Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Rech...
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Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht
Begründet von Viktor Bruns
Herausgegeben von Armin von Bogdandy · Rüdiger Wolfrum
Band 215
Markus Benzing
Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten The Law of Evidence before International Courts and Arbitral Tribunals in Inter-State Disputes (English Summary)
ISSN 0172-4770 ISBN 978-3-642-11646-9 e-ISBN 978-3-642-11647-6 DOI 10.1007/978-3-642-11647-6 Springer Heidelberg Dordrecht London New York Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © by Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg 2010 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf : WMXDesign GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier Springer ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com)
Vorwort
Die vorliegende Studie ist eine leicht überarbeitete und aktualisierte Fassung meiner von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg im Wintersemester 2008/2009 angenommenen Dissertation. Sie wurde mit der Otto-Hahn-Medaille der Max-PlanckGesellschaft sowie mit dem Ruprecht-Karls-Preis der Stiftung Universität Heidelberg ausgezeichnet. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Rüdiger Wolfrum, für die kontinuierliche Unterstützung bei der Konzeption und Erstellung der Arbeit. Herrn Professor Dr. Burkhard Hess danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens und darin enthaltene hilfreiche weitere Anregungen. Den Direktoren des Max-Planck-Instituts in Heidelberg, Herrn Professor Dr. Armin von Bogdandy und Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Rüdiger Wolfrum, bin ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe des Instituts zu Dank verpflichtet. Ohne die kontinuierliche Unterstützung der Mitarbeiter der Bibliothek des Max-Planck-Instituts hätte ich Rechtsprechung und Literatur kaum aufarbeiten können. Stellvertretend möchte ich mich daher besonders bei Petra Weiler, Petra Austen, Sara von Skerst und Wolfgang Schönig bedanken. Natürlich waren auch die Freunde und Kollegen am Max-PlanckInstitut in Heidelberg nicht wegzudenken. Hervorheben möchte ich Alexandra Guhr, Sarah Wolf, Stefan Häußler, Dr. Ebrahim Afsah, Dr. Cristina Hoss, Isabel Feichtner, Dr. Markus Böckenförde, Markus Rau, Dr. Holger Hestermeyer, Dr. Nele Matz-Lück, Jürgen Friedrich und Matthias Goldmann. Yvonne Klein und Marina Filinberg aus dem Sekretariat Professor Wolfrums sowie Dr. Christiane Philipp sei für die stets herzliche und sehr hilfreiche „Mitbetreuung“ der Arbeit und ihres Verfassers gedankt. Ganz privat und daher umso wichtiger war die Unterstützung meiner Freunde Christoph Frank, Dr. Raphael Utz, Matthias Basler, Gleider I. Hernández und meines Bruders Christian Benzing. Von ganzem Herzen schließlich möchte ich mich bei den Menschen bedanken, die mir diese Arbeit und vieles andere erst ermöglichten und
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Vorwort
die mit mir (und gelegentlich an mir) gelitten haben: meinen Eltern, Margarete und Gerhard Benzing. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Frankfurt am Main, im November 2009
Markus Benzing
Inhaltsübersicht Erstes Kapitel: Einführung................................................................. 1 Zweites Kapitel: Quellen des Völkerprozessrechts und des Beweisrechts .......................................................................... 31 Drittes Kapitel: Beweisrechtlich relevante Grundsätze des Völkerprozessrechts .......................................... 115 Viertes Kapitel: Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Gericht und Parteien in der Tatsachenermittlung ........................................................................ 129 Fünftes Kapitel: Kooperationspflichten der Parteien ................................................................................................. 289 Sechstes Kapitel: Durchsetzung prozessualer Entscheidungen im Bereich der Tatsachenfeststellung ....................................................................... 327 Siebtes Kapitel: Beweisaufnahme und Beweismittel im internationalen Prozess ............................................................. 355 Achtes Kapitel: Grundsätze der Beweiswürdigung, Beweismaß und Beweiswert ........................................................... 493 Neuntes Kapitel: Die Beweislast im internationalen zwischenstaatlichen Prozess ........................... 585 Zehntes Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick ....................................................................................... 727 Summary .............................................................................................. 739 Literaturverzeichnis ......................................................................... 757
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Inhaltsübersicht
Sachregister ......................................................................................... 837
Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel: Einführung................................................................. 1 A. Programm ............................................................................................. 1 I. Untersuchungsgegenstand und Ziel der Arbeit......................... 1 II. Untersuchte Gerichte und Schiedsgerichte................................ 3 B. Relevanz des Themas und Skizze der Problematik ........................... 6 I. Keine Systematisierung des Beweisrechts internationaler Gerichte .............................................................. 6 II. Bedeutung und Funktion des Beweisrechts im internationalen Prozess ............................................................. 11 1. Ansteigen der Fälle strittiger Tatsachen vor internationalen Spruchkörpern ........................................... 12 2. Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen ................ 15 3. Legitimität und Effektivität gerichtlicher Entscheidungen .................................................................... 18 4. Organisatorische und kompetenzielle Rahmenbedingungen der internationalen Gerichtsbarkeit ..................................................................... 20 III. Schwerpunkte der Arbeit: spezifische Problembereiche des Beweisrechts........................................... 24 1. Rollenverteilung zwischen Parteien und Gericht: Gerichtliche Kompetenzen amtswegiger Tatsachenermittlung ............................................................. 24 2. Kooperationspflichten der Parteien und dritter Staaten ... 25 3. Mitwirkungsrechte und -pflichten von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen ........ 25 4. Durchsetzung des Prozess- und Beweisrechts................... 26 5. Beweisaufnahme, Beweiswürdigung, Beweismaß ............. 26 6. Beweislastverteilung............................................................. 28
Zweites Kapitel: Quellen des Völkerprozessrechts und des Beweisrechts .......................................................................... 31 A. Völkerprozessrecht ............................................................................ I. Definition des Völkerprozessrechts ......................................... II. Methodologische Vorfragen zur Quellenfrage ........................ 1. Die Möglichkeit eines einheitlichen Völkerprozessrechts.............................................................
31 31 35 37
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Inhaltsverzeichnis
2. Kompetenz und Pflicht internationaler Gerichte zur Anwendung einheitlichen Völkerprozessrechts ................ (a) Kompetenz zur Anwendung ........................................ (aa) Völkerstrafprozessrecht: Internationaler Strafgerichtshof .................................................... (bb) WTO-Streitbeilegung .......................................... (cc) Internationaler Gerichtshof und Internationaler Seegerichtshof ............................ (dd) Ergebnis ................................................................ (b) Pflicht zur Anwendung des Völkerprozessrechts....... 3. Parallelproblem: Gemeinsames Recht internationaler Organisationen? ................................................................... B. Völkerrechtliche Verträge als Rechtsquelle des Völkerprozessrechts........................................................................... I. Gerichtskonstituierende Verträge............................................. II. Bestimmungen in rechtsstreitrelevanten völkerrechtlichen Verträgen ...................................................... III. Vertragliche Absprachen der Parteien im konkreten Fall ............................................................................ 1. Vertragliche Modifikation des Prozessrechts ständiger internationaler Gerichte....................................................... (a) Statuten ständiger internationaler Gerichte................. (b) Verfahrensordnungen internationaler Gerichte .......... 2. Vereinbarungen in Bezug auf die Tatsachengrundlage und das Beweisrecht............................................................. IV. Kompetenzen der Gerichte und Schiedsgerichte kraft Sachzusammenhangs („implied“ oder „inherent powers“) ..................................................................... 1. Einführung: „Implied powers“ im Recht der internationalen Organisationen........................................... 2. „Implied“ oder „inherent powers“ im Recht der internationalen Gerichtsbarkeit .......................................... (a) Grundsatz....................................................................... (b) „Inherent“ oder „implied powers“? ............................. (c) Bedeutung von „inherent powers“ internationaler Gerichte für das Völkerprozessrecht ........................... V. Ergebnis ...................................................................................... C. Völkergewohnheitsrecht.................................................................... I. Allgemeine Grundsätze ............................................................. II. Völkerprozessrecht als Völkergewohnheitsrecht .................... III. Völkerrechtliche Verträge und Völkergewohnheitsrecht .......
40 40 41 43 43 44 45 45 48 49 50 51 52 52 56 57
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Inhaltsverzeichnis
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IV. Ergebnis ...................................................................................... D. Allgemeine Rechtsgrundsätze ........................................................... I. Allgemeine Rechtsgrundsätze im Völkerrecht ........................ 1. Aus den innerstaatlichen Rechtsordnungen hergeleitete Rechtsgrundsätze ............................................. 2. Allgemeine Rechtsgrundsätze des Völkerrechts ................ 3. Verhältnis der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu anderen Völkerrechtsquellen............................................... II. Allgemeine Rechtsgrundsätze im Völkerprozessrecht ........... 1. Allgemeine Rechtsgrundsätze als paradigmatische Rechtsquelle des Völkerprozessrechts? .............................. 2. Einwände gegen aus den nationalen Rechtsordnungen gefolgerte allgemeine prozessrechtliche Rechtsgrundsätze ................................................................. (a) Flexibilität des Prozessrechts........................................ (b) Prinzipiencharakter allgemeiner Rechtsgrundsätze und Prozessrecht ........................................................... (c) Vergleichbarkeit der Prozessrechtsordnungen (horizontaler Vergleich) ................................................ (d) Vergleichbarkeit nationaler und internationaler Streitbeilegung (vertikaler Vergleich)........................... (aa) Prozessrecht als öffentliches Recht..................... (bb) Vereinbarkeit mit dem Konsensprinzip ............. (e) Methodologische Bedenken.......................................... (f) Ergebnis.......................................................................... E. Richterrecht: Richterliche Entscheidungen und an Gerichte delegierte Rechtsetzung ..................................................................... I. Gerichtliche Entscheidungen in prozessualen Fragen als Völkerrechtsquelle................................................................ 1. Art. 38 Abs. 1 (d) IGH-Statut: gerichtliche Entscheidungen als subsidiäre Rechtserkenntnisquelle..... 2. Prozessrechtserzeugung durch repetitive und konvergierende Rechtsprechung internationaler Gerichte................................................................................. (a) Dogmatische Begründung der Rechtserzeugung durch internationale Gerichte....................................... (b) Souveränitäts- und Legitimitätseinwände ................... (c) Systemübergreifende Rechtsbildung............................ 3. Ergebnis ................................................................................ II. Delegierte Rechtsetzung: Verfahrensordnungen, „Practice Directions“ und „Codes of Conduct“.......................
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Inhaltsverzeichnis
1. Kompetenz internationaler Gerichte zum Erlass von Verfahrensordnungen und anderen prozessualen Rechtsinstrumenten ............................................................. 99 2. Erscheinungsformen delegierter Prozessrechtssetzung .. 100 (a) Verfahrensordnungen .................................................. 100 (aa) Weitgehende Autonomie des Gerichts ............. 100 (bb) Fehlende gerichtliche Befugnis ......................... 102 (cc) Zwischenlösungen.............................................. 102 (dd) Schiedsgerichte ................................................... 102 (b) Andere Instrumente .................................................... 103 (aa) IGH: Praxisanweisungen („Practice Directions“) und „Resolution concerning the internal judicial practice of the Court“ ............. 103 (bb) ISGH: Richtlinien („Guidelines“) .................... 104 (cc) WTO-Streitbeilegung ........................................ 105 (dd) Regionale Menschenrechtsgerichtshöfe und Strafgerichtshöfe ................................................ 105 3. Rechtsnatur von Instrumenten sekundärer Rechtsetzung....................................................................... 106 4. Grenzen der Prozessrechtssetzungsbefugnis von Gerichten ............................................................................ 107 (a) Hierarchisch höher stehende Regeln: Gerichtseinsetzende Verträge ..................................... 108 (b) Allgemeines Völkerprozessrecht................................ 109 5. Auslegung von Normen delegierter Rechtsetzung.......... 110 III. Spontane Rechtsetzungsbefugnis internationaler Gerichte .................................................................................... 110 F. Recht der privaten Schiedsgerichtsbarkeit als Inspirationsquelle des Völkerprozessrechts .................................................................. 111 G. Zusammenfassung ............................................................................ 112 I. Rechtsquellen des Völkerprozessrechts ................................. 112 II. Kompetenzen internationaler Gerichte zur Anwendung des Völkerprozessrechts .................................... 112
Drittes Kapitel: Beweisrechtlich relevante Grundsätze des Völkerprozessrechts .......................................... 115 A. Recht auf ein faires Verfahren und Gleichheit der Parteien.......... I. Allgemeine Grundsätze ........................................................... II. Relevanz im Beweisrecht......................................................... B. Dispositionsgrundsatz .....................................................................
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Inhaltsverzeichnis
Verfahrenseinleitung: fehlendes Fallzugriffsrecht des Gerichts .............................................................................. II. Festlegung des Streitgegenstandes: ne ultra petita................. III. Verfahrensbeendigung ............................................................. C. Öffentlichkeit des Verfahrens.......................................................... D. Recht auf eine Entscheidung des Streitfalls .................................... I. Recht auf Entscheidung des Streitfalles.................................. II. Begründungsgebot ...................................................................
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I.
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Viertes Kapitel: Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Gericht und Parteien in der Tatsachenermittlung ........................................................................ 129 A. Einführung in den Streitstand ......................................................... I. Streng kontradiktorisches Verfahren...................................... II. Verhandlungsgrundsatz ........................................................... III. Untersuchungsgrundsatz ........................................................ IV. Gang der Untersuchung .......................................................... B. Kompetenzen des Gerichts gegenüber Staaten .............................. I. Amtswegige Befugnisse gegenüber den Parteien des Rechtsstreits ....................................................................... 1. Internationaler Gerichtshof............................................... (a) Prozessleitungskompetenzen...................................... (b) Amtswegige Beweisaufnahme .................................... (aa) Urkunden ........................................................... (bb) Augenschein und Ortsbesichtigung ................. (c) Begrenzungen der Ermittlungstätigkeit..................... (d) Bindungswirkung der Beweisbeschlüsse nach Art. 49 IGH-Statut ...................................................... 2. Internationaler Seegerichtshof........................................... (a) Prozessleitungs- und Sachverhaltsermittlungskompetenzen................................................................ (b) Amtswegige Beweisaufnahme .................................... (aa) Urkunden ........................................................... (bb) Augenschein und Ortsbesichtigung ................. (c) Begrenzungen der Ermittlungstätigkeit..................... 3. Iran-US Claims Tribunal ................................................... (a) Prozessleitungs- und Sachverhaltsermittlungskompetenzen................................................................ (b) Begrenzungen der Ermittlungstätigkeit..................... (c) Amtswegige Beweisaufnahme .................................... (aa) Urkunden ...........................................................
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Inhaltsverzeichnis
(bb) Augenschein und Ortsbesichtigung ................. 4. WTO-Streitbeilegung ........................................................ (a) Prozessleitungskompetenzen...................................... (b) Amtswegige Beweisaufnahme .................................... (aa) Urkunden ........................................................... (bb) Augenschein und Ortsbesichtigung ................. (c) Begrenzungen der Ermittlungstätigkeit der Panels .. (aa) Behauptete, unstrittige und zugestandene Tatsachen............................................................. (bb) Begrenzungen durch das Erfordernis der Aufstellung eines prima facie case durch den Kläger.................................................................. (1) Rechtsprechung des Appellate Body................ (2) Vorschläge in der Literatur................................ (3) Exkurs: Funktion des prima facie case im angloamerikanischen Recht............................... (4) Übertragung auf das WTO-Verfahren und Ergebnis .............................................................. (d) Bindungswirkung der Panelanordnungen ................. 5. Zwischenstaatliche Schiedsgerichte .................................. (a) Tatsachenermittlungskompetenzen............................ (b) Begrenzung auf Behauptungen der Parteien und streitige Tatsachen........................................................ II. Amtswegige Befugnisse internationaler Gerichte gegenüber Drittstaaten ............................................................ 1. Einführung.......................................................................... 2. Kompetenzen einzelner internationaler Gerichte in Bezug auf Drittstaaten ....................................................... (a) Historische Betrachtung: Harvard Draft und I. Haager Übereinkommen von 1907......................... (b) Internationaler Gerichtshof und Internationaler Seegerichtshof .............................................................. 3. Stärker integrierte Streitbeilegungssysteme...................... 4. Verwendung der von Drittstaaten freiwillig zur Verfügung gestellten Informationen ................................. 5. Zusammenfassung .............................................................. C. Kompetenzen internationaler Gerichte zur amtswegigen Kooperation mit anderen internationalen Institutionen ............... I. Kooperation mit internationalen Organisationen ................. 1. Das Verhältnis internationaler Organisationen zueinander........................................................................... (a) Grundsätze...................................................................
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Inhaltsverzeichnis
(b) Koordination zwischen internationalen Organisationen ............................................................ (c) Kooperationsgebot zwischen internationalen Organisationen ............................................................ 2. Allgemeine Grundsätze zum Verhältnis internationaler Gerichte zu internationalen Organisationen.................... (a) Internationaler Gerichtshof ........................................ (aa) Art. 34 Abs. 2 Satz 1 IGH-Statut...................... (bb) Art. 34 Abs. 2 Satz 2 IGH-Statut...................... (b) Internationaler Seegerichtshof.................................... (c) WTO-Streitbeilegungsmechanismus ......................... 3. JStGH und RStGH als Spezialfälle des Verhältnisses internationaler Gerichte zu internationalen Organisationen ................................................................... 4. Zwischenergebnis ............................................................... II. Amtswegige Kooperation in der Beweiserhebung mit anderen internationalen Gerichten .................................. 1. Freiwillige Kooperation..................................................... 2. Kooperationspflichten ....................................................... 3. Grenzen der Kooperation: Konflikt mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der gerichtlichen Funktion......................................... III. Kompetenzen in Bezug auf atypische Völkerrechtssubjekte ............................................................... 1. Internationale Strafgerichtshöfe ........................................ 2. Zwischenstaatliche Gerichte.............................................. D. Amtswegige Kompetenzen in Bezug auf natürliche und juristische Personen nationalen Rechts........................................... I. Amtswegige Ladung von Zeugen ........................................... 1. Kompetenz internationaler Gerichte zur Zeugenladung ..................................................................... (a) Internationaler Gerichtshof ........................................ (b) Internationaler Seegerichtshof.................................... (c) Iran-US Claims Tribunal............................................. (d) WTO-Streitbeilegung.................................................. 2. Adressat der Ladung und Bindungswirkung ................... (a) IGH und ISGH ........................................................... (b) WTO-Streitbeilegung.................................................. (c) Internationale Strafgerichtshöfe und EuGH ............. 3. Ergebnis .............................................................................. II. Amtswegige Bestellung von Sachverständigen und Anordnung der Untersuchung ...............................................
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Inhaltsverzeichnis
(a) Internationaler Gerichtshof ........................................ (b) Internationaler Seegerichtshof.................................... (c) Iran-US Claims Tribunal............................................. (d) WTO-Streitbeilegung.................................................. III. Anordnung der Herausgabe von Dokumenten gegenüber Einzelpersonen ...................................................... IV. Befugnisse gegenüber Nichtregierungsorganisationen und amici curiae ....................................................................... 1. Internationaler Gerichtshof............................................... (a) Eingaben von Nichtregierungsorganisationen .......... (b) Eingaben von Einzelpersonen .................................... (c) Practice Direction XII................................................. 2. Internationaler Seegerichtshof........................................... 3. Iran-US Claims Tribunal ................................................... 4. WTO-Streitbeilegung ........................................................ 5. Ergebnis .............................................................................. V. Zwischenergebnis..................................................................... E. Synthese: Kompetenzleitende Grundsätze in der Beweiserhebung................................................................................ I. Zusammenfassung der Untersuchung .................................... 1. Prozessleitungsbefugnisse.................................................. 2. Möglichkeiten zur amtswegigen Beweiserhebung........... 3. Grenzen der Ermittlungsbefugnisse ................................. 4. Keine Pflicht zur eigenen Tatsachenermittlung ............... (a) Grundsatz..................................................................... (b) Modifikationen aufgrund von Art. 53 IGH-Statut und Art. 28 ISGH-Statut?........................................... 5. Bindungswirkung der Beweisbeschlüsse .......................... 6. Ergebnis .............................................................................. II. Ermessensleitende materiellrechtsbezogene Auslegung der Beweiserhebungskompetenzen ..................... 1. Der Anwendungsbereich des Art. 31 Abs. 3 (c) WVK ... 2. Einbeziehung asymmetrischer Verpflichtungsstrukturen................................................... 3. Flexible kontextbezogene Auslegung derselben Norm in unterschiedlichen Kontexten......................................... 4. Ergebnis .............................................................................. III. Operationalisierung des Ergebnisses...................................... 1. Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Herausbildung von Interessen der internationalen Gemeinschaft ......................................................................
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Inhaltsverzeichnis
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2. Interessen der internationalen Gemeinschaft im Völkerprozessrecht ............................................................ 282 3. Orientierung der Prozessmaximen an Gemeinschaftsinteressen.................................................... 286
Fünftes Kapitel: Kooperationspflichten der Parteien ................................................................................................. 289 A. Allgemeine Kooperationspflichten ................................................. I. Kooperationspflichten im Prozess als Folge der allgemeinen Streitbeilegungspflicht ........................................ 1. Allgemeines Kooperationsgebot im Völkerrecht ............ 2. Kooperation im Völkerprozessrecht ................................ (a) Pflicht zur loyalen Prozessführung............................ (b) Kooperationspflichten in der Stoffsammlung und Beweisaufnahme .......................................................... 3. Kooperationsverpflichtete ................................................. II. Fürsorge- und Hinweispflichten des Gerichts ...................... B. Konkrete Zusammenarbeitspflichten ............................................. I. Vertikale Kooperationspflicht mit dem internationalen Gericht............................................................ 1. Konkrete vertikale Kooperationspflicht........................... 2. Uneingeschränkte Kooperationspflicht mit dem Gericht im internationalen Prozess .................................. (a) Die Parker-Regel ......................................................... (b) Ablehnung einer allgemeinen uneingeschränkten Offenbarungspflicht .................................................... II. Horizontale Kooperationspflicht zwischen den Parteien .... 1. Rechtsvergleichende Untersuchung.................................. (a) Informationsbeschaffung im US-amerikanischen Zivilprozess: „Pre-trial discovery“ ............................. (b) Informationsbeschaffung in England: „Disclosure“.................................................................. (c) Informationsbeschaffung in Frankreich .................... (d) Informationsbeschaffung in Deutschland ................. 2. Herausgabepflichten auf Antrag einer Partei („discovery“) vor internationalen Gerichten .................... (a) Offenlegungs- und Herausgabepflichten nach der Rechtsprechung des IGH ........................................... (b) Offenlegungs- und Herausgabepflichten unter dem DSU......................................................................
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(c) Offenlegungs- und Herausgabepflichten in der Rechtsprechung des IUSCT ....................................... (d) Offenlegungs- und Herausgabepflichten in der zwischenstaatlichen Schiedsgerichtsbarkeit............... C. Zusammenfassung ............................................................................ D. Materiellrechtliche Informations- und Auskunftspflichten..........
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Sechstes Kapitel: Durchsetzung prozessualer Entscheidungen im Bereich der Tatsachenfeststellung ....................................................................... 327 A. Innerprozessuale Sanktionsmöglichkeiten des Gerichts bei Nichtbefolgung von Beweisanordnungen...................................... I. Feststellung der Weigerung ..................................................... II. Beweisrechtliche Rückschlüsse zu Ungunsten der sich weigernden Partei............................................................. 1. Kompetenz internationaler Gerichte zum Ziehen negativer Schlüsse............................................................... 2. Praxis internationaler Gerichte ......................................... 3. Zusammenfassung .............................................................. B. Zwangsbefugnisse gegenüber Einzelpersonen ............................... C. Durchsetzung von Beweisanordnungen in Kooperation mit nationalen Behörden und Gerichten............................................... I. Anwendbarkeit bzw. Vollstreckbarkeit prozessualer Entscheidungen und Anordnungen internationaler Gerichte in nationalen Rechtsordnungen?............................. II. Rechtshilfeersuchen durch das internationale Gericht oder Schiedsgericht an nationale Gerichte oder Behörden... 1. Anwendbarkeit international-zivilverfahrensrechtlicher Staatsverträge in zwischenstaatlichen Verfahren ... 2. Rechtshilfeersuchen aufgrund vertraglicher Ermächtigung und nach allgemeinem Völkerrecht ......... D. Allgemeine staatliche Umsetzungspflicht und Gegenmaßnahmen............................................................................ I. Umsetzungspflicht prozessualer Entscheidungen................. II. Gegenmaßnahmen ................................................................... E. Ergebnis ............................................................................................
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Siebtes Kapitel: Beweisaufnahme und Beweismittel im internationalen Prozess ............................................................. 355 A. Gegenstand der Beweisaufnahme.................................................... 355 I. Einführung ............................................................................... 355
Inhaltsverzeichnis
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II. Der Grundsatz iura novit curia .............................................. III. Modifizierungen des Grundsatzes im Bereich des Völkervertragsrechts................................................................ IV. Iura novit curia und Völkergewohnheitsrecht ...................... 1. Universelles Völkergewohnheitsrecht .............................. 2. Regionales Völkergewohnheitsrecht ................................ V. Iura novit curia und Art. 38 Abs. 1 (c) und (d) IGH-Statut ............................................................................... VI. Nationales Recht im Völkerprozessrecht .............................. VII. Zusammenfassung.................................................................... B. Zulässigkeit der Beweisaufnahme ................................................... I. Entscheidungserheblichkeit .................................................... II. Beweisbedürftigkeit ................................................................. 1. Nicht bestrittene Tatsachen und Beweisabsprachen........ (a) Grundsatz..................................................................... (b) Beweisabsprachen........................................................ (c) Substantiierungspflicht des Gegners .......................... 2. Offenkundige Tatsachen .................................................... 3. Einseitig zugestandene Tatsachen: Geständnis und Estoppel ............................................................................... (a) Gerichtliches Geständnis ............................................ (b) Außergerichtliche Aussagen mit Geständniswirkung ..................................................... (c) Tatsachen, die nach dem Estoppel-Grundsatz als zugestanden gelten....................................................... (d) Weitere Geständnisfiktionen im Völkerprozessrecht...................................................... 4. Bindung an Tatsachenfeststellungen anderer internationaler Gerichte oder internationaler Organisationen ................................................................... (a) Bindung an gerichtlich festgestellte Tatsachen .......... (aa) Res judicata und andere Bindungswirkungen im Völkerprozessrecht....................................... (bb) Bindung an Tatsachenfeststellungen................. (cc) Indirekte Bindung über die Streitparteien ....... (dd) Ergebnis .............................................................. (ee) Exkurs: Praktische Lösung in Massenverfahren ................................................ (b) Bindung an Tatsachenfeststellungen nichtgerichtlicher Organe internationaler Organisationen ............................................................
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(aa) Bindung internationaler Gerichte an Tatsachenfeststellungen des VN-Sicherheitsrats............................................. (bb) Bindung internationaler Gerichte an Tatsachenfeststellungen der VN-Generalversammlung ................................. (cc) Bindung der WTO-Panels an Tatsachenfeststellungen des Internationalen Währungsfonds .................................................. (dd) Zusammenfassung und weitere Fälle................ 5. Bindung an Tatsachenfeststellungen nationaler Gerichte............................................................................... III. Beweisverbote .......................................................................... 1. Staatliche Beweisverweigerungsrechte wegen Sicherheitsinteressen .......................................................... (a) Allgemeine Regel für zwischenstaatliche Verfahren ...................................................................... (aa) Situation vor dem IGH, dem ISGH und dem IUSCT................................................................. (bb) Rechtsprechung des WTO-Streitbeilegungsgremiums................................................ (b) Internationale Strafgerichtshöfe, regionale Menschenrechtsgerichtshöfe und EuGH .................. (c) Zusammenfassung ....................................................... 2. Unternehmensgeheimnisse ................................................ 3. Zeugnisverweigerungsrechte wegen besonderer Vertrauensstellung bestimmter Berufsangehöriger.......... (a) Anwaltsgeheimnis........................................................ (b) Beichtgeheimnis ........................................................... (c) Arztgeheimnis.............................................................. 4. Mitarbeiter von Presse und Rundfunk, insbesondere Kriegsberichterstatter......................................................... 5. Selbstbelastung von Parteien und Zeugen ........................ 6. Beweisverweigerungsrechte internationaler Organisationen und atypischer Völkerrechtssubjekte .... (a) Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz ........ (aa) Aussageverweigerungsrechte vor internationalen Strafgerichten ........................... (bb) Übertragung auf zwischenstaatliche Streitigkeiten....................................................... (b) Andere internationale Organisationen....................... 7. Rechtswidrig erlangte Beweismittel..................................
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Inhaltsverzeichnis
XXI
(a) Rechtsvergleichende Aspekte ..................................... (b) Illegal erlangte Beweise im Völkerprozessrecht........ (c) Beweislast hinsichtlich der völkerrechtswidrigen Erlangung der Beweismittel........................................ 8. Beweise aus gescheiterten Versuchen zu gütlicher Einigung (außergerichtlichen Vergleichen) ...................... 9. Beweismittelverträge .......................................................... 10. Zusammenfassung .............................................................. IV. Zusammenfassung: Zulässigkeit der Beweisaufnahme.......... C. Organisation der Beweisaufnahme ................................................. I. Verfahrensleitende Befugnisse internationaler Gerichte....... II. Beweisantritte der Parteien ..................................................... III. Zurückweisung von Beweisanträgen...................................... 1. Der Grundsatz der Beweismittelerschöpfung.................. 2. Fristen zur Beweisaufnahme ............................................. 3. Zurückweisung verspäteter Beweismittel......................... D. Beweismittel im internationalen Prozess........................................ I. Allgemeine Grundsätze zur Zulässigkeit von Beweismitteln ........................................................................... 1. Abschließender Katalog von Beweismitteln im internationalen Verfahrensrecht? ...................................... 2. Formelle Hierarchie verschiedener Beweismittel? .......... II. Voraussetzungen und Verfahren bezüglich einzelner Beweismittel............................................................. 1. Urkunden............................................................................ 2. Zeugen................................................................................. (a) Der Zeugenbeweis allgemein ...................................... (aa) Zulässigkeit des Zeugenbeweises ...................... (bb) Zeugnisfähigkeit: Der Partei nahestehende Zeugen und Parteivernehmung......................... (1) Rechtsvergleichende Betrachtung..................... (2) Die Partei und ihr nahestehende Personen als Zeugen vor internationalen Gerichten ............. (cc) Sachverständige Zeugen..................................... (dd) Zeuge vom Hörensagen (hearsay evidence)..... (ee) Verfahren der Zeugenvernehmung ................... (ff) Zwangsbefugnisse des Gerichts gegenüber Zeugen................................................................. (b) Affidavits und schriftliche Zeugenaussagen .............. 3. Sachverständige und Untersuchung.................................. (a) Vom Gericht bestellte Sachverständige ......................
436 436 439 440 441 442 442 443 443 444 446 446 447 448 453 453 453 455 456 456 458 459 459 459 460 461 463 464 465 467 467 470 471
XXII
Inhaltsverzeichnis
(aa) Die Bestellung von Sachverständigen durch das internationale Gericht ................................. (bb) Stellung der Sachverständigen und Würdigung durch das Gericht .......................... (cc) Ablehnung von Gerichtssachverständigen....... (dd) Verfahrensgarantien für die Parteien ................ (ee) Kooperationspflichten der Parteien.................. (ff) Beisitzer .............................................................. (b) Parteisachverständige .................................................. (aa) Parteisachverständige im internationalen Prozess ................................................................ (bb) Überprüfung der Sachkunde des Sachverständigen: voir dire-Prozedur .............. (c) Untersuchung .............................................................. 4. Augenschein und Ortsbesichtigung.................................. (a) Augenscheinsbeweis allgemein................................... (b) Ortsbesichtigungen ..................................................... 5. Auskünfte internationaler Organisationen ...................... 6. Amicus curiae-Eingaben..................................................... (a) Definition und Funktion............................................. (b) Praxis internationaler Gerichte: Möglichkeit und Voraussetzungen der Zulassung ................................. (c) Mögliche Personen und Institutionen........................ (d) Legitimitätsbedenken .................................................. III. Zusammenfassung: Beweismittel im internationalen Prozess ...........................................................
471 472 473 474 476 478 479 479 480 481 482 482 483 484 484 484 487 489 489 491
Achtes Kapitel: Grundsätze der Beweiswürdigung, Beweismaß und Beweiswert ........................................................... 493 A. Grundsätze der Beweiswürdigung vor internationalen Gerichten........................................................................................... I. Internationaler Gerichtshof .................................................... II. Internationaler Seegerichtshof ................................................ III. Iran-US Claims Tribunal......................................................... IV. WTO-Streitbeilegung .............................................................. 1. Abgrenzung der Tatsachenkompetenzen der Panels und des Berufungsgremiums ............................................. (a) Grundsatz..................................................................... (b) Überprüfung der Beweisaufnahme der Panels durch das Berufungsgremium..................................... (c) Vervollständigung der rechtlichen Analyse ...............
493 494 495 496 496 496 496 497 498
Inhaltsverzeichnis
XXIII
2. Leitende Grundsätze in der Beweiswürdigung................ V. Regionale Menschenrechtsgerichtshöfe ................................. VI. Internationale Strafgerichtshöfe.............................................. VII. Schiedsgerichte ......................................................................... VIII.Zusammenfassung.................................................................... B. Das Beweismaß in Verfahren vor internationalen Gerichten ....... I. Einführung ............................................................................... II. Rechtsvergleichende Aspekte.................................................. 1. Das Beweismaß im deutschen Recht ................................ 2. Das Beweismaß im französischen Recht .......................... 3. Das Beweismaß im englischen Recht................................ 4. Das Beweismaß im US-amerikanischen Recht ................ 5. Ergebnis .............................................................................. III. Untersuchung der Rechtsprechung internationaler Gerichte zum Beweismaß.............................. 1. Internationaler Gerichtshof............................................... (a) Grundregel ................................................................... (b) Erhöhtes Beweismaß bei schwerwiegenden Rechtsverletzungen ..................................................... (c) Beweismaß in Zuständigkeits- und Zulässigkeitsfragen ...................................................... (d) Beweismaß in Eilverfahren ......................................... (e) Beweismaß in Säumnisverfahren (Art. 53 IGHStatut) ........................................................................... 2. Internationaler Seegerichtshof........................................... (a) Beweismaß im Hauptverfahren .................................. (b) Beweismaß im Schiffsfreigabeverfahren nach Art. 292 SRÜ................................................................ 3. Iran-US Claims Tribunal ................................................... 4. WTO-Streitbeilegung ........................................................ (a) Überprüfungsmaßstab bzw. Kontrolldichte („standard of review“)................................................. (b) Beweismaß.................................................................... 5. Regionale Menschenrechtsgerichtshöfe............................ (a) Europäischer Menschenrechtsgerichtshof ................. (b) Interamerikanischer Menschenrechtsgerichtshof ..... 6. Das Beweismaß in der Rechtsprechung älterer Schiedsgerichte ................................................................... 7. Eritrea Ethiopia Claims Commission............................... IV. Zusammenfassung.................................................................... C. Der Beweiswert ................................................................................ I. Allgemeine Grundsätze zum Beweiswert ..............................
499 500 502 502 503 504 504 506 507 508 508 510 510 512 512 513 515 521 522 522 523 523 524 525 527 528 532 537 537 540 541 543 548 550 550
XXIV
Inhaltsverzeichnis
II.
Bewertung einzelner Beweismittel durch die Rechtsprechung........................................................................ 1. Beweise aus neutraler Quelle oder gegen die Interessen eines Staates......................................................................... (a) Zeugen .......................................................................... (b) Äußerungen von der Partei zuzurechnenden Personen außerhalb des Forums................................. (c) Verallgemeinerung ....................................................... 2. Schriftliche Zeugenaussagen und „affidavits“.................. 3. Parteiaussagen..................................................................... 4. Sachverständigengutachten und Privatgutachter ............. (a) Gerichtliche Sachverständige...................................... (b) Privatgutachter............................................................. 5. Medienberichte ................................................................... 6. Kartenmaterial .................................................................... 7. Berichte nationaler Behörden............................................ 8. Berichte und Beschlüsse internationaler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen ...... (a) Internationale Organisationen.................................... (b) Nichtregierungsorganisationen .................................. 9. Tatsachenfeststellungen in Urteilen anderer internationaler Gerichte sowie in urteilsähnlichen Berichten ............................................................................. III. Zusammenfassung.................................................................... D. Der Indizienbeweis .......................................................................... I. Zulässigkeit des Indizienbeweises .......................................... II. Anforderungen an die Schlüssigkeit der Indizien ................. E. Zusammenfassung: Die Beweiswürdigung vor internationalen Gerichten........................................................................................... I. Grundsätze der Beweiswürdigung ......................................... II. Beweismaß................................................................................ III. Beweiswert ...............................................................................
553 553 553 555 556 556 560 561 561 562 563 566 570 571 572 576
576 578 578 579 580 581 581 582 583
Neuntes Kapitel: Die Beweislast im internationalen zwischenstaatlichen Prozess ........................... 585 A. Einleitung.......................................................................................... I. Begriffliche Unsicherheiten in der Behandlung von Beweislastfragen vor internationalen Gerichten.................... II. Bedeutung und Funktionen der Beweislast im internationalen Prozess ........................................................... III. Arten der Beweislast: Rechtsvergleichende Aspekte.............
585 585 587 589
Inhaltsverzeichnis
XXV
1. Deutsches Recht ................................................................. (a) Objektive Beweislast ................................................... (b) Subjektive Beweislast .................................................. (c) Weitere Lasten.............................................................. 2. Angloamerikanisches Recht .............................................. (a) „Burden of persuasion“................................................ (b) „Evidential burden“ .................................................... (c) Andere Formen von „burden“ ................................... 3. Französisches Recht ........................................................... IV. Mögliche Kriterien für die Verteilung der objektiven Beweislast............................................................... 1. Verteilung nach Parteirollen oder Prozessverhalten: „actori incumbit probatio“................................................. 2. Beweislastverteilung nach materiellen Grundsätzen ....... (a) Sphärentheorie ............................................................. (b) Wahrscheinlichkeitserwägungen ................................ (c) Angreiferprinzip .......................................................... (d) Verteilung nach Informationsbesitz/Beweisnähe...... (e) Zusammenfassung ....................................................... 3. Modifizierte Normentheorie............................................. (a) Normentheorie in Deutschland.................................. (b) Ähnliche Ansätze in anderen Zivilprozessordnungen ............................................... (c) Übertragung der modifizierten Normentheorie auf das Völkerrecht............................................................ B. Untersuchung der Rechtsprechung internationaler Gerichte....... I. Ständiger Internationaler Gerichtshof und Internationaler Gerichtshof .................................................... 1. Grundsatz ........................................................................... 2. Beweislast bezüglich der Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse ............................................................. (a) Beweislast in Zuständigkeitsfragen ............................ (aa) Art. 36 IGH-Statut: Konsensprinzip................ (bb) Art. 34 und 35 IGH-Statut: Parteifähigkeit ..... (b) Beweislast in Zulässigkeitsfragen ............................... (aa) Klagebefugnis bei der Ausübung diplomatischen Schutzes: Staatsangehörigkeit ................. (bb) Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs ......................................................... II. Internationaler Seegerichtshof ................................................ 1. Grundsatz ........................................................................... 2. Beweislast in Zuständigkeits- und Zulässigkeitsfragen ...
589 589 589 590 591 591 592 592 593 594 595 598 598 598 598 599 599 600 600 601 605 608 608 608 610 610 610 615 616 617 619 625 625 626
XXVI
Inhaltsverzeichnis
(a) Hauptsacheverfahren................................................... (b) Schiffsfreigabeverfahren.............................................. III. Iran-US Claims Tribunal......................................................... 1. Grundsatz ........................................................................... 2. Prima facie-Standard und Beweislast................................ IV. WTO-Streitbeilegung .............................................................. 1. Grundsatz ........................................................................... (a) Entwicklung der Rechtsprechung zur Beweislast..... (b) Prima facie case und Beweislast.................................. (c) Korrektur des Ergebnisses durch materielle Kriterien?...................................................................... (d) Ergebnis........................................................................ 2. Ausnahmen, Rechtfertigungstatbestände und Tatbestandsausnahmen....................................................... (a) Art. XX GATT und XIV GATS ................................ (b) Art. XXIV GATT........................................................ (c) Ausnahmevorschriften im SPS ................................... (aa) Art. 3 Abs. 1 bis 3 SPS: Harmonisierung ......... (bb) Art. 5 Abs. 7 SPS ................................................ (d) Ausnahmevorschriften im TBT.................................. (aa) Art. 2 Abs. 4 TBT .............................................. (bb) Art. 2 Abs. 5 S. 2 TBT........................................ (e) Art. 6 ÜTB ................................................................... (f) Ergebnis: Rechtfertigungstatbestände und Tatbestandsausnahmen................................................ 3. Rechtsfolgen eines non liquet ............................................ 4. Besonderheiten in der Streitschlichtung mit Entwicklungsländern ......................................................... (a) Einleitung ..................................................................... (b) Art. 27 Abs. 2 und 4 ASÜ ........................................... (c) Enabling Clause........................................................... V. Regionale Menschenrechtsgerichtshöfe ................................. 1. Europäischer Menschenrechtsgerichtshof........................ (a) Beweislast bei Staatenbeschwerden............................ (b) Beweislast für die Rechtswegerschöpfung bei Staatenbeschwerden..................................................... (c) Beweislast bei Individualbeschwerden....................... 2. Interamerikanischer Menschenrechtsgerichtshof ............ VI. Schiedsgerichte ......................................................................... 1. Ältere Schiedsgerichte und gemischte Schiedskommissionen ........................................................ (a) Grundregel ...................................................................
627 629 632 632 633 634 635 635 637 642 643 644 645 647 647 647 651 652 652 655 656 656 658 659 659 659 660 662 662 662 663 663 664 664 664 664
Inhaltsverzeichnis
XXVII
(b) Beweislast für Ausnahmevorschriften ....................... 2. Jüngere Schiedsgerichte...................................................... 3. ICSID-Schiedsgerichte ...................................................... VII. Zusammenfassung.................................................................... 1. Grundregel für die Beweislastverteilung .......................... (a) Objektive Beweislast ................................................... (aa) Konsentierte Grundregel: actori incumbit probatio ............................................................... (bb) Mängel der actori-Regel und Alternativen....... (b) Subjektive Beweislast .................................................. 2. Bedeutung des prima facie case für die Beweislastverteilung........................................................... C. Beweislastumkehr und Beweiserleichterungen.............................. I. Definitionen von Beweislastumkehr und Beweiserleichterungen............................................................. II. Gesetzliche Vermutungen im internationalen Prozess ...................................................................................... 1. Vermutungen im nationalen Recht ................................... (a) Gesetzliche Tatsachenvermutungen ........................... (b) Tatsächliche Vermutungen .......................................... (c) Rechtsvermutungen..................................................... 2. Vermutungen im Völkerprozessrecht............................... (a) Grundsätzliche Einwände gegen gesetzliche Tatsachenvermutungen im Völkerrecht..................... (b) Wirkungen der Vermutungen ..................................... 3. Einzelfälle............................................................................ (a) WTO-Recht ................................................................. (aa) Art. 3 Abs. 2 SPS ................................................ (bb) Art. 2 Abs. 5 TBT .............................................. (cc) Art. 3 Abs. 8 DSU.............................................. (dd) Art. 10 Abs. 3 ÜLW ........................................... (b) Art. 42 IAKMR-VerfO ............................................... (c) Art. 52 Abs. 3 ZP I ...................................................... 4. Ergebnis .............................................................................. III. Beweislastumkehr oder Beweiserleichterung bei Informationsasymmetrie ......................................................... 1. Pflichtigkeit der territorialen Souveränität....................... (a) Der Corfu Channel-Fall ............................................. (b) Fälle militärischer Besetzung ...................................... (c) Ausdehnung auf weitere Fälle?................................... 2. Weitere Fälle der Beweiserleichterungen bei Beweisnot der beweispflichtigen Partei ..............................................
667 667 668 670 670 670 670 671 672 673 674 674 675 675 675 677 678 678 678 681 683 683 683 685 685 687 688 689 690 690 691 691 694 695 695
XXVIII
Inhaltsverzeichnis
(a) Spontane Editionspflicht bei Urkunden im Falle der Beweisnot............................................................... (b) „Probatio diabolica“ und „prima facie evidence“ ..... 3. Beweisvereitelung............................................................... 4. Besonderheiten im Menschenrechtsschutz ...................... (a) Fälle des Verschwindenlassens.................................... (b) Beweislastumkehr bei Verletzungen von Art. 3 EMRK bzw. Art. 5 AMRK......................................... (c) Diskriminierungsfälle.................................................. 5. Ergebnis .............................................................................. IV. Beweislastumkehr und Beweiserleichterungen im Umweltvölkerrecht.................................................................. 1. Beweiserleichterungen bei bereits eingetretenen Umweltschäden .................................................................. 2. Beweislastregelungen bei drohenden Schäden ................. (a) Präventionsprinzip ...................................................... (b) Das Vorsorgeprinzip als Völkergewohnheitsrecht ... (aa) Anwendungsbereich .......................................... (bb) Normativer Status des Vorsorgeprinzips und Rechtsfolgen ....................................................... 3. Anwendung vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten ................................................................. (a) Nuclear Tests-Fall ........................................................ (b) Southern Bluefin Tuna-Fälle....................................... (c) MOX Plant-Fall (ISGH) ............................................ (d) MOX Plant-Fall (Annex VII SRÜ-Tribunal) ........... (e) MOX Plant-Fall (OSPAR-Tribunal) ......................... (f) EC – Hormones ........................................................... (g) EC – Approval and Marketing of Biotech Products ........................................................................ 4. Beweislastumkehr oder Beweismaßreduzierung? ........... (a) Beweislastumkehr........................................................ (b) Modifizierte Beweislastverteilung .............................. (c) Beweiserleichterung..................................................... D. Zusammenfassung: Die Beweislast vor internationalen Gerichten...........................................................................................
695 697 700 701 701 702 703 703 704 704 706 706 707 708 711 712 713 714 715 716 716 719 719 719 720 721 721 724
Zehntes Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick ....................................................................................... 727 A. Zusammenfassung der Ergebnisse .................................................. 727 I. Systematisierung und Einheitlichkeit des Beweisrechts ....... 727
Inhaltsverzeichnis
XXIX
II.
Quellen des Beweisrechts und die Frage eines einheitlich geltenden Beweisrechtes ....................................... III. Verfahrensgrundsätze .............................................................. IV. Kooperationspflichten der Parteien........................................ V. Durchsetzung des Beweisrechts ............................................. VI. Beweisaufnahme....................................................................... 1. Flexibilität der Beweisaufnahme ....................................... 2. Beweisbedürftigkeit ........................................................... 3. Beweisverbote..................................................................... VII. Beweismittel ............................................................................. VIII.Beweiswürdigung, Beweismaß und Beweiswert ................... 1. Beweiswürdigung ............................................................... 2. Beweismaß .......................................................................... 3. Beweiswert.......................................................................... IX. Beweislastverteilung ................................................................ 1. Existenz und Ausgestaltung der Beweislast ..................... 2. Beweiserleichterungen und Beweislastumkehr................ B. Ausblick ............................................................................................
728 728 729 730 730 730 731 731 732 733 733 733 734 734 734 735 736
Summary ............................................................................................... 739 Literaturverzeichnis .......................................................................... 757 Sachregister .......................................................................................... 837
Abkürzungsverzeichnis
ABA Journal
American Bar Association Journal
ADÜ
Anti-Dumpingübereinkommen
AFDI
Annuaire Français de Droit International
AJCL
American Journal of Comparative Law
AJIL
American Journal of International Law
American University ILR American University International Law Review AMRK
Amerikanische Konvention über Menschenrechte
ARIA
American Review of International Arbitration
ARIEL
Austrian Review of International and European Law
ASIL
American Society of International Law
ASIL Proc.
Proceedings of the American Society of International Law
ASÜ
Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen
Australian YBIL
Australian Yearbook of International Law
AVR
Archiv des Völkerrechts
AYIL
Australian Yearbook of International Law
BerDGV
Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht
Berkeley JIL
Berkeley Journal of International Law
Boston University ILJ
Boston University International Law Journal
BYIL
British Yearbook of International Law
CBD
Convention on Biological Diversity
CC
Code civil (Frankreich)
Chinese JIL
Chinese Journal of International Law
XXXII
Abkürzungsverzeichnis
CLF
Criminal Law Forum
Columbia JTL
Columbia Journal of Transnational Law
Cornell ILJ
Cornell International Law Journal
CPR
Civil Procedure Rules (England)
CR
Compte rendu (Wortprotokoll der mündlichen Verhandlung vor dem IGH)
CYIL
Canadian Yearbook of International Law
DSB
Dispute Settlement Body
DSU
Dispute Settlement Understanding
Duke JCIL
Duke Journal of Comparative and International Law
ECHR
European Court of Human Rights, Reports of Judgments and Decisions (amtl. Sammlung)
EECC
Eritrea-Ethiopia Claims Commission
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
EKMR
Europäische Kommission für Menschenrechte
ELJ
European Law Journal
ELR
European Law Review
EMRK
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
EuG
Europäisches Gericht erster Instanz
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EuKG
Europäisches Kernenergiegericht
EuR
Europarecht
EWS
Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
FAO
Food and Agricultural Organization
Fordham ILJ
Fordham International Law Journal
FRCP
Federal Rules of Civil Procedure (USA)
GA
Goltdammer’s Archiv für Strafrecht
GATS
General Agreement on Trade in Services
GATT
General Agreement on Tariffs and Trade
GYIL
German Yearbook of International Law
Abkürzungsverzeichnis
XXXIII
Harvard ILJ
Harvard International Law Journal
Hastings ICLR
Hastings International and Comparative Law Review
HBÜ
Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen
HRLR
Human Rights Law Review
HRRS
Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht
IAEA
International Atomic Energy Agency
IAGMR
Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte
IAKMR
Interamerikanische Kommission für Menschenrechte
IBA
International Bar Association
ICAO
International Civil Aviation Organisation
ICC
International Chamber of Commerce
ICJ Rep.
ICJ Reports
ICLQ
International and Comparative Law Quarterly
ICLR
International Criminal Law Review
ICSID
International Centre for Settlement of Investment Disputes
ICSID-AR
ICSID Rules of Procedure for Arbitration Proceedings
ICSID-Ü
ICSID-Übereinkommen
IDI Annuaire
Annuaire de l’Institut de droit international
IECL
International Encyclopedia of Comparative Law
IFOR
Implementation Force
IGH
Internationaler Gerichtshof
IJIL
Indian Journal of International Law
IJMCL
International Journal of Marine and Coastal Law
IKRK
Internationales Komitee vom Roten Kreuz
ILC
International Law Commission
XXXIV
Abkürzungsverzeichnis
ILC Yearbook
Yearbook of the International Law Commission
ILF
International Law Forum
ILM
International Legal Materials
ILR
International Law Reports
IMO
International Maritime Organization
IOLR
International Organizations Law Review
IPBürg
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
IPPC
International Plant Protection Convention
IRRC
International Review of the Red Cross
ISGH
Internationaler Seegerichtshof
ISO
International Organization for Standardization
IStGH
Internationaler Strafgerichtshof
ITU
International Telecommunications Union
IUSCT
Iran-United States Claims Tribunal
IUSCTR
Reports of the Iran-United States Claims Tribunal
JCSL
Journal of Conflict and Security Law
JICL
Journal of International Criminal Justice
JIEL
Journal of International Economic Law
JIR
Jahrbuch für internationales Recht
JStGH
Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien
Jura
Juristische Ausbildung
JuS
Juristische Schulung
JWT
Journal of World Trade
JZ
Juristenzeitung
KFOR
Kosovo Force
LCIA
London Court of International Arbitration
LJIL
Leiden Journal of International Law
LPICT
Law and Practice of International Courts and Tribunals
LQR
The Law Quarterly Review
Abkürzungsverzeichnis
XXXV
Max Planck CWTL
Max Planck Commentaries on World Trade Law
Max Planck UNYB
Max Planck Yearbook of United Nations Law
MEA
Multilateral Environmental Agreement
Melbourne JIL
Melbourne Journal of International Law
Michigan JIL
Michigan Journal of International Law
Minnesota JIL
Minnesota Journal of International Law
MLR
Modern Law Review
MONUC
United Nations Mission in the Democratic Republic of the Congo
NAFTA
North American Free Trade Agreement
NATO
North Atlantic Treaty Organization
NCPC
Nouveau code de procédure civile (Frankreich)
New York University JILP New York University Journal of International Law and Politics NILR Netherlands International Law Review NJW
Neue Juristische Wochenschrift
NYIL
Netherlands Yearbook of International Law
NZJPIL
New Zealand Journal of Public and International Law
OIE
World Organization for Animal Health
ÖZöR
Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht
RabelsZ
Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht
RBDI
Revue belge de droit international
RdC
Recueil des cours de l’Académie de la Haye
RECIEL
Review of European Community & International Environmental Law
REDI
Revista española de derecho internacional
RGDIP
Revue générale de droit international public
RIAA
Reports of International Arbitral Awards
RIW
Recht der internationalen Wirtschaft
XXXVI
Abkürzungsverzeichnis
RStGH
Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda
SCSL
Special Court for Sierra Leone
SFOR
Stabilization Force in Bosnia and Herzegovina
SJIR
Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht
SPS
Agreement on the Application of Sanitary and Phytosanitary Measures
SRÜ
Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen
StSH
Ständiger Schiedshof
Sydney LR
Sydney Law Review
TBT
Agreement on Technical Barriers to Trade
Tulsa JCIL
Tulsa Journal of Comparative and International Law
ÜLW
Übereinkommen über die Landwirtschaft
UNAT
United Nations Administrative Tribunal
UNCC
United Nations Compensation Commission
UNCITRAL
United Nations Commission on International Trade Law
UNEP
United Nations Environment Programme
UNESCO
United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
UNIDROIT
International Institute for the Unification of Private Law
Unif. L. Rev.
Uniform Law Review
UNÜ
New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche
UPR
Umwelt- und Planungsrecht
ÜTB
Übereinkommen über Textilien und Bekleidung
Vanderbilt JTL
Vanderbilt Journal of Transnational Law
VerfO
Verfahrensordnung
Virginia JIL
Virginia Journal of International Law
Abkürzungsverzeichnis
XXXVII
VN
Vereinte Nationen
WBAT
World Bank Administrative Tribunal
WDÜ
Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen
WHO
Weltgesundheitsorganisation
WIPO
World Intellectual Property Organization
WKÜ
Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen
WMO
World Meteorological Organization
WTO
World Trade Organization
WTOÜ
Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation
WTR
World Trade Review
WVK
Wiener Vertragsrechtskonvention
Yale JIL
Yale Journal of International Law
YIEL
Yearbook of International Environmental Law
ZAGH
Zentralamerikanischer Gerichtshof
ZaöRV
Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
ZEuP
Zeitschrift für europäisches Privatrecht
ZEuS
Zeitschrift für europarechtliche Studien
ZgesStW
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft
ZPI
Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte
ZUR
Zeitschrift für Umweltrecht
ZVglRWiss
Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft
ZZP
Zeitschrift für Zivilprozess
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Rechtsprechung* I. Internationaler Gerichtshof und Ständiger Internationaler Gerichtshof Armed Activities on the Territory of the Congo: IGH, Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), Urteil vom 19. Dezember 2005, ICJ Rep. 2005, 168 ff. Armed Activities on the Territory of the Congo (New Application: 2002): IGH, Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo (New Application: 2002) (Democratic Republic of the Congo v. Rwanda), Jurisdiction of the Court and Admissibility of the Application, Urteil vom 3. Februar 2006, ICJ Rep. 2006, 6 ff. Arrest Warrant Case: IGH, Case Concerning the Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Congo v. Belgium), ICJ Rep. 2002, 3 ff. Avena Case: IGH, Case Concerning Avena and other Mexican Nationals (Mexico v. United States of America), Urteil vom 31. März 2004, ICJ Rep. 2004, 12 ff. Barcelona Traction Case (Preliminary Objections): IGH, Case Concerning the Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (New Application: 1962) (Belgium v. Spain), Preliminary Objections, Urteil vom 24. Juli 1964, ICJ Rep. 1964, 6 ff. Barcelona Traction Case (Second Phase): IGH, Case Concerning the Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Second Phase), Urteil vom 5. Februar 1970, ICJ Rep. 1970, 3 ff.
* Das Verzeichnis enthält lediglich die besonders häufig und daher abgekürzt zitierte Rechtsprechung, ist also keine vollständige Auflistung aller Entscheidungen.
XL
Rechtsprechungsverzeichnis
Chorzów Factory Case (Jurisdiction): StIGH, Case Concerning the Factory at Chorzów (Claim for Indemnity) (Jurisdiction) (Germany v. Poland), Urteil vom 26. Juli 1927, PCIJ Ser. A, No. 9 Chorzów Factory Case (Merits): StIGH, Case Concerning the Factory at Chorzów (Claim for Indemnity), Merits, Urteil vom 13. September 1928, Ser. A, No. 17 Corfu Channel Case (Compensation): IGH, Corfu Channel Case, Assessment of the Amount of Compensation, Urteil vom 15. Dezember 1949, ICJ Rep. 1949, 258 ff. Corfu Channel Case (Merits): IGH, The Corfu Channel Case (Merits) (UK v. Albania), Urteil vom 9. April 1949, ICJ Rep. 1949, 4 ff. East Timor Case: IGH, Case Concerning East Timor (Portugal v. Australia), Urteil vom 30. Juni 1995, ICJ Rep. 1995, 90 ff. ELSI Case: IGH, Case Concerning Elettronica Sicula S.p.A. (ELSI) (US v. Italy), Urteil vom 20. Juli 1989, ICJ Rep. 1989, 15 ff. Fisheries Jurisdiction Case (Germany) (Merits): IGH, Fisheries Jurisdiction Case (Federal Republic of Germany v. Iceland), Merits, Urteil vom 25. Juli 1974, ICJ Rep. 1974, 175 ff. Fisheries Jurisdiction Case (UK) (Merits): IGH, Fisheries Jurisdiction Case (United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland v. Iceland), Merits, Urteil vom 25. Juli 1974, ICJ Rep. 1974, 3 ff. Gabčíkovo-Nagymaros Case: IGH, Case Concerning the GabčíkovoNagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Urteil vom 25. September 1997, ICJ Rep. 1997, 5 ff. Genocide Case (Further Provisional Measures): IGH, Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Beschluss (Order) vom 13. September 1993, ICJ Rep. 1993, 325 ff. Genocide Case (Merits): IGH, Case Concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Urteil vom 26. Februar 2007, abrufbar unter <www.icj-cij.org> Genocide Case II (Preliminary Objections): IGH, Case Concerning Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Croatia v. Serbia), Preliminary Objections, Urteil vom 18. November 2008, abrufbar unter <www.icj-cij.org>
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LaGrand Case: IGH, LaGrand Case (Germany v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 2001, ICJ Rep. 2001, 466 ff. Lockerbie Case (Provisional Measures): IGH, Case Concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention Arising From the Aerial Incident at Lockerbie (Libya v. United States of America), Request for the Indication of Provisional Measures, Beschluss (Order) vom 14. April 1992, ICJ Rep. 1992, 114 ff. Lotus Case: StIGH, The Case of the S.S. “Lotus”, Urteil vom 7. September 1927, Ser. A No. 10 Nicaragua Case (Jurisdiction and Admissibility): IGH, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 26. November 1984, ICJ Rep. 1984, 392 ff. Nicaragua Case (Merits): IGH, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), ICJ Rep. 1986, 14 ff. North Sea Continental Shelf Cases: IGH, North Sea Continental Shelf Cases (Federal Republic of Germany v. Denmark; Federal Republic of Germany v. The Netherlands), Urteil vom 20. Februar 1969, ICJ Rep. 1969, 3 ff. Nuclear Tests Case (Australia): IGH, Nuclear Tests Case (Australia v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Rep. 1974, 253 ff. Nuclear Tests Case (New Zealand): IGH, Nuclear Tests Case (New Zealand v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Rep. 1974, 457 ff. Nuclear Weapons Case: IGH, Legality of the Threat or Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict, Gutachten vom 8. Juli 1996, ICJ Rep. 1996, 226 ff. Oil Platforms Case (Merits): IGH, Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), Urteil vom 6. November 2003, ICJ Rep. 2003, 161 ff. Reservations to the Genocide Convention: IGH, Reservations to the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Gutachten vom 28. Mai 1951, ICJ Rep. 1951, 15 ff. South West Africa Cases (Preliminary Objections): IGH, South West Africa Cases (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa),
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Preliminary Objections, Urteil vom 21. Dezember 1962, ICJ Rep. 1962, 319 ff. South West Africa Cases (Second Phase): IGH, South West Africa Cases (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa), Second Phase, Urteil vom 18. Juli 1966, ICJ Rep. 1966, 6 ff. United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran Case: IGH, Case Concerning United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran (United States of America v. Iran), Urteil vom 24. Mai 1980, ICJ Rep. 1980, 3 ff. Western Sahara Case: IGH, Western Sahara, Gutachten vom 16. Oktober 1975, ICJ Rep. 1975, 12 ff. II. Internationaler Seegerichtshof “Grand Prince” Case: ISGH, The “Grand Prince” Case (Belize v. France), Application for Prompt Release, Urteil vom 20. April 2001, ITLOS Rep. 2001, 17 ff. “Monte Confurco” Case (Prompt Release): ISGH, The “Monte Confurco” Case (Seychelles v. France), Application for Prompt Release, Urteil vom 18. Dezember 2000, ITLOS Rep. 2000, 86 ff. MOX Plant Case (Provisional Measures): ISGH, The MOX Plant Case (Ireland v. United Kingdom), Request for provisional measures, Beschluss (Order) vom 3. Dezember 2001, ITLOS Rep. 2001, 95 ff. “SAIGA” Case (Prompt Release): ISGH, The M/V “SAIGA” Case (Saint Vincent and the Grenadines v. Guinea), Prompt Release, Urteil vom 4. Dezember 1997, ITLOS Rep. 1997, 16 ff. “SAIGA” (No. 2) Case (Provisional Measures): ISGH, The M/V “SAIGA” (No. 2) Case (Saint Vincent and the Grenadines v. Guinea), Request for Provisional Measures, Beschluss (Order) vom 11. März 1998, ITLOS Rep. 1998, 24 ff. “SAIGA” (No. 2) Case (Merits): ISGH, The M/V “SAIGA” (No. 2) Case (Saint Vincent and the Grenadines v. Guinea), Merits, Urteil vom 1. Juli 1999, ITLOS Rep. 1999, 10 ff. Southern Bluefin Tuna Cass (Provisional Measures): ISGH, Southern Bluefin Tuna Cases (New Zealand v. Japan; Australia v. Japan), Request for provisional measures, Beschluss (Order) vom 27. August 1999, ITLOS Rep. 1999, 280 ff.
