Meiner Frau Claudia
Rüger W. Gehring
Hausgemeinde und Mission Die Bedeutung antiker Häuser und Hausgemeinschaftenvon...
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Meiner Frau Claudia
Rüger W. Gehring
Hausgemeinde und Mission Die Bedeutung antiker Häuser und Hausgemeinschaftenvon Jesus bis Pau]us
I~ BIRIUININIEIN VERLAG GIESSEN· BASEL
Die THEOLOGISCHE VERLAGS GEMEINSCHAFT (TVG) ist eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Brunnen Gießen und R. Brockhaus WuppertaJ. Sie hat das Ziel, schriftgemäße theologische Arbeiten zu veröffentlichen. Bibelwissenschaftliche Monographien (BWM), Band 9
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publiakton ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich Brunnen Verlag Giei~en www.brunnen-verlag.de Umschlag: Ralf Simon Satz: Brunnen DTP Herstellung. Hubert & Co., Gättingen ISBN 3-7655-9438-5 ©
2000
Inhalt Danksagung ...................................................................................
I I
1. Einführung ............................................................................... I3 A) Thema und Motivation der Untersuchung ................................ I3 B) Der Stand der Forschung .......................................................... 13 I. Vor und nach F.V. Filson (I939) ......................................... I3 2. Das gesteigerte Interesse während der 80er Jahre ................ I8 C) Konsens, Dissens und weitere Forschungsaufgaben ................. 35 I. Konsens ............................................................................... 35 2. Dissens ................................................................................ 39 a) Analogien aus dem religiösen, intellektuellen und sonstigen gesellschaftlichen Bereich .......................... 39 b) Ein Nebeneinander von Hausgemeinden und Ortsgemeinde? ......................................................... 45 D) Ziel, Rahmen und Aufbau der Untersucbung ............................ 49 11. Die vorösterliche Verwendung von Häusern ............................. 5 I A) Jesu Verwendung von Häusern ................................................. 51 I. Allgemeine Überlegungen .................................................... 5 I 2. Ein Haus in Kapernaum? ..................................................... 57 3. Jesus und das Haus des Petms ............................................. 64 a) Kapernaum und das Haus des Petms als Wohnsitz Jesu ............................................................ 64 b) Das Haus des Petrus als Versammlungsraum und Ort von Jesu Heilungs- und Lehrtätigkeit ................ 67 c) Das Haus des Petrus als Stützpunkt von Jesu Mission ..... 69 4. Galiläische Dorfmission ....................................................... 80 5. Ergebnis .............................................................................. 89 B) Die vorösterliche Verwendung von Häusern durch die Jünger Jesu ................................................................ 93 I. Die Aussendungsrede .......................................................... 93 2. Haus- und Dorfmission der Jünger Jesu ............................. I03 3. Ergebnis ............................................................................ 1I3 4· Oikoi von der Jesuszeit bis hin zur Urgemeinde ................. II4
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Hausgemeinde und Mission
III. Die nachösterliche Verwendung von Häusern in der Urgemeinde .................................................................. 128 A) Jerusalemer Häuser in der Apostelgeschichte .......................... 128 I. Apg 1,12-14.15 ................................................................. 129 a) Vorlukanische Tradition und lukanische Redaktion ..... 129 b) Inhaltliche Analyse ....................................... " ............... 131 Exkurs: U1tEP0ov .......................................................... 131 2. Apg 12,10b-I7 ................................................................. 138 a) Vorlukanische Tradition und lukanische Redaktion ..... 139 b) Inhaltliche Analyse ........................................................ 140 3. Apg 2,4 2-47 und 5,42 ....................................................... 146 Vorlukanische Tradition und lukanische Redaktion: ......... 146 4. Idealisierende Summarien? ............................... :.............. :.14 8 a) Allgemeine Charakterisierung ....................................... 149 b) Gütergemeinschaft ........................................................ 149 Exkurs: Zwei Gemeinschaftsformen in Qumran? .......... IS0 5. Zusammenfassung der historischen Aussagekraft der Belege .......................................... ;............................... 156 B) Das Leben in den Jerusalemer Hausgemeinden ....................... 157 I. Der Gottesdienst ................................................................ 157 Exkurs: Ein Nebeneinander von HGn in Jerusalem? .......... 167 2. Die Hausmission ............................................................... 174 a) Mission im gegenseitigen Gespräch ............................... 178 b) Mission durch die Lebensweise ..................................... 179 3. Leitungsstrukturen der Jerusalemer Hausgemeinden ......... 182 a) Unter der Leitung des Petrus ......................................... 182 b) Unter der Leitung des Herrenbruders Jakobus .............. 188 C) Von J erusalem nach Antiochien .............................................. 196 1. Die Mission der Jerusalemer Hellenisten ........................... 197 2. Die Mission des Petrus ...................................................... 200 3. Die Mission der Gemeinde in Antiochien .......................... 202 D) Von Jesus über die Hellenisten bis zur Mission des Paulus ..... 2I2 E) Ergebnis .................................................................................. 218 lV.Die Verwendung von Häusern in der paulinischen Mission ... 220 A) Die Angaben über paulinische Hausgemeinden ....................... 220 1. Literarkritische und historische Analyse der Belege ........... 220
Inhalt
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a) Die Belege bei Paulus .................................................... 220 b) Die Belege bei Lukas ..................................... :............... 224 Apg I6,I4f .................................................................... 224 r) Vorlukanische Tradition und lukanische Redaktion. 224 2) Historische Brauchbarkeit ........................................ 225 Apg 16,29-34 ............................................................... 226 I) Vorlukanische Tradition und lukanische Redaktion. 227 2) Historische Brauchbarkeit ........................................ 228 Apg 17,1-9 ................................................................... 229 I) Vorlukanische Tradition und lukanische Redaktion. 230 2) Historische Brauchbarkeit ........................................ 2}2 Apg 18,1-4.7f ............................................................... 235 I) Vorlukanische Tradition und lukanisch-e Redaktio ... 236 2) Historische Brauchbarkeit ........................................ 236 2. Städte mit nachweisbaren Hausgemeinden ........................ 238 a) Philippi ......................................................................... 239 b) Thessalonich ................................................................. 24 I c) Korinth ......................................................................... 243 d) Kenchreä ....................................................................... 256 e) Ephesus ......................................................................... 257 f) Rorn .............................................................................. 259 g) Kolossä ......................................................................... 269 h) Laodizea ....................................................................... 274 3. Ein Nebeneinander von Ortsgemeinde und Hausgemeinden? ........................................................ 275 a) Sprachliche und textkritische Vorfragen ....................... 275 1) ~. Km'
otKOV
eKKA1]oia ............................................ 275
2) eKKA'Y]oia ÖA.11 ............... · .. •....................................... 279
b) Ekklesiologische Aussagen des Paulus ........................... 282 I) Überörtliche Aussagen .............................................. 283 Exkurs: Leib Christi und Familie Gottes bei Paulus .. 286 2) Aussagen über die Einzelgemeinde ........................... 289 B) Das Leben in einer paulinischen Hausgemeinde ...................... 291 1. Soziale Schichtung in den pauJinischen Hausgemeinden .... 29I a) Die römische Gesellschaft ............................................. 292 b) Die paulinischen Gemeinden ......................................... 294 2. Die pa ulinischen Ha usgemeinden und der Gottesdienst ..... 299
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Hausgemeinde und Mission
a) Nebeneinander von Wortgottesdienst und Mahlfeier? .. 299 b) Die Mahlfeier in den korinthischen Hausgemeinden ..... 302 c) Der \Vortgottesdienst in den paulinischen Hausgemeinden '" ......................................................... 309 3. Das Haus in der paulinischen Mission ............................... 311 a) Zentrums- und Mitarbeitermission ............................... 3 I I b) "Hausrnission" ............................................................. 315 I) Gastfreundschaft, Briefe und Reisen ......................... 3 T 6 2) Gewinnung von Hausvorständen .............................. 320 3) Die missionarische Ausstrahlung von Hausgemeinden ................................................. 324 4· Leitungsstrukturen und Organisationsformen ................... 329 a) Der sozio-historische Ansatz ......................................... 329 b) Belege für Leitungsstrukturen in den paulinischen Hausgemeinden ............................................................ 339 r) Thessalonich ............................................................. 340 2) Kolossä ..................................................................... 345 3) Korinth ............................................................ :........ 347 4) Philippi ..................................................................... 35 2 Exkurs: Die Leitungsaufgaben der Frau in den pauJinischen Hausgemeinden ............................. 359 C) Ergebnis .................................................................................. 38o V. Das Weiterwirken von Oikos-Strukturen in den paulinischen Antilegomena ..................................................... 385 A) Die Haustafel des Kolosserbriefes ........................................... 385 I. Einleitungsfragen ............................................................... 385 2. Die "Haustafel" als oiKo~-Ordnung: Kol 3,18-4,1. ........... 386 a) Vorgeschichte ............................................................... 386 b) Die Haustafelethik als Rückschritt? .............................. 394 3. Auslegung: Kol 3,18-4,r ................................................... 4°0 a) Strukturanalyse ............................................................. 400 b) Einzelexegese ................................................................ 400 1) Eheleute (3,18-19) .................................................... 4°0 2) Kinder und Väter (3,20-21) ...................................... 407 3) Sklaven und Herren (3,22-4,1) ................................. 410 B) Die "Haustafel" des Epheserbriefes ........................................ 413
Inhalt
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Einleitungsfragen .............................................................. 4 I 3 Die Haustafe! als Gemeindeordnung? Eph 5,21-6,9 .... ·· .... 414 a) Strukturanalyse ............................................................. 414 b) Einzelexegese ................................................................ 415 I) Eheleute (5,21-33) .................................................... 416 2) Sklaven und Herren (6,5-9) .................................. · .. · 419 3. Die Entwicklung der Haustafe!ethik aus dem christlichen Oikos .............................................................. 421 4. Hausgemeinde, Ortsgemeinde und Gemeindeordnung in Kai und Eph .................................................................. 433 C) Christliche Oikos-, Gemeinde- und Leitungsstrukturen in den Pastoralbriefen ............................................................. 437 1. Oikosordnung als Gemeindeordnung ................................ 438 Exkurs: Christliche Bürgerlichkeit in den Pastoralbriefen? .447 2. Leitungsstrukturen ............................................................ 452 Exkurs: Hausgemeinden im 2. und 3. Johannesbrief ........ 468 I.
2.
VI.Die ekklesiale und missionarische Funktion und Bedeutung der Hausgemeinden ................................................................ 478 A) Rückblick: Funktion und Bedeutung im Neuen Testament (von ]esus bis Paulus) ................................. 478 1. Das Haus als Bau (architektonisch) ................................... 478 2. Das Haus als Gemeinschaft (sozio-ökonomisch) ................ 48 I 3. Das Haus als Gemeinde (ekklesiologisch) .......................... 486 B) Ausblick: Die ekklesiale und missionarische Bedeutung des Hausgemeinde-Modells für die Gegenwart ...................... 493 Anhang - Grundrisse und Zeichnungen ....................................... 508 Abkürzungen ............................................................................... 5 16 Literaturverzeichnis ..................................................................... 517 Quellen ........................................................................................ 517 r. Altes Testament und jüdisch-hellenistische Literatur ......... 517 2. Christliche Quellen ............................................................ 5 I 8 3. Griechisch-römische Profan-Schriftsteller und Sam'melausgaben ........................................................ 5 I 8 Hilfsmittel .............................................................................. 519 Kommentare ........................................................................... 521 Sekundärliteratur .................................................................... 527
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Danksagung
Die vorliegende Untersuchung wurde im Dezember 1998 von der evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen unter dem Titel "Hausgemeinde und Mission. Von Jesus bis Paulus" als Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde angenommen. Für die veröffentlichte, überarbeitete Fassung konnte ich begrenzt die seither erschienene Literatur berücksichtigen. Der Abschluß einer Dissertation ist immer Anlaß z'u vielfältigem Dank. Als erstes danke ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Peter Stuhlmacher; für seine sachlich fördernde und anregende Begleitung der Arbeit. Er stand wirklich wie ein Vater stets in selbstloser Weise nicht nur mit seinem Rat und seiner Ermutigung, sondern auch mit tatkräftiger Unterstützung zur Verfügung. Herrn Professor Rainer Riesner (Dortmund) danke ich für die vielen wichtigen Ratschläge sowie für die Übernahme der Aufgabe des Zweitgutachters. Eine besondere Freude und eine wichtige Anregung für meine Arbeit war es, im Wintersemester 1993/94 in Tübingen ein Hauptseminar zum Thema "Hausgemeinde in nt!. und altkirchlicher Zeit" gemeinsam mit Dr. Riesner leiten zu dürfen. Professor Hans-Josef Klauck (München), Dr. Werner Neuer (Gomaringen), Dr. Wiard Popkes (Harn burg) und Dr. Bruce W. Winter (Tyndale House, Cambridge) möchte ich ebenfalls für ihre sachkundigen, wertvollen Hinweise danken. Mein Dank gilt ferner den stud. theol. Uli Adt, Detlef Garbers, Kerstin Graap, Volker Krüger, Martin Spindler und Robert Wiens für ihre Hilfe bei der Beschaffung von Literatur und beim sprachlichen KorrekturIesen des Manuskriptes. Stud. theo!. Heinrich Ottinger war mir eine große und fachkundige Hilfe bei der Computer-Arbeit. Der Verein zur Förderung missionarischer Dienste e.V. Stuttgart, der Arbeitskreis für evangelikale Theologie, gute Bekannte aus der Freien ev. Gemeinde GieiSen (Hans-Joachim Dernbecher, Fritz Hain, Dr. Magdalene Häfner, Helmut Jablonski, Andrea Katz) und meine eigene Dienstgemeinschaft Campus für Christus gaben großzügige Druckkostenzuschüsse. Der größte Dank aber gebührt meiner Frau Claudia für ihre große Opferbereitschaft und ihr geduldiges Mittragen während der ganzen
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Hausgemeinde und Mission
Doktorandenzeit. Ohne sie wäre das Projekt in mehrfacher Hinsicht nicht möglich gewesen; aus tiefer Dankbarkeit widme ich ihr diese Arbeit.
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1. Einführung
A) Thema und Motivation der Untersuchung Nahezu alle Erforscher des Neuen Testamentes stimmen heute an einem Punkt überein: die frühen Christen haben sich überwiegend in den Häusern einzelner Mitglieder versammelt. Fast dreihundert Jahre lang - bis in das 4. Jh. hinein, als Konstantin anfing, die ersten christlichen Basiliken zu errichten - sind die Christen in Privathäusem zusammengekommen und nicht in irgendwelchen anderen Gebäuden, die ursprünglich und allein für den Gottesdienst gebaut wurden. So einfach uns diese Tatsache erscheinen mag, um so überraschender ist die Beobachtung, daß dem Thema der neutestamentlichen Hausgemeinde (= HG) lange Zeit kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten hat man in der neütestamentlichen Forschung angefangen, intensiv über die architektonischen Bedingungen der frühchristlichen Zusammenkünfte und über die damit verbundenen sozialen und theologischen Implikationen nachzudenken.
B) Der Stand der Forschung I. Vor und nach F. V. FilsOl1 (I939) Die Erkenntnis, daß die frühen Christen sich in Privathäusern getroffen haben, ist nicht neu. Schon 1694 postulierte C. Vitringa, daß der Urgemeinde die Haussynagoge als Vorbild gedient habe'. 1832 bezog sich N.C. Kist auf Vitringa, um seine Annahme zu stützen, die frühen Christen hätten sich in den Häusern ihrer wohlhabenden Mitglieder getroffen, die ebenfalls in der Gemeinde führend waren 2 • F.C. Baur (1835)3 und H. Weingarten (1881)4 argumentierten ähnlich. Um die
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De synagoga vetere libri tres, 'r72.6, Lib.I Pars I 145ff.257f, Lib.I Pars JII 42.9ff. Über den Ursprung der bischöflichen Gewalt, ZHTh 2. (I8~2.), 47-90, hier 54ff. Für ihn sind die HGn aber keine Gemeinden im Vollsinn (vgL ebd., 56). Für unsere Bestimmung einer Gemeinde im Val/sinn s. S. 47. Pastoralbriefe, 1835, 83 f. Baur redet von "kleinen christlichen Vereinen" bzw. "kleinen christlichen Gemeinden", aber nicht explizit von HGn. Umwandlung, r881, 444-448. Weingarten redet hier auch nicht von HGn, son·
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Hattsgemeinde und Mission
Jh.wende machten W. Sanday und A.C. Headlam auf HGn in Rom aufmerksam5 • J.P. Kirsch 6 stellte lediglich fest, daß die Christen ursprünglich in Häusern zusammengekommen sind, ohne irgendwelche Schlüsse hinsichtlich ihrer eigentlichen Bedeutung zu ziehen. Auch A. Hauck 7 beobachtete dies und folgerte, daß die Größe der Innenräume dieser antiken Häuser die Zahl der Gemeindeglieder auf "nur ein paar Dutzende" beschränkt hätte, wenn sie nicht auf den Vorhof bzw. das Atrium ausgewichen wären. 1906 besprach F. Wieland in seiner Untersuchung der Entwicklung des christlichen Altars kurz die möglichen Orte der apostolischen Liturgie und kam zu dem Schluß, daß sich die christliche Liturgie schon in den späten Wirkungsjahren der Apostel in die Privathäuser zurückgezogen hat. Interessant ist v.a. sein wegweisender Hinweis auf ein Nebeneinander von Hausgemeinden schon in Jerusalem und auch in Korinth und RomS. In seiner zwei bändigen Arbeit Das Christentum in den ersten drei Jahrhunderten behandelte H. Achelis 1912 das Thema in einem einzigen Absatz 9 • Aufgrund der Größe der bei Ausgrabungen ans Licht getretenen Triclinien berechnete er die Durchschnittszahl der Glieder einer HG auf etwa 40, ausnahmsweise 60 und mehr. Er konstatierte, daß frühchristliche Gottesdienste in Privathäusern wohlhabender Christen stattfanden, wobei er die Einheit der Kirche am Ort durch eine Mehrzahl von solchen Gruppen gefährdet sah, die die notwendige Folge des Wachstums der Gemeinde einerseits und der beschränkten GrölSe des Tricliniums antiker Häuser andererseits war. 1917 ging J. Weiß in seinem Werk Das Urchristentum ebenso kurz auf das Thema HG ein lO • Um diese Zeit schrieb Adolf von Harnack seinen monumentalen Versuch einer sozio-historischen Betrachtung der Geschichte des frühen Christentums ll . Harnack fragte tiefer als alle anderen vor ihm und erkannte, daß die HGn einen Faktor für das Wachstum, die
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dem von der Organisation der frühchristlichen Gemeinde nach einem ,.Familienband" bzw. einer "Familiengruppirung" [Schreibweise = H.W.]. The Episde to the Romans, 1895, 420f. Cultusgebäude, 1897, 6ff. Ihn inreressiert eher die Frage nach öffentlichen Kirchengebäuden in den ersten 3 Jh. Art. Kirchenbau, RE, Bd.10, 1901, 774ff. Mensa und Confessio, 1906, 29-33. '1925, Neudruck 1975, 96f. Vgl. Weig, Urchristentum, 19 1 7,4 86. Mission und Ausbreitung I.U, '1924.
Einführung
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Vielfalt und den Triumph der frühchristlichen Bewegung darstellten 12 , allerdings ohne zu konkretisieren, in welcher Weise die HG für die Verbreitung des christlichen Glaubens wirksam gewesen ist. Danach ist lange Zeit relativ wenig getan worden, um Harnacks Beobachtungen weiter voranzutreiben 13 • Erst nach der Entdeckung der Hauskirche in Dura Europos14 veröffentlichte F.V. Filson 1939 einen Aufsatz, in dem er nachzuweisen versuchte, daß man das Urchristentum besser verstehen könne, " ... if more attention were paid to the actual physical conditions under which the first Christians met and lived. In particular, the importance and function of the hause church should be carefully considered"15. Wenn man nach der Bedeutung der räumlichen Bedingungen der frühchristlichen Zusammenkünfte fragt, weisen eine ganze Anzahl der Forscher (teilweise unabhängig voneinander) auf den Aufsatz von F.V. Filson als richtungsweisend hin 16 • Deshalb scheint es angebracht, seine Fragestellung kurz zusammenzufassen, um festzustellen, wie sich die neutestamentliche Erforschung der HG seit I939 entwickelt hat. In seinem Aufsatz listet Filson fünf Bereiche auf, in denen eine Untersuchung der HG unser Verständnis der frühchristlichen Kirche vertiefen und erweitern würde!7: 1. Die HG ermöglichte den Anhängern Jesu schon VOll Beginn der apostolischen Zeit an das Feiern spezifisch christlicher Gottesdienste.
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Mission, 1, 457; II, Zusatz über den Kirchenbau, 611-6 I 8. Dort versucht er ebenfalls die Entwicklung der eher schlichten Zusammenkünfte der ersten HGn mir sozialen und theologischen Faktoren, die bei der Entstehung des christlichen Kirchenbaus wirksam waren, in Verbindung zu bringen. Vgl. auch H. Leclercq, Art.: Eglises, DACL IV, 191.I, 2279ff v.a. 2287 für die Erwähnung von HGn. S. Grundrisse zu Dura Europos - Anh. S. 508ff. Significance, JBL 58, (I939), 1°5-112.1°5. Vgl. z.B. L.M. White, Domus, 1982, 45; H.]. Klauck, Hausgemeinde (=HG), 198r, 12; W. Meeks, Urchristentum, I993, 113; H.O. Maier, Social Setting, 1991, 5; G. Theif~en, Studien, 1989, 228, Anm. I; J.H. Hainz, Ekklesia, 1972, 203; ].H. Elliotr, Horne, 1981, 169f; M. Crosby, House, 1988, 32; D.C. Verner, Household, 1983, g; B.B. Blue, Public, 1989, 2; W. Vogler, Bedeutung, 1982, 786, Anm. 2; indirekt: E. Dassmann, Bischofsamt, JbAC Erg Bd. II, 1984, 8297, passim; F. Laub, Sozialgeschichtlicher Hintergrund, MThZ 37, 1986, 26I; G. fürder, BHH 1I, 661, macht nur eine Lit.angabe, und zwar von Filson. Significance, I09-Il2 (folgende Hervorhebung " RG).
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Hausgemeinde und Mission
2. Die entscheidende Rolle der HGn bietet auch eine partielle Erklärung für die häufige Erwähnung des Familienlebens in den neutestamentlichen Schriften. 3. Die Existenz mehrerer HGn in einer Stadt kann ein Grund für die Tendenz zu Gruppenstreitigkeiten unter den frühen Christen gewesen sein. 4. Eine Untersuchung der Lebenssituation der HGn würde auch den sozialen Status der ersten Christen beleuchten. 5. Die Entfaltung kirchlicher Leitung kann ohne den Bezug zur HG nicht verstanden werden. Die Gastgeberfunktion des Hauseigentümers begünstigte dessen Hervortreten als das einflußreichste und prominenteste Glied der Gemeinde. Die HG war, so gesehen, der "Übungsplatz" für christliche Führungskräfte, die - nach dem Verlust der "apostolischen" Leitung - die Kirche leiten sollten. Trotz dieser Aufforderung Filsans an die Forschung, sich intensiver mit den frühchristlichen HGn auseinanderzusetzen, ist wieder lange Zeit wenig geschehen. Noch 1954 konnte O. Michel in seinem ThWNT-Artikel über OlKO Einführung
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erst mit den Belegen in den unumstrittenen Paulusbriefen auf historisch sicherem Boden zu stehen l1O • 2.
Dissens
a) Analogien aus dem religiösen, intellektuellen und sonstigen gesellschaftlichen Bereich In seiner Zusammenfassung des damaligen Forschungsstands für die religionsgeschichtlichen Analogien zur HG nennt H.]. Klauck den Haus- und Privatkult, das Vereinswesen, die Sarapis- und Mysterienkulte, die Orphik und die Synagoge l21 . Für ihn kommt nur die Synagoge als direktes Vorbild in Frage 122 • Diese Sicht erscheint plausibel, wenn zutrifft, daß zur nt!. Zeit Haussynagogen weitverbreitet waren J23 und daß der größte Teil der Christen bis ca. 100 n.Chr. aus dem Judentum (und dem Umkreis der Synagoge) kam. Schon im 19. Jh. haben aber manche Forscher darauf hingewiesen, daß die ersten Christen Vereine oder collegia imitiert hätten 124 • Obwohl diese These damals wenig Annahme gefunden hat, setzten sich einige Forscher in der zweiten Hälfte des 20. Jh. erneut dafür ein, Vgl. beispielhaft für diese Vorgehensweise L.M. White, God's Hause, 103: "Like the early Pharisees, we may imagine the followers of Jesus and other teaehers of the time gathering occasionally for fellowship, prayer, and study. This practice is depicted both in the gospel narratives regarding Jesus and in the traditional picture of Acts. In Acts 2.-5 the earliest disciples at Jerusalem reportedly met 'from house to house' or just 'at horne', while also attending co traditional Jewish observance at the Temple. Beyond this httfe more can be said" (Hervorhebung = RG). Vgl. auch H.]. Klauck, HG, 49;]. Gnilka, Hausgemeinde, 1983, 2.Ff; G. Schöllgen, Hausgemeinde, 79; W. Vogler, Hausgemeinden, 785-794; W.A. Meeks, Urchristentum, 59f. 121 HG, 83-99 und nun auch ders., Die religiöse Umwelt des Urchristentums I, 1995, 1-12.8; für eine Besprechung der Analogien vgl. auch W.A. Meeks, Urcluistenturn, r 59-180 und D.C. Verner, Household, 6-9. 122 So auch P. Stuhlmacher, Phlm, 72.f; B.B. Blue, Publie, 12.7.I44ff; F. Laub, Sozialgesch. Hintergrund, 2.70. W. Vogler, Hausgemeinde, ThLZ 107 (1982.), 787. Diese Annahme wird durch die Berichte der Apg bestätigt. Vgl. Apg 2,46; 5,42; 12,12.; r6,13-15.30-34; 18,1-8. Zur Synagoge als Vorbild für den frühchristlichen Gottesdienst vgl. W. WiefeI, Der Synagogengottesdienst 1959; J. C. Salz-' mann, Lehren und Ermahnen, 1994,450-479. 123 Dies ist aber umstritten. s. S. 59 und Amn. 22f für unsere Besprechung. 124 G. Heinrici, Die Christengemeinde Korinths, ZWTh 19 (I!l76), 464-52.6; auf Heinrici aufbauend: E. Harch, The Organisation of Early Christian Churches, ' 1892.,26-55. 120
Hausge111einde und Mission
daß diese Analogie zur HG wieder in Betracht gezogen werden sollte 125 • Es wurde auch erwogen, die paulinischen HGn hätten sich wie philosophische Schulen 126 oder wie eine Kombination von collegium und philosophischer Schule 127 organisiert. Die Bedeutung des Haushalts für die soziale Struktur der HG wird von F.V. Filson und anderen hervorgehoben 128 • In diesem Sinne betont P. Lampe: "Das Gemeinschaftsleben der Christen formiert sich in vieler Hinsicht nach dem Oikos-Modell .. , In den Kategorien der Oil35; 9,5. 17.3 8; 10,20,35; II,2J; 12,14.19.32; J3,1; 14,45; Lk 7,40; 8,24·49; 9>33.38.49; 11,45; 12,13; 18,18.2I; 19,3.9; 20,21.28.39; 21,7; 22,47; Jh 1,38-49; 3,2; 4,3 I; 6,25; 9,2; II,8.28; 20,16. Vgl. auch Jesu Selbstbezeichnung Mt 26,18 par; Mt IO,24f par; 23,8ff. Nach den syn. Evv. hat Jesus als Wanderprediger gewirkt (vgl. die Summarien: Mt 4,23 par; Mt 9,35; Lk 4,14f; Mk 1,38 par; Lk 13,33 lind Logien, die Jerusalemreisen voraussetzen, sowie Traditionen über Aufenthalte in den Grenzgebieten Galiläas). Vgl. F. NOl'mann, Christos Didaskalos, MBTh 32,1967,1-32.45-54; J. Gnilka, Die Verstockung Israels, 1961, 30; R.P. Meye, Jesus and the Twelve, 1968, 30-60; C.H. Dodd, Der Mann, nach dem wir Cbristen hei{~en, 1975, 128; M. Hengel, Jesus als messianischer Lehrer der Weisheit, 1979, 148; R. Riesner, Jeslls, 246-264.298-344.353-357.4°8-44°.476487.,507; R.T. France, Mark and the Teachillgs of Jesus, 1980, 10r-136. Vgl. die in Anm. 4 genannten Summarien. Schon W. Bousset, Kyrios Christos, 1921, (eng!. Übs. 1970), LI7; für die heurige Forschung vg!. z.B: G. Bornkamm, Jesus von Nazaceth, 1988, passim; G. Theißen, Wandecradikalismus, Studien, I989, 79-1°5. Vgl. z.B. als Ausnahme (einseitig) F.H. Borsch, Jesus, The Wandering Preacher?, 1975,45-63. Z.B. R. Bultmann, Jesus, 1988, 43f. M. Hengel, Nachfolge, 1968, 59f; S. Loffreda, Die Heiligtümer von Tabgha, I978; G. Dalman, Orte und Wege Jesu, I967, 1671; R. Riesner, Jesus, 353f.
Die vorösterliche Verwendung von Häusern
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Häusern wirken mußte lO • Außerdem muß man damit rechnen, dag Jesus auch in der Phase seines öffentlichen Wirkens, wenn es sehr kalt wurde oder geregnet hat, mit seinen Jüngern zur Unterweisung, aber auch zum Übernachten in ein Haus gegangen ist. Die Annahme, daß Jesus Häuser für seine Lehrtätigkeit und eventuell auch für andere Aktivitäten verwendet hat, wird durch drei weitere allgemeine Erkenntnisse unterstützt. Zum ersten ist die religions- und geistesgeschichtliche Beobachtung zu erwähnen, daß das Privathaus als Begegnungsstätte religiöser und philosophischer Ideen in der Antike im jüdischen, christlichen und hellenistischen Kulturbereich eine hervorragende Rolle gespielt hat ll . Besonders in der jüdischen und christlichen Kultur sind Privathäuser als "die Urzelle der Zusammenkünfte von Meister und Jüngern" 12 zu sehen. Auch wenn es übertrieben wäre, Jesus nach Art späterer Rabbinen zu verstehen, ist es nicht zu bestreiten, daß er als Lehrer gewirkt hat. Jüdische Lehrer seiner Zeit gingen zwar gelegentlich auf Reisen, aber sie wurden eher mit einer Lokalität und mit einem relativ ortsgebundenen Lebensstil identifiziertl3 • Ihre Anhänger sind zu ihnen gekommen. Auch die Evangelien bezeugen häufig, daß Einzelne und Menschenmengen zu Jesus kamen bzw. gebracht ~urden, und dag die Nachricht von ihm von dem Ort ausging, an dem er tätig war 14 • Auch wenn dies einem Wanderleben nicht unbedingt widerspricht 15 , impliziert es, daß die Menschen oftmals zum Aufenthaltsort Jesu kamen oder gebracht wurden und daß er also häufiger von emem festen Ort aus gewirkt hat, als allgemein angenommen wird l6 . Zugegeben bietet das Haus nur sehr begrenzten Schutz gegen öffentliche Nach· stellungen (vgl. Mk 2,6). Jesu Rückzugsgebiete sind v.a. geographisch entlegene Orte (vgl. z.B. Mk 8,27; 9,30). 11 H.M.!. Gevaryahu, Privathäuser, ASTI 12 (1983), 5-12; vgl. K.H. Rengstorf, Art. !!av13avOJ, ThWNT IV, 421ff; M. Hengel, Judentum und Hellenismus, 1988, 148f. 12 Gevaryahu, ebd., 5. 13 Vgl. F.H. Barsch, jesus, the Wandering Preacher?, 55. 14 Vgl.Mk 1,28.32.4°.45; 3,8; 6,33; 8,1; 9,17; rO,_I3; Mt 8,34; 9,26.2.8.3 rf; Lk 10
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Die Mengen hätten dort zu ihm kommen können, wo er gerade auf seiner Wanderschaft einen Predigt- und Heilungsaufenthalt machte. Man hat in diesem Zusammenhang sogar von einem "Lehrhaus" jesu in Kapernaum gesprochen (Vgl. A. Schulz, jünger des Herrn, 1964, 14; W.D. Davies, Sermon on the Mount, I963, 421, Anm. 2; B. Gerhardsson, Anfänge der Ev.trad., 1977, 43. Dagegen ist J. Roloff, Kirche im NT, 1993, 39). Aber so weit wollen wir in unserer Studie nicht gehen, denn diese Sicht der Dinge ist problematisch, da
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Hausgemeinde und Mission
Wenn unsere Vermutung richtig ist, daß Jesus in einem Haus gelehrt und dort eventuell sogar Wohnsitz genommen hat, dann würde es auch naheliegen, daß er dort mit seinen Jüngern und der Familie dieses Hauses das häusliche Glaubensleben, wie es im Judentum z. d. Zt. üblich war, gepflegt hat. Es gab zu Hause z.B. Gebete am Morgen, am Mittag und am Abend, bei denen das "Sch'ma Israel" eine zentrale Rolle spielte. Das tägliche Mahl wurde von Segensgesten und -worten begleitet, wobei das jährliche Passahmahl den Höhepunkt bildete, das zur nt!. Zeit auch außerhalb Jerusalems in den Häusern (aber nicht mit Lamm) gehalten wurde!7. Vg!. unseren Forschungsbericht. Zum zweiten: Wenn man die zentrale wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung des Oikos in der Antike allgemein und in Palästina bzw. Galiläa im besonderem 18 bedenkt, dürfte die Feststellung, daß Häuser im Leben und Dienst Jesu eine zentrale Rolle gespielt hat, auch nicht mehr überraschen. Zum dritten: Für diese Gesamtsicht spricht zusätzlich die Erkenntnis, daß vor 70 n.ehr. die Synagoge nicht nur in der Diaspora, sondern auch in Palästina weit verbreitet gewesen ist 19, möglicher-
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der Begriff Lehrhaus ein besonderes Gebäude andeutet, in dem der Rabbi zwar seine Schüler sammelt, das aber kein Privathaus mehr ist. Ein solches Gebäude wurde normalerweise erst später errichtet, nachdem die. Anzahl der Jünger gewachsen ist (Vgl. Geraryahu, aaO. 5). Es würde für unsere Studie genügen, festzustellen, daß der irdische Jesus in bzw. vor einem Haus eine öffentliche oder esoterische Lehrtätigkeit ausgeübt hat. Zum häuslichen Brauchtum im Judentum vgl. R.R. Geis, Judentum, 1961, 61~64; E. Pax, Familienliturgie, 1972., 2.48-2.61; 1. Elbogen, Gottesdienst, 1967, 14-106; ders., Eingang, 19 I I, I73-r87; Bill. IV, 6II-639; L. Adler, Religion, 1967,9-64; S. Safrai, Religion in Everyday Life, CR1 1,2., 1976, 793-833 v.a.Soo-804. (Paschamahl augerhalb Jerusalems - 80Sff); H.]. Klauck, HG, 1981, 92f. Vgl. S. Safrai, Horne and Family, CRI 1,2 1976, 728-792; und zuletzt R.A. Horsley, Galilee, 1995, 195-201.2.03-207; Y. Hirschfeld, The Palestillian Dwelling in the roman-byzantine Period, 1995, 21-I07.289-2.95. Angaben bei Josephus, Bell II 2.29 (setzt Synagogen in Dörfern in der Umgebung von ]erusalem voraus); Philo, Spec Leg II 62; Vit Mos II 216; Leg Gaj 132; und in den rabbinischen Quellen (möglicherweise übertrieben), ]erusaJem 480, (j Jvleg 73 d), 460 (j Ketr 3 sc), 394 (Ket 10sa); Bethar: 400 Lehrhäuser (Git 58a); Tiberias 13 (Ber Ba; 30b) bestätigen Hinweise im NT (eine Auflistung im NT erwähnter Synagogen bei Bill. lVII 117) für eine weite Verbreitung der Synagoge. Allerdings ist diese Sicht heute nicht unumstritten. Vgl. H.C. Kee, The Transformation of the Synagogue After 70 C.E., NTS 36 (1990), 1-24.8; ders., Early Christianity in the Galilee, 1992.,3-22 v.a. 3-14. J. Neusner, Formative Judaism, 1982,75-83, folgend schließt Kee, daß für das ganze erste Jahrhundert folgendes
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weise überwiegend in der Form von Haussynagogen 20 , d.h. Privathäusern, die zeitweilig entweder durch Umbau oder ohne bauliche
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gilt: "From his (Neusners) analysis of the literary evidence, there emerge no hims of Iiturgical formulae, of institurional organisation, of formal programms or patterns of instrucrion, just as from the archaeological side there is no evidence of srylised architecrural settings for group worship" (13). Für eine Wiederlegung von Kees Argumenten unter Verwendung zahlreicher literarischer, inschriftlicher und archäologischer Belege vgl. R.E. Oster, Supposed Anachronism in Luke-Acts' Use of LYNAHJrH, NTS 39 (1993), 178-208. H. Kee hat auf Oster geantwortet: The Changing Meaning of Synagogue, NTS 40, (1994), 281-2.83. Zu dieser Antwort und für eine Kritik dieser Sicht Kees' vgl. R. Riesner, Synagogues in }erusalem, 1995, 179-2Il v.a.179-r87· L.l. Levine zeichnet in seinem grundlegenden Aufsatz, The Second Temple Synagogue, 1987, 7-31.7, ein sehr nuanciertes Bild, das auch die Vielfalt der Evidenz berücksichtigt. Dennoch kann er den Aufsatz mit einer Aussage beginnen, die nach wie vor die lvlehrheitsmeinung darstellt: "By the end of the Second Temple period the synagogue had become a central institution in Jewish Iife. Ir could be found everywhere, in Israel and in rhe Diaspora, east and· west, in cities as weil as in villages. The synagogue filled a wide variety of functions within the Jewish community and had become by the 1st century a recognised symbol of Jewish presence." M. Hengel, Die Synagogeninschrift von Stobi, ZNW 57 (1966), 175, Anm. 98; H.]. Klauck, HG, 1981, 95-97. J. Wilkinsan, Christian Pilgrims in Jerusalem during the Byzantine Period, PEQ r08 (1976), 75-101.77; L.M. White, God's Hause, 1990., 60-10I; G. Foerster, The Ancienr Synagogues of the Galilee, 1992., 300E. Zuletzr R. Riesner, Synagogues in Jerusalem, 1995, v.a. 186. Ähnlich J. Neusner, Formative Judaism, 1982, 75-83; ihm folgend H.C. Kee, The Transformation of the Synagogue After 70 C.E., NTS 36 (1990), 1-24, v.a. 13f. Sie gehen beide von der Rekonstruktion der pharisäischen Bewegung als einer Laienbewegung aus, die in erster Linie in Privarhäusern mir einer Konzentration auf persönliche Reinheit, Tischgemeinschaft und "a fresh appropriation of the Torah" (Kee, ebd., 14) zusammengekommen ist. Allerdings waren diese Hausgruppen, so Neusner und Kee, keine Synagogen, da sie nicht so genannt wurden und keine Zeichen von formellen institutionalisierten Organisationformen aufweisen (vgl. Zitat Anm. 19). Hier wird aber ein methodologisches Problem sowohl der literarischen als auch der archäologischen Synagogen forschung heute deutlich. Es ist nämlich noch kein Konsens in Hinblick auf die Kriterien für die Identifizierung einer Synagoge erreicht worden. Hier ist zu fragen, ob diese Hausversammlungen nicht schon der Sache nach als Synagogen gelten können, ob sie so genannt wurden oder nicht. Man könnte eins zum Kriterium machen, nämlich die Torah: Sobald eine Gruppe von 10 kultfähigen Männern zusammenkommt (Meg 4,3 = T.Meg 4,14) und die Torah ins Haus gebracht wird, wäre das schon eine Synagoge. Allerdings ist zu bedenken, dag die Torah zwar ein Haus eventuell zur Synagoge machen konnre, daß aber eine solche Rolle sehr teuer gewesen ist und daß es deswegen unwahrscheinlich ist, daß eine ärmere dörfliche Synagogengemeinde sich eine hätte leisten können, was ein Argument gegen eine allzu große Vielzahl von Haussynagogen darstellen würde.
