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Rückfrage nach Jesus Ferdinand Hahn Karl Kertelge Fritzleo Lentzen-Deis F ranz M ußner Rudolf Pesch Rudolf Schnackenburg Herausgegeben von Karl Kertelge
Die Frage nach dem historischen Jesus bleibt ein Schwerpunkt der theologischen Diskussion. Ihre Bedeutung liegt heute aber nicht mehr nur in der exegetischen Erforschung der Evangelien, sie erweist sich auch als Kernproblem im Gespräch zwischen den theologischen Disziplinen, ja sogar zwischen Christen und Nichtchristen. Im vorliegenden Band zeigen sechs namhafte deutsche Exegeten, daß sich die gegenwärtige Diskussion um diese Frage nicht mehr auf das bloße Aufspüren historischer Fakten des Lebens Jesu einengen läßt, sondern daß sie sich auch mit den methodischen Schwierigkeiten der Rückfrage nach dem historischen Jesus und mit der Frage nach genau faßbaren Kriterien zur Beurteilung des Historischen auseinandersetzen muß. So werden hier nicht nur wesentliche Teilfragen exemplarisch behandelt; vielmehr wird in einem gemeinsamen Bemühen versucht, einen Weg aus den Engführungen der historischen Rückfrage und zugleich einen Weg der Annäherung zu einer möglichst ursprünglichen Ganzheit von Gestalt und Geschichte J esu aufzuzeigen. Alle Beiträge des Bandes sind exegetische Arbeiten, die jedoch die Gesichtspunkte und Anfragen der systematischen Theologie, vor allem der Fundamentaltheologie, zu berücksichtigen suchen. Ein exegetischer Beitrag also zu einer fundamentalen Fragestellung der heutigen Theologie, zugleich eine zuverlässige Orientierung über den neuesten Stand der Forschung und eine hilfreiche Anleitung zur Methode exegetisch-theologischen Fragens.
RüCKFRAGE NACH JESUS
QUAESTIONES DISPUTATAE Herausgegeben von KARL RAHNER UND HEINRICH SCHLIER Theologische Redaktion HERBERT VORGRIMLER Internationale Verlagsschriftleitung ROBERT SCHERER
63 RüCKFRAGE NACH JESUS
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Karl Kertelge
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I
Methodologische überlegungen zur Rückfrage nach Jesus ':Von Ferdinand Hahn, Mainz
Es gibt Fragen, die uns in der Theologie nicht zur Ruhe kommen lassen, Fragen, die sich immer wieder aufdrängen und die unablässig neu gestellt werden müssen. Dies hat nicht in erster Linie etwas damit zu tun, ob derartige Fragen bisher befriedigend oder unzureichend beantwortet sind; sicher kann man vorliegende Ergebnisse weiterführen und den Problemen immer noch neue Aspekte abgewinnen. Aber wichtiger ist, daß es Fragen gibt, die das theologische Denken als solches in Bewegung halten, Fragen also, auf die wir gar nicht verzichten können. Im Gegenteil, wir müssen uns hüten, daß wir uns nicht mit den bereits gegebenen Antworten begnügen. E~ gilt vielmehr, Lösungsversuche regelmäßig wieder in Fragestellungen zurückzuführen, ohne daß man deswegen in der bloßen Frage steckenbleiben darf. Theologie erfüllt dann ihre Aufgabe, wenn sie in der Bewegung des ständigen Fragens und Antwortens bleibt, wenn sie sich von den früher gegebenen Antworten nicht einfach entbunden sieht, jedoch aus gegenwartsbezogenem Fragen heraus zu eigenen neuen Antworten kommt. Nur so erfüllt Theologie ihre kirchliche Aufgabe, weil für die Kirche immer die aktuelle Verantwortung von entscheidender Bedeutung ist. Die Problemstellungen, die theologisches Denken in Bewegung halten, sind nicht zu allen Zeiten dieselben. Es besteht aber kein Zweifel, daß die Frage nach Geschichte und Person Jesu heute zu jenen Grundfragen gehört, die sich unausweichlich stellen und uns nicht loslassen. ". Das am 3.4. 1973 in Wien gehaltene Referat wird in überarbeiteter Fassung vorgelegt. Die Anmerkungen dienen der Verdeutlichung und Weiterführung, ohne daß ein vollständiger überblick über die derzeitige Diskussion gegeben werden kann. Auf die anderen Vorträge der Tagung und die Ergebnisse der Arbeitsgruppen ist nicht Bezug genommen, nur einige an mich gerichtete Fragen aus der Aussprache sind berücksichtigt.
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Das betrifft keineswegs nur die Fachexegeten, sondern diese Frage ist zu einem Angelpunkt für die theologische Diskussion zwischen allen Disziplinen geworden, sie gehört aber ebenso in die Unterweisung und das Glaubensverständnis der Gemeinde und kennzeichnet darüber hinaus den neuralgischen Punkt eines jeden echten Gesprächs zwischen Christen und Nichtchristen 1. Besitzt diese Fragestellung somit eine weit über die eigene Disziplin hinausreichende Bedeutung, dann ist uns Fachvertretern der neutestamentlichen Exegese die Aufgabe gestellt, das ganze Problemfeld methodologisch und sachlich so aufzuarbeiten, daß für die allgemeine theologische Diskussion die Weichen richtig gestellt sind, damit - im Bild gesprochen - weder laufend Betriebsunfälle passieren noch auf Neben- oder Abstellgleisen rangiert werden muß. Für die gemeinsame Arbeit dieser erfreulicherweise ganz auf das Problem des "historischen Jesus" konzentrierten Tagung will ich mich um einige grundlegende methodische Klärungen bemühen. Dabei zeigt sich allerdings, daß Methodenfragen nur bedingt isolierbar sind. Gewisse überschneidungen mit den anderen ThemensteIlungen lassen sich nicht vermeiden. Denn ich kann die Methodik der Untersuchung biblischer Texte nicht erörtern, indem ich lediglich allgemeine Grundsätze und historisch neutrale Vorfragen behandle. Vielmehr ist die Erörterung der methodischen Probleme eng mit der Analyse und Interpretation der Texte verzahnt, muß daher stets einen angemessenen Zugang zu den Einzelproblemen suchen. Ein adäquates methodisches Verfahren läßt sich nicht im voraus festlegen, sondern bedarf der ständigen Erprobung und Kontrolle am Gegenstand selbst. Darüber hinaus ist in jedem Falle auch die theologische Relevanz des methodischen Vorgehens und gewonnenen Sachbezuges mit zu bedenken. Das betrifft nicht nur die "Anwendung" der Methode, sondern das Verständnis der Methode selbst, die trotz übergreifender Gesichtspunkte nicht von der spezifischen Art ihres Gegenstandes absehen kann. Gleichwohllassen sich mehrere, sehr eng aufeinander bezogene Schritte un1 In der Einleitung sowie an einigen späteren Stellen sind Gedanken aufgenommen aus meiner in Trier gehaltenen Gastvorlesung: Die Frage nach dem historischen Jesus, in: TrThZ 82 (1973) 193-205. Ich verweise auch auf meinen früheren Beitrag: Die Frage nach dem historischen J esus und die Eigenart der uns zur Verfügung stehenden Quellen, in: F. Hahn - W. Loh!! - G. Bornkamm, Die Frage nach dem historischen Jesus (Evang. Forum 2) (Göttingen 21966) 7-40.
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terscheiden und auch nacheinander erörtern, wenn man den Gesamtzusammenhang im Auge behält. In diesem Sinne ist die Arbeitsteilung zwischen den Referenten vorgenommen worden. Mir geht es darum, zunächst die mit dem Rückgang auf den vorösterlichen Jesus verbundenen Schwierigkeiten zu behandeln (I); dann ist von den positiven Möglichkeiten des Rückgangs auf die Geschichte J esu zu sprechen (II); und schließlich ist die sachliche Berechtigung einer Rückfrage nach J esus zu klären (III).
I. SCHWIERIGKEITEN DER RüCKFRAGE
Die Schwierigkeiten eines historischen Rückgangs auf den vorösterlichen Jesus sind jedem, der sich intensiv mit dem Problem befaßt, hinreichend bekannt. Dennoch überrascht es, daß es keine umfassende Aporetik für diesen exegetischen Arbeitszweig gibt 2 . Zudem ist festzustellen, daß häufig Extrempositionen vertreten werden, die dem komplizierten Sachverhalt in keiner Weise gerecht werden. So gelangt man entweder voreilig zu der Hypothese, daß es historisch überhaupt so gut wie unmöglich sei, zum vorösterlichen Jesus vorzustoßen 3, oder aber man unterschätzt die vorhandenen Schwierigkeiten und rechnet mit biographischem Material, um mit Hilfe der vorhandenen Evangelientradition ein möglichst detailliertes Bild der Geschichte Jesu zu entwerfen 4. Soweit Schwierigkeiten behandelt werden, geschieht das fast ausschließlich im Zusammenhang der Forschungsgeschichte. Je2 Ein erster Versuch in dieser Richtung wurde unternommen von G. Schille, Prolego-' mena zur Jesusfrage, In: ThLZ 93 (1968) Sp. 481-488. 3 Diese schon oft vertretene Auffassung wird neuerdings in prägnanter Form dargelegt von G. Strecker, Die historische und die theologische Problematik der Jesusfrage, in: EvTh 29 (1969) 453-476, bes. 463ff 468ff. Vgl. auch W. Schmithals, Das Bekenntnis zu Jesus Christus, in: ders., Jesus Christus in der Verkündigung der Kirche (Neukirchen - Vluyn 1972) 60-79, bes. 75 H. 4 Sieht man von der älteren Forschung ab, die einige maßgebende "Augenzeugen" als Tradenten voraussetzte, so sind hier vor allem die Ausleger zu nennen, die trotz formaler Prägung der überlieferung durch die Gemeinde mit einem festen Grundbestand an "geschichtlicher Erinnerung" rechnen. Charakteristisch ist L. Köhler, Das formgeschichtliche Problem des Neuen Testaments (Samml. gemeinverständl. Vortr. 127) (Tübingen 1927) 24 ff. Vgl. aus jüngster Zeit R. Schäfer, Jesus und der Gottesglaube (Tübingen 1970) 21 ff.
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doch die Beschäftigung mit der Erforschung des historischen Jesus in den letzten 200 Jahren genügt offensichtlich nicht; denn dabei lassen sich zwar wichtige Erkenntnisse hinsichtlich der jeweiligen Prämissen und des unterschiedlichen Umgangs mit den Quellen gewinnen, aber es werden die prinzipiellen Probleme nicht genügend sichtbar, die sich bei unserer Arbeit zu jeder Zeit unausweichlich stellen s. Wir kommen nicht darum herum, uns mit den bleibenden Aporien zu befassen, wie wir zugleich eine bis ins einzelne durchgeführte Kriteriologie brauchen, die eine Eruierung des vorösterlichen Traditionsgutes sinnvoll und kontrollierbar macht 6 . Erst dann kommen wir aus dem Dilemma heraus, die Möglichkeit des Rückgangs auf den vorösterlichen Jesus einfach zu bestreiten oder kurzschlüssig zu postulieren. Was ich hierzu jetzt zusammenstelle, soll lediglich einen ersten Anstoß vermitteln und die Dringlichkeit der Aufgabe deutlich machen. Die Schwierigkeiten tauchen bei der exegetischen Arbeit vor allem an drei Punkten auf: einmal bei der Selektion der J esusüberlieferung, sodann bei der formalen Prägung und Umprägung dieser überlieferung innerhalb des Neuen Testamentes, schließlich bei deren Neuinterpretation.
1. Selektion der Jesusüberlieferung
Mit der Selektion ist auf ganz verschiedenen Ebenen zu rechnen: a) Vergleichen wir Mattäus und Lukas mit Markus, so stellen wir fest, daß die beiden späteren Evangelisten nicht den gesamten Stoff übernommen haben. Sie haben sich zwar weitgehend an ihre Vorlage gehalten, dennoch haben sie teils gestrafft, teils ausgelassen 7. Dasselbe 5 Einen Versuch, die prinzipiellen Schwierigkeiten zu skizzieren, unternimmt F. G. Downing, The Church and Jesus (StudBiblTheol II/I0) (London 1968). Allerdings orientiert auch er sich sehr stark an dem Problem der Vorentscheidungen der einzelnen Forscher und ist insgesamt äußerst skeptisch, was die Rekonstruierbarkeit des vorösterlichen Wirkens Jesu und der ältesten Geschichte der Kirche betrifft (vgl. z. B. S. 51). 6 Vgl. dazu Teil H. 7 Bezeichnend dafür ist, daß Mattäus die Wundererzählungen im Vergleich zu Markus weitgehend verkürzt; dazu vgl. H. J. Held, Matthäus als Interpret der Wundergeschichten, in: G. Bornkamm - G. Barth - H. J. Held, überlieferung und Auslegung im Matthäusevangelium (WMANT I)(Neukirchen- Vluyn 61970) 155-278, bes.158ff. Bekannt ist die Auslassung von Mk 6, 45 - 8,26 im Lukasevangelium.
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Problem taucht bekanntlich bei ihrem Umgang mit der Logienquelle auf: an mehreren Stellen haben wir Anlaß zu fragen, ob nicht Stoffe zur Q- überlieferung hinzuzurechn~n sind, die sich lediglich in einem Evangelium aufbewahrt finden, weswegen die Grenzziehung zwischen Q-Stoffen und Sondergut an einer Reihe von Stellen äußerst schwierig ist B• Was für Mattäus und Lukas gilt, muß auch für Markus vorausgesetzt werden: jede schriftliche Zusammenfassung des Traditionsgutes ist nicht bloß Sammlung des vorgegebenen Stoffes, sondern auch Auswahl aus dem vorhandenen Gut. Mag die Auslassung im Vergleich zur übernahme geringfügig sein, sie darf nicht außer Betracht bleiben und als unerheblich angesehen werden 9 . b) Dieser Prozeß der Sammlung bei gleichzeitiger, wenn auch noch so behutsamer Auswahl darf keinesfalls auf die Evangelien, also den Prozeß der Schriftwerdung der überlieferung, beschränkt werden, er hat sich bereits in der mündlichen Tradition überall dort ergeben, wo man sich bemühte, Jesusworte bzw. Jesuserzählungen zu sammeln und zu ordnen. Dieses selektive Verfahren hat sich hier nun aber nicht einmalig wie bei der Abfassung eines Evangeliums vollzogen, vielmehr konnte es während der ganzen Periode mündlicher Weitergabe erfolgen. Wird im Zuge einer bloßen Aufreihung des Stoffes dazu weniger Anlaß als bei einer planmäßigen Zusammenstellung thematisch verwandten Gutes gewesen sein, wir müssen jedenfalls damit rechnen, daß Stoff nicht nur angegliedert, sondern, aus welchen Gründen auch immer, ebenso abgestoßen werden konnte 10. Als Beispiel sei nur Mt 8, 18-22//Lk 9; 57-62 erwähnt, wo sich die Frage stellt, ob Lk 9,61 f trotz fehlender Parallele nicht zur Q-Tradition gerechnet werden muß. Zum' Problem vgl. H. Schürmann, Sprachliche Reminiszenzen an abgeänderte oder ausgelassene Bestandteile der Redequelle im Lukas- und Matthäusevangelium, in: den., Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien (Ges. Aufs.) (Düsseldorf 1968) 111-125. 9 Bei Markus ist eine Auslassung am ehesten dort zu erwägen, wo wir eine unabhängige Parallelüberlieferung haben. So ist etwa zu fragen, ob Mk 3,22ff ohne Hinweis auf einen konkreten Anlaß überliefert war (vgl. Lk 11, 14 par). Der Evangelist konnte wegen seines redaktionellen Rahmens hierauf verzichten. Meist ist das Urteil allerdings schwierig, weil die Abweichungen bereits auf die mündliche Tradition zurückgehen können. 10 Das ergibt ein Vergleich der Mk- und Q-Tradition, und zwar dort, wo je verschiedene Kombinationen der Uberlieferungsstücke vorliegen. Bei der engen Verwandtschaft der Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig ist es überwiegend wahrscheinlich, daß sie schon sehr früh zusammen überliefert worden sind (Lk 13,18f.20ff/Mt 13,3lf.33). Bei Markus erscheint dagegen das Senfkorngleichnis in einer Kombination mit dem wesentlich andersgearteten Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Mk 8
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c) Ein weiterer, sehr bedeutsamer Anlaß zur Selektion ist mit dem übergang vom aramäischen zum griechischen Sprachbereich gegeben. Hierbei dürfte es vermutlich zu einem nicht unerheblichen Prozeß der Abstoßung gekommen sein. Wir besitzen, was nicht vergessen werden darf, eine Kenntnis über die aramäisch sprechenden Gemeinden Palästinas der nachösterlichen Zeit nur so weit, als uns deren Traditionen durch die griechisch sprechenden Gemeinden erhalten geblieben sind. Das ist, wie wir alle wissen, äußerst spärlich. Entsprechendes braucht nicht von vornherein für die Jesusüberlieferung zu gelten. Dennoch müssen wir damit rechnen, daß ursprüngliche J esustradition, die den Gemeinden des aramäischen Sprachbereichs geläufig war, nicht im vollen Umfang übernommen worden ist. Dieser Sachverhalt ist zudem unabhängig von der Bestimmung des Verhältnisses zwischen den aramäisch und den griechisch sprechenden Gemeinden. Denn an irgendeiner Stelle mußte, ganz unabhängig von der Ausprägung und Stellung des Jesusgutes in den einzelnen Traditionszweigen, die übersetzung vollzogen werden, da der ursprüngliche, von Jesus herkommende. Bestand in jedem Falle aramäisch war. Die Reduzierung kann rein sprachliche Gründe gehabt haben, da bestimmte Logien schwer zu übertragen und ohne aramäischen Sprachduktus kaum verständlich waren, sie kann aber auch sachliche Gründe gehabt haben 11. Es ist unbestritten, daß Aramaismen und etliche schwer verständliche Logien in der späteren Tradition mitgeschleppt worden sind, aber dieses Argument darf uns nicht dazu veranlassen, eine mit dem übersetzungsprozeß verbundene Selektion kurzerhand zu bestreiten 12. d) Mit einem nicht unerheblichen Traditionsverlust ist schließlich beim übergang von der vorösterlichen Zeit zur nachösterlichen überlieferung der Gemeinde zu rechnen. Es braucht jetzt gar nicht die vielerörterte Frage der Bedeutung des "Ostergrabens"13 hochgespielt zu werden, die unterschiedliche Situation vor und nach Ostern hat es un4,26-29.30-32); es ist also vermutlich aus seinem älteren Zusammenhang schon in ';'ormarkinischer Tradition gelöst worden. 11 Zu dem Problem der aramäischen Grundlage der Jesuslogien vgI. M. Black, An Aramaic Approach to the Gospels and Acts (Oxford 31967); J.Jeremias, Neutestamentliche Theologie I: Die Verkündigung Jesu (Gütersloh 1971) 14ff. . 12 VgI. die Zusammenstellung der aramäischen Elemente bei Jeremias, Theologie I, 16ff.41f. 13 Zu diesem Ausdruck vgI. F. Mußner, Der "historische" Jesus, in: Jesus in den Evangelien (hrsg. v. W. Pesch, SBS 45) (Stuttgart 1970) 38-49, dort 40 49.
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ausweichlich mit sich gebracht, daß Worte J esu und Berichte über seine Taten verlorengegangen sein müssen. Das gilt auch dann, wenn wir mit einem erheblichen Interesse an der vorösterlichen Tradition rechnen und unter Umständen sogar einen Beginn des überlieferungsprozesses zu Jesu Lebzeiten voraussetzen dürfen 14. Zumindest ist anzunehmen, daß nicht in allen Gemeindegruppen - ehemalige Jünger und Neubekehrte - mit gleicher Intensität und mit gleicher Absicht auf vorösterliche Sachverhalte zurückgegriffen wurde, was notwendigerweise zu einer gewissen Auswahl führen mußte. Dieser vierfache Vorgang einer Reduzierung des ursprünglichen Traditionsbestandes darf nicht übersehen werden. Es kann dagegen nicht eingewandt werden, dieser Selektionsvorgang sei lediglich bei der Redaktion der uns vorliegenden Evangelien wirklich nachweisbar; auch an Spruchgruppen läßt er sich noch erkennen. Zudem müssen bei einer Methodologie auch die durch Analogie zu erschließenden Sachverhalte Berücksichtigung finden, weil sonst leicht eine falsche Gesamtauffassung entsteht. Das heißt, wir müssen uns von den möglichen Bedingungen der überlieferung ein hinreichend klares Bild machen, um die faktischen Gegebenheiten richtig einordnen zu können. Unter allen Umständen ist dabei der fragmentarische Charakter der erhaltenen überlieferung, insbesondere der überlieferung aus vorösterlicher Zeit, ernst zu nehmen 15. Aus diesem Grunde müssen wir uns hüten, das greifbare Material allzu rasch als ein einheitliches Gefüge anzusehen. Eine relative Einheit wurde ihm erst in den redaktionellen Kompositionen der Evangelien gegeben. Ansonsten ist gerade die Vielgestaltigkeit und historische Tiefenschichtung zu berücksichtigen. Achtet man auf die Tiefenperspektive, dann ist die Person Jesu nicht nur der einmalige Ausgangspunkt, sondern auch der bleibende Mittelpunkt. Dabei ist neben der allmählich gewonnenen Breitendimension gerade 14 Hierzu vgl. H. Schürmann, Die vorösterlichen Anfänge der Logientradition, in: ders., Traditionsgeschichtliche Untersuchungen, 39-65. Er verweist vor allem auf die "soziologische Kontinuität" des Jüngerkreises und die Autorisierung der Jünger zur Verkündigung, weswegen zugleich eine "Bekenntniskontinuität" vorausgesetzt werden könne (5. 47f). 15 Der Selektionsvorgang wird in der Regel nicht eingehend berücksichtigt, immerhin gibt es Hinweise auf das Problem, so bei D. Flusser, Die konsequente Philologie und die Worte Jesu, in: Almanach auf das Jahr des Herrn 1963 (hrsg. von Fr. Wittig) (Harnburg 1963) 39-73, dort 70f ("selektiver Charakter" der überlieferung); Schille, Prolegomena, Sp. 483 ("Auswahlprozeß"); K. Niederwimmer, Jesus (Göttingen 1968) 23 ("Filtrierung").
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jene Tiefenschichtung besonders wichtig, sie setzt aber eine exakte überlieferungsgeschichtliche Differenzierung voraus, die ebenso mit Traditionsverlust wie mit Traditionsentfaltung rechnen muß. Bei den bisherigen überlegungen handelt es sich keineswegs um einen bloß negativen Befund. Die positive Funktion dieser methodologischen Erwägungen ist nicht zu unterschätzen. Denn sie steht in Zusammenhang mit der Erkenntnis, daß die seit Ostern zu beobachtende "Engführung" nicht ausschließlich mit der Entfaltung der christologischen Verkündigung zusammenhängt, was dann ja bekanntlich einen neuen, sehr fruchtbaren überlieferungsprozeß in Gang gebracht hat 16 . Sie zeigt sich vielmehr ebenso in der bewußten Konzentration auf bestimmte Hauptlinien der Verkündigung Jesu sowie auf Taten und Auseinandersetzungen, die für die Gemeinde von bleibender' Aktualität waren 17. Doch gerade diejenigen Elemente des echten Jesusgutes, die sich diesem Interesse nicht ohne weiteres einfügen und jetzt den Eindruck erwecken, ein wenig am Rande zu stehen, können uns Aufschluß über einige, unter Umständen s.ehr wichtige Sektoren des Wirkens Jesu geben, ohne daß hier mühelos zu einem abschließenden Urteil zu kommen wäre, denn der erforderliche Kontext ist eben nicht mehr oder nur noch bruchstückhaft vorhanden 18. 16 Die christologische "Engführung" zeigt sich am deutlichsten, wo eine von den Einzelüberlieferungen der Geschichte Jesu weitgehend unabhängige kerygmatische Tradition entfaltet worden ist, die sich vielfach nur auf Tod und Auferstehung sowie auf die Sendung bzw. Menschwerdung beruft. Dennoch darf man die beiden überlieferungszweige nicht prinzipiell unterscheiden, wie neuerdings wieder S. Schulz, Die neue Frage nach dem historischen Jesus, in: Neues Testament und Geschichte (Festschrift für O. Cullmann) (Zürich - Tübingen 1972) 33-42, dort 34ff. Mag die "Kerygma-Tradition" eine relativ große Selbständigkeit bewahrt haben, sie hat in jedem Fall sehr stark auf die "Leben-Jesu-Tradition" eingewirkt; vgL meine Bemerkungen in: Methodenprobleme einer Christologie des Neuen Testaments, VF 2 (1970) 3-41, dort 32ff. 17 Hierhin gehören vor allem die Ankündigung der Gottesherrschaft, die N achfolgeforderung, dieMahlgemeinschaften, die Auseinandersetzung mit Gegnern, die Wundertaten und die Passions- und Auferstehungsgeschichte. Insofern war die veränderte nachösterliche Situation gerade auch Ermöglichungsgrund für die übernahme und Weiterführung der Tradition. Außerdem zeigt sich hieran, daß es bei der Selektion nicht nur um ein allgemeines Phänomen der Traditionsweitergabe geht (so ein Einwand von R. Peseh), vielmehr unterliegt die Weitergabe der Jesusüberlieferung ganz bestimmten äußeren und inneren Bedingungen, die festgestellt und beachtet sein wollen. 18 Ich verweise nur auf Texte wie Lk 12,49f; Mt 11,12f (par); Mk 9,49f.
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2. Prägung und Umprägung der Jesusüberlieferung
Es ist nicht nur von Interesse, was erhalten geblieben ist, sondern ebenso muß geprüft werden, wie die J esustradition aufbewahrt wurde. Wir stoßen damit auf die Probleme der Formgebung. Die eigentliche Tendenz der überlieferung war unbestritten die des Sammelns und Bewahrens, dabei tauchte allerdings auch die schon besprochene Notwendigkeit einer gewissen Auswahl und Abstoßung auf. Wo das Interesse des Bewahrens besteht, ergibt sich der Prozeß der Sammlung sozusagen von selbst. Bereits die überlieferung einzelner Worte und Taten Jesu steht unter dem Vorzeichen der Sammlung, wenn sie mit der Absicht geschieht, daß diese Worte oder Taten festgehalten und weitergegeben werden sollen. Bewußt setzt der Prozeß der Sammlung überall dort ein, wo überlieferungsgut miteinander verknüpft und zu Komplexen vereinigt wird 19. Der Bewahrung des Stoffes dient wie bei aller mündlichen Tradition die Formgebung. Sie schafft die Voraussetzungen für eine Weitergabe, die nicht der Willkür ausgesetzt ist. Sie gibt zugleich der Intention Ausdruck, die für die Weitergabe maßgebend ist, und läßt damit den konkreten "Sitz im Leben" erkennen 20. Formgebung ist nun aber keinesfalls ein erst nachträglicher Prozeß der Einschmelzung. Jeder Stoff verlangt eine adäquate äußere Gestalt, die von Anfang an maßgebend ist. So müssen J esusworte von vornherein eine bestimmte Form gehabt haben, die festgehalten und im wesentlichen unverändert weitergegeben werden konnte. Entsprechend haben Jesusgeschichten trotz stärkerer Abhängigkeit vom Medium des Erzählers eine grundlegende Formung erhalten, die für ihr Verständnis maßgebend ist. Der Prozeß der Formgebung hört jedoch nicht einfach auf, wenn der zu bewahrende Stoff einmal sein relativ festes Gepräge hat. Die Änderungen, die sich nachträglich ergeben, mögen minimal erscheiBei dem Spruchgut begann die bewußte Sammlung offensichtlich sehr viel früher als bei den Erzählungsstoffen. So zeigt sich bei Markus, daß das Spruch gut entweder in kleinen Gruppen vereinigt oder an Erzählungen angehängt ist (z. B. Mk 11,23-25; 2,21 f); umgekehrt sind Erzählungen teils einzeln, teils in Gruppen von ihm übernommen (z.B. Mk 1,40-44; 4,35 - 5,43). 20 Vgl. die grundlegenden Werke zur Formgeschichte, vor allem M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums (Tübingen [11919J 61971) Hf. 19
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nen, sie dürfen keinesfalls übersehen werden. Denn Bewahrung vollzieht sich eben so, daß das betreffende Gut angeeignet und in dieser angeeigneten Gestalt weitergegeben wird. Formgebung ist, solange die mündliche Tradition andauert, ein lebendiger Prozeß, bei dem die überliefernde Instanz mitgestaltend am Werke ist 21 . Das ist für uns am deutlichsten greifbar bei der bewußten Einbeziehung der Jesusüberlieferung in die christologische Verkündigung der Urgemeinde 22 , läßt sich aber auch auf anderen Ebenen noch gut erkennen. Bei der Rückfrage nach authentischer J esusüberlieferung müssen wir klären, wieweit dieser Prozeß der ursprünglichen und weitergegangenen Formgebung an bestimmten Indizien nachweisbar ist. Denn nur dann, wenn sich Elemente der nachjesuanischen Traditionsweitergabe eindeutig bestimmen lassen, ist noch ein Zugang zu Jesus selbst zu gewinnen. Wiederum können wir den Vorgang auf vier verschiedenen Stufen beobachten: a) Ein Blick in die Evangelien läßt erkennen, daß die jeweilige Gestalt der einzelnen überlieferungsstücke in formaler und sprachlicher Hinsicht Änderungen unterliegt, daher in einem nicht unerheblichen Maße von dem markinischen, mattäischen, lukanischen oder johanneischen "Stil" mitgeprägt ist 23 . Lassen wir die Frage beiseite, wieweit es sich dabei um die individuelle Eigenart des einzelnen Evangelisten handelt, bereits das übernommene Traditionsgut unterlag dem Einfluß einer bestimmten Darstellungsweise, wie am deutlichsten an der johanneischen überlieferung festzustellen ist. Wir müssen also damit rechnen, daß jedes überlieferungsstück einem erheblichen formalen Transformationsprozeß ausgesetzt war. b) Hinzu kommt, daß bei einer durch mehrere Jahrzehnte sich hinziehenden Sammlung eine gegenseitige formale Angleichung im Zusammenhang der Bildung von überlieferungskomplexen vorgenommen wurde. Das gilt nicht nur für die "Schematisierung" der Wundererzählungen, wobei die maßgebenden Gattungen Ausdruck In diesem Sinne hat R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition (Göttingen [11921 J 81970) damit begonnen, im Zusammenhang mit der Bestimmung der Formen auch die Wandlungen der Traditionen genauer zu untersuchen. 22 Vgl. H. Schürmann, Die Sprache des Christus, in: ders., Traditionsgeschichtliche Untersuchungen, 83-108. 23 "Stil" meint hier nicht nur ein äußeres sprachliches Merkmal, sondern die ganze Art der Darstellung und Versprachlichung; vgl. Dibelius, Formgeschichte, 6f. 21
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einer leicht nachweisbaren überlieferungsintention sind. Auch bei der Logienüberlieferung sind Analogiebildungen festzustellen, die nicht notwendig ein Indiz für Ursprünglichkeit sein müssen, vielmehr kann es sich ebenfalls um Anzeichen einer späteren Assimilation und N eufassung handeln 24. Im Blick auf die formale Ausprägung sind jedenfalls neben dem der Bewahrung dienenden Gefüge gerade auch die Wandlungen zu beachten, die den Stoff einer zunehmenden, wenn auch sehr langsam und partiell sich durchsetzenden Vereinheitlichung innerhalb eines Traditionsstranges unterwarfen. c) In diesem Zusammenhang ist erneut an die übersetzung aus dem Aramäischen ins Griechische zu erinnern und an die Schwierigkeiten, die sich daraus ergaben. Ohne Zweifel gab es im hellenistischen Judentum eine lange Tradition der übertragung hebräisch-aramäischer Sprechweise in die griechische Idiomatik. Aber gerade den vorhande- . nen Dokumenten des hellenistischen Judentums ist deutlich zu entnehmen, wie mühsam die Wiedergabe in vielen Fällen war und wie leicht sich die Gefahr einer ungewollten Hellenisierung ergab 25 . Wir besitzen keinerlei Texte, um die Jesustradition an irgendeiner aramäischen Vorlage zu kontrollieren. Wir haben lediglich die Möglichkeit, aufgrund bestimmter Indizien die vorhandenen Jesusworte auf ihren aramäischen Sprachgehalt hin zu überprüfen, wobei noch die umstrittene Frage zu berücksichtigen ist, welchen Dialekt Jesus gesprochen hat und aufgrund welcher Quellen dieser näher zu bestimmen ist 26 . Wir wissen, daß die Zahl der Logien, die sich mit einiger Sicherheit zurückübersetzen lassen, sehr gering ist, auch wenn sich Spuren aramäischer Sprachtradition relativ häufig erhalten haben. d) Schließlich ist zu berücksichtigen, daß sich beim übergang von der vorösterlichen zur nachösterlichen Zeit notwendigerweise eine andere überlieferungs art ergeben hat. Einmal vorausgesetzt, daß J esus nicht nur selbst an der formalen Prägung seiner Logien einen entscheidenden Anteil hatte, sondern daß es darüber hinaus auch erste Ansätze 24 Vgl. z. B. Mk 9, 43.45.47f mit Mt 5,29.30 (Sondergut), was vermuten läßt, daß Mk 9,45 eine zusätzliche Analogiebildung ist. Ahnliches läßt sich bei einem Vergleich von Lk 12,2f!/Mt 10,26f mit Mk 4,22 beobachten. 25 Das läßt sich an den verschiedenen übersetzungsschichten der Septuaginta ebenso aufzeigen wie an der Schriftauslegung Philos. 26 Zu diesem Problem vgl. j. Jeremias, Die Gleichnisse Jesu (Göttingen 81970) 21 f; M. Black, Die Erforschung der Muttersprache Jesu, in: ThLZ 82 (1957) 653-668; H. P. Rüger, Das Problem der Sprache Jesu, in: ZNW 59 (1968) 113-122.
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zu einer Traditionsbildung im Jüngerkreis gegeben haben kann, unter allen Umständen erfolgte die Formgebung zu Lebzeiten Jesu unter dem unmittelbaren Einfluß seines eigenen Wirkens 27 , während die Sammlung und Weitergabe des Stoffes nach seinem Tod und seiner Auferweckung einen veränderten Bezugs- und Orientierungsrahmen hatte. Denn einerseits war es nun eine Tradition, die bewußt auf eine Gestalt von einst zurückgeführt wurde, andererseits aber war diese Tradition von dem Wissen um die Gegenwart und lebendige Wirksamkeit des auferstandenen Herrn getragen, ganz gleich, ob das expressis verbis zum Ausdruck gebracht wurde oder nicht 28 . Dieser Sachverhalt konnte nicht ohne Auswirkung auf die Formgebung bleiben und mußte zu nicht unwesentlichen Umprägungen führen. Darüber hinaus hat natürlich auch das eigentliche christologische Kerygma zunehmend auf die formale Gestaltung eingewirkt. Wir stehen somit vor der nicht immer genügend reflektierten Tatsache, daß wir die aus der Zeit nach Ostern stammende, im Zusammenhang der Gemeindebildungund Mission weitergegebene Jesusüberlieferung nicht mehr in ihrer Urgestalt besitzen. Vielmehr hat die nachösterliche Situation trotz der teilweise ursprünglichen Formgebung erhebliche Veränderungen verursacht. Trotz dieser Beobachtungen, die methodisch berücksichtigt sein wollen, muß umgekehrt aber auch gesagt werden, daß sich die Eigenart der Worte Jesu in vielen Fällen bis in die sprachliche und formale Gestalt hinein offensichtlich durchgehalten hat, daß die Gattung zahlreicher Logien durch Jesus bereits vorentschieden war und bei der nachösterlichen Formgebung nicht einfach fremdartige Modelle aufgegriffen und übergestülpt wurden, sondern bei aller Umschmelzung 27 Hierbei ist allerdings nicht daran zu denken, daß Jesus selbst die Jünger zum Zwecke der Traditionsbewahrung und Traditionsweitergabe in Entsprechung zu den Rabbinen unterwiesen habe; so H. Riesen/eid, The Gospel Tradition and its Beginnings (London 1957). Reiches Vergleichsmaterial aus rabbinischer Tradition bietet B. Gerhardsson, Memory and Manuscript (ASNU XXII) (Uppsala 1961); vgl. auch ders., Tradition and Transmission in Early Christianity (Coniect. Neotest. XX) (Lund - Kopenhagen 1964). Vgl. die in Anm. 14 genannte Arbeit Schürmanns; außerdem E. Trocme, Jesus de Nazareth vu par les temoins de sa vie (NeuchateI1971), bes. 31H. 28 Das gilt z. B. für die Logienquelle, die zwar auf Tod und Auferstehung Jesu nicht Bezug nimmt, wohl aber in Mt 11,27//Lk 10,22 ein eindeutiges christologisches Zentrum hat, das ohne sachlichen Zusammenhang mit J esu Auferweckung und seiner lebendigen Gegenwart nicht verständlich wäre; auch ist die Nähe zu der in Mt 28,18-20 verwendeten Tradition nicht zu verkennen.
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eine Angleichung an die genuine J esustradition vorgenommen worden ist; schließlich ist trotz des übersetzungsvorganges deutlich erkennbar, daß ehemals aramäische überlieferung im Hintergrund steht und uns noch Rückschlüsse erlaubt 29. Daher ist festzustellen, daß einerseits ganz altertümliche Elemente Aufnahme gefunden haben und daß andererseits in Einzelfällen der Abstand zur ursprünglichen J esustradition im Blick auf die Formgebung überraschend groß ist 30. Verständlich wird das aber nur, wenn der Gesamtprozeß der Traditionsbildung im Blick behalten wird, wenn also sowohl die Modifikation des überlieferungsgutes als auch das Festhaltenwollen und tatsächliche Festhalten an der grundlegenden Jesustradition gesehen wird. Methodisch muß gerade dieser Doppelaspekt beachtet, in seiner unbestreitbaren Spannung ernst genommen und bei der Analyse jedes Einzelelements der überlieferung kritisch in Ansatz gebracht werden. Dann zeigt es sich allerdings, wie schwierig es an vielen Stellen sein wird, über die ursprüngliche Gestalt eines Herrenwortes etwas Abschließendes auszusagen, auch wenn die inhaltlichen Komponenten weithin klar sind. Je vorsichtiger wir hier urteilen, je sorgfältiger wir relativ sichere, weniger sichere und nur noch zu vermutende Ergebnisse unterscheiden, um so hilfreicher ist das für die ganze Arbeit, und letztlich erreichen wir damit für die Erhebung des genuinen Jesusgutes nicht weniger, sondern mehr.
3. Neuinterpretation der Jesusüberlieferung
Die Frage nach Prägung und Umprägung der überlieferungs gestalt hat uns wegen der engen Zusammengehörigkeit formaler und sachlicher Gegebenheiten bereits zu der sich gleichzeitig vollziehenden Um- und Neuinterpretation geführt. Natürlich ist eine solche Interpretation nicht als überfremdung, sondern als eine Vertiefung angesehen worden, will daher auch von uns unter diesem Aspekt erfaßt werden. 29 V gl. etwa den Versuch einer Rückübersetzung des Vaterunsers bei Jeremias, TheologieI,188ff. 30 Um ein auffälliges Beispiel zu nennen, sei Mt 17,24-29 erwähnt (Tempelsteuer). Von den Logien darf man an den dem Vollmachtswort Mt 11, 25-27/ /Lk 10, 21f angehängten "Heilandsruf" Mt 11, 28-30 erinnern, zu dem es typische Parallelen in der jüdischen Weisheit gibt; vgl. H. D. Betz, The Logion of the Easy Yoke and of Rest (Matt 11, 28-30), in: JBL 86 (1967) 10-24.
