieHauptmerkmalederentsprechendenDebattezugeben. DieGovernanceDebatte Der Begriff Steuerung wird häufig in die englischen Termini Govern ment und Governance unterteilt. Unter Government wird dabei (wie das englische Wort bereits vermuten lässt) das Steuerungshandeln von Regierung und staatlicher Verwaltung verstanden (vgl. Braun/ Giraud 2009: 161). Governance hingegen bezeichnet allgemein die SteuerungundRegelungvonSystemen(z.B.Organisationen,Gemein den,Staaten).DerBegriffistalsoweitergefasst,wirdhäufigaberauch als Abgrenzung zu Government verwendet, indem die Lenkungsfor men nichtstaatlicher Akteure aus Privatwirtschaft (z.B. GlobalPlayer Konzerne)unddemDrittenSektor(z.B.gemeinnützigeUnternehmen) in den Mittelpunkt gestellt werden. Über das Konzept des Global Governance treten insbesondere auch die Steuerungspotenziale der
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internationalen Akteure hervor (z.B. Europäische Union, Vereinte NationenoderinternationaleNichtregierungsorganisationen). NichtseltenstehtderBegriffGovernance„inVerbindungmitDe battenüberdenangeblichenNiedergangoderdieTransformationdes Nationalstaates“ (Benz 2007a: 339). Die Rede ist dann von „Denationalisierung“ (Zürn 1998) oder gar vom „Ende des National staates“ (Kenichi 1995): Es wird häufig argumentiert, dass die Haupt elemente des modernen Nationalstaates, nämlich die Kongruenz von Staatsgebiet,StaatsvolkundStaatsgewalt,nichtmehrbesteht.Natür lich sind diese drei Elemente nach wie vor definiert, z.B. endet das StaatsgebietandersogenanntenKármánLiniein100KilometerHöhe – darüber beginnt der Weltraum. Das Staatsgebiet ist außerdem der Raum,fürdendieStaatsgewaltdesjeweiligenNationalstaatesgilt.Art. 20Abs.2desdeutschenGrundgesetzesbindetdiesewiederumandas Staatsvolk:„AlleStaatsgewaltgehtvomVolkeaus.SiewirdvomVolke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Ge setzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung aus geübt.“ Die drei Elemente bauen also aufeinander auf und sollten eigentlich eine Einheit bilden. Andererseits ist diese Einheit jedoch immer weniger gegeben: So existiert keine Kongruenz von Staatsge biet und Staatsgewalt, da z.B. auch die Europäische Union in vielen Bereichen über direktes Durchgriffsrecht auf die Nationalstaaten ver fügt:WenndieEuropäischeUnioneineRichtliniezumPflanzenschutz erlässt, wird widersprechendes nationales Recht nicht mehr anwend bar. SoschreibtetwaZürn,durchdieKongruenzvonsozialenundpo litischen Räumen sei „eine wichtige Voraussetzung für die Fähigkeit zum Regieren erfüllt“ (Zürn 1998: 58) gewesen. Und nun, da diese Kongruenz immer wenig gegeben ist, wird auch die Fähigkeit zum Regieren zunehmend angezweifelt. Es existieren gemeinhin vier SichtweisenüberdieZukunftdesNationalstaates(vgl.Messner1998): ErstensdasbereitsobenerwähnteSzenariodesnahendenAbschieds vom Nationalstaat; zweitensder Nationalstaat als weiterhinzentraler Ort der Politikbei generellem Verlust politischer Steuerungsfähigkeit; drittenszunehmenderMultilateralismusalsAntwortaufdieGlobalisie rung und die Herausforderungen des Nationalstaates; sowie viertens die Transformation der Politik in eine GlobalGovernanceArchitektur. Im folgenden Infokasten werden Literaturtipps für die weitere Be schäftigung mit dieser spannenden Debatte gegeben. Im Rahmen
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unsererDiskussionüberSteuerungsinstrumentesollesvorerstausrei chen zu sagen, dass das erste und vierte Szenario auf absehbare Zu kunft unrealistisch erscheinen. Nach wie vor ist nationalstaatliches GovernmentdieentscheidendepolitischeEbene.Steuerungsprobleme undzunehmendeInternationalisierungjedochsinddeutlichersichtlich.
Infokasten46:LiteraturtippszurGovernanceDebatte
Eine gute Einführung in das Thema bietet das „Handbuch Governance“ (Benz et al. 2007): Zu wichtigen Stichwörtern wie Politischer Wettbewerb, Netzwerktheorien oder Local Governance liefernhierverschiedeneAutorenkurzeundfundierteKapitel.Zur weiteren Vertiefung ist das ebenfalls von Benz herausgegebene Einführungsbuch„Governance–RegiereninkomplexenRegelsys temen“(2003)zuempfehlen.Trends,WirkungenundAkteureder Globalisierung nimmt das englischsprachige „Governance in a GlobalizingWorld“(Nye/Donahue2000)unterdieLupe.Dieoben bereits erwähnten Bücher von Zürn (1998) und Messner (1998) gehörenmittlerweilezuStandardwerkeninderDiskussion.Natür lich können an dieser Stelle nur einige wenige Literaturtipps aus gewähltwerden–derFundusistenormundenthältvieleweitere empfehlenswerte Werke. Die ausführlichen Angaben zu unseren LiteraturtippsfindensichhintenimLiteraturverzeichnis. 4.4 Fallbeispiel:Akteure,InstitutionenundInstrumenteder Umweltpolitik Mit diesem Fallbeispiel sollen die Inhalte dieses Kapitels – politische Akteure, Institutionen und Strukturen, Prozesse und Steuerungsin strumente–anhandeinesausgewähltenPolitikfeldesveranschaulicht werden. Der Bereich Umweltpolitik scheint uns hierfür aus mehreren Gründengutgeeignetzusein.ZumeinenhandeltessichumeinPoli tikfeld,daszwarineinzelnenBereichenaufsehrweitreichendeTradi tionenzurückblickt:BereitsimMittelaltergabesetwaVorschriftenzur Gewässerreinhaltung. Als eigenständiges Politikfeld wurde der Um weltschutzjedocherstsehrspät,nämlichinden1970erJahrenveran kert. Seither haben sich sowohl bei Akteuren, Institutionen wie auch Instrumenten der Umweltpolitik weitreichende Veränderungen voll
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zogen, die im Verlauf dieses Fallbeispiels nachvollzogen werden. Und nichtzuletztträgtdasPolitikfeldinbesonderemMaßederErkenntnis Rechnung, dass Umweltschäden grenzüberschreitende Gefahren darstellen,diedaherauchnuringrenzüberschreitenderZusammenar beit behandelt werden können. Globalisierungs wie auch Europäisie rungstrendslassensichdaherinbesonderemMaßekonstatieren.Um diesen sich wandelnden Charakter des Feldes nachzuvollziehen, wer den im Folgenden die Akteure, Institutionen und Instrumente in ver schiedenenPhasenderumweltpolitischenEntwicklung(vgl.Jänickeet al.2003:34)behandelt. InstitutionalisierungdesPolitikfeldesseitden1970erJahren Im Jahr 1971 verabschiedete die deutsche Bundesregierung ihr erstes Umweltprogramm,dasdenBegriffUmweltpolitikwiefolgtdefinierte: „Umweltpolitik ist die Gesamtheit aller Maßnahmen, die notwendig sind, um dem Menschen eine Umwelt zu sichern, wie er sie für seine GesundheitundfüreinmenschenwürdigesDaseinbraucht,umBoden, Luft und Wasser, Pflanzen und Tierwelt vor nachteiligen Wirkungen menschlicherEingriffezuschützenundumSchädenundNachteileaus menschlichen Eingriffen zu beseitigen.“ Diese Definition ist einerseits rechtumfassend(vgl.Simonis2001:520),indemdiebisheutewesent lichen Umweltgüter sowie die Tier und Pflanzenwelt vor Nachteilen aus menschlichen Eingriffen geschützt werden sollen. Andererseits weist die Definition, wie im Verlauf des Fallbeispieles noch deutlich werden wird, aus heutiger Sicht mehrere Schwachstellen auf. Zum einen geht sie von einem anthropozentrischen Standpunkt aus: In erster Linie soll dem Menschen eine lebensnotwendige Umwelt gesi chert werden und weniger wird die Natur selbst als schützenswert beschrieben. Zum anderen weist die Definition einen eher reaktiven dennpräventivenCharakterauf,obgleichdasersteUmweltprogramm bereits die bis heute gültige Prinzipientrias aus Vorsorge, Kooperati onsundVerursacherprinzipenthielt. InstitutionalisiertwurdedasneuePolitikfeldzuBeginnder1970er Jahre durch die Einrichtung eines Kabinettsausschusses für Umwelt fragen sowie mehrerer Beratungs und Koordinierungsgremien, wie z.B.dasUmweltbundesamt(1974).AuchdasrechtlicheInstrumentari um wurde durch Gesetzgebungen wie das BenzinBleiGesetz (1971) oder das Abfallbeseitigungsgesetz (1972) rasch ausgebaut (vgl. Simo nis 2001: 521). Innerhalb des föderalistischen Systems zeichnete sich
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hier bereits eine Stärkung der Bundeskompetenz ab, die durch Aus weitungderkonkurrierendenGesetzgebungaufdieBereicheLuftrein haltung, Lärmbekämpfung und Abfallbeseitigung auch institutionell festgeschrieben wurde. Die Bundeskompetenzen im Bereich der Um weltpolitikwurdenüberdieJahresukzessivausgedehnt. DieseKompetenzverschiebungen,wieauchmitunterauftretende KompetenzunklarheitensindAusdruckdesspezifischföderalenStruk turprinzips der deutschen Umweltpolitik. Während der Bund in den oben genannten Bereichen zuständig ist, kann er in anderen (z.B. Landschaftspflege, Wasserhaushalt) lediglich Rahmenvorschriften setzen (Jänicke et al. 2003: 39). Diese Rahmenvorschriften werden dann von den Bundesländern umgesetzt und ausgeführt. Daneben stehtdenBundesländernauchderBundesratalsOrtoffen,wosieauf die umweltpolitischen Gesetzgebungsprozesse Einfluss auszuüben vermögen. Mit Bund und Ländern sind jedoch erst zwei Ebenen im komplexen „Mehrebenensystem“ des deutschen Föderalismus ge nannt. Über ihre Selbstverwaltungsgarantie verfügen auf unterer EbeneauchdieKommunenüberbestimmteumweltpolitischeKompe tenzen, z.B. in der Wasser und Energieversorgung, der Abfallentsor gungoderdemVerkehrsbereich(vgl.Jänickeetal.2003:40).Undauf derhöherenEbenesindgeradeimUmweltbereichdieVerantwortlich keitenderEuropäischenUnionmittlerweilestarkausgebaut.Somitgilt es–auchimVerlaufdiesesFallbeispieles–zubeachten,dassderFöde ralismus als institutionelles Prinzip seit der Institutionalisierung des Politikfeldes eine stark strukturierende Wirkung auf die Entwicklung derdeutschenUmweltpolitikausübt. Bezüglich der umweltpolitisch aktiven Akteure mag es überra schen, dass „die Initiative zur Gestaltung dieses neuen Politikfeldes nicht von außerparlamentarischen Kräften >ausging@, sondern vom politischen System selbst“ (Jänicke et al. 2003: 30): Die Bundesregie rung war hier eindeutiger Initiator des umweltpolitischen Agenda Settings, während die Umweltbewegung erst im Verlauf der 1970er Jahre (und anfangs noch mit staatlicher Förderung) zu einem Motor der Umweltpolitik aufstieg. In der ersten umweltpolitischen Phase bliebenalsodierelevantenAkteureweitgehendaufstaatlicheInstitu tionen beschränkt. In den westlichen Industrienationen war mit fort schreitenderIndustrialisierungdieBelastungderUmweltgüterenorm gestiegen, ohne dass entsprechende Umweltschutzmaßnahmen er griffenwordenwären.ZuBeginnder1970erJahrewarnunderProb
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lemdruck offensichtlich so angestiegen, dass alle Industrienationen aktiv wurden. Die USA, Schweden und Japan nahmen hierbei eine Vorreiterrolleein(vgl.Kernetal.2003:10). DasumweltpolitischeInstrumentariumbliebindiesererstenPha sestarkaufregulativeSteuerungsinstrumentebeschränkt.Stellvertre tendhierfürstehendiebereitsobenangesprochenenGesetzgebungen sowie auch das BundesImmissionsschutzgesetz (1974). Diese Rechts instrumentarien waren überwiegend medial ausgerichtet, d.h. sie bezogensichaufbestimmteUmweltmedienwieBodenoderLuftund suchten diese regulativ zu schützen (vgl. Jänicke et al. 2003: 31). Auf diesemGebietwurdedieUmweltpolitikdannauchbisMitteder1970er Jahre rasch und stark ausgebaut, während andere Bereiche vorerst unterversorgt blieben. Teilweise zeigten sich in einer früheren Phase (insbesondere 1950er Jahre) sogar nachteilige Effekte durch umwelt politischeMaßnahmen,wiesiebeispielhaftdiesogenannte„Politikder hohen Schornsteine“ aufwies: In industriestarken Regionen wurden dieIndustrieschornsteineschlichtweghöhergebaut,umdieLuftquali tät dieser Gegenden zu verbessern. Dies wurde auch in Ansätzen er reicht – allerdings zu dem hohen Preis, dass sich die Luftqualität in industriefernenGebietendeutlichverschlechterte. Bis Anfang der 1980er Jahre setzte aufgrund der Öl und Wirt schaftskrisen eine deutliche Tempoverlangsamung der umweltpoliti schenEntwicklungein.AufdereinenSeitesahensichdieRegierungen starkenSparprogrammenverpflichtetundaufderanderenSeitesollte die Industrie auch nicht durch Umweltauflagen weiter belastet wer den. Gleichzeitig nahm die Bedeutung der außerparlamentarischen Umweltbewegung fortwährend zu (vgl. Jänicke et al. 2003: 34). Mit Beginnder1980erJahrestelltennunUmweltverbändewieBUNDoder Greenpeace zentrale Akteure für die umweltpolitische Entwicklung dar.DiesekomplexenAkteureweisenheutemitmehralsvierMillionen MitgliederneinenhohenOrganisationsgradauf(Simonis2001:521)und profitierenteilweisedavon,imobenbeschriebenenSinnekonzentrier teInteressenzuvertreten.ÄhnlichesgiltfürdieUmweltbewegungim weiterenSinnealskollektiverAkteur.Sogelangesbspw.denBadisch Elsässischen Bürgerinitiativen, einem Zusammenschluss aus 21 einzel nen Umweltbewegungen, Mitte der 1970er Jahre den Bau eines ge plantenAtomkraftwerkesinWyhlzuverhindern. 1983 betrat dann mit dem erstmaligen Bundestagseinzug der Grünen auch ein korporativer Akteur die große politische Bühne. Die
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übrigen Parteien sahen sich damit einer neuen thematischen Konkur renz gegenüber. In der Folge akzentuierten auch sie das Thema Um welt in ihren Programmen immer deutlicher. Vor diesem Hintergrund kamesinden1980erJahrenzueinemerheblichenumweltpolitischen Ausbau(Jänickeetal.2003:36).DieslagebenzumeinenanderStärke derneuhinzugekommenenumweltpolitischenAkteure.Zumanderen traten aber auch insbesondere mit dem so genannten Waldsterben UmweltschädenimmerdeutlicherzuTage.ImerstenWaldzustandsbe richtwurde1984rundeinDritteldesWaldesfürkrankbefunden.Das auch als Waldschadensbericht bezeichnete Beobachtungsinstrument wird seither jährlich eingesetzt. In Reaktion auf die Reaktorkatastro phevonTschernobylkamesdannmitEinrichtungdesBundesministe riumsfürUmwelt,NaturschutzundReaktorsicherheit1986zurzentra len Institutionalisierung des Politikfeldes, zumal davon ausgegangen werdenkann,dassmitderEinrichtungeineseigenständigenMinisteri ums in der Regel auch ein Legitimitäts und Bedeutungsgewinn zu verzeichnenist.DennochwardieEinrichtungdesUmweltministeriums nichtunumstritten:DerBereichdesUmweltschutzesisteineklassische Querschnittsmaterie, dem alle Ministerien in ihrer Politikgestaltung Rechnungzutragenhaben.MitderEinrichtungeineseigenenMiniste riumskanndaherauchdieSorgeverbundensein,dassderzuständige Minister fortan aus Politikprozessen ausgeschlossen und bspw. ge genüberdemWirtschaftsministerbenachteiligtwird. In den kommenden Jahren zeigte sich jedoch eine enorme um weltpolitischeAusbauorientierung,sodassDeutschlandinsbesondere in der Amtszeit von Umweltminister Klaus Töpfer (19871994) zum internationalenVorreiterineinigenumweltpolitischenBereichenwur de(vgl.Simonis2001:521).AusdruckdieserpionierartigenEntwicklung wareninsbesonderedieGroßfeuerungsanlagenVerordnungsowiedie TA Luft (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft). Ingesamt zeigtsichsomitaufderinstrumentellenEbenenachwievorderdeutli che Vorrang regulativer, ordnungsrechtlicher Steuerungsinstrumente. NichtzuletztverändertensichjedochinderzweitenHälfteder1980er Jahre das Verhältnis und die Auseinandersetzungsprozesse zwischen den beteiligten Akteuren. Bislang waren umweltpolitische Regulatio neninallerRegelgegendenWiderstandderbetroffenenWirtschafts undIndustriesektorenvonstaatlicherSeitedurchgesetztworden.Mit wachsendem Widerstand der Betroffenen zeichnete sich nun ein Übergang zu eher dialogorientierten Politikformen und damit auch
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einem Wandel in den verwendeten Steuerungsinstrumenten ab (vgl. Jänickeetal.2003:41). DieUmweltpolitikvorderJahrtausendwende An früherer Stelle haben wir Steuerungsinstrumente definiert als alle Möglichkeiten, das Verhalten der beteiligten Akteure so zu beeinflus sen,dassdiegewünschtenZieleerreichtwerden(vgl.Jann1981:60). DerAusgangspunktsindalso dieerwünschtenZiele–sieentscheiden zwar nicht automatisch über die zu wählenden Instrumente, aber zwischen beiden Punkten existieren starke Zusammenhänge. In der umweltpolitischen Institutionalisierungs und Konsolidierungsphase DeutschlandsstelltedasOrdnungsrechtauchdeshalbeinsovorrangi ges und auch erfolgreiches Instrument dar, weil die Ziele zu weiten TeilenaufdienachrangigeBekämpfungbereitseingetretenerUmwelt schäden beschränkt blieben. Diese Zielsetzungen begannen sich um dasJahr1990grundlegendzuverändern. Unter den Expertengremien nehmen neben dem Sachverständi genrat für Umweltfragen oder der Umweltministerkonferenz der Länder auch EnqueteKommissionen des Bundestages eine wichtige Akteursrolle ein. 1987 setzte der Bundestag nun eine Enquete Kommission zur Klimaschutzpolitik ein, die auch im internationalen VergleichzuäußerstehrgeizigenZielenfand:Zwischen1990und2005 solltendieCO2Emissionenum25%reduziertwerden.Seit1992,alsdie BrundtlandKommission auf dem UNGipfel in Rio de Janeiro ihren Bericht darlegte, ist „Nachhaltige Entwicklung“ das Leitbild der inter nationalenUmweltpolitik.DieBrundtlandKommissiondefiniertediese als „Entwicklung, die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“. Mit diesem starken Rückenwind kam es zur zunehmendenErweiterungdesreaktivenUmweltschutzeshinzueiner StrategiederpräventivenökologischenModernisierung(Jänickeetal. 2003:36). Die Prozesse zeichneten sich daraufhin durch eine stärkere Dia log und Netzwerkorientierung, auch unter Beteiligung der Umwelt verbände,aus(Jänickeetal.2003:36).AufderinstrumentellenEbene traten Steuerungsinstrumente der Finanzierung wie auch der Über zeugung neben regulative Maßnahmen. Ein typisches Beispiel hierfür bildet die Verpackungsverordnung von 1991: Die Bundesregierung hätte hier die Möglichkeit gehabt, Rücknahmepflichten von Verpa
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ckungsmaterialienfürdieIndustriefestzulegen.Dieseordnungsrecht liche Maßnahme hätte klar der Instrumententradition der früheren, umweltpolitischen Institutionalisierungsphase entsprochen. Stattdes sen stimmte die Regierung der Selbstregulierung durch das private Duale System zu, das seither den „Grünen Punkt“ als Markenzeichen für Verkaufsverpackungen anwendet. Ein weiteres Beispiel liefert das Stromeinspeisegesetz (1991), in dessen Rahmen Mindestquoten für nachhaltige Energien festgelegt und somit verstärkte Anreize für technologischeModernisierunggesetztwurden.DurchdiesenAusbau der Umweltindustrie gewann die Umweltpolitik auch neue Akteure hinzu–dieWirtschaftkannalsAkteurabnunnichtmehrgenerellals einheitlicherGegnerumweltpolitischerMaßnahmengesehenwerden: Mit einer wachsenden Zahl von Beschäftigten und einem hohen Ex portvolumen ist der Umweltschutz in Deutschland zu einem beachtli chenWirtschaftssektorgeworden(Simonis2001:521). Nachdem im Schatten der Wiedervereinigung Überregulierung und Investitionshemmnisse der deutschen Umweltpolitik kritisiert wordenwaren,begannmanverstärktaufkooperativerzielte,freiwilli ge Selbstverpflichtungen der Industrie zu setzen (Pehle 2006). Diese warenjedochnichtseltenzumScheiternverurteilt:NachderLiberali sierungderStromundGasversorgungfürganzDeutschlanddurchdas Energiewirtschaftsgesetz von 1998 etwa lagen die Nutzungsentgelte bis zu 50% über denen anderer europäischer Staaten (Pehle 2006) – der erhoffte Wettbewerb schien nicht zu funktionieren. So zeigt die Einrichtung der Bundesnetzagentur im Jahr 2005 die Schwachstellen dieses Steuerungsinstruments der Überzeugung, das in diesen Fällen ähnlich der Regulation nur durch Kontrolle oder Sanktionsandrohung ‚zieht’. ImZeichenderWiedervereinigung,derhiermitverbundenenKos ten und spätestens nachder Bundestagswahlvon 1994, kames dann zu einer „erneuten Verlangsamung des umweltpolitischen Tempos“ (Jänicke et al. 2003: 36). Deutschland fiel somit zu Mitte der 1990er JahreiminternationalenVergleichzurückundwurdeinsbesondereim Hinblick auf die Umsetzung europäischer Richtlinien als umweltpoliti scher Nachzügler kritisiert. Beispielhaft hierfür war die sogenannte FloraFaunaHabitatRichtlinie, die 1992 von der Europäischen Union beschlossen wurde. Vier Jahre zuvor war die Richtlinie im Europäi schenRatsogarunterdeutschemVorsitzentwickeltworden,dochzur Umsetzung kam es erst 1998 im Rahmen der Novelle des Bundesna
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turschutzgesetzes. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Europäische Ge richtshof bereits ein diesbezügliches Urteil gegen Deutschland erlas sen. Dennoch wurden die Inhalte der Richtlinie offenbar nur unzurei chend implementiert – 2006 sprach der Europäische Gerichtshof er neuteinUrteilwegenfehlenderEURechtskonformitätgegenDeutsch landaus.Diesallesstehtbeispielhaftfürdienachlassendenumweltpo litischenBestrebungenDeutschlandswährenddieserPhase. DieUmweltpolitikimneuenJahrtausend Mit Amtsantritt der ersten rotgrünen Bundesregierung im Jahr 1998 wurde ein neuerlicher Aufschwung in der Umweltpolitik erwartet. Nachdem die umweltpolitische Entwicklung unter dem Eindruck der WiedervereinigungundderenKostenindenletztenJahreninsStocken gekommenwar,verbandenvielenungroßeHoffnungenmitdenGrü nen als der ersten „ÖkoPartei“, die sich auf Bundesebene in der Re gierungsverantwortung beweisen konnte. Diese Hoffnungen wurden auchweitgehenderfüllt–ineinigenBereichenjedochauchnachhaltig enttäuscht. Als Meilenstein der rotgrünen Umweltpolitik ist der be reitsimKoalitionsvertragfestgehalteneAtomausstiegzunennen,der nach zähen Verhandlungen schließlich durchgesetzt wurde. Nicht nur im Atomausstieg, sondern in der Energiepolitik insgesamt lag ein Schwerpunkt rotgrüner Umweltpolitik begründet. Das Erneuerbare EnergienGesetz (2000) führte zu einem Boom bei den regenerativen Energieträgern,dienteanderenLändernalsVorbildundsetzteAnreize fürtechnischeInnovationen(Kernetal.2003).Einweitereswichtiges ElementindieserStrategiebildetedieökologischeSteuerreform. DieökologischeSteuerreformstehtstellvertretendfüreinneues bzw. unter RotGrün verstärkt angewandtes marktwirtschaftliches Instrumentarium in der Umweltpolitik. Ein weiteres Beispiel hierfür liefert der Emissionshandel. Diesen Handel mit Verschmutzungsrech ten startete auch die EU ab 2005, um damit ihr KyotoZiel von insge samt8%wenigerCO2Emissionenzwischen2008und2012imVergleich zu 1990 zu erreichen. Dergleichen auf technische Innovationsanreize und ökologische Modernisierung setzende, marktwirtschaftliche In strumente zeigen einen deutlichen Wandel in den Steuerungsinstru menten auf. Von dem durch freiwillige Selbstverpflichtungen gepräg ten,konsensorientiertenStilderVorgängerregierungwurdehingegen unter RotGrün weitgehend Abstand genommen (Pehle 2006). Nicht zuletzt waren Selbstverpflichtungen der Industrie (z.B. zu Mehrweg
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quoten,Altautos)wiederholtgescheitertundhattendasVertrauenin die Steuerungskraft dieses Instruments diskreditiert. Annette Töller (2007) konstatiert diesbezüglich, nach Jahren der Kooperation, eine „RückkehrdesbefehlendenStaates“. Auch die ehrgeizigen Ziele desKlimaschutzprogramms von 1990 wurden fortgeführt – nunmehr im Rahmen des KyotoProtokolls. Das angegebene Ziel von 25% weniger CO2Emissionen von 1990 bis 2005 wurde beinahe erreicht. Im Klimaschutzbereich zeigte sich jedoch wiederholt eine gewisse „Pfadabhängigkeit“ der ökologischen Mo dernisierung(Jänickeetal.2002)–diesistderdeutscheErfolgspfadin der Umweltpolitik. An umweltfreundlichen Mobilitätskonzepten im Verkehrsbereichmangelteesindes,sodassdessenAnteilandenCO2 Emissionenzwischen1990und2005von17%auf21%anstieg(Kernetal. 2003).VordiesemHintergrundwirddieVerkehrspolitikalsMankorot grüner Umweltpolitik bezeichnet: Der Bundesverkehrswegeplan (2003)siehtetwaeinRekordniveauvonInvestitionenindenStraßen bauvor,währenddieFördermittelfürdenSchienenverkehrzurückfie len. AucherwiessichderBundesratvermehrtalsinnerpolitischeHür de für umweltpolitische Fortschritte, z.B. wurde vor allem dort die Umsetzung der europäischen FloraFaunaHabitatRichtlinie blockiert. IneinemGutachtenausdemJahr2004übtederRatvonSachverstän digen für Umweltfragen eine „Föderalismusschelte“ und sprach sich nachdrücklich für eine Stärkung der Bundeskompetenzen in diesem Bereichaus.DieFöderalismusreformvon2006hatdieserKritikjedoch nur teilweise entsprochen: Nach wie vor sind zwei Drittel der vom BunderlassenenGesetzezustimmungspflichtigimBundesrat.Auchin ZeitenderrotgrünenKoalitionherrschtelangeeineandereMehrheit im Bundesrat, was die Politikgestaltung mitunter erschwerte. Diese institutionelleHürdekanndaheralseinGrunddafürgelten,weshalbin der zweiten Legislaturperiode allgemein eine Tempoverlangsamung derUmweltpolitikkonstatiertwurde.EsexistierennebenderKompe tenzverteilung im Mehrebenensystem noch weitere strukturelle Hemmnisse:WährendeinigeumweltpolitischeBereichebeiderBevöl kerung äußerst populär sind, fehlt es in anderen (z.B. Flächenver brauch)immensanöffentlicherUnterstützung(Jänickeetal.2002).In Bereichen wie der anhaltenden Kohleförderung oder der fehlenden Besteuerung von Flugkerosin, zeigt sich der Einfluss starker Verursa cherinteressen.