Hausgemeinde und Mission
Veränderung als Synagogen dienten 21 • Man wird wohl für die ärmeren Gegenden Galiläas erst recht mit Haussynagogen rechnen können und nicht mit Prachtbauten, wie wir sie aus dem 3. bis 6. nachchristlichen Jh. kennen 22 • Selbst in relativ kleinen jüdischen Dörfern 21
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Auch die Sicht einer weiten Verbreitung von Haussynagogen vor 70 n.Chr. ist umstritten. Vgl. z.B. R.E. Oster, Supposed Anachronism in Luke-Acts' NTS 39 (1993), I78-208 v.a. 192f" Anm. 55, der betont: "Theories comparing primitive Christian house churches with ]ewish ,house churches' run aground on the dearth of supportive dara from the pre-70 period. It is no accident ... , that the use of the term OiKOC; to describe the setting for early Christian gatherings is relatively frequent in the New Testament, but fundamentally absent in the literary and archaeological records of synagogues of the pre-70 era." Vgl. OrK1l!lU in los Vita 277: Weder ]osephus' allgemeine Verwendung von OtKf]~lU noch der Kontext von Vita 277 verlangen die Auslegung ,Privathaus'. Auch die bekannte SynagogenInschrift von Akmonia (vgl. B. Lifshitz, Donateurs et fondateurs, I967, Nr.33) ist nicht eindeutig in dieser Hinsicht. Vgl. L.M. White, Domus Ecclesiae, 1982, 270ff.283f für weitere inschriftliche Beispiele (auch nach 70 n.Chr.) und eine Besprechung der wissenschaftlichen Debatte hinsichtlich der Bedeutung von otKOC;. Zum Einwand von Oster, daß vor 70 n.Chr. Haussynagogen nicht literarisch bezeugt sind, ist zu bedenken, daß das literarische Material im Ganzen überhaupt sehr schmal ist und daß damit eine zufällige Natur der Nicht-Erwähnung nicht ausgeschlossen werden kann. Auch das Fehlen archäologischer Evidenz ist kein zwingendes Argument gegen Haussynagogen (s. u. Anm. 22). Des weiteren mug konstatiert werden, daß wir noch zu wenig wissen über die Situation vor 70 n.Chr. Deshalb müssen wir die Frage für unsre Studie offenlassen. Vgl. zum Ganzen die Münchener Dissertation von C. Claußen, Gemeinde und Synagoge, 1999 und das Tübinger nt!. Forschungsprojekt von R. Herrmann, Das antike Vereinswesen und die frühen christlichen Gemeinden (beide noch im Erscheinen), die Klärendes zu dieser Problematik beitragen sollten. B. Schwank, Qualis erat forma synagogarum Novi Testamcllti?, VD 33 (1955), 267-279; Z. Ma'oz, The Synagogue oE Gamla ... , I981, 35. Es gibt nur wenige archäologische Hinweise auf eine Synagoge als Gebäude in Galiläa vor dem zweiten ]h. n.Chr. Sichere archäologische lind inschriftliche Spuren für Synagogengebäude vor 70 in Palästina überhaupt sind sehr gering (dazu Levine, Ancient Sunagogues Revealed, I981, 19-35.52-59 und zuletzt R. Riesner, Synagogues in ]erusalem, v.a.184-r87). Vgl. z.B. die Theodotus-Inschrift aus ]erusalem, Masada, Gamla, Herodillm, und Kapernaum? Es bestehen gute Gründe dafür, dal~ unter der Synagoge in Kapernaum (4. bis 5. Jh. oder Ende des 2. bis 3. ]h?) Hinweise für frühere Bauten aus dem 1. ]h. gefunden wurden. Einiges spricht dafür, dalS diese Gebäude Privathäuser waren. Eins dieser Häuser kann in eine Haussynagoge umgebaut worden sein. Vgl. ].F. Strange, Has the House where Jesus stayed .. , BArR 7 (1982), 26-37, v.a. 29f. Zu der Problematik mangelnder Hinweise auf Synagogengebäude vgl. E. Meyers und J. Strange, Archaeology, 1981, I40f: "it is nighly Iikely therefore, that in the period when the temple still stood, a synagogue cOllld weIl have been llothing more than a large meeting room in a private house or part of a larger structure set apart for worship." Die Mangel an archäologi-
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dürfte es solche Haussynagogen gegeben haben 23 . Demnach muß es nicht überraschen, wenn die Evangelien auch für Galiläa eine Vielzahl davon voraussetzen 24 . . All dies sind Hinweise darauf, daß die Juden des 1. Jh. gewohnt waren, sich zu Aktivitäten mit gottesdienstlichem Charakter in einem Privathaus zu versammeln, und das gilt natürlich auch für Jesus und seine jünger25 • Von daher wäre anzunehmen, dafS Jesus Häuser zumindest für seine Lehrtätigkeit, aber eventuell auch für andere Aktivitäten verwendet hat. Die Frage ist nun, ob man aber mit zuverlässigen Überlieferungen belegen kann, daß Jesus ein Haus in dieser Weise gebraucht hat. 2.
Ein Haus in Kapernaum?
Nach einer traditions- und redaktionsgeschichtIichen Untersuchung der r6 Stellen, an denen Kapernaum in den Evv. genannt wird, stellt W. Bösen fest: " ... die Kafarnaum-Tradition ruht auf festem Fundament ... Kafarnaum ist ... fest Imt Jesus verbunden"26. Ursprünglich in den Text "eingeschmolzen" gewesen sein dürfte Kapernaum an wenigstens 7 Stellen, die sich auf drei voneinander unabhängige Traditionssträme verteilen: 1. die Logienquelle Q (Mt 8, 5-r3/Lk 7,1IO; Mt II,20-24ILk ro,13-15), 2. Markus (Mk I,12; 2,r) und 3. die vorjohanneische Tradition (Joh 2,I2; 4,46; 6,I7). Nicht alIe der 29 Belege für Häuser im Markusevangelium sind für unsere FragesteI1ung von Bedeutung27, sondern nur die Stel1en in
23 24 25
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schen Hinweisen für Synagogen vor 70 muß also nicht gegen eine weite Verbreitung der Synagoge in Palästina sprechen, da eine Haussynagoge von einem ganz normalen Privathaus archäologisch nicht zu unterscheiden wäre, es sei denn bauliche Änderungen wären vorgenommen worden. Aber auch dann kann man nie archäologisch beweisen, daß der Bau schon als unverändertes Privathaus für gottesdienstliche Zwecke verwendet wurde (für weitere Erklärungen dieses Phänomens vgl. Levine, Ancient Synagogues Revealed, 35). Vgl. Schrage, ThWNT VII 812; D.E. Gowan, Testaments, 1980, 279f; S. Safrai, Synagogue, eRI 1-2,1976, 909f; M. Avi-Yonah, EAEe IV, 1978, 1129. Mt 4,23/1vlk 1,39; Mt 9,35; Lk 4,14f. Damit soll aber nicht gesagt werden, daß sie den eigentlichen Gottesdienst in einem nicht zum synagogalen Gebrauch deklarierten Privathaus gefeiert haben; dies taten sie wohl noch in einer (Haus)synagoge; vgl.z.B. Lk 4,16·43f; 5,17-26; 6,6-1 I; 7,1-IO; 13,10-I7. Galiläa als Lebensraum, 1985, 83-87; Zitat: 87. Wir gehen hier nicht auf alle 29 Belege für das Haus im MkEv ein. Für eine AufJistung und Besprechung aller Stellen im MkEv vgl. E. Best, Following, I981, 1.26ff
Hausgemeinde und Mission
Mk 1,29.33; 2,1; 3,20 und 9,33, die auf das Haus des Petms in Kapernaum hindeuten. Seit K.L. Schmidt ist es üblich, die Frage nach dem Geschichtswert des die einzelnen Evangelienerzählungen zusammenhaltenden topographischen und chronologischen Rahmens auf Grund formgeschichtlicher Überlegungen im ganzen negativ zu beurteilen 28 • Allerdings ist Schmidts negative Beurteilung des Rahmens der Evangelien inzwischen grundsätzlich in Frage gestellt worden 29 • G.N. Stanton hat gegen Schmidt die Ansicht vertreten, daß die Rahmenangaben meist nicht sekundär, sondern von der ursprünglichen Situation gedeckt sind und damit doch historischen Informationswert haben 30 • Wie dem auch sei, bei vier der fünf uns interessierenden Stellen (Mk 1,29.33; 2,1; 3,20}31 hat K.L. Schmidt selbst die Meinung vertreten, daß es sich um Hinweise auf das Haus des Petrus in Kapernaum handelt, die aus glaubwürdiger, vormarkinischer Tradition und auch H.]. Klauck, HG, 56-62. Vgl. auch E. Ravarotto, La "casa" de! vangelo di Marco e la casa di Simone-Pietro?, Anton. 42 (r967), 399-419, der in 6 der 29 Erwähnungen eines Hauses im MkEv das Haus des Petrus in Kapernaum sieht (Mk 2,1; 3,20; 7,17; 9,28f.33; 10,ro), wobei er sich etwas zurückhaltend zu IO,IO äuf~ert.
28 29 30
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VgJ. v.a. ders., Der Rahmen der Geschichte Jesu, I919 (1964), Seite V. P. Stuhlmacher, Das Evangelium und die Evangelien, 1983,7. Form Criticism Revisited, I975, 13-27, hier v.a. 15-18. \Venn man, so Stanton, die synoptischen Evangeliendarstellungen mit Traditionsüberlieferungen wie der Logienquelle, dem Thomasevangelium und den "Sprüchen der Väter" vergleicht, fällt die erstaunliche Menge von historisch berichtenden Perikopen und der auffällige historische Rahmen der Jesusgeschichte im Gegensatz zu jenen Spruchsammlungen stark auf. "Indeed, on the grounds of the criterion of dissimilarity which is so beloved of many form critics, the framework of Mark emerges with strang claims to historicit)'!", ebd. 15. Stanton macht auch plausibel, daß keine unabhängigen Einzelperikopen himer den Evangelien lagen, sondern eher Gruppen von Perikopen mit einem quasi schall eingebauten Rahmen, der von der ursprünglichen Situation gedeckt war, ebd. 16ff. Dies sieht Stanton dadurch unterstÜtzt, daß "Frequently details which appear either to be irrelevant 01' secondary when a pericope is considered in isolation link up with others to pravide a portrait of Jesus which is stiking and which is oEten unconventional judged by the standards of the day." ebd. 16. An anderen Stellen (Mk 7,14.:2.4; 10,10) hat allerdings der Hinweis auf "das Haus" eher die Funktion, Jesus von den Massen zur Einleitung der esoterischen Jüngerunterweisung abzusondern. Man müj~te in 7,24 in der heidnischen Gegend von Tyrus und in 10,10 irgendwo in Judäa oder Peräa (vgl. 10,1) ein Haus, über das Jesu verfügen konnte, annehmen. Deshalb wird hier eine redaktionelle Bemerkung des Markus zu vermuten sein. Diese Stellen hätten demnach für unsere Studie keinen nachweisbaren historischen Informationswert.
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stammen32 • In Mk 1,29-31 sieht er "in der vorliegenden Fassung das Ergebnis der Umsetzung eines Petrusberichtes in der ersten Person Pluralis in die dritte Person Pluralis". Mk hat nach Schmidt "den alten Bericht ... konservativ wenig geändert ....033 Bei Mk 1,29-31 und 1,32-34 handelt es sich aber "nicht um zwei, sondern um eine geschlossene Perikope"34. Andere Exegeten vertreten eine ähnliche Siches. Die Perikope vom Jünger-Rangstreit bei Markus macht einen sehr altertümlichen Eindruck, so daß man auch hier bei der Erwähnung eines Hauses in Kapernaum mit alter Tradition rechnen kann (Mk 9>33). In Verbindung mit Stellen wie Mk 1,29.33; 2,1 und 3,20 hat man konkret an das Haus des Petrus zu denken. Auch das Mt-Sondergut spricht einmal sicher und einmal wahrscheinlich von einem Haus in Kapernaum, das Jesus besonders zur Verfügung stand. Die Erwähnung eines Hauses, in dem zwei Blinde geheilt wurden (Mt 9,27) und das offenbar in Kapernaum gedacht ist (vgl. Mt 9,1), kann man kaum mit einer besonderen redaktionellen Absicht des Evangelisten erklären36 . In der Erzählung über die Zahlung der Tempelsteuer (Mt 17,24-27) findet in einem Haus in Kapernaum zwischen Jesus und seinen Jüngern ein Lehrgespräch statt. Bei diesem Haus muß es sich um das des Petrus gehandelt haben, weil die Steuereinnehmer hier Petrus nach der Kopfsteuer fragen (17,24). Auch wenn man den historischen Wert der beiden Wundererzählungen gering einschätzt 37, kann man fragen, ob sich in beiden Geschichten ein Wissen um die besondere (vor-/nachösterliche?) Bedeutung des Petrus-Hauses spiegelt. Jedenfalls ist auffällig, daß sich hier vormatthäisehe Tradition mit zuverlässigen markinischen Traditionen (1,29.33; 2,1; 3,20) berührt. Der exegetische Befund, daß mindestens einige Hinweise auf das Haus des Petrus in Kapernaum bei Markus historisch gut begründet Der Rahmen der Geschichte Jesu, 1919 (1964), 55-58.78f.r20.229f. Ebd., 56. l4 Ebd., 57. 3S SO auch schon Th. Zahn, Einleitung in das NT, Bd. II, 19°7, 2)1f. Vgl. z.B. noch Lohmeyer, Mk, 40; Ta)'lor, Mk, 178;]. Jeremias, Theologie, 1973,95" Anm. 31 mit zusätzlichen Argumenren; ihnen folgend W.L. Lane, Mk, 1974, 7M; R. Riesner, Jesus, 353; .M. Hengel, Probleme des Markusevangelil1lns, 1983, 252-257. Hengel argumentiert überzeugend, daß hinter dem MkEv petrinische Autorität stehe und daß eine Abhängigkeit des Autors von Petrus festzuhalten sei. 36 Vgl. J. RoloH, Kerygma, 1973, 132. 37 Anders zu Mt r7, 24-27 vgl. W. Horbury, The Temple Tax, I984, 265-286 und zu Mt 9,27-3 I vgl. C.L BIomberg, Mt, r62f. 31 33
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Hausgemeinde u11d j\1issiolt
sind, wird durch einen archäologischen Sachverhalt unterstützt. In tell-Hum (Kapernaum)38 weisen Untersuchungen auf die Existenz einer Lokaltradition über das Haus des Petrus schon in der zweiten Hälfte des I. Jh. Von einer Kirche in Kapernaum, die aus dem Haus des Petrus gebaut worden sei, erzählt Egeria (Atheria) in ihrem Pilger bericht aus dem späten 4. oder dem frühen 5. Jahrhundert39 • Diese Nachricht wird durch die seit 1968 von Virgilio C. Corbo und Stanislao Loffreda durchgeführten Ausgrabungen40 bestätigt: Unter einer oktogonalen byzantinisch en Basilika des 5. Jh. wurde ein Kirchengebäude aus dem 4. Jh. entdeckt. Beide Bauten waren zentriert auf einem Privathaus aus dem I. Jh. n.Chr., das sich von allen anderen Gebäuden aus frührömischer Zeit, die bisher in Kapernaum gefunden wurden, durch einige Eigenheiten abhebt (s. u. Grundrisse im Anhang, S. 508ft). Z.B. bezeugen Bruchstücke von Ornamenten und Inschriften, daß dieses Privathaus schon vor dem 3. Jh. von Judenchristen für gottesdienstliche Zwecke gebraucht wurde 41 • Zwei Inschriften mit dem Namen Petrus sind Hinweise auf eine besondere Verbindung zwischen diesem Gebäude und dem Apostel. Eine mehrfache Erneuerung des Kalkfußbodens im Wohnzimmer des Hauses schon in der zweiten Hälfte des I. Jh. läßt damals schon allf eine besondere Bedeutung dieses Hauses schließen. Auch wurden besonders zahlreiche Fragmente von Öllampen gefunden, und dies weist auf eine mögliche Verwendung als Versammlungsort einer Hausgemeinde hi0 42 • Für die Existenz einer judenchristliche Gruppe in Kapernaum seit Ostern sind Mk 14,28; r6,7f par und Joh 21,1-14 indirekte Hinwei-
38 Tell-Hum ist mit Kapernaum zu identifizieren. Vgl. 39 40
41
41
C. Kopp, Die Heiligen Stätten der Evangelien, 1964, 215-2.3°. "In Capharnaum autem ex domo apostolorum prillcipis ecclesia facta est, qui parietes usgue hodie ita stant, sicut fuerunt." CSEL XXXIV, 1898, luf. V. Corbo, The House of Saint Peter at Capharnaum, 1969; ders., Cafarnao I: Gli edifici della Citta (PdSBF 19), J975. S. Loffreda, Recol'ering Capharnaum, 1993, 50-68. Vgl. auch I. Mancini, L'archeologie judeo-chretienne, 1977, 78- 82; J. Murphy-O'Conner, The Holy Land, 1992, 225; vorsichtiger: L.M. White, Domus EccIesiae, 1982, 165-169; für eine Bestreitung unserer Sicht vgl. Joan E. Taylor, Christians and the Holy Places, 1993,268-295. Vgl. u.a. eine Inschrift, die sich auf einen vermutlich judenchristlichen Zusatz zu der apokalyptischen Schrift 3Bar 4,9-15 bezieht. Vgl. Apg 20,7f.
Die vorösterliche "erwendullg von Häusern
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se 43 • Diese Gruppe von Judenchristen kann sowohl eine Lokaltradition bewahrt und selbst die Gemeinschaft dargestellt haben, die diese Hausgemeinde bzw. Hauskirche bildete. Nach einer rabbinischen Nachricht44 müssen die Judenchristen dort im 4. Jh. sogar ziemlich zahlreich vorhanden gewesen sein 45 . Allerdings hat Joan E. Taylor grundsätzliche Kritik an dieser Sicht geübt46 • Sie bestreitet, daß man das Haus des Simon Petrus in Kapernaum tatsächlich entdeckt habe 47• Ihre Argumentation basiert v.a. auf der Behauptung, daß die von den Ausgräbern vorgeschlagene Chronologie zu korrigieren sei, nach der eine Hausgemeinde im Haus des Petrus am Ende des 1. Jh. und eine Hauskirche im 4. Jh. nachweisbar sind. Zentral in der Diskussion der Datierung der sog. Insula I der Schicht I (nach den Ausgräbern: die Hausgemeinde im Haus des Perrus) ist die Bedeutung des Kalkfußbodens im Saal N. 48 , der von den Ausgräbern in die zweite Hälfte des 1. Jh. datiert wird. Diese Datierung basiert auf 20 Fragmenten von herodianischen Öllampen49 , auf dem Befund zweier Topfränderso und eines Krugrandes AIs!, die alle zwischen den dünnen Kalkschichten in kleinen Betten von schwarzer Erde gesammelt wurden und auf den terminus post quem, den die Keramik der vor43 44
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46
47 48 49
50 51
Wann genau diese Hausgemeinde gegründet wurde, ist unbekannt (s. S. 91, Anrn. 182). KohR 7,27, 38a. Die Stelle KohR 1,8, die früher als Beleg für die Existenz einer judenchristlichen Gruppe in Kapernaum für die Wende vom r: zum 2. Jh. diente, ist aber umstritten. Vgl. Johann Maier, Jüdische Auseinandersetzung mit dein Christentum in der Antike, I982, II9f; J.E. Taylor, Holy Places, 1993, 26. Bill.I 159f ist für die Auslegung des Belegs nicht mehr maßgeblich. Vgl. zu KohR 1,8 allerdings auch S. Freyne, Galillee frorn Alexander ... 1980, 347f und J. Blenkinsopp, The Literary Evidence, 1989, 201-212, v.a. 203; "While the term min can denote more than Olle type of sectarian or apostate, these particular minim and sinners ... were almost certainly Christians of Jewish origin. " Capernaurn and its 'Jewish-Christians', Bull. of the Anglo-Israel Archaeological Soc. 9 (I989-90), 7-28; dies., Christians and the Holy Places, I993, v.a. 269294; dies., A Critical Investigation ... , PhD Edinburgh, 1989. Für eine Widerlegung der Argumente von Taylor vgl. S. Loffreda, La Tradizionale Casa di Simon Pietro a Cafarnao, 1993,37-67. Vgl. J.E. Taylor, Capernaum and its 'Jewish-Christians', 26. Das sogenannte "Wohnzimmer": vgl. Abbild I bei S. Loffreda, La trad. Casa oder Fig. 4, Bereich b bei V. Corbo, Cafarnao I, 78. Registrierungsnummer: 5477-549 6. Registrierungsnr.: 5497f . Registrierungsnr.: 5499.
Hausgemeinde tmd Mission
hergehenden Schicht B ergeben hatte sowie auf der Grundlage dessen, was in der darauffolgenden Schicht A gefunden worden isrs 2 • Gerade diese Datierung des Bodens und damit die ganze Chronologie der Ausgräber stellt Taylor radikal in Frage. "It is unclear when precisely the intermediate beaten lime floors were laid; they may have been put down as late as the middle of the 4th century, or as early as rhe beginning of the 3rd. There is unsufficient evidence to be conclusive. They did not, however, come from the Ist century"53. Aber wie läßt sich die Anwesenheit von Fragmenten herodianischer Lämpchen in jener dünnen schwarzen Erdschicht zwischen den verputzten Böden erklären? J.E. Taylor schlägt als Erklärung folgende Hypothese vor. Die Fragmente "could have been embedded in the mix if it was made in a refuse dumpoutside the city (a probable place for lamp burning)"54. Abgesehen davon, daß Taylor hier in einer unbegründeten Hypothese Zuflucht suchen muß 55 , ist ihr an dieser Stelle ein Irrtum unterlaufen: Jene Fragmente wurden nicht, wie sie behauptet, in der Kalkschicht gefunden, deren Durchmesser noch dünner als die der fraglichen Fragmente ist, sondern in der Zwischenschicht von schwarzer Erde56 . Außerdem gibt es noch ein weiteres Datierungsindiz, das Taylor völlig entgangen ist, nämlich das Vorhandensein eines ganzen Topfes (Nr. 4635) aus dem 1. Jh., mit seiner Unterseite unmittelbar auf den verputzten Böden stehend, von denen hier die Rede isrs 7 • Taylor behauptet auch, daß S. Loffredas Datierung der Keramik, die im Schotterboden B des Saales N. I gefunden wurde58 , korrigiert werden muß. "Bed B was laid in the middle of the Ist century 01' the beginning of the 2nd and continued to be used ... until at least the 3rd century. "59 Allerdings kann, nach Urteil Loffredas, dieser Fußboden nicht weit über die Mitte des I. Jh. in Gebrauch gewesen sein, Corbo, Cafamao I, 80. J.E. Taylor, Capernaum and its Jewish-Christians, r8. 54 Ebd., 18. 55 S. Loffreda, La trad. Casa, 54: "Glaubt die Wissenschafrlerin Taylor denn tatsächlich, eine von den Ausgräbern vorgeschlagene Chronologie um fast drei Jahrhunderte korrigieren zu können, indem sie sich einfach einer Hypothese bedient, die sich auf die Krücke eines "jf" stützt?" (Übersetzung von mir = RG). 56 S. Loffreda, La trad. Casa, 54. 57 V. Corbo, Cafamao I, Foto 41; S. Loffreda, Cafamao II, Fig. 2:2 und Foto 2:2. 58 La trad. Casa, 55, fig. r6: 1-7; ders., Cafamao II, rr6f, Fig. 39: r-7· 59 CapemaUIn :lnd itsJewish-Christians, 17. 52 53
Die vorösterliche Verwendung von Häusern
weil darin die Keramiktypen gänzlich fehlen, die in Kapernaum im späten 1. Jh. vorkommen 6o . Taylor stellt die Datierung der domus ecclesiae der Schicht 2 ebenfalls in Frage. Zentral an ihrem Argument ist ihr Vorschlag, daß der polychrome Fußboden der domus ecclesiae, den die Ausgräber aufgrund von Münz- und Keramikfunden auf das 4. Jh. datieren, fertiggestellt worden sei "as late as the mid-fifth century"61, d.h. in der Zeit, in der der Aussage V. Corbo zufolge die nachfolgende oktogonale Kirche erbaut worden ist. Dies steht aber im Widerspruch zu einer vorhergehenden Behauptung Taylors. "A 5th-century dating of the octagonal structure (Corbo, I975, 56) seems reasonably sure on the basis of coins from the first two decades of the 5th century found beneath the mosaic pavements (1975, 54) and from pottery." Wenn das Datum für die Erbauung der oktogonalen Kirche (Schicht 3) in der Mitte des 5. Jh. "reasonably sure" ist, wie kann es dann auch für die Erstellung des Bodens der domus ecclesia (Schicht 2) gelten?62 Wir müssen feststellen, daß die Behauptung Taylors, die Chronologie der Ausgräber müsse korrigiert werden, nicht ausreichend begründet ist. 63 Wenn wir diese archäologischen Daten mit der Annahme verbinden, daß Markus Petrus-Tradition kannte, so daß die Rahmenangaben in Mk 1,29.33; 2,1; 3,20 und 9,33 nicht sekundär, sondern von der ursprünglichen Situation gedeckt sind und daß die KapernaumTradition auf festem Fundament steht, dann kann man annehmen, daß die Angaben für häufige Aufenthalte Jesu im Haus des Petrus in Kapernaum zuverlässig sind. Nun kann nach dem Kriterium der Kohärenz gefragt werden, ob es Traditionen gibt, die inhaltlich mit diesem kritischen Minimum übereinstimmen und dieses auch ergänzen.
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Loffreda, La trad. Casa, 56. Capernaum and its ]ewish-Christians, 18. Loffreda, La trad. Casa, 58. Nach Loffreda ist auch Taylors These, daß ]oseph von Tiberias der Erbauer der domus ecclesia war, aus chronologischen Gründen nahezu unmöglich (vgJ. La trad. Casa, 58f.60f.). "Die große Umwälzung der Chronologie, wie sie Taylor vorschlägt, gründet ... auf der Mißachtung der elementarsten Regeln der Keramologie ... und auf hypothesengestützten Phanrasiegebäuden, die in der Archäologie nichts bewirken" (S. Loffreda, La trad. Casa, 56, [meine Übersetzung = RG]).
Hausgemeinde und Mission
3. Jesus und das Haus des Petrus
a) Kapernaum und das Haus des Petrus als Wohnsitz Jesu DafS in den Evangelien eine besondere Konzentration auf Kapernaum zu konstatieren ist, wurde schon vielfach beobachtet64 • Kapernaum erscheint in allen Evv. als der Ort, wo sich Jesus nach Beginn seines öffentlichen Wirkens vorzugsweise aufhielt65 • Auch der Eindruck, den die synoptischen Evangelien vermitteln, geht dahin, daß mehrere Ereignisse im Leben Jesu in Kapernaum stattgefunden haben 66• Es entsteht der Eindruck, daß der rote Faden in der Geschichte immer wieder auf Kapernaum zurückführt67 • DafS sich mehreres im Leben Jesu in Kapernaum abgespielt haben kann, wird auch von Lk 10,I5IMt II,24 unterstützt. "Das Höchste" von allen galiläischen Städten erlebte Kapernaum: Mit der "Erhöhung" Kapernaums umschreibt die Logienquelle das Wirken des irdischen Jesus an diesem Ort68 . Diese Erhöhung wird um so verständlicher, wenn Jesus dort zeitweilig gewohnt und so in Kapernaum mehr als in anderen Städten gewirkt hätte69 • Wie bei den meisten Logien der Synoptiker, ist der Ursprungs ort von Lk 10,13-151 Mt II,21-24 umstritten 70 . Bultmann hielt den Weheruf über die galiläischen Städte für Gemeindebildung, "denn die Worte blicken auf die abgeschlossene Wirksamkeit Jesu zurück und setzen den Mißerfolg der christlichen Predigt in Kapernaum Vgl..1. Gllilka, Mk I, 78; J. Ernst, Mk, 63; E.F.F. Bishop, Capernaum, CBQ 15 (1953),431; E.M. Meyers und ].F. Strange, Archaeology, 1981, 126; W. Trilling, Das Wahre Israel. Studien zur Theologie des Mt-Ev, 1964, 132. Für TriJling ist die Konzentration auf Kapernaum allerdings auf mt Redaktion zurückzuführen. Vgl. auch W. Bösen, Galiläa als LebeIlsraum, 1985,9°. 65 Mk 1,2; 1.,1; 9,33; l'vIt 4,13; II,23 par Lk To,15;]oh 2,12; 6,17-59' 66 V.a. im MkEv ist dies teilweise zufällig, kann also nicht auf redaktionelle Absichten zurückgeführt werden. Anderes ist von Mt behauptet worden. Vgl. E.F.F. Bishop, Jesus and Capernaulll, CBQ 15, (1953), 427-437. 67 Vgl. z.B. das MkEv: Mk I,2r.29; 2,r.15; 3,20.31f; 9,28?33. 68 So zu recht J. Schniewind, Mt, I48; \V. Grundmann, Mt, 3 13f; ders. Lk, zr 1j E. Percy, Botschaft, I953, luf; E. Neuhäusler, Anspruch, 1962, 201; S. Schulz, Spruch quelle, 1972,366. Gegen J. Welhausen, Mt, 54f; R. Bultmann, Geschichte, 1979, II9f; E. Klostermann, !vit, 100. 69 R. Peseh, Mk I, 120; W. Bösen, Galiläa als Lebensraum, 1985, 94. S. Schulz, Spruchquelle, 1972., 365: "Das Höchste von allen galiläischen Städten erlebte Kapernaum." Vgl. Lk 4,23 als Bestätigung dieser Sicht. 70 Zusammenstellung in: S. Schulz, Spruch quelle, 1972,362, Anm. 257. 64
Die uorösterliche Verwendwtg von Häusern
voraus"71. Ihm folgt Käsemann, der zusätzlich auf die prophetischen Züge der Logien hinweist, die sie in eine prophetisch-enthusiastische Bewegung im frühen nachösterlichen, palästinischen Christentum einordnen lassen 72 • Es ist nicht zu bestreiten, daß der \Veheruf prophetische Züge enthält. Allerdings ist es schwierig, eindeutige formale Kriterien zu finden, um zwischen vor- und nachästerlicher Prophetie zu unterscheiden 73 • Auch -wenn man einräumt, daß ein gewisser prophetischer Stil nachzuweisen ist, beweist dies noch keinen nachösterlichen Ursprung der Logien. Es läßt sich nicht ausschließen, daß Jesus selbst in prophetischem Stil und bei Gebrauch von Bildern aus dem AT und Anspielungen auf dasselbe gepredigt hae4 • Es ist gut denkbar, daß er einen solchen Weheruf wie Lk IO,I3-I5 ausgesprochen hat, wenn er gegen Ende seiner Wirksamkeit in Galiläa den Eindruck bekommen hat, seine Botschaft würde in seinem Heimatgebiet abgelehne5 • Da es sich bei der Gerichtsankündigung gegen Chorazin, Bethsaida und v.a. Kapernaum um Prophetien handelt, die sich im Fall von Chorazin und Kapernaum nicht durch den Jüdischen Krieg erfüllt haben, müssen die Belege echt sein. Es wäre sinnlos, nach Ostern unerfüllte Vaticinia zu erfinden. Aus diesen und anderen Gründen befürworten viele Ausleger wenigstens im Kern die Ursprünglichkeit der Logien76 •
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Geschichte, II8. Zur Kritik dieser Sicht vgl. Schneider, Lk T, 239. NT Questions for Today, 1969, 100; Vgl. dazu auch M.E. Boring, Sayings of the Risen 1esus, 1982, 147, der u.a. auf "allusive use of the OId Testament" hinweist. Selbst die sehr bekannten Kriterien der "Sätze heiligen Rechtes", die Kiisemann aufstellt, sind zu recht kritisiert worden. Vgl. K. Berger, Zu den sog. Sätzen ... , NTS 17 (1970/71), 10-40; ebd., Die sog. "Sätze heiligen Rechts" im NT, TZ 28 (I972), 3°5-33°; D.E. Aune, Prophecy in early Christianity, 1983, I 66ff. Vgl. Mk 8,1.8; Lk 13,33. Vgl. P. Gaechrer, Mt, 1963, 37 2 . W.G. Kümmel, Verheißung und Erfüllung, 1953, 30; F. Hahn, Missionsverständnis, 1963, 27.34; C. Kopp, Die Heiligen Stätten, 1964, 214; 1. 1eremias, 1esus' Promise to the Nations, I967, 50, Anm. I; W. TrilIing, Fragen zur Geschichtlichkeit Jesu, 1967, T03; J. Schniewind, Mt, I47; W. Grundmann, Lk, 2.I I; J. Ernst, Lk, 336; G. Schneider, Lk, 239; F. Mußner, Gab es eine 'galiläische Krise'?, 1973, 244; R. Laufen, Doppelüberlieferung, I978, 276. P. Hoffmann, Studien, I982, 303, bes. Anm. 53; R. Pesch, Mk I, 120. Für eine KompromißIösung vgl. S. Schulz, Spruchqelle, I972, 362-366, bes. auch Anm. 282.
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Man könnte nach lvIk 2,1 77 ; Mt 4,13 78 und Mt 9,1 sogar vermuten 79 , daß Kapernaum nach Nazareth ein neuer Wohnsitz Jesu wurde 8o • Daß Kapernaum Wohnsitz Jesu gewesen ist, wird auch durch Mt 17,24-27 nahegelegt: Jesus wurde von den Steuereintreibern belangt, die die Steuern für den Tempel einkassierten, als er im Haus des Simon Petrus wohntesl. Den vielen antiken Belegen über die jüdische Tempelsteuer ist zu entnehmen, daß jemand, der die Steuer nicht im Tempel ablieferte, dies auch in seinem Wohnort tun durfre 82 • Nach Mt war es Petrus, der die Steuer für Jesus und für sich 77
Ö"tL ev OlKlP ecn;(v. Der Präpositionalausdruck ev OIKlP kann "in einem Haus" oder "zu Hause" übersetzt werden. Die zweite Übersetzung ist hier vorzuziehen (Bauer-Aland', II36), d.h. in dem ihm üblicherweise zur Verfügung stehenden
Haus. Hier wird berichtet, daß Jesus sein ursprüngliches Zuhause, !';azareth, verlieB und er "kam und wohnte (Ka"tct>KT)OEV) in Kapernaum". 79 ~),ecV Eie; "ti]v iöfav JtOALV. Mt 4,13 und 9,1 werden im allgemeinen von der Forschung aufgrund von Stilbeobachtungen und Mt 4,13 wegen des nachfolgenden Reflexionszitates aus Jes 8,23-9,1 als mt Redaktion eingestuft und sind demnach ohne historischen Informationswert (vgl. z.B. Schweizer, Mt, 37.145). Da wir-aber schon gezeigt haben, daß die mk Belege für häufige Aufenthalte Jesu im Haus des Petrus in Kapernaum als zuverlässig gelten können, ist die Annahme vom Kriterium der Kohärenz her berechtigt, daß Mt 4,13 und 9,1 in ihrem historischem Wert auch glaubwürdig sind. Allerdings gehören beide Stellen zu Rahmenstücken. Doch wenn die Forschung mit ihrer Vermutung einer mt Redaktion recht hätte, kann Mt hier wie dort, wenn nicht aus historischem Wissen, so doch im Gespür für die historische Wirklichkeit die Verse selbst gestaltet haben, vgl. W. Bösen, Galiläa als Lebensraum, 1985, 90. 80 E. Schweizer, Mt, 145; H.M.!. Gevaryahu, Pl'ivathäuser, ASTI I2. (1983), 5-I2, v.a. 9; S. Loffreda, La trad. Casa, 38; anders W. Bösen, Galiläa als Lebenraum, 90ft; vgl. auch J. Blinzler, Die Heimat Jesu, BiKi 25 (1970), 14-2.0, V.a. 18ff. Blinzler wendet sich in diesem Aufsatz gegen die These von H. Stegemann, (Antrittsvorlesung in Bonn, 1969), daß Jesus auch in Kapernaum geboren und aufgewachsen sei und sieht Kapernaum dagegen nur als Wohnsitz Jesu. Vgl. dazu auch ].S. Kennard, Was Capernaum tbe Horne of Jesus? JBL 65, (1946), 13114 1. Billerbeck (Bill. 1,493 f) sieht in Kapernaum sogar "die Stadt, deren Bürger er war", deren Voll bürgerschaft Jesus durch einen Aufenthalt von zwölf Monaten erworben hatte. 81 Zum historischen Wert von Mt 17,24-2.7 s. S. 59. 82 Belege zusammengestellt bei Bill.I, 760-773. Vgl. v.a. m. Seqal. 1,1.3; 2,1 aber auch Ex 30,13 und Neh 1O,32.f (LXX); Jos. Bell. 3,194-196; b. ßek. 50b; B. Qam. 36b. Dag der tatsächliche Wohnort maßgebend war, ist eigentlich selbstverständlich. Dafür spricht auch Jos. Bell. 7,6,6 § 1.18. Vgl. D.E. Garland, IVlatthew's Understanding of the Temple Tax (Mt 17,24-27), 1987, 190-209, v.a. 190-195; W.Horbury, The Temple Tax, 265-286; L. Kadman, Temple Dues and Currency in Ancient Palestine, Israel Numismatic Bulletin I (1962.),9-1178
Die vorösterliche Verwendung von Häusern
bezahlt hat. Daraus kann man folgern, daß Jesus (jedenfalls aus der Perspektive des Evangelisten Matthäus) mindestens zeitweilig im Haus des Petrus zu Kapernaum seinen Wohnsitz hatte 83 •
b) Das Haus des Petms als Versammlungsraum und Ort von Jesu Heilungs- und Lehrtätigkeit Die fünf Stellen (Mk 1,29.33; 2,1; 3,20; 9,33), die vom hohen Geschichtswert sind (s. S. 57ff), belegen eindeutig eine Heilungs- und Lehrtätigkeit Jesu in und vor dem Haus des Petrus zu Kapernaum. Die beiden aus dem Sondergut des Mt stammenden Erzählungen (Mt 9,27-3I; I7,24-27) sind zwar historisch weniger sicher8\ aber auch sie bestätigen das durch die o.g. Stellen vermittelte Bild. Nach Mk I,29-3 I geht Jesus in das Haus des Petrus und heilt dort dessen fieberkranke Schwiegermutter. Am Abend werden Kranke und Besessene zu Jesus gebracht und dort vor dem gleichen Haus "mit der ganzen Stadt vor der Tür versammelt". Nach lvlk 1,33 werden diese Kranken und Besessenen von Jesus geheilt bzw. von bösen Geistern befreit. Im gkichen Haus in Kapernaum heilt er einen Gelähmten (Mk 2,1)85. Auch Mt berichtet davon, daß Jesus im Haus des Petms geheilt hat. Das "Haus" in der Geschichte von der
So auch W. Grundmann, Mt, 409; J. Blinzler, Die Heimat Jesu, 19; und S. Loffreda, La trad. Casa, 38. Vgl. auch C. Kopp, Die Heiligen Stätten, I964, 214, "Das Heim des Petrus war allem Anschein nach auch das Haus Jesu." 84 Vgl. Anm. 82. 86 und s. S. 57fI. 85 Hier ist die Anwesenheit Jesu in einem Haus für den Fortgang der Erzählung notwendig; das "im-Hause-Sein" Jesu stammt somit aus der Tradition; vgl. Bultmann, Geschichte, 1979, 12; D.A. Koch, Wundererzählungen, 1975, 46f; J. Gnilka, Mk I, 98. Die Erzählung hat ihren Ursprung nicht erst in der Gemeindeunterweisung, sondern im Leben Jesu, gegen z.B. I. Maiseh, Heilung, I 97 I, 75 E; P. Fiedler, Jesus und die Sünder, 1976, LOSf. Zur Historizität der ältesten Schicht der Erzählung vgJ. R. Peseh, Mk I, 157, der mit Recht bemerkt, daB die Züge der ältes!en Tradition "Schema und Topik der Wundergeschichren sprengen" und "auf historische Grundlagen, einen Haftpunkt im Leben Jesu verweisen". Vgl. auch M. Trautmann, Zeichenhandlungen, I980, 235-248, die erwas vorsichtiger als Pesch, aber (die Forschungsgeschichte lind die wichtigsten Pro-und-ContraArgumente abwiegend) doch überzeugend nachweist, daB die älteste Schicht der Erziihlung, Mk 2,I.2ab.3-5 .Irf - die Heilung des Gelähmten also, im Leben Jesu begründet war und die wesentlichen Elemente des historischen Ereignisses widerspiegelt. Auch sie kommt zu dem Schluß, daß das "Haus" ursprünglich sei, der Hinweis auf Kapernaum aber nicht (Zeichellhandlungen, 244, Anm. 37). Hier folgt sie allerdings K.L. Schmidts Urteil. Siehe S. 58I. 83
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Heilung zweier Blinder (Mt 9,27-31) ist nach Mt in Kapernaum zu lokalisieren (Mt 9,1) und mit dem Haus des Petrus identisch. Im Anschluß an die Berufung des Zwölferkreises wird berichtet, daß Jesus in ein Haus ging (vom Kontext her wohl das Haus des Petms). Daraufhin versammelte sich eine Menge, so daß sie kaum essen konnten (Mk 3,20). Es wird zwar weder von einer Heilungsnoch von einer Lehrtätigkeit Jesu gesprochen. Es läßt sich aber gut vorstellen, daß sich die Menge aus einer bestimmten Erwartung heraus versammelt hatte - eventuell in der Hoffnung, daß er wieder jemanden heilen würde oder auch um Jesus reden zu hören? Auf jeden Fall wird davon berichtet, daß die Menge innerhalb und auiSerhalb des Hauses versammelt ist. Das Haus des Petms mit seinem Hof dient als Sammelpunkt bzw. als Versammlungsraum für Anhänger Jesu und die an seiner Botschaft und Person Interessierten 86 • Eine Lehrtätigkeit in diesem Haus wird aber viel deutlicher in Mk 9,33 belegt. Wiederum in Kapernaum "daheim", führt Jesus im Haus des Petms ein Lehrgespräch mit den Jüngern nach ihrem Rangstreit. Jesu Lehrtätigkeit in diesem Haus wird auch von einem Seitenreferenten bestätigt. In der Erzählung von der Tempelsteuer (Mt 17,24-27) nämlich findet ein Meister-Jünger-Gespräch, also ein Lehrgespräch, in dem'Haus des Petms in Kapernaum statt. An dieser Stelle ist zu fragen, ob nicht im Lichte der o.g. Beobachtungen auch die mk Darstellung der esoterischen Jüngerbelehmng, die sehr oft "im Haus" stattgefunden haben soll, plausibel erscheint87 • Es kann sein, daß dieses Schema seinen Sitz im Leben in der frühchristlichen Katechese hat und daß sich darin die Situation der mk Gemeinde spiegelt88 • Es ist aber genauso gut möglich, daß auch schon die "Katechese" Jesu in Häusern stattfand. Daß Jesus nicht nur im Freien und in der Synagoge, sondern auch in Häusern 86
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Dies läßt sich um so besser vorstellen, wenn mall sich die Ergebnisse der Ausgrabungen in Kapernaum und deren Rekonstruktionen und isometrische Darstellungen der Insula vergegenwärtigt (so u. unsere Grundrisse und Bezeichnung im Anhang S. 508ff). Vgl. dazu S, Loffreda, Recovering Capharnaum, 1993, 50-67, Für die Bedeutung des Hofes im Privatleben einer palästinischen Familie (so S. 89). Natürlich dann nicht unbedingt immer im Haus des Petrus. Vgl. Mk 7,I4f. 17. [823; 9,I4-27.28f; 10,2-9.10-12. Vgl. auch die Stellen bei Mk ohne direkte Verbindung zum Haus, z.B. Mk 4,10, aber auch bei Mt 13,36. Vgl. z.B. H.]. Klauck, HG, 62, "Wie die Jünger, wußten sich die Christen in ]esu Lehrhaus aufgenommen, wo ihr anfänglicher Glaube seine wissensmäßige Vertiefung erfährt."
