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Jan Assmann
Theologie und Weisheit im alten Agypten ••
Wilhelm Fink Verlag
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2004.
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Jan Assmann
Theologie und Weisheit im alten Agypten ••
Wilhelm Fink Verlag
00041~bll
PVA
2004.
3277
UmschlagphotO: Cl Vincent Assmann, 2004
Bibliografisch(: Information Der Deutschen Bibliothek Di(: Deutsche Bibliothek ven~eiehncl diese Publikation in der Deutschen National· bibliografie; delaillierte bibliografischc Dalcn sind im Internet über hup:/ /dnb.ddb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechllich geschlitzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des UrheberrechlSgesetzcs iSI ohne Zustimmung de:s Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vcrviclfaltigungen, Überset. zungen, tI.'likroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronisehen Systemen. ISBN 3-7705-4069-7 2005 Wilhelm Fink Verlag, München Einbandgeslaltung: Evclyn Ziegler, München Herslellung: Ferdinand Schöningh GmbH, Paderborn
rOY flV1
Inhaltsverzeichnis
VON'Ofl
9
Erstes Kapitel Kosmogonie. Göttliche Schöpfung und menschliche Kreativität I. Einleitung 2. Die hcliopolitanischc Kosmogonie Die Präexistenz Der kosmogonische Augenblick: die Entstehung des LichtS Die Entstehung des Raumes (Himmel und Erde) Die Entstehung des Todes und der Kultur 3. Schöpfung durch d2S Won. Sprachljchkeit und Lesbarkeit der Welt 4. Autonome und heteronome WeItmodeLle
13 13 14 14 15 17 23 24 30
• Zweites Kapitel Primat und Transzendenz. Struktur und Genese der ägyptischen VorslclJung eines "Höchsten Wesens" 1. Die Gestalt des ,Wehgons' In späl- und außerägyptischen Texten In Texten der Ramessidenzeit (1300-1100 v. Chr.) 2. Zur Geschichte der Reichsgolt-Idce GOtt und König Gou und Götler 3. Der verborgcne Weltgotl der thebanischen Theologic Immanenz Transzcndenz
35 35 35 4\ 44
45 49
53 53 58
Drittes K2pitel Arbeit 2m Polytheismus: Die Idee der Einheit Goues und dje Entfaltung des theologischen Diskurses in Agypten 1. Wie entsteht Theologie? Sekundäre Religionserfahrung und das "Denken des Einen". 2. "Implizitc" versus "explizite" Theologic 3. Die Primat-Theologie der 18. Dynastie Texl 1 Das theologische Verfahren
65 65
68
75 75 77
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6
In hahsverz.eich nis
4. Die Theologie der Amarnazeit Kontinuität oder Diskontinuität? Text 2 Einheit ohne Vielheit 5. Der pantheistische Weltgon und deus abscondilus Nach Amarna: Diskontinuität oder Kontinuität? Text 3 Ba Die Einheit des Diskurses
79 79 81 82 84 84 85 87 91
Viertes Kapitel Weisheit, Loyalismus und Frömmigkeit I. Die ,Entweldichung' der Weisheit im Neuen Reich Theologie des \'('illens: von der ,indirekten' zur ,direkten Kausation' ,Weisheit' und ,Persönliche Frömmigkeit' 2. Menschliche:s Handeln und göttliche Zuwendung: Gegenseitigkeitsformeln Seligpreisungen Loyalismus: dje politischen Verhaltenslehren des llo'!irtleren Reichs 3. Die binäre Konstruktion menschlicher Handlungsräume LoyaJismus und Frömmigkeit Loyalismus und Weisheit Belege
93 93 93 98 99 99 t 07 112 118 118 122 125
Fünftes Kapitel Die ••loyalistische Lehre" Echnatons
137
Literatur
165
Namenregister
185
Moshe Barasch
(1920-2004) . . 10
memOrlam
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Vorwort ..Theologie" und "Weisheit" sind Begriffe, die man als Gegensätze oder als sich ergänzende Aspekte religiösen Wissens betrachten kann. Als Gegensätze "erstanden, bezieht sich der erste auf im engeren Sinne religiöses, der zweite dagegen auf "weltliches" Wissen, also das, was man im 18. Jahrhundert "Welt· weisheit" nannte. Als ergänzende Aspekte betrachtet, beziehen sich heide Begriffe dagegen auf religiöses Wissen. Im Rahmen der uns vertrauten jüdischchristlichen Tradition ließe sich unter "Theologie" alles das zusammenfassen, was uns die biblischen Bücher, insbesondere die Psalmen, das Buch Hiob und einige Propheten bücher über Wesen, Wirken und Willen Gottes erschließen, auch wenn es ein hebräisches \'(fort für diesen Begriff nicht gibt, während der Begriff "Weisheit" (hokmah) in der Bibel selbst eine große Rolle spielt. Auch hier, innerhalb der Bibel selbst, zeigt sich, daß mit dem Begriff "Weisheit" eine relative Weltlichkeit verbunden ist. Hier geht es nicht um Gottes Wesen und Wirken, sondern um die Fundamentalien der menschlichen Existenz und die Lehren vom rechten menschlichen Verhallen. bnche der einschlägigen Texte wurden geradezu aus anderen Kulruren übernommen, andere sind so "weltlich", daß ihre Aufnahme in den Kanon lange Zeit umstritten war, wie z.B. das skeptische Buch Qohelet. Im allen Ägypten treffen wir auf eine mit dem allen Israel vergleichbare Situation. Was die "Theologie" betrifft, Hießen die QueUen hier überraschenderweise sehr viel reicher als in der Bibel. Hunderte von H}'mnen und verwandten Texten handeln von nichts anderem als dem Wesen und Wirken, seltener auch dem Willen einzelner Götter, wobei wir, da sich die meisten und wichtigsten Hymnen auf den höchsten Gon beziehen, durchaus auch von "Gou" sprechen können. Auch die Suche nach "Weisheit" wird in den ägyptischen Quellen schnell fündig: die entsprechende Literatur ist sowohl viel faltig (hierzu gchören neben den klassischen Lebens- und Verhaltenslehren auch KJagen in der Art des Hiob-Buchs, die sich mit der Lage einer Welt auseinandersetzen, aus der die Gerechtigkeit verschwunden ist) als auch ganz ungewöhnlich langlebig: sie erstreckt sich vom 3. vorchristlichen bis ins t. nachchristliche Jahrtausend. Auf keinen Fa1lläßt sich in Ägypten "Weisheit" als Gegensatz zu "Theologie" betra.chten. Vielmehr handelt es sich auch hier, wie im Alten TeStament, um ergänzende Aspekte. Auch hier legen die Weisheitstexte eine unverkennbare Weltlichkeit an den Tag, auch hier aber ist sie nur "relativ", das heißt eingebettet in einen religiösen Horizont. Auch die \'(/'eisheitstexte nehmen gelegentlich auf das Göttliche Bezug, wobei sie charakteristischerweise fast immer von ..Gou" anstatt von einzelnen Göttern reden, weil es ihnen entweder nur auf
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Vorwort
das .,Höchste Wesen" oder auf die Götterwelt in einem so allgemeinen Sinne ankommt, daß jeder Gonesname hier eingesetzt werden könnte. Ihnen geht es nicht um .,Theologie", sondern um Anthropologie, aber zum Wesen des Menschen gehört auch seine Geschöpflichkeit, seine Abhängigkeit vom Willen und Wirken "Goues" bzw. (beliebiger) GÖner. Was nun die ägyptische Situation in religionsgeschichtlicher und kulturwissenschaftlicher Hinsicht so interessant macht, ist die Tatsache, daß sowohl die "Theologie" als auch die "Weisheit" im Laufe ihrer dreitausendjährigen Geschichte ganz erheblichen Wandlungen unterworfen waren und sich überdies im Zuge dieser Wandlungen aufeinander zubewegten. Die Theologie wird darin immer weisheitlicher, daß es auch hier immer stärker um eine Theologie des Höchsten Wesens jenseits der polytheistischen Gönerwelt, also um eine Theologie Gottes geht. Die Weisheit ihrerseits wird immer "frömmer", weil in ihrer Interpretation der conditio humana die RoUe "Gones" immer bestimmender wird. Das erste Kapitel behandelt die ägyptischen Vorstellungen von der Wehentstehung und stellt damit die allgemeinen GrundSlrukruren des ägyptischen Welt- und Menschenbildes vor, in dessen Rahmen sich die geschilderten Wandlungen beziehen. Die alten Agypter sahen in der Welt nicht nur das \'(Ierk, sondern vor allem eine unmittelbare Manifestation Goltes und der Götter. Für sie war die Welt im Sinne einer "creauo ex Deo" aus GOlt hervorge~ gangen. In allen kosmogonischen Lehren steht immer ein einziger G tt am Anfang. Der "kosmogonische Moment" (von .,Schöpfung" kann man hier nicht sprechen) betrifft immer Einen Gon, auch wenn die Welt. die aus ihm hervorgeht. in die er sich verwandelt und entfaltet. dann unzähJjge andere Gottheiten umfaßt, die ihrerseits schöpferisch in die Ausgestaltung und inganghaltung der Weh eingreifen. Die ägyptische Welt ist eine Welt, die nicht einmal geschaffen wurde, sondern unablässig erneuert, erhalten und "in Gang gehalten" werden muß. Für die Ägypter ist der Kosmos kein Raum, sondern ein Prozeß, der sich im Zusammenwirken der Göller ereignet und zu dessen Gelingen auch die Menschen im Medium der Riten beitragen müssen. Die übrigen vier Kapitel widmen sich dann auf eine ziemlich detailJjerte Weise den hislOrischen Wandlungen und zeichnen die Wege nach, auf denen einerseits die ägyptische Theologie den Begriff eines "Höchsten Wesens" jenseits der Göuerwelt entwickelt hat und andererseits die Weisheit ihre ursprüngliche, wenn auch relative Weltlichkeit aufgegeben und, im Rahmen einer .,Theologie des Willens". immer frömmer geworden ist. Das zweite Kapitel geht von der Endsiruation der ägyptischen Religion aus, von Texten, die zwar in Ägypten entstanden. aber in griechischer Sprache v~r faßt sind. Hier begegnen wir der Gestalt des "Weitgoues", der die sichtbare Welt zum Körper hat und sie von innen beseelt. Diese Gonesidee ist in der ganzen antiken und spätantiken Welt verbreitet; wir begegnen ihr in indischen, iranischen, hellenistischen, gnostischen und hermetischen Texten. Nichts liegt näher als die Annahme, auch die gräko-ägyptischen Texte hätten lediglich auf
Vorwort
II
ihre Weise 2.n dieser globalen Strömung Anteil Obern.schenderweise stoßen wir aber nicht nur in genuin ägyptischen Texten derselben Zeit auf dieselbe Gonesidee, sondern können diese Tradition auch über mehr als tausend Jahre zurückverfolgen. Ihre Ausformung gehört in die späte Ramessidenzeit (12. Jh. v.Chr.), den ersten Anstoß dazu gab aber bereits die Auseinandersetzung mit der monotheistischen Revolution des Echnaton von Amarna durch die Amunspriester der ..Gegenreformation", und die Wurzeln dieser Gouesidee reichen weit zurück in der ägyptischen Religion. Du drine Kapitel behandelt das Problem der ägyptischen ..Theologie" diskursgeschichtlich. Theologie wird als lehrhafte, argumentativ entfaltete Rede von Gou verstanden. Sie entsteht im Rahmen der Auseinandersetzung mit zwei Problemen: dem Problem der Gerechtigkeit Gones angesichts der Unvollkommenheit der Welt, das uns unter dem Begriff "Theodizee" vertraut ist und ja auch in der Bibel eine zentrale Rolle spielt, und dem Problem, wie die Beziehung von GOtt und Göuer zu denken ist, das naturgemäß in der Bibel keine (oder eine sehr marginale) Rolle spielt. dafür aber den Ägyptern um so wichtiger war. In diesem Kapitel wird die Geschichte der ägyptischen Idee eines Höchsten Wesens anhand der Ge· schichte des ..theologischen Diskurses" rekonstruiert. Das vierte Kapitel widmet sich der Wende von der Weisheit zur Frömmigkeit und geht ebenfalls diskursgeschichtlich vor. !-lier geht es um die engen dis· kursgeschichtlichen Zusammenhänge zwischen zwei Traditionen, die man bislang nicht in Verbindung gebracht haue: den unter dem Stichwon "LoyaJismus" zusammengefaßten Verhaltenslehren des Mittleren Reichs (2000-1750), in denen es um die Beziehung des Einzelnen zu Staat und König geht und die man zur Weisheitsliteratur rechnet, und den zahlreichen Inschriften des Neuen Reichs (1550-1050), die man unter dem Stichwort .. Persönliche Frömmigkeit" zusammenfaßt und die, wie sich zeigen läßt, die Sprache des Loyalismus reden. Auch diese Wende hat eine Parallele in der Bibel. Die Bundestheologie bedient sich, vor allem in ihrer deuteronomistischen Ausgestaltung, Formeln und Formulierungsverfahren, die aus dem Repertoire des ahorientalischen, insbesondere neuass)'rischen Loyalismus übernommen sind. In diesen Zusammenhang gehön auch das fünfte und letzte Kapitel. Hier wird anhand eines konkreten Falles gezeigt, daß die "Persönliche Frömmigkeit" der Ramessidenzeit auf den Loyalismus der Amarnazeit zurückgreift. <Ein Text aus Amarna, der den König als den persönlichen GOtt des Einzelnen preist und die Beziehung zwischen König und Unten",n in den religiösen Ausdrucksformen der Frömmigkeit darstellt. wird wenig später. nach dem Ende und der Verfolgung der Amama-Revolution, ziemlich wörtlich auf einen Gou umredigien, obwohl doch alles, was mit Amarna zu tun hatte, strengstens verpönt war. In diesem Kapitel wird versucht, den Loyalismus von Amarna als eine Königslehre im Sinne des Mittleren Reichs zu rekonstruieren und mit der "Lehre des Königs" zu identifizieren, von der in den Amarnatexten ständig die Rede ist. Die Amarnareligion kommt damit auf zwei Beine zu stehen: auf die Naturlehre: die Lehre von der weherschaffenden und weIterhaltenden Wirkung
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VOnlo'on
dcs Sonnengottes, der durch Licht und Zeit alles Sichtbare und alles sich entwickelnde hervorbringt und damit dje Annahme anderer Götter übernüssig macht, und auf die Lehre vom König als dem persönlichen Gon des Einzelnen, von dem Schicksal, Glück, Wohlergehen und sogar das Leben nach dem Tode abhängen. Die Kapitel dieses Bandes ergänzen die unter dem Titel "Ägyptische Geheimnissc" zusammengestcllten Arbeiten, die mit den Schwerpunkten "My. thos" und "Mysterium" zwei andere Aspekte der altägyptischen Religion behandelten, zu einem umfassenden und in vieler Hinsicht neuartigen Bild der ägyptischen Religion. Die beiden Bande sind als Einheit konzipiert (daher fin. det sich auch am Ende dieses Bandes eine Zusammenstellung der Erstveröffentlichungsorte flir die Kapitel beidtr Bände). Auch die vorliegenden Kapitel greifen mit Ausnahme des ersten auf Aufsätze zurück, die vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren entstanden sind und für diesen Band gründlich rcvidiert wurden. Auch hier wird dieses neue Bild nicht zusammenfassend dargestellt (wie in meinem Buch Ag,pten - Theologie lind Friimmigktit einer frühen I-Iorhkllltlir. Stuttgart 1984), sondern detailliert aus den Quellen erarbeitet, was wiederum nkht ohne einige hundert Fußnoten abgeht. Ich sehe in dieser "Er· dung" der zuweilen sehr weitgchenden Deutungen und religions- bzw. kulturwissenschaftlichen Perspektiven durch eine ständige Bezugnahme auf das Material, die primären, großenteils durch epigraphische Arbeiten erstmals er· schlossenen Quellen einen Gewinn, auch wenn es die Lektüre gelegentlich mühsamer macht. Gerade im Rahmen der neu aufblühenden "Kulturwissen· schaft", die solche Themcn in allgcmeinerer Perspcktive einem größeren Publikum erschließt, sollten die konkreten Details, in denen nun einmal, wie Ab)' Warburg zu sagen pnegte, "der liebe Gon wohnt", nicht aus dem Blick geraten. Wiederum gilt mein Dank Raimar Zons, der diesen Band zunächst gewünscht und dann betreut hat, sowie den hilfreichen Geistern des Heidclberger Instituts, unter denen ich besonders Susanne Michels nennen möchte. Ich widme diesen Band dem Andenken Moshe Baraschs, dessen Freundschaft ich ebensoviel verdanke, wie mir der Verlust seiner täglichen, über E-Mail ausgetauschten Anregungen und Ermutigungen bedeutet. Mit ihm wußte ich mich einig in der unaufgcbbaren Verbindung detail reicher Einzelforschung und kultut'U'issenschafdicher Perspektive.