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Straits of Johor (Provisional Measures): ISGH, Case Concerning Land Reclamation by Singapore in and around the Straits of Johor (Malaysia v. Singapore), Provisional Measures, Beschluss (Order) vom 8. Oktober 2003, ITLOS Rep. 2003, 10 ff. III. WTO/GATT-Streitbeilegung Argentina – Footwear (EC): DSB, Appellate Body Report, Argentina – Measures Affecting Imports of Footwear, WT/DS121/AB/R, 14. Dezember 1999 Argentina – Textiles and Apparel (Panel): DSB, Panel Report, Argentina – Measures Affecting Imports of Footwear, Textiles, Apparel and Other Items, WT/DS56/R, 25. November 1997 Argentina – Textiles and Apparel (AB): DSB, Appellate Body, Argentina – Measures Affecting Imports of Footwear, Textiles, Apparel and other Items, WT/DS56/AB/R, 27. März 1998 Australia – Automotive Leather II: DSB, Panel Report, Australia – Subsidies Provided to Producers and Exporters of Automotive Leather, WT/DS/126/R, 15. Mai 1999 Australia – Automotive Leather II (Article 21.5 – US): DSB, Australia – Subsidies Provided to Producers and Exporters of Automotive Leather, Recourse by the United States to Article 21.5 of the DSU, WT/DS126/8, 4. Oktober 1999 Australia Salmon (AB): DSB, Appellate Body Report, Australia – Measures Affecting Importation of Salmon, WT/DS/18/AB/R, 20. Oktober 1998 Brazil – Aircraft (AB): DSB, Brazil – Export Financing Programme for Aircraft, WT/DS46/AB/R, 2. August 1999 Brazil – Retreaded Tyres: DSB, Panel Report, Brazil – Measures Affecting Imports of Retreaded Tyres, WT/DS/332/R, 12. Juni 2007 Canada – Aircraft (Panel): DSB, Panel Report, Canada – Measures Affecting the Export of Civilian Aircraft, WT/DS70/R, 14. April 1999 Canada – Aircraft (AB): DSB, Appellate Body Report, Canada – Measures Affecting the Export of Civilian Aircraft, WT/DS70/AB/R, 2. August 1999 Canada – Dairy (Article 21.5 – New Zealand and US) (AB): DSB, Appellate Body Report, Canada – Measures Affecting the Importa-
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tion of Milk and the Exportation of Dairy Products, Second Recourse to Article 21.5 of the DSU by New Zealand and the United States, WT/DS103/AB/RW2, WT/DS113/AB/RW2, 20. Dezember 2002 Chile – Alcoholic Beverages (Panel): DSB, Panel Report, Chile – Taxes on Alcoholic Beverages, WT/DS87/R, WT/DS110/R, 15. Juni 1999 Chile – Price Band System (AB): DSB, Appellate Body Report, Chile – Price Band System and Safeguard Measures Relating to Certain Agricultural Products, WT/DS207/AB/R, 23. September 2002 Chile – Price Band System (Panel): DSB, Panel Report, Chile – Price Band System and Safeguard Measures Relating to Certain Agricultural Products, WT/DS/207/R, 3. Mai 2002 Dominican Republic – Import and Sale of Cigarettes (Panel): DSB, Panel Report, Dominican Republic – Measures Affection the Importation and Internal Sale of Cigarettes, WT/DS/302/R, 26. November 2004 EC – Approval and Marketing of Biotech Products: DSB, Panel Report, European Communities – Measures Affecting the Approval and Marketing of Biotech Products, WT/DS/291/R, WT/DS/292/R, WT/DS/293/R, 29. September 2006 EC – Asbestos (Panel): DSB, Panel Report, European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos Containing Products, WT/DS135/R, 18. September 2000 EC – Asbestos (AB): DSB, Appellate Body Report, European Communities – Measures Affecting Asbestos and Asbestos-Containing Products, WT/DS135/AB/R, 12. März 2001 EC – Bananas III: DSB, Appellate Body, European Communities – Regime for the Importation, Sale and Distribution of Bananas, WT/DS27/AB/R, 9. September 1997 EC – Chicken Cuts (Brazil): DSB, Panel Report, European Communities – Customs Classification of Frozen Boneless Chicken Cuts, Complaint by Brazil, WT/DS/269/R, 30. Mai 2005 EC – Export Subsidies on Sugar (AB): DSB, Appellate Body Report, European Communities – Export Subsidies on Sugar, WT/DS265/AB/R, WT/DS266/AB/R, WT/DS283/AB/R, 28. April 2005
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EC – Export Subsidies on Sugar (Australia): DSB, Panel Report, European Communities – Export Subsidies on Sugar, WT/DS265/R, Complaint by Australia, 15. Oktober 2004 EC – Hormones (AB): Appellate Body Report, European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), WT/DS26/AB/R; WT/DS48/AB/R, 16. Januar 1998 EC – Hormones (Canada): DSB, Panel Report, European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Complaint by Canada, WT/DS48/R/CAN, 18. August 1997 EC – Hormones (US): DSB, Panel Report, European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Complaint by the United States WT/DS26/R/USA, 18. August 1997 EC – Hormones (US) (Article 22.6 – EC): DSB, Decision by the Arbitrators, European Communities – Measures Concerning Meat and Meat Products (Hormones), Original Complaint by the United States Recourse to Arbitration by the European Communities under Article 22.6 of the DSU, WT/DS26/ARB, 16. Januar 1998 EC – Sardines (AB): DSB, Appellate Body Report, European Communities – Trade Description of Sardines, WT/DS231/AB/R, 26. September 2002 EC – Sardines (Panel): DSB, Panel Report, European Communities – Trade Description of Sardines, WT/DS231/ R, 29. Mai 2002 EC – Tariff Preferences (AB): DSB, Appellate Body Report, European Communities – Conditions for the Granting of Tariff Preferences to Developing Countries, WT/DS246/AB/R, 7. April 2004 EC – The ACP-EC Partnership Agreement: DSB, European Communities – The ACP-EC Partnership Agreement – Recourse to Arbitration Pursuant to the Decision of 14 November 2001, WT/L/616, 1. August 2005 Guatemala – Cement II: DSB, Panel Report, Guatemala – Definitive Anti-Dumping Measures on Grey Portland Cement from Mexico, WT/DS156/R, 24. Oktober 2000 India – Autos (Panel): DSB, Panel Report, India – Measures Affecting the Automotive Sector, WT/DS146/R, WT/DS175/R, 21. Dezember 2001
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India – Patents (US) (AB): DSB, Appellate Body Report, India – Patent Protection for Pharmaceutical and Agricultural Chemical Products, WT/DS50/AB/R, 19. Dezember 1997 India – Quantitative Restrictions (AB): DSB, Appellate Body Reports, India – Quantitative Restrictions on Imports of Agricultural, Textile and Industrial Products, WT/DS90/AB/R, 23. August 1999 India – Quantitative Restrictions (Panel): DSB, Panel Report, India – Quantitative Restrictions on Imports of Agricultural, Textile and Industrial Products, WT/DS90/R, 6. April 1999 Indonesia – Autos: DSB, Panel Report, Indonesia – Certain Measures Affecting the Automobile Industry, WT/DS54/R, WT/DS55/R, WT/DS59/R, WT/DS64/R, 2. Juli 1998 Japan – Agricultural Products II (AB): Japan – Measures Affecting Agricultural Products, WT/DS76/AB/R, 22. Februar 1999 Japan – Alcoholic Beverages II (AB): Appellate Body Report, Japan – Taxes on Alcoholic Beverages, WT/DS8/AB/R, WT/DS10/AB/R, WT/DS11/AB/R, 4. Oktober 1996 Japan – Alcoholic Beverages II (Panel): DSB, Panel Report, Japan – Taxes on Alcoholic Beverages, WT/DS8/R, WT/DS10/R, WT/DS11/R, 11. Juli 1996 Japan – Apples (AB): DSB, Appellate Body Report, Japan – Measures Affecting the Importation of Apples, WT/DS245/AB/R, 26. November 2003 Japan – Film: DSB, Panel Report, Japan – Measures Affecting Consumer Photographic Film and Paper, WT/DS/44/R, 31. März 1998 Korea – Alcoholic Beverages (AB): DSB, Appellate Body Report, Korea – Taxes on Alcoholic Beverages, WT/DS75/AB/R, WT/DS84/AB/R, 18. Januar 1999 Korea – Dairy (AB): DSB, Appellate Body Report, Korea – Definitive Safeguard Measure on Imports of Certain Dairy Products, WT/DS98/AB/R, 14. Dezember 1999 Korea – Dairy (Panel): DSB, Panel Report, Korea – Definitive Safeguard Measure on Imports of Certain Dairy Products, WT/DS98/R, 21. Juni 1999 Mexico – Corn Syrup (Article 21.5 – US) (AB): DSB, Appellate Body Report, Mexico – Anti-Dumping Investigation of High Fructose
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Corn Syrup (HFCS) from the United States, Recourse to Article 21.5 of the DSU by the United States, WT/DS132/AB/RW, 22. Oktober 2001 Mexico – Taxes on Soft Drinks (AB): DSB, Appellate Body Report, Mexico – Tax Measures on Soft Drinks and Other Beverages, WT/DS/308/AB/R, 6. März 2006 Mexico – Taxes on Soft Drinks (Panel): DSB, Panel Report, Mexico – Tax Measures on Soft Drinks and Other Beverages, WT/DS/308/R, 7. Oktober 2005 Thailand – Cigarettes: GATT, Thailand – Restrictions on Importation of and Internal Taxes on Cigarettes, Panel Report, adopted on 7 November 1990, ILM 30 (1991), 1126 Thailand – H-Beams (AB): DSB, Appellate Body Report, Thailand – Anti-Dumping Duties on Angles, Shapes and Sections of Iron or Non-Alloy Steel and H-Beams from Poland, WT/DS122/AB/R, 12. März 2001 Turkey – Textiles (AB): DSB, Appellate Body Report, Turkey – Restrictions on Imports of Textile and Clothing Products, WT/DS34/AB/R, 22. Oktober 1999 Turkey – Textiles (Panel): DSB, Panel Report, Turkey – Restrictions on Imports of Textile and Clothing Products, WT/DS34/R, 31. Mai 1999 US – 1916 Act (EC): DSB, Panel Report, United States – Anti-Dumping Act of 1916, Complaint by the European Communities, WT/DS136/R, 31. März 2000 US – 1916 Act (EC) (Article 22.6 – US): DSB, Decision by the Arbitrators, United States – Anti-Dumping Act of 1916 (Original Complaint by the European Communities), WT/DS136/ARB, 24. Februar 2004 US – 1916 Act (Japan): DSB, Panel Report, United States – AntiDumping Act of 1916, Complaint by Japan, WT/DS162/R, 29. Mai 2000 US – Carbon Steel: DSB, Appellate Body Report, United States – Countervailing Duties on Certain Corrosion-Resistant Carbon Steel Flat Products from Germany, WT/DS213/AB/R, 28. November 2002 US – Continued Suspension (Panel): DSB, United States – Continued Suspension of Obligations in the EC – Hormones Dispute, WT/DS320/R, 31. März 2008
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US – Continued Suspension (AB): DSB, Appellate Body Report, United States – Continued Suspension of Obligations in the EC – Hormones Dispute, WT/DS320/AB/R, 16. Oktober 2008 US – Cotton Yarn (AB): DSB, Appellate Body Report, United States – Transitional Safeguard Measure on Combed Cotton Yarn from Pakistan, WT/DS192/AB/R 8. Oktober 2001 US – Countervailing Duty Investigations on DRAMS: DSB, Appellate Body, United States – Countervailing Duty Investigation on Dynamic Random Access Memory Semiconductors (DRAMS) From Korea, WT/DS296/AB/R, 17. Juni 2005 US – Countervailing Measures on Certain EC Products (Panel): DSB, Panel Report, United States – Countervailing Measures Concerning Certain Products from the European Communities, WT/DS212/R, 31. Juli 2002 US – Gambling (AB): DSB, Appellate Body Report, United States – Measures Affecting the Cross-Border Supply of Gambling and Betting Services, WT/DS285/AB/R, 7. April 2005 US – Gambling (Panel): DSB, Panel Report, United States – Measures Affecting the Cross-Border Supply of Gambling and Betting Services, WT/DS285/R, 10. November 2004 US – Gasoline (AB): DSB, Appellate Body Report, United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT/DS2/AB/R, 29. April 1996 US – Gasoline (Panel): DSB, Panel Report, United States – Standards for Reformulated and Conventional Gasoline, WT/DS2/R, 29. Januar 1996 US – Hot-Rolled Steel (Panel): DSB, Panel Report, United States – Anti-Dumping Measures on Certain Hot-Rolled Steel Products from Japan, WT/DS184/R, 28. Februar 2001 US – Lead and Bismuth II (AB): DSB, Appellate Body, United States – Imposition of Countervailing Duties on Certain Hot-Rolled Lead and Bismuth Carbon Steel Products Originating in the United Kingdom, WT/DS138/AB/R, 10. Mai 2000 US – Lead and Bismuth II (Panel): DSB, Panel Report, United States – Imposition of Countervailing Duties on Certain Hot-Rolled Lead and Bismuth Carbon Steel Products Originating in the United Kingdom, WT/DS138/R, 23. Dezember 1999
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US – Section 110(5) Copyright Act (Panel): DSB, Panel Report, United States – Section 110(5) of the US Copyright Act, WT/DS160/R, 27. Juli 2000 US – Section 211 Appropriations Act (AB): DSB, Appellate Body Report, United States – Section 211 Omnibus Appropriations Act of 1998, WT/DS176/AB/R, 2. Januar 2002 US – Section 211 Appropriations Act (Panel): DSB, Panel Report, United States – Section 211 Omnibus Appropriations Acts of 1998, WT/DS176/R, 6. August 2001 US – Section 301 Trade Act: DSB, Panel Report, United States – Sections 301-310 of the Trade Act of 1974, WT/DS152/R, 22. Dezember 1999 US – Shrimp (AB): DSB, Appellate Body Report, United States – Import of Certain Shrimp and Shrimp Products, WT/DS58/AB/R, 12. Oktober 1998 US – Shrimp (Article 21.5 – Malaysia) (AB): Appellate Body Report, United States – Import of Certain Shrimp and Shrimp Products, Recourse to Article 21.5 of the DSU by Malaysia, WT/DS58/AB/RW, 22. Oktober 2001 US – Shrimp (Article 21.5 – Malaysia) (Panel): DSB, Panel Report, United States – Import Prohibition of Certain Shrimp and Shrimp Products (Recourse to Article 21.5 by Malaysia), WT/DS58/RW, 15. Juni 2001 US – Shrimp (Panel): DSB, Panel Report, United States – Import of Certain Shrimp and Shrimp Products, WT/DS58/R, 15. Mai 1998 US – Shrimp (Ecuador): DSB, Panel Report, United States – AntiDumping Measure on Shrimp from Ecuador, WT/DS335/R, 30. Januar 2007 US – Shrimp (Thailand): DSB, Panel Report, United States – Measures Relating to Shrimp from Thailand, WT/DS343/R, 29. Februar 2008 US – Stainless Steel (Mexico): DSB, Appellate Body Report, United States – Final Antidumping Measures on Stainless Steel from Mexico, Appellate Body Report, WT/DS344/AB/R, 30. April 2008 US – Underwear (Panel): DSB, Panel Report, United States – Restrictions on Imports of Cotton and Man-made Fibre Underwear, WT/DS24/R, 8. November 1996
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US – Wheat Gluten (AB): DSB, Appellate Body Report, United States – Definite Safeguard Measures on Imports of Wheat Gluten from the European Communities, WT/DS166/AB/R, 22. Dezember 2000 US – Wheat Gluten (Panel): Panel Report, United States – Definitive Safeguard Measures on Imports of Wheat Gluten from the EC, WT/DS166/R, 31. Juli 2000 US – Wool Shirts and Blouses (AB): DSB, Appellate Body Report, United States – Measure Affecting Imports of Woven Wool Shirts and Blouses from India, WT/DS33/AB/R, 25. April 1997 IV. Ständiger Schiedshof Iron Rhine Case: StSH, Arbitration regarding the Iron Rhine (“Ijzeren Rijn”) Railway (Belgium v. The Netherlands), Schiedsspruch vom 24. Mai 2005, RIAA 27 (2008), 35 ff.
Erstes Kapitel: Einführung A. Programm I. Untersuchungsgegenstand und Ziel der Arbeit Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit beweisrechtlichen Fragen zwischenstaatlicher Streitigkeiten in der internationalen Gerichtsbarkeit und internationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Ausgangspunkt ist die These, dass das internationale Beweisrecht ein Teilgebiet des in zwischenstaatlichen Streitigkeiten vor internationalen Gerichten allgemein geltenden Prozessrechts darstellt und als solches in dessen systembildende Strukturen und Prinzipien eingebettet ist. Nach einer Einführung in die Problemstellung (Kapitel 1) wird daher zunächst untersucht, ob ein solches allgemeines völkerrechtliches Prozessrecht existiert, welches seine Quellen sind und ob sich allgemeine prozessuale Grundregeln finden lassen, die – vorbehaltlich einer abweichenden Parteivereinbarung – grundsätzlich für alle Arten von Schiedsgerichten und internationalen Gerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten gelten (Kapitel 2 und 3). Ziel ist es, solche Regeln in Form von den Prozess bestimmenden Prozessmaximen und Prinzipien nachzuweisen. In einem zweiten Schritt sollen die gewonnenen Ergebnisse schließlich auf die Bereiche der Tatsachenermittlung und der Beweiswürdigung im internationalen Prozess angewandt werden (Kapitel 4 bis 9). Insbesondere soll die Praxis internationaler Gerichte und Schiedsgerichte auf dem Gebiet des Beweisrechts untersucht und systematisiert werden. Dabei sind die Kompetenzen der Spruchkörper im Hinblick auf die Beweisaufnahme und -würdigung, die im internationalen Prozess üblichen Beweismittel sowie die Beweislastverteilung und ihre prozessualen Auswirkungen zu analysieren. Außerdem wird darauf einzugehen sein, inwieweit spezielle Regelungen in verschiedenen materiellen Völkerrechtsgebieten und ihre strukturellen Eigenheiten sich auf Beweisrechtsfragen im internationalen zwischenstaatlichen Prozess auswirken. Der Begriff „Beweisrecht“ wird im Folgenden verstanden als die Gesamtheit der Regeln und Prozesse, anhand derer ein internationales Gericht oder Schiedsgericht im streitigen Verfahren Aussagen über die
M. Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 215, DOI 10.1007/978-3-642-11647-6_1, © by Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
1
2
Kapitel 1
Existenz oder Nichtexistenz von Tatsachen trifft.1 Da die Arbeit zwischenstaatliche Streitigkeiten betrifft, ist Untersuchungsgegenstand die Tatsachenermittlung und -würdigung im Prozess zwischen souveränen Staaten im Bereich des Völkerrechts. Demgemäß werden primär internationale Gerichte und Schiedsgerichte in die Untersuchung einbezogen, die mit zwischenstaatlichen Streitigkeiten befasst sind.2
1
Zu dieser Definition: Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 341; Salmon, Dictionnaire de droit international public (2001), 874 (Stichwort „preuve“). Außer Betracht bleiben müssen damit Fragen nach Methodik und Durchführung der Tatsachenermittlung und -feststellung, die sich nicht auf internationale Gerichte, sondern auf politische Organe internationaler Organisationen (oder u.U. – wie bei der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts – auf einzelne Staaten) bei der Inanspruchnahme ihrer Befugnisse und Kompetenzen beziehen. Hier geht es vor allem um die Problematik, wie sicher und sorgfältig ermittelt eine Tatsachengrundlage sein muss, damit diese Organe oder auch einzelne Staaten ihre Kompetenzen rechtmäßig wahrnehmen können. Dies wird insbesondere mit Bezug auf den Sicherheitsrat diskutiert: O’Connell, JCSL 7 (2002), 19 (21); Nollkaemper, ICLQ 52 (2003), 615 (631); Wellens, JCSL 8 (2003), 15 (21 ff.); O’Donnell, EJIL 17 (2006), 945 (955 ff.). Gleiches gilt für beweisrechtliche Fragen im Hinblick auf das Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 VN-Charta; hierzu: Franck, AJIL 95 (2001), 839 (842). Ebenfalls nicht zum Untersuchungsgegenstand gehören internationale Verfahren administrativer Art, die zur Rechtsverwirklichung tatsächliche Feststellungen treffen (zum Begriff der „Rechtsverwirklichung“ siehe Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln (2001), 264 ff., zur Charakterisierung der Verfahren als „administrativ“, ders., S. 270). Überwachungsmechanismen allgemein und Inspektionen (on-site inspections) im Besonderen stellen streng genommen kein klassisches Mittel der internationalen Streitbeilegung dar, sondern sind Mittel der Erfüllungskontrolle (compliance control) im Rahmen spezieller Vertragsregime, z.B. Abrüstungsverträgen, Menschenrechtsverträgen oder Umweltschutzabkommen, oder im Kontext von durch den VN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen (siehe Irak). Ihre Funktion ist die Herstellung und Sicherung von Transparenz zur Ermöglichung der Zusammenarbeit zwischen Staaten und damit letztlich die Rechtsverwirklichung (Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln (2001), 273; Bothe, EPIL IV/2 (2000) 1264 ff.) 2
Zu dem vor Strafgerichtshöfen anwendbaren Prozess- und Beweisrecht siehe: La Rosa, Juridictions pénales internationales, La procédure et la preuve (2003); May/Wierda, International Criminal Evidence (2002); Safferling, Towards an International Criminal Procedure (2001). Für die Menschenrechtsgerichtsbarkeit siehe: Schorm-Bernschütz, Die Tatsachenfeststellung im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (2004).
Einführung
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II. Untersuchte Gerichte und Schiedsgerichte Der Beschränkung der Arbeit auf die zwischenstaatliche Streitbeilegung gemäß handelt es sich bei den untersuchten Gerichten in erster Linie um den Ständigen Schiedshof (StSH) bzw. die unter seiner Ägide eingerichteten und in seinem organisatorischen Rahmen operierenden ad hoc-Schiedsgerichte,3 den Ständigen Internationalen Gerichtshof (StIGH), den Internationalen Gerichtshof (IGH), das Iran-United States Claims Tribunal (IUSCT), insbesondere soweit es sich mit zwischenstaatlichen Streitigkeiten auseinandersetzt,4 den Internationalen Seegerichtshof (ISGH), und das Dispute Settlement Body der WTO (DSB). Hinzu kommen die für den Einzelfall errichteten und nicht im Rahmen des StSH eingesetzten Schiedsgerichte. Daneben sollen ältere schiedsgerichtliche Entscheidungen von Spruchkörpern einbezogen werden, die eine Sondergruppe unter den Schiedsgerichten darstellen: die sogenannten gemischten Schiedskommissionen und gemischten Schiedsgerichte.5 Schließlich sollen zum Zwecke der Kontrastierung auch solche internationalen Spruchkörper untersucht werden, die zumindest primär keine zwischenstaatlichen Streitigkeiten entscheiden, soweit sie völkerrechtli3 Von besonderer Bedeutung sind hier die EECC und das im Dispute Concerning Access to Information Under Article 9 of the OSPAR Convention zwischen Irland und dem Vereinigten Königreich eingesetzte Schiedsgericht. 4
Nach ständiger Rechtsprechung des IUSCT ist es ein internationales Gericht, das völkerrechtlichen Regeln untersteht, siehe nur IUSCT, Iran v. United States of America, Case No. A/18, IUSCTR 5 (1984-I), 251 (261); IUSCT, Anaconda-Iran, Inc v. Iran et al., Award No. ITL 65-157-3, Interlocutory Award, 10. Dezember 1986, IUSCTR 13 (1988-IV), 199 (223, Ziff. 97). Zu dieser Frage Toope, Mixed International Arbitration, Studies in Arbitration between States and Private Persons (1990), 269-283. 5
Gemischte Schiedskommissionen existierten vor allem zwischen europäischen Staaten und den USA auf der einen und mittel- und südamerikanischen Staaten auf der anderen Seite. Gemischte Schiedsgerichte waren insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg verbreitet (siehe Schindler, Die Schiedsgerichtsbarkeit seit 1914: Entwicklung und heutiger Stand (1938), 30-33). Daneben wurden nach dem Zweiten Weltkrieg sogenannte Versöhnungskommissionen und die Arbitral Commission on Property, Rights and Interests in Germany eingerichtet. Auf den besonderen Charakter dieser Spruchkörper weist hin: von Mangoldt, Arbitration and Conciliation, in: Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (Hrsg.), Judicial Settlement of International Disputes (1974), 417 (464).
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cher Natur sind, vornehmlich Völkerrecht anwenden und somit für den Untersuchungsgegenstand zumindest indirekt relevant sind. Dabei handelt es sich vor allem um die im Rahmen der Vereinten Nationen eingesetzten ad hoc-Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda (JStGH, RStGH) und das United Nations Adminstrative Tribunal (UNAT). Weiterhin werden das für internationale Investitionsstreitigkeiten zuständige International Centre for the Settlement of Investment Disputes (ICSID),6 der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) und die regionalen Menschenrechtsgerichtshöfe einbezogen (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR)). Auch solche Gerichte, die kein Völkerrecht anwenden, aber dennoch einen internationalen Bezug haben, sollen zum Zwecke des Rechtsvergleichs, aber auch für die tiefere Analyse von Einzelfragen herangezogen werden. Unter dem Blickwinkel des kontrastierenden Vergleichs kann es sich etwa als nützlich erweisen, den Europäischen Gerichtshof (EuGH), vor dem auch zwischenstaatliche Verfahren möglich, wenn auch nicht häufig sind (Art. 227 EGV),7 und die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit8 nicht völlig aus dem Blick zu lassen, da sich 6
Zur Rechtsnatur der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit siehe Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht (2007), § 21, Rn. 28: gemischte Schiedsgerichtsbarkeit, die völkerrechtlich abgesichert ist; Schöbener/Markert, ZVglRWiss 105 (2006), 65 (68 ff.): Schiedsgerichtsbarkeit sui generis zwischen internationaler privater Schiedsgerichtsbarkeit und völkerrechtlicher Schiedsgerichtsbarkeit. Wichtig ist, dass das Verfahren und die Wirksamkeit der Schiedssprüche sich allein nach Völkerrecht beurteilen: Redfern/Hunter, Law and Practice of International Commercial Arbitration (2004), Rn. 1-126; Broches, The Experience of the International Centre for Settlement of Disputes, in: Rubin/Nelson (Hrsg.), International Investment Disputes: Avoidance and Settlement (1985), 75 (88 f.): “ICSID arbitration proceedings are governed entirely by public international procedural law. The Convention and the Arbitration Rules constitute the lex arbitri, the loi de l’arbitrage.” 7 Darüber hinaus orientiert sich die EuGH-VerfO an der des IGH: MacLennan, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 265 (266). 8
Dazu: Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht (2007), § 105, Rn. 7 ff. Besonders interessant ist die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, weil der Austausch der Rechtskulturen sich in der Praxis der Schiedsgerichte sehr intensiv vollzieht, siehe Wagner, ZEuP 2001, 441 (455), der auch von einem „Laboratorium der Prozessrechtsvereinheitlichung“ spricht (S. 457). Auch sind in diesem Bereich verschiedene Versuche unternommen worden, das anwendbare Prozessrecht zu konkretisieren und zu kodifizieren; hier sind vor allem zu nen-
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auch hier dem zwischenstaatlichen Prozess verwandte Fragen stellen9 und eine gegenseitige Befruchtung gerade in prozessrechtlichen Fragen zu beobachten ist.10 Ebenfalls zu Vergleichszwecken betrachtet die Arbeit atypische Streitschlichtungsorgane wie die United Nations Claims Commission (UNCC), die sich schwerlich der Kategorie der internationalen Gerichte zuordnen lassen.11 Diese Breite der Betrachtung rechtfertigt sich vor allem dadurch, dass sich auch Organe, die nicht in den Kernbereich der Untersuchung fallen, auf die Rechtsprechung internationaler Gerichte und Schiedsgerichte beziehen, sie kommentieren und mit den ihnen eigenen prozessualen Besonderheiten kontrastieren. Weitgehend außer Betracht bleiben soll hingegen der innerstaatliche Prozess, soweit er nicht für die Rechtsvergleichung relevant ist. Damit sind völkerrechtlichen Regelungen, die den Parteien bzw. Gerichten im innerstaatlichen Prozess beweisrechtliche Instrumente an die Hand geben, von der Untersuchung ausgeschlossen, wie beispielsweise Art. 43 TRIPS, der es Gerichten bei Streitigkeiten über das geistige Eigentum
nen die UNIDROIT/ALI Transnational Principles of Civil Procedure sowie die IBA Rules on the Taking of Evidence in International Commercial Arbitration. Demgegenüber beschränken sich das UNCITRAL Model Law (Art. 26) und die ICC-Schiedsordnung (Art. 20) auf sehr rudimentäre Regelungen des Beweisrechts. 9
Dies betonend: Waincymer, WTO Litigation (2002), 534. Zu der weitgehenden Trennnung beider Gebiete in Wissenschaft und Praxis siehe Caron, AJIL 84 (1990), 104 (111); Wetter, The International Arbitral Process: Public and Private, Bd. 1 (1979), xxiv: “Commercial lawyers regard arbitrations between States as wholly irrelevant; and public international law teachers, advocates and officials view commercial arbitration as an essentially alien process.” Siehe auch: Caron, ZaöRV 46 (1986), 465 (472). 10 Siehe bereits Paulsson, Journal of International Arbitration 9 (1992), 59 ff. Jetzt auch: Alvarez, International Organizations as Law-makers (2005), 497: “With respect to … procedural and evidentiary decisions, the line between inter-state dispute settlement and commercial arbitrations between private parties is becoming less distinct.” Auch Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (375 f.) betont, dass private Schiedsgerichte gerade in beweisrechtlichen Fragen oft auf die von zwischenstaatlichen Gerichten entwickelten Grundsätze zurückgreifen. 11
Eine Einbeziehung ist auch deshalb interessant, weil die Aufgabe der Panels angesichts der durch Sicherheitsratsresolution 687 dem Grunde nach festgestellten völkerrechtlichen Verantwortlichkeit Iraks sich auf unabhängige Tatsachenermittlung konzentrierte, dazu: Sand, Environmental Policy and Law 35 (2005), 244 (245).
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erlaubt, der Gegenseite verbindlich die Vorlage in ihrer Verfügungsgewalt befindlicher Beweismittel aufzugeben.12
B. Relevanz des Themas und Skizze der Problematik I. Keine Systematisierung des Beweisrechts internationaler Gerichte Die Tatsachenermittlung und –feststellung durch internationale Gerichte und Schiedsgerichte ist als prozessualer Teil des Völkerrechts tendenziell dogmatisch weniger intensiv behandelt worden als das materielle Völkerrecht.13 Noch 1930 stellte der amerikanische Schiedsrichter Nielsen im Fall Kling fest, dass „little adjective law has been developed in international practice“.14 Auch heute sind grundlegende Fragen des Verfahrensrechts und insbesondere des Beweisrechts internationaler Gerichte noch immer ungeklärt.15 Die Zurückhaltung in der wissenschaftlichen Analyse, aber auch in der richterlichen Auseinandersetzung hiermit hat verschiedene Gründe. Zum einen erklärt sie sich wohl daraus, dass die für das Beweisrecht relevanten Regelungen in Statuten und Verfahrensordnungen internationaler Gerichte sehr lückenhaft sind16 sowie strittige Tatsachenfragen über lange Zeit von internationalen Ge12
Hierzu: Tilmann/Schreibauer, FS-Erdmann, 901 (911). Zur ZPO und TRIPS: von Bogdandy, NJW 1999, 2088 ff. 13
Thirlway, AJIL 78 (1984), 622 ff.; Romano, New York University JILP 39 (2007), 791 (868). 14
Amerikanisch-mexikanische General Claims Commission, Lillie S. Kling (U.S.A.) v. United Mexican States, RIAA 4 (1951), 575 (582). Ähnlich fasste ein Kommentator der Arbeit dieser Kommission, A.H. Feller, den Zustand der wissenschaftlichen Analyse des Völkerprozessrechts zusammen (Feller, The Mexican Claims Commission 1923-1934 (1935), Preface, vii): “The realm of the procedure of international tribunals is the Antarctica of international law. A few explorers have skirted about its shores; others have surveyed portions of it with more or less thoroughness. Not until its little known territory has been conquered, region by region, will it be possible for future scholars to draw a complete and revealing map of the entire continent.” 15 16
Wittich, AVR 44 (2006), 1 (30).
Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 510; Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 86. Dies gilt selbst für das DSU, das mit seinen Anhängen 3 und 4 noch verhältnismäßig dichte prozedurale Regelungen trifft, Howse, ELJ 9 (2003), 496 (498).
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richten weniger häufig zu entscheiden waren,17 was eine dogmatisch genaue Auseinandersetzung mit dem Thema entbehrlich erscheinen ließ. So hielt es von Kaltenborn im Jahr 1861 für einen Vorteil der internationalen Streitbeilegung gegenüber nationalen Mechanismen, dass „jede Partei, weil sie ja mit der grossartigen Machtfülle eines Staatswesens ausgerüstet ist, in der Regel im Stande [ist], alle zur Rechtsfindung nöthigen Facta darzulegen und gehörig zu erweisen, so dass eine Entscheidung rein formeller Art nach Maassgabe des unvollkommen erbrachten Beweises hier zu den Seltenheiten gehören wird“.18 Noch 1964 schrieb Wengler, dass „Fragen der Beweislast, sowie die Frage, ob das internationale Gericht berechtigt ist, nicht nur Beweisangebote abzulehnen, sondern auch von Amts wegen Beweise zu erheben oder auf Grund unbestrittener Behauptungen hin Sachverhalte als gegeben zu unterstellen, praktisch keine sehr große Rolle“ spielten, da die Parteien ohnehin in der Praxis alle Anstrengungen unternähmen, die erforderlichen Tatsachen zu beweisen.19 Zum anderen mieden internationale Gerichte bis in die jüngere Vergangenheit häufig Entscheidungen über strittige Tatsachen. Insbesondere der IGH scheint des Öfteren der Versuchung erlegen zu sein, Beweis über umstrittene Tatsachen gar nicht erst zu erheben, sondern stattdessen materielle Rechtsregeln anzuwenden, die eine umfangreiche Be17
Petrén, Differences of Procedure between International and National Tribunals, Svensk Juristtidning 1972, 96 (101); Alford, Villanova Law Review 4 (1958), 37 (57). Für den StIGH: Valencia-Ospina, ILF 1 (1999), 202; Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (82). 18 19
von Kaltenborn, ZgesStW 17 (1861), 69 (96).
Wengler, Völkerrecht, Bd. 1 (1964), 745. Ähnlich: Hudson, The Permanent Court of International Justice 1920-1942 (1943), 565: “Issues of fact are seldom tried before the Court, and where a question of fact arises the Court must usually base its findings on statements made on behalf of the parties either in the documents of the written proceedings or in the course of oral proceedings.” Anders jedoch: Dobry, Transactions of the Grotius Society 44 (1958/1959), 63 (64): “Experience indicates that the Court is not only frequently faced with questions of the law of evidence, but that its decisions sometimes in the ultimate result depend on that branch of law.” Ebenso: Brownlie, State Responsibility, Part I (1983), 47: “Legal issues, particularly in disputes between states, have an individuality which resists a facile application of general rules. Much depends on the assignment of the burden of proof, [and] the operation of principles of law of evidence … .”
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weisaufnahme entbehrlich machten, weil es bei ihrer Anwendung auf die strittigen Tatsachen nicht ankam.20 Internationale Richter zögerten häufig, in die Prüfung der unter Umständen fachliche Spezialkenntnisse voraussetzenden Beweismittel einzutreten.21 Obwohl die Überprüfung des tatsächlichen Parteivorbringens zum Kern der richterlichen Aufgabe gehört, üben internationale Gerichte ihre Kompetenzen zur Sachverhaltsaufklärung – vielleicht aus Besorgnis um ihre Neutralität – nur in sehr beschränktem Umfang aus.22 Schließlich kann als Grund für die fehlende Systematisierung der häufig betonte Grundsatz der prozessrechtlichen Autonomie internationaler Gerichte und Schiedsgerichte angeführt werden.23 Das Verfahrensrecht internationaler Gerichte insgesamt ist von diesen eher großzügig und wenig formstreng interpretiert worden;24 dies gilt insbesondere für das Beweisrecht. Auch besteht eine gewisse Zurückhaltung der Parteien als souveräne Staaten, die verfahrensrechtliche Flexibilität internationaler Gerichte in stärkerem Maße einzuschränken.25 Bereits in den Verhandlungen zur StIGH-VerfO ist daher darauf hingewiesen worden, dass eine dichtere Regelung des Verfahrens insbesondere im Bereich der fakultativen Gerichtsbarkeit eine sinkende Bereitwilligkeit der Staaten zur Folge haben könnte, ihre Streitigkeiten dem StIGH zu unterbreiten.26 Weiterhin ist die liberale Handhabung der Beweisaufnahme der normalerweise fehlenden Rechtsmittelinstanz im internationalen Prozess ge-
20 Dazu Franck, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 21 (28, 30) und seine Kritik der Konsequenzen auf S. 31; Kazazi, Burden of Proof (1996), 83; Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (125). 21
von Carlowitz, SZIER 15 (2005), 255 (269).
22
Cot, Commentaire du rapport de Frédérique Coulée, in: Ruiz Fabri/Sorel (Hrsg.), Le principe du contradictoire devant les juridictions internationales (2004), 35 (42): «Le juge international hésite à exercer un contrôle sur la preuve avancée par une partie souveraine, ce qui reviendrait à mettre en cause sa bonne foi.» 23
Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (108). 24
Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 510.
25
Krusch, Sonderheft der Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (1937), 535 (553). 26 Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 177.
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schuldet.27 Daneben stellt die flexible Handhabung des Beweisrechts einen durchaus attraktiven Vorteil internationaler Streitbeilegung dar. Dies gilt nicht zuletzt auch für die private internationale Schiedsgerichtsbarkeit. So räumt etwa Artikel 15 Abs. 1 der ICC-Schiedsordnung dem Gericht bewusst weitestgehendes Ermessen in der Beweisaufnahme ein, indem er normiert, dass „[v]orbehaltlich dieser Schiedsordnung … das Schiedsgericht das Schiedsverfahren nach freiem Ermessen durchführen [kann], vorausgesetzt die Gleichbehandlung und das rechtliche Gehör sind gewahrt“.28 Trotz seiner Bedeutung ist das vor internationalen Gerichten geltende Beweisrecht daher wenig entwickelt und wird den sich immer häufiger stellenden Problemen bei der Tatsachenermittlung, ihrer Feststellung und Bewertung kaum gerecht.29 So konstatiert Richter Owada in seinem Sondervotum zum Oil Platforms-Fall, dass „the procedures [of an international court] and rules of evidence seem to be much less developed, and the task of the Court for fact finding much more demanding, than in the case of the national courts“.30 Besonders deutlich scheint dieses Defizit in einer Kommentierung der aktuellen Entscheidung des IGH im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall auf: “The decision also highlights that a systematic, consistent and transparent methodology of fact-finding and evidence is yet to emerge from the case law of the ICJ.”31 Folge dieser Unzulänglichkeiten ist eine gewisse Intransparenz und Rechtsunsicherheit im Bereich des Verfahrensrechts, die aus dem Blickwinkel des Grundsatzes des fairen Verfahrens betrachtet problematisch erscheint.32 Vor dem Hintergrund der starken Zunahme verschiedener, teils spezialisierter internationaler Streitentscheidungsin27
Brower, The International Lawyer 28 (1994), 47 (48).
28
Dazu: Raeschke-Kessler, in: FS-Schlosser (2005), 713 (729), der auch auf die mit dieser Flexibilität verbundenen Probleme hinweist, vor allem dann, wenn zwei Parteien aus unterschiedlichen Rechtskreisen aufeinandertreffen. 29 30
von Mangoldt, ZaöRV 40 (1980), 554 (556). IGH, Oil Platforms Case, sep. op. Owada, ICJ Rep. 2003, 306 (332, Ziff.
52). 31 32
Bekker, Chinese JIL 5 (2006), 371 (378).
Brower, The International Lawyer 28 (1994), 47 (54): “The lack of a standardized body of rules or principles to be applied by international tribunals in evaluating evidence continues to puzzle parties as to the appropriate evidence to submit and leads to evidentiary decisions that are sometimes inconsistent.”
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stanzen (sog. „proliferation“) und der Ausdifferenzierung sowie möglicherweise auch Fragmentierung des Völkerrechts und der traditionell starken Tendenz, Streitigkeiten für den Einzelfall errichteten Schiedsinstanzen anzuvertrauen,33 erscheint das Beweisrecht sowohl institutionell (d.h. bezogen auf die Praxis der unterschiedlichen Streitbeilegungsorgane) als auch materiell (d.h. in Bezug auf die im Streit einschlägigen materiellen Teilrechtsgebiete) zersplittert. Ein einheitlicher kohärenter Ansatz, der für alle richterlichen Streitentscheidungsorgane und für alle materiellen Rechtsgebiete des Völkerrechts gelten könnte, ist bisher weder von den Staaten34 noch durch internationale Gerichte entwickelt worden. Zusätzlich erschwert wird die Entwicklung einheitlicher Standards durch die in hohem Maße von Unsicherheiten geprägte Terminologie im Bereich des Beweisrechts, die sich von nationalen Vorprägungen noch nicht gelöst hat.35 Der Bedeutung der Klärung der tatsächlichen Grundlage internationaler Streitigkeiten gemäß sind gerade in der Zeit nach 1990, die durch einen neuen Schub der gerichtlichen Beilegung internationaler Streitigkeiten gekennzeichnet ist, einige wissenschaftliche Abhandlungen über das Beweisrecht internationaler Gerichte entstanden.36 Sie beleuchten jedoch meist nur Teilbereiche, etwa die Beweislast,37 einzelne internationale und supranationale Gerichte38 oder erschöpfen sich im Wesentli33
Siehe Reuter, Le développement de l’ordre juridique international (1995), 538 f., der anmerkt, dass die große Mehrzahl der Fälle jeweils durch einen eigenen Vertrag eingesetzten temporären Institutionen überlassen wird. Das Völkervertragsrecht trägt somit als Rechtsquelle des Völkerprozessrechts zu seiner Zersplitterung bei. 34
Guinchard, Droit processuel (2005), 876 (insb. Fn. 1), die auf das gescheiterte Projekt einer Konvention über das in Schiedsverfahren anwendbare Verfahrensrecht verweisen. Hierzu siehe Oellers-Frahm/Zimmermann (Hrsg.), Dispute Settlement in Public International Law (2001), 105 ff. 35
Kazazi, Burden of Proof (1996), 21 ff.
36
Siehe jedoch die kritische Bemerkung von Alvarez, Michigan JIL 14 (1999), 399 (Fn. 5): „little systematic attention to evidentiary issues“. 37
Kazazi, Burden of Proof (1996); Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993) sowie Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998). 38
Schorm-Bernschütz, Die Tatsachenfeststellung im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (2004); Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (1996).
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chen in der rein deskriptiven Darstellung der Rechtsprechung.39 Die vorliegende Arbeit baut auf diesen wissenschaftlichen Beiträgen auf und versucht sie weiterzuführen, um eine einheitliche, systematisch aufbereitete Gesamtkonzeption des vor internationalen Gerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten geltenden Beweisrechts vorzulegen.
II. Bedeutung und Funktion des Beweisrechts im internationalen Prozess Das Beweisrecht internationaler Gerichte und Schiedsgerichte regelt den Tatsachenfindungsprozess, der ein wichtiger Teil der Funktion internationaler Gerichte ist,40 und ermöglicht eine Entscheidung auch dann, wenn tatsächliche Vorgänge zwischen den Parteien streitig sind. Es hat also zum Ziel, dass das internationale Gericht soweit wie möglich Kenntnis aller für seine Entscheidung relevanten Tatsachen erlangen kann,41 und stellt Regeln bereit, anhand derer zu beurteilen ist, was unter welchen Umständen als bewiesen gilt.42 Das Prozessrecht und insbesondere das Beweisrecht erfüllt also auch auf internationaler Ebene eine Hilfsfunktion: Es dient letztlich der Durchsetzung materiellen
39
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975); Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005). Siehe auch: Carlston, AJIL 39 (1945), 426: “[The] attention [from writers] has for the most part been directed to a description of existing procedural practices. Critical analysis and investigation of the relation of procedural rules to the successful conduct of international arbitrations is almost lacking in the literature of the subject.” Ebenso die Einschätzung bei Jacob, MLR 59 (1996), 207 (208). 40
Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (342); Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 83. Schon Art. 36 Abs. 2 (c) IGH-Statut gibt dem IGH die Zuständigkeit für eine Rechtsstreitigkeit über das „Bestehen jeder Tatsache, die, wäre sie bewiesen, die Verletzung einer internationalen Verpflichtung darstellt“. Obwohl die Norm streng genommen nur für Unterwerfungserklärungen gilt, deutet sie doch auf die Tatsachenfeststellungsaufgabe des IGH hin (Highet, AJIL 81 (1987), 1 (5); Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (124)). 41
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 1; Mani, International Adjudication, Procedural Aspects (1980), 14; Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373. 42
Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 845.
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Völkerrechts.43 Dabei hat das Prozessrecht großen Einfluss auf die Durchsetzbarkeit des materiellen Rechts: Es definiert dessen Durchsetzungsbedingungen und bestimmt so mit über seinen Anwendungsbereich.44 Die skizzierte mangelnde dogmatische Durchdringung des zwischenstaatlichen Beweisrechts ist aufgrund dieser Bedeutung unter verschiedenen Gesichtspunkten problematisch, die im Folgenden beschrieben werden sollen.
1. Ansteigen der Fälle strittiger Tatsachen vor internationalen Spruchkörpern Während Tatsachenfragen bis in jüngere Zeit vor den hier behandelten Gerichten keine entscheidende Rolle spielten,45 ist in jüngerer Vergangenheit ein Trend zu beobachten, demzufolge die vor internationalen Spruchkörpern verhandelten Fälle nicht mehr auf einer weitgehend unstrittigen Tatsachenbasis beruhen, sondern Staaten der Klärung von Tatsachenfragen auch in gerichtlichen Verfahren eine größere Bedeutung beimessen.46 Gerade vor dem IGH waren die politisch besonders bri43
Lachs, FS Haro F. van Panhuys (1980), 21 (24); Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (106); Acosta Estévez, El Proceso ante el Tribunal International de Justicia (1995), 20. Ebenso: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 85: “The role of the rules of evidence … is to facilitate the court’s search for the facts in order to ensure the correct application of the law.” 44
Wagner, ZEuP 2001, 441 (447). Dabei darf nicht verkannt werden, dass es im Völkerrecht – anders als im vom staatlichen Gewaltmonopol beherrschten nationalen Recht – noch weitere Durchsetzungsmöglichkeiten gibt, z.B. die Repressalie. 45
Dazu die bereits oben zitierte Bemerkung von Wengler, Völkerrecht, Bd. 1 (1964), 745 und Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 430 (für den IGH). 46
Speech by H.E. Judge Rosalyn Higgins at the 58th Session of the International Law Commission, 25. Juli 2006 (abrufbar unter <www.icj-cij.org>): “The Court’s docket increasingly includes fact-intensive cases in which the Court must carefully examine and weigh the evidence. No longer can it focus solely on legal questions.” Siehe auch: Highet, AJIL 81 (1987), 1 (10); Kazazi/Shifman, ILF 1 (1999), 193 (194); Rosenne, in: ders., Essays on International Law and Practice (2007), 353 (361). In Bezug auf die WTO siehe: Palmeter/ Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 116; Andersen, in: Yerxa/Wilson (Hrsg.), Key issues in WTO
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santen Fälle der jüngsten Vergangenheit von strittigen Tatsachendarstellungen der Parteien geprägt, so der Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall47 oder der Application on the Genocide ConventionFall.48 Aber auch in politisch weniger bedeutsamen Fällen streiten Staaten nicht nur über die Rechtslage, sondern auch über den zugrunde liegenden Sachverhalt.49 Nicht selten führt dies dazu, dass die von den Parteien aufgestellten Tatsachenbehauptungen und angebotenen Beweismittel sich in wesentlichen Teilen widersprechen.50 Angesichts dieser Entwicklung geht die Bedeutung der gerichtlichen Tatsachenfeststeldispute settlement, The first ten years (2005), 177 (182); Waincymer, WTO Litigation (2002), 530. Speziell für das Umweltvölkerrecht: Ohlhoff, Methoden der Konfliktbewältigung bei grenzüberschreitenden Umweltproblemen im Wandel (2003), 247. Zur Zunahme strittiger Tatsachen in der Menschenrechtsgerichtsbarkeit: Schorm-Bernschütz, Die Tatsachenfeststellung im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (2004), 40; Shelton, Duke JCIL 13 (2003), 95 (138). Andere Einschätzung bei Ruiz-Fabri/Sorel, Organisation judiciaire internationale, Cour internationale de justice, Instance, Juris-classeurs de droit international, Bd. 4, Fasc. 217 (30. September 2001), 7 (Ziff. 26): «[Les mésures d’investigation] ne sont néanmoins guère utilisés, la Cour étant rarement confrontée à des questions ‹ sensibles › de preuve, contrairement, par exemple, à une juridiction pénale.» Anders für den EuGH auch: Hackspiel, in: Rengelin/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union (2003), § 24, Rn. 4. 47
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168; dazu: Latty, AFDI 51 (2005), 205 (216). 48
IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 202.
49
Franck, The Structure of Impartiality: Examining the Riddle of One Law in a Fragmented World (1968), 196; Simma/Tomuschat (1991), Art. 33, Rn. 26; Steinberger, in: Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (Hrsg.), Judicial Settlement of International Disputes (1974), 193 (266): “To determine the relevant facts in an international dispute is one of the most delicate things to do, and in many cases the disputants disagree far more as to the relevance of facts and their evaluation in the light of a legal rule or principle than as to the law itself, uncertain as it may be.” Steinberger verbindet diese Feststellung mit einer Warnung vor zu großen Tatsachenfeststellungskompetenzen eines internationalen Gerichts. Die Bedeutung der Tatsachenfeststellung in Verfahren vor dem IAGMR betonend Bovino, International Journal on Human Rights 2 (2005), 57. 50
StSH, Arbitration pursuant to an Agreement to Arbitrate dated 3 October 1996 (Eritrea v. Yemen), Award of the Tribunal in the Second Stage of the Proceedings (Maritime Delimitation), Schiedsspruch vom 17. Dezember 1999, Ziff. 61.
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lung über eine reine Hilfsfunktion hinaus:51 Zu den zentralen Funktionen eines internationalen Gerichts gehört die Klärung des Sachverhaltes durch neutrale Beschaffung von Informationen.52 Das Ansteigen strittiger Tatsachen in der internationalen Streitschlichtung hat im Wesentlichen zwei Gründe. Zunächst wird die internationale gerichtliche Streitbeilegung in zwischenstaatlichen Streitigkeiten heute häufiger in Anspruch genommen als noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In der gegenwärtigen völkerrechtlichen Ordnung kann es nicht mehr als Ausnahmetatbestand qualifiziert werden, wenn ein souveräner Staat Streitigkeiten in gerichtlicher Form beilegt.53 Nach dem in Art. 3 Abs. 10 DSU niedergelegten – aber auch für andere völkerrechtliche Streitbeilegungsmechanismen schon wegen Art. 33 VNCharta geltenden – Grundsatz gilt vielmehr, dass „die Inanspruchnahme der Streitbeilegungsverfahren nicht als streitige [Handlung] beabsichtigt oder zu betrachten“ ist.54 Das in einem Gerichtsverfahren selbstverständliche Bestreiten der von der Gegenseite vorgebrachten Tatsachen ist folglich auch kein Angriff auf die „Staatenehre“, etwa in der Form der Bezichtigung der Lüge. Gleiches gilt für die Anzweiflung des Wahrheitsgehalts der Tatsachenerklärungen der Parteien, insbesondere der Aussagen ranghoher Regierungsvertreter, durch das internationale Gericht selbst.55
51 52
Highet, AJIL 81 (1987), 1 (6). Posner/Yoo, California Law Review 93 (2005), 1 (14, 17).
53
So auch: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 22. Noch von einem Ausnahmetatbestand sprechend: Hamacher, Die Maxime audiatur et altera pars im Völkerrecht (1986), 19. 54 Diese Feststellung findet sich bereits im Understanding Regarding Notification, Consultation, Dispute Settlement and Surveillance vom 28. November 1979, L/4907, Ziff. 9. 55
Dies klingt bereits in der vorsichtigen Formulierung des Urteils des IGH im Nicaragua-Fall an, wenn der Gerichtshof bezüglich des Beweiswerts der Zeugenaussagen von Regierungsmitgliedern der Streitparteien anmerkt, dass den Parteien günstige Aussagen mit großer Zurückhaltung behandelt werden müssten, „while in no way impugning the honour or veracity of the Ministers of either Party who have given evidence“ (IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (43, Ziff. 70)). Zur Zurückhaltung der GATT-Panels bei der Anzweifelung tatsächlicher Aussagen der Streitparteien siehe Thomas, JWT 30,2 (1996), 53 (69): “Panels … appeared to be reluctant to case aspersions on States’ credibility or on the motivation of their acts.”
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Ein zweiter Grund für die erhöhte Relevanz von Tatsachenfragen im internationalen zwischenstaatlichen Prozess ist die fortschreitende Verrechtlichung der internationalen Beziehungen,56 also die Konsolidierung und Verdichtung des völkerrechtlichen Normmaterials in die Tiefe (umfassendere Regelung einzelner Bereiche) sowie das Hinzukommen neuer Regelungsgegenstände und die damit einhergehende erhöhte Komplexität der Rechtsmaterien.57 Dadurch steigt notwendig auch die Anzahl der den Rechtsstreitigkeiten zugrunde liegenden Tatsachenfragen.58 Gleichzeitig erhöht sich der Bedarf an Regeln, die diesen Prozess steuern und damit die Wahrscheinlichkeit, dass das Beweisrecht entscheidenden Einfluss auf das Prozessergebnis hat. Beweislastentscheidungen werden häufiger.59
2. Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen Es ist ein Postulat des fairen Verfahrens und der Rechtssicherheit, dass die Parteien das vom Gericht anwendbare Prozessrecht bereits vor Beginn des Verfahrens kennen und die Chancen auf Prozesserfolg- oder -niederlage rational bewerten können.60 Der Prozesserfolg hängt nicht 56
Für den Bereich des Wirtschaftsvölkerrechts: Nettesheim, FS-Oppermann (2001), 381 (392). 57
Fleischhauer, Friedenswarte 74 (1999), 113 (120); Waincymer, WTO Litigation (2002), 530 für die WTO; allgemein auch: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 23. 58
Dazu schon Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (25): «Lorsque … le domaine juridique international s’étendra, s’enrichira, alors le domaine des faits comportants des conséquences juridique s’étendra, se développera.» 59 60
Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 67.
Toope, Mixed International Arbitration (1990), 40: “[A]n unprincipled approach to procedure … offends legal values such as certainty and prior knowledge (publicity) of rules.” Siehe auch: StIGH, The Mavrommatis Jerusalem Concessions, Ser. C, Acts and Documents Relating to Judgments and Advisory Opinions Given by the Court, No. 7-II, Documents Relating to Judgment No. 5 (1925), Annex 4, Speech by Sir Douglas Hogg (representing the British Government) at the public sitting of February 11th-13th, 1925, 92 (95 f.): “[I]t is essential that litigants shall know what are the principles by which the Court is guided and what are the rules under which its proceedings are carried out. … [I]n arbitration proceedings there is frequently more latitude with regard to questions of evidence. … [T]hat is one of the reasons why arbitration is very often a most unsatisfactory method of proceeding. … [I]t would be disastrous if the decision should be that there are no rules of evidence observed here at all. …
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nur von der materiellrechtlichen Position der Parteien ab, sondern auch von den ihnen zur Verfügung stehenden prozessualen Mitteln.61 Der von den Staaten oft bewusst gewählten fehlenden prozessualen Formstrenge internationaler Verfahren entsprechend ist vielen Abhandlungen über das Prozessrecht internationaler Gerichte die Annahme gemein, dass das Ausfüllen der prozessrechtlichen Lücken im Ermessen des jeweiligen Gerichts stehe, das von Fall zu Fall entscheiden könne, wie das jeweilige Problem zu handhaben sei.62 Eine Notwendigkeit verfahrensrechtlicher Vereinheitlichung und normativer Verdichtung stand daher lange nicht zur Debatte.63 Freies Ermessen in prozessrechtlichen Fragen käme jedoch einer (ungeschriebenen) Kompetenz gleich, verfahrensrechtliche Probleme ex aequo et bono, also nach Grundsätzen der Billigkeit zu entscheiden. Diese muss von den Parteien dem Gericht gewöhnlich explizit erteilt werden (Art. 38 Abs. 2 IGH-Statut).64 Dies hat die EECC in ihrer Decision No. 4 in Bezug auf das Beweisrecht ausdrücklich anerkannt: “The Parties are reminded that under Article 5 (13) of the Agreement of December 12, 2000, the Commission is bound to apply the relevant rules of international law and cannot make decisions ex ae[T]he rules of evidence … are an essential feature in judicial procedure and they are no less important in this international Tribunal than they are in everyday municipal tribunals of the world.” 61
Watts, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 327 (334). Anders: Lindroos/Mehling, EJIL 16 (2005), 857 (876): “Not being substantive rules, [procedural norms] wield little influence as to the outcome of disputes.” 62
Siehe Watts, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 289; Petrochilos, Procedural Law in International Arbitration (2004), 235 f.; Biehler, International Law in Practice: An Irish Perspective (2005), 187. Besonders pointiert: Riddell, LJIL 20 (2007), 405 (413): “With no detailed rules on the burden and standard of proof or the production of evidence, the [ICJ] is free to take whatever position it likes in a particular case.” 63 64
Siehe jedoch de la Fayette, IJMCL, 15 (2000), 355 (362 f.).
Dazu auch IGH, LaGrand Case, CR 2000/27, 52 f., Ziff. 35 (Pierre-Marie Dupuy): «Il n’y a qu’un cas et un seul, du reste jamais réalisé en pratique, dans lequel vous êtes autorisés à faire autre chose que du droit. Ce cas, resté singulier, c’est celui dans lequel les parties vous demanderaient de statuer ex aequo et bono, en application de l’article 38, paragraphe 2. Le reste du temps, la Cour ne fait qu’une chose; elle fait du droit!» und IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, sep. op. Simma, ICJ Rep. 2005, 334 (335, Ziff. 3): “Its [the ICJ’s] very raison d’être is to arrive at decisions based on law and nothing but the law … .”
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quo et bono. The rules that the Commission must apply include those relating to the need for evidence to prove or disprove disputed facts.”65 Ein zu weit verstandenes Ermessen des Gerichts birgt noch dazu das Risiko gerichtlicher Willkür.66 Die Parteien haben daher ein Recht auf Kenntnis und konsistente Anwendung (Stabilität) der prozessualen Regeln.67 Insbesondere Fragen der Beweislastverteilung und des Beweismaßes sind dabei maßgebliche Kriterien, die bereits im Vorfeld der gerichtlichen Auseinandersetzung, insbesondere für die Entscheidung zur Einleitung eines Verfahrens oder zur gütlichen außergerichtlichen Einigung, von Bedeutung sind.68 Der wirkliche Wert des einer Partei zustehenden Rechts kann im nationalen wie im internationalen Prozess ohne Berücksichtigung der Beweislastverteilung und des Beweismaßes nicht präzise bestimmt werden.69
65
EECC, Decision Number 4: Evidence, August 2001, abrufbar unter: <www.pca-cpa.org/upload/files/Decision%204.pdf>. 66
Jacob, MLR 59 (1996), 207; Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 42: „has the disadvantage of opening the door to carelessness and looseness in dealing with these important matters“. 67
Scobbie, ICLQ 41 (1992), 808 (839); StIGH, Ser. D (1936), Acts and Documents Concerning the Organization of the Court, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th, 1936, 38: «[L]es plaideurs on droit à une sérieuse garantie de la stabilité des règles de la procédure.» (M. Fromageot). Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Thirlway, Art. 30, Rn. 14 mit Bezug auf die Auswirkungen von Änderungen der IGH-VerfO für laufende Verfahren. Siehe auch: Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 175, der resümiert, dass die Parteien eines Rechtsstreits sich darauf verlassen können mussten, dass die VerfO wie verabschiedet gilt. Dazu auch die bereits zitierte Passage aus StIGH, The Mavrommatis Jerusalem Concessions, Ser. C, Acts and Documents Relating to Judgments and Advisory Opinions Given by the Court, No. 7-II, Documents Relating to Judgment No. 5 (1925), Annex 4, Speech by Sir Douglas Hogg (representing the British Government) at the public sitting of February 11th-13th, 1925, 92 (95 f.). 68
Alford, ASIL Proc. 94 (2000), 160 (162); Grando, JIEL 9 (2006), 615 (616); Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (262); Zehetner, FS-Verdross (1980), 701 (702 f.). 69 Für das nationale Verfahrensrecht: Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht (1983), 287.
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3. Legitimität und Effektivität gerichtlicher Entscheidungen Eine dogmatische Fundierung des Beweisrechts ist weiterhin notwendig, um eine sorgfältige Beweiserhebung und –würdigung nach transparenten Regeln durch das Gericht zu gewährleisten. Im Falle unvorhersehbarer und auf mangelhafter Tatsachenbasis getroffener Entscheidungen besteht die Gefahr, dass die streitbeteiligten Staaten,70 aber auch andere interessierte Gruppen71 diese als nicht legitim zurückweisen und daher nicht befolgen werden. Dies zeigt sich gerade auch an aktuellen Verfahren vor dem IGH, wie insbesondere dem Oil Platforms-Fall,72 dem Israeli Wall-Fall73 und dem Genocide-Fall.74 Letztlich ist damit die 70
Boyle/Chinkin, The Making of International Law (2007), 302; Posner/Yoo, California Law Review 93 (2005), 1 (20). 71
Meyer, HRRS 2007, 218 (226) in Bezug auf die Kritik von Beobachtern hinsichtlich der beweisrechtlichen Schwierigkeiten im Application of the Genocide Convention-Fall. 72
Die im Oil Platforms-Fall ergangenen Sondervoten stellen besonders auf die Notwendigkeit der Offenlegung des anzuwendenden Beweismaßes zur Förderung der Legitimität ab: IGH, Oil Platforms Case (Merits), sep. op. Higgins, ICJ Rep. 2003, 225 (233, Ziff. 30); sep. op. Buergenthal, ICJ Rep. 2003, 270 (286 f., Ziff. 41). In die gleiche Richtung: Green, JCSL 9 (2004), 357 (383 f.), der die aus der Nichtaufdeckung des Beweismaßes resultierende mangelnde Überprüfbarkeit der Entscheidungen des IGH kritisiert. 73
Im Israeli Wall-Fall übten mehrere Richter in Sondervoten Kritik an der Tatsachenbasis, auf deren Grundlage der IGH das von der Generalversammlung beantragte Gutachten erstattete. So führte Richter Buergenthal aus: “I am compelled to vote against the Court’s findings on the merits because the Court did not have before it the requisite factual bases for its sweeping findings.” (IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Gutachten vom 9. Juli 2004, decl. Buergenthal, ICJ Rep. 2004, 240 (240, Ziff. 1)). Richterin Higgins merkte an, dass “although there has indeed been much information provided to the Court in this case, that provided directly by Israel has only been very partial. … [T]he Court’s findings of fact are notably general in character.” (sep. op. Higgins, ICJ Rep. 2004, 207 (217, Ziff. 40)). Aus diesem Grund forderte Richter Owada die aktivere Nutzung der Tatsachenermittlungskompetenzen des Gerichts (sep. op. Owada, ICJ Rep. 2004, 260 (270 f., Ziff. 30)). Hierzu auch Boyle/Chinkin, The Making of International Law (2007), 303. Die Tatsachenbasis des Gutachtens wurde auch vom Israelischen Obersten Gericht kritisiert, das sonst betonte, dass es in der rechtlichen Beurteilung der Situation dem IGH grundätzlich zustimme: “Once again, the simple truth is proven: the facts lie at the foundation of the law, and the law arises from the facts (ex facto jus oritur).” (The Supreme Court of Israel Sitting as the High Court of Justice, Mara’abe v. The Prime Minister of Israel, H.C.J.
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Effektivität gerichtlicher Streitbeilegung insgesamt angesprochen, da für die Durchsetzung der Urteile in erster Linie die Streitparteien selbst verantwortlich sind.75 Klare, im Voraus bekannte Regeln können so dazu beitragen, negativer Kritik am Beweisverfahren vorzubeugen. Dies gilt besonders dann, wenn die Parteien aus unterschiedlichen Rechtskreisen kommen.76 Gerade im Bereich des Beweisrechts ist folglich eine klare rechtliche Regelung geboten, da die Rechtskulturen sich in diesem Gebiet jedenfalls in der Theorie stark unterscheiden.77 Klare, transparente und sichere Beweisregeln sind also zwingend erforderlich, um die Legitimität des Urteils oder des Schiedsspruchs sicherzustellen und damit dessen Akzeptanz zu erreichen.78 Auch die Art und
7957/04, Urteil vom 15. September 2005, Ziff. 61 (per Barak J.)). Zum Verhältnis der beiden Urteile siehe Orakhelashvili, JCSL 11 (2006), 119 ff. 74
Siehe die pointierte Kritik an der Tatsachenfeststellung des IGH im Genocide-Fall bei Alvarez, ASIL Newsletter 23 (2) (2007) 1 (2): “[T]he majority of the ICJ’s judges appear in need of a basic course in fact-finding.” Auch: Milanović, EJIL 18 (2007), 669 (678): “The ICJ’s reluctance to issue an evidentiary order to Serbia has led to an immense ruckus in the general publics of Serbia, Bosnia and Croatia, with the Bosnians and Croats now believing more and more that the ICJ deliberately let Serbia off the hook and that its Genocide judgment is fundamentally unfair.” Ebenso: Groome, Fordham ILJ 31 (2008), 911 (931) und Goldstone/Hamilton, LJIL 21 (2008), 95 (109 f.). 75
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, sep. op. Koojimans, ICJ Rep. 2005, 306 (307, Ziff. 4): “A judgment which is not seen as logical and fair in its historical, political and social dimensions runs the risk of being one compliance with which will be difficult for the parties.” 76
Für die private Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit: Raeschke-Kessler, FSSchlosser (2005), 713 (729). 77
Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 565. 78
Darauf weist besonders Franck, Fairness in International Law and Institutions (1995), 335 hin. Siehe auch: Franck/Fairley, AJIL 74 (1980), 308 (309); Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (192); Kolb, SZIER 16 (2006), 163 (177) und Cass, The Constitutionalization of the World Trade Organization (2005), 195. Crook, AJIL 98 (2004), 309 (311, Fn. 11) ergänzt, dass die Praxis des IGH, die Würdigung der Beweismittel in Grenzstreitigkeiten transparent zu gestalten, die Bereitwilligkeit der Staaten gefördert haben dürfte, diese Art von Streitigkeiten vor den IGH zu bringen. Gleiches gilt für die Legitimität der Entscheidungen des Sicherheitsrates: O’Donnell, EJIL 17 (2006), 945 (958).
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Weise der Beweisaufnahme und –würdigung ist entscheidend für die Legitimität: “A guaranteed capacity to generate facts that have been independently evaluated, either through a third-party fact-finding process or through the public contestation inherent in the adversary system, helps counter the perception of self-serving or ‘political’ judgments.”79 Diese Legitimierungsfunktion der Beweiserhebung ist umso bedeutungsvoller, als die gerichtliche Klärung internationaler Streitigkeiten als solche einen Legitimitätsgewinn des Völkerrechts als Ganzem oder eines Teilrechtssystems bedeutet.80 Sie ist ebenso wichtig im Hinblick auf die Bereitschaft der Staaten, internationale Gerichtsverfahren in Gang zu setzen.81 Prozessuale Verrechtlichung sollte daher der staatlichen Streitschlichtungsbereitschaft nicht als ab- sondern zuträglich gewertet werden.
4. Organisatorische und kompetenzielle Rahmenbedingungen der internationalen Gerichtsbarkeit Das normative Umfeld des Beweisrechts vor internationalen Gerichten unterscheidet sich deutlich vom nationalen Beweisrecht. Erstens kennt das Völkerrecht mit Ausnahme des WTO-Streitbeilegungsmechanismus, des EuGH und der internationalen Strafgerichtshöfe keinen zweioder gar dreistufigen Instanzenzug, in dessen Rahmen sich ein Berufungs- oder Revisionsgericht auf einen bereits gerichtlich aufgearbeiteten Sachverhalt stützen kann.82 Auch der IGH ist angesichts des Fehlens einer hierarchischen Gerichtsordnung lediglich primus inter pares.83 Selbst wenn der IGH Schiedssprüche auf Antrag der Parteien über79
Helfer/Slaughter, Yale Law Journal 107 (1997), 273 (303).
80
Howse, in: Coicaud/Heiskanen (Hrsg.), The Legitimacy of International Organizations (2001), 355 (374 ff.); Cass, The Constitutionalization of the World Trade Organization (2005), 180. 81
Highet, AJIL 81 (1987), 1 (53), der auf die negativen Folgen eines Mangels an Vertrauen der Staaten in die Fähigkeiten des IGH hinweist, Tatsachenfragen adäquat zu behandeln: “[I]n the long run, the factual matrix is always the most important part of any lawsuit.” 82
Rosenne, in: Heere (Hrsg.), International Law and The Hague’s 750th Anniversary (1999), 45 (51 f.); Murphy, AJIL 99 (2005), 62 (74). 83
Waldock, RdC 106 (1962 II), 1 (106).
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prüft, wird er aus eigener Gerichtsbarkeit und nicht als Berufungsgericht tätig.84 Eine Ausnahme hierzu stellt die Streitbeilegung nach dem DSU dar, die zwar ein zweiinstanzliches System kennt, das jedoch ob des Fehlens einer Zurückverweisungskompetenz des Berufungsgremiums kaum Besserungen gegenüber der klassischen internationalen Gerichtsbarkeit im Bereich der Tatsachenfeststellung erkennen lässt. Hinzu kommt, dass internationale Gerichte, insbesondere auch der IGH, institutionell nicht für umfangreiche Beweiserhebungen konzipiert wurden und daher – so zumindest die traditionelle Auffassung – schlecht für diese Aufgabe gerüstet sind.85 Abgesehen von der internationalen Strafgerichtsbarkeit und dem IAGMR in Form der IAKMR verfügen internationale Gerichte nicht über eigenständige Ermittlungsorgane, die auf dem Gebiet einer Streitpartei oder eines Drittstaates tätig werden könnten.86 Die Einrichtung einer mit dieser Aufgabe betrauten Institution etwa beim IGH selbst oder im Rahmen einer internationalen Organisation – wie die von Pierre Cot vorgeschlagene „procédure d’information judiciaire rapide“ in Form einer internationalen „police judiciaire“87 – ist politisch schwer durchsetzbar.88 Dennoch ist gerade für den IGH die Beigabe internationaler Ermittler, sogenannter „mas-
84
IGH, Case concerning the Arbitral Award made by the King of Spain on 23 December 1906 (Honduras v. Nicaragua), Urteil vom 18. November 1960, ICJ Rep. 1960, 192 (214). 85
Brower, The International Lawyer 28 (1994), 47; Watts, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 289 (295); Murphy, AJIL 99 (2005), 62 (74); IGH, Genocide Case (Merits), diss. op. Mahiou, Ziff. 62. Gleiches soll für die WTO gelten: Croley/Jackson, in: Petersmann (Hrsg.), International Trade Law and the GATT/WTO Dispute Settlement System (1997), 187 (205, 209). 86
Zur Kompetenz der Ermittlungsorgane der internationalen Strafgerichte: Ambos, Internationales Strafrecht (2008), § 8, Rn. 52. 87
IGH, Corfu Channel Case, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Judgments of March 25th, 1948, April 9th and December 15th, 1949, Bd. IV, 679 (Duplik von Pierre Cot). 88
Shah, AJIL 53 (1959), 595 (612); The International Court of Justice, Efficiency of Procedures and Working Methods, Report of the Study Group Established by the British Institute of International and Comparative Law as a Contribution to the UN Decade of International Law, in: Bowett u.a. (Hrsg.), The International Court of Justice: Process, Practice and Procedure (1997), 27 (72, Ziff. 99). Siehe auch: Franck, The Structure of Impartiality (1968), 204.
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ters for findings of fact“, immer wieder vorgeschlagen worden.89 In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag der ad hoc-Einrichtung einer Untersuchung durch Organe der VN zur Vorbereitung eines IGH-Gutachtens.90 Entsprechende Vorschläge sind aber keinesfalls auf den IGH begrenzt, sondern finden sich auch in Bezug etwa auf die WTO-Streitbeilegung.91 Aus dem beschriebenen Mangel an exekutiven Instanzen, die Tatsachenermittlungen selbst durchführen könnten, erklärt sich, dass die Streitparteien selbst die Hauptverantwortung für die Beibringung des Tatsachenmaterials tragen. Dies kann aus eigener Initiative oder auf Anordnung des Gerichts geschehen. Ordnet der internationale Richter eine Beweiserhebung an, für deren Umsetzung die Staaten verantwortlich sind, etwa die Vorlage einer Urkunde oder die Beibringung eines Zeugen, stellt sich weiter das Problem, dass keine Zwischeninstanzen zur Verfügung stehen, die seine prozeduralen Entscheidungen notfalls durchsetzen.92 Mangels Supranationalität der untersuchten Spruchkörper bestehen auch keine anderen Zwangsbefugnisse, weder gegenüber Staaten noch gegenüber Einzelpersonen.93 89
Solche Vorschläge wurden z.B. unterbreitet von Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 162; Highet, in: Damrosch (Hrsg.), The International Court of Justice at a Crossroads (1987), 355 (372) und in neuerer Zeit von Halink, New York University JILP 40 (2008), 13 (47 ff.). Als Grundlage hierfür könnte Art. 50 IGH-Statut dienen. Siehe auch: Rosenne, AJIL 94 (2000), 307 (315 f.), der die Chamber for Summary Procedure als Organ vorschlägt, das zwischen den Parteien strittige Tatsachenfragen noch vor der mündlichen Verhandlung ermitteln könnte. Für die Einrichtung von „Pre-Trial Chambers“ vor dem IGH unter Art. 26 IGH-Statut: Halink, New York University JILP 40 (2008), 13 (43 ff.). In Bezug auf internationale zwischenstaatliche Verfahren allgemein wird diese Möglichkeit auch von Reisman, Nullity and Revision (1971), 602 f. diskutiert, jedoch letztlich verworfen. 90
Franck/Fairley, AJIL 74 (1980), 308 (310).