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Gleichwohl handelt es sich bei dem beabsichtigten Rückgang auf den vorösterlichen Jesus um ein Hindernis, das sich nicht kurzerhand aus dem Wege räumen läßt. Diesem zweifellos schwierigsten und wichtigsten Problem der Neuinterpretation müssen wir uns jetzt eigens zuwenden und wollen es wiederum in mehreren Schritten tun, wobei diesmal allerdings der übergang vom aramäischen zum griechischen Traditionsbereich unbeachtet bleiben kann. a) Wir brauchen wiederum nur die Evangelientexte miteinander zu vergleichen, um rasch zu sehen, daß Traditionsgut nicht nur weitergegeben, sondern in eine Gesamtkonzeption eingeordnet worden ist, deren interpretatorische Funktion keineswegs unterschätzt werden darf. Es wäre auch unzureichend, die redaktionellen Elemente ausschließlich auf den äußeren Rahmen und auf Zusätze zu beschränken; wir wissen viel zu gut, daß diese Interpretation den Stoff selbst erheblich beeinflußt und verändert hat 31 . b) Was für die uns vorliegenden Evangelien gilt, gilt ebenso für das mündliche überlieferungsgut. Hier hat sich der Interpretationsprozeß aber in einer längeren Phase vollzogen, zugleich auch immer stärker verdichtet. Logien und Erzählungen sind nicht nur einmal einer Neuinterpretation unterzogen worden, selbst wenn sich dies jeweils nur in ganz geringfügigen inhaltlichen Modifikationen niedergeschlagen haben mag 32 • Die ursprüngliche Bedeutung braucht deshalb auch nicht verlorengegangen zu sein, sie ist jedoch andererseits auch nicht ohne weiteres aus dem jetzigen Wortlaut zu erheben. Ein Problem besonderer Art muß an dieser Stelle ebenfalls berücksichtigt werden: Wir haben nicht nur das Phänomen der zum Zwecke der Neuinterpretation bearbeiteten Tradition, wir haben auch den Tatbestand der Neubildung. Lassen wir in unserem Zusammenhang die Frage beiseite, wie diese Neubildungen entstehen konnten 33 , wichtiger ist jetzt, daß die sogeIn dieser Hinsicht hat die Erforschung der Evangelienredaktion wesentliche Erkenntnisse erbracht, auch wenn der redaktions geschichtliche Ansatz bisweilen erheblich überspitzt worden ist, so daß die Eigenart des Traditionsgutes nicht mehr hinreichend gesehen wurde. Vgl. den Forschungsbericht von J.Rohde, Die redaktionsgeschichtliche Methode (Hamburg 1966). 32 Vgl. etwa Mk2, 21 f im Zusammenhang mit 2,18-20, dazu meinen Aufsatz: Die Bildworte vom neuenFlicken und vom jungen Wein, in: EvTh 31 (1971) 357-375, bes. 369ff. 33 Abgesehen von redaktionellen Neubildungen, die im Zusammenhang mit den Leitgedanken der Evangelien stehen, und von Zusätzen, die sich aus der Sammlung und Rahmung des überlieferungs gutes erklären, handelt es sich hierbei vor allem um Logien, 31
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nannten "Gemeindebildungen" nicht von vornherein von authentischen Logien zu unterscheiden sind, weil sie unterschiedslos als Herrenworte weitergegeben worden sind. Gerade deswegen erschweren sie aber den Zugang zur vorösterlichen Verkündigung Jesu in beträchtlichem Maße. Es braucht ja bloß an die harten Auseinandersetzungen zwischen den Exegeten erinnert zu werden, ob ein bestimmtes überlieferungs stück, etwa Mt 16, 18f, auf Jesus zurückgeht oder nicht, um deutlich werden zu lassen, daß es sich keineswegs nur um Einzelheiten handelt, die zum Grundbestand seiner Verkündigung hinzugehören oder auch fehlen können. Es stellt sich hierbei sehr schnell die Frage, wo überhaupt Neubildung einsetzt, an welchen Stellen also sachlich etwas hinzukommt, was in der ursprünglichen Botschaft Jesu fehlte 34. Mag insgesamt die Zahl der gänzlichen Neubildungen nicht übermäßig groß sein, so daß wir vor allem auf das Phänomen derzum Teil allerdings sehr tiefgreifenden - Umbildungen stoßen, es kann nicht bestritten werden, daß unter allen Umständen mit einem derartigen Prozeß der Neufassung zu rechnen ist und daß dadurch die Jesusüberlieferung in einer für uns nicht überall von vornherein durchschaubaren Weise interpretatorisch überlagert ist. c) Der entscheidende Punkt dieses Prozesses, der sowohl die späten redaktionellen Umformungen als auch die in der mündlichen Tradition sich vollziehenden Neuinterpretationen durch Umgestaltung, Zusätze oder Neubildungen überhaupt ermöglicht hat, betrifft den tiefgreifenden übergang von der vorösterlichen zur nachösterlichen Tradition, den Franz Mußner den "kerygmatischen T ransformationsprozeß" genannt hat 35 . Dabei steht jetzt nicht zur Debatte, ob sich dieser kerygmatische Transformationsprozeß mit einem Schlag vollzogen hat oder, was sehr viel wahrscheinlicher ist, erst schrittweise wirksam wurde, sich daher auch in den einzelnen überlieferungszweigen mit unterdie aus inhalrlichen Gründen mit Jesu Verkündigung schwer zu vereinigen sind, insbesondere dann, wenn sie eine ausgeprägte christologische Konzeption voraussetzen oder sonst die nachösterliche Situation deutlich widerspiegeln. Für diese Neubildungen hat man häufig auf die urchristlichen Propheten, die im Namen des erhöhten Herrn gesprochen haben, Bezug genommen, doch ist dies neuerdings wieder umstritten, zumindest nicht ausdiskutiert. Zum Problem vgl. F. Neugebauer, Geistsprüche und Jesuslogien, in: ZNW 53 (1962) 218-228. 34 Ich verweise auf meinen Aufsatz: Die Petrusverheißung Mt 16, 18f. Eine exegetische Skizze, in: Materialdienst des konfessionskundlichen Instituts Bensheim 21 (1970) 8-13. 35 F. M ußner, Die johanneische Sehweise (QuDisp 28) (Freiburg i. Br. 1965) 80.
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schiedlicher Intensität abzeichnet. Unbestreitbar ist, daß er sich aufgrund der Glaubenserkenntnis vollzog, die durch das Ostergeschehen inauguriert war. In dieser Hinsicht haben die Evangelien jedoch schon eine beachtliche Reflexionsstufe erreicht, sofern sie im Gegensatz zur älteren Tradition, die keinerlei Unterschiede zwischen der vorösterlichen und nachösterlichen Situation gemacht hat, wenigstens an einigen Stellen betont davon sprechen, daß mit der Auferstehung Jesu eine andere und tiefere Erkenntnis gewonnen werden konnte, als sie die Jünger vorher hatten 36. Aber das hebt nun umgekehrt den Tatbestand nicht auf, daß die vorösterliche Geschichte Jesu im Neuen Testament fast durchweg nur im Lichte des Osterereignisses gesehen und dargestellt wird. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die Evangelien nicht von der älteren Tradition. Genau da liegt aber unsere Schwierigkeit: wir besitzen die vorösterliche Tradition allein im nach österlichen Verstehenshorizont. Das ist, vordergründig geurteilt, eine erhebliche Fehlerquelle. Das ist nach wie vor eine Schranke, die uns bei der Rückfrage nach J esus zunächst einmal den Weg versperrt. Die gesamte vorösterliche Tradition ist übernommen, weitergeführt, aber auch verstanden worden im Licht der Auferweckung Jesu und des damit gesetzten Neubeginns 37 . Das bedeutet also, daß die Jesusüberlieferung, soweit sie uns erhalten geblieben ist, nicht nur in ihrem Bestand, nicht nur in ihrer Gestalt, sondern auch in ihrer Deutung den Bedingungen der nachösterlichen Verkündigung der Urgemeinde unterliegt. Diesen Tatbestand, der durch die Quellen gegeben ist, müssen wir daher vor aller Erörterung der Möglichkeit und der theologischen Relevanz einer Rückfrage nach dem vorösterlichen Jesus bei unserer Arbeit berücksichtigen.
4. Konsequenzen für die historische Fragestellung und für das Echtheitsproblem
Ich habe in den vorangegangenen Unterabschnitten mit Absicht versucht, anhand der Selektion, der Formgebung und der Neuinterpretation eine Beschreibung der komplizierten Ausgangssituation bei der 36 37
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Vgl. Mk 9, 9ff par, vor allem Joh 2, 22; 12,16 und die johanneischen Abschiedsreden. Näheres dazu in Teil III.
Frage nach dem vorösterlichen J esus zu geben, ohne dabei im einzelnen auf die methodischen Arbeitsgänge bei der Analyse der Evangelien näher einzugehen. Natürlich konnte diese Beschreibung nur gegeben werden, weil bereits relativ brauchbare Ergebnisse der Form- und Traditionsgeschichte, der Literarkritik und Redaktionsgeschichte, der Zeit- und Religionsgeschichte vorliegen. Gleichzeitig darf angesichts der mancherlei Streitfragen der letzten Jahre nicht übersehen werden, daß die verschiedenen Arbeitsgänge in ihrer Aufgabenstellung, Leistungsfähigkeit und Abgrenzung noch einmal überprüft und sorgsam aufeinander abgestimmt werden müssen 38. Die exakte Differenzierung sowie die gegenseitige Ergänzung und Verschränkung spielen im Einzelfalle bei der Exegese eine erhebliche Rolle. Hinzu kommt nun aber, daß die historische Frage nach dem vorösterlichen Jesus eine gegenüber all diesen exegetischen Schritten selbständige ist. Sie baut zweifellos auf den dort gewonnenen Ergebnissen auf und kann schlechterdings nicht auf derartige Analysen verzichten. Aber sie ist ein methodisch eigenständiges Verfahren, das in seiner Besonderheit klar erkannt sein wi1l 39 . Denn hier geht es um die Aufgabe einer historischen Rekonstruktion, für die Kriterien erarbeitet werden müssen, damit in dem bewußt zu vollziehenden "Schritt zurück" hinter das überlieferungsgefüge der Tradenten - von den ersten Jüngern in vorösterlicher Zeit angefangen - die Gestalt J esu in ihrer ursprünglichen Situation, Erscheinungsweise und Eigenart sichtbar wird. Die Eigenständigkeit der historischen Fragestellung hat erhebliche Bedeutung für das vielerörterte "Echtheitsproblem ". Sofern die J esusüberlieferung in ihrem Bestand, in ihrer Gestalt und ihrer Deutung, wie wir gesehen haben, den Bedingungen der nachösterlichen Gemeindetradition unterliegt, ist in gewissem Sinne durchaus von der Vgl. die zum Teil allerdings unberechtigte Kritik von E. Güttgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums (BEvTh 54) (München 1970); W. Richter, Exegese als Literaturwissenschaft (Göttingen 1971). 39 Das hat schon M. Dibelius, Zur Formgeschichte der Evangelien, in: ThR NF 1 (1929) 185-216, klar betont; vgl. S. 214: "Damit stehen wir an der Grenze der Sachkritik. Denn natürlich hat die form geschichtliche Arbeit in der Frage der Geschichtlichkeit nicht das letzte Wort; sie hat nur die Aufgabe, für die letzten sachkritischen Erwägungen methodisch, sachgemäß und möglichst ohne Hilfe subjektiver Schätzungen den Grund zu legen." Denn hiermit ist ein "Feld betreten, das außerhalb der formgeschichtlichen Arbeit liegt". 38
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"Unechtheit" der Jesusüberlieferung auszugehen. Aber hier müssen sofort Gegenargumente ins Spiel gebracht werden. Wir können ja noch sehr gutfeststellen, daß trotz der österlichen Erkenntnis und des damit verbundenen Transformationsprozesses an Jesu eigenem Wort und seiner Geschichte festgehalten wurde 40. Das gilt grundsätzlich, da man ja selbst Neubildungen mit Jesu eigenem Wort identifizierte, das gilt ebenso im Blick auf den Traditionsbestand, sofern hier das ursprüngliche Jesusgut den Kristallisationskern darstellt. Die Jünger haben Jesu eigene Botschaft weiterverkündigt, weiterverkündigt im doppelten Sinne, indem sie Jesu Wort und Handeln bewahrten und indem sie Wort und Wirken deuteten. Ohne die Grundlage der ipsissima verba und der ipsissima facta wäre das undenkbar gewesen 41 . Insofern ist die "Echtheit" ein unaufgebbares Postulat und muß in jedem Einzelfall konkret nachgeprüft werden. Allerdings dürfen wir in unserer exegetischen Arbeit diesen Sachverhalt nicht zu rasch ansteuern, wir müssen uns der Schwierigkeiten, die mit dem Rückgang auf den vorösterlichen Jesus verbunden sind, stets bewußt sein. Dennoch ist die Alternative, ob die Echtheit oder die Unechtheit zu beweisen sei, unzutreffend 42. Einmal abgesehen davon, daß mit der historischen Echtheit bzw. Unechtheit noch nichts über die sachliche Relevanz ausgesagt ist, unter allen Umständen ist Art und Ausmaß der Unechtheit, also der nachösterlichen Transformation, nachzuweisen, wie umgekehrt der inhaltliche Bezug zur Verkündigung J esu und die damit gegebene Echtheitskomponente aufzuzeigen ist. M. a. W.: Es ist die Relation zwischen nachösterlichen und vorösterlichen Elementen in den einzelnen überlieferungs stücken zu prüfen und exakt zu bestimmen. Zwar muß ich 40 Eine Ausnahme stellt nur die usuelle Paränese dar, wo Jesusworte ohne Angabe der Herkunft tradiert werden; so z. B. Röm 12,14; Jak 5,12. 41 Der Begriff der ipsissima facta hat Zu einer Auseinandersetzung geführt zwischen F. Mußner, Die Wunder Jesu (München 1967) 33ff; R. Pesch, Jesu ureigene Taten? (QuDisp 52) (Frei burg i.Br. 1970), bes. 15ff 135ff; F. Mußner, lpsissima facta Jesu?, in: ThRev 68 (1972) Sp. 177-184; R. Pesch, Zur theologischen Bedeutung der "Machttaten" Jesu, in:ThQ 152 (1972) 203-213. Ohne im einzelnen auf die Diskussion einzugehen, kann gesagt werden, daß der Begriff ipsissima facta brauchbar ist, wenn an dem Unterschied zwischen einer vorösterlichen Tat Jesu und der Berichterstattung darüber festgehalten wird (vgl. Mußner, in: ThRev Sp. 181 mit Anm. 8). 42 Daß die Echtheit bewiesen werden müsse, wird nach vielen anderen neuerdings wieder von N. Perrin, Was lehrte Jesus wirklich? (Göttingen 1972) 32, gefordert. Umgekehrt verlangt Jeremias, Theologie I, 45: "Bei der synoptischen überlieferung der Worte J esu muß nicht die Echtheit, sondern die Unechtheit bewiesen werden."
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von der Tatsache ausgehen, daß es sich um Tradition der Urgemeinde handelt, aber da die überlieferung als Jesusüberlieferung weitergegeben worden ist, muß ich den Echtheits- und den Unechtheitsnachweis gleichzeitig antreten, weil ich nur so die Eigenart dieses Traditionsgutes scharf in den Blick fassen kann.
5. Ergebnisse Zum Abschluß dieses ersten Teiles sind VIer methodisch relevante Beobachtungen festzuhalten: a) Erst wenn die Vielzahl der Bedingungen berücksichtigt ist, denen die Jesustradition in nachösterlicher Zeit unterlag, besteht eine begründete Aussicht, zu einem überlieferungskomplex vorzudringen, der einen einigermaßen zuverlässigen Rückschluß auf Verkündigung, Wirken und Person des vorösterlichen Jesus erlaubt. In diesem Sinne ist die Suche nach einem "ältesten Bestand" berechtigt, ohne daß dieser sofort mit der authentischen Jesusüberlieferung identifiziert werden darf 43 . b) Bei der Bestimmung dieses ältesten Bestandes ist die gängige Alternative "echtes Herrenwort" oder "Gemeindebildung" unzureichend. Es handelt sich dabei lediglich um die Extremwerte einer Skala, deren differenzierte Bestimmung unsere dringendste Aufgabe ist. Dabei werden wir es nur in seltenen Fällen mit einem in der erhaltenen Form bis ins letzte "echten Herrenwort" zu tun haben. Selbst wenn wir modifizierende Einzelheiten relativ leicht abheben können, bleibt uns der Weg zur ursprünglich aramäischen Sprachgestalt fast völlig versperrt. Immerhin ist partiell damit zu rechnen, daß Herrenworte fast unverändert weitergegeben worden sind. Entsprechend sind reine Neubildungen eine Ausnahme, weil die zusätzliche Gemeindetradition meist mit anderem überlieferungsgut in engem Zusammenhang steht und dieses erweitert. Gleichwohl sind Neubildungen in die Tradition aufgenommen worden. In der Mehrzahl der Fälle stoßen wir auf "Mischbildungen", bei denen ursprüngliche Herrenworte durch 43 Dieser älteste Bestand kann nur dazu dienen, die in jedem Falle jüngeren Elemente abzuheben, auch wenn sich darin noch etwas für Jesus Typisches spiegeln sollte. Es handelt sich also um die Erhebung des Materials, das für einen Rückgang auf den vorösterlichen Jesus in erster Linie in Frage kommt.
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einen Rahmen modifiziert, durch Zusätze erweitert oder durch Umgestaltung weniger oder mehr beeinflußt sind. c) Es wird uns in der Regel nicht gelingen, durch vorsichtiges Abheben späterer überlagerungen den Grundbestand herauszuarbeiten, um wie in der Archäologie das verschüttete alte Gut zu retten. Es wäre ein Irrtum, würde man meinen, rein subtraktiv zu dem vorösterlichen Jesus durchstoßen zu können 44 • Deshalb kann auch, wie gezeigt, die Frage nach historischer Echtheit bzw. Unechtheit nicht in einem alternativen, sondern nur in einem relationalen Sinne gestellt werden. Es ist eben normalerweise nicht mit überlagerungen, obwohl es das auch gibt, sondern mit Transformationen zu rechnen, Transformationen, die sich nicht kurzerhand rückgängig machen lassen. Das schließt aber nicht aus, daß bei solchen Transformationen, vor allem wenn man in ausreichender Breite Vergleiche durchführt, bestimmte Komponenten und Tendenzen erkennbar werden, die das " Woher" und das " Wohin" derartiger Abwandlungen deutlich werden lassen. Daraus gewinne ich die Möglichkeit, Rückschlüsse auf die solchen Transformationen vorangehende Ausgangsbasis zu ziehen. Ich muß also den weiteren traditionsgeschichtlichen Prozeß genauer überprüfen, um mögliche Voraussetzungen in Jesu vorösterlichem Wirken feststellen zu können 45 . Dies wird mit Recht von ehr. Burchard, Art. Jesus, in: Der Kleine Pauly II (5tuttgart 1967) 5p. 1344-54, dort 1345f, hervorgehoben: Quelle für den vorösterlichen Jesus wird die Jesustradition durch eine "nicht mehr subtraktiv zu leistende Reduktion" auf das Ursprüngliche. Schille, Prolegomena, 5p. 486: "Unser Material ist für die Abschälmethode ungeeignet. Es ist Kerygma, aber nicht verkapselte ipsissima vox et actio Jesu." 45 Perrin, Was lehrte Jesus, 25, fordert etwas zu einseitig, daß uns "nur die früheste und ursprünglichste Form eines Wortes" interessieren dürfe. W. G. Kümmel, Die Theologie des Neuen Testaments nach seinen Hauptzeugen Jesus, Paulus, Johannes (NTD Ergänzungsreihe 3) (Göttingen 1969) 24: Es ist unerläßlich, nach dem ältesten Gut zurückzufragen; außerdem muß aber die weitere Entwicklung als ständige Kontrolle über die Richtigkeit einer Ausscheidung des ältesten Uberlieferungsbestandes in Ansatz gebracht werden. Wichtig ist vor allem der Aufsatz von N. A. Dahl, Der historische Jesus als geschichtswissenschaftliches und theologisches Problem, in: KD 1 (1955) 104-132: Die Frage, wieweit es überhaupt möglich ist, "eine wissenschaftlich begründete und haltbare Darstellung des Lebens Jesu zu geben" (5. 105), ist seiner Auffassung nach nur lösbar, wenn die kritische Evangelienforschung sich zum Ziel setzt, "die Geschichte der Jesus-Tradition innerhalb der Kirche klarzulegen" (5. 116). Eine exakte Trennung zwischen echten Worten Jesu und Gemeindebildungen läßt sich überhaupt nicht erreichen, wohl aber ist durch "Querschnitte", die das für Jesus Bezeichnende hervortreten lassen, ein "kritisch gesichertes Minimum" zu gewinnen, wie umgekehrt durch gleichzeitige "Längsschnitte, die vom Judentum über Jesus zum Urchristentum führen", ein "Maximum" herausgestellt werden muß, das in seiner Gesamtheit als "Reflex des Wirkens Jesu" angesehen werden kann (5. 117119f). In ähnlicher Weise fordert H. Riesen44
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d) Erst dieser Rückschluß aus der fixierten Tradition ermöglicht ein lebendiges Bild von J esu Wirken und Person. Erst auf diese Weise gelingt es, daß wir, mit Anton Vögtle gesprochen, Aussagen über den "Richtungs sinn" des Wirkens Jesu machen können 46. Dabei wird der Unterschied zu den nachösterlichen überlieferungstendenzen deutlich hervortreten, zugleich aber eine fundamentale übereinstimmung; denn ohne diese übereinstimmung wäre es niemals zur Ausbildung einer urchristlichen Jesustradition gekommen. So wird es dann auch möglich sein, die noch erkennbaren Einzelheiten aus dem Leben Jesu zutreffend einzuordnen. Das bedeutet, daß wir bei der Rückfrage nach Jesus in verstärktem Maße von dem indirekten Verfahren Gebrauch machen müssen. Wilhelm Thüsing hat in diesem Zusammenhang gefordert, daß wir nach der "ipsissima intentio Jesu" fragen 47 , jener intentio, die sein eigenes Wirken bestimmt, die sich aber auch in der Tradition trotz aller Neuinterpretation durchgehalten hat. Diese Kennzeichnung des Fragehorizonts halte ich aufgrund der Eigenart der uns überkommenen J esusüberlieferung für zutreffend 48. feld, Bemerkungen zur Frage des Selbstbewußtseins Jesu, in: Der historische Jesus und der kerygmatische Christus (hrsg. von H. Ristow - K. Matthiae) (Berlin 1960) 331-341, dort S. 339, eine "stereoskopische Betrachtung" der vorhandenen Quellen anstelle einer bloßen Reduktionsmethode. 46 A. Vögtle, Jesus von Nazareth, in: Okumenische Kirchengeschichte (hrsg. von R. Kottje - B. Möller) I, (Mainz - München 1970) 3-24, dort 23. 47 W. Thüsing, Neutestamentliche Zugangswege zu einer transzendental-dialogischen Christologie, in: K. Rahner - W. Thüsing, Christologie - systematisch und exegetisch (QuDisp 55) (Freiburg i.Br. 1972) 79-305, dort 182ff. Auch er wehrt sich gegen das Subtraktionsverfahren und verlangt bei der Rückfrage nach J esus eine Methodenkombination; es gehe darum, "das in einer letztlich unverwechselbaren Weise strukturierte Funktions- und Relationsfeld" zu erkennen, in dem Jesus innerhalb der überlieferung gesehen wird. Dabei will er nach der ipsissima intentio J esu fragen, weil dieser Begriff eindeutiger und umfassender sei als der der ipsissima vox. 48 Das bedeutet, daß wir nach der "historischen Echtheit" nicht nur im formalen Sinne fragen dürfen. Zwar können wir nicht einfach auf die "sachliche Echtheit" ausweichen, weil dabei die urchristliche Jesustradition insgesamt berücksichtigt werden müßte, wohl aber ist mit Hilfe historischer Indizien ein Rückgang anzustreben, der sich nicht ausschließlich beschränkt auf die im wesentlichen authentischen Logien und Gleichnisse und die einigermaßen sicher greifbaren Tatbestände des Lebens Jesu. Es bedarf also einer Bestimmung der "historischen Echtheit", die von den wesentlichen Sachbezügen ausgeht.
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H. MöGLICHKEITEN DER RüCKFRAGE
Wir haben uns mit den Schwierigkeiten der Rückfrage nach Jesus befaßt und wollen nun in einem zweiten Teil den Möglichkeiten genauer nachgehen, die für eine Rekonstruktion des vorösterlichen Wirkens Jesu bestehen. Die Frage nach der theologischen Berechtigung eines solchen Vorgehens stellen wir dabei noch bewußt zurück, es geht weiter um die historische Aufgabenstellung.
1. Zu den Kriterien Meine Aufgabe ist es nicht, auf die Kriterien im einzelnen einzugehen, mit deren Hilfe eine Rekonstruktion vorgenommen werden kann. Wohl aber scheint es mir unerläßlich zu sein, im Vorgriff auf den nächsten Beitrag schon ein Grundproblem mit in die überlegungen einzubeziehen. Denn wenn wir nach den bisherigen Ergebnissen die methodologischen Probleme weiterbedenken wollen, kommen wir um die Frage der Kriterien nicht herum. Gerade sie erlauben uns, Einzelerkenntnisse zu gewinnen und diese in einen größeren Zusammenhang einzuordnen, auch wenn bei dem Versuch einer Rekonstruktion, wie wir gleich sehen werden, noch andere Wege eingeschlagen werden müssen. Von den Kriterien wird in jüngster Zeit häufig gesprochen 49 . Aber bis zum heutigen Tag ist überraschenderweise eine umfassende Aufarbeitung der anwendbaren Kriterien nicht erreicht. Weder sind die möglichen Kriterien hinreichend gesammelt und geordnet, noch ist die Diskussion über ihre Tragfähigkeit schon hinlänglich geführt 50. Eine Kriteriologie ist im Zusammenhang der Rückfrage nach J esus nach wie vor ein Desiderat. 49 Eine übersicht bieten W. G. Kümmel, Jesusforschung seit 1950, in: ThR NF 31 (1965/66) 15-46, dort 42ff; G. Theißen-Ph. Vielhauer, Ergänzungsheft zu Bultmanns Geschichte der synoptischen Tradition (Göttingen 41971) 10ff; vor allem M. Lehmann, Synoptische Quellenanalyse und die Frage nach dem historischen Jesus (BZNW 38) (Berlin 1970) 163 ff. 50 Bezeichnend dafür ist die scharfe Auseinandersetzung mit der Anwendung bestimmter Kriterien bei R. S. Barbour, Traditio-Historical Criticism of the Gospels. Some Comments on Current Methods (London 1972); vgl. auch Downing, Church, 93ff.
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Wo man sich um eine solche Kriteriologie bemüht, sollte m. E. eine begriffliche Differenzierung eingeführt werden, die übersicht und Anwendung erleichtert. Denn dort, wo in der gege~wärtigen exegetischen Debatte von "Kriterien" gesprochen wird, geht es in vielen Fällen lediglich um allgemeine Prinzipien, die eine Rückfrage nach Jesus überhaupt ermöglichen, nicht aber um konkrete Einzelkriterien, die eine Entscheidung im Blick auf spezielles überlieferungsgut zulassen. Zwischen den allgemeinen Prinzipien und den eigentlichen Kriterien müßte aber sorgfältig unterschieden werden. Um das Gesagte zu verdeutlichen: Wenn N orman Perrin als Kriterien die drei Gesichtspunkte der Unähnlichkeit, der Kohärenz und der vielfachen Bezeugung aufführt 5 1, dann sind das zwar wichtige Prinzipien, die uns erstmals an das authentische Jesusgut heranführen können. Aber es handelt sich eben nicht um Kriterien im strengen Sinne. Zweifellos haben sich diese Prinzipien faktisch mehr und mehr durchgesetzt 52, aber daneben wird mit Recht auch von Kriterien ganz anderer Art gesprochen 53. Im einzelnen sei zu den allgemeinen Prinzipien und den Einzelkriterien kurz folgendes gesagt: a) Statt vom Prinzip der" Unähnlichkeit" wird bisweilen auch vom "kritischen Aussonderungsprinzip" gesprochen, wobei es sich nach der Faustregel Ernst Käsemanns darum handelt, daß wir einigermaßen sicheren Boden nur dort unter den Füßen haben, wo eine Tradition weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann 54. Dieses Prinzip kann natürlich nur dazu die51 Perrin, Was lehrte Jesus, 32ff. 52 Vgl. H. K. M cArthur, Basic Issues. A Survey of Recent Gospel Research, in: In Search of the Historical Jesus (ed. H. K. McArthur) (London 1970) 139-144; D. G. A. Calvert, An Examination of the Criteria for Distinguishing the Authentie Words of Jesus, in: NTSt 18 (1971/72) 209-219. Im Vorfeld der Diskussion bleibt F. C. Grant, The Authenticity of Jesus' Sayings, in: Neutestamentliche Studien für R. Bultmann (BZNW 21) (Berlin 1954) 137-143. VgI. auch F. Mußner, Der historische Jesus und der Christus des Glaubens, in: ders., Praesentia Salutis (Ges. Aufs.) (Düsseldorf 1967) 42-66, dort 44ff. 53 Dazu Abschnitt d. Vgl. auch Lehmann, Quellenanalyse, 189ff. 54 E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus (1953), in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen I (41965) 187-214, dort 205: "Einigermaßen sicheren Boden haben wir nur in einem einzigen Fall unter den Füßen, wenn nämlich Tradition aus irgendwelchen Gründen weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann, speziell dann, wenn die Judenchristenheit ihr überkommenes Gut als zu kühn gemildert oder umgebogen hat." Ähnlich H. Conzelmann, Art. Jesus Christus, in: RGG3 III (Tübingen 1959) Sp. 619-653, dort 623: "Für die Rekon-
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nen, einen gewissen "Kernbestand" als Ausgangsbasis zu bestimmen, aber es versagt dort, wo unleugbare Zusammenhänge Jesu mit jüdischer Tradition vorliegen, oder umgekehrt dort, wo die Urgemeinde sich sehr eng an Jesu eigene Redeweise angelehnt hat, was durchaus auch zentrale Aussagen betreffen kann 55. Ist man sich über diese bedingte Tragweite im klaren, kann dieses Prinzip durchaus zu einem gewissen Leitfossil werden. b) Etwas anders steht es mit dem Prinzip der "Kohärenz". Neuerdings wird statt dessen auch von der "Gegenkontrolle" gesprochen, obwohl sich beides nicht völlig deckt. Es geht darum, daß Konsequenzen aus dem Vergleich von höchstwahrscheinlich echten oder höchstwahrscheinlich unechten Einzelüberlieferungen auf andere, verwandte überlieferungen gezogen werden 56. Derartige Konsequenzen sind nur dann erlaubt, wenn das jeweils als zusammengehörig angesehene Material ein relativ geschlossenes Bild abgibt, wobei aber wiederum beachtet sein will, daß auch überlieferungsgut, das nicht ohne weiteres "paßt", der ursprünglichen Jesusüberlieferung sehr nahestehen oder zugehören kann 57. Erweitert man die Frage nach der Kohärenz sowohl der eruierten Jesusüberlieferung als auch der verschiedenen Schichten urchristlicher Tradition durch das Prinzip, daß durch deren Gegenüberstellung auch eine "Gegenkontrolle" erzielt werden kann, so ist zu berücksichtigen, daß sich hierbei sehr leicht ein Fehlschluß ergibt, sofern von probeweise vorgenommenen Zuordnungen Urteile abgeleitet werden, die dem Material überhaupt nicht mehr gerecht werden 58. struktion der Lehre gilt der methodische Grundsatz: als echt ist anzusehen, was sich weder in das jüdische Denken einfügt noch in die Anschauungen der späteren Gemeinde." 55 Mit Recht warnt Burchard, ]esus, Sp.1346, davor, daß lediglich ein "minimalistisches bloßes Differentialbild " übrigbleibt. Zu den Schwierigkeiten bei der Anwendung vgl. Lehmann, Quellenanalyse, 178 ff. 56 Vgl. Perrin, Was lehrte Jesus, 37ff. 57 In diesem Zusammenhang wird auch das Argument gebraucht, es gäbe etwas "für Jesus Bezeichnendes" bzw. eine "Typik seines Vorgehens"; so Dahl, Der historische Jesus, 117; Burchard, ]esus, Sp.1346; A.Polag, Historische Bemerkungen zum Leben Jesu, in: Lebendiges Zeugnis 3/1971, 33-46, dort 34. Mußner, Praesentia Salutis, 45, spricht von dem bestimmten, einmaligen "Charakter", der keine Erfindung sein könne. Das alles ist berechtigt, muß aber mit Vorsicht gehandhabt werden, da es sonst bei der Aussonderung von authentischen überlieferungs elementen leicht zu Fehlurteilen führt. 58 Wir kommen darauf bei der Erörterung der Notwendigkeit eines "Gesamtbildes" nochmals zurück; vgl. Teil 11/2.
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c) Noch einmal anders steht es mit dem Prinzip der "vielfachen Bezeugung"59. Es mag den Rückschluß erleichtern, wenn Traditionselemente, die dem authentischen Jesusgut nahestehen, mehrfach überliefert sind und unter Umständen in verschiedenem Kontext eine erstaunliche Konstanz in formaler und inhaltlicher Hinsicht erkennen lassen oder bei Abweichungen einen relativ guten Schluß auf die ursprüngliche Form zulassen; aber die Entscheidung, ob es sich um ursprüngliche Jesusüberlieferung handelt, darf keinesfalls von der Häufigkeit des Vorkommens abhängig gemacht werden, sonst müßten wir auf sehr wesentliche Texte für die Rekonstruktion des vorösterlichen Wirkens Jesu verzichten 60. Dem zuletzt genannten Prinzip kommt daher allenfalls eine sekundäre, bestätigende Funktion zu. d) Ganz anders steht es mit den konkreten Einzelkriterien. Sie können formaler Art sein, wie z. B. die Verwendung der Gleichnisrede oder des einleitenden cq.tfjv, sie können aber auch inhaltlicher Art sein, wie etwa die charakteristisch jesuanische ßaoLAELa- Verkündigung oder die Nachfolgeforderung; eine MittelsteIlung zwischen den formalen und inhaltlichen Kriterien nimmt das aßßa ein. überraschenderweise sind wir gerade an dieser Stelle im Blick auf die Ausarbeitung einer Kriteriologie noch ziemlich in den Anfängen 61 . Sicher hängt das nicht zuletzt damit zusammen, daß Merkmale für die Ursprünglichkeit, die bei der Einzelexegese angewandt wurden, oft sehr schnell wieder in Frage gestellt worden sind; das zeigt beispielsweise die neuerliche Diskussion über das in Herrenworten voranstehende a/.tfjv 62 .
Dazu Perrin, Was lehrte Jesus, 40ff, im Anschluß an T. W. Manson, The Teaching of Jesus (Cambridge 21935 [repr. 1955]) 10f; McArthur, Basic Issues, 139ff. 60 Es sei nur an das mt oder lk Sonder gut erinnert; aber auch mk Tradition ist vielfach nur in direkter Abhängigkeit von Markus mehrfach überliefert, ohne daß sie in einer unabhängigen überlieferung, etwa der Logienquelle, nochmals auftaucht. Dazu Perrin, Was lehrte Jesus, 43f. 61 Abgesehen von G. Dalman, Die Worte Jesu I (Leipzig 21930) passim, sind wir hier im wesentlichen angewiesen auf die Untersuchungen von]. Jeremias, Kennzeichen der ipsissima vox Jesu (1954), in: ders., Abba (Ges. Aufs.) (Göttingen 1966) 145-152; ders., Die Gleichnisse Jesu (Göttingen 81970) (zu beachten ist vor allem die Liste der "Negativkriterien", d. h. der Umformungsgesetze, S. 112ff); ders., Theologie I, 38ff. Demgegenüber vertritt Käsemann, Problem des historischen Jesus, 204, die These, vom Gleichnisstoff abgesehen, besäßen wir "schlechterdings keinerlei formale Kriterien zur Herausstellung des authentischen Jesusgutes". 62 Dazu K. Berger, Die Amen-Worte Jesu (BZNW 39) (Berlin 1970); ders., Zur Geschichte der Einleitungsformel "Amen, ich sage euch", in: ZNW 63 (1972) 45-75.
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Oder die hervorgehobenen Kriterien sind nicht allein für Jesus kennzeichnend, gehören vielmehr, wie etwa das Passivum divinum, der antithetische Parallelismus oder gewisse Stileigentümlichkeiten - von dem umstrittenen Problem eines Rhythmus der aramäischen Jesusworte einmal ganz ~bgesehen -, nur zu den "von Jesus bevorzugten Redeweisen"63. Immerhin müßte man gerade an diesem Punkte noch erheblich weiterkommen, wenn man zu einer breiteren Verständigung vorstoßen will. Das dürfte m. E. nicht unmöglich sein, da es sowohl in formaler wie in inhaltlicher Hinsicht eine ganze Reihe von auffälligen Merkmalen gibt, die durchaus die Funktion von Kriterien übernehmen könnten. So wäre etwa zu prüfen, ob nicht neben den vielerörterten Gleichnissen und Bildworten auch die für Jesus eigentümlichen Paradoxien 64, seine Verwendung der Makarismen 65, aber auch allgemein die durch Korrespondenz zwischen dem Jetzt der Begegnung mit ihm und einem noch zukünftigen Geschehen charakterisierte Redeweise 66 oder ähnliche Besonderheiten in Ansatz zu bringen sind. Bei der Anwendung der allgemeinen Prinzipien wie der formalen und inhaltlichen Einzelkriterien muß man sich selbstverständlich im klaren sein, daß sie je für sich meist nur eine begrenzte Funktion haben. Es zeigt sich immer wieder, daß Einzelbeobachtungen noch längst kein Urteil über ein Traditionsstück zulassen. Einzelelemente formaler Art waren ablösbar und konnten von der Gemeinde ebenfalls benutzt werden. Charakteristische inhaltliche Züge wurden aufgenommen und weiterverwendet. Erst durch die gleichzeitige Anwendung mehrerer Kriterien und durch die gegenseitige Ergänzung und Korrektur der Beobachtungen können daher brauchbare Ergebnisse bei der Beurteilung der Jesusüberlieferung im Zusammenhang der Rückfrage nach Jesus gewonnen werden. Die allgemeinen Prinzipien und die speziellen Einzelkriterien haben die Funktion, über die Aussonderung eines traditionsgeschichtlich älVgl. auch V. Hasler, Amen (Zürich - Stuttgart 1969). Allerdings dürfte in beiden Fällen das Ziel einer totalen Bestreitung dieses Kriteriums nicht erreicht sein. 63 So Jeremias, Theologie 1,19. Vorarbeiten auf diesem Gebiet haben wir außerdem nur noch von C. F. Burney, The Poetry of Our Lord (Oxford 1925); K. G. Kuhn, Achtzehngebet und Vaterunser und der Reim (WUNT 1) (Tübingen 1950); ferner Black, Aramaic Approach, passim. 64 Vgl. z. B. Mk 10,25 parr; 11,23 parr. 65 Vgl. Lk 10,23f!1Mt 13, 16f; Lk 6,20f//Mt 5,3.4.6. 66 Charakteristisch dafür ist die Struktur von Lk 12,8 f.
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testen Bestandes hinaus einerseits jene überlieferungen zu bestimmen, die relativ unverändert oder mit leicht abheb baren Zusätzen in der urchristlichen Tradition erhalten geblieben sind, und andererseits Rückschlüsse aus dem stärker umgeformten überlieferungsgut im Sinne des indirekten Verfahrens zu ermöglichen. Das ist nur sinnvoll, wenn eine genaue Beschreibung der mit hoher Wahrscheinlichkeit authentischen Elemente erreicht werden kann. Das gilt für die inhaltlichen Besonderheiten, gilt aber auch für die formale Gestalt. Je detaillierter die hier zu erzielenden Ergebnisse sind, um so eher wird es möglich sein, ein differenziertes Gesamtbild zu entwerfen 67 •
2. Notwendigkeit eines Gesamtentwurfs
Eine Rekonstruktion des vorösterlichen Wirkens Jesu ist nur erreichbar, wenn zugleich mit der Erkenntnis von Einzelheiten ein erster Entwurf für das Gesamtverständnis skizziert wird. Einzelbeobachtungen und Gesamtbild stehen in einem ständigen Wechselverhältnis. Das entscheidende methodologische Problem liegt nun darin, daß ich mich bei einer solchen Rekonstruktion notwendigerweise in einen Zirkel begeben muß, dessen Funktion negativ wie positiv sehr genau bedacht sein will. Denn ich vermag die allgemeinen Prinzipien sowie die Einzelkriterien nur sinnvoll anzuwenden, wenn ich sie in Beziehung zu einem Gesamtbild setzen kann, umgekehrt bin ich aber nicht in der Lage, ein verläßliches Gesamtbild zu gewinnen, wenn ich dieses nicht aus Einzelbeobachtungen Stück um Stück zusammensetze. Es ist hierbei weniger das Problem, wie ich in diesen Zirkel einsteige, vielmehr wie ich ihn ständig in Kontrolle halte. Der Einstieg ist relativ leicht dadurch zu gewinnen, daß ich mit Hilfe des Prinzips der U nähnlichkeit eine erste, noch sehr vorläufige Orientierung zu gewinnen suche. Ich brauche mich vor der "minimalisierenden" Tendenz dieses Prinzips, vor der immer wieder gewarnt wird, nicht zu scheuen, wenn ich dabei diese "Einstiegsfunktion" beachte. Vor allem muß ich sofort 67 Auch bei einem vorwiegend indirekten Verfahren, das auf eine Erhellung der ipsissima intentio Jesu zielt, wird man nicht darauf verzichten können, möglichst viele charakteristische Einzelelemente für das Gesamtbild J esu zu gewinnen, die nicht nur einen "allgemeinen" Eindruck von seinem Verkündigen und Wirken vermitteln, sondern sehr spezielle Eigenarten seines Redens und HandeIns hervortreten lassen.
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weiterfragen, wo die entscheidenden Anhaltspunkte für ein Gesamtverständnis der Geschichte ]esu zu finden sind, um dann mit Hilfe von Einzelbeobachtungen das entstehende Bild auszubauen. Komplizierter liegen die Dinge bei der weiterhin erforderlichen begleitenden Kontrolle. Denn hier stehe ich nicht bloß in der Gefahr, aus einem angeblich bereits abgesicherten Gesamtbild viel zu weitreichende Schlüsse für die Einzelanalyse zu ziehen, ich muß vor allem ständig berücksichtigen, daß ich mit mehreren "Gesamtbildern" gleichzeitig zu arbeiten habe, weil ich nur so zu einer brauchbaren Verhältnisbestimmung zwischen vorösterlichem ]esusgut und nachösterlicher Traditionsweitergabe und -entfaltung kommen kann 68. Diese "Gesamtbilder" können aber sehr schnell ein übergewicht über die Beobachtung an Einzelheiten bekommen. Bei der Exegese der redaktionell konzipierten Evangelien habe ich es im Vergleich damit relativ leicht, weil ich für das Verständnis der Einzelheiten von einem unmittelbar vorliegenden Gesamtrahmen ausgehen, zugleich aber auch jeden einzelnen Text im Blick auf seine Stellung und Funktion exakt bestimmen kann; zudem habe ich bei Mattäus und Lukas noch die Vergleichsmöglichkeit mit dem Markusevangelium und der Logienquelle. Bei der Beurteilung der Verkündigung ]esu muß ich dagegen nicht allein von der Gegenüberstellung der redaktionellen Konzeption der einzelnen Evangelien einerseits und einem "Gesamtbild" der Verkündigung] esu andererseits ausgehen, ich muß vielmehr hypothetisch eine ganze Reihe von "Gesamtbildern" entwerfen, um die Eigenart der verschiedenen Traditionsstränge und die Bedeutung der verschiedenen Traditionszentren zu erfassen 69. Will ich nicht einem alsbald erstarrenden System erliegen, sind diese verschiedenen "Gesamtbilder", in 68 Auf den unerläßlichen Zusammenhang einer Erhebung authentischen Jesusgutes mit der Traditionsgeschichte des Urchristentums insgesamt ist in neuerer Zeit mehrfach hingewiesen worden; so Schille, Prolegomena, Sp. 481 ff; Burchard, J esus, Sp. 1346; W. Trilling, Geschichte und Ergebnisse der historisch-kritischen Jesusforschung, in: Jesus von Nazareth (hrsg. von F. J. Schierse) (Mainz 1972) 187-213, dort 19Of. Auch die apokryphe Tradition muß hierbei mit herangezogen werden. 69 Hier muß man sich vor jeder Vereinfachung hüten. Weder genügt die Gegenübersrellungvon palästinischer und hellenistischer Urgemeinde, noch läßt sich mit einem Schema von "sechs Traditions- bzw. Gemeindebereichen" arbeiten, wie das Schulz, Die neue Frage, 34f, vorschlägt, weil wir zwar eine Reihe von Traditionszentren benennen können, die einen größeren Teil des Materials geprägt haben, aber keinesfalls den gesamten im Neuen Testament erhaltenen Stoff auf deutlich greifbare Traditionsstränge und Traditionszentren aufteilen können.