Heidelberg, am 5. August 2004
Erstes Kapitel
Kosmogonie. Göttliche Schöpfung und menschliche Kreativität 1. Einleitung Wenn man mit der Frage nach einem möglichen Zusammenhang von Kreativi· tät, Innovation und Hybris einen Blick auf die Alte Welt wirft, springen sofon zwei Kulturen ins Auge, die in dieser Hinsicht einen Sonderweg beschreiren: Israel und Griechenland. Diese beiden Kulturen kennen den Begriff der Hy· bris, das heißI die Vorstellung, daß der Mensch in seinem Schöpfenum die ihm gesetzten Grenzen überschreiten und mit GOIt bzw. den Gönern in Konllikt geralen kann; den altorientalischen Kulruren, Ägypten und l\'lesopotamien, scheint diese Vorstellung dagegen fremd zu sein. Ferner emanzipien sich in diesen bei den Kulturen der Mensch von der Vorstellung, den Kosmos durch den Vollzug der Riten in Gang halten zu müssen, in Israel im Zuge des über. gangs vom Kosmotheismus zum Monotheismus und in Griechenland im Zuge jenes Oberg.mgs, den man mit der Formel ..,'om Mythos zum Logos" bezeichnet. Drittens ist mit diesem Emanzipationsschrilt ein beispielloser Kreativit:i.tsschub ,'crbunden, der dje \X'elt nachhaltig veränden hat. Wir sprechen vom "griechischen Wunder", aber wir können mit gleichem Rechl auch vom ..he· bräischen Wunder" sprechen. Das sind die beiden Trnditionen, auf denen die abendländische Welt bis heute beruht, \\'ährend die altoriemalischen Kulturen versunken sind. Diese drei Dinge hängen offensichtlich eng zusammen: die Emanzipation vom magischen Weltbild des Kosmotheismus, die Freiselzung einer beispiellosen Kreativität, die zur bis heute nachwirkenden Umgestaltung der Welt führt, und die Idee der Hybris, das heißt die Furcht, in dieser Umge· staltung zu weil gehen und den Zorn Gottes bzw. der Göner auf sich laden zu können. Im Horizont des magischen Weltbilds lebte der Mensch im Glauben, die Welt rituell in Gang halten zu müssen. Damit verbanden sich VorsteUun· gen einer kosmischen, eben weltinwanghahenden Wirkungskrafl menschlichen t-Iandelns, die uns "ollkommen hybrid anmuten, innerhalb dieser Weltbilder aber als heilige Verpflichtung galten und nicht als wahnhafte Grenzuberschrei· tung. Aus diesem symbiotischen We!tverhältnis hat sich der Mensch dann in Israel und Griechenland auf je besondere Weise emanzipiert und sich den Ei· genraum menschlichen Handelns erschlossen, der uns so viel bescheidener an· mUlel und der doch den Begriff der H)'bris, der wahnhafren Selbstüberschrei· tung zur Folge halte. Das folgende Kapitel wird von Äg)'pten handeln und nur gelegentlich einen
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Erst~$ K:l.pit~1
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vergleichenden Seitenblick auf l'.iesopotamien, Israel und Griechenland werfen, um am Beispiel Ägyptens die vorgriechjsche und vorhebräische Welt zu beleuchten, in der sowohl die menschliche als auch die göttliche Kreativität in einer Weise gebunden gewesen zu sein scheinen, daß der Begriff der Hybris, das heißt das Problem der menschlichen Selbstüberschreitung, nicht :l.ufkommen konnte. Zunächst müssen wir die Unterscheidung zwischen Kosmogonie und Schöpfung beachten. Eine Kosmogonie stellt die Entstehung der Weh als einen ..intransitiven" Prozeß der Selbstentfaltung dar, unter dem Stichwort Schöpfung dagegen wird sie :l.uf das "transitive", welterschaffende Wirken Gones oder der Göner zurückgeführt. In Ägypten haben wir es mit Darstellungen zu tun, die beide Aspekte verbinden. Alle ägyptischen WeItentstehungslehren sind sich darin einig, daß der Ursprungsimpuls intransitiv, im Sinne der Entstehung und nicht transitiv, im Sinne der Schöpfung zu denken ist. ach der Lehre von Heliopolis, die nicht nur als die älteste, sondern auch als die zentrale und klusische ägyptische Schöpfungslehre zu gelten hat, entstand die Welt mit dem "ersten Mal" des Sonnenaufgangs, als der ..von selbst entStandene" Sonnengott aus dem Urwasser auftauchte und seine Strahlen in eine noch raumlose Welt hinausschickte.
Die heliopolitanische Kosmogonie Die Kosmogonie von Hdiopolis stellt die Stadien der Wehemstehung als einen Stammb:l.um mit vier Generationen dar. Jeder Oberg:lOg von einer Generation zur anderen entspricht einem kosmogonischen Akt:
1. Die Präexistenz Nach ägyptischer Vorstellung ist die Welt nkht aus dem Nichts, sondern aus der Eins entstanden. Diese Ur-Eins heißt Atum. Atum ist die Verkörperung der Präexistenz. Der Name bedeutet zugleich "das AU" und "das Nichr" im Sinne von ..noch nicht" oder "nicht mehr".1 . Das Mysterium der Präexistenz erfahrt viele AusgestaJtungen. Bei Arum bleibt es nicht. Diesem Gon, der sich ja im Zustand des och·nicht·Seins befindet, wird ein "orweldiches Ambiente beigegeben, ein Ur-Chaos, du man sich lichtlos, endlos, formlos vorstellt. 2 In dem ..Schu-Buch" der Sargtexte wird die Präexistenz ausgedeutet als das bewußtlose Dahintreiben des Urgottes Atum in der Urflut, dem Nun, dem als weitere Aspekte des Urchaos noch die Finsternis (Kuk), dje Endlosigkeit I Vgl. hierzu insbesondere 2 DICKEL, 23-31.
S.
BICKEL, L:I.
cosmogonie tgyptienne,
33-34.
Kosmogonie
15
(Huh) und die Weglosigkeit (fenemu) zugesellt werden. Ihre kJassische Ausge~ staltung erhalt diese VorsteIJung vom Chaos in der Schöpfungslehre von Hermupolis. J Hier wurde es in Gestalt einer frosch· und schlangenköpfigen Achtheit personifiziert, die vier Eigenschaften des Chaos in jeweils männlicher und weiblicher Ausprägung repräsentierten: Kuk und Kauket: Finsternis Huh und Hauhet: Endlosigkeit Nun und Naunet: Wasser Amun und Amauner: Verborgenheit Das Chaos ist nach ägyptischer VorsrelJung kein Nichts, kein gihnender Abgrund (wie das griechische Wort ..Chaos" es ausdrückt), sondern ein Ur· schlamm voller Keime möglichen Werdens. Aus diesem Urschlamm erhob sich nach der Schöpfungslehre von Hcrmupolis der Sonnengott, wiederum in spontaner Sdbstentstehung, als Kind auf einer Lotosblüte. 4
Der kosmogonische Augenblick: die Entstehung des lichts Atum
Schu und Tefnut Der Übergang von der Präexistenz in die Existenz wird als Selbstentstehung des Urgones gesteutet. Der Gon der präexistenten Einheit, Arum, verfestigt sich zur der Gestalt des Sonnengottes und taucht zum ersten Mal über dem Urwasser auf. Dieser erste Sonnenaufgang wird als ein Akt primordialer Selbstentstehung und zugleich als erSte Schöpfungstat verstanden: als Erschaffung des Lichts. Indem der Gott entsteht (intransitive Kosmogonie), wird er zugleich auch schon nach außen tätig (transitive Schöpfung) und setzt zwei neue Wesen, Schu und Tefnut, aus sich heraus. Der Mythos greift hierfür zu den kruden Bildern körperlicher Ausscheidung: als Masturbation, Aushusten, Ausspucken. s Mit der Selbstemstehung des rgottes ereignet sich der Umschlag von Präexistenz in Existenz. Wie in der Bibel wird dieser Umschlag als die Entstehung des Lichts gedeutet. Schu ist der Gott der Luft. Tefnut wurde bisher immer als "Feuchte" interpreriert. 6 Dafür gibt es überhaupt keinen An-
Amun und die ach I Urgötter. 4 ScIll.OGI., Der Sonnengott auf der Blüte. s BICKF.L, 72-86. 6 S. hienu BAlTA, Unlersuchungen zum Göncrkreis der Neunheil, 89-94, der in 89 3 SJWIU!,
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Ersles Kapitd
hahspunkt. 7 Ganz im Gcgenteil: alles, was wir "on Tefnul aus den Texlen erfahren, weist auf eine GÖltin des Feuers hin. Luft und Feuer - das heißt die Entstehung lichterfülher Ausdehnung - bilden das erSte kosmogonische Stadium. Atum selbst "crwandeh sich bci scinem Übergang von der Präexistenz in die Existenz in die Sonne, deren Slrahlung der Mythos als Gluthauch aus Feuer und Luft interpretiert. Der kosmogonische Augenblick ist nichts anderes als der erste Sonnenaufg'lOg. In den Sargtexten aus der Zeit um 2000 v. Chr. erfährt diese Vorstellung "001 kosmogonischen Augenblick eine neue Deulung und Ausgestaltung. Der kosmogonische Augenblick wird hicr als der MomcOl dargcsrelh, in dem Atum zu Bewußtsein kommt und aus handlungsunfahiger Martigkeil in BewußlSein, Wille und Handlung eintrilt. Dieser MomeOl der SclbsteOlSlehung wird aJs "Selbstverdreifachung" gekennzeichnel: "Als er Einer war und zu Dreien wurde."s Der spätere Texi machl klar, daß man sich diesen Vorgang auf keinen Fall in der Form von Zcugung und Geburt vorstellen darf, indem er den Luftgon Schu sagen läßt: "Nicht hai er mich geboren mil seiner Faust, nicht hai er mich in Schwangerschaft getragen mil seiner Fausl."9 ;"Ian hat immer angenommen, diese Aussage wurde sich gegen das krude Bild der Masturbation wenden '0; aber daran hai der Ägypter keinen Ansloß genommen. Was hier zurückgewiesen wird, ist vielmehr die Vorstellung, Awm habe Schu und Tcfnut guchaffin. Der kosmogonische Augenblick soll nicht als Schöpfung, sondern als Selbstentfaltung gedachl werden. Schu und Tefnul waren bei Atum \'or aller Welt und bildeten mit ihm zusammen die Ureinheit, die zu Dreien wurde. In diesem Text aus dem frühen 2. Jahrtausend wird der Mythos in einer Weise ausgedeutel, die bereits an die allegorisierende Mytheninterpretation ei+ nes Plutarch erinnert. Schu - die Luft - wird als "Leben" und Tefnut - das Feuer oder Licht - als "Wahrheit-Gerechtigkeir-Ordnung" erklärt. ,Ich bin 20m Schwimmen und sehr ennattet, mdne Glieder (?) sind triige. Mein Sohn .. Leben" IS' es, der mein Herz erheb,.l1 Er wird mdnen GeiSI bdeben, nachdem cr diese meine Glieder zusammenguaffl hai. die sehr müde sind: Da sprach Nun (das Urw:lo5ser) zu A,um: .Küsse deine Tochter Ma'IH (,.Wahrheit''), gib sie an deine N2sd Dein Herz lebt, wenn sie sich nidll \'on dir enlfernen.
7 8
9 10 II
Anm. 9 die iltere Liler.uur zu diesem Punkt aufführt. Ursula V~RIIOf:\'F..N melde I zu Rech, in ihrem Anikd TtJ"MI, in: Lexikon der Ägyplologie VI, 1985, 296-304, \'orsichtige Zv:eifd an der konventionellen Deulung der Tdnut als Göuin der Feuchtigkeit an, ohnc allerdings eine alternativc Deutung vorzutragen. Vgl. ßICKI!I., 169. OE BUCK, Coffin Texts (im folgenden abgekürzt als CT), Bd. 11, 3ge. Bickd, 37. CT 1 354 c; BICKEL, 79. Zum Beispid R. O. FAULK.",:l'.R, N,w. Das heißt ,.mein Bewußtsein el1l,eck,".
Kosmogonie
17
Ma'jH ist deine Tochter, zusammen mit deinem Sohn Schu, dessen Name ..Lt:ben" ist. Du wirst essen von deiner Tochter Wahrheit: dein Sohn Schu, er wird dich erheben."2 Da sagte Atum: ,Tefnut ist meine lebendige' Tochter, sie ist zusammen mit ihrem Bruder Schu. .. Leben" ist sein Name, ..\X'ahrheit" ist ihr :ame. Ich le~ zusammen mit meinem Kinderpaar. zusammen mit meinem Z",'illingspaar, indem ich minen unter ihnen bin, der eine an meinem Rücken, die andere an meinem Bauch . •,Leben" schläft mil meiner Tochter ..Wahrheit", eines in mir, eines um mich herum, ich habe mich aufgerichtet zwischen ihnen, indem ihre Arme um mich waren,.n
Auf einer weiteren Stufe der Ausdeutung werden im sei ben Text Schu-Leben und Tefnut-Wahrheit dann auch als leheh ("unendljche Zeit") und Djet (.,unwandelbare Dauer") bezeichnet: "Denn Schu ist eheh. Tefnut ist Djet"''*; "Ich bin eheh, der Vater der Heh-Götter, meine Schwester Tefnut ist Djet."tS Neheh und Djet sind Begriffe fur die FliUe und Unabsehbarkeit der Zeit. Dabei bezeichnet Neheh die unaufhörliche Bewegung der in sich kreisenden Zeit, Djet die unendliche und unwandelbare Dauer dessen, was sich in der Zeit ereignet und vollendet hat. Mit dem Licht ensteht also in dieser Ausdeurung zugleich auch die Zeit in ihren beiden Aspekten der z)'kJischen Wiederholung und der bleibenden Dauer.
Die Entstehung des Raumes (Himmel und Erde)16 Schu und Ternut
A
Geh und Nut (Erde und Himmel) Die Kinder von Schu und Tefnut oder Luft und Feuer sind Geb und Ul., dje Götter von Erde und Himmel. Auf die Emslehung des Lichts in der Form des ersten Sonnenaufgangs folgt die Entstehung des kosmischen Raumes, der im
CT 11, 34 g-35 h (801; ßICKEL, 48 f. lJ CT 11, 32b-33:a [80); BICKEI., 49-51. 14 11. 28d 1801; BICKEL., 134. IS 11, 22a; 23a,c 1781; BICKEL., 134 f. 16 BICKEL., 176-198. 12
er er
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Erstes K:J.pitel
Licht sichtbar wird. Hier wird nun zum ersten Mal deutlich zwischen intr~lOsi tiven und tr:J.nsitiven Aspekten der Wehentstehung unterschieden. Himmd und Erde werden nicht geschaffen, sie entstehen. Damit ist aber der Raum noch nicht gegeben. Er entsteht erSt durch die Trennung von Himmel und Erde, und das ist kein intransitiver Vorgang, etwa eines Auseinanderdriftens, sondern eine klare transitive Intervention des Sonnengottes, der damit eindeutig zum Schöpfer wird. Der folgende H)'mnus aus der 18. Dynastie preist den Selbstentstandenen als Trenner von Himmel und Erde: Der sich verkörperle in Verkörperungen, der seinen uib schuf, der seine Gcst2h bildete, sich schuf mit seinen Armen, der hervork2m [in) spont:J.ncr ISelbstcnurchungJ :J.Uc scine Glicdcr redetcn mit ihm Er h2t sich selbst gcb2ul, bevor Himmcl und Erdc eDtsunden warcn, als das Land im Urwasser war inmittcn dcr "müden Flut". Da hai er angefangen, dieses Land zu ersch:J.ffen, indem er feSlselZte, was aus seinem Munde hervorging. Du hast den Himmcl hochgehoben und den Erdboden niedergestreckt, um du u.nd weit zu m:J.chen für dein Bild! Du hut deine erste Gest:J.1t :J.ngenommen :J.Js Sonnengott, um die beiden Linder zu erhellen für das, wu du gesch:J.ffen h:J.St :J.ls [pbn) deincs Herzens, :J.ls du allein w:J.rst. 17
Für die Frage nach Zusammenhängen zwischen Schöpfungsvorstcllungen und Kreativitätskonzepten ist dieser kosmogonische Schritt, die Trennung von Himmel und Erde und damit die eigentliche Erschaffung des Raumes von entscheidender Bedeutung. Mit dieser Trennung entsteht erst der Raum, in dem menschlkhe Kreativit1t sich entfalten kann. Davon erzähh ein Mythos, der diese Trennung mit einer menschlichen Schuld in Verbindung bringt. Genau wie im biblischen Paradiesesmythos wird auch im igyptischen Mythos durch ein menschliches Vergehen eine Trennung herbeigeführt, die überhaupt erst menschliche Kreativität freisetzt. Hätten sich die Göuer nicht an den Himmel zurückgezogen, wären die Menschen immer wie kJeinc Kinder geblicben, ebenso wie in der Bibel, wo sie durch das Essen der verbotenen Frucht zwar das Paradies verloren, aber das Wissen um Gut und Böse, das heißt die Entscheidungsfreiheit über die anzustrebenden Ziele und damit eine der Grundbedingungen menschlicher Kreativität gewannen. Wie die Agypter sich diesen Raum menschlichen Handeins vorstellten, der mit der Trennung von Himmel und Erde entstand, ist für unsere Frage nach dem Zusammenhang von Kosmogonie und Kreativitit von zentraler Bedeutung. In der Bibel verbindet sich die Trennung, die Aufkündigung der ursprünglichen Gonesnähe, mit der Erkenntnjs von Gut und Böse, das hejßt mit
17
H)'mnus von Tura, in; Verf., Ägyptische Hymnen und ÄHG), r. 88, (um 1400 v. ehr.).
G~bet~
(im
folg~nd~n;
Kosmogonie
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dem Gewinn moralischer Entscheidungsfreiheit. In Agypten verbindet sie sich mit der Einsetzung des Staates und der Kultur. Jetzt waren die Menschen gezwungen, Tempel zu bauen, Bilder zu schaffen, Riten zu entwickeln und Opfer darzubringen, um die Verbindung mit den fernen Görrern njcht abreißen zu lassen. Die Kultur ist in gewisser Hinsicht eine Kompensation für die verlorene Symbiose mit den GÖuern. Anstelle des Schöpfergon:es herrscht nun der Pharao als sein Repriisentam. Davon handelt ein "kulttheologischer Traktat"18 über den König als Anbeter des Sonnengottes. Die letzte Strophe lautet: Re hat den König eingesetzt auf der Erde der Lebenden für immer und ewig beim Rechtsprechen der Menschen, beim Befriedigen der GÖller, beim Entstehenlassen der Ma'al. beim Vernichten der Isfel. Er (der König) gibt Gouesopfer den Göttern und TOlenopfer den Verklirten.