91
Collins, University of Pennsylvania Journal of International Economic Law 27 (2006), 367 ff. Auf S. 385 schlägt Collins sogar Polizeigewalt für die WTO-Ermittler vor. 92
Reuter, Le développement de l’ordre juridique international (1995), 538; Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 57 (für die WTO-Panels). 93
Highet, AJIL 81 (1987), 1 (6, Fn. 24, und 30): “The sovereignty of each state is absolute over its territory; a party to litigation before the Court can therefore exercise unfettered ability to prevent discovery and determination of essential facts.” Alford, Villanova Law Review 4 (1958), 37 (53); Fitzmaurice, The
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Die Aufklärung wird darüber hinaus oft noch dadurch erschwert, dass die Sachverhalte häufig zum Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens bereits längere Zeit zurückliegen94 und der Prozess selbst langwierig ist. Daraus resultiert nicht selten eine gewaltige Materialfülle, die internationalen Gerichten zum Beweis der relevanten Tatsachen von den Prozessparteien – oft ohne Rücksicht auf die Beweiskraft oder die Geeignetheit zum Nachweis einer Tatsache – vorgelegt wird.95 Auch darf nicht unterschätzt werden, dass der Prozess der Tatsachenfeststellung dadurch erschwert wird, dass die Gerichte in aller Regel über keine detaillierten Kenntnisse der in einem Staat herrschenden gesellschaftlichen Umstände verfügen, die sich auf den zu behandendeln Fall auswirken können.96 Obwohl das Infragestellen tatsächlicher Schilderungen durch die gegnerische Partei nicht als Angriff auf die „Staatenehre“ gelten kann,97 stellen sich Schwierigkeiten angesichts der Staatenqualität der Streitparteien, die jede für sich Souveränität beanspruchen können und ein starkes Interesse daran haben, die vor dem internationalen Gericht unter Umständen in öffentlicher Verhandlung präsentierten und später im Urteil verwerteten Beweismittel zu kontrollieren.98 Jede Anzweifelung der von ihr vorgetragenen Tatsachen durch das Gericht und das Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 576. Zur vergleichbaren Situation (internationaler) privater Schiedsgerichte: Wagner, in: Weigand (Hrsg.), Practitioner’s Handbook on International Commercial Arbitration (2001), 685 (759 f.; Rn. 242 f. m.w.N.). 94
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 3.
95
Die Entwicklung der Materialfülle seit den Anfängen des StIGH skizziert Highet, AJIL 81 (1987), 1 (16 f.). Siehe auch: IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (200, Ziff. 58): „vast amount of material“. Für die WTO Panels: Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 und Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 115, der den Fall Japan – Photographic Film and Paper beispielhaft herausgreift. Für den IGH siehe nur Practice Direction III: “The parties are strongly urged to keep the written pleadings as concise as possible, in a manner compatible with the full presentation of their positions. In view of an excessive tendency towards the proliferation and protraction of annexes to written pleadings, the parties are also urged to append to their pleadings only strictly selected documents.” Zur Situation vor dem IAGMR siehe Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights (2003), 207. 96
Matthias Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003),
57. 97 98
Siehe oben II. 1. Murphy, AJIL 99 (2005), 62 (75).
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Verlangen nach weiteren Beweismitteln kann so zu einem diplomatischen Balanceakt geraten.
III. Schwerpunkte der Arbeit: spezifische Problembereiche des Beweisrechts Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf denjenigen Bereichen des internationalen Beweisrechts, die einerseits grundlegend für die Struktur des Rechtsgebiets sind und andererseits besondere Defizite in der bisherigen wissenschaftlichen Aufarbeitung aufweisen. Es sind dies insbesondere Fragen der Rollenverteilung zwischen den Parteien und dem internationalen Gericht in der Tatsachenermittlung und Beweiserhebung (dazu 1.), der Kooperationspflichten der Parteien und dritter Staaten (dazu 2.), der Mitwirkungsrechte bzw. -pflichten von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen in der Beweiserhebung (dazu 3.), der Durchsetzung der Anordnungen des Gerichts bei der Aufklärung des Sachverhalts (dazu 4.), der Beweisaufnahme, Beweiswürdigung und des Beweismaßes (dazu 5.) sowie der Beweislastverteilung (dazu 6.)
1. Rollenverteilung zwischen Parteien und Gericht: Gerichtliche Kompetenzen amtswegiger Tatsachenermittlung Die Verteilung der Verantwortlichkeiten für die Ermittlung der prozessrelevanten Tatsachen ist eine Grundentscheidung jedes Prozessrechtssystems. Es liegt schon aus praktischen Erwägungen nahe, die Stoffsammlung im internationalen Prozess in erster Linie in die Hände der Parteien zu legen. Dennoch ist zu untersuchen, ob und unter welchen Umständen das internationale Gericht selbst tätig werden darf, um Tatsachen zu klären, die es den von den Parteien dargebotenen Beweismitteln nicht entnehmen kann. Damit verbunden ist die Thematik der Begrenzung der gerichtlichen Kompetenz auf zwischen den Parteien streitige Tatsachen. Zu behandeln ist die Frage, ob der internationale Prozess sich eher am Ideal des common law, dem sogenannten „adversarial system“ mit einem in Tatsachenfragen eher zurückhaltenden Richter orientiert, oder ob er eher dem in der angelsächsischen Literatur oft als „inquisitorial system“ missbezeichneten Verhandlungsgrundsatz entspricht, der in seinen verschiedenen kontinentaleuropäischen Ausformungen eine stärkere materielle Prozessleitungsfunktion des Richters vorsieht. In Betracht kommt auch die Geltung des Untersu-
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chungsgrundsatzes, der dem Richter nicht nur das Recht, sondern die Pflicht zur weiteren Nachforschung auferlegt.
2. Kooperationspflichten der Parteien und dritter Staaten In jeder gerichtlichen Auseinandersetzung wird es im Interesse der Parteien sein, nur solches Tatsachenmaterial vorzulegen, das dem eigenen Prozesserfolg zuträglich erscheint. Dies konfligiert einerseits mit den Interessen der anderen Partei, das sich im Besitz des Gegenüber befindliche, der eigenen Argumentation günstige Material zu verwenden, andererseits jedoch möglicherweise auch mit dem Ziel des Prozesses, zur Befriedung der Parteien eine Entscheidung auf möglichst umfassender und daher wenigstens näherungsweise der Wahrheit entsprechender Tatsachengrundlage zu treffen. Hier stellen sich demnach Fragen der Kooperationspflichten der Prozessparteien, insbesondere der Editionspflicht von Urkunden (discovery). Dieser Problemkreis ist bisher weder von der internationalen Gerichtsbarkeit noch von der völkerprozessrechtlichen Literatur einheitlich und zufriedenstellend beantwortet worden. Der zwischenstaatliche Rechtsstreit ist im Grundsatz ein strikt bilaterales Unterfangen. Daher ist von Interesse, inwiefern das internationale Gericht bzw. die Streitparteien sich zur Informationssammlung auch an dritte, am konkreten Rechtsstreit nicht beteiligte Staaten wenden können.
3. Mitwirkungsrechte und -pflichten von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen Trotz des bilateralen Charakters zwischenstaatlicher gerichtlicher Streitbeilegung kann es sich als nötig erweisen, internationale Organisationen um Informationen nachzusuchen, wie es etwa Art. 34 Abs. 2 IGH-Statut vorsieht. Auch können internationale Organisationen unter Umständen selbst ein Interesse daran haben, den Prozess durch Stellungnahmen nicht nur bezüglich der Rechtslage, sondern auch der Tatsachengrundlage zu beeinflussen. Daneben hat sich insbesondere in den letzten Jahren vermehrt die Frage nach der Beteiligung anderer nicht-staatlicher Akteure gestellt. So ist die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen oder einzelnen Privatpersonen an zwischenstaatlichen Verfahren, deren Gegenstand oft über die vordergründig im Zentrum stehenden Staateninteressen hi-
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nausgeht, insbesondere unter dem Stichwort der amicus curiae-Stellungnahmen diskutiert worden. Zu klären ist, ob sich deren Rolle in der Beleuchtung von Rechtsfragen erschöpft oder ob sie darüber hinaus auch zur Klärung der Tatsachenbasis beitragen können und dürfen. Auch hier steht eine befriedigende gerichtsübergreifende Klärung des prozessrechtlichen Status dieser Akteure noch aus.
4. Durchsetzung des Prozess- und Beweisrechts Die internationale Gerichtsbarkeit befindet sich in einer paradoxen Situation: Einerseits hat sie häufig Streitigkeiten von besonderer politischer Brisanz vor dem Hintergrund hochkomplexer Sachverhalte zu entscheiden, andererseits verfügt sie über keine dem internen staatlichen Recht vergleichbaren Durchsetzungsmechanismen zur Sachverhaltsfeststellung.99 Daher sind die speziell auf internationaler Ebene vorhandenen Möglichkeiten der Durchsetzung prozessualer Entscheidungen näher zu beleuchten. Dabei ist mehrfach zu differenzieren: Einerseits kann die Durchsetzung innerprozessual (etwa durch Berücksichtigung eines Verstoßes in der Beweiswürdigung) oder durch „außerprozessuale“ Mittel erfolgen. Für den letzten Fall ist weiterhin zu unterscheiden einerseits zwischen internationaler und innerstaatlicher Durchsetzung und andererseits nach dem Subjekt der Durchsetzung. Es ist also zu fragen, ob das Gericht seine prozessualen Entscheidungen zentral durchsetzt oder die Staaten dies dezentral vornehmen, sie also etwa im Falle der Editionsanordnung in der jeweils gegnerischen Rechtsordnung vollstrecken können.
5. Beweisaufnahme, Beweiswürdigung, Beweismaß Offene Fragen bestehen auch im Hinblick auf die Zulässigkeit der Beweisaufnahme. Fraglich sind insbesondere die Geltung und Reichweite des Grundsatzes iura novit curia, die Beweisbedürftigkeit von Tatsachen, die von der gegnerischen Partei zugestanden wurden oder die nach dem Estoppel-Grundsatz als wahr gelten, sowie die Thematik der
99
Siehe nur Reuter, Le développement de l’ordre juridique international (1995), 542. Ebenso: Brower, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 147 (150): “Thus it is that international tribunals are far less equipped than are municipal tribunals to perform a task that at the same time is inherently more difficult for international tribunals.”
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Bindung internationaler Gerichte an die Tatsachenfeststellungen anderer internationaler Gerichte und Organisationen. Des Weiteren spielt die Frage der Beweisverbote, insbesondere der staatlichen Beweisverweigerungsrechte in Bezug auf die nationale Sicherheit betreffende Informationen, eine immer größere Rolle. Der Prozess der Beweiswürdigung und das Beweismaß sind Themen, die internationale Gerichte in der Vergangenheit stiefmütterlich behandelten, was auch internationale Richter in jüngerer Zeit kritisierten. So stellt Richterin Higgins in ihrem Sondervotum im Oil Platforms-Fall fest: “[T]here is … little to help parties appearing before the Court (who already will know they bear the burden of proof) as to what is likely to satisfy the Court. … The principal judicial organ of the United Nations should … make clear what standards of proof it requires to establish what sorts of facts. … [T]he Court … should in my view, have decided, and been transparent about, the standard of proof required in this particular case.”100 Eine in die gleiche Richtung zielende Kritik wurde bereits vier Jahre zuvor vom damaligen Vizepräsidenten Wolfrum in einem Sondervotum zum Saiga-Fall geäußert. Insbesondere die Transparenz der Beweiswürdigung sei defizitär:101 “The Judgment … [does not] really reveal which mode concerning the appreciation of evidence the Tribunal considers to be appropriate although it is evident that the appreciation of evidence occupies a decisive role in the reasoning of the Judgment. As a matter of transparency of the Judgment, the system on the appreciation of evidence should be clearly identified and fully reasoned. One may even consider this to be a mandatory conclusion to be drawn from the principle of fair trial, an established principle of international law.”102
100
IGH, Oil Platforms Case, sep. op. Higgins, ICJ Rep. 2003, 225 (234, Ziff.
33). 101
Siehe aber auch: Wolfrum, FS-Wildhaber (2007), 915 (919), der wegen der Subjektivität des Beweiswürdigungsvorgangs Zweifel an der Disziplinierungsfunktion eines ex ante bestimmten Beweismaßes anbringt, jedoch anerkennt, dass ein solches eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Beweismaterial und eine erhöhte Begründungspflicht für die Richter erforderte. 102
ISGH, “SAIGA” (No. 2) (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (92, Ziff. 2). Siehe auch Ziff. 4: “International jurisprudence does not provide for extended guidance in respect of the appreciation of evidence. Contrary to
28
Kapitel 1
Im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall nimmt der IGH diese Kritik auf und betont die Bedeutung einer transparenten Beweiswürdigung.103 Auch im Application of the Genocide Convention-Fall, in dem Fragen der Beweiswürdigung eine zentrale Rolle spielten, widmete der Gerichtshof einen Abschnitt seines Urteils den Fragen der Beweislastverteilung, des Beweismaßes und der Beweiswürdigung.104 Diese neueren Entwicklungen sollen mit denen anderer internationaler Gerichte mit dem Ziel verglichen werden, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten.
6. Beweislastverteilung Die Beweislastverteilung kann das Ergebnis auch internationaler Gerichtsverfahren entscheidend beeinflussen.105 Sie wirkt sich bereits im Vorfeld eines Prozesses aus, da von ihr die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage und damit die Entscheidung zur Beschreitung des Rechtsweges mit abhängen.106 Dennoch sind die Grundsätze der Beweislastverteilung im internationalen Prozess von internationalen Gerichten bisher nicht befriedigend geklärt worden,107 obwohl diesbezügmunicipal law, international law, in general, and the rules of international courts and tribunals, in particular, have only developed regulations on procedural aspects concerning the submission of evidence by the parties but not on the appreciation of evidence in general. This is also true for the Rules of the Tribunal which in several provisions refer to the submission of evidence by the parties and the authority of the Tribunal to call upon the parties to produce such evidence the Tribunal considers necessary.” Dieser Kritik schließt sich an: de la Fayette, IJMCL, 15 (2000), 355 (361 ff.). 103
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (200, Ziff. 59): “[T]he Court will examine the facts relevant to each of the component elements of the claims advanced by the Parties. In so doing, it will identify the documents relied on and make its own clear assessment of their weight, reliability and value.” 104
IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 202-230.
105
Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht (2006), Rn. 682; Young, BYIL 71 (2000), 317 (324). 106
Albus, Zur Notwendigkeit eines Internationalen Umweltgerichtshofs (2000), 130; Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (262). 107 Siehe schon die Feststellung von Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 123.
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29
lich in der Literatur durchaus Vorschläge gemacht worden sind.108 Fraglich sind insbesondere die Grundregel der Beweislastverteilung, die Existenz von Vermutungen im Völkerprozessrecht sowie Fragen der Beweiserleichterungen und Beweislastumkehr insbesondere bei Beweisnot einer Partei.
108
Siehe insbesondere Kazazi, Burden of Proof (1996); Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grundund Menschenrechten (1993) sowie Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998).
Zweites Kapitel: Quellen des Völkerprozessrechts und des Beweisrechts A. Völkerprozessrecht I. Definition des Völkerprozessrechts Diese Arbeit definiert das Völkerprozessrecht1 als das zur Durchsetzung des materiellen Völkerrechts vor internationalen Gerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten anwendbare Recht. Seine Quellen sind völkerrechtlicher Natur, sein Regelungsgegenstand ist neben der Einrichtung und Organisation internationaler Gerichte (institutionelles Recht, Gerichtsverfassungsrecht) und der Zuständigkeit das konkrete Streitverfahren (Verfahrensrecht im Erkenntnisverfahren).2 Es wird so1
Soweit ersichtlich wird der Begriff „Völkerprozessrecht“ erstmals von von Kaltenborn, ZgesStW 17 (1861), 69 ff. gebraucht, der hierzu „[d]iejenigen Institute des Völkerrechts“ zählt, „welche sich als die Mittel und Wege kennzeichnen, um internationale Rechtsstreitigkeiten zu schlichten oder Rechtsverletzungen aufzuheben“. Diese „stehen völlig analog den Rechtsmitteln in der Sphäre des Privat- und des Staatsrechts da und sind wie diese naturgemäss zu einem Systeme des Prozessrechts zusammenzufassen, mithin zugleich von den übrigen internationalen Rechtsinstituten zu sondern“ (S. 77). 2
Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 4 (1986), 4, spricht von „International Judicial Law“, das die Rechtsgrundlagen, Tätigkeiten, Organisation, Gerichtsbarkeit und das Verfahren internationaler Gerichte und Schiedsgerichte umfasst. Ähnlich: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 3: “[T]he term ‘procedure’ lato sensu covers all rules relating to international judicial action. These include the rules governing the composition of the court, questions of competence and admissibility, the objective and subjective conditions for bringing a claim, as well as the modalities according to which the case will be dealt with.” Zur Kritik Schwarzenbergers an den Begriffen „adjective international law“ und „international procedural law“ siehe Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 4 (1986), 17 („Excursus A“). Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987), 33 unterscheidet diesbezüglich zwischen „Jurisdiktionsrecht“ als Metaebene des internationalen Prozessrechts (Einsetzung des Gerichts, Organisation und grundlegende Funktionsregeln, insbesondere die ZuM. Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 215, DOI 10.1007/978-3-642-11647-6_2, © by Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
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Kapitel 2
mit eine weite Definition des Prozessrechts zugrunde gelegt.3 Aufgrund der mangelnden Vollstreckungsmöglichkeit von Urteilen internationaler Gerichte und Schiedsgerichte ist das vom Völkerprozessrecht geregelte Verfahren regelmäßig Erkenntnis-, nicht Vollstreckungsverfahren. Das Völkerprozessrecht ist eine Teilrechtsordnung des Völkerrechts.4 Seine Normadressaten sind demnach zunächst internationale Gerichte, die Völkerrecht anwenden, um Streitigkeiten zwischen zwei oder mehreren Staaten zu entscheiden, zweitens die Parteien des Rechtsstreits sowie drittens andere Akteure, soweit sie am Prozess beteiligt sind (z.B. Dritte bzw. Streitintervenienten oder auch amici curiae).5 Das Völkerständigkeit und Besetzung) und Prozessrecht i.e.S., das die Durchführung eines Verfahrens in concreto regelt. Ähnlich: Acosta Estévez, El Proceso ante el Tribunal International de Justicia (1995), 21 f., der innerhalb des „Derecho internacional procesal“ unterscheidet zwischen „normas de carácter procesal“ und „de carácter orgánico“, sowie Hamacher, Die Maxime audiatur et altera pars im Völkerrecht (1986), 15, der internationale Organisationen und natürliche Personen als Streitparteien mit einbezieht, juristische Personen jedoch ausschließt. 3
Ebenso: ICSID, Aguas Provinciales de Santa Fe S.A., Sociedad General de Aguas de Barcelona S.A. and InterAguas Servicios Integrales del Agua S.A. v. The Argentine Republic, Case No. ARB/03/17, Order in Response to a Petition for Participation as Amicus Curiae, Beschluss vom 17. März 2006, Ziff. 9 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>): “[A] procedural question is one which relates to the manner of proceeding or which deals with the way to accomplish a stated end.” Siehe auch: Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 3: „all rules and principles regulating the manner in which the proceedings … are conducted“. 4
Dazu schon von Kaltenborn, ZgesStW 17 (1861), 69 (77). Aus neuerer Zeit: Acosta Estévez, El Proceso ante el Tribunal International de Justicia (1995), 20; Rosenne, The Law and Practice of the International Court 19202005, Bd. 3 (2006), 1028: „autonomous branch of international law“. Auch: Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht (2006), Rn. 2: „überstaatliches Prozessrecht“. Vorsichtig: Ziccardi Capaldo, Répertoire de la Jurisprudence de la Cour internationale de Justice (1947-1992), Bd. 1 (1995), Foreword, lxvii: „possible development of an autonomous discipline of international law of procedure“ (Hervorh. d. Verf.). 5
Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (106): «La procédure judiciaire internationale est ainsi une part constructive du droit international, gouvernant les activités des parties devant le juge et de celui-ci face à elles, touchant les formes et les étapes de l’instance entre l’acte introductif et la décision par laquelle le juge épuise sa compétence.» Ebenso: Max Sørensen, Les sources du droit international (1946), 170. Anders noch: Scerni, RdC 65 (1938
Quellen des Völkerprozessrechts und Beweisrechts
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prozessrecht ist damit ein Ausschnitt aus dem umfassenderen Gebiet des öffentlichen internationalen gerichtlichen Verfahrensrechts (judicial public international procedural law), das das vor internationalen Strafgerichtshöfen, Menschenrechtsgerichtshöfen und internationalen Verwaltungsgerichten anwendbare Verfahrensrecht mit einschließt,6 von denen sich das Völkerprozessrecht jedoch maßgeblich durch die Gleichrangigkeit der Streitparteien unterscheidet.7 Auch in Streitigkeiten vor völkerrechtlichen Spruchkörpern, an denen andere Völkerrechtssubjekte, nämlich internationale Organisationen oder natürliche und juristische Personen als Parteien beteiligt sind, kommt völkerrechtliches Verfahrensrecht zur Anwendung.8 Die Begrenzung des Regelungsbereichs des Völkerprozessrechts auf zwischenstaatliche Streitigkeiten trägt jedoch dem Umstand Rechnung, dass zwischen verschiedenen Arten internationaler gerichtlicher Streitbeilegung differenziert werden muss, weil sie unter ungleichen Vorzeichen operieren und daher teilweise anderen Regeln folgen.9 So wird das Verhältnis III), 565 (578 f.): Internationales Prozessrecht kann kein Völkerrecht sein, da es sich auch an einzelne (d.h. die internationalen Richter) wendet. Einzelnen komme aber keine Völkerrechtssubjektivität zu. Daher sei das Prozessrecht des StIGH im Recht des Systems des Völkerbundes zu suchen. 6
Zum Begriff des vor internationalen Strafgerichtshöfen anwendbaren Völkerstrafprozessrechts siehe Safferling, in: Renzikowski (Hrsg.), Die EMRK im Privat-, Straf- und Öffentlichen Recht, Grundlagen einer Europäischen Rechtskultur (2004), 145 (151) und Ambos, Internationales Strafrecht (2008), § 8, Rn. 1. Zum Begriff des öffentlichen internationalen Verfahrensrechts siehe Schöbener/Markert, ZVglRWiss 105 (2006), 65 (99). 7
Insofern könnte man mit erheblicher Unschärfe von einem Völkerzivilprozessrecht sprechen, siehe auch Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 30: “The States [in international judicial proceedings] can be largely compared to private citizens confronting a civil judge.” Entsprechend vergleicht Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (80) die Verfahrensordnungen des StIGH und des IGH mit einer Zivilprozessordnung. 8
Einen Überblick über völkerrechtliche Instanzen, die natürlichen und juristischen Personen offenstehen, gibt Dörr, JZ 2005, 905 (911). Zur Abgrenzung der völkerrechtlichen von der privatrechlichen Schiedsgerichtsbarkeit siehe Geimer, Internationales Zivilprozessrecht (2005), Rn. 3715, jedoch mit einschränkender Ansicht zur Völkerrechtssubjektivität des Einzelnen (siehe auch Rn. 132). 9
Oeter, in: Hofmann u.a. (Hrsg.), Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft; Vielfalt der Gerichte – Einheit des Prozessrechts? (2007),
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Kapitel 2
der Parteien zueinander nur im zwischenstaatlichen Prozess von der souveränen Gleichheit der Staaten bestimmt und nur hier stehen sich zwei im Grundsatz „waffengleiche“ Parteien vor Gericht gegenüber. Dies ist grundlegend anders bei anderen internationalen Gerichten, etwa denen der internationalen Strafgerichtsbarkeit, der Menschenrechtsgerichtsbarkeit für den Fall der Individual-, nicht der Staatenbeschwerde, der internationalen Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit.10 Besonders in den ersten drei Fällen besteht ein systemimmanentes Macht- und Informationsgefälle, dem das Prozessrecht Rechnung tragen muss. Dies gilt insbesondere auch für das Beweisrecht, da die Tatsachenbeschaffung zum Zwecke der Beweisführung für Individuuen in der Regel weitaus schwieriger sein dürfte als für den Staat.11 Dem unterschiedlichen Regelungsgegenstand und den 149 (157, 163). Zum Unterschied zwischen IGH und EGMR in Bezug auf die Gültigkeit von Vorbehalten zur Gerichtsbarkeit siehe EGMR, Loizidou v. Turkey (Application no. 15318/89), Preliminary Objections, Große Kammer, Urteil vom 23. März 1995, Ser. A vol. 310, 29 (Ziff. 84 f.): “In the first place, the context within which the International Court of Justice operates is quite distinct from that of the Convention institutions. The International Court is called on inter alia to examine any legal dispute between States that might occur in any part of the globe with reference to principles of international law. The subjectmatter of a dispute may relate to any area of international law. In the second place, unlike the Convention institutions, the role of the International Court is not exclusively limited to direct supervisory functions in respect of a lawmaking treaty such as the Convention. Such a fundamental difference in the role and purpose of the respective tribunals, coupled with the existence of a practice of unconditional acceptance under Articles 25 and 46, provides a compelling basis for distinguishing Convention practice from that of the International Court.” Ähnlich das Diktum des IAGMR, Ivcher Bronstein v. Peru, Competence, Urteil vom 24. September 1999, Ser. C No. 54, 21 (Ziff. 48): “[I]nternational settlement of human rights cases (entrusted to tribunals like the InterAmerican and European Courts of Human Rights) cannot be compared to the peaceful settlement of international disputes involving purely interstate litigation (entrusted to a tribunal like the International Court of Justice); since, as is widely accepted, the contexts are fundamentally different, States cannot expect to have the same amount of discretion in the former as they have traditionally had in the latter.” 10 11
So auch: Pocar, Reply, IDI Annuaire 70 I (2002-2003), 341 (342).
Dazu bereits: Brownlie, ICLQ 11 (1962), 701 (720); Shelton, Duke JCIL 13 (2003), 95 (140); Mosler, FS-Cassin, Bd. 1 (1969), 196 (201); May/Wierda, International Criminal Evidence (2002), 347 mit Hinweis auf die Bedeutung der Rechte des Angeklagten. Für den Prozess vor dem EuGH weist auf die Unterschiede zwischen Verfahren mit Beteiligung von Individuen und solchen, an den
Quellen des Völkerprozessrechts und Beweisrechts
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verschiedenen Interessenlagen gemäß ist zu erwarten, dass sich im zwischenstaatlichen Prozess und in übrigen völkerrechtlichen Verfahren unterschiedliche prozessuale Regeln herausbilden werden, besonders auch im Beweisrecht.12 Das Völkerprozessrecht im hier verstandenen Sinne ist daher rechtsquellenorientiert, indem es Verfahrensrecht völkerrechtlicher Natur umfasst, aber auch gleichzeitig gegenstandsorientiert, da es nur in zwischenstaatlichen völkerrechtlichen Verfahren gilt.
II. Methodologische Vorfragen zur Quellenfrage Das vor internationalen anwendbare Verfahrensrecht ist wie das allgemeine Völkerrecht ein gegenüber nationalen Prozessrechtsordnungen autonomes Rechtsgebiet.13 Seine Quellen sind rein völkerrechtlicher Natur.14 Ausgeschlossen ist folglich zum einen, dass nationale Prozessrechtsregeln als solche im internationalen Prozess gelten.15 Zum anderen sind die völkerprozessrechtlichen Rechtsquellen, verstanden als die Methoden der Rechtserzeugung, grundsätzlich identisch mit denen des materiellen Völkerrechts.16 Diese Aussage bedarf jedoch der weiteren Mitgliedstaaten und die Kommission beteiligt sind, eindrücklich hin: Lasok, The European Court of Justice, Practice and Procedure (1994), 345. 12
Alvarez, Michigan JIL 14 (1999), 399 (418): “To the extent that international adjudication may generate generalizable evidentiary rules at all, different types of tribunals may generate different sets of rules in response to differing needs.” Dieser Ansicht wird hier gefolgt, wobei klarstellend angemerkt wird, dass nicht primär die Art des internationalen Gerichts als vielmehr die Art und Struktur der Streitigkeit entscheidend sind. 13 Matz-Lück, in: König/Stoll/Röben/Matz-Lück (Hrsg.), International Law Today (2008), 99 (115 f.). 14
Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (108). 15
Siehe etwa die beweisrechtliche Klarstellung in Regel 63 Abs. 5 IStGHVerfO: “The Chambers shall not apply national laws governing evidence, other than in accordance with article 21.” Ebenso: ICSID, Hussein Nuaman Soufraki v. United Arab Emirates, Case No. ARB/02/7, Decision of the ad hoc Committee on the Application for Annulment of Mr. Soufraki, Schiedsspruch vom 5. Juni 2007, Ziff. 107. 16
Combacau/Sur, Droit international public (2006), 595; Brown, BYIL 76 (2005), 195 (199 f.); ders., A Common Law of International Adjudication (2007), 37.
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Präzisierung. Es stellt sich die Frage, welche völkerrechtlichen Quellen für das vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten geltende Prozessrecht, insbesondere das Beweisrecht, in Betracht kommen. Dabei kann auf die in Art. 38 IGH-Statut normierten Quellen als allgemeingültige Beschreibung des geltenden Rechts zurückgegriffen werden,17 die auch für das Völkerprozessrecht maßgeblich sind,18 ohne damit andere möglicherweise neben Art. 38 bestehende Rechtsquellen von vornherein auszuschließen. Internationale Gerichte sind ausnahmslos „Kreaturen des Staatenkonsenses“.19 Damit können die ein internationales Gericht einsetzenden Staaten den Umfang seiner Gerichtsbarkeit autonom festlegen. Ein internationales Gericht wendet diejenigen Rechtssätze des Völkerrechts an, die es seiner sachlichen Kompetenz oder Zuständigkeit nach anzuwenden befugt ist (sog. jurisdiction ratione materiae). Dies sind in erster Linie das in seinem Gründungsvertrag (Statut) niedergelegte Recht sowie daneben allgemeines Völkerrecht (Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze), soweit es dem Statut nicht widerspricht oder sonst hierdurch ausgeschlossen ist. So hat das nach Art. 32 OSPAR-Konvention eingerichtete Schiedsgericht im OSPAR-Fall entschieden: “It should go without saying that the first duty of the Tribunal is to apply the OSPAR Convention. An international tribunal, such as this Tribunal, will also apply customary international law and general principles unless and to the extent that the Parties have created a lex specialis. Even then, it must defer to a relevant jus cogens with which the Parties’ lex specialis may be inconsistent.”20 17
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1 (1989), 44; Mosler, in: FS-Truyol Serra (1986), 815 (816). 18
Acosta Estévez, El Proceso ante el Tribunal International de Justicia (1995), 30. 19
McLachlan, ICLQ 54 (2005), 279 (288); Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 34. 20
Dispute Concerning Access to Information Under Article 9 of the OSPAR Convention (Ireland v. UK), Final Award, 2. Juli 2003, RIAA 23 (2004), 59 (87, Ziff. 84). Das Schiedsgericht interpretierte seine Kompetenz so, dass sie außer der OSPAR-Konvention kein weiteres Völkervertragsrecht einschloss (Ziff. 85 f.). Dies ist angesichts des klaren Wortlauts des Art. 36 Abs. 6 (a) der OSPAR-Konvention fraglich. Dort heißt es: „Das Schiedsgericht entscheidet nach den Regeln des Völkerrechts und insbesondere nach dem Übereinkommen.“ Dazu diss. op. Griffith, RIAA 23 (2004), 119, Ziff. 2(1).
Quellen des Völkerprozessrechts und Beweisrechts
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Im Grundsatz umfassend ist die sachliche Kompetenz beim IGH: Er kann nach Art. 38 seines Statuts alle dort genannten Rechtsquellen heranziehen, also z.B. alle streitgegenständlichen Verträge, soweit die Parteien dies nicht in einem Kompromiss nach Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut einschränken, was zulässig ist.21 Für die WTO oder den ISGH gilt dies so nicht. Hier haben die Vertragsparteien eine mehr oder weniger klare Begrenzung der sachlichen Kompetenz auf das Abkommen vereinbart, zu dessen Auslegung und Durchsetzung die Spruchkörper jeweils geschaffen wurden. Damit kann das materielle Völkerrecht, das das Gericht anzuwenden befugt ist, im Umfang wesentlich geringer sein, als die die Streitfrage betreffende Gesamtheit der Regeln des materiellen Völkerrechts. Gleiches gilt auch für Fragen des vor internationalen Gerichten anwendbaren Prozessrechts, insbesondere des Beweisrechts. Gegen ein einheitlich geltendes Völkerprozessrecht kann daher nicht schon im Vorfeld eingewandt werden, dass Gerichte in der Regel nur zur Anwendung des ihrer Zuständigkeit übertragenen Rechts befugt sind. Entscheidend für das vorliegende Kapitel ist vielmehr zweierlei: 1. Zunächst stellt sich die Frage, ob „allgemeines Völkerrecht“ (also Völkergewohnheitsrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze und eventuell anderes allgemein geltendes Völkerrecht) im Bereich des Prozessrechts existiert (dazu 1.). 2. In einem zweiten Schritt muss untersucht werden, inwiefern bzw. unter welchen Umständen einzelne Spruchkörper ein solches allgemein geltendes Völkerprozessrecht anwenden können (dazu 2.). Dies ist eine Frage der (sachlichen) Kompetenz (jurisdiction ratione materiae) des betreffenden Gerichts. Mit dieser Problematik beschäftigen sich neben Art. 38 IGH-Statut verschiedene Normen der Statuten ständiger internationaler Gerichte (z.B. Art. 293 SRÜ, Art. 7 Abs. 1, 11 DSU, Art. 21 IStGH-Statut), die freilich im Lichte der hierzu ergangenen Spruchpraxis darzustellen und zu analysieren sind.
1. Die Möglichkeit eines einheitlichen Völkerprozessrechts Zunächst ist zu untersuchen, ob es ein einheitlich geltendes Völkerprozessrecht als eigenes Rechtsgebiet geben kann. Eine umfassende Theorie 21
Zuletzt geschehen im Oil Platforms-Fall, in dem die Kompetenz des IGH auf die Auslegung und Anwendung des zwischen den USA und dem Iran geschlossenen Freundschaftsvertrags begrenzt war (Art. XXI Abs. 2).
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Kapitel 2
des Völkerprozessrechts ist bisher noch nicht entwickelt worden – ebenso wenig wie eine befriedigende Analyse seiner völkerrechtlichen Quellen.22 Dennoch stellte Mosler bereits 1974 zuversichtlich fest: “It is not presumptous to say that today we have a general international law of procedure”.23 Diese Einschätzung wird von zahlreichen Stimmen im neueren Schrifttum geteilt.24 So konstatiert etwa Santulli, dass „[m]algré la grande varieté de règles spéciales applicables … , un droit commun général du procès international s’est consolidé, qui s’impose dans toutes les procédures internationales avec une parfaite uniformité“.25 Es wird jedoch – gerade mit Bezug auf das Beweisrecht26 – auch das Gegenteil vertreten: So konzediert Watts zwar Konvergenzprozesse im Prozessrecht verschiedener internationaler Gerichte, misst diesen jedoch keine normative Bedeutung bei.27 22
Thirlway, EPIL III/2 (1997), 1128: „absence of any accepted doctrine of sources of international law in the field of procedure“; Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987), 34; Gaffney, American University ILR 14 (1998-1999), 1173 (1179 f.); Verhoeven, in: FS-Tomuschat (2006), 635 (638). Siehe aber Morelli, RdC 61 (1937 III), 257. 23
Mosler, in: Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (Hrsg.), Judicial Settlement of International Disputes (1974), 3 (13). Ähnlich: Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 4 (1986), 9 ff.; Fasselt-Rommé, Parteiherrschaft im Verfahren vor dem EuGH und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (1993), 138. 24
Siehe Hamacher, Die Maxime audiatur et altera pars im Völkerrecht (1986), 22; Kazazi/Shifman, ILF 1 (1999), 193: “The system of international procedure in place, while varying to some extent from one international court or tribunal to the other, is harmonious to a large extent in its principles and fundaments.” Negri, I principi generali del processo internazionale nella giurisprudenza della Corte internazionale di giustizia (2002), 92: «[L]a prassi dei vari tribunali internazionali abbia contribuito alla creazione di un corpus di norme procedurali … ormai ben consolidato es abbastanza omogeneo per quanto riguardi i principi generali e le regole fondamentali.» 25
Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 92.
26
O’Connell, JCSL 7 (2002), 19 (21): “Despite over one hundred years of international adjudication … we cannot point to any well-established set of rules governing evidence in international law in general … .” 27
Watts, Max Planck UNYB 5 (2001), 21: “While there is, of course, much procedural borrowing of practices by one tribunal from others and while certain principles may find expression in the procedures of many tribunals, yet one cannot speak of ‘international rules of procedure’.” Skeptisch auch: Wegen,
Quellen des Völkerprozessrechts und Beweisrechts
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Grundsätzlich gibt es jedoch keine Einwände gegen ein allgemein geltendes, einheitliches internationales Verfahrensrecht. Ein solches schon prinzipiell abzulehnen hieße, das Konsensprinzip in der zwischenstaatlichen Streitbeilegung überzustrapazieren. Denn wie oben angedeutet ist die Frage von Existenz und Geltung des Völkerrechts von der der Befugnis zur Anwendung dieses Rechts durch internationale Gerichte und Schiedsgerichte zu unterscheiden. Wird demnach argumentiert, dass es darum ginge, die „Verfahrenserwartungen der potenziell beteiligten Staaten an die Streitschlichtungsinstanz zu stabilisieren“ und dass dies gegen ein einheitliches Prozessrecht spreche,28 so wird dabei übersehen, dass dieses Argument nur auf der zweiten Ebene greift, nämlich der der Befugnis bzw. Kompetenz des Gerichts zur Anwendung des Völkerprozessrechts. Als ein einheitlich geltendes völkerrechtliches Verfahrensrecht tragende Rechtsquellen kommen in erster Linie völkerrechtliche Verträge (dazu sogleich unter B.), Völkergewohnheitsrecht (C.) und allgemeine Rechtsgrundsätze (D.) in Betracht. Daneben ist das von internationalen Gerichten und Schiedsgerichten selbst gesetzte Prozessrecht zu untersuchen, unter dem hier sowohl delegierte Rechtsetzung als auch Richterrecht verstanden werden soll (E.). Zu diesen Quellen ist vorab Folgendes anzumerken: In Bezug auf internationale Verträge ist unbestritten, dass die hierin enthaltenen prozessrechtlichen Regeln qua Vertragsrecht nur im Kontext des jeweiligen Abkommens gelten, d.h. für die Streitbeilegung im Rahmen des internationalen Gerichts oder Schiedsgerichts, um dessen Gründungsvertrag es sich handelt. Möglich ist jedoch, dass prozessrechtlich relevante Regeln, wie sie sich in verschiedenen völkerrechtlichen Verträgen finden, zur Bildung von Völkergewohnheitsrecht beitragen, indem sie Rückschlüsse auf Staatenübung oder opinio iuris zulassen. Völkergewohnheitsrecht ist als gleichberechtigte Rechtsquelle neben Verträgen – vielleicht sogar als die klassische, dem Völkerrecht strukturell angemessenste Quelle – anerkannt. Daher wäre es auf den ersten Blick am besten geeignet, die Idee eines einheitlichen Völkerprozessrechts zu tragen. Dies erfordert jedoch zunächst eine methodische Untersuchung des Prozesses, wie Völkergewohnheitsrecht sich im Bereich des Prozessrechts internationaler Gerichte und Schiedsgerichte herausVergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987), 32 mit Fn. 28, 34. 28 So: Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987), 32.
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bilden kann. Dabei ist zu fragen, was als Staatenpraxis für das „Völkerprozessgewohnheitsrecht“ angesehen werden kann. Denn Akteur ist in diesem Bereich vornehmlich das internationale Gericht selbst, und dies wegen seiner Unabhängigkeit begriffsnotwendig weitgehend losgelöst von den Staaten, die es etabliert oder im konkreten Fall angerufen haben. Allgemeine Rechtsgrundsätze dagegen sind nicht „vertragsgebunden“ und können daher grundsätzlich zur Herausbildung eines allgemein geltenden internationalen Prozessrechts dienen. Allerdings sind sie faktisch, wenn nicht sogar rechtlich, subsidiär zu den anderen in Art. 38 Abs. 1 IGH-Statut angeführten Völkerrechtsquellen.29 Daher scheinen sie zunächst weniger geeignet, einem einheitlichen Korpus von völkerrechtlichem Verfahrensrecht seine Form zu verleihen. Weiterhin wird zu untersuchen sein, inwiefern die Entscheidungen internationaler Gerichte und Schiedsgerichte Einfluss auf die Bildung von Völkergewohnheitsrecht haben. Hier ist zu bedenken, dass aufgrund des Konsensprinzips prozessuale Entscheidungen einzelner Gerichte häufig nur bedingt als verallgemeinerbar angesehen werden.30 Schließlich sind Formen delegierter Rechtsetzung auf ihre Eignung zur Begründung eines einheitlichen Prozessrechts hin zu untersuchen.
2. Kompetenz und Pflicht internationaler Gerichte zur Anwendung einheitlichen Völkerprozessrechts Von der möglichen Existenz eines einheitlichen internationalen Verfahrensrechts sind Kompetenz und Pflicht internationaler Gerichte zu unterscheiden, allgemein geltendes Völkerprozessrecht anzuwenden.
(a) Kompetenz zur Anwendung Der JStGH hat im Tadić Jurisdiction Appeal in Bezug auf die Kompetenz (jurisdiction) internationaler Gerichte den dezentralen Charakter der internationalen Gerichtsbarkeit und das Fehlen eines integrierten völkerrechtlichen Gerichtssystems betont. Danach sei jedes internationale Gericht ein „self-contained system“.31 Auch Sandifer stellt spe29 30 31
Siehe unten unter D. Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 35.
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Duško Tadić, Case IT-94-1AR72, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdicti-
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ziell mit Hinblick auf Verfahrensfragen fest, dass „[e]ach tribunal tends to be a law unto itself, the rules adopted and applied for the occasion being to a considerable degree determined by the legal background of the members of the tribunal“.32 Dies scheint einen Rückgriff auf allgemeine Regeln auszuschließen; die Problematik soll anhand verschiedener internationaler Gerichte näher beleuchtet werden.
(aa) Völkerstrafprozessrecht: Internationaler Strafgerichtshof Das Problem des Rückgriffs auf (angeblich) allgemein geltende Verfahrensgrundsätze des internationalen Strafverfahrens stellte sich in einer frühen Entscheidung der Vorverfahrenskammer (Pre-Trial Chamber II) des IStGH im Rahmen der Situation in Uganda.33 Zwar steht der IStGH nicht im Zentrum der Untersuchung, jedoch lässt sich das Problem gut anhand des IStGH-Statuts darstellen. Der Ankläger hatte vorgetragen, er sei unter Verletzung seiner Rechte vor einer früheren Entscheidung der Vorverfahrenskammer nicht gehört worden und stellte daraufhin einen Antrag auf nochmalige Prüfung (motion for reconsideon, Beschluss vom 2. Oktober 1995, Ziff. 11. Brown, Melbourne JIL 3 (2002), 453 (467) setzt diesen Begriff mit „self-contained regime“ gleich. So auch: Dispute Concerning Access to Information Under Article 9 of the OSPAR Convention (Ireland v. UK), Final Award, 2. Juli 2003, RIAA 23 (2004), 59 (100, Ziff. 143): “[T]he OSPAR Convention contains a particular and self-contained dispute resolution mechanism in Article 32, in accordance with which this Tribunal acts.” In dieselbe Richtung auch: Georg Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 4, International Judicial Law (1986), 634: “In considering the appropriateness of analogies either way for purposes of international evidence, the purely consensual character of international evidential law may be recalled. What is decisive are the intentions of the parties to the constituent instrument in question.” Ihm zustimmend: Waincymer, WTO Litigation (2002), 532: “This consensual basis means that the content of such law could conceivably vary between different substantive areas.” 32
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 8. Ähnlich in Bezug auf den IGH: Acosta Estévez, El Proceso ante el Tribunal International de Justicia (1995), 25. 33
IStGH, Pre-Trial Chamber II, Situation in Uganda – Decision on the Prosecutor’s Position on the Decision of Pre-Trial Chamber II to Redact Factial Descriptions of Crimes From the Warrants of Arrest, Motion for Reconsideration, and Motion for Clarification, ICC-02/04-01/05, Entscheidung vom 28. Oktober 2005.
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ration) unter Berufung auf Rechtsprechung der ad hoc-Tribunale (JStGH und RStGH). Die Vorverfahrenskammer wies den Antrag ab, da ein solches Rechtsmittel unter dem IStGH-Statut nicht vorgesehen sei. Zur Bedeutung der Rechtsprechung anderer Gerichte (international und national) entschied der Gerichtshof, dass gemäß Art. 21 Abs. 1 IStGH-Statut die Regeln und Praxis anderer Gerichte nicht ohne Weiteres vor dem IStGH anwendbar seien: “More specifically, the law and practice of the ad hoc tribunals, which the Prosecutor refers to, cannot per se form a sufficient basis for importing into the Court’s procedural framework remedies other than those enshrined in the Statute.”34 Während man diese Entscheidung vordergründig als Bestärkung des Tadić-Ausspruches des „self-contained system“ sehen kann, offenbart sich bei näherer Betrachtung eine Bestätigung des oben Gesagten. Auch im Prozessrecht ist ein internationales Gericht zuvörderst an sein konstituierendes Instrument gebunden (hier das IStGH-Statut). Allgemeines Völkerrecht kann nur in dem Umfang berücksichtigt werden, wie dies durch den Gründungsvertrag zugelassen wird. Art. 21 Abs. 1 IStGH-Statut erklärt in den Buchstaben (b) und (c) Verträge, Grundsätze und Regeln des Völkerrechts und allgemeine Rechtsgrundsätze lediglich für subsidiär anwendbar. Dass Art. 21 auch für das Verfahrensrecht gilt, zeigt schon die Erwähnung der Verfahrens- und Beweisordnung in Absatz 1 (a) der Vorschrift. Angesichts der Dichte, in der das IStGH-Statut und die IStGH-VerfO prozessrechtliche Regelungen im Bereich der Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Vorverfahrenskammer aufstellen, hat die Vorverfahrenskammer eine solche subsidiäre Anwendung „fremden“ Rechts zu Recht abgelehnt.35 Weiterhin kann unter Abs. 1 (b) nur allgemein geltendes Völkerrecht angewandt werden. Daher müsste die vom Ankläger vorgetragene prozessuale Praxis der ad hoc-Tribunale selbst völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen können, was angesichts der Spezialität und Kontextbezogenheit der Rechtsmittelregeln ebenfalls zweifelhaft ist. Daher überzeugt die Entscheidung der Vorverfahrenskammer rechtlich, spricht jedoch
34 35
Ebd., Ziff. 19.
Siehe auch IStGH, Appeals Chamber, Judgment on the Prosecutor’s Application for Extraordinary Review of Pre-Trial Chamber I’s 31 March 2006 Decision Denying Leave to Appeal, ICC-01/04, 13. Juli 2006, Ziff. 39: “[T]he Statute defines exhaustively the right to appeal against decisions of first instance courts, namely decisions of the Pre-Trial or Trial Chambers.”
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nicht gegen die Existenz und Anwendbarkeit von allgemeinem Völkerprozessrecht durch internationale Gerichte, sondern bestätigt sie sogar.
(bb) WTO-Streitbeilegung Problematisch ist ein Rückgriff auf allgemein geltendes Verfahrensrecht auch im WTO-Streitbeilegungssystem, für das nach den Art. 1, 7 und 11 DSU das anwendbare Recht auf WTO-Recht (die im Anhang 1 zum DSU genannten covered agreements) begrenzt ist.36 Zwar kann das WTO-Recht insgesamt schwerlich als self-contained regime beschrieben werden,37 jedoch wird jedenfalls das im Rechtsstreit anwendbare Verfahrensrecht durch die genannten Normen klar begrenzt. Gleiches gilt für die Reaktionsmöglichkeiten der Staaten auf einen WTO-Rechtsbruch.38 Bei strenger Auslegung könnte ein Rückgriff auf WTOfremdes Recht im Bereich des Verfahrensrechts nur bei ius cogensNormen möglich sein, denen sich auch die WTO-Ordnung nicht entziehen kann. Allerdings spricht die Praxis des Streitbeilegungsorgans gerade in prozessualen Fragen deutlich gegen eine solche restriktive Auslegung.39 Im Gegenteil: Gerade im Beweisrecht orientieren sich die Panels und das Appellate Body an anderen internationalen Gerichten.
(cc) Internationaler Gerichtshof und Internationaler Seegerichtshof Art. 38 IGH-Statut lässt eine Berufung auf allgemein geltendes Verfahrensrecht zu, soweit das Statut keine speziellere Regelung trifft. Sehr offen für einen Rekurs auf allgemeines Völkerrecht ist auch Art. 293 36 Meng, in: FS Ress (2005), 165 (172). Eine Auslegung anhand WTOfremden Rechts ist jedoch geboten, siehe Neumann, ZaöRV 61 (2001), 529 (539). A.A. (Anwendbarkeit des gesamten allgemeinen Völkerrechts): Palmeter/ Mavroidis, AJIL 92 (1998), 398 (399). 37 Dazu: Meng, in: FS-Ress (2005), 165 (171 f.). Meng spricht jedoch von einem „verfahrensrechtlichen self-contained regime“ (S. 172), bezogen auf die sich aus Art. 23 DSU ergebende Beschränkung der WTO-Mitglieder auf die Klärung von WTO-Streitigkeiten vor dem DSB. Siehe auch: Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law (2003), 470; Lindroos/Mehling, EJIL 16 (2005), 857 (875). Zum GATT: Mavroidis, RIW 37 (1991), 497 (501); Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht (1990), 361 ff. 38 39
Dazu: Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht (2007), Rn. 260. Ebd., Rn. 348.
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SRÜ,40 der es einem nach Abschnitt 2 des Teils XV SRÜ zuständigen Gericht erlaubt, neben dem SRÜ auch alle anderen Regeln des Völkerrechts anzuwenden, soweit sie nicht mit dem SRÜ unvereinbar sind, eine Frage, die wiederum von Art. 311 SRÜ geregelt wird.
(dd) Ergebnis Die Untersuchung der Gründungsverträge internationaler Gerichte zeigt, dass die Kompetenz dieser Gerichte zur Anwendung eines allgemeinen Völkerprozessrechts zunächst eine Frage des gerichtseinsetzenden Vertrages ist. Schließt dieser ausdrücklich oder implizit eine solche Berufung auf außervertragliches Recht aus, so verbietet sich ein solcher Rückgriff auf allgemeines Prozessrecht (so die Situation beim IStGH). In allen anderen Fällen ist eine Anwendung allgemeinen Völkerprozessrechts zulässig41 und, wie noch zu zeigen sein wird, auch geboten.42 Die Situation ist demnach identisch mit der der Anwendung materiellen Völkerrechts durch internationale Gerichte:43 «Toute convention internationale doit être réputée s’en référer tacitement au droit international commun, pour toutes les questions qu’elle ne résout pas elle-même en
40
Nach Röben, ZaöRV 62 (2002), 61 (67) ist Art. 293 SRÜ Ausdruck einer materiellen Hierarchie zwischen dem SRÜ und anderen Normen. Bestimmungen des SRÜ genießen daher Vorrang (supremacy) vor anderen Normen. Hier ist ein Vorrang für die gerichtliche Streitbeilegung nach dem SRÜ gemeint, jedoch keine allgemeine materielle Hierarchie zwischen dem SRÜ und anderen völkerrechtlichen Teilrechtsordnungen. 41
Mosler, in: Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (Hrsg.), Judicial Settlement of International Disputes (1974), 3 (13). 42
Siehe auch: Koskenniemi, Fragmentation of International Law: Difficulties Arising from the Diversification and Expansion of International Law, Report of the Study Group of the ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 13. April 2006, Ziff. 414 mit Bezug auf den Grundsatz audiatur et altera pars. Zur Pflicht zur Anwendung allgemeinen Völkerrechts sogleich unter (b). 43
Koskenniemi, Fragmentation of International Law: Difficulties Arising from the Diversification and Expansion of International Law, Report of the Study Group of the ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 13. April 2006, Ziff. 423; Koskenniemi, MLR 70 (2007), 1 (16); IGH, Interpretation of the Agreement of 25 March 1951 between the WHO and Egypt, Gutachten vom 20. Dezember 1980, ICJ Rep. 1980, 73 (89, Ziff. 37) (in Bezug auf internationale Organisationen); Pauwelyn, AJIL 95 (2001), 535 (561).
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termes exprès et d’une façon differente.»44 Es lässt sich also festhalten, dass im Grundsatz nichts gegen eine Kompetenz internationaler Gerichte spricht, ein einheitlich geltendes internationales Verfahrensrecht anzuwenden.
(b) Pflicht zur Anwendung des Völkerprozessrechts Grundsätzlich muss ein internationales Gericht das Recht anwenden, das es anzuwenden bestimmt ist. Im Bereich des Völkerprozessrechts ist eine definitive Aussage schwierig, weil gerichtseinsetzende Verträge gerade hierüber normalerweise schweigen, die Anwendung allgemeingültiger prozessualer Normen also weder ausschließen noch explizit anordnen. Dies scheint die Annahme einer Pflicht zur Befolgung zu erschweren.45 Ein internationales Gericht ist aber in der Regel mit der Streitbeilegung aufgrund des geltenden Völkerrechts betraut. Daher darf es nicht nur, sondern muss es – in den Grenzen des gerichtseinsetzenden Vertrags – allgemein geltendes Prozessrecht auch anwenden, wenn die Parteien nicht im Einzelfall eine abweichende Regelung getroffen haben. Dies gilt gerade im Hinblick auf die Beweislastverteilung, aber auch die Beweiswürdigung.46
3. Parallelproblem: Gemeinsames Recht internationaler Organisationen? Eine parallele Diskussion, die sich mit gleichgelagerten konzeptionellen Problemen auseinanderzusetzen hat, wird seit längerer Zeit im Bereich des Rechts internationaler Organisationen geführt. Auch hier liegt es intuitiv nahe, nach Regeln zu suchen, die allen Organisationen eben aufgrund ihres Status als völkerrechtliche Körperschaft gemein sind. Die Diskussion ist relevant für die vorliegende Arbeit, da internationale Gerichte und Schiedsgerichte starke strukturelle Ähnlichkeiten zu internationalen Organisationen aufweisen oder gar Organe internationa44
Commission franco-mexicaine des réclamations, Georges Pinson (France) v. United Mexican States, Urteil vom 19. Oktober 1928, RIAA 5 (1952), 327 (422, Ziff. 50). 45
Zweifelnd daher: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 44: “It might be going too far to say that a tribunal is bound, in the absence of provisions in the arbitral agreement, to follow these rules.” 46
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 75 f.
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ler Organisationen sind. Auch sind einige internationale Organisationen zum alleinigen Zweck der Ausübung internationaler Gerichtsbarkeit eingerichtet worden.47 Angesichts der Vielgestaltigkeit internationaler Organisationen und ihrer vertragsrechtlichen Rechtsgrundlage wird die Existenz eines „common law of international organisations“, eines internationalen Organisationsrechts im Sinne eines für alle internationalen Organisationen gleichermaßen geltenden Rechts, jedoch von der traditionellen Völkerrechtslehre bezweifelt. Sie argumentiert parallel zum Tadić-Fall, dass diese Einrichtungen ausschließlich den Regeln der sie einrichtenden Verträge unterworfen seien.48 In den Worten des Privatrechts gesprochen gibt es nach dieser Ansicht kein allgemein geltendes „Gesellschaftsrecht“, in dessen Formen sich internationale Organisationen bewegen.49 Das primäre und sekundäre Recht jeder Organisation sei stets regime-spezifisch, also eine in sich geschlossene und von anderen Einflüssen abgeschlossene Rechtsordnung.50 Allenfalls auf dem Gebiet der Privilegien und Immunitäten gebe es „schüchterne Ansätze“ eines gemeinen Rechts internationaler Organisationen.51 Auch werden dazu die
47
Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen (2000), Rn. 1324: der StSH, der StIGH, der ZAGH, das ICSID und institutionelle Schiedsgerichte. 48
Ipsen/Epping, Völkerrecht (2004), 444. Siehe auch: Reuter, ILC Yearbook 1972 II, 171 (181, Ziff. 33 f.; 197, Ziff. 86); Reuter/Combacau, Institutions et relations internationales (1988), 285: «[I]l est impossible d’élaborer une théorie synthétique de l’organisation internationale … car les organisations obéissent chacune à des règles différentes; on ne peut donc procéder qu’à une analyse comparative, pour dégager de façon empirique quelques traits qui, statistiquement, se rencontrent dans un nombre suffisant d’organisations … .» Weiterhin besteht Uneinigkeit, ob das interne Recht internationaler Organisationen überhaupt dem Völkerrecht zuzuordnen sei, dazu unten unter E. II. 3. 49
Jenks, The Proper Law of International Organizations (1962), 7: “[W]e have no international equivalent for the common law relating to corporations or the modern statutory regulation of various types of corporation.” Jenks erklärt dies allerdings aus der Tatsache, dass die Möglichkeit der Rechtspersönlichkeit internationaler Organisationen erst nach 1944 allgemein anerkannt wurde. Daher seien Weiterentwicklungen hin zu einem einheitlich geltenden Recht keineswegs ausgeschlossen, sondern sogar zu erwarten. 50 51
Alvarez, International Organizations as Law-makers (2005), 120.
So: Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen (2000), Rn. 1504 und 1512.
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allgemein geltenden Grundsätze zur Rechtspersönlichkeit internationaler Organisationen gezählt.52 Eine neuere, im Vordringen befindliche Auffassung hingegen bejaht eine Herausbildung von allgemein geltenden völkergewohnheitsrechtlichen Prinzipien und allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Bereich des Rechts internationaler Organisationen.53 Sie findet auch Unterstützung in der internationalen Rechtsprechung. Mit Hinblick auf die Existenz und Anwendbarkeit von allgemeinen Rechtsprinzipien im Bereich des Rechts internationaler Bediensteter (international civil servants) hat das World Bank Administrative Tribunal in seiner ersten Entscheidung zwar auf die diesbezüglichen dogmatischen Schwierigkeiten hingewiesen, gemeinsame Grundsätze jedoch nicht ausgeschlossen.54 Das Tribu-
52
Alvarez, International Organizations as Law-makers (2005), 141.
53
Akande, in: Evans (Hrsg.), International Law (2006), 277 (280); White, The law of international organisations (2005), vii (Preface); Amerasinghe, Principles of the institutional law of international organizations (2005), 20; Amerasinghe, IOLR 1 (2004), 9 (15 f.); Alvarez, International Organizations as Lawmakers (2005), 128, 141. 54
WBAT, Louis de Merode et al. v. The World Bank, WBAT Reports, Decision No. 1 (1981), 1 (13, Ziff. 28): “The Tribunal does not overlook the fact that each international organization has its own constituent instrument; its own membership, its own institutional structure; its own functions; its own measure of legal personality; its own personnel policy; and that the differences between one organization and the other are so obvious that the notion of a common law of international organization must be subject to numerous and sometimes significant qualifications. But the fact that these differences exist does not exclude the possiblity that similar conditions may affect the solution of comparable problems. While the various international administrative tribunals do not consider themselves bound by each other’s decisions and have worked out a sometimes divergent jurisprudence adapted to each organization, it is equally true that on certain points the solutions reached are not significantly different. It even happens that the judgments of one tribunal may refer to the jurisprudence of another. Some of these judgments even go so far as to speak of general principles of international civil service law or a body of rules applicable to the international civil service. Whether these similar features amount to a true corpus iuris is not a matter on which it is necessary for the Tribunal to express a view. The Tribunal is free to take note of solutions worked out in sufficiently comparable conditions by other administrative tribunals, particularly those of the United Nations family. In this way the Tribunal may take account of the diversity of international organizations and the special character of the Bank without neglecting the tendency towards a certain rapprochement.” Die an der Ent-
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nal anerkennt, dass die organisationsbegründenden Verträge getrennte rechtliche Existenzen führten, bemerkt jedoch, dass “common sense suggests that, where a similar problem arises in more than one organization, its solution in one context must have a bearing on its solution in another”.55 Ein solches common law kann sich etwa durch die sich gegenseitig berücksichtigende und daher gleichgerichtete Vertragsauslegung durch die Organe internationaler Organisationen sowie internationaler Gerichte, die Gründungsverträge auslegen, entwickeln.56 Kennzeichen dieses allgemein geltenden Organisationsrechtes ist, dass es immer dann im Rahmen der Organisation zur Anwendung kommt, wenn das spezielle Organisationsrecht keine Regelung enthält.57 Als wichtiger Unterschied zwischen dem Recht internationaler Organisationen und dem hier beschriebenen Völkerprozessrecht mag gelten, dass sich für das Völkerprozessrecht in weiten Teilen zur Feststellung allgemeiner Rechtsgrundsätze eine Rechtsvergleichung der Privatrechtsordnungen, insbesondere der Prozessordnungen, empfiehlt, während im Bereich internationaler Organisationen eher das öffentliche Recht, insbesondere das Verwaltungsrecht, als funktionsäquivalente Rechtsmaterie gelten muss.58 An der quellentheoretischen Erfassung des Problems und der Übertragbarkeit der Schlussfolgerungen ändert dies jedoch nichts. Entsprechend wird auch von einem „common law of international adjudication“ gesprochen.59
B. Völkerrechtliche Verträge als Rechtsquelle des Völkerprozessrechts Prozessrechtliche Bestimmungen finden sich in verschiedenen Arten völkerrechtlicher Verträge. Primär in Betracht kommt das Statut des jeweiligen Gerichts oder Schiedsgerichts (gerichtseinsetzender Vertrag), das je nach Natur des Spruchkörpers ein auf Dauer angelegter internascheidung beteiligten Richter waren E. Jiménez de Aréchaga, T.O. Elias, P. Weil, A.K. Abul-Magd, R. Gorman, N. Kumarayya und E. Lauterpacht. 55 56 57 58 59
Lauterpacht, RdC 152 (1976 IV), 377 (396). Ebd., 396, 402. Akande, in: Evans (Hrsg.), International Law (2006), 277 (280). Sarooshi, Michigan JIL 25 (2003-2004), 1107 (1121 f.). Brown, A Common Law of International Adjudication (2007).
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tionaler Vertrag, ein Vertragsabschnitt eines eine internationale Organisation einrichtenden Abkommens oder ein nur für einen konkreten Streitfall ausgehandelter Schiedsvertrag sein kann (dazu I.). Darüber hinaus können prozessuale Bestimmungen in rechtsstreitsrelevanten Verträgen enthalten sein, die das (Schieds-) Gericht anzuwenden hat (dazu II.). Daneben können die Parteien unter Umständen auch bei permanenten internationalen Gerichten prozessrechtlich relevante vertragliche Absprachen treffen (dazu III.). Schließlich sollen auch etwaige ungeschriebene prozessuale Kompetenzen der Gerichte selbst angesprochen werden, die sich durch Vertragsauslegung ergeben können (implied oder inherent powers) (dazu IV.).
I. Gerichtskonstituierende Verträge Gerichtseinsetzende Verträge bilden gleichsam das „Grundgesetz“ internationaler Gerichte.60 Als völkerrechtliche Verträge sind sie nach den allgemein anerkannten Regeln auszulegen.61 Besondere Bedeutung kommt dabei den Art. 31 bis 33 WVK zu, die im Allgemeinen als Kodifikation von Völkergewohnheitsrecht qualifiziert werden. Freilich ist auch hier im Einzelnen vieles strittig. So ist fraglich, ob sich im Bereich gerichtseinsetzender Verträge spezielle, die allgemeinen Regeln modifizierende Grundsätze herausgebildet haben. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass weder eine besonders großzügige noch eine besonders restriktive Auslegung angezeigt ist.62 So besteht keine Vermutung gegen die Zuständigkeit, es gelten vielmehr die allgemeinen Auslegungsregeln.63 Insbesondere ist anerkannt, dass die sogenannte souveränitäts60
StIGH, Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex (France v. Switzerland), Second Phase, Beschluss vom 6. Dezember 1930, Observations Kellogg, PCIJ Ser. A No. 24, 29 (32). Siehe auch: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 37. 61
Dies gilt für Schiedsverträge (IGH, Case concerning the Arbitral Award of July 31, 1989, Urteil vom 12. November 1991, ICJ Rep. 1991, 53 (69, Ziff. 48)) wie auch für das IGH-Statut, siehe IGH, LaGrand Case (Germany v. United States of America), Urteil vom 27. Juni 2001, Ziff. 99. 62
Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 513. 63
Siehe dazu Affaire des Forêts du Rhodope Central (Question Préalable) (Grèce c. Bulgarie), Schiedsspruch vom 4. November 1931, RIAA 3 (1949), 1389 (1403): «Le Gouvernement défendeur soutient qu’il convient, en cas de
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schonende Auslegung (in dubio mitius) nur sehr eingeschränkt anwendbar ist.64 Im Hinblick auf die Möglichkeit eines einheitlichen Prozessrechts ist anzumerken, dass selbst im Wortlaut gleiche Normen in verschiedenen (jurisdiktionsbegründenen) Verträgen je nach Zusammenhang, Ziel und Zweck, späterer Übung und vorbereitender Arbeiten durchaus unterschiedlich interpretiert werden können.65 Weiterhin muss die Auslegung gerichtseinsetzender Verträge auch internationale Ordnungsprinzipien (Verfassungsprinzipien) berücksichtigen.66
II. Bestimmungen in rechtsstreitrelevanten völkerrechtlichen Verträgen Auch Verträge, die selbst kein Gericht etablieren, sondern vornehmlich materielles Völkerrecht kodifizieren, können prozessrechtlich relevant sein. So können sie etwa die Einsetzung eines ad hoc-Schiedsgerichts vorsehen, das die Parteien grundsätzlich frei ausgestalten können, wobei sie jedoch an gewisse Vorgaben zum Prozess- und Beweisrecht gebunden sind. Beispiel hierfür ist Art. 32 Abs. 7 (b) der OSPAR-Kon-
doute sur la portée d’une clause arbitrale, de conclure toujours à l’incompétence de l’Arbitre, en raison du principe général selon lequel un Etat n’est obligé à recourir à l’arbitrage que dans les cas où il existe un engagement formel à cet effet. … [Une clause arbitrale] doit être interprétée plutôt d’après la même méthode que les autres stipulations contractuelles.» 64
Siehe bereits McNair, The Law of Treaties (1961), 765: “[The doctrine of restrictive interpretation] is believed to be now of declining importance and the time may not be far distant when it will disappear from the books.” Orakhelashvili, LPICT 3 (2003), 501 (517 f.); Bernhardt, EPIL II/2 (1995), 1416 (1419, 1421); Lennard, JIEL 5 (2002), 17 (61 ff.). Aus der neueren internationalen Rechtsprechung: StSH, Iron Rhine Case, RIAA 27 (2008), 35 (64 f., Ziff. 53). Siehe auch: Herdegen, Völkerrecht (2007), § 15, Rn. 31: nur bei Verträgen anwendbar, die in einem Austauschverhältnis stehende Leistungspflichten vorsehen. Anders offenbar die Praxis der WTO: DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 165, Fn. 154 und von Bogdandy, Max Planck UNYB 5 (2001), 609 (625). 65
ISGH, The MOX Plant Case (Provisional Measures), ITLOS Rep. 2001, 95 (106, Ziff. 51). 66 Orakhelashvili, LPICT 3 (2003), 501 (513 und 546). Dazu unten Kapitel 4 E. II. und III.