Die vorösterliche \ferwendung von Häusern
gelehrt hat, ist historisch sehr wahrscheinlich (s.o.), und es wurde eben gezeigt, daß er dies zumindest im Haus des Petms getan hat.
e) Das Haus des Petrus als Stützpunkt von Jesu Mission Die o.g. Erkenntnisse, die die These unterstützen, daß Jesus in Kaperna um seinen Wohnsitz hatte, schließen natürlich nicht aus, dafS Jesus als Wanderprediger gewirkt hat89 • Allerdings ist die Vorstellung von Jesus als Wanderprediger genauer dahin zu bestimmen, daß "es für ihn wenigstens eine zeitweilige stabilitas loci gab "90. Es gibt gute Gründe für die Annahme, daß Jesus sich für eine bestimmte Phase seines Wirkens auf die Gegend von Kapernaum, Bethsaida und Chora·· zin konzentriert hat (vgl. Mt II,2Iff/Lk II,I3-IS). Im Mittelpunkt der bei den Drohworte stehen die Dörfer Chorazin, Bethsaida und Kapernaum 91 • Während dieser Zeit mit Wohnsitz in Kapernaum stand das Haus des Petms ihm als Stützpunkt (als Standquartier und "Zentrum")92 für sein missionarisches Wirken am See Genezareth zur Verfügung.
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Summarien: Mt 4,23/Mk 1,39/Lk 4,44; Mt 9,35; Lk 4,14f.lVlk r,21-39; Lk 4,43; I3,33· VgL]. Jeremias, TheoL, 1973, 95; ders., Die Drei-Tage-Worte, 1976, 83 bes. Anm. 10; ders., Die Sprache des Lk. Ev., 1980, 234; H. Schürmann, Lk J, 1969, 25 6. R. Riesner, Jesus, 439; anders G. Theißen, Soziologie der Jesllsbewegung, 1977, 16. Allerdings ist diese stabilitas loei von der der rabbinischen Schriftgelehrten zu unterscheiden. Denn der Rabbi "was tied to the hause where he taught" (M. Hengel, The Origins of the Christian Mission, r983, 6rf.). Die stabilitas loci Jesu in Kapernaum war eben zeitweilig. Spitzenfunktion in diesem Dreieck weist der Text eindeutig Kapernaum zu: Während Jesus Chorazin und Bethsaida unmittelbar nacheinander und mit gleichlautendem "Wehe" anredet, wendet er sich Kapemaum in einem eigenen, durch Endstellung betonten Zuspruch, an Leiden reich, aber ohne "Wehe", doch in noch schärferer Form, zu: "Und du, Kapernaum ... !U (A. Schlatter, Mt, 380; S. Schulz, Spruch quelle, I972., 365). Denkt man an die "Machttaten" im ersten Drohwort gegen Chorazin und Bethsaida (Mt 1l,2I/Lk ro,13), legt sich auf Grund der Parallelisierung eine Akzentuierung des \Virkaspektes nahe: Kapern~um fühlt sich "bis zum Himmel emporgehoben" durch Jesu Wirken, durch sein Reden und Tun in Kapernaum und von Kapernaum aus. In diesem Sinne sieht W. Bösen den Wehe ruf als starken Hinweis dafür, daß Jesus die Stadt Kapernaum "zum Mittelpunkt seines galiläischen Wirkens gemacht hat: Nirgends sonst hat er eindrucksvoller gepredigt, nirgends sonst hat er mehr \Vunder getan" . Für Bösen ist damit Kapernaum eine Art Zentrum für das messianische Wirken Jesu gewesen (Galiläa als Lebensraum, 94)' J. Gnilka, Mk I, 78, glaubt, dag Kapernaum "ein besonderer Stützpunkt der Wirksamkeit Jesu gewesen sein muß". Für.J- Ernst, Mk, 63, ist "die Vermutung,
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Daß diese drei benachbarten Dörfer den Kern der galiIäischen Wirksamkeit Jesu bilden, ist schon oft beobachtet worden 93 • Die Orte dieses "evangelischen Dreiecks" liegen nur zwischen ein und zwei Wegstunden auseinander. Die Lage von Kapernaum zur Zeit Jesu ist mit dem modernen tell-Hum am See Genezareth ca. 4 km westlich vom Einfluß des Jordan in den See zu identifizieren 94 • Chorazin wird außer im Weheruf zwar in den Evv. nicht mehr erwähnt, aber in anderer frühjüdischer Literatur finden wir einige Belege. Nachneutestamentliche jüdische Quellen beschreiben Chorazin als mittelgroße Kleinstadt (t. Mak. 3,8), die für ihre bemerkenswerte Weizenproduktion bekannt war (b. Menah. 85a). Vgl. auch Eusebius (Onomast. 174,23) und Hieronymus (De Situ et Nom. Loc. Hebr. 194). Ihre Identifikation Mitte des 19. Jh. von C.W.M. Van de Velde mit dem modernen Khirbeth Kerazeh ca. 2 km nördlich von tellHum wird im allgemeinen heute noch akzeptiert95 • Über Größe und Aussehen des neutestamentlichen Ortes läßt sich zur Zeit noch nichts Sicheres sagen96 • Ob Bethsaida 97 mit dem heutigen Khirbeth el-'Aradj (ca. 45 m vom Ufer des Sees entfernt wenig östlich vom Einfluß des Jordan in den See Genezareth) oder mit et-Tell (ca. 2,7 km nordöstlich von el-'Aradj und ca. 4 km von tell-Hum) zu identifizieren sein wird, ist bis heute umstritten 98 • Beide sind aber in
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daß Jesus dort (in Kapernaum, RG) während der Tätigkeit in Galiläa ein ,Standquartier' gehabt hat, nicht abwegig". So auch J. Blank, Joh 41ra, 196. E.F.F. Bishop, Capernaum, CBQ 15 (1953),431, "centre"; }.A. Overman, Who were the First Urban Christians?, 1988, r60-168, v.a. 168, "center" and ,;base". E.l\IL Meyers und j.F. Strange, Archaeology, 198I, 126; "headquarters". W. Bösen, Galiläa als Lebensraum, 1985,92, nennt Kapernaum "ein Zentrum messianischen Wirkens". Für W. Trilling, Das Wahre Israel, 1964, 131, ist Kapernaum der Schauplatz des Wirkens Jesu. Vgl. C. Kopp, Die Heiligen Stätten, 1964, 243-246; W. Grundmann, Lk, 2IO; R. Riesner, jesus, 353. V.c. Corbo, ABD I, 1992, 866-869; C. Kopp, Die Heiligen Stätten, 1964, 215230;}. Finegan, Archeolog)' of the NT, 1969, 50-56; V. Tzaferis, New Archaeological Evidence on Ancient Capernaum, BA 46 (I983), 198-204. Z. Yeivin, Ancient Chorazin, BArR q/5 (1987),22-36, hier 24. Vgl. Z. Yeivin, Art: Chorazin, NewNAEe, Vol. I, 301-304. Sehr oft bei Josephus, aber auch bei Plinius dem Älteren, Ptolemäus und später bei Eusebius und Hieronymus erwähnt: vgl. ].F. Strange, Beth-Saida, ABD I, 692. Für et-Tell sprechen allerdings die Ausgrabungen immer klarer. Vgl. H.W. Kuhn, et-Tell (Betsaida), 1994, 2.2-2.4; H.W. Kuhn - R. Amv, The Bethsaida Excavations, 1991, 77-106; B. Pixner erwägt die Möglichkeit, daß el-'Aradj ein Vorort von et-Tell gewesen ist in: Searching for the New Testament Site of Bethsaida, BA
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der Nähe von Kapernaum. So wären die beiden Orte für Jesus gut und relativ schnell von Kapernaum aus erreichbar gewesen99 . Es ist anzunehmen, daß die Wirksamkeit Jesu bis Chorazin reichte, auch wenn ein Bericht eines solchen Besuches in den Evv. nicht überliefert ist. Daß Jesus Bethsaida besucht hat, ist in Mk 8,22 und Lk 9,IO belegt loo . Aus missionsstrategischer Sicht bQt Kapernaum als Stützpunkt der galiläischen Mission Jesu wenigstens drei Vorteile: Erstens kann man aufgrund der neuesten Untersuchungen annehmen, daß Kapernaum z. Z. Jesu eine "Kleinstadt" mit einer relativ großen Einwohnerzahl und damit an sich eine beachtliche Zielgruppe Hir die Botschaft von der kommenden Herrschaft Gottes gewesen ist lOI • Kapernaum z. Z. Jesu wurde in der Forschung gewöhnlich aufgrund der Annahme einer relativ kleinen Einwohnerzahl als Dorf eingeordnet 102 • Allerdings haben sich die Einschätzungen seiner Ein-
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48 (1985), 207-216; ·ders., Wege des Messias und Stätten der Urkirche, 1994, 127-141, v.a. 391ff; ].F. Strange, Beth-Saida, ABD 1, 1992, 692f. Die Rekonstruktion des römischen Straßensystems von M. Avi-Yonah zeigt, wie sehr das Straßensystem in "Lower Galilee" für Handel und Reisen ausgebaut gewesen ist; ders., The Development of the Roman Road System in Palestine, IE] I (195O-sr), 54-60; ].A. Overman, Who were the First Urban Christians? 1988, 160f; D.R. Edwards, First Century Urban/Rural Relations in Lower Galilee, 1988, 169-182; ders., The Socio-Economic and Cultural Ethos of the Lower Galilee, 199 2, 53-73. Für eine Besprechung der drei Orte vgl. C. Kopp, Die Heiligen Stätten, 215-246; J. Finegan, The Archeology of the NT, 1969, 50-60; Z. Yeivin, Chorazin, BArR 13/5 (19 87), 22-66; Encyclopedia of Arch. Excavatiolls in the Holy Lands I, 299-303; D. Urman, The Golan. BAR International Se ries 269, 1985; S. Loffreda, Recovering Capharnaum, 1993, passim; ABD T, 1992, 692f.866ff.9IIf. Daß ]esus die ganze Stadt Kapernaum mit seiner Wort- und Tatverkündigung erreichen wollte und zumindest teilweise "Erfolg" hatte, wird von Mk angedeutet in 1,33: "Die ganze Stadt" wartet vor der Haustür; V. 37: "alle suchen ihn"; Mk 2,2 "so viele" versammeln sich, daß es "nicht einmal Platz vor der Tür" gibt; Mk I,16ff.I9f: Neben Simon und Andreas sind Jakobus und Johannes nicht nur Erstberufene, sondern stammen auch aus Kapernaum. Diese "Kapernaum-Gruppe" bildet innerhalb des Zwölferkreises bei Mk einen starken "Führungsblock", der sich bis zum Ende hin durchhält (Mk 1,16ff; 3,13-19; 5,37ff; 9,2ff; r3,3ff; I4,32f). Das heißt: Jesus erreichte nicht nur Kapernaum mit seiner Botschaft, er gewann dort auch Mitarbeiter für seine weitere missionarische Arbeit in Kapernaum und ganz Galiläa. Vgl. W. Bösen, Galiläa als Lebensraum, 9 rf. Auf ihrem Höhepunkt in byzantinischer Zeit soll die Einwohnerzahl Kapernaums auf 1500 gestiegen sein können; S. Loffreda, Recovering Caphernaurn, 1993, 18. Er und andere gehen davon aus, daß es z.Z. Jesu wahrscheinlich nicht mehr als
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wohnerzahl in den letzten 15 Jahren stark verändert, auch wenn eine relativ sichere Einschätzung für die Zeit Jesu noch nicht möglich ist. E. Meyers und ].F. Strange schätzen die Einwohnerzahl Kapernaums zwischen 12-15000 mit der Begründung, daß das Gesamtgebiet der Stadtruinen ihrer Meinung nach in den See hineinreicht und deswegen viel größer sei als ursprünglich angenommen (anstatt raa 000 qm etwa 300000 qm)103. Allerdings lag der Seespiegel zu neutestamentlicher Zeit nur ca. 3 m tiefer als heute und so ist zu fragen, ob Meyers und Strange mit ihrer Einschätzung der Bevölkerungszahl Kapernaums zu hoch liegen. Jedenfalls ist Kapernaum für sie weder ein Dorf wie Nazareth noch eine Stadt wie Jerusalem, sondern etwas dazwischen: eine Kleinstadt ("town")104. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis wichtig, daß die Begriffe Dorf, Kleinstadt und Stadt mit Zweideutigkeit belastet sind, sowohl in der heutigen Diskussion über diese Zeit als auch in der literatur des 1. Jh. 105 M. Goodman weist zu Recht darauf hin, daß eine
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1000 waren. Vgl. Loffreda, A Visit to Capernaum, 1972, 20; J. Laughlin, Capernaum, BArR 19, 57. Archaeology, 198I, 58. H.C. Kee kann sogar behaupten, daß wir mit ein~r Einwohnerzahl von 25000 für Kapernaum rechnen müssen. Vgl. ders., The Import of Archaeological Investigations in Galilee, 1.989, zitiert bei J.L. Reed, The Population of Capernaum, 1992, 1-19, v.a. 3.11.15 (ihm folgend R.A. Horsley, Galilee, 1995, 194), der allerdings nach seiner Untersuchung zum Ergebnis von noo Einwohnern und damit wieder auf die frühere konservative Einschätzung von S. Loffreda zurückkommt. Reed bestreitet v.a. die Einschätzung der Gesamtfläche Kapernaums im 1. Jh. von Strange und Meyer (750 x 375 m) und hält 350 x 500 m für das Maximum. Außerdem geht er von einer Einwohnerdichte von IS0 pro Hektar aus, die er durch den Vergleich mit Pompeii und Ostia erarbeitet und die für seine These grundlegend ist, was ebenfalls eine gewisse Schwäche in seiner Argumentation bildet. Denn es ist fraglich, ob der Vergleich zweier italienischer Städte mit dem galiläischen Kapernaum, zweier sehr unterschiedlicher Gebiete, wirklich weiterführt. Hier wird die Notwendigkeit einer lokalgeschichtlichen Vorgehensweise übersehen. Meyers und Strange, ebd., 48- 6I. Deswegen führt uns der Nachweis von J.L. Reed, Population of Capernaum, 1619, daß Kapernaum nach antiker Definition keine "Stadt" bzw. Polis darstellte, nicht weiter. Sowohl bei Josephus als auch bei den Evangelisten kann z.B. "Dorf" ein breites Bedeutungsfeld einschließen. In dieser Hinsicht waren sich die talmudischen Quellen der Vielfalt der verschiedenen Arten von Ortschaften terminologisch besser bewußt. Sie unterschieden sich in vierfacher Weise: kefar (kernförmige ländliche Siedlung); 'ir (Stadt); 'ayarah (Dorf) und giriah (Dorf in Relation zu einem größeren städtischen Zentrum). Vgl. M. Goodman, State and Society in Roman Galilee, 1983, 27-31. Eine ausführliche Besprechung dieser Fragen sprengt den Rahmen dieser Arbeit. Vgl. dafür P. Garnsey und R. Salier, The Ro-
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rigide Klassifikation eher zur Verdunkelung der Sachverhalte führt 106 • A. Alt zeigt auf, daß in der Klassifizierungsfrage die Bestimmung der Vorrichtungen und Institutionen einer Ortschaft wichtiger als die Einwohnerzahl ist. Antworten auf die Fragen wie: Gibt es eine Mauer, eine Burg, ein Gericht, eine Zollstation, einen Marktplatz usw. geben Auskunft über die Einordnung einer Ortschaft als Stadt oder Dorf. Die Einwohnerzahl ist nicht irrelevant, die Größe allein aber nicht das Entscheidende 107 • Kapernaum war schon zur Zeit Jesu aller Wahrscheinlichkeit nach ein wirtschaftlich bJühender 108 und auch politisch und militärisch wichtiger galiläischer Grenz- und Garnisonsort109 • Nach den Evangelien hatte es eine kleine Kaserne (vgl. den nichtjüdischen Zenturion Mt 8,S/Lk 7,If)l10, eine Synagoge (Lk 7,5) und auch eine Zollstation (Mk 2,I3-I5; Mt 9,9). Die Ruinen von tell-Hum umfassen ein größeres Gebiet, in dem eine beeindruckende Synagoge aus dem 2h. Jh. oder aus dem 4./5. Jh. und auf dem griechisch-orthodoxen Gelände östlich vom Petrushaus auch ein römisches Badehaus aus dem 2. oder 3. Jh. ausgegraben wurden. IvlögIicherweise liegen unter dieser Synagoge eine ältere (Haus?)Synagoge und unter dem römischen Badehaus ein älteres Badehaus, die in das I. Jh. zu datieren sind ll1 . Die Bausubstanzen, die für die Strukturen aus dem I. Jh.
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man Empire, 1987, 20-40; G.M. Harper, Village Administration in the Roman Province of Syria, YCS 1 (.1928), 1°5-168; E.M. Meyers und ].F. Strange, Archaeology, 198 I, 48-61; A. Byatt, Josephus and Population Numbers, PEQ (1973),51-60; A. Alt, Galiläische Probleme, 1953,363-343; M. Finley, The Ancient Economy, 1973, 123-149. State and Society, 1983, 28. Ebd., 384ff; vgl. auch ebd., 124. LaughJin, BArR 19, (1993), 55; S. Loffreda, Recoveripg Capernaum, 18f.68f; J.A. Overman, First Urban Christians, 162. Landwirtschaft, Fischen und Handel waren wohl die Haupteinnahmequellen. Vgl. W. Wuellner, The Meaning of "Fishers of Men", Philadelphia, I967, 61f. Nach WeuJlner war das Fischen um den See Genezal'eth herum "big business". Vgl. in diesem Zusammenhang den Hinweis, daß die Söhne des Zebedäus mit ihrem Fischgeschäft ausreichend verdienten, um sich Tagelöhner leisten zu können (Mk 1,20). Kapernaum wird im Jahr 4 v.Chr. zum Grenzort zwischen dem von Herodes Amipas regierten Galiläa und den von Philippus verwalteten Gebieten östlich des Jordan; W. Bösen, Galiläa als Lebensraum, 1985, 76. Vgl. auch C. Kopp, Die Heiligen Stätten, 1964, 215; M. Avi-Yonah, The Holy Land from the Persiall to the Arab Conquests, 1966, 138. H. Schürmann, Lk I, 390ff. S. Loffreda, Ceramica Ellenistico-Romana und V.c. Corbo, Resti della Sinagoga in: Studia Hierosolymitana III (1982),273-357. J. Strange und H. Shanks, Syn-
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unter der Synagoge und unter der gegenüberliegenden Basilika gebraucht wurden, zeigen, daß die Stadt über größere finanzielle Mittel verfügte als allgemein angenommen 112 . Kapernaum zeigt auch eine Stadtplanung, die Wohngebiete in Wohnblöcke 40 x 40m mit 3-4 Häusern pro Block aufteilte. Es gibt auch Hinweise für einen Marktplatz l13 • Archäologische Untersuchungen machen auch deutlich, daß Kapernaum über einen verhältnismäßig großen Hafen am See Genezareth verfügte l1 4, der die Bedeutung Kapernaums für den von den Römern u.a. mit hohen Zöllen belegten Fischfang unterstreicht 115 • All dies deutet darauf hin, daß Kapernaum z. Z. Jesu kein typisches kleines galiläisches Dörfchen, sondern eher eine relativ wichtige, zentral gelegene (s. u.) Kleinstadt gewesen ist. Zweitens lag Kapernaum an einer bedeutenden Handelsstraße zwischen Damaskus und Caesarea am Meer, mit Verbindungen nach Tiberias und Ptolemais 116 und damit verkehrsmäßig zentral und
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agogue, BArR 9,6 (I983), 24-31; dies., Has the House where Jesus Stayed in Capernaum Been Found?, BArR 7,6 (1982.), 26-37, v.a. 29f. J. Laughlin, Capernaum, BArR (1993), 61; "The archaeological evidence, while not conclusive, points to the existence of a '" synagogue and a Roman bathhouse, all in operation in the first century." ].F. Strange, The Capernaum and Herodium Publications, BASOR 226 (T977), 65-73· J.L. Reed, The Population of Capernaum, 17. V. Tzaferis, New Archaeological Evidence on Ancient Capernaum, BA 46 (1983), I98-204.201; Mendel Nun, Sea of Galilee, Ein Gev 1992,4°-42. Zu seiner Blütezeit dehnte sich Kapernaum 700 m an der Küstenlinie aus, und der Hafen ist mit 800 m noch länger. Lange Teile der 2,5 m breiten Promenade, die auf der Seeseite durch eine Mauer begrenzt wurde, sind noch erhalten. Der Hafen ist auch mit mehreren Wellenbrechern (Hafendämme, Piere?) mit 30 m Länge und 1,5 bis 4 m Breite ausgestattet; sie erstreckten sich bis zu einer Tiefe von 2II,25 m in den See. Mehr als I3 Wellenbrecher sind heute noch erkennbar. Die genaue zeitliche Einordnung bleibt noch im unklaren, aber man rechnet mit einem regen Hafenverkehr auch schon z. Z. Jesu. Zur Frage der Versteuerung des Fischfanges in Galiläa vgl. W.H. Wuellner, The Meaning of "Fishers of Men", 43f.62. Im Hafen von Kapernaum sind wohl alle Einfuhren in das Gebiet des Herodes Antipas, die per Schiff über den See kamen, verzollt worden. Levi könnte also auch ein "Hafenzöllner" und seine Zollstation nicht an der Handelsstraße, sondern im Hafen gewesen sein. B. Reicke, Nd. Zeitgeschichte, 1968, 87; B. Pixner, Wege Jesu, HIL II9h-3 (1987),3-9. Ein römischer Meilenstein von Hadrian (117-138 n.Ch!".) impliziert, daß im 2. .Ih. eine römische Straße an Kapernaum vorbeizog, die sehr wahrscheinlich einer schon existierenden Route folgte. S. Loffreda, A Visit to Capharnaum, 1978, 23f; ders., Recovering Capharnaum, r8ff.68. Vgl. auch V. Schwöbe!, Die Verkehrswege und Ansiedlungen Galiläas ... , ZDPV 27 (1904), I -
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wirtschaftsmäßig günstig l17 , was auch eine Ausbreitung der Botschaft Jesu begünstigen konnte. Neuere Untersuchungen weisen auf die Notwendigkeit hin, das übliche Bild von Galiläa als ländlich, eher rückständig und von der Stadtkultur und Stadtwirtschaft weitgehend isoliert1l8 zu revidieren 1l9 . Wenn überhaupt, dann paßt das alte Bild eher auf Obergaliläa, aber nicht auf Untergaliläa 120. Das ganze untergaliläische Gebiet 151; M. Avi-Yonah, Roman Road System in Palestine, IE] I (1950-51), 54-60. Mit Schwäbel geht W. Bösen, Galiläa als Lebensraum, 1985, 76.89, davon aus, daß Kapernaum an einer stark frequentierten Nebenstraße der Via Maris lag. Es bleibt aber die günstige Lage. 117 Schon E.F.F. Bishop, ]esus and Capernaum, 1953,431, bemerkte: "Capernaum becarne the first busy centre of the Christian evangeI, as it had been, and still was, the centre oE marketable produce." E. Meyer, F. Strange, Archaeology, 198.[, 59. JA. Overrnan, Who were the First Urban Christians?, 1988, r61. (Er beschreibt Kapernaum als "the Gateway to Gaulanitis"). 118 Vgl. z.B. M. Hengel, Zwischen ]esus und Paulus, ZTK 72 (1975), 1p-206, v.a. 200. 119
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"The isolation of the Lower Galilee in view of the Roman road system and trading patterns is simply a datum rhat cannot be sustained." E.M. Meyers, Galilean Regionalism: a Reapraisal, 1985, IIS-13 I; E.M. Meyers, j.F. Strange, D.E. Groh, The Meiron Excavation Project, 1976, BASOR 230 (1978), 1-24- E. Meyers und]. Strange, Archaeology, 1981, 31-47; E. Meyers, Galilean Regionalism, BASOR 221 (1976),93-102; ders., The Cultural Setting of Galilee, ANRW 1I 19.1, 689-702; ihnen folgen ].A. Overman, Who were the First Urban Christians?, 1988, 160-168 und D.R. Edwards, First Century Urban/Rural Relations in Lower Galilee, 1988, 169-182. Edwards sieht dieses Ergebnis nach weiterer Untersuchung bestätigt in: The Socio-Economic and Cultural Ethos of the Lower Galilee in the First Cenrnry, 1992, 53-73. Vorsichtiger und differenziert R.A. Horsley, Galilee, 1995, 158-185.193, Anm. 10. Für eine geographische Beschreibung der Grenzen Galiläas vgl. S. Freyne, Galilee: From Alexander ... , 1980, 9-15. Neueste Erkenntnisse lassen es ratsam erscheinen, das Gebiet Galiläa nicht nur geographisch, wie schon ]osephus (Antiq. 5,63.86.92; 8,142; Wars 2,589), sondern auch kulturell, sozial und wirtschaftlich in zwei Teile, Unter- und Obergaliläa zu unterteilen (vgl. v.a. E. Meyers, Galilean Regionalism, BASOR 221 (1976), 93-r02; ders., The Cultural Setting of Galilee, ANRW II 19.1, 689-702). Obergaliläa ist topographisch eingeschlossen mit kleinen Gruppen von Dörfern. Auch wenn noch keine sicheren Aussagen gemacht werden können, zeigen archäologische Untersuchungen in folgende Richtung: In Obergaliläa war Aramäisch die vorherrschende Sprache im Unterschied zu dem eindeutig zweisprachigen Untergaliläa. Das Handelsnetz in Obergaliläa hatte regional eine wirtschaftliche Ausrichtung nach Osten und Westen, nach Tyrus, Sidon und Galan, eventuell nach Damaskus und nach Ptolemais, war aber doch eingeschränkter als in Untergaliläa (vgl. numismatische und keramische Evidenz von E.M. Meyers, ].F. Strange, D.E. Groh, The Meiran Excavation Project, 1976, BASOR 230 (1978), 1-24; E. Meyers und c.L. Meyers, Finders oE the Lost Ark
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(ca. 24 x 40 km) war mit einer ungewöhnlich hohen Zahl von Städten wie Sepphoris, Tiberias und Magdala, mit seinen Kleinstädten wie Kapernaum und mit den vielen Dörfern wie Nazareth, alles auf engem Raum, relativ dicht besiedeltl21 • Untergaliläa war auch mit gut ausgebauten Handelsstraßen ausgestattet122 , mit einer zentralen Lage, die einen regen Handel mit dem Mittelmeerraum, der Umgebung des galiläischen Sees und der Dekapolis ermäglichte. 123 Aber
ßArR 7 (1981),24-40; gut zusammengefaßt in: E. Meyers, Galilean Regionalism, 1985, II5-1}1). Anders: S. Freyne, Galilee, Jesus, and ehe Gospels, 1988, 1}6175)' 111
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Vgl. Jos Life 45,123.235; War ur 3.2,41-44; 3.5,50: Hier erzählt uns Josephus, daB zu seiner Zeit Galiläa mit 204 Dörfern und Städten dicht besiedelt war, wobei Sepphoris, Tiberias und Gabaroth als die drei größten Städte bezeichnet werden. Es gibt aber Hinweise dafür, daß Josephus mit diesen Zahlen übertrieben hat. Für eine Diskussion der Stellen und ihrer Glaubwürdigkeit vgl. A. Byatt, .10sephus and Population Numbers, PEQ 1r973), sr-60; R.A. Horsley, Galilee, 1995, 190ff. Vgl. auch M. Broshi, The Role of the Temple, Journal oE Jewish Studies 38.1 (1987), 31-37; ders., The Population oE Western Palestine, BASOR 236 (1979),1-10; v.a. 3.7, der mit einem neuen MeßverEahren die Einwohnerzahl Palästinas untersucht und wahrscheinlich macht, daß Palästina eine der am dichtesten besiedelten Provinzen im ganzen Römischen Reich war und eine Einwohnerzahl (im L Jh.) von nicht weniger als eine Million hatte, was ihrer byzantinischen Blütezeit entsprach. Die spekulativen Einschätzungen .hinsichtlich der Einwollnerzahl Palästinas im 1. Jh. liegen allerdings zwischen 500000 und 5000000, und es besteht bis heute kein Konsens, auch wenn tendenziell eher eine höhere Zahl angenommen wird. Vgl. A. Byatt, aaO., 52. Vgl. auch E.M. Meyers, J.F. Strange, D.E. Groh, The Meiron Excavation Project, 1976, BASOR 230 (1978),1-24, v.a. 18, die archäologische Hinweise für eine beachtliche Steigerung der Einwohnerzahl während der frühen römischen Zeit in Unter- und Obergaliläa konstatieren. W. Bösen, Galiläa als Lebensraum, 58, schätzt, nach Abwägung der wichtigsten Untersuchungen, die Einwohnerzahl Galiläas z. Z. Jesu auf zwischen 200 000 und 300 000. Vgl. M. Avi-Yonah, The Development of the Roman Road System in Palestine, IEJ I (1950-sr), 54-60. Untergaliläa war also viel stärker "urbanisiert" und wirtschaftlich vernetzt als Obergaliläa. Dies soll das ländliche dörfliche Ethos und den ländlichen Charakter Galiläas in den Gebieten außerhaJb der Städte nicht in Abrede stellen (vgl. dazu R.A. Horsley, Galilee, I995, 7f.IS8-r85, der den Begriff "urbanisiert" zu Recht als unzulänglich bezeichnet; vgl. auch S. Freyne, Urban and Rural Relations, 1992, 75-9I, v.a. 76, für die Differenzierung einer primären und sekundären Urbanisierung). Es soll bloß gesagt werden, daß ein reger wirtschaftlicher und wohl auch kultureller Austausch zwischen Stadt und Land durch eine gut entwickelte Infrastuktur nicht nur möglich war, sondern auch tatsächlich stattgefunden hat. Inwiefern dies geschah und welche weiterreichende Folgen es im Prozeß der Urbanisierung und Hellenisierung mit sich brachte, ist in der Forschung umstritten.
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auch Obergaliläa ist nicht isoliert gewesen, sondern auch relativ gut versorgt mit Handelsstraßen und -verbindungen nach Osten und Westen und mit einem "network of villages"124. Man muß sich vorstellen, wie klein Galiläa einerseits und wie gut entwickelt die Verkehrs-Infrastruktur andererseits war 125 • Nlit den guten Straßen in einem Gebiet, in dem die größte Distanz ca. 40 km nicht übersteigt, ist man nie weiter als eine Tagesreise zu Fuß von irgend einem Ort in ganz Galiläa entfernt.
Vgl. z.B. die Auseinandersetzung zwischen S. Freyne und E. Meyers, Reappraisal, IIS-13I.
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Auch wenn Dörfer ein fester Bestandteil Galiläas gewesen sind, scheinen sie doch in Gebieten um eine Stadt oder zumindest in Verbindung mit einer Stadt verstärkt aufzutreten und nicht im parasitischen oder gar antagonistischen, sondern im reziproken Verhältnis zu dieser Stadt zu stehen. VgJ. die Erkenntnisse von R. MacMullen, Market-Days in the Roman Empire, Phoenix 24-4 (1970), 333-341, v.a. 333 und I.W.]. Hopkins, The City Region in Roman Palestine, PEQ Il2 (1980),19-32. So auch M. Finley, The Ancient Economy, I973,'127. Das kleine Dorf von Kefer Hannaniah liefert materielle Evidenz für di~se Art reziproker wirtschaftlicher Beziehung. Dieses Dorf, in den späteren jüdischen Quellen für seine Keramik bekannt, hat nach den neuesten archäologischen Untersuchungen seine Töpfe in ganz UntergaJiläa bis in den Golan verteilt. Vgl. die Beiträge des Ausgräbers: D. Adan-Bayewitz, Manufacture and Local Trade in the Galilee, 1985; ders., Kefer Hannanya, IEJ 37.2/3 (1987), 178f; vgl. ders. und I. Perlman, Local Pottery Provenience Studies, Archaeometry 27.2 (1985), 203-217. Vgl. D.R. Edwards, First Century Urban/Rural Relations, 173, Anm. 22 für eine Auflismng der Beiträge von E.M. Meyers, ].F. Strange und D.E. Groh, die diese archäologischen Funde belegen. Meyers und Strange, Archaeology, I981, 46. Vgl. auch E. Meyers, Galilean Regionalism, 123f für eine Beschreibung dieses wirtschaftlichen Zusammenhangs an Hand des Beispiels von Tyrus und der oberen gaJiläischen Dörfer/Städte. "The Upper Galilean villages and towns we have excavated, therefore, show both the dominance and importance of Tyre in the economy and trading patterns of northern Palestine but also reveal an Upper Galilee thar is involved with many more centers of trade, east and west". Für das dörfliche Leben Galiläas allgemein vgl. R.A. Horsley, Galilee, I995, r89-201. Für den aktuellen Stand der archäologischen Untersuchungen der Dörfer Galiläas vgl. M. Aviam, Survey of Sites in the Galilee, I995. W. Bösen, Galiläa als Lebensraum, 28Ef, kommt nach einer geographischen Abgrenzung auf 1600 qkrn für Galiläa. Damit wäre das kleine Saarland noch um I 000 qkm größer, und Hamburg müßte seine Fläche nur verdoppeln, um etwa gleich groß zu sein. Galiläa ist der Größe nach mit dem Städtedreieck Frankfurt/Offenbach - Wiesbaden - Darmstadt zu vergleichen. Auch wenn die Rechnungen Bösens nicht als unfehlbar gelten können, sind sie hilfreich, um sich ein besseres Bild von der Situation machen zu können.