Die Aufgabe des Königs auf Erden besteht darin, hier dje Ma'at zu verwirklichen und die Jsfet zu vertreiben. Konkret bedeutet das, den Menschen Recht zu sprechen und die Götter und Toten mit Opfern zufriedenzustellen. Der Sinn des Staates und des politischen Handeins wird als Abwendung von "Chaos" verstanden, und dieses Chaos wird als Inbegriff des Bösen dargestellt. \'Vir dürfen diesen Begriff des Chaos jedoch nicht mit dem kosmogonischen Chaos verwechseln, dem Urzustand der Vorwelt, aus dem dje Ordnung der Schöpfung hervorgeht. Das kosmogonische Chaos, :igyptisch Nun, ist eine un· geschiedene Urmaterie, der alle Konnotationen des Bösen oder Unvollkommenen (wie sie etwa im biblischen "Tohuwabohu" mitschwingen) abgehen. Das Chaos, zu dessen Abwendung der ägyptische Staat eingesetzt ist, gehört nicht in den kosmogonischen, sondern in den "kratogonischen" Diskurs. Nicht die Entstehung von Weh, sondern dje Errichtung von Herrschaft hat sich mit diesem Chaos auseinanderzusetzen. Die Kosmogonie ist für den Agypter ein komplexer Prozeß, der die heiden Aspekte intransitiver Entfaltung und transitiver Schöpfung miteinander verbindet. Die Kratogonie jedoch, die Entstehung der Herrschaft, in deren Formen der Schöpfer die entstandene Welt erhält, ist eindeutig transitiv. In diesen Zusammenhang gehört die Vorstellung vom Bösen. Ihm tritt der Schöpfer in der Gestalt des Sonnengottes entgegen und uitt selbst mit den toolichen Insi· gnien des Königtums auf. Auch der Sonnengott muß die lehenspendende, Ordnung und Frieden, Sicherheit und "Sinn" gewährende Gerechtigkeit, die er mit seinem Licht verbreitet, gegen die allgegenwärtige Bedrohung des Bösen durchsetzen, der sie in der Gestalt eines riesigen Wasserdrachens bedroht. 19 Dieses dramatische Weltbild verlängert die ideologischen Grundlagen des
I' Vgl. hierzu Verf., Re und Amun, 24 ff. 19
VgJ. hierzu
BRUNNER,
SeIh lind ApophiJ, 226-234.
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ägyptischen Staates ins Kosmische. So erschein! dann der Staat als die Verlängerung des kosmischen Schöpfungs- und Inganghahungswerkes ins IrdischPolitische. Der Mythos von der Vernichtung des Menschengeschlechts im Buch ,,'on dtr HimmtIJkllh deutet diese Unvollkommenheit, wie die meisten anderen Religionen auch, durch eine Urverschuldung der .Menschen, die gegen den Schöpfer rebelliert haben. Der M},thos ist aber keineswegs die einzige Form, in der sich die Ägypter mit der Erfahrung des Bösen auseinandergesetzt haben. Von der Rebellion der Menschen ist auch in der Lehre für Merikare die Rede. Dieser Text ist in unserem Zusammenhang von zentraler Bedeutung. Er verbindet die Erfahrung des Bösen mit dem Postulat der wohlgeordneten und wohlversorgten Welt: \'(lohlvcrsorgt sind die Menschen, die Herde Gones. Ihretwegen schuf er Himmel und Erde, drängle er die Gier des \'(fassers zurück und schuf die Luft, damit ihre Nasen leben. Seine Ebenbilder sind sie, aus seinem Leib hef"",of"gegangen_ Ihnen zuliebe geht er am Himmel auf, für sie erschuf er die Pflanzen und die Tiere, Vögel und Fische. damit sie zu essen haben. Weil sie (aber) auf Rebellion sannen, lölele er seine Feinde und gebrauchte Gewalt gegen seine Kinder. Ihnen zuliebe läßI es er üchl ""erden, um sie zu sehen. lahn er (am Himmel) dahin. Zu ihrem Schutz errichtete Cl' sich eine Kapelle; wenn sie weinen, dann hört er. Er schuf ihnen Herrscher ,im Ei' und Bdehlshaber. um den Rücken des Schwachen zu starken. Er schuf ihnen Zauber als Waffe. um den Schlag des Geschehenden abzuwehren, wachend Übel sie des Nachn wie am Tage.
Daß er die ,Krumm herzigen' erschlug unter ihnen, war wie ein Mann seinen Sohn schlägt um seines Bruders willen. GOlt kenn! jeden Namen.
Der Text zählt zwölf Werke des Schöpfers auf. Zehn davon sind eigens zum \'(fohle der 1enschen ergangen, und dieses "um ihretwillen" oder "für sie" wird für jede einzelne dieser Taten ausdrückljch wiederholt. Zwei jedoch, bei denen dieses "für sic" fehlt, sind gcgcn sie gerichtet im Sinne der strafenden, richterlichen Gewalt. Er hat einen Unterschied gemacht zwischen ihnen: dcn Unterschied zwischen Gut und Böse. Die Bösen hat er erschlagen; nicht "um ihretwillen", sondern um der Guten willen_ Dieser Text bezieht sich auf das gleiche Thema - und das heißt: die gleiche Erfahrung - wie der Mythos von der Zerstörung des Menschengeschlechts. Genau wie in diesem Mythos werden auch hier die Einrichtung des Staates ("Herrscher im Ei") und des Zaubcrs
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als kompensatorische Maßnahmen des Schöpfers gedeutet, um in der vom Bö· sen gefahrdeten Welt eine Sphäre der Ordnung und WohJversorgtheit zu gewährleisten. Ohne den Staat wären der Schwache und ohne l\.bgie der von Unheil Bedroht,e verloren. Die strafende Gewalt, die der Schöpfer gegen seine eigenen Kinder richtet, ist unabdingbare Voraussetzung ihrer Wohlversorgtheit. Sie geschieht nicht bljnd und hat nichts zu tun mit dem "Schlag der Ereignis. se", zu dessen Abwendung den Menschen die Magie gegeben wurde. Den Schlag Gottes kann auch die Magie nicht abwehren. Der "Schlag der Ereignisse" ist sinnlos oder kontingent und liegt außerhalb des Horizonts der konnek· tiven Gerechtigkeit. Der Schlag Gottes aber ist sinnvoll. Er wird ausdrücklich begründet. "Weil sie auf Rebellion sannen", erschlug er seine Kinder, "wie ein Mann (d. h. ein Vater) seinen eigenen Sohn um dessen Bruder \\'iJlen schlägt", t'ötcte er die "Krummherzigen" unter ihnen. Damit befolgt der Schöpfer den Rat, den ihm ThOt im 175. Totenbuchkapi te! gibt: "Du sollst dem nrecht nicht zusehn und sollst es nicht dulden'" Hinter dieser Einsicht stehen die Erfahrungen, die die Ägypter nach dem Untergang des Alten Reichs gemacht haben, als der Staat zusammengebrochen war. Von diesen Erfahrungen handeln Texte, die aus späterer Zeit auf diese Epoche zurückblicken, um (in zweifellos ptopagandistischer Absicht) die Le· bensnotwendigkeit staatlicher Ordnung einzuschärfen. Aber in ihrer Darstellung sind es nicht die "Krummherzigen", die erschlagen werden, sondern die Schwachen, die Wenigen, die Kinder, die keine Schuld an ihrem Schicksal tragen, ebensowenig wie die Menschen, die Hungers sterben. In einem djeser Texte, den Mohm~:Orlen du Ipllu'tr, wird dem Schöpfer der Vorwurf gemacht, daß er dem Unrecht zusieht und es duldet. Dieser 1/0f"lllllrj an GO/lliest sich als die genaue Umkehrung jenes Hymnus auf die Schöpfungsordnung. Die Herde des Schöpfers ist alles andere als wohlversorgt. Vielmehr gilt: ..seine Herde ist gering", weil die Menschen sich gegenseitig umbringen. Keineswegs greift GOtt ein und schlägt seinen Sohn um dessen Bruders willen. Vielmehr gilt: "der Furchtsame wird nicht unterschieden vom Gewalttätigen." Keineswegs wacht Gott über sie Tag und Nacht. Vielmehr gilt: ..es gibt keinen Lotsen zu ihrer Stunde. Wo ist er heute? Schläft er erwa? Man kann seine Macht nicht erkennen." Als wir in "rntuer versetzi worden wuen, konnte ich dich nichl finden. Man konnte dich nicht anrufen, da du frei von Zorn bist dariiber, und das bedeulet Ldden ,'erursachen. 20
Dieser "Vorwurf an GOtt" gehört zu den erst2unJichsten Texten, die uns aus dem alten Ägypten erhalten sind. Nicht weil die Menschen aufhörten, an Gott zu glauben, sondern weil GOIt aufhörte, sich für die Menschen zu interessieren und über das von ihnen begangene Unrecht in Zorn zu geraten, brachen in der
20 FECHT, Vorwurf an GOff, S. 108 f.
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sozialen Welt die Ordnungen der Gerechtigkeit zusammen! Es gibt einen Text, den man oft als Antwort des Schöpfergoues auf diesen ungeheuren Vorwurf verstanden hat: Zu sprechen \'on Dem mit Geheimem Namen. Der Allherr sagte, 21s die Empörung gestillt \\'erden mußle in der Barken mannschaft: Seid heil und in Frieden! Ich will euch die vier guten Taten \'erkünden, die mir mein eigenes Herz getan hat in der Umringlerschl2nge, um das Unrecht zum Schweigen zu bringen. Ich habe vier gute T2ten vollbracht im Portal des Lichtlands: Ich habe die \'ier \';'inde geschaffen, damit jedermann 2tmen k2nn in seiner Zeit. D15 ist eine der Taten. Ich habe die große Wasser nut geschaffen, damit der Arme duüber \'erfügen k2nn wie der Reiche. Das ist eine der Talen. Ich habe einen jeden seinem Nachsten gleich geschaffen und habe verboten, daß sie Unrecht tun sollten. Aber ihre Herzen haben sich dem widersetzt, was ich befohlen habe. Das ist eine der Taten. Ich habe geschaffen, daß ihre Herzen aufhören, den Westen zu vergessen (d. h. ich habe die Todesfurcht geschaffen) damit den lokalen Göttern Opfer dargebracht würden. Das ist eine der Taten. (... ) Ich richte den Armen und den Reichen. Ich gehe gleichermaßen vor gegen die. die Unrechl lun. Mir gehört das LLben, ich bin sem Herr. Niemand wird mich du Herrsch2ft benuben. 21 \'{las der Sonncn- und Schöpfergon vorbringt, "um das Unrecht zum Schweigen zu bringen", ist die Affirmation dc:s Prinzips Herrschaft. Das Chaos kommt aus dem menschlichen Herzen. Ihm steht das Verbot des Schöpfers entgegen. Der Sonnengott kann nicht verhindern, daß sein Verbot übertreten wird. Aber er kann und wird die Überrrerung bestrafen. Er tötet um des Lebens willen. Er hiilt die Szepter des Lebens (das "Anch"-Zeichen) und der Herrschaft (das "Was"-Szepter) in der Hand." icht gibt es ein Ende des Tages des Gerichtes".22 Das ist der Gott, den der König auf Erden repriisenriert. Der Staat setzt die lebenspendende und richtende Herrschaft des Schöpfergones in irdische Verhiiltnisse um. Das Urbild und Modell legitimer Herrschaft ist die Herrsch11ft des Schöpfers über dlls von ihm Geschaffene. Schöpfung und Herrschaft ge-
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S2Tglexl 1130 CT VII, 466-467. Duch vom Fayum ed. H. BEINl.ICII, 300 f.
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hören daher im ägyptischen Denken unauAösbar zusammen. Herrschaft ist nichts anderes als die Verantwortung des Schöpfers über das, was aus ihm hervorgegangen ist. Herrschaft ist Fonfuhrung der Schöpfung in Form der Wehinganghaltung. Die kreativen Implikationen dieses Schöpfungskonzepts treten sofort in aller Deutlichkeit hen'or, wenn wir uns klarmachen, daß die Ägypter nicht nur den ersten Großstaat der Menschheitsgeschichte geschaffen haben, sondern es uberdies vermocht haben, diesen Staat über alle Zusammenbrüche hinweg immer neu zu errichten und selbst über die Zeiten der persischen, griechischen und römischen Fremdherrschaft hinweg als eine nicht nur politische, sondern auch kulturelle und religiöse Institution aufrechtzuerhalten. Die Ägypter haben ebenso wie die Griechen einen Großteil ihres schöpferischen Genies in die Errichtung politischer Ordnung investiert und dabei genau den um~kehrten Weg wie die Griechen eingeschlagen. \X/ährend bei den Griechen am Ende ihres poLitischen Schöpfertums die Polis steht als die Realisierung freier, "demokratischer" Selbstverwaltung der Bürger eines Gemeinwesens, steht bei den Ägyptern die Form einer Monarchie, die sich als Stellvertretung des göttlichen Schöpfertums auf Erden und in der Menschenwelt versteht. Die Schattenseite der griechischen Polis ist die Dreiklassengesellschaft der freien Bürger, der "Metöken" (in der Polis wohnende Fremde) und der Sklaven; die Schattenseite der pharaonischen Monarchie ist der surke Inlegrationsdruck, dem alJe Untertanen dieses Staates als Steuerzahler, Arbeitsdienstpflichtige und bekennende Gefolgsleute Pharaos als eines Gones auf Erden unterworfen sind, der auf der anderen Seite aber wenigstens theoretisch keine Klassenbildung innerhalb dieser Unlertanenschaft zuläßt, weil sich der Staat (was gerne verkannt wird, vor allem aufgrund der biblischen Polemik) als eine rettende, die sozialen Unterschiede kompensierende Institution zur Unterstützung der Schwachen versteht. Die Entstehung des Todes und der Kulrur Der entscheidende Schritt in den Staat, die Kultur und die Geschichte bedeutet dann die Zeugung der vierten Göttergeneration durch Geb und Nut: Geb und Nut
I
I----J\--I
Osiris und Isis Seth und
ephthys
Dieses Stadium verbindet sich mit der Vorstellung einer Gründung der kulturellen Institutionen. Jetzt entstehen Zeit und Geschichte. Daher gehört zu dieser Genention auch Horus hinzu, der als Sohn von Isis und Osiris eigentlich die fünfte Genention bildet. Der Mythos spricht aber von fünf IGndern der ut und erzählt, daß Isis und Osiris sich schon im Mutterleib begattet hätten,
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so daß Nut auch deren Kind Horus zur Weh brachte. Der Sinn dieser Überlieferung ist natürlich, daß in dieser Fünflteit eine zeitljche Dynamik angelegt ist, die sich in der endlosen Kette der Horusverkörperungcn in Gestalt der Könige als Geschichte entfaltet. Osiris und Isis Seth und Nephlhys
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Horus
Diese "fünf Kinder der Nut" haben keine eindeutige kosmjsche Zuordnung mehr. Die Welt ist mit den ersten drei Generationen entstanden und beginnt sich mit der vierten in die Geschichte zu entfalten. Der Thron der Schöpfungsherrsch:aft geht von Geh 2uf Osiris über. Dieser hat nun als erster der göttlichen Herrscher einen Rivalen in Gestalt seines Bruders SeIh. Dadurch entsteht der Konf1jkt~ der die Geschichte ins Rollen bringt. Mit der vienen Göttergeneration kam der Tod in die Weh. Seth hat seinen Bruder umgebracht, den Leichnam zerstückelt und die Glieder in ganz Ägypten verstreut. Isis hat die Teile gesucht, den Leichnam zusammengesetzt und zusammen mit ihrer Schwester Nephthys und vielen beistehenden Gotlheilen, Horus, Anubis, Thot, Geb und Nut, Schu und Tefnut und den vier Söhnen des Horus den Toren bestanet. So wie die Empörung der Menschen gegen den Sonnengott die Trennung von Himmel und Erde herbeiführte, so bewirkte der Mord an Osiris die Erschaffung der Unterwelt. Mit dem Tod kamen die Toten in die Welt, für die neben Himmel (für die Götter) und Erde (für die Menschen und anderen Lebewesen) ein dritter Bereich geschaffen werden mußte. So werden auch Tod und Totenreich in die Schöpfungsordnung integriert. Jeder Tote wird Osiris nachfolgen und seinen Platz in dieser Ordnung finden.
3. Schöpfung durch das Wort. Sprachlichkeit und Lesbarkeit der Welt Die großartigste und für die Vorstellungen menschlicher Kreativität folgenreichste Schöpfungsvorstellung ist die Idee der Schöpfung durch das \'(IOrt. Diese Idee geht 30m weitesten hinaus über die kosmogonischen Konzeptionen, denen zofolge die Welt von selbst und ohne Intcrvention eines Weltschöpfcrs entsteht. Hier wird die Welt nicht nur durch einen Schöpfer geschaffen, sondern dieser Schöpfer bedient sich dazu eines Mittels, das mit der Natur gerade des Menschen auf besondere Weise zusammenhängt. Die Sprache ist nur dem Menschen zu eigen und heht ihn aus der Sphäre der anderen Geschöpfe heraus. So erfahrt er sich in einer durch das \'(Iort erschaffenen Welt als der Part-
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ner Gones, der die göttliche Kreativität in seinem eigenen Sprechen und Verstehen erlebt. Uns ist die Vorstellung von der Schöpfung durch das Won durch den biblischen Schöpfungsbericht vertraut. Don ist auch von dem kor· respondierenden Schöpfertum des ~'lenschen die Rede, denn Adam darf den übrigen Geschöpfen Namen geben, wie sie der Herr ihm zuführt. Gott .,spricht" in Geschöpfen, und der Mensch vermag diese Sprache zu verstehen und in .,Namen" seiner eigenen Sprache zu übersetzen. ' Auch in Agypten spielt der Gedanke einer Schöpfung durch das Wort eine große Rolle. Er ist dort nicht von Anfang an greifbar, sondern enrwickelt sich im Laufe der Jahrhundene. Dabei wird er zunächst nur in bezug auf die Götter angewandt. Von ihnen heißt es immer wieder, daß sie "aus dem Munde" des Gones kamen, während die Menschen "aus seinem Auge" hervorgingen. 2J Du bisl der Eine, der alles Seiende geschaffen hai, der Eine Einsame. der schuf, was isl. Die Menschen gingen aus seinen Augen hervor. und die Götter emstanden aus seinem Mund. 24 Diese Lehre vom rsprung der Menschen beruht auf dem Gleichklang der ägyptischen Worte für "Träne" und "Mensch", berührt sich aber auch auf eigentümliche Weise mit der orphischen 25 und auch sonst in griechischen Texten belegbaren VorstellungU, daß die Götter aus dem Lachen, die Menschen aber aus den Tränen des Urgones entstanden. v Schon in Texten des 13. Jahrhunderts v.Chr. aber wird dieser Gedanke vom Ursprung der Göner auf die gesamte Schöpfung ausgeweilet: der Himmel und Erde erschuf und die Menschheit geb:lIf, der alles Se.iende hen'orbrachle mit dem Ausspruch seines Mundes. Der sprach, und es geschah, der das Existierende gebar, Grolkr, Schöpfer der Göller und Menschen. Der allein entsland und sich gebar als Millionen Seine Glieder waren es. die anlworteten, seine Zunge war es, die alles bildete, was er erschuf. Z8 Der ägyptische Text, der diesen Gedanken am konsequentesten ausarbeitet, ist das "Denkmal memphitischer Theologie".29 Dabei handeh es sich um einen Basaltblock der 25. Dynastie (Ende 8. Jh. v. Chr.), dessen Inschrift sich als Wiedergabe einer alten Papyrushandschrift ausgibt. In der Überschrift erklärt König Schabaka die Umstände der Redaktion:
S. dazu Verf., Re und Amun, 235-238. AHG Nr. 87, Verse 107-110. 25 Orphicorum fragm. 28 Abc!. 26 DllrrH1I1CIl, AbraxtlJ, 28. 27 So auch in einem ägyptischen Hymnus aus Esna (Nr. 272, 2-3) s. S. S"UNEIION, Esna V, 142. :u AriG I r. 106. 29 Der Tel.l ist erstmals im Jahre 1902 von Breasted als Phi/(J.J(Jphy '.! a "'oft.philt Pn'ul
2J 2.