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vention, der bestimmt, dass „[t]he arbitral tribunal may take all appropriate measures in order to establish the facts“.
III. Vertragliche Absprachen der Parteien im konkreten Fall Gemäß dem Konsensprinzip können sich die Parteien auf das vom Gericht anzuwendende Recht einigen. Dies gilt im Grundsatz für das materielle wie für das Prozessrecht.67 Als Grenze für die Prozessrechtssetzungskompetenz kann allenfalls das Wesen der internationalen (Schieds-) Gerichtsbarkeit angeführt werden.68 Weichen die Parteien hiervon ab, ist nicht etwa der Vertrag unwirksam; es liegt aber kein Gericht, sondern eine andere Form internationaler Streitschlichtungsmechanismen vor. Ein Hauptunterschied zwischen Schiedsgerichten und ständigen internationalen Gerichten ist die Flexibilität in der Gestaltung prozessualer Fragen durch die Parteien. Daher sind die Parteien bei ad hoc durch Schiedsvertrag eingesetzten Schiedsgerichten in ihrer Prozessstrukturierung grundsätzlich frei.69 Handelt es sich um ständige internationale Gerichte, so sind ergänzende Absprachen stets, abweichende Vereinbarungen der Parteien jedoch nur innerhalb der vom Statut gesetzten Grenzen möglich.70 Auch müssen solche zusätzlichen Vereinbarungen statutskonform ausgelegt werden. Der folgende Abschnitt bezieht sich damit vornehmlich auf die Möglichkeit der Parteien, von den Statuten und Verfahrensordnungen ständiger internationaler Gerichte durch Vertrag abzuweichen.
67 Die als materiellrechtlich zu qualifizierende Beweislast kann ebenfalls von den Parteien abgeändert werden. Beweislastverträge sind grundsätzlich zulässig, siehe: Grando, JIEL 9 (2006), 615 (628 f.); Kazazi, Burden of Proof (1996), 3; Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law (2003), 318. 68 69 70
Oellers-Frahm, EPIL I/2 (1992), 712 (713). Combacau/Sur, Droit international public (2006), 595.
StIGH, Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex (France v. Switzerland), Second Phase, Beschluss vom 6. Dezember 1930, Observation by Judge Kellogg, PCIJ Ser. A No. 24, 29 (33).
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1. Vertragliche Modifikation des Prozessrechts ständiger internationaler Gerichte (a) Statuten ständiger internationaler Gerichte Die Statuten ständiger internationaler Gerichte schweigen häufig zu möglichen Änderungen durch die Streitparteien in Bezug auf konkrete Streitfälle. Damit richtet sich die Wirksamkeit solcher Verträge nach den allgemeinen Regeln des Teils IV der WVK.71 In der Regel werden die Statuten ständiger internationaler Gerichte mehrseitige Verträge sein. Daher richtet sich die Beantwortung der Frage der Zulässigkeit der Abweichung durch zwei Streitparteien nach Art. 41 Abs. 1 WVK.72 Diese Norm gilt grundsätzlich auch für internationale Organisationen (Art. 5 WVK) und damit auch für solche Gerichte, die Organe internationaler Organisationen sind. Es spricht auch nichts dagegen, sie auf einen multilateralen gerichtseinsetzenden Vertrag außerhalb einer internationalen Organisation wie das ISGH-Statut anzuwenden. Art. 41 WVK stellt die Zulässigkeit einer vertraglichen Abweichung von multilateralen Verträgen unter drei Bedingungen: Erstens darf der Vertrag, von dem die Parteien abweichen wollen, diese Modifikation nicht explizit verbieten. Zweitens dürfen Rechte dritter Staaten nicht beeinträchtigt werden (Art. 41 Abs. 1 (b) (i) WVK). Drittens schließlich dürfen die Parteien nicht von Bestimmungen abweichen, wenn damit die Verwirklichung des Ziels und Zwecks des Vertrages gefährdet wäre (Art. 41 Abs. 1 (b) (ii) WVK). Des Weiteren fordert Art. 41 Abs. 2, dass die Absicht der Parteien zum Abschluss eines von mehrseitigen Verträgen abweichenden Übereinkommens den anderen Parteien mitzuteilen und die vorgesehene Modifikation zu notifizieren ist, wobei dies keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Abweichung ist.73 71
Da diese im Wesentlichen bereits existierendes Völkergewohnheitsrecht kodifizieren, sind sie auch auf vor seinem Inkrafttreten geschlossene Verträge, etwa das IGH-Statut, anzuwenden, StSH, Iron Rhine Case, RIAA 27 (2008), 35 (62, Ziff. 45) in Bezug auf Art. 31 und 32 WVK. Für neuere internationale Gerichte wie den ISGH, den WTO-Streitbeilegungsmechanismus oder das IUSCT gelten sie unproblematisch. 72
So auch: Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (119). 73
Zu Art. 41 Abs. 2 WVK siehe Koskenniemi, Fragmentation of International Law: Difficulties Arising from the Diversification and Expansion of Inter-
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Ein explizites Verbot der Modifikation ist in keinem der untersuchten multilateralen gerichtseinsetzenden Verträge enthalten. Art. 69 IGHStatut und Art. 41 ISGH-Statut stellen zwar die Änderung (amendments) der Statuten unter spezielle Bedingungen. Nach Art. 108 VNCharta, auf den Art. 69 IGH-Statut verweist, erfordern Änderungen der Charta eine Annahme mit Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der VN-Generalversammlung und eine Ratifikation durch zwei Drittel der VN-Mitglieder einschließlich aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates. Art. 41 ISGH-Statut verweist auf Art. 313 SRÜ (Änderung durch vereinfachtes Verfahren). Allerdings unterscheidet das WVK klar zwischen Vertragsänderungen (amendments, Art. 39, 40) und Modifikationen zwischen einzelnen Vertragsparteien (modifications oder inter-se Abkommen, Art. 41), so dass durch diese Vorschriften die Abweichung durch zwei Vertragsstaaten nicht von vorneherein ausgeschlossen wird.74 Wo allerdings die Statuten nicht am Rechtsstreit beteiligten Staaten Rechte gewähren (etwa Interventionsmöglichkeiten oder Informationsrechte, vgl. Art. 62, 63 IGH-Statut) oder internationalen Organisationen Informationsrechte und Beteiligungsmöglichkeiten eröffnen (vgl. Art. 34 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 IGH-Statut), können die Parteien des Rechtsstreits davon nicht abweichen, weil dies die Rechte der anderen Vertragsparteien beträfe (Art. 41 Abs. 1 (b) (i) WVK). Eine Gefährdung des Zieles und Zweckes des gesamten Vertrages durch eine inter seAbweichung (Art. 41 Abs. 1 (b) (ii) WVK) wäre denkbar, wenn der Gerichtscharakter des Streitbeilegungsorgans und damit die Ermöglichung gerichtlicher Streitbeilegung unterminiert würden.75 Dies dürfte nur ausnahmsweise der Fall sein. Hier ist insbesondere an die Unabhängigkeit der Richter und an die Besetzung der Richterbank zu denken (gleichzeitig ein Abgrenzungskriterium eines internationalen Gerichts
national Law, Report of the Study Group of the ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 13. April 2006, Ziff. 316 ff. 74
Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law (2003), 315 mit Bezug auf die WTO. 75
Dazu: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 187 in Bezug auf die vertragliche Festlegung der Beweiswürdigung durch das Gericht. Allerdings handelt es sich hier nicht um die Abweichung von vertragsrechtlich fixierten Regeln, sondern um die Abweichung eines durch Richterrecht bzw. durch allgemeine Rechtsgrundsätze begründeten Rechtssatzes. Die Argumentation ist jedoch auch auf den gegenwärtigen Fall übertragbar.
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von einem Schiedsgericht), aber auch an Fragen der Urteilsfindung und der Rechtskraft. Abgesehen von diesen Einschränkungen müssten Modifikationen nach allgemeinen Regeln jedoch im Grundsatz möglich sein.76 Einige Literaturstimmen bezeichnen allerdings das in den Statuten ständiger internationaler Gerichte niedergelegte Prozessrecht insgesamt als unabdingbar.77 Diese Ansicht findet jedenfalls empirische Unterstützung in den Diskussionen der Richter des StIGH, die den Vorschlag ablehnten, nach Art. 30 StIGH-Statut eine Verfahrensregel zu verabschieden, nach der die Parteien auch vom StIGH-Statut hätten abweichen können.78 Auch entschied der StIGH, dass “in contradistinction to that which is permitted by the Rules (Article 32), the Court cannot, on the proposal of the Parties, depart from the terms of the Statute”.79 Weiter begründet wird
76
Inter se-Abweichungen sind in der Praxis etwa des DSB auch durchaus vorgekommen. So einigten sich die Vereinigten Staaten und Australien in Australia – Leather, dass der nach Art. 21 Abs. 5 DSU zu erstellende Panelbericht von beiden Parteien bedingungslos akzeptiert würde und sie keine Berufung einlegen würden, siehe DSB, Australia – Automotive Leather II (Article 21.5 – US), WT/DS126/8, 4. Oktober 1999, Ziff. 4: “Both Australia and the United States will unconditionally accept the review panel report and there will be no appeal of that report.” Siehe auch: DSB, United States – Tax Treatment for “Foreign Sales Corporations”, WT/DS108/12, 5. Oktober 2000. 77
Scerni, RdC 65 (1938 III), 565 (591); Jenks, in: FS-Schätzel (1960), 231 (235); Mabrouk, Les exceptions de procédure devant les juridictions internationales (1966), 201, der von einem „jus cogens indérogeable s’imposant aux parties“ spricht. Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 4 (1986), 723: “[I]ndividual parties to cases before the Court have but a limited choice: they may take the Statute as they find it or leave it.” Auf der Basis des Art. 41 Abs. 1 WVK auch: Coussirat-Coustère/ Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (119); Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 7; Kolb, Théorie du ius cogens international: Essai de relecture du concept (2001), 223 sowie Wittich, EJIL 18 (2007), 591 (610 ff.). Ebenso in Bezug auf den ISGH: Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen (2001), 266. 78
Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 176 f. Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/ Thirlway, Art. 30, Rn. 19. 79
StIGH, Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex (France v. Switzerland), Beschluss vom 19. August 1929, PCIJ Ser. A No. 22, 12.
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diese Ansicht jedoch in der Regel nicht.80 Eine Abweichung von der allgemeinen Regel des Art. 41 WVK ist jedoch begründungsbedürftig. Allenfalls kommt eine Berufung auf den gerichtlichen (im Gegensatz zum schiedsgerichtlichen) Charakter in Betracht, der einer Anwendung des Art. 41 WVK entgegenstehe oder die möglichen Modifikationen einschränke. Entsprechend diesem Gedanken ist die in Art. 43 IGHStatut geregelte Zweiteilung des Verfahrens in einen schriftlichen und mündlichen Teil als unabdingbar bezeichnet worden.81 Zusammenfassend kann man daher sagen, dass die Parteien bei ständigen internationalen Gerichten jedenfalls nicht von wesentlichen Bestimmungen abweichen können.82 Darüber hinaus ist eine Modifikation des gerichtseinsetzenden Vertrages jedenfalls im laufenden Verfahren nicht möglich, da dies die Unabhängigkeit des Gerichts beeinträchtigen könnte. Als weitere Grenze der Dispositionsbefugnis der Parteien kommt Art. 53 WVK in Betracht, nach dem solche Verträge nichtig sind, die im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens) stehen. Das ius cogens ist selbst äußere Grenze für gerichtseinsetzende Verträge.83 Gleichzeitig können aber auch solche Verträge selbst zwingende Normen enthalten.84 Jedoch ist es fraglich, ob prozessuale Normen, beispielsweise des IGH-Statuts, Werte positivieren, die für die internationale Gemeinschaft von zentraler Bedeutung sind und daher dem zwingenden Völkerrecht zugerechnet werden können.85 Zwar können zentrale Grundsätze wie das Prinzip der Gleichheit der Parteien und des rechtlichen Gehörs als für ein Gericht unabding-
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So bezeichnet Jenks, in: FS-Schätzel (1960), 231 (235) die Unabdingbarkeit bezeichnenderweise als „self-evident“. 81
Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 3 (2006), 1290; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 17. Dies gilt wohl nicht für den ISGH: Eiriksson, The International Tribunal for the Law of the Sea (2000), 149. Anders in Bezug auf den StIGH: Hudson, The Permanent Court of International Justice 1920-1942 (1943), 552. 82 83 84 85
Foster, CYIL 7 (1969), 150 (158). Reisman, Nullity and Revision (1971), 547. Orakhelashvili, LPICT 3 (2003), 501 (546). Scobbie, ICLQ 41 (1992), 808 (813); Wittich, EJIL 18 (2007), 591 (613).
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bar (und somit untechnisch als ius cogens) bezeichnet werden.86 Allerdings führt eine vertragliche Abweichung von diesen Prinzipien wohl nicht zur Nichtigkeit des Vertrags, wie es Art. 64 WVK voraussetzt; werden sie verletzt, so liegt kein Gericht vor, sondern eine andere Form der Streitbeilegung. Ansonsten haben die Parteien weitgehende Freiheit in der Verfahrensgestaltung.87
(b) Verfahrensordnungen internationaler Gerichte Während die Statuten ständiger internationaler Gerichte nur unter hohem Aufwand abzuändern sind, verhält sich dies anders bei den Verfahrensordnungen. Nach Art. 101 IGH-VerfO und Art. 48 ISGH-VerfO können die Parteien gemeinsame Vorschläge zur Modifizierung oder Ergänzung des Teils III der VerfO vorschlagen („Verfahren in streitigen Sachen“); das Gericht ist hieran jedoch nicht gebunden, sondern kann diese anwenden, wenn es die vorgeschlagenen Regeln nach den Umständen des Falles für angemessen hält.88 Ausgeschlossen von dieser Änderungsmöglichkeit sind die Vorschriften über die Urteile, ihre Auslegung und Revision. Daneben lässt Art. 44 Abs. 2 IGH-VerfO die Berücksichtigung einer Parteiabsprache über die Anzahl der Schriftsätze und die Fristen zu, soweit sie nicht zu einer unverhältnismäßigen Verfahrensverzögerung führen (siehe auch Art. 46 IGH-VerfO). Nach dem oben zu Modifikationen Gesagten gelten diese Einschränkungen jedoch nur dann, wenn es sich bei der Vereinbarung der Parteien lediglich um „Vorschläge“ handelt. Schließen die Parteien eine nach Art. 41 WVK wirksame Modifikation, so bindet diese auch das Gericht. Art. 12 Abs. 1 DSU lässt Abweichungen vom Arbeitsverfahren nach Anhang 3 zum DSU zu, allerdings gehen diese vom Panel, nicht von den Parteien aus. Ebenso kann nach Regel 31 EGMR-VerfO der Gerichtshof selbst nach Beratung mit den Parteien von den Vorschriften der Verfahrensordnung abweichen.
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Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 10. Kritisch gegenüber Kolbs Gebrauch des Begriffes ius cogens in diesem Zusammenhang auch: Wittich, EJIL 18 (2007), 591 (613). 87 88
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 35.
Vorgängernorm des Art. 101 IGH-VerfO war Art. 36 der StIGH-VerfO von 1936.
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2. Vereinbarungen in Bezug auf die Tatsachengrundlage und das Beweisrecht Auch in Bezug auf das Beweisrecht oder die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Tatsachengrundlage können die Parteien sich grundsätzlich vertraglich einigen. So ist etwa anerkannt, dass Schiedsverträge auch tatsachenfeststellende Wirkung haben können, indem sie die Wahrheit von Tatsachen bestätigen oder Einschätzungen festlegen, die später im Prozess von keiner der Parteien in Frage gestellt werden können.89 Daneben kann im Kompromiss auch die Beweislast geregelt werden, auch wenn die Parteien eines Schiedsvertrages sich im Regelfall auf die Aussage beschränken, die allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung sollten Anwendung finden.90
IV. Kompetenzen der Gerichte und Schiedsgerichte kraft Sachzusammenhangs („implied“ oder „inherent powers“) 1. Einführung: „Implied powers“ im Recht der internationalen Organisationen Die Lehre der impliziten Kompetenzen („implied powers“) ist im Recht der internationalen Organisationen weithin anerkannt. Sie besagt, dass internationale Organisationen neben den ihnen ausdrücklich gewährten Befugnissen solche Kompetenzen für sich in Anspruch nehmen können, die zur Erfüllung ihrer im Gründungsvertrag festgelegten oder durch spätere Praxis entwickelten Zwecke und Aufgaben notwendig 89
Siehe etwa Salem Case (USA v. Egypt), Entscheidung des Schiedsgerichts vom 8. Juli 1932, RIAA 2 (1949), 1161 (1180); ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (105, Ziff. 40); Bowett, BYIL 33 (1957), 176 (182). 90
Watts, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 289 (293). Eine explizite Beweislastregelung, die von der allgemeinen Regel abweicht, findet sich in Art. 75 des Friedensvertrages der Alliierten mit Italien vom 10. Februar 1947, siehe Französisch-Italienische Schiedskommission, Différend « Barque Sphinx », Beschluss No. 7 vom 20. November 1948, RIAA 13 (1964), 59 (60). Art. 75 des Friedensvertrages vom 10. Februar 1947 ist abgedruckt in RIAA 13 (1964), 2 f. Nach dessen Abs. 7 obliegt dem Kläger die Identifikation der Sache, deren Restitution gefordert wird, sowie der Eigentumslage, während es Sache des Beklagten (Italien) war, nachzuweisen, dass die Wegnahme des Gutes (hier: des Schiffes Sphinx) nicht gewaltsam oder durch Zwang geschah.
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sind.91 Es handelt sich im Ergebnis um einen Schluss von der Aufgabenauf die Befugnisnorm. Dabei ergibt sich ein wohl nur im Einzelfall auflösbares Spannungsverhältnis zum Prinzip der Spezialität (oder dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung),92 dem internationale Organisationen allgemein unterliegen.
2. „Implied“ oder „inherent powers“ im Recht der internationalen Gerichtsbarkeit (a) Grundsatz Auch bei internationalen Gerichten können ungeschriebene Kompetenzen zur Ausfüllung von Lücken im Prozessrecht relevant werden.93 Die Lehre von den gerichtlichen inherent powers stammt aus dem common law-Rechtskreis.94 Für das Völkerrecht haben sie fast alle internationalen Gerichte nutzbar gemacht, allen voran der IGH und der JStGH. Nach der Rechtsprechung des IGH im Nuclear Tests-Fall gehört zu 91
IGH, Reparations for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Gutachten vom 11. April 1949, ICJ Rep. 1949, 174 (182); IGH, Effects of Awards of Compensation made by the UN Administrative Tribunal, Gutachten vom 13. Juli 1954, ICJ Rep. 1954, 47 (57); Dazu allgemein Campbell, ICLQ 32 (1983), 523 ff.; Ipsen/Epping, Völkerrecht (2004), 86. 92
IGH, Legality of the Use by a State of Nuclear Weapons in Armed Conflict, Gutachten vom 8. Juli 1996, ICJ Rep. 1996, 66 (78, Ziff. 25). Siehe auch: Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 265 (353, Rn. 189); Bothe, in: Boisson de Chazournes/Sands (Hrsg.), International Law, the International Court of Justice and Nuclear Weapons (1999), 102 (106) und die Kritik bei White, The law of international organisations (2005), 98 ff. 93 94
Gaeta, in: FS-Cassese (2003), 353 (366 f.); Brown, BYIL 76 (2005), 195.
Siehe auch: Jacob, Current Legal Problems 23 (1970), 23 (27): “[T]he jurisdiction to exercise [inherent] powers [is] derived, not from any statute or rule of law, but from the very nature of the court as a superior court of law. … The essential character of a superior court of law necessarily involves that it should be invested with a power to maintain its authority and prevent its process being obstructed and abused. The juridical basis of this jurisdiction is therefore the authority of the judiciary to uphold, to protect and to fulfil the judicial function of administering justice according to law in a regular, orderly and effective manner.” Dabei sind die inhärenten Kompetenzen des Gerichts komplementär zu den in der Verfahrensordnung (Rules of Court) enumerierten (S. 50). Siehe weiterhin: Symons, ICLR 3 (2003), 369 (373); Brown, BYIL 76 (2005), 195 (205); ders., A Common Law of International Adjudication (2007), 56.
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diesen inherent powers zunächst die ganz grundlegende Befugnis, jederzeit Maßnahmen zu treffen, um eine Vereitelung der Gerichtsbarkeit in der Sache (jurisdiction over the merits) zu verhindern. Gleichzeitig soll die geordnete Beilegung aller streitigen Punkte unter Beachtung der Begrenzung der Funktion internationaler Gerichte und unter Aufrechterhaltung ihres gerichtlichen Wesens (judicial character) gewährleistet werden.95 Der JStGH hat im Tadić-Fall auch die Kompetenz zur Entscheidung über das Bestehen der eigenen Gerichtsbarkeit (KompetenzKompetenz) als eine solche inherent power angesehen.96 Auch andere internationale Gerichte, etwa das Appellate Body der WTO, haben sich dieser Figur bedient.97
95 IGH, Case Concerning Nuclear Tests (Australia v. France), Urteil vom 20. Dezember 1974, ICJ Rep. 1974, 253 (259, Ziff. 23): “[T]he Court possesses an inherent jurisdiction enabling it to take such action as may be required, on the one hand, to ensure that the exercise of its jurisdiction over the merits, if and when established, shall not be frustrated, and on the other, to provide for the orderly settlement of all matters in dispute, to ensure the ‘inherent limitations on the exercise of the judicial function’ of the Court, and to ‘maintain its judicial character’. … Such inherent jurisdiction … derives from the mere existence of the Court as a judicial organ established by the consent of states … .” Der IGH bezog sich im Nuclear Tests-Fall auf: IGH, Case concerning the Northern Cameroons (Cameroon v. United Kingdom), Preliminary Objections, Urteil vom 2. Dezember 1963, ICJ Rep. 1963, 15 (29); relevant ebenfalls die sep. op. Fitzmaurice, ICJ Rep. 1963, 97 (103): „inherent jurisdiction, the power to exercise which is a necessary condition of the Court – or of any court of law – being able to function at all“. Siehe weiterhin: IGH, Case Concerning Legality of Use of Force (Serbia and Montenegro v. United Kingdom), Preliminary Objections, Urteil vom 15. Dezember 2004, sep. op. Higgins, ICJ Rep. 2004, 1359 (1361 f., Ziff. 10): “The Court’s inherent jurisdiction derives from its judicial character and the need for powers to regulate matters connected with the administration of justice, not every aspect of which may have been foreseen in the Rules.” 96
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Duško Tadić, IT-94-1-AR72, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, Beschluss vom 2. Oktober 1995, Ziff. 18. Dazu: Buteau/Oosthuizen, in: May u.a. (Hrsg.), Essays on ICTY Procedure and Evidence in Honour of Gabrielle Kirk McDonald (2001), 65. 97
DSB, Mexico – Taxes on Softdrinks (AB), Ziff. 45. Siehe auch: Weiss, in: Ortino/Petersmann (Hrsg.), The WTO Dispute Settlement System 1995-2003 (2004), 177.
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Grundlage und Quelle dieser ungeschriebenen Befugnisse sind für das Völkerrecht allerdings noch nicht hinreichend geklärt.98 Nach der Rechtsprechung des IGH, aber auch des Appellate Body folgen sie – wenig konkret – aus der „Natur“ bzw. dem „Wesen“ des internationalen Gerichts.99
(b) „Inherent“ oder „implied powers“? Internationale Gerichte haben sich bisher gar nicht oder nur sehr zögerlich auf implied powers berufen, um eine nicht ausdrücklich im gerichtseinsetzenden Vertrag aufgeführte Befugnis zu begründen.100 So hat der IGH zwar die implied powers-Lehre in Bezug auf internationale Organisationen maßgeblich mitgeprägt, jedoch für seine eigenen ungeschriebenen Befugnisse stets den Begriff „inherent powers“ gewählt. Auch die Rechtsprechung des JStGH reserviert den Begriff der implied powers für internationale Organisationen.101
98
Brown, BYIL 76 (2005), 195 (223) sowie ders., A Common Law of International Adjudication (2007), 67 zählt vier mögliche Quellen auf: allgemeine Rechtsgrundsätze, implied powers, das Wesen internationaler Gerichte als Spruchkörper sowie einen funktionellen Ansatz. 99 100 101
DSB, Mexico – Taxes on Softdrinks (AB), Ziff. 45. Gaeta, in: FS-Cassese (2003), 353 (360).
Eine Ausnahme in der Unterscheidung zwischen den beiden Arten von ungeschriebenen Kompetenzen (implied/inherent) bildet die Blaškić SubpoenaEntscheidung der Verfahrenskammer des JStGH, die von der Berufungskammer allerdings in diesem Punkt verworfen wurde (JStGH, Trial Chamber II, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Decision on the Objection of the Republic of Croatia to the Issuance of Subpoena Duces Tecum, Beschluss vom 18. Juli 1997, Ziff. 26). In der Berufungsentscheidung unterschied das Gericht strikt zwischen implied powers und inherent powers: Während erstere im Bereich (politischer) internationaler Organisationen von Bedeutung seien, beschrieben letztere ungeschriebene Kompetenzen internationaler gerichtlicher Organe (JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-9514, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 25, Fn. 27: “Consonant with the case-law of the International Court of Justice, the Appeals Chamber prefers to speak of ‘inherent powers’ with regard to those functions of the International Tribunal which are judicial in nature and not expressly provided for in the Statute, rather than to ‘implied powers’. The ‘implied powers doctrine’ has normally been applied in the case-law of the World
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Einige Autoren stimmen dieser Unterscheidung mit dem Argument zu, dass die implied powers-Lehre ihrem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund nach nicht auf internationale Gerichte anwendbar sei, da die Lehre im Verfassungsrecht der USA entwickelt wurde und letztlich eine föderale Struktur voraussetze, in der mit Hilfe der Doktrin der Zentralgewalt (also der höheren Ebene) Kompetenzen auf Kosten der Gliedstaaten zuerkannt werden sollten.102 Diese „föderale Analogie“103 sei jedenfalls im Bereich internationaler Gerichte nicht haltbar. Geltungsgrund der inherent powers sei ein durch die ständige Übung internationaler Gerichte und Schiedsgerichte begründeter allgemeiner Grundsatz des Völkerrechts des Inhalts, dass internationale gerichtliche Institutionen die Befugnisse haben, die für die ihnen überantwortete Rechtspflege (administration of justice) und zum Schutz ihres gerichtlichen Wesens und Charakters (judicial nature) notwendig seien. 104 Die Sinnhaftigkeit dieser Unterscheidung scheint jedoch zweifelhaft, weil das Kriterium zur Feststellung der inherent powers internationaler Gerichte mit dem für implied powers identisch ist, nämlich die Notwendigkeit einer Kompetenz zur Erreichung des Vertragszweckes.105 So begründet die Berufungskammer in der Blaškić Subpoena-Entscheidung eine inherent power zur gerichtlichen Feststellung der Weigerung eines Staates, mit dem Gericht zu kooperieren, damit, dass “the International Tribunal must possess the power to make all those judicial de-
Court with a view to expanding the competencies of political organs of international organizations.” (Hervorh. im Original)). 102
Gaeta, in: FS-Cassese (2003), 353 (363).
103
Hierzu auch: Arangio-Ruiz, EJIL 8 (1997), 1 ff., der dem Konzept der „implied powers“ insgesamt kritisch gegenübersteht. 104
Gaeta, in: FS-Cassese (2003), 353 (367). Dieser Unterscheidung folgt auch Sarooshi, Max Planck UNYB 2 (1998), 141, der den ad hoc Tribunalen jedoch sowohl implied als auch inherent powers zuschreibt, wobei erstere durch die Errichtung der Tribunale durch den Sicherheitsrat als politisches Organ einer internationalen Organisation im Wege der Delegation entstehen. 105
So Gaeta, in: FS-Cassese (2003), 353 (366). Siehe auch: Brown, BYIL 76 (2005), 195 (225 ff.), der die beiden Rechtsinstituten zugrundeliegende Methode für identisch hält, aber angesichts der Praxis internationaler Gerichte an der unterschiedlichen Terminlogie festhalten will, und Mitchell, in: Yerxa/Wilson (Hrsg.), Key issues in WTO dispute settlement (2005), 144 (158), der die inherent jurisdiction zumindest für vergleichbar mit den implied powers internationaler Organisationen hält. d’Aspremont, ICLQ 56 (2007), 185 (195), spricht ebenfalls von „implied powers“.
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terminations that are necessary for the exercise of its primary jurisdiction”.106 Dass der Zweck bei internationalen Gerichten regelmäßig ein und derselbe ist, nämlich die gerichtsförmige friedliche Streitbeilegung unter Beachtung der einschlägigen prozess- und materiellrechtlichen Normen, also die Ausübung ihrer Gerichtsbarkeit („jurisdiction“)107 und der Rechtsprechung („dispensation of justice“),108 und das Arsenal der nicht ausdrücklich genannten Befugnisse sich daher bei verschiedenen Gerichten oft ähnelt, ist kein Argument gegen eine Einordnung der Kompetenzen als implied powers. Auch sind die Begrenzungen der implied und der sogenannten inherent powers gleich: Da es sich bei der implied powers-Lehre letztlich um eine Frage der (teleologischen) Vertragsauslegung handelt,109 können Kompetenzen nur insoweit den Gerichten implizit übertragen sein, wie sie dem Vertragstext und –zweck nicht widersprechen. Dies wird auch als Grenze für inherent powers
106
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 33. 107 Die Ausübung ihrer Gerichtsbarkeit ist (offensichtlicher) Zweck internationaler Gerichte und Schiedsgerichte. Jedoch geht es bei der Feststellung von inherent oder implied powers ja gerade um die Determinierung der Reichweite der unter dieser Gerichtsbarkeit bestehenden Kompetenzen des Gerichts. Etliche, wenn nicht sogar alle internationalen Gerichte berufen sich daher in diesem Zusammenhang unterstützend auf die „Natur“ oder das „Wesen“ der (internationalen) Rechtsprechung bzw. Rechtspflege. So rekurrieren sie bei der Begründung von ungeschriebenen Kompetenzen unweigerlich auf den judicial character (etwa: JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Duško Tadić, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, IT-94-1-AR72, 2. Oktober 1995, Ziff. 14: „residual powers which may derive from the requirements of the ‘judicial function’ itself“), die Grundsätze der proper administration of justice, der judicial integrity, der basic judicial function (so die Berufungskammer in der Blaškić Subpoena-Entscheidung, Ziff. 33) oder der principles and rules of judicial propriety (ebd., Ziff. 35). 108
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 51. 109
So deutlich: Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen (2000), Rn. 1603: „andere Spielart der teleologischen Interpretation“. Auch: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 69.
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angenommen.110 Gleiches gilt für die Feststellung, dass bei der Annahme von inherent powers die Besonderheiten des Einzelfalles, also die Eigentümlichkeiten jedes einzelnen Gerichts berücksichtigt werden müssen.111 So sind z.B. die ungeschriebenen Kompetenzen eines internationalen Strafgerichts notwendigerweise anderer Art als die eines zwischenstaatliche Streitigkeiten entscheidenden Gerichts, da jeweils ein anderer Jurisdiktionsbereich vorliegt.112 Daher ist festzustellen, dass die Bezeichnung inherent powers keinen Erkenntnisgewinn über die Feststellung hinaus birgt, dass internationale Gerichte und Schiedsgerichte keine internationalen Organisationen mit politischem Mandat sind.113 Im Gegenteil läuft die Berufung auf inherent powers Gefahr, die Kompetenzen internationaler Gerichte zu stark auszuweiten und die Bindung an den Staatenkonsens, nämlich die im gerichtseinsetzenden Vertrag normierten expliziten Befugnisse, zu unterlaufen.114 Die Rückbindung an die im Vertrag explizit normierten Aufgaben und Befugnisse ist bei den „inherent powers“ aufgrund ihrer Koppelung an die sehr unbestimmten Begriffe „Wesen“ oder „Natur des Gerichts“ bereits sprachlich noch schwächer als bei den „implied powers“. Mit anderen Worten: Es fällt leichter, eine Kompetenz mit dem „Wesen“ eines internationalen Gerichts zu begründen, als sie durch Vertragsauslegung zur Erledigung einer explizit gegebenen Aufgabe für notwendig zu befinden. 110
Brown, BYIL 76 (2005), 195 (239). Siehe auch: United States-United Kingdom Arbitration Concerning Heathrow Airport User Charges, Decision No. 23 of 1 November 1993, ILR 102 (1996), 564 (579, Ziff. 2.26): “How much, if at all, further the Tribunal’s relevant inherent power extends depends, at least in part, on the terms of the powers expressly conferred on the Tribunal by agreement between the Parties … . Thus the Tribunal cannot exercise any power the existence of which is inconsistent with the terms of the Parties’ agreement as a result of which alone the Tribunal has any being.” Siehe auch die Diskussion der Entscheidung bei van Haersolte-van Hof, LJIL 8 (1995), 203 (210 ff.). In Bezug auf die materiellrechtlichen Fragen: Nash (Leich), AJIL 88 (1994), 719 (738 ff.). 111 112
Gaeta, in: FS-Cassese (2003), 353 (370). Sarooshi, Max Planck UNYB 2 (1998), 141 (152 ff.).
113
Von „implied powers“ spricht daher auch: Lauterpacht, in: Lowe/Fitzmaurice (Hrsg.), Fifty years of the International Court of Justice, Essays in honour of Sir Robert Jennings (1996), 465 (477); Pauwelyn, AJIL 95 (2001), 535 (555): „implied jurisdictional powers“. 114
Zu dieser Gefahr: Bohlander, CLF 12 (2001), 91 (117), der daher folgert, dass internationale Gerichte nur implied, keine inherent powers besitzen.
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Trotz aller Bedenken ist eine Entscheidung zwischen implied und inherent powers letztlich nicht notwendig. Beide Theorien gehen nach der hier vertretenen Auffassung von identischen Voraussetzungen aus und unterliegen auch denselben Beschränkungen. Zudem hat sich der Begriff inherent powers im Zusammenhang mit internationalen Gerichten eingebürgert. Daher soll im Folgenden der Begriff inhärente Kompetenzen (inherent powers) für solche Befugnisse eines internationalen Gerichts gewählt werden, die ihm nicht explizit beigegeben, jedoch für die effektive Erledigung seiner Aufgaben unerlässlich sind.
(c) Bedeutung von „inherent powers“ internationaler Gerichte für das Völkerprozessrecht Die Lehre von den inhärenten Kompetenzen ist für die Befugnis zur Anwendung allgemein geltender völkerprozessrechtlicher Regeln durch internationale Gerichte von Bedeutung. Sie ermöglicht es, Prozessrechtsinstitute, die von einzelnen internationalen Gerichten entwickelt wurden, auch für andere internationale Gerichte unter der Voraussetzung fruchtbar zu machen, dass sich die Art der Gerichtsbarkeit („jurisdiction“) dieser Gerichte ähnelt.115 Dies ist bei Gerichten, die zwischenstaatliche Streitigkeiten entscheiden, regelmäßig der Fall. Inhärente Kompetenzen können daher das „self-contained system“ eines Gerichts aufweichen und für in anderen Prozessrechtsordnungen entwickelte Praktiken öffnen. Die Bedeutung solcher ungeschriebener Kompetenzen wird jedoch dort regelmäßig geringer sein, wo Gerichten nach ihrem Gründungsvertrag die Befugnis zukommt, autonom (also ohne weitere Zustimmung der Streitparteien oder der Mitgliedstaaten eines multilateralen gerichtseinsetzenden Vertrages) eigene Prozessregeln zu erlassen.116 Gleichzeitig sind jedoch auch inhärente Kompetenzen für den Erlass von Prozessordnungen relevant. Denn diese Ordnungen müssen sich im Rahmen des gerichtseinsetzenden Vertrags halten. Ist jedoch eine Kompetenz einem internationalen Gericht inhärent und normiert die Verfahrensordnung eine solche, so verstößt sie nicht gegen höherrangiges Recht.117 115 116 117
Brown, BYIL 76 (2005), 195 (198). Dazu unten unter E. II.
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Duško Tadić, Case IT-94-1-AR77, Judgment on Allegations of Contempt Against Prior Counsel, Milan Vujin, Urteil vom 31. Januar 2000, Ziff. 24; JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor
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V. Ergebnis Gerichtseinsetzende Verträge sind grundsätzlich die wichtigste Rechtsquelle des Prozessrechts jedes einzelnen Gerichts, regeln jedoch gerade das Beweisrecht oft nicht umfassend. Sie können auch nur schwer für gerichtsübergreifendes Prozessrecht nutzbar gemacht werden, auch wenn sie häufig sehr ähnliche prozessrechtliche Regelungen treffen. Selten sind prozessrechtliche Bestimmungen auch in anderen als gerichtskonstitutierenden Verträgen enthalten, die das Gericht zur Entscheidung des Rechtsstreits anzuwenden hat. Besondere Bedeutung für das Prozessrecht haben die aus dem Statut des Gerichts durch Auslegung herzuleitenden inhärenten Kompetenzen. Aufgrund des identischen Zwecks internationaler Gerichte ähneln sie sich häufig und sind daher zur Begründung eines einheitlich geltenden Völkerprozessrechts besonders geeignet.
C. Völkergewohnheitsrecht I. Allgemeine Grundsätze Nach üblicher Definition sind dem Völkergewohnheitsrecht zugehörige Rechtssätze solche, die objektiv auf eine allgemeine Staatenübung (consuetudo oder usus) und subjektiv auf eine dieser Übung entsprechende Rechtsüberzeugung der Staaten (opinio iuris sive necessitatis) zurückgehen.118 Die Staatenpraxis muss sowohl im Wesentlichen übereinstimmend als auch weit verbreitet sein,119 d.h. sie muss räumlich betrachtet ihrem Umfang nach die nötige Verbreitung aufweisen, damit von universellem Völkergewohnheitsrecht gesprochen werden kann.120 Bezüglich des Erfordernisses der opinio iuris hat der IGH ausgeführt dass
v. Jelisić, Case No. IT-95.10-A, Urteil vom 5. Juli 2001, partially diss. op. Wald, Ziff. 7: “Needless to say, the Rules cannot confer power on the Chambers greater than that provided by the Statute, unless it is power recognised universally as essential to the functioning of a court of law.” 118
Cassese, International Law (2005), 156; Jaenicke, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3 (1962), 766 (769). 119
So: IGH, North Sea Continental Shelf Cases, ICJ Rep. 1969, 3 (43, Ziff.
74). 120
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1 (1989), 58.
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“[t]he states concerned must … feel that they are conforming to what amounts to a legal obligation”.121 Zur Begründung einer Rechtsüberzeugung reicht aber auch die stillschweigende Unterwerfung oder protestlose Annahme der Regel aus.122 Während diese allgemeinen Grundsätze weitgehende Anerkennung gefunden haben, ist in der Völkerrechtswissenschaft weiterhin umstritten, welche Tatsachen als Staatenpraxis gedeutet werden können bzw. auf eine Rechtsüberzeugung schließen lassen.123 Alston und Simma sprechen in diesem Zusammenhang pointiert von einer „Identitätskrise“ des Völkergewohnheitsrechts, die im Wesentlichen auf zwei Elemente zurückgehe: Einerseits werde der Staatenpraxis als konstitutivem Element des Gewohnheitsrechts immer weniger Bedeutung beigemessen; andererseits bestehe eine Tendenz, die staatliche Artikulation einer Regel „zweimal zu zählen“, d.h. nicht lediglich als Ausdruck einer Rechtsüberzeugung, sondern gleichzeitig einer Staatenpraxis als ihrem Objekt.124 Noch direkter erklärt Jennings, dass “most of what we perversly persist in calling customary international law is not only not customary law: it does not even faintly resemble a customary law”.125 In der Tat sind die Voraussetzungen für Völkergewohnheitsrecht in der Praxis schwer zu handhaben und werden daher zu Recht als „fiktiv“ bezeichnet.126
II. Völkerprozessrecht als Völkergewohnheitsrecht Die Schwierigkeiten und Unsicherheiten in der Methodik des Völkergewohnheitsrechts verstärken sich noch in Bezug auf das Völkerprozessrecht. Einerseits ist gerade im Bereich des Prozessrechts ein Beitrag internationaler Gerichte zur Bildung von gewohnheitsrechtlich geltenden Regeln befürwortet worden,127 so dass viele Autoren die Existenz 121 122 123 124
IGH, North Sea Continental Shelf Cases, ICJ Rep. 1969, 3 (44, Ziff. 77). Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1 (1989), 60. Siehe nur Akehurst, BYIL 47 (1974/75), 1 ff. Simma/Alston, Australian YBIL 12 (1988-1989), 82 (88, 96).
125
Jennings, in: Bin Cheng (Hrsg.), International Law: Teaching and Practice (1982), 3 (5) (Hervorh. im Original). 126 127
Herdegen, ZaöRV 64 (2004), 571 (579). Akehurst, BYIL 47 (1974/75), 1 (11).
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von im internationalen zwischenstaatlichen Verfahren allgemein anwendbaren völkergewohnheitsrechtlichen Regeln voraussetzen.128 So führt Jaenicke aus, dass internationale „Gerichte …, soweit ihre Verfahrensordnungen Lücken enthielten, selbständig verfahrensrechtliches Gewohnheitsrecht geschaffen und in späteren Entscheidungen darauf zurückgegriffen [haben]“.129 Jedoch wirft die Herausarbeitung völkergewohnheitsrechtlich geltender Grundsätze in diesem Bereich grundlegende Fragen und Probleme auf. Die These der gewohnheitsrechtgenerierenden Tätigkeit internationaler Gerichte ist in Parallele zur Diskussion um die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht durch die Beschlüsse der Organe internationaler Organisationen zu sehen. Sie sieht sich denselben grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt. Akte von Organen internationaler Organisationen können zwar nach der Rechtsprechung des IGH unter Umständen Aufschluss über die opinio iuris der an der Beschlussfassung beteiligten Staaten geben;130 dies wird aber in der Regel nur dann möglich sein, wenn es sich hierbei um ein Organ handelt, in dem nahezu alle Staaten vertreten sind (ist also de facto auf die VN-Generalversammlung be128
Siehe Caron, AJIL 84 (1990), 104 (111); Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 316: «La longue pratique de l’arbitrage a crée des usages dont l’ensemble … forme un véritable droit coutumier.» Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), Preface, xiv: „customary law of evidence“. 129
Jaenicke, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3 (1962), 766 (772). Ebenso: de Visscher, RdC 6 (1925 I), 329 (357): «[L]a pratique déjà longue de l’arbitrage a donné naissance à un ensemble de règles de procédure qui constituent un véritable ‹ droit coutumier arbitral ›. … Il ne faut donc pas voir dans la jurisprudence une source de droit internationale distincte de la coutume. Les règles techniques ou constructives qui se dégagent des sentences judiciaires ne s’impose jamais en tant que décisions jurisprudentielles; elles s’imposent comme règles coutumières lorsque’elles s’appuient sur une jurisprudence suffisamment constante pour que l’on puisse affirmer qu’elles ont reçu l’assentiment général des États.» Caron, ZaöRV 46 (1986), 465 (472): “[Arbitral] practice promotes the development of … a customary international arbitral procedure … .” 130
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1 (1989), 72; IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (99 f., Ziff. 188). Siehe auch: ILA, Committee on Formation of Customary (General) International Law, Final Report of the Committee, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law (2000), 19: Die Beschlusspraxis internationaler Organisationen wird hier gesehen als „a series of verbal acts by the individual member States participating in that organ“.
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schränkt). Außerdem fehlt es dann immer noch an der ebenfalls erforderlichen Staatenübung. Noch schwieriger stellt sich die Begründung in Bezug auf die Entscheidungen internationaler Gerichte dar:131 Mehr noch als bei materiellem Völkergewohnheitsrecht muss im Bereich des internationalen Prozessrechts geklärt werden, welche tatsächlichen Handlungen als Staatenpraxis angesehen werden können und welches Verhalten als opinio iuris zu werten ist. Wichtig ist dabei, dass eine prozessuale Praxis sich erst in zweiter Linie durch Handlungen von Staaten und vor allem durch Entscheidungen und sonstige Prozesshandlungen des Spruchkörpers selbst entwickelt.132 Wenn man nicht – unter Durchbrechung der traditionellen Lehre, die nur Staatenpraxis als relevant betrachtet und Urteile internationaler Gerichte lediglich zur Klärung und behutsamen Fortentwicklung von Völkergewohnheitsrecht heranzieht – auch die Tätigkeit internationaler Gerichte als Völkergewohnheitsrecht begründende Praxis wertet,133 kann diese demnach nicht zur Begründung der Staatenpraxis herangezogen werden. Denn das Verhalten des Spruchkörpers kann den am Disput beteiligten Staaten nicht ohne Weiteres zugerechnet werden, da das internationale Gericht ja unabhängig von den Staaten agiert und gerade nicht „Agent“ oder Organ eines Staates oder beider Parteien ist.134 Wie Brownlie richtig anmerkt, ist es daher „impossible, or at least difficult, for state practice to evolve the rules of procedure and evidence which a court must employ“.135 Die für die Bildung 131
Diese Schwierigkeiten sieht auch Brown, BYIL 76 (2005), 195 (203) und ders., A Common Law of International Adjudication (2007), 53, 89 f., der dennoch von der Existenz völkergewohnheitsrechtlicher Prozessregeln ausgeht. 132
Thirlway, AJIL 78 (1984), 622 (624).
133
So: Wolfke, Custom in Present International Law (1993), 74; Akehurst, BYIL 47 (1974/75), 1 (11). 134
Shahabuddeen, Precedent in the World Court (1996), 71 f., jedenfalls in Bezug auf den IGH; Jia, in: FS- Li Haopei (2001), 77 (80). Anders wohl: de Visscher, RdC 6 (1925 I), 329 (357). 135
Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 16 f. Ebenso: Acosta Estévez, El Proceso ante el Tribunal International de Justicia (1995), 33. Ähnliche Bedenken auch bei Combacau/Sur, Droit international public (2006), 595; ILA, Committee on Formation of Customary (General) International Law, Final Report of the Committee, Statement of Principles Applicable to the Formation of General Customary International Law (2000), 18: “[T]he purpose of international courts and tribunals is to act independently of those appointing them” (Hervorh. im Original). Auch skeptisch: Amerasinghe, Evidence in In-
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von Völkergewohnheitsrecht erforderliche Staatenpraxis besteht in der Interaktion zwischen den Staaten selbst, nicht in ihrem Verhalten gegenüber dem Gericht.136 Die Akzeptanz der gerichtlichen Praxis durch die am Streit beteiligten Staaten und die anderen dem Prozessvertrag zugehörigen Vertragsparteien sowie die Berufung auf prozessuale Präzedenzfälle durch Staatenvertreter im schriftlichen wie mündlichen Verfahren ist daher zwar rechtlich durchaus relevant,137 jedoch im Verhältnis zur Aktivität des Gerichts als so untergeordnet zu werten, dass hieraus allein keine völkergewohnheitsrechtliche Regel entstehen kann.
III. Völkerrechtliche Verträge und Völkergewohnheitsrecht Die oben genannten Schwierigkeiten würden vermieden, konzentrierte man sich auf die Entwicklung von Völkergewohnheitsrecht im prozessualen Bereich aus völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere aus gerichtseinsetzenden Verträgen. Der IGH hat im Nicaragua-Fall festgehalten, dass Normen, die sowohl völkervertragsrechtlichen als auch völkergewohnheitsrechtlichen Ursprungs sind, getrennte und selbständige Existenzen als Normen der jeweiligen Rechtsquelle führen.138 Derselbe Grundsatz kommt in Art. 43 WVK zum Ausdruck. Trotz ihrer grundsätzlichen Selbständigkeit interagieren die in den beiden Rechtsquellen enthaltenen Normen: Völkergewohnheitsrecht kann Vertragsrecht modifizieren; gleichzeitig kann aus Vertragsrecht eine Norm des Völkergewohnheitsrechts entstehen. Daher scheint es möglich, dass sich aus einer Vielzahl inhaltlich nahezu identischer vertraglich niedergelegter prozessualer Bestimmungen eine Norm des Völkerprozessgewohnheitsrechts herauskristallisiert. Hierternational Litigation (2005), 26. Parallele Bedenken in Bezug auf Generalversammlungsresolutionen und Völkergewohnheitsrecht bei Danilenko, LawMaking in the International Community (1993), 90: “[I]t is difficult to apply [the word custom] with respect to a procedure which is so different from the traditional practice-oriented source of law.” 136
Zu identischen Problemen in anderen Teilgebieten des materiellen Völkerrechts: Simma/Alston, Australian YBIL 12 (1988-1989), 82 (99) in Bezug auf das Fehlen des Interaktionselements in menschenrechtlichen Fragen; Gärditz, AVR 45 (2007), 1 (8) zum fehlenden Interaktionselement im internationalen Strafrecht. 137 138
Dazu siehe unten unter E. I. 2. IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (95, Ziff. 178).
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gegen kann nicht von vorneherein eingewandt werden, die wiederholte vertragliche Niederlegung einer Regel sei Beweis, dass sie eben keine völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen könne.139 Gleichzeitig können auf diesem Wege auch die Normen, die in Verfahrensordnungen internationaler Gerichte (also Sekundärrecht) niedergelegt sind, zu Völkergewohnheitsrecht erstarken.140 Es ist allerdings fraglich, ob vertragliche prozessuale Normen Rückschlüsse auf Staatenübung oder opinio iuris zulassen. Insbesondere ist problematisch, ob eine über den Vertrag hinausgehende Rechtsbindungsmeinung nachgewiesen werden kann. Denn regelmäßig wird eine solche opinio sich nur darauf beziehen, an gewisse Verfahrensregeln gebunden zu sein, wenn man sich eines konkreten Gerichts oder Schiedsgerichts bedient, nicht aber, dass diese Regelung für jedwede gerichtliche Streitbeilegung gelten soll. Auch wenn dies der Fall sein sollte, stellt sich jedoch noch immer das Problem, dass gerichtseinsetzende Verträge nur ein Minimum an prozessrechtlichen Normen enthalten und so wenig zu einem geschlossenen Völkerprozessrecht beitragen können. Dies gilt in gesteigertem Maße für das Beweisrecht.
IV. Ergebnis Angesichts der vielfältigen dogmatischen Schwierigkeiten ist das Völkergewohnheitsrecht zur Begründung eines einheitlichen internationalen Prozessrechts nur bedingt geeignet. Zu viele Grundsätze der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht müssten angepasst werden, um die Herausbildung prozessrechtlicher Normen zu erklären. Am ehesten Erfolg versprechend sind dabei diejenigen Ansätze, die den Entscheidungen internationaler Gerichte in prozessrechtlichen Fragen – mit einer ähnlichen Argumentation wie zur völkergewohnheitsrechtlichen Wirkung mancher VN-Generalversammlungsresolutionen – selbst völkergewohnheitsrechtsbildende Qualität zubilligen. Hier überschneidet sich freilich die Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts mit der des Richterrechts. Grundsätzlich scheint dieses Phänomen daher besser der letzteren Quelle zuzuordnen zu sein.141 139 140
Kolb, NILR 50 (2003), 119 (146 f.). Unentschieden: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975),
44. 141
Dazu: E. I.
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D. Allgemeine Rechtsgrundsätze I. Allgemeine Rechtsgrundsätze im Völkerrecht Welche Regeln dem Kreis der allgemeinen Rechtsgrundsätze zuzuordnen sind, ist trotz intensiv geführter wissenschaftlicher Debatte weiterhin stark umstritten.142 Dabei herrscht bereits keine Einigkeit darüber, ob es sich hierbei um eine selbständige Völkerrechtsquelle handelt.143 Die ganz überwiegende Meinung jedoch sieht sie als selbst völkerrechtlich verbindliches Recht an,144 auch wenn sie gelegentlich als im Ursprung „völkerrechtsfremde Normen, die nicht in einem völkerrechtlichen Verfahren entstanden sind“, bezeichnet werden.145 Mit der Anerkennung als allgemeine Rechtsgrundsätze verlieren innerstaatliche Normen allerdings ihren nationalen Charakter und werden zu völkerrechtlichen Rechtssätzen „transformiert“.146 Grundsätzlich ist zwischen zwei Arten allgemeiner Rechtsgrundsätze zu unterscheiden:147 Entstehungsgeschichtlich betrachtet bezeichnet Art. 38 Abs. 1 (c) IGH-Statut zunächst jene Grundsätze, die in den nationalen Rechtssystemen anerkannt sind (dazu 1.).148 Daneben werden jedoch zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen auch solche gezählt, die auf rein völkerrechtlicher Ebene wirken (Rechtsgrundsätze der Völkerrechtsordnung oder general principles of international law, dazu 2.).149
142
Mosler, in: FS-Truyol Serra (1986), 815 (817).
143
Dies verneinend z.B. Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 390, der allgemeine Grundsätze i.S.d Art. 38 Abs. 1 (c) IGH Statut als „fundamental principles of every legal system“ bezeichnet und hierin daher gerade keine Völkerrechtsquelle sieht. 144
Jaenicke, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3 (1962), 766 (770); Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1 (1989), 66; Weiß, AVR 39 (2001), 394 (401). 145 146
So: Ipsen/Wolff Heintschel von Heinegg, Völkerrecht (2004), 231. Mosler, RdC 140 (1974 IV), 1 (138).
147
Jaenicke, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3 (1962), 766 (770). 148 149
Mosler, in: FS-Truyol Serra (1986), 815 (822).
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1 (1989), 69; Mosler, RdC 140 (1974 IV), 1 (136).
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1. Aus den innerstaatlichen Rechtsordnungen hergeleitete Rechtsgrundsätze Um als allgemeine Rechtsgrundsätze der ersten Kategorie im Sinne der völkerrechtlichen Quellenlehre zu gelten, müssen die Grundsätze zunächst in den Rechtsordnungen mehr oder weniger aller Staaten übereinstimmend anerkannt sein. Zu dieser Feststellung ist ein wertender Vergleich der nationalen Rechte erforderlich.150 Dabei stehen traditionell die Privatrechtsordnungen der Staaten im Vordergrund,151 da die Regelung der Rechtsverhältnisse zwischen Privaten am ehesten den Strukturen des traditionellen Völkerrechts entspricht, das Beziehungen zwischen formal Gleichgestellten regelt.152 Jedoch haben in jüngerer Zeit auch andere Rechtsgebiete für die Gewinnung von allgemeinen Prinzipien Bedeutung erlangt. Zuvörderst ist hierbei an das nationale materielle Strafrecht im Bereich des internationalen Strafrechts zu denken.153 Soweit man dem Völkerrecht mit zunehmender Verdichtung und Konstitutionalisierung eine (rudimentäre) hierarchische Ordnung zubilligt, kann auch die Berücksichtigung staats- und verwaltungsrechtlicher Grundsätze möglich oder sogar geboten sein.154 Nach traditionellem Verständnis können nur die den staatlichen Normen zugrunde liegenden allgemeinen Grundsätze auf die internationale Ebene übertragen werden, nicht ein bestimmter konkreter Rechtssatz als solcher.155 Allgemeine Rechtsgrundsätze sind nach dieser Ansicht in der Regel von sehr abstraktem Gehalt. Oft wird nur der „kleinste gemeinsame Nenner“ der in den verschiedenen Rechtsordnungen angebotenen Lösungen zu einem Rechtsproblem einen solchen Grundsatz darstellen.156 Schließlich können nur solche Rechtsgrundsätze auf die in150
Rau, in: Menzel/Pierlings/Hoffmann (Hrsg.), Völkerrechtsprechung (2005), 78 (83). 151
Siehe nur Lauterpacht, Private Law Sources and Analogies of International Law, 1927 (Neudruck 1970). 152
Herdegen, Völkerrecht (2007), § 17, Rn. 2; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht (2007), § 2, Rn. 15. 153
Hierzu: Kreß, ZStW 111 (1999), 597 (608 ff.); Stuckenberg, GA 154 (2007), 80 (89 ff.). 154 Friedmann, AJIL 57 (1963), 279 (281); Herdegen, Völkerrecht (2007), § 17, Rn. 5. 155 156
Weiß, AVR 39 (2001), 394 (407).
Gaffney, American University ILR 14 (1998-1999), 1173 (1181); Zeitler, JIEL 8 (2005), 721 (751).
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ternationale Ebene „hochgezont“ werden, die mit den wesentlichen Wesensmerkmalen und rechtlichen Institutionen des Völkerrechts strukturell vereinbar sind bzw. ihnen nicht widersprechen.157
2. Allgemeine Rechtsgrundsätze des Völkerrechts Unter diese Gruppe fallen diejenigen Rechtsgrundsätze, die sich allein aus dem Bestehen einer Rechtsordnung herleiten lassen. Solche rechtsordnungsspezifischen Prinzipien haben sich auch im Rahmen der internationalen Beziehungen auf rein internationaler Ebene entwickelt158 und lassen sich unmittelbar der Struktur des internationalen Systems entnehmen.159 Hierzu gehören etwa die souveräne Gleichheit der Staaten, sowie die Pflicht zur Wiedergutmachung von Schäden. Weiterhin wird vertreten, dass sie auch durch Verallgemeinerungen existenter vertraglicher oder gewohnheitsrechtlicher Normen gewonnen werden können.160 Ihre Einordnung ist jedoch im Einzelnen umstritten. So werden sie teils dem Völkergewohnheitsrecht zugerechnet, teils wird ihnen ein eigenständiger Rechtsquellencharakter ganz abgesprochen.161
3. Verhältnis der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu anderen Völkerrechtsquellen Umstritten ist insbesondere auch das Verhältnis der allgemeinen Rechtsgrundsätze zu den anderen in Art. 38 IGH-Statut aufgeführten Primärquellen, den internationalen Verträgen und dem Völkergewohnheitsrecht. Überwiegend werden die Grundsätze als formal gleichrangige, jedoch de facto subsidiäre Quelle gesehen.162 Allgemeine Rechts157
Cassese, International Law (2005), 194; von Mangoldt, ZaöRV 40 (1980), 554 (562). 158 Hestermeyer, Max Planck UNYB 8 (2004), 101 (176); Weiß, AVR 39 (2001), 394 (400 ff.). 159
Lammers, in: FS-Haro F. van Panhuys (1980), 53 (66); Jaenicke, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3 (1962), 766 (771). 160
Stuckenberg, GA 154 (2007), 80 (96).
161
Völkergewohnheitsrecht: Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht (2004), 231; kein Rechtsquellencharakter: Stuckenberg, GA 154 (2007), 80 (95). 162 Billib, Die allgemeinen Rechtsgrundsätze gemäß Art. 38 I c des Statuts des Internationalen Gerichtshofs: Versuch einer Deutung (1972), 168 ff.; Hestermeyer, Max Planck UNYB 8 (2004), 101 (176); Brownlie, Principles of
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grundsätze erfüllen maßgeblich drei Funktionen: Erstens dienen sie zur Füllung der Lücken des Vertrags- und Gewohnheitsrechts. Insofern entsprechen sie dem Zweck der Einfügung des Art. 38 Abs. 1 (c) in das IGH-Statut, da hierdurch ein non liquet in der Entscheidungsfindung des IGH verhindert werden sollte. Zweitens spielen die Rechtsgrundsätze bei der Auslegung des Vertragsrechts eine Rolle. Schließlich kommt ihnen eine Begrenzungs- und Berichtigungsfunktion zu.163 Die Lückenfüllungsaufgabe wurde in jüngster Zeit besonders in der Arbeit der beiden ad hoc-Kriegsverbrechertribunale der VN offenbar.164 Werden allgemeine Rechtsgrundsätze einmal als solche erkannt und auf die völkerrechtliche Ebene überführt, können sie sich dort eigenständig und ohne weitere Beeinflussung durch ihren nationalen Ursprung weiterentwickeln. Daher ist es möglich, dass sie grundsätzlich fortbestehen, auch wenn die nötige Konvergenz der nationalen Rechtsordnungen fortfällt oder diese sich gemeinsam in eine andere Richtung entwickeln.165
II. Allgemeine Rechtsgrundsätze im Völkerprozessrecht 1. Allgemeine Rechtsgrundsätze als paradigmatische Rechtsquelle des Völkerprozessrechts? Aus den oben beschriebenen Funktionen der allgemeinen Rechtsgrundsätze, insbesondere ihrer Verwendung zur Lückenfüllung im Völkervertragsrecht, wird ihre besondere Bedeutung für das Völkerprozessrecht gefolgert.166 Angesichts der Tatsache, dass gerichtseinsetzende Verträge das Prozessrecht oft nur sehr unvollständig regeln, scheinen allgemeine Rechtsprinzipien besonders hier eine ergänzende Rolle spie-
Public International Law (2008), 16. Siehe aber Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht (2004), 233, der nach historischer und systematischer Auslegung auch zu einer formalen Subsidiarität der allgemeinen Rechtsgrundsätze kommt. 163 164 165 166
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1 (1989), 69. Cassese, International Law (2005), 193; Weiß, AVR 39 (2001), 394 (420). Thirlway, AJIL 78 (1984), 622 (624).
Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht (2004), 233. Anders: Scerni, RdC 65 (1938 III), 565 (589): Allgemeine Rechtsgrundsätze bilden keine Quelle des Prozessrechts (jedenfalls des IGH), da der Gerichtshof Lücken im Prozessrecht nach freiem Ermessen ausfüllen kann.
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len zu können.167 Daher wird das Völkerprozessrecht, insbesondere das Beweisrecht,168 oft als geradezu paradigmatischer Anwendungsbereich für diese Rechtsquelle genannt.169 Auch internationale Gerichte greifen in der Beurteilung beweisrechtlicher Fragen häufig auf rechtsvergleichende Argumente und damit auf aus den nationalen Rechtsordnungen extrapolierte allgemeine Rechtsgrundsätze zurück.170 Ein entsprechender expliziter Regelungsvorschlag für die StIGH-VerfO wurde nur deshalb nicht angenommen, weil er dem geltenden Recht nichts hinzugefügt hätte.171 Allgemeine Rechtsgrundsätze bieten sich aufgrund ihrer 167
Siehe Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (108 f.). 168
Biehler, International Law in Practice: An Irish Perspective (2005), 194; Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 303 und 308; Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 511. 169
Siehe etwa Oellers-Frahm, Die einstweilige Anordnung in der internationalen Gerichtsbarkeit (1975), 1; Bothe, ZaöRV 36 (1976), 280 (297); Weiß, AVR 39 (2001), 394 (398); Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht (2004), 233; Jaenicke, in: Strupp/Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3 (1962), 766 (771); Mani, International Adjudication, Procedural Aspects (1980), 19; Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 18; Herdegen, Völkerrecht (2007), § 17, Rn. 4; D’Amato, International Law as an Autopoietic System, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Developments of International Law in TreatyMaking (2005), 335 (394, Fn. 165); Combacau/Sur, Droit international public (2006), 595; Bos, A Methodology of International Law (1984), 279; Schlesinger, AJIL 51 (1957), 734 (736); Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 53 ff. 170
So stellte Schiedsrichter Nielsen im Kling-Fall fest, dass “[w]ith respect to matters of evidence, [international tribunals] must give effect to common sense principles underlying rules of evidence in domestic law”, Lillie S. Kling (U.S.A.) v. United Mexican States, RIAA 4 (1951), 575 (582). 171
StIGH, Ser. D (1936), Acts and Documents Concerning the Organization of the Court, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th, 1936, 781: Vorschlag des dritten Komitees zur Änderung der Verfahrensordnung zu Art. 32: «Dans tous les cas non prévus par ce Règlement, la Cour décide en s’inspirant des principes généraux de procédure reconnus par les nations civilisées.» Dazu: Scerni, RdC 65 (1938 III), 565 (589) und die Bemerkungen von Anzilotti, StIGH, Ser. D (1936), Acts and Documents Concerning the Organization of the Court, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th, 1936, 845, der erklärt, dass „en s’inspirant“ nur heiße, dass die Entscheidung des Gerichtshofs nicht gegen diese Grundsätze verstoßen dürfe.
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Universalität auch in besonderem Maße für ein einheitlich für alle internationalen Gerichte geltendes Beweisrecht an. Entsprechend der Gleichordnung der Staaten und der sich damit anbietenden Parallele zum Zivilrecht stehen auch im Bereich des Prozessrechts die Zivilverfahrensordnungen der Staaten als Betrachtungsgegenstand bei der Herausarbeitung allgemeiner Grundsätze im Vordergrund.172 Entsprechend bemerkt Mani, dass die überwiegende Anzahl der Normen des internationalen Verfahrensrechtes aus einer Analogie zum Privatrecht hervorgegangen sei.173 Die Rolle der Gerichte in der Herausarbeitung solcher allgemeiner Rechtsgrundsätze im Bereich des Prozessrechts betont Brownlie, indem er ihre Aufgabe in der Auswahl, Aufbereitung und Adaptierung der Elemente der „besser entwickelten Rechtssysteme“ sieht, um das Völkerrecht praktikabel für den internationalen gerichtlichen Prozess zu machen.174 Auch der IGH hat auf allgemeine Rechtsprinzipien im Bereich des Prozessrechts rekurriert. So spricht er in einem Gutachten von „elementary principles of judicial procedure“175 und im Nicaragua-Fall von „general principles as to the judicial process“176 bzw. „general principles of judicial procedure“, an die er in seiner Beweiswürdigung gebunden sei.177 Ebenso erwähnt er „general principles of procedural law“.178 Das IUSCT so172
Wengler, Völkerrecht, Bd. 1 (1964), 745 (Fn. 3): „[D]ie allgemeinen Rechtsgrundsätze der Zivilprozeßrechte der zivilisierten Nationen [können] zur Klärung der Frage der Beweislast für Tatsachen herangezogen werden.“ Siehe auch: Foster, CYIL 7 (1969), 150 (183); Torres Bernárdez, in: Jiménez Piernas (Hrsg.), The Legal Practice in International Law and European Community Law (2007), 63 (72). 173 174
Mani, International Adjudication, Procedural Aspects (1980), 3-4. Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 17.
175
IGH, Application for Review of Judgement No. 273 of the United Nations Administrative Tribunal, Gutachten vom 20. Juli 1982, ICJ Rep. 1982, 325 (356, Ziff. 59). 176 177 178
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (39, Ziff. 58). Ebd., 40, Ziff. 60.
IGH, Case Concerning the Land, Island and Martimie Frontier Dispute (El Salvador v. Honduras), Application by Nicaragua for Permission to Intervene, Urteil vom 13. September 1990, ICJ Rep. 1990, 92 (136, Ziff. 102). Siehe auch: IGH, Case Concerning the Continental Shelf (Libya v. Malta), Urteil vom 21. März 1984, diss. op. Ago, ICJ Rep. 1984, 115, der von „international procedural law“ spricht.
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wie der IAGMR haben ebenfalls bisweilen von „general principles of international procedural law“ gesprochen.179 Die Formulierungen legen nahe, dass allgemeine Rechtsgrundsätze nicht nur in der Form der aus den nationalen Rechtsordnungen stammenden Prinzipien für das Völkerprozessrecht bedeutsam sind, sondern auch in der Ausformung der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts (general principles of international law). Allerdings ist die Rechtsprechung internationaler Gerichte hier nicht eindeutig und differenziert nicht klar nach den Arten allgemeiner Rechtsgrundsätze.
2. Einwände gegen aus den nationalen Rechtsordnungen gefolgerte allgemeine prozessrechtliche Rechtsgrundsätze Trotz des weitgehenden Konsenses über die Bedeutung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Völkerprozessrecht wird auch Kritik an dieser wohl überwiegenden Auffassung laut. Diese ist vielgestaltig und setzt an verschiedenen Punkten an. Strukturierend lassen sich mehrere größere Strömungen zusammenfassen. Danach scheitere die Feststellung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Prozessrecht internationaler Gerichte an der Flexibilität des Prozessrechts (dazu (a)), dem Prinzipiencharakter allgemeiner Rechtsgrundsätze (dazu (b)), der (mangelnden) Vergleichbarkeit der nationalen Prozessrechtssysteme als Voraussetzung der Herausarbeitung allgemeiner Grundsätze (dazu (c)), und an der (ebenfalls nicht gegebenen) Vereinbarkeit der Grundsätze mit den Wesensmerkmalen des Völkerrechts (dazu (d)), insbesondere mit den der internationalen Gerichtsbarkeit eigenen Strukturprinzipien. Schließlich wird eine methodisch unsaubere Herangehensweise internationaler Gerichte in der Feststellung allgemeiner Rechtsgrundsätze gerügt (dazu (e)).