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Mit dem Antritt der Großen Koalition 2005 waren aufgrund der starkgegensätzlichenPositionenvonCDU/CSUundSPDinzahlreichen umweltpolitischenBelangeneherverhaltenePerspektivenverbunden. Legt man diese negative Einschätzung zugrunde, so wardieUmwelt politik der Großen Koalition eher von einer überraschenden Kontinui tätmitderVorgängerregierunggeprägt.EinigeumstritteneThemen– wie etwa der Atomausstieg – wurden mit dem Koalitionsvertrag vor erstaufEisgelegt;umdannjedochspätestens2008mitdenenormen SteigerungenderEnergiepreiseaufzubrechenunddenindenvergan genen Jahren etablierten Begriff eines „Atomkonsenses“ zum Aus stiegzuunterhöhlen.AlseinerderumweltpolitischenErfolgsbereiche, der weiterhin Kontinuität wahrt, kann sicherlich die Klimaschutz und Energiepolitik betrachtet werden. Hierzu dürfte der enorme Rücken wind des „Klimaschutzjahres“ 2007 nicht unwesentlich beigetragen haben.DiedüsterenPrognosendesKlimaberichtsderVereintenNati onen sorgten für hohe mediale und öffentliche Themenaufmerksam keit – nicht zuletzt auch im Rahmen der LiveEarthKonzerte. Dem gegenüberstandjedocheineteilsharscheKritikananderenBereichen der Energiepolitik, die bspw. EUUmweltkommissar Stavros Dimas an Deutschland übte: Der WWF fand etwa in einer Studie heraus, dass sechs der zehn klimaschädlichsten Kohlekraftwerke Europas in Deutschlandstehen. Infokasten47:LiveEarthKonzerte In Reaktion auf den globalen UNKlimabericht und in Anlehnung an die LiveAid (1985) bzw. Live8Konzerte (2005) organisierten derehemaligeUSVizepräsidentAlGore und MusikproduzentKe vin Wall am 7. Juli 2007 das größte Benefizkonzert aller Zeiten. Durch die LiveEarthKonzerte, die auf allen sieben Kontinenten insgesamt24Stundenlangstattfandenwurden,solltedieöffent liche Aufmerksamkeit für das Thema Klimaschutz erhöht und, so die Hoffnung Gores, eine neue Umweltbewegung gestartet wer den.ZwischendenAuftrittenwurdenaufdenLeinwändenKlima schutztippsausgestrahlt–demgegenübergerietenallerdingsdie hohenCO2EmissionenindieKritik,welchedurchdieKonzerteund mehr als drei Millionen Besucher selbst ausgestoßen wurden. Zu denohneGageauftretendenKünstlerngehörtenBonJovi(USA),
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Shakira (Hamburg) und Madonna (London), die sogar einen ei gens komponierten Klimaschutzsong, „Hey you“, präsentierte. UnserFilmtippzumThema:AlGoresKlimafilm„Eineunbequeme Wahrheit“. MitdiesemAusblickstelltsichauchdieFrage:IstDeutschlandeigent lich ein umweltpolitischer Pionier? Insgesamt stellt Deutschland mit seinerUmweltpolitiksichereinedererfolgreicherenIndustrienationen dar.AllerdingshatdiedeutscheUmweltpolitikaucheinebereitsoben angesprochene Pfadabhängigkeit entwickelt: Wie Martin Jänicke (Jä nickeetal.2002)überzeugendargumentiert,istderdeutscheErfolgs weg die ökologische Modernisierung. So ist es relativ gut gelungen, der Industrie Anreize für Innovationen, eine schadstoffärmere und insgesamt umweltfreundlichere Produktion zu geben. In nicht weni gen Bereichen jedoch ist dieser Pfad nicht anwendbar. Die deutsche Umweltpolitik kann mitdiesem Weg überall dort erfolgreichsein, wo technische Lösungen (vom Filter bis zum effizienteren Kraftwerk) gefunden werden können. Wo hingegen strukturelle Änderungen (ob beiVerkehrsträgern,SiedlungsformenoderLebensstilen)gefragtsind (Jänickeetal.2002)–dortversagtdieserErfolgsweg.
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Prozesse–DerPolicyCycle
In diesem Kapitel wird mit dem PolicyCycle das wohl am häufigsten angewandteundeinflussreichsteModellderPolitikfeldanalysebehan delt. Dies soll einerseits Auskunft darüber geben, wie sich politische Prozesse sinnvoll untersuchen und analysieren lassen. Andererseits wollenwirunsüberdasPhasenmodellhinausgehenddemAblaufund den Dynamiken politischer Prozesse zuwenden. Das vorangehende Kapitelhathierzubereitswesentlichbeigetragen:InKapitel4.1wurde diskutiert,welcheAkteureihreInteressenwieinpolitischenAuseinan dersetzungendurchzusetzensuchen.InKapitel4.2wurdebesprochen, wie Strukturen und Institutionen die PoliticsDimension und die letzt lich auf Politikfeldern erzielten Ergebnisse zu prägen vermögen. Und schließlichwurdeinKapitel4.3derVersuchunternommen,eineüber schaubare Typologisierung von Instrumenten aufzustellen, die der PolitikfürSteuerungszielezurVerfügungstehen.DiesgiltesimVerlauf dieses Kapitels stets mitzudenken, wenn entsprechende Bezugnah menaufvorabdiskutierteBegriffeerfolgen. DerPolicyCycle,diesseigleichzuBeginngesagt,isteinheuristi scher Orientierungsrahmen. In der Mathematik kommen Heuristiken zumEinsatz,ummöglichstschnellundmitgeringemRechenaufwand eineLösungzuerzielen.Dabeiisteszulässig,Schätzwerte,Faustregeln oder anderweitige Hilfsmittel einzusetzen, so dass das Ergebnis zwar keine optimale, aber eine hilfreiche Lösung für behandelte Probleme darstellt.ÄhnlichverhältessichmitdemPhasenmodellderPolitikset zung:AlsHeuristikbietetesdieMöglichkeit,zielgerichtetErkenntnisse über politische Prozesse zu gewinnen. Gleichzeitig lassen sich die einzelnenPhasenebennurinnerhalbderHeuristiksoklarvoneinander abgrenzen: In der politischen Praxis nehmen sie mitunter andere Rei henfolgen ein, es kommt zu Überlappungen oder gar zum Wegfall einzelner Phasen (insbesondere Sabatier 2007). Den heuristischen CharakterdesPolicyCyclegiltesdaherbeiseinerAnwendungstetszu beachten;auchumdiepolitischeEmpirienichtsturineintheoretisches Gehäuse zu pressen, sondern offensiv mit beobachteten Abweichun genvomidealtypischenPhasenmodellumzugehen.
104 S. Blum, K. Schubert, Politikfeldanalyse, DOI 10.1007/ 978-3-531-92097-9_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Ausgangspunkt des PolicyCycle ist dennoch die Beobachtung gewesen, dass politische Prozesse und Maßnahmen bestimmte typi sche Stadien durchlaufen (Jänicke et al. 2003: 53). Am Anfang steht häufigeinspezifischespolitischesProblemoderDefizite,dieaufeinem (bestehenden) Politikfeld ausgemacht werden. Politische oder gesell schaftliche Akteure suchen dann – ihren jeweiligen Interessen ent sprechend – das Problem zu thematisieren und auf der politischen Agenda zu verankern. Um das Problem lösen zu können, müssen da raufhinPoliciesformuliert,alsokonkreteProgrammeundSteuerungs instrumente entwickelt werden. Ob diese angedachten Politiken tat sächlich gefahren werden, ist von den Phasen der politischen Ent scheidung sowie der Implementierung durch Politik und Verwaltung abhängig. Schließlich sollte es zur Evaluierung der gewählten Policies kommen sowie daraufhin entweder zur Neuformulierung oder zur Terminierung des Politiksetzungsprozesses. Das folgende Schaubild zeigtdieidealtypische,kreisförmigeAnordnungdiesereinzelnenPha sen. Schaubild51:DerPolicyCycle Politik Terminierung
Problem (Re)Definition
Politik Evaluierung
Implemen tierung
Agenda Setting
Politik Formulierung
Quelle:Jann/Wegrich2009
DiehierdargestellteVariantedesPhasenmodellsnachfrühenLehrbü chern von Jones (1970) und Anderson (1975) hat sich mittlerweile als
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die Gebräuchlichste durchgesetzt. Daneben existieren jedoch weitere Modelldarstellungen mit stets leichten Variationen. Es gibt keine Vor schriftenfürdieEinteilungderSequenzenoderPhasen.Dieeinfachste DarstellungisteineDreiteilung,z.B.Politikinitiierung–Politikdurchfüh rung–Politikbeendigung(Schubert1991:69).EineandereDreiteilung macht als Hauptphasen wiederum Problemdefinition, Programmfor mulierungundImplementierungaus(Schneider/Janning2006:50).Im ersten unternommenen Versuch zur Untergliederung des Politikset zungsprozessesidentifizierteHaroldLasswell(1956)siebensequentiel lePhasen.LasswellverfolgtenichtnurdenAnspruchzuerklären,wie öffentlichePolitikgemachtwird,sondernauchherauszustellen,wiesie gemacht werden sollte (Howlett et al. 2009: 11). Seine im folgenden InfokastenvorgestellteEinteilungkannjedochausheutigerSichtnicht ganzüberzeugen(vgl.Jann/Wegrich2009:79):InsbesonderedieVer ortung der Politikevaluierung nach der Prozessbeendigung wider sprichtLasswellseigenemGestaltungsundBeratungsanspruch.Dieser Widerspruchwirddadurchverstärkt,dassLasswellsModellnochnicht zyklisch angelegt ist, also nach der Bewertung nicht den erneuten Übergang zur ersten (oder einer anderen) Stufe integriert. Dennoch hatsichLasswellsPhasenmodellalshöchsteinflussreicherwiesenund denGrundsteinfüralleweiterenModellegelegt. Infokasten51:PhasenmodellnachLasswell 1.Intelligence: SammlungundVerarbeitungvonWissen 2.Promotion: Förderung und Unterstützung ausgewählter Al ternativen 3.Prescription: EntscheidungfüreinePolitik 4.Invocation: DurchsetzungdergewähltenPolitik 5.Application: AnwendungdurchdieVerwaltung 6.Termination: BeendigungdesProzesses 7.Appraisal: Bewertung entlang der ursprünglichen Zielset zungen Quelle:Lasswell1956(vgl.Jann/Wegrich2009)
Allen Einteilungen gemein ist der Fokus auf Politik als dynamischem Prozess der Problemverarbeitung (Mayntz 1982: 74). Der klassischen
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Definition von Scharpf folgend, ist Politik der Prozess, „in dem lö sungsbedürftigeProblemeartikuliert,politischeZieleformuliert,alter nativeHandlungsmöglichkeitenentwickeltundschließlichalsverbind licheFestlegunggewähltwerden“(1973:15). WieinKapitel2bespro chen, kam Anfang der 1970er Jahre an der klassischen Politikwissen schaftdieKritikauf,diefaktischenpolitischenErgebnisse(z.B.Geset ze, Programme) sowie die davorliegenden Prozesse innerhalb des politischadministrativenSystemsvernachlässigtzuhaben.InReaktion aufdieseBeanstandungkameszukonzeptionellenMeilensteinenwie EastonsSystemmodell(vgl.Kap.2).DerPolicyCyclestellteineWeiter entwicklungdesSystemmodellsdarundversucht,diedarinenthaltene blackboxderVorgängeimpolitischenSystemzuerhellen. DasSystemmodellliegtdemPhasenmodellderPolitikgestaltung auch insofern zugrunde, als dass die Problemlösungen des politisch administrativen Systems als aufeinander bezogene Aktivitäten gese hen und analysiert werden können. Aus dieser Tradition heraus zeigt sich eine weitere Schwachstelle des ursprünglichen Phasenmodells nachLasswell:EsfokussiertstarkaufProzesseinnerhalbdespolitisch administrativen Systems und weist eine generelle Vernachlässigung externerUmwelteinflüsseaufdasRegierungshandelnauf(Howlettet al.2009:11).VielespäterePhasenmodellesuchtendiesenblindenFleck zuschließen:ZwarkannauchdiePolitikselbstständigundohneöffent lichesZutuneinThemaaufdieAgendasetzen.HäufigwerdenProble me jedoch öffentlich diskutiert und daraus ein politischer Handlungs bedarf abgeleitet. In letzterem Falle sind die Phasen Problemdefinie rungundAgendaSettingalsostarkdurchdenandaspolitischeSystem herangetragenen Input bestimmt. Im Folgenden werden dann die öffentlichen Forderungen im politischadministrativen System verar beitet (Politikformulierung, Entscheidung) und schließlich als Output wiederandasSystemherangetragen(Implementierung).Dasöffentli cheFeedbackkanndannwiederumeinezentraleRollefürdieEvaluie rung,NeuformulierungoderBeendigungdesPolitikprozessesspielen. Lasswells ursprüngliches Phasenmodell wies noch eine weitere Schwachstelle auf: Zwar kann Politikmachen (engl. policy making) sinnvollalsProzessderProblemverarbeitungbetrachtetwerden.Man sollte sich jedoch vor dem Fehler hüten, es nur als Problemverarbei tungsprozess aufzufassen (Mayntz 1982: 74). Lasswells Phasenmodell läuftjedochGefahr,genaudieszutun.Wiegesagtrekurriertesstark auf Vorgänge innerhalb des politischadministrativen Systems und
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suggeriertdarüberhinauseineäußerstsystematischeundlineareForm der Politikgestaltung (Howlett et al. 2009: 13): Gleichsam einem Pro duktionsprozess in den Wirtschaftswissenschaften wird die Problem lage erfasst, politische Outputs werden geplant, beschlossen und umgesetzt.InderRealitätjedocherfolgtdieIdentifizierungvonProb lemen, die Entwicklung und Implementierung von Lösungen sehr häufigausdemStegreifundaufidiosynkratischeWeise(Howlettetal. 2009:13).PolitikmachenkanndaherbesseralsHerantastenundsteti gesAnnähernandieletztlichgewählteLösungverstandenwerden,bei dem auch Routinen und typische Ablaufmuster einzukalkulieren sind. Das Idealtypische dieser Abläufe wird durch die kreisförmige Darstel lungdesPolitikprozesses(vgl.Schaubild51)verdeutlicht:Wederwei sen die Prozesse zumeist eindeutige Anfänge und Abschlüsse auf, noch kommt es so regelmäßig zu einer systematischen Evaluierung von eingeführten Politiken (Jann/Wegrich 2009: 85) wie wünschens wertwäre. Eingedenkdieser„Vorsichtsmaßnahmen“beimGebrauchdesPo litikzyklus werden nun seine Hauptphasen im Detail diskutiert. Die Darstellung folgt dabei der obigen Variante des Phasenmodells, also Problemdefinierung, Agenda Setting, Politikformulierung und Ent scheidungsfindung, Politikimplementierung, Politikevaluierung sowie Neuformulierungbzw.Terminierung.NachDurchlaufendieserPhasen wirdeinResümeedesPhasenmodellsgezogen,seineStärken,Schwä chenundteilsbereitsangedeuteteKritikeinbeziehend. 5.1 ProblemwahrnehmungundAgendaSetting InnerhalbdesModellssinddieSequenzenderProblemwahrnehmung sowie des Agenda Setting distinkt, die eine folgt auf die andere. Uns erscheint es jedoch sinnvoll, die beiden Phasen zwar nacheinander, jedoch innerhalb desselben Abschnitts zu betrachten. Denn ob bzw. wieeinProblemwahrgenommenwirdundobesanschließendaufdie Agenda zur politischen Bearbeitung rückt, hängt nicht nur eng mitei nander zusammen. Schwieriger noch als für die anderen Sequenzen fälltauchdieAbgrenzungaus:DieGrenzenzwischenderöffentlichen DiskussioneinesProblemsundseinesVorrückensaufdieAgendasind fließend.
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Problemwahrnehmung DieerstePhasebeziehtsichaufdenTeildespolitischenProzesses,in dem erkannt wird, dass ein politisch zu lösendes sozioökonomisches Problembesteht.Problemekönnen„ökonomischer,ökologischeroder technischer Natur sein. Erst indem sie auf die Lebenschancen von Menschen wirken, werden sie zu sozialen Problemen“ (Schneider/ Janning 2006: 51). Damit diesesozialen Probleme politisch bearbeitet werden können, müssen sie natürlich erst einmal wahrgenommen werden. Es wurde im Verlauf dieses Buches bereits wiederholt ange sprochen, dass die klassische Politikwissenschaft sich durch ein me chanistisches Verständnis der Politiksetzung auszeichnete. Entspre chendes galt auch für die Natur politischer Probleme: Frühe Arbeiten gingen davon aus, es gebe objektiv existierende Probleme, die nur daraufwarteten,vonderRegierungperzipiertzuwerden(Howlettet al.2009:93). Doch Problemwahrnehmung, so erscheint es uns heute, ist ein sozial konstruierter Prozess (Howlett et al. 2009: 93). Wie wenig ein objektiver Problemdruck über die wahrgenommene Relevanz eines Problemsentscheidet,zeigtderBereichderUmweltpolitikbesonders eindrücklich.ErheblicheUmweltproblemeexistiertenbereits,bevorsie als solche wahrgenommen, artikuliert oder gar die Notwendigkeit einespolitischenHandelnserkanntwurde.FürdieProzessederProb lemwahrnehmung existieren eigene Gesetzmäßigkeiten – aber auch Normen,dievonLandzuLandunterschiedlichseinkönnen.Während Umweltprobleme in den westlichen Industriestaaten weitgehend als zentrale Aufgabe erkannt und entsprechende Politiken auf den Weg gebracht wurden, ist die Problemwahrnehmung in den Entwicklungs ländernnachwievordurchDefizitegeprägt.MitHilfevonKampagnen und Maßnahmen zum issue raising suchen daher Umweltorganisatio nenoderpolitischeAkteurederIndustrienationen,dieWahrnehmung von Umweltproblemen in den Entwicklungsländern zu erhöhen. Dass im Rahmen dieses issue raising hohe Erfolge erzielt werden können, zeigtumsostärker,dass„ProblemeimmerauchimKontextihrernor mativen Voraussetzung“ (Schneider/Janning 2006: 51) betrachtet werden müssen: Nur wenn nach normativen Grundsätzen eine Diffe renzzwischenIstZustandundSollWertauftritt,wirdeinSachverhalt alsProblemwahrgenommenundreaktivesHandelngefordert. TrotzoderauchgeradewegendersozialenKonstruiertheitpoliti scherProblemekönneneineReihevonStudienundIndikatorendabei
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helfen, einen stärkeren Realitätsbezug herzustellen und zumindest teilweise auf „objektives“ Faktenwissen zurückzugreifen. Der wich tigste Indikator des 2008 veröffentlichten und hitzig diskutierten Ar mutsberichtesderBundesregierungbesagteetwa,dass13Prozentder Bundesbürger in Armut leben. Auch eine Definition dieses Armutsbe griffesistangegeben:DieseBürgerverfügenüberwenigerals781Euro nettoimMonat.13weitereProzentwerdennurdurchstaatlicheHilfen und Zuschüsse vor der Armut bewahrt. Solche Indikatoren können in der Tat helfen, die Komplexität sozialer Probleme zu reduzieren und sinnvolle Lösungen zu finden. Aber auch statistische Indikatoren schützen nicht vor den Querelen unterschiedlicher Problemwahrneh mungen: Während der eine Politiker aus dem Armutsbericht dringen denpolitischenHandlungsbedarfherleitet,verweistderandereaufdie Relationalität der Armutsdefinition. Arm ist laut Statistik, wem – je nachAbgrenzung–60,50odernur40ProzentdesDurchschnittsein kommens zur Verfügung stehen. Bisweilen ist daher zu hören, in den reichen Industrienationen könne auch bei 40 Prozent des Durch schnittseinkommensnichtvonwirklicherArmutdieRedesein. LiegtkeinmehroderminderobjektivwahrnehmbaresProblemvor, muss auch nicht gehandelt werden. So könnte man meinen. Doch hier suggeriert der Terminus „Problemwahrnehmung“ zu Unrecht die Erst existenzfestgestellterProbleme.ZwaristeshäufigderFall,dasszuerst Probleme wahrgenommen und dann dafür Lösungen entwickelt wer den. Mit ihrem einflussreichen „GarbageCan“Modell haben Cohen, March und Olsen (1972) jedoch darauf hingewiesen, dass es manchmal auch entwickelte Lösungen sind, die nur auf geeignete Probleme war ten. Der Begriff „Mülleimermodell“ wird selten verwendet – vielleicht auchdeshalb,weilimDeutschenderBegriff„Schubladenmodell“eigent lichbessergeeignetwäre.DenndertheoretischeAnsatzgehtdavonaus, dass in Organisationen (z.B. in Ministerien) viele Entwürfe und Pro gramme für die Schublade produziert werden. Die entsprechenden Akteure haben jedoch ein ureigenes Interesse (z.B. aus ideologischen Gründen), diese Programme auch zur Anwendung kommen zu lassen. WennsichdanneingünstigesProblemanbietet,z.B.weilDefizitedurch Interessenverbände artikuliert und von den Medien aufgegriffen wer den, sehen diese Akteure ihre Zeit gekommen: Sie können die Lösung ausderSchubladebzw.ausdemMülleimerziehen.Lösungenbetrachtet das„GarbageCan“ModellalsgrundsätzlichdistinktvondenProblemen, zuderenBearbeitungsieherangezogenwerden.WichtigeLösungen,so
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Cohen, March und Olsen, werden immer Advokaten finden, die sie durchzusetzen suchen. Aus dieser Sichtweise heraus betrachten sie Organisationen als: “Collection of choices looking for problems, issues andfeelingslookingfordecisionsituationsinwhichtheymightbeaired, solutions looking for issues to which they might be the answers, and decision makers looking for work” (Cohen et al. 1972: 2). Dem ist aller dingshinzuzufügen,dassdasModellinseinenAnnahmensichernichtfür alleFällederPolitikgestaltungzutrifftundmitunterdieRolledesZufalls überbetont. InderPhasederProblemwahrnehmunghabenwiressozusagen miteinerbereitsgefiltertenFormderursprünglichenProblemlagenzu tun,dienunvonpolitischenodergesellschaftlichenAkteurenthemati siert werden. Die entsprechenden politischen Instanzen identifizieren den allgemeinen Kontext der Probleme und stellen Ziel und Prioritä tensetzungen auf. Hierin eingeschlossen sind Kontakte und Verhand lungenzwischendenBeteiligtendespolitischadministrativenSystems und den relevanten sozioökonomischen Interessengruppen. Pro blemwahrnehmung ist zumindest in demokratischen Staaten ein in aller Regel öffentlich stattfindender Bereich (vgl. Jann/Wegrich 2009: 87): Themen und Problematiken werden in den Massenmedien disku tiert, Experten informieren über ihre Sicht der Dinge, Politiker bezie henStellung.MitdemÜbergangindiePhasedesAgendaSettinggeht eine „Entöffentlichung“ der Problemdiskussion einher: Häufig findet dasSetzenderAgenda„innerhalbeinesZirkelsvonExperten,Interes sengruppen und/oder der Ministerialbürokratie statt“ (Jann/Wegrich 2009: 88) und die Öffentlichkeit bleibt ausgeschlossen. Doch längst nichtalleProbleme,dievonirgendwelchenAkteurenwahrgenommen werden, rücken auch auf die Agenda. Der nächste Abschnitt wendet sich den Faktoren zu, die für eine AgendaPositionierung formulierter ProblemevonBedeutungsind. AgendaSetting Während in der ersten Phase politische Probleme auf den Tisch kom men,müssensienunHandlungsrelevanzerhalten,umüberhauptindie zweite Phase des Politikzyklus einzutreten. Die zentrale Frage an die Phase des Agenda Setting lautet daher: „Why do some issues get addressedbygovernmentswhileothersareignored?“(Howlettetal. 2009:93):WarumgelingteseinigenThemenundLösungen,Relevanz für ein Regierungshandeln zu entfalten, während andere im Morast
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der „PolicyUrsuppe“ (primeval soup; vgl. Kingdon 1995: 116) verblei ben? Für die Phase des Agenda Setting wird der schwierige Versuch unternommen, Antworten auf diese oder auch die folgende Frage zu finden: Warum entwickeln einige Probleme zwar auf der inoffiziell öffentlichen Agenda (Massenmedien und Fachöffentlichkeit) hohe Bedeutung, nicht aber auf der offiziellpolitischen? Nach Cobb und Elder(1972:85)bestehtdieöffentlicheAgendaaus:„Allissuesthatare commonlyperceivedbymembersofthepoliticalcommunityasmerit ing public attention and as involving matters within the legitimate jurisdictionofexistinggovernmentalauthority.“Dieskönnennatürlich unzählige Themen sein – doch nur ein Bruchteil von ihnen gelangt tatsächlichaufdieoffizielleRegierungsagenda. JohnKingdon(1984,1995)hatwohldiebisheuteeinflussreichs ten Arbeiten zu dieser Phase des Politikzyklus unternommen und die Agenda als Liste von Themen oder Problemen definiert, denen die Regierung und ihr weiteres Umfeld zu einem bestimmten Zeitpunkt hohe Aufmerksamkeit schenkt (1984: 34). Besonderes Gewicht hat Kingdon hierbei immer auf den folgenden Punkt gelegt: „Out of the setofallconceivablesubjectsorproblemstowhichofficialscouldbe payingattention,theydoinfactseriouslyattendtosomeratherthan others.Sotheagendasettingprocessnarrowsthissetofconceivable subjects to the set that actually becomes the focus of attention“ (Kingdon1984:34). Kingdon betont, dass politische Entscheidungsträger ihre Auf merksamkeitzubestimmtenZeitpunktenimmernureinerbegrenzten AnzahlvonThemenwidmenkönnen:Aufmerksamkeitisteinknappes Gut. Umso wichtiger erscheint die Suche nach Faktoren, die darüber bestimmen, welchen Themen sich politische Entscheidungsträger zuwenden und wer diese Themen auf der politischen Agenda veran kert. Howlett/Ramesh (2003: 14) unterscheiden aufbauend auf Cobb, Ross und Ross (1976) zwischen vier möglichen Typen des Agenda Setting,dieimSchaubild52dargestelltsind.
Schaubild52:TypendesAgendaSetting Initiative
ÖffentlicheUnterstützung Hoch Gering StaatlicheAkteure (1)Konsolidierung (3)Mobilisierung Gesellschaftliche (2)vonAußen (4)vonInnen Akteure initiiert initiiert Quelle:Howlett/Ramesh2003:140
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Diese vier Modelle des Agenda Setting sollten noch einmal im Detail betrachtet werden: (1) Wenn staatliche Akteure ein Thema auf die Agenda setzen, das ohnehin eine hohe öffentliche Unterstützung verzeichnet,somarkiertdiesdieeinfachsteFormeiner„Problemkarri ere“(Schneider/Janning2006:54).AlsBeispielhierfürkanndieEtablie rung des eigenständigen Feldes Umweltpolitik im Deutschland der frühen1970erJahredienen:Studienhabengezeigt,dassdasPolitikfeld keineswegsseitensderUmweltbewegung(dieerstabMittedesJahr zehnts an Bedeutung gewann), sondern allein aus dem politisch administrativen System heraus etabliert wurde (vgl. Jänicke et al. 2003). (2) Wenn hingegen die Umweltbewegung ein Problem von AußenandaspolitischadministrativeSystemheranträgt,sohandeltes sichhierbeiaufgrundderhohenöffentlichenPopularitätvonUmwelt themen um einen Fall von Außeninitiierung. Dieser Fall des Agenda Setting entspricht den klassischen InputForderungen im Systemmo dell nach Easton. (3) Eine vergleichsweise schwierige „Problemkarrie re“ steht Themen bevor, die seitens staatlicher Akteure initiiert wer den und (noch) keine öffentliche Unterstützung erfahren. Um diese Unterstützung zu mobilisieren, könnten etwa Steuerungsinstrumente der Überzeugung zum Einsatz kommen. Ein Beispiel hierfür wäre die mitunterdiskutierteEinführungeinerPKWMautaufAutobahnen,bei derwohlvorallemüberUmweltschutzgründeversuchtwerdenkönn te,imNachhineineineöffentlicheLegitimierungzuerreichen.(4)Dass gesellschaftliche Akteure Themen ohne hohe politische Aufmerksam keit im Gesetzgebungsprozess initiieren, erfolgt weitaus seltener, ist aber etwa im Bereich der Agrarpolitik durchaus zu beobachten (Jann/Wegrich2009:88). ZusätzlichzudiesenvierTypendesAgendaSettinggilteszube achten,dassauchdieEntscheidung,nichtszuunternehmen,einwich tiger politischer Akt sein kann (Bachrach/Baratz 1977). Wenn die Bun desregierung z.B. im Asylrecht „zur Zeit keinen Handlungsbedarf“ erkennt,sagtdasersteinmalwenigüberdietatsächlichexistierenden Probleme in diesem Bereich. So genannte NichtEntscheidungen (non decisions) als systematisches Ignorieren gesellschaftlicher Probleme durch das politischadministrative System können als Ergebnis von Machtverteilungen im Akteurssystem konzipiert werden (Jann/Wegrich2009:87):EntwederexistierengarkeineInteressenver treter des spezifischen Problems, oder aber die Gegenspieler sind derartmächtig,dassdasThemaunterUmständenaufderöffentlichen,
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aberjedenfallsnichtaufderpolitischenAgendadiskutiertwird.Diese ArtIgnoranzkannauchErgebnisbestehender„PolicyMonopole“sein (Baumgartner/Jones 1991: 1047): Dies bedeutet, dass auf manchen Politikfeldern Machverhältnisse vorherrschen, die bestimmen, wie spezifische Probleme wahrgenommen, diskutiert und entsprechend behandelt werden. So haben etwa Studien zur Geschlechterdiskrimi nierungfürdie1970erund1980erJahregezeigt,dassEntscheidungen, sich mit einem Problem nicht zu beschäftigen, oft typisches Resultat festverwurzelterAkteuresind,diemitdemStatusQuozufriedensind und keinerlei Interesse an dessen Änderung haben (vgl. How lett/Ramesh2003:141). Die in Schaubild 52 dargestellte Typologisierung legt ihren Schwerpunkt auf die Rolle von politischen bzw. gesellschaftlichen Akteuren und somit auf den absichtsvollen Charakter des Agenda Setting. Nicht immer ist jedoch den auf die Tagesordnung rückenden Themen eine solch hohe Plan und Steuerbarkeit gegeben: Nach der Brandkatastrophe im MontBlancTunnel von 1999 entwickelte sich eine heftige Diskussion: Die Politik müsse handeln, um eine höhere SicherheitinAutotunnelnzuerreichen.UnderstdieReaktorkatastro phevonTschernobylführte1986inderBundesrepublikzueinemsigni fikanten Bedeutungszuwachs der Umweltpolitik. Wenige Wochen späterundinReaktionaufdasUnglückkamesmitderEinrichtungdes Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sogar zu institutionellen Veränderungen. So können auch Unfälle, NaturkatastrophenoderKriegebestimmteThemenvoneinemTagauf den anderen auf die Agenda bringen. Denkt man zurück an die An nahmendes„GarbageCan“Modells,sobietendieseunkalkulierbaren Ereignisse eine Möglichkeit, entsprechende Pläne aus der Schublade zu ziehen. So existierten in Deutschland auch vor der Tschernobyl Katastrophe bereits Pläne zur Einrichtung eines eigenständigen Um weltministeriums.Abererstmitdennunmehroffenbarenzukünftigen umweltpolitischen Herausforderungen war die Zeit dieser Idee ge kommen. Neben diesen blitzartigen, unkalkulierbaren Agendasprüngen gibt es auch solche Themen, die zyklisch wiederkehren. Anthony Downs hat diese ablaufenden Reformkonjunkturen politischer Prob leme als issue attention cycle bezeichnet. Er zweifelt generell daran, dasseinThemaüberlangeZeithinwegAufmerksamkeiterhaltenkann: „Publicattentionrarelyremainssharplyfocuseduponanyonedomes
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tic issue for very long – even if it involves a continuing problem of crucialimportanceforsociety“(Downs1972:38).Stattdessensteuere der „Kreislauf der Themenaufmerksamkeit“ systematisch die Einstel lungenzudennationalenSchlüsselproblemen:Dieseträtenplötzlichin Erscheinung,umfüreinengewissenZeitraumzuverweilenunddann– immer noch zum größten Teil ungelöst – wieder aus der öffentlichen Aufmerksamkeitsspannezuverschwinden. Für eine zyklische Themenwiederkehr kann es verschiedene Ur sachen geben. Zum einen finden sich Zusammenhänge mit dem wirt schaftlichen Konjunkturverlauf: In Rezensionszeiten prägen Themen wieAbbauderArbeitslosigkeit,zuhoheFreigiebigkeitwohlfahrtsstaat licher Leistungen oder die notwendigen Opfer eines jeden Einzelnen dieDebatten.InZeitenwirtschaftlichenAufschwungsfindensichver stärktThemenwiegerechteTeilhabeallerandenErfolgenzusichern, aber auch gerade jetzt weitreichende Reformen nach dem Motto durchzuführen:„ReformiereinderZeit,dannhastduinderNot.“Eine weitereUrsachefürzyklischeAgendenkönnenTerminesein,zudenen etwa regelmäßig neue Statistiken oder Daten veröffentlicht werden. Ein Beispiel hierfür ist die Publikation des jeweils aktuellen Jahresbe richtsdurchdieBundesagenturfürArbeit. SpannendgestaltetsichauchdieFrage,obbestimmteMerkmale identifiziert werden können, die es einem Problem erleichtern bzw. erschweren,aufdiepolitischeAgendazurücken.Hierwärenalsonicht nurdiestrukturellenMachtverhältnisse,dieöffentlicheUnterstützung oder die Gunst der Stunde entscheidend, sondern zum Beispiel die folgendenEigenschaftendesThemasselbst(Schneider/Janning2006: 56): Ö Eindeutigkeitvs.Mehrdeutigkeit Ö Starkevs.marginalegesellschaftlicheBetroffenheit Ö Dringlichkeitvs.Verschiebbarkeit Ö Einfachheitvs.Komplexität Ö Routineangelegenheitvs.Novum Ö Großevs.geringesymbolischeBedeutung. Für Probleme mit hoher symbolischer Bedeutung könnten z.B. recht gute Chancen vermutet werden, auf die gesellschaftliche und politi sche Agenda zu rücken; für Themen mit marginaler gesellschaftlicher Betroffenheithingegenvergleichsweiseschlechte.