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Ersu~s
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SC'inC' MajC'sl2t JiC'ß diesC's Buch von nC'uC'm schreibC'n im HausC' seines V2ter5 Puh. Seine Majesl2t hutC' es n2mlich gC'fundcn als \'l;lC'rk dC'r VorfahrC'n. von \'(lurmun zerfressen, und m2n hnnte es nicht vom Anf2ng bis zum EndC'. Da ließ C's S.M. von neuem schreiben, so d2ß es schöner iSI 21s es vordem war.
Früher stritt man darum, ob der Text eher in die 1.-2.• oder in die 5.-6. Dynastie gehört. 30 Inzwischen sind viele gute Gründe dafür beigebracht worden, daß er zumindest in Teilen wenn njchl überhaupl als Ganzes ein Werk der 25. Dynastie darSle1h. J1 Seine Datierung schwankt also um fast 2500 Jahre! In diesem Text erf:ihrt das Motiv der Präe:cistenz eine Ausdeutung. nach der die Aspekte des Chaos ihrerseits aus dem GOtt Ptah hervorgegangen sind, wobei die ägyptische Wendung bpr m sowohl "entstehen aus" als auch ..werden zu" bedeutel. Die GÖller, die 2US Ptah entStanden/zu Puh geworden sind: Ptah auf dem Großen Thron (... 1 Ptah Nun DC'r ValC'r, der Alum [ZC'UglC') Pt2h Naunet Die MunC'r. die Atum gebar Puh-Wer Das sind Herz und Zunge du NC'unheil ( } alles ... der die Götter gC'ba.r (... J ( } ... der die Göm:r gebar ( .. J (... J ( J I NeferJtem an der Nase dC's Re, I· .. ( Tag fur Tag, eOlsl2nden durch du Herz 21s Sinnbild des Alum, enlSt2nden durch die Zunge als Sinnbild des Atum, indem es groß und gewaltig war. J2
Wie immer man djesen sehr zerStÖrten Textabschnitt ergänzen will - eines ist klar: auch der präe:cistente Urzustand wird noch einmal transzendiert auf einen GOtt hin, der damit als die schlechthin transzendente. auch det Präexistenz noch voraus und zugrunde liegende Einheit dargesteUt \\·ird. Dann heißt es von Ptah weiter:
bC'kannt gemacht worden. Erman hat ihm 1909 UOfer dem Titel Ei" Dt"Jemal I1ft",pbilisfbtr Tbtologit eine kommentierte übC'rselzung gewidmet, die dem TeXI bis heute seinen :lmen gegeben h:lt. Die maßgeblichen Editionen stll;mmen von K. SEnIE, Dramatische Texte. und H. JUNKER, Die Gönerlehre von Memphis und Die poLilisehe Lehre von Memphis. Wichtige neuere Behandlung bei J. P. ALLE..... Genesis in Eg)'pt, 42-47. Ich zitie.re das "Denkm21 memphitischer Theologie" im folgenden n2ch Junker. }Cl Für die Frühzeit plidierte insbC'sondere K. SETHP.., für das hohe Alte Reich H. JUNKElt. Jl F. JUNGe, FthlJa/itnmg; H. A. SCIILöGL. Der Gon Tuc::nen. J2 Zeilen 48--53 s. JUNKEIt, 16 f. und 39. Der eme Akl der Schöpfung, auf den hier resümiC'rend zuriickgeb1ickt \lo'ird, ist die Entslehung der GÖtterwelt. Die herkömmliche übersetzung ..groß und gC'waltig iSI Ptah" iSI ungrammatisch und semantisch nichtsugend.
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Ptah ube::rwte::s rLt:~n alle::n Götte::rn) und ihre::n Kas durch die::se::s He::rz, aus de::m Horus, und durch die::se:: Zunge, aus de::r ThOt e::ntstand aus Puh. So ge::schah es, daß das He::rz und die:: Zunge:: Ve::rfiigungsge::wah erhidte::n u~r alle:: andere::n Glie::de::r aufgrund de::r Lc=hre, daß e::s (das He::rz) je::de::m Lc=ib und sie:: (die Zunge::) jedem l\.tund vorsteht von alle::n Göue::rn, aJ]e::n Me::nschen, 211e::n Tie::ren und alle::m G(:Wurm, das da Ie::bt inde::m (das He::n) alles de::okt und (die Zunge::) alle::s ~fie::hlt, was sie woUe::n. Seine:: Ne::unhe::it war vor ihm als Zähne, d. i. de::r Same:: de::s Atum und als Lippen, d. i. die:: Hände:: de::s Atum. Es war ja die:: Ne::unhe::it des Atum e::otstande::n durch seine::n Same::n und durch se::ine:: Finge::r. Die:: Ne::unhe::it abe::r ist in Wahrhe::it Zähne:: und Lippe::n in die::se::m Munde:: de::ssen, de::r die:: Name::n alle::r Dinge:: e::rdacht hat, aus dem Schu und Tefnut he::TVorgegangen sind, de::r die:: Ne::unhdt geschaffen hat. Daß die:: Augen sehen, die:: Ohren hören und die:: Nase:: Luft atme::t, ist, um de::m He::run Me::ldung zu erstaue::n. Diese::s ist e::s, das alle Erkenntnis entstehe::n läßt. Die:: Zunge:: ist e::s, die:: ",·ie::de::rhoh, was vom He::ne::n ge::dacht wird.)) "Phallus" und "Hand", dje übe::r!jde::rten Körpersymbole der Kreativität, wer· den als "Zähne und Lippen" gedeutet. Die eigentlich kreativen Organe sind Herz und Zunge. Da der Agypter keine scharfe Grenze zwischen "Körper" und "Geist" zieht, werden auch Erkenntnis und Sprache als körperliche Phänomene verstanden. Die Erkenmnis entsteht im Herzen aufgrund der ihm gemeldeten Sinnesdaten. Die im Herzen geformte Erkenntnis wird von der Zunge artikuliert. Dabei wird deutlich hervorgehoben, daß die kreativen Organe des Schöpfergottes in jedem der von ihm geschaffenen Lebewesen lebendig sind. Die memphitische Interpretation der heliopoLitanischen Kosmogonie setzt am Mysterium des kosmogonischen Augenblicks an. "Same" und "Hände" werden als "Zähne" und "Lippen" interpretiert und damit das Bild der Masturbation ersetzt durch den Akt des Sprechens. Das Denkmal memphitischer Theologie unterscheidet sich in seiner DarstelJung einer Schöpfung durch das \'(fort von der biblischen in zwei Punkten. Der eine ist die Rolle des Herzens, das heißt der planenden Konzeption der Schöpfung; davon ist in der Bibel nicht die Rede. Der andere ist die Rolle der Schrift, der Hieroglyphen, die zweimal erwähnt wird. 34 Diese beiden Punkte hängen eng miteinander zusammen. Denn was das Herz ersinnt, ist nicht die Lautgestalt der Dinge, sondern ihr "Begriff< und ihre "Form". Die Hieroglyphenschrift gibt djese Form wieder und bezieht sich auf dem Weg über die Form auf den Begriff. Die ZunJJ J4
Zeilen 53-55 s. JUNI(Hlt, 39; 48; 55; 58. _J., "fr, wönlich .,Golleswone", ist die ägyptische Be::zeichnung de::r Hie::fogl)'Phenschrift.
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ge vokalisiert die Begriffe, dje vom Herzen erdacht und von der Hierogl)'phen+ schrift in sichtbare Form gebracht werden: Und so wurden alle Götter geboren, das ist Arum und seine Neunheit. EJ tn!JIandm abtr alle Hieroglyphrn dllrrb daJ, waJ t'om Herztn erdafht Nnd ,'On dtr ZNngt befohlen II'Nrdf. Und so \\'urden alle Handwerke geschaffen und alle Kiinste, das Handeln der Arme und das Gehen der Beine, die Bewegung aller Glieder gemiß seiner Anweisung dieser \1;10ne, die vom Herzcn erdacht und von der Zunge geiulkrt \\'urdcn und die die Versorgung von allem schaffen. So wurde gefunden und erkannt, daß seine Kraft größer ist als die aller anderen GÖner. Und so W2f Ptah zufrieden, norMe", er alle Dingt eTllhaffen hal1t3S lind alle Hieroglyphe". n2Chdcm er die Göucr gebildet haue, n2Chdem er ihre Stidte gesch2ffcn und ihre Gauc gegründet h:llue, nachdem er ihre Opferkuchen festgesetzt und Ihre K2pellen gegründet hatte. n2chdem er ihre Leiber ihnen gleich gebildet hatte, sodaß sie zufrieden wareIl. Und so traten die Gölter ein in ihren Leib aus jeglicher An I-Iolz und Mineral, jeglichem Ton und allen anderen Dingen, die auf ihm wachsen, aus dem sie entstanden sind. Und so versammelten sich um ihn alle Götter und ihre Ka's zufneden und verbunden im I-Ierrn der heiden l.-2nder. 16 Ptah ist der Gott der Künstler und Handwerker; ihm \'erdanken die Dinge ihr "design", die ihre unveränderliche, im Werden und Vergehen der Dinge und Lebewesen ewig reproduzierte und im Schriftzeichen abgebildete Gest,alt. ThOl, der Gorr der "Zunge", ist daher auch der Gott der I-lierogl)'phenschrifl. Er vermag die Gedanken des Herzens in gesprochene und geschriebene Sprache umzusetzen. Die Schöpfung ist ein Akt der Artikulation: gedanklich, ikonisch und phonetisch. Mit den Dingen und ihren Namen entstehen zugleich auch ihre Schriftzeichen: Und so war Ptah zufrieden, nachdem cr 21k Dinge erschaffen hatte und alle Hieroglyphen. Die Gesamlheit der Schöpfung wird 2usammengefaßI in der Wendung ..alle Dinge und alle Hieroglyphen". 35
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Man könnte auch Ipp gcr:adezu übersetzen ..und so ruhte ... ", in EntSprechung zum biblischen Schöpfungsbericht. Aber der Begriff der Arbeitsruhe (Pause) wird im Ägyptischen anders ausgedruckt. Zeilen 56--61; s. JUNKE., 59; 62; 63; 65; 66.
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Das l\'lotiv der "Schöpfung durch das Herz" betont die planvolle Konzeption, die der Welt zugrunde liegt_ Das wird gende in Texten liber den memphitischen Schäpfergon Ptah schon früher greifbar.}7 Von der Hieroglyphenschrift ist jrdoch in diesen Texten kaum jemals dje Rede. Hier handelt es sich um ein Spezifikum unseres Textes. Es ist zugleich sein ..modernster" Zug. Denn diese Einschätzung der Hieroglyphenschrift kann erst zu einem Zeitpunkt aufgekommen sein, als sie sich zu einem rein sakralen {I,'1edium entwickelt hat: in der Spätzeit. Die Einschätzung der Hieroglyphenschrift als einer heiligen, priester· lichen Schrift, in der nur sakrale Texte geschrieben werden und die nur Priester eingeweiht sind, begegnet uns erst bei griechischen AutOren. Sie wird meist als ein Mißverständnis abgetan, aber sie reflektien auf eine sehr getreue Weise du Bild, das die ägyptischen Priester selbst sich von ihren Schriftsystemen machten und das sie den Griechen vermitteln wollten. 18 In der Tat entwickelt sich erst in der Spätzeit die Hjeroglyphenschrift zu einer Art Ding. schrift, deren Zeichenrepertoire dem Gesamtbestand der Dinge koextensiv ist_ Wo der Schabaka-Text auf diese Theologie Bezug nimmt, kann er nicht älter sein als die Ramessidenzeit. Es handelt sich dabei um dieselben Texneile, in denen von Ptah-Tatenen die Rede ist. Wenn man die Unterscheidung zwischen einer Sphäre der Urbilder (Ideen) und einer Weh unendlich reproduzierter Abbilder als ein Prinzip der platonischen Philosophie identifizieren darf, dann kommt bereits in dieser Zweiteilung der Schäpfung ein ursprünglicher und umheoretischer Platonismus zum Ausdruck. Die Hieroglyphen sind die Urbilder der Dinge, die die Gesamtheit der Wirklichkeit ausmachen. Zwischen Ding und Schriftzeichen besteht im ägyptischen "hieroglyphischen" Denken eine ähnliche Relation wie zwischen Ding und Begriff im griechischen. Indem Ptah die Urbilder der Dinge konzipierte, erfand er zugleich mit ihnen auch die Schrift, die Thot nur aufzuzeichnen braucht, so wie er die als Zunge die Gedanken des Herzens nur aussprechen muß. Ein Onomastikon ist daher überschrieben als Aunistung ..aller Din· ge, die Ptah geschaffen und Thot niedergeschrieben hat"J9. Thot, der Gon der Schrift, mußte sie nur finden, nicht erfinden. Sie war schon in der Struktur der Wirklichkeit angelegt. Der Neoplatoniker Jamblich hat den latenten PlatOnismus des hieroglyphischen Denkens sehr scharfsinnig erkannt, wenn er in sei· nem Bn"if du Abo"IHlOfl das symbolische Schriftprinzip der Agypt'Cr als eine Nachahmung der göttlichen "Demiurgie" deutet: .. Die Agypter ahmen die Na· tur des Universums und die Demiurgie der Götter nach, indem sie mithilfe von S)'mbolen Bilder der mystischen, unsichtbaren und geheimen Begriffe erzeu· gen, in derselben Weise wie die atur auf s)'mbolische Weise die unsichtbaren
37
Vgl Verf., Re Mild Awum, 220-221; 230; 238-241.
Je
Zur gräko-ägyptischen Kultur der helleniStischen und römischen Zeit s. G. FowI)EN, lOt Egyplinn HtrmtJ. A. H. GAIH>IN"R, Antitnt Egyptiafl OnomnJtira, I ~.
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Ersl(:s Kapilel
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Logoi in sichtbaren Formen ausdrückl und die gött.liche Demiurgie dje Wahrheit der Ideen in sichtbaren Bildern njederschreibt. ".-0 Das Zusammenspiel von Ptah, der die Dinge "erschafft", und Thot, der sie ..niederschreibt", erinnert an das Zusammenspiel von Galt und Adam im Paradies. Gon erschaff! die Lebewesen ..und führt sie Adam zu, um zu sehen, wie der sie nennen würde: und wie immer er sie benannte, das war ihr Name" (Gen 2, 20). Adams Akt der Benennung und Thots Akl der Zuschreibung crfüHen beide dieselbe Funktion der Verknüpfung von Dingen und Worten, und da es sich um eine Schöpfung durch das Won handelt, "lesen" Adam und Thot den Dingen ab, was sie aussprechen bzw. niederschreiben. Die Schöpfungslehre von Memphis betont die Schriftförmigkeit der Welt. Sie deutet die Welt als einen Text, den Ptah im Herzen erdacht und vermittelst der Zunge ausgesprochen hat, woraufhin er sich in der sichtbaren Wirklichkeit in Gestah der Dinge realisiert hat, die den Hieroglyphen entsprechen. Dieser kühne Entwurf wird in ständiger Bezugnahme auf die heliopolitanische Lehre entfaltet. Wenn wir diese Konzeption einer Schöpfung durch das Wort auf die Schrift beziehen, wird die Beziehung zu Vorstellungen menschlicher Kreativität sofort deutlich. In schriftgeschichtlicher Hinsicht bedeutete nämlich die Spätzeit in Ägypten, natürlich nach der Epoche der eigent.l.ichen Schrifterfindung zu Ende des 4. Jahrtausends, eine Periode geradezu explosiver Kreativität und eine ausgesprochene Blütezeit. In der Zeit zwischen dem 6. Jahrhundert v. Chr. und dem 2. Jahrhundert n. Chr. wurde der überlieferte Bestand von ca. 700 bis 1000 Zeichen auf über 7000 erweitert. Der Gedanke von der Schriftförmigkeit der Weh wurde umgesetzt in die Form einer Wehförmigkeit der Schrift, das heißt in den Versuch, den Bestand der Schriftzeichen und das Formenrepertoire der Welt zur Deckung zu bringen. Die hieroglyphjschen Inschriften dieser Zeit bemühten sich, in ihrer Zeichen komposition sowohl den Sprach- als auch den Weltbezug der Schrift herauszuarbeiten. Aus diesem "Beziehungszauber" entstanden hoch komplexe Schrifupiele, die auch unter den heutigen Ägyptologen nur wenige Spezialisten enträtseln können.
4. Autonome und heteronome Weltmodelle Der entscheidende Unterschied zwischen den ägyptischen Vorstellungen von der Wehentstehung und dem biblischen Schöpfungsmythos liegt in dem Moli,' des Schlußstrichs und der damit verbundenen Frage von der weiteren ErhaJfUng der geschaffenen Weh. In der Bibel schafft Gott die Welt in sechs Tagen und ruht sich am siebten Tage aus, um damit eine deutliche Zäsur zu setzen
.0 lAMßLlCHUS, Oe
Mysteriis, VII.1.