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die die Einzelüberlieferungen einzuordnen sind, ständig wieder in Frage zu stellen und zu überprüfen. Fange ich jedoch fortwährend mit neuen, unter Umständen sehr komplizierten Entwürfen dieser Art an, werde ich bei der Aufarbeitung des Materials nicht sehr weit kommen. Um also überhaupt zu diskutablen Ergebnissen zu gelangen, bei denen die Gesamtheit des überlieferungs bestandes herangezogen werden kann, muß ich zu einem möglichst umfassenden und differenzierten Rahmenentwurf vorstoßen, der aber doch offen und beweglich genug ist, um stets wieder revidiert werden zu können. Letzteres tue ich am besten gerade von jenen Einzelbeobachtungen her, die sich nur mühsam in das benutzte hypothetische Gefüge einbauen ließen 70. Zur Erarbeitung eines Gesamtbildes des vorösterlichen Wirkens Jesu bedarf es somit eines ersten Vorentwurfes, der durch die Bestimmung entscheidender Anhaltspunkte und durch Einzelergebnisse ständig ergänzt und korrigiert werden muß. Dabei ist ein behutsames Vorgehen unerläßlich. Ich darf ja nicht einfach postulieren, ich kann nicht um eines vermeintlichen Gesamtbildes willen kurzerhand vervollständigen. Das in Umrissen sich abzeichnende Gesamtbild kann mir zunächst nicht mehr als bestimmte Hinsichten des Fragens vermitteln, es darf mir gleichsam nur die Richtung zum weiteren Suchen anweisen, um das einschlägige Material aufzufinden und auszuwerten. Anhand solcher Fragestellungen ist es dann erforderlich, mit Hilfe einer in Einzelschritten vollzogenen Analyse ein bestimmtes Teilproblem einzukreisen und einen Lösungsversuch anzustreben. Hierzu ist auf den methodisch beispielhaften Aufsatz von H einz Schürmann über J esu Verständnis seines Todes hinzuweisen 71. Auch wenn man dem Ergebnis nur teilweise zustimmt, ist in jedem Falle festzustellen, daß das in minutiösen Einzelschritten durchgeführte Verfahren sachgemäß ist und auf jeder Stufe überprüfbar bleibt, weswegen in der Auseinandersetzung sofort deutlich werden kann, wo die Wege in der Beurteilung des Sachverhaltes auseinandergehen. Aber wir sind noch weit davon entfernt, daß alle Teilprobleme in einer solchen Sorgfalt untersucht sind. 70 Das gilt nicht nur für Elemente, die möglicherweise auf Jesus zurückgehen, sich aber in das gewonnene Bild nur schwer eingliedern lassen, es gilt ebenso für Bestandteile, die sich innerhalb der urchristlichen Tradition nicht von vornherein unterbringen lassen. 71 H. Schürmann, Wie hat Jesus seinen Tod bestanden und verstanden? Eine methodenkritische Besinnung, in: Orientierung an Jesus (Festschrift für J. Schmid) (Frei burg i. Br. 1973) 325-363.
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Die überlegungen in diesem Abschnitt haben gezeigt, daß die Rückfrage nach Jesus methodisch niemals von der Untersuchung der gesamten Traditionsgeschichte bis zum Einmünden in die schriftlichen Evangelien isoliert werden darf. Außerdem ist deutlich geworden, daß ein Entwurf für die Darstellung des vorösterlichen Wirkens Jesu der laufenden Ergänzung und Korrektur bedarf, wobei die Bestimmung entscheidender Anhaltspunkte für das Gesamtverständnis Jesu ebenso eine Rolle spielt wie die Erkenntnis von Einzelheiten. Gehören die Erarbeitung des authentischen Jesusgutes und die Erarbeitung der urkirchlichen Tradition so eng zusammen, dann bedeutet dies, daß im Blick auf die Urgemeinde nach Verständnis und Auslegung der Jesusüberlieferung und deren Bedingungen gefragt werden kann und daß umgekehrt im Blick auf das authentische Jesusgut der Ermöglichungsgrund für die nachösterliche überlieferung eruierbar sein muß. Denn bei aller Bedeutung des Oster- und Pfingstgeschehens läßt sich der christliche Glaube nicht ausschließlich von hier aus erklären. Viele wesentliche Elemente des Christus glaubens, der Christusbotschaft und der Jüngergemeinschaft lassen sich nur von den Voraussetzungen her begreifen, die bereits im Wirken des vorösterlichen Jesus liegen 72.
3. Anhaltspunkte für ein Gesamtbild der vorösterlichen Geschichte Jesu Bemühen wir uns, unter den eben erörterten methodischen Aspekten ein Gesamtbild des Wirkens Jesu zu entwerfen, so müssen wir die gegenwärtige Forschungssituation berücksichtigen. Da über die formalen und inhaltlichen Einzelkriterien bisher nur eine unzureichende Verständigung erzielt ist und Untersuchungen, die ein Teilproblem schrittweise einkreisen, nur in wenigen Fällen vorliegen, können wir allein so vorgehen, daß wir uns an die inhaltlichen Grundgegebenheiten der Geschichte Jesu halten, die in der Exegese sichtbar geworden sind. Bei dem für unsere Arbeit unerläßlichen Rahmenentwurf gehen wir also von den für das Verständnis des Wirkens Jesu wesentlichen "Anhaltspunkten" aus. Sie haben nur Sinn, wenn sich daran die Erscheinung Jesu von N azareth insgesamt verdeutlichen läßt, sie müs72
Näheres darüber in Teil IH.
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sen also eine Schlüsselfunktion besitzen, so daß man ohne deren Berücksichtigung die Geschichte J esu überhaupt nicht verstehen kann 73. Auf diesem Wege läßt sich ein gewisser Bereich vorläufig abstecken, der selbstverständlich im einzelnen noch einer genaueren Untersuchung und einer präziseren Beschreibung bedarf. Die folgende Skizze soll verdeutlichen, in welcher Weise wir ein derartiges Gesamtbild anstreben können. Zunächst sind zwei Sachverhalte zu nennen, die entscheidende Bedeutung haben: Jesu Konflikte und - um möglichst allgemein zu formulieren - das Phänomen des "Neuen", das mit seinem Auftreten erkennbar wurde. In beiden Fällen stellt sich die Frage nach der "Wirkung" Jesu: einerseits negativ im Spiegel seiner Gegner, andererseits im Spiegel derer, die, in welcher Abstufung auch immer, ihn positiv aufnahmen 74. Auf weitere Sachverhalte von wesentlicher Bedeutung werden wir im unmittelbaren Anschluß an die Behandlung der Konflikte und des Phänomens des "Neuen" stoßen. a) Es sollte unbestritten sein, daß die Konflikte nicht nur in hohem Maße charakteristisch für J esu öffentliches Wirken sind, sondern daß gerade sie uns einen sehr weitreichenden Aufschluß über sein Wollen geben 75. Leider gibt die Passionsgeschichte, die in ihren verschiedenen Fassungen das Glaubensverständnis der frühen Gemeinde zum Ausdruck bringt, über den genauen Ablauf der Verhöre Jesu und über die Anklagepunkte nur sehr bedingt Auskunft 76. Immerhin läßt sich noch erkennen, aus welchem Grunde Jesus verurteilt wurde. Denn mag der 73 In diesem Sinne hat R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments (Tübingen 61968) Hf, versucht, die Verkündigung Jesu anhand der eschatologischen Verkündigung, der Auslegung der Forderung Gottes und des Gottesgedankens Jesu zu erfassen; aber eine Rückfrage nach J esus darf sich gerade nicht auf seine Verkündigung beschränken. An dieser Stelle liegt das prinzipielle Recht der Frage von E. Fuchs nach dem Verhalten Jesu: Zur Frage nach dem historischen Jesus (Ges. Aufs. II) (Tübingen 1960), bes. 143 ff 377ff. 74 Dabei kommt zugleich, wenn auch nur sekundär, die Perspektive der "Nach-Wirkung" der Geschichte Jesu in urchristlicher Zeit mit ins Blickfeld, doch darf sie jetzt nicht dominieren, da es um den Versuch einer Rekonstruktion geht, der von der speziellen Sicht und Beurteilung der nach österlichen Gemeinde nach Möglichkeit frei sein soll. 75 Mit Recht nachdrücklich hervorgehoben von Niederwimmer, Jesus, 31 53 ff; in dieser Hinsicht kann ich der Darstellung nur zustimmen, sowenig ich die Ausführungen über Jesu mythische Redeweise und Gottesbild zu akzeptieren vermag (37ff 66 69f). 76 Hierzu vgl.]. Blinzler, Der Prozeß Jesu (Regensburg 41969); P. Winter, On the Trial of Jesus (Studia Judaica 1) (Berlin 1961); D. P. Catchpole, The Trial of Jesus (Studia Post-Biblica 18) (Leiden 1971).
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Konflikt mit den Römern in seiner Vorgeschichte nicht mehr völlig aufhellbar sein, klar ist, daß J esus als ein angeblicher Messiasprätendent hingerichtet wurde 77. Wieweit mit der ebenfalls unbestreitbaren jüdischen Anklage vor dem Präfekten eine effektive Furcht der Synhedristen vor politischen Folgen des Auftretens J esu im Spiele war, ist schwer zu entscheiden; wieweit von römischer Seite Jesu Anhängerschaft als Unruheherd angesehen wurde, ist genausowenig zu beantworten. Zumindest aber sind diese Fragen nicht kurzerhand von der Hand zu weisen, weil Jesus durchaus eine gewisse "Volksbewegung" in Gang gebracht hatte 78 , auch wenn diese alles andere als einen politisch-revolutionären Charakter besaß 79. Ausschlaggebend ist jedenfalls, daß er wegen eines religiösen Vergehens hingerichtet wurde 80. Für unseren Zusammenhang wichtiger und aufschlußreicher sind die Auseinandersetzungen mit den Vertretern des damaligen Judentums, weil sie uns noch erkennen lassen, weshalb es zu jener Feindschaft gekommen ist, die schließlich zu Jesu Tod führte 81 . Sieht man von der späteren Schematisierung und Einengung auf "Pharisäer und Schriftgelehrte" ab, wird man aufgrund des uns erhaltenen Materials annehmen dürfen, daß J esus mit den verschiedensten Gruppen in Konflikt
Die Historizität der Kreuzesinschrift ist trotz der Bedenken Bultmanns nicht in Frage zu ziehen; ich verweise auf meine Ausführungen in: Christologische Hoheitstitel (FRLANT 83) (Göttingen 41974) 178f. Mit guten Gründen betont N.A.Dahl, Der gekreuzigte Messias, in: Der historische Jesus und der kerygmatische Christus (hrsg. von H.Ristow-K.Matthiae) (Berlin 1960) 149-169, daß gerade Jesu Tod als der eines Messiasprätendenten ein entscheidender Ansatz für das Verständnis seines Wirkens innerhalb der nachösterlichen Gemeinde war. 78 Vgl. dazu M. Dibelius - W. G. Kümmel, Jesus (Sammlung Göschen 1130) (Berlin
77
1960) 40H.
Vgl. M. Hengel, War Jesus Revolutionär? (Calwer Hefte 110) (Stuttgart 1970); O. Cullmann, Jesus und die Revolutionären seiner Zeit (Tübingen 1970); E. Gräßer, "Der politisch gekreuzigte Messias". Kritische Anmerkungen zu einer politischen Hermeneutik des Evangeliums, in: ders., Text und Situation (Ges. Aufs.) (Gütersloh 1973) 302-330. 80 Dieser Sachverhalt darf nicht übersehen werden, auch wenn die Anklage politischmotiviert war bzw. der römische Präfekt sie so verstanden hat. 8t Von daher läßt sich auch die Frage stellen, wieweit ein "Mißerfolg" für das Wirken Jesu charakteristisch ist; hierzu Polag, Historische Bemerkungen, 39f. Ich kann mich jedoch aufgrund des vorhandenen Materials nicht davon überzeugen, daß im Leben Jesu mit einer förmlichen "Krise" infolge des wachsenden Mißerfolges gerechnet werden müsse; so neuerdings wieder F. Mußner, Gab es eine "galiläische Krise"?, in: Orientierung an Jesus (Festschrift für J. Schmid) (Freiburg i. Br. 1973) 238-252. 79
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geraten ist 82 . Sein Wirken rief Widerspruch auf breitester Front unter den damaligen Repräsentanten des Judentums hervor. Und hier liegt zweifellos eins der zentralen Probleme für das Verständnis des irdischen J esus. Es kann auch nicht gut bestritten werden, daß dieser Konflikt eine grundsätzliche Bedeutung hatte und die Fundamente des jüdischen Glaubens, vor allem das Gesetzesverständnis, betraf 83. Nicht ohne Grund zieht sich durch die J esusüberlieferung wie ein roter Faden hindurch, daß der Vorwurf der Gotteslästerung ihm gegenüber erhoben wurde 84. Für die spätere Gemeinde konzentrierte sich dieser Vorwurf im messianischen Anspruch Jesu, aber das dürfte gegenüber der vorösterlichen Situation eine spezielle Zuspitzung und letztlich eine Verengung sein 85. "Gotteslästerer" ist nach jüdischem V erständnis derjenige, der sich der Norm des Gesetzes nicht fügt, genauer noch: der sogar todeswürdige Grundverordnungen der Tora mit Absicht übertritt 86 . An Jesu provokatorischem Verhalten am Sabbat, an seiner Ignorierung der rituellen Reinheitsforderungen, an seinem Verhalten gegenüber der aufgrund von Gesetzesbestimmungen aus der Gemeinschaft ausgeschlossenen Kranken, an seiner Gemeinschaft mit denen, die das Gesetz nicht beachteten, zeigt sich, daß er nicht bereit war, als Jude jüdisch zu leben im Sinne des damaligen jüdischen Selbstverständnisses, gleich welcher Schattierung 87 • Daß er außerhalb der geregelten Kultpraxis Menschen die Vergebung der Sünden zugesprochen hat und im Streitfalle ausdrücklich gegen Gesetz und Gesetzestraditionen Stellung nehmen konnte, ließ an seinem nonkonformistischen Verhalten keinen Zweifel mehr aufkommen 88. Jesus hat dabei nun aber nicht, wie es unter den verschiedenen Schu82 Durchgesetzt hat sich diese Kennzeichnung der Gegner im Mattäusevangelium, aber dieselbe Tendenz ist auch schon bei Markus zu erkennen. Anders noch ausdrücklich Mk 12, 18-27 parr. 83 VgJ. Käsemann, Problem des historischen Jesus, 206ff; G. Bornkamm, Jesus von Nazareth (Urban-Bücher 19) (Stuttgart 91972) 88ff. 84 VgJ. Mk 2,7 parr; 14,64 parr; Joh 10,33. 85 Das zeigt sich vor allem in der Erzählung vom Selbstbekenntnis J esu vor dem Hohen Rat Mk 14, 55-65 parr. 86 Hierzu gehört in jedem Falle der beabsichtigte Bruch des Sabbats; vgJ. Ex 31, 14f; 35,2; auch Num 15, 32-36. 87 VgJ. nur Mk 2,23-28 parr; Mk 7,15 par; Mk 1,40-44 parr; Mk 2,14-17 parr. 88 So Mk 2, 5 ff parr; Lk 7,47; Mk 10,1-12 par. Zweifellos sind diese Texte in vorliegender Form alle durch nachösterliche Transformationen bestimmt, lassen aber doch einen Rückschluß auf J esu Verhalten zu.
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len des damaligen Judentums üblich war, lediglich über die Auslegung der Mosetora gestritten. Er konnte offensichtlich nachalttestamentliche Aussagen anerkennen und konnte sie verwerfen. Denn nur ein Kriterium war für ihn entscheidend: ob der Wille Gottes erkannt und befolgt wird oder ob "Menschensatzungen" den Willen Gottes überdeckt und verdunkelt haben 89. Dieses Kriterium galt aber genauso für den geheiligten Text des Mosegesetzes selbst. Man macht es sich zu einfach, wenn man bloß entscheiden will, ob J esus das Gesetz des Alten Testamentes anerkannt oder ob er daran Kritik geübt hat. Sofern darin der Wille Gottes erkannt werden kann, hat Jesus selbstverständlich das alttestamentliche Gesetz bejaht, sofern dort um der "Herzenshärtigkeit der Menschen" willen Konzessionen gemacht waren, stellt er es in Frage 90. Diese Haltung wird nur verständlich, wenn man sieht, daß nicht mehr Mose die letzte Autorität für Jesus ist. Wer so urteilt und handelt, ist aber nach Auffassung eines frommen, gesetzestreuen Juden ein Gotteslästerer 91 . b) Damit sind wir bereits beim zweiten grundlegenden Sachverhalt. Neben dem an Gesetz und Gesetzesauslegung sich entzündenden Konflikt, und zwar einem Konflikt, der trotz aller Bindung Jesu an den Gott des Alten Testamentes und dessen Offenbarung in Israel, das Selbstverständnis des Judentums zutiefst in Frage stellte, neben diesem Konflikt und in engstem Zusammenhang damit ist das Phänomen des "Neuen" das zweite Schlüsselproblem für das Verständnis des irdischen J esus und die Rekonstruktion seines vorösterlichen Wirkens. Ich spreche mit Absicht in einer sehr allgemeinen Weise, denn es genügt nicht, zu sagen, Jesus habe beansprucht, "etwas Neues" zu verkünden und zur Geltung zu bringen, es genügt auch nicht, festzustellen, "etwas Neues" sei durch ihn, wie vor allem ein Rückblick zeigt, in Gang gekommen. Man muß davon ausgehen, daß mit seinem Auftreten eine regelrechte "Neuheitserfahrung", ein in weiten Kreisen empfundenes, ganz umfassendes "Neuheitserlebnis" verbunden war. 89 Vgl. Mk 7,8 par; für das Streitgespräch Mk 7, 1-13 par gilt ebenfalls das in der vorigen Anrn. Gesagte. 90 Vgl. Mk 10,5 par. 91 Anders K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu I (WMANT 40) (Neukirchen - Vluyn 1972), vgl. bes. 576ft. Ich kann mich von der Richtigkeit der in diesem Buch vertretenen Grundthese in keiner Weise überzeugen. Vgl. neuerdings H. Hübner, Das Gesetz in der synoptischen Tradition (Witten 1973), bes. 226ft.
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Erfolg wie Mißerfolg Jesu lassen sich nur von daher begreifen. Denn gerade diese "Neuheitserfahrung" veranlaßte Zustimmung, rief aber ebenso hartnäckigen Widerspruch hervor. Fragen wir genauer, worum es bei diesem Phänomen des "Neuen" geht, so ist aufgrund der erhaltenen ursprünglichen Jesusüberlieferung vom "eschatologisch Neuen" zu sprechen, das für sein gesamtes Wirken bestimmend ist 92 . Hier ist Jesu Haltung gegenüber dem Gesetz verwurzelt; denn wo die endzeitliche Gottesoffenbarung wirksam wird, muß auch Mose daran gemessen werden; wo die endzeitliche Sündenvergebung empfangen werden kann, gelten die rituellen Ordnungen der Tora nicht mehr; und wo die neue Heilsordnung konstituiert wird, ist die alte bis hin zu Kult und Tempel vergangen, wie die Zeichenhandl ung der T em pelaustreibung unmiß verständlich vor Augen führt 93. Jesu Auftreten zeichnet sich dadurch aus, daß er mitten in der noch bestehenden Welt mit seiner ßaotAeLa-Botschaft den Anbruch des Heils verkündigt. Er zerbricht damit alle traditionellen Schemata des religiösen Denkens im Judentum, wonach das Heil einerseits an eine heilige Vergangenheit gebunden war, andererseits einer Zukunft vorbehalten blieb, in der es zu einer totalen Veränderung der Welt oder gar zu einer völlig neuen Welt kommen sollte.· Anbruch des Heiles bedeutet deshalb auch nicht Vorzeichen des Heiles, sondern Gegenwärtigwerden dieses Heiles: "Wo ich mit dem Finger Gottes Dämonen austreibe, da ist schon die Herrschaft Gottes zu euch gelangt" (Lk 11,20)94. Es bleibt aber gleichwohl das zukünftige Heil, das nicht einfach in eine innerweltliche Gestalt überführt werden kann, das vielmehr im Vorgriff fortan in unsere Welt eingreift und in ihr seine konkreten, wenn auch für menschliches Erfassen niemals eindeutigen Spuren hinterläßt 95. 92 Das kommt am deutlichsten in seiner Verkündigung der ßUOlAElU wü {tEOÜ zum Ausdruck. 93 VgL Mk 11, 15-17 parr; Joh 2,13-22. Konstant in allen Texten ist das Stichwort "austreiben" (E%ßUAAELV), deshalb sollte man auch von "Tempelaustreibung" sprechen. Wo Opfertiere weggejagt und das Wechseln des für die Opfergaben benötigten Geldes unmöglich gemacht werden, kann kein ordnungsgemäßer Kult mehr statrfinden. Eine Umdeutung im Sinne einer "Tempelreinigung" und seiner Verwendung als "Gebetshaus" setzt allerdings schon in urchristlicher Tradition ein, wie Mk 11, 16.17a zeigt. 94 In der Parallelstelle Mt 12,28 wird die bildhafte Wendung vom "Finger Gottes" sekundär durch "Geist Gottes" ersetzt. 95 Daher die Zeichenforderung Mk 8,11 f parr.
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An dieser Stelle ist, wie das in der Exegese in der Regel und mit Recht getan wird, aus überlieferungs geschichtlichen wie aus sachlichen Gründen von den Gleichnissen Jesu auszugehen. Neben den Konfliktszenen sind Jesu Gleichnisse die Texte, welche die relativ sichersten Rückschlüsse zulassen. Sie sind zudem in einem hohen Maße charakteristisch, weil sie nicht bloß formal deutlich von allen zeitgenössischen Analogien abgehoben sind, sondern weil sie in ihren inhaltlichen Aussagen gerade diesem Phänomen des eschatologisch Neuen in einer besonderen Weise Ausdruck verleihen 96. In den Gleichnissen wird deutlich, daß es sich bei diesem N euen um ein dynamisches Geschehen handelt, das den Menschen und die ganze Welt erfassen will, ohne in deren Verfügbarkeit einzugehen, und daß es sich um eine noch in der Realisierung befindliche Wirklichkeit handelt, die zukunftsträchtig ist 97 • Von hier aus kann man durchaus sagen, daß J esu Verkündigung insgesamt durch die Rede in Gleichnissen geprägt ist, mehr noch: daß sein Wirken weithin gleichnishafte Züge trägt 98 . Denn auch seine Handlungen, von den Heilungen angefangen über die Tischgemeinschaft bis hin zu seinem Abschiedsmahl, wollen als Gleichnishandlungen verstanden werden, Gleichnishandlungen nicht in dem Sinne, daß damit nur etwas veranschaulicht werden soll, sondern daß jene anbrechende und unmittelbar auf uns zukommende Wirklichkeit des eschatologisch N euen sich gegenwärtig konkretisiert und mitten in dieser Welt zeichenhaft erfahren werden kann 99. Wenn in diesem Sinne Wunder, Tischgemeinschaften und andere Taten Jesu konkrete Signa der sich ereignenden eschatologischen Gottesherrschaft sind, dann stehdür ihn das Leben der Menschen in dieser Welt nicht nur in einem Bezug zum Jüngsten Tag, vielmehr strahlt 96 Auf die Fülle der Gleichnisliteratur ist hier nicht einzugehen. Zum Sachproblem sei nur verwiesen auf Bornkamm, Jesus von Nazareth, 58ff; E. Jüngel, Paulus und Jesus (Herrn. Unters. z. Theol. 2) (Tübingen 41972) 87ff. 97 Vgl. N.A.Dahl, The Parables of Growth, in: StTh 5 (1951/52) 132-166. Demgegenüber Jeremias, Gleichnisse Jesu, 145ff, der vor allem den Kontrast betont. 98 Dazu Jüngel, Paulus und Jesus, 135ff. Mit Recht fordert allerdings Strecker, Problematik der Jesusfrage, 462f, eine "Zuordnung der Gleichniserzählungen zum Ganzen der Verkündigung Jesu", da sonst die Gefahr einer einlinigen Auslegung dieser Texte bestehe. 99 G. Stählin, Die Gleichnishandlungen Jesu, in: Kosmos und Ekklesia (Festschrift f. w. Stählin) (Kassel 1953) 9-22; H. Schürmann, Die Symbolhandlungen Jesu als eschatologische Erfüllungszeichen. Eine Rückfrage nach dem historischen Jesus, in: Bibel und Leben 11 (1970) 29-41 73-78.
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das Licht des Jüngsten Tages hier bereits auf. Deswegen vollziehen sich auch schon Entscheidungen, die traditionellerweise dem Jüngsten Tage vorbehalten waren. Im Endgericht braucht lediglich noch bestätigt, nur noch offenkundig zu werden, was an definitiven Entscheidungen über Heil und Unheil bereits gefallen ist: "Wer sich zu mir bekennt vor den Menschen, zu dem wird sich auch der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes; wer mich aber verleugnet vor den Menschen, der wird verleugnet werden vor den Engeln Gottes" (Lk 12, 8f) 100. c) Gehen wir von hier aus einen Schritt weiter, so stoßen wir auf zwei andere grundlegende Sachverhalte, worauf an dieser Stelle allerdings mehr hingewiesen als eingegangen werden soll. Diejenigen, die sich zu Jesus bekennen, sind bereit, seinen Ruf in die Nachfolge anzunehmen. Inder Gemeinschaft der Jesusjünger wird um der anbrechenden Gottesherrschaft willen alle weltliche Bindung und Sicherung verlassen. Für die Nachfolge Jesu ist die Unbedingtheit der Scheidung von der bisherigen Existenzweise ebenso bezeichnend wie die Totalität der Zugehörigkeit zu Jesu Person und Werk. Das ist nur verständlich aufgrund des eschatologisch Neuen, das sich in dieser menschlichen Lebensgemeinschaft eine konkrete Ausdrucksform verschafft 101. Von dieser Beobachtung her wird dann auch begreiflich, daß Jesus neue Verhaltensmaßstäbe setzt, zumal er die Normen der Tora, wie wir gesehen haben, nur noch bedingt anerkennt. Bei der "ethischen" Verkündigung Jesu fällt immer wieder die fehlende eschatologische Motivation auf 102. Eine "Interimsethik" kann sie schon deshalb gar nicht sein 103. Statt dessen wird in einer betonten Weise auf Gottes Schöpferhandeln Bezug genommen. Nicht nur das "Sorget nicht!", auch das Gebot der Feindesliebe wird mit der Fürsorge und Güte des Schöpfers begründet. So wird das göttliche Schöpferhandeln der Erkenntnisgrund für den Willen Gottes 104. Aber der ursprüngliche 100 Ich verweise auf meine Auslegung in: Hoheitstitel, 30f 33 ff. 101 Dazu mein Aufsatz: Die Nachfolge Jesu in vorösterlicher Zeit, in: F. Hahn - A. Strobel- E. Schweizer, Die Anfänge der Kirche im Neuen Testament (Evang. Forum 8) (Göttingen 1967) 7-36. 102 Auf dieses Problem wurde hingewiesen von H. Conzelmann, Zur Methode der Leben-Jesu-Forschung, in: ZThK 56 (1959) Beih. 1,2-13, dort 11ff; ders., Art. Jesus Christus, RGG3 III, Sp. 637ff. 103 Gegen A. Schweitzer, Die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung (Tübingen 61950) 401 412 u. ö. 104 Vgl. nur Mt 5, 44-47//Lk 6,27f.32f.
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Wille Gottes, der von Jesus gegen alle schon in der Mosetora einsetzende Kasuistik und Verdunkelung zur Geltung gebracht wird, kann eben im Lichte der anbrechenden eschatologischen Herrschaft Gottes wieder offenbar werden und soll fortan das menschliche Handeln auf dieser Erde unverkürzt bestimmen. Wie Urzeit und Endzeit in der jüdischen Erwartung zusammenhängen, so wird hier in Verbindung mit Jesu Botschaft vom eschatologisch Neuen der ursprüngliche Wille Gottes wiederum aufgedeckt und in einer solchen Weise zur Sprache gebracht, daß die Menschen sich diesem Anspruch nicht entziehen können 105. Sowohl die Unbedingtheit der ethischen Verkündigung ist von hier aus zu verstehen wie auch ihre Konzentration auf die Gottesund Nächstenliebe, wobei das Gebot der Nächstenliebe nun in seiner uneingeschränkten Bedeutung Geltung verlangt 106. Das entspricht der Tatsache, daß es auch für Gottes heilschenkende und gehorsamfordernde Zuwendung keine Zwischeninstanz und keine Beschränkung auf ein auserwähltes Volk mehr gibt 107 . d) Neben den Konflikten Jesu und dem mit dem Anbruch der Gottesherrschaft zusammenhängenden Phänomen des "Neuen", neben der Nachfolge und der Artikulation des unverkürzten Willens Gottes stoßen wir schließlich auf einen weiteren Sachverhalt, der eine Schiüsselfunktion für das Verständnis des vorösterlichen Jesus hat. Zwar können wir dabei nicht von einem "Ansatzpunkt" für die Rekonstruktion der vorösterlichen Geschichte J esu sprechen, wohl aber handelt es sich um so etwas wie einen "Zielpunkt" , auf den alle unsere überlegungen, auch wenn sie in vieler Hinsicht unvollständig bleiben, zu105 Gegen die scharfe Trennung bei Conzelmann, Zur Methode, 12; er sieht eine Klammer nur in der jeweiligen unmittelbaren Konfrontierung der Hörer mit Gott gegeben. Es ist aber für eine engere sachliche Beziehung zur Eschatologie zu plädieren. Hierzu vgl. jetzt A. Vögtle, "Theo-logie" und "Eschato-logie" in der Verkündigung Jesu?, in: Neues Testament und Kirche (Festschrift für R. Schnacken burg) (Freiburg i. Br. 1974) 371-398. 106 Vgl. Mk 12,28-34//Mt 22, 35-40//Lk 10,25-28, dazu Lk 10,29-37. 107 Das Gesetz kann dort, wo der ursprüngliche Wille Gottes Maßstab für das menschliche Verhalten wird, nicht mehr Zwischeninstanz im jüdischen Sinn sein. Daß Jesus sich in seinem vorösterlichen Wirken auf das Volk Israel konzentriert hat, ist nicht zu bestreiten, seine Botschaft hatte aber eine universale Tendenz, weswegen nicht zufällig ein überschreiten der Grenzen Israels bereits für Jesu Wirken wahrscheinlich ist, ohne daß er im eigentlichen Sinne schon "Heidenrnission" getrieben hätte; dazu meine Ausführungen in: Das Verständnis der Mission im Neuen Testament (WMANT 13) (Neukirchen - Vluyn 21965) 19 ff; ferner M. H engel, Die Ursprünge der christlichen Mission, NTSt 18 (1971/72) 15-38, bes. 35ff.
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laufen müssen: die Frage nach Stellung und Bedeutung der Person
Jesu 108. Es hängt Wesentliches davon ab, daß das Problem richtig formuliert wird. Es ist m. E. unzulässig, hier allein nach dem "Selbstbewußtsein", möglicherweise sogar nach J esu "messianischem Selbstbewußtsein " zu fragen. Denn einerseits geben uns die Quellen für das Selbstbewußtsein Jesu so gut wie nichts her, und andererseits müßte bei der Bestimmung des "Messianischen" erst noch eine sehr exakte Vorklärung durchgeführt werden, was dieser Begriff sagen bzw. nicht sagen soll 109. Ich halte es aber für ebenso unangemessen, vom "Sendungsbewußtsein" Jesu zu sprechen, weil die ganze Erörterung nicht auf die psychologische Ebene des Bewußtseins gebracht werden sollte. Etwas anderes ist es dagegen, wenn wir nach dem Sendungs anspruch J esu fragen, dem Anspruch also, der in seiner Verkündigung, in seinen Taten und in seiner Bereitschaft, den Tod auf sich zu nehmen, zum Ausdruck kommt 110. Es geht bei dieser Präzisierung der Fragestellung keineslOB Es ist ausgeschlossen, hier auf die zahllose Literatur einzugehen. Vgl. die Problemskizze bei Bornkamm, Jesus von Nazareth, 155ff, ferner die Literatur in Anm.ll0. Im übrigen ist daran zu erinnern, daß das Problem der Stellung und Bedeutung der Person Jesu sich natürlich auch dort stellt, wo man mit einer nur "impliziten Christologie" rechnet -so vor allem R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments (61968) 44f; Conzelmann, Art. Jesus Christus, RGG3 In, Sp. 650f -, wenngleich die Frage dann für eine Darstellung der vorösterlichen Geschichte J esu in anderer Weise wirksam wird. 109 Im jüdischen Sinne kann er ja nicht gebraucht sein, ganz gleich, welche Variation jüdischer Erwartung man zugrunde legt. Außerdem müßte das Verhältnis zwischen "Messias" und "Menschensohn" erst noch präzise geklärt werden, da dieses im Judentum jener Zeit höchst spannungsvoll war und auch für die nachösterliche Christologie noch ein erhebliches Problem darstellte. Die Feststellung, daß Jesu Leben "unmessianisch" gewesen sei, ist vordergründig eine Frage der Terminologie; dahinter verbirgt sich aber das Problem einer exakten Bestimmung der Heilbringervorstellungen im Judentum und frühen Christentum. Unbrauchbar ist die Alternative "entweder apokalyptisch-messianisch oder unapokalyptisch-unmessianisch" bei A. Strobel, Die moderne Jesusforschung (Calwer Hefte 83) (Stuttgart 1966) 43f. Vgl. dagegen die interessanten sachlichen Erwägungen von F. Mußner, Der "historische" Jesus, in: ders., Praesentia Salutis (Ges. Aufs.) (Düsseldorf 1967) 69-80, dort 74ff. 110 Statt vom Sendungs anspruch kann auch vom Vollmachtsanspruch gesprochen werden; auch vom Glaubensanspruch ist gelegentlich die Rede, doch führt das in eine etwas andere Richtung. Der Sendungs anspruch muß im einzelnen natürlich so beschrieben werden, wie er aus dem authentischen J esusgut mit einiger Sicherheit zu erheben ist. Zu diesem Problem vgl. W. G. Kümmel, Der persönliche Anspruch Jesu und der Christusglaube der Urgemeinde (1963), in: ders., HeiJsgeschehen und Geschichte (Ges. Aufs.) (Marburg 1966) 429-438; N. Brox, Das messianische Selbstbewußtsein des historischen Jesus, in: Vom Messias zum Christus (hrsg. von K. Schubert) (Wien 1964) 165-201, bes. 185ff; F. Mußner, Wege zum Selbstbewußtsein Jesu, in: BZ NF 12 (1968)
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wegs darum, das Problemfeld einzuschränken und bestimmte Sachverhalte von vornherein auszuklammern, vielmehr gerade darum, in voller Breite einen adäquaten Zugang offenzuhalten. Die aufgrund der Quellenlage außerordentlich schwierige und umstrittene Frage nach dem Anspruch Jesu kann hier nicht im einzelnen erörtert und beantwortet werden. Wohl aber darf gesagt werden, daß derjenige, der den Anbruch des eschatologisch N euen mit seinem eigenen Wirken in Zusammenhang bringt, der um des eschatologisch Neuen willen Menschen in der Nachfolge an seine Person bindet und mit den Repräsentanten des Judentums einen Konflikt auf Leben und Tod hinsichtlich der Tora auf sich nimmt, einen Anspruch erhebt, der mit den traditionellen Heilserwartungen des Judentums, aus dem er selbst stammt, nicht verrechnet werden kann 111. Nicht umsonst hat daher die älteste Christenheit ihre Hauptaufgabe darin gesehen, aufgrund der Geschichte J esu - einschließlich seines Todes und seiner Auferweckung - eine weitreichende Transformation der überkommenen Heilsvorstellungen durchzuführen, um das überhaupt aussagen zu können, was mit Jesu Person in der Geschichte Wirklichkeit geworden ist 112 • Wo ein solcher Anspruch erhoben wird, wie er uns bei Jesus begegnet, muß sein ganzes Leben unter diesem Vorzeichen stehen. Auch wenn wir von der Gottestat der Auferweckung bei der Rückfrage nach dem vorösterlichen Jesus konsequent absehen, so ist in jedem Falle die Frage aufzugreifen, was Jesu Tod in diesem Zusammenhang seines 161-172; E. Schweizer, Jesus Christus im vielfältigen Zeugnis des Neuen Testaments (Siebenstern-Taschenbuch 126) (München - Hamburg 1968) 18ff; J. Gnilka, Jesus Christus nach frühen Zeugnissen des Glaubens (München 1970) 159ff; ferner A. Vögtle, Exegetische Erwägungen über das Wissen und Selbstbewußtsein Jesu (1962), in: ders., Das Evangelium und die Evangelien (Ges. Aufs.) (Düsseldorf 1971) 296-344; M. H engel, Nachfolge und Charisma (BZNW 34) (Berlin 1968) 70ff 77f. Problematisch bleibt die Erörterung des Problems bei Jeremias, Theologie I, 259ff, weil hier nachösterliche Tradition zu stark rur Jesu eigenes Hoheitsbewußtsein in Anspruch genommen wird. 111 Es ist zweifellos sachgemäßer, diesen Anspruch Jesu näher zu beschreiben, als ihn mit traditionellen Erwartungsmodellen in eine Beziehung partieller übereinstimmung bzw. Abweichung zu bringen; dieser Aufgabe sah sich erst die Urchristenheit konfrontiert, die daher die überkommenen Heilbringervorstellungen in starkem Maße umformte. 112 Vgl. dazu meine bereits genannte Untersuchung: Christologische Hoheitstitel, ferner: R. H. Fuller, The Foundations of New Testament Christology (London 1965), bes. 102ff 142ff; R. Schnackenburg, Christologie des Neuen Testaments, in: Mysterium Salutis (hrsg. von J. Feiner - M. Löhrer) III/l (Einsiedeln 1970) 227-388.
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Wirkens bedeuten konnte l13 . Denn zum Auftreten Jesu gehört nicht nur die Tatsache, daß seine Gegner aufgrund der Konflikte die Hinrichtung veranlaßten, sondern daß er selbst offensichtlich von Anfang an bereit war, den Weg zum Kreuz zu gehen. Sein Anspruch gründet in seinem Gottesverhältnis. Wo es um ein so uneingeschränktes Verhältnis zu Gott als Vater und Auftraggeber wie in Jesu Wirken geht, kann dessen Sterben nicht außerhalb dieser Relation stehen, ist daher nicht abgesehen von diesem Gottesverhältnis zu verstehen 114.
4. Ergebnisse Zweierlei sollte in diesem Teil deutlich werden: einmal die Probleme, die mit einer Kriteriologie und einem Gesamtentwurf verbunden sind, die daher bei jedem Rekonstruktionsversuch beachtet werden müssen; zum andern sollten die konkreten Ansatzpunkte für die Wiedergewinnung eines möglichst getreuen, der vorösterlichen Zeit entsprechenden Bildes der Geschichte und der Person Jesu hervorgehoben werden, wobei, wie wir gesehen haben, seine unmittelbare Wirkung auf die Zeitgenossen eine besondere heuristische Funktion hat. Die gegebene Skizze bedarf einer Ausführung und einer genaueren Begründung, ich wollte aber damit zeigen, daß es bei dem augenblicklichen Forschungsstand, trotz vieler unerledigten Aufgaben, durchaus möglich ist, anhand solcher grundlegenden Sachverhalte immerhin schon zu einem relativ brauchbaren Gesamtbild der Geschichte Jesu zu kommen 115. Der Mißerfolg der Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts hat zu der unaufgebbaren Erkenntnis geführt, daß es nicht möglich ist, das Leben J esu im Sinne einer modernen Biographie nachzuzeichnen, weil "biographisches" Material in der überlieferung weitgehend fehlt. Die seitherige Diskussion, vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, hat darüber hinaus ergeben, daß man weder isoliert nach Ich verweise auf die in Anm. 71 und 77 genannten Arbeiten von H. Schürmann und N. A. Dahl. 114 Zum Gottesverhältnis vgl. W. Thüsing, Das Gottesbild des Neuen Testaments, in: Die Frage nach Gott (hrsg. von J. Ratzinger, QuDisp 56) (Freiburg i. Br. 1972) 59-86, dort 77ff. l1S Die beste Darstellung der vorösterlichen Geschichte Jesu, die wir zur Zeit besitzen, ist die von Bornkamm, Jesus von Nazareth. 113
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Jesu Verkündigung noch nach seinem Verhalten oder nach seinem Selbstbewußtsein fragen kann, um jeweils von dort aus ein Verständnis zu erzielen. Die noch längst nicht hinreichend gelöste Aufgabe besteht darin, eine bis ins Detail ausgearbeitete ganzheitliche Deutung der geschichtlichen Person Jesu und seines Auftretens zu gewinnen, die den verschiedenen Komponenten seines Auftrags, der Verkündigung der anbrechenden Gottesherrschaft, der Auseinandersetzung über das Gesetz, der Konstituierung einer Nachfolgegemeinschaft, der ethischen Forderung, aber auch den verschiedenen Formen seines Handelns und seiner Bereitschaft, aufgrund des Konfliktes den Tod auf sich zu nehmen, voll gerecht wird und die es überdies erlaubt, möglichst alle Einzelzüge aus der auf die vorösterliche Geschichte zurückweisenden Jesusüberlieferung aufzugreifen und verständlich zu machen 116.