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5.2 PolitikformulierungundEntscheidungsfindung Hat ein Problem es bis hierhin geschafft, so musste es, wie wir gese henhaben,bereitszahlreicheHürdennehmenbzw.Stärkenbeweisen: Es wurde wahrgenommen; es verfügte über große öffentliche Unter stützung oder mächtige politische bzw. gesellschaftliche Anwälte; situativeEreignisseoderdieMerkmaledesThemasselbstwareneiner politischen Bearbeitung zuträglich. Welche dieser möglichen Gründe auchimmerausschlaggebendwaren:InderPhasederPolitikformulie rungwerdennunbestimmteZiele,MittelundWegefürdaszurBear beitung ausgewählte Problem entwickelt. Ob diese dann letztendlich zurImplementierungfreigegebenwerden,bestimmtsichinderPhase derEntscheidungsfindung.DiesebeidenPhasenwerdennunimDetail betrachtet. Politikformulierung Die fließenden Grenzen vom Agenda Setting hin zur Politikformulie rungzeigtderPhasenbegriff„Estimation“,derinfrüherenPhasenmo dellenweitgehendanalogzuletztererSequenzverwendetwurde(vgl. Schubert1991:72):IndieserPhasegehtesdarum,dieProblemsituati oneinzuschätzen,wiesiesichausdemAgendaSettingergibt,undum die daraus abgeleitete Entwicklung von Handlungsalternativen und konkreten Handlungsvorschlägen. Zunächst muss also festgestellt werden, was genau an dem aufgetretenen Problem der Lösung be darf.WennindieserPhaseetwaeinefalscheProblemreduktionstatt findet, kann das dazu führen, dass falsche Ziele angestrebt werden und wahrscheinlich auch keine Verbesserung des Ausgangsproblems eintritt. Gleiches gilt auch für die Phase der Politikformulierung in unserem Modell. Wie ein Problem wahrgenommen wurde; von wem, wie und wann es auf die politische Agenda rückt: All das entscheidet bereitsdarüber,welcheZiele,MittelundWegeletztlichinderPolitik formulierungsphase(wiederaufgegriffenund)konkretisiertwerden. In dieser Phase können nach wie vor die zahlreichen Akteure mitwirken,dieindenvorherigenPhasendesPolitikzyklusaktivwaren, z.B. Parteien, Interessenverbände oder Wirtschaftsunternehmen. Üblicherweise nimmt jedoch die Zahl der engagierten gesellschaftli chenundpolitischenAkteureindieserPhasebereitsab,währenddem ParlamentundinsbesonderederRegierungabdiesemZeitpunktwich tigere Funktion zukommt. Denn bei der Politikformulierung „werden
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aus artikulierten Problemen, Vorschlägen und Forderungen staatliche Programme“ (Jann/Wegrich 2009: 89). Zahlreiche Studien haben je doch ebenfalls gezeigt, dass dieses Argument vor allem die formale Beteiligung an der Politikformulierung betrifft: Parlament und Regie rung sind natürlich die zuständigen politischen Entscheidungsinstan zen.Darüber,welchePolitikenletztlichformuliertwerden,bestimmen jedochhäufigInteressengruppenundvorallemdieMinisterialbürokra tie(Jann/Wegrich2009:90).RegelmäßigeinigensichInteressengrup penundMinisteriumsvertreterininformellenAustauschundVerhand lungsgesprächenaufbestimmtePolicies,diedanninderparlamentari schen Arena entweder umgesetzt oder noch substanziell verändert werden.SubstanzielleVeränderungeneinerPolitikkönnen,wiewirin Kapitel 4 bereits gesehen haben, noch durch andere Akteure (z.B. Parlament) oder institutionelle Vetospieler (z.B. den Bundesrat) er wirktwerden. In der Regel existieren vor dem eigentlichen Kabinettsentwurf bereits mehrere Vorentwürfe, von denen jeder unterschiedlichen Interessen Rechnung trägt (Jänicke et al. 2003: 59). Ein in dieser Hin sicht markantes Beispiel bilden die sogenannten HartzArbeitsmarkt reformen, die das ehemalige VWVorstandsmitglied Peter Hartz wohl im Nachhinein ungern hätte nach sich benennen lassen (zumindest wenn man die Popularität des Begriffs in der Öffentlichkeit zugrunde legt). Aus der damals einberufenen HartzKommission war zu hören, ihre ursprünglich formulierte Politik sei letztlich zu stark verändert worden.PolitischwerdenfüreinensolchenVorganghäufigdieBegrif fe „verwässert“ bzw. „weichgespült“ verwendet, denen bereits eine negative Bewertung inhärent ist. Davon abgesehen ist es jedoch ein üblicherVorgang,dasspolitischeProgrammenichtEinszuEinsumge setzt,sondernentsprechendderZugeständnisseanbeteiligteInteres sen verändert werden – meist zum Unmut der Ministerialbeamten, Kommissionen oder auch Wissenschaftler, die für die ursprünglichen Pläne verantwortlich zeichneten. Im Fall des Arbeitslosengelds II war voneinemsolchenZugeständnisandieFraktionslinkendieRede:Ent gegen ursprünglicher Pläne werden 200 Euro pro Lebensjahr nicht angetastet, sofern diese von den HartzIVEmpfängern für die eigene Altersvorsorgeangespartwerden.DiesesBeispiel,indemabweichen de Gruppierungen innerhalb der gleichen Partei womöglich nur über Zugeständnisse auf die gewählte politische Linie gebracht werden können, zeigt, weshalb sich die Politikformulierungsphase von nur
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einigenWochenbishinzumehrerenJahrenerstreckenkann:Mitunter ist vorher keine Einigung auf eine gemeinsame Handlungsalternative möglich. Am Ende der Politikformulierungsphase stehen konkrete Maß nahmen des politischadministrativen Systems, also gewählte Steue rungsinstrumente oder Programme. Die inhaltliche Substanz dieser PolicyOutputs kann faktisch gegeben und hoch oder auch nur rein symbolischer Natur sein. Exemplarisch für hohe Substanz können Programme „präzise operationalisierte Problemlösungsversuche sein, mit eingebundenen Zeitplänen, Erfolgskontrollen etc.“ (Jänicke et al. 2003: 59). Beispielhaft für hohe Symbolik sind die mitunter vorge nommenen Umbezeichnungen in Ministerien oder Ämternamen. So sollz.B.dieUmbenennungder„BundesanstaltfürArbeit“in„Bundes agenturfürArbeit“eineverstärkteDienstleistungsundKundenorien tierung zum Ausdruck bringen. Und die Namenserweiterung zum „Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit“ sollte1986einestärkereVerknüpfungderBereicheFrauenundFami lienpolitik demonstrieren. Zwar ändern sich allein durch das Umbe nennen noch nicht die Inhalte der Politik. Allerdings kann auch nicht gesagt werden, dass sogenannte „Symbolpolitik“ keine großen Wir kungenentfaltenkann. Ein weiteres Mal haben die bisherigen Ausführungen zur Politik formulierungsphase jedem mechanistischen Verständnis des „Politik machens“ den Boden entzogen. In dieser Phase werden Kosten und Nutzen einer Problemlösungsstrategie abgeschätzt. Darüber hinaus muss eine Optimierung der Lösungsalternativen stattfinden, die wie oben beschrieben immer auch den beteiligten Interessen Rechnung trägt. Sowohl Alternativität als auch Verhandlungscharakter zeigen ganzklar,dasskeindirekterZusammenhangzwischen„Problem“und „Lösung“existiert:Esgibti.d.R.nichtdierichtigeLösung(wennauch mehr und weniger passende), sondern viele Handlungsalternativen, welcheinderPolitikformulierungsphasevertieftdiskutiertwerden,bis es schließlich zur Festlegung auf eine dieser Strategien kommt. Nun sind in diesem Abschnitt bereits viele verschiedene Merkmale ange sprochenworden,dieesbeiderAnalysevonPolitikformulierungspha sen zu beachten gilt: Von den beteiligten Akteuren und Interessen überdieDauerderSequenzbishinzurSubstanzdergewähltenAlter nativen. Einen Versuch zur Systematisierung dieser verschiedenen Punkte hat Jones (1984: 78) unternommen und Charakteristika der
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Politikformulierungaufgestellt.DerfolgendeInfokastenzeigtdievon ihmzusammengefasstenFragenandieseSequenzinderÜbersicht. Infokasten52: CharakteristikaderPolitikformulierungnach Jones FestlegungderAnzahlderAkteure Problemdefinitionklären RollevonInstitutionen DauerderFormulierungsphase KonsensbildungundKonfliktregelung GewinnerundVerlierer Quelle:Jones1984:78
Nach dieser „Bestandsaufnahme“ der Politikformulierung interessiert uns als Politikfeldforscher vor allem die Frage nach dem „warum“. WiesofälltdieAuswahlaufdieseAlternativeundnichtaufeineande re?WeshalbdauertediePolitikformulierungsphaseinunseremUnter suchungsfallüberdurchschnittlichlang?WaruminterveniertederBun desrat und erwirkte eine substanzielle Veränderung der Policy? Die AntwortenzudiesenFragenwerdenfürunterschiedlichePolitikformu lierungensehrunterschiedlichausfallen,weshalbEinzelfallstudienhier eine wichtige politikwissenschaftliche Methode darstellen (vgl. How lett/Ramesh 2003: 145). Um jedoch allgemeine Aussagen über Se quenzabläufetreffenzukönnenbrauchtestheoretischeAnsätze,die inihrererklärendenKraftüberdasheuristischePhasenmodellhinaus gehen. Einen solchen theoretischen Ansatz haben Howlett und Ramesh (2003)aufderBasisvonErkenntnissenentwickelt,diezuvorvonande ren PolicyForschern erzielt wurden. Sie gehen davon aus, dass ver schiedeneStilederPolitikformulierung(policyformulationstyles)exis tieren. Welcher dieser Stile verfolgt wird, hängt davon ab, wie offen ein bestimmtes PolicySubsystem gegenüber neuen Akteuren und neuen Ideen ist. So hatten unter anderem Marsh und Rhodes (1992) bereits zuvor festgestellt, dass die Interessenhomogenität und Ge schlossenheitvonPolitikfeldernerheblichzubeeinflussenvermag,mit welcher Wahrscheinlichkeit neue und innovative Ideen entwickelt werden. Denken wir zurück an die in Kapitel 4 behandelten
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Akteursnetzwerke:Auchdortwurdefestgestellt,dassbeinachAußen hingeschlossenenNetzwerkendieGefahrderAbschottunggegenüber alternativen Ideen und Sichtweisen besteht. Auf dieser Grundlage entwickelten Howlett und Ramesh (2003: 158) die im folgenden Schaubild dargestellte Typologie von Politikformulierungsstilen. Bei diesemModellhandeltessichimGegensatzzumPolicyCyclenichtum eineHeuristik,sondernumeinentheoretischenAnsatz. Schaubild53:StilederPolitikformulierung Eintritt Ja neuer Ideen Nein
EintrittneuerAkteure Ja PolicyErneuerung (offeneSubsysteme)
PolicyExperimentieren (widerstandsfähige Subsysteme) Quelle:Howlettt/Ramesh2003:158
Nein ProgrammReform (auseinandersetzungsreiche Subsysteme) InstrumentenBastelei (geschlosseneSub systeme)
Denn das Modell ermöglicht es, Hypothesen abzuleiten, die dann an einer untersuchten Politikformulierungsphase getestet werden kön nen. Eine mögliche ableitbare Annahme wäre: Je geschlossener das Politikfeld gegenüber dem Eintritt neuer Akteure ist, desto eher wird eslediglichzuÄnderungenandenInstrumentenundnichtzusubstan ziellemPolitikwandelkommen.DerAnsatzerlaubtdemnachnichtnur Aussagen über die Parameter, welche die Politikformulierungsphase entscheidend prägen. Er gibt auch Auskunft über das zu erwartende Ausmaß des Politikwandels. Howlett und Ramesh gehen davon aus, dass vor allem Art und Motivation der im Subsystem vertretenen Ak teure darüber entscheiden, welche Handlungsalternativen auf die politischeAgendarücken,alsmachbaroderwünschenswertbewertet werden und schließlich in die Phase der Entscheidungsfindung vorrü cken. Entscheidungsfindung In dieser Phase wird die abschließende Entscheidung über die bisher diskutierten Problemlösungen getroffen. In der Regel wird nun nicht mehr über verschiedene Handlungsalternativen abgestimmt, sondern überdiejenige,diesichwieobenbeschriebeninderPolitikformulierung durchsetzen konnte. Zwar ist auch die Entscheidungsfindungsphase 120
nach wie vor durch Aushandlungsprozesse geprägt, doch sind diese andererNatur:ImZentrumstehtnunwenigerdiespezifischeAusgestal tung der gewählten Policy als die Rolle der Beteiligten im politisch administrativenSystem.Dabeimussunteranderemgeklärtwerden,auf welcher staatlichen Ebene und von welcher Behörde oder welchem MinisteriumdieVerhandlungengeführtwerden,welcheanderenAkteu reeinbezogenwerden(z.B.Parteien)sowieauchwelcheFinanzausstat tungvorgesehenist.DieseAushandlungspunkteindizieren,dasssichmit dem Übergang zur Entscheidungsphase die Anzahl der beteiligten Ak teure auf die politischen Entscheidungsträger reduziert hat: “[W]hen it comes time to decide on adopting a particular option, the relevant group of policy actors is almost invariably restricted to those with the authority to make binding public decisions” (Howlett et al. 2009: 140). NachwievorsindzwarindieserPhaseLobbyistenaktiv.Eshängtaber vom Willen der im Zentrum stehenden Entscheidungsträger ab, ob sie diesennochEinflussgewähren. Schaubild54:Entscheidungstypen
BezogenaufdenPolicyCyclesinddieserSequenzalleunmittelbarzur politischen Entscheidung führenden Schritte und Auswahlprozesse zuzurechnen. Die Entscheidung muss nicht darauf fallen, die ausge wählte Problemlösung tatsächlich zu implementieren. Sie kann auch darinliegen,nichtszuunternehmen.InletzteremFallkommtesi.d.R. auch nicht zu einer PolicyFormulierung, sondern es handelt sich um eine sogenannte nondecision: Das Thema rückt gar nicht erst auf die politischeAgenda.ImSchaubild54sinddieverschiedenenmöglichen Entscheidungstypen dargestellt: In einem ersten Schritt wird die Ent scheidung gefällt, ob ein bestimmtes Thema überhaupt politisch be handelt wird oder ob es zu einer NichtEntscheidung kommt, d.h. ein
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Problem (u.U. sogar aus rationalen Beweggründen) „ausgesessen“ wirdodergarnichterstwahrgenommenwird. IneinemzweitenSchrittunterscheidetdiePolicyForschungzwi schen „positiven“ und „negativen“ Entscheidungen. Maßnahmen werden als positiv bezeichnet, wenn sie zu einer Veränderung der Ausgangslage führen. Als negativ werden Entscheidungen hingegen charakterisiert,wennausihnenkeineÄnderungdesStatusQuoresul tiert (Howlett et al. 2009: 139). Negative Entscheidungen sind ein äu ßerstspannendesPhänomen.HierbesetzenThemenzwardieAgenda, eswirdunterUmständenbereitseinekonkretePolitikformuliert,doch dann bleibt der PolicyCycle gewissermaßen stehen: Er blockiert. Ob wohldiePolitikfeldanalysedieRelevanzdieserErscheinunghervorge hobenhat,existiertwenigForschungzumBereichdernegativenEnt scheidungen(Howlettetal.2009:142).EinBeispielwirdimfolgenden Infokastengegeben. Infokasten53:NegativeEntscheidungeninderPraxis 1996 verabschiedete die Europäische Union eine Elternzeit Richtlinie,dievondenMitgliedsstaateninnerhalbvonzweiJahren implementiert werden musste. Die Phasen Problemdefinierung, Agenda Setting und Politikformulierung hatten also gar nicht auf Ebene der Nationalstaaten (wenngleich auch mit deren Beteili gung), sondern vor allem unter Leitung der Sozialpartner auf eu ropäischer Ebene stattgefunden. Bereits bei Verabschiedung der Richtlinie kündigte die konservativliberale Regierung Deutsch lands an, sie werde keine Änderungen der nationalen Rechtslage durchführen. Auch als die Europäische Kommission zwei Jahre späterineinemformellenBriefnachfragte,weshalbdieRichtlinie nochnichtimplementiertwordensei,kamvonBerlindieAntwort, an der „negativen Entscheidung“ werdefestgehalten (Falkner et al.2002:13).DieInhaltedereuropäischenRichtliniepasstennicht zudenfamilienpolitischenVorstellungenderKohlRegierung. Zur Entscheidungsfindung gehört auch die Frage, wer letztlich das weitereVorgehenfestlegt.Esistzuklären,obetwaeinGesetzerfor derlichistoderobeineVerordnungo.ä.genügt.Ersteresbedingt,dass derGesetzgeber,inderRegeleinParlament,eingeschaltetwird.Letz
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tere ist eine administrative Entscheidung, die keinen Gesetzesakt er fordert.InbeidenFällenlegtdieEntscheidung„eineReihevonOpera tionen fest, mittels derer unter Einsatz sachlicher und personeller Ressourcen ein spezifiziertes Ziel erreicht werden soll“ (Schnei der/Janning2006:57).KriterienwieEffektivitätundEffizienz,dieAus kunft geben, wie das behandelte Problem möglichst wirksam bzw. möglichst kostenarm bekämpft werden kann, spielen bei der Ent scheidung für eine Handlungsalternative eine wichtige Rolle. Zum einen können jedoch normative Überlegungen einer Orientierung an diesen rationalen Merkmalen entgegenstehen. Und zum anderen verfügen politische Entscheidungsträger oft gar nicht über das ent sprechende Wissen zur Anlegung dieser Bewertungsmaßstäbe (Schneider/Janning2006:57). Für die Politikformulierungsphase ist bereits angesprochen wor den, dass erst über das Phasenmodell hinausgehende theoretische Ansätze es ermöglichen, allgemeine Aussagen zu treffen, Annahmen zubildenoderKausalitätenherzustellen.VonallenPhasendesPolitik zyklus sind Politikformulierung und Entscheidungsfindung am stärks tentheorieorientiertuntersuchtworden(vgl.Jann/Wegrich2009:94). EinindenUSAäußersteinflussreichesundimzweitenKapitelbereits kurzerwähntesModellwurdevonJohnKingdon(1984)insbesondere im Hinblick auf das Agenda Setting erdacht und von Nikolaos Zahariadis(2007)fürdengesamtenpolitischenEntscheidungsprozess weiterentwickelt: Ihr MultipleStreamsAnsatz greift zwar auch schon fürdiezuvorbehandeltenPhasendesPolicyCycle.Sowillerinerster LinieErklärungendafürliefern,weshalbbestimmteThemenundProb lemeaufdiepolitischeAgendarücken.Der Ansatzzeigtjedochauch, weshalbesinderEntscheidungsphasezurAuswahleinerbestimmten Lösungkommt,weshalberimFolgendendetailliertbetrachtetwerden soll. Die Bezeichnung Multiple Streams bezieht sich auf drei Ströme, die nach Annahme des Theorieansatzes parallel und unabhängig von einander durch das politische System fließen (Kingdon 1984: 92). Der ersteStrombestehtausdenöffentlichwahrgenommenenProblemen, die nach einer politischen Bearbeitung verlangen. Im zweiten Strom befinden sich die Policies, die zur Lösung dieser Probleme entwickelt werden. Der dritte Strom enthält die Politics, also die auftretenden KonflikteundInteressenlagen.AlsentscheidendeFaktorenfürletzte ren Strom führt Kingdon die öffentliche Stimmung, Regierungswech
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sel oder Kampagnen von Interessengruppen an. Die Hauptannahme des Ansatzes besteht darin, dass Politikwandel nur dann erfolgen kann, wenn die drei Ströme aufeinander treffen bzw. gekoppelt wer den. Nur sofern für ein geeignetes Problem passende Lösungsvor schlägegefundenwerdenundüberdiesdiepolitischenKonstellationen undInteressengünstigsind,kanneinwindowofopportunity,dassich geöffnet hat, auch genutzt werden: ein Möglichkeitsfenster, um eine spezifische Politik durchzubringen. Diese Chance muss ergriffen wer den,denn:„SowiesichZeitfensteröffnen,soschließensiesichauch wieder.[…]DieAufmerksamkeitverlagertsichdannaufandereSach verhalte,dienunalsdringenderbetrachtetwerden.“(Rüb2009:362) Ähnliches wusste auch schon Otto von Bismarck, der gesagt haben soll:„ManmussdenMantelderGeschichteamZipfelergreifen,wenn ervorüberweht.“ Der MultipleStreamsAnsatz beruht auf ähnlichen Grundannah men wie das weiter oben behandelte GarbageCanModell. Auch Kingdon und Zahariadis gehen davon aus, dass oft günstige Gelegen heiten darüber entscheiden, ob sich ein Möglichkeitsfenster öffnet oder nicht. Solche Gelegenheiten können sich durch focusing events ergeben (z.B. der 11. September für die Sicherheitspolitik; vgl. Meyer 2006),aberauchdurchdieVeröffentlichungvonIndikatorenoderdie Evaluierung von früheren politischen Programmen (Zahariadis 2007: 71). Möglichkeitsfenster können sich also in verschiedenen Strömen öffnen,z.B.imPoliticsStromdurcheinenRegierungswechsel.Darüber hinausführtdasMultipleStreamsModelljedochdenBegriffderPolicy Unternehmer (policy entrepreneurs) ein. Diese individuellen oder kor porativen Akteure wirken auf politische Entscheidungsträger ein und suchen so, bestimmte Policiesdurchzusetzen. Umschrieben wird dies mit dem im Deutschen recht negativ konnotierten, im Englischen je doch neutraler verwendeten Begriff „Manipulation“. Das ständige BestrebenderPolicyUnternehmeristes,diedreiStrömemiteinander zu koppeln. Denn wenn auch die politischen Entscheidungsträger in dem Ansatz als relativ unideologisch bzw. unambitioniert präsentiert werden: “The primary concern of decision makers – policy makers, business executives, or top civil servants – is to manage time rather thantomanagetasks.>…@Thesepeopleoftendonothavetheluxury oftakingtheirtimetomakeadecision”(Zahariadis2007:68).Fürdie PolicyUnternehmer (die gleichzeitig natürlich auch politische Ent scheidungsträger sein können), gilt das genaue Gegenteil. Sie sind
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hochmotiviertundständigbestrebt,ihrepetsolutionsdurchzubringen –einschwerzuübersetzenderBegriff,derimDeutschenvielleichtam ehestenals„Lieblingslösungen“wiedergegebenwerdenkann. Damit ergänzen sich die Entscheidungsträger und die Policy Unternehmer allem Anschein nach ideal: Erstere sind wenigmotiviert undhabenvorallemkeineZeit,sichmitdenanstrengendenDetailsder politischen Probleme und Lösungen auseinanderzusetzen. Das macht sieumsoempfänglicherfürdasständigeBestrebenletzterer,dieGunst einesgeöffnetenwindowsofopportunityzunutzenundihrepetsolu tions an die Politik zu bringen. Allerdings: Hiermit überzeichnet der Ansatz seine „Charaktere“ und vermag nicht zu erklären, weshalb unambitionierteEntscheidungsträgerplötzlichauchzuhochengagier ten Unternehmern werden können (neben Interessengruppen, Wis senschaftlern oder Journalisten, die als policy entrepreneurs fungie ren).Dennoch kanndasModellentscheidendzueinembesserenVer ständnis der AgendaSettingDynamiken und der weiteren Phasenver läufebeitragen.GehtmanmehrindieTiefe,könnenausdemMultiple StreamsAnsatz Hypothesen abgeleitet werden. Näher an der Empirie kann er aber auch als Heuristik verwendet werden, indem man aus dem Modell geeignete Fragen ableitet, die an einen politischen Pro zesszurichtensind:WerhatdasProblemwahrgenommenundaufdie politischeAgendagebracht?WoherstammtendieHandlungswege,die zur Lösung des Problems empfohlen wurden? Welche politischen Interessenlagenführtendazu,dasseinespezifischeHandlungsalterna tiveletztlichtatsächlichbeschlossenwurde? MitderendgültigenpolitischenEntscheidungistdienächstePha sederImplementierungerreicht,inderdiekonkreteMaßnahmeoder das Programm nun durch Politik und Verwaltung umgesetzt werden müssen. 5.3 Politikimplementierung 1973 veröffentlichten Pressmann und Wildavsky ein Buch mit dem berühmten Titel: „Implementation: How Great Expectations in Was hingtonareDashedinOakland;OrWhyit’samazingthatFederalPro grams Work at all...“. Der erste Teil dieses Untertitels enthält eine interessante Feststellung: Politische Programme, die Washington zentral beschließt, werden in Oakland gar nicht bzw. unzureichend
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implementiert. Bei den untersuchten Fällen handelte es sich interes santerweise um die wohlfahrtsstaatlichen Reformprogramme unter PräsidentJohnson,zuderenDurchführungerstmalsdiejungeDisziplin derPolicyForschungherangezogenwurde.DerzweiteTeildesUnter titels enthält eine glatte Provokation: Er unterstellt, dass die unzurei chendebzw.garnichterfolgendeImplementierungkeinenrarenAus nahmefalldarstellt,sondernvielmehrdieRegel:Esseierstaunlich,dass Bundesprogrammeüberhauptfunktionieren. Bis in die 1970er Jahre wurden entsprechende Problematiken überhauptnichtdiskutiertunddieImplementationsphasedaherauch nichtalseigenständigeSequenzdesPolitikzykluskonzipiert. Gesetze, Standards oder Verwaltungsvorschriften wurden beschlossen, „und damit war das Problem für den Gesetzgeber im Prinzip erledigt“ (Jann/Wegrich 2009: 95). Erst jetzt, im Rahmen der offenkundigen Umsetzungsprobleme bei den durchgeführten Wohlfahrtsreformen, wendetesichauchdiePolicyForschungstärkerdieserentscheidenden Stufezu.ImplementierungistdiePhase,inderpolitischeAbsichtenin messbareTatenumgesetztwerden.BislangexistierendieSteuerungs instrumente, Gesetze oder Regulationen nur auf dem Papier – nun müssensieinderPraxisangewandtwerden.Eigentlichisteserstaun lich, dass die Steuerungsprobleme im Staat, also „parlamentarisch legitimiertePolitikimbürokratischenApparateffektivdurchzusetzen“ (Jänickeetal.2003:63),sospäterkanntwurden.Denkenwirnur zu rück an das GetränkedosenBeispiel: Die Steuerungsgrenzen des In struments Regulierung sind schnell sichtbar geworden. Ein gesetzli ches Verbot, Aludosen in die Landschaft zu werfen, bewirkt im schlechtestenFallgarnichts. DasFaktumdervorherrschendenMeinungbisindie1970erJahre, dass alles, was der Staat beschließt auch umgesetzt wird, verweist auchaufdasbereitsmehrfachangesprochenemechanistischePolitik verständnis der älteren Politikwissenschaft. Nachdem die Implementationsproblematik erkannt worden war und sich diese Sichtweise zu Beginn der 1980er Jahre allgemein durchgesetzt hatte, beganndiePolitikfeldanalysenachFaktorenzusuchen,dieeineeffek tive Umsetzung von Programmen begünstigen bzw. behindern. Doch überdenanalytischenFokus,welcherbeiderSuchenachdiesenFakto reneingenommenwerdensollte,brachinnerhalbderPolicyForschung eine Debatte aus, die sich schon bald zum Forschung hemmenden Streitverhärtete(Howlettetal.2009:163).DieeineSeitevertrateinen