Kosmogonie
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zwischen der Phase der Weltentstehung und der Dauer der Weherhaltung. achdem die Welt einmal geschaffen ist, muß sie von Gott nicht weiter in Gang gehalten werden. Sie bildet ein selbSlregulierendes S}'stem; man könnte auch sagen, daß ihr von Gott die Geheimnisse ihres weiteren Funktionierens einprogrammiert sind, so daß die Gestirne ihre Bahnen kennen und die Winde wissen, wann und wohin sie zu wehen haben. Ihr weiterer Bestand hängt einzig allein von Gottes Willen ab, sie nicht wieder zu zerstören. JedenfaUs können und sollen die Menschen zu ihrem Gange nichts beitragen. Die Sonne geht auf und unt.er, ohne von den Menschen darin mit Opfern und Hymnen bestärkt zu werden, und dasselbe gilt für Mond und Sterne, Regen und Wind. Immer wieder wird der Mensch gewarnt., die Mächte der atur nicht anzubeten, da sie nicht nur wie er selbst von Gott geschaffen sind, sondern weil er den Menschen zum Herrn der Erde eingesetzt hat. Das Prinzip des domini11m ltrrat ("macht euch die Erde untertan'') befiehlt nicht die rücksichtslose Ausbeutung der Erde, aber es verbietet deren Anbetung und läuft im Grunde auf dasselbe Ziel hinaus wie das Bilderverbot. Auch hier geht es ja nicht nur um die Unab~ bildbarkeit Gottes, sondern um das Verbot, überhaupt Bilder beliebiger irdischer, himmlischer und unterirdischer Wesen herzustellen, weil im Akt der ßildschöpfung schon ein Moment der Anbetung gesehen wird. Damit setzt sich der biblische Schöpfungsglaube bewußt in diametralen Gegensatz zu den Schöpfungsvorstellungen seiner "heidnischen" Umwelt. Diese beruhten, wie wir das für Agypten gezeigt haben, ganz im Gegenteil auf der Vorstellung von der Inganghahungsbedürftigkeit der Welt. Die Welt ist hier gerade kein selbstregulierendes System, sondern einer ständigen Gravitation zum Chaos, zu Still~ stand und Auflösung ausgesetzt. Der Schöpfer kann sie keineswegs sich selbst überlassen; er muß sie als Sonne unablässig umkreisen, und alle großen und kleinen Göuer müssen ihm bei diesem Werk der Inganghaltung beistehen. Jeden Tag und jede Nacht muß der Feind in der Himmelshöhe und in den Tiefen der Unterwelt besiegt werden. Der Fortbestand der Welt hängt nicht vom Willen Gones ab, sondern von seiner Kraft, sie in Gang zu halten. Daß dies sein Wille ist, wird unterstellt. Für die Menschen ergibt sich daraus, daß sie, ganz im Gegensatz zum Menschen der Bibel, zu unablässiger anbetender Mitwirkung und Anteilnahme aufgefordert sind. Sie müssen Sonne und Mond mit Hymnen und Opfern begleiten, sie müssen die Nilüberschwemmung etmuntern und begütigen, Aussaat und Ernte mit Riten begleiten, die Tiere heilig halten und das ganze kosmische und natürliche Leben mit andächtiger Aufmerksamkeit beobachten und bewahren. \Xfenn die Agyptet aufhörten, den Kosmos anzubeten, würde in ihren Augen die Weh unbewohnbar werden. Davon handelt ein agyptischer Text der Spätantike, der schon Auge in Auge mit dem heraufziehenden Christentum entstanden ist: Und doch wird eine Zeit kommen, wenn es so aussieht, als hitten die Ägypter vergeblich die Gottheit verehrt mit frommem Herzen und unablässiger Hing2be und 2Jle heilige Hinwendung zu den Göllern wird vugeblich und ihrer Früchte ber2ubt sein. Denn die Gotthdt wird von der Erde wieder zum Himmel 2ufstdgen und
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Ewcs Kapitel g)'plcn verlassen. Diescs Land, einSI der Silz dcr Religion, wird nun der göulichen Gegenwart beraubl sein. Fremde werden dieses Land bevölkcrn, und die altcn Kuhc wcrdcn nicht nur \·crnachlässigt. sondcrn gcndczu \'e,OOlcn u'erdcn. Von der äg)"ptischcn Religion u'crden nur Fabeln übrig bleiben und beschriftelc Steine. I... ) In jc· nen Tagen u'erden dit' Menschcn des Lebens überdrüssig sein und aufhört'n, dcn Kosmos (IItJlII'J,U) zu beu'Undt'rn und zu verehren. Dieses Ganze, so gut. daß cs nic t'No'as Besseres &:ib. gibt noch gcben wird, wird in Gcf2hr scin. unlcrzugchen, dic Mt'nschcn wcrden es rur einc LaSI ll1ßschcn und cs ver2chlcn. SIC u'crden dicse \'{Ieh. das unvergleichlichc Wcrk GOIICS, nicht linger liebcn, diest'n glorreichen Bau. ge· fugt aus cincr uncndlichen Viclfalt von Formen, Instrumenl (mQrhilllJ) dt's göttlichen \'(Tillcns. der seint' Gunst rückhaltlos in sein Werk verströml, wo sich in humonl· schcr Vielfah alles, W1loS dt'r Anbelung, Lobpreisung und Lichc wert ist, als Eincs und Alles zeigt. Finstcrnis wird m2n dem Lichl vorzichcn und Tod dcm Lcbcn. Nicmand wird scinc Augcn zum Himmel crhcbcn. Den Frommcn wird man Tut vcrrlickt halIcn, dcn Gottloscn für wdse und den Böscn für gul. 1... 1 Dic Götlcr wcrdcn sich von dcn Mcnschen trennen - 0 schmerzliche Trennung! und nut dic böscn Dämonen wcrden zurückbleiben, die sich mit den ~Ienschen \TUmischen und die Elenden mil Gewalt in alle Arten von Vcrbrechcn treiben, in Kricg, Raub und Betrug und alles. was der N:atur der Seelc zuwider ist. In jencn Zeiten wird die Erdc nichl längcr fcst sdn und d:lIS Meer mchl mchr schiffb2r, du Himmel wird dlC Stcrnc nicht in ihren Umläufcn hahen noch u'crdcn dlc Slcrnc ihrc 82hn im Himmel cmhalten; jede göttlichc Slimme wird nONo'cndlg zum Schu'elgen kommen. Dic Früchlc dt'r Erdt' u'erdcn verfaulen. der Bodcn u'ird unfruchlbar wc,dcn und die Luft selbsl wird stickig und schwer sein. Das iSI das Grclsenaher der \\"'eh: d2s Fchlcn von Religion (i"rrligio), Ordnung (illortii"lJlio) und Vcrstindigung (i"rlJlio"lJb,IIJIJJ).41
W2S uns djeser Te=:xt vor Augen fUhrt, ist die Vorstellung. d2ß die \'('eh .,vergreist" und unbewohnbar wird, wenn die=: Menschen aufhören, sich an ihrer InglInghaltung durch Riten und Anberung zu beteiligen. Wie wirkt sich dieser Gedanke, die Welt in Gang halten zu müssen, auf die Vorstellung von der menschlichen Kreativität aus? Einerseits könnte man das für den Ausdruck eines Allm:lchtswahns halten, der sich einbildet, mit I-I}'mnen und Räucherwerk etwas dazu beitragen zu können. daß etwa die Sonne am Morgen aus dem Horizont herauskommt und den Aufstieg zur Himmelshöhe schafft. Andererseits spricht sich darin aber auch das Bewußtsein einer Eingebundenhcit menschli. chen WoHens und Strebens in die elementaren Vorgänge der natürljchen und kosmischen Umwelt aus, die auch die ~'Iöglichkeiten der menschljchen Kreati· vität gebunden hält. Solange die Menschen in einer Weh lebten, von der sie glaubten, sie in Gang halten zu müssen, waren die Bedingungen für die Entstehung der uns vertrauten Formen und Medien philosophischer und technologischer Wdtaneignung und Wehbeherrschung nicht gegeben. Dazu bedurfte es der Em2nziparion vom Zwang der Inga.nghaltung und der Gewinnung von Di. 41
Asdepiu$ 24-26 cd. OCt::-FE.ST\lGI~I.E, Corpus HcrmeLicum, Collecdon Bude 1960, S. 326-329; kopLischc Fassung: 2g H2mm2di Codex VI, 8.65.15-78.43 cd. Krauseubib 1971, S. 194-200.
Kosmogonie
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stanz und Perspektive, wie sie im \'('esten vor allem durch zwei ganz verschiedene, aber in ihrem Ergebnis konvergierende Durchbrüche geleistet wurde: den biblischen Monotheismus mit seiner scharfen Trennung von GOIt und Welt, Schöpfer und Schöpfung, und die griechische Metaphysik mit ihrer ebenso scharfen Trennung zwischen der sinnlichen und der intelligiblen Welt, der Welt des Werdens und der Welt des Seins. ßcide Schritte haben den Menschen befreit vom Geschäft der Wc:ltinganghaltung, und vor beide Schritte müssen wir gedanklich zurückgehen, wenn wir das ägyptische Denken verstehen \\·ollen. Das ist in großen Zügen die traditionelJe ägyptische Vorstellung von der Weltentstehung, die in der Fülle der Texte zahlreiche zeitliche und lokale Abwandlungen erfahrt, aber in ihren allgemeinen Umrissen eine erstaunlich konstante Geltung besaß. Zusammenfassend möchte ich folgende Besonderheiten noch einmal hervorheben: 1. Die Vorstellung des ..kosmogonischen Augenblicks" als dem .. Ersten Mal", als der im Akt der Sc:lbstentstehung zum Sonnengott gewordene Urgolt der Präexistenz zum ersten Mal aus dem Urwasser auftauchte. Dieser entscheidende Akt ist also weder eine ..creatio ex nihilo" noch die Überwindung eines vorhergehenden Chaos. Vor der Welt war nicht das ichts, sondern das Urwasser (das in späteren Texten in eine Achtheit von Chaosaspekten ausdifferenziert wird), und der spätere Schöpfergotl selbst war bereits im Zustand der Präexistenz, als Atum, in diesem Urwasser und trug die ganze Welt im Zustand des Noch-Nicht-Seins bereits in sich, die später aus ihm hervorgehen sollte. 2. Die Fortexistenz des Urwassers in der entstandenen Welt. Das ist eine für das ägyptische Weltbild absolut zentrale Vorstellung. Die Urmaterie, aus der die Welt entstand, ist mit der Kosmogonie nicht verschwunden bzw. in Weh umgesetzt, sondern weiterhin gegenwärtig, so daß die Sonne jeden Morgen aufs neue aus dem .. Urwasser" aufsteigt und jeder Sonnenaufgang dadurch zu einer Wiederholung des "Ersten Males" wird. Das Unvasser umgibt als Ringozean die Erde und ist als Grundwasser unter der Erde gegenwärtig. Auch die Nilüberschwemmung entströmt dem Urwasser. So hat auch der Mensch Zugang zur Urmaterie, was die ägyptischen Vorstellungen von menschlicher Kreativität ganz entscheidend beflügelt hat. Er kann mit dem Wasser kosmogonische Energien frcisetzen. die er vor allem im Tot'enkuh einsetzt. Aus dem FortbeStehen der Urmaterie und der allmorgendlichen Wiederholung des ErSten Males folgt 3. das Fehlen eines SchJußstrichs, eines siebten Tages wie in der Bibel. In Ägypten hört die Schöpfung nicht auf, sondern geht immer weiter und ereignet sich jeden Morgen aufs neue. Die Welt wird daher nicht als ein irgendwie abgeschlossener, vollendeter "Bau" aufgefaßt, wie es uns von der abendländischen und biblischen Tradition her vertraut ist, sondern als ein Prozeß, dessen ..kosmischer", das heißt geordneter Charakter in seinem fortwährenden Gelingcn besteht. Dieses Gelingen freilich steht nach ägyptischer Auffassung stän-
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ErStes Kapitel
djg auf dem Spiel. In dieser Hinsicht ist die ägyptische Idee der Wehemstehung die genaue Umkehrung der verbreiteten Vorstellung, daß die \'(/elt in dramatischen transformativen Prozessen entstand, aber nun in geordneten Bahnen verläuft. Für die Ägypter entstand dje Weh in widerstandsloser Selbstent· faltung des Urgones, hat sich aber in der Gegenwart gegen den Widerstand des Bösen durchzusetzen, der eine ständige Gravitation zum Chaos ausübt. Schöpfung bedeutet in der entstandenen Weh die Durchsetzung der Ordnung gegen die Gravitation des Chaos. In diesem Schöpfungswerk der Weltinganghaltung sind die Menschen zur ;"·Utwirkung aufgefordert. Darin liegt der entscheidende Punkt für unsere Frage nach der Kreativität. Die Menschen engagieren sich in der Form der Riten an dieser Aufgabe. Kann ritueUes Handeln kreativ sein? Wir verbinden mit dem Begriff der Kreativität Innovation, im Gegensatz zu Repetition und Reproduk. tion. Reproduktives Handeln wird eben darum als nicht-krutiv eingestuft. Das hingt damü zusammen, daß uns der Sinn für rituelles Handeln völlig abhanden gekommen ist. Oie Ägypter haben mit den Riten die Vorstellung äußerst bedeutungsvollen, chaos abwendenden, we1tinganghaltenden Handeins verbunden. Die Riten griffen ihrer Vorstellung nach in die kosmogonischen Prozesse selbst ein, indem sie sich die in der Welt fortwirkenden kosmogonischen Energien und Materien zunutze machten. So wie heutige Astronomen im kosmischen Hintergrundrauschen das Echo des Urknalls vernehmen und in der ra· sam auseinanderstrebenden Struktur des Universums das Fortwirken der Urexplosion beobachten, so erfuhr der Agypter das Fortwirken der kosmogonischen Energien im Z)'klus von Tag und acht und der scheinbaren Bewegung der Sonne um die Erde, die er als ein gewaltiges, weltinganghahendes, Ordnung schaffendes und Chaos abwendendes Handeln deutete.
Zweites Kapitel
Primat und Transzendenz. Struktur und Genese der ägyptischen Vorstellung eines "Höchsten Wesens" 1. Die Gestalt des ,Weltgotts' In spät- und außerägyptischen Texten In Zauberpap>'ri des 2. bis 4. Jahrhunderts n. ehr., die aus Agypten Stammen, aber in griechischer Sprache abgefaßt sind, liest man mehrfach folgende Anrufung: Du, dessen unermüdliche Augen Sonne und Mond sind (... 1, dessen Kopf der Himmel, dessen Leib die Luft, dessen Füße die Erde sind; das Wasser um dich herum aber ist der Ozean: Agathos Daimon, der alles Gute eruugt und ernährt und vermehrt. die ganze bewohme Erde und den ganzen Kosmos!!
Der angerufene Gau, Agathos Daimon, cnt'sp[icht dem ägyptischen GOtt (p)Schai, "Schicksal".2 Er wird hier als Weltgott dargestellt: der ganze. anthropomorph gedachte Kosmos bildel den Leib dieses Gaues. In der Zeit dieser Zaubertexte ist ein solcher Gottesbegt:iff sehr verbreitet. Vor allem in indischen und iranischen TeXlen finden sich sehr klare und explizite Ausprägungen dieser Idee einer Gleichsetzung von Gott und Welt, von Kosmos und Leib Gottes: Das Feuer ist mein Mund die Erde meine Fiiße Sonne und Mond meine Augen
PGM XII, 242 ff.: XIII, 767 fr.: XXI, 4 ff. 2 J. QUAEGEBHUI., Shai, 170-176 mit weiterer Literatur, darunter bt:sonders J. BERGNAN, 1"ltrprrlal;O Graua, 207-227 und J. LINOSAY, Ongins of AJchemy, 301-322. Q. ~ht auf die griechischen Texte nicht "'eiter ein; die hier aufgezeigten Parallelen bt:stilige.n seine These eines igyplischen Ursprungs der alexandrinischen Ag.uhosDaimon-Vorstellung. I
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Zweites Kapitel der Himmel ist mein Haupt das Firmament und die Himmelsgegenden meine Ohren.) Die Sonne und der Mond sind deine Augen es glinzl dein Angesicht wie Feuerschein du füllst den Wehenraum mit deinem Licht.~ Sein Haupt ist Feuer seine Augen Mond und Sonne die Himmelsgegenden seine Ohren seine Stimme die Veda-Offenbarung der Wind ist sein Hauch sein Herz die Weh aus seinen Füßen (ist) die Erde er ist das innere ..Sdbsl" (atman) in allen \'ilesc:n. s
In dcn iranischen Religioncn nehmen diese VorslclJungen die Form emer Elementenlehre an: "Eine Anzahl von Elementen" - schreibl Widengren 6 "bilde I den Leib des Gones und bildet zusammen die Weh". In Griechenland begegnen ähnliche Ideen in der Orphik: ..Zeus ist Himmel und Erde, Wind, Feuer, Wasser, Sonne und Mond. Alles ist in Zeus' Körper eingeschlossen"."1 Im Zeus.I·lymnus des Stoikers Kleamhes wird Zeus als die "Obergottheit" gepriesen, in der alle göttlichen Kräfte vereinigt sind. 8 Alle diese Befunde, deren gemeinsamen enner man auf die Formel eines "Weltgott-Panlheismus" bringen könnte, sind in ihrem großen interkulturellen Zusammenhang schon seit über einem halben Jahrhundert, besonders durch die Arbeiten Reitzensteins wohlbckannt. 9 Religionsgeschichtlich, und zwar evolutionistisch gese· hen, scheinl hier die Spätform des Pol)'lheismus vorzuliegen,lO in der sich die verschiedenen, wenn auch zum Teil benachbarten und urverwandten Religio.