III. RELEVANZ DER RüCKFRAGE
Wir haben uns im ersten Teil mit den Schwierigkeiten eines historischen Rückgangs auf die vorösterliche Geschichte Jesu befaßt, haben im zweiten Teil die Möglichkeiten der Rekonstruktion seines irdischen Wirkens behandelt, haben aber bisher die Frage zurückgestellt, ob es denn theologisch überhaupt legitim sei, nach dem "historischen J esus" zu suchen. Unbestreitbar ist doch die Tatsache, daß das Neue Testament den vorösterlichen Jesus in diesem Sinne nicht kennt und daß eine jahrhundertelange kirchliche Tradition einen lebendigen Glauben vermitteln konnte, ohne dabei die historische Rückfrage in unserem Sinne zu stellen. Erst seit der Aufklärungszeit ist in dieser Hinsicht ein Wandel eingetreten. Aber betrifft die veränderte Fragestellung unBei dieser ganzheitlichen Schau darf man nicht nur davon ausgehen, daß eine relativ einheitliche Konzeption vielfältig weiterentwickelt worden ist, sondern umgekehrt muß man auch berücksichtigen, daß ein sehr komplexer Sachverhalt in nachösterlicher Zeit in gewisser Weise aufgelöst und vereinfacht werden konnte; vgl. da/li Schille, Prolegomena Sp. 483 485. Das heißt also, daß ich methodisch innerhalb der Ver"ündigung Jesu wie innerhalb der Verkündigung der Urkirche mit einem kompli/.ierten Sachgefüge rechnen muß und erst nach sorgfältigen Einzeluntersuchungen bestimmte Beziehungen genauer erkennen kann. Vgl. auch W. G. Kümmel, Diakritik zwischen Jesus und dem Christusbild der Urkirche, in: ders., Heilsgeschehen und Geschichte, 382-391. 116
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sere eigentliche theologische Problematik? Ist vielleicht zu Recht die These aufgestellt und vertreten worden, daß der mit Hilfe moderner wissenschaftlicher Kritik durchgeführte Rückgang auf den vorösterlichen J esus zwar historisch wichtig und aufschlußreich, aber sachlich ohne Belang sei, weil sonst der Glaube in einer falschen Weise begründet und zudem von den Ergebnissen der Wissenschaft abhängig gemacht werde?117 Man hat auf verschiedene Art versucht, die Rückfrage zu rechtfertigen. Doch ist sehr genau zu überlegen, wieweit die gegebenen Begründungen theologisch stichhaltig sind. Es genügt sicher nicht, zu sagen, daß uns durch die moderne geistes geschichtliche Entwicklung Möglichkeiten zugewachsen oder gar aufgezwungen worden sind, die daher um der intellektuellen Redlichkeit willen auch für unser theologisches Bemühen Relevanz erhalten müssen. Zweifellos dürfen wir hier insofern nicht ausweichen, als neuaufgebrochene Probleme unter allen Umständen eine Antwort von uns erheischeh. Aber nicht das Aufkommen der modernen historischen Kritik enthält in sich bereits eine theologisch akzeptable Legitimation. Die theologische AufgabensteIlung fängt vielmehr erst dort an, wo von der Sache selbst her aufgezeigt werden kann, warum ich mich der Möglichkeiten der historischen Analyse bediene. Die mir neu zugefallene Aufgabe muß also genuin theologisch angegangen und präzisiert werden. Das betrifft zudem nicht bloß die Auswertung der Ergebnisse einer historischen Rückfrage, es betrifft das gesamte Methodenproblem. Denn erst wenn ich genau sagen kann, mit welchem Ziel und unter welchen Voraussetzungen ich die Eruierung der vorösterlichen Jesustradition durchführe, kann ich ein Methodenkonzept entwickeln, das der hierbei gestellten theologischen Aufgabe gerecht wird. Nun soll allerdings von vornherein betont werden, daß ebenso wie das generelle Ja oder Nein zur historischen Rekonstruierbarkeit der vorösterlichen Geschichte J esu auch die Alternative, ob die Rückfrage nach Jesus theologisch legitim sei oder nicht, falsch ist und eine unzulässige Vereinfachung des Problems darstellt. Der Rückgang auf den vorösterlichen Jesus kann, je nachdem wie die Fragestellung durchgeführt wird, theologisch ebenso abwegig wie in höchstem Maße berech117 Vgl. z. B. R. Bultmann, Das Verhältnis der urchristlichen Christusbotschaft zum historischen Jesus (1960), in: deTS., Exegetica (Tübingen 1967) 445-469, bes. 450ff.
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tigt und notwendig sein. Um hier wirklich weiterzukommen, gilt es, den Bereich eines theologisch sinnvollen Fragens überhaupt erst einmal sorgsam abzustecken.
1. Problematik der historischen Rückfrage Wir sind bisher insofern unreflektiert an die Aufgabe einer Rekonstruktion der Geschichte Jesu herangegangen, als wir uns über die bestehenden sachlichen Probleme noch keine Gedanken gemacht haben. Die Rückfrage nach Jesus ist aber in theologischer Hinsicht allein schon deswegen vor erhebliche Schwierigkeiten gestellt, weil einige Implikationen, die starkes Gewicht haben, dabei zur Auswirkung kommen und kritisch untersucht werden müssen. Es darf ja nicht übersehen werden, daß sich allein schon mit der Bestimmung des Zieles, um dessentwillen die Rekonstruktion der Geschichte Jesu durchgeführt wird, Vorentscheidungen verbinden und daß darüber hinaus auch mit der historisch-kritischen Analyse selbst bestimmte Prämissen verbunden sind. über die Zielsetzung muß man sich in jedem Falle Rechenschaft ablegen, und die immanenten Probleme des methodischen Verfahrens sollten zumindest bedacht und nach Möglichkeit unwirksam gemacht werden. a) Wenden wir uns zunächst der Zielbestimmung zu, so stoßen wir auf charakteristische Grundmodelle, die seit dem erstmaligen Auftauchen der Frage nach dem "historischen Jesus" im 18. Jahrhundert nacheinander aufgetreten und bis heute zu beobachten sind 118. Die Forderung eines Rückgangs auf die "Quellen" - nicht nur im literarischen, sondern auch im historischen Sinn - ist sehr viel älter. Sie spielte bereits im Humanismus und in der Reformationszeit eine wichtige Rolle und diente der Auseinandersetzung mit einer übermächtigen Tradition. Diese Forderung gewann in der Aufklärungszeit deshalb wieder eine hohe Aktualität, weil das veränderte Bewußtsein einen neuen Zugang zu den Quellen und damit eine neue Auswertung derselben für möglich hielt. Das Prinzip des Rückgangs auf die Quellen hat allerdings die überzeugung anfangs nicht tangiert, daß diese Quel118 Ich verweise hierzu auf das wichtige Buch von R. Slenczka, Geschichtlichkeit und Personsein Jesu Christi (Forsch. z. syst. u. ökum. Theol. 18) (Göttingen 1967), bes. die Teile I und II, wo speziell im Blick auf die J esusforschung des 18. und 19. J ahrhunderts die Frage der dogmatischen Vorentscheidungen ausführlich erörtert wird.
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len eine unmittelbare Gegenwartsbedeutung haben. Doch gerade hier tauchte alsbald ein Problem auf, sofern Geschichte und Gegenwartsbezug, wie Lessing klar herausstellte, dadurch in eine gewisse Spannung gerieten, daß "zufällige Geschichtswahrheiten" und "notwendige Vernunftwahrheiten" konfrontiert wurden 119. Das bedeutete aber einerseits, daß die Frage nach dem "historischen Jesus" damals letztlich gar nicht aus einem eigentlich historischen Interesse erwachsen ist und daß andererseits die Vernunftgemäßheit das eigentliche Kriterium wurde, das auch den Gegenwartsbezug sicherzustellen hatte. Damit war für die Folgezeit das Thema der Kontingenz geschichtlicher Ereignisse wie der Funktion der menschlichen Vernunft aufgeworfen, und bis in unsere Zeit ist dieser Ansatz, der das geschichtlich Bedingte am Maßstab der menschlichen Vernunft mißt, wirksam geblieben. Dementsprechend wird Jesus als Protagonist der sich durchsetzenden und emanzipierenden menschlichen Vernunft verstanden 120. Anders lagen die Dinge im 19. Jahrhundert. Hatten schon Idealismus und Romantik eine Intensivierung des Geschichtsbewußtseins erreicht, so hat der Positivismus dazu geführt, daß das historische Denken neben den aufkommenden Naturwissenschaften in den Vordergrund trat. Man versuchte ja, für das Verständnis von Mensch und Welt eine möglichst "objektive" Basis zu finden, und bemühte sich um Aufhellung der Gegebenheiten, die sicher erkennbar und verifizierbar sind. Nicht zufällig kam es damals zur konsequenten Ausbildung der historisch-kritischen Methode. Die Problematik des Historismus und seines Wirklichkeitsverständnisses wurde erst relativ spät erkannt. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß auch dann grundlegende Elemente des Positivismus festgehalten worden sind und daß dies vor allem in der totalen Beschränkung auf das innerweltliche Geschehen nachwirkt. Im Rahmen der historischen Rückfrage nach Jesus bedeutet dies, daß die bloße Menschlichkeit ausschlaggebend ist und er primär im Horizont seiner eigenen Zeit und Denkweise gesehen wird 121. In der Schrift: über den Beweis des Geistes und der Kraft, 1777. Vgl. A.Schweitzer, Die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung (Tübingen 61950) 27ff. Entsprechend kann Niederwimmer, Jesus, 7, die Bibelkritik als "eine Aktion der kritischen Vernunft" bezeichnen. 121 Bezeichnend für diese Haltung ist beispielsweise H. Braun, Jesus (Stuttgart 1969)
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Um die Schwierigkeiten einer ausschließlich positivistischen Erfassung des Historischen zu überwinden, hat sich die existentiale Interpretation darum bemüht, ein das Faktische übergreifendes geschichtliches Denken zum Tragen zu bringen. Ihr geht es darum, in der "Begegnung" mit Erscheinungen vergangener Zeit Erkenntnisse für eigene Existenzmöglichkeiten zu finden. Auf diese Weise sollte vor allem der im Historismus problematisch gewordene Gegenwartsbezug geschichtlicher Ereignisse zurückgewonnen werden. Interessanterweise setzte die existentiale Interpretation innerhalb des Neuen Testaments beim urchristlichen Kerygma ein und stellte sich erst in einem zweiten Schritt der Rückfrage nach Jesus 122. Das Problem ist, wieweit die hierbei vorausgesetzte Anthropologie den biblischen Aussagen voll gerecht werden kann 123. Auch abgesehen von der existentialen Interpretation wird immer häufiger die Frage aufgeworfen, ob es nicht unerläßlich sei, im Zusammenhang des Gegenwartsbezugs der christlichen Botschaft das Menschsein Jesu stärker in den Blick zu fassen und sich dabei der Erkenntnisse der modernen Wissenschaft zu bedienen. Es gehe jedoch nicht um das pure Menschsein, wohl aber um das vere homo des christlichen Bekenntnisses. Doch müsse man in viel höherem Maße als früher ernst machen mit dem Menschen Jesus l24 . Hier wird also im Rahmen 10 f, wo festgestellt wird: "Der wirkliche Mensch J esus ist die eindeutige Basis des N euen Testaments ... Wenn Jesus ein wirklicher Mensch war, so hat er in einer bestimmten Zeit und in einer bestimmten Umgebung gelebt ... Daher fragen wir: ,Wer war Jesus von Nazareth?'." Dazu vgl. P. Stuhlmacher, Kritische Marginalien zum gegenwärtigen Stand der Frage nach J esus, in: Fides et communicatio (Festschrift für M. Doerne) (Göttingen 1970) 341-361, bes. 350ff 360ff. Auf der anderen Seite darf nicht vergessen werden, daß es gerade die konsequente historische Forschung war, die etwa die Eigenart der Eschatologie Jesu entdeckte; vgl. J. Weiß, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes (Göttingen [1892] 31964). 122 Das gilt einerseits für die zahlreichen Veröffentlichungen von R. Bultmann, andererseits für die Arbeiten von E. Fuchs, Zur Frage nachdem historischen Jesus (Ges. Aufs. II) (Tübingen 1960); ders., Jesus. Wort und Tat (Tübingen 1971); G. Ebeling, Wort und Glaube! (Tübingen 31967), bes. 203-254 300-318. Hierher gehörtferner J. M. Robinson; dazu vgl. Anm. 129. 123 Dabei soll nicht übersehen werden, daß die genannten Theologen einen entscheidenden Beitrag zur Diskussion über die historische Jesusfrage geleistet haben. Vor allem haben sie sich auch dem Problem der theologischen Berechtigung der Rückfrage nach Jesus gestellt. Im einzelnen muß ich hier auf eine Würdigung und Kritik verzichten. 124 Vgl. z. B. J. Blank, Jesus von Nazareth. Geschichte und Relevanz (Freiburg i. Br. 1972) 5ff 13f: sowenig der "historische Jesus" und der "Christus des Glaubens" zu trennen sei, so sei doch die menschliche Person Jesu von "äußerstem Interesse". Schäfer,
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der kirchlichen Tradition die Rückfrage gestellt und der Versuch einer Integration der historischen Jesusforschung in die Christologie unternommen. Aber es ist doch sehr zu überlegen, ob sich die moderne Rückfrage nach J esus so einfach mit einem traditionellen Konzept vereinigen läßt. Anders gesagt: Ist es denn wirklich dasselbe, wenn ich im Sinne des Dogmas nach dem vere homo und wenn ich im Sinne moderner Forschung nach dem "historischen Jesus" frage? Hier bedarf es offensichtlich weiterer Klärung. Aber zunächst geht es darum, sich über die dogmatischen Implikationen in all diesen Modellen nicht zu täuschen. Da sich jeweils wesentliche Vorentscheidungen auswirken, ist sehr genau zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen die Rückfrage nach Jesus sachgemäß gestellt werden kann. b) Unabhängig von den dogmatischen Prämissen, mit denen der einzelne Forscher ans Werk geht, ist zu beachten, daß bei der historisch-kritischen Methode selbst, die für die Analyse der J esustradition unerläßlich ist, erhebliche sachliche Implikationen im Spiele sind. Gerade deswegen ist es schwierig, mit wenigen Worten zu sagen, wie es mit der theologischen Relevanz der damit durchgeführten Rückfrage nach Jesus steht. Nur muß vor jedem kurzschlüssigen Verfahren gewarnt werden. Ich will jetzt nicht in extenso auf die immanenten Probleme der historisch-kritischen Methode eingehen, zumal ich mich darüber an anderer Stelle geäußert habe 125. Es ist aber in jedem Fall darauf hinzuweisen, daß die historische Jesusforschung ein Musterbeispiel dafür ist, daß man mit Hilfe einer solchen Methode weitreichende und förderliche Erkenntnisse gewinnen kann, aber zugleich einer letztlich inadäquaten Tendenz dieser Methode Tribut zollen muß. Nur auHolgendes sei kurz hingewiesen: Die historische Kritik zielt als solche auf Distanzierung, d.h., sie läßt den Unterschied zwischen Einst und Jetzt nicht nur sichtbar werden, sondern hebt ihn bewußt hervor. Es gehört ja zum Wesen historischer Forschung, den untersuchten Gegenstand aus seiner eigenen, für uns vergangenen Zeit zu beleuchten und verständlich zu machen. Hinzu kommt, daß die historisch-kritische Methode Jesus, 111, der den Mangel eines "aIIerwärts anerkannten Jesusbildes der historischen Forschung" bedauert: "Ohne ein Bild des historischen Jesus kann es aber heute schwerlich mehr eine Christologie geben." 125 F. Hahn, Probleme historischer Kritik, in: ZNW 63 (1972) 1-17.
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die einzelnen Erscheinungen nur aus ihren unmittelbaren kausalen Verknüpfungen zu erklären versucht und übergreifende Bezugspunkte ausschaltet. Eine durch historische Kritik erreichte Verfremdung von Texten und Sachverhalten mag hilfreich sein, wenn sie uns aus dem Bereich des Gewohnten herausführt und aufmerken läßt; sie kann aber auch so dominieren, daß ein unmittelbarer Gegenwartsbezug gar nicht mehr erkennbar wird. Albert Schweitzer hat den Sachverhalt ausgezeichnet beschrieben: "Es ist der Leben-Jesu-Forschung merkwürdig ergangen. Sie zog aus, um den historischen J esus zu finden, und meinte, sie könnte ihn dann, wie er ist, als Lehrer und Heiland in unsere Zeit hineinstellen. Sie löste die Bande, mit denen er seit Jahrhunderten an den Felsen der Kirchenlehre gefesselt war, und freute sich, als wieder Leben und Bewegung in die Gestalt kam und sie den historischen Menschen J esus auf sich zukommen sah. Aber er blieb nicht stehen, sondern ging an unserer Zeit vorüber und kehrte in die seinige zurück." 126 Historie, wie sie mit Hilfe der kritischen Methode erarbeitet wird, wird zur "erstarrten Geschichte" 127. Für das Neue Testament ist umgekehrt der Gegenwartsbezug der eigentlich entscheidende Aspekt. Insofern läuft also die historisch-kritische Methode der Intention der untersuchten Texte zuwider. Dieses Problem ist in vielen Fällen nicht beachtet worden, weshalb unreflektiert eine Aktualisierung vorgenommen wurde, indem die Exegeten unter der Hand moderne Verstehenskategorien und Fragestellungen einführten. Albert Schweitzer hat mit scharfem Blick erkannt und herausgestellt, daß der "historische Jesus" in dem Augenblick, wo er von dem "Felsen der Kirchenlehre" gelöst wird, in den Bannkreis der Leitbilder der je eigenen Zeit der Interpreten gerät 128. Nun hat man nach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem im Anschluß an Ernst Käsemanns programmatischen Aufsatz von 1954, von der "neuen Frage nach dem historischen Jesus" gesprochen, weil man die Schweitzer, Leben-Jesu-Forschung, 63lf. Käsemann, Problem des historischen Jesus, 194f. 128 Schweitzer, Leben-Jesu-Forschung, 633 H. Man hat dieses 1906 erstmals erschienene Buch den Grabgesang auf die Leben-Jesu-Forschung genannt, aber man könnte inzwischen einen mindestens ebenso dicken zweiten Band schreiben. An die Stelle der Bilder von Jesus als dem optimistischen Aufklärer, dem nüchternen Rationalisten, dem naturverbundenen Romantiker, dem glühenden eschatologischen Schwärmer würden heute die Bilder treten von Jesus als dem Gesellschaftskritiker, dem Sozialreformer, dem Kämpfer gegen Unterdrückung, Sklaverei und Ausbeutung, dem Revolutionär usw. 126 127
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Irrwege der früheren Theologie meinte vermeiden zu können. Für fames Robinson, der mit seinem Buch "Kerygma und historischer Jesus" erstmals das Stichwort von der "neuen Frage" ausgab 129, und für viele andere bestand kein Zweifel, daß man aus dem theologischen Ansatz der kerygmatischen Theologie - innerhalb der neutestamentlichen Exegese maßgebend vertreten durch Rudolf Bultmann - so viel gelernt habe, daß man jetzt sachgemäßer an die ganze Fragestellung herangehen könne. Sachgemäßer deshalb, weil man annahm, daß fortan von der Prävalenz des Kerygmas oder zumindest von dessen unabdingbarer Zuordnung zur Frage nach dem historischen Jesus nicht mehr abzusehen sei 130. Es war aber eine erhebliche Täuschung, wenn man damals voraussetzte, daß die Frage nach dem historischen Jesus aus dieser Korrelation gleichsam nicht mehr entlassen werden könne. Heute wird in vielen Fällen vom historischen J esus gesprochen, als hätte es die ganze Diskussion um Bultmann nie gegeben, und die mit viel Interesse und Intensität behandelte Rückfrage nach Jesus droht weithin wieder in einer Sackgasse zu enden. Damit ist keineswegs gemeint, daß wir unter allen Umständen an Bultmanns theologischer Konzeption festhalten müßten, wohl aber geht es darum, daß der von ihm mit unbestechlicher Klarheit erkannte und bewußtgemachte Sachverhalt nicht umgangen werden darf. c) Damit wird ein Kernproblem sichtbar, nämlich die immer noch nicht hinreichend bedachte Frage, wieweit der für das Neue Testament bezeichnende Zusammenhang zwischen der Geschichte Jesu und dem nachösterlichen Kerygma überhaupt aufgelöst werden darf. Offen-
129 J.M.Robinson, Kerygma und historischer Jesus (Zürich [1960] 21967); ursprüngliche englische Fassung: A New Quest of the Historical Jesus (StudBiblTheol25) (London 1959). 130 Schon bald nach dem ersten Erscheinen des Buches von Robinson wurde skeptisch zurückgefragt, ob es sich tatsächlich um einen neuen Ansatz handle; vgl. A. van Harvey - Sch. M. Ogden, Wie neu ist die "neue Frage nach dem historischen Jesus"?, in: ZThK 59 (1962) 46-87. Zur Diskussion im amerikanischen Bereich vgl. Perrin, Was lehrte Jesus, 253ff 269ff; H. C. Kee, Jesus in History (New York 1970), bes. 263ff; J. Reumann, Jesus in the Church's Gospels: Modern Scholarship and the Earliest Sources (London 1970); L. E. Keck, A Future for the Historical Jesus (London 1972). Für die englische Forschung vgl. C. F. D. Moule, The Phenomenon of the New Testament (StudBiblTheol II/1) (London 1967) 43ff 56ff; C. H. Dodd, The Founder of Christianity (London 1971); außerdem C. F. Evans, 1s 'the Jesus of History' Important?, in: ders., 1s 'Holy Scripture' Christian? (London 1971) 51-i>3, bes. 57ff.
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sichtlich ist nur von da aus zu einer dem biblischen Zeugnis angemessenen und theologisch sachgerechten Näherbestimmung der Rückfrage nach Jesus zu kommen. Das schließt weder eine Auseinandersetzung mit der jahrhundertealten Kirchenlehre aus, noch ist damit von vornherein die historische Bemühung um den vorösterlichen J esus als unerlaubt gekennzeichnet. Ebensowenig kann das urchristliche Kerygma bei seiner Vielfalt einfach als feste Größe angesehen werden, die unkritisch übernommen werden müßte 131. Aber man wird der Aufgabe der Rückfrage nach Jesus dann nicht gerecht, wenn man meint, mit Hilfe der historisch-kritischen Exegese sei nur Mörtel vom ursprünglichen Mauerwerk abzuschlagen und auf das nachösterliche Kerygma könne dabei verzichtet werden. Es sollte beachtet werden, daß dort, wo wir Antworten in Fragen umsetzen, um selbst darauf neu antworten zu können, die Frage nicht von vornherein gestellt ist.
2. Zum Begriff "Der historische Jesus" An dieser Stelle empfiehlt es sich, einen Augenblick innezuhalten und zu fragen, ob die gängige Terminologie ausreicht, das sachliche Problem in der nötigen Präzision zu formulieren. Mit dem gebräuchlichen Begriffsapparat ist ja meist auch schon eine bestimmte methodische Entscheidung getroffen. Der Begriff "historischer Jesus" ist seit langem eingebürgert und hat sich weithin durchgesetzt. Obwohl es einige sehr exakte Definitionen dafür gibt, ist zu beobachten, daß er häufig in einer unklaren oder ausgesprochen schillernden Weise gebraucht wird. Das wird am deutlichsten dort, wo gesagt werden kann, die "Frage nach dem historischen Jesus" sei so alt wie das Christentum und ein Interesse am "historischen Jesus" sei bereits in der urchristlichen überlieferung nachzuweisen 132. Aber sind derartige Aussagen brauchbar und zulässig? 131 Man sollte allerdings vorsichtig sein mit der Behauptung, durch Rückgang hinter die Texte des Neuen Testaments auf Jesus werde die Einheit des vielfältigen Zeugnisses der nachösterlichen Zeit sichtbar. Das gilt zwar im prinzipiellen Sinne, als das urchristliche Zeugnis in der Person Jesu seine Mitte hat, gilt aber nicht in dem Sinne, daß durch die historische Rückfrage nach dem vorösterlichen J esus diese Einheit einfach erhoben werden könne. VgJ. W. Pannenberg, Grundzüge der Christologie (Gütersloh 41972) 15ff. 132 Vgl. z. B. F. Mußner, Christologische Homologese und evangelische Vita Jesu, in:
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Wenn wir vom "historischen Jesus" sprechen, handelt es sich doch, um die Definition aus dem Forschungsbericht von Peter Biehl zu zitieren, "um Jesus, sofern er zum Objekt historisch-kritischer Forschung gemacht werden kann" 133. Das heißt also : Wo ich vom "historischen Jesus" spreche, setze ich sowohl das historische Bewußtsein der Moderne wie auch das in der Neuzeit erschlossene methodische Instrumentarium voraus. Darum kann Gerhard Ebeling formulieren: "Historischer Jesus" sei eine "Abkürzung für: Jesus, wie er bei strenger historischer Methode zur Erkenntnis kommt, entgegen den etwaigen Veränderungen und übermalungen, die er im Jesus-Bild der Tradition erfahren hat" 134. Wenn er ergänzt, "historischer Jesus" meine soviel wie "der wahre, der wirkliche Jesus", dann müßte einschränkend noch hinzugefügt werden: im Sinne des neuzeitlichen Wirklichkeitsverständnisses. Es ist davon auszugehen, daß wir diesem Wirklichkeitsverständnis wenn nicht verfallen, so doch verpflichtet sind, also in dieser Weise auch unsere historische Erkenntnis gewinnen müssen; und das tun wir in der Exegese ebenso beim urchristlichen Kerygma wie beim vorösterlichen Jesus. Es sollte aber feststehen, daß die Rede vom "historischen Jesus" nicht einfach nur den Jesus der Geschichte meint, sondern zugleich eine bestimmte Art der Betrachtung mit einschließt. Es ist jedoch etwas anderes, ob ich von meiner modernen historischen Betrachtungsweise und Erkenntnis ausgehe und nach deren möglicher theologischer Relevanz frage oder ob ich diese Betrachtungsweise einfach mit der biblischen identifiziere. Dann kann ich natürlich relativ leicht aus der Relevanz der dortigen Jesusüberlieferung auch eine Relevanz für meine moderne Frage nach dem "historischen Jesus" ableiten. Aber nicht ohne Grund hat schon Martin Kähler gegenüber dem "sogenannten historischen Jesus" für den "geschichtlichen, biblischen Christus" plädiert und dabei entgegen moderner Fragestellung die Einheit von Geschichte und Kerygma im neutestament-
Zur Frühgeschichte der Christologie (hrsg. von B. WeIte, QuDisp 51) (Frei burg i. Br. 1970) 59-73, dort 66. 133 P. Biehl, Zur Frage nach dem historischen Jesus, in: ThR NF 24 (1956/57) 54-76, dort 55. 134 G. Ebeling, Die Frage nach dem historischen Jesus und das Problem der Christologie, in: ders., Wort und Glaube (Ges. Aufs.) I (Tübingen 31%7) 300-318, dort 303.
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lichen Zeugnis hervorgehoben 135. Nun hat die Diskussion um Bultmanns Hermeneutik gezeigt, wie wenig eine Unterscheidung der Begriffe "historisch" und "geschichtlich" einbringt, zumal dann, wenn der Begriff des Historischen an der Faktizität und der des Geschichtlichen an der Existentialstruktur der Geschichtlichkeit orientiert ist, also beiderseits moderne Auffassungen eine Rolle spielen. "Geschichtlich" muß m. E. ein Allgemeinbegriff bleiben, und er ist es auch in der Regel. Wie kann man dann aber am besten den neutestamentlichen Sachverhalt beschreiben? Es bestehen mehrere Möglichkeiten: Hat man traditionsgeschichtliche Probleme im Auge, empfiehlt sich die Gegenüberstellung von "vorösterlichem Jesus" und "nachösterlicher Gemeinde". Hat man dagegen das spezifisch christologische Interesse der urchristlichen Verkündigung im Blick, dann sollte man von "irdischem Jesus" und von Jesus als dem "erhöhten Herrn" sprechen. Es kann gar nicht bestritten werden, daß für die gesamte urchristliche Verkündigung ein verschieden großes und verschieden artikuliertes, aber doch grundlegendes Interesse am "irdischen Jesus" besteht. Aber es wäre ein Fehler, wollten wir das sofort gleichsetzen mit unserer Frage nach dem "historischen Jesus"136. Die terminologische Problematik betrifft nun aber auch den Begriff "historischer Jesus" selbst. Gerade weil hier auf Jesus in seiner konkreten vorösterlichen Geschichte zurückgegangen werden soll, zugleich aber eine bestimmte Art der Betrachtung und des Zugangs zum Ausdruck gebracht wird, fragt es sich, ob diese Begriffsbildung sehr glücklich ist. Reinhard Slenczka hat vorgeschlagen, statt dessen von der "historischen J esusfrage" zu sprechen, und diese Anregung sollte man 135 M. KähleT, Der sogenannte historische Jesus und der geschichtliche, biblische Christus (1892) (Neudruck München 1953). 136 Exegetisch unbrauchbar sind übrigens die Korrelatbegriffe "historischer J esus" und "kerygmatischer Christus", jedenfalls dann, wenn nicht die christologische Gegenwartsproblematik, sondern die neutestamentliche Fragestellung damit verdeutlicht werden soll. Denn weder geht es dort um den Gegensatz des "Historischen" zum "Kerygmatischen" noch um ein Gegenüber von "Jesus" und "Christus", vielmehr gerade darum, daß der irdische Jesus zugleich der als Chrisrus verkündigte Jesus ist. Konsequent gedacht, ist der "kerygmatische Christus" in dieser Korrelation eine mythische Gestalt. Ebenso sollte man auch vorsichtig sein, den "Christus des Glaubens" dem "historischen Jesus" zu konfrontieren, weil die vorausgesetzte Identität des geglaubten Christus mit dem irdischen Jesus hierbei nicht genügend zum Ausdruck kommt. Vgl. G. Delling, Der "historische Jesus" und der "kerygmatische Christus", in: ders., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum (Ges. Aufs.) (Göttingen Berlin 1970) 176-202.
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in der exegetischen Forschung unter allen Umständen aufgreifen 137. Dann vermeiden wir, vom "historischen Jesus" dort zu reden, wo wir den irdischen Jesus der urchristlichen Verkündigung meinen, und können zugleich deutlich machen, daß es uns in unterschiedlicher Weise um ein und denselben Jesus der vor österlichen Zeit geht. Wir bringen dann Einheit und Verschiedenheit unserer Fragestellung mit der urchristlichen zum Ausdruck, sofern es uns um den gleichen "Gegenstand", aber um eine von modernen Voraussetzungen abhängige Art der "Betrachtung" geht. Walter Schmithals hat in einer Auseinandersetzung über das Problem des historischen Jesus mit Recht hervorgehoben, daß es sich bei dem "historischen Jesus" ebenso wie bei dem "biblischen Christus" um einen "dogmatischen Jesus" handle 138. Er stellt dies fest aufgrund der modernen Prämissen, die bei der historischen Jesusfrage im Spiele sind. Lassen wir die Konsequenzen, die er zieht, an dieser Stelle beiseite, wichtig ist, daß der Begriff "historischer Jesus" zumindest nicht mehr unreflektiert verwendet werden sollte. Besser wäre es, wir würden auf ihn ganz verzichten, um einerseits vom "vorösterlichen" bzw. vom "irdischen Jesus" zu sprechen und um andererseits unser modernes exegetisches Bemühen als "historische Jesusfrage" zu bezeichnen. 3. Das urchristliche Interesse an der Geschichte Jesu
Die entscheidende Aufgabe, vor die die Exegese angesichts der historischen J esusfrage gestellt ist, beruht darin, das Verhältnis von vorösterlichem Jesus und Christusverkündigung der Urgemeinde sachgemäß zu bestimmen. Genauer: es muß untersucht und aufgezeigt werden, wie es überhaupt zu jener Bindung an den "Felsen der Kirchenlehre", das urchristliche Kerygma und das spätere Dogma, gekommen ist und welche Bedeutung dieses Zusammenwachsen hat. Gerade an diesem Punkt können wir mit Hilfe der historischen Kritik wichtige Einsichten erwarten. Von hier aus wäre dann auch eine Antwort auf die Frage nach der theologischen Relevanz der historischen Jesusfrage zu suchen. Slenczka, Geschichtlichkeit, 22ff 138ff. W. Schmithals, Antwort an Theodor Lorenzmeier, in: ders., Jesus Christus in der Verkündigung der Kirche (Ges. Aufs.) (Neu kirchen - Vluyn 1972) 80-90, dort 82 (ursprünglich in: EvKomm 3 [1970] 296ff). 137
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Wir müssen uns allerdings im klaren sein, daß wir mit der Rekonstruktion der vorösterlichen Geschichte J esu einen "Schritt zurück" vollziehen, den die Urchristenheit so nicht kennt, und zwar deshalb nicht, weil es ihr nicht um einen Schritt in die Vergangenheit, vielmehr um den entscheidenden Schritt vom irdischen Jesus zum auferstandenen Jesus, also um den "Schritt nach vorn", geht. Das heißt nun aber nicht, daß es im Neuen Testament keinerlei Interesse an der Geschichte Jesu gäbe. Vollzieht das Neue Testament nicht einen "Schritt zurück" in die vorösterliche Situation, um dabei zumindest zeitweise von allen folgenden Ereignissen abzusehen, so kennt es doch einen "Blick zurück" vom erhöhten zum irdischen Jesus. Das darin zum Ausdruck kommende Interesse an der Geschichte Jesu müssen wir kurz verdeutlichen, bevor wir auf die Frage nach der Relevanz unserer historischen Bemühungen um den vorösterlichen Jesus eine Antwort geben können. "Das Neue Testament bezeugt die Einheit von Jesus und Christus. Es trennt nicht den verkündigenden Jesus von dem verkündigten Christus, sondern bindet die Verkündigung J esu Christi an die Geschichte seines irdischen Lebens. Darum gehören die Geschichte und die Verkündigung Jesu Christi zusammen." Das ist der Leitgedanke des neuen Jesusbuches von Heinrich Zimmermann, das demzufolge mehr eine Christologie als eine Rückfrage nach Jesus ist 139 . Lassen wir hier einmal die Frage beiseite, wieweit der Verfasser damit den Problemen historischer Analyse, deren er sich zur Untersuchung des urchristlichen Kerygmas doch auch in reichem Maße bedient, voll gerecht wird. In jedem Falle sucht er im Sinne des Neuen Testaments zutreffend den Ausgangspunkt bei dem urchristlichen Bekenntnis und der darin zum Ausdruck kommenden Bindung des christlichen Glaubens an die Person Jesu 140 . a) Beim Bekenntnis kann kein Zweifel bestehen, daß der primäre Aspekt die Gegenwart des auferstandenen und erhöhten Herrn ist, ohne daß dabei die irdische Geschichte J esu aus dem Blick gerät. Der Unterschied zwischen der in den neutestamentlichen Briefen vorherrschenden Bekenntnistradition und der eigentlichen J esusüberlieferung darf, wie wir gesehen haben, nicht übertrieben werden. Beide Arten 139 140
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H. Zimmermann, Jesus Christus. Geschichte und Verkündigung (Stuttgart 1973) 9. VgI. auch seine Ausführungen a. a. O. 100 ff.
der Christusverkündigung haben nicht nur eine einzige Mitte 141, sie haben auch ein gemeinsames Interesse, das grundlegend darin besteht, die Identität des irdischen und auferstandenen Jesus festzuhalten 142. Darum gibt es für die Bekenntnistradition auch ganz bestimmte Haftpunkte in der vorösterlichen Geschichte Jesu, die regelmäßig wiederkehren: seine Sendung, seine Menschwerdung, sein Sterben 143. Hiermit soll die gesamte irdische Existenz umschlossen werden. Die Jesusüberlieferung hat demgegenüber ihre Eigenart darin, daß sie konkrete Einzelberichte über den irdischen Jesus bringt. Insofern kann man mit einem gewissen Recht sagen, daß die J esusüberlieferung im Unterschied zur Bekenntnistradition nicht nur an dem "Daß", sondern auch an dem "Wie" der irdischen Geschichte Jesu interessiert sei, aber sie tut es, um ebenfalls im Rahmen der Christusverkündigung die gegenwärtige Bedeutung dieser Geschichte zu verdeutlichen 144. b) Neben der Identität der Person des irdischen und erhöhten J esus spielt die Kontinuität eine wesentliche Rolle. An dieser Stelle hat es viel unnötigen Streit gegeben, indem die Frage nach Kontinuität und Diskontinuität allzu undiHerenziert erörtert worden ist. Ein Problem für sich, auf das wir früher schon eingegangen sind, ist die Traditionskontinuität, die zweifellos besteht, sich aber auch nicht ohne jeden Bruch vollzogen hat. Etwas anders steht es mit der Kontinuität im sachlichen Sinne. Daß hier Kontinuität besteht, ist für das neutestamentliche Zeugnis von grundlegender Bedeutung. Allerdings wird ebenso deutlich die tiefe Zäsur markiert, die mit Jesu Tod gegeben ist. Es geht somit hier nicht um eine innerweltliche Kontinuität, sondern um eine von Gott durch das Auferweckungshandeln neugeschaffene Kontinuität, die nicht den irdisch-geschichtlichen Bedingungen unterliegt 145 . 141 So Zimmermann, a.a.O. 70ff. 142 Vgl. oben S. 18 23ff 30f. 143 So z. B. Gal 4,4; Röm 1,3f; Röm 3, 24-26. 144 Vgl. hierzu E. Käsemann, Sackgassen im Streit um den historischen Jesus, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen II (Göttingen 41965) 31-68, bes. 49ff; E. Schweizer, Die Frage nach dem historischen Jesus, in: EvTh 24 (1964) 403-419, dort 410ff 417ff. 145 Zu diesem Problem sei verwiesen auf Käsemann, Sackgassen, 45f; Ebeling, Frage nach dem historischen Jesus, 312ff; Perrin, Was lehrte Jesus, 272ff 290; ferner auf E. Heitsch, Die Aporie des historischen Jesus als Problem theologischer Hermeneutik, in: ZThK 53 (1956) 192-210, dort 196ff 202ff.
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c) Neben der Identität der Person und der im Handeln Gottes gegebenen Kontinuität ist das urchristliche Interesse an der Geschichte des irdischen Jesus vor allem dadurch gekennzeichnet, daß deren Einmaligkeit festgehalten werden soll, und zwar im Sinne des Ein-fürallemal 146. Die Geschichte Jesu ist der bleibende Bezugspunkt der christlichen Verkündigung und des christlichen Glaubens. Angesichts der Kontingenz des Erdenlebens Jesu wird von Käsemann dabei zutreffend von der Kondeszendenz und dem bewußten Hinweis auf die Unverfügbarkeit und das extra nos des Heils gesprochen 147. d) Alle anderen Aspekte, die für ein spezielles Interesse der Urchristenheit an der Geschichte Jesu herausgestellt wurden, sind gegenüber diesen drei Grundmotiven sekundär. Das gilt für die antienthusiastische und die antidoketische Tendenz, die sich an einigen Stellen des Neuen Testaments erkennen lassen 148, wie auch für die zunehmende paränetische Verwendung der Jesusüberlieferung 149 . Es handelt sich gleichsam nur um Anwendungen und aktuelle Zuspitzungen jener Grundmotive. Das Gesagte gilt darüber hinaus aber auch gegenüber der Behauptung, im Neuen Testament lasse sich bereits ein eigentlich "historisches" Interesse nachweisen 150. Denn einerseits kann das mit einem gewissen Recht nur von Lukas gesagt werden, nicht dagegen von den anderen Evangelien oder gar von der Evangelientradition, andererseits ist auch das "historische" Interesse des Lukas nicht ohne weiteres mit unserem historischen Denken und Fragen vergleichbar, ließ sich daher in einem ganz anderen Maße in die bekenntnismäßigen Voraussetzungen integrieren. Man verbaut sich den Zugang zu dem 146 Vgl. Bornkamm, Jesus von Nazareth, 19f. 147 Käsemann, Problem des historischen Jesus, 200ff. 148 Käsemann, Sackgassen, 52ff 57. 149 Dibelius, Formgeschichte, 234ff. 150 Vgl. H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas (BHTh 17) (Tübingen 51964) 4ff; G. Strecker, Der Weg der Gerechtigkeit. Untersuchungen zur Theologie des Matthäus (FRLANT 82) (Göttingen 31971); ders., Problematik der Jesusfrage, 472ff; R. Walker, Die Heilsgeschichte im ersten Evangelium (FRLANT 91) (Göttin gen 1967) 145 ff; J. Roloff, Das Markusevangelium als Geschichtsdarstellung, in: EvTh29 (1969) 73-93; ders., Das Kerygma und der irdische Jesus. Historische Motive in den Jesus-Erzählungen der Evangelien (Göttingen 1970) 40ff 47f. In dem letztgenannten Buch wird die Historisierung als "ein die Traditionsbildung wesentlich bestimmender Faktor von Anfang an" bezeichnet; vgl. meine Bemerkungen dazu in: Methodenprobleme einer Christologie des Neuen Testaments, in: VF 2 (1970) 3-41, dort 8, Anm. 14.
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speziellen Interesse an der Geschichte J esu innerhalb der urchristlichen überlieferung, wenn man hier mit unseren modernen Vorstellungen und Begriffen arbeitet. Alles Interesse am irdischen Jesus, das uns im Neuen Testament in sehr verschiedenen Spielarten begegnet, ist eingebettet in das Grundanliegen des Bekenntnisses und der Verkündigung. Läßt sich nun über das Verhältnis von Kerygma und Geschichte J esu noch etwas Genaueres sagen? Die Frage spitzt sich auf das in der neueren Diskussion mehrfach erörterte Problem zu, ob und inwieweit die Geschichte Jesu Sachkriterium für die nachösterliche Verkündigung sein könne 151. Sie ist es zumindest nicht einseitig, so daß das urchristliche Kerygma ausschließlich an Gegebenheiten der Geschichte Jesu gemessen werden müßte. Sie ist es aber insofern, als es christliche Verkündigung ohne den "Blick zurück" auf den irdischen Jesus tatsächlich nicht geben kann. Dort, wo feststeht, und für das Urchristentum stand das außer Frage, daß es entscheidend um den Jesus geht, der als der gegenwärtige Herr verkündigt wird, kann auf eine Bezugnahme auf seine irdische Existenz nicht verzichtet werden, weil er gerade in seiner von der Auferstehung her in ihrer Bedeutung erkennbar gewordenen Geschichte Grund und Inhalt des Glaubens ist 152 . 4. Die Rückfrage nach Jesus im Zusammenhang des urchristlichen Rezeptionsprozesses
Von den gewonnenen Beobachtungen aus läßt sich die Frage nach der theologischen Relevanz der historischen Jesusfrage wieder aufgreifen. a) Was bedeutet es angesichts des sehr spezifischen, an das Kerygma gebundenen Interesses an Jesu Geschichte, wenn wir den "Schritt zurück" vollziehen und das vorösterliche Wirken Jesu historisch rekonstruieren? Wird dieser "Schritt zurück" durchgeführt, dann kann er, vom N euen Testament her geurteilt, offensichtlich nur dann sinnvoll Vgl. z. B. K. Kertelge, Der geschichtliche Jesus und das Christusbekenntnis der Gemeinde, in: Bibel und Leben 13 (1972) 77-88, dort 81: Der Christusglaube der Kirche bedarf "der Sachkritik, d. h., durch seine Formelhaftigkeit hindurch hat sich zu erweisen, daß er am Sachverhalt der Geschichte Jesu orientiert ist"; allerdings wird gleichzeitig festgestellt, daß wir die "Frage, wer Jesus war", nicht trennen dürfen "von der anderen, wer J esus (für uns) ist". 152 Vgl. dazu G. Ebeling, Das Wesen des christlichen Glaubens (Tübingen 1959) 66ff 151
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und theologisch legitim sein, wenn er nicht für sich steht, sondern wenn es dabei wiederum zu jenem anderen, vorwärts gerichteten Schritt kommt, der auf Ostern und die bleibende Gegenwart des Heils ausgerichtet ist. Das bedeutet, daß wir auf dem Wege einer kritischen Analyse aufzuspüren haben, wie die von uns eruierte eigene Botschaft J esu in das Zeugnis seiner Jünger und der frühen Gemeinde einbezogen worden ist. Gerade an dieser Stelle fällt der historischen Jesusfrage eine eminente Aufgabe zu, die bisher in ihrer speziellen Bedeutung noch kaum gesehen ist. Denn aufgrund unserer neuzeitlichen Denkvoraussetzungen und Methoden sind wir in der Lage, uns diesen ganzen Rezeptionsprozeß im einzelnen vor Augen zu führen 153. So versetzt uns die moderne wissenschaftliche Exegese in die Lage, einen genuin biblischen Sachverhalt neu zu erfassen. Wir sind nicht mehr darauf angewiesen, nur das Endergebnis dieser urchristlichen Rezeption der Jesusüberlieferung in seinen verschiedenen Spielarten zu konstatieren, sondern es gelingt uns, auch das Zustandekommen dieser Rezeption im einzelnen aufzuzeigen. Hier müßte es uns dann tatsächlich möglich sein, gegebene Antworten nicht nur besser zu begreifen, sondern auch die ihnen zugrunde liegenden ursprünglichen Fragen zu erkennen. Wird die Rückfrage nach Jesus so angegangen, dann kann ihre theologische Legitimität nicht mehr in Zweifel gezogen werden. b) Wenn wir in dieser Weise die historische J esusfrage stellen, lassen sich mehrere Sachverhalte, die im Zusammenhang mit der vorösterlichen Geschichte Jesu zu beobachten sind, sehr viel leichter einordnen. Es wird beispielsweise häufig darauf hingewiesen, daß ich dort ganz sicher nicht einer Botschaft oder Gestalt begegne, die sich leichter verrechnen oder modernisieren ließe, sofern ich Heilsansage und Sendungs anspruch Jesu wirklich ernst nehme 154. Der Ruf zu Glaube und Nachfolge ist mir in J esu ursprünglicher Botschaft, wenn auch in einer für mich vergangenen Situation, genauso gestellt wie bei der Verkündigung der nachösterlichen Zeit. Was die nachösterliche J esusüberlieferung demgegenüber zum Ausdruck bringt, ist der bleibende Gegenwartsbezug. 153 Auf die Notwendigkeit dieser Fragestellung habe ich bereits in VF 2/1970, 8f, hingewiesen; außerdem TrThZ 82 (1973) 202ff. 154 Vgl. dazu Robinson, Kerygma und historischer Jesus, 94ff, oder Blank, Jesus von Nazareth, 77ff.