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TopdownAnsatz:ManmüssedieMechanismenerörtern,diederPoli tik eine effektivere Implementierung ihrer Programme ermöglichen würden.DieandereSeitehieltmiteinemBottomupAnsatzdagegen: UmdieauftretendenSchwierigkeitenzuverstehen,müsstenvielmehr dieamUmsetzungsprozessbeteiligtenAkteureanalysiertwerden. Mit zunehmendem Fortschritt der Implementationsforschung wurdejedochdeutlich,dasswiesoofteinEinbezugbeiderPerspekti venhilft,auftauchendeUmsetzungsproblemezuverstehen(undunter Umständenauchabzumildernbzw.zulösen).DieTopdown,mitunter auch als Gesetzgeberperspektive bezeichnet, verfolgt die Umsetzung zentralstaatlichfestgelegterZieledurchdieInstanzen.Somitkannsie Antwort auf die Fragen finden, an welcher Stelle der verwaltungsin ternen Prozesse es zu Abweichungen vom Zielkatalog kommt. Der BottomupAnsatz beginnt einfach nur am anderen Ende der Imple mentierungskette(Howlettetal.2009:165).Erkannzumeinenbesser dasVorgehenderVollzugseinheitenaufdenunterenEbenenerklären. Diesbezüglich ist der Terminus der Street Level Bureaucracy geprägt worden (vgl. Infokasten). Er kann zum anderen auch besser die teils informellen Interaktionen und Netzwerkbildungen von Akteuren auf verschiedenen Vollzugsebenen analysieren. Diese beiden Sichtweisen auf Implementierungsschwierigkeiten sind sehr unterschiedlich und ergänzensichdochgegenseitig.SomitkönnenTopdownundBottom upAnsatz zusammengenommen tieferen Einblick in die Policy Implementierung gewähren als einer der Ansätze allein es vermag (Sabatier1986). Infokasten54:StreetLevelBureaucracy Lipsky entwickelte das Konzept der Street Level Bureaucracy (1980) mit der Begründung: “Policy Implementation in the end comesdowntothepeoplewhoactuallyimplementit.”Unddies seienebendiekonkretAusführenden,z.B.Polizisten,Lehrer,Rich ter oder Sozialarbeiter. Ein Beispiel hierfür liefert Roland Kochs Ruf nach härterem Strafmaß für jugendliche Kriminelle im hessi schenWahlkampf2008.Erargumentierte,dieGesetzeslagemüsse verschärft werden und nahm somit eine hierarchische Topdown Perspektiveein.Kritikerhieltendagegen,dieRechtslagegebeein genausohartesStrafmaßwievonKochgeforderther(abgesehen
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davon, ob es sinnvoll sei dies einzusetzen): Die ausführenden RichterjedochverhängtendiesesStrafmaßinallerRegelnicht.Die Gründe für niedrige Strafmaße waren also nicht in der zentral staatlichenRechtslagezusuchen,sondernaufderkonkretenAus führungsebene. Nachdem der Streit zwischen Topdown und BottomupVerfechtern somitweitgehendüberwundenwar,konntewiedereinekonstruktive re Beschäftigung mit den Faktoren erfolgen, die eine zielführende Umsetzung begünstigen bzw. behindern. Sowohl Gesetzgeberper spektivealsauchdiePerspektivederAusführungsebenehattendarauf verwiesen, dass während der Implementierung häufig eine Lücke zwischen den ursprünglichen politischen Zielen und der realen admi nistrativen Praxis aufklafft. Diesen Umstand, der als wichtiger Grund für das Scheitern von Policies angeführt wurde, suchte die Principal AgentTheorie zu erklären. Dieser aus den Wirtschaftswissenschaften stammende Ansatz versucht, das Handeln von Menschen innerhalb einer Hierarchie zu erklären. Die Hauptannahme hierbei ist, dass bei Delegierung des Handelns an untere Ebenen immer Informationen verloren gehen, was somit zu einer Informationsasymmetrie führt. Dieser Umstand wird auch als PrincipalAgentDilemma bezeichnet. Hinzukommt:WennderGesetzgeber(Principal)dieImplementierung einesProgrammsandieVerwaltung(Agent) übertragt,soistletztere durchausmitdemThemavertraut,hateigeneInteressenundVorstel lungen über die Programmdurchführung (vgl. Dehling/Schubert 2011, Kap. 7.3). Man bedenke, dass 80% der Gesetzesinitiativen aus der mi nisteriellen Referatsebene stammen. Dieses Wissen suchen Bürokra ten bei der Implementierung einzusetzen und können somit die vom PrinzipalgeplanteUmsetzungnochwesentlichverändern. Ein weiterer Faktor, der effektive bzw. effiziente Implementie rung beeinflusst, nimmt Rückbezug auf die Instrumente politischer Steuerung: Die Umsetzung einer Politik beinhaltet immer auch die Wahl eines geeigneten Steuerungsinstruments und wie diese Wahl ausfällt,kanngroßenEinflussaufdieImplementierungsmusterhaben (Howlett et al. 2009: 168). Wie sich bereits in Kapitel 4.3 gezeigt hat, bringendieeinzelnenInstrumenteauchspezifischeProblememitsich (vgl. insbesondere Schaubild 44). Und nicht zuletzt kann das Politik feldbzw.dasbehandelteProblemselbstEinflussaufdieauftretenden politischen Konflikte und letztlich auch auf die Umsetzungsphase
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haben, wie der im zweiten Kapitel behandelte PolicyArenenAnsatz nachLowigezeigthat.Insgesamtzeigtsich,dassäußerstvieleFakto ren Einfluss auf die Implementationsphase haben können, welche es jedochtatsächlichtun,giltesfürdiesePhasedesPolicyCycleheraus zufinden. Auf dem Implementierungserfolg eines Programms liegt überdieseinwesentlichesAugenmerkdersichanschließendenEvaluie rung. 5.4 Evaluierung Wie sich gezeigt hat, widersprach Lasswells erstes Phasenmodell sei nem eigenen Gestaltungs und Beratungsanspruch: Es platzierte die EvaluierungsphasenachderPolitikbeendigung.VonheutigenPhasen modellen hingegen wird die Evaluation stets davor gesetzt, denn sie soll schließlich zur Neuformulierung oder, bei entsprechend positiver Bewertung, zur Beendigung des Politikprozesses führen. Bei allen sonstigen Differenzen sind sich die heute gebräuchlichen Phasenmo delleindiesemPunktdocheinig.NichtsdestotrotzenthältdieserEva luierungsfokus eine gewisse idealtypische, vielen wünschenswert erscheinende Überzeichnung: Denn nicht immer haben die mit der AusundDurchführungvonProgrammenBeauftragtenüberhauptein Interessedaranzuwissen,wieihreInstrumentegreifenundihreMaß nahmenwirken. Dies gilt zum einen für die allgemeine, öffentliche Evaluierung vonPolitiken,wiesieetwavorWahlenstattfindet:DieBürgerbewer tensowohldieinderVergangenheitumgesetztenalsauchdiezukünf tig geplanten Policies verschiedener Parteien, treffen hiernach ihre WahlentscheidungoderstellenderamtierendenRegierungeine„Quit tung“ aus. Wie letzteres zeigt, handelt es sich bei Wahlen um eine „pauschale Evaluierung“: Hier werden eben keine einzelnen politi schenMaßnahmenbewertet.Somitlassensichauchkeineeindeutigen Schlussfolgerungen darüber ziehen, in welchen Punkten diese Maß nahmen im Einzelnen verbessert werden sollten. Evaluation im Sinne des Phasenmodells geht jedoch hierüber hinaus: Sie ist „im Kern die PrüfungderEffektivitätundEffizienzsowiederWirkungsbedingungen politischerMaßnahmenundProgramme“(Jänickeetal.2003:64).Im politikwissenschaftlichen Sinne meint Evaluierung die Bewertung staatlicher und anderer Maßnahmen, zu deren Zwecke Maßstäbe, Standards und Methoden entwickelt werden. Ziel ist es, die Wirkung
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unddieZielerreichungpolitischerProgrammezuerfassenundzubeur teilen. In der Evaluationsphase wird also nicht nach dem bloßen Tätigwerden der Politik gefragt, sondern nach den Resultaten und tatsächlichen Wirkungen. Denken wir zurück an die grundlegende Fragestellung der Politikfeldanalyse: Sie fragt danach, was politische Akteure tun, warum sie es tun und was sie letztlich damit bewirken. DassdieDifferenzierungzwischendiesenverschiedenenErkenntnisin teressen nicht ganz unproblematisch ist, verdeutlicht der folgende Infokasten. Infokasten55:OutputundOutcome AlsOutputwerdendieunmittelbarenfaktischenErgebnissepoliti scher Entscheidungen bezeichnet – sie geben Antwort auf die Fragestellung, was politische Akteure tun. Outcomes hingegen sind die Folgen und auf den Politikfeldern freigesetzten Wirkun genpolitischerEntscheidungen–siegebenzuderFrageAuskunft, waspolitischeAkteureletztlichbewirken.DasProblem:Outcomes resultieren nicht ausschließlich aus den politischen Outputs, son dernkönnenimErgebnisdurchvielfältige,teilsunbekannteFakto ren geprägt sein. Dies verweist auch auf die begrenzte Steue rungsfähigkeitderPolitik:SiekannnichtsämtlicheUrsachenund Wirkungen in einem rationalen Prozess abwägen und dement sprechend den perfekten Output planen. Ein Beispiel liefert das BAföG:DieTransferleistungsollunteranderemdieStudierenden quoteausHaushaltenmitgeringemEinkommenerhöhen.Evaluie rendwäredannzuprüfen,inwieweitdieOutcomesvomErfolgdes Steuerungsinstruments zeugen und welche anderen Faktoren zu berücksichtigensind. SystematischbetriebeneEvaluierungenpolitischerMaßnahmenbieten die Möglichkeit des politischen Lernens, der Verbesserung und höhe ren Zielerreichung politischer Programme. Politik und Verwaltung können über Evaluierungen Kenntnisse über die konkreten Folgen ihres Handelns gewinnen, so dass die Verantwortung nicht mit der Inkraftsetzung von Maßnahmen endet. Hierfür ist es jedoch notwen dig, genaue Kriterien zu formulieren, die darüber entscheiden, ob ein
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Programm„gut“,„schlecht“,„gerecht“,„erfolgreich“oder„geschei tert“ ist (Jänicke et al. 2003: 65). Der Nutzen eines Programms kann beispielsweise entweder an der Höhe der Kosten gemessen werden oder am Grad der Zielerreichung. Es gibt also ganz unterschiedliche KriterienundDimensionen,diezurEvaluierungherangezogenwerden können. Die bekanntesten Effizienzkriterien stammen aus der Wohl fahrtsökonomie und evaluieren z.B., wie ein spezifisches politisches Programm die Nutzenverteilung verändert hat (Schneider/Janning 2006:62):SindalleBetroffenenbessergestelltalszuvor?Gehteszwar einigen schlechter, den meisten aber besser? Oder sind gar alle schlechtergestellt?ImerstenFallwürdedieEvaluierungdasgewählte Programm bestätigen. Der zweite Fall sollte Anlass zur Umformulie rung und Wirkungsanalyse geben. Im dritten Fall scheint die Zurück nahmedereingeführtenPolicyeinesinnvolleOptionzusein. In einem ersten Schritt lässt sich zwischen der internen und der externenEvaluierungunterscheiden.BeiderinternenEvaluierungführt die Einrichtung eine Eigenbewertung durch, z.B. indem universitäre Fachbereiche systematische Evaluierungen ihrer Lehrveranstaltungen vornehmen lassen. Bei der externen Evaluierung hingegen nehmen außen stehende Gutachter eine Bewertung vor, z.B. indem sie das Lehrangebot des universitären Fachbereichs begutachten oder Lehr proben durchführen. Wie letztlich das genaue Evaluationsdesign aus sieht, auf welche Art und Weise die Evaluierung durchgeführt wird: HierüberentscheidenZielundZweckderEvaluierung.WelcheKriterien angelegtwerdenhängtaberimmerauchdavonab,werdieBewertung des Programms vornimmt. Eine Bewertung kann z.B. (1) inner administrativ, (2) politisch oder (3) wissenschaftlich vorgenommen werden. Die folgenden Ausführungen zeigen, dass die entsprechend aneinProgrammzurichtendenFragensichdeutlichunterscheiden.(1) EinereininneradministrativeEvaluierungkannz.B.durchVorgesetzte innerhalb der durchführenden Behörde erfolgen. Inneradministrative HandlungskriterienwerfenunteranderemfolgendeFragenauf:Konn te das Programm ohne zusätzliches Personal durchgeführt werden? KonntederFinanzplaneingehaltenwerdenodersindzusätzlicheAus gabenentstanden?(2)EinepolitischeEvaluationhingegenmüssteganz andersausfallen:WurdeeinMaximumanmöglichenWählernerreicht? AssoziiertdieZielgruppedie(positiven)Ergebnissemitderpolitischen Entscheidung? Diese ersten beiden Evaluierungsformen existierten bereits lange bevor eine systematische Evaluation entwickelt wurde.
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(3) Die wissenschaftliche Bewertung politischer Programme ist Gegen standderEvaluationsforschung,diesichseitBeginnder1960erJahre indenUSA,abMittederDekadedannauchinDeutschlandausbreite te.IhrZielistesinersterLinie,„dieWirkungenvonPolitikenundderen Bestimmungsfaktorenzuerfassen“(Wollmann2009:382). Mit der Evaluierungsphase schließt sich der Kreis des Phasenmo dells.Dieöffentliche,inneradministrative,politischeoderwissenschaft liche Bewertung einer Maßnahme befindet darüber, ob der Prozess erfolgreichgewesenistundsomitabgeschlossenwerdenkannoderob nachwievorDefizitefestgestelltwerden.IstletzteresderFall,kommtes erneutzueinerPhase,inderdieeingeführteMaßnahmeverändertund umformuliert wird. Der Politiksetzungskreislauf geht somit weiter, in dem eine neue Phase der Problemdefinierung oder auch bereits der Politikformulierungeinsetzt.EineProgrammbeendigungkannallerdings nichtnurindemFallerfolgen,dasseinbestehendesProblemzufrieden stellendgelöstwurde.DerProzesskannebenfallsbeendetwerden,weil derVersuch,dasProblemüberhauptlösenzuwollen,aufgegebenwird. EineweitereMöglichkeitist,dassausEffektivitätsbzw.Effizienzüberle gungen, finanziellen oder ideologischen Gründen eine Ausführung der Maßnahme nicht länger wünschenswert erscheint (Schneider/Janning 2006: 62). So wurden beispielsweise die steuerlichen Kinderfreibeträge 1975 von der sozialliberalen Bundesregierung vorübergehend abge schafft,dasieeinInstrumentderhorizontalenUmverteilungdarstellen: Bei hohem Einkommen zahlen sich Freibeträge am meisten aus, wäh rend bei entsprechend niedrigem Einkommen überhaupt kein Steuer vorteilvorhandenist. Damit ist nun das Ende des Politiksetzungsprozesses und somit auchdesPhasenmodellserreicht.BevorabschließenddieStärkenund SchwächendesPolicyCyclediskutiertwerden,gibtderfolgendeInfo kastennochdreiFilmtipps.DieempfohlenenStreifenbehandelnzwar nichtimengerenSinneeinenPolitiksetzungsprozess,abervieleAspek te,dieindiesemZusammenhangdiskutiertwurden.
Infokasten56:FilmtippszumPolitikmachen Das Phasenmodell sieht Politik als Handwerk, als PolitikMachen. Das Ziel, diese Wirklichkeitsnähe mit einer Politik jenseits des Scheinwerferlichts zu verknüpfen hatte auch das österreichische PolitFilmFestival 2002. Es empfahl folgende Filme, die Auskunft
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übervielePunktedes„Politikmachens“geben:ImSpielfilmWag theDog(1997)stürztderUSPräsidentkurzvorderWahlineinen SexSkandal, woraufhin sein Berater einen HollywoodProduzen tenengagiert,umeinenKrieggegenAlbanienzuinszenieren.Nä her an der deutschen Politik suchten die Regisseure Aust, Kluge, SchlöndorffundvonEschwegemitDerKandidat(1980),einenSieg von Franz Josef Strauß bei der Bundestagswahl gegen Helmut Schmidtzuverhindern.DerDokumentarfilmTheWarRoom(1993) zeigtdendemokratischenVorwahlkampf1992ausSichtdesWahl kampfMitarbeiters Burton – der Filmtitel ist nach Bill Clintons Wahlkampfbürobenannt. 5.5 AnalytischeStärkenundSchwächendesPhasenmodells Gleich zu Beginn des Kapitels haben wir angesprochen: Der Policy Cycle ist eine Heuristik. Er bildet einen Orientierungsrahmen, um die verschiedenen Phasen des Politiksetzungsprozesses zu betrachten. DochdieseStrukturierungundOrientierungberuhtaufderAnnahme, dasspolitischeMaßnahmenspezifischeStadiendurchlaufen:Problem wahrnehmung, Agenda Setting, Politikformulierung, Entscheidung, EvaluierungundTerminierung.Mittlerweileistjedochnichtnuroffen sichtlich geworden, dass sich die einzelnen Phasen nicht klar vonei nanderabgrenzenlassen,sichüberlappenodergänzlichwegfallen.Es ist sogar bezweifelt worden, ob der vom Phasenmodell vorgegebene Ablaufüberhauptalstypischgeltenkannoderobnichtvielmehrdiese Art des Politikmachens die Ausnahme darstellt. Der PolicyCycle, so meintetwaSabatier(2007:7),leidetandeskriptiverUngenauigkeit:So beeinflusst die Evaluation bestehender Programme das Agenda Set ting, Evaluierungen politischer Programme werden mitunter gänzlich ausgelassenundeinigePolitikprozessevielleichtniemalsterminiert. Eine Stärke des Phasenmodells ist sicherlich seine Abkehr vom strikten Institutionen oder Akteursbezug. An mehreren Stellen ist deutlich geworden, dass auch die Subdisziplin der Politikfeldanalyse sich stets mit diesem Dualismus konfrontiert sieht: Sind es nun die politischenAkteure,diefreiaufsozialeMissständereagierenunddiese zusteuernsuchen,oderistihrHandelnstetseingebettetundgeprägt durch die sie umgebenden Ordnungen und Strukturen? Durch seine Problemorientierung und Prozessbetrachtung überwindet der Policy
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CycledieseDebatteeinStückweit.PaulSabatierhatdasPhasenmodell wohl am schärfsten kritisiert und hieraus abgeleitet, die Policy ForschungbenötigedringendbessereTheorien.Aberauchererkennt an,dassderPolicyCyclezurThematisierungvielerFragengeführthat, die innerhalb der institutionalistisch fokussierten, älteren Politikwis senschaft unbeantwortet blieben. Dazu gehöre insbesondere die Fo kussierungpolitischerImpacts,alsodesGradsderZielerreichungpoliti scherMaßnahmenundProgramme. EingroßerNachteildesPolicyCycleentstammtabermalsseinem heuristischenCharakter:ErvermagkeineKausalitätenaufzuzeigen.Im dritten Kapitel zu politikfeldanalytischen Theorien und Methoden wurde gezeigt, dass es das Ziel sein muss, Ursachen (unabhängige Variablen)fürbestimmteWirkungen(abhängigeVariablen)zufinden. Dies erfolgt unter Zuhilfenahme von theoretischen Ansätzen. Das Phasenmodell aber ist kein theoretischer Ansatz, denn es verknüpft keine aufeinander bezogenen Aussagen und ermöglicht es nicht, An nahmen und Hypothesen zu formulieren. Es werden keine Angaben dazugetroffen,wiesoeinPolitikprozessbeispielsweisenachderProb lemformulierungsphase plötzlich abbricht, weshalb bei der Entschei dungsfindung noch eine substanzielle Veränderung des Programms erfolgtoderwarumdienegativenErgebnissederpolitischenEvaluati onnichtzurReFormulierungdesProblemsgeführthaben. Insofern ist es richtig, wenn Sabatier (2007: 7) formuliert: “It is notreallyacausaltheorysinceitneveridentifiesasetofcausaldrivers thatgovernthepolicyprocesswithinandacrossstages.”Andererseits sollten theoretische und methodische Ansätze als Hilfsmittel angese henwerden,dieentsprechendderFragestellungunddesErkenntnisin teresses herangezogen werden. Es ist also gar nicht notwendig, dass das Phasenmodell Antwort auf all diese Fragen gibt. Denn es will als Heuristik lediglich ordnen, strukturieren und Komplexität reduzieren. ErstdurchdieEinteilunginSequenzenermöglichtesderPolicyCycle, „die Komplexität und Heterogenität der Politikgestaltung zu reduzie ren und sinnvoll in handhabbare Segmente aufzuteilen und der For schungzugänglichzumachen“(Schneider/Janning2006:62).Eskann alsoargumentiertwerden,dasserstdieKonzentrierungaufdieeinzel nen Phasen die zahlreichen theoretischen Ansätze inspiriert und ge förderthat,dieetwazudenBereichendesAgendaSetting(z.B.Multip le Streams) oder der Implementierung (z.B. PrincipalAgentDilemma) existieren.
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Problematisch ist daran allerdings, dass die mehr oder minder scharfe Trennung der einzelnen Phasen auch dazu geführt hat, dass die theoretischen Ansätze zu distinkt voneinander bleiben. Entspre chendkritisiertauchSabatier:„Workwithineachstagehastendedto develop on its own, almost totally without reference to research in otherstages“(Sabatier2007:7).EintheoretischerAnsatzwiedervon Cobb,RossundRoss(1976),dersehrguterklärt,wannundvonwoaus bestimmteThemenaufdiepolitischeAgendarücken,sagtnichtsdarü ber aus, nach welchen Kriterien dann in der anschließenden Sequenz die Politikformulierung erfolgt. Das übergeordnete Ziel, nämlich Poli tikwandel bzw. die Frage zu beantworten, warum politische Akteure tun, was sie tun, kann ein auf eine Phase beschränkter Ansatz daher auchimmernurpartiellerreichen. DieReduzierungderKomplexitäthatnebenihrenVorteilenauch einen entschiedenen Nachteil: Das policymaking erscheint hierdurch leichtalszueinfach,zuproblemlos.DiesentstammtderTatsache,dass dasPferdoftvonhintenaufgezäumtwird:Häufigeristeineerfolgreich verabschiedete Policy Anlass, einen politischen Prozess zu untersu chen,alseingescheitertesProgramm.NatürlichfragenmancheStudi enauchdanach,weshalbbspw.einLandumweltpolitischeinNachzüg ler ist oder woran eine konkrete Gesundheitsreform scheiterte. Zah lenmäßig bleiben sie aber nicht nur hinter der Untersuchung erfolg reichimplementierterProgrammezurück.AuchdiePhasensuggestion, dass „es nur darauf anzukommen scheint, Programme zu entwickeln undamLaufenzuhalten“(Jann/Wegrich2009:103)enthälteinunrea listischesWeltbild.HinzukommteineweiterefehlerhafteSuggestion: Angewandt wird der PolicyCycle vor allem auf neue Probleme und neue Lösungen. Dabei ist Politik im Wesentlichen damit beschäftigt, bestehende Themen routinemäßig zu behandeln oder an existieren den Instrumenten kleinere Stellschrauben zu verdrehen (vgl. Jann/Wegrich 2009: 103). Dem muss allerdings hinzugefügt werden, dass es sich hierbei um eine wissenschaftliche Entscheidung handelt, dienichtdemPhasenmodellalssolchemangekreidetwerdenkann. Ein weiterer Kritikpunkt von Sabatier (2007: 7) ist die zu starke TopdownFixierung des Phasenmodells: “The stages heuristic has a very legalistic, topdown bias in which the focus is typically on the passage and implementation of a major piece of legislation.” Dieser Kritik kann zumindest nicht kommentarlos zugestimmt werden. Zwar istesrichtig,dassdasPhasenmodellletztlichdenSchwerpunktaufdie
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Outputs politischer Prozesse legt und somit eine gewisse „Gesetzge berperspektive“ einnimmt. Von der Problemwahrnehmung ausge hend,diesohäufiggesellschaftlicherfolgtunddannindiePolitikge tragenwird,könnenjedochallePhasendiestarkeRolleverschiedener öffentlicherundpolitischerAkteureintegrieren.DiemöglicheBottom upFokussierung kann daher umgekehrt auch als Pluspunkt des Pha senmodellsverbuchtwerden.Darüberhinausistesmöglich,Verschie bungen in den Schwerpunktsetzungen bei den Politikinhalten im Ver laufpolitischerProzesseunmittelbarnachzuvollziehen. Von dieser Kritik des Phasenmodells und unseren Schlussfolge rungenausgehend,scheintauchdieobige,sehrgebräuchlicheDarstel lung des PolicyCycle (Schaubild 51) nicht mehr ganz zutreffend zu sein. Die erste Kritik bezieht sich hierbei auf die Darstellung als „ge schlossener“ Kreis. Zwar ist natürlich mit der Terminierung ein „Aus weg“ aus diesem Kreis möglich. Der Kreis selbst jedoch bleibt, gleich einem Stromkreis, in sich geschlossen und stellt auch in der in aller Regel eintretenden erneuten Problemdefinierungsphase keine neuen InputsundEinflüssedar.DiezweiteKritikbeziehtsichaufdiezeitliche Dimension, die dem PolicyCycle in seiner traditionellen Darstellung vollkommenfehlt.WennderPolitikprozessnichtterminiertwird,son dernineineneueProblemdefinierung,einneuesAgendaSetting,eine neuePolitikformulierungetc.eintritt,sofindetdiesalleszueinemviel späterenZeitpunktstatt.ImSchaubild51hingegenwirktes,alswürde vomFaktor„Zeit“abstrahiertundinhaltlichdiegleichePhase,alswäre es ein Groundhog Day, einfach noch einmal durchschritten. Dies trifft überdies nicht nur auf zwei aufeinander folgende Politikprozesse zu, sondern auch innerhalb eines Prozesses findet natürlich die Evaluie rungsphase bspw. später statt als die Politikformulierungsphase, so dass mittlerweile schon neue Erkenntnisse über die behandelte Prob lematik gewonnen sein könnten oder sich die vorherrschende Prob lemwahrnehmungveränderthabenkönnte.DasfolgendeSchaubild5 5 zeigt dieser Kritik entsprechend einen Versuch, den PolicyCycle offenundunterEinbezugderzeitlichenDimensiondarzustellen. Neben den oben genannten bietet diese Darstellung des Policy CyclenocheinigeweitereVorteile.Sielässtsichbspw.beliebigergän zen oder reduzieren, d.h. es ist möglich, dass die Phasen – P (Prob lemwahrnehmung), A (Agenda Setting), F (PolicyFormulierung), I (Implementierung), E (Evaluierung) – tatsächlich nur ein einziges Mal durchschrittenwerden und der Prozess terminiert wird. Oder es kön
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nen sich wiederholte Male, unter Umständen auch mit dazwischen liegendenzeitlichen„Pausen“,ZyklendesPolitikprozessesvollziehen. MitanderenWorten:WirhabenunshierfürdieDarstellungvonzwei Phasendurchläufen entschieden, es hätten aber ebenso gutdrei oder auch nur einer sein können. Außerdem trägt diese Darstellung des PolicyCycle der oben genannten Tatsache Rechnung, dass sich die ZahlundBreitederbeteiligtenAkteureundThemeninderRegelvon Phase zu Phase verringert. Dies wird durch die kleiner werdenden Kreisesymbolisiert. Schaubild55:DeroffenePolicyCycle
Quelle:EigeneDarstellung
Die„Terminierung“hingegenwirdinihrerBedeutungvielleichtsogar noch weiter zurückgestuft als sie es in der regulären Darstellung des PolicyCycleist.SomitwirddievielleichtgrößteStärkedesPhasenmo dells noch weiter hervorgehoben: Nämlich seine zyklische Anlegung, seineKreisform,diePolitikmachenebennichtmehralsrationalenund endlichen, finalen Produktionsprozess darstellt, sondern als vielfach verflochtenen Problemlösungsprozess, der doch prinzipiell nie zum Abschluss kommen und Probleme immer nur für eine gewisse Zeit lösenkann.