Mahabharafa 111, V, 12960 fr, zitien nach G. WlDP-NGI.EN, Religionsphinomenologic, 94. ~ Bhagavadgita, 11. Gc:sang, zitien nach G. \'(ImI!NCRHN. a.:I.O., 95. S Mundaka-Upanish2d 11, 3, 4, zitien nach G. \'(IIO"NGRE~, a.a.O., 97. 6 G. WlDENGI.EN, a.a.O., 100. "I G. \'('lDF..NCI.EN, :il.:il.O., 102. • G. ZUNTZ, Kkalf,hu.HJ"UfMS, 289; vgl. zur weiteren G~schichte d~r sloischen Olxrgottheit-Idee :iluch C. S. LE'II"'S, Allegory of Love. 56 ff. (s. u. Anm. 10). , R. REfTZE."'STEIN/H. H. ScHAED"I, Synkretismus. \'(leitere Liler:illur Ixi G. WU)E..... • GIEN, u.O., 93-129. 10 1m gleichen Sinne äußert sich, wie ich n:ilchtriglich s~he, :iluch C. S. LP-'Il"IS, Allegory of Love, in der in Anm. 8 und Anm. 128 herangezogenen P:ilssage sein~s Werkes, auf die mich A. Assmann aufm~rksam gemacht haI. G. \'(!IOENGREN. Religionsphä· nomenologic:, vertritt demgegenüber eine modifizierte Form der UrmonothdsmusTheorie, die den Hochgolt.Glauben an den Anfang stdh. Was Ägypten betrifft, legt G. Widengren seiner Darslellung \\'eitgehend H. Junkers Thesen zugrunde (vgl. G. WIDENGI.F.N, :il.a.O., 75-78). J
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Primat und Transzendenz
nen der damaligen Welt noch nähergerückt sind und eine An geistig-reljgiäses Klima erzeugt haben, an dem auf seine An auch das hellenisierte Ägypten teil· hat. Zeugen dafür sind einmal die eingangs zitierten Zaubertexte,lI dann auf einer mehr philosophischen Ebene die Traktate des sogenannten Corpus Hermeticum und schließLich gewisse Darstellungen antiker 5chriftsteUer von ägyptischer Reljgion. 50 überljefert etwa Macrobius ein Offenbarungsorakel des Gones Sarapis. in dem es heißt: Der himmlische Kosmos ist mein Kopf mein Bauch ist das Meer die Erde meine Füße. Meine Ohren reichen in die Luft, mein Auge ist das weithinleuchtcnde Licht der Sonne. 12
Eusebius schreibt, die Ägypter hätten ein ..proton an theiotaton", ein "Erstes göttlichstes Wesen" verehrt, genannt "Kneph": \Venn es aufgeblickt hiill(:, häll(: es das All mit Licht erfüllt in SClncm erstentstandenen Raum wenn es aber di{" Augen gcschlosscn hine, wire FinSternis eingetreten. 13
Diesem allgemeinen Bild lassen sich nun :luch einige genuin spätägyptische Traditionen einordnen. Da ISt zunächst die Gest:llt des kosmischen Lichtgottes, wie sie Eusebius beschreibt und wie sie die Agypter in Horos von Edfu verehren I": Öffnest du deine Augen. ,,'ird es Tag, schli{"ßt du sie, wird es t acht. 15 Der die Finsternis vertreibt mir seinen ,.Göttlichen" Augen: öffn{"t er seine ..Lebenden" Augen, wird es Tag, schließt er sie, wird es Nacht. 16 Vgl. auch die großarLig{" Weltgoll-Anrufung des Pariser Zauberpapyrus PGM IV, 1115 ff.• s. J. ASSMANN. Ztit IIl1d ElViglctit, 40, Anm. 137. 12 Saturnalia I, 20.17 nach TIL HOI'FNIOR, Fontes hislOriae, 597 f. Die Anfuhrung dieses Orakels dient Macrobius im Zusammenhang bezeichnenderweise dem "synkretistischen" Argument. daß Sol und Sarapis identisch (d. h. jener in diesem enthalten) selen. 13 Praep. r:v. I, 10.49 (0:: Philo Bybl., Sanchuniathon) nach TIL HOI'I'NER, Fantes historiar:, 1.1, 291. U Die Gr:stalt cines GOltr:s, dr:r das Licht durch das ffnen, die Finsternis durch das Schließen seinr:r Augen erzeugt, ist in ägypLischen Texten sehr verbreitet und lißt sich weit zuruckverfolgen. Die cntsprecht:ndc Passage des als .. Isis und Re" bekanntr:n ramessidischen Heilungszaubenextes (:1.'(1. Pl.EYTE/F. ROSSI, Papyrus dr: Turin, CXXXlll,8 = pChester Beau)' XI no. 3,4, r:d. A. H. GARDINEIl, Hieratic Papyri BM, Tf. 65) hat berr:its eint:n Vorläufr:r in dem ebenf:tlls magischt:n pRamcsseum IX, 3 (lxs. 7 - 9, die Erschaffung des Lichts du.rch den Blick in Zdle 9) aus dr:m MR (vgl. G. POSEN Eil, '011$ Jt tra"smplio", 148). Vgl. auch AHG, r. 109,6; Nr. 122, 8-IOj Ir. 127, 16; Ir. 129, 97j Nr. 131,83. IS E. CllASSINAT, Temple d'Edfou, VIII, 131. 16 E. CIIASSINAT, a.a.O.• 1, 112.
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Zweites Kapitel
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Dazu trin in anderen Texten die Luft: Deine "ubenden" Augen schießen Flammen, deine "Heilen" Augen vertreiben die Finnernis, deine Nase ist der Wind, von dem die Nasen almen." In der Theologie des Gottes Sobek-Re von Kom Ombo trin die Idee des Wehgones in vollständjger Auspragung hervor: Der große Gon, aus dessen Augen die beiden "Scheiben" hervorkommen dessen rechres Auge am Tag und dessen linkes Auge in der Nacht scheint, seine heiden "Großen" Augen vertreiben die Finstunis. Aus dessen Mund die Luft kommt, aus dessen Nase der Nordwind, aus dessen Schweiß der Nil strömt. II Entsprechend für Amun in Theben: Sein Schweiß ist der Nil seine Augen das Licht seine Nase der \'t'ind." Man kann diesen Gouesbegriff, den wir als "Elememenmodell" bezeichnen wollen, kaum besser als mit Widengrens auf iranische Vorstellungen gemünzten \'(Ionen beschreiben: "Eine Anzahl von Elementen'< (don waren es fünf bzw. sechs, hier sind es drei: Licht, Luft und Wasser) "bildet den Leib des GOttes und bildet zusammen die \'('elt«. Man muß nur die letzten \'(Ione verindern in: "und belebt zusammen die \'(Ich«; denn es handelt sich nicht eigentlich um weh-konstituierende, sondern um lebenspendende Elemente (und daher, suenggenommen, auch nicht um einen Welrgott, sondern einen Lebensgott). So erklän sich auch das Fehlen der Erde. 20 Den Zusammenhang der Elemente mit dem Gedanken der Bdebung macht z. B. folgende Amun-Eulogie deutlich: Der das uhen schafft, nimlich Wind, Licht, Nil und Feuer, von deren Wirken alles lehl. 21 Daneben (und zum Teil auch im gleichen Textzusammenhallg: z. B. Edfou 111 67) Stößt man nicht selten auch auf eine andere Wehgoft-Vorstellung, die schon spezifischer ägyptisch anmutet: danach bildet und erfüllt der Gau die
11 E. CIIASSINAT, a.a.O., I, 16-17. U H. JUNKER, DOPfHl'?J"""u, 54 f. 19 Urk. VIII, § 65 c vgl. § I bj 7 b; 17c:j 57 b = 70b; 59 bj E. NAVILlF., Deir eI Bahari V, 149j K. SETIlE, Amun, 5202. 20 Im Ge~nsatz dazu ist die Erde in solchen EIe.me.nte.n·Modellen anwesend, bei de-
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nen weniger der Gedanke der Belebung a.ls der konstituierenden kosmischen Bereiche im Vordergrund steht, vgl. etwa J. Ass~NN, Gnb des Bau, 72-73j DEls., Uturgische lieder, 80; H. WIUl, Slol"t J'"" "obk .l"JÜ;l1l. 53. Urk. VIII, 51g.
Primat und
Transz(:nd~nz
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dreiteiljg gedachte Weh in seinen drei Person-Konstituenten "BA", BILD" " und ..LEIB": (Amun) d~r Große Gott, H~rr von Himmel, Erd~, Unterwelt, \'(:'asser und Berg~n, d~r den Himmel hochhob und ihn auf s~in~n Stutzen befestigte um sein~n Horizont g~h~im zu mach~n fur s~in~n BA, der di~s~s Land schuf und h~rvorbracht~, was in ihm ist für i~n~s s~in erlauchtes BILD, d~r die Unt~rweh finster und gr~nzenlos macht~ um s~in~n LEIB (ril) in ihr zu v~rb~rg~n.22
Das theologische Problem, vor das jeder Wehgotl die polytheistische Religion stellt, aus der er hervorgewachsen ist, besteht darin, wie und wo neben seinem allumfassenden Wesen die Existenz der anderen Götter zu denken ist. Die pantheistische Lösung der anderen Religionen geht dahin, die a.nderen Götter hernbzusrufen bzw_ den Wehgoft zu einem "Obergoll" zu erhöhen, der alle anderen göttlichen Kräfte in sich vereint. Etwas Ähnliches läßt sich auch im spätzeitljchen Ägypten nachweisen. Im Zusammenhang des Abwehrzaubers ist die Gestalt eines Monstrums mit sieben verschiedenen Köpfen bezeugt, deren Anzahl nach ägyptischer Zahlens)'mbolik die "Allheit" der göttlichen Kräfte repräsentiert, des sogenannten Bes Pantheos. 23 Dieser ßes ist aber nur ein Dämon, in dem niemand einen pantheistischen "übergoH" vermuten würde. In einem kürzlich publizierten Pap)'rus in Brooklyn erhält das Bild eines solchen siebcnköpfigen Bes Pantheos eine erklärende Beischrift, die das Rätsel löst. 24 D~r B~s
mit 7 Köpfen: er v~rköl'p('rt die "BA'S" (= .,götttich~n Krifte") des Amun-Re, I... ) des H~rrn \'on Himmel, Erde, UnteT'Welt, Wa.ss~r und Berg~n, d~r seinen I amen geheim hih vor den Gölt~rn, d~s Ri~s~n ("01) \'on Mjllion~n EIJ~n.25
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Urk. VIII, § 12b.
Vgl. hi~rzu S. SAUNHRON, TOll/ON, 284 f.; H. AI.TliNMOJ.l_ER, BtJ, 722 mit Anm. 36-43. S. SAUNP.RON, Papyrus magiqu~, Tf. IV + IVa, 1.1-5, S. 23-26. lum ägyplisch~n Begriff dn~s göttlich~n Ri~s~n O
Arbeit am Polytheismus
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in der liebevollen Durchdenlillierung solcher Themen eine Wärme. die der älteren religiösen Literarur fremd ist, und verraten etwas von der neuartigen \X'e1tsicht und Gotteserfahrung, die dem aufkommenden theologischen Diskurs zugrunde liegt.
Das theologische Verfahren Worin besteht nun das Verfahren dieser Theologie? Ich möchre es zunächst formal kennzeichnen: als eine additive Häufung göttlicher Rollen wie .. Herrschergott", .. Urgott" "Schöpfergott" usw., die parataktisch nebeneinandergeSteIlt werden. Das spezifisch Parataktische dieses Verfahrens wird erSI deutlich im Vergleich mir späteren Texten, wenn in der dritten Phase des theologischen Diskurses Möglichkeiten hypotaktischer Überwölbung und Vermittlung dieser Aspekte entwickelt werden; wir werden also darauf zurückkommen. Inhaltlich läßt sich dieses Verfahren kennzeichnen als eine Auswahl aller und nur derjenigen Aspekte der ägyptischen Gottesvorstellung, mit denen in untrennbarer Weise die Idee der Einheit Gottes verbunden isr. Zwar ist es richtig, daß die ägyptische Religion viele Herrschergötter, Schöpfergötter, Urgötter, Lebensgötter, Sonnengötter und ..ethische Instanzen" kennt, aber diese Pluralität ergibt sich nur aus ägyptologischer Perspektive, wenn man die Religion in ihrer viert2usendjährigen Geschichre von außen betrachtet. Für den Ägypter dagegen, in sysremimmanenrer Perspektive, kann es immer nur ~i"m Schöpfer, ~intn Sonnengon, tint ethische Instanz, tintn Reichsgott geben. Tritt nun ein neuer Gott, 2.8. Amun, als Schöpfer und Sonnengolt auf, so tritt er damit nicht in Konkurrenz zu traditionellen Schöpfer- und Sonnengöltern wie Arum und Re, sondern er nimmt deren Wesen ebenso in sich auf, wie auch diese beiden schon vor ihm zu einem einzigen Wesen verschmolzen sind. Alle diese Aspekte werden nun einem einzigen Gou zugeschrieben, und damit wird ein neuartiger Gottesbegriff entwickelt, der nicht durch die Spezifik seiner Eingebundenheir in götterwcltliche Konstellationen charakterisiert ist, sondern im Gegenteil durch die Distanz zur Göuerwelt überhaupt. Die Vorstellung eines höchsten Wesens, eines Götterkönigs, ist alt. Durch die Instirution des pharaonischen Königtums ist die Funktion des "Reichsgottes" und damil eine hierarchische Zemricrung der Götterwelt von Anfang an angelegr. 42 Dieser Primat hat sich bisher aber im Rahmen des herkömmlichen Denkens in
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Amun-Re "~rbund~n~n ~~nsgott-Thrologi~ ist die ethisch~ Komponente d~r ß~ Icbung, derzufolg~ GOII seine Schöpfung sowohl durch Licht und luft :als :auch durch Maat (Wahrheit, Recht, Ordnung, Einklang) am Le~n erhilt. Das ~tühn sich unmittelbar mit der theologischen Konuption in d~n Sehu-Sptüchen d~r Sargtexte, d~r zufolg~ .. Le~n" (: Licht und luft) und .,Mut" die ursprünglichen kosmogonischen Prinzipi~n sind. Vgl. hbzu K:ap. 2, 45-53.
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Drilles Kllpilel
Konstellationen ausdrücken lassen. Dieser Rahmen wird hier gesprengt und der Höchste in gleichem Abstand über Götter und Menschen gestellt. Früher hätte man eine solche übersteigerte Primarstheologie religionspolitisch erkJärt. Das scheint der allgemeinen historischen Situation auch ausgezeichnet zu entsprechen. Das theb:mische Haus der Thutmosiden, das die Hyksos vertrieben und das Reich zum dritten Mal geeinigt hat, muß natürlich alJes Interesse daran haben, seinen Onsgott Amun über alle anderen Götter des Landes hinauszuheben. Diese Deutung muß gar nicht einmal falsch sein, aber sie reicht nicht zu und verzerrt in unerträglicher Weise das eigenLliche Anliegen der theologischen Arbeit. Dies kann nämlich nicht darin bestanden haben, einen bestimmten Gon über die anderen Götter zu erheben und diesen Primatanspruch zu begründen. Wir hätten dann sehr spezifische Theologien wie "Amun-Theologie", "Osiris-Theologie", "Ptah-Theologie" usw., in denen die spezifischen Wesenseigenschaften, Genealogien, Mythologien usw. dieser Götter dargestellt und über die der anderen Götter erhoben würden. 43 Was wir aber in Wirklichkeit haben, ist etwas vicl Allgemeineres: es sind die zwar immer mit bestimmten Namen verbundenen, aber von diesen Nomen doch verhältnismäßig wenig determinierten theologischen Themtn wie PräexistenzTheologie, Schöpfungstheologie, Lebensgou-Theologie und (wenn man den Aspekt der ethischen Instanz so nennen darf) "Moral-Theologie". Die theologische Arbeit gih nicht Rangstreitigkeiten und Pri\filegien bestimmter Götter, sondern dem Gonesbegriff eines Höchsten Wesens in seinen verschiedenen Rollen und Aspekten. Neu ist nicht, daß Amun als chöpfer herausgestellt wird, neu ist die Schöpfungstheologie, in der das geschieht (z. B. die Konzeption von der Schöpfung durch das Won) ..... Letztlich spielt es keine so entscheidende Rolle, mit welchem amen die theologischen Konzeptionen verbunden sind. Die Texte sind daher auch in gewissen Grenzen übertragbar. Eine der theballischen Eulogien erscheint, auf den Gott Onuris bezogen, auf einem DenkmaJ in This,4s eine andere, auf die Göttin Nechbet bezogen, in einem Grab in EI_Kab. 46 Mit ihrer Primattheologie - unter diesem Begriff 43 D:amit soll nicht gesagt sein, daß bei der Ausarbeitung theologischer Positionen die Abhebung gegenüber älteren Vorstellungen nicht eine wichtige Rolle spielt, wobei sich diese älteren Vorstellungen mit anderen Göttern bzw. Kultzenuen und deren theologischen Konzeptionen verbinden können. Berühmtestes Beispiel iSi das "Denkm:al memphitischer Theologie", wo die mit Heliopolis und Atum verbundene Lehre einer Schöpfung durch Aussprechen bzw...or:ale Ausscheidung" :aufgehoben wird durch die Vorstellung einer dem Aussprechen vorhergehenden "Schöpfung durch du Herz", du planvolle Ersinnen der Welt durch die Trennschärfe begrifflicher Konzeption, kr-aft derer die praexisleme Einheit zur Vielheit endabet wird. Zur D2tierung dieses Textes in die 19. D}'n:astie s. H. A. ScHU'UN, Order and History I, Israel and Revelation, Louisiana 1956, 119 ff.; vgJ. auch T. rARSONS, Gesellschaften, 85-1Ot. S. hierzu J. ASSMANN, MonollNiJmllJ lind KOJmolheiJmllJ. Die grundlegende Bedeutung der Differenziertheit für das polytheistische Weltbild hat E. HORNUNG, Der Eine und die Vielen, herausgearbeitet.
Arbeit :Im Polytheismus
83
Reduktion der Wirklichkeit auf eine entgöttlichte, :lber das Wirken des Einen Gottes um so deutlicher offenbarende.. arur" hat diese Episode des theologischen Diskurses ausschnürweise rur Israel akzeptabel gemacht. Die Amarna-Religion ist eine grandiose Reduktion: Sie hebt sich gegenüber dem Ahen nicht durch das eue ab, das hinzukommt, sondern durch das Bestehende, das sie abschafft. Abgeschafft werden dje vielen Göner und damit die Göttlichkeit der Welt. Abgeschafft wird das Totenreich, die Welt des Osi· ris. Das vordem dreistöckige Weltbild (Himmel, Erde, Unterwelt) wird zur Zweistöckigkeil, zum Gegenüber von Himmel und Erde, Gon und Welt, reduzien. 62 Abgeschafft wird die Vorstellung der Präexistenz, der Urzeit. Die gei. stige Erfahrung des Einen Gottes darf das Sinnliche, Sichtbare, die Lichrwelt nicht überschreiten. Oie Wirklichkeit, auch die Wirklichkeit Gones, wird auf das Sichtbare reduziert. Abgeschafft wird die Idee des Bösen, die Vorstellung göttlichen HandeIns als einer Überwindung antagonistischer Kräfte. Oie Sonne hat keine Feinde. Abgeschafft wird vor allem die Idee eines persönlichen Goues, der das Gute belohnt. die Bitten erhört und über die Gerechtigkeit wacht. Der Sonnengon ist zwar voll überströmender Güte und erhält Groß und Klein am Leben, aber offenbar auch Gut und Böse: denn nirgends ist hier von irgendeiner moralischen Selektivität die Rede, im Unterschied zum GOt· lesbegriff der früheren Zeit. Dort trat derselbe Gon, der für die Flöhe und Würmer sorgte, auch als Herr der Gerechtigkeit auf, der den Schwachen aus der Hand des Gewalttätigen erreuete63 und Vater und Muner war für den, der ihn sich ins Herz setzte6
127
Der nachfolgende Versuch einer Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse verdankt enlScheidende Anregungen einem Briefwechsel mit Peter Seihen, dem für seine kritische Lektüre des r-.Ianuskripts 2uch hier von Herzen gedankt sei.