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Jesu Botschaft selbst ist zudem Botschaft von der anbrechenden Gottesherrschaft. Sie verweist ihrerseits bereits auf Zukunft und Vollendung, zugleich aber auch auf je neue Gegenwart. Wird diese vorausweisende Funktion seiner Verkündigung erkannt, dann wird man sich hüten müssen, sie einfach zu historisieren 155. Das heißt aber, daß man die rekonstruierte Geschichte J esu wegen ihres eigenen Spezifikums unter keinen Umständen isolieren und verselbständigen darf. Hinzu kommt, daß Jesu eigene Geschichte weitergegangen ist. Nicht nur die "Sache Jesu" geht nach seinem Tode weiter, seine Auferweckung gehört mit hinzu und darf aus der Relation zu seinem irdischen Wirken nicht gelöst werden 156. Sicher ist das Ostergeschehen nicht unmittelbarer Gegenstand der historischen J esusfrage, wohl aber betrifft es den Rezeptionsprozeß und das urchristliche Kerygma, das ich seinerseits mit Hilfe einer traditions geschichtlichen Analyse untersuchen und auf seine Grundaussagen befragen muß. Dabei werde ich das Zeugnis von der Auferweckung Jesu ebensowenig wie seine Botschaft von der anbrechenden Gottesherrschaft historisch verifizieren können, da es hierbei um Sachverhalte geht, die unmittelbar den Glauben betreffen. Neben der Auferweckung Jesu ist im Zusammenhang des urchristlichen Kerygmas auch der Hinweis auf das Wirken des Geistes zu beachten, der mit Jesu Erhöhung in enge Verbindung gebracht wurde. Nicht umsonst haben die urchristlichen Zeugen das Osterereignis und das Pfingstgeschehen als eine Bestätigung für die weitergehende Realisierung der von J esus angekündigten Gottesherrschaft angesehen 157. Zugleich war es angesichts dieser Ereignisse für sie unerläßlich, Jesus selbst zum entscheidenden Inhalt ihrer Verkündigung zu machen. In dem Bemühen, dies alles im Zusammenhang des Rezeptionsprozesses zu behandeln, wird die historische Rückfrage nach Jesus in keiner Weise verkürzt werden müssen, sie wird aber eine Ausrichtung erhalten, die nicht nur dem Neuen Testament gemäß ist, sondern auch 155 Auch das Problem der Naherwartung und Parusieverzögerung darf hierbei nicht überbewertet werden. Vgl. zuletzt E. Gräßer, Die Naherwartung Jesu (SBS 61) (Stuttgart 1973) bes. 123f 138f. 156 F. Mußner, Die "Sache Jesu", in: Catholica 25 (1971) 81-89, hat natürlich recht, daß es auch eine "Sache Jesu Christi" nach Ostern gibt; aber es ist zu fragen, ob man den problematischen Begriff in diesem Sinn überhaupt ausweiten soll. 15? Vgl. 1 Kor 15,20ff; Apg 2,22ff 32ff.
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viele Gegebenheiten der Geschichte Jesu deutlicher sehen läßt. Es ist nicht zu Unrecht von Wolfgang Trilling darauf hingewiesen worden, daß eine "eigentümliche Offenheit" die Geschichte Jesu durchzieht, die auch bei einer historischen Rückfrage nicht verborgen bleibt 158. Aber erst vom Osterglauben her findet diese Offenheit ihre Erklärung, weswegen Trilling dann auch sagen kann, der "wahre und eindeutige Jesus" sei allein der des Kerygmas 159. 5. Konsequenzen für eine neutestamentliche Theologie
Die vor Jahren aufgebrochene und immer noch unabgeschlossene Diskussion, ob die Rekonstruktion der Botschaft und Geschichte Jesu Bestandteil einer neutestamentlichen und damit überhaupt einer christlichen Theologie sein könne, läßt sich vermutlich aufgrund der bisherigen überlegungen neu aufgreifen und weiterführen. Bekanntlich hat Rudolf Bultmann mit aller Entschiedenheit die Nichtzugehörigkeit des "historischen Jesus" zur neutestamentlichen Theologie vertreten 160. Bei seiner These, daß die Verkündigung Jesu lediglich zu den "Voraussetzungen" gehöre, will beachtet sein, daß auch das "Kerygma der Urgemeinde" und das "Kerygma der hellenistischen Gemeinde vor und neben Paulus" für ihn unter die" Voraussetzungen und Motive einer neutestamentlichen Theologie" fallen. Immerhin kann der sachliche Unterschied nicht übersehen werden, der darin besteht, daß Jesu Entscheidungsruf zwar eine Christologie "impliziert", daß aber erst im Lichte des Osterglaubens "Jesu Gekommensein selbst das entscheidende Ereignis" wurde, das christlichen Glauben begründet und auszeichnet 161, also auch Gegenstand einer Theologie sein kann, obwohl erst bei Paulus und Johannes eine durchreflektierte theologische Konzeption begegnet. Die vorangestellte Darstellung der Verkündigung Jesu hat dagegen für Bultmann lediglich einen vorbereitenden Charakter. 158 W. Trilling, Fragen zur Geschichclichkeit Jesu (Düsseldorf 1966) 161ff 164ff; er sagt weiter: "Diese Offenheit deutet positiv ... auf ein Geheimnis hin ... Dieses zentrale Geheimnis ist die Person Jesu selbst." Auch L. Goppelt, Der verborgene Messias, in: ders., Christologie und Ethik (Ges. Aufs.) (Göttingen 1968) 11-26, spricht in diesem Zusammenhang von dem Geheimnis der Geschichte Jesu, doch versucht er es in Jesu Selbstbewußtsein zu verankern, womit er die Quellen überfordert. 159 Trilling, Fragen, 18. 160 Bultmann, Theologie, Hf. 161 A. a. O. 44f.
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Demgegenüber hat Joachim Jeremias schon immer den Rückgang zur ipsissima vox im streng sachlichen Sinne gefordert. Denn: "Niemand als der Menschensohn selbst und Sein Wort kann unserer Verkündigung Vollmacht geben." 162 Außerdem verweist das Kerygma, die Christusverkündigung der Urgemeinde, nach seiner Auffassung "auf Schritt und Tritt über sich selbst zurück", und "stets liegen die Anfänge in der Verkündigung Jesu"163. Deshalb ist der "historische Jesus", wie er von uns erforscht werden kann, erstes und wesentliches Thema einer Theologie. Er selbst hat daher den ganzen ersten Band seiner neutestamentlichen Theologie diesem Gegenstand gewidmet 164. Abgesehen davon, daß er überzeugt ist, mit Hilfe der modernen Forschung zu einem zuverlässigen Ergebnis zu kommen 165, sind seine beiden Hauptthesen: Wir stoßen "beim Bemühen um den historischen J esus immer auf ein Letztes: Wir werden vor Gott selbst gestellt", und: "Das Evangelium Jesu und das Kerygma der Urkirche ... verhalten sich zueinander wie Ruf und Antwort." 166 Extremer können die Positionen dort, wo ein Interesse an einer neutestamentlichen Theologie im ganzen besteht und nicht nur eine Reduktion auf den vorösterlichen Jesus beabsichtigt ist, kaum vertreten werden. Ohne im einzelnen auf die beiden Entwürfe näher eingehen zu können, ist gegenüber Jeremias zu sagen, daß er mit seinem Schema von "Ruf und Antwort" dem komplizierten Verhältnis von Botschaft J esu und urchristlicher Verkündigung nicht gerecht wird, da ja gerade das Kerygma zum entscheidenden "Ruf" geworden ist. Außerdem handelt es sich bei seinem Hinweis darauf, daß wir "vor Gott gestellt werden", um einen jener charakteristischen Züge des Auftretens J esu, der über die konkrete geschichtliche Situation seiner
162 So schon inJeremias, Gleichnisse Jesu (Göttingen 21952) 3; ebenso 81970, 5. Hierbei ist zu beachten, daß der Begriff ipsissima vox Jesu nicht nur die historische Ursprünglichkeit bezeichnet, sondern das Sachkriterium für alle christliche Verkündigung und Theologie ist. 163 J.Jeremias, Das Problem des historischen Jesus (Calwer Hefte 32) (Stuttgart 1960) 14 15 (hiernach zitiert, der Aufsatz wurde mehrfach veröffentlicht). 164 Jeremias, Theologie 1. Da der Verfasser hier auf die Grundsatzprobleme nicht eingeht, muß in jedem Fall die in Anm. 163 genannte Schrift mitberücksichtigt werden. 165 Jeremias, Problem, 16ff. Dazu 15: "Die Inkarnation schließt es in sich, daß die Geschichte J esu nicht nur offen ist für geschichtliche Untersuchungen, für historische Forschung und Kritik, sondern all das fordert." 166 A.a.O. 21 22f.
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Geschichte hinausweist 167. Umgekehrt ist Bultmann kaum zuzustimmen, wenn er die Verkündigung Jesu völlig aus der neutestamentlichen Theologie ausscheiden will. Zwar hat eine isolierte Darstellung der Geschichte Jesu, soweit wir zu ihrer Rekonstruktion noch in der Lage sind, keine theologische Relevanz, doch ist zu überlegen, ob nicht gerade jener urchristliche Rezeptionsvorgang innerhalb einer neutestamentlichen Theologie darzustellen wäre. Hans Conzelmann hat einen interessanten Versuch unternommen, die Konzeption Bultmanns zu modifizieren. Er vertritt zwar ebenfalls die These, daß der "historische J esus" "kein Thema der neutestamentlichen Theologie ist" 168, entfaltet aber anders als Buhmann das "synoptische Kerygma" 169, d.h., er bringt die Rezeption der Jesusüberlieferung in ihrem redaktionsgeschichtlichen Endstadium zur Darstellung. Man wird fragen müssen, ob er dabei konsequent genug vorgegangen ist, denn auf weite Strecken entspricht dieses Kapitel dem, was bei Bultmann unter den "Voraussetzungen" behandelt wird; er umreißt hier, von dem der Theologie der Synoptiker gewidmeten Schlußabschnitt abgesehen, den Hauptinhalt der vorösterlichen Verkündigung Jesu. Wichtiger ist mir ein anderer Einwand: Wenn man schon die Jesusüberlieferung in ihrer redaktionellen synoptischen Gestalt aufnimmt, dann muß der Rezeptionsprozeß auch auf allen anderen Stufen der urchristlichen Tradition berücksichtigt werden. Das Gesagte hat zur Folge, daß, ausgehend von einer Skizze der mit der Rückfrage nach Jesus verbundenen Sachprobleme, der gesamte übergang vom vorösterlichen Jesus zur Verkündigung der Urgemeinde und die Einbeziehung seiner irdischen Geschichte in das apostolische Zeugnis zu behandeln ist. Hier muß Ernst damit gemacht werden, daß die isolierte Darstellung der vorösterlichen Geschichte Jesu, und mag sie historisch noch so interessant sein, für sich allein keine theologische Funktion hat. Denn der lebendige, gegenwärtige Christus ist es, der geglaubt und von der ältesten Christenheit bezeugt wird, daher zum eigentlichen Ausgangspunkt einer neutestamentlichen Theologie zu machen ist. Das hebt die Frage nach der Entstehung dieser urchristlichen Botschaft nicht auf. Um den Prozeß der Rezep167 168
Hierzu vgl. im übrigen Käsemann, Sackgassen, 32ff. H. Conzelmann, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments (München 21968)
16. 169
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A. a. O. 113ff.
tion nachzuvollziehen und theologisch zu reflektieren, dürfen, ja müssen wir die historische J esusfrage stellen. Das tun wir dann auch nicht bloß um der intellektuellen Redlichkeit willen, weil uns diese Art des Fragens in unserer Gegenwart aufgenötigt wird, sondern weil wir auf diesem Wege durchaus an die Sachprobleme selbst herankommen können. Die Rückfrage lautet dann aber nicht oder zumindest nicht einseitig: Was kann ich alles von dem vorösterlichen Jesus unter völliger Ausklammerung der nachösterlichen Tradition und Geschichte feststellen? Sondern sie lautet: Wie ist das, was ich mit guten Gründen noch als ursprünglichen Bestand erkennen und abheben kann, in die urchristliche Verkündigung eingegangen, und warum ist das geschehen? Für die Gesamtdarstellung einer neutestamentlichen Theologie ist damit ein weites Aufgabenfeld abgesteckt, aber aus der früher erwähnten Sackgasse bei der historischen Jesusfrage dürften wir m. E. auf diesem Wege herauskommen.
6. Ergebnisse
"Wer ist dieser?" Diese Frage, die das Volk beim Auftreten Jesu und die seine Jünger stellten, läßt die Menschen seit den Tagen seines Erdenwirkens nicht los. Wir sind in unserem Glauben und unserem theologischen Nachdenken immer wieder vor diese eine und entscheidende Frage gestellt. Aber wir können sie nicht beantworten, wenn wir meinen, den irdischen J esus aus seiner Bindung an die urchristliche Botschaft lösen zu können. Der Versuch einer Klärung der theologischen Relevanz der historischen Jesusfrage hat eine Reihe von Ergebnissen erbracht, die nochmals kurz verdeutlicht werden sollen: a) Bei jeder Rückfrage nach Jesus wird man sich darüber im klaren sein müssen, daß dogmatische Implikationen zur Auswirkung kommen, weswegen die Art und Zielsetzung der Rückfrage sehr genau bedacht sein will. Die Gefahr, sich von modernen geistes geschichtlichen Prämissen leiten zu lassen, ist groß, aber auch die Problematik der historisch-kritischen Methode selbst darf nicht übersehen werden. Es gilt, einen genuin theologischen Ansatz zu finden und die immanente Tendenz der Methode nach Möglichkeit auszuschalten. 73
b) Als Kernproblem für eine theologisch legitime Fragestellung hat sich die Verhältnisbestimmung zwischen vorösterlicher Geschichte Jesu und nachösterlichem Kerygma ergeben. Dabei müssen wir uns allerdings klarmachen, daß unsere historische Jesusfrage nicht einfach identisch ist mit dem Interesse der urchristlichen Verkündigung an Jesu vorösterlichem Wirken. Dort geht es nicht um den "historischen", vom bsterzeugnis abgelösten Jesus, sondern um den "irdischen Jesus" in seiner Einheit mit dem auferstandenen und erhöhten Herrn. Daraus folgt zunächst einmal, daß wir nicht die urchristliche Bezugnahme auf die Geschichte Jesu mit unserem Problem gleichsetzen dürfen, wie das immer wieder geschieht. Im übrigen sollte sich dieser Sachverhalt auch in einer präziseren Terminologie niederschlagen. Wir dürfen ja die Eigenart unserer historischen Jesusfrage nicht übersehen, was umgekehrt zur Folge hat, daß wir uns nach ihrer speziellen Funktion im Rahmen einer Verhältnisbestimmung von vorösterlichem Jesus und nachösterlichem Kerygma zu bemühen haben. Wir brauchen allerdings, wenn wir uns auf die Einheit von verkündigendem und verkündigtem Jesus berufen, keineswegs auf die Rückfrage zu verzichten 170. Mag der Glaube, wie Nils Alstrup Dahl formuliert hat, an der historischen Jesusforschung "relativ uninteressiert" sein, so heißt das nicht, "daß er daran absolut uninteressiert wäre" 171. Vielmehr gilt es, mit Hilfe der Rückfrage die Rezeption der J esusüberlieferung in das Kerygma zu erhellen. c) Liegt an dieser Stelle die theologische Relevanz der historischen Rückfrage, dann ist weiter zu klären, welche sachliche Tragweite die Untersuchung des Rezeptionsvorganges haben kann. Zunächst ist dabei zu berücksichtigen, daß die Urgemeinde die bleibende Gegenwärtigkeit des Heils nicht anders verkündigen konnte als durch die christologische Neuinterpretation der Botschaft Jesu. Sie hat diese Neuinterpretation aber sehr bewußt nicht neben die Verkündigung Jesu gestellt, sondern die Jesusüberlieferung umgestaltet. Sie hat daher keinen protokollarischen Bericht über die vorösterliche Zeit gegeben, aber sie hat in sachlicher Hinsicht gerade so die Identität gewahrt. Denn sie konnte die Identität nur festhalten, indem sie das Heil in dem bleibenden Gegenwartsbezug interpretierte, wodurch es davor be170 171
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Gegen Zimmermann, Jesus Christus, 9 u.ö. Dahl, Der historische Jesus, 124.
wahrt blieb, als eine Episode angesehen zu werden, die auf das irdische Leben Jesu beschränkt war. War nämlich der Anbruch des Heils an Jesu Person gebunden, dann hing alles davon ab, ob zu dieser Person Jesu ein für jede Zeit möglicher und unmittelbarer Zugang besteht. Das Auferstehungsgeschehen hatte die Zeugen nach der Nacht des Karfreitag gewiß gemacht, daß es diese bleibende Heilsgegenwart gibt. d) Eine Untersuchung der urchristlichen Rezeption der Jesusüberlieferung kann aber, wenn die Priorität der im Ostergeschehen begründeten Gegenwärtigkeit gesehen wird, auch dazu führen, daß geklärt wird, wieweit das Kerygma in der vorösterlichen Geschichte J esu ein "inneres, sachlich bedeutsames Kriterium" besitzt 172. Bei einer solchen, durchaus berechtigten "Sachkritik" ist jedoch deswegen äußerste Vorsicht geboten, weil ja nicht unsere historische Erkenntnis zum Maßstab des Kerygmas werden darf, sondern weil stets nach dem Sachbezug zwischen Kerygma und Geschichte J esu gefragt werden muß und weil allein aus dieser Relation heraus jenes innere Kriterium gefunden werden kann, das mit dem irdischen Jesus für das Kerygma gegeben ist. Das hebt ein kritisches Hinterfragen des Kerygmas nicht auf, aber wir müssen aus dem spezifischen Ansatz der urchristlichen Verkündigung heraus nach der Geschichte Jesu als ihrem Sachkriterium fragen und können so allein zu einem echten Maßstab kommen. In der Theologie stehen wir somit vor der Aufgabe, gerade diesen inneren Zusammenhang zwischen dem vorösterlichen Jesus und der nachösterlichen Verkündigung aufzuzeigen, und nur in diesem Rahmen läßt sich die historische Rückfrage angemessen durchführen 173. 172 So Blank, J esus von N azareth, 6: Der Rückverweis auf die Person J esu ist konstitutiv für das urchristliche Traditionsverständnis. Ich habe allerdings Bedenken, wenn er S. 5 formuliert, es sei ein "theologisch authentisches Anliegen", "über die historischen Voraussetzungen des christlichen Glaubens" zuverlässige Auskunft zu gewinnen, weil hier der Rückbezug leicht in einem falschen Sinne der historischen Stützung des Glaubens verstanden werden kann. Derartige Bestrebungen hat es allerdings im evangelischen wie im katholischen Bereich gegeben. Evangelischerseits war es vor allem das Bemühen, die Objektivität der "Heilstatsachen" herauszustellen; vgl. die Zusammenfassung und Kritik bei F. Gogarten, Entmythologisierung und Kirche (Stuttgart 41966) 34ff. Katholischerseits ist auf die gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausgebildete Form der Fundamentaltheologie zu verweisen; dazu J. Schmitz, Die Fundamentaltheologie im 20. Jahrhundert, in: Bilanz der Theologie (hrsg. von H. Vorgrimler - R. Vander Gucht) II (Freiburg i. Br. 21970) 197-245, bes. 200ff. 173 Vgl. dazu den Schlußteil des Buches von Slenczka, Geschichtlichkeit, 303ff, der in diesem Zusammenhang die Frage des Personseins Jesu Christi und der personalen Kontinuität erörtert.
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Erlauben Sie mir bitte noch ein paar Worte zum Schluß. Bei der Diskussion über den vorösterlichen Jesus hat man es bisweilen schwer, zu begreifen, daß von einer Gestalt, wie sie mit Hilfe der kritischen Forschung rekonstruiert wird, eine Bewegung wie das Christentum hat ausgehen können. Offensichtlich stimmt dann doch irgend etwas mit der Art der Textbehandlung und der Rekonstruktion nicht. Wir haben allen Grund, hierüber nachzudenken. Zur Wiederentdeckung des vorösterlichen Jesus gehören, wenn ich recht sehe, vier Dinge zugleich: Einmal eine minutiöse wissenschaftliche Forschung, die sich um die Analyse, Einordnung und Auswertung des erhaltenen Traditionsgutes bemüht. Bei dem Versuch einer Rekonstruktion des Gesamtbildes ist sodann eine Tugend erforderlich, die jeder gute Historiker haben sollte: das intuitive Gespür für Größe und Wirkungsmächtigkeit einer geschichtlichen Gestalt 174 . Dazu kommt ferner bei biblischen Texten die Notwendigkeit einer Einsicht in die genuin theologische Fragestellung. Bei der Beurteilung des vorösterlichen Wirkens Jesu ist es erforderlich, den entscheidenden Bezugspunkt zu erkennen und eine sachgerechte Verhältnis bestimmung zwischen verkündigendem und verkündigtem Jesus zu finden. Nur so kann die seine eigene Zeit übergreifende Bedeutung J esu in einer angemessenen, auch für unsere Gegenwart gültigen Weise aufgezeigt werden 175. Schließlich ist in diesem Zusammenhang aber auch noch folgendes zu sagen: Ich kann den vorösterlichen J esus und die urchristliche Ver kündigung letztlich nicht verstehen, wenn ich von diesem Jesus, der der Christus und lebendige Herr ist, nicht im Glauben erfaßt bin. Wir sollten uns keineswegs scheuen, in unserer wissenschaftlichen Arbeit, ohne sie in ihrer Freiheit einzuschränken, diese Komponente an rechter Stelle zum Tragen zu bringen. Theologie ist 174 Bei manchem Jesusbuch muß man sich fragen, wie ein angeblich streng historisch wiederentdecktes, faktisch aber von modernen Voraussetzungen geleitetes J esusbild sich mit den damaligen Denk- und Verstehensvoraussetzungen verträgt, d.h., ob ein so verkündigender und handelnder Jesus den Menschen des 1. Jahrhunderts überhaupt verständlich gewesen sein kann. Auch gegenüber der Jesusdarstellung von H. Braun wird man diese Frage aufwerfen müssen. 175 Allein auf diesem Wege können die Erwartungen erfüllt werden, daß man durch die Rückfrage nach J esus zu einer Neukonzeption der Christologie vorstößt, um die altkirchlichen Dogmen, die wegen ihrer Denkvoraussetzungen für den heutigen Menschen schwer nachvollziehbar sind, neu verstehen zu lernen. Vgl. die Skizze von W. Kasper in: Neues Glaubensbuch. Der gemeinsame christliche Glaube (hrsg. von J. Feiner- L. Vischer) (Freiburg- Zürich 91973) 276ff.
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eine auf Glauben bezogene und der Glaubensgemeinschaft verpflichtete Aufgabe, die auf dem Wege der Reflexion zu einer gedanklichen Klärung über ihren Glaubensgrund und zu einer Näherbestimmung christlicher Existenz in der Welt gelangen will, daher auch unbeschadet ihrer speziellen Prämissen Wissenschaft bleibt, sofern sie ihren Sachbezug eindeutig definiert. Dieser Sachbezug wird vor vielem anderen in dem Ringen um überzeugende Aussagen über die bleibende Bedeutung der Geschichte und Person Jesu für das Heil der Menschen und der Welt zum Ausdruck kommen.
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Kriterien für die historische Beurteilung der Jesusüberlieferung in den Evangelien Von Fritzleo Lentzen-Deis, Frankfurt a. M.
Die Exegese ist eine praktische Wissenschaft. "Kriterien" für die historische Beurteilung der evangelischen Tradition über Jesus sind immer im Rahmen der konkreten exegetischen Arbeit aufgefaß t worden. Wer Listen solcher Kriterien aufstellte, beabsichtigte damit gewöhnlich nicht eine theoretische Methodenlehre, sondern fügte allgemeine Prinzipien zusammen mit konkreten Arbeitsanweisungen und auch inhaltlichen Merkmalen, welche aufgrund langjähriger Arbeit gewonnen worden waren. Die letzte, zugespitzte Frage nach der "Historizität", etwa in dem viel beschworenen Sinn dessen, "was wirklich geschah" 1, war schon seit langer Zeit nur als Teilaspekt der exegetischen Aufgabe im Blick. Deshalb ist sie innerlich mit den übrigen methodischen Fragen verflochten. Wer also über die Möglichkeiten zur Bestimmung der Historizität reflektiert, stellt überlegungen über die Methode der Auslegung des Textes überhaupt an. Es will nicht gelingen, eine Kriteriologie im Sinne eines in sich geschlossenen Instrumentariums für die Historizität auszusondern. Und doch sind seit alter Zeit Schemata und Aufstellungen von Grundsätzen und Arbeitshinweisen gegeben worden, seit dem Zeitalter des Historismus auch für die Erarbeitung der Historizität der Evangelien. Durch die neu aufgebrochene Methodenkritik und die Hilfestellung, die die Sprachwissenschaften der Literaturwissenschaft und Geschichtsforschung in neuer Weise heute bieten, sowie durch die hermeneutische Neubesinnung sind die bisher aufgestellten Kriterien fragwürdig geworden. Wir versuchen, die hier geforderte Besinnung ein wenig zu fördern, Zum BegriH des "Historischen" und "Geschichtlichen" vgl. besonders G. Bauer, "Geschichtlichkeit" - Wege und Irrwege eines BegriHes (Berlin 1963) (Lit.), und B. J. F. Lonergan, Method in Theology (London 1972) 175ff (8. Kap. "History"). Die hermeneutischen überlegungen führen ebenfalls zur Neudefinition. 1
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indem wir in einem 1. Teil die Kriterien summarisch ordnen und zusammenfassen, die in der Forschungsgeschichte bisher aufgestellt wurden. Um sie besser zu verstehen, ist ein überblick über ihre Entstehung notwendig. In Teil II beleuchten wir die Krise des "Historismus" in der "historisch-kritischen Methode", wenigstens durch die Konfrontation zweier Vorstellungsmodelle, deren Wandel nun die Kriterien auszuhöhlen scheint. Im Schluß teil seien einige Folgerungen gezogen.
1. BISHER AUFGESTELLTE KRITERIEN
DER HISTORIZITÄT
Heute mag ein Sprachwissenschaftler, der sich mit der Bibel beschäftigt, auf das Vorhaben, solche Kriterien aufzustellen, den Satz aus Mt 26, 73 anwenden: "Wahrlich, deine Sprache verrät dich", so veraltet und verstaubt könnten ihm die Formulierung und die Worte des uns aufgetragenen Titels erscheinen 2 • Tatsächlich muß das Unterfangen, Kriterien der Historizität zu formulieren, in einem größeren, geschichtlich gewachsenen Zusammenhang gesehen werden. Deshalb sei dieser geschichtliche überblick in einigen Grundzügen vorausgeschickt. Nur Teilgebiete aus der Geschichte der Exegese sind bisher auf die historische Fragestellung hin genauer untersucht worden. Auch wir können nur einige Grundlinien nachzeichnen 3 . Da es die historische L. Marin, Semiotique de la Passion, topiques et figures (Paris 1971) 169 ff, gründet allerdings auf diesen Vers sehr viel mehr für die Auslegung der Passion. 3 Die Schwierigkeiten einer sachgerechten Darstellung der Abkunft, Entstehung und Entwicklung der historisch-kritischen Untersuchung des Bibeltextes hat H.-J. Kraus, Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments (Neukirchen, 2., überarb., erw. Aufl. 1969) 1 ff (Einführung) dargelegt (vgl. auch § 5: Der Humanismus). Für die Exegese des NT siehe: W. G. Kümmel, Das Neue Testament, Geschichte der Erforschung seiner Probleme (Freiburg i. Br./München 21970) (Lit. zur Geschichte der ntl. Exegese S. 571-573). Vgl. ferner zum Verständnis der Gesamtentwicklung G. Ebeling, Die Bedeutung der historisch-kritischen Methode für die protestantische Theologie und Kirche, in: Wort und Glaube (Tübingen 1960) 1-49; K. Schalder, Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert (FGLP X, 33) (München 1966) 8 ff; W. Jaest, F. Mußner, L. ScheJfczyk, A. Vögtle, U. Wilckens, Was heißt Auslegung der Heiligen Schrift? (Regens burg 1966), darin bes. 85-133: U. Wilckens, über die Bedeutung historischer Kritik in der modernen Bibelexegese ; C. C. Andersan, Critical Quests of Jesus (Grand Rapids, Mich., 1969); R. Kaselleck, Kritik und Krise (Freiburg i. Br. 21969); G. Strecker, Die historische und theologische Bedeutung der Jesus2
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Untersuchungs absicht im modernen Sinn erst seit dem Historismus des 19. Jahrhunderts gibt, unterscheiden wir eine" Vorgeschichte" der Kriterien von ihrer eigentlichen "Geschichte". Trotzdem gehört die "Vorgeschichte" wesentlich zum Verständnis der Kriterien. Sie ist möglich, weil das Christentum als geschichtlich orientierte Offenbarungsreligion immer echtes Interesse an den Heilsereignissen des Lebens J esu hatte. Sie hebt vor allem einen Aspekt an den Aufstellungen von Kriterien ans Licht: ihre erstaunliche Kontinuität in den Grundzügen auch mit alter und ältester exegetischer Behandlung des Bibeltextes. Die hier aufweisbaren Konstanten in der Arbeitsanweisung - bei aller Verschiedenheit - sind ein erstes Ziel unseres geschichtlichen überblicks. Es sei betont, daß solche schematischen Zusammenstellungen nicht als "philologisch-technisches" Handwerkszeug abgetan werden dürfen. Der Verstehenshorizont, in den scheinbar technische Kriterien einbezogen sind, reicht immer weiter als in das bloß äußerlich "Handwerkliche" der Auslegungsarbeit. Ein zweites Ziel dieses geschichtlichen überblicks stellt die innere Verschiedenheit des geschichtlichen Bewußtseins, der Geschichtsanschauung und des philosophischen und weltanschaulichen Gesamtbildes dar, worin die Evangelienauslegung sich abspielte. Wir brauchen diese Verschiedenheit im einzelnen nicht auszuführen. Für unseren Zweck genügt es, jeweils darauf hinzuweisen, daß gewisse Schemata und Konstanten sich durchhalten und weiterentwickeln bei zugleich vorhandener Verschiedenheit und abwechselnder Mannigfaltigkeit des Verstehenshorizontes und seiner Bedingungen 4 . frage, in: EvTh 29 (1969) 453-476; J. Roioff, Das Kerygma und der irdische Jesus. Historische Motive in den Jesuserzählungen der Evangelien (Göttingen 1970), bes. 9-50; K. Lehmann, Der hermeneutische Horizont der historisch-kritischen Exegese, in: J. Schreiner, Einführung in die Methoden der biblischen Exegese (Würz burg 1971) 40-80; P. Stuhimacher, Neues Testament und Hermeneutik - Versuch einer Bestandsaufnahme, in: ZThK 68 (1971) 121-161; ders., Thesen zur Methodologie der gegenwärtigen Exegese, in: ZNW 63 (1972) 18-26; F. Hahn, Probleme historischer Kritik, in: ZNW 63 (1972) 1-17; L. E. Keck, A Future for the Historical Jesus (London 1972). 4 Diese Vcrönderungen hat P. Hl;
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Stadium der beginnenden Schriftlichkeit und der Ausbildung der Evangelienstruktur
3. Bruch (Ende des apostolischen Zeitalters)6 Schlußredaktoren - - - - - - - - - - - + ) Evangelien Kirche ) Kanon
Der Begriff "Generator" ist orientiert an der Generativen Grammatik, die von einem "generieren" von Sätzen bzw. Texten spricht. Der waagrechte Pfeil im Schaubild (-+) bedeutet "generieren". 5 Vgl. dazu H. Schürmann, Die vorösterlichen Anfänge der Logientradition, in: ders., Traditionsgeschichdiche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien (Düsseldorf 1968) 39-65. 6 Vgl. dazu F. Mußner, Die Ablösung des apostolischen durch das nachapostolische Zeitalter und ihre Konsequenzen (s. Anm. 2). 7 Wichtige Ansätze dazu bei E. Güttgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums (München 21971). 4
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tionsprozesse zwischen Ereignis ("Existenz") und "Text" ganz anders als bisher zu bedenken, was die notwendige Voraussetzung ist, um aus dem "Text" wieder zurück zum historischen Ereignis zu gelangens. Insofern bedürften auch die folgenden überlegungen noch eines viel intensiveren theoretischen Unterbaus. Jedenfalls zeigt sich als eigentliche Aufgabe nun dies: Wie gelingt es, in methodisch richtiger Weise aus dem Text zurück in die Geschichte zu springen? Diese Frage hat die bisherige formgeschichtliche Arbeit nicht zu beantworten vermocht.
B. Der Traditionsprozeß I. Ein Traditionsprozeß ist ein komplizierter Vorgang, was auch für das Thema "Methodische Zugänge zum historischen Jesus" gilt. Der Wille etwa, eine Vergangenheit zu tradieren, kann sehr verschieden motiviert sein; darum ist nach der Eigenart des hinter dem evangelischen Traditionsprozeß stehenden Traditionswillens zu fragen. Es darf vermutet werden, daß hinter dem evangelischen Traditionswillen ein besonderes Interesse an der Person und Bedeutung Jesu stand, wobei aber noch nichts über die nähere Art dieses Interesses gesagt sein soll.
11. Die Rekonstruktion des evangelischen Traditionsprozesses wird weiterhin dadurch erschwert, daß im methodischen Vorgehen eine gesonderte Betrachtung der Logien- und Tatüberlieferung erfordert ist, was seinen Grund darin hat, daß der Traditionsprozeß hinsichtlich der Logienüberlieferung und hinsichtlich der Tatüberlieferung verschieden verlief. Dies wiederum ist auch dadurch bedingt, daß bei den beiden überlieferungssträngen mit verschiedenen Autoren zu rechnen ist: Hinsichtlich der Logienüberlieferung ist oder gilt J esus selbst als Autor des Textes, hinsichtlich der Tatüberlieferung geht der Text auf von Jesus verschiedene Erzähler zurück. Freilich liegen uns beide überlieferungenim Neuen Testament nur in der Weise der "Erzählung" vor 9 . 8 Vgl. dazu etwa R. Kosel/eck - W.-D. Stempel (Hrsg.), Geschichte - Ereignis und Erzählung (München 1973). 9 Zur Aporie einer erzählenden Beschreibungvon Geschichte vgl. W.-D. Stempel, Möglichkeiten einer Darstellung der Diachronie in narrativen Texten, in: ders. (Hrsg.), Beiträge zur Textlinguistik (München 1971) 53-78; dazu auch noch H. Weinrich, Tempus. Besprochene und erzählte Welt (Stuttgart 1964, mit weiterer Literatur); G. M ül/er, Die Bedeutung der Zeit in der Erzählkunst (Bonn 19~7); ders., Erzählzeit und erzählte Zeit,
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III. Logienüberlieferung: Was die Logienüberlieferung angeht, müssen folgende Probleme bedacht werden: 1. Bei der Logienüberlieferung muß zwischen dem Stadium der Mündlichkeit und dem der Schriftlichkeit grundsätzlich unterschieden werden. 2. Der Traditionsprozeß verlief zwischen den beiden Polen: Jesus Schluß redaktor bzw. Kanon. 3. Zwischen der Erstäußerung Jesu und der schriftlichen Fixierung durch den Endredaktor ist eine Reihe von Faktoren in Erwägung zu ziehen, die zur Veränderung eines Logions Jesu führen konnten: a) Das Mißverstehen desselben durch die Ersthörer. b) Die bewußte Veränderung desselben durch einen Zweitsprecher. c) Das Mißverstehen desselben durch Zweit-, Dritthörer usw. d) Der durch die Ostererfahrung initiierte neue Verstehenshorizont 9 '. e) Der Einfluß der Homologese auf die Form und den Inhalt eines Logions (deutlich erkennbaretwa am "Jonaslogion" Mt 12,40 vgl. mit Lk 11,30)10. f) Der Einfluß der Liturgie (Abendmahlsworte!). g) Die Applikation eines Logions auf die neuen Gemeindesituationen: a) Neu entstehende Probleme der Ethik ("Kasuistik"). ß) Probleme der Gemeindeordnung (s. Mt 18). y) Missionsprobleme (z. B. neue Konnotationen eines Logions durch die Missionspredigt). ö) Verfolgungserfahrungen. E) etc. h) Die sich ausdifferenzierenden Gemeindetypen und die zunehmende geographische Streuung der Gemeinden. in: Festschr. für Paul Kluckholm und Hermann Schneider (Tübingen 1948) 195-212; E. Lämmert, Bauformen des Erzählens (Stuttgart 41970). 9' Vgl. dazuF. Mußner, Die Auferstehung Jesu (München 1969) 140-154; K. Lehmann, Die Erscheinungen des Herrn. Thesen zur hermeneutisch-theologischen Struktur der Ostererzählungen, in: H. Feld / J. Nolte (Hrsg.), Wort Gottes in der Zeit (Festschr. f. K. H. Schelkle) (Düsseldorf 1973) 361-377. 10 Dazu Näheres bei A. Vögtle, Der Spruch vom Jonaszeichen, wieder abgedruckt in: ders., Das Evangelium und die Evangelien. Beiträge zur Evangelienforschung (Düsseldorf 1971) 103-136.
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i) Die interlinguistischen Vorgänge beim übersetzen in eine andere Sprache. k) Neue Kontextuierung durch Prediger und Redaktoren. I) Das Schicksal des Textes (Lesarten!). m) Der durch die Kanonisierung einsetzende Abstoßungsprozeß. 4. Die aufgeführten Faktoren, die Veränderungen eines Logions Jesu bedingen konnten, erweisen die Thesen der Riesenfeldschule als simplifizierend.