179
IUSCT, Vera-Jo Miller Aryeh (Case No. 842), Laura Aryeh (Case No. 843), J.M. Aryeh (Case No. 844) v. The Islamic Republic of Iran, Award vom 22. Mai 1997, IUSCTR 33 (1997), 272 (320, Fn. 40); IAGMR, Genie Lacayo v. Nicaragua, Application for Judicial Review of the Judgment of 29 January 1997, Beschluss (Order) vom 13. September 1997, Ser. C No. 45, 33 (Ziff. 9): “As stipulated in the Statute of the International Court of Justice and the Rules of the European Court, pursuant to the general principles of both domestic and international procedural law, and, in accordance with the criterion of generally accepted doctrine, the decisive or unappealable character of a judgment is not incompatible with the existence of the remedy of revision in some special cases.” Die Formulierung ist also keine Erfindung der völkerrechtlichen Literatur, siehe aber: Treves, Comunicazioni e studi 23 (2007), 821 (869).
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(a) Flexibilität des Prozessrechts Nach einer vereinzelt gebliebenen Auffassung sollen allgemeine Rechtsgrundsätze überhaupt keine Rechtsquelle des Prozessrechts internationaler Gerichte sein. Als Grund hierfür wird angeführt, dass internationale Gerichte traditionell frei in der fallspezifischen Bewältigung prozessrechtlicher Probleme seien, wenn weder Statut noch Verfahrensordnung eine Regelung bereithalten.180 Dies schließe notwendig aus, dass sie an allgemeine Rechtsgrundsätze gebunden seien. Damit wird gleichzeitig auch die Existenz eines allgemeinen Völkerprozessrechts insgesamt in Frage gestellt. Die Fehlerhaftigkeit dieser Auffassung zeigt sich bereits am Bedürfnis der prozessualen Verrechtlichung der internationalen Gerichtsbarkeit.181 Man kann allenfalls über eine Ermessenskompetenz internationaler Gerichte beim Fehlen allgemeiner Rechtsgrundsätze nachdenken. Ansonsten sind Gerichte selbstverständlich an prozessuale allgemeine Rechtsgrundsätze als geltendes Recht gebunden.
(b) Prinzipiencharakter allgemeiner Rechtsgrundsätze und Prozessrecht Wie beschrieben sind nach traditionellem Verständnis als allgemeine Rechtsgrundsätze nur die den nationalen Rechtsordnungen zugrunde liegenden Wertungen mit Prinzipiencharakter zu qualifizieren, nicht jedoch eine konkrete Regel. Damit käme diese Rechtsquelle für das völkerrechtliche Prozessrecht zwar grundsätzlich in Betracht, wäre aber nur wenig geeignet, weil sich mit ihrer Hilfe allenfalls sehr allgemeine Prozessrechtsgrundsätze aufstellen ließen. Gründe, warum übereinstimmende konkrete Vorschriften nicht als allgemeine Rechtsgrundsätze völkerrechtlich relevant werden können, sind jedoch nicht ersichtlich.182 Im Gegenteil: Die Beschränkung auf abstrakte Grundsätze führte dazu, dass nur Prinzipien „von beträchtlicher Banalität“183 Eingang in das Völkerrecht finden könnten. Die Nutzung konkreter Regeln kommt auch und gerade für prozessrechtliche Fragen in Betracht, wenn sich nach einer genaueren Untersuchung der nationalen Rechtsordnungen konvergierende Antworten auf speziellere 180 181 182 183
Scerni, RdC 65 (1938 III), 565 (589). Dazu siehe Kapitel 1 B. II. Stuckenberg, GA 154 (2007), 80 (93 f.). Ausdruck von Kötz, RabelsZ 34 (1970), 663 (671).
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Fragen herausdestillieren lassen.184 Sind in Teilbereichen nur allgemeinere Grundsätze ermittelbar, können diese für die Rahmenbedingungen des völkerrechtlichen Prozessrechts herangezogen werden, während speziellere Regeln in anderen Quellen zu suchen sind.185
(c) Vergleichbarkeit der Prozessrechtsordnungen (horizontaler Vergleich) Weiterhin wird die Vergleichbarkeit der nationalen Prozessrechtsordnungen angezweifelt. So wird bestritten, dass überhaupt von allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Prozessrecht gesprochen werden könne, weil die Prozessordnungen der Staaten sich zu sehr unterschieden.186 Insbesondere sei die Vergleichbarkeit der Grundsätze bzw. die Herauslösbarkeit einzelner Regeln aus dem nationalen prozessrechtlichen Kontext nicht gegeben,187 weil Kategorien und Begriffe des innerstaatlichen Rechts „sont directement tributaires de l’histoire juridique et de celle des institutions de chaque système pour avoir une valeur universelle et être directement valable en droit international“.188 Dies schlösse die Möglichkeit der Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Prozess vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten generell aus.189 Die Behauptung fehlender Vergleichbarkeit und damit auch Unübertragbarkeit prozessrechtlicher Modelle hat eine lange Tradition.190 Die Kritik ist jedoch sowohl rein tatsächlich unberechtigt als auch methodisch problematisch: Sie ist sachlich nicht richtig, da allgemeine Rechtsgrundsätze – auch im Prozessrecht – nicht nur traditionell in der inter184 185
Bothe, ZaöRV 36 (1976), 280 (289 f.); Kreß, ZStW 111 (1999), 597 (612). Dixon, Transnational Law and Contemporary Problems 7 (1997), 81 (98).
186
Evensen, Acta scandinavica juris gentium 25 (1955), 44; Cocâtre-Zilgien, RGDIP 70 (1966), 5 (13), der auch auf Art. 18 Abs. 2 der Genfer Generalakte von 1928/1949 verweist, der den Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze nur bezüglich des materiellen Rechts gestattet. 187 188
von Mangoldt, ZaöRV 40 (1980), 554 (571). IGH, Avena Case, decl. Ranjeva, ICJ Rep. 2004, 75 (75, Ziff. 2).
189
So: Sereni, Principi generali di diritto e processo internazionale (1955), 5, 78 f. Grundsätzlich zustimmend: Lipstein, BYIL 31 (1954), 522 (523). 190
Siehe nur Kahn-Freund, MLR 37 (1974), 1 (20): “Comparative law has far greater utility in substantive law than in the law of procedure, and the attempt to use foreign models of judicial organisation and procedure may lead to frustration and may thus be a misuse of the comparative method.”
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Kapitel 2
nationalen (Schieds-) Gerichtsbarkeit herangezogen wurden,191 sondern auch in der Arbeit der ad hoc-Kriegsverbrechertribunale große Bedeutung erlangt haben.192 Daneben ist ein Rechtsvergleich von Prozessordnungen sehr wohl möglich und sinnvoll;193 viele moderne Kodifikationen des Prozessrechts beruhen selbst auf rechtsvergleichenden Studien.194 In vielen, wenn auch nicht allen Einzelfragen gerade des Beweisrechts konvergieren nationale Prozessrechtsordnungen.
191
Etwa: Affaire des biens britanniques au Maroc espagnol (Espagne c. Royaume-Uni), Rapport sur la question des intérêts, 29. Dezember 1924, RIAA 2 (1949), 650 (Ziff. 1) (Schiedsrichter Huber): «[L]e Rapporteur considère … que dans la mesure du possible il doit s’inspirer des principes gouvernant la procédure judiciaire.» Huber wandte hier den Grundsatz ne ultra petita an. Lillie S. Kling (U.S.A.) v. United Mexican States, 8. Oktober 1930, RIAA 4 (1951), 575 (582): “With respect to matters of evidence [international tribunals] must give effect to common sense principles underlying rules of evidence in domestic law.” 192
Weiß, AVR 39 (2001), 394 (423). Siehe Regel 89 der JStGH-VerfO: “(A) A Chamber shall apply the rules of evidence set forth in this Section, and shall not be bound by national rules of evidence. (B) In cases not otherwise provided for in this Section, a Chamber shall apply rules of evidence which will best favour a fair determination of the matter before it and are consonant with the spirit of the Statute and the general principles of law.” Dabei wurde Regel 89 (B) dahingehend interpretiert, dass „general principles of law“ mit der in Art. 38 Abs. 1 (c) IGH-Statut zitierten Rechtsquelle identisch seien. Die Regel erlaubt es daher den Verfahrenskammern des JStGH, allgemeine Rechtsgrundsätze aus nationalen Strafprozessordnungen in den Punkten anzuwenden, in denen die VerfO lückenhaft ist: JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Delalić et al., Case No. IT-96-21-T, Decision on the Motion to Allow Witnesses K, L and M to Give Their Testimony by Means of Video-Link Conference, Beschluss vom 28. Mai 1997, Ziff. 10: “It seems to the Trial Chamber indisputable, therefore, that the unqualified intention of Sub-rule 89(B) is to enable the Chambers to apply the general principles of municipal jurisprudence in so far as they are applicable to the matter before it and are consonant with the Statute. Accordingly, the Trial Chamber is free to apply such provisions of the law of evidence of major legal systems not inconsistent with the Statute.” 193 194
Lowenfeld, AJCL 45 (1997), 649 (652). Gottwald, FS-Schlosser (2005), 227 (229 f.).
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(d) Vergleichbarkeit nationaler und internationaler Streitbeilegung (vertikaler Vergleich) Wieder andere Kritiker äußern grundsätzliche Bedenken am Merkmal der Vereinbarkeit der Rechtsgrundsätze mit den Wesensmerkmalen und der Struktur des Völkerrechts. Diese Vereinbarkeit ist Voraussetzung für die Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze.195
(aa) Prozessrecht als öffentliches Recht In diesem Zusammenhang wird eine Vergleichbarkeit der richterlichen oder schiedsrichterlichen Streitbeilegung auf nationaler und internationaler Ebene schlechthin bestritten, was die Übertragung von prozessrechtlichen Grundsätzen von der einen auf die andere erschweren, wenn nicht gar ganz verhindern würde. So heben Posner und Yoo hervor, dass „nationale Gerichte ihre Funktion in einem dichten politischen System von Institutionen ausüben, einschließlich einer das Gewaltmonopol für sich beanspruchenden starken Exekutive und einer Legislative, die bindende Regeln erlassen kann“.196 Außerdem seien nationale Gerichte an einheitliche Regeln gebunden und operierten in einem Rechts- und Gerichtssystem mit universeller Geltung innerhalb der Staatsgrenzen, dessen Kohärenz durch ein oberstes Gericht gesichert werde. Im Gegensatz hierzu agierten internationale Gerichte nicht als Teil einer kohärenten und einheitlichen „Weltregierung“. Stattdessen existierten sie in einem unvollkommenen, nur in Teilrechtsgebieten zusammenhängenden Rechtssystem, dem es an einer Hierarchie, einem Durchsetzungsmechanismus und einer zentralisierte Änderungen zulassenden Gesetzgebung mangele. Diese grundlegend unterschiedliche Struktur beider Systeme ist auch von internationalen Gerichten betont worden. So hat die Berufungskammer des JStGH in der Blaškić Subpoena-Entscheidung angemerkt, dass “[i]t is known omnibus lippis et tonsoribus that the international community lacks any central government with the attendant separation of powers and checks and balances. In particular, international courts, including the International Tribunal, do not make up a judi195
Zu diesem Erfordernis siehe Cassese, International Law (2005), 194; von Mangoldt, ZaöRV 40 (1980), 554 (562). 196
Posner/Yoo, California Law Review 93 (2005), 1 (13), Übersetzung des Verf. Auf diesen Systemunterschied weist auch von Mangoldt, ZaöRV 40 (1980), 554 (560) hin.
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cial branch of a central government. The international community primarily consists of sovereign States; each jealous of its own sovereign attributes and prerogatives, each insisting on its right to equality and demanding full respect, by all other States, for its domestic jurisdiction. Any international body must therefore take into account this basic structure of the international community.”197 Aus der Sicht des deutschen Rechts erhellt sich die Diskussion aus der Einordnung des Zivilprozessrechts als öffentliches Recht, dessen Strukturmerkmal das Verhältnis der Über- und Unterordnung von Staat und Individuum ist. An diesem Merkmal setzt die Widerlegung der oben geschilderten Einwände an: Sicherlich sind diejenigen Teile der Zivilprozessrechtsordnungen, in denen sich die Überordnung des Staates darin offenbart, dass dem Einzelnen hoheitliche Mittel zur Durchsetzung seiner Interessen zur Verfügung gestellt werden, von der Betrachtung auszuschließen, da sie der gegenwärtigen Struktur des Völkerrechts allgemein und der internationalen Streitbeilegung im Besonderen trotz der Entwicklungen hin zu konstitutionalisierten Teilrechtsgebieten nicht entsprechen. Daher kommen insbesondere die nationalen Vollstreckungsverfahren nicht als Quelle zur Feststellung allgemeiner Rechtsgrundsätze in Betracht. Dies schließt jedoch nicht aus, solche Elemente des nationalen Zivilprozessrechts auf ihre Gültigkeit als allgemeine Rechtsgrundsätze hin zu untersuchen, in denen sich dieser Charakter gerade nicht widerspiegelt, also gerade im hier besonders interessierenden Bereich des Erkenntnisverfahrens.198
(bb) Vereinbarkeit mit dem Konsensprinzip Eng zusammen mit dem Charakter des Zivilprozessrechts als öffentliches Recht hängt der Einwand, dass es mit dem in der internationalen Gerichtsbarkeit geltenden Konsensprinzip unvereinbar sei, prozessuale Regeln und Techniken staatlicher Gerichte auf die internationale Ebene
197
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 40. 198
Im Ergebnis ebenso: Bleckmann, Grundprobleme und Methoden des Völkerrechts (1982), 146, der allerdings die Vergleichung der Grundsätze des öffentlichen Rechts (inkl. des nationalen Prozessrechts) allgemein für die Gewinnung allgemeiner Rechtsgrundsätze zulassen will, weil das Völkerrecht „in breiten Bereichen subordinationsrechtliche Strukturen entwickelt“ habe.
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zu übertragen.199 Richtig daran ist, dass das nationale Prozessrecht als solches vor internationalen Gerichten keine Anwendung finden kann. Soweit allerdings allgemeine Rechtsgrundsätze im Bereich des Prozessrechts existieren, spricht auch aus der Sicht des Konsensprinzips nichts gegen deren Anwendung, wenn sie nicht explizit durch Vertrag ausgeschlossen sind.200
(e) Methodologische Bedenken Andere Kritiker der herausgehobenen Stellung der allgemeinen Rechtsgrundsätze im Bereich des Völkerprozessrechts negieren nicht deren Existenz, sondern heben vielmehr die unsaubere Arbeitsweise der Gerichte bei der Feststellung und Anwendung solcher Grundsätze hervor. So würden angebliche Gemeinsamkeiten der nationalen Rechtsordnungen oft mehr postuliert als nachgewiesen,201 was sich durch die hohe Anzahl der Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft und die damit verbundenen tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtsvergleichung erklären mag.202 Gleichzeitig zeigten wissenschaftliche Arbeiten zum internationalen Prozess oft eine Überbetonung des nationalen Rechts, in dem der jeweilige Autor ausgebildet worden sei.203 Dieser Kritikstrang bezieht sich vornehmlich auf das Merkmal der übereinstimmenden Anerkennung. Die Einwände sind insofern zutreffend, als sie die Methode der Rechtsfindung betreffen und eine sorgfältigere Arbeitsweise der Gerichte einfordern. Unter diesem Gesichtspunkt ist etwa die Entwicklung der Zu-
199
Thirlway, BYIL 72 (2001), 37 (76); ders., BYIL 61 (1990), 1 (126-127); Bos, A Methodology of International Law (1984), 333; von Mangoldt, ZaöRV 40 (1980), 554 (565): «Celui qui se borne à comparer les systèmes juridiques nationaux pour, ensuite, dans son argumentation, s’appuyer seulement sur un principe commun aux droits nationaux pour élaborer une règle de procédure internationale, s’expose au risque de perdre de vue la base de toute juridiction internationale: la volonté des parties.» 200
Ähnlich: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 59 in Bezug auf inhärente Gerichtskompetenzen. 201 von Mangoldt, ZaöRV 40 (1980), 554 (571); Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987), 35. 202 203
35.
Gaffney, American University ILR 14 (1998-1999), 1173 (1180). Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987),
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lässigkeit des indirekten Beweises (Indizienbeweis) durch den IGH im Corfu Channel-Fall kritisiert worden.204 Auch scheinen sich Befürchtungen einer unsorgfältigen Arbeitsweise in den Aussagen mancher internationaler Richter zu bestätigen: So ist im Rahmen des JStGH eine selektive Betrachtung der im Bereich des Prozessrechts „besser entwickelten“ Rechtssysteme zur Herausarbeitung allgemeiner Verfahrensgrundsätze befürwortet worden.205 So einleuchtend dieser Kritikansatz ist, so muss dennoch angemerkt werden, dass gewisse Unzulänglichkeiten bei der Herausarbeitung allgemeiner Rechtsgrundsätze nicht nur den Bereich des Völkerprozessrechts, sondern alle Teilgebiete des Völkerrechts betreffen. So bemerkt Herdegen, dass die Praxis sich meist mit einer Gesamtschau der großen Rechtsfamilien begnüge,206 wobei er selbst sich auf die „kontinentaleuropäischen“ und „angloamerikanischen“ Rechtskreise beschränkt.207 Daneben finden sich Ansätze, die eine Selektion der in den Vergleich einzubeziehenden Staaten nicht nur aus praktischen, sondern aus Rechtsgründen für erforderlich halten. Hiernach soll der Begriff der „Kulturvölker“ („civilised nations“) in Art. 38 Abs. 1 (c) IGH-Statut als Anknüpfungspunkt für eine selektive Betrachtung solcher nationaler Rechtssysteme zu begreifen sein, die eine „positive Werteorientierung“, insbesondere ein Mindestmaß menschenrechtlicher Gewährleistungen
204
Bothe, ZaöRV 36 (1976), 280 (283).
205
JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Blagoje Simić et al., Case IT-95-9, Decision on the Prosecution Motion under Rule 73 for a Ruling Concerning the Testimony of a Witness, Beschluss vom 27. Juli 1999, sep. op. Hunt, Ziff. 26, der dies allerdings in zwischenstaatlichen Streitigkeiten nicht für zulässig zu halten scheint. 206 207
Herdegen, Völkerrecht (2007), § 17, Rn. 1.
Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht (2007), § 2, Rn. 15, der die Auswirkungen der weitgehenden Ausklammerung der lateinamerikanischen, afrikanischen und asiatischen Rechtsordnungen mit dem Hinweis zu mildern sucht, dass die romanischen, germanischen und common law-Rechtskreise diese Ordnungen erheblich mitgeprägt hätten und wesentliche Unterschiede somit nicht zu erwarten seien. Ein ähnlicher Ansatz findet sich bei Bos, A Methodology of International Law (1984), 263 und 270, der vorschlägt, aus jeder Rechtsfamilie eine Rechtsordnung als Repräsentant auszuwählen.
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und funktionsfähigen Rechtsschutzes durch unabhängige Gerichte, mithin also rechtsstaatliche Strukturen aufweisen.208
(f) Ergebnis Jeder der oben angeführten Einwände verdient für sich Beachtung. Jedoch können sie der Herausarbeitung allgemeiner Rechtsgrundsätze im Völkerprozessrecht nicht grundsätzlich entgegenstehen.209 So mag es in der Tat Rechtsgrundsätze geben, die nicht getrennt von der nationalen Rechtsordnung angewendet werden können oder die mit Strukturprinzipien des Völkerrechts nicht vereinbar sind; diese einzelnen Grundsätze sind daher nicht anwendbar, rechtfertigen aber keine generelle Ablehnung allgemeiner Rechtsgrundsätze auf dem Gebiet des Prozessrechts.210 Die oben genannten konzeptionellen Schwierigkeiten könnten vermieden werden, wenn allgemeine Rechtsgrundsätze sich auch aus einer vergleichenden Betrachtung der prozessrechtlichen Regeln verschiedener internationaler Spruchkörper herleiten ließen.211 Diese Vorgehensweise erscheint intuitiv Erfolg versprechend, bedarf jedoch methodischer Präzisierung. Auf den ersten Blick scheint die hier angesprochene Quelle die der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts (general principles of international law) in der Ausprägung der allgemeinen Prozessrechtsgrundsätze (general principles of international procedural law) zu sein. Dies hätte den Vorteil, dass allgemeine Rechtsgrundsätze direkt aus der Natur der internationalen Gerichtsbarkeit hergeleitet werden können, so dass die Einwände gegen aus nationalen Rechtsordnungen entliehene Prinzipien nicht greifen. Soweit es dabei um eine Verallge208
Herdegen, ZaöRV 64 (2004), 571 (581); Thürer, in: Thürer/Aubert/Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz (2001), 37 (48, Rn. 25); Thürer, ZaöRV 60 (2000), 557 (601). 209
Siehe etwa: von Mangoldt, ZaöRV 40 (1980), 554 (562), der darauf hinweist, dass die Vergleichbarkeit nationaler Rechtsordnungen für jede Frage spezifisch untersucht werden muss. So auch: Schorm-Bernschütz, Die Tatsachenfeststellung im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (2004), 51 f. 210
So auch: Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 509 f.; Kazazi, Burden of Proof (1996), 54. In Bezug auf das Beweisrecht im Besonderen aber: Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 529. 211 Siehe: Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987), 35.
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meinerung von vertragsrechtlich niedergelegten Normen geht, ist dies unproblematisch. Fehlt jedoch eine vertragsrechtliche oder gewohnheitsrechtliche Grundlage, so birgt dieser Ansatz die Gefahr, die Grenzen zwischen dem staatengesetzten positiven Völkerrecht und der richterlichen Rechtsfortbildung ohne weitere Präzisierung zu verwischen. Ihr Geltungsgrund bleibt damit im Vagen.212 Daher ist zu fragen, ob sich diese Grundsätze und Regeln nicht sinnvoller und methodisch klarer dem Richterrecht zuordnen lassen.
E. Richterrecht: Richterliche Entscheidungen und an Gerichte delegierte Rechtsetzung Aus der vorausgegangenen Diskussion ist deutlich geworden, dass die traditionellen Völkerrechtsquellen, insbesondere das Völkergewohnheitsrecht, für die Begründung des Prozessrechts nur bedingt in Frage kommen. Im folgenden Abschnitt sollen daher verschiedene Formen der richterlichen Rechtsetzung im Völkerprozessrecht untersucht werden: Zunächst wird die in Art. 38 Abs. 1 (d) IGH-Statut genannte subsidiäre Rechtsquelle der „richterlichen Entscheidungen“ untersucht (dazu I.). Dann sollen die Arten der delegierten Rechtsetzung analysiert und systematisiert werden (II.). Hiermit sind solche Instrumente gemeint, deren Verabschiedung durch das Richtergremium explizit im jurisdiktionsbegründenden Vertrag vorgesehen ist. Schließlich soll untersucht werden, inwieweit Gerichte kraft inhärenter Befugnis über ihr eigenes Verfahren ad hoc disponieren können (III.).
I. Gerichtliche Entscheidungen in prozessualen Fragen als Völkerrechtsquelle Bereits aus der Spärlichkeit der verfahrensrechtlichen Normen in jurisdiktionsbegründenen Verträgen und der oft mühsamen Ermittlung allgemeiner Rechtsgrundsätze aus nationalen Rechtsordnungen erklärt sich, dass sich die Rechtsprechung internationaler Gerichte zum Prozessrecht als attraktive Rechtserkenntnisquelle anbietet.213 Dabei ist fraglich, ob Urteile internationaler Gerichte über ihre Klarstellungs212 213
Kritisch daher auch: Stuckenberg, GA 154 (2007), 80 (96). Gaffney, American University ILR 14 (1998-1999), 1173 (1180 f.).
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und Überzeugungsfunktion hinaus auch eine rechtsgenerative Rolle spielen. Vom Standpunkt der traditionellen Völkerrechtsquellenlehre her ist dies zu verneinen (dazu 1.).214 Auch internationale Gerichte selbst sehen ihre Rolle klar in der Anwendung und Auslegung des bestehenden, nicht in der Erzeugung neuen Rechts.215 Dennoch ist auch unter den Stimmen, die internationalen Gerichten Rechtsetzungkompetenzen gänzlich absprechen, allgemein anerkannt, dass internationale Gerichte eine wichtige Rolle in der Fortentwicklung des Völkerrechts spielen. Aufgrund ihres Gewichts und ihrer besonderen Autorität werden Gerichtsurteile daher auch als „quasi-formelle“216 oder „materielle“217 Rechtsquellen bezeichnet. Bisweilen werden internationale Gerichtsentscheidungen als Präzedenzfälle auch allgemein zu den vollwertigen formellen Quellen des Völkerrechts gezählt.218 Dieser Ansicht ist zuzugeben, dass die in Art. 38 Abs. 1 (a) bis (c) IGH-Statut normierte Rechtsquellentrias nicht abschließend und unveränderlich ist.219 Die völkerrechtliche Methodenund Rechtsquellenlehre ist nicht statisch.220 Allerdings muss gefragt werden, ob diese Ansicht in dieser Allgemeinheit und ohne weitere Qualifikationen haltbar ist. Im Folgenden wird dies nicht für das Völ214
Siehe nur: Doehring, in: FS-Juristische Fakultät Heidelberg (1986), 541 (552); van Hoof, Rethinking the Sources of International Law (1983), 169. 215
IGH, South West Africa Cases, ICJ Rep. 1966, 6 (48, Ziff. 89): “As is implied by the opening phrase of Article 38, paragraph 1, of its Statute, the Court is not a legislative body. Its duty is to apply the law as it finds it, not to make it.” Siehe auch: IGH, Nuclear Weapons Case, ICJ Rep. 1996, 226 (237, Ziff. 18). 216
Fitzmaurice, in: FS-Verzijl (1958), 153 (172 f.). Fitzmaurice führt aus, dass die Entscheidungen internationaler Gerichte von anderen internationalen Gerichten zumindest berücksichtigt werden müssten, auch wenn sie ihnen nicht folgen müssten. Im Fall der Abweichung müssten hierfür aber Gründe angegeben werden. 217
Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (1984), 397, § 619. Als materielle Rechtsquellen werden von Verdross/Simma solche bezeichnet, die „auf den Inhalt der Normen einwirken, ohne selbst Recht zu sein“ (ebd., 321, § 515). 218
Bos, GYIL 20 (1977), 9 (59); Akehurst, BYIL 47 (1974/75), 1 (11); Jia, in: FS-Li Haopei (2001), 77 (80); Finke, Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen (2004), 365 ff.; Ginsburg, International Judicial Lawmaking, in: Voigt/Albert/Schmidtchen (Hrsg.), International Conflict Resolution (2006), 155. 219 220
Stuckenberg, GA 154 (2007), 80 (97). Fastenrath, Lücken im Völkerrecht (1991), 88 ff.
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kerrecht allgemein, sondern beschränkt auf den Bereich des Prozessrechts untersucht.
1. Art. 38 Abs. 1 (d) IGH-Statut: gerichtliche Entscheidungen als subsidiäre Rechtserkenntnisquelle Traditionell wird die in Art. 38 Abs. 1 (d) IGH-Statut angesprochene Rechtsquelle der „richterlichen Entscheidungen“ als subsidiäre Rechtserkenntnisquelle angesehen. Eine rechtschöpfende Qualität kommt den Entscheidungen nicht zu. Internationale Gerichte können zwar den Inhalt von Normen ermitteln (und über ihre Gültigkeit oder Ungültigkeit entscheiden, falls sie hierfür zuständig sind), den Normen, die sie anwenden, jedoch keine zusätzlichen Wirkungen verschaffen, sie ergänzen oder neues Recht setzen.221 Die Rechtswirkung von Urteilen kann demnach nicht über die Wirkungen der den Entscheidungen zugrunde liegenden Normen hinausgehen.222 Dass jedoch internationale ebenso wie nationale Gerichte nicht nur Recht erkennen, sondern dass in der Rechtsanwendung auch stets ein Element der Rechtsfortbildung enthalten ist, ist im Grundsatz unbestritten.223 Dies ist bereits im nationalen Recht Konsequenz aus dessen Lückenhaftigkeit, da auch hier das positive Recht nicht alle potenziellen Konfliktsituationen vorhersehen und regeln kann.224 Aus rechtstheoretischer Sicht ist die Möglichkeit der strikten Unterscheidung zwischen Rechtserzeugung und Rechtsanwendung ohnehin längst stark bezweifelt, wenn nicht gar widerlegt worden.225 Im Völkerrecht tritt die 221
Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (1984), 556 f., § 869.
222
So in Bezug auf die unmittelbare Anwendbarkeit der Entscheidungen internationaler Gerichte im nationalen Bereich: von Bogdandy, in: Dörr (Hrsg.), Ein Rechtslehrer in Berlin (2004), 1 (22). 223
Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts (1956), 242 f.; Higgins, RdC 230 (1991 V), 9 (261); Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Pellet, Art. 38, Rn. 316; Boyle/Chinkin, The Making of International Law (2007), 268, 293. 224
Shapiro, Courts: A Comparative and Political Analysis (1981), 29: “Because no human society has ever sought to set down an absolutely complete and particularized body of pre-existing law designed to exactly meet every potential conflict, judicial ‘discovery’ [of preexisting law] must often of necessity be judicial lawmaking.” 225
Fastenrath, Lücken im Völkerrecht (1991), 109; von Bogdandy, Max Planck UNYB 5 (2001), 609 (624).
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rechtsschöpferische Funktion der Rechtsprechung aufgrund der noch niedrigeren normativen Dichte, der eher statischen Struktur internationaler Rechtsetzung durch Verträge und Völkergewohnheitsrecht sowie des Fehlens eines übergeordneten zentralen Rechtsetzungsorgans noch deutlicher zu Tage als im nationalen Kontext.226 Die WTO-Streitbeilegung ist daher trotz der expliziten Beschränkung des Art. 3 Abs. 2 DSU als ein „selbständiges unabhängiges Rechtserzeugungsverfahren“ bezeichnet worden.227 Im Hinblick auf eine normative Verdichtung der internationalen Rechtsordnung und die Anerkennung von Werten der internationalen Gemeinschaft wird zwar zunehmend auch eine Fortentwicklung der völkerrechtlichen Methodenlehre228 und in diesem Zusammenhang eine stärker rechtsschöpferische Rolle der internationalen Gerichtsbarkeit befürwortet.229 Andere kritisieren dies unter dem Gesichtspunkt der geringen demokratischen Legitimation internationaler Gerichtsentscheidungen.230 Es besteht insgesamt ein breiter Konsens, dass internationale Gerichte nur in sehr begrenztem Umfang rechtsschöpferisch tätig werden können, wenn auch Ansätze hin zu einer Aufweichung dieses Grundsatzes erkennbar sind. Wie im folgenden Abschnitt zu zeigen sein wird, gilt die Beschränkung der normativen Wirkungen internationaler Entscheidungen nur für den Bereich des materiellen Völkerrechts. 226
Condorelli, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 277 (310 f.); Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Pellet, Art. 38, Rn. 319: “[T]here is no exaggeration in thinking that the Court … is one of the most efficient, if not the most efficient, vehicle for adaptation of general international law norms to the changing conditions of international relations.” Siehe auch: Ginsburg, in: Voigt/Albert/Schmidtchen (Hrsg.), International Conflict Resolution (2006), 155 (156 f.); Koroma, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Developments of International Law in Treaty Making (2005), 621. 227
So: Möllers, Gewaltengliederung (2005), 314; Steinberg, AJIL 98 (2004), 247 (251) speziell mit Bezug auf das Prozessrecht. 228
Nettesheim, JZ 2002, 569 (575); Seibert-Fohr, in: Zimmermann/Hofmann (Hrsg.), Unity and Diversity in International Law (2006), 257 ff. 229
Thürer, in: Thürer/Aubert/Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz (2001), 37 (48, Rn. 26). Für das Völkerstrafrecht: Gärditz, AVR 45 (2007), 1 (10): Rechtserzeugungsmandat der zur Anwendung des Völkerstrafrechts berufenen Gerichte. 230 Zum Beispiel des Streitbeilegungssystems der WTO: von Bogdandy, Max Planck UNYB 5 (2001), 609 (624 f.).
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2. Prozessrechtserzeugung durch repetitive und konvergierende Rechtsprechung internationaler Gerichte Gerade im Völkerprozessrecht, das ausschließlich von und vor internationalen Gerichten angewandt wird, ist die Bedeutung der prozessualen Praxis und damit die der Rechtsprechung besonders hoch.231 Daher ist das völkerrechtliche Prozessrecht jedenfalls im materiellen Sinne in weiten Teilen Richterrecht.232 Es ist diese Vorrangstellung der Gerichte gegenüber dem Prozessverhalten von Staaten, die eine Zuordnung der prozessualen Praxis zur Rechtsquelle des Völkergewohnheitsrechts unmöglich macht.233 Eine für die Bildung von Völkergewohnheitsrecht relevante Staatenpraxis kann sich also in diesem Bereich nicht kristallisieren, womit der Raum für richterliche Rechtsschöpfung eröffnet ist.234 Entsprechend oft beziehen sich internationale Gerichte und Schiedsgerichte auf ihre eigenen Entscheidungen,235 aber auch auf die Rechtsprechung anderer Gerichte in prozessualen Fragen und betonen Gemeinsamkeiten.236 Aus diesem Grund wird die Herausbildung eines „inter231
Abi-Saab, RdC 207 (1987 VII), 9 (134): «[P]resque tout le droit [judiciaire] est jurisprudentiel.» 232 233
Thirlway, BYIL 71 (2000), 71 (158). Siehe oben unter C. II.
234
Ähnlich: Fastenrath, Lücken im Völkerrecht (1991), 122, der die Schöpfung neuer Normen durch die internationale Gerichtsbarkeit insbesondere dort für möglich hält, wo sich eine Staatenpraxis noch nicht gefestigt hat oder widersprüchlich ist. In dem hier betrachteten Fall kann diese Beobachtung a fortiori gelten, da sich eine Staatenpraxis gar nicht völkergewohnheitsrechtsrelevant bilden kann. 235
Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 21, Fn. 133: “[P]recedent is firmly adhered to in matters of procedure.” 236
Auswertung der Praxis bei Miller, LJIL 15 (2002), 483 (insb. 496). Siehe auch: Matz-Lück, in: König/Stoll/Röben/Matz-Lück (Hrsg.), International Law Today (2008), 99 (115) und IUSCT, W. Jack Buckamier v. The Islamic Republic of Iran, ISIRAN/Army, Tehran Redevelopment Corporation, Bank Mellat, Hejrat Branch, Case No. 941, Urteil vom 6. März 1992, IUSCTR 28 (1996), 53 (74, Ziff. 67), das von „rules or practices … generally accepted by international Tribunals“ spricht. Für die WTO: Kantchevski, Brigham Young University International Law and Management Review 3 (2006), 79 (131): “[With regard to evidence], the WTO dispute settlement system relies on rules established by international law and other international tribunals.” Auch: Mavroidis, Article 11 DSU, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), Max Planck CWTL 2 (2006), Rn. 41: Frage der Beweislastverteilung ist „judge-made law“.
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national procedural common law“ aus de facto-Präzedenzfällen konstatiert237 und das Prozessrecht explizit als Ausnahme zur Regel des Art. 38 Abs. 1 (d) IGH-Statut gekennzeichnet.238 Diese eher empirischen Feststellungen fordern jedoch eine dogmatische Begründung.
(a) Dogmatische Begründung der Rechtserzeugung durch internationale Gerichte Obwohl Entscheidungen eines internationalen Gerichts nach orthodoxer Lehre keine Präzedenzwirkung haben, erzeugen sie doch berechtigte Erwartungen bei den Teilnehmern des jeweiligen Streitbeilegungssystems, dass diesen Entscheidungen auch in Zukunft gefolgt werde.239 Die Funktion der Streitbeilegung, die Befriedung der Streitparteien, kann demnach nur erreicht werden, wenn das Gericht sich nicht in Widerspruch zu seinen bisherigen Entscheidungen setzt.240 Dem steht nicht entgegen, dass Urteile internationaler Gerichte nur inter partes gelten (vgl. Art. 59 IGH-Statut). Denn dies bezieht sich ohnehin nur auf den Tenor der Entscheidungen und regelt die Rechtskraft der Urteile und nicht den autoritativen Wert der ratio decidendi früherer Entscheidungen,241 so dass Ausführungen zu prozessualen Fragen meist nicht unter die Norm fallen. Wenn man akzeptiert, dass die Rechtsprechung internationaler Gerichte zur Entwicklung des Völkerrechts beitragen kann, stellt sich die Frage, an welchem Punkt die Praxis internationaler Ge237 Bhala, Journal of Transnational Law and Policy 9 (1999-2000), 1 (16 f.); Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 1; Santulli, Droit du contentieux international (2005), 54 (Rn. 97) spricht davon, dass „principes généraux du contentieux international apparaissent par l’étude des précédents juridictionnels“. 238
Thirlway, BYIL 76 (2005), 1 (115). Anders jedoch: Riddell, LJIL 20 (2007), 405 (413). 239
DSB, Japan – Alcoholic Beverages II, S. 14; DSB, US – Shrimp (Article 21.5 – Malaysia) (AB), Ziff. 109; Hilf, JIEL 4 (2001), 111 (116); Cottier/Tuerk/Panizzon, ZUR Sonderheft 2003, 155 (163). 240
Röben, GYIL 32 (1989), 382 (403 f.), der die Bindungswirkung von Präzendenzfällen für den IGH daher auf die Lehre der implied powers zurückführt. Siehe auch: von Bogdandy, Max Planck UNYB 5 (2001), 609 (624). 241
Keith, The Extent of the Advisory Jurisdiction of the International Court of Justice (1971), 29; Finke, Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen (2004), 370 m.w.N. Anders aus historischer Sicht: Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 21.
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richte in die Entstehung einer neuen Norm „umschlägt“.242 Während man der traditionellen Lehre dahingehend zustimmen muss, dass einzelne Gerichtsentscheidungen keine Rechtsquelle darstellen, so kann man dies jedoch dahingehend ergänzen, dass eine gefestigte und repetitive Rechtsprechung zu prozessualen Fragen durchaus zur Entstehung einer Norm des Völkerprozessrechts führen kann.243 Es geht damit nicht um die Anerkennung eines einzelnen verbindlichen Präzedenzfalls,244 sondern einer verfestigten ständigen Rechtsprechung, die man auch als judicial custom bezeichnen kann.245 Ganz in diesem Sinne normiert Art. 21 Abs. 2 IStGH-Statut, dass der Gerichtshof „Rechtsgrundsätze und Rechtsnormen entsprechend seiner Auslegung in früheren Entscheidungen anwenden“ kann,246 auch wenn die Norm die zu berücksichtigenden Urteile auf die des IStGH beschränkt. Darüber hinaus ist die zumindest mittelbare Bedeutung und Verbindlichkeit von Präjudizien ein Gebot des Vertrauensschutzes und des fairen Verfahrens.247 Hinzu kommt, dass sich die am Prozesssystem beteiligten Staaten selbst über ihre Schriftsätze im schriftlichen Vorverfahren sowie über die Staatenvertreter in der mündlichen Verhandlung auf prozessuale Präzedenzfälle beziehen248 und somit durchaus von einer opinio iuris gesprochen werden kann, die sich freilich auf die prozessuale Praxis des Gerichtes und nicht primär auf eigenes staatliches Verhalten bezieht.249 Im
242 243
Shahabuddeen, Precedent in the World Court (1996), 68 f., 77. Ebd., 18, 72, 78.
244
So aber: Finke, Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen (2004), 373. 245
Siehe NAFTA, International Thunderbird Gaming Corporation v. Mexico, Schiedsspruch vom 26. Januar 2006 (abrufbar unter <www.investment claims.com>), sep. op. Wälde, Ziff. 16: “While individual arbitral awards by themselves do not as yet constitute a binding precedent, a consistent line of reasoning developing a principle and a particular interpretation of specific treaty obligations should be respected; if an authoritative jurisprudence evolves, it will acquire the character of customary international law and must be respected.” 246
Keinen Unterschied zwischen Art. 38 Abs. 1 (d) IGH-Statut und Art. 21 Abs. 2 IStGH-Statut erkennt: Pellet, in: Cassese u.a. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1051 (1066). 247 248 249
Tietje, in: FS-Delbrück (2005), 783 (805). Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 233.
Ähnlicher Gedanke bei Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 53, Fn. 106, der diese staatliche Anerkennung der Gerichtspraxis
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Bereich des Prozessrechts bestärkt diese Rechtsüberzeugung die normative Wirkung gerichtlicher Entscheidungen, indem sie Urteile aus der reinen Gerichtssphäre (und damit aus dem die Bedeutung richterlicher Entscheidungen auf eine subsidiäre Rechtserkenntnisquelle beschränkenden Anwendungsbereich des Art. 38 Abs. 1 (d) IGH-Statut) löst und durch Elemente des Staatenkonsenses absichert. Gleiches gilt etwa für die Berücksichtigung oder Annahme der Tätigkeitsberichte internationaler Gerichte durch politische Organe derjenigen internationalen Organisationen, denen das internationale Gericht zugeordnet ist.250 Auch hierin ist eine zusätzliche Bestätigung der Prozessrechtssetzung durch internationale Gerichte zu sehen. Damit kann im Bereich des Prozessrechts von einer eigenen Rechtsquelle ausgegangen werden, die sich primär auf die Aktivität der internationalen Gerichte in Verbindung mit der Duldung und dem aktiven Bezug auf die Rechtsprechung durch Staaten gründet.
(b) Souveränitäts- und Legitimitätseinwände Souveränitäts- und Legitimitätseinwände gegen richterliche Rechtsetzung basieren regelmäßig auf der Überlegung, dass internationale Gerichte nicht rechtsetzend tätig werden dürfen, weil diese Funktion den Staaten zukomme.251 Richterliche Rechtsetzung sei damit eine Souveränitätsverletzung252 und darüber hinaus illegitim, denn Staaten alleine, nicht internationale Gerichte, seien zur Ausübung der politischen allerdings nicht als Indiz für die Rechtsüberzeugung der Staaten, sondern als Staatenpraxis selbst einordnet. 250
So nimmt die VN-Generalversammlung die Arbeitsberichte des IGH, die dieser jährlich auf freiwilliger Basis erstellt, zur Kenntnis. Der ISGH berichtet der VN nach Art. 5 des Agreement on Cooperation and Relationship between the United Nations and the International Tribunal for the Law of the Sea. Das DSB hat eine stärkere Stellung in Bezug auf die Berichte der Panels und des Appellate Bodys, da es sie annehmen muss (Art. 16 Abs. 4, 17 Abs. 14 DSU). Aufgrund des negative consensus rule ist dies weitgehend eine Formalität, jedoch sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen ein solcher Konsens erreicht wird, um eine Fortentwicklung des Rechts zu verhindern: Broude, in: Dekker/Werner (Hrsg.), Governance and International Legal Theory (2004), 237 (259). 251
Scelle, in: FS-Gény, Bd. 3 (1934), 400 (428) sieht hierin den Hauptgrund für die Versagung der Rechtswirkung der Entscheidungen. 252
Fastenrath, Lücken im Völkerrecht (1991), 271.
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Funktion der Rechtsetzung (demokratisch) legitimiert. Auch gefährde extensiv gesetztes Richterrecht die Funktion internationaler Streitbeilegung, da die Akzeptanz des Urteils durch die Staaten hierdurch beeinträchtigt werden kann.253 Diese Einwände greifen jedoch in Bezug auf das Prozessrecht nicht durch. Staaten gewähren internationalen Gerichten traditionell einen großen Spielraum in verfahrensrechtlichen Fragen, weswegen man berechtigterweise von einer zumindest konkludenten Einwilligung in die richterliche Regelung dieser Fragen oder gar von einer impliziten Rechtsetzungsdelegierung254 sprechen kann.255 Vielen internationalen Gerichten ist diese Kompetenz auch explizit gegeben.256 Dies unterscheidet das Prozessrecht entscheidend vom materiellen Völkerrecht. Es spricht nichts dagegen, eine solche Kompetenz nicht nur in Bezug auf die Verabschiedung kodifizierter Prozessrechtsinstrumente wie Verfahrensordnungen anzuerkennen, sondern sie darüber hinaus auch für die in Urteilen enthaltenen prozessualen Entscheidungen fruchtbar zu machen. Auch gefährdet Richterrecht im prozessualen Bereich nicht die Effektivität internationaler Streitbeilegung, sondern ermöglicht sie im Gegenteil sogar erst. Würden internationale Richter in diesem durch das Völkerrecht nur lückenhaft geregelten Bereich nicht rechtschöpfend tätig werden, verfehlten sie ihren rechtlichen Auftrag. Darüber hinaus beziehen sich Staaten in ihren Ausführungen zu verfahrensrechtlichen Fragen in Schriftsätzen und in mündlichen Verhandlungen vor internationalen Gerichten häufig auf die Rechtsprechung in prozessualen Fragen und legitimieren sie so zumindest ex post facto. Legitimitätsbedenken sind schließlich auch deshalb unbegründet, weil sich internationale Gerichte durchaus der Grenzen bewusst sind, inner-
253
Stone, BYIL 35 (1959), 124 (150); Fastenrath, Lücken im Völkerrecht (1991), 280. 254
So Ginsburg, in: Voigt/Albert/Schmidtchen (Hrsg.), International Conflict Resolution (2006), 155 (161). Siehe auch: Sereni, Principi generali di diritto e processo internazionale (1955), 65; Delbez, Les principes généraux du contentieux international (1962), 113: Während der Richter materielles Recht nicht setzen kann, hat er die Befugnis, prozessuale Regeln zu formulieren. 255 Auch Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (193) folgert aus dem prozessrechtlichen Spielraum internationaler Gerichte die Möglichkeit der Herausbildung ihnen gemeinsamer prozessualer Normen. 256
Dazu sogleich unter II.
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halb derer sie rechtsetzend tätig werden dürfen.257 Diese Grenzen werden ihnen von Staaten gesetzt, die sich ihrer als Konfliktlöser bedienen.
(c) Systemübergreifende Rechtsbildung Im Vorgehenden ist die prozessuale Rechtsetzung einzelner internationaler Gerichte erklärt worden, nicht jedoch bereits die Möglichkeit der systemübergreifenden Prozessrechtsbildung. Auf dem Boden einer traditionellen Rechtsquellenlehre kann man die Konvergenzprozesse in der prozess- und insbesondere der beweisrechtlichen Rechtsprechung internationaler Gerichte sicherlich als spontane, nicht auf Rechtsverpflichtungen beruhende und vor allem nicht Recht erzeugende Phänomene erklären.258 Jedoch sprechen die besseren Gründe für eine normativ bedeutsame Wirkung. Die rechtsetzende Qualität richterlicher prozessualer Entscheidungen beschränkt sich damit nicht auf ein einzelnes Streitbeilegungssystem, sondern die Rechtsprechung kann auch systemübergreifend zur Bildung allgemein geltenden Prozessrechts beitragen. Vor allem wegen der bereits betonten Praxis der Inbezugnahme prozessualer Entscheidungen anderer Gerichte durch internationale Spruchkörper kann man durchaus von einem „rechtsgenerativen Dialog“ zwischen internationalen Gerichten sprechen.259 Der dezentrale 257
Ginsburg, in: Voigt/Albert/Schmidtchen (Hrsg.), International Conflict Resolution (2006), 155 (168 ff.); Steinberg, AJIL 98 (2004), 247 (263 ff.). 258 So deutlich: Watts, Max Planck UNYB 5 (2001), 21: “While there is, of course, much procedural borrowing of practices by one tribunal from others and while certain principles may find expression in the procedures of many tribunals, yet one cannot speak of ‘international rules of procedure’.” 259 Martinez, Stanford Law Review 56 (2003-2004), 429 (466): „jurisgenerative dialogue“; Helfer/Slaughter, Yale Law Journal 107 (1997), 273 (373): „development of a genuinely transnational or supranational body of law“ durch gegenseitige Inbezugnahme von Gerichtsentscheidungen (in Bezug auf Menschenrechte); Boyle/Chinkin, The Making of International Law (2007), 298. Siehe auch: Treves, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Developments of International Law in Treaty Making (2005), 587 (609): “[D]evelopment of international law and the strengthening of its unity can derive … from reliance, explicit or implicit, of one judicial body on the decisions of others.” und (S. 615): “[T]he law of procedure show[s] that a constructive dialogue between international courts and tribunals can be held and that it may contribute to the non-conflictual evolution of international law.” Bereits 1929 erkannte dies Jones, der einen Rückgriff auf prozessuale Regeln anderer internationaler Gerichte in einem Verfahren vor der britisch-mexikanischen Schiedskommission wie folgt kommentierte:
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Charakter des internationalen Gerichtssystems, der gegen eine Bindung an einzelne Präzedenzfälle anderer Gerichte spricht, weil diese res inter alios actae darstellen,260 verhindert nicht die Berücksichtigung konvergierender dauerhafter Praxis, da es sich hier gerade um eine eigene Form dezentraler Rechtsetzung handelt.261 Eine solche prozessrechtsgenerierende Funktion der Konvergenz der Spruchpraxis internationaler Gerichte findet eine Stütze in der Rechtsprechung internationaler Gerichte. So führt das Appellate Body der WTO in Bezug auf die Beweislast aus, dass “various international tribunals, including the International Court of Justice, have generally and consistently accepted and applied the rule that the party who asserts a fact, whether the claimant or the respondent, is responsible for providing proof thereof”.262 Ähnlich ging es mit Hinblick auf die Frage der Bindung der Panels an die Rechtsprechung des Appellate Body vor.263 Auch berufen sich internationale Gerichte regelmäßig auf die „international judicial practice“,264 „rules or practices … generally accepted by “I am not overlooking the fact that the decision of one international tribunal is not binding upon another. It is no less true, however, that the general principles relating to evidence and procedure which should guide them ought to be the same.” (Claims Commission between Great Britain and Mexico, Mrs. Virginia Lessard Cameron, Decision No. 2, Claim No. 9, Entscheidung vom 8. November 1929, sep. op. Artemus Jones, British Commisioner, RIAA 5 (1952), 31). 260
Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), 67 (76).
261
NAFTA, International Thunderbird Gaming Corporation v. Mexico, Schiedsspruch vom 26. Januar 2006 (abrufbar unter <www.investment claims.com>), sep. op. Wälde, Ziff. 16 (mit Bezug auf die konsistente Rechtsprechung internationaler Schiedsgerichte): “An increasingly continuous, uncontested and consistent modern arbitral jurisprudence is part of the authoritative source of international law embodied in ‘judicial decisions’ (Art. 38 (1) (d)) and will develop, with an even greater legally binding effect, into ‘international custom’ (Art. 38 (1) (b)), in particular as an arbitral jurisprudence defines in a contemporary treaty and factual context the ‘general principles of law’ (Art. 38 (1) (c)).” 262
DSB, US – Wool Shirts and Blouses (AB), S. 14.
263
DSB, US – Stainless Steel (Mexico), Ziff. 160 (Fn. 313) unter Verweis auf die Rechtsprechung des JStGH und der ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit. 264
StSH, Arbitral Tribunal Constituted Pursuant to Article 287, and Article 1 of Annex VII, of the United Nations Convention on the Law of the Sea for the Dispute Concerning the MOX Plant, International Movements of Radioactive Materials, and the Protection of the Marine Environment of the Irish Sea, The MOX Plant Case (Ireland v. United Kingdom), Order No. 3, Suspension
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international Tribunals“265 oder die „prevailing practice of international tribunals“,266 um ihre Kompetenzen und andere prozessuale Regeln näher zu bestimmen. Die bereits oben erwähnten Bezugnahmen internationaler Gerichte auf die „general principles of judicial procedure“ sind in diesem Zusammenhang ebenfalls relevant.267 Entscheidend ist, dass die Gerichte nicht auf allgemeine Rechtsgrundsätze der nationalen Rechtsordnungen Bezug nehmen, sondern bewusst auf im internationalen Bereich entwickelte Regeln abstellen. Auch hier offenbart sich die Ähnlichkeit des internationalen Prozessrechts mit dem Recht internationaler Organisationen.268 Für dieses Rechtsgebiet wird ebenfalls verstärkt vertreten, dass die Praxis internationaler Organisationen gekoppelt mit der Duldung der Mitgliedstaaten eine eigene Rechtsquelle darstelle, die nicht im Katalog des Art. 38 IGH-Statut enthalten ist.269 Dies hat zur Folge, dass normative Entwicklungen sich nicht auf die Organisation beschränken, in der sie (zum ersten Mal oder häufig) auftreten, sondern regimeübergreifend normativ bedeutsam sind.270 Auf der Ebene des Prozessrechts entfaltet sich dieselbe Dynamik: Die Kombination aus autonomer Auslegung des gerichtseinsetzenden Vertrages, einem System von quasi-Präzeof Proceedings on Jurisdiction and Request for Further Provisional Measures, Beschluss vom 24. Juni 2003, Ziff. 58. 265
IUSCT, W. Jack Buckamier v. The Islamic Republic of Iran, ISIRAN/Army, Tehran Redevelopment Corporation, Bank Mellat, Hejrat Branch, Case No. 941, Urteil vom 6. März 1992, IUSCTR 28 (1992), 53 (74, Ziff. 67). 266 267 268
DSB, EC – Bananas III, Ziff. 10. D. II. 1. Siehe oben Kapitel 2 A. II. 3.
269
Alvarez, International Organizations as Law-makers (2005), 128, 145: “IO [international organisations’] organs ‘legislate’ on behalf of the collective outside the positivist box.” Siehe auch S. 258: “The positivist doctrine of sources … appears to be an unequally unreliable guide to IO law-making.” 270
Alvarez, International Organizations as Law-makers (2005), 145: “[I]t is often difficult to contain the impact of organizational normative developments to the organizations that give rise to them. … [W]hat each IO [international organization] does in its own legal sphere affects other comparable institutions …” Siehe auch: Lauterpacht, RdC 152 (1976 IV), 377 (396, 402): Auch die sich gegenseitig berücksichtigende und daher gleichgerichtete Vertragsauslegung durch die Organe internationaler Organisationen führt zu einem allgemein für alle Organisationen geltenden Recht.
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denzfällen, dem Rekurrieren auf identische allgemeine Rechtsgrundsätze und der häufigen Inbezugnahme gleichlautender prozessrechtlicher Rechtsprechung anderer internationaler Gerichte (die dieser durchaus nicht immer folgen muss, sondern auch in der Verschiedenheit des Verfahrenszwecks gründende Unterschiede herausarbeiten kann271) kann damit als Formung eines allgemein geltenden Prozessrechts durch internationale Rechtsprechung gesehen werden.272
3. Ergebnis Als Ergebnis der Analyse ist festzuhalten, dass das Völkerprozessrecht maßgeblich durch richterliche Entscheidungen geprägt wird. Soweit diese Feststellung im rein beschreibenden Bereich bleibt, ist sie weitgehend konsentiert. Darüber hinaus ist die Rechtsprechung internationaler Gerichte jedoch auch normativ bedeutsam. Prozessuale internationalgerichtliche Entscheidungen sind systemübergreifend rechtsgenerativ, soweit sie Entwicklungen in anderen internationalen Gerichten aufnehmen, verdichten und verallgemeinern sowie von den Staaten geduldet und in ihre Prozesspraxis einbezogen werden.273 Ihnen ist dabei die Qualität einer eigenen prozessualen Rechtsquelle zuzubilligen. Es handelt sich um eine eigene Form dezentraler Rechtsetzung im Völkerrecht. Wichtige Folgerung hieraus ist, dass prozessuale gerichtliche Entscheidungen nicht nur innerhalb eines Gerichtssystems Bedeutung erlangen, sondern auch über verschiedene Systeme hinweg. Insbesondere können bei der Untersuchung gemeinsamer prozessualer Regeln auch Urteile von nur in einem Fall zusammengetretenen Schiedsgerichten berücksichtigt werden. Die so bezeichnete Rechtsquelle ist subsidiärer Art, weil die Kompetenz internationaler Gerichte zur prozessualen Recht271
Helfer/Slaughter, Yale Law Journal 107 (1997), 273 (326); Treves, in: Wolfrum/Röben (Hrsg.), Developments of International Law in Treaty Making (2005), 587 (618). 272
Eine Rechtserzeugung durch ständige Übung internationaler Gerichte hält auch für möglich: Gaeta, in: FS-Cassese (2003), 353 (367). 273
Dies wird auch von denjenigen Autoren anerkannt, die diesen Prozess der Rechtserzeugung dem Völkergewohnheitsrecht zuordnen, so etwa: de Visscher, RdC 6 (1925 I), 329 (357); Jaenicke, in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 3 (1962), 766 (772); Sørensen, Les sources du droit international (1946), 170, der gerade für den völkerprozessrechtlichen Bereich eine gewohnheitsrechtliche Relevanz internationaler Entscheidungen konstatiert.
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setzung nur dann besteht, wenn das Vertragsrecht oder allgemeine Rechtsgrundsätze keine eigenen Regeln bereithalten. Gleichzeitig müssen die durch Richterrecht geschaffenen prozessualen Normen systematisch kompatibel mit den existierenden prozessualen Normen sein, insbesondere mit den prozessleitenden Grundsätzen.274
II. Delegierte Rechtsetzung: Verfahrensordnungen, „Practice Directions“ und „Codes of Conduct“ 1. Kompetenz internationaler Gerichte zum Erlass von Verfahrensordnungen und anderen prozessualen Rechtsinstrumenten Da die gerichtseinsetzenden Verträge das Verfahren nur rudimentär regeln, besteht die Notwendigkeit, umfassendere Verfahrensregelungen auf einer anderen Normebene zu treffen. Dies wird in aller Regel durch Verfahrensordnungen geschehen; allerdings kommen auch sogenannte Practice Directions, Verhaltenskodizes (Codes of Conduct) sowie andere prozessrechtliche Instrumente in Betracht. Die meisten Statuten internationaler Gerichte sehen eine entsprechende Befugnis ausdrücklich vor. Daneben ist weitgehend anerkannt, dass internationale Gerichte und Schiedsgerichte – ebenso wie internationale Organisationen275 – auch ohne ausdrückliche Ermächtigung die Kompetenz zur Promulgation einer Verfahrensordnung besitzen.276
274
Für das Richterrecht im Bereich des materiellen Strafrechts ähnlich (Subsidiarität und Systemkompatibilität): Stuckenberg, GA 154 (2007), 80 (106). Siehe auch: Ulrich Fastenrath, Lücken im Völkerrecht (1991), 272: Richter dürfen bei Rechtssetzung nicht ihre eigenen Zwecke verfolgen, sondern sind an die Vorgaben der Staaten gebunden. 275 276
Detter, Law Making by International Organizations (1965), 47.
Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts (1929), 222; Hudson, International Tribunals, Past and Future (1944), 86; Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 40 f.; Ralston, Law and Procedure of International Tribunals (1926), 197; Foster, CYIL 7 (1969), 150 (160).
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2. Erscheinungsformen delegierter Prozessrechtssetzung (a) Verfahrensordnungen Gerichtliche Verfahrensordnungen entstehen auf unterschiedliche Weise, insbesondere unter der Beteiligung verschiedener Akteure. Die Skala reicht von uneingeschränkter Rechtsetzungsautonomie der Spruchkörper bis hin zu weitreichendem Einfluss der Streitparteien.
(aa) Weitgehende Autonomie des Gerichts Gänzlich unabhängig von einer mitgliedstaatlichen Kontrolle sind der IGH und der ISGH sowie der JStGH, der RStGH und der EGMR. Nach Art. 30 IGH-Statut legt der Gerichtshof seine Verfahrensordnung ohne Beteiligung oder Mitbestimmungsrecht der VN-Mitgliedstaaten fest.277 Gleiches gilt für den ISGH (Art. 16 ISGH-Statut), den JStGH (Art. 15 JStGH-Statut), den RStGH (Art. 14 RStGH-Statut) und den EGMR (Art. 26 (d) EGMR-Statut). Gemäß Art. 17 Abs. 9 DSU ist auch das Berufungsgremium des DSB befugt, eigene Verfahrensregeln zu erlassen.278 Jedoch muss es dazu vorherige Rücksprache mit dem Vorsitzenden des DSB und dem Generaldirektor halten. Die promulgierten Regeln werden den WTO-Mitgliedern lediglich zur Kenntnis übermittelt. Ein Zustimmungserfordernis besteht also nicht. Im Fall US – Lead and Bismuth II betonte das Berufungsgremium, dass die Norm dem Gremium eine umfassende Kompetenz zur Verabschiedung prozessualer Vorschriften gebe, die nur von den materiellen und prozessualen Regeln der Streitbeleilegungsvereinbarung und den unter sie fallenden Übereinkommen begrenzt werde.279 Auch bestimmt Art. 16 Abs. 1 der Berufungsverfahrensregeln (Working Procedures for Appellate Review), dass eine Abteilung des Gremiums zusätzliche Verfahrensregeln für den
277 Die Vorschrift baut auf Art. 30 StIGH-Statut auf; der gegenüber der Vorgängernorm veränderte englische Wortlaut geht auf das Bestreben zurück, ihn mit der französischen Fassung in Einklang zu bringen, Hudson, AJIL 40 (1946), 1 (28). 278 279
Working Procedures for Appellate Review, WT/AB/WT/5, 4. Januar 2005.
DSB, US – Lead and Bismuth II (AB), Ziff. 39: “This provision makes clear that the Appellate Body has broad authority to adopt procedural rules which do not conflict with any rules and procedures in the DSU or the covered agreements.”
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konkreten Streitfall treffen kann, soweit nach dem DSU und den Berufungsverfahrensregeln eine Lücke besteht.280 Für die Panelverfahren existiert mit Anhang 3 zum DSU zwar eine vorformulierte allgemeine Verfahrensregelung.281 Nach Art. 12 Abs. 1 DSU sind die WTO-Panels jedoch ermächtigt, von dem dort normierten Arbeitsverfahren nach Rücksprache mit den Parteien abzuweichen.282 Eine Zustimmung der Parteien ist auch hier nicht nötig.283 In der Praxis erlässt daher jedes Panel eigene Verfahrensregeln,284 auch wenn das Appellate Body darauf hingewiesen hat, dass “with respect to fact-finding, the dictates of due process could better be served if panels had standard working procedures that provided for appropriate factual discovery at an early stage in panel proceedings.”285 Die so erlassenen Vorschriften sind für Panel und Parteien verbindlich.286 Jedoch darf ein Panel nur Anhang 3 DSU abändern oder ersetzen, nicht jedoch von den Vorschriften des DSU selbst abweichen;287 dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Absatzes 1 des Anhangs 3. Außerdem können nach Absatz 11 des Anhangs 3 auch panelspezifische Verfahrensregeln Anwendung finden. Diese spezifischen Verfahren sind insbesondere für das Beweisrecht bedeutend, weil Panels seit Argentina – Textiles regelmäßig eigene prozessuale Zusatzregeln für die Beweisaufnahme erlassen.288 280
Auf dieser Grundlage wurden in EC – Asbestos Eingaben von amici curiae zugelassen (WT/DS/135/9), 8. November 2000. Die Prozessgeschichte arbeitet auf: DSB, EC – Asbestos (AB), Ziff. 50 ff. 281
Zum geschichtlichen Hintergrund des Anhangs 3 siehe Monnier, LPICT 1 (2002), 481 (483). 282
Das Appellate Body hat Art. 12 Abs. 1 DSU als umfassende Prozessrechtssetzungskompetenz interpretiert: US – Shrimp (AB), Ziff. 105: “It is also pertinent to note that Article 12.1 of the DSU authorizes panels to depart from, or to add to, the Working Procedures set forth in Appendix 3 of the DSU, and in effect to develop their own Working Procedures, after consultation with the parties to the dispute.” 283
DSB, US – Lead and Bismuth II (Panel), Ziff. 6.2.; Monnier, LPICT 1 (2002), 481 (484). 284 285
Ruiz-Fabri, RGDIP 103 (1999), 47 (56). DSB, India – Patents (US) (AB), Ziff. 95.
286
Mavroidis, Article 12 DSU, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), Max Planck CWTL 2 (2006), Rn. 4. 287 288
DSB, India – Patents (US) (AB), Ziff. 92. Monnier, LPICT 1 (2002), 481 (449 f.).
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Kapitel 2
(bb) Fehlende gerichtliche Befugnis Die gegengesetzte Extremposition ist die Verabschiedung ohne die Mitwirkung des Gerichts allein durch eine Staatenversammlung (Art. 51 IStGH-Statut). Wegen dieser Unflexibilität bestimmt Art. 51 Abs. 3 IStGH-Statut, dass die Richter bei eventuellen Lücken in dringenden Fällen vorläufige Regeln aufstellen können. Hierfür ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Sie gelten bis zur nächsten ordentlichen oder außerordentlichen Tagung der Vertragsstaatenversammlung, wo sie angenommen, geändert oder abgelehnt werden können.
(cc) Zwischenlösungen Zwischenlösungen sehen eine Kooperation oder zumindest eine gemeinsame Verantwortung des Gerichts und der Mitgliedstaaten zum Statut vor. Denkbar ist eine Ausarbeitung der Prozessregeln durch das Gericht, die von der Staatenversammlung oder einem Organ der internationalen Organisation, der das Gericht zugehörig ist, bestätigt werden muss. Diesen Weg wählen etwa der EGV für den EuGH (Art. 223 Abs. 6 EGV), die AMRK für den IAGMR (Art. 60 AMRK i.V.m. Art. 25 IAGMR-Statut) sowie die Nuklearkontrollkonvention für das Europäische Atomenergiegericht.289
(dd) Schiedsgerichte Bei internationalen zwischenstaatlichen Schiedsgerichten gehen die Verfahrensordnungen häufig auf die Initiative der Parteien zurück. So werden Prozessregeln beispielsweise auf Staatenvorschlag nach Annahme durch das Schiedsgericht verabschiedet.290 Daneben ist eine Annahme der Regeln allein durch das Gericht aufgrund einer vertraglichen Ermächtigung für den Fall möglich, dass sich die Streitparteien nicht einigen sollten, wie z.B. in Art. 5 Annex VII SRÜ für das Schiedsgericht
289
Art. 12 (d) Convention on the Establishment of a Security Control in the Field of Nuclear Energy (1957): “The Tribunal shall adopt its own Rules of Procedure, which shall be subject to the approval of the Council.” 290
Siehe z.B. United States-United Kingdom Arbitration Concerning Heathrow Airport User Charges, Award on the First Question of 30 November 1992, ILR 102 (1996), 216 (228, Ziff. 3.4).
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vorgesehen.291 Mangels Parteivereinbarung haben jedoch auch Schiedsgerichte die ungeschriebene Kompetenz zum Erlass von Verfahrensregeln im Einklang mit dem Gründungsvertrag.292
(b) Andere Instrumente Neben den klassischen Verfahrensordnungen haben sich noch eine Reihe anderer Instrumente richterlicher Prozessrechtssetzung herausgebildet, die den Statuten und Verfahrensregeln hierarchisch untergeordnet sind. Die Gründe für die Verabschiedung solcher Regeln sind unterschiedlich. So kann die größere Flexibilität aufgrund einfacherer Verabschiedungs- und Änderungsmechanismen eine Rolle spielen. Daneben werden oft spezifische Details geregelt, die nicht dem generell-abstrakten Charakter einer Verfahrensordnung entsprechen. Auch ermöglicht die Niederlegung einer Regel in Instrumenten dieser Art deren „experimentelle“ Anwendung, bevor sie in die Verfahrensordnung aufgenommen wird.293 Aus diesem Grund lesen sich manche Praxisanweisungen eher wie eine Norm der Verfahrensordnung.294
(aa) IGH: Praxisanweisungen („Practice Directions“) und „Resolution concerning the internal judicial practice of the Court“ Auf der Grundlage des Art. 19 seiner VerfO fasste der IGH einen Beschluss zum internen gerichtlichen Verfahren (Resolution concerning the internal judicial practice of the Court).295 Daneben verabschiedete er in jüngerer Zeit sogenannte Practice Directions (franz.: „instructions de procédure“). Die ersten sechs Praxisanweisungen wurden am 31. Oktober 2001 promulgiert, am 7. Februar 2002 und am 30. Juli 2004 jeweils 291
“Unless the parties to the dispute otherwise agree, the arbitral tribunal shall determine its own procedure, assuring to each party a full opportunity to be heard and to present its case.” 292 293 294 295
Petrochilos, Procedural Law in International Arbitration (2004), 235. Siehe zu alledem: Guinchard u.a., Droit processuel (2005), 878. Siehe Rosenne, LPICT 1 (2002), 223 (238).