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5.6 Fallbeispiel:DerPolitiksetzungsprozesszumRauchverbotin Gaststätten Mit diesem zweiten Fallbeispiel wird das Modell des PolicyCycle auf einen konkreten Fall angewendet. Der sequentiellen Phasenabfolge, wiesieimKapitelbesprochen–undauchkritisiert–wurde,schließen wirunszudiesemZweckan.AlsFallbeispielwerdendieRauchverbote in Gaststätten gewählt, die spätestens zum Juli 2008 in allen deut schen Bundesländern in Kraft getreten sind. Dieses Beispiel verdeut licht nicht nur die Phasen der Problemwahrnehmung, des Agenda Setting, der Politikformulierung und Entscheidung, der Implementie rungsowieEvaluierung.EsgibtdarüberhinausauchAuskunftüberdie supranationalenEinflüssederEuropäischenUnion,dieVorbildfunktion unddieLernmöglichkeitenvonanderenLändern,denüberlangeZeit hemmendwirkendenEinflussvonstarkenInteressenverbändensowie existierendeVetomöglichkeiteninnerhalbdesinstitutionellenGefüges derBundesrepublik. Die Tabakkontrollpolitik kann inzwischen als ein Politikfeld be zeichnet werden, auf dem sich vergleichsweise gut ein „objektiver Problemdruck“konstatierenlässt:Diestarkgesundheitsschädigenden Wirkungen des Rauchens wie auch des Passivrauchens sind weitge hend unumstritten. Zahlreiche Studien haben für den deutschen Fall belegt,dassdiejährlichenmedizinischenundsozialenKostenbeinahe 20 Milliarden Euro betragen und bis zu 140.000 Todesfälle pro Jahr direktaufdieFolgendesTabakkonsumszurückzuführensind(Schwä bischeZeitung1.8.2008).AuchdastechnischeWissenüberdieSteue rungsmöglichkeiten zur politischen Bearbeitung dieses Problems ist vergleichsweise hoch: Frühe Prävention in Form von Überzeugungs undAufklärungskampagnenbeiKindernundJugendlichen,einstriktes WerbeverbotfürjeglicheFormvonTabakprodukten,hoheSteuernals finanzielles Abschreckungsinstrument sowie Rauchverbote in allen öffentlichenGebäudenundPlätzen–diessindnureinigederzurVer fügungstehendenSteuerungsinstrumente. DennochhatteDeutschlandindenvergangenenJahrennichtnur selbst keine Anstalten zur Implementierung eines effektiveren Nicht raucherschutzes getroffen. Als einer der einflussreichsten Mitglieds staaten opponierte Deutschland auch wiederholt gegen europäische BestrebungenfüreinestärkereTabakkontrollpolitik(z.B.Werbeverbo te,Rauchverbote)(Grüningetal.2008:140).VonderPolicyForschung
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sind für diese Form der negativen bzw. NichtEntscheidungen vor allem zwei Ursachen identifiziert worden: Zum einen stellt die Tabak steuereinenichtunwesentlicheEinnahmequelledar;ebensowiediein regelmäßigen Abständen entrichteten Spendenzahlungen der Tabak konzerne an die politischen Parteien (Cooper/Kurzer 2003). Und zum anderenwirddasWiderstrebengegenübereinerstärkerenTabakkont rollpolitik auch teilweise auf die AntiRaucherKampagnen der Natio nalsozialistenzurückgeführt.Grüning,StrünckundGilmore(2008:141) weisen jedoch in ihrer Analyse richtigerweise darauf hin, dass wohl wenigerdie(ohnehinambivalenten)NaziKampagnengegendasRau chen ausschlaggebend waren, als die semantische Verknüpfung von Nichtraucherschutzpolitikmit„faschistischerRaucherdiskriminierung“ seitens der Tabakkonzerne. Hinzu nennen sie weitere Gründe wie bspw. die LobbyStrategien der Tabakindustrie in Problemwahrneh mungundAgendaSetting. VordiesemHintergrundstellendieRauchverbotederJahre2007 und2008ingewissemMaßeeinpuzzledar:einebislangaufgrundder zeitlichen Nähe noch kaum wissenschaftlich untersuchte, überra schende politische Veränderung. Im Folgenden wird entlang des Pha senmodellsbeschrieben,wiedieserPolitiksetzungsprozessablief. Problemwahrnehmung AlserstesLandderWeltführteIrlandzum29.März2004einstriktes RauchverbotinsämtlichenRestaurantsundKneipenein.SpiegelOnli ne(2004)sprachvom„BeginneinerneuenÄra“.DieNichtraucherver einigungASH(ActiononSmokingandHealth)gratuliertederirischen Regierung: Sie sei zuversichtlich, dass dem irischen Vorbild bald auch andere Staaten folgen werden (Spiegel Online 2004). Dies war auch derFall:NurzweiMonatespäterfolgteeinentsprechendesRauchver bot in Norwegen und der irische EUKommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz,DavidByrne,sagte,erbegrüßeeinesolcheGeset zesvorlage für die gesamte EU. Das einhellige deutsche Medienecho zum irischen Rauchverbot lautete noch, im liberalen Deutschland sei die Durchsetzung eines Rauchverbots in der Gastronomie nicht vor stellbar.IndesdauerteesgerademalvierJahre,bisdasentsprechende VerbotimletztendeutschenBundeslandinKrafttrat. Die Phase der Problemwahrnehmung zum später folgenden Rauchverbot in Gaststätten, lässt sich für Deutschland etwa auf die Einführung des Rauchverbots in Irland festlegen. Natürlich waren die
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stark gesundheitsschädigenden Wirkungen sowohl des Rauchens wie auch des Passivrauchens schon seit Jahrzehnten in zunehmender Intensität bekannt. Nach und nach kam es zu entsprechenden politi schenMaßnahmen,wieetwademVerbotderFernsehundRadiower bungfürTabakprodukte(1975),derEinführungvonRauchverbotenin einzelnen öffentlichen oder privaten Gebäuden, verstärkt durchge führtenAufklärungsundVorbeugekampagnenfürKinderundJugend liche.DiemöglicheEinführungeinesflächendeckendenVerbotswiein Irland wurde in Deutschland zuvor jedoch nicht ernsthaft diskutiert. Verstärkend kamen zu den Erfahrungen anderer Länder mit einem Rauchverbot neue wissenschaftliche Studien hinzu: Im Jahr 2005 ver öffentlichte das Deutsche Krebsforschungsinstitut eine Studie zu den FolgendesPassivrauchens:DieStudienergebnisse,dassjährlich3.300 NichtraucherandenFolgendesPassivrauchenssterben,wurdenauch indenMedienbreitrezipiert(Grüningetal.2008:157).Eskannange nommen werden, dass die Studienergebnisse wie auch die Vorbild funktion anderer Länder in der deutschen Öffentlichkeit zu einer ver stärktenProblemwahrnehmungundauchverstärktenAkzeptanzeines Nichtraucherschutzgesetzes geführt haben: Die öffentliche Zustim mung zu einem Rauchverbot in Gaststätten stieg von 52,9% im Jahr 2005 auf 63,8% im Jahr 2006 (Deutsches Krebsforschungsinstitut 2006). AgendaSetting Seit Mitte der 1990er Jahre hatte die EU ihre Aktivitäten in der Rau cherpolitikintensiviert,insbesonderedurchdieverordnetenWarnhin weise auf den Verpackungen (2003): Dazu gehörte „Rauchen kann tödlichsein“bzw.imEnglischennochunterWeglassungdesKonjunk tivs „Smoking kills“. In Deutschland folgten außerdem mehrere und teils drastische Tabaksteuererhöhungen. Diese negativen finanziellen Anreize sowie Instrumente der Überzeugung und Bewusstseinsbil dung blieben jedoch weitgehend wirkungslos: Seit Mitte der 1990er JahrehatsichdieZahlderRaucherkaumverringert.Allerdings–dies gehört auch zur Phase der Problemwahrnehmung – war sie damals schon nicht mehr besonders hoch: „Die Bevölkerung schätzt, dass etwa 46 Prozent der Bevölkerung rauchen. Der tatsächliche Raucher anteil ist dagegen mit 29 Prozent inzwischen auf seinem niedrigsten Stand“(Allensbach2008).
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WieimvorigenKapiteldiskutiertwurde,sinddieZusammenhän ge zwischen einem existierenden Problemdruck und dem wahrge nommenenHandlungsbedarfnichtstarr–teilweisekönnensichbeide sogarvölligkonträrverhalten.EbendiesistinderTabakkontrollpolitik der Fall. Anfang der 1950er Jahre lag der Raucheranteil bei 88% der männlichen Bevölkerung, während er von 39% zu Mitte der 1990er Jahreaufheutenurnoch35%sank.DerAnteilvonRaucherinnenunter der weiblichen Bevölkerung hat hingegen seit 1950 zugenommen: Damals lag er bei 21%, erreichte dann Mitte der 1970er Jahre mit 29% einen Höchststand und sank bis heute wieder auf 24% ab (Allensbach 2008). Die Daten zeigen, dass der „objektiv“ höchste Problemdruck für AntiRauchKampagnen bzw. Nichtraucherschutzgesetze tatsäch lich in den 1950er Jahren bestanden hätte – damals allerdings kaum wahrgenommenwurde.Dieslässtsichnurteilweisemitdenmedizini schen Erkenntnissen zur starken Gesundheitsschädigung durch Rau chenerklären.AuchwenndiesesWissenselbstverständlichzugenom men hat, bestanden bereits ab den 1930er Jahren Erkenntnisse über Zusammenhänge mit Lungenkrebs und anderen schweren Krankhei ten. Dennoch rückte ein Rauchverbot zum Nichtraucherschutz erst 2005nachhaltigaufdiepolitischeAgenda. Als eine der Ursachen kann sicherlich der Einfluss der Europäi schenUniongelten.DerenirischerGesundheitskommissarByrnewoll te sich mit der Regelung seines Heimatlandes profilieren. Er trat nun verstärktfüreineuropäischesEngagementinNichtraucherschutzund Tabakkontrollpolitik ein. Und tatsächlich intensivierte die EU in den kommendenJahrenihreentsprechendenUnternehmungen.ImJanuar 2007stelltederneueEUGesundheitskommissarMarkosKyprianouin BrüsseleinStrategiepapiervor,welchesvorsah,dasRauchenanallen öffentlichenOrtenundGaststättenzuuntersagen.Kyprianouverwies aufdiepositivenErfahrungen,diebislanginIrland,Norwegen,Italien, Schweden oder Malta mit einem solchen Rauchverbot gemacht wur den. Die Gastronomie habe in diesen Ländern nicht gelitten und die Bürger sich sehr schnell an das Rauchverbot gewöhnt. Nachdem die Bundeskompetenzen zum Erlass eines Rauchverbots angezweifelt worden waren, beschlossen die Gesundheitsminister der Länder auf einem sogenannten „Nichtrauchergipfel“ im Februar 2007 (also nur einen Monat nach Veröffentlichung des europäischen Strategiepa piers), Rauchverbote in Gaststätten zu erlassen (vgl. Grüning et al. 2008:158).Wiesichnochzeigensollte,birgteinesolcheImplementie
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rung auf Länderebene die Gefahr eines so genannten „Flickentep pichs“, in der einige föderale Einheiten sehr weit reichende, andere hingegeneherzurückhaltendeRegulativeerlassen. PolitikformulierungundEntscheidungsfindung BereitsimDezember2006hattedieBundesregierungeinRauchverbot in der Öffentlichkeit vorgeschlagen, das allerdings stark verwässert worden war: In Nachtclubs sollte dasRauchverbot zwar gelten, nicht aberinBarsundKneipen.DerdarauffolgendeStreitentbranntenicht nurüberdiese(teilsalsunverständlichwahrgenommenen)Ausnahme regelungen, sondern generell über die Kompetenzen von Bund und Ländern – ein bundeseinheitliches Raucherschutzgesetz konnte nicht durchgesetztwerden(BerlinerZeitung30.1.2007).EinenMonatspäter, im Januar 2007, intervenierte die EU. Anlässlich der Veröffentlichung ihres Strategiepapiers für einen besseren Nichtraucherschutz in der Gastronomie, drohte Brüssel mit Blick in Richtung Deutschland: Man setzeaufdieEinsichtderMitgliedsstaaten.AnderenfallsmüssedieEU eingesetzlichesRauchverboterlassen(BerlinerZeitung30.1.2007).Die BundesregierungändertedaraufhinihrenKurs:Sietratseitherfürein generelles Rauchverbot ohne Ausnahmen ein – die Entscheidung da rüber lag jedoch nun bei den Ländern. Im Februar 2007 einigten sich dann die deutschen Bundesländer darauf, dass – gegebenenfalls mit Ausnahme separater Raucherräume – ein generelles Rauchverbot in den Gaststätten herrschen sollte. Am strengsten fiel schließlich das RauchverbotinBayernaus,dortgiltesuneingeschränktinsämtlichen Restaurants,GaststättenundsogarBierzelten.InNordrheinWestfalen hingegen waren bspw. Gaststätten mit separatem Raucherraum von dem Verbot ausgenommen. Selbige Regelung wurde auch in Berlin erlassen. ImplementierungundEvaluierung Die Ausnahmeregelungen brachten die kleinen „Eckkneipen“ auf den Plan: Sie verfügen in aller Regel über keinen zweiten Raum, den sie zum Raucherraum deklarieren könnten und sahen sich daher gegen über größeren Gastronomiebetrieben benachteiligt. Das Bundesver fassungsgerichtsahdiesebenso.NachdenKlagenzweierKneipenbe sitzer aus Berlin und eines Diskothekenbetreibers aus Baden Württemberg,verkündetedasKarlsruherGerichtam29.Juli2008eine Entscheidung,diezwar–aufgrundderHerkunftderKläger–erstmal
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nur für BadenWürttemberg und Berlin ausgesprochen wurde. Auf grund ihres Grundsatzcharakters standen jedoch auch die meisten anderen Bundesländer vor der Aufgabe, ihr geltendes Recht zu über arbeiten.IndemobenbeschriebenenSinnekanndieEntscheidungdes Verfassungsgerichts als rechtliche Evaluierung gelten, die nicht zur Terminierung, sondern zur erneuten Politikformulierungsphase des Politiksetzungsprozessesführte. Für Neuregelungen, die die Gesetzgeber bis zum 31. Dezember 2009 zu treffen hatten, standen BadenWürttemberg und Berlin zwei AlternativenzurVerfügung:Zumeinenkonntensiesichfüreineallge meineLockerungdesRauchverbotsinGaststättenentscheiden,umso einer möglichen Diskriminierung von Einraumgaststätten oder Disko theken zu entgehen. Zum anderen wies auch der damalige Verfas sungsgerichtspräsident HansJürgen Papier ausdrücklich darauf hin, dassnichtsdagegensprach,eingenerellesVerbotohneAusnahmenzu erlassen.SeinRichterkollegeJohannesMasinghingegen,derauchbei dem Urteil eine abweichendeMeinung vertreten hatte, mahnte: „Da mit wird das gesellige Beisammensein bei Tabak, Speise und Trank völlig aus dem öffentlichen Raum und dem gewerblichen Angebot verbannt.“ImmerhinseieneinDrittelderErwachsenenRaucher.Diese konträrenMeinungenzeigen,welcheÄnderungenfürdiePolitikformu lierung sich durch die Problemdefinierungsphase ergeben können, je nachdemwelchesGutletztlichhöhergesetztwird:GeselligesRauchen in Freiheit vor gesetzgeberischen Eingriffen, oder der Gesundheits schutzvonNichtbzw.unfreiwilligenPassivrauchern. AufgrundderungewissenZukunftkanneineweiterführendeEva luierung des Nichtraucherschutzgesetzes für Deutschland zum jetzi gen Zeitpunkt nur in Teilen vorgenommen werden. Berlin wählte in Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kein strenges Rauchverbot,sondernführtemiteinerNovellevom28.Mai2009eine Ausnahmeregelung für sogenannte „getränkegeprägte Einraumgast stätten“ ein. Ähnliche Ausnahmeregelungen traf auch Baden Württemberg mit einer Gesetzesänderung im März 2009. In Bayern hingegen initiierte – nachdem das Nichtraucherschutzgesetz zum 1. August 2009 weitgehend gelockert wordenwar – die ÖDPdas Volks begehren „Für echten Nichtraucherschutz“, an dem sich u. a. Ärzte verbändeundNichtraucherorganisationenbeteiligten.BeimVolksent scheid am 4. Juli 2010 votierten 61 % der Bevölkerung für das strikte Rauchverbot; das entsprechende Gesetz trat zum 1. August 2010 in
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Kraft. Ob dieses bayerische Vorbild Schule macht, bleibt abzuwarten. EineEinschätzungdarüber,inwieferndiemitdemRauchverbotinten dierten Zielsetzungen erreicht werden, kann allerdings über die in anderen Ländern gemachten Erfahrungen versucht werden. Wie wir obenfestgestellthaben,müssenfürjedeFormderEvaluierungzuerst einmalKriterienangelegtwerden.Wirdbspw.fürdenZielerreichungs grad die „Verbesserung der Gesundheit“ als Kriterium angelegt, so ergibtsichausdemVergleichmitanderenLänderneinoptimistischer Wert. Seit etwa in Italien 2005 das öffentliche Rauchverbot in Kraft trat, wurden dort von den 35 bis 64Jährigen ganze 11% weniger von einemHerzinfarktereilt.InSchottlandistsogardieRedevon17%we niger Herzinfarkten nur zehn Monate nach Inkrafttreten des Rauch verbots. Dies sind signifikante Werte, die verdeutlichen, dass eine Evaluierung in der Tat in allen Politiksetzungsphasen ansetzen kann: Schließlich bilden die Daten aus anderen Ländern ein gewichtiges ArgumentindennunanstehendenReFormulierungsphasen.
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UrsachenundErklärungenfürpolitische Veränderungen
Anknüpfend an die auf den letzten Seiten formulierte, positive wie negativeKritikamPhasenmodellderPolitiksetzung,kannfestgehalten werden:DerPolicyCyclebietetOrientierungundStrukturierung,aber UrsachenundErklärungenfürpolitischenWandellieferternicht.Wer fen wir einen Blick zurück auf die grundlegende Fragestellung der PolicyForschung: Die Politikfeldanalyse fragt danach, was politische Akteure tun, warum sie es tun, und was sie letztlich damit bewirken. ImvorigenKapitelwurdediesbezüglichbereitsfestgestellt:Waspoliti scheAkteuretun,alsoderersteTeildieserFrage,lässtsichmithilfedes Phasenmodellssinnvollanalysieren.FürdenletztenTeilderFragestel lung wiederum – was politische Entscheidungsträger mit ihrem Han deln letztlich bewirken – muss auf das Handwerkszeug der Implementations und Evaluationsforschung zurückgegriffen werden. IndiesemKapitelwerdenverschiedeneAnsätzezurBeantwortungdes mittlerenFrageteilsbehandelt:WarumtunpolitischeAkteure,wassie tun? Vorab ist hierzu festzuhalten, dass ständig Alltagsannahmen zu den Ursachen des Handelns politischer Akteure formuliert werden. Diese Vermutungen werden in sogenannten „Stammtischdiskussio nen“ geäußert, was auch Gespräche unter Politikwissenschaftlern einschließen kann, sofern diese keine theoretische und/oder empiri scheFundierungdergeäußertenThesenbeinhalten.Sokönntenetwa folgende Mutmaßungen formuliert werden: George W. Bushs wahre Gründe,denIrakkriegzuführen,lageninderPersonSaddamHusseins als„theguywhotriedtokillmydad“.RolandKochsPlakateimhessi schen Wahlkampf 2008 zielten darauf, Stimmen am rechten Rand zu fischen („Ypsilanti, Al Wazir und die Kommunisten stoppen“). Oder allgemeiner: „Im Wahlkampf verabschieden politische Entscheidungs träger keine unpopulären Maßnahmen mehr, um ihre Chancen auf Wiederwahlnichtzuschmälern.“ All dies sind Annahmen, die zwar subjektiv mehr oder weniger plausibel erscheinen mögen. In der hier geäußerten Form entbehren
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S. Blum, K. Schubert, Politikfeldanalyse, DOI 10.1007/ 978-3-531-92097-9_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
siejedochjeglicherBegründungbzw.Beweisführung.AndieserStelle kommen,wieimdrittenKapitelbesprochen,dietheoretischenAnsät zeundMethodenderPolicyForschungzumEinsatz.ImRahmeneiner geeigneten Operationalisierung müssten die oben formulierten „StammtischHypothesen“ getestet und verifiziert oder falsifiziert werden. Die Frage nach den Ursachen und Erklärungen für politische VeränderungenisteinederwichtigsteninderPolicyForschung.Wäh rendinKapitel3.1einallgemeinerÜberblicküberTheorienderPolitik feldanalyse gegeben wurde, wendet sich dieses Kapitel zwei ausge wähltentheoretischenAnsätzenzu,dieimSpeziellenaufdieErklärung von Politikwandel zielen: Kapitel 6.1 behandelt verschiedene „Policy Stile“, von denen angenommen wird, dass sie die Ergebnisse politi scher Prozesse beeinflussen. Dieser Ansatz inkorporiert zahlreiche Erkenntnisse aus der bisherigen PolicyForschung und liefert somit auch einen gewissen Überblick über mögliche Erklärungsansätze. Kapitel6.2wendetsichdengeradeinjüngsterZeitverstärktverwen detenErklärungsansätzendes„PolitischenLernens“zu. 6.1 PolicyStile ImRahmenderPolitikformulierungsphasewurdenbereitsverschiede nePolicyStileangesprochen(vgl.Kap.5.2):Howlettetal.(2009:137) gehendavonaus,dassverschiedenepolicyformulationstylesverfolgt werden, je nachdem wie offen ein bestimmtes PolicySubsystem ge genüber neuen Akteuren und neuen Ideen ist. Kombiniert man die denkbaren Kombinationen dieser zwei Variablen in einer Tabelle, so ergebensichviermöglicheStilederPolitikformulierung(vgl.Schaubild 53).DiebeidenWissenschaftlerpräsentierenhiermiteinKausalmodell, denn der Politikformulierungsstil wirdals Wirkung (abhängige Variab le), die Offenheit bzw. Geschlossenheit des Subsystems hingegen als Ursache (unabhängige Variable) gesetzt. Zu diesen Annahmen gelan gen Howlett/Ramesh/Perl, indem sie Erkenntnisse von verschiedenen PolicyForschern kombinieren – in diesem Fall insbesondere Marsh/ Rhodes(1992). DieAnsätzezuverschiedenenPolicyStilenbekräftigendieimvo rigen Kapitelgeäußerte Vermutung, dass der PolicyCycledurch seine Strukturierung und Komplexitätsreduzierung die Möglichkeiten er höht,tiefergehendetheoretischeAnsätzezudeneinzelnenPhasenzu
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formulieren. In Zusammenhang hiermit steht jedoch gleichzeitig eine Schwäche,dieinsbesonderePaulSabatier(2007)stetsamPhasenmo dellbemängelthat:DiescharfeundempirischnichtzuhaltendeTren nung in verschiedene Sequenzen führt auch zu einer Trennung der theoretischen Ansätze. In der Konsequenz bleiben Untersuchungsde signswieauchErklärungenzustarkaufeinzelnePunktederPolitikset zungbeschränkt,alsdasssieeinganzheitlichesBildergebenkönnten. Howlettetal.(2009)suchendieseSchwächezuüberwinden,indemsie ihre Annahmen zu verschiedenen Politikstilen nicht nur für die Phase der Politikformulierung entwickeln. Vielmehr formulieren die beiden amerikanischen Wissenschaftler für jede Phase der Politiksetzung mögliche Stile, die sie dann anschließend zu einem theoretischen An satzzuintegrierensuchen.ImFolgendenwerdendieeinzelnenPhasen bezüglichderdortidentifiziertenPolitikstiledurchgegangen.Anschlie ßendsollallgemeinerdiskutiertwerden,obundwennjawiesichdiese PolicyStile der einzelnen Phasen zu einem ganzheitlicheren Erklä rungsansatzintegrierenlassen. Kapitel 5.1 behandelte die Phasen „Problemwahrnehmung“ und „Agenda Setting“. Auch die von Howlett et al. (2009) identifizierten Stilewurdendarinbereitsangesprochen,allerdingsentsprechendihrer ursprünglichen Entwicklung durch Cobb, Ross und Ross (1976) als AgendaSettingTypen bezeichnet. Um kurz den Erklärungsanspruch dieser Einteilung zu betrachten: Beleuchtet werden soll die Art und Weise, wie Themen auf die Agenda gesetzt werden und welche Vor undNachteilejeweilszuerwartensind.EswerdenzweiVariablenzur Erklärungherangezogen(wassichübrigensimFolgendenbeidenfür jede Phase identifizierten PolicyStilen wiederholen wird). Zum einen kanndieProblemdebatteentwederdurchgesellschaftlicheoderdurch staatlicheAkteureinitiiertwerden–diesbildetdieersteVariable.Und zumanderenkanndieöffentlicheThemenaufmerksamkeitundUnter stützunghochoderniedrigausfallen–diesbildetdiezweiteVariable. Entsprechend gelangt man zu vier möglichen AgendaSettingTypen bzw.Stilen(vgl.Schaubild52). DiemöglichenPolicyStilederPhasenAgendaSettingundPolitik formulierung wurden bereits im fünften Kapitel behandelt und daher an dieser Stelle nur kurz wiederholt. Gehen wir nun weiter zu den übrigen Phasen der Politiksetzung. Die Entscheidungsfindungsphase blickt auf eine vergleichsweise intensive theoretische Behandlung zurück.Insbesondereinden1960erJahrenliefertenzweikontroverse
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Lager von PolicyForschern sich eine hitzige Debatte: Rationalisten standen dabei auf der einen und Inkrementalisten auf der anderen Seite. Die Rationalisten nahmen an, politische Entscheidungen seien am Nutzen orientierte Lösungen von komplexen Problemen. Durch Informationsbeschaffung und KostenNutzenAbwägungen könne die besteallermöglichenAlternativenausgewähltwerden.Zwarschränk te vor allem Herbert Simon (1957) diese Annahmen dahingehend ein, dasspolitischeEntscheidungsträgernurübereine„begrenzteRationa lität“verfügen.DierationalistischeLösungssuchezweifelteerdadurch jedoch im Kern nicht an. Die Inkrementalisten argumentierten hinge gen,esgehenichtumrationaleodertechnische,sondernumpolitische Machbarkeit. Verhandlungen, Gesprächsführungen und das Feilschen um politische Zugeständnisse prägten eine politische Entscheidung stärker als jede KostenNutzenAbwägung. Einen „dritten Weg“ zwi schendiesenbeidenAlternativenbeschrittenspäterdasGarbageCan Modell bzw. der MultipleStreamsAnsatz: Entscheidungen können hiernach nicht nur rationalen oder inkrementellen Logiken entspre chen,sondernauchvonnichtkalkulierbarenKriterienabhängen. StilederEntscheidungsfindung Diese Debatte liefert uns wichtige Hintergrundinformationen für die von Howlett/Ramesh/Perl 2009 entwickelten Entscheidungsfindungs stile.AusderbisherigenForschungleitensiedieAnnahmeab,dassim Wesentlichen zwei Variablen darüber entscheiden, welche Form der Entscheidungsfindung auftritt: die Stärke der Hemmnisse sowie die Kohäsion des PolicySubsystems. Hohe Hemmnisse bestehen bspw. dann,wenneinProblemäußerstkomplexist,wenigtechnischesWis sen zu seiner Lösung zur Verfügung steht oder die politischen Ent scheidungsträger unter großem Druck agieren. Eine hohe Kohäsion eines PolicySubsystems liegt vor, wenn dieses inhaltlich geschlossen ist,dieanderEntscheidungsfindungbeteiligtenAkteurealsoähnliche InteressenverfolgenundüberhoheLegitimitätinnerhalbdesSubsys temsverfügen. Fasst man wiederum alle denkbaren Kombinationen dieser bei den Variablen zusammen, so ergeben sich hieraus vier mögliche Ent scheidungsfindungsstile,dieinderfolgendenTabelledargestelltsind.