N. Trotz der in III genannten Faktoren, die zu einer Veränderung eines Logions Jesu führen konnten, müssen auch jene berücksichtigt werden, die eine bewahrende Funktion ausgeübt haben können: 1. Die bewußte Rückbindung an die Person und die Autorität des vorösterlichen Jesus. 2. Die bewußte, aus dem Rahmen des Judentums mit seinen vielen "Lehrern" fallende Beschränkung auf einen einzigen Lehrer, nämlich Jesus ("Die Isolierung der Jesustradition ist das Konstitutivum des Evangeliums": G. Kittel 11), was mit der getroffenen christologischen Entscheidung der Urkirche zusammenhängt. 3. Das in jeder religiösen Gemeinschaft beobachtbare Festhalten am Ursprung. Damit hängt zusammen, daß im Unterschied zu Vorgängen, wie sie etwa in der Folkloreüberlieferung zu beobachten sind, bei der Weitergabe der J esuslogien eine "imperative Zensur" bzw. eine "Präventivzensur" der Gemeinde 12 nicht stattgefunden hat. Das zeigt sich etwa darin, daß selbst unverständlich und "verschlüsselt" wirkende Logien Jesu auch nach Ostern nicht aus dem überlieferungs gut ausgeschieden wurden, obwohl bei der Weitergabe der Logien ausschließlich auf die Bewahrung des Wortlauts zielende Traditionstechniken (vgl. Vedenüberlieferung)13 kaum auszumachen sind. 4. Der Ursprung des Christentums in einem traditionspflegenden Milieu (Judentum), worauf die Riesenfeldschule mit einem gewissen Recht hingewiesen hat. Die Probleme des paläst. Spätjudentums und das Urchristentum (Stuttgart 1926) 69. Vgl. dazu P. Bogatyrev - R. Jakobson, Die Folklore als eine besondere Form des Schaffens, in: H. Blumensath (Hrsg.), Strukturalismus in der Literaturwissenschaft (Köln 1972) 13-24. 13 Siehe dazu vorausgehende Anmerkung. 11
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5. Die soziologische Kontinuität des Jüngerkreises als des Trägers einer gepflegten Tradition (die Augen- und Ohrenzeugen sind mit Jesus nicht mitgestorben!). 6. Die Kontrollfunktion der apostolischen Augen- und Ohrenzeugen nach Ostern. 7. Der Bewahrungswille, der sich in der Sammlung von Jesuslogien, in der den Berichten der "Augenzeugen und Diener des Wortes" nachgehenden schriftlichen Fixierung des "Evangeliums vor den Evangelien" (Easton)14 und schließlich in der Aufnahme der Evangelien in den Kanon manifestiert, wobei apokryphes Material kritisch abgestoßen wurde 15. V. Tatüberlieferung 1. Was die Tatüberlieferung angeht, muß zwischen Ereignis und erzähltem Ereignis unterschieden werden. Grundsätzlich gilt, daß wir in den Evangelien nur erzählte Ereignisse vor uns haben. Dieser Tatbestand kompliziert die historisch-kritische Rückfrage nach den histori-
14 Vgl. dazuH. Schürmann, Evangelienschrift und kirchliche Unterweisung. Die repräsentative Funktion der Schrift nach Lk 1, 1-4, in: ders., Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien (Düsseldorf 1968) 251-271. 15 Zusätzlich ist auf die Untersuchungen von f. A. Baird, Audience Criticism and the Historical J esus (Philadelphia 1969), hinzuweisen. B. versucht durch eine kritische Analyse der Angaben der synoptischen Evangelien über die Zuhörerschaft J esu einen Beitrag zur Frage nach dem historischen Jesus zu liefern. Dabei macht er folgende Beobachtung (vgl. 90-152): Während der synoptische Vergleich beim Erzählstoff eine große übereinstimmung in den Angaben der Akoluthie und des zeitlichen und geographischen Rahmens des "Lebens" Jesu, nicht aber der Hörerschaft aufweist, zeigt der Logienstoff eine auffallende übereinstimmung im Wortlaut und in der Angabe der Hörerschaft, nicht aber in den anderen Faktoren. Der Tatbestand der Konservierung der Angabe der Hörerschaft beim überlieferungsprozeß weist daraufhin, daß in der Tradition erkannt wurde, daß Form und Inhalt eines Logions nicht von der ursprünglichen Hörerschaft unabhängig sind (kommunikative Funktion der Sprache!). Deshalb hat die überlieferung die Angabe der Hörerschaft bei den Worten Jesu bewahrt. Die Hörerschaft ist jedoch nicht eine einzige, so daß die Frage entsteht: Woher stammen die differenzierten Angaben der Hörerschaft? Sie stammen nicht von den die Logien produzierenden Gemeinden; denn diese hätten nicht zu einem solch erstaunlichen Konsens kommen können, wie er in den synoptischen Evangelien feststellbar ist, was vermuten läßt, daß sie auf eine markante Einzelpersönlichkeit zurückgehen. Audience Criticism zeigt also den historischen J esus als "einen differenzierenden, auswählenden Lehrer, der so sprach, daß er vom Volk verstanden werden konnte, indem er seine Lehre an seine Hörerschaft anpaßte" (173).
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schen Ereignissen stärker als jene nach der Echtheit der Logien. Denn zwischen Ereignis und erzähltem Ereignis spielen sich Transformationsprozesse ab, die auf jeden Fall reflektiert werden müssen. Dabei ist von der Grundfrage auszugehen: Auf welche Weise kommt ein Ereignis im erzählten Ereignis zur Sprache? Grundsätzliche Antwort: Durch Erzählen, wobei zu bedenken ist, daß es verschiedene Weisen des Erzählens gibt, z. B. Reportage, Tonbandaufnahme, Protokoll, Tatbericht, Kommentar, Propaganda, Fiktion usw. In allen Formen des Erzählens gibt es verschiedene Grade der sprachlichen Präsenz des Ereignisses. Deshalb ist hinsichtlich der evangelischen Tatüberlieferung zu fragen, in welchem Grad in einem erzählten Ereignis aus dem Leben Jesu das Ereignis selbst noch präsent ist. 2. Die spezifische Eigenart der evangelischen Erzählungen über Ereignisse des Lebens Jesu: a) Die evangelischen Erzählungen sind von einer positiven Einstellung zu J esus und seinen Taten getragen. b) Die Erzähler erzählen aus einem engagierten Glauben an J esus heraus. c) Deshalb sind die evangelischen Erzählungen "Tendenzschriften". d) Die Grundtendenz ist die Schaffung von Glauben an Jesus (vgl. Joh 20,31). e) Eine weitere Tendenz zeigt sich in der Schaffung von "Sicherheit" hinsichtlich der in die apostolische Paradosis eingegangenen "Pragmata" Jesu (s. Lk 1, 1-4). f) Daraus ergibt sich, daß wir in den evangelischen Erzählungen keine neutralen "Reportagen" über die Taten J esu vor uns haben. 3. Diese Feststellung zwingt zu der Frage: Sind die evangelischen Berichte über die Taten J esu am Ende nicht ereignisverfälschende oder gar ereignisungebundene literarische Bildungen? Um so dringender wird die Suche nach Kriterien, mit deren Hilfe die Ereignisgebundenheit der evangelischen"Tendenzerzählungen " überprüft werden kann, wobei diese Suche die Eigenart der verschiedenen Erzählformen ("Textsorten", "Gattungen") berücksichtigen muß. Denn die Beziehung zwischen Ereignis und erzähltem Ereignis ist je nach der Erzählform verschieden; z. B. kann ein Summarium weniger an Historischem enthalten als ein Einzelerzählstück, aber auch umgekehrt 16. 16 So müssen in dieser Hinsicht die Summarien des Markusevangeliurns anders beurteilt werden als jene der Apostelgeschichte.
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4. An Kriterien sind dann zu nennen: a) Das erzählte Milieu muß dem historisch verifizierbaren Milieu zur Zeit J esu entsprechen. Das betrifft einmal die in den Erzählstücken von Jesu Taten betroffenen Gruppen - so tauchen in der Tat keine Gruppen aUf, die es im Judentum zur Zeit Jesu nicht gegeben hat 17 ; ferner die religiösen Institutionen des Judentums zur Zeit Jesu (z. B. Gesetz [Sabbat!]); das kulturelle Klima; die politischen Verhältnisse; die geographischen Angaben; d. h. also alles, was "Umweltreferenz" angeht. Es fällt auf, daß in sämtlichen Traditionsschichten und Textsorten der evangelischen überlieferung dieses spezifische Milieu erhalten ist und ~~ Gründe für eine in Einzelfällen begegnende "Hellenisierung" des Materials leicht erkennbar sind 1B. Diese Milieutreue ist um so beachtlicher, als sie nicht auf den absichtlichen Willen eines Historikers zurückzuführen ist, vielmehr bei primär kerygmatischer Zielsetzung unreflektiert erhalten blieb, was sich z. B. darin zeigt, daß bestimmte Gruppen, die zur Abfassungszeit der Evangelien nicht mehr existierten, in der evangelischen Jesusüberlieferung noch auftauchen (z. B. Sadduzäer). b) Auch im Hinblick auf die Tatüberlieferung kann der "Querschnittsbeweis" angewendet werden, insofern als in den verschiedenen Traditionsschichten, in den verschiedenen Erzählformen und in den verschiedenen Szenen des erzählten Lebens Jesu gleichmäßige Verhaltensweisen Jesu sich zeigen. c) Aus b) ergibt sich auch, daß diese gleichmäßigen Verhaltensweisen Jesu erzählerisch verschieden "individualisiert" sein können; z. B. das typische Verhalten Jesu gegenüber Zöllnern und Sündern wird in der literarischen Form der "Berufungsgeschichte" (z. B. Berufung des Levi), der "idealen Szene" (z. B. Zöllnermahl), des Streitgesprächs und des Gleichnisses erzählerisch in Szene gesetzt. Wir können daher zunächst auf der Erzählebene "Typen" von Verhaltensweisen Jesu feststellen, mit denen man in den Evangelien und in frühjüdischen Texten beobachtbare Typen von Verhaltensweisen im Judentum vergleichen kann, etwa Erzählungen oder Vorschriften über das Verhalten von Schriftgelehrten und Pharisäern zu Zöllnern und Sündern, zu Frauen usw. Der Vergleich zeigt, daß die Darstellung der Evangelien Verhal17 Vgl. dazu etwa G. Baumbach, Jesus von Nazareth im Lichte der jüdischen Gruppenbildung (Berlin 1971). 18 Bekanntlich beschreibt Lk das Haus in seiner "hellenistischen" Struktur ..
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tenstypen Jesu von solchen seiner Umgebung als gerade für ihn spezifisch abhebt. Wenn auch diese Abhebung Jesu von seiner Umgebung in der Darstellung der Evangelien häufig in kritischer Absicht geschieht, die den Historiker eine gewisse Tendenzdarstellung vermuten lassen könnte, darf unter Anwendung des Querschnittsbeweises mit hinlänglich genügender Sicherheit angenommen werden, daß sich im historischen Leben Jesu diese für ihn spezifischen Verhaltensweisen in der Tat gezeigt haben. Und deshalb darf man hier wieder mit dem kritischen Aussonderungsprinzip arbeiten (s. dazu weiter unten). Von ipsissima facta Jesu kann also nicht einfachhin im Hinblick auf ein konkretes Einzelfaktum der Vita J esu gesprochen werden, sondern nur im Hinblick auf die in einer erzählerischen Konkretion erscheinenden unverwechselbaren Typen von Verhaltensweisen des historischen Jesus 19 . Daß im Einzelfall erzähltes Ereignis und historisches Faktum "sich decken" können, versteht sich dabei von selbst. Darum ist ein ipsissimum factum J esu qua ipsissimum factum nicht durch den N achweis kritisch erledigt, daß sich für bestimmte Taten Jesu ähnliche Erzählpattern auch in außerevangelischer Literatur (z. B. Altes Testament) finden. Soweit die jeweilige erzählerische Konkretion den ihr zugehörigen Typ der Verhaltensweise J esu trifft (Text), schattet sich in ihr bei aller erzählerischen Freiheit im einzelnen und bei allen Modifizierungen im überlieferungsprozeß der im Leben Jesu beobachtbare Typ seines Verhaltens ab (Geschichte). d) Aufs Ganze der Tatüberlieferung hin gesehen, ist die Beobachtung von großer Bedeutung, daß beim Vergleich von Erzählstoffen und Logien kein Widerspruch zwischen Lehre und Verhalten Jesu festzustellen ist. Sowohl im Verhalten Jesu wie in seinen Logien zeigen sich grundlegende Strukturen, die sich zueinander konvergierend verhalten. Diese Beobachtung hat den Rang eines "Konvergenzbeweises" 20. So kann man z. B. die Kreuzigung Jesu als factum historicum bezeichnen, nicht jedoch als ein ipsissimum factum J esu, weil auch andere gekreuzigt wurden, wie die beiden Schächer. Ein "ipsissimum" zeigt sich hier höchstens im Verhalten Jesu vor und an seinem Kreuz. Davon ist wieder zu unterscheiden die theologische Interpretation seines Kreuzestodes als eines Todes "für uns". 20 Das Stichwort "Konvergenz" läßt freilich die Frage aufkommen, ob nicht im Leben Jesu sich oft auch eine Divergenz zwischen seiner Lehre und seinem Verhalten beobachtenläßt, z. B. zwischen seiner universalen Liebesforderung und der Härte seines eigenen Verhaltens gegenüber seinen Gegnern, die man aber ebenfalls zu den für Jesus spezifischen Typen seines Verhaltens rechnen kann. Doch soll dieses Problem hier nicht weiter verfolgt werden. 19
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VI. Die sich bis in die literarische Endgestalt der vier Evangelien fortsetzende Konvergenz kann als Zeichen dafür gewertet werden, daß Jesu Leben und Worte nicht eine chaotisch anmutende Wirklichkeit darstellten, sondern aneignungsbare Strukturen aufwiesen. Das trägt zur Erhellung der Frage nach der Erhaltung der Identität im Traditionsprozeß bei. Die Grundstrukturen von Jesu Leben und Worten wurden von den Augen- und Ohrenzeugen rezipiert und in der nachösterlichen überlieferung durchgehalten. Dabei waren die Träger der im Traditionsprozeß durchgehaltenen Kontinuität einmal die apostolischen "Augenzeugen und Diener des Wortes" (Lk 1,2), die mit den apostolischen Augen- und Ohrenzeugen in Verbindung stehende "Gemeinschaft" der Glaubenden (vgl. 1 Joh 1,1-3) und die Endredaktoren selbst, die in der Zeit der Ablösung des apostolischen durch das nachapostolische Zeitalter die Grundstrukturen von Worten und Taten J esu in den Evangelien aus dem zur apostolischen Zeit bestehenden Stadium der Mündlichkeit in die endgültig "objektivierende" und bewahrende Form der Schriftlichkeit gebracht haben. VII. Was das Thema "Jesus und der Text" im Johannesevangelium angeht, sei hier nur folgendes gesagt: 1. Die joh. "Reden" Jesu sind den synoptischen Logienkompositionen (z. B. Bergpredigt) nicht gleichzustellen. Die joh. Reden sind "Kunstreden", besser: "Monologe", die jeweils um ein bestimmtes Thema kreisen 20'. 2. Der Redaktor ("Verfasser") ist an der Formulierung dieser "Reden" in einem ganz anderen Ausmaß beteiligt als der synoptische Redaktor. 3. Bei den Transformationsprozessen, die bei der joh. Traditionsbildungund bei der Schlußredaktion des vierten Evangeliums stattgefunden haben, ist besonders der sich dabei abspielende hermeneutische Vorgang zu bedenken 21 . 20' Vgl. dazu auch, was E. Käsemannin: Jesu letzter Wille nach Johannes 17 (Tübingen 31971) 57 f zu den johanneischen Reden sagt. 21 Vgl. dazu I. de la Potterie, olöo et YLVWOKOO. Les deux modes de la connaissance dans le quatrieme Evangile, in: BibI 40 (1959) 709-725; F. Mußner, Die johanneische Sehweise und die Frage nach dem historischen Jesus (Quaest. disput. 28) (Freiburg i. Br. 1965); R. Schnackenburg, Das Johannesevangelium als hermeneutische Frage, in: NTSt 13 (1966/67) 197-210; F. Hahn, Sehen und Glauben im Johannesevangelium, in: Neues Testament und Geschichte (Festschr. für O. Cullmann) (Zürich-Tübingen 1972) 125-141.
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4. Diese Umstände erschweren im vierten Evangelium die Rückfrage nach dem historischen J esus außerordentlich. 5. Dennoch scheint auch im vierten Evangelium die ipsissima intentio Jesu erhalten zu sein 22 .
C. Grundsätze zu einer rechten Anwendung der Wort- und Stilstatistik Die kritische Rückfrage nach dem historischen Jesus geht, methodisch richtig, gewöhnlich von dem vorgegebenen Text der Evangelien aus. Es werden zuerst die "Redaktionsdecke" abgehoben, dann mit Hilfe der Literar- und Quellenkritik die verschiedenen "Traditionsschichten" festgestellt und auf ihre "Tendenz" hin abgefragt; dann wird das Traditionsmaterial in "kleine Einheiten" zerlegt und an sie die historisch-kritische Frage gerichtet. Dabei spielen naturgemäß die Wortund Stilstatistik eine wichtige Rolle. Was hat besonders der "Wortstatistiker" dabei zu beachten? 1. Der Wortstatistiker muß bedenken, daß ein Autor (z. B. Markus) nicht sein gesamtes Lexeminventar in ein einziges Literaturwerk investiert. 2. Er muß weiter bedenken, daß sowohl der Evangelist als auch die von ihm benutzten Traditionen weithin auch in ihrem Lexeminventar innerhalb des allgemein christlichen Sprachmilieus ("christlicher Soziolekt") sprechen 23. 3. Dabei ist auch zu beachten, daß der Evangelist (und ebenso seine Traditionen) zunächst weitgehend unbewußt, jedoch auch in bewußter Nachahmung des vorgegebenen christlichen Lexeminventars sprechen können 24. 22 Der Begriff ipsissima intentio Jesu wird von W. Thüsing verwendet (z. B. in: K. Rahner - W. Thüsing, Christologie - systematisch und exegetisch [Quaest. disput. 55J [Freiburg i.Br. 1972J 183). 23 Eine umfassende Bibliographie zur Soziologie der Sprache, zusammengestellt von R. Kjolseth und F. Sack, findet sich in: Kölner Zeitschr. für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 15 (1971) (Zur Soziologie der Sprache) 349-390. 24 Bewußte Imitation eines Literaturwerkes durch einen nd. Schriftsteller läßt sich am besten in der Apg studieren, in der Lk Sprache und Stil der Septuaginta nachahmt (vgl. dazu jetzt Näheres bei E. Plümacher, Lukas als hellenistischer Schriftsteller. Studien zur Apostelgeschichte [Göttingen 1972J 38-72).
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4. Dasselbe gilt für die Verarbeitung literarischer Quellen durch den Evangelisten: Der Evangelist kann unter dem unbewußten Einfluß des Lexeminventars seiner Quelle stehen (z. B. Lukas unter dem Einfluß von Q) bzw. dieses Inventar bewußt aufnehmen. 5. Die Wortstatistik hat damit zu rechnen, daß sich das Lexeminventar eines Sprechers bzw. Autors ändert, verengt oder auch erweitert durch die konkreten Situationen und Probleme, mit denen er sich auseinanderzusetzen hat. 6. Die Wortstatistik berücksichtigt oft die semantischen Prozesse nicht, die sich durch die Verwendung eines Lexems in einem bestimmten "Kontext" vollziehen (ein Lexem des Lukas, das auch bei Markus vorkommt, kann bei Lukas eine andere semantische Valeur infolge der neuen Konnotationen besitzen: eine Grundeinsicht der modernen Semantik). 7. Die Thesen 1-6 gelten auch für verschiedene über die Lexemebene hinausgehende syntagmatische Einheiten, wie Topoi, Motive und Theologumena; sie gelten analog auch für die Stilstatistik (z. B. in der statistischen Erhebung bestimmter "Stilfiguren") 25. E. Linnemann beschäftigt sich in ihrem Buch "Studien zur Passionsgeschichte" (Göttingen 1970) 141-143 in bemerkenswerter Weise mit dem Problem der Wortstatistik. Nach ihr muß bei einern Wort gefragt werden: ,,1. Ist sein häufiges Vorkommen dadurch veranIaßt, daß die Sache, die es bezeichnet, häufig erwähnt wird? 2. Welche Äquivalente standen für das betreffende Wort zur Verfügung? .. 3. Wie verteilt sich der Gebrauch des Wortes auf Tradition und Redaktion?" Zur dritten Frage bemerkt Linnemann: " ... Erst wenn das Vorkommen des Wortes in der Redaktion ein starkes übergewicht hat oder sich eindeutig feststellen läßt, daß der Evangelist durch dasselbe des öfteren die Äquivalente in seinen Vorlagen ersetzt hat, ist ein Indiz dafür gegeben, daß dieses Wort auch an den übrigen Stellen des Evangeliums auf ihn zurückgehen kann. Im Einzelfalle läßt sich aber niemals mit Sicherheit sagen, daß die Verwendung dieses Wortes auf den Evangelisten zurückgehen muß. Eine Vorliebe des Evangelisten schließt die Möglichkeit, daß auch seine Tradition das Wort gebraucht hat, ebensowenig aus, wie umgekehrt das Vorkommen eines Wortes in der Tradition seine gelegentliche Verwendung durch den Evangelisten. Für die Unterscheidung von Tradition und Redaktion wirft deshalb die Vokabelstatistik wenig ab." Nach Linnemann sind für die Auswertung eines statistischen Befundes immer drei Möglichkeiten in Betracht zu ziehen: "Der Evangelist kann ein Wort, obwohl es eine Vorzugsvokabel von ihm ist, bereits in der Tradition vorgefunden haben. Der Evangelist kann durch das Wort ein Synonym ersetzt haben, das die Tradition an dieser Stelle bot. Der Evangelist kann den Vers, in dem das Wort vorkommt, selber gebildet haben." Auch "Hapaxlegomena ... besagen für sich genommen wenig und können allein noch keinen Beweis dafür liefern, daß ein Vers, in dem sie sich häufen, der Tradition entstammt", was Linnemann noch näher begründet. 25
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D. Zum "kritischen Aussonderungsprinzip" ("Kriterium der U nähnlichkeit") 1. Das in der Frage nach dem historischen Jesus schon immer genannte Aussonderungskriterium hat E. Käsemann so formuliert: "Einigermaßen sicheren Boden haben wir in einem einzigen Fall unter den Füßen, wenn nämlich Tradition aus irgendwelchen Gründen weder aus dem Judentum abgeleitet noch der Urchristenheit zugeschrieben werden kann ... "26 2. Die Beachtung der Differenzen, um die es im Aussonderungsprinzip geht, vermag zunächst das Sonderprofil Jesu gewiß in aller Deutlichkeit herauszustellen. Doch ist zu beachten, daß ein Mensch sein Profil nicht bloß durch Abhebung von der ihn umgebenden Welt, sondern auch durch Identifizierung mit ihr gewinnt. Damit ist auch ein Kontinuum sowohl nach rückwärts (Tradition) wie auch nach vorne (Wirkungsgeschichte) gegeben. Mit dem Aussonderungsprinzip ist also nicht der ganze J esus erreichbar. 3. Die Anwendung des Aussonderungskriteriums kann leicht zu einer unbemerkten Verquickung von historischer Kritik und dogmatischen (Vor-)Urteilen führen. Das zeigt sich konkret darin, daß unter Anwendung dieses Kriteriums einerseits das Christentum einschließlich der Christologie bisweilen als ein absolutes Novum in der Geschichte erscheint, andererseits Jesus total isoliert wird von der Welt, aus der er gekommen ist (Altes Testament und Judentum), was auch Ausdruck der Wirksamkeit eines bewußt-unbewußten christlichen Antisemitismus sein kann 27 . 4. Es erweist sich als vorteilhaft, wenn bei der Anwendung des kritischen Aussonderungsprinzips von vornherein Logien- und Tatüberlieferung wieder auseinandergehalten werden. 5. Anwendung auf die Logienüberlieferung: a) Grundsätzlich ist hier zu unterscheiden zwischen formaler und inhaltlicher Differenz und Identität. b) Die in den Logien ("Performanz") Jesu beobachtbaren formalen Das Problem des historischen Jesus, in: ZThK 51 (1954) 125-153 (144). Vgl. dazu auch F. Mußner, Der Jude Jesus, in: Freiburger Rundbrief XXIII (1971) 3-7; M. Brocke, Das Judentumsbild neuer Jesusbücher: ebd. 50-59.
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Unterschiede zu anderen Performanzen (Lehrformen des Alten Testaments und Judentums usw.) lassen Schlüsse auf eine spezifische "Kompetenz" Jesu ZU 28 • c) Es ist jedoch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß auch in formaler Hinsicht die Performanz Jesu von der nachösterlichen Gemeinde imitiert worden ist. Deshalb muß nach Kriterien gesucht werden, die eine derartige Nachahmung als solche erkennen lassen. Eine Entscheidung darüber kann nur gefällt werden, wenn dabei vom Inhalt eines Logions nicht abstrahiert wird. So zeigt sich bereits, daß zwar zunächst zwischen formaler und inhaltlicher Differenz und Identität methodisch unterschieden werden muß, aber in der konkreten Anwendung formale und inhaltliche Kriterien meist nicht zu trennen sind 29 • d) Was unter b) gesagt wird, gilt entsprechend auch für die inhaltliche Seite eines Logions. e) Solche Kriterien, die uns ein Logion noch als genuin jesuanisch erkennen lassen, sind eventuell folgende: a) Offene, "vage" ("indirekte") Christologie und Soteriologie. ß) Kein Einfluß der nachösterlichen Homologese. y) Ausschließliches Geprägtsein durch die einmalige, nicht wiederholbare Situation, in der Jesus sich vor Ostern Israel gegenüber befand 30. ö) Widersprüchlichkeit zur nachösterlichen Missionssituation. e) Nicht aufgearbeitete "Rückstände" aus Jesuslogien in der nachösterlichen Adaption auf die Gemeindesituationen (z. B. Mt 10,23). ~) Bewahrung rätselhafter, d. h. von der Situation der nachösterlichen Gemeinde nicht mehr verstehbarer bzw. nicht verstandener Züge in Logien J esu (z. B. Mk 3,28 f; Lk 12, 10)31. 28 Die aus der generativen Grammatik stammenden Begriffe "Performanz" und "Kompetenz" werden hier so verstanden: "Performanz" ist die konkrete, sprachliche Äußerung; "Kompetenz" das Sprachvermögen, das jedoch, ontologisch begriffen, Rückschlüsse auf das Selbstverständnis des Sprechenden zuläßt. 29 Vgl. auch H. Braun, Jesus. Der Mann aus Nazareth und seine Zeit (Stuttgart - Berlin 1969) 34f. 30 Vgl. zu den drei erstgenannten Kriterien F. Mußner, Wege zum Selbstbewußtsein Jesu. Ein Versuch, in: BZ NF 12 (1968) 161-172. 31 Vgl. dazu auch C. Colpe, Der Spruch von der Lästerung des Geistes, in: E. Lohse (Hrsg.), Der Ruf Jesu und die Antwort der Gemeinde (J. Jeremias zum 70. Geburtstag) (Göttingen 1970) 63-79.
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1]) Bewahrung der sich sowohl von der jüdischen als auch von der gemeindlichen unterscheidenden Eschatologie Jesu. [tes. 'I't) Durchgehaltene Radikalität in der Auslegung des Willens Got-
6. Anwendung auf die Tatüberlieferung: Bei der Gewinnung von Kriterien hinsichtlich der Tatüberlieferung werden hier die Wunder- und Passionsüberlieferung herausgehalten (s. dazu die Beiträge von K. Kertelge und R. Pesch in diesem Band). Die Gewinnung von Kriterien beschränkt sich hier auf das "Verhalten" Jesu, wobei freilich das Verhalten Jesu sich gerade auch manchmal in Wundern zeigt 32 . Im Fall der Logienüberlieferung ist die Anwendung des Aussonderungsprinzips durch das Vorliegen von "Paralleltexten" (die zunächst als solche erscheinen) aus Judentum und Gemeinde möglich. Um hinsichtlich der Tatüberlieferung eine Vergleichsbasis zu gewinnen, ist es nötig, das Verhalten J esu zunächst in bestimmte Verhaltenskomplexe mit ihren spezifischen "Adressaten" aufzugliedern. Als solche können genannt werden: "Zöllner und Sünder", "Unreine" und Kranke, Jünger, Frauen, Kinder, Obrigkeit, Staatsrnacht, Volksfremde, Verwandte, Gesetz und Kult. Dabei gilt es zu prüfen, inwieweit Jesu Verhalten gegenüber den genannten "Adressaten" sich spezifisch unterscheidet vom Verhalten des offiziellen Judentums bzw. vom Verhalten der Gemeinde (wenn sich etwa in der überlieferung eine deutliche Tendenz zur "Rejudaisierung" zeigt). Im übrigen ist zu prüfen, ob die oben unter Se genannten Kriterien auch auf die Traditionen über das Verhalten Jesu anwendbar sind.
E. Zum "Querschnittsbeweis"33 ("Breite der überlieferung", "Kriterium vielfacher Bezeugung") 1. Mit dem sog. Querschnittsbeweis ist gemeint, die überlieferung
habe dann einen gewissen Anspruch auf Echtheit, wenn diese in den verschiedenen, voneinander unabhängig entstandenen Traditionen beVgl. dazu F. Mußner, Die Wunder Jesu. Eine Hinführung (München 1967) 33-44. Vgl. auch N. Perrin, Was lehrte Jesus wirklich? Rekonstruktion und Bedeutung (deutsch Göttingen 1972) 40-42. 32
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zeugt ist (Q, Mk-Tradition, Sondergut, joh. Tradition, eventuell auch paulinische Bezeugung). Dabei ist jedoch zu beachten, daß "die Breite der überlieferung" als Kriterium nur dann eingesetzt werden kann, wenn man mit ihm nicht wieder auf (wenn auch noch so frühe) "Gemeindetheologie" stößt, sondern auf eine Jesusüberlieferung, die auch durch andere Kriterien als genuin abgesichert werden kann. 2. Dieses Kriterium gewinnt dann an überzeugungskraft, wenn eine breit bezeugte überlieferung nicht bloß in den verschiedenen Traditionsschichten, sondern auch in verschiedenen in diesen Traditionsschichten verwendeten Formen anzutreffen ist. Beispiel: Ein in der Tatüberlieferung zuverlässig bezeugtes Verhalten Jesu begegnet auch in der "Theorie" Jesu, etwa das Verhalten Jesu zu Zöllnern und Sündern auch in seiner Lehre (vgl. Gleichnis vom verlorenen Sohn). 3. Daraus ergibt sich, daß dieses Kriterium mehr für die Bestimmung gewisser Verhaltensweisen Jesu geeignet ist als zum Erweis der Authentizität des Wortlauts von Logien. F. Das Kriterium der "Gegenkontrolle" 1. Jene Logien, die mit Hilfe der vorher genannten Kriterien sich nicht
mit Sicherheit als genuin jesuanisch nachweisen lassen, werden gemeinhin der sogenannten Gemeinde als dem Ort ihrer Bildung zugeschrieben. Wie der synoptische Vergleich zeigt, gibt es in der Tat solche Logien bzw. Erweiterungen von ihnen, die zweifellos als Gemeindebildungen anzusprechen sind. Doch bleibt ein Rest von Logien, die nicht mit Sicherheit entweder Jesus oder der Gemeinde zugeschrieben werden können. Deshalb bleibt die Frage: Gibt es Kriterien, die ähnlich wie jene zur Sicherung genuin jesuanischer Logien angewendeten zur Sicherung echter Gemeindebildungen in der Logienüberlieferung dienen können. Denn es genügt nicht die Feststellung, daß ein Logion sicher nicht auf Jesus selbst zurückgeht, sondern es muß die Gegenfrage ebenso kritisch gestellt werden, ob es denn überhaupt eine Gemeindebildung sein kann. 2. Zunächst muß von der "Gemeinde" in einer viel differenzierteren Weise geredet werden, als es gewöhnlich geschieht. Dabei sind folgende Unterscheidungen grundlegend: Vorösterlicher Jüngerkreis 34, 34 Auf seine Bedeutung für die Logientradition hat besonders H. Schürmann aufmerksam gemacht; s. den in Anm. 5 genannten Aufsatz.
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palästinensisch-judenchristliche Gemeinde, palästinensisch-hellenistisch-judenchristliche Gemeinde, diaspora-judenchristliche Gemeinde, heidenchristliche Gemeinde. 3. Eine weitere Differenzierung ergibt sich daraus, daß auch noch der Redaktor Autor sogenannter Gemeindebildungen sein kann. 4. Das führt weiter zu der Frage, wer näherhin bei wirklicher Gemeindebildung der Autor von Logien und sonstigen überlieferungen innerhalb dieser Gemeinden ist (z. B. sogenannte Gemeindepropheten)35. Hinsichtlich dieser Frage ist die Beobachtung von Bedeutung, daß im Neuen Testament außerhalb der Evangelien bei sogenannten Geistsprüchen der Empfänger mitgenannt wird 36 , was Anlaß gibt, die von Käsemann aufgestellte These von der Logienbildung durch urchristliche Gemeindepropheten kritisch zu überprüfen. 5. Weiter ist zu überlegen, welche Rolle die Apostel Jesu als seine Augen- und Ohrenzeugen bei sogenannten Gemeindebildungen gespielt haben. 6. Logien, in denen Themata auftauchen, die für die "theologische Situation" der nachösterlichen Gemeinde typisch sind, stehen im Verdacht, in der Tat Gemeindebildungen zu sein. Ins Auge zu fassen sind hier jene überlieferungen, bei denen folgende Faktoren deutlich ihren Einfluß geltend machen: a) Einfluß der christologischen Homologese (Auftauchen von christologischen Würdenamen in einem Logion, evtl. abgesehen von "Menschensohn"). b) Spezifisch nachösterliche Soteriologie 37 . c) Deutlicher Einfluß des Passions- und Auferstehungskerygmas (z. B. Mt 12,39 f). 35 Vgl. dazu etwa E. Käsemann, Sätze heiligen Rechts im Neuen Testament, in: NTSt 1 (1954/55) 248-260. 36 Darauf hat F. Neugebauer in seinem Aufsatz: Geistsprüche und Jesuslogien, in: ZNW 53 (1962) 218-228, hingewiesen. 37 Wie schwierig es freilich ist, hier zu sicheren Ergebnissen zu kommen, zeigt sich etwa beim f.l";Qov-Logion Mk 10,45 (Mt 20,28); vgl. dazu J. Jeremias, Das Lösegeld für Viele (Mk. 10,45), in: ABBA. Studien zur ntl. Theologie und Zeitgeschichte (Göttingen 1966) 216-229; H. Patsch, Abendmahl und historischer Jesus (Stuttgart 1972) 170-180; H. Schürmann, Wie hat Jesus seinen Tod bestanden und verstanden? Eine methodenkritische Besinnung, in: Orientierung an Jesus. Zur Theologie der Synoptiker (Festschr. für J. Schmid) (Regens burg 1973) 325-363; J. Roioff, Anfänge der soteriologischen Deutung des Todes Jesu (Mk X,45 und Lk XXII.27), in: NTSt 19 (1972/73) 38-64.
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d) Deutlicher Einfluß der durch die nachösterliche Mission gegebenen Problematik. e) Einfluß der nachösterlichen Verfolgungserfahrung. f) Liturgisch-sakramentale Interessen. g) Durch das Osterereignis transformierte Eschatologie. h) Einfluß von Gemeindeordnungen und Kirchenzucht. i) Veränderte Situation Israel gegenüber(?)38. k) Versuch der Enträtselung dunkler Jesuslogien. 1) Akkommodation radikaler Forderungen Jesu an die Gemeindegegebenheiten (z. B. in der Frage der Ehescheidung) 39. m) Rejudaisierungstendenzen. 7. Wo in Logien die eben aufgeführten Tendenzen und theologischen Themata fehlen, muß man mit einer Zuteilung von Logien an die oben genannten nachösterlichen Gemeinden vorsichtig sein.
G. Zum "Sitz im Leben"
1. Zur Geschichte des Begriffs "Sitz im Leben" seit H. Gunkel (1906)40 1. "Jede alte literarische Gattung hat ursprünglich ihren Sitz im Volksleben Israels an ganz bestimmter Stelle" (Gunkel) 41. "Zum Begriff einer antiken Gattung gehört nun, daß sie einen ganz bestimmten Sitz im Leben hat" (ders.)42. Gunkel hat immer nur das gesprochene Wort, nie einen literarischen Text im Auge; er betont grundsätzlich den Charakter der Mündlichkeit kleiner literarischer Einheiten, die zum situa38 Das Fragezeichen will darauf aufmerksam machen, daß z. B. ein ablehnendes Verhalten Israels gegenüber der Botschaft sich sowohl vorösterlich als auch nachösterlich äußern konnte. 39 Vgl. dazu etwa B. Schaller, Die Sprüche über Ehescheidung und Wiederheirat in der synoptischen überlieferung, in: E. Lohse (Hrsg.), Der Ruf Jesu und die Antwort der Gemeinde (J. Jeremias zum 70. Geburtstag) (Göttingen 1970) 226-246. 40 Zu Gunkels Lehre vom "Sitz im Leben" s. besonders die Ausführungen bei W. Klatt, Hermann Gunkel. Zu seiner Theologie der Religionsgeschichte und zur Entstehung derformgeschichtlichen Methode (Göttingen 1969) 144-148; dazu auch noch K. Koch, Was ist Formgeschichte? Neue Wege der Bibelexegese (Neukirchen 21967) 34-48. 41 H. Gunkel, Die Grundprobleme der israelitischen Literaturgeschichte, in: ders., Reden und Aufsätze (Göttingen 1913) 29-38 (33); dazu vgl. ders., Art. Literaturgeschichte H. AT, in: RGG 2III, 1679. 42 H. Gunkel, Formen oder Hymnen, in: ThRsch 20 (1917) 265-304 (269).
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tionsgebundenen Mitteilen und Hören gesprochen wurden. "Alle antike Literatur hat ursprünglich nicht in geschriebener, sondern in gesprochener Form bestanden" (ders.)43. Der Begriff "Sitz im Leben" bezieht sich bei Gunkel also nur auf die Formen und Gattungen der oralen "Literatur", der Sprache im Zustand der Mündlichkeit. 2. M. Dibelius 44 erweitert den Begriff, insofern er darunter nun auch den "Ort" von Texten (Formen, Hymnen, Logien) im Leben der frühen christlichen Gemeinde versteht. 3. J. Jeremias 45 versucht in der Gleichnisforschung den Begriff "Sitz im Leben" zu erweitern, indem er von einem "zweifachen historischen Ort" spricht. Der erste ist für ihn "eine jeweilig einmalige Situation im Rahmen der Wirksamkeit Jesu", der zweite, wie bei Dibelius, der "Sitz im Leben und Denken der Urkirche". 4. H. Schürmann 46 macht demgegenüber wieder darauf aufmerksam (Logientradition, 47 f), daß der Begriff "Sitz im Leben" von seinem ursprünglichen Verständnis her eine soziologische Kategorie ist und deshalb nicht auf die jeweilig einmalige Situation im Rahmen der Wirksamkeit J esu anwendbar ist, worauf auch schon R. Bultmann hingewiesen hat, wenn er formuliert, daß mit dem Begriff "Sitz im Leben" "nicht der Ursprung eines einzelnen Berichts (als Berichtes über etwas) in einer einzelnen geschichtlichen Situation oder Person gemeint (ist), sondern die Beziehung eines literarischen Stücks (als literarischen) auf eine allgemeine geschichtliche Situation (wie Krieg, Kult, Verkehr usw.), aus der die Gattung erwuchs, der jenes Stück zugehört" (ThLZ 50 [1925] 316)47. Dagegen versucht Schürmann den Begriff "Sitz im Leben" auch für den vorösterlichen Bereich fruchtbar zu machen, indem er einen "Sitz im Leben des vorösterlichen Jüngerkreises" konstatieren will (37), mit dem man "mitten hinein ins Leben Jesu" kommt. 5. Trotz der oft unpräzisen Anwendung des Begriffs "Sitz im Leben" in der Exegese 48 scheint sich seine Legitimität von daher zu H. Gunkel in: Die Schriften des AT in Auswahl, erkl. von H. Gunkel u. a. (Göttingen 21920-25) I, 1, 6. 44 M. Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums (Tübingen 41961) 9ff. 4S J. Jeremias, Die Gleichnisse Jesu (Göttingen 71965) 17ff. 46 H. Schürmann, Die vorösterlichen Anfänge der Logientradition (s. Anm. 5) 39-65 47 R. Bultmann, Rez. zu E. Fascher, in: ThLZ 50 (1925) 316. [(47f). 48 Zum Ganzen vgl. Güttgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums, 82-90 154-157 167-177. Außerdem: K. Koch, Was ist Formgeschichte? Neue Wege der Bibelexegese (Neu kirchen 21967) 30 ff; H. Zimmermann, Neutestamentliche Methodenlehre (Stuttgart 31970) 172 ff. 43
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zeigen, daß auch die moderne Sprach- und Literaturwissenschaft den mit diesem Begriff anvisierten Sachverhalt sieht, nur mit anderer Begrifflichkeit. Zur Konstruktion des "Sinnes" einer Literatur führt auch die Sprachwissenschaft Situations analysen, "Referenz"- und "Kontextermittlung" durch, wodurch sie denselben Rekurs einer "Bedeutung" auf ihre soziologische Ursprungssituation betreibt wie die Exegese mit Hilfe ihres Begriffs "Sitz im Leben". II. Transformationen 1. Jesus. Man spricht im Hinblick auf das Wirken J esu gewöhnlich statt von "Sitz im Leben" von einmaliger "Situation" in der Wirksamkeit Jesu. Dennoch darf mit Blick auf den Umstand, daß Jesu Wirken in der Großgemeinschaft Israel bzw. häufig gegenüber Gemeinschaftsgruppen Israels verlaufen ist, erwogen werden, ob nicht auch hier besser von "Sitz im Leben" als von "Situation" gesprochen werden soll, weil es bei Jesus gegenüber Israel und seinen Gruppen oft nicht um einmalige Situationen, sondern um wiederholte und darum typische Rede- und Verhaltensweisen ging. 2. Vorösterlicher Jüngerkreis. Unter Annahme von ~rster Traditionsbildung schon im vorösterlichen Jüngerkreis ist auch hier mit Schürmann der Begriff "Sitz im Leben" durchaus am Platz. Die Folge davon ist, daß die Erstfunktion der Predigt und der Verhaltensweisen Jesu, d. h. ihr Sitz im Leben beim historischen Jesus, "aufgehoben" und in eine Zweitfunktion umgesetzt wird, um einen neuen Zweck im Jüngerkreis zu erfüllen (Erstkonservierung, Nachfolgeweisung usw.). 3. Nachösterliche Gemeinde. Beim übergang der Stoffe in das Traditionsmilieu der nachösterlichen Gemeinde erfahren diese einen erneuten Funktionswechsel: sie haben jetzt ihren Sitz im konkreten Leben der Gemeinde. Auch dieser Funktionswechsel bedingt eine Akzentverschiebung und eine Veränderung der semantischen Gehalte durch den neuen "Kontext". Das ist naturgemäß kein einmaliger und geradliniger Vorgang gewesen, sondern ein laufender Prozeß über die eventuell beginnende Verschriftlichung bis hin zur Schlußredaktion. 4. Schlußredaktion. Mit der endgültigen Verschriftlichung in der Schlußredaktion wird dieser "Kontext" literarisch, was folgende Konsequenzen hat:
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a) Die neue Kontextuierung bringt die Aufhebung der bisherigen Sitze im Leben mit sich. b) über die neue Kontextuierung partizipiert das Material an dem "Sitz im Leben" der literarischen Großform "Evangelium" 49. c) Von einem "Sitz im Leben" der Groß form "Evangelium" läßt sich deshalb sprechen, weil auch der Redaktor seine Redaktionsarbeit im Hinblick auf eine Gemeinschaft, nämlich seine Adressatengemeinde, leistet. Dabei ist jedoch zu bedenken, daß bei der Schlußredaktion der individuelle Sprachwille des Redaktors viel stärker sich durchsetzte als bei den vorausgehenden Trägern der überlieferung. 5. Durch die Aufnahme der Evangelien in den Kanon wird die ursprüngliche geographische Limitierung der Adresse aufgehoben und die Gesamtkirche wird der neue und endgültige "Sitz im Leben". III. Wege zurück zum historischen Jesus Die vorausgehenden Reflexionen über die durch die verschiedenen Sitze im Leben bedingten vielfältigen Transformationen machen die großen Schwierigkeiten, den primären Sitz im Leben bei Jesus noch zu finden, bewußt. Doch können die unter B, D, E und F vorgelegten Kriterien eine Hilfe dabei bieten.