Hausgemeinde und Mission
Drittens lag Kapernaum etwas abseits von den großen Zentren Sepphoris und Tiberias und weit genug von Jerusalem entfernt, so daß Jesus von dort aus zunächst ohne direkte Konfrontation mit den politischen und religiösen Führungskräften in diesen größeren Städten seine Botschaft von der Herrschaft Gottes verbreiten konnte 126 • Wie es aber dazu kam, daß Jesus in diesem Haus in Kapernaum seinen Wohnsitz genommen hatte, wird nicht berichtet. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, daß einige seiner engsten Anhänger, Petms und Andreas, aus Bethsaida stammten und in Kapernaum u.a. im "Petrushaus" wohnten 127 • Wir können auch annehmen, daß Petrus (oder sein Schwiegervater/seine Schwiegermutter?) Eigentümer dieses Hauses gewesen ist128 • Das würde hei-
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S. Freyne, Galilee, Jesus and the Gospels, 1988, 140: "Jesus' avoidance of the main Herodian centres of Galilee is best explained, therefore, in the light of a conscious decision not to become directly embroiled in a confrontation with Herodian power. The fate of the Baptist must have been a salutory warning (see Mt 14,13)." J.A. Overman, Who were the First Urban Christians?, 167f., nimmt auch an, daß die fehlenden Hinweise auf Sepphoris lind Tiberias in den Evv so zu erklären wären, daß" ... their absence appears as less of an oversight and more of astrategy". Demnach hätte Jesus absichtlich diese Städte gemieden, um der Konfrontation mit den dort lebenden und wirkenden Machthabern aus dem Weg zu gehen. Auch wenn Vertreter dieser Machthaber in Kapernaum vorhanden waren, hätten sie die Autorität de jure nicht innegehabt, die Aktivitäten Jesu gleich zu behindern und erst recht nicht, ihn und seine Anhänger sofort zu bestrafen. "Power and punishment could not have been exercised as quickly and as decisively in Cana or Capernaum as they could have been in Sepphocis or Tiberias" (r67f). Vgl. auch C. Kopp, Die Heiligen Stätten, 214. Anders W. Bösen, Galiläa als Lebensraum, 1985, 69-75; vgl. aber 89: "Als Grenzort erlaubt es (Kapernaum) einen raschen Ortswechsel aus dem Einfluß- und Machtbereich des Antipas. " Für eine allgemeine Besprechung der politischen und religiösen Verhältnisse in diesen beiden Städten im 1. Jh. vgl. S. Freyne, Galilee from Alexander ... , 1980, 122134·
Mk 1,29. Nach Joh 1,44 sollen Petrus und Andreas aus Bethsaida gestammt haben. Vgl. dazu F.H. Borseh, Jesus, the Wandering Preacher?, 1975, 58 für mögliche Erklärungen. Es wird des öfteren gefolgert, Petrus sei nach seiner Heirat von Bethsaida nach Kapernaum übergesiedelt. Uns geht es hier nicht um den Abstammungsort, sondern nur darum, daß Perrus und Andreas in Kapernaum zu dieser Zeit in diesem Haus gewohnt haben. 128 E. Ravarotro, La "Casa" del Vangelo di Marco ... , Anton. 42 (1967),419, weist darauf hin, daß Petrus als Hauseigentümer und Fischgeschäftsmann eine sichere und starke wirtschaftliche Position in Kapernaum genoß. "All dies zeigt uns einen Aspekt der Biographie des Petrus, der im Allgemeinen nicht bekannt ist oder untecbetont wird: seine sehr sichere feste wirtschaftliche Position. Diese erlaubte es 127
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ßen, indem Jesus Petms als Nachfolger gewann, gewann er einen Hausvater und damit auch einen ganzen Oikos, der ihn in seiner missionarischen Tätigkeit unterstützt hat, unter anderem dadurch, daß Jesus in diesem Oikos zu Kapernaum Wohnsitz nehmen und ihn zum Stützpunkt seiner Mission machen konnte. Jesus war also nicht nur als Wanderprediger tätig, sondern hat auch zeitweilig als Ortsansässiger (quasi als Freund und Gast der Familie des Petrus) gelebt129 • Daraus ist zu folgern: Eine Existenz mit einem Haus an einem Ort als Wohnsitz und ein Wirken als Wanderprediger müssen sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern können sich ergänzen. Das Haus hätte dann die Funktion eines Stützpunktes für die Wandermission, von dem aus Jesus immer wieder missionarische Reisen gemacht hat und zu dem er dann wieder zurückgekehrt ist. Von daher kann man fragen, ob nicht schon vor Ostern zumindest zwischen den ortsgebundenen Familien des Petrus lInd des Andreas in dem Haus zu Kapernaum und dem Wanderprediger Jesus ein sich ergänzendes Verhältnis herrschte: Jesus wäre so gesehen der heilende, lehrende "Leiter" einer Anhängerschaft in diesem Haus J3 O, dieses eine soziale und materielle Basis für den missionarischen Dienst Jesu 131 • ihm, nicht nur seinem Meister, sondern anch einigen, wenn auch nicht allen Jüngern fortdauernde Gastfreundschaft zu gewähren" (meine Übersetzung). 129 Hier könnre man fragen, ob Jesus im soziologischen Sinne (nicht nur im theologischen Sinne) Mitglied dieser Familie gewesen ist, nicht als leiblicher Sohn, sondern als CPtAOC; oder amicus (oder als Hauslehrer), d.h. als Glied des erweiterten Oikos. 130 Vielleicht ist D.L. Dungall, The Sayings of Jesus, 1971,57, auf dem richtigen Weg mit seiner Frage, ob nicht schon vor Oster~ "some sort of already·formed com· munity with Jesus at its head" existierte. Ein Teil der Anhänger Jesu ist soziologisch und wohl zeitweise auch architektonisch gesehen in dem Hatls gewesen vgl. Mk 1,29: zwei seiner nächsten Anhänger: Petrus und Andreas. Es ist auch zu fragen, ob nicht die Schwiegermutter evenruell schon vor, aber erst recht nach ihrer Heilung eine Anhängerin Jesu wurde. Und wie ist es mit der Frau des Petrus gewesen, wenn sie ihn auf seinen Missionsreisen später begleitet hat (rKor 9,5)? Falls ·sie dieselbe Frau ist, die in 1Kor 9,5 erwähnt wird, deutet dies darauf hin, daß sie auch irgendwann Anhängerin geworden ist. Es wäre auch hier zu fragen, ob nicht nach antiker (jüdischer) Sitte das ganze Haus zusammen diesen Wechsel vollzogen hätte. 131 Soziale Basis insofern: als Quelle der Mitarbeiter (Petrus, Andreas); "Network" der Beziehungen für evangelistische Kontakte: Großfamilie (z.B. Schwiegermutter, Frau des Petrus) einschließlich Freunde der Familie. Materielle Basis insofern: Bereitstellung eines Hauses zum Treffen, zur Predigt und Heilung; ErmögJichung der missionarischen Reisen. Nach E. Haenchen, Der Weg Jesu, 1968, 109, war Jesus
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Hausgemeinde und Mission
4. Galiläische Dorfmission Wie WIr gesehen haben, hat Jesus zumindest im "evangelischen Dreieck" (Kapernaum, Chorazin, Bethsaida) eine missionarische Tätigkeit ausgeübt 132 • Was spricht aber dagegen, daß Jesus auch in anderen Dörfern außerhalb des Dreiecks während seiner galiläischen Wandermission gepredigt hat und in Häusern gastfreundlich aufgenommen wurde 133 ? Es wurde schon gezeigt: Die zentrale und wichtige Lage Kapernaums, die gut ausgebauten Straßen und Handelsbeziehungen, die zu einer ausgeprägten wirtschaftlichen Vernetzung Untergaliläas führten, erleichterten eine solche Tätigkeit. Ein Jesus-Wort spricht von seiner Wanderpredigt von Kapernaum aus in die umliegenden Dörfer und Städte 134 • Nach Mk 6,6 wanderte Jesus auch von Nazareth aus in die benachbarten Dörfer und lehrte. Es ist möglich, daß Jesus in einem oder mehreren Dörfern einige Zeit als Gast eines Hauses geblieben ist. Mk berichtet ebenfalls, daß Jesus und seine Jünger die Gegend der GerasenerlDekapolis 135, das Gebiet von
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"offensichtlich auf die GastfreundschaÜlichkeit von solchen angewiesen, die ein Haus, Einkommen und Arbeit hatten". Hier ist noch einmal darauf hinzuweisen, daß Jesus nicht nur in die Dörfer gezogen ist (vgl. Mk 1,38), sondern daß auch die Menschen von dort zu ihm an den See geströmt sind (vgl. Amn. 14 für Belege). Damit soll nicht gesagt werden, daß Jesus nie im Freien übernachtet hat: vgl. V.a. Mt 8,20/Lk 9,57b-60. Diese Belege scheinen dagegen zu sprechen, daß Jesus überhaupt in einem Haus übernachtet hat. Sie müssen aber nicht als wörtliche Beschreibung der eigentlichen Situation Jesu, sondern können als allgemeiner Hin· weis auf seine relative Armut verstanden werden (vgl. F.H. Barsch, Jesus, the Wandering Preacher?, 51). Dies würde bedeuten, daß Jesus eben kein Hausbesitzer gewesen ist, muß "ber nicht heißen, daß er nicht gelegentlich in einem Haus übernachtet oder dessen Gastfreundschaft über mehrere Tage/Wochen/Monate hinweg genossen hat. Mk I,3 8 f. Wie schon gezeigt, findet sich dieses Jesus-Wort höchstwahrscheinlich innerhalb eines auf Petrus zurückgehenden markinischen Überlieferungszusammenhangs. Dazu K.L. Schmidt, Rahmen, 1919,49-59; J. Jeremias, Theol., 1973, 95. Vgl. auch das Jesus-Wort in einer nicht von Mk 1,38 abhängigen Form bei Lk 4,43 und dazu H. Schürmanll, Lk 1,256. Mk 5,1; Mk 7,31; vgl. Mt 8,28 par. Vgl. M. Hengel, Studies in Mk, 1985, 46'148, Anm. SI, der zu dem Schluß kommt, daß das primäre Anliegen des Mk ein theologisches gewesen ist, wobei Jesus als Urheber der Mission zu den Heiden dargestellt wird, dal~ aber die Reise im Prinzip auf keinen Fall unmöglich gewesen ist. Diese Sicht teilt er mit F. Lang, Über Sidon mitten ins Gebiet der Dekapolis, ZDPV (1978), 145-159.
Die vorösterliche Vel"wendung von Häusern
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Tyrus und Sidon 136 , Genezareth l37 oder die Dorfer bei Cäsarea Philippi 138 besucht haben. Hier haben wir zwar nicht immer einen Hinweis auf Häuser, die Jesus aufnahmen. Aber mit dieser geographischen Breite vermittelt Mk den Eindruck, daß die ganze Region Galiläas und darüber hinaus von der missionarischen Wirkung Jesu erreicht wird, und zwar von Dorf zu Dorf (d.h. wohl auch von Haus zu Haus)139. Wenn diese Sicht der Dinge zutreffend ist, könnte man hier sogar von einer galiläischen "Dorfmission" Jesu (bzw. Hausmission von Dorf zu Dorf) sprechen, in der Häuser und ortsgebundene Anhänger Jesu eine ähnliche Rolle wie in Kapernaum spielten 140. Alle drei Synoptiker berichten übereinstimmend, daß Jesus über die Jünger hinaus einen erweiterten Kreis von Anhängern besaB 141 • Unter ihnen
136 Mk 7,24; vgl. auch Mk 3,8. In Mk 7,24 heißt es sogar, daß er in ein Haus ging.
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Natürlich wird dies, und die Tyrus-Reise überhaupt, oft als mk Redaktion eingestuft (vgl. K. Kertelge, Die Wunder im Markusevangelium, 1970, .151; L. Schenke, Die Wundererzählungen des Markusevangelium, 1974, 254f und manche Kommentatoren: Vgl. z.B. Gnilka, Mk, 290, der v.a. die Tyrus-Reise als markinisch einordnet). Flir Peseh, Mk, 387, ist der Hinweis auf ein Haus "keine redaktionelle Bildung des Evangelisten, sondern notwendiger Bestandteil der ursprünglichen Erzählung: Jeslls kommt ja nicht gerade zur Verkündigung oder zum \Vllnderwirken in die heidnische Gegend (V. 27)' Daß er im Verborgenen aufgespürt, gebeten und durch das glaubende Wort überwunden wird, ist wesentliche Pointe der Erzählung. " Mk 6,53. Mk 8,27 par. Hier fällt wieder der Bericht auf, daß Jesus "Dörfer" besucht hat. Es heißt auch Dörfer um Caesarea Philippi herum. Dies beschreibt historisch zutreffend die Beziehung zwischen Dörfern eines bestimmten Gebietes und der Stadt, zu der sie gehörten. Vgl. S. Freyne, Galilee, ]esus and the Gospels, I988, 4°·
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Hier kann man wieder fragen, ob dies auf mk Redaktion zurückzuführen sei. Es ist aber denkbar, daß der irdische Jesus und seine Jünger wirklich eine so breite Wirkung hatten (ohne behaupten zu wollen, daß sie in jedes Dorf GaliJäas gekommen sind), v.a. wenn man davon ausgeht, daß mehr als nur die Zwölf mit ihm gewandert sind. Vgl. außerdem Lk 9,6, wo die Jünger analog zu Jesus auch von Dorf zu Dorf ausgesandt werden. Vgl. auch Lk lO,r (70 oder 72 Ausgesandte). Außerdem gehören die meisten dieser Angaben den Rahmenstücken an lind wären mit Stanton deswegen in ihrem historischen Informationswert positiv zu beurteilen. Vgl. z.B.: Mk 6,r.6'S6; 8,27; 9,30. P.S. Minear, Audience Critisism and Markan Ecclesiology, I972, 78-89; ders., Jesus' Audience according to Luke, NT r6 (I974), 8r-I09; ders., The Disciples and the Crowd in the Gospel of Matthew, AThR Suppl.Ser. 3 (r974), 28-44.
Hattsgemeinde und Mission
waren auch ortsgebundene Anhänger 142 • Es gab nicht nur in Galiläa l43 , sondern auch in Judäa 144 und in der Dekapolis 145 solche ortsfesten Anhänger und Sympathisanten Jesu 146 • Die Namen einiger solcher Anhänger, bei denen Jesus gastliche Aufnahme fand, sind überliefert: Nlaria und Martha, sowie Lazarus 147; auch Simon, der Aussätzige 148 , die alle in Bethanien am Ölberg ansässig waren l49 . Hier kann sogar gefragt werden, ob das Haus der Martha mit ihrer Schwester Nlaria und ihrem Bruder Lazarus in Bethanien das Pendant zu dem Haus des Petrus in Kapernaum bildet, auch wenn es den Belegen nach nicht die Prominenz wie das in Kapernaum genoß 150 • Wie Kapernaum hatte Bethanien eine für Jesus und seine
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wird durch folgende Beobachmng unterstüt"Lt: Angeregt von G. Theißen fragt R. Riesner, Jesus, 488f, oh die Echtheit einiger Logien neu überprüft werden müßte. Eine ganze Reihe von Jesusworten, die sonst z.T. kritisch verdächtigt werden, scheinen innerhalb dieses vorösterlichen ortsansässigen Anhängerkreises einen plausiblen 'Sitz im Leben' zu haben. Mt S,2 3 richtet sich an eine Zuhörerschaft, die regel mäßig Opfer darbringt, es handelt sich also wohl um ortsfeste Anhänger Jesu. Mt 6,r-4 ist an solche gerichtet, die im Gegensatz zum berufenen Jüngerkreis noch frei über ihr Eigentum zum Almosengeben verfügen können. Die ortsansässigen Anhänger konnten sich in ihre Häuser zurückziehen, um zu beten (Mt 6,Sf). Einige ortsfeste Anhänger waren auch so in ihrer sozialen Umgebung eingegliedert, daß sie zu Festessen eingeladen wurden oder selbst ein Gastmahl veranstalten konnten. Die Warnung vor falschen Propheten könnte v.a. auch für ortsgebundene Anhänger intendiert sein, die Jesus nicht in ihrer Nähe haben (Mt 24,4f par; Mt 24,23-25 par; Mt 24,26f par; Mt 7,15). Für den Jüngerkreis war Jesus ständig ansprechbar und die einzige Autorität; für die ortsfesten Sympathisanten hätten auch jüdische Lehrer noch eine Bedeutung gehabt (Mt 23,2f). Die Logien über die Anhänger Jesu als 'Licht' und 'Stadt auf dem Berg', die durch gute Werke zum Gotteslob motivieren sollen, passen eher auf eine Wohnsituation (Vgl. Riesner, Jesus, 488f und Theißen, Soziologie der Jesusbewegung, 1977, 222 S für eine weitere Auflistung solcher Stellen). Mk 1,29-31 par. Mt 24,r6/Mk 13,14/Lk 21,2I; 26,61 lvIk 14,3; Lk 19,1-ro. Mk P9f/Lk 8,37 ff. Vgl. J. Jeremias, Theol., 1973, I64f; G. Theissen, Soziologie der Jesusbewegung, 1977, 21-26. Lk I0,38f; vgl. Joh E,Lr8. Mt 26,6/Mk 14,3. Auch Josef von Arimathäa (Mk 1S,42-47) und die Frauen in Lk 8,2f (eventuell auch die in Mk I5,4of) gehörten zu denen, die Jesus materiell unterstützten. Lk rO,3 8-42 dürfte auch auf alte, vertrauenswürdige Überlieferung zurückgehen (so]. Ernst, Lk, 354; I.H. MarshalI, Luke, 451; gegen R. Buhmann, Geschichte, 1979, 33)· Daß die Erzählung eine "ideale Szene" genannt werden kann (Bultmann, ebd.), sagt zwar etwas über ihre Form, aber noch nichts über ihre Ge-
Die vorösterliche Verwendung von Häusern
Zwecke günstige Lage. Bethanien war nahe genug an Jerusalem (vgl. Joh 11,18; Mk II,r)15I und von dort aus für Jesus leicht zu erreichen, aber auch weit genug von Jerusalem entfernt, um den nötigen Abstand zu gewähren, so daß er dort nicht sofort an seine Feinde ausgeliefert werden konnte. Mk berichtet, daß Jesus immer wieder von Jerusalem nach Bethanien zurückkam (Mk II,I.1I.12.r5.27; vgl. Mt 2r,17) und erweckt damit den Eindruck, daß Jesus dort (wohl unter einem Dach mit seinen ortsfesten Anhängern) eine Zeitlang wohnen blieb. Dort werden Jesus und seine Jünger bei seinem letzten Aufenthalt in Jerusalern von Martha gastfreundlich aufgenommen 152 , dort wird ihnen ebenfalls ein Quartier gewährt (Lk 10,} SPS3; vgl. Joh II,I. I 8). Damit wird deutlich, daß das Haus der Martha relativ groß gewesen sein muß, denn Jesus und einige seiner Jünger konnten darin untergebracht werden. Das Haus in Bethanien scheint auch als Treffpunkt, Versammlungsraum und als Ort der Lehrtätigkeit Jesu zu dienen (Joh II,19.31; 12,1-9; Lk 10,38-42)154. Nun ist zu fragen, wie diese Ortsansässigen zu Anhängern Jesu geworden sind. Es ist anzunehmen, daß viele, die zu Jesus nach Kapernaum oder sonst wohin strömten, als seine Anhänger wieder heimkehrten. Man kann auch vermuten, daß aufgrund der Wandermission bzw. "Dorfmission" Jesu schon vor Ostern neben dem enge-
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schichtlichkeit aus. Dag sie von der hellenistischen Gemeinde gebildet wurde (Bultmann, ebd., 64), ist wegen der hebraisierenden Konstruktion ev ,4> mit Infinitiv in 10,38 (K. Beyer, Semit. Syntax im NT I/r, r968, 38) eher unwahrschein-lieh. Für die Historizität der Erzählung sprechen ihre Berührungen mit johanneischer Tradition (W. Grundmann, Lk, 226) und die Tatsache, daß Paulus die Tradition vermutlich kannte (vgl. C.F.D. Moule, Thc Use of Parahles and Sayings ... , JTS 3 [r952J 75f), was nach dem ungewöhnlichen Sprachgebrauch in IKor 7>35 zu schlie1~en ist. Bethanien ist 2,8 km (etwa 20-30 Minuten Fußweg) von Jerusalem entfernt. Martha erscheint in Lk ro, 38-42 in der Rolle der Gastgeberin. Sie ist wohl Witwe (B.S. Easton, Luke, 173) und als solche Hauseigentiimerin bzw. Hausherrin (H. Schürmann, Lk Il, 154; LH. MarshalI, Luke, 45I). Viele Textzeugen fügen um Ende von IO,38 Eie; ,Tjv oiKtav (+ alnije;) bzw. Eie; ,0" OiKOV ainije; ein. Der kürzere Texr wird der ursprünglichere sein, da es keinen erkennbaren Beweggrund gibt, den Ausdruck "in ihrem Haus" zu streichen. "On ehe other hand, the bold and bare UltEöe!;u,o uinov seems to call for some a ppropriate addition, which the copyists supplied in various forms ... " B.M. lvIetzger, A Textual Commentary on the Greek NT, r994, I29. Wenn lvlaria nach Lk 10.39 ,,]esus zu Füßen saß und ihm zuhörre", so nahm sie ihm gegenüber dieselbe Stellung ein wie ein Schüler gegenüber dem Elementarlehrer oder dem Schriftgelehrten (Belege bei Bill. H, 763-765).
Hausge111eil1de und Mission
ren Jüngerkreis weitere Kreise von Menschen entstanden, die der Verkündigung Jesu Glauben geschenkt hatten, die aber innerhalb von Beruf und Oikos (d.h. Haus u. Familie) auf das endgültige Kommen der Gottesherrschaft warteten 155 • Das bedeutet: Wo Jesus missionarisch aufgetreten ist, hat er oftmals ortsfeste Anhänger und Sympathisanten zurückgelassen, die vorher während der DorfIWandermission Jesu die Basileia-Botschaft angenommen und ihn und seine Jünger auf ihren Wanderungen wohl auch gastfreundlich aufgenommen hatten. Diese Sicht wird von neueren Studien unterstützt156 • V.a. will R.A. Horsley das von G. Theißen geprägte Bild der ]esusbewegung als einer Bewegung - bestimmt von wenigen Wanderradikalen - revidieren 157 • Auch wenn ortsgebundene Sympathisanten in der Rekon-
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.J. Jeremias, Theol.,
1973, 164f; G. Kretschmar, Ursprung frühchristlicher Askese, ZTK 61 (1964), 27-67.48f; ihm folgend G. TheilSen, Soziologie der Jesusbewegung,21-26. R.A. Horsley, Sociology, 1994; H.C. Kee, Community of the New Age, 1977; W.H. Kelber, The Oral and the Written Gospel, 1983. Die Arbeit von Horsley stellt eine der gründlichsten und schärfsten Kri tiken der Rekonstruktion von G. Theißen dar und ist einer der besten Versuche, eine ergänzende, aber teilweise auch korrigierende Alternative zu bieten. Horsley, Sociology, 1994, 43-64.lu: "The only indication of itinerancy of any sort is in Luke 10,34, while in the same "mission" context 10,7 appears to counter any appearance of vagrancy." Alle anderen Belege, die Theißen für den wanderradikalen Lebenstil der Jesusbewegung bietet, weist Horsley als unzureichend begründet zurück. V.a. zeigt er auf, daß eine ganze Reihe von Stellen in der älteren Tradition bei Mk und Q auf dem Hintergrund von ortsfesten Gemeinschaften besser zu verstehen ist (ra8-II6). Vgl. aber M. Hengel, Nachfolge, 1968 und seine Ausführung zu Lk 9,59f, passim. Horsley ist nicht der erste, der TheilSen kritisiert, und es scheint sich ein Konsens zu bilden, daß er die prominente Rolle der Wandercharismatiker gegenüber den Ortsfesten in der ]esusbewegung überbetont hat. Vgl. z.B. W. Stegemann, Wanderradikalismus im Urchristentum, 1979, 94-120; D.E. Aune, Prophecy in early Christianity, 1983, 212ff; W.H. Kelber, The Oral and Written Gospel; 1983, 24f; R. Riesner, ]esus, 419ff: F. Neugebauer, Die dargebotene Wange und Jesu Gebot der Feindesliebe, ThLZ 12 (I985), 865-876 v.a. Anm. 3.39; R. Uro, Wolves, 1987. I27f.; T. Schmeller, Brechungen, v.a. II4f. Man kann nicht wie Theil~en behaupten, daß alle diejenigen, die Missionsreisen gemacht haben oder die als Propheten oder als Leiter in der ]esusbewegung fungiert haben, notwendigerweise die von Theil~en beschriebenen radikalen - für die Wandercharismatiker typischen - Anweisungen praktiziert haben; (ohne zu differenzieren, stellt Theißen die Zwölf, Petrus, Stephanus und seine Begleiter, Agabus und die Propheten der Didache als Vertreter eines Wanderradikalismus dar, Soziologie der ]esusbewegung, 14-21). Petrus aber ist oft auf Reisen gewesen (vgI. z.B. Apg 8,14; Gal 2,IIf;
Die vorösterliche Verwendung von Häusern
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struktion Theißens mitberücksichtigt werden, spielen sie eine untergeordnete Rolle. Horsley argumentiert umgekehrt urid sieht die Jesusbewegung hinter Q als hauptsächlich aus "localcommunities" bestehend l58 , in denen durchaus Wanderprediger lebten, die dann Heimat, Besitz und Familie - auch nachästerlich - überwiegend nur zeitweilig verließen I59 • Allerdings hält es Theißen für irreführend, von "Gemeinden" bzw. von "communities"160 zu sprechen, denn.diese Gruppen blieben ganz im Rahmen des Judentums und dachten nicht daran, eine "Kirche zu gründen" 161. Dies soll für die ganze frühchristliche Bewegung in ihrer Anfangsphase gelten. Es ist hier aber zu fragen, ob nicht von Anfang an auch unter den palästinischen Christen ein "sectarian
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IKor 1,12) und hatte eindeutig eine Führungsrolle in der Jesusbewegllng. Wir haben aber keinen Grund zur Annahme, daß er nach den extremen asketischen Maßstäben eines Wanderradikalen, wie Theißen sie beschreibt, gelebt hat (vgI. rKor .9,5; Mk I,29ff). Der Prophet Agabus wird in der Apg als zwischenJerusalern, Antiochien (lI,27ft) und Caesarea (2I,10ff) wandernd dargestellt, aber wir haben keinen Hinweis dafür, daß er als Wanderradikaler gelebt hat. D~r Stephanuskreis missionierte zwar von Ort zu Ort (Apg 8,4), aber ihn mit Theißens Wanderradikalen zu identifizieren, wäre problematisch. Der Stephanuskreis als Vertreter der gesetzesfreien Heidenrnission ist kaum in einer Jesusbewegung unterzubringen, die nach Theißen eine Sekte innerhalb Palästinas geblieben ist. Außerdem weist P. Stuhlmacher, BibI. Theol. I, 1992, :!.II, darauf hin, daß es schwer zu sagen ist, in welchem Maße es nachösterIich charismatische Wanderpropheten überhaupt gegeben hat. Nur in Texten aus dem späten 1. und dem 2. Jh. n.Chr. (2Joh 10; 310h 5-8 und Did 1I.3-12) ist eine Missionstätigkeit der ,Wanderradikalen' belegt. Ihre Existenz in der Anfangszeit der Urchristen läßt sich nur indirekt erschließen. Horsley, Sociology, 1994, 106-r I 1. In Q ragen Bilder aus dem Bereich der Landwirtschaft hervor. Die Logien setzen voraus, daß ihre Hörer sich in Familien und in Dörfern mit Nachbarn, Kindern, Ehen befinden (11,9-r3; I4,26; I6,I8). Ihnen sind auch größere Haushalte mit mehreren Dienern und einem Haushalter bekannt (Lk 12,35-38,42-46). Viele Anweisungen in Q sprechen lokale sozioökonomische Beziehungen von Einzelnen oder von gewöhnlichen Haushalten an (6,27-31.37f.4If; 17,rf.3f). Ähnliches gilt auch für die mk Gemeinden (Il2II5)·
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Horsley, Sociology, 1994, Ir7. Dieses Verlassen ist für Horsley im Gegensatz zu den Kl'uikern kein Lebensstil für die Wanderprediger, sondern eine zwar unvermeidliche, aber doch mehl' zufällige Nebenerscheinung, die wegen ihres Auftrages zu missionieren notwendig war. Einige Hauptbelege für seine Sicht: rKol' 9,5; Mk ro,28-30 vgl. "Äcker", ders., Sociology, 123. Vgl. ebd., ET, 1978, I7. Hier folgt Theißen G. Kretschmar, Ursprung frühchristlicher Askese, ZTK 61 (1964), 27-67-4 1f.
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Hausgemeinde und Mission
consciousness" herrschte, das sie von dem Rest des Volkes Israel absetzte und es ihnen ermöglichte, eine "distincdy Christian worship and fellowship" zu bilden 162. Wenn noch nicht völlig "Christian", war sie doch "distinct". Nach Filson waren es gerade die Häuser mit ihren räumlichen Dimensionen, die dies ermöglicht haben (s. S. I28ff). Überall dort, wo sich Menschen für das Reich Gottes entschieden haben, entstand eine neue Gruppe innerhalb des Volkes (s. o. Dungan, Anm. 130). Außerdem gibt es gute Gründe für die These, daß Jesus tatsächlich die "Kirche" in Gestalt des neuen Gottesvolkes gewollt hat l63 • Auch wenn man davon ausgeht, daß Jesus keine Gemeinde gründen, sondern Israel nur erneuern wollte, muß man annehmen, dafS schon vor Ostern eine neue Gemeinschaft innerhalb Israels durch die Predigt des Gottesreiches und die Entscheidung dafür entstanden ist (s. U.)164. Das "social setting" der Jesusbewegung scheint also aus örtlichen Gemeinschaften bestanden zu haben, die wohl überwiegend in den Häusern von Dörfern und Kleinstädten zu lokalisieren sind l65 • Diese "local communities" versteht Horsley als Zwischenglied zwischen dem irdischen Dienst Jesu und den nachösterlichen christlichen Gemeinden l66 • Allerdings können wir solche Gruppen nur vermuten, denn sie sind nicht sicher belegt. Die Apg belegt bloß die Stadtgemeinde von Jerusalem und deren Mission. Nur Gal 1,22 weist darüber hinaus. In Gal 1,22 redet Paulus von den Gemeinden Christi in Judäa, also eine Mehrzahl von Gemeinden außerhalb Jerusalems. Aufserdem hat die vorösterliche Verkündigung Jesu höchstens drei Jahre gedauert. Es ist zu fragen, ob sich fest strukturierte lokale Gruppen in solch kurzer Zeit bilde!1.
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Vgl. schon Filson, Significance, 1939, I09. Vgl. P. Stuhlmacher, Kirche nach dem Neuen Testament, ThBeitr 26 (199.5), 301325, v.a. 304. Vgl. G. Lohfink, Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?, 1982, 56f; auch F.H. Borsch, Jeslls, the Wandering Preacher?, I975, 60; E.P. Sanders, Jesus and Judaism, 1985, 147·2.22. Horsley, Sociology, I994, II 1. Ebd., I06. Wenn die Wanderprediger der Jesusbewegung Heimat-, Besitz- und Familienlosigkeit nicht als Lebensstil, sondern nur zeitweilig praktiziert haben, kann man auch fragen, inwiefern dies auf die Erdenzeit Jesu und seiner Jünger zu übertragen ist. Was in dieser Hinsicht JO-70 n.Chr. möglich war, war auch in den fünf Jahren ,'orher möglich. Dies ist immerhin auch das Bild, das die synoptischen Evv vermitteln (mehr dazu im nächsten Abschnitt: Der vorösterliche Gebrauch von Häusern durch die Jünger ]esll).
Die vorösterliche Verwendung von Häusern
Immerhin zeigt der Hinweis von Paulus in Gal (1,17; 2,21.22) auf seinen eigenen Dienst in Arabien, Syrien und Zilizien, aber auch auf Gemeinden Christi in J udäa, wie schnell "J esusbewegungen" oder lokale Gemeinschaften sogar außerhalb von Palästina entstanden sind, und das macht das Bild der Apg, wonach sich die Mission rasch über Judäa, Samaria, Galiläa, Dekapolis oder Tyrus LInd Sidon ausbreitete, um so glaubwürdiger 167 • Hier kann gefragt werden, ob nicht zumindest einige dieser örtlichen Gemeinschaften auf die Zeit des irdischen ]esus zurückgehen. Wenn wir von einem vorösterlichen Ursprung der Logienüberlieferung ausgehen (s. S. 94), ist auch anzunehmen, daß Hausgemeinschaften schon vor Ostern mit einigen dieser Anhängergruppen zu identifizieren sind. Wie wir sehen werden, waren die Jünger Jesu schon vor Ostern bemüht, durch ihre Verkündigung der Gottesherrschaft in Jesus die "Söhne des Friedens" zu sammeln (s. S. 108ft). Diese Friedenssöhne waren sehr wahrscheinlich Hausvorstände. Wenn in einer Oikosgesellschaft ein Hausvorstand sich für eine Glaubensrichtung entscheidet, schließen sich die meisten Glieder des Haushaltes ihm an, und dadurch ist schon eine "Hausgemeinschaft" entstanden. Aus diesen Hausgemeinschaften sind möglicherweise dann die Hausgemeinden der nachästerlichen ]esusbewegung und Urgemeinde hervorgegangen, wofür wir in. den Evangelien indirekte Hinweise finden und wie wir sie dann aus der Apg kennen l68 • Für die Sicht, daß vor Ostern ortsfeste Anhänger Jesu örtliche Gemeinschaften bildeten, spricht auch folgende Einsicht. Es gab v.a. in den ortsfesten Anhängerkreisen schon vor Ostern ein Bedürfnis nach Traditionsbildung, denn für sie war die Abwesenheit Jesu ein Problem, das nur durch eine solche Bildung hätte überwunden werden können. Es sprechen gute Gründe dafür, daß diese Traditionsbildung sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgte l69 • In unserem Zusammenhang ist dies bedeutend, denn es ist wohl davon auszugehen, daß die ortsfesten Anhänger diese mündlichen Texte, aber v.a. die schriftlichen Notizen, nicht nur irgendwo in der Wüste jeder für sich gelesen (oder rezitiert) und reflektiert haben 170 • Sie hätten sich 167 168 169
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Vgl. auch Mk 3,7; 7,24.3I. Vgl. schon G. Theißen, Soziologie der Jesusbewegung, 2.I. Riesner erwägt die mündlichen (ebd., 365-371: Auswendiglernen von mündlichen Besinnungstexten) und die schriftlichen Möglichkeiten (ebd., 489-498: schriftliche Jünger- und Sympathisantennotizen). Dies hätten sie erst recht nicht in der Synagoge getan.
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Hausgemeinde und Mission
dafür eher in kleinen Gruppen in ihren Häusern versammelt l7l • Dies wäre auch ein Grund für eine Gemeinschaftsbildung in den Häusern gewesen; d.h. für die ortsfesten Sympathisanten war die Abwesenheit Jesu ein vorästerlicbes Problem, das nicht nur auf Traditionsbildung, sondern auch auf Gemeinschaftsbildung bzw. -pflege drängte, und es gab kaum eine bessere Möglichkeit für diese ortsansässigen Jesusanhänger, Gemeinschaft miteinander zu pflegen, als in den Häusern. Man kann annehmen, daß Jesus nicht nur seinen mit ihm wandernden Jüngern festgeformte Predigtinhalte für ihre Verkündigungstätigkeit eingeprägt hat, sondern auch dem ortsfesten Anhängerkreis einprägsam geformte Lehrsummarien übergeben hat und daß sich einzelne von den ortsgebundenen Anhängern schon schriftliche Aufzeichnungen von Jesusüberlieferungen gemacht haben 172 • Dieser Sachverhalt weist wohl nicht auf fest strukturierte, sondern eher auf locker organisierte örtliche Hausgemeinschaften schon vor Ostern hin. Diese Gruppen dürfen wir uns auch nicht zu groß vorstellen, denn die Größe eines Wohnzimmers in einem typischen Haus einer ländlichen Gegend zu dieser Zeit in Palästina betrug nach Aussagen rabbinischer Texte (P.T. Berachot 8,I2C ibid 3,6d; Midrash Rabbah, Genesis 3I,rr) wenigstens 5X5 lTI. Nach Ergebnissen archäologischer Untersuchungen liegt die Durchschnittsgräße zwischen
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172
Demnach hätten sie die mündlichen Besinnungstexte und die schriftlichen Notizen buchstäblich 'mit nach Hause' genommen! Vgl. Riesner, Jesus, 364. Vgl. die Lehrsummarien der syn. Logientradition, die meist aus sehr kurzen und dadurch leicht behältlichen Stücken bestehen (z.B. Lk 14,7-11.12-!4.IS-24; vgl. R. Riesner, ]eslls, 3S9ff.487-498.367-37I). Diese Beispiele sind in unserem Zusammenhang besonders interessant, da sie von Einladungen zum Mittag- und Abendmahl bzw. zum Festmahl sprechen und damit ortsansässige Zuhörer vor·· aussetzen, die diese Oikosbilder verstehen, weil sie selber Mitglieder eines Hauses oder sogar Hauseigentümer sind. Vgl. auch die Gleichnisse mit rätselhaftem Charakter, die als mündliche Besinnungstexte verstanden werden können, weil sie die Menschen zum Nachdenken über das Gesagte drängten (z.B. Mk 9,10; Lk 13,I8f.20f). Weder von der Einstellung noch von der Bildung der vorösterlichen ortsansässigen Anhänger ]esu her bestehen grundsätzliche Bedenken gegen schriftliche Notizen von Jesusüberlieferungen. Zur Bildung der Jünger und zur Möglichkeit, d"ß ]esus auch Angehörige der eher gebildeten Schicht erreicht hat vgl. Riesner, ebd., 4II-414.497f und z.B. Lk 8,3.49; Mk S,22.3Sf.38; Mt 27,57 par. (vgl. dazu R. Pesch, Mk I, 1977, SI2f). Vgl. auch M. Hengel, Maria Magdalena und die Frauen als Zeugen, 1963, 246; G.W. Buchanan, Jesus and the Upper Classes, NT 7 (I964), 19S-2.09.2OSf.
Die vOl'österliche Verwendung von Häusern 4X4 und 5X5 m l73 • Es ist aber zu bedenken, daß der Hof ein wesent-
licher Teil eines palästinischen Hauses gewesen ist und Platz für etwas größere Versammlungen wenigstens während wärmerer Monate geboten hätte. 174 Y. Hirschfeld schreibt dazu: "The courtyard was an integral part of the house ... During the summer months, the family often ate in the court yard ... the courtyard had the important function of serving as a barrier between the pllblic and private domains ... It seems that no one in the cOllntry, members of the lower c1asses as weIl as the upper c1asses, renounced the virtues and pleasure of having a private courtyard inside or beside his house. ,,175 Allerdings können wir solche Gruppen nur vermuten, weil sie nicht sicher belegt sind. Immerhin können wir auf die Familien im Haus des Petrus in Kapernaum und die Geschwister Martha, Maria und Lazarus in Bethanien l76 hinweisen, von denen anzunehmen ist, daß sie solche lokalen Gruppen schon vor Ostern und eventuell auch danach darstellten 177.
5. Ergebnis Wenn wir unsere Beobachtungen zusammentragen, ergibt sich folgendes Bild: Jesus ist missionarisch so vorgegangen, daß er in
173
174 175 176 177
Vgl. Y. Hirschfeld, The Palestinian Dwelling, 1995, 21-1°7.260; vgl. v.a. seine Darstellung einiger palästinischer Häuser aus unserem Zeitraum: z.B. "Wall House" zu Gamala (2. ]h. v.Chr. - 1. Jh. n.Clu.: Triclinium ca. 5X5,5 m), 28; "Farmhollse" 3 km östlich von Umm Rihan (1. ]h. v.Chr. - 1. ]h. n.Chr.: Tridinium ca. 7X2,5 m), 4of; "Farmhouses" zu Qasr e-Leja, und Kalandiya (beide 2. ]h. v.Chr. - I. ]h. n.Chr.: Triclinium ca. 57.5 qm bzw. 5x9,5 m), 52ff; Tripie Court yard House" zu Capernaum (r-2. ]h. n.Chr.: Triclinium ca. 4X3 m). Vgl. auch S. Dar, Landscape and Pattern, r986, 80-85, für weitere Darstellung von Häusern aus unserem Gebiet und Zeitraum. S. dazu die Bezeichnungen vom Petrushaus mit seinem Hof - Anh. S. 508ff. Vgl. ebd., 290ff. Lk 10,38f; vgl. loh II,I.r8. S. o. unsere Ausführungen dazu. Vgl. zum Petrushaus Mk 3,2of.F-35 in Verbindung mit Mk ro,29f. und der Aussendungsrede Lk IO,I-12. Hier haben wir eine Gemeinschaftsbildung der Anhänger ]esu im Haus des Petrus einerseits, die sich andererseits von den ]üngern durch ihre Wandermission in den verschiedenen Häusern/Dörfern in Galiläa fortsetzt. Die Überlieferung der Verheißung ]esu an die Jünger, die alles verlassen haben und wieder gewinnen werden, daß zeJlenartig durchs Land Hausgemeinschaften von Anhängern ]esu entstehen, ist ein Hinweis dafür, daß dies tatsächlich so geschehen ist, denn diese Verheißung ist u.a. wohl deswegen tradiert worden, weil sie in Erfüllung gegangen ist.
Hausgemeinde und Mission
Kapernaum ein Haus bzw. eine Familie für seine Basileia-Botschaft gewann. Von diesem Haus aus versuchte er, zusammen mit den neugewonnenen Anhängern, die ganze Stadtl78 und danach von diesem Stützpunkt aus das umliegende Gebiet innerhalb und wohl auch außerhalb des "evangelischen Dreiecks" von Haus zu Haus bzw. von Dorf zu Dorf zu erreichen. Während der Zeit seiner galiläischen Wandermission erscheint das Haus des Petrus in Kapernaum als zeitweiliger Wohnort Jesu und als Stützpunkt seiner Missionstätigkeit. Es ist ebenfalls anzunehmen, daß es für Jesus und seine Jünger ein Ort der Pflege des häuslichen Glaubenslebens (z.B. Gebet, Gemeinschaft), aber auch ein Versammlungsraum und ein Ort des Heilungsdienstes und der Lehrtätigkeit .Iesu war. _ Es gibt guten Grund für die Annahme, daß das Haus des Petrus schon vorösterlich eine Art Prototyp einer HG war 179 , denn missionarische und lehrmäßige Verkündigung, Gebet und Gemeinschaft sind eigentlich schon Elemente einer Hausgemeinde. Hier kann man von der Existenz einer Gruppe mit einem ausgebildeten religiösen Eigenleben sprechen (vgl. den Forschungsbericht S. 35-45 und S. 4- 7f für unsere Definition von HG). Man muß allerdings bedenken, daß Jesus und seine Anhänger als Juden ihren eigentlichen Gottesdienst noch in der Synagoge gefeiert haben. Von dem Haus des Petrus vor Ostern als Hausgemeinde im Vollsinn zu reden, wäre übertrieben. Man kann höchstens von Eigenschaften einer HG und demzufolge eventuell von einer Hausgemeinschaft sprechen: Das Haus des Petrus ist als ein Ort zu beschreiben, an dem sich der erste kleine Kern 180 der Jünger um Jesus versammelt hat. . In der Sicht der nachösterlichen Urgemeinde (spätestens bis zur Niederschrift des MkEv - vgl. Mk 3 ,20f. 31-35) scheint dieses Haus In Nach Mk 2,15 gewinnen wir den Eindruck, dag Jesus dabei erfolgreich gewesen ist (s. S. 71, Anm. rol). 179 Wie wir schon gesehen haben, ist historisch wahrscheinlich, daß das Haus des Petrus schon ab der 2. Hälfte des I. Jh. als Versammlungsort einer nachösterliehen HG gedient hat. 180 Es ist zu berücksichtigen, dafs das Haus des Petrus zur Zeit Jesu nur mit einem relativ kleinem Wohnzimmer ausgestattet war, so dag nur wenige Personen darin Raum fanden. Selbst in einer späteren Phase, als man das Petrushaus schon als Hauskirche verwendet und möglicherweise deshalb eine Vergrögerung des Wohnzimmers wohl durch die Teilentfernung der Zwischenwand vollzogen hat, ist die GröfSe des Raums 7,00 x 6,50 m gewesen (V. Corbo, The House of St. Peter at Capharnaum, I969, 42).