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122
Viertes Kapitel
Gon abhängig und auf Gon angewiesen und das dieses Sachverhalts Innewerden, das der Ägypter "Goltesbeherzigung" - "GOtt in sein Herz geben" nennt, kann man nicht gut eine Entscheidung nennen l28 , ebensowenig wie der diesem Innegewordensein seiner kreatürlichen Abhängigkeit entspringende Schrei nach Gonesnähe unter die vom Loyalismus vorgeprägten Formen aktiver Zuwendung und "Gefolgschaft" vereinnahmt werden darf. Von diesem Standpunkt aus gesehen, der sich bemüht, einen umfassenderen Begriff von Frömmigkeit in den Blick zu bekommen, als wie er sich im Horizont der TunErgehens-Frage darstellt, zeigt sich nun, daß wir Loyalismus und Frömmigkeit, diese scheinbar so eng verbundenen Phänomene, streng unterscheiden müssen.
Loyaljsmus und Weisheit Vom sei ben Standpunkt aus ergibt sich auch die Notwendigkeit, Weisheit und Loyalismus auseinanderzuhalten. Denn gerade in dieser Hinsicht, in der die loyalistische Tradition und die Persönliche Frömmigkeit auseinandergehen, schließen sich die nicht-loyalistische Weisheit und dje Frömmigkeit eng zusammen. Es sind dies ja auch, wo nicht die einzigen, so doch die ausgezeichneten Bereiche, in denen in der ägyptischen Literatur von Gottes Wirken im HoriZOnt des menschlichen Daseins und der Bezogenheit, des Umgriffenseins der conditio humana vom Göttlichen die Rede ist. l29 Wenn die Weisheit dieses die Begrenztheit und Bedürftigkeit des menschlichen Daseins Umgreifende "Gon" nennt, meint sie damit nicht den König; und die Lehre für Merikare vielleicht, weil sie an einen König gerichtet ist? - kann geradezu differenzieren: Er (GO!!) hat sich eine Kapelle errichtet in ihrem (der Menschen) Rücken; wenn sie weinen, hört er. Er schuf ihnen Herrscher ,im Ei' und Machlhaber, um den Rücken des Schwachen zu stärken. 1)(1 Wir wollen aus dieser bedeurungsvollen Stelle nur das "Weinen" hervorheben, womit sowohl die generelle Grundangewiesenheit des Menschen auf GOtt als Die Wendung rr!i mjb, die in unserer Belegsammlung am häufigsten vertreten ist, iSI vermutlich nicht ganz so aktivisch aufzufassen, wie sie klingl, gilt doch das Herz der Äg}'pter als "GOlt im Menschen" und das ausgezeichnele Organ religiöser Erfahrung, durch das Gou auf den Menschen einwirken kann. Es mag sein, daß nach iigyptischer Auffassung Gou nkhl nur im Hl:rzcn "aufgebaut", sondern auch vorgcfundl:n wird (wie es uns in der christlich-mystischen und pietiSlischen Tradition die vertraulere Vorslellung ist). Ich möchle das hier nichl entscheiden, aber doch auf die 24. Lehre des Papyrus Insinger verweisen, "Die Größe Gottes in deinem Herzen en{slehen zu lassen", die - wenn es erlaubt iSI, diesen späten Texl mit dem älteren Begriff der "Gauesbeherzigung" in Verbindung zu bringen - die aklive Komponente des Begriffs umersueicht. 129 Vgl. hierzu J. ASSM.... NN, Golf. BO Merikare P 134-136. 128
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Weisheit, Loyalismus und Frömmigkeit
123
auch die je besonderen Notlagen des Einzelnen gemeint sind. Davon ist in den Texten der Persönlichen Frömmigkeit passim, in der loyalistischen Tradition jedoch überhaupt nicht die Rede. Wir haben um der trotzdem und in einer sehr auffallenden Weise bestehenden Zusammenhänge mit dem Loyalismus willen dieses "Weinen" aus unserer Betrachtung ausgeklammert und stehen nun vor der Frage, wie sich denn diese nach Ausweis unserer Belege doch sehr mächtige "Ioyalistische" aktive Komponente im Ganzen eines dem Loyalismus und seinem antithetischen Gegenseitigkeitsprinzip eher entgegengesetzten Frömmigkeitsbegriffs verstehen läßt. Was bedeutet es, daß vom Beginn des Neuen Reiches an und dann durchbruchartig nach der Amarnazeit in den Texten ein Begriff von Frömmigkeit greifbar wird, der die Sprache des Loyalismus tedet und sich auf Frömmigkeit als eine entschiedene Partei nah me für Gott, aJs "Handeln auf Gones Wasser", bezieht? Was bedeutet es, daß damit auch dje Sache des Loyalismus vereinnahmt und Gon in Bezüge eingesetzt wird, die bislang dem König vorbehalten waren? Für das Königtum bedeutet es, daß es allmählich aus diesen Bezügen und seiner Mittlerposition zwischen GOtt und Mensch verdrängt wird. Als Loyalitätsbekenntnisse gelesen, laufen alle diese Formeln, deren Belege wir im folgenden zusammenstellen, auf die Aussage hinaus: "Gon ist Könjg". Daß das Königtum diese Entwicklung nicht widerstandslos hjnnehmen konnte, versteht sich. Die Loyalistische Lehre des Echnaton, deren Reflexe uns in den Grabinschriften seiner Anhänger erhalten sind, stellt den Versuch dar, die Stellung des Königs als "Gott des Einzelnen" in einer die loyalistische Ideologie des Mittleren Reichs wiederaufnehmenden und in hybrider Weise übersteigernden Form zu restituieren. 13l Wenn daraufhin die Persönliche Frömmigkeit genau diese Ausprägung des Loyalismus übernimmt und gleichzeitig selbst nun in einer Fülle von Formen allgemein zum Durchbruch kommt, dann zeigt sich darin doch wohl, daß mit der Amarna-Religion auch die loyalistische Tradition endgültig gescheitert ist und dem weichen mußte, wogegen sie sich noch einmai in hybrider Übersteigerung zu stemmen versucht hat. Die aktive Frömmigkeit, die sich "Gott ins Herz gibt", um "auf seinem Wasser zu handeln", bedeutct nichts anderes als die Errichtung einer "inncren Theokratic", die Errichtung der Gottesherrschaft im eigenen Herzen. Daß das nicht ganz ohne Konfljkte abging, kann man nur ahnen. Nicht jedem wird sich der Ausweg geboten haben, mit Nefer und Tjuti zu sagen: .,Ich gab meinen GOlt in meinjb-Herz und den König in mein !JJ~.i_Herz."132
Zwar sucht man vergeblich nach einem literarischen Text, der diesen Konflikt zum Thema hätte, von der allerdjngs höchst bemerkenswerten Gestalt des
Vgl. hierzu Kap. 5. 132 S. oben, Anm. 17. lJl
124
Viertes Kapitel
Zauberers Djedi und seiner "Befehlsverweigerung" abgesehen. 13J Um so schwerer wiegen dann aber die Andeutungen, die sich in einigen Texten der Pcrsönljchen Frömmigkeit finden: daß man sich keinen Patron unter den Men~ sehen gesucht, sondern allein auf den Beistand Gottes vertraut hätte: Ich habe mir keinen Schützer unter den Menschen genommen, ich habe mir kdnen Pauon unter den Großen gesuche Kein Sohn von mir iSI es, den ich gefunden habe, um mir das Begräbnis zu veranstalten. (Sondern) das Begräbnis liegt in deiner Hand allein, du bist die Ccburtsgöttin, die auch für mich sorgt mit einer vollendeten Mumifizierung, wenn es ans Sterben gcht.l~
Ich mache mir keinen Beamten zum Schützer, ich geselle mich keinem Reichen; ich gebe meinen Anteil nicht unter den starken Arm eines i\1annes. i\'!ein Herr ist <mein> Schützer, ich kenne stine Krafl. 1J5
Hier scheint mir eine Hahung zum Ausdruck gebracht, die später auch Amenemope lehn: äußerste Zurückhahung gegenüber der Patronage starker Vorgesetzter und geradezu quietistische Einstellung in Bereichen des berufljchen Lebens, die zu Gewissenskonflikten führen könnten. 1J6 Das geht nicht nur wie bei Ptahhotep gegen die Habgier als Zerstörerin des sozialen Einklangs - das aber auch, vgl. "besser ist, als ein Geliehter der Menschen gelobt zu werden, als Reichtum im Vorratshaus"!37 -, sondern darüber hjnaus gegen das Karrieremachenwollen, gegen Position und Macht in der Gesellschaft. Für dieses Stillehalten ..in der Hand Goues" verwendet Amenemope den ah-weisheitlichen Ausdruck des "Schweigers" und stellt ihm den "Heißen" gegenüber, der sich eifernd in diesseitigen Bezügen verliert, ohne auf den Einklang mit GOtt bedacht zu sein. Die gleiche Antithese kommt bekanntlich auch in dem berühmten Gebet an Thot des Papyrus Sallier I vor, einem Text, der genau das repräsentiert, was ich als "religiöse Weisheitsliteratur" bezeichnen möcht.e. Rem Papyrus Berlin 3033, VII, 15-20 = Sethe, Lesestücke, 30-31. P. Seibert macht mich auch auf die in der ersten AntwOrl des Diedi an Cheops ("wer gerufen wird, kommt") zum Ausdruck kommende Distanzierung von I-Iof- und Königsdienst aufmerksam, die der im Deutschen geläufigen Maxime "Gehe nicht zu deinem Fürst, wenn du nicht gerufen wirst" genau eOlsprichl. Die Gestalt des Djedi gewinnt als literarische Schöpfung Bedeutung im Rahmen jener ,humanitas' des Mittleren Reichs, die E. DITO, Sinliht lind Scbiffbriichigtr überzeugend herausgearbeitel hat. 13" Theben, Grab 409 (Kiki) = -AHG NI. 173,42 ff. m Papyrus AnaSlasi 11,9.2 ff. = ÄHG Nr. 177,5 ff. 136 Vgl. hierfür I. GRUMACI-l, Amenope, passim, z.B. 98 f. Geht es in diesem FaU darum, nicht noch einmal mit einer (frab>würdigen) Mission beauftragt zu werden, so vergleiche man damit die fraglose \X'ünschbarkeit derartiger Aufträge in der äheren Zeil (G. POSHNER, L'Enseignement Loyalisle, 38 f. zu 10.6 und Papyrus Sallier 11, 4, 6-7). lJ7 Amenemope. 16. 11-12.
Weisheit, Loyalismus und Frömmigkeit
125
den und Schweigen stehen hier, wie es für die gesamte Weisheitsliteratur charakteristisch ist, als Paradigma für soziales Handeln und Yerhalten des Menschen überhaupt. Ebenso paradigmatisch hat man die Lehre von Herz und Zunge bei Amenemope zu verstehen, die in der Forderung gipfelt, die Steuerung der Zunge - das heißt des sozialen Yerhaltens in der Welt - Gou als dem Piloten des Herzens zu unterstellen. HS Yon einer Trennung geistlicher und weltlicher Werte ist man hier jedoch weit entfernt. Trenne nicht dein Herz von deiner Zunge, dann werden alle deine Pläne erfolgreich seini du wirst gewichtig sein vor den Leuten indem du heil bist in der Hand Goues.D'J
Belege A Gegenseitigkeitsformeln (ohne die loyalistischen Lehren des Mittleren Reiches) Yor Amarna Er erweist 140 seine Gunst dem, der ,auf seinem \Vasser' handelt und Liebe dem, der seiner nicht vergißt (Im mhjj J;rf).141 2
Daß sie ihre Macht erweist, ist gegenüber den Unwissenden; gegenüber dem, der deine Schönheit anbetet, ist dein Gesicht gnädig. 14Z
3
Der die Lebenszeit trefflich macht dessen, der (seine) Schönheit verehrt. U)
4
Der Luft gibt dem. der ihn anbetet und die Lebenszeit trefflich macht dessen, der ,auf seinem Wasser' handelt 144
138 Der "Einklang von Herz und Zunge" als Paradigma des ..Einklangs von Gott und i\lensch"i eine solche Interpretation würde die zentrale Rolle erklären, die dieses Thema in der Lehre spielt. 139 DHRS., Amenemope, 13, 17-14, 1. 140 djj, also "er wird" oder "er möge ... "i vielleicht ist auch, trotz prospektiver Form, eine emphatische Konstruktion gemeint: "daß er seine Gunst erweisen wird, ist dem. der ... " Vom Sinn her ist diese Auffassung die nächstliegende. 141 Urk. IV, 53 (fhoth). 142 Urk. IV, 480 (Sachmet). 14} Brooklyn 37.263Ei T. G. H. JAMES, Corpus I, Nr. 176 (Amun-Re). 144 ÄHG 83.6-7 (IT 11) (Amun.Re).
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126
Viertes KapileI
5
Der ein Begribnis gibt dem, der ,auf seinem Wasser' handelt und ein Alter dem, der ihn in sein Herz gibt. 14S
6
Er gibt1.w Leben dem, den er liebt, und den Hauch seines Mundes dem, der in seiner Gunst steht. 146
7
Der Vater und MUHer ist für den, der ihn in sein Herz gibt, aber sich 2bkehrt (m.t9J von dem, der an seiner Stadt acht.los vorübergeht (.'nj).1~7
8
Ein schönes Alter für den, der ihn in sein Herz gibt. 1~8
9
Der die Gebete erhört dessen. der in Bedrängnis (bJnw) ist. freundlich zu (bft) dem, der zu ihm ruft. 149
10
Der Luft gibt dem, der ihm folgt, und seinen Lebensunterhalt ('JbJj) dem, der seinem Wege anhängt (mdJi. mlnj).IYJ
11
Er erweist seine Gunst dem, den er liebgewonnen hat. ISl
Amarna (nur König) 12
Herr der Lebenszeit, der dem gibt. den er liebt. der ein Begräbnis anweist dem, der ihn in sein I-Ierz gibt. 1S2
13
Lebensodem lS3 den, der seine Stimme hört. IS4
14
Du Millionen Nilüberschwemmungen 1S5, Du 1... 1 für den, der ihn in sein Herz gibt. l56
15
Er erweistl~O seine Macht gegenüber (jtjj b}wJ r) dem, der seine Lehre • • Igoonen und seine GunS( gegenüber dem, der ihn kenOl. 1S7
l~S Urk. IV, 1885 (Osiris).
146 147 148 149 ISO
151 152 153
15~
lS5 156 157
AI-IG 72.5-7 (Amun-Re). AI-IG 75.23-24 (Amun.Re). Kairoj L. BOlt.CHARDT, Statuen 11, Nr. 585. Pap)'rus Boulaq 17.4.3-4 (Amun-Re). Urk. IV, 86 (König). Vgl. G. POSENER, L'Enseignement Lopliste, 3.8--9 i4fJj mfklw mln.f jll' 9tjjJ r nb C 3br (die gemeinsamen Stichworte sind durch Fettdruck hervorgehoben). Urk. IV, 1485 (König). M. SANDlI-lAN, Texts, 170.8-9. Oder: "Lehensodem ist es, seine Stimme zu hören", vgl. M. SANDMAN, Texts, 15.79: "Lebensodem lln die Nasen (bedeutet es), deine StJ"2hlen zu schauen." Bei dieser Auffassung der Stelle, die den Vorteil hat, ohne Emendation des auszukommen, wäre der Beleg zu streichen. M. SANDMAN, Texts, 28.15. Zu den "f..'lillionen Nilüberschwemmungen" vgl. M. SANDMAN, a.a.O., 92.4j 60.8. M. SANDMAN, a.a.O., 79.11. M. SANDMAN, a.a.O., 86.15-16.
Weisheit, Loyalismus und Frömmigkeit
127
Negativ 16
Der ist nicht elend (nI1l9), der auf deinen Rat hört und der sein 1...1 in sein Herz gegeben hat. 1SS
17
Der ist nicht elend, der dich in sein Herz gegeben hu, der s.agt nicht "Häue ich doch ... :" sondern währt liIuf dem richtigen Weg, bis er die Ehrwürdigkeit 159 erreicht. l60
Nachamarnazeit 18
Du Re für iedes Auge, Licht (f.~ fur den, der ihm folgt. IM
19
Der den kenm, der ihn kenm, der den segnet, der für ihn arbeitet, Beschützer (n!Jw) dessen, der ihm folgt. 162
Persönliche Frömmigkeit: Votiv-Stelen 20
Du bist ein Gau, auf den man vertrauen k:lnnjfür den, der ihm vertnut. I63 der Beschützer (n!lw) dessen, der ihm folgt. I64
21
Du bist der Gnädige für den, der dich in sein Herz gibt, du bisl der Beschützer (nIJ.'; des Armen. 165
22a
Der kommt auf die Stimme des Armen, wenn er uaurig l66 ist, der Luft gibt dem, der nicht mehr weiter weiß.167
22 b
Du bist Amun, der Herr des Schweigenden, der kommt auf die Stimme des Armen. t68
IS8 M. SANDMAN, a.a.O., 5.5. 159 jl1lJh, der Status des "Grabherm" \'gl. S.xx mit Anm. 103. 160 t>.'I. SANDMAN, Texts, 55, 15 f. 161 Heidelberg Inv. 559 s. H. RANKIi, Crab, 78-82, "gi. B 19. 162 Urk. IV, 2177 (Amun-Re). 163 Zu diesem Problem s.o., S. 104 mit Anm. 45. 164 ÄHG 164.13-14 (Amenophis I). 165 Stele; ed. B. BRUY~RE, Rapport 1926, fig. 29 pp. 58-59. 166 Zu jnd im Sinne von "traurig" siehe MelIemichstele 56; oft im Gegensatz zu rlwt "Freude", etwa wenn "trauernde Herzen in Freude versetzt werden": Papyrus Louvre 3079, 110.8-9; E. ÜMSSINAT, M.ammisis d'Edfou, 1,442 cf. H. JUNKER, Philae I, 257 f.; F. DAuMAs, M.ammisis de Dendara, 31.7 \'gl. schon Turin 1454bis = ÄHG Nr. 154. 5-6. 167 Berlin 20377; ÄHG 148 A 4-5. Zu gJb im Sinne von ,,(vor Mattigkeit) nicht mehr weiter können" vgl. Papyrus Lansing 10.3; Papyrus Chester Beany IV verso 2.3; M. CERN'i'!A. H. GARDINER, Hieratic Osnaca I, 1, verso 6; Papyrus Anastasi V, 15.4; Papyrus Bologna 1094,6.8; Papyrus Turin, Wönerbuch 2 ; vgl. auch Beleg A
4. 168 ÄHG 148, B 15-16 ::: B 31.