Art. 19 der Verfahrensordnung lautet: “The internal judicial practice of the Court shall, subject to the provisions of the Statute and these Rules, be governed by any resolutions on the subject adopted by the Court.” Die Regelung wurde erst in der Fassung der VerfO von 1978 eingeführt, Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Thirlway, Art. 30, Rn. 10.
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Kapitel 2
weitere drei, am 13. Dezember 2006 nochmals zwei sowie am 30. Januar 2009 eine. Derzeit existieren demnach 15 solcher Anweisungen.296 Sie ergingen auf keiner ausdrücklichen textlichen Kompetenzgrundlage; die Befugnis zur Annahme kann jedoch aus der allgemeinen Befugnis jedes Gerichts hergeleitet werden, sein eigenes Verfahren festzulegen,297 bzw. auf Art. 30 IGH-Statut gestützt werden.298 Der rechtliche Status der Practice Directions ist unklar,299 jedoch deuten Äußerungen einzelner IGH-Richter auf einen verbindlichen Charakter hin.300 Die Praxisanweisungen sollen die Verfahrensordnung allerdings nicht ändern, sondern ergänzen.301
(bb) ISGH: Richtlinien („Guidelines“) Eine Kompetenznorm zum Erlass weiterer verfahrensleitender Vorschriften findet sich in Art. 50 der ISGH-VerfO.302 Die Norm unterscheidet sich von Art. 19 IGH-VerfO darin, dass sie nicht lediglich die interne gerichtliche Sphäre betrifft, sondern das Verfahren selbst. Der ISGH hat von dieser Kompetenz mit der Verabschiedung von Richtlinien (Guidelines concerning the preparation and presentation of cases before the Tribunal) Gebrauch gemacht.303 In ihrer Funktion entsprechen die Richtlinien den Practice Directions des IGH und müssen sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut von Art. 50 ISGH-VerfO im Rahmen der ISGH-VerfO und natürlich auch des Statuts halten. Die Guidelines des ISGH sollen weder für die Parteien noch das Gericht selbst 296
Siehe hierzu: Watts, LPICT 1 (2002), 247; Watts, LPICT 3 (2004), 385.
297
Watts, LPICT 1 (2002), 247 (255); Guinchard u.a., Droit processuel (2005), 878; Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 65: inhärente Kompetenz. 298 299
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Thirlway, Art. 30, Rn. 11. Scobbie, LPICT 4 (2005), 421 (425); Watts, LPICT 1 (2002), 247 (255).
300
Higgins, ICLQ 50 (2001), 121 (124): “A Practice Direction indicates something the Court requires to be done, not requests to be done.” 301
IGH Presseerklärung No. 2001/3, 31. Oktober 2001.
302
Art. 50 ISGH-VerfO lautet: “The Tribunal may issue guidelines consistent with these Rules concerning any aspect of its proceedings, including the length, format and presentation of written and oral pleadings and the use of electronic means of communication.” 303 Zur Entstehungsgeschichte der Guidelines siehe Rao, IJIL 38 (1998), 371 (375 ff.).
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formell bindend sein.304 Daneben existiert eine Resolution on the Internal Judicial Practice of the Tribunal.305 Sie stützt sich auf Art. 40 ISGHVerfO, der Art. 19 IGH-VerfO entspricht.306
(cc) WTO-Streitbeilegung Neben den Berufungsverfahrensregeln des Appellate Body kennt das WTO-Streitbeilegungssystem noch ein weiteres prozessrechtlich relevantes Dokument: die Rules of Conduct for the Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes.307 Sie wurden vom DSB verabschiedet und regeln die Verhältnisse der am Streitbeilegungsmechanismus beteiligten Personen in Bezug auf Vertraulichkeit und Unabhängigkeit. Daneben stellen sie Verpflichtungen zur Anzeige möglicher Befangenheitsgründe sowie ein Verfahren zur Ablehnung von Panelmitgliedern, Schiedsrichtern und Sachverständigen auf.308
(dd) Regionale Menschenrechtsgerichtshöfe und Strafgerichtshöfe Ähnliche Formen subsidiärer Rechtsetzung finden sich auch bei den regionalen Menschenrechtsgerichtshöfen. Regel 32 EGMR-VerfO und Regel 19 (B) JStGH-VerfO geben den Präsidenten des EGMR bzw. des JStGH die Befugnis, Practice Directions zu erlassen. Art. 25 Abs. 3 IAGMR-Statut sieht die Verabschiedung von Verordnungen („Regulations“) vor. Auch die einzelnen Organe des IStGH erlassen Regulations (Regel 6 Abs. 5, Regel 9, Regel 14 Abs. 1 IStGH-VerfO).
304 305
So: Rao, IJIL 38 (1998), 371 (375). ITLOS/10, verabschiedet am 31. Oktober 1997.
306
Zur Entstehungsgeschichte und zum Inhalt siehe Anderson, IJIL 38 (1998), 410 (416 ff.). 307 308
WT/DSB/RC/1, 11. Dezember 1996.
Marceau, JWT 32 (3) (1998), 57 (66 ff.). In Bezug auf Sachverständige siehe: DSB, US – Continued Suspension (AB), Ziff. 435 sowie Kapitel 7 D. II. 3. (a) (cc).
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Kapitel 2
3. Rechtsnatur von Instrumenten sekundärer Rechtsetzung Während die Frage der Rechtsnatur derjenigen Verfahrensordnungen, die der Zustimmung der Mitgliedstaaten eines Gerichts bedürfen, kaum Schwierigkeiten bereitet,309 war die Qualifikation der von Gerichten selbst und ohne weitere Ratifikation durch die Mitgliedstaaten verabschiedeten Prozessregeln lange umstritten. Ähnliche Schwierigkeiten stellten sich bei der Einordnung des internen Rechts internationaler Organisationen, bei dem bereits strittig war, ob es überhaupt dem Völkerrecht zuzuordnen sei,310 oder ob es sich hierbei um ein „Sonderverbandsrecht“ handele.311 Eine solche Trennung ist jedoch einerseits nicht praktikabel und andererseits auch theoretisch nicht zu begründen und folglich abzulehnen.312 Auch internes Organisations- bzw. Gerichtsrecht ist Völkerrecht, ebenso wie nationales Gesellschafts- oder Verbandsrecht dem innerstaatlichen Recht zugeordnet bleibt.313 Anzilotti vertrat, dass Verfahrensordnungen internationaler Gerichte eine Sonderform des völkerrechtlichen Vertrags darstellten, der durch ein Organ anstatt durch direkte Interaktion der Staaten zustande komme. Die so in Kraft gesetzten Regeln hätten die gleiche rechtliche Stellung wie ein internationales Abkommen.314 Diese Auffassung kann jedoch schwer erklären, wie Mehrheitsentscheidungen, wie sie auch für den Erlass der Verfahrensordnungen üblich sind, vertragsrechtlich zu erfassen sind.315 Überzeugender ist daher die Ansicht, die in den durch internationale Gerichte verabschiedeten Verfahrensordnungen (wie
309
Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (124): quasivertraglicher Charakter. 310
Nachweise bei Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 265 (317, Rn. 114). Und bei Bernhardt, BerDGV 12 (1971), 7 (24). Keine Rechtsqualität: Balladore Pallieri, RdC 127 (1969 II), 1-38. 311
Sui generis Charakter: Miehsler, BerDGV 12 (1971), 47 (70-72): Das interne Recht internationaler Organisationen ist eine „vom Völkerrecht verschiedene, selbständige Rechtsordnung“ (S. 72). 312
Dazu: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1 (1989), 29; Alvarez, International Organizations as Law-makers (2005), 119 sowie Bernhardt, EPIL II/2 (1995), 1314 (1316). 313 314 315
Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 265 (317, Rn. 115). Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts (1929), 223. Bernhardt, BerDGV 12 (1971), 7 (22).
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auch in den Sekundärrechtsakten internationaler Organisationen316) ein Beispiel für delegierte, sekundäre Rechtsetzung sieht,317 deren Verbindlichkeit sich indes aus dem ermächtigenden Primärrecht ergibt. Vertragsstaaten der Statuten permanenter internationaler Gerichte wie dem IGH oder dem ISGH sind daher automatisch auch an die durch das Gericht erlassene Verfahrensordnung gebunden. Dabei ist zu beachten, dass die einmal verabschiedeten Verfahrensordnungen nicht nur die Parteien des Rechtsstreites,318 sondern auch das Gericht selbst binden. Abweichungen sind nur in demselben Modus möglich, der zur Verabschiedung der VerfO vorgesehen ist, es sei denn, diese lässt für bestimmte Fälle anderes zu (vgl. Art. 101 IGH-VerfO).319
4. Grenzen der Prozessrechtssetzungsbefugnis von Gerichten Die Befugnis, Verfahrensregeln zu erlassen, eröffnet den Gerichten einen nicht unerheblichen Spielraum.320 Dennoch sind sie in ihrer Prozessrechtssetzungsbefugnis nicht völlig frei.
316
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1 (1989), 70: „internationale Gesamtakte“. 317
So schon: IGH, Barcelona Traction Case (Preliminary Objections), diss. op. Armand-Ugon, ICJ Rep. 1964, 116: “Article 30 of the Statute of the Court authorizes the Court to frame rules for carrying out its functions and, in particular, to lay down rules of procedure. An international organ is given the power of creating rules of law, in full independence. If international law is based on the agreement of States, either express or tacit, in the case of Article 30 of the Statute a new creative source has arisen. The Permanent Court and the International Court, which were created by States, have the capacity to lay down mandatory rules of law in the same way as any national legislature.” Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 3 (2006), 1030 f.; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Thirlway, Art. 30, Rn. 4; Bos, GYIL 20 (1977), 9 (25). Die Verfahrensordnungen internationaler Gerichte haben Außenwirkung: Dehaussy/Ascensio, Actes unilatéraux et action normative des organisations internationales, Juris-classeurs de droit international, vol. 1, Fasc. 14 (28. September 2005), 11 (Ziff. 25). 318
Siehe aber oben B. III. 1.
319
Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 176. 320
Guinchard u.a., Droit processuel (2005), 877.
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(a) Hierarchisch höher stehende Regeln: Gerichtseinsetzende Verträge Internationale Gerichte können ihre abgeleitete Rechtsetzungskompetenz nur im Rahmen des Gründungsvertrags ausüben.321 Bisweilen ist dies explizit im gerichtseinsetzenden Vertrag niedergelegt (Art. 51 Abs. 4 IStGH-Statut). Im Hinblick auf Art. 30 IGH-Statut ist anerkannt, dass die dem IGH hiermit verliehene Rechtsetzungsbefugnis weitreichend, aber nicht unbegrenzt ist.322 Gleiches gilt für die Working Procedures der Panels und des Appellate Body.323 Neben dem Statut sind auch die inhärenten Befugnisse von Bedeutung: Prozessregeln, die lediglich die dem Gericht ohnehin schon beigegebenen inhärenten Kompetenzen kodifizieren, verstoßen nicht gegen das höherrangige Instrument.324 Vorschriften der IGH-VerfO, die nicht mit dem IGH321
Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (112); Thirlway, BYIL 71 (2000), 71 (159); Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/ Thirlway, Art. 30, Rn. 6 f. 322
IGH, Case concerning the Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador v. Honduras), Application for Permission to Intervene, Beschluss (Order) vom 28. Februar 1990, diss. op. Shahabuddeen, ICJ Rep. 1990, 18 (47): “The Court, it may be said, has a certain autonomy in the exercise of its rulemaking competence; but autonomy is not omnipotence, and that competence is not unbounded. Rules of Court could only be made in exercise of powers granted by the Statute, whether expressly or impliedly.” Siehe auch bereits seine sep. op. in IGH, Case concerning the Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador v. Honduras), Composition of Chamber, Beschluss (Order) vom 13. Dezember 1989, ICJ Rep. 1989, 165 (171f.) in Bezug auf die Kompetenzen des IGH zur ad hoc Richterbenennung: “Article 31 is the particular provision in the Statute concerned with the process of constituting a person as an ad hoc judge. It does not seem to offer the Court a role at any point in that process, either directly nor indirectly through the other provisions referred to in it. The limits of the Court’s rule-making power under Article 30 of the Statute (however generously construed) would not enable it, by making Rules of Court, to assume a role in that process not entrusted to it by the Statute. The Statute appears to leave the matter to the State concerned. … [T]he Order made today is not constitutive of an appointment made by the Court but is merely a formal judicial record of an appointment made by the State concerned.” 323
Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law (2003), 289,
361. 324
Dazu bereits B. IV. 2. (c). So auch: Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (123), die sich auf „principes inhérents à la fonction judiciaire“ beziehen.
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Statut in Einklang stehen, verstoßen gleichzeitig gegen die VNCharta,325 deren Teil das Statut ist, und sind insgesamt nichtig.326 Ein Verstoß kann sich nicht nur bei einem Widerspruch zu einer konkreten Regel im Statut ergeben, sondern auch bei einer Abweichung von Strukturprinzipien des Verfahrens. Gerade bei der Ausformulierung des Beweisrechts ist dem IGH so eine Grenze gesetzt; so wären übermäßig strikte Zulässigkeitsvoraussetzungen für einzelne Beweismittel wohl unzulässig.327
(b) Allgemeines Völkerprozessrecht Des Weiteren kommt in Betracht, dass internationale Gerichte sich an im allgemeinen Völkerprozessrecht existierende Normen in der Ausgestaltung ihrer Prozessrechtsordnung halten müssen. Jedoch ist die Masse des Völkerprozessrechts dispositiver Natur; damit können Staaten wie auch internationale Gerichte durch Ausübung ihrer Prozessrechtssetzungsbefugnis hiervon abweichen. Mangels Ausübung dieser Kompetenz in Form von Verfahrensordnungen oder anderer Instrumente sind Gerichte an das allgemein geltende Prozessrecht gebunden. Eine Begrenzung der Prozessrechtssetzungsbefugnis stellen jedoch – ebenso wie für Staaten – solche Normen und Grundsätze dar, die das Gericht als solches charakterisieren. Hierzu gehören zentrale Grund325
IGH, Case concerning the Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador v. Honduras), Application for Permission to Intervene, Beschluss (Order) vom 28. Februar 1990, diss. op. Shahabuddeen, ICJ Rep. 1990, 18 (48). Darüber hinaus ist Art. 103 VN-Charta auch auf das IGH-Statut anwendbar, Pellet, LPICT 3 (2004), 159 (161). 326 IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Gutachten vom 26. Januar 1971, diss. op. Fitzmaurice, ICJ Rep. 1971, 220 (310): “The Court has no power to make Rules that conflict with its Statute: hence any rule that did so conflict would be pro tanto invalid, and the Statute would prevail.” Vgl auch IGH, Case concerning the Continental Shelf (Libya v. Malta), Application by Italy for Permission to Intervene, Urteil vom 21. März 1984, sep. op. Mbaye, ICJ Rep. 1984, 35 (44). 327
Siehe: Proposition de M. Huber relatives à l’amendement de certains articles du règlement (31. Dezember 1925), in: StIGH, Revision du règlement de la Cour, Ser. D, Add. No. 2, 246 (250): «Comme le Statut ne contient pas trace d’un système formel et rigides des preuves, il serait même inadmissible pour la Cour de créer un tel régime par son Règlement.»
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Kapitel 2
sätze wie das Prinzip der Gleichheit der Parteien und des rechtlichen Gehörs.328
5. Auslegung von Normen delegierter Rechtsetzung Auch von internationalen Organisationen und Gerichten erlassene sekundäre Rechtsvorschriften sind auslegungsbedürftig und auslegungsfähig. Dabei können grundsätzlich die Art. 31 bis 33 WVK analog herangezogen bzw. die völkergewohnheitsrechtlichen Regeln gleichen Inhalts angewandt werden.329 Besondere Bedeutung kommt dabei der Auslegung anhand von hierarchisch übergeordneten Normen zu, also in der Regel dem gerichtseinsetzenden Vertrag, von dem das Gericht seine Kompetenz zum Erlass von Verfahrensregeln ableitet.330
III. Spontane Rechtsetzungsbefugnis internationaler Gerichte Über die bereits genannten Befugnisse hinaus genießt das internationale Gericht eine allgemeine spontane verfahrensrechtliche Kompetenz. So hat etwa der StIGH im Mavrommatis-Fall in Ermangelung einer für die Entscheidung notwendigen prozessualen Regel diese selbst ad hoc geschaffen.331 Bisweilen ist eine solche Kompetenz explizit vorgesehen, so etwa in Art. 16 Abs. 1 der Berufungsverfahrensregeln der WTOStreitbeilegung, begrenzt auf solche Fälle, in denen andere Prozessregeln nicht eingreifen.332 Die Befugnis, spontan prozessuales Recht zu 328
Dazu bereits B. III. 1. (a).
329
Zur Auslegung von Sicherheitsratsresolutionen siehe: Wood, Max Planck UNYB 2 (1998), 73 sowie von Sekundärrecht internationaler Organisationen generell: Alvarez, International Organizations as Law-makers (2005), 120. 330 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen (2000), Rn. 1611. 331
StIGH, The Mavrommatis Palestine Concessions, PCIJ, Ser. A, No. 2, 16 in Bezug auf vorgängige Einreden: “The Court therefore is at liberty to adopt the principle which it considers best calculated to ensure the administration of justice, most suited to the procedure before an international tribunal and most in conformity with the fundamental principles of international law.” Dazu auch: Fastenrath, Lücken im Völkerrecht (1991), 145. 332
Art. 16 Abs. 1 lautet: “In the interests of fairness and orderly procedure in the conduct of an appeal, where a procedural question arises that is not covered
Quellen des Völkerprozessrechts und Beweisrechts
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setzen, kann sich daher nur auf nicht bereits geregelte, unwesentliche Fragen erstrecken und stellt eine Residualkompetenz dar. Das internationale Gericht darf das Verfahren also nicht spontan nach Gutdünken festlegen.
F. Recht der privaten Schiedsgerichtsbarkeit als Inspirationsquelle des Völkerprozessrechts In der privaten Schiedsgerichtsbarkeit stellen sich oft ähnliche Fragen wie im internationalen zwischenstaatlichen Prozess, insbesondere weil verschiedene Rechtssysteme harmonisiert werden müssen und Durchsetzungsmechanismen für prozedurale Entscheidungen fehlen. Daher spricht viel dafür, die Praxis dieser Gerichtsbarkeit mit in die Untersuchung einzubeziehen.333 Zwar kann das in diesen Bereichen entwickelte Verfahrensrecht eine Inspirationsquelle für internationale Gerichte sein; eine formale Rechtsquelle für das Völkerprozessrecht ist es aber nicht. Neben der Praxis internationaler privater Schiedsgerichte sind auch die verschiedenen Kodifikationen des Prozessrechts in diesem Bereich zu berücksichtigen. So hat die International Bar Association (IBA) im Jahr 1983 sogenannte Supplementary Rules Governing the Presentation and Reception of Evidence in International Commercial Arbitration verabschiedet.334 Einen weiteren Vereinheitlichungsversuch unternahm UNCITRAL mit den Arbitration Rules vom 28. April 1976,335 auf dem auch die IUSCT-VerfO basiert. Am 21. Juni 1985 verabschiedete die
by these Rules, a division may adopt an appropriate procedure for the purposes of that appeal only, provided that it is not inconsistent with the DSU, the other covered agreements and these Rules. Where such a procedure is adopted, the division shall immediately notify the parties to the dispute, participants, third parties and third participants as well as the other Members of the Appellate Body.” 333
So für das WTO-Prozessrecht: Waincymer, WTO Litigation (2002), 534, der eine verfahrensübergreifende „lex evidentia“ postuliert. Zum „transnationalen Verfahrensrecht“ als dritte Rechtsebene neben nationalem Recht und Völkerrecht: Raeschke-Kessler, in: FS-Schlosser (2005), 713. 334
Siehe: Born, International Commercial Arbitration: Commentary and Materials (2001), 484. 335 Dazu: Trittmann/Duve, in: Weigand (Hrsg.), Practitioner’s Handbook on International Arbitration (2002), 315 ff.
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Kapitel 2
UNCITRAL das Model Law on International Commercial Arbitration. Darüber hinaus sind die Schiedsordnung der Internationalen Handelskammer (ICC-Schiedsordnung) von 1998 und ihre Vorgänger336 sowie die 1999 von der IBA verabschiedeten Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration relevant.337 Im Jahr 2004 schließlich folgte der bislang umfassendste Vorschlag, die Principles of Transnational Civil Procedure des American Law Institute (ALI) und des UNIDROIT.338
G. Zusammenfassung I. Rechtsquellen des Völkerprozessrechts Vom Standpunkt einer rechtsquellenbezogenen Analyse spricht nichts dagegen, von einem grundsätzlich einheitlich für alle internationalen Gerichte geltenden Völkerprozessrecht zu sprechen. Die Quellen des Prozess- und Beweisrechts sind grundsätzlich identisch mit denen des materiellen Völkerrechts. Demnach können prozess- und beweisrechtliche Regeln auf Vertrag oder nach dem Vertrag erlassene Verfahrensordnungen sowie auf allgemeine Rechtsgrundsätze zurückgehen.339 Völkergewohnheitsrecht kommt als Quelle des Völkerprozessrechts nur bedingt in Betracht. Ergänzt werden die klassischen Rechtsquellen des materiellen Völkerrechts im Bereich des Prozessrechts durch das Richterrecht.
II. Kompetenzen internationaler Gerichte zur Anwendung des Völkerprozessrechts Im internationalen Prozess sind grundsätzlich alle Rechtsquellen konkurrierend (parallel) anwendbar. Ein gerichtseinsetzender Vertrag stellt 336
Dazu: Bühler/Jarvin, in: Weigand (Hrsg.), Practitioner’s Handbook on International Arbitration (2002), 103 ff. 337 Dazu: IBA Working Party, Commentary on the New IBA Rules of Evidence, in: Weigand (Hrsg.), Practitioner’s Handbook on International Arbitration (2002), 372 ff. Deutsche Fassung: SchiedsVZ 5 (2007), 40 ff. 338 339
Dazu: Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201. Siehe auch: Shelton, Fordham ILJ 12 (1989), 361 (387).
Quellen des Völkerprozessrechts und Beweisrechts
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jedenfalls nicht prinzipiell und in allen Teilen ein „self-contained regime“ dar, das die Anwendung allgemeinen Völkerrechts von vornherein ausschlösse.340 Die Aussage des JStGH, dass internationale Gerichte ein „self-contained system“ bilden,341 bezieht sich somit nur auf ihre fehlende Einbindung in ein System einer integrierten internationalen Gerichtsbarkeit342 und ist nicht als eine allgemeingültige Aussage über das von ihnen anwendbare Recht zu verstehen. Internationale Gerichte und Schiedsgerichte können und müssen demnach das allgemeine Völkerprozessrecht anwenden. Wie im materiellen Völkerrecht gilt auch hier die Grundregel, dass das allgemeine Völkerrecht auch innerhalb von Vertragsordnungen gilt, soweit deren Mitgliedstaaten seine Geltung im Rahmen dieser Ordnung nicht ausgeschlossen haben.
340
Hierzu auch JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 64: “[I]t is true that the rules of customary international law may become relevant where the Statute is silent on a particular point.” 341 JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Duško Tadić, Case IT-94-1AR72, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, Beschluss vom 2. Oktober 1995, Ziff. 11. 342 Zu den damit verbundenen Kompetenzkonflikten siehe Shany, The competing jurisdictions of international courts and tribunals (2003).
Drittes Kapitel: Beweisrechtlich relevante Grundsätze des Völkerprozessrechts Jede Verfahrensordnung baut auf bestimmten Strukturprinzipien oder Grundsätzen auf, wenn sie nicht nur für einen Einzelfall Geltung beansprucht.1 Unter Verfahrensgrundsätzen versteht man diejenigen rechtlichen Leitlinien, die einem speziellen gerichtlichen Verfahren seine wesentliche Ausprägung verleihen.2 Diese haben Prinzipiencharakter, spiegeln also grundlegende wertende Entscheidungen des geltenden Rechts wider. Verfahrensgrundsätze haben im nationalen Recht daher auch herausragende Bedeutung bei der Schließung von Gesetzeslücken im Prozessrecht.3 Solche Grundsätze existieren auch auf völkerrechtlicher Ebene und sind bereits lange anerkannt. Ihrer rechtsquellentheoretischen Einordnung nach gehören sie zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen nach Art. 38 Abs. 1 (c) IGH-Statut, lassen sich aber auch durchaus als allgemeine Rechtsgrundsätze des Völkerrechts („general principles of international procedural law“) begründen. Neben den für das Beweisrecht besonders relevanten Prinzipien, die im Folgenden näher beschrieben werden sollen (Recht auf ein faires Verfahren und Gleichheit der Parteien (A.), Dispositionsgrundsatz (B.), Öffentlichkeit des Verfahrens (C.) und Recht auf eine begründete Entscheidung (D.)) gibt es noch eine Reihe weiterer solcher Grundsätze, etwa die Unparteilichkeit der Richter, das Beratungsgeheimnis, sowie die Bindungswirkung der Urteile für die Parteien.4
1
Hallier, Völkerrechtliche Schiedsinstanzen für Einzelpersonen und ihr Verhältnis zur innerstaatlichen Gerichtsbarkeit (1962), 66. 2
Stein/Jonas-Leipold (2005),Vorb. § 128 ZPO, Rn. 3.
3
Ebd., Rn. 6; Hallier, Völkerrechtliche Schiedsinstanzen für Einzelpersonen und ihr Verhältnis zur innerstaatlichen Gerichtsbarkeit (1962), 66. 4
Zur Frage der Rechtskraft siehe auch unten Kapitel 7 B. II. 4. (a).
M. Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 215, DOI 10.1007/978-3-642-11647-6_3, © by Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
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Kapitel 3
A. Recht auf ein faires Verfahren und Gleichheit der Parteien Obwohl das Recht auf ein faires Verfahren (fair trial oder due process) heute vor allem als menschenrechtliche Verbürgung Bedeutung hat,5 gilt es auch in zwischenstaatlichen internationalen Verfahren.6 Anders betrachtet ist seine Einhaltung durch das Streitschlichtungsorgan Voraussetzung dafür, dass überhaupt von einem Gericht oder Schiedsgericht gesprochen werden kann.7 Besondere Bedeutung erlangt es im Beweisrecht.8
I. Allgemeine Grundsätze Hauptaspekte des Rechts auf ein faires Verfahren sind die Gleichheit der Parteien im Prozess und das Recht der Parteien auf die Gewährung rechtlichen Gehörs.9 Die Maxime audiatur et altera pars gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz auch im internationalen Verfahren.10 Sie ist sowohl Folge des gerichtlichen Wesens internationaler Gerichte,11 als auch Ausdruck der Gleichheit der Parteien im Prozess.12 Das Recht auf 5
Siehe insbesondere Art. 14 IPBürg, Art. 6 EMRK, Art. 8 AMRK.
6
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 133. Cameron/Orava, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 195 (205). 7
Campanelli, LPICT 4 (2005), 107 (124); Rosenne, The International Court of Justice: An Essay in Political and Legal Theory (1957), 380; CoussiratCoustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (131). 8
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 13.
9
Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 3 (1977), 81. Für die WTO: Mitchell, in: Yerxa/Wilson (Hrsg.), Key issues in WTO dispute settlement, The first ten years (2005), 144 (152 ff.); DSB, Australia – Salmon (AB), Ziff. 278; DSB, Chile – Price Band System (AB), Ziff. 176. 10
Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 291; IGH, Request for Interpretation of the Judgment of 11 June 1998 in the Case concerning the Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria), Preliminary Objections (Nigeria v. Cameroon), Urteil vom 25. März 1999, ICJ Rep. 1999, 31 (39, Ziff. 15). 11 12
Mani, IJIL 9 (1969), 381 (391). Gaffney, American University ILR 14 (1998-1999), 1173 (1195).
Grundsätze des Völkerprozessrechts
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ein faires Verfahren umfasst daneben auch das Recht auf ein zügiges Verfahren.13 Die Gleichheit der Parteien im Prozess ist Ausfluss der souveränen Gleichheit der Staaten und des hiermit verwandten Konsensprinzips.14 Bereits in frühen Schiedskommissionen wurde das Prinzip anerkannt.15 Auch der IGH hat die Bedeutung des Gleichheitsprinzips mehrfach betont.16 Jede Partei hat Anspruch auf gleiche Behandlung in Bezug auf die Präsentation ihrer Argumente und muss angemessen auf das rechtliche und tatsächliche Vorbringen der Gegenseite reagieren können.17 Die faktische Ungleichheit der Staaten zeigt sich jedoch auch im internationalen Prozess. Insbesondere haben nicht alle Staaten gleichermaßen Zugang zu finanziellen und fachlichen Ressourcen. Aus diesem Grund ist gerade im Bereich obligatorischer Streitbeilegungsmechanismen an ein zwischenstaatliches Äquivalent der Prozesskostenhilfe zu denken. Der VN-Generalsekretär hat daher 1989 einen Fonds zur Unterstützung von Entwicklungsländern in der Prozessführung eingerich-
13
IGH, Barcelona Traction Case (Second Phase), ICJ Rep. 1970, 3 (30, Ziff. 27): “[The Court] remains convinced of the fact that it is in the interest of the authority and proper functioning of international justice for cases to be decided without unwarranted delay.” 14
Sereni, Principi generali di diritto e processo internazionale (1955), 68; Faßbender, in: Walker (Hrsg.), Sovereignty in Transition (2003), 115 (137); Guinchard u.a., Droit processuel (2005), 886; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 9, der darin auch ein Naturrechtsprinzip sieht. 15
Französisch-Italienische Schiedskommission, Différend Industrie Vicentine Elettro-Meccaniche (I.V.E.M.), Beschluss No. 183 vom 7. März 1955, RIAA 13 (1964), 352 (367): «Au sens propre, le principe du contradictoire … signifie que l’accomplissement de cette fonction, en vue de dirimer la controverse qui lui est soumise, suppose l’octroi à la partie contre laquelle la demande est présentée de la possibilité d’intervenir et de prendre part aux débats.» Englische Übersetzung bei Seidl-Hohenveldern, AJIL 53 (1959), 853 (863). 16
Siehe nur IGH, Judgments of the Administrative Tribunal of the ILO upon Complaint made against the UNESCO, Gutachten vom 23. Oktober 1956, ICJ Rep. 1956, 77 (86); IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (26, Ziff. 31); IGH, Genocide Case (Further Preliminary Measures), ICJ Rep. 1993, 325 (337, Ziff. 21). Hierzu auch Negri, ICLR 5 (2005), 513 (522 ff.). 17
Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (131).
118
Kapitel 3
tet.18 Ähnliche Mechanismen gibt es im Rahmen des StSH und des WTO-Streitbeilegungssystems.19
II. Relevanz im Beweisrecht Im Bereich des Beweisrechts werden der Gleichheitsgrundsatz und das Recht auf rechtliches Gehör vor allem in Bezug auf die Beweisführung interessant. So merkte der IGH im Nicaragua-Fall an, dass die beweisrechtlichen Normen seines Statuts und der Verfahrensordnung zum Zwecke der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Rechtspflege (sound administration of justice) unter Beachtung der Gleichheit der Parteien entworfen worden seien.20 Jede Partei hat das Recht, ihre eigenen Beweismittel vollumfänglich in den Prozess einzuführen.21 Weiterhin kann die Partei alle Beweismittel der Gegenseite einsehen und hierzu Stellung nehmen.22 Daher ist es unzulässig, Beweismittel unter der Bedingung vorzulegen, sie sollten der gegnerischen Partei nicht übermittelt werden.23 Der Grundsatz bindet den internationalen Richter auch bei der Wahrnehmung seiner Befugnisse zur eigenen Tatsachenermittlung. So kann er keine amtswegige Beweisaufnahme unter Ausschluss einer Par18
Secretary-General’s Trust Fund to Assist States in the Settlement of Disputes through the International Court of Justice. Die Satzung des Fonds ist abgedruckt als Anhang zum Report of the International Court of Justice, Secretary-General’s Trust Fund to Assist States in the Settlement of Disputes through the International Court of Justice, Report of the Secretary General, UN Doc. A/47/444, 7. Oktober 1992. Dazu: Bekker, AJIL 87 (1993), 659. 19
StSH, Financial Assistance Fund for Settlement of International Disputes, Terms of Reference and Guidelines (as approved by the Administrative Council on December 11, 1995), Annual Report 105 (2005), Annex 5, S. 62. 20 21
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (39, Ziff. 59). Mani, IJIL 9 (1969), 381 (401).
22
Art. 43 Abs. 2 IGH-Statut. Für den EuGH: Plender, RdC 267 (1997), 9 (163). Siehe auch: Island of Palmas case (Netherlands v. USA), Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA 2 (1949), 831 (842); Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (539). 23
IUSCT, AHFI Planning Associates Inc. v. The Government of Iran, The Iran Housing Company, Ministry of Health and Social Welfare of the Government of Iran, Case No. 179, IUSCTR 3 (1983-II), 350. Siehe auch Art. 18 Abs. 1 DSU: McGovern, International Trade Regulation, § 2.2323 (Page 2.2335, Issue 19, October 2005).
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119
tei vornehmen oder deren Ergebnisse nur einer Partei mitteilen.24 Auch im Hinblick auf nicht fristgerecht eingereichte Dokumente wird das Prinzip relevant (vgl. Art. 52 IGH-Statut). Wenn das Gericht solche Dokumente akzeptiert, beschneidet es gleichzeitig die Möglichkeit der anderen Partei zur Stellungnahme,25 so dass ein Ausgleich geschaffen werden muss (Art. 56 IGH-VerfO).
B. Dispositionsgrundsatz Der zwischenstaatliche Prozess ist im Grundsatz kontradiktorisch und folgt der Dispositionsmaxime.26 Die Parteien, nicht das Gericht, verfügen über den Verfahrensgegenstand. Im deutschen Recht wird die Dispositionsmaxime allgemein als prozessrechtliche Spiegelung der dem materiellen Privatrecht zugrunde liegenden Privatautonomie eingeordnet. Diese findet ihre Entsprechung im materiellen Völkerrecht in der souveränen Gleichheit der Staaten. Die Geltung der Dispositionsmaxime folgt daher für internationale Gerichte bereits aus dem Konsensprinzip.27 In nationalen Verfahren, die der Offizialmaxime unterstehen, entscheidet dagegen das Gericht oder ein anderes hierfür zuständiges staatliches Organ (z.B. die Staatsanwaltschaft) über die Einleitung des Verfahrens, die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes, seine nachträgliche Erweiterung oder Einengung sowie die Beendigung des Verfahrens.28 Die Offizialmaxime gilt im Völkerrecht etwa in der internationalen Strafgerichtsbarkeit.29
24
Sereni, Principi generali di diritto e processo internazionale (1955), 75.
25
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 14. 26
Kazazi, Burden of Proof (1996), 28; Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 30; Lorenzmeier/Rohde, Völkerrecht – schnell erfasst (2003), 216. Für den EuGH: Lasok, The European Court of Justice, Practice and Procedure (1994), 365. 27
Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 524, 529. 28 29
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner-Dawin, § 86 VwGO, Rn. 13. Röben, Max Planck UNYB 7 (2003), 513 (520).
120
Kapitel 3
I. Verfahrenseinleitung: fehlendes Fallzugriffsrecht des Gerichts Aus dem Dispositionsgrundsatz ergibt sich, dass internationale Gerichte durchweg kein „Fallzugriffsrecht“ besitzen, also Verfahren nicht selbst einleiten oder sonst an sich ziehen können.30 Im Bereich zwischenstaatlicher Streitigkeiten existiert kein internationales Organ, das die Rechtsdurchsetzung vor Gericht eigenständig in die Hand nehmen könnte. Darin unterscheidet sich die zwischenstaatliche Streitbeilegung deutlich vom internationalen Strafrecht, in der der Ankläger Verfahren amtswegig einleiten kann (vgl. Art. 15 IStGH-Statut). Hiermit vergleichbar ist die Stellung der Europäischen Kommission in Streitigkeiten vor dem EuGH.31
II. Festlegung des Streitgegenstandes: ne ultra petita Im regulären streitigen Verfahren bestimmen die Parteien des internationalen Prozesses dessen Streitgegenstand. Abweichungen hiervon ergeben sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.32 Der Grundsatz ne eat iudex ultra petita partium besagt, dass die Parteien durch ihre Anträge den Umfang der richterlichen Prüfung bestimmen, das Gericht also nicht über den Streitgegenstand hinausgehende Feststellungen treffen darf.33 Die Bestimmung des Streitgegenstandes ist im Falle der einseitigen Anrufung des internationalen Gerichts zuvörderst Sache des Klägers und bei einer Widerklage auch die des Beklagten, im Falle einer konkret auf einen Fall bezogenen Schiedsvereinbarung die beider Par-
30
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 35. Anders noch der 1907 gegründete ZAGH, der in drei Fällen amtswegig handelte, dazu Hudson, International Tribunals, Past and Future (1944), 74. 31
Lenaerts/Arts, Procedural Law of the European Union (2006), Rn. 5-025. EuGH, Kommission ./. Frankreich, Rs. 167/73, Slg. 1974, 359 (169, Ziff. 15). 32 33
Siehe etwa Art. 75 Abs. 2 IGH-VerfO; Art. 89 Abs. 5 ISGH-VerfO.
Für das deutsche Recht: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 76, Rn. 3. Für den IGH: IGH, Corfu Channel Case, Urteil vom 15. Dezember 1949, ICJ Rep. 1949, 244 (249). Zum völkerprozessrechtlichen Streitgegenstandsbegriff siehe Finke, Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen (2004), 288 ff.; Reinisch, LPICT 3 (2004), 37 (61 ff.); Verhoeven, in: FS-Tomuschat (2006), 635 (646).
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teien.34 Für die Einreichung einer Klageschrift nach Art. 40 Abs. 1 IGH-Statut bestimmt daher Art. 38 Abs. 2 IGH-VerfO die Notwendigkeit eines bestimmten Antrags sowie der Angabe der Tatsachen und Gründe, auf die sich der Antrag stützt (ebenso Art. 24 Abs. 1, 54 Abs. 2 ISGH-VerfO). Hierdurch wird der Streitgegenstand bezeichnet (Art. 40 Abs. 1 S. 2 IGH-Statut, 24 Abs. 1 S. 2 ISGH-Statut). Das Prinzip ne ultra petita gilt auch vor dem IUSCT (Art. 18 IUSCTVerfO) und im Rahmen der WTO-Streitbeilegung. So ist anerkannt, dass Panels die Verletzung solcher Normen des WTO-Rechts nicht prüfen dürfen, die nicht von ihrem Mandat nach Art. 7 Abs. 1 DSU erfasst sind;35 ein Verstoß gegen diese Regel begründet einen schwerwiegenden Verstoß gegen Art. 11 DSU, der vor dem Appellate Body gerügt werden kann.36
III. Verfahrensbeendigung Die Parteien entscheiden auch autonom über die Beendigung des gerichtlichen Verfahrens.37 Insbesondere kann der Kläger seine Klage bei einseitiger Einleitung des Verfahrens zurücknehmen, wenn der Beklagte noch keine Prozesshandlungen vorgenommen hat (Art. 89 IGH-VerfO, 106 ISGH-VerfO). Die Parteien können den Rechtsstreit dem internationalen Gericht auch einvernehmlich entziehen. Dies gilt sowohl für den IGH, den ISGH, das IUSCT als auch für die WTO-Streitbeilegung.38
34
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 40; Shihata, The Power of the International Court to Determine its Own Jurisdiction, Compétence de la compétence (1965), 219. 35
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 156: “Panels are inhibited from addressing legal claims falling outside their terms of reference.” 36
DSB, Chile – Price Band System, Ziff. 173.
37
Dazu: Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987). 38
Art. 88 IGH-VerfO; 105 ISGH-VerfO; 34 IUSCT-VerfO. Siehe auch: Pauwelyn, Ohio State Journal on Dispute Resolution 19 (2003), 121 (130).
122
Kapitel 3
C. Öffentlichkeit des Verfahrens Internationale Gerichte operieren im Spannungsfeld zwischen öffentlichen Interessen, staatlichen Geheimhaltungsbedürfnissen und privaten Datenschutzforderungen.39 Daher ist die öffentliche Durchführung der Verhandlung keine Selbstverständlichkeit. Dennoch wird die Öffentlichkeit der Verhandlung mit Recht als ein Grundprinzip des internationalen Prozesses bezeichnet.40 Sie wurde erstmals konsequent in Verfahren vor dem StIGH verwirklicht41 und gilt auch heute im Verfahren vor dem IGH (Art. 46 IGH-Statut), dem ISGH (Art. 26 Abs. 2 ISGHStatut) sowie dem EuGH und EuG (Art. 21 EuGH-Satzung, 57 EuGVerfO). Besonders bedeutsam ist die Öffentlichkeit in menschenrechtlichen Verfahren (Art. 63 EGMR-VerfO; 14 Abs. 1 IAGMR-VerfO), da der sich verteidigende Staat hier unter besonderem Rechtfertigungsdruck steht, was eine abschreckende Wirkung haben und zur Verhinderung zukünftiger Verletzungen beitragen kann.42 Auch bei völkerstrafrechtlichen Verfahren ist die Öffentlichkeit der Verhandlung angeordnet (vgl. Art. 64 Abs. 7, 67 Abs. 1, 76 Abs. 4 IStGH-Statut). Anderes gilt für die Verfahren vor den WTO-Panels oder dem Appellate Body. Hier bestimmt Ziffer 2 des Anhangs 3 zum DSU i.V.m. Art. 12 Abs. 1 DSU, dass die Panelverfahren in der Regel nicht öffentlich sind.43 Aufgrund anhaltender Kritik hieran44 gibt es jedoch neuere Entwicklungen, die einzelne Verhandlungen ausnahmsweise der Öffentlichkeit zugänglich machen. 2005 wurde erstmals ein Panelverfahren im Hormonstreit öffentlich übertragen.45 Auch der sogenannte Suther-
39 Mackenzie, in: Treves u.a. (Hrsg.), Civil Society, International Courts and Compliance Bodies (2005), 295 (301). 40
Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (131). 41
Ebd., 132.
42
Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights (2003), 195. 43
Hierzu: DSB, US – Lead and Bismuth II (Panel), Ziff. 6.2.
44
Weiler, in: Porter u.a. (Hrsg.), Efficiency, Equity, and Legitimacy: The Multilateral Trading System at the Millenium (2001), 334 (343 f.); Reusch, Die Legitimation des WTO-Streitbeilegungsverfahrens (2007), 213. 45
DSB, US – Continued Suspension of Obligations in the EC – Hormones Dispute (WT/DS320); Canada – Continued Suspension of Obligations in the
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123
land-Report empfiehlt eine Öffnung der Panel- und Appellate BodyVerfahren für die Öffentlichkeit.46 Schiedsgerichtliche Verfahren sind der Öffentlichkeit ebenfalls nur selten zugänglich.47 Oft wird gerade die Vertraulichkeit des Verfahrens als Vorteil der schiedsgerichtlichen Streitbeilegung gesehen.48 Auch in institutionalisierten schiedsgerichtlichen Organisationen wie dem StSH und dem ICSID sind die Verfahren wie auch – mangels anderweitiger Parteivereinbarung – die Schiedssprüche nicht öffentlich. Regel 32 Abs. 2 ICSID-AR lässt (auch nach der Überarbeitung der Verfahrensregeln im Jahr 2006) eine Öffnung des Verfahrens nur zu, wenn keine Partei widerspricht. Art. 48 Abs. 5 des ICSID-Ü fordert zudem die Zustimmung der Parteien für die Veröffentlichung der Schiedssprüche; allerdings hat das ICSID nach Regel 48 Abs. 4 der ICSID-AR Auszüge aus den Gründen bekannt zu machen. Jedenfalls mit Hinblick auf die Schiedssprüche ist die Rechtswirklichkeit jedoch deutlich transparenzfreundlicher.49 Auch bildet sich im Schrifttum allmählich die Überzeugung heraus, dass gerade in Schiedsverfahren, die sich nicht in rein privatrechtlichen Streitigkeiten erschöpfen, sondern auch öffentlich-rechtliche, insbesondere umweltrechtliche Belange betreffen, Transparenz eine wesentliche Bedingung für die Effektivität der schiedsgerichtlichen Streitbeilegung darstellt.50 Auch die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, insbesondere im Rahmen der NAFTA und des ICSID trägt diesen Forderungen vermehrt Rechnung, wenn auch bisher nur in begrenztem Maße.51
EC – Hormones Dispute (WT/DS321), Communication from the Chairman of the Panel, WT/DS320/8; WT/DS321/8, 2. August 2005. 46
Sutherland u.a., The Future of the WTO, Addressing institutional challenges in the new millenium, Report by the Consultative Board to the DirectorGeneral Supachai Panitchpakdi (2004), 58 (Ziff. 262). 47
Siehe aus neuerer Zeit nur Art. 9 Abs. 4 des Schiedsvertrages der EritreaYemen Arbitration, abgedruckt in Permanent Court of Arbitration, The Eritrea-Yemen Arbitration Awards 1998 and 1999 (2005), 225; Art. 13 Abs. 5 der VerfO des Iron Rhine-Schiedsgerichts (abrufbar unter <www.pca-cpa.org>): “Hearings shall be held in camera.” 48 Für die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit: Trakman, Arbitration International 18 (2002), 1; Prütting, in: FS-Böckstiegel (2001), 629. 49 50 51
Tams/Zoellner, AVR 45 (2007), 217 (224 f.). Fortier, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 159 (163). Dazu Kapitel 4 D. IV. 5.
124
Kapitel 3
Aufgrund der unterschiedlichen Regelungen scheint es dennoch schwer, von einem allgemein geltenden Prinzip der Öffentlichkeit internationalgerichtlicher Verfahren zu sprechen.52 Insbesondere bei Schiedsgerichten ist die Öffentlichkeit der Verhandlungen eher die Ausnahme als die Regel. Die Entwicklungen gerade in der WTO deuten jedoch darauf hin, dass der Öffentlichkeit des Verfahrens größere Bedeutung gerade in institutionalisierten Streitbeilegungsmechanismen beigemessen wird.
D. Recht auf eine Entscheidung des Streitfalls I. Recht auf Entscheidung des Streitfalles Im Völkerprozessrecht gilt – wie in nationalen Rechtsordnungen53 – das Verbot der Justizverweigerung:54 “[I]t is the duty of the Court … to reply to the questions as stated in the final submissions of the parties.”55 Ein internationales (Schieds-)Gericht hat daher die Pflicht, den ihm von den Parteien unterbreiteten Fall zu entscheiden, und kann dies weder mit der Begründung der fehlenden Rechtskenntnis ablehnen,56 noch mit
52 53
Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 728. Dazu: Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht (1983), 275.
54
Neumann, ZaöRV 61 (2001), 529 (562); Orakhelashvili, ICLQ 56 (2007), 171 (172). Andererseits wird vertreten, dass die Nichtannahme einer Klage bzw. die Verweigerung der Entscheidung dann zulässig oder sogar geboten sei, wenn sich der Streit nicht mit den dem Gericht zur Verfügung stehenden prozessualen Mitteln lösen lässt und ein Urteil ohnehin nicht akzeptiert würde: Mosler, in: FS-Doehring (1989), 607 (620); Rasmussen, GYIL 29 (1986), 252 (276). 55
IGH, Request for Interpretation of the Judgment of November 20th, 1950, in the Asylum Case, Urteil vom 27. November 1950, ICJ Rep. 1950, 395 (402); IGH, Application for Review of Judgment No. 158 of the United Nations Administrative Tribunal, Gutachten vom 12. Juli 1973, ICJ Rep. 1973, 166 (207 f., Ziff. 87). Ähnlich heißt es in IGH, Case Concerning the Continental Shelf (Libya v. Malta), Urteil vom 3. Juni 1985, ICJ Rep. 1985, 13 (23, Ziff. 19): “The Court must not exceed the jurisdiction conferred upon it by the Parties, but it must also exercise that jurisdiction to its full extent.” Siehe auch Art. 42 Abs. 2 ICSID-Ü. 56
ILO Administrative Tribunal, Degranges v. International Labour Organization, 12. August 1953, ILR 20 (1953), 523 (530). Anders: Fastenrath, Lücken im Völkerrecht (1991), 275 ff.
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dem Einwand, über die Tatsachen nicht genügend informiert zu sein.57 Anschaulich zeigt dies auch Art. 3 Abs. 7 DSU, nach dem Ziel des Streitbeilegungsmechanismus der WTO die positive Lösung einer Streitigkeit ist. Daher haben die Parteien eines Rechtsstreits ein Anrecht auf die Entscheidung ihres Disputs.
II. Begründungsgebot Ein Begründungsgebot für Schiedssprüche ist bereits in Art. 52 der Konvention für die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten von 1899 sowie Art. 79 des I. Haager Abkommens von 1907 enthalten.58 Auch der Entwurf des Institut de droit international für das schiedsgerichtliche Verfahren von 1877 sieht eine solche Pflicht vor.59 Weitere ausdrückliche Begründungsgebote finden sich in Art. 30 Abs. 1 ISGH-Statut, Art. 56 IGH-Statut,60 Art. 36 der EuGH-Satzung,61 Art. 45 EMRK, Art. 66 IAGMR-Statut, Art. 12 Abs. 7 DSU sowie Art. 48 Abs. 3 ICSID-Ü.62 Das Begründungsgebot kann daher als all-
57
Dazu bereits Institut de droit international, Projet de règlement pour la procédure arbitrale internationale, Annuaire de l’Institut de droit international 1 (1877), 126 (131): Art. 19: «Le tribunal arbitral ne peut refuser de prononcer sous le prétexte qu’il n’est pas suffisamment éclairé soit sur les faits soit sur les principes juridiques qu’il doit appliquer. Il doit décider définitivement chacun des points en litige.» Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 34. 58
Art. 52 beschränkt diese Pflicht noch auf Schiedssprüche, die durch Mehrheitsentscheidungen zustande gekommen waren. 59 Institut de droit international, Projet de règlement pour la procédure arbitrale internationale, Annuaire de l’Institut de droit international 1 (1877), 126 (132): Art. 23: «La sentence arbitrale doit être rédigée par écrit, et contenir un exposé des motifs … .» 60 61 62
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Damrosch, Art. 56, Ziff. 8-26. Hierzu: Lenaerts, in: FS-Jean-Victor Louis, Bd. 1 (2003), 241 (249 f.).
Zu Art. 12 Abs. 7 DSU siehe: DSB, Mexico – Corn Syrup (Article 21.5 – US) (AB), Ziff. 107. Das Berufungsgremium ordnet die Begründungspflicht dem due process-Grundsatz zu.
126
Kapitel 3
gemeingültiger Rechtssatz des Völkerprozessrechts angesehen werden.63 Ist eine Begründungspflicht allgemein anerkannt, so ist weiterhin zu prüfen, ob sich diese auch auf die Beweiswürdigung bezieht. Besteht ein Instanzenzug, also die Möglichkeit der Überprüfung der Entscheidung durch ein höherrangiges Gericht, ergibt sich diese Notwendigkeit schon daraus, dass das Berufungsorgan auch Fehler in der Sachverhaltsermittlung und –feststellung in begrenztem Maße überprüfen kann.64 Das Statut des IStGH ordnet dies explizit an (Art. 74 Abs. 5 IStGH-Statut). Aber auch für die internationalen Gerichte ohne Instanzenzug (IGH, ISGH, IUSCT, EuGH als erstinstanzliches Gericht) bezieht sich die Begründungspflicht auf die Beweiswürdigung, auch wenn dies nicht ausdrücklich angeordnet ist: Beim Appellate Body der WTO ergibt sie sich aus der Funktion der Begründungspflicht, die das Berufungsgremium in Bezug auf die für Panels geltende Norm des Art. 12 Abs. 7 DSU herausgearbeitet hat. Demnach ist sie ein Erfordernis des fairen Verfahrens, wonach vor allem die unterlegene Partei ein Recht darauf hat, die Gründe für ihr Unterliegen zu erfahren.65 Der IGH und der ISGH haben die ein Begründungsgebot enthaltenden Normen ihres jeweiligen Statuts (Art. 56 Abs. 1 IGH-Statut, Art. 30 Abs. 1 ISGH-Statut) allerdings bisher nicht konsequent so ausgelegt, dass die Begründungspflicht auch die Beweiswürdigung bei der Entscheidung auf streitiger Tatsachenbasis umfasst.66 Art. 95 Abs. 1 IGH-VerfO und Art. 125 Abs. 1 (h) ISGH-VerfO bestimmen zwar, dass das Urteil ein „statement of the facts“, also einen Tatbestand enthalten muss, spezifizieren dies jedoch nicht weiter. Dies ist unter dem Gesichtspunkt des Sinn und Zwecks der Regelung bedenklich, der ja gerade in der Sicherung der Transparenz der Entscheidungsfindung, der Vertrauensbildung und letztlich der Förderung der Akzeptanz der Entscheidungen liegt.67 Daher ist auch
63
Delbez, Les principes généraux du contentieux international (1962), 123 f.; Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 800; von Mangoldt, in: FS Tübinger Juristische Fakultät (1977), 435 (457). 64 65 66 67
Für das EuG: Lenaerts, in: FS-Jean-Victor Louis, Bd. 1 (2003), 241 (249). DSB, Mexico – Corn Syrup (Article 21.5 – US) (AB), Ziff. 107. Crook, AJIL 98 (2004), 309 (311).
Alvarez, International Organizations as Law-makers (2005), 554; Jacob, MLR 59 (1996), 207; Merrills, International Dispute Settlement (2005), 319: “[I]t is not the fact of obtaining judgment which vindicates a claim, so much as the reasoning by which the decision is supported.”
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für den IGH und den ISGH von einer Begründungspflicht hinsichtlich der Beweiswürdigung auszugehen.68
68
So auch: Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (342): “The principle of free assessment of evidence does not absolve international courts and tribunals … from indicating in the final judgment how they reached their conclusions.”
Viertes Kapitel: Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Gericht und Parteien in der Tatsachenermittlung Gegenstand dieses Kapitels sind die Kompetenzen internationaler Gerichte und Schiedsgerichte in der Sachverhaltsaufklärung und ihre Abgrenzung zur Verantwortungssphäre der Parteien. Übergeordnete Fragestellung ist die Geltung einer diesbezüglichen Prozessmaxime im Völkerprozessrecht. Nach einer Einführung in den Streitstand und die Problemstellung (A.) sollen die amtswegigen Kompetenzen einzelner Gerichte überprüft werden (B. bis D.). Schließlich werden die Ergebnisse in einer Synthese verbunden und die kompetenzleitenden Grundsätze in einer Zusammenfassung dargestellt (E.). Bei der Untersuchung der amtswegigen Gerichtskompetenzen ist zu unterscheiden, wem gegenüber Gerichte Befugnisse in der Beweiserhebung ausüben können. Hier rücken naturgemäß zunächst Staaten ins Blickfeld (B.), wobei zwischen den Parteien des Rechtsstreits (B. I.) und Drittstaaten (B. II.) zu differenzieren ist. Weiterhin soll die Einbindung internationaler Institutionen in den Prozess der Tatsachenermittlung untersucht werden (C.), wobei im Einzelnen das Verhältnis zu zwischenstaatlichen internationalen Organisationen (C. I.) und zu anderen internationalen Gerichten und Schiedsgerichten (C. II.) sowie zu atypischen Völkerrechtssubjekten (C. III.) näher beleuchtet wird. An dritter Stelle werden Befugnisse gegenüber natürlichen und juristischen Personen des nationalen Rechts behandelt, wozu auch Nichtregierungsorganisationen gehören (D.).
A. Einführung in den Streitstand Ein zentrales Strukturprinzip jeder Prozessordnung – auch der internationalen – bildet das Verhältnis von Richterbank und Parteien in der Sachverhaltsaufklärung.1 Die nationalen Rechtsordnungen gestalten 1 Berger, in: FS-Schumann (2001), 27 (29); Bajons, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 815 (817).
M. Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 215, DOI 10.1007/978-3-642-11647-6_4, © by Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
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dieses Verhältnis unterschiedlich. Oft haben sich die das Verhältnis bestimmenden Grundsätze über einen langen Zeitraum im Wechselspiel zwischen Gesetzgebung und Praxis herausgebildet. Dies trifft auf den internationalen zwischenstaatlichen Prozess nicht zu. Die Statuten und Verfahrensordnungen internationaler Gerichte normieren zwar nicht nur Befugnisse zur Entscheidung über die Zulässigkeit der von den Parteien angebotenen Beweismittel,2 sondern oft auch zur eigenständigen Tatsachenermittlung und erlauben daher den Richtern eine aktive Gestaltung des Tatsachenermittlungsprozesses.3 Jedoch geben sie keine Auskunft über die konkrete Rollenverteilung oder die exakte Abgrenzung der Verantwortungssphären zwischen Gericht und Parteien.4 Ausnahmen finden sich allenfalls vereinzelt. So bestimmt Art. 8 Abs. 1 des Schiedsvertrages der Eritrea-Yemen Arbitration, dass “[t]he proceedings before the Tribunal shall be adversarial.”5 Die genauen Wirkungen dieser Festlegung bleiben jedoch ungeklärt. Deutlicher wird Art. 28 des Annexes B der Konvention zur Errichtung des Internationalen Zentralamerikanischen Tribunals von 1923, demzufolge “[t]he Tribunal shall not decree, ex officio, any proof upon questions, facts or circumstances which the parties shall not have stated or alleged in the complaint or answer thereto.”6 Hier wird eine klare Bindung des 2 Auf diese Befugnisse legt aber Highet, AJIL 81 (1987), 1 (6) den Schwerpunkt. 3
Sog. „fact-finding authority“, siehe Kazazi, Burden of Proof (1996), 165 ff. Für den IGH: Murphy, AJIL 99 (2005), 62 (73). 4
In Bezug auf den IGH: Peters, in: Delbrück (Hrsg.), International Law of Cooperation and State Sovereignty (2002), 107 (143, Fn. 157): “[N]either the Statute nor the Rules [of the ICJ] explicitly enshrine the inquisitorial principle … . It is therefore not entirely clear to what extent the Court is obliged to make its own investigation on facts which are not challenged by the other party.” Für die internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit: Cordero Moss, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Investment Law (2008), 1207 (1224). 5
Abgedruckt in Permanent Court of Arbitration, The Eritrea-Yemen Arbitration Awards 1998 and 1999 (2005), 222. 6
Convention for the Establishment of an International Central American Tribunal, AJIL 17 (1923), Supplement: Official Documents (No. 2), 83 (100). Eine Beschreibung dieses Nachfolgers des ZAGH findet sich bei Hudson, The Permanent Court of International Justice 1920-1942 (1943), 67 ff. Das Schiedsgericht sollte keinen permanenten Charakter haben, sondern sich nur im Bedarfsfall konstituieren. Die Vereinbarung trat am 12. März 1925 in Kraft; es wurde jedoch nie ein Schiedsgericht eingerichtet. Zum ZAGH wiederum siehe:
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Gerichts an den Tatsachenvortrag der Parteien ausgesprochen; allerdings ist die Norm in der Praxis nie angewandt worden. Mangels konkreter vertraglicher Festlegung bezeichnet man den internationalen Prozess sowohl im Bereich der zwischenstaatlichen Streitigkeiten als auch im Bereich des Strafprozesses häufig als Synthese von prozessrechtlichen Grundsätzen aus dem common und civil law,7 die Elemente beider als grundsätzlich gegensätzlich gedachten idealtypischen Verfahrensordnungen aufnimmt und fortentwickelt. Damit ist der internationale Prozess freilich noch nicht befriedigend beschrieben. Insbesondere bleibt unklar, wie sich diese Synthese im Einzelnen darstellt. Die genaue Einordnung der Prozessordnung jedes einzelnen Gerichts kann ebenso wie die Herausarbeitung verallgemeinerbarer Grundsätze letztlich nur auf Grundlage der relevanten Rechtstexte und der gerichtlichen Praxis geschehen und ist nicht abstrakt und rein deduktiv möglich.8 Der hierzu notwendige wertende Vergleich ist dennoch nur mit Hilfe eines abstrakten begrifflichen Instrumentariums möglich, welches sich aus einer rein induktiven Analyse selbst nicht ergeben kann. Zunächst soll daher in diesem Abschnitt, insbesondere durch eine systematische Ordnung der Diskussion in der Literatur, der begriffliche Rahmen möglicher Lösungen dargelegt werden. Danach ist mittels einer Analyse der einzelnen Prozessordnungen und der gerichtlichen Praxis zu untersuchen, ob bzw. welche in der Literatur und vereinzelt auch in der Rechtsprechung angebotenen Typisierungen zutreffen. Im Wesentlichen lassen sich drei Prozessmodelle generalisierend herausarbeiten, deren Charakteristika zunächst beschrieben und auf ihre Rezeption in der völkerprozessrechtlichen Literatur hin untersucht Allain, A Century of International Adjudication: The Rule of Law and its Limits (2000), 67 ff. 7
Lachs, in: Perelman/Foriers (Hrsg.), La preuve en droit (1981), 109 (114); Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (218). Zum Strafprozess siehe Cassese, International Criminal Law (2003), 366, 385 f., der die Entwicklung vom stark adversatorisch geprägten Strafprozess hin zu einem stärker hybriden Verfahrenssystem nachzeichnet. Orie, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2003), 1439 (1494). Siehe auch: Findlay, ICLQ 50 (2001), 26. 8
Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987), 31 f., der freilich in Fn. 28 die Möglichkeit gerichtsübergreifender Grundsätze insgesamt ablehnt.
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werden: das streng kontradiktorische Verfahren („adversarial principle“, I.), der Verhandlungsgrundsatz (II.), sowie die Inquisitionsmaxime (III.).
I. Streng kontradiktorisches Verfahren Im streng kontradiktorischen oder adversatorischen Modell fungiert das Gericht als am Prozessgeschehen weitgehend unbeteiligte Schiedsinstanz, deren alleinige Aufgabe die Urteilsfindung ist und der gerade bei der Tatsachenermittlung nur sehr begrenzte eigene Kompetenzen zur Verfügung stehen.9 Es ist also ein rein parteigetriebenes kontradiktorisches Verfahren, das sich kennzeichnet durch „the disciplined, systematic and above all adversarial presentation of arguments of fact and law [by the parties] upon which the respective cases rest and upon which the Court gives its decision“.10 Im tatsächlichen Bereich ist die Funktion des Gerichts auf die Überwachung der Beweisaufnahme und die Würdigung der von den Parteien unterbreiteten Beweismittel begrenzt.11 Sie setzt daher im Wesentlichen erst ein, wenn die Beweismittel bereits beim Gericht vorliegen. Allein die Parteien sind zur Substantiierung ihrer Anträge und zur Vorlage von Beweismitteln verpflichtet.12 Insbesondere besteht keine Pflicht zur amtswegigen Tatsachener9
Damaška, The Faces of Justice and State Authority: A Comparative Approach to the Legal Process (1986), 3. 10
Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 3 (2006), 1036. 11
Rosenne, The Law and Practice of the International Court, Bd. 2 (1965), 580. Weniger eng dagegen in der Auflage von 2006 (S. 1039). 12
So: Martha, Journal of International Arbitration 14 (1997), 67 (81 f.); Scobbie, LPICT 4 (2005), 421 (460): “[T]he parties themselves must take full responsibility for the presentation of their case and cannot expect any shortcomings to be made up by any judge.” Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 3 (2006), 1036: “The parties are responsible for the presentation of their cases, and the Court takes no active part in that aspect of the proceedings, beyond an occasional question for purposes of clarification.” Terrier, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1277 (1296): “[I]n an inter-State dispute – an arbitration panel or the International Court of Justice … [–] insufficiency of evidence is at the exclusive risk of the party lacking it. And the judge cannot seek to alleviate this insufficiency.” In diese Richtung auch: Jessup, AJIL 22 (1928), 735 (751); Reisman, Nullity and Revision (1971), 119:
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mittlung durch das Gericht.13 Dies ist der entscheidende Unterschied zum Untersuchungsgrundsatz („inquisitorial principle“).14 Durch den gerichtseinsetzenden Vertrag gegebene eigene Kompetenzen (etwa Art. 50 IGH-Statut) dürfte das Gericht bei strengem Verständnis dieses Grundsatzes in regulären streitigen Verfahren (im Gegensatz zu Säumnis- und Gutachtenverfahren) ohne Zustimmung beider Parteien daher nicht anwenden.15 Damit würden die vorhandenen Befugnisnormen zur Tatsachenermittlung zu reinen Zulässigkeitsvorschriften für einzelne Beweismittel reduziert. Art. 50 IGH-Statut etwa etablierte dann keine Befugnis des IGH, amtswegig ein Gutachten anzufordern, sondern bestätigte nur die Zulässigkeit des Sachverständigenbeweises, der immer nur auf Parteiantrag erfolgen könnte.16 Dementsprechend kann man die Rolle des internationalen Gerichts wie folgt zusammenfassen: “In litigation, parties are masters of the evidence: the court has a passive role. In the words of the traditional axiom of procedure, the court says to the party: da mihi factum, dabo tibi jus. The parties put forward facts and submit the evidence that they consider favourable to their claims, and the court takes them into consideration when making its decision (secundum allegata et probata). That is perfectly logical, because the purpose of the judgment is to decide as between the parties, and ‘it has no binding force except between the parties and in respect of that particular case.’ (Statute, Art. 59).”17 Die Annahme einer strikt kontradiktorischen Maxime für den internationalen Prozess liegt nahe, wenn man dessen Zweck allein in der Beile-
“[J]udges and arbitrators are expected to form their factual conclusions solely from the body of evidence adduced by the litigants.” 13 14
Rosenne, IDI Annuaire 70 I (2002-2003), 366 (371). Kirsch, ICLR 6 (2006), 275 (278, Fn. 15) für den Strafprozess.
15
In dieser Richtung: Rosenne, in: Heere (Hrsg.), International Law and The Hague’s 750th Anniversary (1999), 45 (46). 16
Siehe auch die Ausführung des Richters Nyholm in StIGH, Revision du règlement de la Cour, Ser. D, Add. No. 2, 117 f.; Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 365. Ihm folgend: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Torres Bernárdez, Art. 48, Rn. 68. 17
IGH, Western Sahara Case, sep. op. de Castro, ICJ Rep. 1975, 127 (138).
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gung der konkreten Streitigkeit zwischen den Parteien versteht.18 Damit stehen im Vordergrund der Schutz und die Wahrung der subjektiven Interessen der Parteien und nicht etwa die Einhaltung und Bewährung der objektiven Völkerrechtsordnung oder der Schutz von Werten der internationalen Gemeinschaft.19 Zwar ist aus allgemeinen Erwägungen heraus auch in kontradiktorischen Verfahren eine solide Tatsachengrundlage Voraussetzung für die Akzeptanz des Spruchs und somit auch der Lösung des Streites, jedoch kann als Ziel des Tatsachenfeststellungsprozesses nicht die Ermittlung und Feststellung einer „objektiven Wahrheit“ gelten. Ist das Ziel der Streitbeilegung erreicht, so ist auch der Verpflichtung beider Parteien nach Art. 33 VN-Charta und dem übergeordneten Interesse der Befriedung der betroffenen Staaten genüge getan. Aus dieser Sicht kann demnach nicht eingewendet werden, dass der internationale Prozess mit der Durchsetzung staatlicher Interessen gleichzeitig auch zur Konsolidierung und Fortbildung des Völkerrechts als objektiver Rechtsordnung beiträgt.20 Hierin ist allenfalls ein Reflex der primären Aufgabe des Völkerprozessrechts zu sehen, nicht aber ein selbständiger Zweck. Diese Sichtweise findet ihre Bestätigung in zahlreichen Aussagen internationaler Gerichte, die auf einen solchermaßen begrenzten Zweck der Streitbeilegung schließen lassen. Im Free Zones-Fall maß der StIGH etwa der internationalen gerichtlichen Streitbeilegung keine weitere Bedeutung bei als „simply an alternative to the direct and friendly settlement of … disputes between the Parties“ zu sein.21 Der IGH hat im Northern Cameroons-Fall nachdrücklich darauf hingewiesen, dass er seine Funktion nur in konkreten Rechtsstreitigkeiten ausüben könne,
18
Dies kann mit der „privaten Funktion“ internationaler Gerichte umschrieben werden: Brown, BYIL 76 (2005), 195 (229 f.). Siehe dazu auch: Iwasawa, JIEL 5 (2002), 287 (292 f.); Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 99. 19
Eine solche Ausrichtung des Prozesses zieht regelmäßig eine weniger intensive richterliche Intervention in den Tatsachenfeststellungsprozess nach sich: Damaška, The Faces of Justice and State Authority: A Comparative Approach to the Legal Process (1986), 119 ff. 20
Entsprechend für den deutschen Zivilprozess: Rosenberg/Schwab/ Gottwald, Zivilprozessrecht, 2004), Rn. 9. 21
StIGH, Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex (France v. Switzerland), Beschluss (Order) vom 19. August 1929, PCIJ Ser. A No. 22, 13.