Die vorösterliche Verwendung von Häusern
schon vor Ostern nicht nur das Haus Petri und das Haus Jesu gewesen zu sein, sondern im gewissen Sinne das Haus der neuen Familie um Jesus und damit die "Wiege der entstehenden Ecclesia"181. Dies hieße: Wir sähen uns hier einem embryonalen Stadium der Ecclesia gegenübergestellt 182 • Wenn man bedenkt, daß der vorösterliche ]üngerkreis schon unübersehbar als Gemeinschaft in Erscheinung getreten ist und daß eines seiner Hauptmerkmale darin bestand, daß die Jünger untereinander zu einer neuen Familie zusammengewachsen sind 183 , dann kann angenommen werden, da"ß diese Sicht der Urgemeinde, wie sie Mk 3 ,20f. F-3 5 überliefert, vorösterliche Wurzeln hat l84 • Für die Echtheit dieser Überlieferung spricht v.a. Mk 3,33-35, denn die Urgemeinde hätte sicherlich kein Interesse daran, ein Wort Jesu zu bilden, in dem das 4- Gebot außer Kraft gesezt wird 185 • Wenn sie eine solche Überlieferung gebildet hätte, wäre die Urgemeinde der Kritik aus dem Judentqm ausgesetzt gewesen, daß sie die Familie sprenge. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, daß diese Überlieferung auf Jesu eigenes Verhalten und eigene Lehre zurückgeht. Es fügt sich hier vorzüglich ein, daß das Bild für das neue Gottesvolk, welches Jesus bevorzugte, das Bild der eschatologischen (amilia
18] 182
183 184 ]8.\
S.Loffreda, La Tradizionale Casa, 1993, 38. Hier stellt sich auch die Frage, von wann an das Halls des Perrus eine lokale judenchristliche Hausgemeillde bzw. Hauskirche in dem von uns definierten Sinne (vgI. unseren Forschungsbericht) darstellte, für die das Haus des Petrus nicht nur bzw. kein Familienhaus mehr war, sondern eher oder sogar ausschließlich als Versammlungshaus diente. Es ist zu vermuten, daß von Ostern an eine judenchristliche Gemeinschaft dort regelmäßig zusammengekommen ist. Was aber wirklich zwischen Ostern und dem Jüdischen Krieg geschehen ist, wissen wir nicht. Die archäologischen Spuren und sonstigen Hinweise (s. S. 59f) deuten dann an, dag eine Hausgemeinde im Haus des Petrus irgend wann nach Ostern (wohl spätestens während und nach dem Jiidischen Krieg, als es für die Judenchristen in Jerusalem schwierig wurde) entstand und danach (v.a. in der 2. Hälfee des 1. ]h.) aufgeblüht zu sein scheint (vgI. S. Loffreda, Recovering Capharnaum, 50ff; J.E. Strange - H. Shanks, BArR (1982), 26-37; vgI. auch P. Sruhlmacher, BibI. Theologie 1,181). Die Entwicklung in der Zeit von Oseern an bis etwa 70 n.Chr. bleibt aber archäologisch und sachlich eine ungeklärte Frage, die noch zu untersuchen wäre, hier aber offengelassen werden muß. ]. RoloH, Kirche im NT, 1993,40; Vgl. auch G. Lohfink, Wie hat Jesus Gemeinde gewolt, 1982, 53-57. Vgl. auch G. Lohfink, Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?, 54ff. Vgl. R. Pesch, Mk 1,222-224; M. Hengel, Nachfolge, 1968 14f.
Hausge111einde und Mission
Dei war l86 • Sie ist Ersatz für die irdische Familie, die von Jesus und seinen Nachfolgern auf Grund ihres Wanderleben zurückgelassen wurde 187. In dieser Familie ist Gott der Vater J88 • Jesus ist der Hausherr (s. S. II6ff) und die Seinen sind die Hausgenossen 189 • Die älteren Frauen, die ihm nachfolgen, sind seine Mütter, die Männer seine Brüder l9O • Zugleich sind sie alle Kinder, auch wenn sie dem Lebensalter nach Erwachsene sind l91 • Dieses Bild der familia Dei wurde wohl deswegen von Jesus bevorzugt, weil es theologisch den Kern dessen, was Jesus vermitteln wollte, am besten traf. Denn es ging ihm darum, das neue endzeitliche Gottesvolk zusammenzurufen, in dem die göttliche Liebe regiert - wie in der familiären Beziehung Jesu zu seinem himmlischen Vater. Das Bild der Familie ist aber zugleich den Menschen einer Oikosgeseilschaft sehr vertraut. Was diese Familie Gottes ist bzw. worin sie sich von dem antiken Verständnis des Oikos unterscheidet (s. S. II5ff), wurde ihnen dadurch konkret veranschaulicht, daß Jesus wohl oftmals in oder vor dem Haus des Petrus gewesen ist, als er davon sprach 192 • Außerdem konnte auch jeder sehen, wie die Jünger als Gemeinschaft zusammen lebten, nicht zuletzt im Umfeld des Petrushauses. Denn Jesus sprach nicht nur von dieser Familie, er rief Menschen zu dieser Familie konkret zusammen und "wohnte unter ihnen", auch oder v.a. in dem Haus des Petrus zu Kapernaum. Für W. Trilling ist "Kapernaum" der Schauplatz des Wirkens JeSU 193 • Dieses Wirken hat sich am intensivsten im Haus des Petrus vollzogen. Hier konnten Außenstehende sehen, wie sich die Lebensweise des Anhängerkreises Jesu gestaltete. Unsere Gesamtsicht wird durch die Beobachtung unterstützt, daß Jesus in seinen Aussendungsreden seine Jünger zur Haus- und Dorfmission angeleitet hat. Die Art und Weise, wie er seine Jünger belehrt hat, entspricht weitgehend dem, was wir schon über seine eige186
187 188 189 190 191 192
193
J. Schlliewind, Mk, zu Mk
3,3Iff; ihm folgend]. Jeremias, Theol., '973, I66. ZU "Familie Gottes" bei Mk Evangelium vgl. W. Rebell, Zum neuen Leben berufen, I99 0 ,7 2 -7 8. Mk Io,29 f par. Mt 23,9. Mt rO,25. l"lk 3,34 par. Mt II,25; Mk IO,24; vgl. 2,5; 5.35. Vgl. dazu O. Michel, ThWNT IV 650-66r, v.a.653-658. Mk 3,3 1 -35. Das Wahre Israel, I964, 131.
Die vorösterliche Verwendung von Häusern
93
ne Vorgehensweise erarbeitet haben. Wenn wahrscheinlich gemacht werden kann, daß Jesus seine Jünger zur Haus- und Dorfmission angeleitet hat, ließe sich durch Rückschluß bestätigen, daß er selbst so vorgegangen ist. Durch die Analyse der Aussendungsrede der Logienquelle (Lk 10,1-12) gewinnen wir also nicht nur Klarheit über die Vorgehensweise seiner Jünger, sondern auch ein schärferes Bild von der eigenen Vorgehensweise Jesu. Dies setzt natürlich voraus, daß die Aussendungsrede historisch aussagekräftig ist. In einem zweiten Schritt gehen wir nun auf diese Fragen zur Aussendungsrede el11.
B) Die vorösterliche Verwendung von Häusern durch die Jünger Jesu Nachdem wir Jesu vorösterlichen Gebrauch von Häusern untersucht haben, können wir nun fragen, ob es mit seinen Jüngern ähnlich stand. Dies scheint angesichts der zentralen Bedeutung &s Hauses in der Antike wahrscheinlich. Unsere Vermutung wird dadurch unterstützt, wenn man bedenkt, daß der Meister eine Vorbildfunktion für seine Jünger ausübte und diese auch für Jesus in seiner Beziehung zu seinen Jüngern nachzuweisen ist l94 . Wir fragen erneut: Kann man in zuverlässigen Überlieferungen belegen, daß die Jünger vor Ostern Häuser analog zu Jesus für irgendwelche Aktivitäten gebraucht haben und -wenn dies der Fall ist - welche? Hat Jesus sie sogar dazu angeleitet? I.
Die Ausse1'ldu1'lgsrede
Die Aussendungsrede der Logientradition ist in unserem Zusammenhang besonders wichtig (Lk 10,1-r6 (17-20); vgl. auch Lk 9,1-6; Mt 9>37f; 10,7-16; Mk 6,6b_rr)195. H. Schürmann hat entgegen der 194 K.H. Rengstorf, ThWNT IV, 1942,444,26-33; E. Larsson, Christus als Vorbild, 1962, 38-4°; A. Schulz, Nachfolgen, 1962, 252-270; D. Daube, NTS 19 (1972/3),1-15; B. Gerhardsson, Memory, r82.-188; Besonders 1'11< arbeitet stark
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heraus, daß die Jünger v.a. bei der Aussendung die Art des \'Virkens Jesu fortsetzten. Zum historischen Wert dieses Phänomens und zum Phänomen überhaupt bei Mk vgl. R.P. NIeye, Jesus and the Twelve, 1968, v.a. 99-1 13.198f. Daß die Aussendungsrede Jesu im Zusammenhang der urchristlichen Hausgemeinde von zentraler Bedeutung ist, sahen schon F.J. Schierse, Zelle und Gruppenbildung im Urchristentum, 1960, IIr-I28.I20; ihm folgend: W. Vogler, Die
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Hausgemeinde und Mission
Zurückhaltung der formgeschichtlichen Schule die Frage nach dem "Sitz im Leben" auf die Situation vor Ostern ausgeweitet und mit seiner These vom vorösterlichen Beginn der Logientradition l96 auch viel internationale Zustimmung gefunden I97 . Die überwiegende Mehrheit der Exegeten geht heute davon aus, daß die Aussendung der jünger zu eigenem Verkündigungsdienst als eine gesicherte Tatsache der Geschichte jesu gelten kann 198 • Es gibt dafür stichhaltige Gründeeinige seien hier angeführt: Alle drei synoptischen Evangelien erzählen von mindestens einer Aussendung199 • Außerdem ist im Zusammenhang von rKor 9 eine beachtliche Anzahl von Gemeinsamkeiten mit dem Aussendungsbericht in Lk 10,1-20 zu konstatieren20o • Die Berührung zwischen IKor 9,14 und Lk 10,7 läßt vermuten, daß Paulus sich hier auf ein mit dem Lk-Logion verwandtes jesuswort bezieht. Es muß also schon zur Abfassungszeit des IKor (etwa im Frühjahr 55) eine relati v ausführliche Aussendungstradition existiert haben201 • Dazu kommt die Beobachtung, dafS nachösterliche christologische Verkündigungsinhalte in der synoptischen Aussendungstradition völlig fehlen 202 • Einige der asketischen Bestimmungen für die vorösterlichen Gesandten waren für die urkirchliche Mission dagegen untypisch (Mt rO,9f/Lk 9,3; Mt 10,4; vgl. Mk 6,8f; Lk 10,4,7)203.
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Bedeutung der urchristlichen HGn, ThLZ I I (1982),785-794.787; vgl. auch J. Gnilka, Mk 1,240; H.]. Klauck, HG, 5M. Die vorösterlichen Anfänge der Logientradirion, 1960, 342-370. Vgl. schon vor Schürmann auch H.E.W. Turner, ]esus, 1970, 137; W.D. Davies, Sermon Oll the Mount, 1963, 421-434 und mit Schürmann die im Nachtrag, aaO., 64f und außerdem die von R. Riesner, Jesus, 74, Anm. 26 erwähnten Verfasser. F. Hahll, Mission, 1965, 40; M. Hengel, Nachfolge, 1968, 82.-89; Kasting, Anfänge, 125; G. Bornkamm, ]esus, 1980, 131; E. Testa, LA 29 (1979),7-41; E.E. Ellis, FS H. Conzelmanll, 1975, 303; E. Schweizer, Mk, 7rf; T.W. Mansan, Sayings of Jesus, 1948, 73; J. Gnilka, Mk 1,1978,2.41; M. Trautmann, Zeichenhafte Handlungen Jesu, 1980, 168-233; die Historizität der Aussendung wird von R. Buhmann, Geschichte, 1979, 155f; E. Haenchen, Der Weg Jesu, 1968, 223; P. Hoffmann, Studien, 1982, 262 abgelehnt. Vgl. J.J. Vincenr, Disciple and Lord, 1976,65, Anm. 39 für weitere Exegeten pro und contra. Mt 10,1-40; Mk 6,7-13.3°; Lk 9,1-6.10; ro,1-20. B. Fjärstedr, Synoptic Traditions in I Cor., 1974, 64-77. Ihm folgend und erweiternd D.C. Allison, The Pauline Epistles und the Synoptic Gospels, NTS 28 (1982),1-32. Anders C.M. Tuckert EThL 60 (1984),376-381. K. Beyschlag, Clemens Romanus, 1966,34M. Hengel, The Origins of the Christian Mission, 1983, 62. M. Hengel, ebd.
Die vorösterliche Verwendung von Häusern
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Schließlich sei bemerkt, daß der Jüngerkreis Jesu ohne emen Sendungsauftrag letztlich einen erkennbaren Sinn verlierr2 04 • R. Pesch faßt zusammen: "Daß die Zwölf, die Jesu Anspruch auf die Sammlung ganz Israels repräsentieren, paarweise zur Mission mit Umkehr predigt, exorzistischem und therapeutischem Auftrag von Jesus ausgesandt wurden, seine Missionsbemühungen unterstützten, ist historisch glaubwürdig. ,,205 Es bleibt aber die Frage, ob die Einzelheiten über Häuser u. dgl., auf die es in dieser Untersuchung ankommt, auch einen historischen Wert haben. Im allgemeinen besteht ein Konsens darüber, daß Lk 10,2-12 die Aussendungsrede der ursprünglichen Logienquelle darstellt und damit als ältester Beleg für die Aussendung gilt 206 • Nur ein kurzer Blick auf den gegenwärtigen Forschungsstand reicht aber aus, um zu zeigen, wie schwierig eine Urteilsbildung im einzelnen ise o7 • Die literar-
M. Hengel, Nachfolge, 1968, 82f. Mk I, 33I. 206 Schon J. Wellhausen, Evang. Lucae, 48f; R. Bultmann, Geschichte, 3 SI; aber auch H. Schürmann, Traditionsgesch. Untersuchungen, I47ff haben in Lk 10,512 den ursprünglichen Q-Text gesehen. F. Hahn, Mission, 1963, 33f; H. Kasting, Anfänge, 1969, 125, Anm. 5; D. Lührmann, Redaktion, 1969, 59 nehmen an, daß Lukas den ursprünglichen Q-Text in 10,2-12 erhalten habe; auch P. Hoffmann, Studien, 1982., 267-2.87 und S. Schulz, Spruchquelle, 1972, 408-4 I9 ordnen in je unterschiedlicher Weise den Text Q zu. 207 H. Schürmann, Traditionsgesch. Untersuchungen, I47ff ordnet Lk 10,3.4.5-7 einer eigenen Tradition zu, die erst sekundär in Q mit dem Erzählstoff Lk 10,1; Mt 1O,5b-6; Lk 1O,8-I2 verbunden wurde; T.\V. Manson, Sayings, 1971, 73f, und ihm folgend, J. Roloff, Apostolat, 1965, 151" Anm. 53 weist nur Lk 10,2f.812 Q, Lk 10,I,4-7.17-2.0 aber einer Sonderüberlieferung zu. Dagegen will P. Hoffmann, Studien, 1982., 2.67-283, v.a. 2.80, 296f, wahrscheinlich gemacht haben, daß in Lk IO,5-7a.b.9 der ursprüngliche Q-Text erhalten ist. Ähnlich urteilt F. Katz, Beobachtungen, 33-36.40f-45-79, der den Kern in 1O,5-9.10f als ganzes konzipiert sieht, um den einzelne Logien bzw. Logiengruppen gefügt wurden. Für S. Schulz, Spruch quelle, I972, 409 (für Begründung, Anm. 38 und 404-408), ist Lk 10,2-!2 "traditionsgeschichtlich von Anfang an eine einheitliche Komposition" gewesen. Zu dieser Vielfalt der Möglichkeiten kommen drei neue literarkritische Arbeiten hinzu: J. Tashjian, Mission Charge in Q, I987; R. Uro, Sheep Among the Wolves, 1987; L. Vaage, Q: Ethos and the Ethics of an Itinerant Intelligence, 1987. Leider tragen sie eher zu einer grögeren Verunsicherung als zu einem Konsens bei, indem sie teilweise noch mehr Schichten als ihre Vorgänger in der Q-Version der Aussendungsrede unterscheiden. Abgesehen von Schürmann gehen die O.g. Exegeten von einem nachösterlichen Anfang von Q aus. Dagegen sind F. Hahn, Mission, 34-36 und ihm folgend M. Hengel, Nachfolge I968, 84f. sowie D. Lührmann, Redaktion, 59 der Meinung, 204
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Hausge111einde und Mission
kritischen Versuche, in Lk IO,2-I2 zwei oder mehrere Schichten zu unterscheiden, haben zu einer Vielfalt von komplizierten Hypothesen, aber zu keinem Konsens geführt. Dies zeigt die Grenzen der Literarkritik und mahnt zur Vorsicht bei dem Urteil, ob einzelne Verse oder Teilverse ursprünglich zu Q gehörten. So ist man gezwungen, andere Kriterien anzuwenden, um die Frage nach dem historischen Informationswert der einzelnen Aussagen beantworten zu können 208 • F. Hahn hat darauf hingewiesen, daß beide Überlieferungen Lk rO,2-I2 und Mt 9.37-ro,r6 nach demselben Schema aufgebaut sind: "Zur Grundform gehört als erstes die Aussendung, sodann die Regelung der Ausrüstung, weiter die Anweisung über das Verhalten in Häusern und endlich die Anweisung über das Verhalten in Ortschaften. ,,209 Die parallelen Einleitungswendungen in Vers sa (Haus) und Vers 8a.loa (Stadt) sprechen auch für eine einheitliche Komposition 21O • Damit soll nicht gesagt werden, daß keine Spuren von lk. Redaktion vorhanden wären; sie sind aber minimal 211 • Einzelne Missionsanweisungen sind zu unterscheiden212 , und es gibt nicht zu übersehende Spannungen, auf die in der Exegese mehrfach hingewiesen wurde 213 • Zum größten Teil können diese Spannungen mit der die Aussendungsrede (v.a. IO,8f.rof) gebe Einblick in sehr altes, höchstwahrscheinlich auf den historischen Jesus selbst zurückgehendes Traditionsgut. 208 Vgl. nun die "narrative-critical" Arbeit von D.L. Matson, Household Conversion Narratives in Acts, 1996, 2.6-52., der zwar eine andere Methode verwendet, aber trotzdem den Ik. Aussendungstraditionen keinen historischen Wert beimißt. Allerdings zeigt er keine Kenntnis der betr. Arbeiten von Henge! und Schilrmann und geht auf die Argumente von Hahn nicht ein (5. u.). 209 Mission, 34. 210 Ebd., 34; MarshalI, Lk, .414- Gegen Schürmann, Lk H, 72., der dies als lk. Harmonisierung versteht. 211 J. Jeremias, Sprache, 1980, r84-189, stellt zu Lk 10,1-2.0 fest: "Bis auf die Einleitungsverse 10,I-2.a ist die Perikope fast frei von redaktionellen Eingriffen" (189) und demnach der Tradition zuzuordnen. 212 Aber sie sind deswegen nicht voneinander völlig zu trennen. S. Schulz, Spruchquelle, I972, 409, hält die Annahme, dag diese Einzelanweisungen ursprünglich getrennt im Umlauf waren, für ganz unwahrscheinlich. Anders Schweizer, Mk, 68. 213 Schon \'{lellhal1sen, Evang. Lucae, 48f, hat auf das Hysteron-proteron der Reihenfolge hingewiesen: In der vorliegenden Abfolge werden das Eintreffen in einer Stadt und die Aufnahme in ihr erst erwähnt, nachdem die Gesandten schon die Häuser betreten haben. Aul~erdem erscheint die Essensrege! sowohl in der Haus(7b) als auch in der Stadtanweisung (8b) und wird als störende "Dublette" bezeichnet (z.B. Schürmann, Lk II, 71; vgl. auch P. Hoffrnann, Studien, 1982,
Die vorösterliche \'erwendung von Häusern
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Annahme gelöst werden, daß die Anweisungen ursprünglich ausführlicher gegeben wurden und in der gegenwärtigen Ik. Form abgekürzte Zusammenfassung vorlukanischer Tradition sinCl 214 • Die eigentliche Frage ist, ob Mt die beiden Anweisungen (Hausund Stadtregeln) zusammenfaßt oder ob Lk durch die Einfügung von 8a aus einer Anweisung zwei geschaffen hat. Trotz der Argumente von P. Hoffmann215 für das letztere (er gesteht selbst, daß seine Argumente nicht zwingend sind216 ), scheint für die erstere mehr zu sprechen. Die Nähe zwischen Lk Io,8a und Mt 10,I Ia weist auf eine gemeinsame Quelle hin. Die These, daß 9 (ohne 8) sehr früh der Hausanweisung 10,5f.7a.b. hinzugefügt wurde 217, basiert auf der zweifelhaften Annahme, daß in 8a.10 ursprünglich nicht von "Stadtmission " die Rede war. Sogar Hoffmann selbsr2 18 muß am Ende die "Stadt" auch in der zweiten Quelle voraussetzen. Es ist sinnvoller, den Wechsel vom Haus zur Stadt schon in 8a zu lokalisieren. Außerdem ist der Unterschied, den Hoffmann zwischen "Haus" und "Öffentlichkeit" sehen will, in palästinischen Dörfern und Kleinstädten sowieso problematisch. Vgl. v.a. Hoffmanns Behauptung2l9, in der lk. Darstellung liege sowohl formal als auch inhaltlich das Hauptgewicht der Aussage auf der Stadt, denn die missionarisch entscheidenden Akte, Heilswirken und Gerichtsaussage, geschehen nach Lk 10 in der Öffentlichkeit der Stadt und nicht im Haus. Vgl. auch seinen Exkurs "Die Stadt in der Ik. Darstel268f.282f; Manson, Sayings, 74). Man weist auch auf die unterschiedliche Reak· tion im Fall der Abweisung in V. 6 und V. 10 hin (Ernst, Lk, 333). Daß diese auch eine Aufteilung der Haus- und Stadtanweisungen in zwei verschiedene Schichten rechtfertigt, vertreten z.B. Manson, Sayings, 73f; ihm folgend Ro Ioff, Apostolat, 151, Anm. 53; Hoffmann, Studien, 268-283 und Schürrnann, TraditiolJsgesch. Untersuchungen, 137-149, v.a. 147ff; ders., Lk TI, 71 (allerdings mit völlig unterschiedlicher Berurteilung hinsichtlich der ältesten Schicht: Für Hoffmann ist Lk 10,5-7a.b.9 der älteste Kern und für Schlirmann genau umgekehrt Lk 10,1; Mt ro,5b-6; Lk JO,8-12 die älteste Schicht). Anders S. Schulz, Spruch· qelle, 409, der traditionsgeschichtlich von einer einheitlichen Komposition von Anfang an ausgeht. Hier sehen wir wieder, daß literarkritische Argumente nicht ausreichen, um die historische Situation zu rekonstruieren, geschweige denn, um zu einem Konsens in der Beurteilung der Quellenfrage zu führen. 214 I.H. MarshalI, Lk, 42I. 215 Studien, 27 6- 28 3. 216 Ebd., 2.82. 217 P. Hotfmann, Studien, 288.29 8. 218 Studien, 28of. 219 Stndien, 277 ff.
Hculsgemeinde und .Mission
lung ... "220, in dem er versucht nachzuweisen, daß Lk ein besonderes Interesse daran zeigt, das Wirken der Jünger und das Wirken Jesu mit der Stadt bzw. mit der "Öffentlichkeit" in Verbindung zu bringen, um den Öffentlichkeitscharakter der christlichen Mission zu verdeutlichen. Es kann nicht daran gezweifelt werden, daß der öffentliche Charakter des Wirkens Jesu und der apostolischen Verkündigung ein wichtiges Interesse des Lukas darstellt 221 , aber Hoffmann folgert daraus fälschlich die Annahme eines lukanischen Interesses an Städten. Außerdem geschahen abgesehen von wenigen Ausnahmen, die durch die Situation bedingt waren (Mk 1,29ff par), Heilungen nach den Synoptikern auf Straßen und in den Synagogen (vgl. Mk 1,32ff par; 3,9f mit Lk 10,9), also in der Öffentlichkeit. IO,8a ist also keine lk. Bildung, sondern schon ursprünglich Einleitung zu V.-9-gewesen. Mt hat wohl (vgl. IO,7-8a) seine Parallele zu Lk 10,9 nicht als ein Wirken "in den Häusern" begriffen, und wenn Mk 6,1 I L6JCo~ ursprüngliche Entsprechung zu Lk 10,10 = Q (JC6A.L~) ist, dürfte eine vormalige Erwähnung der Aufnahme in einer Stadt, wie sie in Lk Io,8a vorliegt, wahrscheinlich sein 222 • Vieles scheint für ein hohes Alter des Berichtes Lk 10,1-,-12 zu sprechen. Abgesehen von den schon oben erwähnten Gründen für die Historizität der Aussendung sind folgende Beobachtungen zu nennen: In Lk 10,1-12 sind altertümliche Züge bewahrt, so 10,1 die paarweise Aussendung der Jünger223 , IO,4 das Verbot des Grüßens unterwegs 224 und die rigorose Natur der Ausrüstungsregej225, Io,sf no
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-- Studien, 27 8ff. 221 Vgl. J. JervelI, Luke and the People of God, 1972, 75. 222 S. Schulz, Spruchqllelle, 406, Anm. 22: In Mt 10,15 ist es "noch sichtbar ... , daB auch in der Vorlage des Mt die Spruchgruppe auf die Stadt bezogen war". Für eine Kritik an Hoffmann vgl. auch Schürmann, Lk II, 55.73.75; MarshalI, Lk, 421; R. Ura, Sheep among the Wolves,I987, 67-70, Anm. 188. "lt is relatively certain, then, that Luke's source contained something like Lk Io,8, and the coming into a town and the disciples' behaviour there are not Lukan creations", 70. 223 ]. Jeremias, Sendung, I966, I34f. 224 B.S. Easton, Lk, I60; ihm folgend MarshalI, Lk, 418: "The command to dispense with them (the greetings = RG) is so unusual that it must be original." 225 Es dürfte nicht zu bestreiten sein, daB diese am Anfang der Aussendungsrede in Q und Mk belegte Regel ein ursprünglicher und wesentlicher Teil der frühesten Missionsanweisungen war. Nach einer Besprechung der Unterschiede in der Aussendllngsrede bzgl. der Botenregel zwischen den synopt. Evv. stellt Marshall fest, es sei am wahrscheinlichsten, daß Q "the original, rigorous instructions of Jesus for a brief mission ...., wiedergibt, wobei s.E. Lk und Mt unterschiedliche Fassungen von Q zur Verfügung standen O'darshall, Lk, Ff.3Ff). So wäre Lk IOA auch das
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der Ausdruck "Frieden", "Sohn des Friedens"z26 und die Vorstellung vom Ruhen und Zurückkehren des Friedens 227, IO,5-7a die Verbindung von Kommen und Bleiben 228 , IO,7a die Anweisung zu bleiben, zu essen und zu trinken 229 , IO,7b der Arbeiter und sein Lohn 230 , Verbot des Stabes mit 9,3 und Mt 10,JO zu ergänzen. Vgl. auch E. Percy, Die Botschaft Jesu, 1953, 29; R. Laufen, Die Doppelüberlieferung der Logienquelle und des MkEv, 1978, 265; Hahn, Mission, 36 und ihm folgend M. Henge!, Nachfolge, 1968, 84, die alle von der Authentizität der Anweisung ausgehen. Hengel weist darauf hin, daß eine solche Tradition als Gemeindebildung kaum denkbar wäre, "da sie den realen Missionserfordernissen der Ilachö~terlichen Zeit widerspricht". Gegen P. Hoffmann, Studien, 312-33I und S. Schulz, Spruchquelle, 409.4J4f. Hoffmann und Schulz schreiben dieses hohe Ideal einer nach österlichen Q-Gemeinde zu. Hoffmann findet die Bedeutung der Ausrüstungsregel in der besonderen inhaltlichen Aussage des Friedens und der Armut. Schulz sieht die radikale Ablehnung des Besitzes als Entsprechung zur "mörderisch-wölfischen" Natur der apokalyptischen Sendung zu Israel. Hier ist zu fragen, ob beide Sinn deutungen tatsächlich nur von einer Q-Gemeinde oder nicht ebenso gut von Jesus selbst und seinem Jüngerkreis behauptet werden könnten. Vgl. MarshalI, Lk, 4I8. 226 Vgl. Hoffmann, Studien, I982, 297. Mit dem Friedensgruß kündigen die Boten Jesu "den Anbruch des Reiches an; ihr Auftreten gehört dann bereits, wie auch das Auftreten Jesu (vgl. Lk ro,23flMtI3,16f), zum Endzeit-Geschehen". Die Verbindung der Seligpreisungen (Lk 6,2Of; Mt II,5 = Q) mit der Friedensbotschaft des Endzeitpropheten nach Jes 52,7 und Nah 2,I deutet auf einen Ursprung bei Jesus selbst. Vgl. Stuhlmacher, Das paulinische Evangelium, 1968, I47ff für eine ausführliche Behandlung der Tradition. 227 EiP1lv 1'] als Bezeichnung des Heils im eschatologischen Vollsinn und die semitisierende Wendung 'uio~ dp1lvl']~, die sich im NT nur an dieser Stelle belegen lassen, sind vorlukanisch. Auch das Fehlen der Kopula im Friedensgruß mug als unlukanischer semitisierender Sprachgebrauch eingeordnet werden. Vgl. dazu]. Jeremias, Sprache, r980, 2I.76.r85. 228 Die Anweisurigen über den Friedensgruß, die Söhne Gottes und über das Bleiben bei ihnen gehören schon im ältesten Überlieferungsstadium zusammen. Denn die Instruktionen über das Betreten der Häuser lind den Grug verlangen eine Fortsetzung des Bleibens, um eine inhaltlich ausreichende Aussage zu machen (gegen Hahn, Mission, 36, der den ganzen V. 7 als sekundäre Erweiterung ansieht). WeIchen Zweck hätte die einfache Anweisung über das Betreten eines Hauses und den Gruß gehabt? Auch formgeschichtliche Argumente sprechen dafür: Sowohl in Mk 6,10 als auch in der von der Q-Quelle nicht direkt abhängigen Überlieferung 2 Joh 10; Did II,I.4f; 12,I.2 (vgl. auch Ign Eph 6,r) ist der Zusammenhang von Kommen/Grüßen und Bleiben/Aufnahme stets gegeben; diese Elemente gehören offensichtlich von der Sache her eng zusammen. Vgl. Hoffmann, Studien, 296. 229 Lk IO,7a ist durch die Dublette in Mk 6,IOb als alte Überlieferung erwiesen (H.]. Klauck, HG, 57, Anm. 99). Außerdem findet sich nach J. Jeremias, Sprache, I980, r 8 5 die in Prosa ganz seltene poetische Form ea6w im NT nur dreimal: Mk 1,6; Lk 22,30 und in unserer Stelle. Dies spricht für die vorlk. Herkunft vom
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Hausgemeinde und iVIissio11
Io,8b die Anweisung, das zu essen, "was euch vorgesetzt wird"23\ der Hinweis auf das Heilen und das Reich Gottes 232 , IO,II
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Ausdruck ea8oyw; Kat JttVOYW;, der in den älteren Ausgaben von Nestle enthalten war. Der primäre Sinn dieser Formulierung dürfte die Aufnahme der Boten in die Hausgemeinschaft sein. Vgl. P. Hoffmann, Studien, 297: "Das Mahl dokumentiert die Gemeinschaft, die zwischen Gastgebern und Boten besteht." Diese Anweisung geht, so auch Hoffmann, höchstwahrscheinlich auf den irdischen Jesus zurück. 230 Nach Dalman, Jesus, 210, ist dieser Spruch in der jüdischen Literatur als Sprichwort nicht belegt, was gegen die Vermutung von R. Buhmann, Geschichte, 1979, I07 spricht, daß es "offenbar ein Sprichwort, das von der Gemeinde für die von ihr produzierte Instruktionsrede nutzbar gemacht" sei. Auch die schon oft beobachtete Verbindung von IO,7b zu rKor 9,4-18 und 2Kor II,7-13 kann nicht nur als ein Eintragen des Gedankens vom apostolischen Unterhaltsrecht in die Botenrede (vgl. Schürmann, Lk II, 70; H.]. Klauck, HG, 57), sondern auch in entgegengesetzter Richtung verstanden werden. Es könnte genauso gut möglich sein, daß Jesustradition, speziell die Aussendungstradition, die Grundlage bildet flir das apostolische Unterhaltsrecht, wie es in I und zKor usw. überliefert ist. So gesehen hätte Paulus auf alte Tradition zurückgegriffen. Es sprechen gute Argumente für diese Sicht. Paulus erkennt die Anweisung in Lk IO,7b als einen Befehl des Herrn an (rKor 9,14) und deutet damit an, daß schon zur Abfassungszeit des rKor (etwa im Frühjahr 55) die Regel weite Verbreitung und Anerkennung im frühen Christentum genossen hat. Wenn Paulus in rKor 9,14 auf Lk IO,7b Bezug nimmt, was oft angenommen wird (vgl. z.B. C.M. Tuckett, Paul and the Synoptic Mission Discourse, EThL 60, (1984), 376-381; A.E. Harvey, "The Workman is Worthy of his Hire", NT 24 (1982), 209-221, v.a.218f; B. Fjärstedt, Synoptic Traditions in I Cor, 1974, 64-77; K. Beyschlag, Clemens Romanus, 1966, 34.), dann ist diese Anweisung bzgl. des Arbeiters und seines Lohnes schon sehr früh als Missionsregel des Herrn bekannt, und wir kennen keinen besseren Traditionszusammenhang für Lk 10,7b als die Aussendungsrede der Logienquelle, v.a. in Lk 10,5-7. 231 Dies paßt nicht mehr zu der nachösterIichen palästinischen Gemeinde, aber sehr gut zu der Haltung Jesu hinsichtlich der Speisevorschriften (M. Henge!, Ursprünge der christlichen Mission, NTS 18 [1971121 36). VgI. Mk 7,15, der als ursprüngliches Wort Jesu gilt, da dieser Lehrspruch im antithetischen Parallelismus gehalten und wortspielartig formuliert ist. Bei der Rückübersetzung ins Aramäische erkennt man zudem einen ausgeprägten Rhythmus. VgI. W. Paschen, Rein und Unrein, 1970, 177; ihm folgend Pesch, Mk, 379. Nach Lk 10,8b befreit Jesus die Ausgesandten von der Sorge, ob das, was man ihnen reicht, auch den jüdischen (pharisäischen) Speisevorschriften genügt (ICH. Rengstorf, Lk, 137; Schlatter, Lk, 277). Damit ist 8b nicht einfach als Wiederholung von IO,7b zu verstehen; in 7b ist wohl noch nicht an die Speisevorschriften zu denken, wie 7C wahrscheinlich macht (Schürmann, Lk II, 69.73). Für die Zeit ]esu auf palästinischen Boden müßte man es so auslegen: 'Nehmt keine Rücksicht auf pharisäische Speisevorschriften', wobei man in der Zeit der Heidenmission und in der Zeit des Lk auch an jüdische Spiesevorschriften überhaupt denken konnte (vgl. lKor 10,I7). Anders Manson, Sayings, 75; Grundmann, Lk, 210; Ernst, Lk, 333f; H. Räisänen, Jesus and the Food Laws: Reflections on Mk 7,r 5, ]SNT r6 (1982), 59-100, ".3.
Die vorästerliche Verwendung von Häusern
ror
die eschatologische Spannung und der große Ernst233 und schließlich IO,I7 die nach dem Einsatz erfolgte Rückkehr der Jünger zu Jesus 234 . Das hohe Alter des Berichtes wird auch von folgender Beobachtung gestützt. In der Perikope Mk ro,28-30235 befindet sich ein ursprünglicher Amen-Spruch (ro,29f). Es spricht einiges dafür, daß er ein echtes Jesuswort darstellt236 • Der Konditionalsatz (ro,29f) ist notdürftig gräzisiert und ursprünglich in aramäisch formuliert 237 • Der in rO,29 angesprochene Verzicht auf Haus (oiKiav), Familie und Äcker (tXypou~) ist ganz im Horizont palästinisch-!ändlichen Milieus sowie der Ethik einer extreme Lebensbedingungen fordernden Wandermission, wie Jesus und seine engsten Nachfolger sie
83; P. Hoffmann, Studien, 276-283. Gegen die Annahme Hoffmanns, daß Lukas Io,8b komponiert hat, um die unlogische Reihenfolge von Haus und Stadt zu glätten, die in Folge seiner Komposition der Stadtanweisungen entstanden sein soll, spricht folgendes: Es ist unwahrscheinlich, daß Lk diese störende Verbindung gebildet hat, um diese Spannung zu glätten. Wir dürfen. annehmen, daß ein Theologe vom Format des Lukas erkannt hätte, das Problem damit auch nicht gelöst zu haben, denn dies wäre eine Wiederholung des Gedanken aus 7b und keineswegs eine Verminderung der Spannung. Vgl. R. Uro, \Volves, 68ff. 232 Vgl. F. Hahn, Mission, 35f. Nach Hahn ist "der Auftrag, ebenso wie Jesus selbst die Ilahegekommene Gottesherrschaft zu verkündigen und Machttaten zu vollbringen ... als echt anzusehen". Ihm folgen M. Henge!, Nachfolge, 1968,84f, und Lührmann, Redaktion, 59. Vgl. auch P. Hoffmann, Studien, 299, der auch das Wirken der Jünger in deutlicher Bezugnahme auf das \'V'irlcen Jesu sieht. Die Verbindung von Heilung und Gegenwart des Reiches ist in dem echten Jesuswort Lk II,zo/MtI2,z8 belegt und wird auch dort auf das Wirken der jünger übertragen (Lk II,Z3/Mt T2,30). 233 Zum ganzen vgl. E. Schweizer, Ivlk, 68. 234 Vgl. auch Lk'9,1o. Hier ist die Aussendung der jünger eine Aussendung auf Zeit. Nach Ostern war diese Rückkehr zu jesus nicht mehr möglich. Hier wird also eine vorösterliche Situation sichtbar. In diesem Zusammenhang ist auf die Doppelüberlieferung hinzuweisen. In der zweiten Fassung bei Mt 10,7-16 kehren die Jünger nicht mehr zu Jesus zurück, was eher eine nachösterliche Situarion reflektiert. 235 In de'r Forschung wird im allgemeinen angenommen, daß der Spruch bereits aus urchristlicher Sicht überarbeitet wurde. Der Begriff "Evangelium" und die Formulierung "wenngleich unter Verfolgungen" können hinzugefügt worden sein. Da diese Ausdrücke als ursprünglicher Teil des Spruches für unsere Studie unerheblich sind, rnug auf diese Fragen nicht eingegangen werden. Ohne sie hätte der Spruch eine noch radikalere Verheißung für die damalige Zeit beinhaltet. Vgl. G. Lohfink, Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?, 53. 236 Dazu vorsichtig Peseh, Mk, 144f. 2r , K. Beyer, Syntax I, I 19f.