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128
Vienes Kapitel
22c
Du gabst Luft dem, der nicht mehr weiler wußle. 169
22d
Du rettest den, der in der UnterwelI ist. I7O
22e
Du bist der Herr dessen, der zu ihm rufI 16 )/zu dem man rufen kann. 11l
23
Du SChUIZ (miet) (für) den, der sie in sein Herz gibt, Beschützerin (nb'" dessen, der ihr folgt. 172
24
Die ihre Hand reicht dem, den sie liebt und Schutz gewähn dem, der sie in sein Herz gibt. IH
25
Der kommt auf die Stimme dessen, der zu ihm ruft, der sich dem zuwendet, der ihm folgt. m
26
Der das Flehen erhört dessen, der zu ihm ruft und kommt auf die Stimme dessen. der seinen Namen ausspricht, der die Bitte dessen erhön. der ihn in sein Herz gibt. 17)
27
Der dem Schweigenden 20lwonet, der seinem Liebling (jlyb.f?) ein Amt gibt, der dem Bedrängten anlwOnet. 176
28
Der das Flehen erhön dessen, der zu ihm ruft, der ein Begräbnis gibt dem, der ,auf seinem Wasser' h2ndelt. 177
29
Du großer Beschützer dessen, der (ihn) in (sein) Herz gibt. 178
30
Du guter Herr (dessen). der (ihn) in (sein) Herz gibt. 179
31
Du der der der
32
Eine gute Lebenszeit für den, der ,auf ihrem Wasser' handel!. 181
169
170 171
172 173 17~ 175 176
177 178 179
1110 181
geliebter Gau, der das Flehen erhört, dem Armen die Hand reicht, den Ermatteten rellet und eine gute Lebenszeit gibt dem ,auf (seinem 'X'asser') handelt. l80
ÄHG 148. B 19. ÄHG 148, B 22. AHG 148, B 63. r>.1. v. NORTIlAMPTON/W. SPIEGEUIERG/P. E. NEWflERRY, Theban Necropolis, Tf. IV (Ahmes Nefenari). Turin 196; A. ER MAN. Denksteine, 1107 (Amen-nachte). Stele MaeGregor; A. H. GARDINER, Thtb(ln oJIid(l/, Tf. 37 (Ahmose und Ahmes Nefertari). Stele; cd. B. BRUYERE, Rappari 1935-40, fig. 159 Tf. X. Stele; cd. B. BRUYEkE, a.2.0., fig. 200 Tf. XLIV. Stele 5lockholm Mus. MM 18566; UG 163, 11-12. Fragmem cd. ß. BRUVERE, Rappon 1924-25, fig. 29 (Amenophis 1.). SIele Brit.isches Museum 989; I. E. S. EI>WARDS, Egyplian Stelae, TC. 46 (Amenophis 1.). Turin 913; A. ERMAN, Denksteine, 1108. B. BRUYERE, Rappon 1935-40. fig. 167, TC. XIV.
416b!l
Weisheit, Loyalismus und Frömmigkeit
33-34 Mögen sie eine gute Lebenszeit geben dem, der ,ll.uf ihrem Wasser' hll.ndelt, der ihre Ratschlüsse in sein Herz gibt. '82 35
1•.. 1 für den, der in seiner Gewalt war, der süßen Lebenshauch gibt dem, der [... 1'83
36
Du geliebter GOII, Gnädiger, der dll.s Flehen erhört dessen, der zu ihm ruft, der kommt auf die Stimme d/:ssen, der seinen Namen ll.ussprichr. IM
Literarische
Zeugnjsse u. a.
37
Amun.Re, du guter Hirt/: ein/:s jeden ,Gesichts', das elend (nmN istl Er hll.t mein Leid ,gewendet' bei seinem Auszug. Möge er eine Rll.tion geben dem, den er liebgewonnen haL 18S
38
Amun, du Hirte, der die Schmerzen heih dessen, der e1/:nd (",h) ist. 186
39
[... 1 für den, der in seiner Gunst steht.'87
40
Du Gedeihen (mnI), du Fülle und Speisung (~'" djJ",) rur den, der deinen Namen ausspricht.H18
4\
Du Weg für den, der kein Auge hat, du Fuß für den Lahmen.18'.l
42
Der die Bille dessen, der ihn [... \ Wie freut sich, wer in seiner Gunst steht: ihn trifft kein Übel. (= Beleg B Nr. 21)
43
Du süßer Lebenshauch für einen ~hnn, der im (Gefängnis iSI).I90
44
Du gUler Beschützer (no"'J-dessen, der ihm folgl.'91
45
Der \'('ohltaten erweist dem, der seinen Namen aussprichl. 192
46
1••• 1 und 2nIWOrtet dem, der schweigt, er gibt ihn auf den (rechten) Weg (... 1193
47
Er spricht den Sieg zu
("'d! ngl) dem, der in seim:r Gunsl steht. 194
182 Ehd., Nr. 35 Tf. XII = ebd. Nr. 78 fig. 158. 183 Siele Der cl Medine Nr. 25; B. BRUYHllll., Rapport 1945-47, fig. 30 Nr. 2. 184 Stele Turin; M. Tosi/ A. ROCCATI, Siele, Nr. 50042. 18S Ostrakon Kairo 12212; cd. G. POSeNI'R, Pii!i pmondlt, Tf. 20, p. 202 f. 186 Ostrakon Kairo 12225 cd. ebd., p. 205 f. 187 Papyrus CheSler Beatty XI verso 2.3. 188 id. verso 2.4. 189 id. verso 2.5. 190id. verso 2.7. 191 id. verso 2.8. 192id. verso 2.9. 193 id. verso 3.3. 194 Papyrus Gurob fr Q, 2.3; ÄHG 189,14.
129
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130
ViI=rtes Kapitel
48
Mächtiger (Jb) ist er als (MilJionen)195 für den, der ihm folgl und der sich auf sein Wasser gegeben hal. 196
49
Gnädig jedem, der seinen Namen ruft. 197
50
Eine Mauer von Erz l98 fur den, der ,auf seinem Wasser' iSt; kein Übel (befallt) den, der auf seinem Weg wandel!. Der kommt zu dem, der ihn ruft gnädig dem, der ihn anbetet.l~ Der (die Hand) reicht dem, der se.inen Namen anruft; der Lebenszeit gibt und die Jahre verdoppelt dem, der in seiner Gunst steht; Ein trefflicher Beschützer ("blll 111nb) für den, der ihn in sein Herz gibt, ein Beistand (nbjlll) rur immer und ewig. 200
51
Miichtiger (30) ist er als Millionen für den, der ihn in sein Herz gibt. 201
52
Der den kennt, der ihn kenn!. (Vgl. A 19).202
53
Du bist der Vater des Mutterlosen, der Gatte der Witwe. 203
54
Amun, der du eintriusl für den Armen, wenn er in Bedrängnis ist.2l)(
55
Der dauern läßt den, der seinen Ka anbetet und seine beiden Scheiben (Sonne und lI.'!ond) erhöht, der aber vernichtet den, der ihn vernachliissigt und seine Macht verkennt. 205
56
Du bist es, der Vorsorge trifft für den, der keine Muner hat; Schicksal und Gedeihen sind in deiner Hand. 206
195 VgJ. schon G. FeelIT, Schit!ualsgölt;n, 173,5: ." Sill r ~~JP-V n ~v.nJ "Größer ist er als M.iIlionen Mann für den, den er ,gesegnet' hat." Vgl. ferner Belege B 51, B 25; ÄHG Nt. 231, 5; Qades-Gedicht, KR! 11,41117. 1%!'oL Cl!RN~'/A. 1-1. GAROJNER, Hieratic OStraca 1,38.2. 197 (Osrrakon IFAD L038; G. PosIiNeR, Dstraca hitratiques I, Tf. 21). 198 Zum Topos der "ehernen t-,1auer" siehe A. Al.T, mJlf'1tf aheneJlf. Die Wendung stammt aus der Königseulogie (7..B. Urk. IV, 1233; Amarna: M. SANOMAN, Texts, 84.7; A. MARlHlTE, Abydos I, 52.16 ff.; auch in einem akkadisehen Brief an den ägyptischen König, siehe W. F. AL8RJGIIT, Egyptian cornsponJance 199), wird wohl von Echnaton erstmals auf die Gottheit angewendet (M. SANDMAN, Texts, 111.5-6), d:mn nicht seilen in Texten der Persönlichen Frömmigkeit (z.B. r\I-IG Nr. 188,7; 190,18; G. DAIIESSY, lnscnplionf, 126). I~ Suffix nach Partizip, siehe A. ERMAN, Neuägyptische Grammatik, Paragraph 88. ZOll Dekrete Neschons und Painedjem; ÄHG 131, 93a-96a, 92-94. 201 Papyrus Leiden J 350, 11, 20 f. . 202 Graffito; W. SPlHGEL8ERG, Graffiti, Ir. 1278. 203 Graffito TI 139; ÄHG 147.12-13. 204 OStracon Borchardt; cd. G. POSENI!II, Amon, 59 f. 205 Papyrus Berlin 3049, VIII, 9; ÄHG 127 B. 49-50. 206 Papyrus Anastasi V, 9,6-7; ÄI-IG 181.11-12.
416b!l
Weisheit, Loyalismus und Frömmigkeit
131
Inschriftliche Zeugnisse (niehr Votiv) nach Amama 57
Wie schön ist es, zu sitzen in der Hand Amuns, des Schützers des Schweigenden, des Retters des Armen, der Luft gibt dem, den er liebtJ207
58
Der ein schönes Begriibnis gibt dem, der ,auf seinem Wasser' handelt, und ein Alter dem, der ihn in sein Herz gibt. 208
59
Du Steuerruder für den, der ihn in sein Herz gibt. 209
60
1...1für
den, der im Elend ist, der den Elenden (qJnj) erlöst aus dem Gewahrsam (ZJ.,tj), Vater des Armen (nmh), der in Banden ljJnw) liegt, der den Elenden (mJII; aufrichtet, wenn er ruft; tremiches Steuerruder fur den, der übcrfahrt(?), der den. der nichts hat, zum Besitzer von Reichtümern macht. 2lO
61
Der ein (hohes) Alter gewihrt dem Gerechten und Lebenszeit gibt dem, den er liebt.21I
62 a
Der den Leib dessen bewahrt, der ihn in sein Herz gibt, tatkräftiger Schutz (111'3) für den, den [erl liebt; 1... 1 für den, der ,auf seinem Wasser' handeh. 212
62 b
Der seine Hand reicht dem, der keine Atemluft hat. (id. 24)
62 c
Der den errettet, den er liebt, auch wenn er in der Unterwelt ist. (id. 27)
62 d
Sättigung im Leib dessen, der sein Wesen betrachtet, das Rufen hört dessen, der I.. '\' freundlich zu dem, der 1.•. 1 (id. 9-11)
63
Der seine Hände reicht dem, den er liebt, und Freude (gibt) ins Herz derer, die seine Sonnenscheibe erleuchtet, um sie aufzurichten. 213
64
Freundlich zu dem, der ihn anfleht, der eilends kommt zu dem, der seinen Ka anbetet. 214
65
Du bist der gute Beschützer (n!pll) für den, der (auf ihn) vertraut I auf den man vertrauen kann,16J der antwortet auf die Stimme dessen, der darniederliegt. 21S
1.Q1
208 209 210 211 212 m 21~
2lS
Berlin 6910; KRI 1,387.15-16; ÄHG 169.1-3. E. DRIOTON, cryp~graphie, 20. TI 106 < 1187>; J. ASSMANN, GoldhollJ. TI 194 (4); ÄHG 99, 49-53. TI 194 (8) (Chons); K. J. Sli.\H.IED, Grab des Djehutiemhab, 52, Text 70. ASSMANN, Sonnenhymnen 11, Nr. 188. KRI VlI, 157. TI 194 (13); AHG 17-.18-20. TI 296 (1); ÄHG 103.53-55. Kairo; G. LEGRAIN, Statues de rois, nr. 42229. Kairo; G. LEGRAIN, a.a.O., nr. 42208,16.
0004,6bll
132
Vicncs Kapitel
66
Der den lieht. der ihn liebt, der den kennt, der ,auf seinem \'.bcrobius 37 r>.bhu 143 Maja 143, 145, 147
416bti
Namc=nrc=gistc=r l\bric=nc=, A. 130 McFarland, T. 63 Mc=nruholC=p 97 Mc=rikarc= 48,51,99,154,162 Mcrire 153 Merirc= I , 146, 149 Mcrkelbach, R. 109 Meschenl:':r 61 Minnachi 97 Mölll:':r. G. 90 Monll:':l, P. 114 Monrsc=rral, D. 79 r-.!orc=nz, S. 44,45, 48, 53, 56, 60, 93, 97, 99,142,155,158-160 Morgan,j. de 132,133 Mollcr, D. 106 Münsll:':r-Planrikow, M. 98 Mur 111, 137 NaunC=1 15, 26 Navi1le, E. 38, 134 Ncf~r 123 Nefertem 26 Nehebka 91 Neheh 17 Nelson, H. H. 135 Nl:':phlh)'s 23,24, 42 Nl:':pre 61 Nl:':schons 61 Newberry, P. E. 98, 128, 137, 138 Nock-Feslugiere,?? 32 Nordheim, E. von 80 Nonhampton, M. von 128 Nufcr 98 Nun 14,15,26 Nut 17,23,24,56 Omlin, J. 99 Onuris 78 Osing, J. 69 Osiris 23, 24, 46, 71, 78, 83, 90, 160 Oua, E. 44,46,48,50,55-57,60,62,73, 94,106,119,124,132,133,136,140, 146,148,150, ISS, 158 Pahnesi 147 Pairi 119 Panchsi 143,144,146,148-150,152 Parcnnefer 143 Parsons, T. 54,82 Paser 97,98 Pa)'sas,J. M. 46 Pendlc=bury, N. 146
187
Pelosiris 93, 108 Petrie, FI. 132 Piaii 103 Piehl, K. 42, 132 Pieper, M. 99 Pleyle, W. 37,39,62 Posener, G. 37,42,44,52,61,95,112, 114,115,119,120,124,126,129,130, 139,141,148,150,153,155,156,158, 160 (P)Schai 35 Plah 26-29,56-58,61,63,78,84,85,92 Plahholl:':p 102,120,124,155 Ptah·Tatenen 29,30 Quaegebc=ur, J. 35 Raii 139,142,143,144, ISO, 152 Rama-Raii 98 Ramose 96 Ramses 11. 104 Ramses 111. 59,63,88, 104, 111 Ranke, H. 127,135,136 Re 47,56-58,63,68,77,84,85,92, 127, 150 Redford, D. B. 79 Recves, N. 79 Reilzenstein, R. 36 Roccati, A. 103, 116. 129 Roeder, G. 102 Römheld, D. 109 Rossi, F. 37,39,62 Rowe, E. A. 112, 163 Sachmel 115,119 Sander-Hansc=n, C. E. 39 Sandman, M. 42,57-59, 107, 115, 117, 126, 127, 130, 133, 134, 137, 142-146, 148-150,152-154,159,162 Sararis 37,70 Sauneron, S. 25,39, 68, 69 Schabaka 23 Schaeder, H. H. 36 Schenkel, W. 44 Schlögl, H. A. 15,26,78,81 Schmid, H.-H. 94, 120 Schmidt, W. 44 Schorl, E. 146 Schu 15-17,24,40,50-52,56,60,72,73, 77,90,149 Seele, K. S. 54 Seibert, P. 121,124,162 Semenchkare 119
000416bll
188
Namcnregister
Seih 23, 24 Selhc, K. 15, 26, 38, 49, 55, 58, 60, 63, 69 Se)'fried, K.). 131 Shirun-Grumach, 1 109 Sinuhc 147,148 Si-Sohek 154 Smith, M. 90 Sobck-Re 38 Spiegel,J. 44,153 Spicgelherg, W. 128, 130 Sriclencron, H. \'on 67 Sundermcier, T. 65, 66 Sutau 143,145,147 Suli 151 Ta·Tenen 55 Taiit 61 T:uenen 89 Tefnut 15-17,24,56,72,73,90 Tenemu 15 Thol 24, 27-30, 124 ThOlhcmheh 96 Thutmosis 111. 75 Tjuti 123 Topirseh. E. 62 Tosi, M. 103, 116,129 Traunecker, C. 90
TUlU 143,145 Tylor,).J. 78 Vandicr, J. 61 Varille, A. 98 Venus 61 Verhocven, U. 16 Vernus, P. 136 Vinmann, G. 39 Voegelin, E. 82 Weher. M. 66 Widengren, G. 36, 38 Wijngaarden, r-.t W. D. "an 93 Wild, H. 38, 88 Williams, R. J. 153 WiJson, J. A. 47 Wit, C. de 43 Wolf-Brinkm:lnn, E. 88 Wolff, H. W. 120 Yoyorte,). 68,158 Zabkar, L. V. 60,88 Z:lndee,J. 40,41,58, 1[0 Zeus 36 Zuntz, G. 36
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.,.••~'t.l4f III
MOnchil.