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Schaubild61:Entscheidungsfindungsstile KohäsiondesPolicySubsystems Niedrig Hoch Rational Adhoc Niedrig (linearerundnicht (nichtlinearerWandel) linearerWandel) Stärkeder Hemmnisse Inkrementelle Negativ Hoch Anpassung (StatusQuo) (linearerWandel) Quelle:Howlettetal.2009:158
Bei niedrigen Hemmnissen und einem Subsystem mit niedriger Kohä sionsinddemnachAdhocEntscheidungen,alsonichtlinearverlaufen de Veränderungen, am wahrscheinlichsten. Demgegenüber ist von einemErhaltdesStatusQuoauszugehen,wenndasPolicySubsystem sich durch eine hohe Kohäsion auszeichnet und hohe Hemmnisse vorhandensind,daindiesemFallkeineneuen,streitbarenInteressen, diezueinerVeränderungführenkönnten,indenProzessderEntschei dungsfindung eingebracht werden. Im Unterschied zu früheren Dar stellungen (Howlett/Ramesh 2003: 183) nimmt diese Systematik nicht die Komplexität der PolicySubsysteme – also z.B. die Anzahl seiner Akteure, konfligierende Interessen oder viele an der Entscheidungs findungbeteiligtenpolitischenEbenen–indenBlick,sondernmisstin diesemZusammenhangvielmehrderKohäsionderbeteiligtenAkteure entscheidendeBedeutungzu. Eswirddeutlich,dassHowlettetal.(2009)dieRationalismusvs. InkrementalismusDebatte nicht weiterführen möchten. Sie suchen vielmehr Antwort auf die Frage zu finden, warum es eher zu rational odereherzuinkrementellorientiertenEntscheidungenkommt–beide Formen sind schließlich in der Realität aufzufinden. Unter anderem kann die folgende Annahme abgeleitet werden: Wenn das Policy Subsystem sich durch eine niedrige Kohäsion auszeichnet und hohe Hemmnisse vorhanden sind, dann wird wahrscheinlich nur eine inkre mentelle Anpassung bestehender Programme erfolgen, während rationaleKriterieneinegeringereRolleeinnehmen. Implementationsstile IstdieEntscheidungfüreinpolitischesProgrammgefallen,somusses im nächsten Schritt implementiert, also in die Praxis umgesetzt wer
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den. Im vorigen Kapitel wurde bereits behandelt, wie der Fortschritt der Implementationsforschung einige Zeit durch die Topdown vs. BottomupDebatte blockiert wurde. Erst die stärkere Verknüpfung beider Perspektiven, wie sie etwa die PrincipalAgentTheorie beinhal tete, führte zur Überwindung dieser Blockade. In den 1990er Jahren hatsichderForschungsschwerpunktstärkeraufdiezurImplementie rung gewählten Instrumente und die damit verbundenen Umset zungsschwierigkeiten verschoben. Im vierten Kapitel wurden bereits die Implementationsproblematiken verschiedener Instrumententypen diskutiert(vgl.Schaubild44).ImHinblickaufPolicyStilegehtesHow lett/Ramesh/Perl jetzt um die Frage, wann bzw. weshalb politische EntscheidungsträgerwelcheInstrumenteauswählen. In den 1970er Jahren haben Bruce Doern und einige seiner ka nadischen Kollegen hierzu eine interessante These aufgestellt: “As sumingthatallinstrumentsaretechnicallysubstitutable–thatis,that atleastintheoryanyinstrumentcouldbebent,shaped,andtwistedto perform any task – they argued that in liberal democratic societies governments would simply prefer to use the least coercive instru ments available” (Howlett et al. 2009: 172). Diese These Doerns und seiner Kollegen ist häufig zitiert worden, denn sie stellt die implizit oder explizit vorausgesetzte Annahme in Frage, dass zur Lösung be stimmter politischer Probleme je spezifische Instrumente benötigt werden.ZwarwurdeimKapitelzuSteuerungsinstrumentenebenfalls festgehalten, dass prinzipiell mit der Natur des Problems noch nichts überdasausgewählteInstrumentgesagtist.Jedochkanndiebeliebige Austauschbarkeit, wie sie Doern propagierte, aus heutiger Sicht be zweifeltwerden.SeineTheselenktenichtsdestotrotzAufmerksamkeit aufdieTatsache,dassdieInstrumentenwahlstarkdurchdaspolitische System,seineKulturundebenbestimmtepolitischeStilegeprägtwird. DoernsTheseistvonChristopherHoodinden1980erJahrenwei ter bekräftigt worden. Auch er widersprach jeglicher ökonomischer Auffassung,beiderInstrumentenwahlhandeleessichumeinetechni sche Aufgabe. Tatsächlich sei die Wahl bestimmter Umsetzungspro gramme „a matter of faith and politics“ (Hood 1986: 9) – eine Sache des Glaubens, politischer Auseinandersetzungen und Winkelzüge. Linder und Peters (1989) fassten die bisherigen Überlegungen von Doern,HoodundanderenzusammenundentwickelteneineListevon vierMerkmalen,derenStärkebzw.SchwächeüberdieInstrumenten wahlentscheide.
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Infokasten61:
FaktorenderInstrumentenwahl nachLinder/Peters
1. Ressourcenstärke: z.B. administrative Kosten und Schwierig keitsgrad 2. Zielgerichtetheit:z.B.ZielgenauigkeitundSelektivität 3.Politisches Risiko: z.B. Unterstützung/Ablehnung, öffentliche Meinung,WahrscheinlichkeitdesScheiterns 4. Hemmnisse staatlichen Handelns: z.B. Schwierigkeiten, die bei Zwangsanwendung auftreten würden sowie ideologische Hemmnisse Quelle:Linder/Peters1989
Howlett/Ramesh wiederum wählen zwei dieser Faktoren aus, von denen sie annehmen, dass sie die Instrumentenwahl in besonderem Maße zu erklären vermögen: die Eigenheiten des politischen Ziels sowiediefürdenStaatbestehendenHemmnisse.Wieüblichfassensie die vier daraus folgenden Implementierungsstile im folgenden Schau bild zusammen. Es gilt natürlich zu beachten, dass diese Kategorisie rung viele Faktoren, wie z.B. individuelle Entscheidungen, außer Acht lässt und daher zahlreiche Instrumentenwahlen nicht erklären kann. DieAnnahmegewisserTrendsjedocherscheintplausibel:Wennetwa breit angelegte Ziele und geringe Hemmnisse bestehen, so werden politische Entscheidungsträger eher auf Finanzmittel zurückgreifen und gleichzeitig den Wünschen spezifischer Interessengruppen Rech nung tragen. Wenn hingegen ebenfalls breite Ziele verfolgt werden, die staatlichen Hemmnisse jedoch sehr hoch sind (bspw. durch eine angespannte Haushaltslage), so werden verstärkt kostengünstige Instrumente wie Überzeugung oder Auslagerung der Aufgabenwahr nehmungandenzivilgesellschaftlichenSektorgewählt.
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Schaubild62:Implementierungsstile
EigenheitendespolitischenZiels Breit Eng Institutionalisierter Maßgeblicher Hoch Voluntarismus/ Stärkeder Legalismus/Regulation Zivilgesellschaft Hemmnisse desStaates Gezielte Niedrig GezielteBereitstellung Subventionierung Quelle:Howlett/Ramesh2003:204
Evaluierungsstile Bislang findet nur für eine Minderheit politischer Programme eine systematische Wirkungskontrolle und wissenschaftliche Evaluierung statt – allerdings mit steigender Tendenz. Wie in Kapitel 5 erläutert wurde, kann es neben der wissenschaftlichtechnischen noch andere Formen der Evaluation geben, seien sie öffentlich, politisch, inner administrativ oder auch juristisch. Während der Evaluierungsphase gelangt der PolicyCycle an eine Wegkreuzung: Entweder das politi scheProgrammwirdalssoerfolgreichbzw.misslungenbewertet,dass derProzessterminiertwerdenkannbzw.muss.OdereswerdenFehler und Verbesserungsbedarf am Programm diagnostiziert, so dass eine Phasefolgt,inderdasProblemoderdiegewähltePolicyneudefiniert werden.VonhöchsterRelevanzistindiesemZusammenhangdieFra ge, wann welche Form der Evaluierung zu einer Änderung des fragli chenProgrammsführtundwelchesAusmaßdiedurchgeführteÄnde runghat.SinddieÄnderungenetwanurinkrementellerNatur,weisen sieeinehohePfadabhängigkeitaufoderverändernsiedasProgramm grundlegend(vgl.Howlettetal.2009:200)? Aus der bisherigen Lern und Evaluationsforschung leiten How lett/RameshdieAnnahmeab,dasszweiVariablenimBesonderenüber dasLernundVeränderungspotentialentscheiden.Diessindzumeinen die organisatorischen Kapazitäten des Staates und sein technisches Wissen auf dem jeweiligen Politikfeld; zum anderen das Wesen des PolicySubsystems und die Art der Beziehungen zwischen staatlichen undgesellschaftlichenAkteuren(Howlettetal.2009:193).Ausdiesen zwei Variablen ergeben sich wiederum vier mögliche Evaluierungsty pen.Howlett/Ramesh/Perlgehendavonaus,dasspolitischesLernenin hohem Maße von den administrativen Kapazitäten des Staates ab hängt. So können etwa gewählte Programme nur dann verbessert werden, wennsie einer systematischen Evaluation unterliegen. Bleibt 152
diese Evaluierung jedoch auf die staatlichen Akteure beschränkt, so wird es dem Modell nach nur zu begrenztem Lernen kommen. Das Lernen bliebe dann beispielsweise auf die Erkenntnisse der oben be schriebeneninneradministrativenWirkungsstudienbeschränkt. Die in der Tabelle angesprochenen Lerntypen (Social Learning, LessonDrawing) werden im nächsten Abschnitt (6.2) ausführlich be handelt. Dort wird auch offensichtlich, dass die Verortung des politi schen Lernens in der Evaluierungsphase eine starke Verkürzung ent hält. Paul Sabatier hat diese Kritik folgendermaßen zum Ausdruck gebracht: “The stages metaphor fails to provide a good vehicle for integrating […] policyoriented learning throughout the public policy process. The metaphor tends to confine [it]to the evaluation stage.” (JenkinsSmith/Sabatier 1993: 4) PolicyLernen beschränkt sich – wie wir sehen werden – in der Realität jedoch nicht auf die Evaluierung, sondernkannprinzipiellinjederPhasederPolitikgestaltungerfolgen. DieLernbegriffederfolgendenTabelleorientierensichjedochinerster Linie an den Veränderungen, die sich aus verschiedenen Formen der Evaluationergebenkönnen. Schaubild63:Evaluierungsstile
DominanteAkteureimSubsystem Gesellschaftliche Staatliche Akteure Akteure InstrumentellesLernen SocialLearning Verwaltungs Hoch (LessonDrawing) kapazitätdes NichtLernen BegrenztesLernen Staates Niedrig (PolitischeEvaluation) (TechnischeEvaluation) Quelle:Howlett/Ramesh2003:224
Hiermit ist nun wiederum das Ende des Phasenmodells erreicht. Es gelingt Howlett/Ramesh/Perl somit, für jede Phase nachvollziehbare Erklärungsmodelleaufzustellen(dienatürlichdennochetlicheVorgän ge der Politikgestaltung nicht zu erklären vermögen und aufgrund ihrer Komplexitätsreduzierung wichtige Kriterien unberücksichtigt lassen). Hiermit reagieren die beiden PolicyForscher auf die am Pha senmodell formulierte Kritik, es stelle kein Kausalitätsmodell dar und lasse daher keinen Hypothesentest zu. Allerdings wurden im vorigen KapitelnochweitereKritikpunkteamPhasenmodellbesprochen.Einer davonwarderVorwurf,dassdasModelldurchseinescharfeDifferen zierung zwischen den einzelnen Sequenzen auch zu einer fehlenden
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Synthese der einzelnen theoretischen Ansätze geführt habe: Erklä rungsmodellezumAgendaSetting,zurEntscheidungsfindungoderzur Implementierung bleiben häufig zu distinkt voneinander und sagen nichtsüberdenPolitiksetzungsprozessalsGanzesaus. Dieser Kritik entgeht auch der PolicyStylesAnsatz bis hierhin nicht. Dessen sind sich auch Howlett/Ramesh bewusst (2003: 228): „Whiledisaggregationpermitsthedetailedexaminationofeachstage ofthepolicyprocess,itbegsthequestionofwhatthatprocesslooks likewhenallitsconstitutivepiecesarereassembled.“Eineinderbishe rigenForschungstetshochgehandelteFragewardaher,obverschie dene Länder je bestimmten PolicyStilen folgen. Richardson, Gustafs sonundJordan(1982:13)definiertendasKonzeptderPolicyStilesehr früh als den von der Regierung gewählten Problemlösungsansatz zuzüglich der Beziehung zwischen Regierung und anderen Akteuren innerhalbdesPolitikprozesses.AusdiesenzweiVariablenfolgertendie Wissenschaftler vier nationale Politikstile, die sie je spezifischen Län dernzuordneten. Schaubild64:NationalePolicyStile
VorherrschenderProblemlösungsansatz Antizipierend Reaktiv Konsens DeutscherStil„Ratio BritischerStil Beziehung vermittelnd nalistischerKonsens“ „Verhandlung“ zwischen Regierung Niederländischer Pflichten FranzösischerStil undGesell Stil„Verhandlung zuweisend „Konzertierung“ schaft undKonflikt“ Quelle:Richardson/Gustafsson/Jordan1982
NachdiesemModellbleibenalsoPolitikstilenichtaufeinzelnePhasen beschränkt, sondern bezeichnen allgemein eine typische Form des Ablaufs von Interaktionsprozessen bei der Formulierung und Imple mentierung von Policies. Mit der Zeit stellte sich das in der Tabelle aufgeführte Modell der nationalen Politikstile zwar als sinnvoll, aber viel zu vereinfachend heraus. Kein Land folgt durchgängig und auf allen Politikfeldern ein und demselben Politikstil. Howlett/Ramesh (2003:231)plädierenvordiesemHintergrunddafür,anstelledernatio nalen die verschiedenen sektoralen Ebenen innerhalb eines Landes bzw. im Ländervergleich zu fokussieren. Die typischen Stile müssen also nicht unbedingt für ein Land, sondern können auch für verschie denePolitikfelderinnerhalbeinesLandesgelten.Darüberhinausistes
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natürlich auch möglich, bestimmten Regierungen oder bestimmten Personen je spezifische politische Stile zuzuordnen. Da dieses Ver ständnis von „Politikstil“ jedoch deutliche Unterschiede zu dem hier erläutertenaufweist,wirddieserGedankemiteinemkleinenExkursim folgendenInfokastenverfolgt. Infokasten62:PolitikstilederdeutschenBundeskanzler „BundeskanzlerKonradAdenauerverbrachteWahlnächtewiejede andere:ErgingzuBett“(Korte2001:113).DasGewinnerDuoSchrö derundLafontainehingegenkonntedankfortschrittlicherAuswer tetechnikbereitsum19.15UhrseinenWahlsiegverkünden.Diedeut lichen Umfrageergebnisse aus der Wahlkampfzeit hatten dieser Nachricht ohnehin ihren Überraschungscharakter genommen. Da her,soKorte,gingesbeiderVerkündungeherumFragenderDar stellung,desTimingsundderInszenierungalsderInformation.Vor diesemHintergrundanalysiertKorte(2001)diePolitikstilederdeut schenBundeskanzlerimKontextihrerZeit.Hierbeierachteterstets zweiDimensionenalsnotwendig:UmsetzungsowieDarstellungvon Politik. Provinziell oder staatsmännisch? Amtsinhaber oder Staats mann? Medienmann gegen Parteimann? In Hinblick auf diese und ähnlicheFragenanalysiertKortedieStilederdeutschenKanzlerund gelangt dabei zu interessanten und unterhaltsamen Schlüssen wie demfolgenden:„PolitikfandbeiKohleherwieinderGeheimküche statt. Meistens mit ihm am Herd. Was bei Schmidt noch als über schaubares Kleeblatt bei der Entscheidungsfindung analysierbar war, schien bei Kohl eher wucherndes Gestrüpp.“ Es wird jedoch offensichtlich, dass die Analyse individueller Politikstile keinem so hohenErklärungsanspruchfolgtwiediejenigenationalerbzw.poli tikfeldspezifischerPolitikstile. Howlett/Ramesh(2003:232)plädieren,wiewirgesehenhaben,dafür, die politikfeldspezifische Analyse von PolicyStilen entlang des Pha senmodellszuverfolgen.AnjedeSequenzkönntendanndievonihnen formulierten Fragen gestellt und überprüft werden, welchem Stil des AgendaSetting,derPolitikformulierungetc.dieLänderfolgen.Diesem Vorschlag muss allerdings die Kritik auf dem Fuße folgen, dass die AnzahldermöglichenTypeneinsinnvollesMaßüberstiege.Fürsechs
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Phasen der Politiksetzung gibt es je vier mögliche Ausprägungen von Politikstilen: Die demnach denkbaren Kombinationen von nationalen bzw.sektoralenPolitikstilenwürden„denRahmenjedesbrauchbaren klassifikatorischenSystemssprengen“(Maier2001:525). Bleiben wir daher abschließend bei den nationalen Politikstilen und veranschaulichen diese am Bereich der Umweltpolitik. Es zeigt sich, dass sich auch sektorale Eigenheiten im Laufe der Zeit deutlich verändernkönnen.SowardasFeldderUmweltpolitikbeiseinerEtab lierungAnfangder1970erJahredurcheinenstarkreaktivenCharakter geprägt. Heute hingegen ist das „Vorsorgeprinzip“ in der europäi schen Umweltpolitik verankert und es wird ein eher antizipierender Politikstilbetrieben.GleichzeitigwurdeinderDiskussionumpolitische Steuerungsinstrumente bereits angesprochen, dass die in der Um weltpolitikursprünglichvorherrschendeZuweisungvonPflichtenund Auferlegung von bestimmten Standards sich mittlerweile zugunsten eines anderen Politikstils gewandelt hat. Im Deutschland der 1990er Jahre waren dies häufig freiwillige Selbstverpflichtungen seitens der Wirtschaft. Mittlerweile liegt der Fokus eher auf konsensual getroffe nen Vereinbarungen, marktwirtschaftlichen Anreizstrukturen sowie dem Einsatz von Überzeugungsinstrumenten. In der Zukunft wird für dieAnalysevonPolitikstilenwohlvorallemdieFragevonBedeutung sein, ob es durch fortschreitende Prozesse der Europäisierung und Globalisierung (bereits) zu einer internationalen Angleichung von Politikstilengekommenist. 6.2 PolitischesLernen Das Konzept des politischen Lernens ist vergleichsweise jung und äußerst populär, wenn auch nicht unumstritten. Nähern wir uns die sem Konzept zunächst über den Lernbegriff unserer Alltagssprache an.BeispielsweisekönnenKindersprechenlernen:Sieeignensichmit wachsenderErfahrungundÜbung,aberauchdurchNachahmungder Erwachsenen diese Fähigkeit an. Menschen können auch „aus etwas lernen“:InderVergangenheitgemachteErfahrungenbringensiedazu, ihr Verhalten in Zukunft zu ändern und – zumindest der subjektiven Einschätzungnach–zuverbessern.BeigenauererPrüfungfälltjedoch auf,dassmanmitderselbstkonstatiertenVerbesserungdeseigenen Handelns bisweilen allein auf weiter Flur steht. Denn die Ansichten
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darüber,obdas„Gelernte“eineVerbesserungodereineVerschlechte rungdarstellt,könnenweitauseinandergehen.Dennochwirdimum gangssprachlichen Lernbegriff der Aspekt der Verbesserung immer unterstellt. Vor diesem Hintergrund kann sich nun dem politikfeldanalyti schen Lernbegriff zugewendet werden. Eine recht weite Definition beschreibt politisches Lernen folgendermaßen: „Lernen in der Politik [bezieht] sich auf die dauerhaften Verhaltensänderungen, die auf neuenInformationenberuhen“(Biegelbauer2007:232).Damitknüpft der österreichische Politikwissenschaftler direkt an eine ältere Defini tionan,diePeterHall(1993:278)wiefolgtzusammenfasst:“Learning is conventionally said to occur when individuals assimilate new infor mation,includingthatbasedonpastexperience,andapplyittotheir subsequentactions.”PolitischesLernenistalsoauchnachdieserDefi nition eine auf neuen Informationen beruhende Verhaltensänderung. Wie sich noch zeigen wird, wird damit jedoch zumeist auch eine Ver änderung in den Wahrnehmungen, Überzeugungen und/oder politi schen Zielen von Akteuren verknüpft. Ein wesentlicher Unterschied zum umgangssprachlichen Lernbegriff ist, dass PolicyLernen nicht grundsätzlich mit politischen Verbesserungen konnotiert wird. Auf diesenPunktwirdanspätererStellenocheinmaleingegangen. Denken wir zurück an die klassischen theoretischen Ansätze der PolicyForschung, wie sie in Kapitel 3 diskutiert wurden: Lerntheoreti sche Ansätze bieten hierzu eine Ergänzung bzw. eine Alternative. Sie stellen weder institutionelle Rahmen (Vetospieler, Pfadabhängigkeit), sozioökonomische Bedingungen noch Machtressourcen politischer AkteureindenMittelpunkt,umpolitischeVeränderungenzuerklären. VielmehrfokussierensieaufdieRollevonIdeen,Überzeugungenund Anschauungen. Der analytische Mehrwert von lerntheoretischen An sätzenzeigtsichvorallembeiderAnwendungauf„normativgepräg tenundwissensbasiertenFeldernundinBereichen,beidenengroßer DissensderAkteureübermöglicheFolgenpolitischerEntscheidungen besteht“ (Bandelow 2003b: 324). Dies leuchtet ein: Bei Themen wie dem Abtreibungsrecht, der Gentechnologie oder Familienpolitik stel lendiepolitischenGrundüberzeugungenderAkteureeinenwichtigen Erklärungsfaktordar.JedochhatdiebisherigeForschunggezeigt,dass sich lerntheoretische Ansätze auf sehr vielen und sehr verschiedenen Politikfelderngewinnbringendeinsetzenlassen.InderBildungspolitik etwa macht es einen Unterschied, ob die relevanten Akteure an Ein
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heitsschulennachskandinavischemVorbildoderaneinfrühnachLeis tungsegregierendesSchulsystem„glauben“.AuchdieWirtschaftspo litikwirddadurchgeprägt,obsichpolitischeAkteuremitneoliberalen oderpragmatischenÜberzeugungendurchsetzen. Zu Beginn der 1990er Jahre gewannen lerntheoretische Ansätze innerhalb der Politikfeldanalyse derart an Bedeutung, dass bisweilen von einer „kognitiven Wende“ oder einem argumentative turn (vgl. Schneider/Janning 2006: 171) gesprochen wurde. Diese Wertung ist insofernüberzogen,alsdassIdeenundÜberzeugungeninderPolicy ForschunginsgesamtnachwievoreinenachgeordneteRollezukommt (vgl. Bandelow 2003a: 98). Außerdem reichen die Wurzeln der lern theoretischenAnsätzevielweiteralsbiszumJahr1990zurück:Bereits 1974 machte Hugh Heclo in seinem Vergleich britischer und schwedi scherSozialpolitikIdeenalswesentlichesElementpolitischenWandels aus. Zu einiger Berühmtheit gelangte innerhalb der PolicyForschung Heclos Satz: “Governments not only power […] they also puzzle.” (Heclo1974:305306)ZwaristaucherderAuffassung,dasspolitische ProzessedurchKonfliktezwischenverschiedenen(Macht)Interessen, durch Ressourcenstärke und Verhandlungslösungen geprägt sind (power).AbererfügtdiesertraditionellenSichtweiseeinewesentliche Ergänzung hinzu: Politische Akteure fragen sich auch ständig, was in einemkomplexensozialenUmfeldzutunsei.UndihreAntwortenauf dieseFrageverändernsich,siekönnenlernen(puzzle). Auch wenn also die politikfeldanalytischen Ursprünge der lern theoretischen Ansätze weiter zurückreichen, wurden sie erst zu Be ginnder1990erJahrefestinderDisziplinverankert.Als„Ankerwurf“ kannhierinsbesonderePeterHallsModellzurErklärungwirtschaftspo litischer Paradigmenwechsel, das Social Learning gewertet werden (Hall 1993). Dieses Modell erfährt bis heute eine breite Anwendung undRezeption.GleichermaßenzurWeiterentwicklungderlerntheore tischenAnsätzebeigetragenhatauchihreEinbeziehunginpolitikfeld analytischeStandardwerkeseitBeginnder1990erJahre(insb.Héritier 1993). Dennoch ist es teils problematisch, von den lerntheoretischen Ansätzenzusprechen,alsobessichhierbeiumeinehomogeneMenge vonModellenundTheorienhandle.Tatsächlichunterscheidensichdie AnsätzeinihrenAnnahmenunddenzugrundegelegtenLernbegriffen sehr deutlich voneinander. Insbesondere geben sie je verschiedene AntwortenaufdiefolgendendreiFragen(vgl.Bandelow2009).
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(1)Werlernt?InderPolitikfeldanalysekannzwischenindividuellenund komplexenAkteurenunterschiedenwerden(vgl.Kap.4).DieserDiffe renzierung folgend nehmen einige Lernansätze an, dass letztlich nur Individuen, Personen, die Fähigkeit besitzen, zu lernen. Diese Auffas sung wird insbesondere in den aus der Lernpsychologie entlehnten Ansätzen vertreten. Andere Ansätze hingegen schreiben auch kom plexenAkteurenundOrganisationeneineeigeneLernfähigkeitzu(z.B. Jachtenfuchs1993).NebendieserFragenachderAkteursqualitätvon LernsubjektenkonzentrierensichdieeinzelnenAnsätzeauchaufganz unterschiedlicheAkteurstypen.WährendinHeclosStudie(1974)Regie rungen als Lernsubjekte auftauchen, stellen die bereits mehrfach an gesprochenen AdvocacyKoalitionen nach Sabatier und JenkinsSmith (1993) eine spezielle Form von PolicyNetzwerken dar. Als Teil der soziologischen Organisationsforschung setzen Argyris/Schön (1978) hingegen komplexe Akteure als Lernsubjekte. Bei der Rezeption von Studien,diemitlerntheoretischenAnsätzenarbeiten,odergarbeider eigenen Anwendung selbiger, ist daher stets darauf zu achten, wel chesAkteursverständniszugrundegelegtwird. (2)Waswirdgelernt?Wennangenommenwird,dasssicheinLernpro zess vollzogen hat, ist eine wesentliche Frage, welcher Lerninhalt am Ende dieses Vorgangs steht. So ist es möglich, dass ausschließlich politische Strategien erlernt werden: Peter May bezeichnet diesen Vorgang als „political learning“ (May 1992). In diesem Fall erlernen etwa Lobbyisten bessere Strategien, um von ihnen favorisierte The men auf der politischen Agenda zu verankern. In den meisten Fällen wird jedoch nur dann von politischem Lernen gesprochen, wenn die Lerninhalte über pure Ränke und Strategiespiele hinausgehen. In einem weiten Teil der Lernansätze betreffen die Lerninhalte grundle gende Überzeugungen, Paradigmen oder Ideen. Dies gilt sowohl für PeterHallsSocialLearningalsauchfürSabatiersAdvocacyKoalitionen. Lerninhalte können jedoch auch, wie es beim Ansatz der Policy Transfers (Dolowitz/Marsh 2000) der Fall ist, konkreterer Natur sein. Die Lerninhalte bestehen hierbei in spezifischen Maßnahmen, Geset zen oder Programmen, die von anderen Ländern erlernt und über nommenwerden. (3)Wieundwarumwirdgelernt?UnterdenhiergenanntenFragenist diejenige nach dem Verlauf und den Ursachen für politisches Lernen
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vielleicht von höchster Bedeutung. Lernen politische Entscheidungs träger aus der schlechten Evaluierung bestehender Programme? Ler nen Regierungen aus der fehlenden Akzeptanz ihrer Politik bei der Bevölkerung? Lernen politische Akteure, weil der Problemdruck schlichtwegübermächtigwird?AntwortenaufdieseFragenvermögen nicht nur Aufschluss auf die grundlegende politikfeldanalytische Fra gestellungzugeben,warumpolitischeAkteuretun,wassietun.Darü berhinaussindhierausauchAnnahmenfürdieZukunftableitbar:Wird es, sofern bestimmte Faktoren erfüllt sind, zu politischem Lernen kommen oder nicht? In diesem Kontext wurde auch die Frage aufge worfen, ob sich die allgemein als nicht sehr hoch eingestufte Lernfä higkeit der Politik verbessern ließe. Dies verweist auf die eingangs genannteBedingung,dassPolicyLernenimGegensatzzumumgangs sprachlichen Lernbegriff zwar nicht grundsätzlich eine Verbesserung des Status Quo voraussetzt, diese mitunter aber durchaus hiermit verknüpftwird. Wonach aber unterscheidet es sich, ob lerntheoretische Ansätze eine Verbesserung durch Lernen voraussetzen oder ob sie dies nicht tun? Allgemein lässt sich zwischen zwei Gründen unterscheiden, weshalb PolicyForscher lerntheoretische Ansätze entwickeln und verwenden (vgl. Bandelow 2003a: 100). Diese beiden Gründe schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern können auch beide zutreffen bzw. nicht zutreffen.ZumeinenwerdenLernansätzezurbesserenErklärungvon Politikergebnissenherangezogen.Diesistetwainderobengenannten AnalysevonHughHecloderFall,indererfeststellt:„Governmentsnot only power […] they also puzzle.“ (Heclo 1974: 305306) Es leuchtet ein, dass in manchen Fällen PolicyAnalysen, die nur die erste dieser beiden Kategorien beleuchten (z.B. eine reineMachtressourcenanaly se)zuwenigergutenErklärungengelangenkönnen,alssolcheAnaly sen, die auch die zweite Kategorie betrachten. Zum anderen werden lerntheoretischeAnsätzejedochauchausdemBeratungsanspruchder Politikfeldanalyse heraus verwendet: Bezogen auf PolicyLernen wird dannbspw.danachgefragt,wiedurchdiesystematischereEvaluierung die inneren Strukturen der Verwaltung verbessert oder der Zielerrei chungsgrad politischer Programme erhöht werden können: „Politi schesLernenwirdindieserPerspektivenichtalsunabhängigesondern alsabhängigeVariablebehandelt“(Bandelow2003a:100).