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Hausgemeinde und Mission
praktizierten238 und wie wir sie aus dem Aussendungsbericht in Lk 10,2-12 kennen 239 . Auch die Verheißung Jesu an seine Jünger in Mk Io,29f entspricht ganz der Situation der Wandermissionare: Sie empfangen auf ihrer Wandermission alles, was sie verlassen hatten, an vielen Orten "hundertfältig" bzw. vielfach zurücP40. Hier liegt also ein echtes Jesuswort vor, das die Aussendungsrede in ihrem historischen Informationswert bestätigt241 • Mit H. Schürmann gehen wir davon aus, daß vom Faktum der Aussendung her ein vorästerlicher Anfang für große Teile der Logienquelle und speziell für die Aussendungsrede in Lk 10,2-12 angenommen werden kann 242 • Lk 10,2-12 gibt nach F. Hahn, M. Hengel und D. Lührmann, Einblick in älteste, höchstwahrscheinlich auf Jesus zurückgehende Weisungen243 • Die radikale Forderung, ohne Ausrüstung in die Mission auszuziehen, auf eigene Habe zu verzichten und somit auf die Gastfreundschaft der Häuser angewiesen zu sein, ist sicherlich mit der Haltung und dem Vorgehen Jesu zu vereinbaren244 •
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M. I;engel, Nachfolge, I968; G. Theißen, Wanderradikalismus, passim; ders., "Wir haben alles verlassen" (Me. X 28), NT I9 (r977), r61-r96. Dies wird unterstützt durch die Beobachtung, daß palästinisches Kolorit auch in Lk rO,5f, sowie die Ausrüstungsregel, die keine sehr weite Reise ermöglicht, es erkennen lassen, daß es sich in Lk rO,4.5-6 ursprünglich um "eine Anweisung für Sendlinge im palästinischell Raum" (Schürmann, Lk II, 7X) handelte. Dies würde sehr gut in die Zeit der irdischen Wirksamkeit ]esu hineinpassen. "Hundertfältig" ist natürlich perspektivisch auf die weitere nachösterliche" Mission zu beziehen. Erst nach Ostern gab es hunderte von Gemeinden. Für die Jünger aber ist dies im übertragenen Sinne schon vor Ostern wirklich geworden. Dies läßt sich v.a. an Hand des Beispiels Petrus zeigen. Schon vor Ostern hat er seine Familie zurückgelassen (interessant ist die Beobachtung, daß seine Familie nicht verweigert, sondern mitgemacht hat). Er ist dann (vgl. die Aussendungsrede) auf seiner Wandermission von anderen Familien aufgenommen worden. Aber auch nach Ostern fand er Unterkunft in ]erusalem im Haus der Maria (Apg 12,12), in Korinth (rKor 1,1Off), in Antiochien (GaI2,rrf). Anders W. Stegemann, Wanderradikalismus im Urchristentum?, r979, r07-IIO, der dieses Wort analog zur Gemeindesituation eines seßhaften Religionswechslers versteht. Freilich will Schlirmann die Absonderung des Lk 10,3-7 von Lk 10,8-II wahrscheinlich gemacht haben, und ordnet Lk xO,3.4.5-7a einer vormarkinischen und doch vorösterlichen Schicht zu. Vgl. Anm. 207. Hahn, Mission, 36; Schürmann, Lk I, 71; vgl. auch G. Theißen, Wanderradikalismus, 257, und ihm folgend H.]. Klauck, HG, 56-60. Thcißen geht von der
Die vorösterliche Verwendung von Hättsem
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Demnach kann Lk 10,2-12 als zuverlässige vorösterliche, auf Jesus zurückgehende Tradition gesehen werden, auch wenn die Frage nach der Einheit der Perikope insgesamt offenbleibt und mit der Möglichkeit minimaler lk. Redaktion gerechnet werden muß. So kann angenommen werden, daß die Ausrüstungs-, Haus- und Stadtanweisungen in Lk 10,2-12 auf den irdischen Jesus zurückgehen und schon vor Ostern von Jesus an seine Jünger weitergegeben wurden. 2.
Haus- und Dorfmission der Jiinger Jesu
Es scheint naheliegend, daß Jesus seine Jünger bei der Aussendung zur Mission tatsächlich auch dazu angeleitet hat, Häuser so zu gebrauchen, wie er sie selber gebraucht hat, und zwar als Quartiere und Stützpunkte für die Mission245 • Aber war es wirklich so? Bei der folgenden Untersuchung wird also zu fragen sein: Was können wir von der Aussendungsrede Lk 10,1-12 über die Anweisung Jesu an seine Jünger bzgl. des Gebrauchs von Häusern und über die Jünger Jesu und deren Verwendung von Häusern im Rahmen ihrer Mission erfahren? Zunächst fällt auf, daß Jesus seine Jünger paarweise aussendet. Der Ursprung dieser Praxis liegt wahrscheinlich im alttestamentlichen Zeugenrecht. Nach diesem Recht galt eine Aussage als beglaubigt, die durch zwei oder drei Zeugen bestätigt wurde 246 • Damit ist zugleich etwas über das Selbstverständnis der Paare gesagt: Sie sahen sich als missionarische Zeugen des kommenden Gottesreiches. Des weiteren: Es wurde schon oft auf die zwei Stufen der Aussendungsrede - "Haus" (sa) und "Stadt" (Sa) - hingewiesen. Diese Stufen entsprechen zwei Phasen einer alten Missionsstrategie147 : Die
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"Echtheit" und damit von einem vorösterlichen Aniang der WanderradikalismusÜberlieferung aus. So schon E. Ravarotto, La "casa" de! vangelo di Marco e la casa di SimonePietro?, Anton. 42 (1967), 399-4I9; v.a. 405. J. ]eremias, Sendung, 1966, I34f. Dieser in Otn T7,6; I9,5; Num 35,.1° belegte Rechtssatz ist im NT oir aufgenommen worden. Vgl. Mt 18,16; 26,59f; loh 8,17; 2Kor 13,1; TTim 5,19; Hebr 10,28. Vgl. D.F. Hauck, Lk, 139f. Für ihn ist dies aber "mehr formal glatt als inhaltlich ursprünglich". W. Grundmann, Lk, 209; J. Ernst, Lk, 334; H.]. Klauck, HG, 57. Auf die Fragen bzgl. der Zahl (70 oder 72) der Ausgesandten, der Ausrüstungsregel mit ihren Anweisungen zur radikalen Armut und ihrem GrulSverbot usw. können und müssen wir hier nicht eingehen. Wie wir oben gezeigt haben, ist da-
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Hausge111einde und Mission
Verkündigung setzte in einem Haus bzw. in einer Familie wohl zunächst beim Hausvorstand 248 an (vgI. unten), dehnte sich von dort in weitere Kreise aus und erreichte dann ihren Höhepunkt in dem Erreichen einer ganzen Stadt mit der Basileia-Botschaft. Der Oikos ist so gesehen das vorläufige Nahziel der Mission; die Hausgemeinschaft Ausgangs- und Sammelpunkt für das Endziel, die Stadt- bzw. Dorfmission249 • Die Hausmission stellt die erste Stufe der Verkündigung von Person zu Person dar; die zweite Stufe beinhaltet die Stadtmission, wobei es nicht eindeutig ist, ob die Stadt dann von Person zu Person bzw. von Haus zu Haus oder durch die freie, öffentliche Predigt (z.B. auf den StrafSen, auf dem Marktplatz oder in der Synagoge) erreicht werden solF50 . Der vorherrschende Gedanke liegt aber auf jeden Fall in dem Fortschreiten der Mission vom Haus zur Stadt. Dies ist wohl das Verständnis des Lukas, der damit die missionarische Vorgehensweise seiner Gemeinde (oder der Q-Gemeinde?) widerspiegelt251 . Es ist aber gut denkbar, daß Lukas mit seiner Aussendungsrede zugleich einen historischen Sachverhalt nicht nur wiedergeben wollte252 , sondern tatsächlich wiedergegeben hat und daß Jesus seine Jünger wirklich so zur Mission angeleitet und ausgesandt hat. Schließlich ist Jesus selbst so vorgegangen, wie dies zumindest für Kapernaum und das "evangelische Dreieck" deutlich belegt ist. Wie schon erwähnt, wurde oft auf die Stufen von der Haus- zur Stadtmission hingewiesen. Allerdings sehen die meisten Exegeten diese als alte urchristliche Missionsstrategie, die eine fortgeschrittenere Entwicklung als vorösterlich möglich voraussetzen (z.B. setzen Anweisungen zur Regelung eines Problems eine Situation in der l\tIisvon auszugehen, daß ]esus seine Jünger ausgesandt hat (ob 12 oder 70/72 oder bei des ist für unseren Zusammenhang unerheblich). Vgl. dazu z.B. P. Hoffmann, Studien, 263-267.312-334; 1\11. Hengel, Nachfolge, passim; R. Uro, Wolves, 5974·II7-I34; Theißen, Soziologie, passim; R.A. Horsley, Sociology, 1994, 105129 und die gängigen Kommentare. 248 Wir gebrauchen hier Hausvorstand, um die Möglichkeit einer Hausherrin und eines Hausherrn offenzulassen. 249 In Wirklichkeit ging es wohl eher um Dörfer und deshalb um Dorfinission. Da aber Lukas hier das 'Vort nOAt4I; Lk 24,13 aus vorlk. Tradition - so J. Wanke, Die Emmauserzählung, 1973, I23. c.]. Hemer, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, 1989, 108, weist darauf hin, daß Apg I,12 die Kenntnis der Jerusalemer Topographie unterstreicht. Vgl. auch dazu M. Hengel, Der Historiker Lukas, ZDPV 99, (1983), I47-183. Vgl. BI.D. § 252: "Bei Neueinführung von bisher Unbekanntem ohne Zusammenfassung der Gattung steht ... kein Artikel". So schon Th. Zahn, Die Apg des Lucas, 1916, 44; auch H. Conzelmann, Apg, 1963, 23; F. Mngner, Apg, 1984, r8; mit Mußner R. Riesner, Jesus, the Primitive Community and the Essene Quarter of Jerusalem, r992, I.98-234, V.a.202; auch für G. Lüdemann, Das frühe Christentum, 1987, 35, verbirgt sich hinter dem Ausdruck "Obergemach" eine traditionelle Ortsangabe über den Versammlungsraum der Jerusalemer Gemeinde. Der bestimmte Artikel und das Fehlen irgendeiner Erklärung des Obergemachs ist ein Hinweis darauf, daß der Verfasser einen sehr bekannten Ort im Sinne hatte. Für die historischen Implikationen eines derartigen Gebrauchs des Artikels vor "Obergemach" vgl. u. S. 156!. Mit Lüdemann, Das frühe Christentum, 1987,35. R. Pesch, Apg VII, 78f; vgl. auch J. Jervell, Apg, 120; G. Lüdemann, Das frühe Christentum, 1987,35. R. Pesch, Apg VII, 80; clers., Simon Petrus, 1980, 71-74; J. Jervell, Apg, IIS. Geg. G. Schneider, Apg, 199, Anm. I3; Lüdemann, ebd., 33.
Die nachästerliche Verwendung von Häusern in der Urgemeinde 13 I
Auch 1,15 ist überwiegend vorlukanische Tradition. Nur avuarac; ... ElJ'tEV und wod sind lk ll . Der Zeitanschluß (1,I5a ev 'tute; 1l!lepme; 'tuu'tme;) ist wohl vorlk., denn er wird von Lukas in dieser Form nur selten gebraucht12 • Auch 15b wird aus folgenden Gründen zur vorlk. Tradition zu rechnen sein: Der Ausdruck eJ'tt 1:0 mh6 ist ale 13 • Die Erzählteile I,I5.23-24a.26 sind durchgängig sechsmal mit KUt gereiht. Es fällt auf, daß sie "in dichter Folge konkrete Angaben machen und nur wenig von luk. Stilgebung geprägt sind,,14. Sie bilden miteinander eine Einheit, nämlich einen kurzen Bericht über die Wahl des Matthias. Deswegen kann man hier von einer vorlk. Tradition ausgehen, die schon mit 1,12-14 verbunden gewesen sein könnte 15 •
b) Inhaltliche Analyse Gleich zu Beginn seiner Darstellung (Apg I,uff) berichtet Lukas, daß nach der Himmelfahrt die Jünger vom Ölberg nach Jerusalem zurückkehrten, in ein Haus hineinkamen und in das Obergemach (Eie; 1:0 uJ'tEP0ov)16 hinaufstiegen. Exkurs: VrcEpt[;OV Die Verwendung dieses Begriffes ist in der hellenistischen Zeit weit verbreitetl? gewesen und weist auf das obere (erste oder zweite) Stockwerk eines Hauses hin l8 , d.h. auf einen mit Fenstern versehenen Die Redeeiniührung in I,1 5 hat Lukas wohl in Blick auf die Petrusrede (I, I 6-2.2) eingefügt. wad entspricht dem lk. Sprachgebrauch (vgl. Apg 2,3.41; 6,15; IO,3; 19,7)· 12 Vgl. 1,15; 6,I; II,27 mit Zeitanschluß jeweils immer zu Beginn von Bestallungserzählungen. 13 Für den Nachweis s. S. 147 u. 168. Ob Lukas die Wendung in diesem Zusammenhang vorgefunden hat und sie dann in 2>44.47 in selbständiger Weise gebraucht hat (so M. Dömer, Das Heil Gottes, 1978, 143) oder auch umgekehrt bzw. in beiden Zusammenhängen vorgefunden hat, wofür viel spricht (s. auch u.), ist heute nicht mehr auszumachen. 14 R. Pesch, Apg VII, 84. Zusätzlich zu der minimalen lk. Redaktion in 15 (s.o.) sind 'tov KaAO\)~IEVOV (23b) und anomoAOlv (26) wohl auch lk. Ein· bzw. Anfügungen. 15 VgJ. R. Pesch, Apg VII, 84. 16 Vgl. zum Ganzen: B.B. Thurston, 't0 \l1tEpQOV in Acts 1,13 ET 80 (1968), 2.1f. I? VgJ. Bauer-Aland, 1678. 18 Oxyrynchus Papyri, Part I, ed. B.P. Grenfell und A.S. Hunt, 1898, LXXVI. Ii. VgJ. auch G. Dalman, Orte und Wege Jesu, 1924, 29M. Das aramäische Nn)~"y wird ähnlich verwendet; (vgl. b.Baba Bathra 13 3 b). 11
Hausgemeinde und Mission
zusätzlichen Raum auf einem flachen Dach von größeren Häusern, den man durch "Hinaufsteigen" nur über eine Außentreppe erreichte. 1m Orient war das Obergemach der luftigste und am besten ausgestattete Raum des Hauses. Ein solcher Raum war keine Seltenheit in der antiken Architektur und wurde in verschiedener Weise gebraucht. Obergemächer wurden in der Regel, anders als der untere große Wohnraum, nicht für die allgemeinen, täglichen Lebensfunktionen (Schlafen, Kochen, Essen usw.) verwendet 19 • Sie waren eher Orte der Ruhe und konnten bereits im AT gelegentlich eine gewisse religiöse Bedeutung haben (IKön I7,19ff; 2Kön 4,rof; Dan 6,rr). Deshalb wurden sie später zur bevorzugten Versammlungsstätte für Schriftgelehrte (Bill. II, 594f). Den Gelehrten dienten sie nicht nur als VersammJungsräume (Schab 1,4; jSanh 2Ib), sondern auch als Studierzimmer (bSchab 13 b) und als Gebetsstätte 20 • Angesichts dieses antiken und jüdischen Gebrauchs scheint es durchaus plausibel, daß die Urgemeinde ein Obergemach als Versammlungsraum verwendet hat. Unser Text setzt, wie 1,14f verrät, einen größeren Versammlungsraum voraus. In diesem Zusammenhang wird nur selten die Frage gestellt, wo sich eine Gruppe dieser Größenordnung hätte treffen können 21 . Die These, daß ein privates Obergemach, in dem über hundert Menschen Platz finden konnten, unvorstellbar sej22, läßt sich archäologisch widerlegen 23 • Ausgrabungen in Jerusalem zeigen deutlich, daß solche Möglichkeiten der Unterbringung zahlreich vorhanden gewesen wären 24 , wenn auch die Zahl von etwa 120 als 19
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Sie sind anscheinend vom Hauseigentümer als Gästezimmer oder als separate Quartiere für eine verwitwete Tochter oder einen frisch verheirateten Sohn reserviert worden. Vgl. S. Safrai, Home and Family, CRI 1-2: 728-792, v.a.73 off. Vgl. E. Peterson, Die geschichtliche Bedeutung der jüdischen Gebetsrichtung, I959, I-I4Vgl. P. Stuhlmacher, Biblische Theologie I, 204 und R. Pesch, Apg VII, 77ff als Ausnahmen. B.B. Thllrston, 1:0 lJ1tEP4JOV in Acts I,I3, ET 80 (I968), 2If denkt an eine Halle im Tempel. Dagegen spricht, daß Lukas mit der "Halle 5alomos" (01:oeX 1:0Ü IaAO~IWV1:0~) ausdrücklich eine andere Orts bezeichnung verwendet (Apg 3,1 I; j,I2; vgl. Joh IO,23; Bell V. 185). Mit R. Riesner, Das Jerusalemer Essenerviertel ... , I840' Anm. 308. Mit R. Pesch, Apg VII, 81. Vgl. B.B. Blue, Acts and the Hause Church, I994, II9-222, v.a.I40-144.I98204, und Y. Hirschfeld, The Palestinian Dwelling in the Rom.-Byzantine Period, ! 99 5, 2I-I07 für Beispiele solcher palästinischen Häuser aus dieser Zeit inklusive Beschreibungen und Grundrissen; vgl. auch M. Broshi, Excavatiolls on Mt. Zion.
Die nachästerliche Verwendung von Häusern in der Urgemeinde 1.3.3
äußerster Grenzwert aufzufassen ise5 (zum Symbolwert der Zahl 120 s. u. Anm. 3 I). Für Lukas und für seine Leser ist dieses Obergemath schon eine feste Gräße 26 • Lukas scheint dieses Haus "als Prototyp der urkirchlichen Gottesdiensträume darzustellen ,,27. Dort haben die Jünger Jesu Gemeinschaft miteinander gepflegt (Apg 1,14)28 und miteinander gebetet (Apg 1,14; 4,31). Dort, wo sie sich aufzuhalten pflegten 29 , haben sich nicht nur die ELf und die, die mit ihnen waren, sondern insgesamt etwa I20 Gläubige als Gemeinde an einem Ort (i::n:l La Ulno)JO getroffen3 !. Wahrscheinlich haben sie sich dort in diesem Haus auch an Pfingsten versammelr3 2 , wo die Gemeinde später wieT971-72, IEJ 26 (1976), 83-86; N. Avigad, How the wealthy lived in Herodian Jerusalem, BArR 2 (1976), 22-35; ders., Discovering Jerusalem, 1980, 83-137; ders., The Burnt House Captures a Moment in Time, BArR 9 (1983), 66-7 2 ; J. Murphy-O'Connor, The Cenacle - Setting for Acts 2:44-45, 1995, 3°3-321, v.a.3I8-32.1. Über palästinische Architektur im Bereich der Privathäuser allgemein vgl. S. Safrai, Horne and Family, CRI 1,21976,72.8-792., v.a.730-735. 25 Mit Stuhlmacher, BibI. Theologie I, 204. 26 Vgl. den bestimmten Artikel und dazu S. 130 und 157. 27 Vgl. R. Riesner, Essener und Urkirche in Jerusalem, 68, der darauf aufmerksam macht, daß das griechische Wort bloß viermal im NT und ausschließlich in der Apg begegnet. Es kommt immer in Zusammenhängen vor, die auf einen Raum mit primär gottesdienstlicher Nutzung weisen (I·gl. noch Apg 9,37,39; 20,7f). Lk berichtet, daß in diesem Obergemach entscheidende Ereignisse stattfanden: nicht nur das Warten auf den Heiligen Geist und die Wahl des Matthias (Apg 1,13f.15ff), sondern auch die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten (Apg 2,1ff) und spätere gottesdienstliche Versammlungen der Gemeinde (Apg 4,23ff. )1). 28 29
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s. S. I59ff für die Bedeutung von "Gemeinschaft pflegen". E. Haenchen, Apg, 1977, 159, Anm. 3: ~aav KU1;a~U;VOV1:EC; bedeutet beständiger Aufenthalt. s. S. 168 zur Bedeutung von i:nt ,0 mho. Apg 1,15. Die Zahl der etwa 120 ist Lukas vorgegeben und hat wobl schon in der vorlk. Überlieferung wie bei Lukas einen Bezug zum Zwölferkreis (no = roxu), der nun neugebildet wird und damit auch eine Zuordnung der Gemeinde vor Pfingsten auf Israel ist (Pesch, Apg V/r, 87; Roloff, Apg, 3 I). Ob Lukas eine genauere Vorstellung (Rechtsfähigkeit der Versammlung o.ä.; vgl. LH. Marshall, Acts, 1980, 64) mit der Zahl verband ist ungewi/S. Zur angeblich übertreibenden Tendenz des Lukas bzgl. Zahlen vgl. Exkurs unten S. 170. Apg 2,rf. In 2,r-4 liegt sicherlich vorlk. Tradition vor, die vom Verfasser nur wenig bearbeitet wurde (so J. Kremer, Pfingstbericht und J?fingstgeschehen, 1973, 78f; R. Pesch, Apg V/r, 99; C.K. Barrett, Acts I, IrO; gegen Schneider, Apg V,1, 387f und Lüdemann, Das frühe Christentum, 1987, 44). Hier ist vorausgesetzt, daß "alle" (2,1.4a) "am sei ben Ort" (vgl. mit r,15) versammelt sind. D.b. wohl nicht nur die Zwölf (vgl. 1,26; 2,14f), sondern auch die in 1,15 erwähnten I20
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Hausgemeinde und Mission
der zu gottesdienstlicher Versammlung zusammenkam 33 • Dort haben sie vermutlich das Mahl miteinander gefeiert, gelehrt und gepredigt (vgl. Apg 2,46; 5,42). Wir halten vorläufig fest: All diese Elemente sind Eigenschaften einer Hausgemeinde. Anscheinend haben wir es hier im Falle des Obergemachs mit einer HG in dem von uns definierten Sinne (s. o. unseren Forschungsbericht) zu tun 34 • Viel ist über den historischen Ort des Obergemachs nachgedacht und geschrieben worden. Die Tradition hat das Obergemach in Apg 1,13 mit dem Abendmahlssaal gleichgesetzt, der in Mk 14,15/Lk 22,12 aVIXYaLOV genannt 35 und auf dem heutigen Zion (Südwesthü-
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Personen sind in dem" Haus", dessen Obergemach in 1,13 als Versammlungsort genannt wurde, zusammengekommen. So Pesch, Apg VII, 102f; auch C.K. Barrett, Acts I, I I2, hält dies für möglich. Vgl. auch B. Prete, Il sommario di Atti r,13-14 ... , SacDoc r8 (1973), 66-12+ So schon Chrysostomus und auch Hieronymus, Epist. CIII, " ... derselbe Geist, der im Obergemach auf dem Zion auf die einhundertundzwanzig ausgegossen wurde"; vgl. ebenfalls Origenes, Contra Celsum 8,22. Anders Roloff, Apg, 38.41. Er hält den örtlichen Rahmen für unbestimmt, da die in V. 5 erwähnte :Menschenmenge auf den Tempelberg oder einen anderen öffentlichen Platz zu verweisen scheint. Dies ist aber keineswegs zwingend und schließt nicht aus, daß sie am Anfang in einem Haus waren. Es kann sein, daß die Menge aus dem Haus auf die Straße und von da aus zum Tempel ging (vgl. F.F. Bruce, Acts, 51). Außerdem hat Lukas, so Roloff, kein Interesse an der Frage, wo sich diese Geschichte abgespielt hat. Dagegen spricht aber sein eindeutiges Interesse an Häusern allgemein (vgl. H.]. Cadbury, Lcxical notes on Luke-Acts. III. Luke's Interest in Lodging, ]BL 45 (1926), 3°5-322) und sein konkretes Interesse an diesem Obergemach (s. S. 130). Manche übersetzen otKO32). Dort allein konnte einer den anderen kennen, jeder mit jedem persönliche Beziehungen pflegen und füreinander auch in materieller Hinsicht einstehen. Diese Gemeinschaft, wie sie in den Hausgemeinden Jerusalems erfahren wurde, hatte umgekehrt auch ihre Wirkung nach augen. Eine Voraussetzung dafür war wiederum der Oikos, in dem dies alles sichtbar werden konnte. Dazu gehört architektonisch der Ruum, aber auch soziologisch die Familie(n) des Oikos. Beide sind notwendig für dieses "Sichtbar-Werden". "Wie die Christen da - trotz sozialer Unterschiede - miteinander lebten, wie sie die Belange einzelner zu denen aller machten ... bewirkte, daß von ihnen eine Ausstrahlungskraft ausging, die nicht ohne Antwort blieb ... Ivlehr noch: Von diesen Gruppen ging eine Anziehungskraft aus, die andere in
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Ähnlich wie der Gottesfürchtige Kornelius Petrus einlud (Apg Io-rr).Näheres s. S. 20r. Apg 2,4 2 ; s. auch S. 160, Anm. 127 und gleich unten für eine weitere Bestimmung dieser Gemeinschaft. Zum familiären Charakter der nr!. HGn vgl. W. Rordorf, Die Hausgemeinde der vorkollstantinischen Zeit, 1993, 76-85.
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Hausgemeinde und Mission
ihre Nlitte führte. "229 Den engen Zusammenhang zwischen intensivem Gemeinschaftsleben und Wachstum der Gemeinde beleuchtet Apg 2,47, in dem es nach einer Beschreibung dieser KoinoniaGemeinschaft heißt: "Sie hatten Gnade beim ganzen Volle Und der Herr tat täglich solche hinzu, die gerettet wurden." Das attraktive Zusammensein der ersten Christen zog also andere in ihre Mitte. Diese Mitte bestand nicht nur in der menschlichen (von Gott gewirkten) Attraktivität der ersten Christen, sondern auch und vor allem im Wahrheitsgehalt der Apostellehre: Der Gekreuzigte Jesus ist der erhöhte Christus und der wiederkommende Herr der Welt (Apg 2,36)230. Zur Apostellehre gehörten sicherlich der Dekalog und die Weisungen Jesu. Für die Weisung Jesu ist das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe (vgl. Mk 12,28-34 par) sowie das Gebot der Feindesliebe (vgl. Lk 6,27-3 6/Mt 5,38-48) besonders typisch gewesen. Diese Gebote in Verbindung mit der Spruchreihe über das Einander-Dienen (Mk I0,42ff par) lassen die Umrisse der Lebensgemeinschaft deutlich werden, die hier in der Urgemeinde praktiziert wurden (S. S. I59f). Sie stand in starkem Kontrast zu dem sonst üblichen religiösen Leben und wirkte nicht zuletzt deswegen so anziehend auf ihre Umgebung Z3l • Zusammenfassend läßt sich ein Zwischenergebnis formulieren. Eine missionarische Bedeutung der Jerusalemer HGn liegt in dieser doppelten Bewegung: Sie waren Übungsplätze der christlichen Brüderlichkeit nach innen und Schauplätze der christlichen Brüderlichkeit nach außen. Hier muß man eher von einer missionarischen Ausbreitung des Evangeliums sprechen, die weniger von der missionsstrategischen Initiative einzelner, als vielmehr von einer Ausstrahlung der brüderlichen Liebe untereinander gekennzeichnet war. Allerdings sei hier noch einmal gesagt: Wir haben keine direkten Belege (weder hinsichtlich der Gesprächs- noch der Lebensweise) für
219 230 23]
Vogler, Bedeutung, 1982, 7 88f; Vgl. v.a. Apg 2,4z-47; 5,14; T. Lorenzen, Die christliche Hauskirche, ThZ 41 (1987),333-352, 336f. v.a. Amn q. . • . Vgl. P. Stuhlmacher, BibI. rheol. I, 2Ozf. Vgl. G. Lohfink, Wie hat Jesus Gemeinde gewollt?, 142-154.I81-188. Nur die Essener hätten den frühen Christen in Jerllsalem in diesem Bereich eine Konkurrenz sein können, und dies um~o mehr im Falle einer essenischen Präsenz in Jerusalern zur Zeit Jesll (s. S. 152, Anm. 104). Dies kann aber zugleich als Ansporn für die lfrgemeinde gewirkt haben. "Schon allein aus missionarischen Gründen konnte sich die Urgemeinde kein weniger verbindliches Leben leisten als ihre Nachbarn." So R. Riesner, Esseller und Urkirche, 76.
Die nachöstetliche Verwendung von Häusern in der Urge111einde I8 I
ein solches hausmissionarisches Vorgehen in der Jerusalemer Urgemeinde. Einen indirekten Hinweis für die missionarische Bedeutung von Häusern mag man im folgenden sehen. \'V'ie wir wissen, voJ[zog sich die Mission der Jerusalemer Urgemeinde nicht nur in der Stadt, sondern breitete sich auch auf deren nähere Umgebung aus (vgl. Apg 5,I6)232. Das läßt sich leicht erklären, zumal Mitglieder der Urgemeinde dort (z.B. in Betanien, Emmaus, Jericho) zu Hause gewesen sein dürften 233 • Denkbar ist, daß ihre Häuser Stützpunkte der Jerusalemer Mission bildeten. Außerdem ist zu bedenken, dag Lukas eher das Wirken der Apostel in aller Öffentlichkeit und das sprunghafte Wachstum der Urgemeinde durch Massenbekehrungen betont. Als Verfasser ist er dafür bekannt, daß er manches unerzählt läßt. Immerhin vermutete schon C. Weizsäcker, dag die Urgemeinde auch in Jerusalem die oben beschriebene Art von Hausmission praktiziert habe, denn die Hindernisse werden dort, etwa durch die Sorge vor den Behörden, am größten gewesen sein 234 • Nicht jeder Christ ist wohl so mutig wie Petrus und Johannes gewesen und hat lieber anstelle der öffentlichen Verkündigung die private Sphäre des Hauses und das persönliche Missionsgespräch vorgezogen 235 • Dies galt wohl' auch schon vor 32/34 durch die Verfolgungstätigkeit des Paulus in Jerusalem (Apg 8,I:-3 ). Die Tatsache, dag schon vor, aber auch nach Ostern (sowohl bei der jesuanischen als auch bei der paulinischen Mission) Häuser eine zentrale missionarische Bedeutung hatten, ist auch Grund zur Vermutung, dalS sie in der Jerusalemer Urgemeinde eine solche Rolle
Das geht aus Mt IO,23 und Apg 9>3 I-43 hervor (vgl. R. Pesch, Voraussetzungen und Anfänge, 48). Über die Existenz judäischer Gemeinden sind wir auch durch Apg 0,I.29; Gal I,22; 2Thess 2.,14 unterrichtet. Auch Mk 13,14 setzt judäische Gemeinden im Umkreis Jerusalems voraus. 233 Dafür sprechen die ausdrückliche Erwähnung der Namen in Mk I4,3-9; rO,4652 lind Lk 24,I3-35. Mit R. Pesch, ebd., 48. Vgl. auch Lk IO,38-42; Joh II,Iff; I2,2. 234 Das apostolische Zeitalter der christlichen Kirche, 19°2, 2~f. 235 Außerdem ist zu fragen, ob nicht die einen eher die Berufung zur öffentlichen Predigt, die anderen zur missionarischen Wirkung durch Gespräch und Leben hatten. Den Eindruck kann man von unseren Texten bekommen. Vgl. P. Stuh[macher, Weg, Stil und Konsequenz urchristlicher Mission, ! I 5: "Die Situation ... zeigt ... , daß schon in Jerusalem die Gemeinde der glaubenden Christen insgesamt von den speziell mit der Mission beauftragten Aposteln zu unterscheiden 232
ist. "
Hausgemeinde ttl1d Mission
spielten. Es spricht also vieles dafür, daß das missionarische Wirken der Urgemeinde sich auch im Privatbereich der Häuser vollzogen hat.
3. Leitungsstrukturen der] erusalemer Hausgemeinden Weder über die Entfaltung der Leitungsstrukturen in der Urgemeinde noch über die dahinterstehenden theologischen und praktischen Überlegungen wissen wir sehr viel. Auch hier ist der nd. Exeget auf die wenigen fast beiläufigen Angaben der Apg und der paulinischen Briefe angewiesen. Von diesen Angaben müssen Rückschlüsse gezogen werden, um die Ausbildung eigener Organisationsformen in der Urgemeinde zu rekonstruieren. In diesem Abschnitt beabsichtigen wir keine umfassende Rekonstruktion der Situation236 • Unsere Absicht ist es, lediglich der viel bescheideneren Frage nach der möglichen Bedeutung Jerusalemer Häuser hinsichtlich der Entwicklung dieser Strukturen nachzugehen. Als erstes ist in unserem Zusammenhang übergreifend die Feststellung zu treffen, daß in der Jerusalemer Urgemeinde zwei Perioden, die Zeit des Petrus und die des Herrenbruders Jakobus, deutlich zu unterscheiden sind.
a) Unter der Leitung des Petrus In der anfänglichen, nachösterlichen Zeit hatte Petrus zusammen mit dem Zwölferkreis eine Vorrangstellung in der Urgemeinde. Etwas von dem Wenigen, was wir über diesen Kreis aus den Evv lernen können, ist, daß er vor Ostern durch eine Setzung Jesu entstand. Die Zwölf sind von Jesus erwählt und zu den zwölf Regenten des endzeitlichen Israels, das es nach Ostern vollends zu sammeln galt, bestimmt worden und haben deshalb leitende Bedeutung in der Jerusalemer Urgemeinde gehabt. Am Anfang waren die Zwölf, mit Petrus an der Spitze, für die Leitung der Urgemeinde (Apg 1-I2 passim; vgl. Gal r,18)237 mit ihrem Zentrum im Haus mit dem Obergemach verantwortlich. So gesehen war Petrus in der Anfangszeit Leiter einer Hausgemeinde in diesem Haus und zugleich Leiter der ganzen 236 237
Vgl. dazu z.B. J. Roloff, Kirche im NT, 1993, 75-82. Perrus hatte als engster Vertrauter Jesu und als erster Zeuge der Auferstehung (IKor 15,5) im Zwölferkreis und in der Urgemeillde die vorrangige Position (vgl. für sein selbständiges Auftreten nach innen und nach augen Apg 3,1-10. 11-26; 4,8-22; 5,I-ll.I5). Mit J. Roloff, Kirche im NT, 76; vgl. auch R. Pesch, SimonPetrus, 1980, 59-65.
Die nach österliche Verwendung von Häusern in der Urgemeinde 183
Urgemeinde. Er wird allerdings nirgends als Hausvater bzw. als Hauseigentümer des Hauses mit dem Obergemach geschildert. Dennoch läßt es sich gut vorstellen, daß Petms im Haus mit dem Obergemach beim Brotbrechen (Herrenmahl) die Rolle des Hausvaters und die Aufsicht über die Mahlfeier übernommen hat. Allerdings wäre es genauso gut denkbar, daß der Eigentümer des Hauses mit dem Obergemach diese Funktion beibehielt. Die Texte geben uns leider keine Auskunft darüber. In dieser Beziehung ist die Position des Petms etwas ambivalent - einmal ist er in Jemsalem als Leiter der Urgemeinde, ein anderes 1Ilal ist er unterwegs (s.o.). Er verhält sich eher wie ein Gemeindegründer. Jedenfalls ist Petms ganz bestimmt keine typische Hausvaterfigur gewesen, wie unser Oikosmodeli dies erfordern würde. Damit wird deutlich, daß wir es hier mit einer Hausgemeinde zu tun haben, die nicht ganz in das Oikosschema paßt, wonach der Hauseigentümer zugleich Hausgemeindeleiter bzw. der Hausgemeindeleiter zugleich Patron der Gemeinde gewesen ist. Hier stoßen wieder Zwölferkonzeption und Oikosstrukturen a ufeinander 238 • Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung, daß der Hausvorstand des Hauses, zu dem das Obergemach gehörte, gar nicht namentlich erwähnt wird 239 • Wir können davon ausgehen, daß irgendjemand (Joseph von Arimathäa? s.o.) Eigentümer des Hauses war und es der Gemeinde zur Verfügung gestellt hat. Aber wir wissen nicht, ob diese Person eine leitende Rolle bzw. welche Rolle sie überhaupt in dieser Gemeinde gespielt hat. Wir können vom Oikosmodell her nur vermuten, dag diese Person irgendeine wichtige Funktion hatte, auch wenn es nur die auffällige oder unaufällige Ausübung der Aufgabe eines Mäzens bzw. Patrons der Gemeinde gegenüber gewesen ist. Ob diese Person irgendeine Aufsichtsfunktion beim Gottesdienst hatte, sagt uns der Text nicht. Nachdem die Zwölf in Galiläa alles verlassen hatten, werden sie in Jerusalem vermutlich keine Hauseigentümer geworden sein, so daß sie weder als Hausväter noch (mit Ausnahme des Perrus) als Hausgemeindeleirer in Frage kommen. Welche Funktion (wenn überhaupt eine) sie bei der Organisation der Jerusalemer Hausge238 239
Vgl. Kap. II für das gleiche Phänomen schOll vor Ostern. Vgl. allerdings Mk 14,14. Hier wird nämlich ein Hausherr für den Abendmahlssaal vorausgesetzt, was im Falle einer Identifizierung des Hauses mit dem Obergemach (Apg 1,13) mit dem Abendmahlssaal (Mk 14,15) von Bedeutung wäre. VgJ. S. 140, Anm. 55.
Hausgemeinde und lVIission
meinden hatten, wissen wir nicht. Wir wissen nur, daß während dieser Anfangszeit der Zebedaide Johannes (Apg r 2,2)240, aber vermutlich auch dessen Bruder Jakobus (vgl. Apg 12,r6), eine mit der des Petrus vergleichbare, wenn auch ihm gegenüber deutlich niedrigere VorangstelJung in der Urgemeinde hatten. In die Zeit des Petrus gehörten auch noch die hellenistischen Sieben um Stephanus (Apg 6,5). In Apg 6,1 spricht Lukas von einem Konflikt über die Versorgung der hellenistischen Witwen. Da die Hellenisten nicht hinreichend in das soziale Versorgungsnetz, das von der Gemeinde der "Hebräer" organisiert wurde, eingebunden waren, standen sie vor der Notwendigkeit, ihr eigenes Versorgungssystem einzurichten. Nach J. Roloff hieß das weiter: "Die von ihnen gewählte organisatorische Konstruktion blieb im herkömmlichen jüdischen Rahmen. Das Siebenergremium entsprach nämlich der Leitungsstruktur örtlicher Synagogel1gemeinden, denen ein Gremium von sieben Ältesten vorstand14 1, und seine Aufgabe war dazu analog: Es hatte die Gemeinde nach außen hin zu vertreten und für den geregelten Ablauf ihres inneren Lebens zu sorgen. ,,242 Daß die Hellenisten ein Leitungsgremium in der Jerusalemer Urgemeinde eventuell in Analogie zur Synagoge bildeten, wird mit J. Roloff von einer ganzen Reihe von ntl. Forschern angenommen 243 . Die Frage aber, wie es dazu gekommen ist, daß sie in dieses Leitungsamt gewählt wurden, wird seltener bzw. gar nicht gestellt. Wo haben sie sich für dieses Amt bewähren können? Auch wenn es sich nicht genauer nachweisen läßt, ist durchaus möglich, wie schon L. Goppelt in Erwägung zog244 , daß einige der Sieben zunächst einmal Hauseigentümer und/oder Aufseher von bzw. Lehrer in Hausgemeinden gewesen waren. Wenn sie Hauseigentümer waren, paßt es gut zu der Beobachtung, daiS damals ein jüdischer Hausvater mit seiner Bildung und Erfahrung als Lehrer über solche Verkündigungs240 241 242
243
244
Apg I,13; 3,1.3.4.Il; 4,1.3.7.13.19.23; 8,14.17.25. Vgl. Bill. Ir, 641. Kirche im NT, 77. Vgl. z.B. M. Hengel, Zwischen Jesus und Puulus, I875, I75.180: "das Führungskollegium"; H. Schürmann, , ... und Lehrer', 1977, I37. Auch nach L. Goppelt, Die apostolische Zeit, 1966,37, bildeten die Hellenisten mit ihrem Siebenerkolleg in der Jerusalemer Urgemeinde eine Art Synagogengemeinde wie die Diusporajuden in der jüdischen Gesamtgemeinde. Dies setzt aber voraus, daß E. Schürer, S. Krauß und ihnen folgend W. Schrage mit ihrer Darstellung der jüdischen Synagoge und deren Leitullgsstrnkturen recht haben (vgl. 5.192., Anm. 2.83). Die apostolische Zeit, 35.37, allerdings ohne dies weiter zu reflektieren.