H. Zur Methode des Vergleichs religionsgeschichtlicher "Analogien" Bei der Suche nach dem historischen J esus spielt der religionsgeschichtliche Analogievergleich nicht selten eine wichtige Rolle. Häufig läßt sich jedoch beobachten, daß allzu rasch "Analogien" (etwa in der Richtung der Theios-Aner-Ideologie) und "übertragungen" konstatiert werden, bevor überhaupt die komparatistische Methode kritisch Vgl. auch Güttgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums, 257: "Die Form des Evangeliums ist als sprachliche ,Gestalt' eine unlösbare dialektische Einheit von traditionsgeschichtlich überkommenem ,Material' und intentional-akthafter Gestaltung der sprachlichen ,Form', die das ,Material' ,aufhebt', indem sie es als Darstellungsmittel des mit dem neuen ,Sinn'-Horizont gesetzten Bedeutungsgefüges der Form des Evangeliums dienen läßt ... und so auch den sprachlichen Zusammenhang des ,Materials' (,Sitz im Leben') verändert ... " 49
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reflektiert wird. Dazu möchten die folgenden überlegungen, die auch wieder Anregungen aus der modernen Sprach- und Literaturwissenschaft aufnehmen, eine Hilfe bieten. 1. Von "Analogien" wird in der Religionsgeschichte gewöhnlich gesprochen, wenn irgend eine gemeinsame Thematik sich zeigt. Solche Analogien können in verschiedenen Bereichen festgestellt werden, z. B. im Bereich von Archäologie oder von Texten. In den folgenden Thesen wird nur die Analogie berücksichtigt, die in Texten vorkommt. 2. Eine Grundeinsicht der modernen Sprach- und Literaturwissenschaft ist die, daß die Bedeutung eines sprachlichen Einzelelements (Lexem, Satz, Kleine Texteinheit) durch seine Position innerhalb eines textlichen Gesamtgefüges konstituiert wird. Das heißt z. B.: dasselbe Lexem (Satz, Kleine Texteinheit) hat in verschiedenen Texten häufig auch verschiedene Bedeutung, oder m. a. W.: das Gesamtgefüge eines Textes bestimmt die semantische Valeur eines Einzelelements so . Deshalb ist beim religionsgeschichtlichen Analogievergleich stets dieses jeweilige Gesamtgefüge im Auge zu behalten. 3. Das "Gesamtgefüge" ist für ein Einzelelement zunächst die sogenannte Kleine Einheit, die sich unter Beachtung makrosyntaktischer Signale von dem sie umgebenden Text abgrenzen läßt s 1, dann aber auch der ganze umgebende Text (etwa ein Evangelium). Das hat zur Folge, daß über den Vergleich der jeweiligen "Kleinen Einheiten" hinaus auch ein Vergleich der jeweiligen Gesamttexte erfolgen muß. Denn selbst bei Feststellung von Ähnlichkeiten bei Kleinen Einheiten muß noch nicht eine religionsgeschichtliche Analogie vorliegen, da ja das weitere Eingebettetsein einer Kleinen Einheit in das große Gesamtgefüge (Syntagma) die semantische Valeur der ersteren färbt, wenn nicht ganz verändert. 4. Der religionsgeschichtliche Analogievergleich wird darüber hinaus dadurch erschwert, daß nach den Erkenntnissen der Sprachwissenschaft zwischen der "Oberflächenstruktur" und der "Tiefenstruktur" eines Satzes (Textes) unterschieden werden muß. Die "Oberflächenstruktur" zeigt sich am konkreten, phonematisch und graphematisch vorliegenden Satz (Text); bei der" Tiefenstruktur" wird von der ber-
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50 Vgl. auch Güttgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums, 54-56 (mit Literatur). 51 Zur Gewinnung von "Kleinen Einheiten" s. die methodischen Hinweise bei W. Richter, Exegese als Literaturwissenschaft (Göttingen 1971) 66-72.
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flächenstruktur eines Satzes (Textes) abstrahiert und nach dem bewußten und unbewußten Regelsystem gefragt, das die Generierung sinnvoller Sätze ermöglicht. Um das tatsächliche Vorliegen einer religionsgeschichtlichen Analogie feststellen zu können, genügen daher nicht Ähnlichkeiten in der Oberflächenstruktur, vielmehr muß auch eine weitgehende übereinstimmung in der aus den Oberflächen": strukturen zweier (oder mehrerer) Sätze (Texte) zu erschließenden Tiefenstruktur feststellbar sein. Denn die "Tiefenstruktur enthält alle für die Bedeutung eines Satzes wesentlichen Informationen. Die Repräsentation dieser Information in der Form eines konkreten Satzes ist die Oberflächenstruktur."51a Die Basiskomponente der Tiefenstruktur besteht aus zwei Subkomponenten: einem Regelteil und einem Lexikonteil, wobei der letztere die Formative mit bestimmten Informationen liefert. So sind z. B. die Sätze: Jesus ist der Retter der Welt, Hadrian ist der Retter der Welt, dem Regelteil nach zwar gleich strukturiert, nicht jedoch dem Lexikonteil nach; denn Jesus von N azareth ist ein anderer als Kaiser Hadrian, der sich gern "der Retter der Welt" nennen ließ. Der Lexikonteil, hier das je andere "Paradigma" Jesus bzw. Hadrian, ist aber mitbestimmend für die "Bedeutung" eines Satzes. Im Fall unseres Satzbeispiels bestimmt das "Paradigma" die semantische Valeur des von ihm ausgesagten Würdeprädikats, und nicht umgekehrt 52 . Zudem steht der Satz "Jesus (bzw. Hadrian) ist der Retter der Welt" je in einem anderen Kontext (Großsyntagma), was seine hermeneutisch-semantische Erschließung entscheidend mitbestimmt (s. o. unter 3). 5. Trotz der in den obigen Thesen gemachten Feststellung, daß die semantische Valeur eines sprachlichen Einzelelements primär von seiner synchronen Position bestimmt ist, muß beim religionsgeschichtliF. Hundsnurseher, Neuere Methoden der Semantik (Tübingen 1970) 4. Vgl. auch]. M. Lotman, Die Struktur literarischer Texte (UTB 103) (München 1972) 125: "Die phonologisch-grammatischen Elemente organisieren die semantisch heterogenen Einheiten zu äquivalenten Klassen, und bringen dabei in die Semantik der Verschiedenheit ein Element der Identität. Umgekehrt aktivieren die formalen Kategorien bei Kongruenz der semantischen Elemente die Relation der Verschiedenheit, indem sie in dem (auf der Ebene der natürlichen Sprache) semantisch Homogenen eine Sinndifferenzierung (auf der Ebene der künstlerischen Struktur) hervortreten lassen." Die "die Relation der Verschiedenheit" aktivierenden "Kategorien" sind im oben angeführten Beispiel die nicht auswechselbaren "Paradigmen" Jesus bzw. Hadrian. Es spielt hier auch das Problem der "Inkompatibilität" eine wichtige Rolle, über das in der modernen Semantik viel diskutiert wird.
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chen Analogievergleich auch beachtet werden, daß die sprachlichen Einzelelemente, diachron gesehen, eine semantische Vorgeschichte haben, die in die "Bedeutung" miteinfließt, so z. B. bei den Würdeprädikaten, die auf J esus von N azareth von der Gemeinde übertragen wurden (wie "Messias" oder "Herr"). 6. Von einer solchen "übertragung" kann in der religions geschichtlichen Komparatistik legitim gesprochen werden. Sie liegt in der Tat im Fall Jesu vor, da auf ihn vorgegebene Hoheitstitel (alttestamentlich-jüdischer oder hellenistischer Herkunft) übertragen worden sind. Doch läßt sich methodisch zeigen, daß dadurch die J esustradition weder verfälscht worden noch verlorengegangen ist, vielmehr eine sachgemäße Interpretation und Explikation des "Jesusphänomens" erfolgt ist 53 . Trotz einer Fülle religionsgeschichtlicher übertragungsmöglichkeiten sind hierbei die interpretierenden Tradenten der Jesusüberlieferung selektierend und limitierend vorgegangen 54. Dieser selektierende und limitierende übertragungswille motiviert sich aus einem bestimmten Traditionswissen um Jesus, das aber seinerseits durch die Sätze der Homologese in der Funktion einer "Gegenkontrolle" reguliert wird, weil die Homologese immer wieder den Versuch verhindert, Jesus von Nazareth und seine "Sache" im Dienst einer bestimmten Ideologie zu interpretieren. Als kritische Forderung ergibt sich daraus, daß bei der Annahme von "übertragungen" nach der hinter einer übertragung liegenden Absicht zu fragen ist, und zwar in folgender Richtung: a) Soll Jesus und seine Sache erhalten bleiben? b) Soll aus Jesus "etwas gemacht" werden? c) Soll Jesus nur in gängige Schemata der religiösen überlieferung, sei es Israels, sei es des Hellenismus, eingeordnet werden? d) Oder was immer sonst? Grundsätzlich bedeutet das, daß in der religionsgeschichtlichen Dies hat am Fall des Würdeprädikats 6 aQX'l]y6~ für Jesus (vgl. Apg 3,15; 5,31; Hebr 2, 10; 12,2) P.-G. Müller in seiner Dissertation XPTLTOL APXHrOL. Der religionsgeschichtliche und theologische Hintergrund einer neutestamentlichen Christusprädikation (Europäische Hochschulschriften XXIII/28) (Bern - Frankfurt a. M. 1973) vorbildlich gezeigt. 54 Vgl. dazu H. Schlier, Die Anfänge des christologischen Credo, in: B. Weite (Hrsg.), Zur Frühgeschichte der Christologie. Ihre biblischen Anfänge und die Lehrformel von Nikaia (Quaest. disput. 51) 13-58; F. Mußner, Christologische Homologese und evangelische Vita Jesu: ebd. 59-73 (69-71).
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Komparatistik die Frage nach der "Sprachintention" des konkreten "Generators" von Sätzen (Texten) nicht ohne Belang ist. Das gilt sowohl im Hinblick auf Jesus als auch auf die Gemeinde. Ohne die Berücksichtigung der Sprachintention kommt man beim religionsgeschichtlichen Analogievergleich zu Fehlurteilen 54'. 7. "Wer sicher gehen will, muß sehr mit den Analogien auf der Hut sein; es ist doch eine gar zu gefährliche Art" (Platon, Sophistes 231a).
I. Weitere Probleme Bei dem Thema "Methodologie der Frage nach dem historischen Jesus" wären noch einige Faktoren und Fragen zu bedenken, die in den vorausgehenden Vorlagen nicht oder kaum berücksichtigt worden sind. Dazu gehören folgende: 1. Das Verhältnis von "Text" und Existenz. 2. Das Verhältnis von "Text" und Geschichte 55. 3. Die "Transformation eines Objekts in Sprache" (R. Barthes). 4. "Erkenntnis und Interesse" (J. Habermas). 5. Ideolekt - Soziolekt (ihre jeweilige Eigenart). 6. Was heißt "Kontinuität"?56 7. Was heißt "Rezeption"?57 8. Geschichte und "Wirkungsgeschichte" (H.-G. Gadamer). Der Hinweis auf diese Probleme soll ins Bewußtsein bringen, wie viele Dinge in der form geschichtlichen Arbeit, die beim methodischen Vorgehen in der Frage nach dem historischen Jesus selbstverständlich auch weiternin eine wichtige Rolle spielen wird, nicht oder nicht genügend bedacht worden sind. Es gibt im Hinblick auf unser Thema noch allzuviel "Ungedachtes". 54' VgJ. auch noch C. Westermann, Sinn und Grenze religionsgeschichtlicher Parallelen, in: ThLZ 90 (1965) 489-496. 55 Vgl. dazu E. Güttgemanns, "Text" und "Geschichte" als Grundkategorien der Generativen Poetik. Thesen zur aktuellen Diskussion um die "Wirklichkeit" der Auferstehungstexte, in: Linguistica Biblica 11/12 (1972) 2-12; S. J. Schmidt, "Text" und "Geschichte" als Fundierungskategorien. Sprachphilosophische Grundlagen einer transphrastischenAnalyse, in: W. D. Stempel (Hrsg.), Beiträge zur Textlinguistik (München 1971) 31-52; R. Koselleck - W.-D. Stempel (Hrsg.), Geschichte - Ereignis und Erzählung (München 1973). 56 Vgl. dazu H. M. Baumgartner, Kontinuität und Geschichte. Zur Kritik und Metakritik der historischen Vernunft (Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1972); H. Trümpy (Hrsg.), Kontinuität - Diskontinuität in den Geisteswissenschaften (Darm stadt 1973). 57 Vgl. etwa A. Grillmeier, Konzil und Rezeption, in: ThPh 45 (1970) 321-352.
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Anhang: Ausgewählte Literatur
I. Zum Thema (im wesentlichen nur Literatur zur Kriterien/rage) Baird,J. A., Audience Criticism and the Historical Jesus (Philadelphia 1969). Calvert, D. G. A., An examinatioti of the criteria for distinguishing the authentie words of Jesus, in: NTSt 18 (1971/72) 209-218. Delling, G., Geprägte Jesus-Tradition im Urchristentum, in: Studien zum NT und zum hellenistischen Judentum (Göttingen 1970) 160-175. Gerhardsson, B., Memory and Manuscript. Oral Tradition and Written Transmission in Rabbinie Judaism and Early Christian}ty (Uppsala 1961). Gerhardsson, B., Tradition and Transmission in Early Christianity (Lund 1964). Grant, F. c., The Authenticity of Jesus' Sayings, in: W. Eltester (Hg.), Ntl. Studien für R. Bultmann (Berlin 21957) 137-143. Greenwood, D., Rhetorical Criticism and Formgeschichte. Some methodological Considerations, in: JBL 89 (1970) 418-426. Hahn, F., Methodenprobleme einer Christologie des NT, in: FuV 15 (1970/2) 3-41. Jeremias,f., Kennzeichen der ipsissima vox Jesu, in: ABBA (Göttingen 1966) 145-152. /(äsemann, E., Das Problem des historischen Jesus, in: ZThK 51 (1954) 125-153. Kieffer, R., Essais de methodologie neo-testamentaire (Lund 1972). Kremer, J., Die Methoden der historisch-kritischen Evangelienforschung und die Frage nach Jesus von Nazareth, in: Bibel und Liturgie 46 (1973) 83-91. Lehmann, M., Synoptische Quellenanalyse und die Frage nach dem historischen Jesus (Berlin 1970). Mußner, F., Wege zum Selbstbewußtsein Jesu. Ein Versuch, in: BZ 12 (1968) 161-172. Neugebauer, F., Geistspruche und Jesuslogien, in: ZNW 53 (1962) 218-228. Perrin, N., Was lehrte Jesus wirklich? Rekonstruktion und Deutung (Göttingen 1972). Riesen/eld, H., The Gospel Tradition and its Beginnings. A study in the limits of the Formgeschichte, in: Stud. Evang. (TU 73) (Berlin 1959) 43-65. Robinson, J. M., The Dismancling and Reassem bling of the categories of N ew Testament Scholarship, in: Interpretation 25 (1971) 63-77. Roloff, J., Das Kerygma und der irdische Jesus. Historische Motive in den Jesus-Erzählungen der Evangelien (Göttingen 1970). Schille, G., Literarische Quellenhypothesen im Licht der Wahrscheinlichkeitsfrage, in: ThLZ 97 (1972) 331-340. Simonsen, H., Zur Frage der grundlegenden Problematik in förm- und redaktions ge~chichtlicher Evangelienforschung, in: StTh 27 (1972) 1-23. Schürmann, H., Die vorösterlichen Anfänge der Logientradition, in: ders., Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zu den synoptischen Evangelien (Düsseldorf 1968) 39-65. Schürmann, H., Wie hat Jesus seinen Tod bestanden und verstanden? Eine methodenkritische Besinnung, in: Orientierung an Jesus. Zur Theologie der Synoptiker (Freiburg i. Br. 1973) 325-363 (näherhin 325-332). Stein, R. H., The proper Methodology for ascertaining a Marcan Redaction History, in: NT 13 (1971) 181-198. Stuhlmacher, P., Kritische Marginalien zum gegenwärtigen Stand der Frage nach Jesus, in: Fides et Communicatio (Festschrift für M. Doerne) (Göttingen 1970) 341-361. Walker, W. 0., The Quest for the Historical Jesus: a discussion of Methodology, in: AThR 51, 38-56. Wie/el, W., Vätersprüche und Herrenworte. Ein Beitrag zur Frage der Bewahrung mündlicher Traditionssätze, in: NT 11 (1969) 105-120.
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l/. Zur Sprach- und Literaturwissenschaft
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Arens, H., Sprachwissenschaft. Der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart (Freiburg-München 21969).
Barthes, R., Literatur oder Geschichte (Edition Suhrkamp) (Frankfurt a.M. 1969). Bechert, J., u. a., Einführung in die generative Transformationsgrammatik (München 21971).
Blumensath, H., Strukturalismus in der Literaturwissenschaft (Köln 1972). Bühler, H., u. a., Linguistik 1. Lehr- und übungsbuch zur Einführung in die Sprachwissenschaft (Tübingen 21971).
Bünting, K.-D., Einführung in die Linguistik (Frankfurt a. M. 1971). Chomsky, N., Aspekte der Syntax-Theorie (Frankfurt a.M. 1970). Coseriu, E., Einführung in die strukturelle Linguistik (Tübingen 1969). Coseriu, E., Synchronie, Diachronie und Geschichte. Das Problem des Sprachwandels (München 1971).
Eco, u., Einführung in die Semiotik (UTB 105) (München 1972). Glinz, H. Linguistische Grundbegriffe und Methodenüberblick (Horn burg 1970). Greimas, A. ]., Strukturale Semantik (Braunschweig 1971). Güttgemanns, E., studia linguistica neotestamentica (München 1971). Hempter, K. W., Gattungstheorie. Information und Synthese (UTB 133) (München 1973).
Hirsch, E. D., Prinzipien der Interpretation (UTB 104) (München 1972). Hundsnurscher, P., Neuere Methoden der Semantik (Tübingen 1970). Koselleck, R., u. Stempel, W.-D. (Hrsg.), Geschichte - Ereignis und Erzählung (München 1973).
Kronasser, H., Handbuch der Semasiologie (Heidelberg 21968). Lämmert, E., Bauformen des Erzählens (Stuttgart 1970). Leibfried, E., Kritische Wissenschaft vom Text (Stuttgart 1970). Lepschy, G. c., Die strukturale Sprachwissenschaft. Eine Einführung (München 1969). Lotman,]. M., Die Struktur literarischer Texte (UTB 103) (München 1972). Lyons, J., Einführung in die moderne Linguistik (München 1971). Martinet, A., Grundzüge der Allgemeinen Sprachwissenschaft (Stuttgart 41970). Martinet, A. (Hrsg.), Linguistik. Ein Handbuch (Stuttgart 1973). Mecklenburg, N., Kritisches Interpretieren. Untersuchungen zur Theorie der Literaturkritik (München 1972).
Müller, P. G., Die linguistische Kritik an der Bibelkritik, in: Bibel und Liturgie 46 (1973) 105-118 (mit reicher Literatur).
Propp, W., Morphologie des Märchens (München 1972). 5aumjan, S., Strukturale Linguistik (München 1971). de Saussure, P., Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft (Berlin 21967). Schiwy, G., Der französische Strukturalismus (Reinbek 41970). Schiwy, G., Neue Aspekte des Strukturalismus (München 1971). Stempel, W.-D. (Hrsg.), Beiträge zur Textlinguistik (München 1971). Stiehl, U., Einführung in die allgemeine Semantik (Dalp 396 D) (München 1970). Ullmann, St., Grundzüge der Semantik. Die Bedeutung in sprachwissenschaftlicher Sicht (Berlin 1967).
Vermeer, H. ]., Einführung in die linguistische Terminologie (München 1971). Weinrich, H., Tempus. Besprochene und erzählte Welt (Stuttgart 1964).
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u.,
Winfried, Wörterbuch. Linguistische Grundbegriffe (Kiel 1972). Funk-Kolleg-Sprache: Eine Einführung in die moderne Linguistik (Fischer Taschenbuch, 2 Bde.) (Frankfurt a. M. 1973) (Diese "Einführung" ersetzt eine ganze Bibliothek!).
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IV Die überlieferung der Passion Jesu Von Rudolf Pesch, Frankfurt a. M.
Im Rahmen der Frage nach dem historischen Jesus gilt die Kreuzigung unter dem Prokurator Pontius Pilatus als das am besten gesicherte historische Datum 1. Die Fragen nach Anlaß der Hinrichtung, Hergang von Verhaftung und Verurteilung, kurz nach Prozeß und Verantwortung für den Tod Jesu werden immer noch heftig diskutiert 2 • Die Bedeutung des Todes J esu und eines Todesverständnisses J esu für die Anfänge des christlichen Glaubens werden in neuer Offenheit und wissenschaftlicher Genauigkeit erörtert 3 • Die Möglichkeit, historische Urteile überzeugend zu formulieren, hängt - das rückt wieder neu ins Bewußtsein - an der überlieferungsqualität der Passionsgeschichte, deren Entstehung und überlieferung noch keinesfalls zureichend untersucht oder gar aufgeklärt ist. Der hermeneutische Zirkel von Einzeluntersuchung und Konstruktion eines Gesamtbildes macht sich bei den divergierenden Urteilen zurPassionsgeschichte besonders bemerkbar. Die Behandlung der Passionsüberlieferung kann zum übungs- und Testfeld historisch-kritischer Methodologie werden, auch der Methodologie der Rückfrage nach dem historischen Jesus. Um der methodologischen Diskussion willen sind in der Arbeitsgemeinschaft II der Wiener Tagung Vorschläge zu folgenden FragenVgl. W. Trilling, Fragen zur Geschichtlichkeit Jesu (Düsseldorf 21967). Vgl. E. Lohse, Die Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu Christi (Gütersloh 1964); S. G. F. Brandon, TheTrial of Jesus of Nazareth (London 1968); J. Blinzler, Der Prozeß Jesu. Vierte, erneut revidierte Auflage (Regensburg 1969); E. Bammel (ed.), The Trial of Jesus (London 1970); D. R. Catchpole, The Trial of Jesus. A Study in the Gospels and Jewish Historiography from 1770 to the Present Day (Studia Post-Biblica 18) (Leiden 1971); K. Schubert, Kritik der Bibelkritik. Dargestellt an Hand des Markusberichtes vom Verhör Jesu vor dem Synedrion, in: Wort und Waltrheit 27 (1972) 421-434. 3 Vgl. H. Schürmann, Wie hat Jesus seinen Tod bestanden und verstanden? Eine methodenkritische Besinnung, in: P. Hoffmann (Hrsg.), Orientierung an Jesus. Für J. Schmid (Freiburg 1973) 325-363. 1
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komplexen gemacht worden: I. Kriterien und Indizien zur Bestimmung des Umfangs der vormarkinischen, der ältesten Fassung der Passionsgeschichte; 11. Kriterien und Indizien zur Bestimmung des Alters der Passionsgeschichte; In. Kriterien und Indizien zur Bestimmung der Herkunft der Passionsgeschichte; IV. Beiträge zur Charakterisierung der Passionsgeschichte; V. Die Passionsgeschichte und_die Frage nach dem historischen Jesus. Die intensiven Aussprachen mit und unter den Teilnehmern der Arbeitsgemeinschaft haben eine weitere Ausarbeitung der Vorschläge ermöglicht; mit dieser Ausarbeitung soll der schuldige Dank für mannigfache hilfreiche Kritik und Antikritik abgestattet werden, mit dei wir in dreitägiger Arbeit unser kritisches Vermögen zu schärfen suchten.
I. Kriterien und Indizien zur Bestimmung des Umfangs der vormarkinischen, der ältesten Fassung der Passionsgeschichte Die Urteile über den Umfang einer vormarkinischen Passionsgeschichte, d. h. eines festen Erzählzusammenhangs von Passionsüberlieferung, divergieren gegenwärtig faktisch und tendenziell: Hat früh ein ausführlicher, langer Erzählzusammenhang existiert, oder sind erst spät Einzeldaten und Einzelerzählungen zu einer kurzen vormarkinischen Passionsgeschichte zusammengefügt worden, oder ist die Passionsgeschichte erst eine Bildung des Evangelisten Markus?4 Die aus 4 Für J. Schreiber, Die Markuspassion. Wege zur Erforschung der Leidensgeschichte Jesu (Hamburg 1969) gilt "Markus als Kompositeur" (47) der Passionsgeschichte wie des ganzen Evangeliums; ähnlich urteilt E. Linnemann, Studien zur Passionsgeschichte (Göttingen 1970), wonach die Passionsgeschichte "von Anfang bis Ende vom Evangelisten aus selbständigen Einzeltraditionen komponiert" (171) ist; mit starker Redaktionstätigkeit des Markus rechnet auch J. Gnilka, Die Verhandlungen vor dem Synedrion und vor Pilatus nach Markus 14, 53 - 15,5, in: Evangelisch-katholischer Kommentar zum NT, VorarbeitenH. 2 (Zürich-Neukirchen 1970)5-21. -Mit einer nur kurzen Fassung der vormarkinischen Passionsgeschichte operieren L. Schenke, Srudien zur Passionsgeschichte des Markus. Tradition und Redaktion in Mk 14, 1-42 (Forschung zur Bibel 4) (Würzburg 1971); G. Schneider, Die Passion Jesu nach den drei älteren Evangelien (München 1973); vgl. auch G. Schneider, Die Verhaftung J esu. Traditionsgeschichte vonMk 14,43-52,in: ZNW 63 (1972) 188-209. -Mit einer Langfassung der vormarkinisehen Passionsgeschichte rechnen U. Wilckens, Auferstehung (Sruttgart 1970); R. Pesch, Die Salbung Jesu in Bethanien (Mk 14,3-9). Eine Srudie zur Passionsgeschichte, in: P. Hoffmann a. a. 0., 267-285; Die Verleugnung des Petrus. Eine Studie zu Mk
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der Vielzahl sich widersprechender Hypothesen resultierende Unsicherheit sollte überwindbar sein, wenn neue Vorschläge ausführlich begründet werden, mit einer überprüfbaren Kriteriologie arbeiten und die urteilsfördernden und -begründenden Indizien möglichst vollständig vorlegen. 1. Indizien dafür, daß der Evangelist Markus nicht erster Autor der Passionsgeschichte ist, daß eine vormarkinische Passionsgeschichte existiert hat 1.1 Die Beurteilung von Indizien ist von der Einschätzung der Arbeit des Redaktors des Markusevangeliums im ganzen abhängig. 1.1.1 War Markus ein eigenständig erzählender, überlieferungen stark bearbeitender und zusammenschweißender Redaktor, ein selbständiger Stilist S und aufmerksamer Autor? 1.1.2 Oder war Markus eher ein "konservativer" Redaktor, der in die ihm vorgegebenen überlieferungen nur vereinzelt und in bescheidenem Umfang eingegriffen, der vorzüglich durch die Anordnung seines Materials - z. T. schon ausführlicherer überlieferungskomplexe 6 - redigiert und divergierende überlieferungen nicht miteinander ausgeglichen hat? 1.1.3 Mir scheint sich bei einer genauen Analyse des zweiten Evangeliums nur die Hypothese 1.1.2 zu bewähren 7. Einige wichtige Indizien seien in Kürze genannt: 1.1.3.1 Der Vergleich des Mk-Ev mit den Groß evangelien des Mattäus und Lukas lehrt, daß die späteren Evangelisten eine Reihe von 14,54.66-72 (und Mk 14,26-31), in: J. Gnilka (Hrsg.), Neues Testament und Kirche (Freiburg i. Br. 1973) 42-62; R. Peseh, Das Messias-Bekenntnis des Petrus (Mk 8,27-30). Neuverhandlung einer alten Frage, in: BZ 17 (1973) 178-195 und 18 (1974) 20-31; ders., Der Schluß der vormarkinischen Passionsgeschichte und des Markusevangeliums: Mk 15,42-16,8, in: M. 5.·1bbe (ed.), L'Evangile deMarc (Gembloux 1973) 365-409. 5 H. Thyen, Positivismus in der Theologie und ein Weg zu ihrer überwindung, in: EvTheol31 (1971) 472-495, hier S. 488, verneint die Frage, "ob das Markusevangelium in einer signifikanten Individualsprache abgefaßt ist" und meint: "Wer es dennoch behaupten will, hat dafür einen differenzierten Beweis anzutreten." 6 Vgl. H. W. Kuhn, Altere Sammlungen im Markusevangelium (SUNT 8) (Göttingen 1971); dazu BZ 17 (1973) 265-267. 7 F. Neirynck, Duality in Mark. Contributions to the Study of the Markan Redaction (BibI. Ephem. Theol. Lovan. 31) (Löwen 1972), vertritt die Auffassung, ein durchgehender markinischer Stil sei auszumachen. Zu fragen bleibt, ob nicht die vormarkinische Tradition schon ähnlich stilisiert war.
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U nausgeglichenheiten, stilistischen Nachlässigkeiten, Unklarheiten usw. zu beseitigen Anlaß nahmen. Im Vergleich erscheint Markus als konservativer Redaktor. 1.1.3.2 Besonders signifikant ist bei Markus das unausgeglichene Nebeneinander von Orts angaben (vgl. Mk 6,45.53; 7,24.31; 8,10.22) und Personennamen (vgl. Mk6,3 und 15,40; Mk2,14 und 3,18)8. 1.1.3.3 Auffällig bei Markus - und bezeichnenderweise ebenfalls in der ersten Hälfte seines Evangeliums - ist auch ein Mangel in der logischen Abfolge von offenbar mangelhaft ausgeglichenen traditionellen Angaben (vgl. z.B. Mk3,9.13.20; 4, 1.35f). 1.1.3.4 Verglichen mit den späteren Evangelien fehlt dem Mk-Ev auch durchweg die einheitliche Begrifflichkeit, ein Indiz, das vielfältig belegbar ist und wohl besonders starke Beachtung verdient. Die Variabilität der Ausdrucksweisen ist durch die Verschiedenheit der vorm arkinischen Traditionen bedingt. 1.2 Ist Markus ein konservativer Redaktor, so sind insbesondere Unterschiede in der Kohärenz zwischen erster und zweiter Hälfte seines Evangeliums als Indiz für eine vormarkinische Passionsgeschichte zu werten. 1.2.1 Der in geographischer und chronologischer Hinsicht (Itinerarium Jesu; Weg Jesu nach Jerusalem und Jerusalemer Woche) viel konsistentere 2. Teil des Mk-Ev (ab 8,27) unterscheidet sich deutlich vom ersten, wo der geographische und chronologische Rahmen lockerer, unübersichtlicher, z. T. fehlerhaft, jedenfalls deutlich aufgrund von Reihung von Einzelüberlieferungen oder kleinen Sammlungen erstellt ist. 1.2.2 Im zweiten Teil des Mk-Ev, besonders in den Passionsmaterialien, häufen sich nicht selbständige, d. h. auf den Kontext (der Passionsüberlieferung) angewiesene überlieferungseinheiten, wie sie im ersten Teil kaum begegnen 9. 1.3 Die eigentümliche Konsistenz der Passionsüberlieferungen innerhalb des Mk-Ev, ihre Konzeption in Form von mehrheitlich nicht selb8 Zur ausgleichenden Arbeit des Matthäus vgl. R. Pesth, Levi-Matthäus (Mc. 2,14; Mt 9,9; 10,3). Ein Beitrag zur Lösung eines alten Problems, in: ZNW 59 (1968) 40-56. 9 Zum formkritischen Begriff der selbständigen oder nicht selbständigen "kleinen Einheit" vgl. W. Richter, Exegese als Literaturwissenschaft (Göttingen 1971); E. Zenger, Ein Beispiel exegetischer Methoden aus dem Alten Testament, in: Einführung in die Methoden der biblischen Exegese, hrsg. von J. Schreiner (Würzburg 1971) 97-148.
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ständigen Erzähleinheiten, der deutliche Unterschied der Passionsüberlieferung zum sonstigen Bestand des Mk-Ev zwingt zum Schluß, daß der Evangelist Markus nicht erster Autor der Passionsgeschichte ist, sondern eine Passionserzählung vorgefunden hat. Markus ist "einer vorgegebenen Passionserzählung verpflichtet" 10, deren Umfang, Alter und Herkunft bestimmt werden muß, damit ihr überlieferungswert gewürdigt und ihr Bestand für die Rückfrage nach dem historischen Jesus genutzt werden kann. 2. Kriterien zur Bestimmung des Umfangs der vormarkinischen, der ältesten Fassung der Passionsgeschichte
2.1 Zwei leitende Fragen sind zur Bestimmung des Umfangs der Passionsgeschichte formulierbar: 2.1.1 Welche Materialien gehören zum Thema und in den Umkreis der Passionsüberlieferung ? 2.1.2 Welche Materialien gehören auf keinen Fall zum Thema und in den Umkreis der Passionsüberlieferung? 2.2 Zur Sichtung des Materials dienen dann weiterhin literarkritische Kriterien: 2.2.1 Dopplungen, die einander ausschließen, 2.2.2 Wiederholungen, die nicht integrierbar sind, 2.2.3 Spannungen, die unterschiedliche Horizonte und damit Herkünfte anzeigen, 2.2.4 Widersprüche, die durch sekundäre Komposition zustande gekommen sein müssen (die also nicht beabsichtigt sind), 2.2.5 Inkohärenz in Stil und Vokabular, 2.2.6 Sachlich-thematische Geschlossenheit oder Inkohärenz, 2.2.7 Eindeutig als markinische Redaktionsmittel erkennbare Motive, Wendungen, Formulierungen usw. 2.3 Zur Sichtung des Materials dienen dann weiterhin /ormkritische Kriterien: 2.3.1 Unterscheidung selbständiger und nichtselbständiger Erzähleinheiten, 2.3.2 Untersuchung des gemeinsamen Horizonts von Erzählungen, angezeigt in: Thematik, Formeln, formelhaften Wendungen, Erzählschemata, 10
G. Schneider, Passion, 156.
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2.3.3 Unterscheidung der Erzählgattungen, die auf selbständige überlieferung deuten, von gattungsmäßig nicht spezifizierbaren Erzählungen, die auf übergreifende Erzählzusammenhänge verweisen. 2.3.4 Beachtung von an die Passionsthematik gebundenen, wiederkehrenden Formelementen [z. B. dreifache Wiederholung: Drei Leidensweissagungen (8,31; 9,31, 10,33 f), drei Versuche der Gegner Jesu, sich seiner zu bemächtigen (11,18; 12,12; 14, lf), dreimaliges Hineinkommen nach Jerusalem (11,11.15.27), drei Gebetsgänge in Getsemani (14,32-42), dreifache Verleugnung des Petrus (14, 66-72), dreifacher Gesprächsgang in der Barrabas-Episode (15, 6-15), dreifache Aufzählung der Stunden im Kreuzigungsbericht (15,25-34)]11. 2.4 Zur Sichtung des Materials dienen dann weiterhin inhaltlichsachliche Kriterien: 2.4.1 Thema (Passions-)bezogenheit oder -fremdheit, 2.4.2 Vorkommen leitender sachlicher und theologischer Vorstellungen; Motivvetkettungen, 2.4.3 Erzählerisch-sachliche Verkettungen, 2.4.4 Inhaltlich-logische Struktur von aufeinanderfolgenden Erzählungen. 2.4.5 Als heuristische Grundannahme für eine Hypothesenbildung bietet sich folgende an: Zur Passionsgeschichte gehören alle Uberlieferungseinheiten, die den Weg Jesu zur Passion in Jerusalem erzählen bzw. damit in unmittelbarem (eventuell auch mittelbarem) Zusammenhang stehen. Nach Sichtung des Materials anhand der in 2.1.1 und 2.1.2 formulierten Leitfragen und der angeführten Kriterien bietet sich eine Hypothese, die Materialien ab Mk 8,27 beachtet, als heuristischer Vorentwurf zur weiteren Sichtung an. 2.5 Zur Sichtung des Materials können nicht untaugliche Kriterien benutzt werden, wie sie im folgenden beispielhaft aufgeführt werden: 2.5.1 Die Leitvorstellung von einem knappen Geschichtsbericht, in dem die Passion Jesu zunächst überliefert worden sei 12 • 11 Auch die Komposition der Erzählung mit jeweils drei Szenen verdient Beachtung; vgl. G. Schneider, Passion, 19f. 12 Diese Leitvorstellung findet sich in der Literatur häufig seit ·R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition (Göttingen 1921,71967) 298: "ein kurzer Bericht geschichtlicher Erinnerung von Jesu Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung". Vgl. die 4. Auflage des Ergänzungsheftes, bearbeitet von G. Theißen und Ph. Vielhauer (Göttingen 1971) loH für weitere Literatur.
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2.5.2 Die Leitvorstellung einer Entstehung der Passionsgeschichte aus disparaten/nicht disparaten überlieferungsfragmenten 13. 2.5.3 Vorstellungen vom historischen Ablauf (Wahrscheinlichkeit des Erzählten). 2.504 Historische Irrtümer (weil sie von Anfang einer Erzählung an existieren können), ebenso sachliche Irrtümer. 2.5.5 Die Akoluthie der späteren Evangelien darf, zum al nicht ohne sorgfältige Prüfung von Abhängigkeiten und redaktionellen Intentionen, nicht als Kriterium zur Rekonstruktion vormarkinischer Tradition benutzt werden 14. 2.6 Mit Hilfe der genannten tauglichen Kriterien ist das zunächst möglichst umfassend in Betracht gezogene Material (vgl. 204.5) sorgfältig zu sichten. Bei dieser Sichtung müssen die zur Bestimmung des Umfangs der vormarkinischen Passionsgeschichte dienlichen Indizien sorgfältig (und möglichst umfassend) beachtet werden. 3. Indizien zur Bestimmung des Umfangs der vormarkinischen, ältesten Passionsgeschichte
Während wir die Kriterien - mit Rücksicht auf den begrenzten Umfang unserer Studie - nicht im einzelnen an Beispielen diskutieren bzw. das Material nicht anhand der Kriterien sichtend vorstellen konnten, müssen wir die Indizien, die unseren Diskussionsvorschlag (lA) begründen, so ausführlich wie möglich anführen 15. 3.1 Ortsangaben sind wichtige Indizien zur Bestimmung des Umfangs eines Erzählzusammenhangs (sofern sie literarkritisch als ursprünglich und nicht sekundär/redaktionell zu sichern sind). 3.1.1 In unserem Zusammenhang interessieren die Orts angaben ab Mk 8,27, also der Mitte des Evangeliums 16, von wo ab der Zug Jesu zur Passion in J erusalem im Blick bleibt. 3.1.2 Eine erste Sequenz von Ortsangaben bindet eine Reihe von überlieferungen in den Kap. 8-10 zusammen: Vgl. E. Linnemann, Studien. Kritik des Verfahrens beispielhaft bei R. Pesch, Salbung. lS Wir beanspruchen nicht, die aufgestellte Forderung bereits erschöpfend zu erfüllen; in einem stärker methodologisch orientierten Vorschlag dürfen wir dafür um Nachsicht bitten. 16 Vgl. R. Pesch, Naherwartungen. Tradition und Redaktion in Mk 13 (Düsseldorf 1968) 70. 13
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3.1.2.1 8,27: Zug in die Dörfer von Cäsarea Philippi; 9,2: Auf einen hohen Berg; 9,9: Abstieg vom Berg; 9,30: Zug durch Gali1äa; 9,33: In Kafarnaum; 10,1: Zug durch Judäa und Transjordanien; 10,32: Unterwegs nach Jerusalem. 3.1.2.2 Die durch die Orts angaben ausgezeichneten Erzähleinheiten sind (bis auf 10,1) mit dem Thema Passion Jesu durch die Leidensund Auferstehungsweissagungen unmittelbar verbunden (8,31; 9,31; 10,33f), sie signalisieren Ausgangspunkt und Stationen auf dem Weg zur Passion. 3.1.2.3 10, 1a ("Und von dort aufgestanden, kommt er in die Gebiete Judäas und jenseits des Jordan") ist eine Angabe, die sich auf 9,30.33 zurückbezieht, die aber weder mit dem vorangehenden (der Spruchsequenz 9, 42ff) noch dem nachfolgenden Kontext (dem Streitgespräch über die Ehescheidung 10, 2-12) ursprünglich verbunden war. Da 10,1 a kaum als markinisch-redaktionelle Wegangabe aufgefaßt werden kann, haben wir mit einem vormarkinischen Traditionssplitter zu rechnen, der die Annahme eines Erzählzusammenhangs vom Weg J esu zur Passion in J erusalem nahelegt. 3.1.2.3.1 10,1a kann aus verschiedenen Gründen nicht als markinisch-redaktionelle Angabe gelten. Eine redaktionell-verbindende Notiz hätte sich (zumal im Blick auf 10, 10) am ehesten dem fast durchgängigen, die Jünger einschließenden Plural der Reisenotizen angeschlossen (vgl. 9,30.33; 10,32.46; 11,1). Die Genauigkeit der geographischen Notiz mit der Erwähnung der Gebiete "jenseits des Jordan" spricht nicht für den Redaktor Markus, der - wie kontrollierbar ist - keine Ortsangaben neu einführt, sondern höchstens Angaben der Tradition wiederho1t 17 . 3.1.2.3.2 Ist 10, 1a ein vormarkinischer Traditionssplitter, so ist sein traditionsgeschichtlicher Ort, der im unmittelbaren Kontext nicht gegeben ist, aufzusuchen. Zwischen 9,30.33; 10,32.46 paßt die Angabe vortrefflich in den Zusammenhang einer Erzählung vom Weg Jesu (zur Passion) in Jerusalem. Der Vers ist ein wichtiger Stützpfeiler für die Rekonstruktion des Umfangs der vormarkinischen Passionserzählung. 3.1.3 Eine zweite Sequenz von Ortsangaben bindet eine Reihe von überlieferungen in den Kap. 10-13 zusammen: 17 Zur mangelhaften Geographie des Mk-Ev vgl. K. Niederwimmer, Johannes Markus und die Frage nach dem Verfasser des zweiten Evangeliums, in: ZNW 58 (1967) 172-188, bes. 178-183.