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Im Folgenden werden wir drei der bekanntesten Lernansätze der PolicyForschung vorstellen. Die Auswahl wurde hierbei so getroffen, dass in den theoretischen Ansätzen je verschiedene Antworten auf die gerade vorgestellten Fragen gegeben werden (Wer lernt? Was wird gelernt? Wie und warum wird gelernt?). (1) Richard Roses Ansatz des LessonDrawing geht von eher rationalistischen Lernprozessen aus. (2) Der Ansatz des Social Learning von Peter Hall hingegen beruht auf der Annahme, dass politische Veränderungen besser anhand der Überzeu gungenundParadigmenderAkteureerklärtwerdenkönnenalsanhand vonrationalistischenKriterienwieKostenundNutzen.(3)Dolowitzund Marsh kombinieren mit ihrem PolicyTransferAnsatz diese beiden ge gensätzlichen Sichtweisen miteinander. Sie nehmen an, dass die Über tragungvonPolitikenausverschiedenenGründenerfolgenkann. 6.2.1 LessonDrawing Als grundlegende Bedingung für politisches Lernen erachtet Richard Rose (1993), dass politische Entscheidungsträger unzufrieden mit dem Status Quo sind. Wenn die gewählten Programme ihre Ziele erreichen, dieverabschiedetenMaßnahmenbeiderBevölkerungpopulärsindund z.B.wissenschaftlicheEvaluierungeneinehoheEffizienzderSteuerungs instrumentebestätigen,gibteskeinenGrundfürVeränderungen.Istdies hingegen nicht der Fall, so sollte nach Alternativen gesucht werden. Rosegehtdavonaus,dassdieseSuchenachAlternativenentlangvon(a) Zeit und/oder (b) Raum erfolgen kann. (a) Politische Entscheidungsträ ger können durch die Evaluierung (im weiteren Sinne) von Policies ler nen,diederzeitinKraftsindodereszueinemfrüherenZeitpunkteinmal waren.DieserVorgangstelltsogardieRegeldar,dennRoseerachtetes als äußerst selten, dass Politiker wirkliche Innovationen (d.h. losgelöst vonErfahrungenderVergangenheit)entwickeln.(b)EineweitereMög lichkeit zum LessonDrawing besteht darin, Alternativen bei anderen politischen Einheiten zu suchen: Dies können andere Länder sein, aber auchföderaleGliedstaatenoderKommunen. Rose beschreibt den Ablauf von Lernprozessen als vierstufigen Prozess. (1) In einem ersten Schritt suchen politische Entscheidungs träger nach geeigneten Erfahrungen und PolicyAlternativen: Sie tun dies entweder in der eigenen Vergangenheit (Zeit) oder in anderen Ländern bzw. Regionen (Raum). (2) Aus diesen Erkenntnissen bilden Politiker dann in einem zweiten Schritt ein eigenes Modell. Sie versu chen die Erkenntnisse dadurch auf die derzeitige Entwicklungslage
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ihresLandeszuübertragen.InderRegelistesnichtmöglich,diepoliti schenInstrumenteandererLändereinszueinszuübernehmen.Insti tutionelleRahmenbedingungenmüssenbeachtet,sozioökonomischen Lagen Rechnung getragen werden. (3) Ist dieser Abgleich erfolgt, so wird in einem dritten Schritt das Gelernte angewendet. Nun werden etwadieInstrumenteeinesanderenLandeskopiertoderalsInspirati on für eigene neue Programme genutzt. (4) Als letzten Schritt des Lernprozesses erachtet Rose eine vorausschauende Bewertung des gewählten Programms. Hier können bspw. wissenschaftliche Studien in Auftrag gegeben werden, welche die Funktionsweise des Pro gramms im Ursprungsland und die genauen Rahmenbedingungen für einemöglicheÜbertragunganalysieren.
Infokasten63:LessonDrawingbeimElterngeld
Das 2007 in Deutschland eingeführte Elterngeld orientierte sich am schwedischen Vorbild. Seine Übertragung lässt sich anhand des vierstufigen LessonDrawingProzesses nach Rose folgender maßenbeschreiben:IneinemerstenSchrittwarendiepolitischen Entscheidungsträger in Deutschland unzufrieden mit dem beste henden System. Auf der Suche nach Alternativen stießen sie auf das schwedische Elterngeldmodell. Das Familienministerium gab bei der Prognos AG eine Machbarkeitsstudie in Auftrag: Funkti onsweise und Wirkungen des schwedischen Programms wurden hieringenauanalysiertundEmpfehlungenfüreinemöglicheÜber tragung ausgesprochen. Nicht alles konnte kopiert, sondern musste an die deutschen Bedingungen angepasst werden: Wäh rendetwainSchwedendieallgemeineLohnersatzratebeidenSo zialversicherungen 80% beträgt, liegt sie in Deutschland nur bei 67%. Entsprechend musste auch das Elterngeld diese niedrigere Ersatzratebetragen. Dieses vierstufige Prozessmodell verdeutlicht, dass die exakte Kopie eines andernorts bestehenden Programms eher den Ausnahmefall darstellt.Tätesiediesnicht,sowärenzumindestdiezweiteundvierte Stufeobsolet:EsmüsstenureineandernortsgutwirkendeAlternative gefundenunddiesedannineinemweiterenSchrittangewendetwer den. Da sich jedoch während der Übernahme eines Programms noch weitreichendeVeränderungen vollziehen können, unterscheidet Rose 162
(1993: 30) zwischen fünf Ergebnissen, die am Ende eines Lesson DrawingProzessesstehenkönnen. 1. Kopie: Die bis ins kleinste Detail reichende Kopie eines Pro gramms hält Rose nur innerhalb eines politischen Systems für möglich. Er wählt das Beispiel der USamerikanischen Staaten; gleiches lässt sich jedoch auch für den deutschen Föderalismus bestätigen. Der Föderalismus eröffnet die Möglichkeit, ein In strumentzuerstineinemBundeslandauszuprobieren,anstattes gleichaufdemgesamtenBundesgebietanzuwenden–unddabei womöglich zu scheitern. Tatsächlich könnte Hessen bspw. eine Maßnahme vom Saarland übernehmen ohne den Gesetzestext dabeiverändernzumüssen. 2. Adaption: Häufiger jedoch ist es so, dass die Ausgangslage in Hessen sich von derjenigen im Saarland unterscheidet. Auch wenndieUnterschiedenochsogeringsind,müssenÄnderungen im Gesetzestext vorgenommen werden. Adaption stellt im Ver gleich mit einer exakten Kopie den sehr viel wahrscheinlicheren Fall dar. Die Übereinstimmung mit dem „Original“ ist hierbei je dochimmernochsehrgroß–grundlegendeÄnderungenandem Programmwerdennichtvorgenommen. 3. Hybridbildung: In diesem Fall erfolgt eine stärkere Anpassung, indemdieimportiertePolicymiteigenenProgrammenkombiniert wird. Als Beispiel nennt Rose die Übertragung einer Maßnahme voneinemföderalenGliedstaataufeinenBundesstaat.Wennet wa das in Thüringen bereits existierende Betreuungsgeld für El tern,dieihreKinderzuhauseerziehen,wiegeplant2013auchauf Bundesebene in Kraft träte, so könnte dies eine Hybridbildung darstellen: Das Programm bliebe gleich bzw. ähnlich, aber die Administration würde sich ändern, indem bspw. die oberste Fachaufsichtsbehörde nicht mehr das in Thüringen für Familien politikzuständigeMinisteriumwäre,sonderndaszuständigeMi nisteriumaufBundesebene. 4. Synthese:NichtimmerbleibtdasLessonDrawingaufeineAlterna tive beschränkt. Synthese beschreibt den Fall, dass einzelne Ele mente aus verschiedenen Programmen kombiniert werden. Ri chardRosenennthierfürdasBeispielneuerdemokratischerSys teme.IndiesenFällenwirdnichtdaspolitischeSystemeinesan derenLandesinseinerGesamtheitübertragen,sondernentspre
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5.
chend eigener kultureller und politischer Traditionen bestimmte Elemente verschiedener Wahl, Gesetzgebungs und Rechtssys temeausgewählt. Inspiration: Schließlich können andernorts bestehende Program me auch lediglich als Inspiration für die Entwicklung eigener Policies dienen. Rose (1993: 107) weist darauf hin, dass manche Länder für bestimmte historische Erfolge bekannt sind, z.B. Schweden für seine Sozialpolitik, Deutschland für seine Inflati onspolitikunddieUSAfürihreInnovationspolitik.AufdiesenFel dern gelten die Länder international als Vorbild. Andere Staaten können daraus lernen, indem sie nicht gesamte Politiken kopie ren,sondernsichhierdurchzurEntwicklungeigenerProgramme inspirierenlassen.
AuchwenndasobenerwähnteBeispielderElterngeldübertragungvon Schweden stark vereinfacht beschrieben wurde, zeigt es, dass sich Roses Modell des LessonDrawing in vielen Fällen sinnvoll einsetzen lässt. Es provoziert jedoch auch Kritik: James/Lodge (2003) haben etwa darauf hingewiesen, dass Rose LessonDrawing als einen stark rationalistischen Prozess beschreibt. Länder suchen andernorts nach geeignetenProgrammen,kopierendieseoderentwickelnsieentspre chend ihrer nationalen Ausgangslage weiter, um sie dann schließlich nach einer vorausschauenden Evaluierung zu implementieren. Wenn dies der Ablauf von Lernprozessen sei, so James und Lodge, sei kein analytischer Vorteil von Lernansätzen gegenüber Rationalismustheo rienmehrerkennbar.DenndieseProzesseließensichmithilferationa listischerAnsätzeebensogut,wennnichtsogarbesseranalysieren.Im FolgendenwirddahermitPeterHallsSocialLearningeinAnsatzdisku tiert, dessen Unterschiede zu traditionellen Theorien stärker hervor treten. 6.2.2 SocialLearning AmAnfangvonPeterHallsÜberlegungenstandeinkonkretesempiri sches Problem: Er warf die Frage auf, weshalb nach der Weltwirt schaftskrise der 1930er Jahre und verstärkt noch in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Wirtschaftspolitik sich so stark am Keynesianismusausrichtete.InsbesonderewunderteihndieTatsache, dassdieseHinwendunginvielenwestlichenLändernparallelablief,in einigen Ländern jedoch vollkommen ausblieb (vgl. Bandelow 2003a).
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Und schließlich suchte er zu erklären, weshalb der Keynesianismus zwischen 1970 und 1989 in Großbritannien durch einen rigiden Mone tarismusabgelöstwurde.Eshandeltesichoffensichtlichumpolitische Paradigmen: Das Leitbild des Keynesianismus wich dem des Moneta rismus. Hall knüpfte daher an den Arbeiten Thomas Kuhns zu natur wissenschaftlichenParadigmenwechselnan. Infokasten64:WissenschaftlicheParadigmenwechselnachKuhn In seinem wichtigsten Werk, „The Strucure of Scientific Revoluti ons“ (1970) argumentiert der amerikanische Wissenschaftstheo retiker Thomas Kuhn, dass wissenschaftliche Revolutionen stets mit Paradigmenwechseln einhergehen. Neue Paradigmen setzen sich durch, wenn überraschende Entdeckungen gemacht werden oderanzentralenStellenderbisherigenLeitbilderregelmäßigUn gereimtheiten und Probleme auftauchen. Diese Ungereimtheiten bezeichnet er als „Anomalien“. Als bekanntestes Beispiel einer wissenschaftlichen Revolution nennt Kuhn die Kopernikanische Wende vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild. Als Anomalie kann hierbei Tycho Brahes Entdeckung eines Kometen gelten, der sich außerhalb der Mondbahn befand: Offensichtlich war der Himmel nicht, wie u.a. von Aristoteles behauptet, unve ränderbar. Infolge eines Paradigmenwechsels ändern sich nach Kuhn sowohl die angewandten Theorien als auch die wissen schaftlichePraxis. AnlehnendanKuhngehtinHallsSinneeinLeitbildweitüberdieStufen derProblemwahrnehmungundLösungsfindunghinaus,wiesiefürdas Phasenmodell der Politiksetzung diskutiert wurden. Diese Abläufe – vomAgendaSetting,überdiePolitikformulierungbiszurEvaluierung– bezeichnetHallalsnormalpolicymaking.Siebildengewissermaßendas AlltagsgeschäftpolitischerTätigkeit.EinLeitbildhingegenliegtderArt und Weise, die Welt zu betrachten, zu erklären und zu verstehen zu grunde. Dem Leitbild kommen somit Aufgaben der gesellschaftlichen Steuerung und Sinnvermittlung zu: “Policymakers customarily work withinaframeworkofideasandstandardsthatspecifiesnotonlythe goalsofpolicyandthekindofinstrumentsthatcanbeusedtoattain them,butalsotheverynatureoftheproblemstheyaremeanttobe
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addressing.>…@Iamgoingtocallthisframeworkapolicyparadigm” (Hall1993:279). ZentralandieserVorstellungist,dasseinLeitbildnichtnurzuer klären vermag, welche Ziele und Steuerungsinstrumente von politi schen Entscheidungsträgern gewählt werden. Vielmehr entscheidet das Paradigma darüber, welche Probleme auf einem Politikfeld wie wahrgenommen werden. Im vorigen Kapitel sind wir bereits zu dem Schluss gekommen, dass die Phasen Problemwahrnehmung und AgendaSettingvielleichtamstärkstenüberdenVerlaufdesgesamten Politiksetzungsprozessesentscheiden.HieristinderRegeldieZahlder beteiligten Akteure am höchsten: Interessengruppen, Politiker und PolicyUnternehmer versuchen, Probleme auf der politischen Agenda zuverankernundoftgleichzeitigauchschonihreLösungfürdasProb lemdurchzusetzen.WennnunHalldaraufhinweist,dassderUmstand, welche Probleme zur Bearbeitung ausgewählt und welche Strategien zu ihrer Lösung gewählt werden, durch das zugrunde liegende Para digma geleitet werden, so ist die wesentliche Erklärungskraft dieses lerntheoretischenAnsatzesersichtlich. HallunterscheidetzwischendreizentralenVariablen,anhandde rer Veränderungen feststellbar und analysierbar sind: Die zugrunde liegenden Leitbilder, welche die Politik auf einem bestimmten Feld lenken;dieProgrammeundInstrumente,diezurZielerreichungeinge setzt werden; sowie die spezifische Ausgestaltung, also die Nuancie rung dieser Instrumente (Hall 1993: 278). Anhand dieser Variablen differenziert Hall zwischen Veränderungen erster, zweiter und dritter Ordnung. Veränderungen erster Ordnung bestehen darin, dass politi sche Steuerungsinstrumente aufgrund neuer Bedingungen oder Er kenntnisse angepasst werden. Veränderungen zweiter Ordnung hin gegen bezeichnen eine Modifikation der Instrumente selbst, indem z.B. Steuerungsinstrumente der Regulierung gegen solche der Über zeugung ausgetauscht werden. Das übergeordnete Paradigma wird beiVeränderungenersterundzweiterOrdnungnichtinFragegestellt, esbleibtbestehen.VeränderungendritterOrdnungjedochkonstituie ren einen politischen Paradigmenwandel: Die zugrunde liegenden Überzeugungen,DeutungenundZieleverändernsichgrundlegend.In derFolgeschließenVeränderungendritterOrdnungdannstetsVerän derungen erster und zweiter Ordnung ein: Wenn sich die politischen ZielvorstellungenundÜberzeugungenändern,sobedarfesauchneu erSteuerungsinstrumentezuderenUmsetzung.
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Infokasten65:ParadigmenwechselderbritischenWirtschaftspo litik In seiner Analyse der britischen Wirtschaftspolitik zwischen 1970 und 1989 stieß Hall (1993: 281284) vor allem auf Veränderungen ersterOrdnung:InjedemJahrwurdendieVerschuldungsrateoder der nationale Haushaltsplan angepasst – häufig sogar mehrmals. Diese Änderungen erfolgten zumeist aus rein inneradministra tivenEvaluationenundRechnungsplänenheraus.Veränderungen zweiter Ordnung hingegen nahm die Regierung seltener, aber doch in einigen Fällen vor. So teste sie etwa zwischen 1974 und 1976 ein neues System der öffentlichen Ausgabenkontrolle, das auch als cashlimitsSystem bekannt wurde. Nach erfolgreichem TestwurdediesesSystemimHaushaltsjahr1976/77aufbreiterBa siseingeführt.DiesesundandereneueInstrumentewurdenweni ger in Reaktion auf neue wirtschaftliche Herausforderungen, als aufgrundvonUnzufriedenheitmitbestehendenProgrammenim plementiert.Seit1976undinsbesonderemitAntrittderThatcher Regierung 1979 erfolgten dann dramatischere Änderungen der britischen Wirtschaftspolitik. Statt Bekämpfung der Arbeitslosig keitstandnunInflationskontrolleanersterStelle.Vieleregulative Instrumente wie die staatliche Einkommenspolitik wurden abge schafft. Insgesamt zeigten sich deutliche Verschiebungen in den Zielhierarchien und mit der Abkehr vom Keynesianismus hin zum Monetarismus eine Veränderung dritter Ordnung, ein Paradig menwechsel. Bis hierhin liefert Halls Ansatz des Social Learning ein geeignetes In strument, um das Ausmaß politischer Veränderungen zu bestimmen. WieimvorigenAbschnittdiskutiertwurde,suchenauchHowlettetal. (2009) anhand ihrer für die verschiedenen Politiksetzungssequenzen ausgemachten PolicyStile stets über die Frage politischer Verände rungen Auskunft zu geben. So stellen sie für die Evaluierungsphase (vgl.Schaubild63)dieTheseauf,dassdieArtderAkteureimSubsys tem sowie die Verwaltungskapazitäten des Staates zu unterschiedli chen Stilen führen. Sind staatliche Akteure dominant und liegen die Kapazitätenhoch,soerachtensieinstrumentellesLernenimSinnevon RosesLessonDrawingalswahrscheinlich.LiegendieVerwaltungskapa zitätenebenfallshochundsindhingegengesellschaftlicheAkteureim
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Subsystemdominant,sowirdeseherzuSocialLearningimSinneHalls kommen. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es falsch wäre, die Lernkapazitäten auf die Phase der Evaluierung zu beschränken. Insgesamt aber gelangt Hall auf die Frage hin, wann und wie es zu VeränderungendritterOrdnungkommt,zurechtähnlichenSchlüssen wieHowlettetal.(2009). Ein Paradigmenwandel vollzieht sich nach Halls Ansatz in ver schiedenenStufen,dieimFolgendeneinzelndurchgegangenwerden. ZuBeginnverliertdasbishergültigeParadigmaanLegitimation.Exter ne Ereignisse, z.B. schwere politische, gesellschaftliche oder – wie in HallsUntersuchungsfall–wirtschaftlicheKrisen,führendazu,dassdas bestehendeLeitbilddierealeWeltimmerwenigerzuerklärenvermag. Vereinfacht ausgedrückt sähe diese nachlassende Erklärungskraft in HallsFallfolgendermaßenaus:Wiekannessein,dasstrotzderstaatli chenNachfrageförderungsohoheArbeitslosenquotenzuverzeichnen sind? Nun wird natürlich nicht infolge einiger Unzufriedenheiten und Erklärungsnöte unmittelbar auf ein anderes Leitbild gewechselt. Viel mehrwirdineinerPhasedespolitischenExperimentierensnachbesse ren Erklärungen gesucht. Wenn sich die nach Kuhn benannten „Anomalien“ im bestehenden Leitbild häufen, geschieht Folgendes: „Adhocattemptsaregenerallymadetostretchthetermsofthepara digm to cover them, but this gradually undermines the intellectual coherenceandprecisionoftheoriginalparadigm“(Hall1993:180). DieGrenzendesLeitbildswerdenausgedehnt,soHall.Inseinem Untersuchungsfall bedeutete das etwa, dass die Regierung verstärkt Wettbewerbselemente innerhalb des Bankwesens einführte. Diese Versuche zur Ausdehnung des alten, keynesianistischen Paradigmas scheitertenjedochundtrugensomitnochweiterzuseinerDiskreditie rungbei.IndieserPhasetretendieDebattenzumeistüberdieRegie rungsebene hinaus und in breitere politische und gesellschaftliche Arenen ein. Hier finden sich Parallelen zur Phase der Problemwahr nehmung und des Agenda Setting: Je nach Politikfeld werden ver schiedene Akteure bestrebt sein, ihre Interessen, Ideen und Leitbild vorstellungen durchzusetzen. Nach dieser Phase politischer, wissen schaftlicher und öffentlicher Auseinandersetzung setzt sich dann schließlich ein neues Leitbild durch und wird in einem letzten Schritt institutionalisiert. AnHallsDifferenzierungzwischennormalpolicymakingundaty pischen, grundlegenden Paradigmenwechseln anschließend gibt es
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Hinweise darauf, dass entsprechende politische Veränderungen Mus ter eines „punktuierten Gleichgewichts“ (punctuated equilibrium) aufweisen(Howlettetal.2009:207).Entsprechende„Punktualismus“ Modelle wurden erstmals in der Paläontologie entwickelt und gehen davonaus,dassdieEntwicklungbiologischerArtennichtgraduellund konstant verläuft, sondern lange Zeiten geringer Artenveränderung von schneller, allopatrischer Artbildung durchbrochen werden (z.B. durch Klimawandel, Kontinentaldrift). Das policyanalytische Modell nimmt folglich an, dass sich weitreichender Wandel nur punktuell, schnellundinenggestecktenZeiträumenvollzieht.Anschließendwird wieder in eine lange Phase der Stabilität eingetreten, die durch den Normalbetrieb inkrementellen Wandels gekennzeichnet ist. Baum gartner/Jones (1993) bzw. True/Jones/Baumgartner (2007) entwickel tendiesesKonzeptweiter,dasintuitiveinleuchtendundbeobachtbar erscheint: Während die meisten Politikfelder nicht auf die (ohnehin begrenzte)AgendafürgrößereVeränderungenrückenundmehroder wenig statisch nur Wandel erster bzw. zweiter Ordnung aufweisen, brechen in vereinzelten Policies „Krisen“ aus und werden zum Teil dramatischeVeränderungenvorgenommen.Wasdas„interpunktierte Gleichgewicht“ von den meisten anderen Theorieansätze unterschei det ist, dass hier nicht entweder PolicyStabilität (z.B. Pfadabhängig keitsansatz) oder PolicyChange (z.B. Social Learning) erklärt werden soll,sondernbeides(True/Jones/Baumgartner2007:155). Wenn auch mittlerweile viele Fälle „punktuierten Gleichge wichts“ grundlegend erforscht worden sind, besteht doch in Hinblick auf die Herausbildung und die Ursachen dieser spezifischen Policy DynamiknocheinerheblicherForschungsbedarf(Howlettetal.2009: 207).Diesgiltz.B.auchfürdiespannendeFrage,obsichdieGleichge wichtdynamiken je nach substanziellem Politikinhalt unterscheiden. Zusammenhänge mit Peter Halls SocialLearningAnsatz ergeben sich hier über die Vermutung, dass sich atypische Veränderungen, die das Gleichgewichtigpunktuieren,infolgevonsichaufbauendenAnomalien (s.o.)vollziehen.DieseAnomalienzwischendembestehendenLeitbild (z.B.einerdominantenAkteurskoalition)undder„Realität“führenin der Folge zur Diskreditierung des bestehenden Regimes und machen es somit anfällig gegenüber endogenen und exogenen Kräften sowie Veränderungsprozessen(Howlettetal.2009:207). EinweitereräußersteinflussreicherlerntheoretischerAnsatz,der inseinenzentralenAnnahmenmitPeterHallsSocialLearningüberein
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stimmt (vgl. Bandelow 2003a), stammt von Paul Sabatier. Sein Ende der 1980er Jahre in einer ersten Version entwickelter Advocacy Koalitionsansatz (vgl. Sabatier/Weible 2007) wird aufgrund seiner KomplexitäthiernichtimDetaildiskutiert.Essollallerdingsfestgehal ten werden, dass in diesem Ansatz von einem so genannten „Belief System“ ausgegangen wird, welches das Verhalten der politischen AkteureimSubsystemstrukturiert:IndenmeistenFällenbeziehtsich politischesLernennuraufdie(1)sekundärenÜberzeugungen,welche diekonkretenEigenschafteneinesPolitikfeldesbetreffen.Infolgedes sen kann z.B. ein neues Steuerungsinstrument gewählt werden. Hier von bleiben jedoch die (2) PolicyKernüberzeugungen unberührt, also diegrundlegendenÜberzeugungenundZieleinBezugaufeinPolitik feld. Sie stellen die relevantesten Überzeugungen dar; nicht etwa die noch darunter liegenden (3) tiefen Kernüberzeugungen (deepcore beliefs),z.B.eineeherkonservativeodersozialdemokratischeWerthal tung.SiegeltenzwarfürallePolitikfelder,sindjedochfürdiekonkre ten Überzeugungen auf einem PolicyFeld weniger entscheidend. Entsprechend ihrer PolicyKernüberzeugungen, so die Annahme, fin den sich die Akteure des Subsystems in verschiedenen Koalitionen zusammen,siebündelnihreRessourcen.Eshandeltsichhierebenfalls nichtumeinenreinlerntheoretischenAnsatz,dagrundlegendeVerän derungenvorallemaufexterneEreignissezurückgeführtwerden(z.B. Regierungswechsel, Wandel der öffentlichen Meinung). Ursprünglich wurdederanalytischeRahmenfürdieAnwendungaufstarktechnisch geprägten Politikfeldern entwickelt, wie es z.B. durch Bandelow für dasFeldderGentechnologiepolitikerfolgte(Bandelow1999).Mittler weileistderAnsatzjedochauchaufsozial,kultur,oderbildungspoli tischenFeldern,alsosehrbreiteingesetztworden. 6.2.3 PolicyTransfers DerPolicyTransferansatzhatsichseitdenfrühen1990erJahrenrasant entwickelt.ErgehtinwesentlichenTeilenaufdieArbeitenvonRichard Rose (1993) zum LessonDrawing zurück. Dolowitz und Marsh (2000) übtenanRosesAnsatzdahingehendKritik,dassbeiihmdieÜbernah mevonPolitikenalleindurchfreiwilligeLernprozesseerfolgt.Diebei den englischen Wissenschaftler wiesen demgegenüber darauf hin, dassStaatenauchaufgrundvonZwangbestimmtePolitikeneinführen könnenbzw.müssen.DolowitzundMarshdefinierenPolicyTransfers folgendermaßen: “A process in which knowledge about policies, ad
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ministrativearrangements,institutionsetc.inonetimeand/orplaceis usedinthedevelopmentofpolicies,administrativearrangementsand institutionsinanothertimeand/orplace”(Dolowitz/Marsh1996:344). FürdieseProzessebrauchtesvereinfachtausgedrückt„Sender“ und„Empfänger“:VoneinerpolitischenEinheitbzw.einemZeitpunkt gehtdasangewendeteWissenaus,voneinemanderenwirdesaufge nommen.HierbeibleibenNationalstaatendiebevorzugteAnalyseebe ne.ZwarvollziehensichauchaufkommunaleroderLänderebeneLern und Austauschprozesse. Ein Großteil der entsprechenden Literatur konzentriert sich jedoch darauf, wie Nationalstaaten Politiken von anderenLändernodervoninternationalenundsupranationalenOrga nisationen übernehmen. Im Kontext der Europäisierung und des stei genden Austausches zwischen europäischen Staaten wird der Policy Transferansatz zunehmend angewendet. Zusammenfassend handelt es sich also bei PolicyTransfers in einem weiten Sinne um einen Pro zess,durchdenWissenüberPolitiken,InstitutionenoderIdeenbeider Entwicklung von Politiken, Institutionen oder Ideen andernorts nutz bar gemacht wird. Die Parallelen zu Rose sind in dieser Definition of fensichtlich. DennochgrenzensichDolowitzundMarshauchvonRoseab,in demsieganzverschiedeneUrsachenfürPolicyTransfersidentifizieren. DiesemöglichenUrsachenlokalisierendiebeidenWissenschaftlerauf einemKontinuum,dasvonFreiwilligkeitbisZwangreicht:Politiktrans fers können rein freiwillig erfolgen, aber auch auf unmittelbarem Zwangberuhen. Schaubild65:KontinuumvonFreiwilligkeitbisZwang
Quelle:Dolowitz/Marsh2000:13
Dolowitz und Marsh bezeichnen nur die rein freiwillige Übernahme von Politiken als LessonDrawing: Wie in Kapitel 6.2.1 beschrieben, zeigen sich politische Akteure hierbei unzufrieden mit bestehenden
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PolitikenundmachensichaufdieaktiveSuchenachProblemlösungs alternativen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Kontinuums liegt derZwang.AlsBeispielnennenDolowitzundMarsheineBesatzungs macht, die im besetzten Land bestimmte Institutionen oder Steue rungsinstrumenteeinführt.DiesesBeispielleuchtetebensoeinwiedie Tatsache, dass es sich in diesem Fall kaum um eine aktive, auf Unzu friedenheitberuhendeLösungssuchehandelt,wiesieRichardRosein seinem Ansatz beschreibt. Es macht weiterhin deutlich, dass es sich auch bei PolicyTransfers nicht um einen reinen Lernansatz handelt bzw.das„Lernen“hierinallerRegelnichtfreiwilligundohnekonkre tenAnlasserfolgt,sondernauseiner(wahrgenommenenoderrealen) Notwendigkeitheraus.WennallerdingseinInstrumentodereineInsti tution aufgrund von Zwang übernommen wird, haben sich höchst wahrscheinlich gar keine Lernprozesse vollzogen; zumindest sind sie nichtdieUrsachefürdenTransfer.ZwischendenbeidenExtrempolen – die so in der Realität äußerst selten aufzufinden sind – liegen auf dem Kontinuum eine Reihe weiterer möglicher Ursachen für Politik transfers. Pflichttransfers können sich aus internationalen Vereinba rungenergeben,indembspw.DeutschlandeineeuropäischeRichtlinie über den erlaubten Krümmungsgrad von Bananen implementieren muss.VonsichauswäreDeutschlandunterUmständennichtaufdie sem Feld tätig geworden. In diesem Fall sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet,dieRichtlinieumzusetzen.VoneinemZwangimengeren Sinne kann dennoch nicht gesprochen werden, da die Sanktionsmög lichkeiten ignoriert werden könnten bzw. jedes Land theoretisch die Möglichkeit besitzt, aus der Europäischen Union auszutreten. Dieser seitens der Transferforschung wiederholt angeführte Hinweis ver bleibtzwarinTeilenreinhypothetisch,verweistaberaufdasallgemei ne Problem einer Abgrenzung von „freiwilligen“, „als notwendig wahrgenommenen“oder„PflichtTransfers“.DerfolgendeInfokasten gibt noch ein weiteres Beispiel für eine mögliche Ursache von Policy Transfers.