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also dann, wenn die Interessen der Parteien konfligierten.22 Eine in die gleiche Richtung deutende Aussage findet sich auch im aktuellen Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall: “[T]he task of the Court must be to respond, on the basis of international law, to the particular legal dispute brought before it. As it interprets and applies the law, it will be mindful of context, but its task cannot go beyond that.”23 Auch die Anordnung vorsorglicher Maßnahmen vor dem IGH nach Art. 41 IGH-Statut dient nach dessen Rechtsprechung primär dem Schutz der Rechte der Streitparteien und nicht einem darüber hinausgehenden Zweck.24 Die gerichtliche Funktion wird damit auf den Ausgleich der Interessen zweier Parteien, also der Durchsetzung subjektiver Rechte, begrenzt und dient nicht der Verwirklichung der objektiven Rechtsordnung. Dies bestätigt, dass internationale Rechtsstreitigkeiten ihrer Struktur nach strikt bilateral sind.25 Schließlich beruht die Ausübung internationaler Gerichtsbarkeit auf der Zustimmung der Staaten.26 Für die primäre Verantwortung der Parteien für die Aufklärung des Sachverhalts im zwischenstaatlichen Verfahren spricht überdies, dass die Prozessparteien souveräne Staaten sind, die jede gerichtliche Einmischung in Tatsachenfragen tendenziell als Beeinträchtigung ihrer Souveränität empfinden mögen.27 Eine zu aktive Rolle des Gerichts könnte einen Verstoß gegen seine Neutralitätspflicht begründen oder jedenfalls 22
IGH, Case concerning the Northern Cameroons (Cameroon v. United Kingdom), Preliminary Objections, Urteil vom 2. Dezember 1963, ICJ Rep. 1963, 15 (33-34) (Hervorh. d. Verf.): “The function of the Court is to state the law, but it may pronounce judgment only in connection with concrete cases where there exists at the time of the adjudication an actual controversy involving a conflict of legal interests between the parties. The Court’s judgment must have some practical consequence in the sense that it can affect existing legal rights or obligations of the parties, thus removing uncertainty from their legal relations.” 23
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (190, Ziff. 26) (Hervorh. d. Verf.). 24
Ebd., 258, Ziff. 263.
25
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2 (2002), 884; Chinkin, Third Parties in International Law (1993), 148 f. 26 27
Combacau/Sur, Droit international public (2006), 597.
Valencia-Ospina, ILF 1 (1999), 202; Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 379.
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zu Misstrauen hinsichtlich seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit führen. Dies zöge letztendlich die Ineffektivität der Streitbeilegung nach sich und beeinträchtigte die Befriedungsfunktion des internationalen Gerichts.28 Außerdem stehen die Parteien in einem Verhältnis der Gleichrangigkeit zueinander, so dass kein besonderes Schutzbedürfnis im Sinne einer strukturellen Unterlegenheit bzw. Benachteiligung einer Partei besteht, das eine aktivere Rolle des Richters rechtfertigen kann, wie dies regelmäßig in völkerstrafrechtlichen oder menschenrechtlichen Verfahren der Fall ist.29 Für ein strenges adversarial principle sprechen neben rechtlichen Erwägungen auch rein praktische Gründe: Ein internationales Gericht besitzt in der Regel nicht die Kapazitäten, den Sachverhalt umfassend selbst zu ermitteln.30 Daher muss schon deshalb die Hauptverantwortung bei den Parteien liegen.
28
So: Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 4 (1986), 593 ff., insb. 595, sowie 637, der von einem principle of party initiative spricht, was einem streng verstandenen Verhandlungsgrundsatz entspricht. Ebenso: Cot, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), Le principe du contradictoire devant les juridictions internationales (2004), 35: «Il appartient au juge de veiller strictement à cette égalité souveraine … . En résultent les pouvoirs limités du président de la juridiction, le caractère accusatoire et non inquisitoire de la procédure, les modalités de l’administration de la preuve.» und S. 42: «L’intervention du juge est limitée par le caractère accusatoire de la procédure et le respect de la souveraineté des parties.» Diese Bedenken sieht auch IGH, Genocide Case (Merits), diss. op. Mahiou, Ziff. 58. Auch: Steinberger, in: Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law (Hrsg.), Judicial Settlement of International Disputes (1974), 193 (266), in Bezug auf den Vorschlag, dem IGH eine allgemeine, fallunabhängige Untersuchungskompetenz zu geben. Für das IUSCT: Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (108 f.): “[I]n the highly charged atmosphere of the Tribunal, orders for production of specified evidence may tend to become bones of contention and may be seen by some as efforts to help one party bolster its case.” 29
Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 4 (1986), 643 in Bezug auf die Beweislastverteilung. 30
Siehe schon Kapitel 1 B. II. 4. Auch: IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (25, Ziff. 30): “[T]he Court cannot by its own enquiries entirely make up for the absence of one of the Parties.” Diese Bedenken klingen bereits im Eastern Carelia-Fall an: StIGH, Status of Eastern Carelia, Ser. B No. 5, Gutachten vom 23. Juli 1923, 28 f.
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II. Verhandlungsgrundsatz Einer anderen Auffassung nach folgt der internationale Prozess dem Verhandlungsgrundsatz.31 Der Begriff Verhandlungsgrundsatz wird im Folgenden in Anlehnung an die deutsche Terminologie in dem Sinne gebraucht, dass die Beschaffung des Tatsachenstoffes in erster Linie, aber nicht ausschließlich Sache der Parteien ist, womit man auch von einem Beibringungsgrundsatz sprechen kann.32 In der französischen Rechtsterminologie steht ihm die das principe dispositif und accusatoire nahe,33 im schweizerischen Recht das principe des débats,34 im spanischen Recht das principio de aportación de parte.35 Im Grundsatz orientiert sich die Verhandlungsmaxime am adversatorischen Verfahren, erkennt dem Gericht jedoch weitere Kompetenzen zu. Unter Anerkennung der primären Verantwortung der Parteien zur Sachverhaltsaufklärung hat es eine materielle Prozessleitungspflicht. Diese erstreckt sich auch auf die Aufklärung der Tatsachenbasis, das Gericht hat also auch die tatsächliche Seite mit den Parteien zu erörtern.36 Der Richter hat ein Fragerecht und kann den Parteien die Klärung bisher nicht ausreichend behandelter tatsächlicher und rechtlicher Punkte aufgeben.37 Außerdem kann der Richter selbst aktiv Tatsachenermittlung betreiben.38 Entscheidend ist indes, dass dies in seinem Er-
31
Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 530; Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 722, 869; Hallier, Völkerrechtliche Schiedsinstanzen für Einzelpersonen und ihr Verhältnis zur innerstaatlichen Gerichtsbarkeit (1962), 71; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 43. 32
Stein/Jonas-Leipold, Vorb. § 128 ZPO, Rn. 146.
33
Schilling, Die „principes directeurs“ des französischen Zivilprozesses (2002), 171 f.: Tatsachenherrschaft der Parteien Aspekt des principe dispositif; Vincent/Guinchard, Procédure civile (2001), 479. 34
Kofmel Ehrenzeller, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 557 (560). 35
Acosta Estévez, El Proceso ante el Tribunal International de Justicia (1995), 91. 36
Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (535).
37
Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 302. Siehe auch: Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (85). 38
Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (196); Coussirat-Coustère/Eisemann, in:
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messen steht,39 und dass seine Befugnisse durch den Streitgegenstand und die tatsächlichen Behauptungen der Parteien begrenzt sind. Das Gericht kann daher von den Parteien nicht vorgetragene Tatsachen nicht selbst ermitteln und ist an unbestrittene Tatsachen gebunden: «[L]a Cour ne doit pas juger seulement secundum probata partium, parce qu’elle peut se renseigner par des enquêtes d’office; mais elle doit bien se limiter à juger secundum alligata partium parce que c’est toujours aux Parties de fixer les points de fait controversés et pertinents à la solution de leur affaire.»40 Im Gegensatz zum streng kontradiktorischen Modell ist nach dieser Ansicht die Rolle des internationalen Gerichts nicht auf die Ordnung und Überwachung der Beweisaufnahme sowie die Bewertung und Würdigung der Beweise beschränkt, geht jedoch auch nicht wesentlich darüber hinaus.41 Als Grund für eine aktivere Rolle des Gerichts lässt sich die Effektivität der Streitbeilegung anführen, wenn man nicht – wie die Befürworter des streng kontradiktorischen Verfahrens – die Neutralitätspflicht des Gerichts, sondern die möglichst umfassende Klärung der Tatsachengrundlage für die Lösung der Streitfrage als entscheidend ansieht.42 Dementsprechend interpretieren viele Stimmen aus dem Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (133). 39
Foster, CYIL 7 (1969), 150 (156); White, The Use of Experts by International Tribunals (1965), 9; Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 131; Sereni, Principi generali di diritto e processo internazionale (1955), 73 f. 40
Scerni, RdC 65 (1938 III), 565 (601). Ähnlich: Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (133); Acosta Estévez, El Proceso ante el Tribunal International de Justicia (1995), 35, 91. 41
Valencia-Ospina, ILF 1 (1999), 202; Lachs, in: FS-Elias (1992), 265 (266); Torres Bernárdez, in: Jiménez Piernas (Hrsg.), The Legal Practice in International Law and European Community Law (2007), 63 (77): “[U]nder the principle of initiative of the parties, it is up to the States parties to assemble factual material and produce it in the proceedings; the Court’s function is in principle confined to receiving and weighing that material, although it may additionally seek direct sources of information authorised by the Statute.” Ähnlich: Dumbauld, Interim measures of protection in international controversies (1932), 161 (Fn. 1). 42
Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (132): “Arbitration is more effective and efficient when the arbitrators actively seek to elucidate facts, rather than merely evaluate what the
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Schrifttum die Kompetenzen etwa des IGH in der Ermittlung von Tatsachen weit43 bzw. befürworten angesichts der Beweisschwierigkeiten gerade in komplexen Fällen eine aktivere Position des IGH.44 So resümiert Schwarzenberger, dass der Grundsatz der Parteiinitiative in Beweisfragen nach dem Statut nur stark eingeschränkt gelte: “In matters of evidence, the principles of party initiative and party equality are firmly subordinated in the Statute … to the Court’s discretionary powers. These powers are so dominant as to throw in doubt, at least in matters of evidence, the character of principles of the rules on party initiative and party equality.”45
III. Untersuchungsgrundsatz Der letzte Idealtyp einer völkerrechtlichen Prozessmaxime ist der Untersuchungsgrundsatz (Inquisitionsmaxime), dessen Geltung im zwischenstaatlichen Verfahren Teile der völkerrechtlichen Literatur befürworten.46 Zu den entscheidenden Charakteristika dieser Maxime gehört einerseits, dass das Gericht nicht an den Tatsachenvortrag der Parteien gebunden ist, also auch nicht behauptete und unstreitige Tatsachen berücksichtigen darf,47 und andererseits, dass eine Verpflichtung des Geparties choose to present.” Zur Bedeutung des Effektivitätsgrundsatzes als Auslegungsprinzip siehe: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 43 ff. 43
Combacau/Sur, Droit international public (2006), 597; Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (122). 44
Mathias, AJIL 100 (2006), 629 (642).
45
Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 4 (1986), 639. 46
Delbez, Les principes généraux du contentieux international (1962), 116, der von einem „devoir d’investigation d’office“ spricht. Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (98) bezeichnet es als zwingende Pflicht („le devoir impérieux [du juge] de procéder lui-même à des recherches où il puisera l’exacte représentation du fait litigieux“). Ebenso: Witenberg, RGDIP 55 (1951), 321 (335); Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 344: «[L]e tribunal a le devoir … de jouer un rôle actif dans la recherche des preuves.» 47
Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 110. Ähnlich: Bruns, Der Internationale Richter (1934), 20: „Das Gericht ist nach seinem Statut nicht auf die Prüfung des ihm von den Parteien unterbreiteten Prozeßstoffs beschränkt.“
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richts zur Wahrheitsermittlung besteht.48 Bejaht man die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes, kann das internationale Gericht das tatsächliche Geschehen nicht nur aus den Behauptungen und Beweismitteln der Parteien rekonstruieren, sondern darf und muss darüber hinausgehen.49 Ziel der Beweisaufnahme ist hiernach „l’établissement de la vérité objective“,50 also die Ermittlung und Feststellung der „objekti-
48
So insbesondere: Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (50 ff.), der vom „devoir imposé au juge de concourir à la recherche de la vérité“ spricht. Dagegen dezidiert: White, The Use of Experts by International Tribunals (1965), 8. Zum Untersuchungsgrundsatz im deutschen Recht siehe Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 77, Rn. 44; Schoch/Schmidt-Aßmann/PietznerDawin, § 86 VwGO, Rn. 17; Kaufmann, Untersuchungsgrundsatz und Verwaltungsgerichtsbarkeit (2002); Meyer-Goßner, Einl., Rn. 10 und § 244 StPO, Rn. 11. 49
So: Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (85). Auf S. 102 spricht Lalive explizit vom „principe d’inquisition“. Siehe auch: Chung, Legal Problems Involved in the Corfu Channel Incident (1959), 146 und StIGH, Affaire Oscar Chinn, Urteil vom 12. Dezember 1934, Ser. A/B No. 63, sep. op. Jonkheer van Eysinga, 131 (146-147): «[La] tâche [de la Cour] est de collaborer à l’établissement de la vérité objective. Certes, il appartient naturellement aux parties à un compromis d’apporter autant que possible la preuve de leurs assertions. … Mais, lorsqu’une partie s’est efforcée de fournir la preuve de ses allégations et reconnaît qu’elle n’a peut-être pas réussi, et lorsqu’elle suggère à la Cour d’appliquer l’article 50 de son Statut, la Cour doit avoir des raisons très fortes pour ne pas entrer dans cette voie, et cela d’autant plus si, comme en l’espèce, les faits à établir se sont tous produits en dehors du territoire de la partie qui les allègue. La Cour ne saurait omettre aucun moyen lui permettant d’atteindre la vérité objective; en matière des preuves, le Statut de la Cour prévoit, non pas une Cour passive, mais une Cour active.» Allerdings ist nach van Eysinga Voraussetzung einer Pflicht des StIGH ein Beweisantrag einer Partei. 50
Evensen, Acta scandinavica juris gentium 25 (1955), 44 (47); Reuter, Le développement de l’ordre juridique international (1995), 541; Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (196); Lachs, in: FS-Elias (1992), 265 (268); Kossi Galley, Revue de la recherche juridique – Droit prospectif 105 (2004), 2523 (2540). Für eine (begrenzte) Untersuchungspflicht auch: Plender, RdC 267 (1997), 9 (143). Nahe ebenfalls: Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (353) in Bezug auf die Aufgabe der Panels nach Art. 13 DSU („objective assessment“); Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 3: “The law of evidence in international tribunals gives much wider scope for the ascertainment of truth in the absolute sense.” Lachs, in: FS-van Panhuys (1980), 21 (38).
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ven“ bzw. „materiellen“51 Wahrheit. Dies erfordert eine stärkere Kontrolle des Gerichts über das gesamte Verfahren.52 Grundlage dieser Ansicht ist die Überlegung, dass sich die Funktion der internationalen Gerichtsbarkeit regelmäßig nicht in der Entscheidung über eine bilaterale zwischenstaatliche Streitigkeit erschöpft, in deren Zentrum der Ausgleich von staatlichen Partikularinteressen steht, sondern weit darüber hinausgeht: «[La] tâche [de l’arbitre] est d’ordre public international et dépasse beaucoup la conception périmée qui faisait du compromis d’arbitrage un contrat judiciaire et des arbitres les mandataires des parties. … La justice est affaire sociale avant que d’être satisfaction des intérêts litigieux des plaideurs.»53 Die besondere Rolle des Richters in der Aufrechterhaltung der internationalen öffentlichen Ordnung folgt nach dieser Ansicht aus dem objektiven Interesse an der Einhaltung der meisten völkerrechtlichen Verpflichtungen.54 Ziel des internationalen Prozesses ist nicht primär die Beilegung eines Streites zwischen zwei Parteien, sondern vielmehr die 51
So: Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 391, dies., The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 181. In diesem Sinne auch: Foster, CYIL 7 (1969), 150 (183): “The aim of international procedure must be to ascertain the substantial truth.” Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (1984), § 193 (S. 123). 52
Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987),
31. 53
Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (147). Ähnlich de lege ferenda: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 163: “The settlement of disputes in international law is distinctly a matter of public interest and is not simply in the nature of a private contest between the parties. There appears to be no good reason for not recognizing the general public interest in the settlement of international disputes by thus endowing tribunals with power to conduct investigations necessary to insure that cases submitted to them are decided on the basis of the facts as nearly as is possible.” 54
Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 382, 421; dies., The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 194; Doehring, Völkerrecht (2004), Rn. 1119 ff., insb. 1123. Ähnlich: Schindler, Die Schiedsgerichtsbarkeit seit 1914 (1938), 154 und Schindler, Revue de droit international et de législation comparée 52 (1925), 816 (853): internationale Streitbeilegung betrifft immer die Wahrung öffentlicher Interessen.
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Kapitel 4
Durchsetzung einer objektiven Rechtsordnung und von Werten der internationalen Gemeinschaft, da die im völkerrechtlichen Prozess betroffenen Interessen diejenigen der Parteien regelmäßig transzendieren.55 Interessanterweise dient gerade auch die Staatenqualität der Streitparteien als Argument, mit der unter Heranziehung des Grundsatzes der souveränen Gleichheit und des Konsensprinzip auch ein streng kontradiktorisches Prinzip begründet werden kann. Im Gegensatz zu einer Rechtsstreitigkeit zwischen Privaten beträfen zwischenstaatliche Streitigkeiten regelmäßig eine große Anzahl von Individuen, und das sowohl in als auch außerhalb der Staatsgebiete der Streitparteien.56
IV. Gang der Untersuchung Mit Hinblick auf die Klärung der für das Völkerprozessrecht maßgeblichen Prozessmaxime ist das Hauptaugenmerk in der folgenden Untersuchung auf diejenigen Faktoren zu richten, die charakteristisch für ein streng kontradiktorisches Verfahren, den Verhandlungs- oder den Untersuchungsgrundsatz sind. Dies sind vor allem die Befugnis des Gerichts zur Anleitung des Tatsachenermittlungsprozesses, die Möglich55
Iwasawa, JIEL 5 (2002), 287 (293) nennt diese Form des Gerichtsverfahrens „judicial supervision“; Brown, BYIL 76 (2005), 195 (230) und ders., A Common Law of International Adjudication (2007), 72 spricht in diesem Zusammenhang von der „public function“ der internationalen Gerichtsbarkeit. 56
Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (353 f.), der dies inbesondere für WTOStreitigkeiten herausstellt; Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 146, 191; Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 5. Für eine ähnliche Argumentation in Bezug auf die Zulassung von amicus curiae-Eingaben siehe ICSID, Aguas Provinciales de Santa Fe S.A., Sociedad General de Aguas de Barcelona S.A. and InterAguas Servicios Integrales del Agua S.A. v. The Argentine Republic, Case No. ARB/03/17, Order in Response to a Petition for Participation as Amicus Curiae, Beschluss vom 17. März 2006, Ziff. 18 (abrufbar unter <www.invest mentclaims.com>): “The factor that gives this case particular public interest is that the investment dispute centers around the water distribution and sewage systems of urban areas in the province of Santa Fe. Those systems provide basic public services to hundreds of thousands of people and as a result may raise a variety of complex public and international law questions, including human rights considerations. Any decision rendered in this case, whether in favor of the Claimants or the Respondent, has the potential to affect the operation of those systems and thereby the public they serve.” (Hervorh. d. Verf.).
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keit zum amtswegigen Tätigwerden in der Beweisaufnahme, die Bindung an das tatsächliche Vorbringen der Parteien und die Bindungswirkung der Beweisbeschlüsse des internationalen Gerichts. Dabei ist zwischen den verschiedenen Adressaten amtswegiger richterlicher Untersuchungsmaßnahmen zu differenzieren. Diesen werden die im internationalen Prozess gängigen Beweismittel zugeordnet, wobei deren Relevanz an dieser Stelle lediglich auf die Möglichkeit ihrer amtswegigen Erhebung und Berücksichtigung durch das Gericht beschränkt ist. Einzelheiten zum Verfahren werden an anderer Stelle behandelt.57
B. Kompetenzen des Gerichts gegenüber Staaten Bei der Untersuchung der Kompetenzen des internationalen Gerichts gegenüber Staaten bietet es sich an, zwischen den Streitparteien und Drittstaaten zu differenzieren. Bei einer strikt bilateralen Ausrichtung des Prozesses und der Geltung des adversatorischen Prinzips steht zu erwarten, dass Drittstaaten nicht in die Tatsachenermittlung einbezogen werden können.
I. Amtswegige Befugnisse gegenüber den Parteien des Rechtsstreits 1. Internationaler Gerichtshof Die für die Beweisaufnahme im streitigen Verfahren zentralen Normen finden sich in Art. 43 bis 53 IGH-Statut, die von der Verfahrensordnung ergänzt werden. Das Verfahren vor dem IGH gliedert sich in ein schriftliches und ein mündliches (Art. 43 Abs. 1 IGH-Statut). Grundsätzlich sind den Schriftsätzen alle zur Unterstützung der Anträge dienenden Urkunden und Schriftstücke beizugeben (Art. 43 Abs. 2 IGHStatut). Jeder Schriftsatz enthält den tatsächlichen Vortrag der Parteien (Art. 49 Abs. 1 IGH-VerfO). In der Klageerwiderung soll der Beklagte die im Klägerschriftsatz genannten tatsächlichen Behauptungen zugestehen oder bestreiten (Art. 49 Abs. 2 IGH-VerfO).
57
Kapitel 7 D.
144
Kapitel 4
(a) Prozessleitungskompetenzen Das IGH-Statut regelt die Rolle des Gerichtshofs in der Beweisaufnahme nur rudimentär in Art. 48, demzufolge der Gerichtshof Verfügungen zur Leitung des Verfahrens erlässt und „alle auf die Beweisaufnahme bezüglichen Maßnahmen“ trifft. Es handelt sich hierbei um eine verfahrensrechtliche Generalklausel.58 Art. 48 bildet in Verbindung mit den jeweiligen spezifischen Tatsachenermittlungskompetenzen die Grundlage für verfahrensleitende Verfügungen und Beschlüsse („orders“).59 Die Norm ist wörtlich dem Art. 48 StIGH-Statut entnommen, bei dessen Formulierung wiederum auf Art. 74 des I. Haager Abkommens von 1907 zurückgegriffen wurde.60 Die formelle Prozessleitung, insbesondere die Organisation der Beweisaufnahme, liegt damit weitgehend in der Verantwortung des IGH.61 Hierunter fällt etwa die Bestimmung von Fristen für die Beweisaufnahme. Art. 49 IGH-Statut geht auf Art. 44 der Haager Konvention von 1899,62 Art. 69 des I. Haager Abkommens von 190763 und schließlich auf den gleichlautenden Art. 49 des StIGH-Statuts zurück. Danach kann der Gerichtshof „von den Bevollmächtigten die Vorlage aller Urkunden und die Erteilung aller Auskünfte verlangen“. Diese Befugnis ist nach dem Wortlaut („schon vor Beginn der Verhandlung“) nicht auf die mündliche Verhandlung beschränkt und kann bereits im schriftlichen Vorverfahren, aber auch – insoweit nicht vom expliziten Wortlaut des 58
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Torres Bernárdez, Art. 48, Rn. 72: “If no particular rule exists, Art. 48 is applicable.”; Reisman, Nullity and Revision (1971), 599; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Torres Bernárdez, Art. 48, Rn. 17. 59
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Torres Bernárdez, Art. 48, Rn.
68. 60
Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 356. 61
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (14).
62
Art. 44 lautet: “The Tribunal can, besides, require from the agents of the parties the production of all Acts, and can demand all necessary explanations. In case of refusal, the Tribunal takes note of it.” 63
Art. 69 lautet: “The Tribunal can, besides, require from the agents of the parties the production of all papers, and can demand all necessary explanations. In case of refusal the Tribunal takes note of it.” Zu den Art. 44 und 69 siehe: Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 370 f.
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Art. 49 gedeckt – nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung ausgeübt werden.64 Art. 49 IGH-Statut etabliert zunächst ein allgemeines Fragerecht des Gerichts. In dieser Funktion wird er durch Art. 61 IGH-VerfO ergänzt.65 Er bezieht sich auf tatsächliche wie rechtliche Angelegenheiten. Sowohl der StIGH als auch der IGH haben von diesem Recht häufig Gebrauch gemacht.66 Anordnungen nach Art. 49 in Bezug auf Urkundenvorlagen und weitere Auskünfte kommen durchaus häufig vor.67 Allerdings stellen sich schon wegen der hohen Zahl der Richter sowie der engen Bindung der Bevollmächtigten (agents) und in noch stärkerem Maße der Rechtsbeistände (counsel) an die Vorgaben des sie beauftragenden Staates praktische Probleme bei der spontanen Ausübung des Fragerechts während des mündlichen Vortrags der Parteien. Unterbrechungen des Vortrags sind daher höchst selten;68 das Fragerecht wird aus diesem Grund oft schriftlich ausgeübt. Jedoch stellen die Richter durchaus auch Fragen direkt im Anschluss an das Plädoyer. 64
Art. 72 IGH-VerfO; Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 90; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 49, Rn. 14 f.; Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 375 f. Dazu auch unten Kapitel 7 C. III. 3. 65 Siehe dazu Guyomar, Commentaire du Règlement de la Cour internationale de Justice (1983), 401, die darauf hinweist, dass vor Einführung des Art. 61 IGH-VerfO bzw. seiner Vorgängernormen in der VerfO des StIGH und des IGH das Fragerecht des Gerichtshofs unmittelbar aus Art. 49 des Statuts hergeleitet wurde. So auch: Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 372; Zimmermann/Tomuschat/ Oellers-Frahm/Tams, Art. 49, Rn. 8 ff. 66
Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 374; Guyomar, Commentaire du Règlement de la Cour internationale de Justice (1983), 405. Auch: IGH, Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria, Equatorial Guinea intervening), ICJ Yearbook 56 (2001-2002), 298. 67 Während der StIGH vor 1931 vereinzelt Beweisanordnungen direkt gegenüber den Parteien traf (es war Aufgabe des Kanzlers, das Dossier zu vervollständigen), etablierte sich danach die Praxis, dass der Gerichtshof entsprechende Anregungen selbst formulierte und den Parteien über die Kanzlei zukommen ließ. Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 368, 373. 68
Watts, Max Planck UNYB 5 (2001), 21 (26); Zimmermann/Tomuschat/ Oellers-Frahm/Tams, Art. 49, Rn. 11; Jennings, in: FS-Oda, Bd. 2 (2002), 893 (902).
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Insbesondere Art. 61 Abs. 1 und Abs. 2 IGH-VerfO, nach denen der Gerichtshof jederzeit vor oder während der Verhandlung Punkte und Angelegenheiten bezeichnen kann, die bisher noch nicht ausreichend berücksichtigt wurden und bezüglich derer er weitere Erklärungen der Parteien wünscht, verdeutlicht, dass der IGH die Verhandlung im Sinne einer materiellen Prozessleitung führen kann. Insofern ähnelt die Situation der des § 139 ZPO; allerdings sprechen Art. 49 IGH-Statut und Art. 61 Abs. 1 und 2 IGH-VerfO nicht von einer Verpflichtung des Gerichts, sondern stellen die Leitung der Verhandlung in sein Ermessen.69
(b) Amtswegige Beweisaufnahme Der Gerichtshof kann den Parteien die Vorlage weiterer Beweismittel aufgeben.70 Art. 49 ist damit die zentrale Kompetenznorm für Beschlüsse zur Sachverhaltsermittlung. Sie wird durch Art. 62 IGH-VerfO für das Hauptsacheverfahren und Art. 79 Abs. 8 der IGH-VerfO für das Verfahren der vorgängigen Einreden konkretisiert.71 Art. 62 Abs. 1 IGH-VerfO erweitert die Gegenstände der Anordnung von den im Art. 49 IGH-Statut erwähnten Urkunden (document) auf alle Beweismittel (evidence).72 Der IGH darf allerdings nicht jenseits des Streitgegenstandes ermitteln (vgl. Art. 62 Abs. 1 VerfO: „any aspect of the matters in issue“ bzw. „tout aspect des problèmes en cause“).73 Nach dem
69
Bedjaoui, BYIL 71 (2002), 1 (9).
70
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 152; Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 156. 71
Art. 79 Abs. 8 IGH-VerfO lautet: “In order to enable the Court to determine its jurisdiction at the preliminary stage of the proceedings, the Court, whenever necessary, may request the parties to argue all questions of law and fact, and to adduce all evidence, which bear on the issue.” 72
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 49, Rn. 6. Art. 62 IGH-VerfO lautet: “(1) The Court may at any time call upon the parties to produce such evidence or to give such explanations as the Court may consider to be necessary for the elucidation of any aspect of the matters in issue. (2) The Court may, if necessary, arrange for the attendance of a witness or expert to give evidence in the proceedings.” Vgl. hiermit den entsprechenden Art. 54 IGHVerfO (1946): “The Court may request the Parties to recall witnesses or experts, or may call for the production of any other evidence on points of facts in regard to which the Parties are not in agreement.” 73
Schwarzenberger, International Law, Bd. 1 (1949), 426.
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Wortlaut kann die Kompetenz sowohl auf Antrag einer der Parteien als auch von Amts wegen ausgeübt werden.74
(aa) Urkunden Urkunden stellen traditionell das bedeutsamste Beweismittel in Verfahren vor dem IGH dar. Sicher ist, dass der IGH die Vorlage solcher Urkunden anordnen darf, auf die sich eine Partei bezogen hat und die sich in ihrem Besitz befinden. Dies ergibt sich bereits aus der Pflicht jeder Partei nach Art. 43 Abs. 2 IGH-Statut und Art. 49, 50 IGH-VerfO, die zur Unterstützung der tatsächlichen Behauptungen angeführten Schriftstücke und Urkunden dem Gerichtshof und der gegnerischen Partei spontan, d.h. ohne vorhergehenden Antrag einer Partei und unabhängig von einem Beschluss des Gerichts, zu übermitteln.75 Nach Art. 50 Abs. 1 IGH-VerfO sollen jedem Schriftsatz beglaubigte Kopien derjenigen Urkunden beigefügt werden, die die darin aufgestellten tatsächlichen Behauptungen stützen. Beispiel für eine amtswegige Anordnung (nach Art. 49 IGH-Statut und Art. 54 IGH-VerfO (1946)) zur Vorlage von Dokumenten, auf die sich eine Partei in ihren Schriftsätzen bezogen hatte, ist etwa der Corfu Channel-Fall.76 Die Befugnis zur Vorlageanordnung gilt auch für solche Urkunden, auf die sich eine Partei während der mündlichen Verhandlung bezieht.77 Fraglich ist, ob die Befugnis des IGH auf die von einer Partei selbst in Bezug genommenen und in ihrem eigenen Besitz befindlichen Urkunden begrenzt ist78 oder ob sie sich auch auf solche Dokumente erstreckt, 74
Mosk, RdC 304 (2003), 9 (96) scheint die amtswegige Nutzung auszuschließen. Ebenso deutlich: Neuner, in: Roggemann/Šarčević (Hrsg.), National Security and International Criminal Justice (2002), 163 (164, Fn. 3). 75 Andere Auslegung des Art. 43 Abs. 2 IGH-Statut bei Zimmermann/ Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 28. Siehe aber auch Rn. 57. 76
IGH, Corfu Channel Case, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Judgments of March 25th, 1948, April 9th and December 15th, 1949, Bd. 4, 428. Die Kompetenzgrundlage nennt der Gerichtshof nicht ausdrücklich. Wie hier: IGH, Corfu Channel Case, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Judgments of March 25th, 1948, April 9th and December 15th, 1949, Bd. 4, 563 (Sir Eric Beckett) und Carty, LPICT 3 (2004), 1. 77
Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 374. 78
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 99, der ein weiteres Recht internationaler Gerichte nur in Ausnahmefällen anerkennt.
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Kapitel 4
auf die eine Partei Bezug genommen hat, die sich aber im Besitz der anderen Partei befinden. Für eine Begrenzung spricht ein Vergleich des IGH-Statuts mit der I. Haager Konvention von 1907, in dem die Anordnungskompetenz des Gerichts (Art. 69) durch eine allgemeine Offenlegungspflicht der Parteien (Art. 75) ergänzt wird. Diese letzte fehlt jedoch im IGH-Statut, was auf eine begrenztere Kompetenz des IGH schließen lässt.79 Dem Wortlaut des Art. 49 IGH-Statut selbst lässt sich jedoch keine solche Beschränkung entnehmen. Daher kann der IGH auch dann die Vorlage amtswegig anordnen, wenn sich eine Partei auf eine Urkunde bezieht, diese sich jedoch in der Hand der anderen Partei befindet.80 Auch eine noch weitere Kompetenz des IGH ist dergestalt möglich,81 dass der Gerichtshof die Vorlage einer von keiner der Parteien in Bezug genommenen Urkunde anordnen kann und darüber hinaus auf frei und allgemein zugängliche Urkunden zurückgreifen darf. In der Praxis werden dies hauptsächlich Berichte internationaler Organisationen oder von Nichtregierungsorganisationen sein. Bereits im Wimbledon-Fall entschied der StIGH, dass er auf ihm vorliegende Dokumente zurückgreifen könne, obwohl sie nicht von den Parteien eingebracht worden waren.82 Im Nicaragua-Fall führte der IGH weiter aus, dass “[t]he declarations to which the Court considers it may refer are not limited to those made in the pleadings and the oral argument addressed to it in the successive stages of the case, nor are they limited to statements made by the Parties. … It is equally clear that the Court may take account of public declarations to which either Party has specifically drawn attention, and the text, or a report, of which has been filed as documentary evidence. But the Court considers that, in its quest for truth, it may also take note of statements of representatives of the Parties (or of other States) in international organizations, as well as the resolutions adopted or discussed by [in-
79
Reisman, Nullity and Revision (1971), 599 f.
80
So auch: Foster, CYIL 7 (1969), 150 (163). Zur Herausgabeanordnung auf Antrag einer Partei (discovery) siehe Kapitel 5 B. II. 2. 81 IGH, South West Africa Cases (Second Phase), diss. op. Jessup, ICJ Rep. 1966, 325 (348): “[T]he International Court of Justice does not limit itself to considering documents actually presented to it by counsel … .” 82 Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 368.
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ternational] organizations, in so far as factually relevant, whether or not such material has been drawn to its attention by a Party”.83 Der Gerichtshof stellte damit klar, dass er jedenfalls nach Art. 53 Abs. 2 IGH-Statut zum Rückgriff auf diese Instrumente unabhängig von der Bezugnahme oder Vorlegung durch eine Partei befugt ist. Ob diese Rechtsprechung auch außerhalb des Säumnisverfahrens anwendbar ist, bleibt jedoch fraglich. So griff der IGH im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall zwar auf frei zugängliche Berichte der International Crisis Group (ICG) zurück; hierauf hatten sich die Parteien allerdings bezogen.84 Man wird nach alledem aus der Rechtsprechung wohl keine allgemeine Regel des Inhalts herleiten können, dass Vorlageanordnungen hinsichtlich von den Parteien nicht in Bezug genommener Dokumente generell unzulässig seien. Dafür spricht neben der Nichtgeltung des Strengbeweises die offene Formulierung des Art. 49 IGH-Statut sowie die Tatsache, dass Art. 34 Abs. 2 S. 1 IGH-Statut den IGH ermächtigt, internationale Organisationen um Auskünfte zu ersuchen, und S. 2 dem IGH die Würdigung solcher Informationen gestattet, die eine internationale Organisation ihm sua sponte zur Verfügung stellt.85 Fordert man eine Bezugnahme, so ist der Begriff wie im deutschen Recht jedenfalls großzügig zu interpretieren.86 Es gilt die Aussage des damaligen Präsidenten des StIGH, Sir Cecil Hurst, im Rahmen der Beratungen zur Änderung der StIGH-VerfO, dass „Article 49 of the Statute [gives] the Court full power to call for the production of any document, at any stage of the proceedings“.87 83
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (44, Ziff. 72).
84
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (218 f., Ziff. 129; 220, Ziff. 135). 85
Dazu C. I. 2. (a).
86
Zur Regelung im deutschen Recht (§ 142 Abs. 1 ZPO): Zekoll/Bolt, NJW 55 (2002), 3129 (3130). 87
StIGH, Ser. D (1936), Acts and Documents Concerning the Organization of the Court, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th, 1936, 124. Mit dieser Bemerkung reagierte Sir Hurst auf die Anregung von Graf Rostworowski (a.a.O.): “[T]he Court should choose between two systems: the first would be to leave the entire responsibility for the submission of documents to the parties; the second would be to allow some initiative to the Court in the production of evidence, by empowering it to demand the production of a document proprio motu. … [T]he Statute appeared to intend the Court to play a very active part in the production of evidence.”
150
Kapitel 4
(bb) Augenschein und Ortsbesichtigung Kompetenznorm für die Ortsbesichtigung ist Art. 44 Abs. 2 IGHStatut, der durch Art. 66 IGH-VerfO ergänzt wird.88 Dabei begründet Art. 44 seinem Wortlaut nach die Befugnis zur Ortsbesichtigung streng genommen nicht, sondern setzt sie vielmehr voraus. Während früher umstritten war, ob hierdurch der Gerichtshof selbst in die Lage versetzt werden sollte, eine Ortsbesichtigung vorzunehmen, oder ob dies nur mit Hilfe einer nach Art. 50 IGH-Statut eingesetzten Expertengruppe zulässig sei,89 hat der Gerichtshof in der Praxis von beiden Möglichkeiten Gebrauch gemacht. Dass auch der Gerichtshof als solcher angesprochen ist, ergibt sich nunmehr zweifelsfrei aus Art. 66 der VerfO.90 Nach Art. 66 IGH-VerfO ist der Zweck der Ortsbesichtigung die „Erlangung von Beweisen“ („obtaining of evidence“, „l’établissement des preuves“). Damit ist die Ortsbesichtigung unzweifelhaft ein Beweismittel, nicht lediglich ein Hilfsmittel zur Beurteilung und Würdigung anderer Beweismittel.91 Dennoch lassen die Bestimmungen des Statuts und der VerfO auch solche Ortsbesichtigungen zu, die nicht mit der Beweiserhebung im engen Sinne verbunden sind.92 Der StIGH nahm eine Ortsbesichtigung erstmals im Diversion of Water from the Meuse-Fall vor.93 Obwohl der belgische Bevollmächtigte dies 88 89
Anders: Favoreu, AFDI 11 (1965), 233 (276, Fn. 180): Art. 48 IGH-Statut. Evensen, Acta scandinavica juris gentium 25 (1955), 44 (56).
90
Art. 66 IGH-VerfO lautet: “The Court may at any time decide, either proprio motu or at the request of a party, to exercise its functions with regard to the obtaining of evidence at a place or locality to which the case relates, subject to such conditions as the Court may decide upon after ascertaining the views of the parties. The necessary arrangements shall be made in accordance with Article 44 of the Statute.” 91
Meadows, LJIL 11 (1998), 603 ff. erklärt, dass die Ortsbesichtigung im Gabčíkovo-Nagymaros-Fall nur sehr bedingt als eine solche Beweisaufnahme charakterisiert werden kann. Ähnlich: Sachariew, ZaöRV 51 (1991), 895 (909), der den Augenschein als „Hilfsmittel“ bei der Tatsachenfeststellung und Entscheidungsfindung bezeichnet. 92 93
Rosenne, in: FS-Bedjaoui (1999), 461 (462).
Durch Beschluss vom 13. Mai 1937, StIGH, Urteil vom 28. Juni 1937, Ser. A/B No. 70, 9. Ein kurzes Protokoll der Ortsbesichtigung findet sich unter StIGH, Pleadings, Oral Statements and Documents, Ser. C No. 81, 222 ff. Siehe: Hudson, AJIL 31 (1937), 696 (697); Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (217). Dazu: Hudson, The Permanent Court of International Justice 1920-1942 (1943), 566 f.
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vorgeschlagen hatte, sah es der Gerichtshof nicht als Teil der Beweisführung der Partei, sondern als Anregung, den Sachverhalt selbst zu ermitteln.94 Bereits im Free Zones-Fall hatte der Kompromiss vorgesehen, dass ein oder mehrere Richter auf Gesuch einer Partei eine Ortsbesichtigung vornehmen sollten;95 dazu kam es jedoch nicht, weil der Gerichtshof sich nicht an das Gesuch Frankreichs gebunden fühlte.96 Im South West Africa-Fall lehnte der IGH ein Gesuch Südafrikas auf Ortsbesichtigung ohne ausdrückliche Begründung ab.97 Hintergrund der Entscheidung war wohl, dass dem Antrag von Klägerseite widersprochen worden war und die Gefahr einer Politisierung sowie aufgrund der Distanz zum Gerichtssitz einer Verzögerung des Verfahrens bestand.98 Im Land, Island and Maritime Frontier Dispute zwischen El Salvador und Honduras verzichtete der IGH ebenfalls auf eine Ortsbesichtigung.99 Das erste Mal machte der IGH im Gabčíkovo-Nagymaros-Fall von seiner Kompetenz Gebrauch.100 Damit folgte er der Einladung beider beteiligter Streitparteien, die die Modalitäten des Besuchs in einem Protokoll (Protocol of Agreement) festgelegt hatten. Nach umfangreicher Absprache mit und zwischen den Parteien erließ der Gerichtshof einen diesbezüglichen Beschluss nach Art. 44, 48 IGHDie Ortsbesichtigung wurde fälschlicherweise auf Art. 50 StIGH-Statut gestützt, siehe Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 50, Rn. 6. 94
Hudson, AJIL 31 (1937), 696 (697).
95
StIGH, Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex (France v. Switzerland), PCIJ Ser. A/B No. 46, 95 (99); Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 345 (Fn. 211). 96
StIGH, Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex (France v. Switzerland), PCIJ Ser. A/B No. 46, 95 (162 f.); Hudson, The Permanent Court of International Justice 1920-1942 (1943), 566. 97
IGH, South West Africa Cases (Second Phase), Beschluss (Order) vom 29. November 1965, ICJ Rep. 1965, 9. Auch: IGH, South West Africa (Second Phase), ICJ Rep. 1966, 6 (9). 98
Highet, AJIL 81 (1987), 1 (30); Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 346 ff.; Bedjaoui, in: FS-Seidl-Hohenveldern (1998), 1 (11). Zur Verzögerungstaktik Südafrikas: Favoreu, AFDI 11 (1965), 233 (256). 99
IGH, Case concerning the Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador v. Honduras: Nicaragua Intervening), Urteil vom 11. September 1992, ICJ Rep. 1992, 351 (361 f., Ziff. 22). 100
IGH, Gabčíkovo-Nagymaros Case, Beschluss (Order) vom 5. Februar 1997, ICJ Rep. 1997, 3 (5); IGH, Gabčíkovo-Nagymaros Case, ICJ Rep. 1997, 5 (13-14, Ziff. 10). Hierzu: Thouvenin, AFDI 43 (1997), 333 ff.
152
Kapitel 4
Statut i.V.m. Art. 31, 66 IGH-VerfO101 und besichtigte zwischen der ersten und zweiten Runde der mündlichen Verhandlung das hydroelektrische Staudammprojekt an der Donau. An einer amtswegig beschlossenen Ortsbesichtigung fehlt es bisher. Daher ist fraglich, ob der IGH die Ortsbesichtigung rechtlich bindend auch amtswegig ohne die Zustimmung einer (derjenigen, auf deren Territorium die Besichtigung durchgeführt werden soll) oder beider Parteien anordnen kann. Weder Art. 44 Abs. 2 des Statuts noch Art. 66 der VerfO setzen ein solches Einverständnis ausdrücklich voraus. Zwar gewährt letztere Norm den Parteien ein Anhörungsrecht, begründet jedoch kein Zustimmungserfordernis. Für ein solches spricht jedoch die Überlegung, dass die gerichtliche Ortsbesichtigung mit dem Instrument der Untersuchung (inquiry) verwandt ist, die allgemein als besonders intensiv in den domaine reservé eingreifend angesehen wird und daher als die „souveränitätsunfreundlichste“ Art der Durchsetzung internationaler Normen einzuordnen ist.102 Nach einer dies berücksichtigenden strengen Auslegung benötigt ein Gericht daher die Einwilligung jedenfalls des Territorialstaats.103 Hierfür spricht scheinbar die Praxis des StIGH und des IGH, denn im Diversion of Water from the Meuse-Fall und im Gabčíkovo-Nagymaros-Fall erfolgte die Ortsbesichtigung mit Einverständnis beider Parteien, in den South West Africa-Fällen unterblieb sie, nachdem die Kläger sie abgelehnt hatten. Art. 44 Abs. 2 IGH-Statut i.V.m. Art. 66 IGH-VerfO etablieren jedoch explizit eine amtswegige Kompetenz des Gerichtshofes. Diese Befugnis bestätigen die Parteien durch Unterwerfung unter das Statut bzw. die Unterbreitung des Falles im Einzelfall.104 Eine weitere Zustimmung der Parteien ist demnach nicht erforderlich.105 Dies wird durch den Unter101
Dazu auch: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Torres Bernárdez, Art. 48, Rn. 71. 102
Oeter, NYIL 27 (1997), 101 (107).
103
Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 896. Noch anders für den StIGH: Richter Beichmann und Anzilotti, StIGH, Acts and Documents Concerning the Organisation of the Court, Ser. D No. 2, Preparation of the Rules of Court (1922), 147: keine Befugnis des StIGH zur amtswegigen Ortsbesichtigung. 104
Bedjaoui, in: FS-Seidl-Hohenveldern (1998), 1 (2 f.); Rosenne, FSBedjaoui (1999), 461. 105
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Walter, Art. 44, Rn. 15; Favoreu, AFDI 11 (1965), 233 (276); Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (275).
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schied zwischen Art. 44 Abs. 2 IGH-Statut und Art. 28 IGH-Statut bestätigt; nach letzterer Norm ist für die Tagung von Kammern außerhalb Den Haags explizit die Zustimmung der Parteien nötig; der Text des Art. 44 Abs. 2 IGH-Statut enthält dieses Erfordernis nicht. Weiter kann der Gerichtshof nach den Art. 44 und 48 des Statuts von den Parteien unabhängig die Modalitäten der Ortsbegehung festlegen und unter Umständen auch während des Besuchs noch abändern.106 Ordnet der Gerichtshof die Ortsbesichtigung amtswegig an, sind die Parteien allgemein zur Sicherstellung des ungestörten Ablaufs107 sowie zur aktiven Kooperation mit dem Gericht verpflichtet.108 Aus praktischen Gründen wird der IGH freilich keine Ortsbesichtigung gegen den Willen der betroffenen Partei, auf deren Territorium sie stattfinden soll, durchführen können. Hier zeigt sich die notwendige Differenzierung zwischen Bindungswirkung und Durchsetzbarkeit prozessualer Entscheidungen.109
(c) Begrenzungen der Ermittlungstätigkeit Nach dem Dispositionsgrundsatz gilt, dass der IGH nur innerhalb des vom Kläger (bei einseitiger Verfahrenseinleitung ohne Widerklagen) bzw. den Parteien (bei Einleitung durch Kompromiss oder bei Widerklagen) festgelegten Streitgegenstandes tatsachenermittelnd und -feststellend tätig werden darf.110 Zuletzt hat dies der IGH im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall bestätigt: 106 107
Tomka/Wordsworth, AJIL 92 (1998), 133 (138). Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 124.
108
Für Untersuchungen, aber übertragbar auf Ortsbesichtigungen: Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (121). 109
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Walter, Art. 44, Rn. 15: “[T]he Court does not possess a power of enforcing its orders.” Zu dieser Unterscheidung sogleich unter (d). 110
IGH, Application For Review of Judgment No. 158 of the United Nations Administrative Tribunal, Gutachten vom 12. Juli 1973, ICJ Rep. 1973, 166 (206 f., Ziff. 85): “While the Administrative Tribunal under its Statute and in accordance with its jurisprudence examines the allegedly improper motivation of an administrative decision, and under its Rules of Procedure may arrange any measures of inquiry as may be necessary, it results from its character as ‘an independent and truly judicial body’ … that it can only proceed to inquiries of that kind on the basis of a plea from the aggrieved party … . Equally, it would
154
Kapitel 4
“[The Court] will make such findings of fact as are necessary for it to be able to respond [to the claims of the parties]. It is not the task of the Court to make findings of fact (even if it were in a position to do so) beyond these parameters.”111 Sicher ist, dass der Gerichtshof in Bezug auf streitige Tatsachen auch amtswegig Beweis erheben darf. Hingegen ist fraglich, ob der Gerichtshof an unstrittige und zugestandene Tatsachen innerhalb des Lebenssachverhalts gebunden ist und ob er auch nicht behauptete Tatsachen einbeziehen darf. Die den Art. 49 IGH-Statut konkretisierende Bestimmung der VerfO enthielt in der bis 1978 geltenden Fassung noch eine ausdrückliche Begrenzung der Ermittlungsbefugnisse des IGH auf Tatsachen „in regard to which the parties are not in agreement“.112 Dies spricht klar für eine Begrenzung der Ermittlungstätigkeit auf streitige Tatsachen.113 Während der Beratungen zur Änderungen der StIGH-VerfO im Jahr 1936 hielt Richter Fromageot diesen Zusatz im damaligen Art. 48 StIGHVerfO für überflüssig, woraufhin Richter Schücking bemerkte, dass eine Streichung des Satzes deshalb den Inhalt der Regel entscheidend verändere, weil “it would enable the Court, if circumstances required, to take any steps necessary to ascertain the objective truth, which the Court could not do with the text as now proposed.”114 Richter Anzilotti erwinot have been appropriate for the Court to proceed on its own to such an inquiry under Articles 48 to 50 of its Statute.” Siehe aber IGH, Nuclear Tests Case (Australia) ICJ Rep. 1974, 253 ff.; IGH, Nuclear Tests Case (New Zealand) ICJ Rep. 1974, 457 ff. als Beispiel für eine Durchbrechung des Dispositionsgrundsatzes. Hier gründete der IGH seine Entscheidung auch auf Tatsachen, die von den Parteien nicht behauptet worden waren und derbezüglich ihnen kein rechtliches Gehör gewährt worden war. Die Entscheidungen sind daher richtigerweise stark kritisiert worden und können kaum als Präzedenzfälle zur Herausarbeitung allgemeiner Grundsätze herangezogen werden. 111
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (200, Ziff. 57). 112
Zur Entwicklung der Vorschrift siehe Guyomar, Commentaire du Règlement de la Cour internationale de Justice (1983), 407 f. Die Vorgängernormen des Art. 62 IGH-VerfO sind Art. 54 der VerfO von 1946 und Art. 59 der VerfO von 1972. Die ab 1972 geltende Fassung der IGH-VerfO ist zu finden in ILM 11 (1972), 899 ff. 113 114
Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 51.
StIGH, Ser. D (1936), Acts and Documents Concerning the Organization of the Court, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th, 1936, 238.
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derte daraufhin, dass er eine Streichung ablehne, wenn damit eine Befugnis des Gerichtshofes zum Ausdruck gebracht werden solle, auch bei einer Einigung der Parteien über tatsächliche Fragen oder einem Geständnis zu ermitteln. Die Regel wurde schließlich samt dem fraglichen Zusatz beibehalten.115 1978 wurde die Norm mit der Einführung des bis heute unveränderten Art. 62 IGH-VerfO mit Hinweis auf Art. 48, 50 IGH-Statut neu gefasst.116 Insbesondere wurde der noch 1936 beibehaltene Zusatz „in regard to which the parties are not in agreement“ gestrichen. Lachs sieht darin die Ermächtigung des Gerichtshofs, ohne Rücksicht auf den Willen der Parteien nach der „objektiven“ Wahrheit zu suchen und damit auch nicht bestrittene oder nicht von den Parteien vorgetragene Tatsachen zu ermitteln.117 Jedoch spricht nach wie vor viel für die Begrenzung der Befugnisse des IGH auf strittige Tatsachen. So bestimmt der aktuelle Art. 49 der IGH-VerfO, dass die Klageschrift tatsächliche Behauptungen enthalten muss (statement of the relevant facts) und dass in der Klageerwiderungsschrift die in der Klageschrift behaupteten Tatsachen anerkannt oder bestritten werden müssen (Abs. 2).118 Diese Vorschriften legen nahe, dass nicht bestrittene Tatsachenbehauptungen vom Gericht akzeptiert werden können und müssen.119 Eine Bindung an den Tatsachenvortrag der Parteien fügt sich auch in die konsensbasierte Gerichtsbarkeit des IGH. 115
Guyomar, Commentaire du Règlement de la Cour internationale de Justice (1983), 409. 116
Ebd., 408.
117
Lachs, in: FS-van Panhuys (1980), 21 (38): “Thus, the Court is empowered to act – irrespective of the will of the parties to pursue the search for the objective truth.” Ebenso: Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 531, der den IGH befugt sieht, auch jenseits der von den Parteien aufgestellten tatsächlichen Behauptungen zu ermitteln, und Coulée, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), Le principe du contradictoire devant les juridictions internationales (2004), 7 (29 f.), nach der das IGH-Statut mit dem in nationalen Rechtsordnungen üblichen Grundsatz bricht, dass nicht behauptete Tatsachen nicht berücksichtigt werden dürfen. 118 119
Zum vergleichbaren Art. 62 Abs. 2 ISGH-VerfO siehe unten unter 2. (b).
Hierzu: Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (31 f.). Ebenso: Torres Bernárdez, IDI Annuaire 70 I (2002-2003), 377 (379): “Agreed facts, undisputed facts and admitted facts do not need to be proved by the alleging party.” Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 52; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 28.
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Kapitel 4
Auch Aussagen des IGH sowie einzelner Richter bestätigen die Möglichkeit der Parteien, Tatsachen in für den Gerichtshof bindender Weise unstreitig zu stellen. So deutete der IGH im Nicaragua-Fall an, dass die Berufung eines Staates auf Rechtfertigungsgründe ohne Bestreiten der tatsächlichen Voraussetzungen der Verletzungshandlung durchaus als Geständnis der haftungsbegründenden Tatsachen gewertet werden könne.120 Ähnlich heißt es im Border and Transborder Armed Actions Fall: “The existence of jurisdiction of the Court in a given case is however not a question of fact, but a question of law to be resolved in the light of the relevant facts. The determination of the facts may raise questions of proof. However the facts in the present case … are not in dispute; the issue is, what are the legal effects to be attached to them.”121 Zwar hat der IGH im Nicaragua-Fall betont, dass er nicht auf das von den Parteien in den Prozess eingeführte Tatsachenmaterial beschränkt sei;122 jedoch ist dies wohl nicht so zu verstehen, dass er damit eine über den tatsächlichen Parteivortrag hinausgehende Ermittlungsbefugnis statuieren wollte, sondern lediglich klarstellte, dass er jedenfalls im Rahmen eines Säumnisverfahrens auch von der erschienenen Partei nicht vorgelegte Beweismittel berücksichtigen dürfe bzw. seine ihm nach dem Statut gegebenen Kompetenzen ausüben dürfe.123 Auch finden sich entsprechende Bestätigungen in Sondervoten.124 Während der mündlichen Verhandlung ausdrücklich unstreitig gestellte Tatsachen sind demnach
120
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (44 f., Ziff. 74). Im vorliegenden Fall traf dies jedoch nicht zu. 121
IGH, Border and Transborder Armed Actions (Nicaragua v. Honduras), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 20. Dezember 1988, ICJ Rep. 1988, 69 (76, Ziff. 16) (Hervorh. d. Verf.). 122
IGH, Nicaragua Case (Merits), Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Rep. 1986, 14 (25, Ziff. 30; 44, Ziff. 72). 123 124
So auch: Verhoeven, in: FS-Tomuschat (2006), 635 (646).
IGH, Corfu Channel Case (Merits), diss. op. Azevedo, ICJ Rep. 1949, 78 (84), der auch eine Verabredung bezüglich des vom Gerichtshof anzuwendenden Rechts für unzulässig hält. Dies ist zweifelhaft, bestimmt sich die Kompetenz des Gerichts (jurisdiction) u.U. doch nach dem Kompromiss oder einer vertraglichen Schiedsklausel, die als eine solche Vereinbarung angesehen werden können. Wie hier: Schwarzenberger, International Law, Bd. 1 (1949), 428 (Fn. 63).
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ebenfalls als gegeben vorauszusetzen.125 Die Streitparteien können sich darüber hinaus ausdrücklich über die Existenz von Tatsachen bindend einigen.126 Damit bleibt festzuhalten, dass der IGH unstrittige Tatsachen nicht nachermitteln und seine Entscheidung nur auf die von den Parteien beigebrachten – also behaupteten – Tatsachen stützen darf.127
(d) Bindungswirkung der Beweisbeschlüsse nach Art. 49 IGH-Statut Die Frage der Bindungswirkung der Beweisanordnungen ist für die Effektivität der internationalen Streitbeilegung von Bedeutung.128 Nur unter der Voraussetzung der völkerrechtlichen Bindung ist ein Staat zur Durchführung des Beschlusses verpflichtet; sonst kann der Staat die Befolgung unter Hinnahme eventueller prozessualer Nachteile verweigern. Schließlich kommt eine Durchsetzung von prozessualen Entscheidungen durch den Sicherheitsrat (Art. 94 VN-Charta) oder im Wege der Gegenmaßnahme durch einzelne Staaten, insbesondere durch die gegnerische Partei, andernfalls nicht in Betracht. Den Beschlüssen des IGH wird bisweilen allgemein die bindende Wirkung abgesprochen.129 Diese oft nicht weiter begründete Auffassung mag sich daraus erklären, dass auch internationale Organisationen traditionell keine Befugnisse zur Schaffung bindenden Rechts hatten.130 Dies gilt auch heute noch in weiten Bereichen: So versteht Art. III Abs. 2 WTOÜ die WTO als Forum zur zwischenstaatlichen Diskussion, stattet sie aber nicht mit eigenen Kompetenzen aus.131 Ausnahme ist der VN-Sicherheitsrat, der nach Art. 25 VN-Charta bindende Beschlüsse fassen kann. So ist zu verstehen, dass Gerichte – über die Befugnis zum bindenden Urteilsspruch hinaus, der wiederum konzeptionell eher 125 Siehe: IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (207 f., Ziff. 82). 126
Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987), 136; Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 615; Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (133). Dazu auch: Kapitel 7 B. II. 2. (b). 127
So auch: Fasselt-Rommé, Parteiherrschaft im Verfahren vor dem EuGH und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (1993), 143. 128 129 130 131
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 49, Rn. 20. Schwarzenberger, International Law, Bd. 1 (1949), 434. Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 81 (147, Rn. 163). von Bogdandy, Max Planck UNYB 5 (2001), 609 (614 f.).
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Kapitel 4
rechtserkennend denn rechtsschaffend vorgestellt und daher leichter zu akzeptieren war – ebenfalls keine solchen Befugnisse haben sollten. Scheinbar für diese Ansicht spricht eine oft zitierte Passage des StIGH im Fall Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex. Dort entschied der StIGH im Zusammenhang mit Art. 48 StIGH-Statut, dass “orders made by the Court … have no ‘binding’ force (Article 59 of the Statute) or ‘final’ effect (Article 60 of the Statute) in deciding the dispute brought by the Parties before the Court”.132 Dies besagt jedoch lediglich, dass Beschlüsse keine Rechtskraftwirkung entfalten,133 wenn und soweit sie keinen rechtskraftfähigen Inhalt haben.134 Entsprechend hat der IGH den Beschlüssen über vorsorgliche Maßnahmen nach Art. 41 des IGH-Statuts im LaGrand-Fall klar die Verbindlichkeit zuerkannt.135 Auch die Bindungswirkung speziell der Beweisbeschlüsse des IGH wird in Frage gestellt.136 Die wissenschaftliche Diskussion leidet jedoch über weite Strecken unter der fehlenden Unterscheidung zwischen der Rechtsverbindlichkeit und der zwangsweisen Durchsetzungsmöglichkeit von Beschlüssen;137 diese Unterscheidung ist für das Verständnis 132
StIGH, Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex (France v. Switzerland), Beschluss vom 19. August 1929, PCIJ Ser. A No. 22, 13. 133
Sztucki, Interim Measures in the Hague Court (1983), 186 mit Fn. 217; Orrego Vicuña, ICC International Court of Arbitration Bulletin 10 (1999), 38 (39). 134 IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Weeramantry, ICJ Rep. 1993, 370 (383). 135
IGH, LaGrand Case, ICJ Rep. 2001, 466.
136
Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (98); Sarooshi, Max Planck UNYB 2 (1998), 141 (157, Fn. 43); Negri, I principi generali del processo internazionale nella giurisprudenza della Corte internazionale di giustizia (2002), 142 und jüngst: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 49, Rn. 21 sowie Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 106 und Biehler, Procedures in International Law (2008), 44. Ähnlich ist auch der fast gleichlautende Art. 69 der I. Haager Konvention von 1907 ausgelegt worden: Reisman, Nullity and Revision (1971), 599, der allerdings anerkennt, dass sich für diese Auslegung des Art. 69 kein Beleg in den travaux préparatoires findet. 137
IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Weeramantry, ICJ Rep. 1993, 370 (374): “[T]he lack of mechanisms for enforceability sometimes clouds discussions of the binding nature of the orders of this Court … .” Ebenso: Oellers-Frahm, Die einstweilige Anordnung in der internationalen Gerichtsbarkeit (1975), 108. In Bezug auf die Zusammenarbeitspflicht siehe auch Amerasinghe, IDI Annuaire 70 I (2002-2003), 139 (218): “The lack of spe-
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der internationalen Gerichtsbarkeit unerlässlich.138 Bereits in den Verhandlungen zur StIGH-VerfO wurde indes die Unterscheidung zwischen bindenden Anordnungen und Zwangsmitteln (pouvoirs de compulsion) getroffen und festgestellt, dass der Gerichtshof nicht über letztere verfüge.139 Aus den fehlenden Zwangsbefugnissen kann demnach nicht ohne Weiteres gefolgert werden, dass den Beschlüssen des IGH keine Bindungswirkung zukommt.140 Auch ist unbestritten, dass die Beschlüsse des IGH nach Art. 48 IGH-Statut verbindlich sind, soweit sie sich etwa auf Fristen und die Einbringung der Schlussanträge beziehen.141 Art. 49 IGH-Statut ist nach alledem anhand der allgemeinen Grundsätze der völkerrechtlichen Vertragsauslegung zu interpretieren. Erster Ansatzpunkt ist der Wortlaut der Norm (Art. 31 Abs. 1 WVK). Die englische Fassung des Art. 49 spricht von „call upon the agents“, was dem Oxford English Dictionary zufolge „[t]o appeal to, make direct application to (a person) for something or to do (something); to require, to make a demand upon“ bedeutet.142 Die ebenso authentische fran-
cific measures to enforce the collaboration of parties does not, however, affect the credibility of the collaboration rule as a general principle of international procedure. In international litigation, not all rules have sanctions attached to them such as those provided for under the complicated and technical rules of national law.” 138
Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 1 (2006), 199. 139
Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 369. 140 So aber: Highet, in: Damrosch, The International Court of Justice at a Crossroads (1987), 355 (357). Aus jüngerer Zeit: Rosenne, in: FS-Schachter (2005), 297 (301 f.), nach dem nur die Anordnung vorsorglicher Maßnahmen und Endurteile bindend sind: “The scope of all other decisions, whatever their form, is limited to the constitution and organization of the proceedings and does not go beyond that. … There are two forms of decision that have an effect going beyond the organization of the proceedings … and for which an obligation of compliance can arise – a decision indicating … provisional measures of protection and a judgment on the merits … .” (Hervorh. d. Verf.). 141
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Torres Bernárdez, Art. 48, Rn.
13. 142
Simpson/Weiner, The Oxford English Dictionary, “call, v.” (1989), 787 (sub 23.c.(a)).
160
Kapitel 4
zösische Version nutzt „demander aux agents“,143 was als „faire connaître à quelqu’un ce qu’on désire obtenir de lui“ umschrieben wird.144 Der Wortlaut gibt daher über die Bindungswirkung keine eindeutige Auskunft. Die gleichermaßen verbindlichen englischen und französischen Fassungen der IGH-VerfO („may call upon the parties to produce“ und „peut inviter les parties à produire“) lassen ebenfalls keinen eindeutigen Schluss zu. Die deutsche Übersetzung („kann verlangen“) legt hingegen den Schluss auf eine bindende Wirkung der Beweisanordnung nahe. Bei der Wortlautauslegung kann auf die Rechtsprechung des JStGH Bezug genommen werden, der Art. 49 IGH-Statut im Blaškić SubpoenaFall ausgelegt hat, um seine eigenen Tatsachenermittlungs- und -feststellungskompetenzen von denen des IGH abzugrenzen. In der (nicht rechtskräftigen) Entscheidung der Verfahrenskammer im Blaškić Subpoena-Fall stellt die Kammer in Bezug auf die Kompetenzen des IGH fest, dass der IGH zwar zweifelsfrei die Urkundenvorlegung in gegenüber den Staaten bindender Weise anordnen, jedoch die Anwesenheit von Zeugen oder die Beibringung von Urkunden nicht erzwingen könne.145 Die Kammer unterschied demnach zwischen Rechtsverpflichtung und Durchsetzbarkeit. Nach der Auslegung der Berufungskammer des JStGH ist die Formulierung des Art. 49 IGH-Statut jedoch nicht ver-
143
Die Authentizität der französischen und englischen Texte ergibt sich aus Art. 92 i.V.m. Art. 111 VN-Charta, Simma/Hilf (2002), Art. 111, Rn. 12. 144
Robert, Dictionnaire alphabétique et analogique de la langue française, Bd. 2 (1966), „demander“, S. 97. Das spanische „pedir“ deutet eher auf eine unverbindliche Auslegung hin. 145
JStGH, Trial Chamber II, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Decision on the Objection of the Republic of Croatia to the Issuance of Subpoena Duces Tecum, Beschluss vom 18. Juli 1997, Ziff. 53: “There is … no doubt that the ICJ can instruct States to provide documents and, should they not do so, it can take formal note of this fact. The sanction for non-compliance is thus the negative inference that may be drawn. … Croatia is correct in its assertion that the ICJ has no power to compel the attendance of witnesses or production of documents. However, since States are parties to matters before the ICJ, it is in their interests to comply, even with a ‘request’, in order to advance their claim fully and avoid the negative inference that may be drawn from noncompliance.”
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bindlich (couched in non-mandatory terms).146 Auch führt die Berufungskammer hinsichtlich ihrer eigenen Befugnisse aus: “The exceptional legal basis of Article 29 [ICTY Statute] accounts for the novel and indeed unique power granted to the International Tribunal to issue orders to sovereign States (under customary international law, States, as a matter of principle, cannot be ‘ordered’ either by other States or by international bodies).”147 Die Entscheidung stützt sich auf den Wortlaut von Art. 29 Abs. 2 JStGH-Statut, der sowohl von „order“ als auch von „request for assistance“ spricht. Dabei ist zu beachten, dass auch eine sprachlich weichere „request for assistance“ bindende Wirkung entfaltet und je nach Spezifizität der aufgegebenen Handlung nicht von einer „order“ unterschieden werden kann.148 Dass die Wortlautauslegung nicht immer allein zielführend ist, zeigt sich auch beim IStGH-Statut, dessen „Ersuchen“ nach Teil 9 des IStGH-Statuts unzweifelhaft bindend sind.149 Gleiches gilt für Art. 13 Abs. 1 DSU, dessen weiche Formulierung („should“) das Appellate Body nicht daran gehindert hat, den Beweisbeschlüssen der Panels bindende Wirkung zuzusprechen.150 Die Wortlautauslegung allein kann daher zu keinem eindeutigen Ergebnis führen. Auch aus dem systematischen Standort im Kapitel III des Statuts („Verfahren“) lässt sich kein Argument gewinnen, das gegen eine Bindungswirkung der Beweisanordnungen des IGH spricht.151 Die Charakteri146
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 62. Ähnlich: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 49, Rn. 21; Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 106. 147
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 26. 148
Max-Planck-Institute for Comparative Public Law and International Law, Max Planck UNYB 1 (1997), 349 (359). 149
Kreß, in: Grützner/Pötz (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen (2002), Vor III 26, Rn. 210. 150 151
Dazu unten 4. (d).