Die nachöstediche Verwendung von Häusem in der Urge111einde r 8 S
fähigkeiten, die bei einigen der Sieben belegt sind (s. u.), sehr wohl hätte verfügen können 245 • Man könnte sich folgende Entwicklung vorstellen: In den HGn haben die Sieben bzw. einige von ihnen sich als gute Aufseher bewährt und sind dort zu einer gewissen Reife bzgl. ihrer Leitungsfähigkeiten herangewachsen. So wurde die Aufmerksamkeit der Hellenisten auf deren Leitungsqualitäten gelenkt, und deshalb sind sie in Apg 6,r-6 als ihre Leiter gewählt worden. Damit hätten wir schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt ein Beispiel, wie die Hausgemeinden als Übungsplatz für zukünftige Führungskräfte der Gemeinde dienten 246 • Hier muJS jedoch ein Zweifaches bedacht werden: Erstens, daß die Siebenerzahl wohl auch hier für die Urgemeinde eine symbolische Bedeutung hatte. D.h. es kann nicht behauptet werden, dag es unbedingt sieben hellenistische HGn bzw. Hausgemeindeleiter gegeben haben muß, die dann auf wundersame Weise zu Leitern der Gesamtgruppe gewählt werden konnten. Wieviele HGn genau z.Z. des Ereignisses in Apg 6,r-6 existierten, wissen wir nicht. Zweitens kann auch nicht behauptet werden, daß die Sieben sich nur in HGn als Leiter hätten bewähren können. Einige waren bestimmt charismatische Prediger/Lehrer/Evangelisten (vg1. Stephanus und PhilippUS)247, die eventuell auch ganz oder teilweise unabhängig von den HGn (z.B. in den Synagogen, im Tempel, auf den Marktplätzen oder aber als Gast und Hauslehrer im Haus eines anderen 248 ) ihre Fähigkeiten entwickeln und unter Beweis hätten stellen können. Sie hätten allein wegen ihrer schon entwickelten Leitungsfähigkeiten keine Hauseigentümer bzw. Leiter einer HG sein müssen 249 • In den Zusammenhang der Petruszeit gehört auch folgende Überlegung hinein: In der Erzählung von Ananias und Saphira (Apg 5,rrr, v.a. 6.ro) ist eine Aufteilung der Gemeinde in jüngere und Altere 24S
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Vgl. dazu im nächsten Kap. IV. FUson, Significance, Iuf. . Apg 6,1-3.IO.1}; 7,2-53; 8,5.26-40; 21,8. Es war in der Antike allgemein üblich, dag ein Hausherr einen Hauslehrer anstel, len oder einen Rhetoriker ins Haus für längere Zeit einladen konnte. Vgl. J. Lynch, Aristotle's School, 1972, 174f; R.F. Hock, Social Cuntext, 53ff; ihnen folgend B.B. Blue, Private and Public, 1989, 225f; Osiek und Balch, Families in the NT, 1997, 68ff.220. Wenn Bill. rr, 64I recht hat, dag die Sieben eine Art von "Ortsvorstund" waren, braucht nicht jeder von ihnen eine HG geleitet zu haben, sondern es ist auch hier mit einem "Ehrenamt" zu rechnen (s. u.).
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Hausgemeinde und Mission
angedeutet, die anscheinend verschiedene Aufgaben wahrnahmen, auch wenn die Älteren nicht ausdrücklich erwähnt werden. Für das Beerdigen sind die VEWTEPOL zuständig. Das Meinungsspektrum unter den Exegeten hinsichtlich des Verständnisses des Begriffes bewegt sich zwischen der ekklesiologischen als "Amts-"250, der soziologischen als "Standes-"251 und der chronologischen Bedeutung als "Alters bezei chn ung" 252 . In seinem Aufsatz über das Lösegeldwort geht]. Jeremias auf das Verhältnis von Mk 10,45 zu Lk 2.2,25-27 ein 253 . Nach Jeremias ist die lk. Fassung des Logions vom Dienen Jesu (Lk 22,2.7) gegenüber Mk 10,45 gräzisiert 254 • Lk 2.2,26f stellt eine heiden- (frei von Semitismen und alles hellenistischem Empfinden Fremde vermeidende), Mk 10,45 eine judenchristliche Fassung der Spruchreihe dar. Im Kontext von Lk 2.2,26f melde sich ebenfalls Gemeindesprache· zu Wort. Ein Beispiel für diese Gemeindesprache sei VEWTEPOL in V. 26. So heißen "die jungen Männer als Stand der Gemeinde (dem der Stand der "Alten" gegenübersteht) "255. In Lk 22,26 steht der VEWLEPOC; dem !lEt(;;wv gegenüber. Wenn Jeremias mit seiner Verhältnisbestimmung von Mk 10,42-45 zu Lk 22,25-2.7 recht hat, dann liegt neben Mk 10,42ff in der Ik. Fassung eine hellenistische Überlieferungs form vor, die sprachlich z.T. auf Lukas selbst zurück-
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o. Bauernfeind, Apg, 1939, 86f; Cadbury, Acts IV, SI. Jeremias, ebd. E. Haenchen, Apg, 233. So auch RoloH, Apg, 94. F.F. Bruce, Acts, r06; R. Peseh, Apg VII, 200; H. ConzeJmann, Apg, 45: VEW"tEPO~ nicht " amtlich " gemeint; ihm folgend G. Schneider, Apg, 37S; so auch C.K. Barrett, Acts I, 268. Die Aufteilung der Gemeinde in Jüngere und Ältere, die unterschiedliche Aufgaben zu erfüllen hatten, erinnert ebenfalls an Vorschriften der essen ischen Gemeinderegel (rQS 1,28ff; S,23ff) sowie an die Beschreibung einer Gemeindeversammlung (4QS02). V.a. ist in 4Q502 eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen der essenischen und christlichen sozialen Nomenklatur. Die zwei Alrerskategorien VEul"tEPOL und 1tPEOßU"tEPOL korrespondieren mit den 'asisim und zeqenim von 4Q502. Vgl. dazu JM. Baumgarten, 4QS02, Marriage or Golden Age Ritual?, JJS 34 (1983), 125135, v.a. 133. Abba, r9 66, 226. Für Jeremias liegt kein unmittelbarer literarischer Zusammenhang zwischen Mk lO,45 und Lk 22,27 vor; "vielmehr stehen zwei Überlieferungsformen der dreigliedrigen Spruchreihe nebeneinander, die am Anfang stärker konform gehen, dann aber darin voneinander abweichen, daß sie das Dienen Jesll verschieden illustrieren ... " (Abba, 225). Lukas folgt, so Jeremias, seiner Sonderquelle. Vgl. neben Apg S,6 auch Tit 2,6: oi VEW"tEPOL = junge Männer als Stand in der Gemeinde; rTim 5,1; rPetr 5,S: im Gegensatz zu 1tPSOßU"tEPOL.
Die nachösterliche Verwendung von Häusern in der Urgemeinde 187
zugehen schein256 • Unter den w:(Sn:poL hat er wahrscheinlich eine Gruppe (von jungen Männern, vgl. Apg 5,10) in der Gemeinde verstanden, die (niedere oder höhere) Dienstleistung zll vollbringen hatte. Apg 5,6 ist genauso zu deuten. Auffällig ist aber, dag an keiner der beiden Stellen npEaßu-cEpm erscheinen, sondern die vEw-cEpm nur den wyaA.OL oder Petrus selbst gegenüberstehen. Wenn die Presbyter anfänglich keine Amtsträger, sondern nur "Honoratioren" waren 257, ist es durchaus möglich zu sagen, den VEWLEPOl entsprächen in Lk 22,26f und Apg 5,6 npwßu-cEpOL. Apg 5,6 wäre dann ein Beleg dafür, daß wenigstens Lukas in der Urgemeinde von Anfang an auch mit Presbytern gerechnet hat. Der tatsächliche Gebrauch von VEW-CEPOL in Apg 5,6 läßt die Schlußfolgerung zu, daß den VEW-CEPOL schon zu diesem relativ frühen Zeitpunkt (also schon während der Petruszeit) in der Urgemeinde andere als ~lEfsoVEC; oder vielleicht npwßu-cEpm gegenübergestanden haben könnten. ~LEyaA.OL muß eigentlich als Hinweis auf den Status verstanden werden. npEaßu-cEpOL könnten deswegen ~tEYaA.OI, genannt worden sein, weil sie einflußreich gewesen sind. So könnt.en diese ~U:;a:;OVEC; bzw. npEaßu-cEpOl, dann zwar nicht nachweislich als Leiter von verschiedenen Hausgemeinden, doch angesichts von Apg 1,21-26258 als angesehene, führende Gemeindeglieder mit verschiedenen Qualifikationen gegolten haben. Der Hinweis auf das Haus der Maria, Mutter des Johannes Markus (Apg 12,uff), liegt zwischen unseren beiden Zeitabschnitten. Diese Hausgemeinde wird noch zur Petruszeit einzuordnen sein, auch wenn sie bis in die Jakobuszeit hinein weiterhin in der Urgemeinde eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte (vgJ. Apg 12,17). Hier war es interessanterweise eine Frau, die ihr Haus der Gemeinde zur Verfügung stellte und damit in der in ihrem Haus zusammenkommenden Gemeinde wohl auch eine bestimmende Funktion bzw. eine gewisse Autorität ausübte. In unserem Zusammenhang ist zwischen Oikosstrukturen generell und patriarchalischen Strukturen im besonderen zu unterscheiden. Wenn Maria in der Gemeinde in ihrem Haus Einfluß ausübte, dann wohl u.a. auf der
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Vgl.]. Jeremias, Die Sprache des Lukasevangeliums, I980, 290. Zu n:PwßuLCpm als "Ehrenbezeichnung" s. S. 191ff. Von dieser Stelle bekommt man den Eindruck, daß es eine ganze Reihe von angesehenen, führenden Männern gab, aus der man die beiden Kandidaten für den Zwölferkreis ausgewählt hat.
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Hausgemeinde und iViissioll
Basis des antiken Oikos259 • Hier wäre dann zwar nicht der Patriarchalismus, aber doch der antike Oikos im Rahmen der Leitungsstrukturen dieser HG wirksam gewesen. Aber Autorität ausüben in einer solchen Oikossituation kann ganz verschieden sein. Die Frage, ob der Hausvorstand den ganzen oder auch nur einen Teil des Gottesdienstes bestimmt hat, ist von SituatiOll zu Situation sicherlich unterschiedlich zu beantworten. In diesem Fall wissen wir zu wenig über die eigentlichen Leitungsstrukturen der Hausgemeinde, die sich bei Maria versammelte. Vermutlich wird IvIaria wenigstens irgendeine Art Mäzenatentums bzw. Patronatsaufgabe der Gemeinde gegenüber ausgeübt haben. Ob sie eine Aufsichtsfunktion beim Gottesdienst hatte, wird uns nicht berichter260 • Sicher ist, daß Maria einen der ersten Hinweise auf die tätige Mitarbeit einer Frau in den urchristlichen HGn darstellt. DafS Johannes Markus an Stelle der Maria die Rolle des Hausvorstandes im Haus seiner Mutter übernommen hat, wäre ebenfalls in der Antike allgemein und in Palästina im besonderen möglich gewesen. Hier ist jedoch zu bedenken, daß er mit Petms und Paulus bzw. Barnabas missionarisch unterwegs war, allerdings wohl nur für eine relativ kurze Zeit.
b) Unter der Leitung des Herrenbruders Jakobus 261 Man vermutet, daß Petrus 41/42 n.Chr. im Zusammenhang der Verfolgung der Urgemeinde durch Agrippa I. (Apg 12,1ff) nach der Hinrichtung Jakobus', des Zebedaiden, selbst vom Tode bedroht war und sich gezwungen sah 262, die Leitung der Urgemeinde abzugeben und wenigstens zeitweise Jerusalem zu verlassen263 • Es kommt zu einer durchgreifenden Veränderung in der Jerusalemer Urgemeinde. Der Zwälferkreis wird nicht mehr durch Nachwahl ergänzt. Waren zu Beginn die Zwölf mit Petrus die maßgeblichen Gestalten der 259 VgJ. Philostr., Gymn 23 (272,30f BiTeu Kayser) für einen Beleg für eine Frau als
Hausherrin (nach dem Tod ihres Mannes). 260 In den paulinischen HGn wird jedoch die Art der Mitarbeit einer Reihe von
Frauen deutlicher. Darauf werden wir noch zu sprechen kommen (s. u. IV.ß+b. Exkurs: Die Leitungsaufgaben der Frau in den pln. HGn). 261 Zum folgenden vgJ. J. RoloH, Kirche im NT, 8off. 162 Zur Chronologie vgI. R. Riesner, Die Frühzeit des Apostels Paulus, 1994, r04r08. 263 Für mögliche Gründe des Verlassens und der dauerhaften Zurückdrängung des Petrus aus der Stadt vgI. .M. Hengel, Jakobus der Herrenbruder - der erste "Papst"?, 1985, rorE.
Die nachösterliche 'lerwcndu11.g von Häusern in der Urgemcinde I89
Urgemeinde (Apg I,12-I4; 6,2), so sind es nun die Apostel als leitende Traditionsträger (Apg I5,3.22; ) und die Ältesten mit Jakobus an der Spitze als Gemeindeleitung (Apg I2,l7; IT,30; 2I,I8ff)26~. LVIit dieser Transformation vollzog sich eine bedeutende Akzentverschiebung: Nach Roloff tritt sogar der "Gedanke der Neukonstituierung des Zwölfstämmevolkes Israel in seiner endzeitlichen Fülle ... zurück hinter den der Schaffung einer durch den Auftrag Jesu ins Leben gerufenen, durch die von ihm ausgehende Heilsbotschaft geprägten Gemeinde. Damit ist der Grund gelegt für das Verständnis dieser Gemeinde als einer eigenständigen Gemeinschaft mit ! SEi\>. 3! Vgl. 16,18ff - danach verschwindet das 'Wir'. Vgl. dazu Thornton, Zeuge, 27Sf; F.F. Bruce, Acts, 3 I 6, hält 16,25-34 für ein "independent narrative, inserted by Luke into the record of events at Philippi .... But we may be glad that Luke did add it at this point: it enriches his account of Paul's Philippian ministry". Der 26
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Zuverlässigkeit unseres Berichtes angeführt, daß Lk seine Traditionen formt und konventionalisiert, um einen thematischen Punkt zu betonen 32 • Daß Lk diese und andere Erzählungen stilisiert hat, ist wohl nicht zu bestreiten. Aber das ist kein Argument gegen den historischen Wert seiner Darstellung. Man muß zwischen Stilisierung und Erfindung unterscheiden. Der Nachweis des ersteren ist nicht gleich der Nachweis des letzteren33 . 2) Historische Brauchbarkeit
In dieser Erzählung kommt es nach Lk zur ersten Konfrontation der paulinischen Missionsmannschaft mit den Vertretern der römischen Macht, die auffallend negativ gezeichnet wird. Das ist an sich schon ein Hinweis auf die Authentizität des Berichts, da Lukas sonst darauf achtet, die römische Staatsrnacht inklusive ihres Verhaltens der christlichen Mission gegenüber eher positiv darzustelIen 34 • Die römischen Einzelheiten der Schilderung passen aber auch sehr gut zu dem Charakter der Stadt Philippi 35 . Sie war eine römische Kolonie, die von Nichtgriechen bewohnt und von römischen Beamten nach römischem Recht regiert wurde. "Neben der Athenschilderung ist kein anderer Bericht der Apostelgeschichte derartig stark vom genus loci geprägt wie der Bericht von den Ereignissen in Philippi. Mehr noch: Striche man die römische Komponente, fiele der Bericht in sich zusammen. "36 Die Nachricht in rThess 2.,2, daß Paulus und seine Mitarbeiter gelitten haben und mißhandelt wurden, kann man als Unterstützung des lk. Berichtes in I6,25-29 sehen 3? Hinzu kommt wieder das Argument: Auch das Muster der Gründung christlicher
ganze Komplex r6,16-40 kann Lukas auch aus mündlicher Mitteilung zugekommen sein. 32 Vgl. zuletzt L.M. White, Visualising the "Real" World of Acts 16, I995, 23426I, v.a. 252-2.6r. 33 Zur Zuverlässigkeit des Berichtes vgl. ebenfalls F. Giesekke, Zur Glaubwürdigkeit von Apg 16,25-34, TSK 7l (1989),348-351. Anders E. Haenchen, Apg, 482ft, der auf die Ungereimtheiten zwischen dem Philipperbrief und Apg hinweist und eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und Widersprüchen in der Ik. Erzählung sieht. Ähnlich L.M. White, ebd., 245-251. 34 Roloff, Apg, 243. 35 Vgl. nun P. Pilhofer, Philippi, 1995, I59-165. 36 W. Elliger, Paulus in Griechenland, 32, vgl. auch 54f. 37 Vgl. R.F. O'Toole, ABD V, I992, 3I8.
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HGn wird von Paulus selbst als integraler Teil seiner Missionspraxis in mehreren seiner unumstrittenen Briefe bestätigt (s. U.)38. An dieser Stelle besteht also kein Grund, die Zuverlässigkeit der Aussagen über das Haus und über das, was in diesem Haus geschehen ist, in Frage zu stellen. Damit haben wir neben der LydiaErzählung einen zweiten Gründungsbericht einer Hausgemeinde in Philippi, deren Kern ein üikos gewesen is~9. Apg I7,I-9
Nachdem sie aber durch Amphipolis und Apollonia gereist waren, kamen sie nach Thessalonich, wo eine Synagoge der Juden war. Nach seiner Gewohnheit aber ging Paulus zu ihnen hinein, und an drei Sabbaten redete er zu ihnen von den Schriften aus, 3 indem er sie ihnen auslegte und erklärte, daß der Christus leiden und von den Toten auferstehen mußte, und daß dieser der Christus ist: der Jesus, den ich euch verkündige. 4 Und einige von ihnen ließen sich überzeugen und schlossen sich Paulus. und Silas an, auch von den gottesfürchtigen Griechen eine große Menge und von den vornehmen Frauen nicht wenige. ; Die Juden aber wurden eifersüchtig und holten sich einige üble Männer vom Gassenpöbel, machten einen Volksauflauf und brachten die Stadt in Unruhe. Und sie traten vor das Haus Jasons und suchten sie vor das Volk zu führen. 6 Da sie sie aber nicht fanden, schleppten sie Jason und einige Brüder vor die Politarchen und schrien: "Diese, die den Erdkreis in Aufruhr versetzt haben, diese sind auch hierher gekommen. 7 Diese hat lason aufgenommen! Und diese alle handeln gegen die Verordnungen des Kaisers, indem sie sagen, ein anderer -sei König: (nämlich) Jesus." 8 Sie regten aber die Volksmenge und die Politarchen auf, die dies hörten. 9 Und erst nachdem sie von .fason und den übrigen eine Bürgschaft genommen hatten, ließen sie sie frei. I
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L.M. White, Visualising the "Real" Wor/d oE Acrs 16, 1995, 234-261, v.a. 2452. 51. Er hält den Aspekt der Gründung einiger Hausgemeinden für historisch, weil das "a pattern reflected in Pauline epistolary address and central to the situation of several oE the letters" ist. Auf die Historizität oder Nicht-Historizität des Befreiullgswunders in dem Erzählkomplex r6,II-40 brauchen wir nicht einzugehen. Auch die Möglichkeit einer lk. Redaktion dieses oder anderer Teile der Geschichte interessiert nicht (vgl. dafür z.B. R. Pesch, Apg Vh, r03-1I9), denn es geht uns hier lediglich um die Aussagen über das Haus und dessen Verwendung (r6,j0--34).
Hausgemeinde und Mission
r) Vorlukanische Tradition und lukanische Redaktion
Dieser Bericht schildert die zweite Gemeindegründung auf europatsehern Boden, nämlich in Thessalonich, der Hauptstadt Mazedoniens. Oft wurde dieser Bericht für eine Ik. Konstruktion gehalten 40 - Lukas sollen nur Itinerarnotizen und eine in der Gemeinde der Thessalonicher umlaufende anekdotische Erzählung zur Verfügung gestanden haben 41 • Es ist keine Frage, daß dieser lk. Bericht über den Gründungsaufenthalt des Paulus in Thessalonich stilisiert ist, aber man sollte, wie gesagt, Stilisierung und Erfindung nicht gleichsetzen (s. S. 228)42. Es ist auch möglich, daß Lukas über eine Quelle verfügte, die von der zweiten Missionsreise berichtete und auf Timotheus zurückging43 . R. Pesch geht davon aus, daß "Lukas in I7,I-I5 einen zusammenhängenden Quellenbericht bearbeitet hat"44. Einige Indizien sprechen in der Tat für die traditionelle Herkunft der Erzählung, z.B. ist das Verb 6XA03toufül singulär. Der Name ]ason wird unvermittelt eingeführt4s . Auch die Wendung Aaf-lßavül LO iKUVOV ist so spezifisch, daß sie eher als traditionell angesehen
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Am radikalsten in dieser Richtung ist wohl W. Stege mann, Zwischen Synagoge und Obrigkeit, 1991, 226-237, der die Erzählung aufgrund von sprachlichen In· dizien als eine vollständige Kreation des Lukas einstuft, die geschichtlich die Erfahrungen der Christen z.Z. Domitians widerspiegelt. Vgl. Schneider, Apg H, 223f; RoloH, Apg, 249. Vgl. die Dreiteilung: Apg 17,r-4.5-7.8f. Vieles in der Erzählung wirkt stereotypisch: Paulus predigt das Evangelium in der Synagoge, indem er die Schrift auslegte; einige Juden, mehrere Gottesfürchtige und eine relativ große Anzahl von angesehenen Frauen bekehren sich; es kommt zur Auseinandersetzung mit den Juden l1SW. - dieses sind zweifellos lk. Motive. Aber das sagt noch nicht, daß sie an sich historisch oder nicht historisch sind. Darüber muß die AnalY·5e des Textes selbst entscheiden. Wenn Paulus tatsächlich unter Juden missionierte (vgl. bes. H. Botermann, ThBeitr 24 (I993), 62-84), dann hat er das mit Sicherheit in den Synagogen getan. Dat~ Paulus in der Synagoge dann die Schrift ausgelegt und christozentrisch mit soteriologischer Betonung (so wie Lukas dessen Kerygma in Apg 17,3 zusammenfaßt) gepredigt hat, ist keine phantastische Vorstellung. Zu den angesehenen Fra uen s. U. R. Pesch, Apg Vh, 120f. Ebd., 121. Auch G. Schille, Apg, I983 (r984), 352f; ihm folgend G. Lüdemalln, Das frühe Christentum, I94, der in 5-9 ein Traditionsstück sieht. Vgl. auch J. Jerl'ell, Apg 435: Lk konnte "auf solide Missions- und Gemeindetraditionen bauente. Hier nimmt sogar W. Stegemann, Zwischen Synagoge und Obrigkeit, I99I, 228, Anm. I4I, vorlk. Tradition an.
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werden muß 46 • Die Notiz über den Erfolg der p21ulinischen Verkündigung unter Heiden ist ebenfalls traditionell einzustufen47 • Das zeigt unsere historische Überlegung in Verbindung mit 1Thess (s. u.). Die Wendung n::poayay€tv d~ 'tov öf]/lov ist juristischer Terminus 48 und spricht für die konkreten politischen Kenntnisse des Autors. Der Massenauflauf ist ein typisches Element im Leben einer hellenistischen Großstadt 49 • Auch wenn die O.g. Indizien allein noch nicht überzeugen können, sind die nächsten bei den Argumente sehr gewichtig. Erstens: Das in der Apg 17,1-9 geschilderte Bild der politischen Verhältnisse in Thessalonich, Hauptstadt Makedoniens (v.a. die Erwähnung der n::OAL'tUPXaL - inschriftlich v.a. im makedonisehen Raum bezeugt)50, zeigt eindeutig lokales Kolorit. Zweitens: Die bewußt politisch formulierte Anklage (17,6f)51 kommt hier sehr
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Lüdemann, ebd., 195. G. Lüdemann, Das frühe Christentum, 194f. So H. Conzelmann, Apg 1972, 103; vgl. E.A. Judge, The Decrees of Caesar at Thessalonica, RThR 30 (1971), 2. Vgl. E.A. Judge, Christliche Gruppen, 1964, 26: "Um ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, besaß die Bürgerschaft das Mittel inoffizieller, jedoch organisierter Demonstrationen, die für das hellenistische Stadtleben geradezu charakteristisch sind. Auch wenn sie verfassungswidrig waren, erreichten sie oft ihren Zweck ohne viel Umstände." Nach W. Eiliger, Paulus und Griechenland, 91-94, palSt das Bild, das wir von den politischen Verhältnissen dort durch Inschriften und sonstige Quellen vermittelt bekommen, vorzüglich zum Bericht der Apg 17,1-9; ihm folgend G. Lüdemann, Das frühe Christentum, 194. Vgl. den Überblick über die städtischen Ämter und ein Verzeichnis der Politarcheninschriften nach fast nur makedonischen Fundorten bei D. Kanatsoulis, Die Politarchen der makedonischen Städte, 1957, 155179, v.a. I20-129.1SI-161.17rf; C. Schuler, Thc Macedonian Politarehs, CP 55, (1960), 90-100 und G.H.R. Horsley Hrg., New Docs 2, 1982, 34-35 ; ders., ABD V, 1992; 384-389 (mit Liste!). Von 64 Politarchendokumenten stammen 30 aus Thessalonich sowie 22 weitere aus Mazedonien. Vgl. auch L. Robert, RPh 98 (1974),2°7-212; B. Helly, AncMac II, 1977, 531-544; F. Papazoglou, Hist 35 (1986),438-448; c.}. Hemer, The Book of Acts, II5; F.F. Bruce, Acts, 324f und schon Jackson/Lake, Acts IV, 205f und ihnen folgend Haenchen, Apg, 488, Anm. 9; und G. Schneider, Apg I, 1982, 225. Sowohl Jackson/Lake. als auch Haenchen, als auch Schneider führen nur sehr alte Evidenz an. W. Eiliger, Paulus und Griechenland, 95f. "Natürlich ist der von den Juden gegen Paulus erhobene Vorwurf absurd, denn die Tätigkeit des Apostels war nicht gegen den Kaiser in Rom gerichtet. Jedoch gewinnt er an Aktualität, wenn man bedenkt, dalS zu den etöruAa, von denen Paulus die Thessalonicher abwenden wollte (1Thess 1,9), auch der römische Kaiser zählte, soweit er kultische Ehren genolS." Vgl. auch E.A. Judge, RThR 30 (1971), 1-7. Er versucht den Hintergrund der "Gesetze des Kaisers" näher zu beschreiben. Sie seien einerseits Edikte gegen Pro-
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Hausgemeinde und Mission
unverhüllt zur Sprache. Dies fällt auf, da Lukas ansonsten so etwas seiner Darstellung eigentlich eher fernzuhalten versucht. Hier hat er es offenbar in seinen Quellen gefunden und wollte bzw. konnte es nicht unterdrücken. 2) Historische Brauchbarkeit
Beim Acta-Bericht von der Gründung der christlichen Gemeinde in Thessalonich stehen wir in der glücklichen Lage, einen Vergleich .mit den Aussagen des Paulus über die Thessalonicher v.a. mit rThess durchführen zu können 51 • Die neuesten Abhandlungen zu Apg 17,r-9 rechnen in der Tat fast alle mit partieUS3 oder weitgehend54 zutreffenden Angaben seitens des Lukas55 • Lukas und Paulus stimmen darin überein, daß der Weg der Missionare56 von Philippi nach Thessalonich ging. Dort war Paulus wegen einer Verfolgung gezwungen, aufzubrechen (Apg r6,r6-40 vgl. rThess 2,2). Daß Paulus in seiner Missionsarbeit unter Gottesfürchtigen lmd Heiden57 in Thessalonich
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phetie und Propheten, v.a. gegen die Vorhersage des Todes bzw. der Auswechslung eines Herrschers, andererseits Eide, die den Kaisern in den Provinzen geleistet wurden. Wenn Judge recht hat, wird unsere Szene auf einem Hintergrund zu verstehen sein, der zu der julio-c1audianischen Periode paßt und die Gesetzgebung könnte sogar konkrete jüdisch-messianische Agitation im Blick gehabt haben (ähnlich auch K.P. Donfried, The Cults of Thessalonica, NTS 31 (1985),342344). Eiliger und Judge folgend Peseh, ebd., I23f; Judge folgend F.F. Bruce, Ans, 325, Anrn. 13.15; R. Riesner, Die Frühzeit des Paulus, I994, 3I6. Gegen Schneider, Apg H, 225. Für eine ausführliche Liste der wichtigsten Forscher, die sich seit J.B. Lightfoot mit dem Verhältnis zwischen dem Acta-Bericht und 1Thess beschäftigten, vgl. nun R. Riesner, Die Frühzeit des Apostels, 1994, .301f, Anm. 27. Zusätzlich ZlI den o. schon erwähnten Arbeiten vgl. J. Molthagen, Hist 40 (1991), 53-57; H. Botermann, ThBeitr 24 (1993), 79-81. Zusätzlich zu den 0. schon erwähnten Arbeiten vgl. H.W. Tajra, The Trail of St. Paul, I989, 30-44; F.F. Bruce, Acts, 369-375; F.M. Gillman, Paul's Etaooo~, I990, 39-49; H. Binder, Paulus und die Thess.br., 1990, 87. Vgl. R. Riesner, Die Frühzeit des Apostels, 3°1-328 für den aktuellsten, ausführlichsten und stringentesten Nachweis. Die Ausnahme bildet W. Stegemann, Zwischen Synagoge und Obrigkeit, 1991, 226-237 (s. S. 230, Anm. 40). Zur Kritik seiner Sicht vgl. aber R. Riesner, Die Frühzeit des Apostels, 303. In Begleitung des Paulus waren Silvanlls lind Timotheus (rThess r,I - vgl. T. Holtz, Thess, 19!17, I3f). Lukas nennt Silas explizit und impliziert die Anwesenheit des Timotheus (vgl. Apg r6,I-3; 17,14f; 18,5). Dag Paulus in Thessalonich auch unter Heiden erfolgreich missioniert hat, erfahren wir aus IThess 1,9f; 2,14. Die Tatsache, daß Paulus im IThess keine juden-
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durch die Juden behindert wurde und er sie auch deswegen beenden mußte, wird durch I Thess 2,1 sf bestätigt58 • Daß die Heidenchristen von ihren thessalonischen Mitbürgern nach der Abreise des Paulus noch verfolgt wurden, hat Paulus wohl von Timotheus (rThess 2,14; 3,1-6)59 erfahren oder durch Boten, die nach Beröa gereist sind, um Paulus zu besuchen60 • Die scheinbare Spannung zwischen der Zeitangabe in 17,261 und Phil4,16 kann dadurch erklärt werden, dag der Bericht in 17,1-9 nur den Beginn und das Ende der Mission im Blick hat. Über das, was zwischen Gemeindegründung und Verfolgung liegt, schweigt Lukas 62 • Hier ermöglicht es uns Phil 4,16, die lukanische Schilderung zu ergänzen63 • Außerdem kann die Stereotypie der christliche Minderheit in Thessalonich erwähnt, muß nicht heißen, daß er keine kannte und es deshalb gegen Lk in Wirklichkeit keine gab. Die Schwäche eines solchen argumentum a silentio ist hinreichend bekannt. Der rThess ist ein Gelegenheitsschreiben und kann nicht als eine alle Details erschöpfende Geschichtsquelle herangezogen werden. Außerdem ist anzunehmen, daß in Thessalonich eine kleine Gruppe von Juden schon seit der Gründung der Stadt 'existierte. Die bisher fehlende außertestamentliehe Evidenz für die Existenz einer Synagoge z.Z. des Paulus in Thessalonich ist kein Grund, eine jüdische Präsenz dort zu bezweifeln (vgl. R. Riesner, Die Frühzeit des Apostels, 304-308). "Unter Augustus dürften sie im Zeichen des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs erheblichen Zuwachs bekommen haben" und hier" wie in anderen Provinzen des römischen Imperiums auch das Recht auf Selbstverwaltung lind in gewissem Umfang auf eigene Gerichtsbarkeit" gehabt haben (Eiliger, Paulus und Griechenland, 9If). All das macht die Schilderung des Lk in Apg 17,1-9 historisch um so plausibler. Warum sollen, wie Lk es berichtet, einige dieser Juden mit Jason durch die Missionsarbeit des Paulus nicht zum Glauben gekommen sein? 58 Vgl. auch rThess 1,6 und 3,1-6 v.a. 4. So R. Peseh, Apg Vh, 126, G. Lüdemann, Das frühe Christentum, 194f. Gegen Haenchen, Apg, 494f. Das Argument gegen Apg I7,5-9 auf Grund von IThess 2,24-17; 3,2.f: "Wer rThess liest, ohne von der Apg etwas zu wissen, kommt nicht auf den Gedanken, dag Juden die Christenverfolgung in Thessalonich ausgelöst haben", überzeugt nicht, weil wir eben den Bericht von Lk haben und ihn in diesem Fall verwenden können und sollen, um diese schwierige Stelle des IThess besser verstehen zu können. 59 Vielleicht ist er, so wie in Philippi, bei der Vertreibung von Paulus und Silas in Thessalonich geblieben. 60 So z.B. Peseh, Apg Vh, 126. 61 Kat bü oaßßa-m Tpta ÖLEMsaTO airtoie; cbto TWV ypwj>Wv. 62 Haenchen, Apg, 491. Vgl. A. Malherbe, Paul and the Thessalonians, I987, 13ff, der ebenfalls aus ähnlichen Argumenten von dem historischen Wert der Erzählung ausgeht. Er weist darauf hin, daß grammatikalisch nichts darauf hindeutet, geschweige denn dazu zwingt, daß Paulus nur drei Wochen in Thessalonich blieb. 63 ön KaI ev 8€OoaAOVlKTI Kat &nas Kat Öte; Eie; TT]V xpEiav !AOL e:rtl:~l'IjJaTE. Demnach hat Paulus zweimal oder sogar mehrfach (Bauer-Aland', Sp. 160f.40I; vgl.
Hausgemeil1de und J\!Iissiol1
Erzählung (vgl. auch Apg I3,46-50; I8,5-I7; I6,I2-40; I9,8-41) andeuten, daß wir das Haus des Jason als Stützpunkt der paulinischen Mission unter den Heiden nach Paulus' Verfolgung durch die Synagogengemeinde analog z.B. zum Haus des Titius Justus in Korinth (Apg 18,6f) verstehen sollten, wobei der Titius-Bericht dann auch als Ergänzung des Jason-Berichtes herangezogen werden kann 64 • Ob der in Apg 17,6'9 erwähnte Jason, Quartiergeber des Paulus in Thessalonich, mit dem in Röm 16,21 identisch ist, läßt sich nicht mehr mit Sicherheit nachweisen. Doch darf man es annehmen, da neben ihm Sopater aus dem Thessalonich benachbarten Beröa genannt wird 65 • So verstanden, wären beide Judenchristen zur Zeit der Abfassung des Römerbriefes bei Paulus in Korinth gewesen, und zwar als Kollekten-Delegaten ihrer Gemeinde66 • Es spricht nichts dagegen, daß in Thessalonich ein Jude namens Jason 67 durch die paulinische Mission zum Glauben kam und als Gastgeber und Patron der Gemeinde dort in Erscheinung getreten ist68 • "Ebenso dürfte der Aufruhr um Jason zutreffen. Der 1Thess setzt nämlich voraus, daß die heidenchristlichen Thessalonicher von ihren Landsleuten in Schwierigkeiten gebracht wurden (1Thess 2,14). Gerade die Einzelnachricht der Kaution spricht für die Zuverlässigkeit der Traditi-
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aber F.F. Bruce, Acts, 349, Anm. 23) finanzielle Unterstützung aus der Gemeinde in Philippi bekommen. Das setzt einen längeren Aufenthalt voraus. Vgl. auch Haenchen, Apg, 491f. Für andere Verständnismöglichkeiten des Satzes vgJ. R. Riesner, Die Frühzeit des Apostels, 321ff; L. Morris, land 2. Thess, 1956, 16f; I.H. MarshalI, land 2 Thess, 19 83, 5. Mir A. Malherbe, Paul and the Thessalonians, 13f. Für eine Identifizierung spricht sich auch G. Lüdemann, Das frühe Christentum, 194 aus. So auch schon die altkirchliche Tradition (vgl. F.X. Pölzl, Die Mitarbeiter eies Weltapostcls Paulus, 19II, 230). VgJ. auch U. Wilckens, Röm III, 1982, 146; F.M. Gillman, Paul's Etaoöo BEaU verstanden werden, wobei der genitivus auctoris immer mi [gedacht ist. Vgl. zoB. rThess 1,1; 2Thess 1,1; Röm 16,1; KoI4,I6; Phi14,I5 und KoL. Schmidt, ThWNT III, 5°90 305
Hausgemei1'lde und Mission
Gottes in Karinth", in deren örtlicher Existenz die Eigenschaften der kommenden weltweiten Gemeinde Gottes konkret erscheinen; eine örtliche Gemeinde, die diese Gemeinde Gottes in ihrer Totalität vertritt 308 • Das paulinische Verständnis mißt der lokalen gottesdienstlichen Versammlung einen hohen Stellenwert bei. Sie ist" Gemeinde", immer dann, wenn einzelne sich ev eKKAY]oiq: versammeln (1Kor II,18)309. Grundlegend für die eKKAY]oia ist das O'Uvepxw8m EV EKKAY]oiq:. 'Ev eKKA11Oiq: deutet auf die lokal zu begreifende Gemeindeversammlung hin, die durch das "Sich-Versammeln" entsteht. Jede lokale christliche Zusammenkunft, in der Gott angebetet und Jesus Christus verkündigt wird, ist für Paulus eine Gemeinde, ist eKKAY]oia ,;ou 8eau 310 . Das gilt für die ganze Gemeinde am Ort (vgl. 1Kor II,20; 14,23; Röm 16,23). Das gilt ebenfalls für die Hausgemeinden, wie die von Priska und Aquila usw. Denn durch die Hinzufügung von ri EKKAY]oia ÖAY] in 1Kor 14,23 wird eine wichtige Unterscheidung getroffen zwischen den Versammlungen EV EKKAY]O{q:, in denen die Gemeinde insgesamt an einem Ort zusammenkommt, und denen, in denen nur Teile der Ortsgemeinde zusammenfinden. Ein prinzipieller Unterschied zwischen diesen beiden Fällen wird von Paulus nicht angedeutet3ll • Beides sind Versammlungen EV eKKAY]oiq:. Beicies sind aber auch Versammlungen ev OiK~. Wo ist für Paulus die Gesamtkirche konkret nachweisbar? Sie ist Ka,;' OiKO'Uoi im Herrn. Aus dem Grund ist unsere Übersetzung "Schutzherr" nicht im Sinne eines formalen bzw. legalen patronalen Status zu verstehen. Es wird dadurch noch einmal deutlich, daß Oikos und Ekldesia nichtgleichzusetzen sind. "Die fürsorgende Autorität, die diese Leute als Jtpot01:cX~lEVOt innegehabt und ausgeübt haben, enthält das Element der Führung in sich und ist nicht denkbar ohne das Element der Dauer. Es handelt sich also um dauernde, führende Funktionen. "508 In IThess 5,I zf weist Paulus auf eine Gruppe von Menschen hin, die für die Gemeinde angestrengt arbeitete, für sie sorgte, sie lehrte, ermahnte und leitete. Dieser Einsatz hätte ihnen mit der Zeit eine besondere Stellung in der Gemeinde gegeben. W.A. Meeks formuliert es so: "Aus den Diensten, die wohlhabendere Leute oder Personen mit einem bestimmten Status der Gemeinde erweisen konnten, erwuchs ihnen eine gewisse Autorität. ,,509 Aus dem ganzen wird deutlich, daß Autorität und dienstliche Aktivität in einer engen Wechselbeziehung standen51O •
507 508 509 510
Die Christengemeinde Karinths, ZWTh J9 (r 876),465-)26, v.a. sr6-)20. U. Brockhaus, ebd., !OB. VgJ. auch J. Ysebaert, Die Amtsterminologie im NT, 74. Urchristentum und Stadtkuhur, 278f. U. Brockhaus, Charisma und Amt, 124. Dienen ist charakteristisch für die Funktion, die hier genannt wird, was allerdings nicht ausschließt, daß die dienende Person zugleich und damit eine leitende Funktion in der Gemeinde ausgeübt hat. Vgl. auch B. Holmberg, Paul and Power, 102.