Infokasten66:DiePISAStudieundPolitiktransfers Seit dem Jahr 2000 führt die Organisation für wirtschaftliche Zu sammenarbeitund Entwicklung (OECD) in den meisten ihrer Mit gliedsstaaten eine vergleichende Schulleistungsuntersuchung
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durch. Das schlechte Abschneiden deutscher Schüler – auch als PISASchockbezeichnet–führtezueinembreitenpolitischenund medialenEcho.„PISA“wurdezumInbegrifffürsämtlicheProble medesdeutschenBildungswesens,seiesdieunzureichendeSchü lerqualifikation in den Naturwissenschaften oder die soziale Un durchlässigkeitdesdreigliedrigenSchulsystems.ImSinnedesPoli tiktransferansatzeskommuniziertedieOECDhierWissenüberPo litiken und Institutionen zwischen ihren Mitgliedsstaaten. Gleich zeitig konnte die internationale Organisation in ihrer Studie best practiceBeispielewieinsbesondereFinnlandidentifizieren,wodie Schüler weit überdurchschnittlich abschneiden. In politischenRe formenwirktsichdiePISAStudiedirektaus.Soplädierteetwadie OECDvonBeginnanfüreinefrühkindlicheBildunginBetreuungs einrichtungen,waswieinFinnlanddiesozialeDurchlässigkeitdes Bildungswesensenormerhöhenwürde.BeimAusbauderKinder betreuung in Deutschland wird sich diesen Schlussfolgerungen weitgehend angeschlossen. Auf dem obigen Kontinuum (Schau bild 65) könnte dieser Transfer als freiwillig, aber als notwendig wahrgenommenlokalisiertwerden. AndenbeidenzuletztgenanntenBeispielenwurdedeutlich,dasssehr verschiedene Akteure an Politiktransfers beteiligt sein können. Im ersten Fall waren es die Europäische Union und nationale Regierun gen,imzweitenFallwurdendieOECD,nationalePolitikerundMedien vertreter genannt. Es ist denkbar, dass noch andere Akteure an den Transfersbeteiligtwaren,dievonunsgarnichtangesprochenwurden – im ersten Beispiel etwa Bananenproduzenten oder andere Interes senvertreter. Dolowitz/Marsh gehen in der Tat von einer solchen Akteursvielfaltaus(1996:345):EinPolicyTransferkannvongewählten Politikern,politischenParteien,Beamten,Interessenverbänden,politi schen Experten und supranationalen Organisationen vorangetrieben werden. Diese breite Akteurswahl ist sicher richtig, allerdings auch wenigtrennscharf.InsbesonderederEinbezugsowohlindividuellerals auch komplexer Akteure stellt wie oben beschrieben für die Analyse eineHerausforderungdar(vgl.Bandelow2003a). Ähnliches gilt auch für die Gegenstände des Transfers. Denn in entsprechendenUntersuchungensolltenichtnurgeklärtwerden,wer einenPolitiktransfervorantreibt,sondernauch,waseigentlichtransfe riertwird.DolowitzundMarsh(1996:350)identifizierenhierbeisieben
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Objekte:(1)PolitischeZiele,(2)InhalteundInstrumente,(3)Program me, (4) Institutionen, (5) Ideologien, (6) Ideen und Einstellungen, sowieauch(7)negativeErfahrungen.ZweiPunktesindandieserAuf zählungbesondershervorzuheben.Zumeinenfälltauf,dassdieTrans fergegenstände sehr konkrete Form annehmen, oder auch völlig abs trakt bleiben können. Und zum zweiten heben Dolowitz und Marsh hervor, dass auch „negative Erfahrungen“ (negative lessons) transfe riert werden können. Das Ergebnis dieses Vorgangs ist es dann, dass eine bestimmte Idee, ein Instrument oder eine Institution eben nicht übertragen bzw. gewählt wird. Bei der Entwicklung des amerikani schen Datenschutzrechts etwa wurde auch das hessische Daten schutzrecht bezüglich einer möglichen Übernahme geprüft. Mit dem Hinweis, dass die hessischen Regelungen die Interessen des Staates über diejenigen seiner Bürger stellten, lehnten die amerikanischen Prüfer jedoch dann einen Transfer ausdrücklich ab (Dolowitz/Marsh 1996:351). Die Transferforschung hat sich auch mit der Frage beschäftigt, welche Bedingungen eine (erfolgreiche) Übertragung von Politiken fördern bzw. erschweren. Schmid (2003) weist darauf hin, dass eine hohe Ähnlichkeit zwischen zwei Ländern Politiktransfers zwischen ihnen erleichtert. Denn unterschiedliche politische und institutionelle Rahmenbedingungen verringern in aller Regel die Übertragbarkeit einesProgramms.AlsweiterenFaktorunterscheidetSchmidzwischen globalen Lösungsstrategien und konkreten Instrumenten. Es sei sehr viel leichter, eine eher allgemein formulierte Problemdefinition zu übertragen als ein spezifisches Programm. Ein Beispiel hierfür bildet dieArbeitsmarktpolitik.InnerhalbderEuropäischenUnionhatsichdie Sichtweise,dassaktivegegenüberreinpassiverArbeitsmarktpolitikzu bevorzugen sei, weitgehend durchgesetzt. Diese Sichtweise kann als globale Strategie bezeichnet werden, die auch seitens der Europäi schen Union selbst an ihre Mitgliedsstaaten kommuniziert wird. Wie jedochdieeinzelnenNationalstaatendieseStrategieinkonkretePoli tikumsetzen,bleibtihnenselbstüberlassen.FolgtmandenAnnahmen der folgenden Tabelle, so ist dies auch besser für den erfolgreichen Transfer der „aktiven Arbeitsmarktpolitik“: Denn wenn statt dieser globalen Idee versucht würde, ein konkretes Instrument der aktiven Arbeitsmarktpolitikzutransferieren,sokönnteesselbstbeiähnlichen Ländern zu technischen Kompatibilitätsproblemen kommen. Sind die
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BedingungenzwischendenLändernabersogarverschieden,soistdie WahrscheinlichkeiteinerÜbertragungsehrniedrig. Schaubild66:BedingungenfürerfolgreichePolicyTransfers InhaltederPolitik GlobaleProblem definitionenund Lösungsstrategien Spezifische Programmeund konkrete Instrumente
Bedingungen ähnlich (1) WeitgehendeAnalogie; Möglichkeiteneiner Übertragunghoch (4) Effizienzdefizite; technische Kompatibilitätsprobleme
Bedingungen verschieden (2) Konsensdefizite; Möglichkeiteneiner Übertragungniedrig (3) Konsensdefiziteund Strukturdifferenzen; Wahrscheinlichkeiten einerÜbertragung sehrniedrig
Quelle:Schmid2003:207
DerVollständigkeithalberistesjedochwichtigzuergänzen,dassteils auchgenauumgekehrteAnnahmenformuliertundanPraxisbeispielen nachgewiesen worden sind. So gehen einige Transferforscher davon aus, dass ein Politiktransfer umso wahrscheinlicher ist, je konkreter undspezifischerdieZieleundCharakteristikaderPolitikempfehlungen oderdesProgrammsformuliertsind(z.B.Zohlnhöfer/Ostheim2007). Ähnlich wie auch Rose verweisen Dolowitz und Marsh abschlie ßend auf die unterschiedlichen Transfergrade: Äußerst selten kommt es zu passgenauen Kopien, häufiger hingegen zu leichten und meist sogar zu weitreichenden Anpassungen. Im Unterschied zu Rose ma chen die beiden Transferforscher nur vier verschiedene Maße aus, zu denenPoliciestransferiertwerdenkönnen:Kopie,Emulation(d.h.die ÜbernahmevonZielvorstellungenoderLeitideeneinerPolicy),Kombi nationundInspiration(Dolowitz/Marsh1996:351).Siefassen„Hybrid bildung“ und „Synthese“ in einer einzigen Form, „Kombination“, zu sammen. Viel wichtiger als die Frage, ob nun letztlich zwischen vier oder fünf Transfergraden differenziert wird, ist die folgende Feststel lung: Transfers, z.B. zwischen zwei Ländern, müssen offensichtlich nicht dazu führen, dass sich die Politiken dieser beiden Länder einan der annähern. In der Forschung ist jedoch sehr wohl häufig eine Gleichsetzungvon„PolicyTransfers“und„PolicyKonvergenz“festzu stellen. Die theoretischen Ansätze, sowohl von Rose als auch von
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Dolowitz und Marsh, machen deutlich, dass diese Gleichsetzung in einzelnenFällenrichtigseinkann,soallgemeinjedochfalschist. DieserÜberblickhatvorAugengeführt,dasssichdielerntheore tischen Ansätze untereinander stark unterscheiden. Sie gehen je von verschiedenen Lernbegriffen, Annahmen und Zielsetzungen aus. Bei Rose verläuft politisches Lernen ähnlich einer rationalen Lösungssu che.BeiHallistLernenwenigerdasAufspürenvonAlternativen,alsdie Veränderung von Zielhierarchien. Und bei Dolowitz/Marsh ist Lernen nureinmöglicherMechanismusuntervielen.Alldiesprägtsowohldie Fragestellungen, die methodische und theoretische Vorgehensweise wie auch letztlich die Schlussfolgerungen, ob politische Akteure nun eigentlich gelernt haben oder nicht. Insgesamt aber, so folgert auch Bandelow(2003a:117),„wirdindenmeistenAnsätzenvoneinergerin genWahrscheinlichkeitwesentlicherpolitischerVeränderungenallein durch neue Ideen, Informationen oder Argumente ausgegangen“. Hinzu kommen immer auch veränderte Problemlagen oder sozioöko nomischeBedingungeninder„realenWelt“.BeiRosekanndiesetwa dieUnzufriedenheitmitfrüherenPolitikensein;beiPeterHallauftau chende „Anomalien“ und Legitimationsverluste bestehender Para digmen; bei Dolowitz/Marsh ausgeübter Druck oder internationale Verpflichtungen. Dies entspricht wohl auch der Multikausalität aller realenPhänomeneundlässtdaraufschließen,dassdieErklärungskraft rein lerntheoretischer Ansätze begrenzt wäre. Dass aber die Bedeu tung und der Stellenwert von Lernansätzen innerhalb der Policy Forschung während der letzten Jahre enorm gestiegen sind, gilt als unbestritten.ImkommendenKapitelwerdenwirunsimRahmeneines Ausblicks auf die Zukunft der PolicyForschung auch mit der Frage beschäftigen,warumdassoist.
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Ausblick
Zu Beginn dieses Buches wurde der verspätete Erfolg der Policy ForschunginDeutschlandangesprochen.Hierfürwerdenunterschied licheUrsachengenannt:SeiesdieAblehnungeinesexplizitpraxisund beratungsorientierten Ansatzes oder schlichtweg die gewöhnliche zeitliche Verzögerung, wie sie sich beim geografischen Transfer wis senschaftlicher Konzepte und Ansätze ergibt. Welcher dieser Gründe auch tatsächlich maßgeblich gewesen sein mag: Insgesamt zeigt sich seiteinigenJahrenderEintrittineineviertePhase,nämlichderPolicy Forschung als Normaldisziplin. In der politikwissenschaftlichen Lehr und Forschungslandschaft ist die Politikfeldanalyse mittlerweile fest verankert.DochobgleichdiedeutschePolicyForschungdemnachden StandeinerregulärenDisziplinerreichthat,bestehenweiterhinUnter schiede gegenüber einer „voll ausgereiften“ bzw. lang tradierten Dis ziplin.FürdieseUnterschiedeverwendenwirganzbewusstnichtden Begriff „Defizite“, da sich aus dieser Situation sowohl Nachteile als auchVorteileergeben. EinewichtigeDifferenzliegtdarin,dass–wieinKapitel3bespro chenwurde–sichwedereineinheitlichesTheorienochMethodenge bäude etablieren konnte. Dies kann durchaus positiv ausgelegt wer den: Dem PolicyForscher stehen vielfältige theoretische Ansätze und methodische Vorgehensweisen zur Verfügung, von denen entspre chendderFragestellungunddemErkenntnisinteressedieGeeigneten auszuwählensind.AnderePolicyForscherundKollegenwerdendiese Auswahl, sofern sie geeignet ist, in aller Regel nicht kritisieren: Der TheorienundMethodenPluralismusistinderPolitikfeldanalyseweit hin bekannt, wenn auch nicht durchweg anerkannt und gelegentlich noch bemängelt. Denn die bestehende Vielfalt kann auch umgekehrt alsBeliebigkeitbetrachtetwerden,zumalsiedieVergleichbarkeitvon Studien zu mindern oder sogar eine theoretische Weiterentwicklung desFachszuhemmenvermag. Bezüglich der Forschungsrichtung wird häufig der Unterschied identifiziert, dass die Politikfeldanalyse sich vorwiegend als deskriptiv präsentiert (Schneider/Janning 2006: 217). Es wäre jedoch falsch, ihre Forschungsansätze auf eine reine Beschreibung von Vorgängen und
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S. Blum, K. Schubert, Politikfeldanalyse, DOI 10.1007/ 978-3-531-92097-9_7, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
Zusammenhängen zu reduzieren. Vielmehr ist mit dem „deskriptiven Charakter“ der PolicyForschung in der Regel gemeint, dass sie sich vorwiegend auf Einzelfallstudien oder den Vergleich weniger Fälle konzentriert; dass sie (mittlerweile sogar verstärkt) die Meso und MikroEbenen für die Analyse der MakroEbene vorzieht; und dass qualitative gegenüber quantitativen Studien in der Überzahl sind. All dieswurdeimKapitelzu„TheorienundMethoden“derPolitikfeldana lysebesprochen.EinNachteildiesesBiasistsicherlich,dassKausalbe ziehungen und Zusammenhänge zwischen Makrovariablen schlechter aufgezeigtwerdenkönnen.DerVorteilbestehtimbesserenundtiefer gehenden Verstehen der zugrundeliegenden Mechanismen und Zu sammenhänge. Die Politikfeldanalyse entwickelt sich jedoch beständig weiter undisteinigendieserKritikpunktebegegnet.Dasbisheutepopulärste, wenngleich nicht unbedingt wichtigste Modell der Politikfeldanalyse, nämlich der PolicyCycle, ist in der Tat rein deskriptiv ausgerichtet. Dass er die komplexen Politiksetzungsprozesse strukturiert, verein facht,aberkeineKausalaussagenüberalldieseVorgängeerlaubt(vgl. Kap. 5) ist bspw. nicht disziplinextern, sondern in erster Linie von PolicyForschernselbstkritisiertworden.PaulSabatierhatmitseinem AdvocacyKoalitionsansatz,derobseinerKomplexitäthiernurangeris sen und stattdessen auf weiterführende Literatur verwiesen wurde, einenäußerstambitioniertenGegenentwurfzumPhasenmodellvorge legt. Auch wenn sein theoretischer Rahmen sicher keine Ablösung, sondern eher eine sinnvolle Ergänzung des PolicyCycle darstellt und sichüberdies(entgegenseinemWunsch)nichteinheitlichdurchzuset zen vermochte: Er zeigt stellvertretend, dass in der PolicyForschung auf Erklärung zielende Kausalmodelle existieren, die eine Reihe von FaktorenmiteinbeziehenundweitübereineDeskriptionhinausgehen. Nicht zuletzt stellt die zunehmende Internationalisierung und Globalisierung für die PolicyForschung eine Herausforderung dar (Schneider/Janning 2006: 219). Die Politikfeldanalyse fokussiert kon krete, materielle Policies wie auch einzelne Politikfelder – diese sind aberinsteigendemMaßenichtmehrinreinnationalstaatlichenGren zenzuverfolgenundzuerklären,wiewirimVerlaufdiesesBandesan zahlreichenBeispielengesehenhaben:SohatetwadasFallbeispielzur Umweltpolitik die steigende Bedeutung von europäischen Richtlinien verdeutlicht; auch das Fallbeispiel des Rauchverbots in Gaststätten verwiesaufdenstarkeneuropäischenEinflussunddieVorbildfunktion
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vonRauchverbotPionierenwieIrlandoderItalien.Solcheundandere Beispiele lassen sich für sämtliche Politikfelder auffinden – seien sie nun stark europäisiert wie die Umweltpolitik, stark in nationalstaatli cherKompetenzwiedieSozialpolitikoderstarkdurchandereinterna tionale Regime geprägt wie die Handelspolitik. Der Vorwurf, dass manchePolicyAnalysenmitihremkonventionellenFokusaufnational staatliche Aktivitäten dieser Europäisierung und Internationalisierung nichtgerechtwerden,magimEinzelfallzutreffen.Aber:„FürdieAna lyse von Internationalisierungsprozessen in Politikfeldern haben sich bislang zwei Forschungsstränge ausgebildet“ (Schneider/Janning 2006: 220), die beide zunehmende theoretische Ausdifferenzierung undAnwendungerfahren. Mit dem ersten dieser beiden Ansätze haben wir uns in Kapitel 6.2ausführlich beschäftigt:MitAnwendungvontheoretischenAnsät zen wie LessonDrawing, PolicyLernen und PolicyTransfers fragen PolicyForscher verstärkt danach, welchen Anteil diese über national staatliche Politik hinausgehenden Mechanismen bei der Einführung von neuen Programmen haben, in welchem Maße der Nationalstaat zurÜbernahmevonPolicies„gezwungen“istoder–inderberatungs orientiertenTradition–welcheFaktoreneinerfolgreichesLernenvon anderen Staaten begünstigen können. Die theoretischen Vertreter diesesForschungsstrangesstellenganzklardasHandelnvonAkteuren und die Outputs von Politikprozessen in den Mittelpunkt. Um auf die grundlegende Frage der PolicyForschung rückzuverweisen geht es ihnenumeineAntwortaufdieFrage,warumpolitischeEntscheidungs trägerzuwelchenErgebnissenkommen. Derzweiteeuropäisierungsundinternationalisierungsorientierte ForschungsstranghingegenlegteinenstärkerenFokusaufdieAuswir kungen, die Outcomes dieser Prozesse. Diese Ansätze sind demnach eher struktur als akteursorientiert (Schneider/Janning 2006: 220). In entsprechenden Analysen können durchaus dieselben Vorgänge und Fälle untersucht werden wie im Fall des LessonDrawing oder Policy Transfers – allerdings im Hinblick auf andere Fragestellungen. Wäh rendderersteForschungsstrangwissenmöchte,warumeszudiesem Transfer kommt und welche Akteure ihn ankurbeln, interessiert den zweiten Forschungsstrang in erster Linie, mit welchem Ergebnis diese Lern oder Transferprozesse abschließen. Als wichtigste theoretische AnsätzeinnerhalbdiesesForschungsstrangessindPolicyDiffusionund PolicyKonvergenzzunennen(vgl.Bennett1991;Holzingeretal.2007).
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Untersucht wird also, inwieweit sich bestimmte Policies z.B. ausge hend von einem Pionierstaat ausbreiten und welche Muster dabei entstehen; inwieweit sich verschiedene Länder (z.B. die der Europäi schen Union) in bestimmten Politikfeldern einander angleichen und welcherArtdieseAngleichungsprozessesind. InsbesonderederersteStrangdieserEuropäisierungsundInter nationalisierungsforschungistdarüberhinausAusdruckeinesweiteren TrendsinderPolitikfeldanalyse,nämlichderzunehmendenBedeutung von wissensbasierten und lerntheoretischen Ansätzen (vgl. Kap. 6.2). Zwar sind, wie festgestellt wurde, weder LessonDrawing, Social Lear ning noch PolicyTransfers (und erst Recht nicht der Advocacy Koalitionsansatz)alsreinlerntheoretischeAnsätzezubegreifen.Den noch haben diese theoretischen Ansätze, oft geleitet durch ihren Er klärungsanspruch, lerntheoretische Kategorien einbezogen und wei terentwickelt. Anknüpfend an die oben angesprochene Kritik einer fehlendenIntegrationdieserverschiedenenAnsätzezueinemeinheit lichenGebäudekannmitRückblickaufKapitel6sicherlichkonstatiert werden: Ob der unterschiedlichen Lernbegriffe, Lernobjekt und Akteursverständnisse ist in diesem Bereich der Bedarf einer, wenn auchvielleichtnichtVereinheitlichung,sodochsicherlichSystematisie rungundAngleichungbesondershoch. Mit den Internationalisierungsansätzen und den lerntheoreti schenAnsätzenwurdennichtsdestotrotzzweiForschungssträngeder Politikfeldanalyse genannt, die insgesamt erfolgreich auf aktuelle EntwicklungenundHerausforderungenreagierthaben.Danebenexis tieren jedoch weitere Problematiken und Aufgaben, denen sich die PolicyForschunginZukunftwirdstellenmüssen,umnichtdurchneue re Entwicklungen und Veränderungen ins Hintertreffen zu geraten. DazugehörtmethodischsicherlichdiestärkereVerknüpfungquantita tiverundqualitativerAnsätze(Janning/Toens2008:12):Anstelleeiner diametralen Gegenüberstellung beider Vorgehensweise sollte ver mehrteinMethodenMixpraktiziertwerden.WiesichimVerlaufdieser Einführung gezeigt hat, konnte die PolicyForschung ihre Stärken im merdannvollzurGeltungbringen,wennSynergieeffektezweiervor malskonträrerStandpunktegenutztwurden(z.B.inderTopdownvs. BottomupDebattederImplementierungsforschung). Treten wir nach diesem Ausblick auf die Zukunft der Policy Forschung noch einmal einen Schritt zurück. Durch entsprechende Lehr und Standardwerke wird dem etablierten Stand der Policy
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ForschunginzwischenRechnunggetragen.WährendsichStudierende und Lehrende noch vor einigen Jahren im deutschsprachigen Raum mit einer eher schmalen Literaturlage abfinden mussten, sind gerade in jüngerer Zeit verstärkt deutschsprachige Werke auf den Markt ge kommen (z.B. Schneider/Janning 2006; Janning/Toens 2008; Schu bert/Bandelow 2009b) – die bislang bestehende Lücke einer Einfüh rung, die einen ersten Einstieg in die theoretischen Ansätze und For schungsbereiche der Politikfeldanalyse bietet, wollen wir mit diesem Band schließen. So hoffen wir, dass der Leser/die Leserin nun diesen ersten Überblick über das Feld der PolicyForschung in seiner großen Breitegewonnenhat,dietheoretischenAnsätzeeinzuordnenundmit dengrundlegendenBegriffenzujonglierenvermag.Umnocheinletz tes Mal die grundlegende Fragestellung der Politikfeldanalyse zu be mühen:StudierendederPolitikwissenschaft,jungePolicyForscherund politischInteressiertesinddenAntwortenaufihrezahlreichenFragen, warum politische Entscheidungsträger tun, was sie tun und was sie letztlichdamitbewirken,hoffentlicheinenSchrittnähergekommen. Dennoch gilt es eines zu beachten, was auch Ziel dieses Einfüh rungsbandesgewesenistbzw.wasZielgeradeeinesEinführungsban desindiePolicyForschungseinmuss.Zwarliegtesunsfern,denbe reitserwähntenDualismuszwischenTheorieundPraxisfortzusetzen. Dennoch wird der PolicyForscher in aller Regel von einer der Praxis distanzierten Warte aus arbeiten und analysieren, Wissen über politi scheProzessegewinnen,Zusammenhängeherstellenundvielesmehr. Oft stellt sich aber hier, wie bei Dustin Hoffmann heraus, dass zwi schen Theorie und Praxis Unterschiede bestehen. In einem Spiegel InterviewentsannsichderDarsteller:„AufderSchauspielschulelernen wir von Meistern wie Lee Strasberg unsere Kunst in allen Feinheiten. DanntreffenwireinesTagesaufdieharteWirklichkeit–undmüssen alleswegwerfen,waswirgelernthaben.Daheißtes:VergissdieKunst, mach deinen Job. Da muss man spielen, was kommt, muss nicht gut, sondern schnell sein.“ (Spiegel Heft 27, 2008) Wir sind allerdings der festen Überzeugung, dass man seinen „Job“ umso besser und routi niertermachenkann,jestärkermanvorher, wennauchnur abstrakt, die „Feinheiten“ – d.h. die richtigen Kategorien, Muster, Denk und Handlungsweisen–erlernthat.Diesestehendanninder„hartenWirk lichkeit“zurVerfügungundkönnengenutztwerden.Undesstelltsich abschließend die Frage: Ob Dustin Hoffmann in der „harten Wirklich keit“undderverlangtenSchnelligkeitwirklichsoglänzendunderfolg
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reichseinen„Job“hättemachenkönnen,ohnevorherigeSchule,ohne Reflexion„inallenFeinheiten“?WirhabendaunsereZweifel:Theorien könnenniemalsdiePraxisersetzen,sicheraberläuftdiePraxisbesser, wennmandie–richtigen–Theorienkenntundnutzt.
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Literaturverzeichnis *DiesesSymbolkennzeichnetHinweisefürdieweitereVertiefungeinzel ner Themenbereiche und theoretischer Ansätze der Politikfeldanalyse. GekennzeichnetsindweiterführendeLehrbücherundHerausgeberwerke sowie Einzelpublikationen und Beiträge aus politikwissenschaftlichen Journalen,darunterauch„Klassiker“derPolicyForschung.Auchhierist unsereAuswahlkeineswegsabschließendundsollvielmehralsersteHilfe fürdieweiterepolitikfeldanalytischeBeschäftigungdienen. Ahrens,Regina/Blum,Sonja(2009):VetoPlayers–RestrainingorFacili tating Family Policy Change? Paper präsentiert auf der ECPR Ge neralConference,10.12.September,Potsdam. Alemann, Ulrich von/Kißler, Leo (1991): Vorwort. In: Schubert, Klaus: Politikfeldanalyse.Opladen. Alemann,Ulrichvon(2000):VomKorporatismuszumLobbyismus?Die Zukunft der Verbände zwischen Europäisierung, Globalisierung undBerlinisierung.In:AusPolitikundZeitgeschichte,2627. Allensbach, Institut für Demoskopie (2008): Rauchverbote und Rau cher. Die Zahl der Raucher wird erheblich überschätzt. Allensba cher Berichte, Nr. 1, 2008. >URL: www.ifdallensbach.de/pdf/prd _0801.pdf](16.10.2009) Anderson,JamesE.(1975):PublicPolicymaking.NewYork. Argyris, Chris/Schön, Donald A. (1978): Organizational Learning. A TheoryofActionPerspective.Reading. Bachrach, Peter/Baratz, Morton S. (1977): Macht und Armut. Frank furt/Main. Bahle, Thomas (1998): Family Policy in Germany: Towards a Macro sociologicalFrameforAnalysis.In:EURODATANewsletterNr.7. Mannheim. [URL: http://www.mzes.unimannheim.de/eurodata/ newsletter/no7.pdf](16.10.2009) Bandelow, Nils C. (1999): Lernende Politik. AdvocacyKoalitionen und politischerWandelamBeispielderGentechnologiepolitik.Berlin. Bandelow, Nils C. (2003a): Lerntheoretische Ansätze in der Policy Forschung.In:Maier,MatthiasL./Nullmeier,Frank/Pritzlaff,Tanja (Hrsg.):PolitikalsLernprozess?Opladen.98121.
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Pragmatismus BottomupundTopdownPerspektive StufeninstrumentellenHandelnsnach Mead(1983:14ff) Infokasten31: AbhängigeundunabhängigeVariable Infokasten32: DiedeutscheWirtschaftspolitikimModell Infokasten33: Makro,MesoundMikroEbene Infokasten34: Spieltheorie Infokasten35: AnwendungdesAkteurzentrierten Institutionalismus Infokasten36: QuantitativeundqualitativeMethoden Infokasten41: AllgemeineundspezielleInteressen Infokasten42: NeoKorporatismus Infokasten43: Pluralismus Infokasten44: KonzertierteAktion Infokasten45: DasQWERTYPhänomen Infokasten46: LiteraturtippszurGovernanceDebatte Infokasten47: LiveEarthKonzerte Infokasten51: PhasenmodellnachLasswell Infokasten52: CharakteristikaderPolitikformulierung nachJones Infokasten53: NegativeEntscheidungeninderPraxis Infokasten54: StreetLevelBureaucracy Infokasten55: OutputundOutcome Infokasten56: FilmtippszumPolitikmachen Infokasten61: FaktorenderInstrumentenwahlnach Linder/Peters Infokasten62: PolitikstilederdeutschenBundeskanzler Infokasten63: LessonDrawingbeimElterngeld Infokasten64: WissenschaftlicheParadigmenwechsel nachKuhn Infokasten65: Paradigmenwechselderbritischen Wirtschaftspolitik Infokasten66: DiePISAStudieundPolitiktransfers
19 20 21 33 37 39 44 46 49 57 59 59 60 73 93 102 106 119 122 127 130 132 151 155 162 165 167 172
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S. Blum, K. Schubert, Politikfeldanalyse, DOI 10.1007/ 978-3-531-92097-9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
VerzeichnisderSchaubilder Schaubild21: SystemmodellnachEaston Schaubild31: Klassische,politischeund politikfeldanalytischeFragen Schaubild32: AufgabenderPolicyForschung Schaubild41: GrafischeDarstellungeinesNetzwerks Schaubild42: Mehrebenensystem Schaubild43: Steuerungsinstrumente Schaubild44: ÜberzeugungvonWerbungbisZwang Schaubild45: WirkungsweisevonSteuerungsinstrumenten Schaubild51: DerPolicyCycle Schaubild52: TypendesAgendaSetting Schaubild53: StilederPolitikformulierung Schaubild54: Entscheidungstypen Schaubild55: DeroffenePolicyCycle Schaubild61: Entscheidungsfindungsstile Schaubild62: Implementierungsstile Schaubild63: Evaluierungsstile Schaubild64: NationalePolicyStile Schaubild65: KontinuumvonFreiwilligkeitbisZwang Schaubild66: BedingungenfürerfolgreichePolicy Transfers
24 34 51 68 77 86 89 91 105 112 120 121 137 149 152 153 154 171 175
198 S. Blum, K. Schubert, Politikfeldanalyse, DOI 10.1007/ 978-3-531-92097-9, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011