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3.1.3.1 10,32: Unterwegs nach Jerusalem; 10,46: Jericho (Nennung der wichtigen Grenz- und Zollstation) 18; 11,1: Ankunft in der Nähe Jerusalems nach Betfage, Betanien und zum Olberg; 11,11: Nach Jerusalem, in den Tempel; nach Betanien; 11,12.15: Von Betanien nach Jerusalem, in den Tempel; 11, 19: Hinaus aus der Stadt; 11,27: Wieder nach Jerusalem, im Tempel; 12,41: Dem Opferstock gegenüber; 13,1: Hinaus aus dem Tempel; 13,3: Auf dem Olberg, dem Tempel gegenüber. 3.1.3.2 Die hier zusammengebundenen überlieferungen haben schon deshalb ein Recht auf Prüfung ihrer Zugehörigkeit zur Passionsgeschichte, weil sie an den Jersualemer Aufenthalt Jesu (vor seinem Tod) gebunden sind. Dopplungen und Wiederholungen machen jedoch eine überprüfung evtl. mk-redaktioneller Setzung von Angaben besonders dringlich. 3.1.3.3 Eine solche überprüfung hat insbesondere den Angaben in 11,11.12.15.19; 13,1.3 zu gelten. Daß die eschatologische Rede 13,3-37 nicht zur Passionsgeschichte gehörte, ist sicher 19. Fraglich ist, ob die geschachtelte Szene von der Verfluchung des Feigenbaumes hinzugerechnet werden darf, auch ob 13, 1-2 in Betracht gezogen werden muß. 3.1.3.4 Es darf schon hier angemerkt werden, daß die Entscheidung über Fragen, wie sie in 3.1.3.3 aufgeworfen sind, nur aufgrund der Kontrolle aller Indizien und der überprüfung der in 1.2 genannten Kriterien gefällt werden kann. Es geht im jetzigen Zusammenhang nur um jeweils begrenzte, exemplarische Erörterungen. 3.1.4 Eine dritte Sequenz von Ortsangaben verbindet überlieferungen in Kap. 14 (bis zur Verhaftung Jesu): 3.1.4.1 14,3: Aufenthalt in Betanien; 14,13: In die Stadt; 14,16: In die Stadt; 14,26: Zum Olberg; 14,32: In Getsemani; (dazu 14,28 Verweis auf das Vorangehen nach Galiläa; vgl. 16,7). 3.1.4.2 Daß ab 14,1 die Passionsgeschichte erzählt wird, ist nicht zweifelhaft. Der gleiche Erzählstil mit häufigen Ortsangaben begegnet aber auch schon in den 3.1.2 und 3.1.3 genannten Partien. 3.1.5 Die vierte Sequenz von Ortsangaben bindet die Leidensgeschichte im engeren Sinn, die überlieferungen von der Verhaftung J esu bis zur Auferstehungsverkündigung im geöffneten Grab zusammen: 18 19
Hinweis von Kurt Schubert, Wien. Vgl. R. Pesch, Naherwartungen.
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3.1.5.1 14,53: Zum Hohenpriester; 14,54: Im Hof des Hohenpriesters; 14,66: Im Hof des Hohenpriesters; 14,68: Im Vorhof des Hohenpriesters; 15,1: Zu Pilatus; 15,16: In den Hof, das Prätorium; 15,20: Hinaus; 15,22: Nach Golgota; 15,43: Zu Pilatus; 15,46: In ein Grab; 16,2: Zum Grab; 16,5: Ins Grab; 16,8: Weg vom Grab; (dazu: 15,41: In Galiläa, nach Jerusalem; 16,7: nach Galiläa; vgl. 14,28). 3.1.5.2 Die Verweise auf den Zug von Galiläa nach Jerusalem und von Jerusalem nach Galiläa (Stichwort: vorangehen) binden die überlieferung von 10,32 über 14,28; 15,41 bis 16,7 zusammen. (Der Zug nach Jerusalem wird darüberhinaus aber schon in 8,31 inauguriert.) 3.1.6 Vergleicht man die Sequenzen der Ortsangaben ab Mk 8,27 (von wo ab alle über den Zug Jesu nach Jerusalem, den Jerusalemer Aufenthalt und die Passion informieren) mit den Orts angaben in der ersten Hälfte des Mk-Ev, so zeigt sich in der ersten Hälfte eine weitaus mindere Dichte und überdies in den Kap. 6-8 eine deutliche Inkonsistenz; gerade hier ist aber deutlich, daß der Evangelist Einzelüberlieferungen bzw. kleinere Sammlungen zusammenstellt, daß er also keine konsistenten geographischen Sequenzen schafft. Die Sequenzen von Ortsangaben ab Mk 8,27 sind also ein deutlicher Hinweis auf einen vormarkinischen Erzählzusammenhang und damit Indizien zur Bestimmung der vormarkinischen Passionsgeschichte. 3.2 Zeitangaben sind ebenfalls wichtige Indizien zur Bestimmung eines Erzählzusammenhangs . 3.2.1 Die beiden ersten durch Orts angaben verbundenen Sequenzen von Erzähleinheiten sind weniger durch Zeitangaben verbunden, die beiden folgenden durchgehend und sehr fest. 3.2.2 Innerhalb der ersten beiden Sequenzen sind zu nennen: 9,2: Nach sechs Tagen; 11,11: Zu später Stunde, 11,12: Am folgenden Tage, 11,19: Spät. Hinzu kommen durch Ortsangaben insinuierte Zeitbestimmungen: 10,46: Als er aus Jericho hinauszog; 11,1: Als er sich Jerusalem näherte; ferner auf die Konstruktion der Abfolge von Hinrichtung und Grabesgeschichte zu beziehende Angaben 8,31; 9,31; 10,34: nach drei Tagen. 3.2.2.1 Besonders bemerkenswert ist die auffällig konkrete Zeitangabe in 9,2: Nach sechs Tagen. Im Kontext kann sie sich nur auf die Szene von Cäsarea Philippi beziehen. Daß eine isolierte Einzelüberlieferung mit einer solchen Zeitbestimmung (xai IlELa-rH-lI~Qa(:; ES) eingesetzt hätte, wäre zumindest ungewöhnlich; eine solche Zeitbestim157
mung verweist in der Regel auf einen Kontext, auch wenn sie symbolisch interpretiert sein will 20. Die Bemerkungen K. L. Schmidts bleiben gültig: "Es ist auffällig, daß hier die einzige Stelle des Markus vorliegt (abgesehen von der Passionsgeschichte), die den zeitlichen Abstand zwischen zwei Erzählungen angibt. Da Markus sonst die einzelnen Ereignisse kaum mit ganz allgemein gehaltenen Zeitangaben einführt, so ist sicher, daß die ,sechs Tage' nicht auf ihn zurückgehen, sondern Traditionsgut darstellen." 21 Zu fragen bleibt, ob die Tradition im Makrokontext Passionsgeschichte beheimatet war! 3.2.3 Ab Kap. 14 ist die zeitliche Folge des Passionsgeschehens durch ein durchgehendes Gerüst von Zeitangaben fest etabliert; der Sachverhaltistunumstritten, wir können uns kurz fassen: 14,1.12.17.30.37.70; 15,1.25.33.34.42; 16,1.2. Vgl. auch 14,2.7. Die wachsende Dichte der Zeitangaben ist charakteristisch, durch die erzählten Inhalte bedingt (die letzten Stunden werden am ausführlichsten dargestellt!). 3.2.4 Orts- und Zeitangaben weisen zwingend darauf hin, daß 14, 1 - 16,8 dem Evangelisten als Erzählzusammenhang vorlag 22 • Ab Mk 8,27 dürften einzelne - vor allem nicht selbständige - Erzähleinheiten vom Weg J esu zum Leiden in J erusalem Anspruch auf Prüfung haben, zumal wenn Orts- und (weniger) Zeitangaben hier erste deutliche Indizien für einen älteren Erzählzusammenhang (der freilich vom Evangelisten durch weitere Stoffe aufgefüllt wäre) bieten. 3.2.5 Daß die Orts- und Zeitangaben als Indizien jeweils in Bezug zum erzählten Inhalt gewertet werden müssen, versteht sich; die wachsende Dichte der Angaben ab 14,1 erklärt sich aus der für jeden Erzähler notwendigen Konzentration auf den Ablauf der letzten Stunden des Lebens J esu. 3.3 Wichtige Indizien zur Bestimmung eines Erzählzusammenhangs sind auch Angaben über Personen und Namen. 3.3.1 Nur im Zusammenhang der Passion Jesu begegnen im Mk-Ev die Hohenpriester (aQXLEQEL~), meist zusammen mit den Ältesten und Schriftgelehrten; durch die Hohenpriester sind überlieferungen um 8,31; 10,33; 11,18.27; 14,1.43.53; 15,1.10.31 verbunden. Hinzu Vgl. zur symbolischen Interpretation die Vorschläge in den Kommentaren. K. L. Schmidt, Der Rahmen der Geschichte Jesu. Literarkritische Untersuchungen zur ältesten Jesusüberlieferung (Berlin 1919 = Darmstadt 1964) 222. 22 Zu den umstrittenen Perikopen Mk 14, 3-9 und 14, 66-72 vgl. R. Pesch, Salbung, und R. Pesch, Verleugnung. 20 21
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kommen die Texte die vom (amtierenden) Hohenpriester reden und sein Personal erwähnen: 14,53.54.60.61.63.65.66. Wichtig ist, daß die Verbindungen über 14,1 zurück bis 8,31 reichen und Perikopen binden, die auch schon bei der Musterung von Orts- und Zeitangaben aufgefallen sind. 3.3.2 Im Horizont der mit dem Weg J esu zum Leiden nach Jerusalem heuristisch angesetzten Passionsgeschichte begegnen auffällig viele Personennamen: Bartimäus (10,46); Simon der Aussätzige (14,3); Judas Iskarioth (14,10.43); Pilatus (15,1.2.5.9.12.15.44f.); Barrabas (15,7.11.15); Simon von Kyrene mit Alexander und Rufus (15,21); Maria Magadalena, Maria des kleinen Jakobus, des Joses Mutter, Salome (15,40.47; 16,1). 3.3.3 Erwähnung verdienen ferner: die bewaffnete Schar (14,43); der Jüngling (14,51); die Diener des Hohenpriesters (14,54.65); das Synedrion (14,55; 15,1); Magd, Umstehende (14,66.69.70); Aufrührer (15,7); Soldaten (15,16); 2 Räuber (15,27); der Centurio (15,39.44). 3.3.4 Innerhalb der Passionszusammenhänge tritt neben Judas auch Petrus unter den Zwölfen besonders hervor: 8,29.32.33; 9,2 (mit Jakobus, Johannes). 5; 14,29.33 (mit Jakobus, Johannes). 37; 14,54. 66-72; 16,7. 3.3.5 Weitere Nennungen sind beachtlich: Elias (9, 11-13; 15, 35-36); Jesus, der Nazarener (10,47; 14,67; 16,6); die Zwölf (9,35; 10,32; 11,11; 14,10.14.17.20.43; sonst nur 3,14; 4,10; 6,7). 3.3.6 Schließlich verdienen auch christologische Titel Erwähnung: Christus (nur 8,29; [9,41; 12,35; 13,21;] 14,61; 15,32); Menschensohn (außer 2,10.28 nur 8,31.38; 9,9.12.31; 10,33.45; 13,26; 14,21.41.62); Davidsohn (10,47.48; 12,35.37)23. 3.3.7 Auch im Blick auf Personen, Namen und Titel lehrt der Vergleich mit der ersten Hälfte des Evangeliums (und Einzelstoffen in der zweiten), daß Markus wohl einen (an konkrete überlieferung gebundenen) Erzählzusammenhang von der Passion Jesu vorgefunden hat. Im Verein mit den anderen Indizien geben die Angaben zu Personen und Namen, auch die Hoheitstitel, sichere Hinweise zur Bestimmung des Umfangs der Passionsgeschichte. 3.4 Bei der Bestimmung des Umfangs der vormarkinischen Passions23 Der Evangelist hat auch mit redaktionellen Einschüben von Traditionsstücken mit Titeln (die nicht zur Passionsgeschichte gehörten) die vorgegebene Titelkonzentration nicht aufgehoben, sondern verstärkt.
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geschichte ist weiterhin auf Indizien zu achten, die aus der (nicht nachträglich redaktionell hergestellten) Verkettung von erzählten Geschehensabfolgen zu erheben sind. 3.4.1 Drei Geschehensabfolgen sirid (analog zur Dichte von Orts-, Zeit- und Personenangaben) in unterschiedlicher Dichte verkettet: Von der Verhaftung J esu bis zu Tod und Auferstehungsverkündigung im geöffneten Grab (14, 43 -16,8); von der Planung der Vernichtung Jesu bis zur Verhaftung (14, 1 - 42); vom Zug Jesu zum Leiden nach Jerusalem bis zur Planung seines Todes (ab 8,27, unterbrochen durch eingeschobene überlieferungen, bis 14,1). 3.4.2 Wir beschränken uns auf die Mitteilung von Beobachtungen zum am ehesten umstrittenen Teil unseres Vorschlags, den Stücken aus 8, 27 - 14,1, die zur vormarkinischen Passionsgeschichte gehört haben können. 3.4.2.1 Daß die Passionsgeschichte mit einem unvermittelten Satz, in dem nicht einmal Jesus genannt wird, wie 14,1 oder 14,43 eingesetzt hätte, halte ich für ganz unwahrscheinlich. Ein Erzähler pflegt einen längeren Erzählzusammenhang sorgfältiger zu exponieren. Mögliche Erzählanfänge liegen in 10,32 und 8,27 vor. 3.4.2.2 Ab 10,32 ist eine klare, zur Passion hinleitende Verkettung von erzählten Geschehensabfolgen festzustellen: Zug zum Leiden in Jersusalem (10, 32-34), Ankunft in Jericho (10,46) und Begebenheit unterwegs nach Jericho (10, 46-52); Annäherung an Jersualem und Einzug in Jerusalem (11, 1-10), in den Tempel (Tempelreinigung, 11, 15-19), darüber beim nächsten Besuch im Tempel Auseinandersetzung mit den Gegnern (11, 27 - 12,12), die Jesus vernichten möchten (11,18; 12,12); Episode im Tempel (12, 41-44). 3.4.2.3 Die Geschehensfolge ab 8,27 leitet zu 10,32 hin: Zug Jesu und seiner Jünger in die Dörfer von Cäsarea Philippi; Messiasbekenntnis und Leidensankündigung (8, 27-33); nach sechs Tagen Verklärung (9, 2-13); heimlicher Zug durch Galiläa (mit wiederholter Leidensankündigung9, 30-35); Zug nach Judäa und Transjordanien, unterwegs nach Jerusalem (10,la.32). 3.4.2.4 Die Leidens- und Auferstehungsweissagungen, die nicht als mk-redaktionelle Bildungen ausgegeben werden können, strukturieren die Passionsgeschichte als Erzählung von der passio und der iustificatio (Auferstehung) des Gerechten, des Menschensohnes Jesus bis hin zu Mk 16, 1-8 (vgl. dazu unten IV,3). 160
3.4.3 Ab Mk 8, 27 ist eine deutliche Verkettung des erzählten Geschehens konstatierbar (und über das Erwähnte hinaus in vielen Details nachweisbar); der Erzählanfang ist deutlich in 8,27 gegeben, 10,32 ist kein so guter Erzählanfang (obwohl weitaus besser als vergleichsweise 14,1.43). 3.5 Auch stilistische Indizien können zur Bestimmung des Umfangs der vormarkinischen Passionsgeschichte dienlich sein. Wir können hier freilich nur vereinzelte Hinweise auf auffälligere Indizien geben: 3.5.1 Gebrauch der Anrede gußß( in 9,5; 10,51; 11,21; 14,45. 3.5.2 Häufigkeit von übersetzungen in 10,46; 12,42; 15,22.34.42. 3.5.3 Gebrauch von aQX0l-taL in 8,31.32; 10,32.47; 11,15; 12,1; 14,19.33.69.71; 15,8.18. 3.5.4 Gebrauch der Periphrase (Prät. von dVaL + Partizip) in 10,32; 14,4; 14,40. 3.5.5 Sequenz passionsbezogener Sätze mit Amen-Formel (12,43); 14,9.18.25.30 24 . 3.5.6 Schachtelungen (11,11-21; 14, 1-11; 14,54-72)25. 3.5.7 Ordnung der Perikopen in Dreiergruppen (s. unten). 3.5.8 Die >Weissagung< als die Erzählung ordnende und motivierende Stilfigur: 8,31; 9,12; 9,31; 10,33f; 11,2f; 14,13f; 14,18.20f. 27f.30.41 f. 3.6 Besonders aufschlußreich ist die deutlich erkennbare alttestamentliche Substruktur der Passionsgeschichte. Sie ist insbesondere durch Bezüge auf die Psalmen vom leidenden Gerechten hergestellt, die sich von den Leidensweissagungen ab durch die Passionsgeschichte ziehen. 3.6.1 Als Leitpsalmen der Passionsgeschichte lassen sich bei aufmerksamer Lektüre, die entsprechende Bezüge in mehreren Perikopen auffindet, folgende Psalmen (nach der LXX-Zählung) benennen: 21; 30; 37; 38; 40; 41; 68; 87; 108. 3.6.2 Hinzu kommen mit weniger Bezügen folgende Psalmen: 26; 34; 42; 85; 117. 3.6.3 Eine weniger wichtige Rolle spielen auch noch die folgenden Psalmen: 31; 35; 36; 39; 53; 55; 70; 74; 81; 96. 3.6.4 Die Verzahnung von Perikopen durch alttestamentliche Vgl. dazu R. Peseh, Salbung. F. Neirynck, Duality, 133 nennt noch 15, 6-32; ich verstehe freilich nicht, wie man diesen Abschnitt als Schachtelung (sandwich arrangement) ansprechen kann.
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Anspielungen müßte anhand der entsprechenden Themen und Stichworte genau dargestellt werden. Hier ist nur ein genereller Hinweis möglich 26 . 4. Ein aufgrund der Indizien und einer Prüfung des Materials anhand der erörterten Kriterien verantwortbarer Vorschlag zur Rekonstruktion der vormarkinischen (und zugleich wohl ältest-erreichbaren) Passionsgeschichte sei zur Diskussion gestellt. 4.1 Wir stellen das Material gegliedert vor (4.2) und verweisen anschließend noch einmal auf Indizien und erfüllte Kriterien in den aufgeführten Texten. 4.2 Die vormarkinische Passionsgeschichte dürfte im ganzen so ausgesehen haben 27: A: Mk 8,27-33: Zug nach Cäsarea Philippi; Leidens- und Auferstehungsweissagung. 9,2-9: Verklärung. 9,10-13: [+ 14-15R?]: Gespräch über das Leiden des Menschensohnes. 9,30-32: B: Zug durch Galiläa; Leidens- und Auferstehungsweissagung. 9,33-35: In Kafarnaum; der Größte als Diener aller. 10,1a.32-34: Zug nach Judäa, Peräa, hinauf nach Jerusalem: Leidens- und Auferstehungsweissagung. 10,46-52: C: Nach Jericho; der blinde Bartimäus. 11,1-6: In der Nähe von Jerusalem: Vorbereitung des Einzugs. 11,7-11: Einzug in J erusalem; zurück nach Betanien. 11,12-14: D: Nächster Tag: Verfluchung des Feigenbaums. 11,15-19: Tempelreinigung. 11,20-21 : Nächster Tag: der verfluchte Feigenbaum. 11,27-33: E: Wieder in Jerusalem: Vollmachtsfrage. 12,1-12: Winzergleichnis . 12,41-44: Die arme Witwe.
J. Gnilka, Die Verhandlungen vor dem Synhedrion, 5-21, hat die Auswertung von alttestamentlichen Anspielungen angeregt, aber selbst beschränkt und irreleitend vorgenommen. 27 Kleinere redaktionelle Zutaten bleiben hier not( -raum)gedrungen außer acht. Sigel R. weist auf die Notwendigkeit von Rekonstruktion durch Abzug redaktioneller Verbindungen hin.
26
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F:
Zwei Tage vor dem Fest: Todesbeschluß. Salbung in Betanien. Judasverrat. G: Vorbereitung des Passamahls. Ansage des Verrats beim Mahl. Herrenmahl. H: Gang zum Olberg: Ansage der Jüngerflucht und der Verleugnung des Petrus. Im Garten Getsemani. 14,32-42: 14,43-52: Verhaftung und Flucht der Jünger. 14,53-54: I: Abführung zum Hohenpriester; Nachfolge des Petrus. 14,55-65: Verhör vor dem Synedrion. 14,66-72: Verleugnung des Petrus. Verhör vor Pilatus. 15,1-5: K: Jesus und Barrabas. 15,6-15: 15, 16-20a: Verspottung und Geißelung Jesu. L: 15,20b-24: Zur Kreuzigung abgeführt. 15,25-32: Verspottung des Gekreuzigten. 15,33-39: Tod Jesu. 15,40-41 : Die galiläischen Nachfolgerinnen. M: 15,42-47: Grablegung. 16,1-8: Auferstehungsverkündigung im geöffneten Grab. 4.3 Der Erzählzusammenhang gliedert sich in zwölf Dreiergruppen, deren Perikopen zum überwiegenden Teil nicht selbständige Erzähleinheiten sind, die durch Orts- und Zeitangaben eingeleitet und in einer Geschehensabfolge deutlich miteinander verkettet sind, die durch ein Gerüst alttestamentlicher Anspielungen zusammengebunden werden, durch die Struktur von Weissagung und Erzählung der Erfüllung, schließlich durch das einheitliche Thema von Leiden und Auferstehung des Menschensohnes Jesus. 4.4 Die gegliederte Erzählabfolge wird zunächst anhand der Perikopenanfänge deutlich: 8,27: Und hinaus ging Jesus und seine Jünger in die Dörfer von Cäsarea Philippi. 9,2: Und nach sechs Tagen nimmt Jesus den Petrus und den Jakobus und Johannes mit sich ... 14,1-2: 14,3-9: 14,10-11: 14,12-16: 14,17-21: 14,22-25: 14,26-31 :
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9,9: 9,30: 9,33: 10,la.32:
10,46: 11,1: 11,12: 11,15: 11,20: 11,27: 12,1: 12,41: 14,1: 14,3: 14,10: 14,12: 14,17: 14,22: 14,26: 14,32: 14,43: 14,53: 14,55: 14,66: 15,1: 15,6: 15,16: 15,20b: 15,25: 15,33: 15,40: 164
Und als sie vom Berge herabstiegen ... Und von dort hinausgehend zogen sie durch Galiläa. Und sie kamen nach Kafarnaum. Und von dort aufgestanden kommt er in die Gebiete Judäas und jenseits des Jordan; sie waren aber unterwegs hinaufziehend nach Jerusalem. Und sie kommen nach Jericho. Und als sie sich nähern nach Jerusalem, nach Betfage und Betanien beim Olberg ... Und am folgenden Tag, als sie hinausgingen von Betanien. Und sie kommen nach Jerusalem. Und vorbeiziehend frühmorgens. Und sie kommen wiederum nach Jerusalem. Und er begann zu ihnen in Gleichnissen zu reden. Und er setzte sich gegenüber dem Opferstock. Es war aber das Pascha und die ungesäuerten Brote nach zwei Tagen. Und als er in Betanien war, im Hause Simons des Aussätzigen ... Und Judas Iskariot, einer der Zwölf, ging weg zu den Hohenpriestern ... Und am ersten Tag der ungesäuerten Brote ... Und als es Abend geworden ... Und als sie aßen ... Und nach dem Hymnus gingen sie hinaus zum Olberg. Und sie kommen zu einem Landgut namens Getsemani. Und gleich, während er noch redete, erscheint Judas ... Und sie führten Jesus ab zum Hohenpriester. Die Hohenpriester aber und das ganze Synedrion suchten ... Und während Petrus unten im Hof war. Und gleich frühmorgens faßten die Hohenpriester einen Beschluß·· . Nach der Festsitte ... Die Soldaten aber führten ihn hinein in den Hof. Und sie führen ihn hinaus, damit sie ihn kreuzigten. Es war aber die dritte Stunde. Und als die sechste Stunde geworden ... Es waren aber auch Frauen von weitem schauend ...
15,42: Und als es schon Abend geworden ... 16,1: Und als der Sabbat vorübergegangen war. 4.5 Moventien des Geschehens sind zunächst die Leidensweissagungen (8,31; 9,31; 10,33f), dann die Notizen über die Bemühungen der Gegner Jesu, ihn zu vernichten (11, 18; 12,12; 14,1 f), dann wieder die Weissagungen Jesu (14, 18.20f.27f.30.41f). 4.6 In den Dreiergruppen D und E sind u. U. andere Beurteilungen möglich (durch Ausscheiden von 11, 12-14.20f und evtl. Hereinnahme von 13, 1 f). Unser Vorschlag kann - zumal wir ihn nicht im Detail wie im von dort her erhellbaren Gesamtzusammenhang erörtern können nicht als gleichmäßig gut gesichert gelten. Worauf es ankommt, ist dies: Zweifellos haben wir mit einer Langform der vormarkinischen Passionsgeschichte zu rechnen; die über 14,1 zurück bis 10,32 und 8,27 reicht. Diese Bestimmung des Umfangs der Passionsgeschichte hat Konsequenzen für die Beurteilung des Materials bei der Frage nach dem historischen Jesus.
II. Kriterien und Indizien zur Bestimmung des Alters der Passionsgeschichte Die Bestimmung des Alters der Passionsgeschichte ist insofern von der Bestimmung des Umfangs abhängig, als Kriterien am Material des jeweils bestimmten Umfangs erörtert werden müssen. Wir fassen uns in diesem Abschnitt besonders kurz, weil die wichtigsten Indizien nicht innerhalb des Mk-Ev selbst zu suchen sind und schon deshalb hier nur andeutungsweise behandelt werden können. 1. Die Kriterien, die zur Bestimmung des Alters der Passionsgeschichte dienen können, sind folgende: 1.1 Traditionsgeschichtliche Kriterien 1.1.1 Das Vorkommen christologischer Titel, ihrer Verbindung; die Entwicklung ihres Verhältnisses zueinander (hier besonders: Messias, Menschensohn, Sohn Davids, Sohn Gottes). 1.1.2 Das Vorkommen von Theologumena und Christologumena (bes. die Deutung des Todes Jesu betreffend) und deren Entwicklung. 1.1.3 Die erheb bare Konzeption der Passionsgeschichte (vgl. dazu unten IV). 1.1.4 Vergleiche mit Traditionen außerhalb der Passionsgeschichte 165
und deren Entwicklung sind hier angebracht; eine Beachtung der Chronologie des Urchristentums ist unumgänglich 28. 1.2 Inhaltlich-sachliche Kriterien 1.2.1 Vgl. 1.1.2 unter der Leitfrage: Welche Vorstellungen (etwa über den Tod Jesu) sind ausgebildet bzw. (noch) nicht benutzt? 1.2.2 Welche Vorstellungen über Jünger- und Zwölferkreis sind in der Passionsgeschichte gespiegelt? 1.2.3 Wie ist die Rolle Israels gesehen usw. 1.2.4 Wie ist die Autorität des Petrus gefestigt (im Blick auf seine Belastbarkeit durch Texte wie Mk 8, 31-33 und 14, 66-72)? 1.3 Sprachliche Kriterien 1.3.1 Sprachliche Kriterien haben nur höchst relativen Wert. Zu beachten sind: 1.3.1.1 Semitismen 29, 1.3.1.2 Ubersetzungsgriechisch, 1.3.1.3 Originär griechische Formulierungen. 1.4 Untaugliche Kriterien sollen auch hier eigens genannt werden: 1.4.1 üb die Passionsgeschichte ursprünglich griechisch oder aramäisch abgefaßt war, kann nicht zur Altersbestimmung dienen. 1.4.2 Ursprüngliche Kürze oder Länge der Erzählung sagt auch nichts über ihr Alter aus. 2. Die wichtigsten Indizien zur Bestimmung des Alters der Passionsgeschichte sind aus 1 Kor zu erheben. 2.1 1 Kor 11,23 könnte mit der Formulierung ev'tn vux'tl, TI :7ta(leöCöoLO darauf hinweisen, daß Paulus die Abendmahlstradition im Zusammenhang der Passionsüberlieferung kennengelernt hat. Die Stichworte ,Nacht' (vgl. Mk 14,30) und ,ausliefern' (häufig in der Passionsgeschichte) sind starke Indizien. 2.2 Die Abfolge "gestorben - begraben - auferweckt - erschienen" in 1 Kor 15, 3-5 entspricht der Abfolge in Mk 15-16. 2.3 Daß die Q-Uberlieferung keine Passionsgeschichte umfaßt, ist kein Indiz, da in dieser Tradition die Lehre des Menschensohns gesammelt ist. 28 Vgl. zum Problem: M. Bengel, Christologie und neutestamentliche Chronologie. Zu einer Aporie in der Geschichte des Urchristentums, in: Neues Testament und Geschichte. Festschrift O. Cullmann (Tübingen 1972) 43-67. 29 Vgl. die Zusammenstellung bei V. Taylor, The Gospel according to St. Mark (New York 21966) 655-658 (wo freilich nur das Material ab 14,1 berücksichtigt ist).
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Auch die Bestimmung der Herkunft der Passionsgeschichte (s. unten III) kann als Indiz für ihr Alter gewertet werden. Wenn sie aus der J erusalemer U rgemeinde stamm t, wird man ein hohes Alter annehmen dürfen. 3. Ein aufgrund der Indizien verantwortbarer Vorschlag zur Bestimmung des Alters der Passionsgeschichte sei zur Diskussion gestellt. 3.1 Die Passionsgeschichte ist älter als 1 Kor (ca. 55 n. ehr.); da Paulus die überlieferungen, die er hier anführt, sicher vor Beginn seiner Missionsreisen übernommen hat, kann die Passionsgeschichte wenigstens in die vierziger Jahre zurückdatiert werden. Vielleicht - wenn Paulus die Passionsüberlieferungen in Antiochien kennenlernte, wo man sie aus J erusalem mitgebracht hätte - darf man noch höheres Alter erschließen. 2.4
III. Kriterien und Indizien zur Bestimmung der Herkunft der Passionsgeschichte Auch die Bestimmung der Herkunft der Passionsgeschichte hängt von der Bestimmung des Umfangs ab; auch diesen Abschnitt fassen wir kurz, obwohl er für die Frage der Ergiebigkeit der Passionsgeschichte für die Frage nach dem historischen Jesus wichtig ist. 1. Die Kriterien, die zur Bestimmung der Herkunft der Passionsgeschichte dienen können, sind folgende: 1.1 Theologiegeschichtliche Kriterien (judenchristlichlheidenchristliche, judenchristlich-palästinische / judenchristlich-hellenistische Theologumena). 1.2 Sprachliche Kriterien (aus aramäisch sprechender Gemeinde/aus griechisch sprechender Gemeinde). 1.3 Untaugliche Kriterien sind: 1.3.1 Zu direkte Auswertung von Orts angaben (etwa: Gali1äa). 1.3.2 Zu scharfe Scheidung zu 1.1 und 1.2. 2. Indizien zur Bestimmung der Herkunft der Passionsgeschichte sind Orts- und Personenangaben. 2.1 Die Vertrautheit mit der Topographie von J erusalem und U mgebung (Jericho, Betanien, Betfage, Olberg, Getsemani, Golgota) läßt auf Jerusalem als Herkunftsort der Passionsgeschichte schließen. 2.2 Die Erwähnung der ,Galiläer' in 9,30; 14,28.70; 15,41 und 16,7 167
läßt an die Gemeinde der Gali1äer (vgl. Apg 1,11; 2,7), die Urgemeinde in Jerusalem denken. 2.3 Die Personenangaben (wie Simon der Aussätzige in 14,3; Simon v. Kyrene mit Alexander und Rufus in 15,21; die gali1äischen Frauen in 15,40 u. ö.; Josef von Arimatäa in 15,43) passen am ehesten zur Hypothese der Herkunft der Passionsgeschichte aus der Jerusalemer Urgemeinde. 3. Wir schlagen deshalb folgende Hypothese zur Diskussion vor: Die Passionsgeschichte, die den Weg des Menschensohnes zum Leiden in Jerusalem erzählte und mit der Auferstehungsverkündigung im geöffneten Grab schloß, ist eine alte überlieferung und stammt aus der Gemeinde der Gali1äer in Jerusalem, aus der Urgemeinde. Da die U rgemeinde sehr bald zweisprachig war (durch die Hellenisten um Stefanus), dürfte die Frage, in welcher Sprache die Passionsgeschichte zunächst überliefert wurde, kaum alternativ zu entscheiden sein.
IV. Beiträge zur Charakterisierung der Passionsgeschichte Eine vorläufige Chrakterisierung der Passionsgeschichte kann wenigstens in aller Kürze auf zu bearbeitende Themata aufmerksam machen. 1. Literarische Eigenart, Aufbau in gebündelten Perikopen (zu je drei), Strukturierung durch Weissagungen, dreifache Wiederholungen usw. sind schon erwähnt worden (s. oben 2.3.3). Eine sorgfältige Beschreibung ist nur aufgrund einläßlicher Einzelstudien möglich. 2. Die Rolle der alttestamentlichen Substruktur ist auch kurz erwähnt worden. Auch hier wäre eine ausgebreitete Darstellung der Anspielungen und Bezüge 30 , eine Untersuchung ihrer strukturierenden und interpretierenden Funktion notwendig. "Die große Zahl derartiger Anspielungen auf die alttestamentlichen Leidenspsalmen zeigt deutlich, daß die Passionsgeschichte J esu streckenweise völlig aus dem Alten Testament erzählt ist. Die Christen, die diesen Bericht gestalteten, haben offenbar im Leidensweg ihres Herrn das Geschick des para30 In mannigfacher Hinsicht unzureichend bleibt die Untersuchung von A. Suhl, Die Funktion der alttestamentlichen Zitate und Anspielungen im Markusevangelium (Gütersloh 1965); auch E. Flessmann - von Leer, Die Interpretation der Passionsgeschichtevom Alten Testament aus, in: Zur Bedeutung des Todes Jesu (Gütersloh 31968) 79-96.
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digmatischen Gerechten aus den Psalmen erkannt. Allein so haben sie verstehen können, was Jesus an Schrecklichem widerfahren war. In diesem Verstehen ist aber auch ein Urteil über ihn selbst enthalten: J esus ist der Gerechte Gottes ... Es gehört nun aber zum Charakter jener alttestamentlichen Leidenspsalmen, daß der ausweglosen Not der Klage des Gerechten der Lobpreis des Erretteten folgt ... " Von daher wird klar, "daß die Ostergeschichte Mark. 16, 1-8 im Erzählzusammenhang der Passionsgeschichte eben diese Funktion hat: Sie markiert die Antwort Gottes auf das frevelhafte Tun der Menschen an seinem Repräsentanten und zugleich die Frage nach Gott angesichts seines Leidens. Wo die Leidenspsalmen von der schließlichen Errettung des leidenden Gerechten durch Gottes Hilfe reden, da verkündigt am Ende der Leidensgeschichte Jesu, des Gerechten, der himmlische Bote Gottes seine Auferstehung als seine Errettung durch Gottes Machttat."31 Von daher wird auch klar, daß die Leidens- und Auferstehungsweissagungen zu Beginn der Passionsgeschichte ihren originären, den ganzen Bericht vorweg interpretierenden Ort haben. 3. Die Passionsgeschichte erzählt die passio et iustificatio iusti (Christi, filii hominum). Es ist das Verdienst von L. Ruppert, hierauf nach U. Wilckens mit Nachdruck aufmerksam gemacht zu haben 32 . Sein Ansatz bedarf weiterer Entwicklung aufgrund unserer Bestimmung des Umfangs der vormarkinischen Passionsgeschichte und einer intensiveren Kontrolle ihrer alttestamentlichen Substruktur. Im Rahmen der Frage nach dem historischen Jesus wäre besonders wichtig zu erfragen, ob die Zeichnung des Geschicks Jesu als des leidenden Gerechten durch Jesus selbst schon inauguriert war. 1. Ruppert hält dafür: "Die besondere theologische Leistung des historischen J esus hätte somit darin bestanden, daß er sich als leidenden Gerechten und leidenden Propheten begriff, wobei er seine in oder nach dem Tode erwartete Verherrlichung als Erhöhung und zwar in der Weise der Einsetzung zum eschatologischen Menschensohn verstanden haben kann. Einer schöpferischen religiösen Persönlichkeit wie Jesus ist eine solche Harmonisierung verschiedener (prophetischer und apokalyptischer) Traditionen durchaus zuzutrauen."33 Die Leidens- und AuferstehungsU. Wilckens, Auferstehung, 60-63. L. Ruppert, Jesus als der leidende Gerechte? Der Weg Jesu im Lichte eines alt- und zwischentestamentlichen Motivs (SBS 59) (Stuttgart 1972). 33 A. a. O. 75. 31 32
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weissagungen, die das Geschick des eschatologischen Propheten Jesus als Geschick des Menschensohnes auslegen, bedürfen neuer überprüfung; sie sind jedenfalls der Deutung des Weges J esu in der Passionsgeschichte zuzurechnen. 4. Sitz im Leben und Uberlieferungsintention der Passionsgeschichte sind nicht leicht bestimmbar. Vielleicht darf man aber überlegen, ob die Gemeinde, welche die passio et iustificatio iusti Jesu Christi erzählte, zugleich ihre Gründungslegende überlieferte, d. h. ihre Existenz durch Leiden und Erhöhung J esu rechtfertigte. Die Passionsgeschichte hätte dann gewiß ätiologischen Sinn (wie sie eine Reihe ätiologischer Einzelzüge aufweist), aber auch kultische Funktion. Erst eine genauere Ausarbeitung des theologischen, christologischen und insbesondere ekklesiologischen Horizonts der Passionsgeschichte kann in dieser Frage zu genauerer Charakterisierung führen.
V. Die Passionsgeschichte und die Frage nach dem historischen Jesus Daß die Passionsgeschichte für die Frage nach dem historischen Jesus eine bedeutendere Rolle spielen muß, als sie gemeinhin tut, dürfte aus den vorstehenden fragmentarischen Beiträgen schon andeutungsweise hervorgehen. Zum Abschluß sei das angezeigte Problem noch in gebotener Kürze thematisiert. 1. Prüfung der These, "daß die historische Ausbeute einer gewissenhaften Analyse der Leidensgeschichten im einzelnen nicht sehr ergiebig ist" 34 1.1 Läßt sich die These halten? Wenn der Umfang der Passionsüberlieferung neu zu bestimmen ist, wenn Alter und Herkunft auf frühe Jerusalemer Zeit der Tradition deuten, ist die Frage der historischen Ausbeute neu aufzuwerfen. Die historische Kritik kann nicht als Einzelkritik von (fälschlich für solche gehaltenen) Einzelüberlieferungen betrieben werden, sondern muß den Gesamtzusammenhang der Passionsgeschichte im Auge behalten. 34
So G. Schneider, Passion, 10.
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1.2 Eine Kriteriologie der historischen Kritik der Passionsgeschichte muß noch erarbeitet werden. Sie hätte im einzelnen zu berücksichtigen: Ziel und Horizont der Erzählstücke (geht es um Information, 1.2.1 Paränese, Deutung etc?). 1.2.2 Die Unterscheidung von erzählerisch notwendigen und nicht notwendigen Zügen, die Bewertung von nicht notwendigen, nicht theologisch motivierten Einzeldaten 35 . Die Korrelation mit gesicherten Daten der übrigen Wirksam1.2.3 keit Jesu. Die Eigenart der Gattung und ihr Verhältnis zu Einzelteilen 1.2.4 der Erzählungen. Die zeitgeschichtlichen Einordnungsmöglichkeiten 36. 1.2.5 Den religions- und traditionsgeschichtlichen Prozeß. 1.2.6 U. U. Vergleich mit mt, lk und joh Sondertradition. 1.2.7 1.3 Als mögliche historische Einzeldaten der Passionsgeschichte sollten m. E. ernsthaft nach Tatsächlichkeit und Bedeutung diskutiert werden: Das Messiasbekenntnis bei Cäsarea Philippi. 1.3.1 1.3.2 Jesu Bestreben, verborgen zu bleiben. Der bewußte Zug Jesu nach Jerusalem. 1.3.3 Die Heilung des blinden Bartimäus bei Jericho. 1.3.4 1.3.5 Der Einzug Jesu in Jerusalem. Das Itinerar des Weges Jesu nach Jerusalem. 1.3.6 1.3.7 Die Tempelreinigung. 1.3.8 Betanien als Ausweichquartier Jesu. 1.3.9 Die Vernichtungspläne der Gegner J esu. 1.3.10 Der Judasverrat. 1.3.11 Das Abschiedsmahl Jesu. 1.3.12 Die Verhaftung in Getsemani. 1.3.13 Das Verhör vor dem Hohen Rat. 1.3.14 Die Verleugnung des Petrus. 1.3.15 Die Verurteilung Jesu durch Pilatus. 1.3.16 Die Bevorzugung des Barrabas vor Jesus. 1.3.17 Der Titulus crucis. 35 36
VgJ. als Beispiele R. Pesch, Verleugnung; Schluß; Messiasbekenntnis. Hierzu von bleibendem Wert J. BLinzLer, Prozeß.
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1.3.18 Der Kreuzestod Jesu. 1.3.19 Das Begräbnis Jesu durch Josef von Arimatäa. 1.4 Kleinere Einzelheiten (wie etwa die Angaben über den Kreuzträger Simon u. a.) bedürften ebenfalls neuer überprüfung wie größere Zusammenhänge (z. B. Tempelreinigung oder messianischer Einzug als Anlaß der Todespläne der Gegner). Für viele Daten bieten sich Korrelationen mit anderen Daten des Lebens Jesu an, so daß die Passionsgeschichte im Rahmen der Frage nach dem historischen Jesus größte Bedeutung besitzt.
2. Eine Prüfung von Möglichkeiten der Auswertung von Daten der Pass ions geschichte für das Verständnis des historischen J esus hätte im ganzen zu betreiben: 2.1 Eine historische Rekonstruktion der Passion Jesu, deren Möglichkeiten nicht zu sehr unterschätzt werden müssen. 2.2 Ein Rückschlußverfahren aus der Passionsgeschichte auf das Wirken und das Selbstverständnis J esu. 2.2.1 So könnte z. B. die überlieferung des Weges Jesu nach Jerusalern noch die Bedeutung spiegeln, die Jesus selbst dem Zug in die Hauptstadt zugemessen hat. Entsprechende Rückschlüsse auf das Selbstverständnis Jesu (in Korrelation mit anderen ergiebigen Daten) wären dann angezeigt. 2.3 Die Prüfung aller traditions geschichtlichen Daten im Blick auf ihre mögliche Herkunft aus dem Leben Jesu und ihrer Bedeutung für die Verständigung über das Programm (und letztlich die Person) Jesu. 3. Die theologische Bedeutung der Frage nach dem historischen Jesus 37 macht gerade auch eine Beschäftigung mit der Passionsüberlieferung dringlich. Ist J. Noltes These richtig: "Die historische Person Jesus von Nazareth, die >Tatsache Jesus