344
Hausgemeinde und Mission
Interessanterweise hat Ernst von Dobschütz schon 1909 in seinem Kommentar zu den Thessalonicherbriefen zu unserer Stelle (1Thess 5,12) zehn verschiedene Funktionen der rr:poim&~lwOL aufgelistet: "Hergeben des Lokals für die Gemeindeversammlung, vielleicht auch Herstellung der nötigen Ordnung dabei, Vorbeten, Vorlesen, Vorsingen, Gewährung von Unterkunft und Unterhalt für zureisende Brüder, von Unterstützung für Arme, Stellung von Kaution (vgl. Jason Apg 17,9), Vertretung vor Gericht (Patronisieren!), gelegentlich vielleicht eine Reise im Interesse der Gemeinde, kurz alle Pflichten, die später dem Vorsteher ... zufielen. ,,511 Ohne es ausdrücklich zu erwähnen, hat von Dobschütz die Aufgabe des Patrons einer örtlichen Hausgemeinde beschrieben. B. Holmberg weist darauf hin, daß die meisten dieser Funktionen auch ein gewisses Maß an Wohlstand und Status voraussetzen: ein Haus, das groß genug ist, um als Versammlungsort der Gemeinde zu dienen; Zeit und .wluße, um sich um die Nöte der anderen zu kümmern, und die finanziellen Mittel, die dafür nötig waren 512 • Diese Beschreibung paßt vorzüglich auf einen Hausvorstand. Es legt sich demnach nahe, daß die rr:poim&~Evol in Thessalonich teilweise als Leiter von Hausgemeinden zu denken sind 513 • Wir können also annehmen, daß es schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Leben der Gemeinde in Thessalonich, wohl nach wenigen Monaten, Menschen gab, die auf Grund ihres Dienstes und Status als Leiter in der Gemeinde angesehen wurden. Da der 1Thess an eine solch junge Gemeinde geschrieben wurde, die nicht durch innergemeindliche Konflikte gekennzeichnet ist, hat man angenommen, daß die Verhältnisse v.a. angehender Ordnungsformen einer jungen Gemeinde zu verallgemeinern sind und auf die anderen paulinischen Gemeinden übertragen werden können 514 • Eine Anfrage an diese Rekonstruktion wäre allerdings: Wie kam es nach so kurzer Zeit zu dieser Entwicklung? Wenn davon ausgegangen wird, daß Paulus Leiter nicht eingesetzt hat ... , wenn diese Autorität durch einen dauerhaften Dienst erst entsteht ... , wenn eine etwas längere Zeitspanne vorausgesetzt werden muß, bevor die Ge-
Sll 512 513
514
E. v. Dobschütz, Die Thessalonicher-Briefe, Berlin 1909, 216. Paul and Power, 102f. So H. Schürmann, , ... und Lehrer'. Die geistliche Eigenart des Lehrdienstes ... , 135· F. Laub, Paulus als Gemeindegründer (1Thess), 1976, I7-38, v.n. 17.32.
Die Verwendung von Häusern in der paulinischen Mission
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meinde solche Leute anerkennen kann, wie konnte es nach nur wenigen Monaten schon so weit sein? Das Modell des antiken Oikos und die Annahme einer Existenz von Hausgemeinden in Thessalonich sind eine Hilfe, diese Fragen zu beantworten. Für die Gemeinde, die sich in einem Haus versammelt, war eine gewisse Leitungsstruktur schon von Anfang an, in der sozialen Infrastruktur des antiken Oikos ,eingebaut', vorhanden. Wie wir schon sahen: Die weitgehende rechtliche, wirtschaftliche und religiöse Macht des antiken Oikos, die aus der Stellung des Hausvorstandes folgte, spricht dafür, daß dem Hausvorstand Leitungsaufgaben in den HGn zukamen 515 • Das ist auch eine mögliche Erklärung dafür, daß es Leitungsstrukturen in Thessalonich bereits nach so kurzer Zeit geben konnte. Diese These wird durch die Beobachtung unterstützt, daß Apg 17,19 eben von so einem Mann in Thessalonich namentlich berichtet. Nach Lukas leistete Jason Paulus die Gastfreundschaft und den Schutz eines Patrons in den ersten Tagen der Thessalonichergemeindeo Es ist gut möglich, daß er und andere auch weiterhin der Gemeinde Gastfreundschaft leisteten und ihr als rrpo'icrt&~lEVOI, eTl"; eKKA'Y]oia,,; das eigene Haus als Versammlungsort zur Verfügung stellten. 2) Kolossä
Die These der Entstehung der Leitungsstrukturen "von unten" findet auch in der Hausgemeinde des Philemon in oder bei Kolossä eine Bestätigung. Dort wird der Hauseigentümer und Gastgeber Philemon "NIitarbeiter" und Archippus, ein Freund des Hauses, "Nlitstreiter" genannt. Beide Begriffe sind Titel, die von Paulus verwendet werden 516 , um an eine besondere !vlühe in der Mission oder beim Gemeindebau zu erinnern517 • "Eine innere Strukturierung der Hausgemeinde darf man aus dem ... Befund jedenfalls ablesen. Es sind Prozesse im Gang, die auf den natürlichen Vorgaben [im antiken
S. 333ff, Anm. 475 und zusätzlich J. Hainz, Ekklesia, 346: " ... denn man darf annehmen, daß den Hausbesitzern auf Grund ihrer natürlichen Stellung in der EKKA'Y]o(a, die sich in ihrem Hause zusammenfand, eine gewisse leitende Funktion zukam". ~16 VgL 1Thess 3,2; Röm 16,3.9.21; rKor 3,9; Phi I 2,25; 4,); 2.Kor 1,24; 8,23. )17 ]. Hainz, Ekklesia, 2.03 und v.a. W.H. Ollrog, Mitarbeiter, 63-72.74f.90-92. 515. VgL
Hausgemeinde und Mission
Oikos = RG] aufbauen. Figuren und Funktionen kristallisieren sich heraus. ,,518 Damit drängt sich die Frage auf, ob Paulus Leiter eingesetzt hat oder ob sie einfach aus dem Haushalt heraus entstanden sind. Hatten sie ein Amt inne oder waren es nur freiwillige Tätigkeiten? Hier ist wiederum die Gegenüberstellung, entweder eingesetzte Amtsträger oder freiwillige Mitarbeiter, eine falsche Alternative519 • Sie waren weder im vollen Sinne Amtsträger (dies wäre nach so kurzer Zeit nicht zu erwarten), noch nur freiwillige Mitarbeiter. Ihre Position "is neither official nor incompatible with office, but informal and tending towa1'ds of(ice"520. Diese Sicht, daß man keine falsche Alternative aufrichten darf, wird durch folgende Beobachtung eines zweifachen Sprachgebrauchs der Apg bestätigt. Lukas rechnet in Apg 14,23 damit, daß Barnabas und Paulus in jeder Gemeinde Presbyter durch Handauflegung eingesetzt haben, während er in 20,28 von der Bestellung durch den Heiligen Geist spricht521 • Außerdem ist es wichtig zu erkennen, daß es in dieser Frage sehr wahrscheinlich ein Zusammenwirken zwischen drei Instanzen gab: zwischen Paulus, dem Gemeindegründer und "Vater", der örtlichen Gemeinde und dem· betreffenden Leiter. Die Hauptinitiative kam von einer der Parteien, aber sie mußten alle drei irgend wann miteinander übereinkommen, daß die betreffende Funktion authentisch und nützLich oder in den Worten des Paulus ein x&pLO~La von Gott an seine Gemeinde sei522 • Auch wenn Paulus keine Leiter in seinen Gemeinden eingesetzt haben sollte, haben diejenigen, die als Leiter tätig waren, ihre Legitimation von der Anerkennung durch Paulus und durch die Gemeinde bekommen. In einer Hausgemeinde wäre es natürlich, ja selbstverständlich, daß der Hausherr eine leitende Auf-
518 519 520
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522
H.]. Klauck, HG, 43. So auch]. Hainz, Ekklesia, 346ff. Brockhaus, Charisma und Amt, I07. A.L. Chapple, Local Leadership, 254 (kursiv = RG); vgl. H.W. Beyer, ThWNT Ir, 6I2.; M.Y. l\rlacDonald, The Pauline Churches, 53; B. Holmherg, Paul and Power, I I2f. Einige, aber nicht alle der Kriterien, die Brockhaus als konstitutiv für das Amt aufstellt, sind in rThess 5, r 2 vorhanden, und zwar die ersten drei: Kontinuität, Anerkennung durch die Gemeinde und Sonderstellung. Ihre Position kann deshalb aber noch kein "Amt" genannt werden. Auch wenn man nicht von der Hiswrizität dieser Belege ausgeht, sind sie ein Nachweis dafür, daß wenigstens Lukas keine Notwendigkeit zur Aufrichtung dieser Alternative gesehen hat. B. Holmberg, Paul and Power, I09.
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347
gabe übertragen bekommtS23 • "It is fair to argue that in Paul's presence, as in his absence, househoJd leadership emerged ,from below' in the community and was legitimated ,from above' by the apos,,524 t Ie. 3) Karinth Ähnliche Schlußfolgerungen, wie die für Thessalonich, können in Korinth für das Haus des Stephanas aus der kurzen Notiz in IKor 16,15f gezogen werden. Hier fordert Paulus die Korinther auf, sich dem Haus des Stephanas und allen solchen Menschen, die in gleicher Weise für die Gemeinde arbeiten und sich abmühen, unterzuordnen (1JJ1:otaoow8m). Es ist aus dem Kontext klar zu erkennen, daß Stephanas und einige andere in der korinthischen Gemeinde eine Sonderstellung haben und eine leitende Funktion ausüben. Dies gilt zunächt einmal, weil sie zu der Gründergeneration der Gemeinde gehören, was zweifach unterstrichen wird: I. Stephanas und seine Hausgenossen werden von Paulus mit dem Ehrentitel anapXTJ Lij
Hausgemei11de u11d Missio11
ist IKor II,5.IO.13 von der Gesamtargumentation des Paulus gesehen sowieso in den Kontext des Gottesdienstes eingebettet (vgI. II,IO.I6.18.20). Die "Schleiervorschrift" weist deutlich auf den Gottesdienst als Rahmen. Ab IKor II,I7 ist der Gottesdienst in den Ausführungen über das Herrenmahl vorausgesetzt, der schon direkt vor Kap. II vorbereitet wird. Die Erwähnung von Engeln in 11,10 deutet ebenfalls eine gottesdienstliche Situation an. "Schon das Judentum, bes. in den Qumranschriften, kennt die Anwesenheit der ,Boten Gottes' im Kult ... ,,667 Wenn man von der "Echtheit" von IKor 14,34f ausgehen kann, ist mit eh. Wolff und G. Fee zu betonen668 , daß folgende Lösung zwar keineswegs problemlos ist, aber immerhin weniger Schwierigkeiten als alle anderen bisher vorgeschlagenen Versuche mit sich bringt: In I Kor 1403 3 b-3 6 geht es lediglich um ein Verbot für das nicht geistgewirkte Sprechen der Frauen, d.h. wohl um die Unterbindung eines Dazwischenfragens (vgI. 14,34b.35}669. Damit sind prophetisches Reden und das Beten der Frauen nicht betroffen. Eine gewisse Ergänzung und zugleich Einschänkung dieser Sicht bietet der Lösungsvorschlag von E.E. Ellis 670 . Er hält 1Kor 14,34f für ein kulturell bedingtes Schweigegebot; das von Paulus schöpfungstheologisch begründet wird und ausschließlich an die charismatisch begabten Ehefrauen der Propheten aus Respekt ihren Männern gegenüber im Kontext des Gottesdienstes gerichtet ist 671 • Er bietet folgende übertragene Übersetzung an: "Prophets, let your wives be silent in the assemblies. For it is not permitted for them to speak in the interchange between the prophets. ,,672 Allerdings bleibt bei dieser Sicht das folgende schon O.g. Problem: rKor 14,30 redet nur davon, daß Propheten nicht gleichzeitig, sondern nacheinander reden sollen, und
667 M. Hauke, Problematik um das Frauenpriestertum, 367. Er folgt G. Dautzenberg, Urchristliche Prophetie, r975, 267, Anm. 47.
668 Wolff, rKor, 341-354; Fee, rCor, 708. 669
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So auch R. Banks, Community, 123. The Silenced Wives of Corinth (I Cor q:34-5), N.T. Textual Criticism, 1981, 2.l3220; ders., Pauline Theology, 67-71. rUVll kann sowohl Ehefrau als auch nur Frau heigen (vgl. Röm 7,2: ünuvöpoc; yuvll). Dies wird durch den Hinweis auf "das Gesetz" unterstützt, der wohl auf den Status der Ehefrau, wie Gen 3,16 ihn festlegt, zurückverweist. Vgl. den west· lichen Text zu 14>34, den Ellis für eine wahrscheinlich richtige Auslegung hält (ebd., 69); vgl. auch Röm 7,2.; KoI3,18-4,I; (Eph 5,2.1-6,9). Pauline Theol., 71. Vgl. auch seine Lösung zu 1Tim 2.,9-15, ebd., 71-78.
Die Verwendung von Häusern ilt der paulinischen Mission
379
das oLyaw von V. 34 wird wohl nicht anders als das von V. 30 verstanden werden können. H. Ridderbos weist, unter der Annahme, daß rKor i4,33-36 von Paulus stammt, darauf hin, dafS hier in der Argumentation zwei verschiedene Beweggründe sehr eng miteinander verkoppelt werden: ,,(a) what 'the law' says or is inferred from the history of the beginning, and (b) what according to standards current in Paul's day was considered unbecoming for a woman. The latter he denotes with the words 'it is shameful' [vgl. auch rKor II,5-r3] ... "673 "On the other hand it is dear, that there is also a relativizing element in this appeal to custom ... as the (sub-ordinated) position of wo man with respect to man is to be given expression in a manner that must be considered appropriate for a certain time and culture. ,,674 In der korinthischen Situation ist Paulus anscheinend bemüht, die Korinther wie auch seine anderen Gemeinden dahin zu bewegen, daß sie innerhalb des allgemeinen kulturellen Rahmen beim Verhalten der Frau in der damaligen Zeit bleiben. Eventuell haben einige der korinthischen (Ehe-)Frauen sich zu sehr von der aktuellen "Emanzipationsbewe c gung" leiten lassen (s.o.) und sich deshalb mehr "Freiheit" erlaubt, als das in den anderen Gemeinden der Fall war. Der exegetische Befund spricht dafür, dafS Frauen, wenn auch als Ausnahme, Leitungs- und Lehraufgaben in den paulinischen HGn (eventuell auch im Gottesdienst) übernommen haben (s.o.; vgl. auch noch Kol 3,r6). Die textgeschichtliche Unsicherheit und die sehr umstrittene Auslegung 675 von rKor r4,3 3 b-3 5 sollte davor warnen, diesen Text als ein ewiges Verbot zu verstehen, auch in einer Kultur, in der das Reden der Frauen in der Versammlung nicht als schändliches Verhalten angesehen wird 676 • Wenn Paulus Frauen und Männer in Christus als soteriologisch gleichberechigt ansieht677 und den Frauen von Korinth das öffentliche Beten und Prophezeien erlaubt
67J
. Paul, 1990, 462. Ridderhos, ebd., 463. 675 W. Schrage, Die konkreten Einzelgebote der paulinischen Paränese, 1961, 126 ist der Meinung, daß eine befriedigende Lösung immer noch nicht gefunden ist. 676 G.D. Fee, ebd., 708; vgl. auch die dortige Darstellung der komplizierten Ausle· gungsgeschichte von 1Kor 14,33 b-3 5 und die verschiedenen Lösungsvorschläge. Vgl. ebenso eh. Wo 1ft, lKor 341-348 für eine Besprechung dieser Sache. 677 Vgl. F.F. Bruce, Gal, 188ff, der darauf aufmerksam macht, daß Gal 3,28 nicht nur als Unterbindung jeglicher Diskriminierung auf rassischer und sozialer Basis, sondern auch auf geschlechtlicher Basis verstanden werden muß. 674
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Hausgemeinde und Mission
(rKor 11,2-6), obwohl er im selben Abschnitt von der schöpfungstheologischen Unterordnung der Frau unter den Mann spricht, dann hat er diese Erlaubnis in rKor 14,33b-36 entweder (bei Ehefrauen?) eingeschränkt678 oder die Stelle bringt als späterer Zusatz die differenzierte Meinung des Paulus nur einseitig zum Ausdruck. 1Kor 14,34 allein kann kein Grund sein, Frauen Lehraufgaben und Leitungsämter in kirchlichen Diensten vorzuenthalten.
C) Ergebnis Ein wichtiges Thema dieses Kapitels bildete das Verhältnis von Hausund Ortsgemeinde. Damit verbunden war die Frage nach den ekklesiologischen Implikationen dieses Verhältnisses. Das Nebeneinander von HGn führte sodann zum Problem der Leitungs- und Organisationsstrukturen der HGn, wobei die Frage, ob und wie sich die Struktur des antiken Oikos auf die Organisation der HGn ausgewirkt hat, im Mittelpunkt stand. Wie in der Jerusalemer Urgemeinde, so stellten wir auch in Korinth ein Nebeneinander von Orts gemeinde und HGn fest. Auch in Rom gab mit großer Wahrscheinlichkeit verschiedene HGn. Angesichts der Größe der Stadt und der Vielzahl der Gruppen ist ein gemeinsames regelmäßiges Treffen an einern Ort sehr unwahrscheinlich. Für ein Nebeneinander von HGn in Thessalonich, Ephesus, Philippi und Laodizea gibt es ebenfalls Hinweise. Die Frage nach dem Nebeneinander von Orts- und Hausgemeinde führte uns sodann zur Frage, wie das Verhältnis zwischen E~nzelge meinde und Ortsgemeinde bzw. zwischen der gesamten Gemeinde am Ort und der Gesamtkirche bei Paulus bestimmt wird. Auf Grund des Nebeneinanders von Ortsgemeinde und HGn, wie es sich in den paulinischen Missionsgemeinden, aber schon zuvor in der Urgemeinde belegen läßt, und in Anbetracht des Schwerpunktes, den Paulus auf die Würde der Einzelgemeinde legt, scheint er das gröfSere Recht der Einzelgemeinde gegenüber der Gesamtkirche zu betonen 679 •
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In dem Fall kann die textgeschichdiche Unsicherheit (s.o.) mit einer von Paulus selbst am Rand geschriebenen Glosse erklärt werden. Vgl. E.E. Ellis, The Silenced Wives oE Corinth (I Cor. 14,34-5),213-220; ihm folgend Barron, Paul's Sense of Place, NTS 32 (1986), 229f. Vgl. aber wie gesagt Eph 4 und Joh 17 für das Gegengewicht.
Die Verwendung von Häusern in der paulinischen Mission
381
In unserer Studie ist zum ersten .Mal, wenn auch nur andeutungsweise, eine Schattenseite der HGn für die Mission deutlich geworden. Die Existenz mehrerer Hausgemeinden in einer Stadt scheint ein Grund für die Tendenz zu Parteibildungen und damit zn inner- und zwischengemeindlichen sozialen Spannungen unter den paulinischen Christen (in Korinth) gewesen zu sein. Es ist zu fragen, ob darin eine grundsätzliche Schwäche des Hausgemeindemodells liegt. Auf diese Frage werden wir im nächsten Kapitel zu sprechen kommen. Die Bilanz hinsichtlich der Bedeutung der HGn für die paulinische Mission ist aber im Ganzen positiv zu beurteilen. In ihrer Funktion als Stützpunkte für das örtliche Gemeindeleben und für die städtische und überregionale Mission stellten "Häuser", ähnlich wie in Antiochien, Jerusalem und im Ansatz schon vor Ostern in der jesllanischen Umlandmission vom Haus des Petrus aus, die bauliche, soziale, personelle und wirtschaftliche Basis sowohl der paulinischen Zentrumsmission als auch seiner überregionalen Arbeit dar. Privathäuser wohlhabender Mitglieder dienten Paulus, seinen Mitarbeitern und den paulinischen Christen als Sammelpunkte, als Versammlungsräume für die Pflege der Gemeinschaft, für Gebet, Lehre und die Feier des Herrenmahls. Die Hauseigel1tümer ermöglichten die Durchführung von solchen Gottesdiensten durch ihre patronale Gastfreundschaft: d.h. konkret durch die Bereitstellung der Versammlungsräume und gegebenenfalls materieller .N1itte!, z.B. für das Agape- und Herrenmahl. Diese Patrone und Patroninnen boten der Gemeinde und den Missionaren Schutz den städtischen Behörden gegenüber und übernahmen in politischen Angelegenheiten der Gemeinde eine leitende Funktion. Oft wuchsen die Gastgeber der HGn durch ihre natürliche Stellung, Bildung und Begabung in die Aufgabe der Gemeindeleiter hinein. So bildeten HGn Übungsplätze für zukünftige Führungskräfte der Gemeinde und Mission. Diese Sicht wurde durch unsere Untersuchung der Leitungsstrukturen in den paulinischen HGn bestätigt. Paulus verwendet in seinen unumstrittenen Briefen eine ganze Reihe von Begriffen, die auf leitende Funktionen hinweisen. Die unterschiedlichsten Namen und Beschreibungen deuten lehrende, führende, verwaltende und materielle Unterstützung an. Irgendjemand oder irgendeine Gruppe von Menschen mußte einen Versammlungsort zur Verfügung stellen, die Versammlung und die Mahlzeiten leiten und das Essen für die Armen bereitstellen. Irgendeiner mußte für die Organisation der Gemeinde verantwortlich sein und sie nach außen den Behörden, aber
Hausgemeinde und Mission
auch gegebenenfalls den anderen Gemeinden gegenüber, in einer Stadt vertreten. Irgendeiner mußte v.a. in der Abwesenheit des Apostels die Aufgabe des Lehrens und des Leitens übernehmen. Die Gruppe, die in der Anfangszeit für solche Aufgaben am ehesten in Frage kommt, ist die der Hauseigentümer. Von ihrer Stellung in einer Oikosgesellschaft her wäre es ganz natürlich gewesen, daß ihnen eine leitende, eventuell auch lehrende Rolle zugewachsen ist, denn die Gemeinde versammelte sich fortan in ihrem Haus. Es wird hier allerdings nicht behauptet, daß die Hauseigentümer die einzigen gewesen sind, die für eine leitende, lehrende Funktion in den HGn in Frage kamen. Wie in der Urgemeinde werden auch andere begabte Mitglieder der Gemeinde, darunter auch Sklaven, zeitweise auch Wanderpropheten und -prediger usw., die keine Hauseigentümer waren, leitende Aufgaben übernommen haben. Die Tatsache, daß in den unumstrittenen paulinischen Briefen nichts darüber berichtet wird, daß Leiter von Paulus oder sonst jemand eingesetzt wurden, ist in diesem Zusammenhang bedeutsam. Obwohl ihm Leitungsfragen allgemein nicht gleichgültig sind, scheint Pa111us sich wenig um die Frage einer "offiziellen" Einsetzung zu kümmern. Das kann daran liegen, daß es nicht nötig war, weil Leitungsstrukturen schon im antiken OiKO~ "eingebaut" waren und die Leiter "von unten" aus dem Haushalt herausgewachsen sind. "We are, therefore, led to suspect that the social forces of the time and culture did in fact provide for their [the house church leaders =RG] emergence. The group that comes to mind as the one that could easily emerge in this mann er with these responsibilities are the heads of households, men and warnen of means with the ability to manage the affairs of the church. ,,680 An dieser Stelle sei noch einmal betont, daß es in diesem Zusammenhang wohl ein Zusammenwirken zwischen Paulus, dem Gemeindegründer, der örtlichen Gemeinde und dem betreffenden Leiter gab. Alle drei mußten sich irgendwann darüber einig werden, daß die betreffende Leitungsfunktion authentisch, nützlich und eine Gabe Gottes an seine Gemeinde sei. Diejenigen, die als HausgemeindeLeiter tätig waren, haben ihre Legitimation von der Anerkennung durch Paulus und durch die Gemeinde bekommen. Alles scheint also darauf hinzuweisen, daß während der Anwesenheit des Paulus, aber auch in seiner Abwesenheit die gemeindlichen Leiter aus den Oikos-
680
V. Branick, The Hause Churcb,
91.
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strukturen der HGn "von unten" herausgewachsen und so dann durch den Apostel" von oben" legitimiert worden sind .. Häuser dienten als Missionstützpunkte. Sie stellten Mitarbeiter für die Mission im Umland ihrer Stadt bereit. Häuser boten Paulus, seinen Mitarbeitern und sonstigen umherreisenden Glaubensgenossen und Missionaren Quartiere und Zufluchtsstätte während ihres Aufenthaltes am Ort. Zugleich waren Häuser für die Mission des PaulllS und seiner Mitarbeiter in ihrer Funktion als Ort der missionarischen Predigt, des katechetischen Taufunterrichts und der christlichen Belehrung von großer Bedeutung. Das Netz der Oikoi mit ihrer Gastfreundschaft war die Basis, auf der Paulus seine für seinen Missionsdienst und Gemeindeaufbau so wichtige briefliche Korrespondenz durchführen konnte. Außerdem ermöglichten Häuser die Reisen der Missionare, indem sie ihnen die dafür notwendigen materiellen und finanziellen Mittel mit auf den Weg gaben. Das Haus mit seinem "Workshop" und seinem "Network" der Beziehung (Großfamilie, Klientelwesen, Zunft, Verein und geschäftliche Kontakte) bot natürliche missionarische Kontakte und Gesprächsmöglichkeiten. Des weiteren fiel auf,· daß nicht nur einzelne, sondern ganze Häuser auf einmal getauft werden konnten, was fur· die schnelle Verbreitung des Evangeliums eine bedeutende Rolle gespielt hat (vgl. Oikosformel). Ein zusätzlicher Vorteil dieses Phänomens ist die so ermöglichte korporative Solidarität bei und nach der Bekehrung, was eine nicht unwichtige Stütze für die jungen Christen bedeutete. Schließlich waren die HGn auch Übungsfeld und Schauplatz der Bruderliebe mit integrierender und missionarischer Wirkung. Die Leistungsfähigkeit der HG ist u.a. dadurch zu erklären, daß schon durch die Größe eines Tricliniums bedingt die sich dort versammelnde Gruppe klein gehalten werden mußte und damit notgedrungen überschaubar, familiär und verbindlich geblieben ist. In ihrer Funktion als Missionsstützpunkt für eine Stadt und das umliegende Gebiet stellten HGn das Fundament der paulinischen Zentrumsmission dar. Wohl deshalb gehörte es zur Missionsmethode des Paulus, dort, wo er zum ersten Mal das Evangelium verkündigte, zunächst ein oder mehrere Häuser für den Glauben zu gewinnen, wobei die Bekehrung des Hausvorstandes von entscheidender Bedeutung war. Die paulinische Mission hat sich den sozialen Gegebenheiten des antiken otKOeUA./-lOÖ01JA.{~)143 zu handeln, um bloß Menschen zu gefallen (w~ avElpconapEoKO\,)144, sondern der christliche Sklave soll seine Arbeit mit aufrichtigem Herzen (ev anA.Ou]"tL KUPö(U~)145, den Herrn (Christus) fürchtend, vollziehen (q,OßOU/-lEVOL "tov KUpLOV)146. "Christian slaves are above all else
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P.T. O'Brien, Col, 226. VgI. J. Gnilka, Kai, 221; ihm folgend M. Gielen, Haustafelethik, 161. VgI. P.T. O'Brien, Col, 22M; F.F. Bruce, Eph, 293. Vgl. Phlm; E. Schweizer, KaI, 167; F.F. Bruce, Col, 167f; P.T. O'Brien, Col, 226 und misere Ausführungen S. 271ff. VgI. E. Schweizer, Kai, 167. Vgl. Bauer-Aland', Sp.I2I2; K.H. Rengstorf, ThWNT II, 283; zur Wortbildung vgl. BI.D § I I 5,2, Anm. 1. VgI. Bauer-Aland', Sp.I33f; W. Foerster, ThWNT I, 456. Vgl. Bauer-Aland', Sp. 171: "mit redlichem Herzen gehorchen"; O. Bauernfeind, ThWNTI,3 85f. VgI. E. Lohse, Kai, 227f. Diese atI. Wendung (LXX Ex 1,17.21; Lev I9,I4.32; 2.5,17; 54,20) wird im NT auch oft verwendet (Lk 18,2.4; Apg 10,2.22.35;
Hausgemeinde und Mission
servants of Christ and they are to work first and foremost so as to please hirn. Not fear of an earthly master, but reverance for the Lord Christ should be their primary motive " 147. In V. 23 wird dies [lOch einmal in Anklang an 3,17 unterstrichen. V. 24 erinnert die Sklaven daran, daß sie von dem Herrn, der jedes Werk beurteilt (Kol 3,1), auch Urteil und Vergeltung empfangen werden. Im Himmel liegt das ewige Erbe schon bereit (vgl. 1,5.27; 3,1-4)148. "Niemand wird sich dieses kostbare Gut durch Ungehorsam verscherzen wollen; wer aber im Gehorsam sein Werk verrichtet, der wird die KA'Y]povo~li"a. empfangen. ,,149 Darum: 't~ KUptep XPL(J'"C~ ÖouAEulm,. Dieser Satz ist nicht indikativisch, sondern als Imperativ aufzufassen (unter Aufnahme von i:pya~weE - V. 23). Hier ist zu fragen, ob diese Aufforderung (3,24b) auch implizit an die Herren, ja sogar an den ganzen Haushalt gerichtet sein wilpso. Das gleiche gilt für V. 25 - er wird wohl wenigstens auch auf die Herren zu beziehen sein 151. Die Anweisung an die Sklaven findet ihr unverzichtbares Gegengewicht in der ebenso apodiktisch formulierten Anweisung an die Herren l52 • Dies gilt, auch wenn es nur ein kurzes Wort ist: "Ihr Herren, gewährt den Sklaven, ~as recht und billig ist. Ihr wißt ja, daß auch ihr einen Herrn im Himmel habt" (4,r). Wie auch im Fall der vorausgehenden Anweisungspaare ist die Herrenmahnung untrennbar mit der Sklavenmahnung gekoppelt (3,22a). Die beiden können nur in Verbindung miteinander sachgerecht ausgelegt werden. Von den Herren wird nicht verlangt, daß sie ihre Sklaven entlassen. Doch werden sie dazu angewiesen, ihren Pflichten ihnen gegenüber gewissenhaft nachzukommen. In der HT wird im Gegensatz zum römischen Gesetz der patria potestas nicht die unumschränkte Verfügungsgewalt des Hausvorstandes betont, sondern seine Pflicht. Diese Pflichten sind durch die Liebe bestimmt. Aller Mißbrauch ihrer Rechte den Sklaven gegenüber wird den Herren untersagt. Da die christlichen Herren ihr Verhalten nun dem Herrn gegenüber
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I3, 16.26; rPetr 2,I7) und kann auch mit Ehrfurcht bzw. Vertrauen zu tun haben (vgl. Ps 33,18 und E. Schweizer, Kai, 167). P.T. O'Brien, Col, 227. Vgl. P.T. O'Brien, Col, 228f; F.F. Bruce, Col, r67ff. E. Lohse, KaI, 229. Vgl. E. Schweizer, Kai, 168; M. Gielen, Haustafelethik, 191ff. E. Schweizer, KaI, 168; E. Lohse, KaI, 230 läßt es offen; vgl. P.T. O'Brien, Col, 23of für eine Besprechung der Meinungen der verschieden Exegeten. E. Schweizer, Kai, I68.
Das Weiterwirken von Oikos-Strukturen
verantworten müssen, nimmt der Grundsatz "was recht und billig ist" neue Bedeutung an 153 • Fortan müssen die Herren nämlich dem Herrn aller Herren darüber Rechenschaft ablegen, wie sie ihre Sklaven behandeln (4,rb). Damit ist in die Beziehung zwischen Herren und Sklaven eine ganz neue Dynamik hineingekommen 154 . "Wer in seinem Sklaven den Bruder in Christus' sieht (vgl. Phlm 16), kann in ihm über die Dauer nicht mehr einen Sklaven im alten Sinn sehen. "155 Da sie beide dem KUPW6ß~ 8Eau, Röm 3,18; 2Kor 7,1; rPetr 1,17.
Das Weitenvil'ken uon Oikos-Strukturen
Es fällt in der Eph-HT gegenüber der Kol-HT noch auf: r) Hier finden wir eine formal aber auch inhaltlich etwas stärkere Hervorhebung der Liebe (vgL bes. Eph 5,25.28). Wie in der Kol-HT wird die Unterordnung der Frau ihrem Mann gegenüber "ganz und gar eingebettet in die Liebe des lVIannes zu seiner Frau "174. Die Aufforderung an die Ehemänner zur Liebe bildet auch hier das unverzichtbare Gegengewicht zur Verpflichtung der Ehefrauen hinsichtlich der Unterordnung. Zwar wird der Mann "das Haupt der Frau" (V. 23a; vgi. auch rKor IId; s.o.) genannt. Das Prädikat "Haupt" steht aber im engen Zusammenhang mit der Formulierung "wie auch Christus das Haupt der Kirche ist" (V. 23b). Damit bekommt der Begriff "Haupt" eine besondere semantische Nuancierung (s. gleich u.)!75. 2) Auch die Eph-HT verankert ihre ethischen Anweisungen ev K'Upicp. Allerdings ist hier die eheliche Liebe noch ausdrücklicher "im Herrn Christus" gegründet, v.a. deswegen, weil die Ehemahnung der Eph-HT als lVIimesisethik zu verstehen ist176, denn die eheliche Unterordnung und Liebe wird als ein Nachahmen des Verhaltens Jesu Christi begriffen. Die Beziehung zwischen Mann und Frau wird in Analogie zum Verhältnis zwischen Christus als dem "Haupt" und der Kirche, seinem "Leib", gesetzt 177 • Wie Christus sich in seinem Opfertod am Kreuz für die Kirche hingegeben hat, so ist die Liebe des Mannes zu seiner Frau ebenfalls als ein radikales
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F. Mußner, Eph, 152; vgl. auch N. Baumert, Frau und Mann, 205. Vgl. M. Barth, Eph, 620, der von einer "subordination to love" seitens der Ehefrau spricht. "Only this and nothing else is preached in Eph 5:21-33. Where there is no love Paul does not expect submission ... ". Vgl. W. Schrage, Haustafeln, 15ff; ihm folgend F. Mußner, Eph, 153. "Zweifellos sind die ekklesiologischen Ausführungen nicht bloße Beispiele für die Eheparänese, sondern das eigentliche Ziel des Abschnitts" (J. Roloff, EWNT I, Sp. loosf). Auf die Haupt-Leib- bzw. Braut-Bräutigam-Ekklesiologie gehen wir in unserer Untersuchung nicht ausführlich ein (vgl. dazu die gängigen Kommentare). Theologisch gesehen ist es dem Verfasser des Eph gelungen, diese beiden organisch zu verbinden und diesen Zusammenhang für die Eheunterweisung fruchtbar zu machen. Das Zweite zeigt seine hohe Auffassung von der Ehe. Zum religionsgeschichtlichen Hintergrund: Diese Elemente waren dem Vf. des Eph wohl in der christlichen Tradition schon vorgegeben (vgl. 1Kor 12; Kol 1,lS; 2Kor II ,2.), können aber auch auf die Vorstellung von der Ehe Jahwes mit seinem Volk Israel zurückgehen (vgl. Ez r6,6-I4 und F.F. Bruce, Eph, 389ff). Anders H. Schlier, Eph, 264-2.76, der die gnostische Vorstellung von der himmlischen Syzygie im Hintergrund sieht.
Hausgemeinde und Mission
Sich-Hingeben für die Frau aufzufassen (vgl. Mk 10,42-45)178. M. Barth betont: Wenn der Ehemann seine Aufgabe unter dieser christologischen Voraussetzung versteht, "he will consider it both a privilege and a grave responsibility. Even more than an enlightened monarch in his relation to his subjects, he is then 'the first servant' of his wife. In short, a headship qualified, interpreted, and limited by Christ alone is proclaimed, not an unlimited headship that can be abitrarily defined and has to be endured " 179. Auch hier wird man nicht von einer ,Verbürgerlichung' der christlichen Gemeinde, sondern umgekehrt und noch sehr viel stärker als in der Kol-HT von einer "Evangelisierung" des antiken Oikos reden können (s. S. 40of). Diese Sicht wird v.a. durch die sotcriologischen und christologisch-schöpfungstheologischen Aussagen der Eph-HT bestätigt. Entscheidend für die Zuordnung von Christus und Schöpfung bei Paulus ist das "in Christus sein" (vgl. z.B. 1Kor 7,39c; 8,6). Sobald die Schöpfung in Christus ist, ist sie durch Christus geheiligt, d.h. in die Erlösungsordnung hineingenommen. Hier scheint der Eph in paulinischer Tradition zu stehen. Nach Eph 1,2Iff wird Christus aufgrund sejri~sErlöslingswerkes als Haupt über alles beschrieben (vgl. auch Kai 1,15-'-20). Ei ist nicht nur Haupt der neuen, sondern auch der alten Schöpfung180 • Das ganze geschöpfliche Leben wird unter seine Herrschaft gestellt, und das heißt konkret auch die Ehe. Das gilt erst recht für die christliche Ehe, die zusätzlich in den Bereich der Kirche hineingenommen wird, der Christus zum Haupt gesetzt wurde. Weil die Schöpfungsordnung in Christus erneuert wird, ist in diesem Sinne Christus deren Stifter und Garant. Wie schon gesagt, findet nach Eph 5,25-33 die Ehe in dem innigen Verhältnis zwischen Christus und der Kirche ihre Entsprechung, die selber das in Gen 2,24 angesprochene Geheimnis vollkommener Einigung darstellt. Wenn das Verhältnis zwischen Christus und Gemeinde Leitbild und Urbild der Ehe darstellt, dann ist die konsequente Folge, daß Christus als Repräsentant dieses Bildes auch das Abbild garantiert, insofern diese Entsprechung vorhanden sein muß. Wer für das eigentliche Bild einsteht, steht auch für die Entspre-
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Vgl. M. Barth, Eph, 618; auch K.H. Rengstorf, Mann, 1953, I31-I45; ihm folgend F. MufSner, Eph, 153. Eph, 6I8f. Vgl. H. Schlier, Eph, 89.
Das Weiterwirken von Oilws-Sttuhturen
chung ein 181 . Nach Eph S,2Iff.2Sff.29ff; 6,Iff.sff ist Christus also nicht nur der Erlöser, sondern auch der Stifter und Garant der (guten) Schöpfungsordnung, die in der Kirche exemplarisch beachtet wird: In und durch Christus wird geschöpfliches Leben geheiligt - in der Ehe, in der Familie, im Haus und in der Kirche. Damit ist zu erkennen, daß der Eph dem Oikos eine besondere Würde zuschreibt: Die Grundstruktur des Oikos ist eine Stiftung Gottes. Diese Sicht läßt sich bis in die Jesustradition zurückverfolgen (vgl. rKor 6,r6 mit Mk rO,7f/Mt r9,4)· 2) Sklaven und Herren (6,5-9/ 82
Die Anweisung an die Sklaven stimmt größtenteils mit KaI 3,22-4,r überein. Hier wie dort ist nach F. !vlußner: "Das Neue und Unerhörte ... dann dies, daß der Gehorsam der Sklaven ihren irdischen Herren gegenüber ganz lmd gar als Einübung in den Gehorsam Christus gegenüber verstanden wird. "183 Gegenüber dem KaI fällt der Ausdruck "Sklaven Christi" (V. 6b) ins Auge. Den Gegensatz zwischen einem, der Knecht Christi sein möchte, und einem, der nur Menschen gefallen will, spricht Paulus in Gal 1,10 an. Eventuell betont der Verfasser des Eph mit dem Ausdruck "Sklave Christi" die paulinische Vorstellung, daß alle Christen, auaÄll, und die muß bestimmen. Die Leibstruktur betont aber das Verhältnis der Gegenseitigkeit stärker. Allein vom Leibgedanken her gedacht, gibt es keine einlinig festgelegte Autoritätsstruktur, sondern dem jeweiligen Glied kommt Vollmacht zu, indem es seine Gabe wahrnimmt. Die' den Past zugrundeliegende Gemeindeordnung im Hause Gottes hat im Vergleich dazu feste, unumkehrbare Autoritätsstrukturen 292 • Im Eph kann der Leibgedanke mit der Hausvorstellung verbunden werden (s.o.). In 2Tim 2,19-22 geht es indirekt auch um Glieder der Gemeinde, freilich als Glieder eines Hauses und nicht als Glieder eines Leibes. Hier wird die Kirche ähnlich wie im Eph als eigenständige Größe verstanden. J. Roloff betont: "Nimmt man das über sie als Ordnungsgefüge, als bergender Raum und als beständiger Ort der Wahrheit Gesagte hinzu, so trägt die Kirche hier alle Züge der Institution. "293 Als Institution ist sie ganz in der Welt. Aber indem 290 291 292
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rTim, 17 8. Vgl. auch Lk 12,42-45. Vgl. A. Weiser, Kirche in den Past, BiKi 46 (1991), I II. VgJ. H. v. Lips, Gemeinde, 14 1ff. Kirche, 260; ihm folgend A. Weiser, Kirche in den Past, BiKi 46 (1991), IUf. Roloff betont zugleich, daß das noch kein Abfall gegenüber Paulus bedeuten muß, "denn bei Paulus hat die Kirche bereits institutionelle Züge" (ebd., 260). Eine Ill-
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