Szabó, LJIL 10 (1997), 475 (478). Es ist allgemein nicht überzeugend, einzelnen Teilen des Statuts den für Staaten und Streitparteien bindenden Charakter abzusprechen. Hierzu Lauterpacht, The Development of International Law by the International Court (1958), 254: “It cannot be lightly assumed that the Statute of the Court – a legal instrument – contains provisions relating to any
162
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sierung solcher Anordnungen als prozessual im Gegensatz zu materiell spricht nicht zwangsläufig gegen ihren verpflichtenden Charakter.152 Das Effektivitätsprinzip, letztlich ein teleologisches Argument, spricht jedoch für eine Verbindlichkeit. Die Möglichkeit zur Anordnung der Vorlegung von Beweismitteln soll die effektive und sachgerechte Ausübung der Funktionen des IGH sichern. Eine Voraussetzung hierfür ist ihre Verbindlichkeit.153 Die völkerrechtliche Bindungswirkung der nach Art. 49 IGH-Statut ergehenden Beschlüsse ist damit zu bejahen.154 Das Ergebnis wird bestätigt von der Rechtsprechung des WTO-Appellate Body zu Art. 13 DSU155 sowie der internationalen (gemischten) Schiedsgerichtsbarkeit. merely moral obligations of States and that the Court weighs minutely the circumstances which permit it to issue what is no more than an appeal to the moral sense of the parties.” 152
IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Weeramantry, ICJ Rep. 1993, 370 (376): “To view procedural measures as not binding on the parties is to enable the ground to be cut under the feet not only of the opposite party but also of the court itself.” 153
Zu einer parallelen Argumentation für die Verbindlichkeit von Beschlüssen des Sicherheitsrats über die Durchführung von Untersuchungen nach Art. 34 VN-Charta: Simma/Delbrück (1991), Art. 25 Rn. 12. Zum Effizienzprinzip als Auslegungsgrundsatz: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 43. 154
Ebenso: Hambro, in: FS-Wehberg (1956), 152 (170): “[N]obody would deny that the decisions taken by the Court under [Article 49 ICJ Statute] are binding on the parties.”; Schulte, Compliance with Decisions of the International Court of Justice (2004), 13 mit Fn. 23; Behboodi, JIEL 3 (2000), 563 (568, Fn. 13); Max-Planck-Institute for Comparative Public Law and International Law, Max Planck UNYB 1 (1997), 349 (363, 366): “[I]nternational courts and tribunals are normally empowered to issue legally binding requests under which States are under an obligation to produce certain documents.” (Hervorh. d. Verf). Auch: Orrego Vicuña, ICC International Court of Arbitration Bulletin 10 (1999), 38. Für die Praxis des StIGH siehe nur Thirteenth Annual Report of the Permanent Court of Justice (1936-1937), Ser. E, No. 13, 151: “It was held that … the Court could always insist on the production of any document under Article 49 of the Statute … .” (Hervorh. d. Verf.). Siehe auch Art. 15 Abs. 2 der ILC Draft Convention on Arbitral Procedure (1953), Report of the ILC, GAOR, 8th session, Supplement No. 9, UN Doc A/2456, ILC Yearbook 1953 II, 201 (210): “The parties shall co-operate with the tribunal in the production of evidence and shall comply with the measures ordered by the tribunal for that purpose.” 155
Dazu unten 4. (d).
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So bezeichnete ein ICSID-Tribunal im Fall Biwater Gauff die Wirkung von Vorlageanordnungen des Gerichts zutreffend als „an international legal obligation arising from the State’s consent [to arbitration]“.156 Ferner stimmt diese Auslegung mit Art. 94 Abs. 1 VN-Charta überein, der von „Entscheidungen“ des IGH spricht, also nicht nur für Endurteile (Abs. 2) gilt, sondern auch für solche Entscheidungen, die vorläufigen oder prozessualen Charakters sind.157 Auch Vorlageanordnungen nach Art. 49 IGH-Statut fallen daher unter den Begriff „Entscheidung“.158 Im IGH-Statut werden die Begriffe Urteil (judgment/arrêt) und Entscheidung (decision/décision) nicht synonym verwendet, so dass es auch für Art. 94 VN-Charta nahe liegt, die Begriffe nicht als gleichbedeutend auszulegen159 und zwischen der Bindungswirkung aller Entscheidungen des IGH (Abs. 1) und der Möglichkeit der Durchsetzung bzw. Vollstreckung nur für Endurteile (Abs. 2) zu unterscheiden.160 Beweisbeschlüs156
ICSID, Biwater Gauff (Tanzania) Ltd. v. United Republic of Tanzania, Case No. ARB/05/22, Procedural Order No. 2, Beschluss vom 24. Mai 2006, 8 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>). Ebenso: Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (383): “[A] party which has been ordered to produce evidence in its possession is under an obligation to do so.” 157
Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 472; Simma/Mosler/ Oellers-Frahm (2002), Art. 94, Rn. 1; Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 1 (2006), 207; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Oellers-Frahm, Art. 94 UN Charter, Rn. 5; IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Weeramantry, ICJ Rep. 1993, 370 (383). Anders offenbar noch: Simma/Mosler (1991), Art. 92, Rn. 1. Der IGH hat die Auslegung des Art. 94 Abs. 1 VN-Charta in diesem Punkt offen gelassen, siehe IGH, LaGrand Case, ICJ Rep. 2001, 466 (505, Ziff. 108). 158
Anders, allerdings ohne die Angabe von Gründen: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 105. 159
Anders: Cot/Pellet-Pillepich, Art. 94, Ziff. 15; Sztucki, Interim Measures in the Hague Court (1983), 290. 160
Hambro, in: FS-Wehberg (1956), 152 (168 f.); Schulte, Compliance with Decisions of the International Court of Justice (2004), 33, die bezüglich Art. 94 Abs. 1 den Begriff „compliance“ und Art. 94 Abs. 2 den des „enforcement“ einführt. Siehe auch die Argumentation Deutschlands im LaGrand-Fall in Bezug auf vorsorgliche Maßnahmen nach Art. 41 Abs. 1 IGH-Statut, die die Bindungswirkung vorläufiger Maßnahmen in die Verbindlichkeit prozeduraler Entscheidungen allgemein einordnet und auch auch auf Art. 49 IGH-Statut rekurriert: «34. b) [L]es mesures conservatoires ne sont pas des jugements mais ce sont des décisions. Et ces décisions sont à bien des égards très proches sinon tout à fait assimilables aux ordonnances que la Cour rend ‹pour la direction du procès, la détermination des formes et délais dans lesquels chaque partie doit fi-
164
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se teilen damit die allgemeine Bindungswirkung prozessualer Entscheidungen des IGH.161 Rechtskraftwirkung kommt ihnen jedoch nicht zu.162 Bindend sind daneben auch diejenigen Teile vorsorglicher Maßnahmen nach Art. 41 IGH-Statut, in denen der Gerichtshof den Parteien die Sicherung von Beweisen aufgibt.163
2. Internationaler Seegerichtshof Noch spärlicher als das IGH-Statut regelt das ISGH-Statut das vor dem ISGH anwendbare Verfahrensrecht, insbesondere die Beweisaufnahme. Dementsprechend ist das entscheidende prozessrechtliche Instrument die ISGH-VerfO.
nalement conclure› ou pour organiser ‹l’administration des preuves›, toutes mesures décisoires énoncées à l’article 49 de votre Statut. Ce sont, en d’autres termes, des décisions de procédure, non des décisions de jugement. Elles participent à l’administration de la justice, elles ne la rendent pas. [35.] Ainsi, décisions de procédure et non décisions de jugement, les mesures conservatoires sont bel et bien des décisions juridiques … . [37.] Pour conclure sur la nature juridique de cet acte juridique, on peut donc faire selon nous le bilan suivant: les mesures conservatoires sont à distinguer des jugements; elles sont bien des décisions juridiques, mais des décisions de procédure (même si elles peuvent elles-mêmes comporter un contenu substantiel). Leur caractère décisoire étant cependant impliqué par la logique de l’urgence et la nécessité de sauvegarder l’efficacité de la procédure, elles créent par conséquent des obligations proprement juridiques à la charge de leurs destinataires.» (IGH, LaGrand Case, CR 2000/27, 52 f., Ziff. 34-37 (Pierre-Marie Dupuy)). 161
Dazu: Guinchard u.a., Droit processuel (2005), 897; Delbez, Les principes généraux du contentieux international (1962), 116; Azar, L’exécution des décisions de la Cour Internationale de Justice (2003), 62 ff.; La Rosa, Juridictions pénales internationales, La procédure et la preuve (2003), 304; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Torres Bernárdez, Art. 48, Rn. 13. 162
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Torres Bernárdez, Art. 48, Rn.
13. 163
IGH, Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Mali), Beschluss (Order) vom 10. Januar 1986, ICJ Rep. 1986, 3 (9 (Ziff. 20), 12 (Ziff. B)); IGH, Case Concerning the Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria), Beschluss (Order) vom 15. März 1996, ICJ Rep. 1996, 13 (23 (Ziff. 42); 25 (Ziff. (4)) mit sep. op. Judge Ajibola, 35 (54). Dazu: Ruiz-Fabri/Sorel, Juris-classeurs de droit international, Bd. 4, Fasc. 217 (30. September 2001), 17 f. (Ziff. 73) sowie Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm/Oellers-Frahm, Art. 41, Rn. 21.
Kompetenzabgrenzung Parteien – Gericht
165
(a) Prozessleitungs- und Sachverhaltsermittlungskompetenzen Wie das IGH-Statut benennt auch das ISGH-Statut nur wenige explizite Kompetenzen des Gerichtshofs in Bezug auf die Beweisaufnahme.164 Art. 27 ISGH-Statut regelt die allgemeine Prozessleitungsbefugnis des ISGH. Danach erlässt der Gerichtshof „Verfügungen für die Führung des Prozesses, bestimmt die Form und die Fristen für die Einbringung der Schlussanträge durch jede Partei und trifft alle Maßnahmen, die sich auf die Beweisaufnahme beziehen“. Ähnlich wie Art. 48 IGH-Statut, dem er nachempfunden ist, gibt Art. 27 ISGH-Statut dem Tribunal hierzu weitreichende Kompetenzen.165 Er ist vom ISGH als materielle Prozessführungsbefugnis interpretiert worden, die insbesondere Hinweise auf von den Parteien weiter zu erläuternde Punkte einschließt.166 Hierin wird er durch Art. 76 Abs. 1 ISGH-VerfO ergänzt, der im Wesentlichen Art. 61 IGH-VerfO entspricht. Allerdings weicht er von seiner Vorbildnorm dahingehend ab, dass der ISGH die Parteien ausdrücklich auch darauf hinweisen kann, dass ein Punkt bereits in ausreichendem Umfang dargelegt worden ist.167 Diese Kompetenz hat trotz fehlender ausdrücklicher Normierung natürlich auch der IGH. Der ISGH hat von dieser Befugnis in einigen Fällen Gebrauch gemacht.168 Weiter spezifiziert wird diese sehr allgemein gehaltene Ermächtigung insbesondere durch Art. 77 ISGH-VerfO. Da die IGH-VerfO den Richtern bei der Ausarbeitung der ISGH-VerfO als Grundlage und Orientierung diente,169 ist nicht verwunderlich, dass die Norm wörtlich 164
Das ISGH-Statut ist Anlage VI des SRÜ. Zur Entstehungsgeschichte Treves, LJIL 11 (1998), 565. 165
Nordquist/Rosenne/Sohn (Hrsg.), United Nations Convention on the Law of the Sea 1982, A Commentary, Bd. 5 (1989), 388. 166
Eiriksson, The International Tribunal for the Law of the Sea (2000), 180.
167
Anderson, Art. 76, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 217. 168
Wolfrum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts (2006), Rn. 58; Anderson, Art. 76, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 217. Dabei handelt es sich im Einzelnen um: ISGH, “SAIGA” Case (Prompt Release), ITLOS Rep. 1997, 16 (20, Ziff. 19); ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Provisional Measures), ITLOS Rep. 1998, 24 (26, Ziff. 11); ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), ITLOS Rep. 1999, 10 (19, Ziff. 19); ISGH, Southern Bluefin Tuna Cases (Provisional Measures), ITLOS Rep. 1999, 280 (283 f., Ziff. 20). 169
Treves, LJIL 11 (1998), 565 (566).
166
Kapitel 4
dem Art. 62 der IGH-VerfO entspricht. Sie berechtigt den ISGH, von den Parteien jederzeit die Vorlage von Beweismitteln oder von Erklärungen zu verlangen, die für die Klärung der Sache vonnöten sind, oder selbst Informationen zu diesem Zweck zu ermitteln. Die Befugnis aus Art. 77 ISGH-VerfO kann auch schon während des schriftlichen Vorverfahrens und auch nach dem Ende der mündlichen Verhandlung in Anspruch genommen werden, obwohl die Vorschrift dem Teil III, Abschnitt B, Unterabschnitt 4 (mündliches Verfahren) zugeordnet ist.170 Für die Bindungswirkung der Beweisanordnungen des ISGH gelten ähnliche Überlegungen wie für das Verfahren vor dem IGH.
(b) Amtswegige Beweisaufnahme (aa) Urkunden Zwar nicht das ISGH-Statut selbst, wohl aber Art. 44 Abs. 2 ISGHVerfO enthält eine dem Art. 43 Abs. 2 IGH-Statut entsprechende Vorschrift, nach der dem Gerichtshof und der gegnerischen Partei alle zur Unterstützung der tatsächlichen Behauptungen notwendigen Urkunden zu übermitteln sind. Art. 63 Abs. 1 ISGH-VerfO, dessen Satz 1 Art. 50 Abs. 1 IGH-VerfO entspricht, verpflichtet die Parteien des Weiteren zur Beigabe beglaubigter Abschriften.171 Satz 2 stellt klar, dass sich diese Pflicht nicht auf solche Urkunden bezieht, die bereits veröffentlicht und für das Tribunal und die gegnerische Partei leicht zugänglich sind. Art. 66 ISGH-VerfO verpflichtet die Kanzlei des Gerichtshofs, die den Schriftsätzen beigefügten Urkunden an die gegnerische Partei zu übermitteln. Daraus ergibt sich, dass der ISGH jedenfalls diesbezüglich befugt ist, Vorlageanordnungen zu treffen. Darüber hinaus ist ebenso wie beim IGH ein Bezug der Parteien nicht notwendig: der ISGH kann auch solche Urkunden nach Art. 77 ISGH-VerfO verlangen, auf die sich keine Partei bezogen hat. Urkunden, die öffentlich zugänglich sind, darf er ebenfalls in die Beweiswürdigung einbeziehen.
170
Eiriksson, The International Tribunal for the Law of the Sea (2000), 171; Anderson, Art. 77, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 219. 171 Ziff. 3 und 4 der ISGH-Guidelines stellen diesbezüglich formale Regelungen auf.
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167
(bb) Augenschein und Ortsbesichtigung Nach Art. 81 ISGH-VerfO kann der Gerichtshof jederzeit auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen die Beweisaufnahme an einem Ort durchführen, auf den sich der Fall bezieht, nachdem die Parteien gehört worden sind.172 Diese Befugnis ergänzt die Kompetenz des Gerichts, an einem anderen Ort zu tagen und dort seine Aufgaben wahrzunehmen (Art. 1 Abs. 3 ISGH-Statut, 70 ISGH-VerfO).173 Bisher unternahm der ISGH noch keine Ortsbesichtigung.174
(c) Begrenzungen der Ermittlungstätigkeit Im Saiga-Fall machte der Seegerichtshof deutlich, dass er seine Tatsachenbeurteilung primär auf von den Parteien vorgebrachte Beweise stützt und mögliche eigene Tatsachenermittlungskompetenzen daher eher sparsam einsetzen wird.175 Die Tatsachenbeibringung ist daher auch vor dem ISGH vornehmlich Aufgabe der Parteien. So setzte der ISGH seine Befugnisse nach Art. 77 bisher nur einmal explizit ein.176
172
Art. 81 ISGH-VerfO lautet: “The Tribunal may at any time decide, at the request of a party or proprio motu, to exercise its functions with regard to the obtaining of evidence at a place or locality to which the case relates, subject to such conditions as the Tribunal may decide upon after ascertaining the views of the parties. The necessary arrangements shall be made in accordance with article 52.” 173
Eiriksson, The International Tribunal for the Law of the Sea (2000), 187; Anderson, Art. 81, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 229. 174
Anderson, Art. 81, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 229 (230). 175
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), ITLOS Rep. 1999, 10 (37, Ziff. 66). Ebenso: ISGH, “Grand Prince” Case, ITLOS Rep. 2001, 17 (44, Ziff. 92). Siehe dazu aber auch die Kritik: ISGH, “Grand Prince” Case, joint diss. op. Caminos, Marotta Rangel, Yankov, Yamamoto, Akl, Vukas, Marsit, Eiriksson and Jesus, ITLOS Rep. 2001, 66 (66, Ziff. 3). 176
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Provisional Measures), ITLOS Rep. 1998, 24 (38, Ziff. 37). Anderson, Art. 77, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 219 f. Im Grand Prince-Fall erbat überdies der Kanzler des ISGH von den Parteien die Vorlage zweier Dokumente, die in der Klageschrift erwähnt waren: ISGH, “Grand Prince” Case, ITLOS Rep. 2001, 17 (21 f., Ziff. 12).
168
Kapitel 4
Der ISGH ist ebenso wie der IGH in seiner Tatsachenermittlungstätigkeit begrenzt. Nach Ziff. 8 der ISGH-Guidelines soll eine Partei in ihrem Vortrag auf jede einzelne vom Gegner gemachte Tatsachenbehauptung eingehen, deren Wahrheit sie bestreitet.177 Schlichtes Bestreiten ist unzulässig. Hiermit wird eine dem § 138 Abs. 2 ZPO vergleichbare Erklärungslast des Gegners begründet.178 Die Norm ergänzt damit Art. 62 Abs. 2 ISGH-VerfO, der wiederum Art. 49 Abs. 2 IGH-VerfO entspricht.179 Nach Art. 62 Abs. 2 ISGH-VerfO soll der Schriftsatz der beklagten Partei ein Geständnis oder Bestreiten der im gegnerischen Schriftsatz behaupteten Tatsachen enthalten. Diese Vorschrift im Zusammenspiel mit Ziff. 8 der ISGH-Guidelines spricht dafür, dass Tatsachen behauptet werden müssen, damit der Gerichtshof hierüber Beweis erheben darf, und dass ihm die Ermittlung unbestrittener und nicht vorgetragener Tatsachen untersagt ist. Dieses Ergebnis liegt angesichts der Ähnlichkeiten zwischen den Verfahren vor dem ISGH und dem IGH auch nahe. Entsprechend trug St. Vincent und die Grenadinen im schriftlichen Vorverfahren zum Saiga-Fall vor, dass Guinea nach Art. 62 Abs. 2 der VerfO so behandelt werden müsse, als habe es alle diejenigen Tatsachen zugestanden, die Saint Vincent in seiner Klageschrift behauptet und die Guinea in seiner Erwiderung nicht bestritten hatte. Bezug wurde auch auf das Prinzip qui tacet consentire videtur si loqui potuisset ac debuisset genommen.180 Der ISGH ging hierauf im Urteil jedoch nicht ein.
3. Iran-US Claims Tribunal Die Masse der vom IUSCT entschiedenen Fälle gehört zur gemischten Schiedsgerichtsbarkeit, betrifft also geschäftliche Beziehungen zwischen Privaten und einem Staat (Iran). Die Gerichtsbarkeit des Tribunals erstreckt sich nur auf wenige zwischenstaatliche Konstellationen, nämlich 177
“A party should in its pleading deal specifically with each allegation of fact in the pleading of the other party of which it does not admit the truth; it will not be sufficient for it to deny generally the facts alleged by the other party.” 178
Zu § 138 Abs. 2 ZPO siehe etwa Zöller/Greger, § 138 ZPO, Rn. 8 ff. Zur Substantiierungspflicht siehe auch Kapitel 7 B. II. 1. (c). 179
Rao, IJIL 38 (1998), 371 (377); Caminos, Art. 62, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 177 (179). 180
Eiriksson, The International Tribunal for the Law of the Sea (2000), 165.
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169
Auslegungsfragen (sogenannte „A claims“) nach Art. II Abs. 3 und Art. VI Abs. 4 der Claims Settlement Declaration181 sowie Streitigkeiten über Kauf- oder Dienstverträge („intergovernmental claims“, sogenannte „B claims“) nach Art. II Abs. 2 der Claims Settlement Declaration.182 Bisher wurden 20 „A Claims“ und 72 „B Claims“ entschieden.183 Die beweisrechtlich relevanten Entscheidungen des IUSCT betreffen dementsprechend, wenn auch nicht ausschließlich, so doch hauptsächlich Fälle unter Beteiligung einer privaten Partei. Dennoch rechtfertigt sich die Einbeziehung des Tribunals in die vorliegende Untersuchung in mehrfacher Hinsicht. Zum einen handelt es sich um ein genuin internationales Gericht, also nicht um ein privates Schiedsgericht.184 Das anwendbare Verfahrensrecht, insbesondere das Beweisrecht, ist demnach völkerrechtlicher Natur.185 Auch rekurriert das IUSCT in beweisrecht181
Abgedruckt in ILM 20 (1981), 230. Vgl. auch Art. II Abs. 3 der Claims Settlement Declaration sowie Ziff. 16 und 17 der General Declaration. 182 Art. II Abs. 2 der Claims Settlement Declaration lautet: “The Tribunal shall also have jurisdiction over official claims of the United States and Iran against each other arising out of contractual arrangements between them for the purchase and sale of goods and services.” 183
IUSCT, Communiqué No. 07/3, 11. Juli 2007, S. 2, abrufbar unter <www.iusct.org>. 184
IUSCT, Islamic Republic of Iran v. United States of America (Case No. A27), Award No. 586-A27-FT, 5. Juni 1998, IUSCTR 34 (1998), 39 (58, Ziff. 58); Kazazi, Burden of Proof (1996), 18. Im Ergebnis ebenso: Lloyd Jones, Virginia JIL 24 (1984), 259 (267 ff.); Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht (2007), § 8, Rn. 6. Beide betonen jedoch die Nähe zur privaten Schiedsgerichtsbarkeit. Dazu auch: IUSCT, Case A-18, Beschluss (decision) vom 6. April 1984, IUSCTR 5 (1984-I), 251 (261): “While this Tribunal is clearly an international tribunal established by treaty and while some of its cases involve disputes between the two Governments and involve the interpretation and application of international law, most disputes … involve a private party on one side and a Government or Government-controlled entity on the other … . In such cases it is the private right of the claimant, not of his nation, that are to be determined by the Tribunal.” 185
IUSCT, W. Jack Buckamier v. The Islamic Republic of Iran, ISIRAN/Army, Tehran Redevelopment Corporation, Bank Mellat, Hejrat Branch, Case No. 941, Urteil vom 6. März 1992, IUSCTR 28 (1992), 53 (75, Ziff. 67): “As an international Tribunal established by agreement between two sovereign States, the Tribunal cannot, in the field of evidence as in any other field, make domestic rules or judicial practices of one party prevail over the
170
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lichen Fragen oft auf die Rechtsprechung zwischenstaatlicher Gerichte, wendet ihre Grundsätze an und entwickelt sie fort. Darüber hinaus repräsentieren die Vereinigten Staaten und Iran zwei verschiedene Prozessrechtskulturen, was die vom Tribunal gefundenen beweisrechtlichen Lösungen für die Entwicklung allgemeiner Standards interessant macht.186 Schließlich lassen die noch ausstehenden zwischenstaatlichen Verfahren auch beweisrechtliche Schwierigkeiten erwarten,187 in denen das Gericht aller Voraussicht nach auf seine bereits entwickelte beweisrechtliche Rechtsprechung zurückgreifen wird. Die Algier-Erklärungen, also die General Declaration und die Claims Settlement Declaration, regeln das vom Tribunal anzuwendende Verfahrensrecht nicht. Art. III Abs. 2 der Claims Settlement Declaration verweist das Gericht auf die UNCITRAL-Regeln.188 Nach einigen wenigen Änderungen gegenüber den UNCITRAL-Regeln verabschiedete das Tribunal die Verfahrensordnung vorläufig am 9. März 1982 und ohne weitere Modifikationen am 3. Mai 1983.189 Die bedeutendsten Änderungen betreffen institutionelle Fragen, nicht das eigentliche Verfahrensrecht.190 Für das Beweisrecht relevant sind insbesondere die Art. 24 und 25 IUSCT-VerfO, obwohl auch sie lückenhaft sind.191
rules and practices of the other, in so far as such rules or practices do not coincide with those generally accepted by international tribunals.” 186 187
Darauf weist hin: Kazazi, Burden of Proof (1996), 19. Dazu: Weiner, LPICT 6 (2007), 89 (90 ff.).
188
Art. III Abs. 2 lautet: “Members of the Tribunal shall be appointed and the Tribunal shall conduct its business in accordance with the arbitration rules of the United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) except to the extent modified by the Parties or by the Tribunal to ensure that this Agreement can be carried out.” 189
Final Tribunal Rules of Procedure, abgedruckt in: IUSCTR 2 (1983-I), 405 ff. Zur Entstehungsgeschichte der VerfO siehe Brower/Brueschke, The Iran-United States Claims Tribunal (1998), 16 ff. und Holtzmann, in: Caron/ Crook (Hrsg.), The Iran-United States Claims Tribunal and the Process of International Claims Resolution (2000), 75. 190
Brower/Brueschke, The Iran-United States Claims Tribunal (1998), 17. Siehe auch die Einschätzung von Daillier/Ghérari/Robert/Müller, AFDI 47 (2001), 283 (304). 191 Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 574 (566).
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(a) Prozessleitungs- und Sachverhaltsermittlungskompetenzen Nach Art. 15 Abs. 1 IUSCT-VerfO kann das Tribunal das Schiedsverfahren unter Achtung der Gleichheit der Parteien und der Wahrung des Rechtes der Parteien auf rechtliches Gehör so führen, wie es dies für angemessen hält. Art. 24 Abs. 3 IUSCT-VerfO gewährt dem Tribunal die Befugnis, Beweisanordnungen zu treffen.192 Diese bezieht sich auf alle Beweismittel. Die Norm wurde gegenüber den UNCITRALRegeln nicht verändert und übernimmt die darin vorgesehene aktive Rolle des Schiedsgerichts in Tatsachenfragen.193 Nach dem insoweit klaren Wortlaut der Norm („the arbitral tribunal may require“) ist eine solche Anordnung auch den Parteien gegenüber bindend, obwohl sie nicht zwangsweise durchgesetzt werden kann.194
(b) Begrenzungen der Ermittlungstätigkeit Art. 19 Abs. 2 IUSCT-VerfO bestimmt, dass die Klageerwiderung („Statement of Defence“) eine Entgegnung auf die in der Klage („Sta-
192
Der Text des Art. 24 lautet: “Evidence and Hearings: Article 24
(1) Each party shall have the burden of proving the facts relied on to support his claim or defence. (2) The arbitral tribunal may, if it considers it appropriate, require a party to deliver to the tribunal and to the other party, within such a period of time as the arbitral tribunal shall decide, a summary of the documents and other evidence which that party intends to present in support of the facts in issue set out in his statement of claim or statement of defence. (3) At any time during the arbitral proceedings the arbitral tribunal may require the parties to produce documents, exhibits or other evidence within such a period of time as the tribunal shall determine.” 193
Sanders, Yearbook Commercial Arbitration 2 (1977), 172 (203); van Hof, Commentary on the UNCITRAL Arbitration Rules (1991), 160. 194 Aldrich, The Jurisprudence of the Iran-United States Claims Tribunal (1996), 333; Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (103); Selby, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 135 (140); Daillier/Ghérari/Robert/Müller, AFDI 47 (2001), 283 (317); Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 49, Rn. 21.
172
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tement of Claim“) aufgestellten tatsächlichen Behauptungen enthält.195 Dies spricht dafür, auch hier unstrittige Tatsachen als vom Gericht nicht nachprüfbar anzusehen. Die Rechtsprechung des Tribunals bestätigt dieses Ergebnis, auch wenn sie zu diesem Punkt nicht oft Stellung genommen hat. Im Fall Harris International Telecommunications Inc. v. Iran unterscheidet das Tribunal klar zwischen Darlegungs- und Beweislast: “Each Party has the burden of setting out the facts upon which it wishes to base its case, and the heavier ‘burden of proving the facts relied on in support of his claim or defence’, as provided by Article 24, paragraph 1, of the Tribunal Rules, if the allegations are contested.”196 Während eine Partei demnach alle zur Begründung ihres Anspruches notwendigen Tatsachen schlüssig darlegen muss, sind nur bestrittene Tatsachen beweisbedürftig.
(c) Amtswegige Beweisaufnahme (aa) Urkunden Art. 18 Abs. 2 IUSCT-VerfO überlässt es dem Kläger, ob er mit der Klageschrift („Statement of Claim“) Urkunden einreicht, die die Begründetheit des Anspruchs klar belegen.197 Nach Art. 24 Abs. 3 IUSCTVerfO kann das Tribunal die Urkundenvorlegung auch amtswegig an195
Siehe auch: Sanders, Yearbook Commercial Arbitration 2 (1977), 172 (204): “[T]he respondent must reply expressly to the statement of facts … as stated by the claimant in his statement of claim.” 196
IUSCT, Harris International Telecommunications Inc. v. Islamic Republic of Iran, Award No. 323-409-1, 2. November 1987, IUSCTR 17 (1987-IV), 31 (47, Ziff. 63). Siehe auch: Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 570, die resümieren, dass unbestrittene Tatsachen normalerweise vom Tribunal akzeptiert werden. 197 Art. 18 Abs. 2 lautet: “It is advisable that claimants (i) annex to their Statements of Claim such documents as will serve clearly to establish the basis of the claim, and/or (ii) add a reference and summary of relevant portions of such documents, and/or (iii) include in the Statement of Claim quotations of relevant portions of such documents.” Dies ist eine stärkere Formulierung als die im ursprünglichen Art. 18 Abs. 2 UNCITRAL-Regeln enthaltene, aber dennoch keine verbindliche, dazu: Holtzmann, in: Caron/Crook (Hrsg.), The Iran-United States Claims Tribunal and the Process of International Claims Resolution (2000), 75 (87).
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ordnen.198 Das Tribunal ist jedoch nicht dazu verpflichtet, eigene Untersuchungen vorzunehmen (vgl. auch Art. 15 Abs. 1 IUSCT-VerfO).199 Das IUSCT hat sich in der Praxis dennoch nicht nur auf die von den Parteien vorgelegten Beweismittel beschränkt, sondern darüber hinaus die Vorlegung weiterer Dokumente angeordnet, die für die Entscheidung notwendig waren.200 Dies bezog sich nicht nur auf Tatsachen, die für die Zuständigkeit und Zulässigkeit von Belang waren,201 sondern auch auf für die Begründetheit relevante Tatsachen.202 Allerdings hat sich im Laufe der Existenz des Tribunals ein passiveres Verhalten in Bezug auf die sogenannten „commercial claims“ etabliert,203 während es interessanterweise gerade für die zwischenstaatlichen Streitigkeiten bei der stärker eingreifenden Haltung des Tribunals blieb.204 So finden sich Beweisbeschlüsse zur Vorlage von Urkunden, die allerdings nicht ausdrücklich auf Art. 24 Abs. 3 IUSCT-VerfO gestützt sind, im Fall No. A-15205 sowie im Fall No. B-1.206 Weitere ähnliche Fälle existieren, sind jedoch nicht veröffentlicht.207 198
McCabe, International Lawyer 20 (1986), 499 (514); Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 574. 199
Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (104). 200
Ebd., 107.
201
So: IUSCT, Flexi-Van Leasing, Inc. v. The Islamic Republic of Iran (Case No. 36), Beschluss (Order) vom 15. Dezember 1982, IUSCTR 1 (1981-82), 455 ff.; IUSCT, General Motors Corporation et al. v. Government of the Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 94), Beschluss (Order) vom 18. Januar 1983, IUSCTR 3 (1983-II), 1 ff.; Reza Nemazee et al. v. Islamic Republic of Iran, Award No. 487-4-3 vom 10. Juli 1990, IUSCTR 25 (1990-II), 153 (154, Ziff. 7). 202
Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (107, Fn. 21). 203
Ebd., 108: „classic example of the passive approach of a Tribunal that does not wish to assume an inquisitorial role, but prefers to leave it to the parties to determine what they will present“. 204
Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (109). 205
IUSCT, Islamic Republic of Iran v. United States of America, Case No. A-15, Beschluss (Order) vom 11. März 1987, IUSCTR 14 (1987-I), 171. Dieser Beschluss wurde von den Parteien befolgt, IUSCT, Islamic Republic of Iran v. United States of America, Case No. A-15 (I:C), Award No. ITL 78-A15(1:C)FT vom 12. November 1990, IUSCTR 25 (1990-II), 247 (253, Ziff. 14).
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(bb) Augenschein und Ortsbesichtigung Die Anordnung einer Ortsbesichtigung ist in der IUSCT-VerfO nicht ausdrücklich vorgesehen. Sie ist selbstverständlich mit Einverständnis der Parteien im konkreten Fall auch dann möglich, wenn der gerichtseinsetzende Vertrag dies nicht explizit regelt.208 Amtswegig und ohne Zustimmung der Parteien kann eine Ortsbesichtigung durch das IUSCT jedoch nicht angeordnet werden. Eine solche Kompetenz griffe in die Souveränität der Parteien zu stark ein, als dass sie ohne ausdrückliche textliche Grundlage ausgeübt werden könnte.
4. WTO-Streitbeilegung Die für die Sachverhaltsermittlungskompetenzen von Panels maßgeblichen Normen finden sich in Art. 11 bis 13 DSU, im Abs. 8 des Anhang 3 zum DSU („Arbeitsverfahren“)209 sowie im Anhang 4 zum DSU („Sachverständigengutachtergruppen“).210 Aufgrund von Art. 17 Abs. 6 DSU ist das Appellate Body auf die vom Panel festgestellten Tatsachen beschränkt; neue Beweise kann es nicht erheben.211 Art. 13 DSU gilt schon seinem Wortlaut nach nicht für das Appellate Body.
206
IUSCT, Ministry of Defence of the Islamic Republic of Iran v. Department of Defense of the United States of America, Case No. B-1, Beschluss (Order) vom 2. Juli 1987, IUSCTR 18 (1988-I), 45. 207
Siehe die Nachweise bei Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (109, Fn. 26). 208
Hudson, International Tribunals, Past and Future (1944), 93; Sachariew, ZaöRV 51 (1991), 895 (908). 209
Abs. 8, Anhang 3 DSU lautet: „Das Panel kann jederzeit entweder im Verlauf einer Sitzung oder schriftlich Fragen an die Parteien richten und sie um Erklärungen bitten.“ Er ist die Fortführung des Absatzes 6(iv) der Agreed Description of the Customary Practice of the GATT in the Field of Dispute Settlement (Article XXIII: 2), das als Anhang zum Understanding Regarding Notification, Consultation, Dispute Settlement and Surveillance vom 28. November 1979 aufgeführt ist (BISD 26S/215). Dazu: Martha, Journal of International Arbitration 14 (1997), 67 (69 f.). 210
Zum Panelverfahren unter dem GATT 1947 siehe Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht (1990), 314 ff. und Thomas, JWT 30 (2) (1996), 53 ff. 211
Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (334).
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(a) Prozessleitungskompetenzen Aus Abs. 8 des Anhangs 3 zum DSU i.V.m. Art. 12 Abs. 1 DSU folgt, dass das Panel jederzeit während der mündlichen Verhandlung oder schriftlich Fragen an die Parteien richten und sie um Erklärungen bitten kann. Hieraus ergibt sich eine weitreichende Befugnis zur materiellen Prozessleitung. Aus praktischen Gesichtspunkten ist ein Panel jedoch grundsätzlich auf die von den Parteien eingereichten Beweismittel angewiesen.212
(b) Amtswegige Beweisaufnahme (aa) Urkunden Art. 13 DSU gibt dem Panel eine umfassende Kompetenz zur Sachverhaltsermittlung unter der Überschrift „Recht auf Information“. Im Gegensatz zu den entsprechenden Vorschriften anderer internationaler Gerichte (etwa Art. 49 IGH-Statut, Art. 77 ISGH-VerfO) ist auffällig, dass nicht primär Staaten als Adressaten des Rechts auf Information genannt werden, sondern zunächst Einzelne und Gremien. Nach der Rechtsprechung des Appellate Body erstreckt sich das Informationsrecht aus Art. 13 DSU jedoch auch auf WTO-Mitglieder und a fortiori auf die Parteien des Rechtsstreits. Dies folgt insbesondere aus Art. 13 Abs. 1 S. 3 DSU.213 Das Berufungsgremium hat früh betont, dass die Panels keine Pflicht zur selbständigen Sachverhaltsermittlung haben,214 sondern die Hand212
Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 57.
213
DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 185: “It is clear from the language of Article 13 that the discretionary authority of a panel may be exercised to request and obtain information, not just ‘from any individual or body’ within the jurisdiction of a Member of the WTO, but also from any Member, including a fortiori a Member who is a party to a dispute before a panel. This is made crystal clear by the third sentence of Article 13.1 … .” 214
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 136; DSB, US – Shrimp (AB), Ziff. 104: “This authority embraces more than merely the choice and evaluation of the source of the information or advice which it may seek. A panel’s authority includes the authority to decide not to seek such information or advice at all. We consider that a panel also has the authority to accept or reject any information or advice which it may have sought and received, or to make some other appropriate disposition thereof. It is particularly within the province and the authority of a panel to determine the need for information and advice in a specific case, to
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habung der Befugnis aus Art. 13 DSU im Wesentlichen in ihrem freien Ermessen steht.215 Das Panel ist lediglich verpflichtet, die Unterbreitungen der Streitparteien und Dritten nach Art. 10 DSU zu berücksichtigen.216 Andere ihm angebotene Informationen rechtlicher oder tatsächlicher Art kann es nach seinem Ermessen verwerten.217 Panels haben also die Befugnis, die Parteien des Rechtsstreits um Informationen und Erklärungen zu ersuchen. Hinsichtlich Urkunden gilt ein unbeschränktes Vorlageanforderungsrecht, insbesondere besteht kein Bezugserfordernis durch die Parteien. Gleiches gilt für Dritte i.S.d. Art. 10 DSU sowie andere WTO-Mitgliedstaaten.218 Darüber hinaus können Panels auch ihnen freiwillig angebotene, nicht angeforderte Informationen von am Streitfall nicht beteiligten Staaten (die nicht Dritte i.S.d. Art. 10 DSU sind), natürlichen oder juristischen Personen sowie frei verfügbare Urkunden berücksichtigen.
(bb) Augenschein und Ortsbesichtigung Das WTO-Prozessrecht kennt keine ausdrückliche Regelung des Augenscheinsbeweises und der Ortsbesichtigung. Allerdings sind diesbezügliche Befugnisse der Panels angesichts der weiten Formulierung des Art. 13 DSU und der liberalen Auslegung durch das Appellate Body durchaus gegeben.219 Neben Urkunden können die Panels daher auch die Vorlage von Augenscheinsobjekten verlangen. Mit Zustimmung der
ascertain the acceptability and relevancy of information or advice received, and to decide what weight to ascribe to that information or advice or to conclude that no weight at all should be given to what has been received.” 215
So ausdrücklich: DSB, Argentina – Textiles and Apparel (AB), Ziff. 84: “This is a grant of discretionary authority: a panel is not duty-bound to seek information in each and every case or to consult particular experts under this provision. … Just as a panel has the discretion to determine how to seek expert advice, so also does a panel have the discretion to determine whether to seek information or expert advice at all.” Siehe auch: DSB, Japan – Agricultural Products II (AB), Ziff. 127; DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 185; Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (329): „virtually unfettered right“. 216 217
DSB, US – Shrimp (AB), Ziff. 101. Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 113.
218
Siehe Canal-Forgues, Le règlement des différends à l’OMC (2004), 72 und unter II. 3. 219
Waincymer, WTO Litigation (2002), 544.
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Parteien des Rechtsstreits ist auch eine Ortsbesichtigung möglich. Gegen eine amtswegige Kompetenz spricht jedoch der bereits erwähnte besonders einschneidende Charakter von Ortsbesichtigungen.
(c) Begrenzungen der Ermittlungstätigkeit der Panels Obwohl die Panels auch in der Tatsachenfeststellung weitgehende Prozessleitungsbefugnisse haben, charakterisiert das Appellate Body das Verfahren vor den Panels als im Grundsatz „adversarial“.220 Daraus ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen Panelkompetenzen und der Parteiherrschaft in der Stoffsammlung. In der Formulierung Pauwelyns ist also die Frage aufgeworfen, „where the Panel’s inquisitorial functions end and the adversarial role of WTO dispute settlement prevails“.221 Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist die Praxis der Panels und des Appellate Body zur Auflösung dieses Spannungsverhältnisses nicht immer konsistent und oszilliert zwischen einem stärker am Untersuchungsgrundsatz orientierten Prozessrecht und dem Verhandlungsgrundsatz. Damit reflektiert die Rechtsprechung den Streit um die Frage, ob das WTO-Streitbeilegungssystem nur der Schlichtung eines bilateralen Streites dient oder darüber hinaus eine umfassende Klärung der im Fall aufgeworfenen Fragen im Interesse des Welthandelssystems als solchem erreichen soll.222
(aa) Behauptete, unstrittige und zugestandene Tatsachen Die Rechtsprechung der Panels und des Appellate Body zur Frage der Bindung an unstreitige und zugestandene Tatsachen ist spärlich. Die Entscheidung des Appellate Body in Canada – Aircraft deutet darauf hin, dass Panels nicht auf Tatsachen zurückgreifen können, die von den 220
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 98.
221
Pauwelyn, in: Cottier/Mavroidis (Hrsg.), The Role of the Judge in International Trade Regulation: Experience and Lessons for the WTO (2003), 175 (184). 222
Zu dieser Kontroverse siehe Waincymer, WTO Litigation (2002), 567, der in Fn. 137 darauf hinweist, dass laut Art. 3 Abs. 2 DSU das Ziel des Streitbeilegungsverfahrens die Bewahrung der Rechte und Pflichten der Mitglieder ist, was für eine enge Auslegung des Zwecks des Panelverfahrens spreche, während Art. 11 DSU für die weitere Ansicht streite. Pauwelyn, Ohio State Journal on Dispute Resolution 19 (2003), 121 (130) votiert für eine enge Sicht.
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Parteien nicht vorher durch Behauptungen in das Verfahren eingeführt wurden, und zwar auch dann nicht, wenn sie anlässlich eines vom Panel selbst in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens zu Tage getreten sind.223 Die Entscheidung des Appellate Body im Fall EC – Asbestos hingegen deutet auf eine nur sehr eingeschränkte Tatsachenherrschaft der Parteien hin: “A panel cannot decline to inquire into relevant evidence simply because it suspects that evidence may not be ‘clear’ or, for that matter, because the parties agree that certain evidence is not relevant.”224 Diese Aussage kann jedoch dahingehend interpretiert werden, dass zwar ein Unstreitigstellen von Tatsachen durch die Parteien möglich sein soll, jedoch nicht der Ausschluss bestimmter Beweismittel zum Nachweis einer streitigen Tatsache.225 Im Fall US – Anti-Dumping Measure on Shrimp from Ecuador war das Panel mit der Situation konfrontiert, dass die Vereinigten Staaten als Beklagter weder das tatsächliche noch das rechtliche Vorbringen Ecuadors bestritten.226 Dennoch meinte das Panel, dass die nach Art. 11 DSU vorgeschriebene „objektive Beurteilung des Sachverhalts“ es ausschließe, ohne weitere Prüfung von den Behauptungen des Klägers auszugehen.227 Das Panel ging daher über eine Schlüssigkeitsprüfung des tatsächlichen Vortrags Ecuadors hinaus und untersuchte, ob ein prima facie case vorlag, ob also die Tatsachenbehauptungen zutreffend waren.228 Es betonte, dass “the fact that the United States does not contest Ecuador’s claims is not a sufficient basis for us to summarily conclude that Ecuador’s 223
DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 193 f. Es grenzte seine Schlussfolgerung von der im Fall Japan – Agricultural Products gezogenen dahingehend ab, dass dort der Kläger, die USA, die vom Panel zur Begründung einer Inkonsistenz mit Art. 5 Abs. 6 SPS gewählte alternative Maßnahme (determination of sorption levels) gar nicht vorgetragen, geschweige denn diesbezüglich Beweis angetreten habe. Damit habe das Panel in Japan – Agricultural Products fälschlicherweise dem klagenden Mitglied die Aufgabe abgenommen, den Verstoß der Maßnahme des Beklagten gegen Art. 5 Abs. 6 SPS nachzuweisen. Kritisch hierzu: Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (352). 224 225 226 227 228
DSB, EC – Asbestos (AB), Ziff. 120. Waincymer, WTO Litigation (2002), 585. DSB, US – Shrimp (Ecuador), Ziff. 7.9. Ebd., Ziff. 7.3. Ebd., Ziff. 7.11.
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claims are well-founded. Rather, we can only rule in favour of Ecuador if we are satisfied that Ecuador has made a prima facie case.”229 Es ist daher nicht mit Sicherheit zu sagen, ob unstrittige Tatsachen das Panel binden. Diese Unsicherheit fügt sich in die Anreicherung des WTO-Streitbeilegungsverfahrens mit Elementen der objektiven Rechtskontrolle.230 Auch ist die Wirkung des Konsensprinzips naturgemäß dort schwächer, wo de facto eine verpflichtende Gerichtsbarkeit besteht.
(bb) Begrenzungen durch das Erfordernis der Aufstellung eines prima facie case durch den Kläger (1) Rechtsprechung des Appellate Body Nach der Rechtsprechung des Appellate Body dürfen die Panels ihre Befugnisse nicht dazu nutzen, die Beweislastverteilung auszuhebeln. Insbesondere darf die Aufstellung eines prima facie case dem hiermit grundsätzlich belasteten Kläger nicht durch das Panel abgenommen werden. Das Appellate Body hat daher im Fall Japan – Agricultural Products klargestellt, dass der Zweck des in Art. 13 DSU normierten „Rechts auf Information“ des Panels lediglich ist, zum Verständnis oder der Würdigung der von den Parteien geführten Beweise beizutragen.231 Die Tatsachenermittlungskompetenzen des Panels sind demnach nur sekundärer Art und dürfen die Beweisführung durch die beweisbelastete Partei keinesfalls ersetzen, sondern allenfalls ergänzen: “Article 13 of the DSU and Article 11.2 of the SPS Agreement suggest that panels have a significant investigative authority. However, this authority cannot be used by a panel to rule in favour of a complaining party which has not established a prima facie case of inconsistency based on specific legal claims asserted by it. A panel is entitled to seek information and advice from experts and from any other relevant source it chooses, pursuant to Article 13 of the DSU and, in an SPS case, Article 11.2 of the SPS Agreement, to help it to under-
229
Ebd., Ziff. 7.9. Ebenso: DSB, US – Shrimp (Thailand), Ziff. 7.20.
230
Dazu: Hilf, in: Hilf/Oeter, WTO-Recht, Rechtsordnung des Welthandels (2005), Rn. 29; Ruffert, ZVglRWiss 100 (2001), 304 (318); Iwasawa, JIEL 5 (2002), 287. 231
DSB, Japan – Agricultural Products II (AB), Ziff. 129.
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stand and evaluate the evidence submitted and the arguments made by the parties, but not to make the case for a complaining party.”232 Danach muss der Kläger zunächst einen prima facie case etablieren, bevor das Panel nach Art. 13 DSU eingreifen darf.233 Im konkreten Fall bedeutete dies, dass das Panel sich nicht auf die von ihm angeforderten Sachverständigengutachten hätte stützen dürfen, da der Kläger (die Vereinigten Staaten) einen solchen prima facie case nicht aufgestellt hatte. Scheinbar gegensätzlich urteilte das Appellate Body jedoch im nur wenige Monate später entschiedenen Canada – Aircraft-Fall: “Article 13.1 [DSU] imposes no conditions on the exercise of this discretionary authority. Canada argues that the Panel in this case had no authority to request the submission of information … because Brazil had not previously established a prima facie case … . This argument is, quite simply, bereft of any textual or logical basis. There is nothing in either the DSU or the SCM Agreement to sustain it.”234 Fraglich ist, wie diese beiden sich offenbar widersprechenden Aussagen zusammengeführt werden können. Als eine mögliche Interpretationsvariante kommt in Betracht, die Ausführungen des Berufungsgremiums in Japan – Agricultural Products nur auf Art. 13 Abs. 2 DSU und damit auf vom Panel in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten zu begrenzen, und die in Canada – Aircraft aufgestellte Regel nur auf Art. 13 Abs. 1 DSU zu beziehen. Dies ist jedoch nicht überzeugend, da ein diese Unterscheidung rechtfertigender Unterschied zwischen den beiden Absätzen des Art. 13 DSU nicht besteht. Abs. 2 stellt lediglich eine Konkretisierung des Abs. 1 dar.235 (2) Vorschläge in der Literatur Eine Abgrenzung der Panelbefugnisse nach Art. 13 DSU über die Regel ne ultra petita236 scheint nur für die Fälle geeignet, in denen das Panel 232 233 234
Ebd., Ziff. 129. Siehe: Waincymer, WTO Litigation (2002), 566. DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 185.
235
So im Ergebnis DSB, EC – Asbestos (Panel), Ziff. 8.10 und Palmeter/ Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 122. 236 Dies schlagen Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 145 vor.
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klar über den Streitgegenstand hinausgeht, also nicht für den Nachweis einer geltend gemachten Verletzung erforderliche tatsächliche Nachforschungen anstellt, die keine Relevanz für die Entscheidung des Streites haben.237 Dies ist eine noch lockerere Begrenzung als die Beschränkung auf die von den Parteien vorgetragenen Tatsachen. In der Literatur wird daher im Anschluss an die Entscheidung Japan – Agricultural Products vorgeschlagen, zunächst die Etablierung eines prima facie case durch den Kläger zu fordern, bevor die amtswegigen Sachverhaltsermittlungskompetenzen des Panels eingreifen, oder doch zumindest ein diesem Standard nahe kommendes Minus.238 Vergleichbar ist dies mit dem Erfordernis eines Anbeweises bei der Parteivernehmung nach §§ 445, 448 ZPO: Auch hier muss bereits einiger Beweis für die Richtigkeit der Tatsache erbracht sein, also eine gewisse Wahrscheinlichkeit hierfür bestehen, bevor die beweisbelastete Partei diesen Beweis antreten kann oder das Gericht die Vernehmung amtswegig anordnen darf.239 (3) Exkurs: Funktion des prima facie case im angloamerikanischen Recht Der Begriff des prima facie case entstammt dem angloamerikanischen Zivilprozessrecht. Das Verständnis dieses Instituts kann daher die Interpretation der Praxis des Appellate Body erleichtern. Der angloamerikanische Prozess geht von einer Zweiteilung des Verfahrens aus, nämlich der Trennung in einen Prozessteil des Klägers (plaintiff case) und einen solchen des Beklagten (defendant case). In der mündlichen Verhandlung des Zivilprozesses angloamerikanischer Prägung wird also zunächst der gesamte Rechtsstreit aus der Klägerperspektive abgehandelt.240 Dies bedeutet – als Ausprägung des besonders streng durchge-
237
Dazu: Kuyper, in: FS-Jackson (2000), 309 (320).
238
So: Waincymer, WTO Litigation (2002), 567; Gherari, in: Ruiz-Fabri Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 69 (94); Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 116. Ähnlich für das Verfahren vor dem EuGH und dem EuG: Lenaerts, in: FS-Louis, Bd. 1 (2003), 241 (248): «[Les parties] doivent à tout le moins apporter un début de preuve sur la base de laquelle elles peuvent inviter le juge à prendre les mesures d’instruction ou d’organisation de la procédure nécessaires à l’émergence de la ‹ verité ›.» (Hervorh. d. Verf.) und Brealey, ELR 10 (1985), 250 (252). 239 240
Thomas/Putzo-Reichold, § 448 ZPO, Rn. 2. Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (2003), 65.
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haltenen adversary system241 – dass jede Partei ihre Beweise in geschlossener Abfolge darbringt; auch die Beweisaufnahme teilt sich also in zwei voneinander getrennte Abschnitte. Zunächst führt der Kläger Beweis über alle die Tatsachen, für die er beweispflichtig ist. Dabei hat der Beklagte das Recht, die vom Kläger benannten und in der sogenannten direct examination befragten Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen (cross-examination). Nach Abschluss des plaintiff case führt der Beklagte den Beweis über diejenigen Tatsachen, bezüglich derer er beweisbelastet ist, und versucht, die vom Kläger unterbreiteten Beweise zu widerlegen.242 Alternativ kann der Beklagte nach der Beendigung des plaintiff case aber auch einen Antrag auf richterliche Klageabweisung stellen, indem er vorbringt, dass es keinen case to answer gebe.243 Damit muss der Richter die Frage entscheiden, ob die Beweislage zum Zeitpunkt des Abschlusses des plaintiff case unter Zugrundelegung der für den Kläger günstigen Rückschlüsse (inferences) ein stattgebendes Urteil, also eine Entscheidung im Sinne des Klägers, tragen kann.244 Mit diesem bei Beteiligung einer Jury „motion for a judgment as a matter of law“ oder „motion for a directed verdict“, ansonsten „voluntary dismissal“ genannten Antrag245 bringt der Beklagte demnach vor, dass die Klage
241 242
Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht (1983), 299. Kaplan/Clermont, IECL, Bd. 16, 3 (31).
243
Dazu: Schack, Einführung in das US-amerikanische Zivilprozessrecht (2003), 66 f.; Williams, Sydney LR 25 (2003), 165. Dies ist auch schon im Verfahren vor der mündlichen Verhandlung durch einen Antrag auf „summary judgment“ möglich, siehe: Schack, a.a.O., 59 f.; Hay, in: Assmann/Bungert, Handbuch des US-amerikanischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts, Bd. 1 (2001), 504 (573 ff.; Rn. 241 ff.). 244
Kaplan/Clermont, IECL, Bd. 16, 3 (33); Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271; ders., Sydney LR 25 (2003), 165 (179). 245
Für Prozesse, die vor Bundesgerichten mit einer Jury verhandelt werden, sind diese Verfahren in Regel 50 (a) (1) der FRCP niedergelegt: “Rule 50: Judgment as a Matter of Law in Jury Trials; Alternative Motion for New Trial; Conditional Rulings (a) Judgment as a Matter of Law. (1) If during a trial by jury a party has been fully heard on an issue and there is no legally sufficient evidentiary basis for a reasonable jury to find for that party on that issue, the court may determine the issue against that party and may grant a motion for judgment as a matter of law against that party with respect to a claim or defense that cannot under the controlling law be maintained or defeated without a favorable finding on that issue.”
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nicht schlüssig sei246 oder der Kläger mit den von ihm vorgelegten Beweisen seiner Beweislast selbst unter Berücksichtigung aller für ihn sprechenden Umstände nicht genügt habe.247 Als Träger des duty of passing the judge muss der Kläger damit einen prima facie case beweisen, mit dem er das Gericht davon überzeugt, dass es einen case to answer gibt.248 Falls dem Kläger das Beweisen eines prima facie case nicht oder nur auf einzelne Punkte begrenzt gelingt, entscheidet das Gericht für den Beklagten und weist die Klage ganz oder teilweise ab.249 Die hiermit angesprochene Beweisführungslast regelt damit nicht nur die Beweisinitiative, sondern gleichzeitig auch maßgeblich den Fortgang des Prozesses.250 Das Institut wird von den Gedanken der Prozessökonomie und der Beschleunigung des Verfahrens getragen und dient in Fällen des Juryverfahrens darüber hinaus der Kontrolle des Richters über die Jury.251 Problematisch ist hierbei der Maßstab, an dem die Überzeugungskraft der vom Kläger vorgebrachten Beweismittel gemessen werden soll. Maßgeblich ist wohl ein „substantial evidence test“, nach dem eine motion for directed verdict dann versagt werden muss, wenn Beweise von solcher Art und solchem Gewicht vorliegen, dass ein vernünftiger Betrachter zu dem Schluss kommen kann, dass die Behauptungen wahr sind.252 Mit anderen Worten sind an den prima facie case des Klägers keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Strenger sind Ansichten, die ein directed verdict nur in Evidenzfällen in Betracht ziehen, also bei
246
Hay, in: Assmann/Bungert, Handbuch des US-amerikanischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts, Bd. 1 (2001), 504 (575; Rn. 251 mit Fn. 438); Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 525. 247
Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 570; Schwering, System der Beweislast im englisch-amerikanischen Zivilprozeß (1969), 53. Siehe auch: Gherari, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 69 (81). 248
Hay, U.S.-amerikanisches Recht (2005), Rn. 196; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht (2006), Rn. 677. 249 250 251 252
Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (229). Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht (1983), 296 f. Kaplan/Clermont, IECL, Bd. 16, 3 (33). Cooper, Minnesota Law Review 55 (1971), 903 (920).
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„eindeutiger Beweislage“253 und dann, wenn „sinnvollerweise kein anderer Urteilsspruch gefällt werden kann“.254 Auch im englischen und australischen Zivilprozessrecht existiert ein dem „no case to answer“ vergleichbares Institut. Die praktische Bedeutung dieses Instruments wird hier jedoch dadurch reduziert, dass der Richter in Fällen ohne Jurybeteiligung einen solchen Antrag des Beklagten zurückweisen wird, wenn dieser nicht auf das Vorbringen eigener Beweismittel von vornherein verzichtet.255 Nur in Ausnahmefällen kann ein solcher Antrag auch ohne diese Verzichtserklärung erfolgreich gestellt werden.256 Wird diese Möglichkeit gewählt, dann sind ebenfalls keine überzogenen Anforderungen an das Beweismaterial des Klägers zu stellen: Ausreichend ist eine vernünftige Aussicht auf Erfolg. Nicht erforderlich ist, dass bereits das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erreicht wurde.257 Der prima facie case ist seiner nationalen zivilprozessrechtlichen Herkunft nach also nicht die Bezeichnung für ein bestimmtes Beweismaß (etwa entsprechend dem Beweis ersten Anscheins im deutschen Recht),258 sondern insbesondere ein Instrument zur Abgrenzung der prozessualen Verantwortungssphären der beiden Prozessparteien im adversarial system und damit ein prozessleitendes formales Hilfsmittel. Das Institut kann diese Funktion aber nur in einem streng kontradiktorischen Verfahren erfüllen und ist seiner ursprünglichen Konzeption nach untrennbar mit der Beteiligung einer Jury am Verfahren verbunden.259 Zur Abgrenzung der Verantwortungssphären der Parteien und
253
Hay, U.S.-amerikanisches Recht (2005), Rn. 198.
254
Hay, in: Assmann/Bungert, Handbuch des US-amerikanischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts, Bd. 1 (2001), 504 (576, Rn. 254). 255
Halsbury’s Laws of England, Evidence, Bd. 17 (1) (2002), 201 (229); Zuckerman, Civil Procedure (2003), 659. 256
Benham Ltd v. Kythira Investments Ltd [2003] EWCA Civ 1974; [2004] C.P. Rep. 17 (CA (Civ Div)), Ziff. 32; hierzu: Scott, Civil Justice Quarterly 23 (2004), 96 ff. 257
Zuckerman, Civil Procedure (2003), 660; Williams, Sydney LR 25 (2003), 165 (179). 258
Zur Bedeutung des prima facie case für das Beweismaß in der WTOStreitbeilegung siehe Kapitel 8 B. III. 4. (b). 259 So auch: Taniguchi, in: Janow/Donaldson/Yanovich (Hrsg.), The WTO: Governance, Dispute Settlement, and Developing Countries (2008), 553 (554).
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eines Spruchkörpers, dem eigene Sachverhaltsermittlungskompetenzen zukommen, kann es daher nicht ohne Weiteres herangezogen werden. (4) Übertragung auf das WTO-Verfahren und Ergebnis Angesichts der Funktion des prima facie case im amerikanischen Prozessrecht ist die Aussage des Appellate Body in Canada – Aircraft wohl die systemadäquatere: Anhand der Verpflichtung des Klägers, einen prima facie case aufzustellen, lassen sich die Befugnisse eines Panels jedenfalls kaum begrenzen, auch wenn man sich der beißenden Kritik des Appellate Bodys nicht anschließen und eine stärker am kontradiktorischen Verfahren festhaltende Ansicht als „bereft of any textual or logical basis“ brandmarken will.260 Dies ist letztlich auch schon daran zu erkennen, dass es eine strikte Zweiteilung des Verfahrens, wie sie der prima facie case als prozessleitendes formales Mittel eigentlich erfordern würde, vor dem DSB – wie im Völkerprozessrecht allgemein261 – nicht gibt,262 und damit auch keine Beweislastumkehr („shift of the burden of proof“) nach Aufstellung eines solchen.263 Nach der Argumentation des Appellate Body im Fall Canada – Aircraft können die Panelkompetenzen gerade zur Klärung der Frage ausgeübt werden, ob der Kläger einen solchen prima facie case bereits erfolgreich aufgestellt hat: “[A] panel is vested with ample and extensive discretionary authority to determine when it needs information to resolve a dispute and what information it needs. A panel may need such information before or after a complaining or a responding Member has established its complaint or defence on a prima facie basis. A panel may, in fact, need the information sought in order to evaluate evidence already before it in the course of determining whether the claiming or the
260
Die Entscheidung des Appellate Body in Canada – Aircraft wurde unter Wiederholung dieser Formel explizit bestätigt in DSB, Thailand – H-Beams (AB), Ziff. 135. 261
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 38.
262
So auch: Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 169; McGovern, International Trade Regulation (Loseblatt), § 2.2327 (Page 2.23-62, Issue 18, February 2005), insb. Fn. 1; Taniguchi, in: Janow/Donaldson/Yanovich (Hrsg.), The WTO: Governance, Dispute Settlement, and Developing Countries (2008), 553 (565, 568). Für das internationale Verfahren insgesamt: Kazazi, Burden of Proof (1996), 32. 263
Canal-Forgues, Le règlement des différends à l’OMC (2004), 74 f.
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responding Member, as the case may be, has established a prima facie case or defence.”264 Auch kennt das WTO-Prozessrecht – anders als das US-amerikanische Zivilprozessrecht – gerade keine no case to answer-Prozedur oder ein directed verdict.265 Im Gegenteil: Die Panels sind gerade nicht verpflichtet, auch nicht auf Antrag des Beklagten, während des Verfahrens festzustellen, ob der Kläger einen prima facie case aufgestellt hat, bevor es sich der Verteidigungsstrategie und der Beweisführung des Beklagten zuwendet.266 Entsprechend gilt, dass ein Panel auch nicht explizit während des Verfahrens festhalten muss, dass ein solcher prima facie case vom Beklagten erfolgreich widerlegt wurde (rebuttal).267 In der Praxis würdigen die Panels die von beiden Parteien, Dritten i.S.d. Art. 10 DSU und anderen Quellen vorgelegten Beweise am Ende der Beweisaufnahme.268 Kurz gesagt: Panels und das Appellate Body nutzen die Sprache eines streng kontradiktorischen Verfahrens, ohne dessen prozessrechtlichen Auswirkungen zu folgen. Aufgrund der fehlenden Offenlegung dieser Diskrepanz von Begrifflichkeit und Inhalt ist die Praxis für im common law und im civil law ausgebildete Juristen gleichermaßen verwirrend.269 Daher ist mit dem Berufungsgremium in Canada – Aircraft von einer nur durch die tatsächlichen Behauptungen der Parteien begrenzten Untersuchungsbefugnis auszugehen. Es gilt, dass ein Panel unabhängig
264
DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 192.
265
Hierzu Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 145; Waincymer, WTO Litigation (2002), 536 f. (Fn. 25). 266
DSB, India – Quantitative Restrictions (AB), Ziff. 142; DSB, Korea – Dairy (AB), Ziff. 145. 267
DSB, Thailand – H-Beams (AB), Ziff. 134.
268
DSB, Canada – Aircraft (Panel), Ziff. 9.87; Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (255); Waincymer, WTO Litigation (2002), 562; McGovern, International Trade Regulation (Loseblatt), § 2.2327, Page 2.23-61 (Issue 18, February 2005); Taniguchi, in: Janow/Donaldson/Yanovich (Hrsg.), The WTO: Governance, Dispute Settlement, and Developing Countries (2008), 553 (568). 269
Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 144, die die Aussage nur auf die im common law ausgebildeten Juristen erstrecken. Dazu auch die bezeichnende Stellungnahme von Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 255: “Rationalizing what courts do, when they refer to a prima facie case, is not easy.”
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vom Aufstellen eines prima facie case durch den Kläger nach Art. 13 DSU Informationen anfordern kann.270 Der prima facie case hat keine eigenständige Bedeutung für die Begrenzung der Panelbefugnisse in der Tatsachenermittlung.
(d) Bindungswirkung der Panelanordnungen Die Kompetenz der Panels, Informationen einzuholen, sagt noch nichts über die Verpflichtung der Parteien aus, einer solchen Anordnung nachzukommen.271 Im Fall Canada – Aircraft betonte das Appellate Body, dass ein Panel nicht nur die Befugnis hat, Informationen anzufordern, sondern dass die Anordnungen des Panels („requests to provide information“) darüber hinaus auch völkerrechtliche Bindungswirkung entfalten.272 Dies gilt nicht nur für Parteien des Rechtsstreits und Dritte i.S.d. Art. 10 DSU, sondern darüber hinaus für alle WTOMitglieder.273 In seiner Wortlautanalyse des Art. 13 Abs. 1 DSU im Fall Canada – Aircraft war das Appellate Body der Ansicht, dass das im englischen Text verwendete „should“ in seiner normativ-verpflichtenden und nicht lediglich in seiner exhortativen Bedeutung zu verstehen sei.274 Dies entspreche auch dem Sinn und Zweck der Norm, da ansonsten das den Panels durch das DSU eingeräumte „Recht auf Information“ leer zu laufen drohe und letztlich das Ziel des gesamten Streitbeilegungsmechanismus gefährdet werden könne: “If a panel is prevented from ascertaining the real or relevant facts of a dispute, it will not be in a position to determine the applicability of the pertinent treaty provisions to those facts, and, therefore, it will
270
Collins, University of Pennsylvania Journal of International Economic Law 27 (2006), 367 (370). 271
Waincymer, WTO Litigation (2002), 547.
272
DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 186 ff. Siehe auch: Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (329). 273 274
Waincymer, WTO Litigation (2002), 549.
Scharfe Kritik an dieser Wortlautanalyse übt Behboodi, JIEL 3 (2000), 563 (583), der die gewöhnliche Bedeutung des Wortes „should“ im Sinne einer moralischen Verpflichtung versteht. Ebenso: Kuyper, in: FS-Jackson (2000), 309 (320). Der Auslegung des Appellate Body zustimmend: Waincymer, WTO Litigation (2002), 547.
188
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be unable to make any principled findings and recommendations to the DSB.”275 Die Kompetenz nach Art. 13 DSU hat nach dem Appellate Body „fundamental and far-reaching implications for the entire WTO dispute settlement system“.276 Sie fügt sich aber in das Prozessrechtssystem des DSU und die bereits vor Canada – Aircraft ergangene Rechtsprechung des Appellate Body ein, nach der eine aktive Rolle des Panels in der Tatsachenermittlung angezeigt ist. Bereits in US – Shrimps hatte das Appellate Body diese wie folgt zusammengefasst: “The thrust of Articles 12 and 13, taken together, is that the DSU accords to a panel established by the DSB, and engaged in a dispute settlement proceeding, ample and extensive authority to undertake and to control the process by which it informs itself both of the relevant facts of the dispute and of the legal norms and principles applicable to such facts. That authority, and the breadth thereof, is indispensably necessary to enable a panel to discharge its duty imposed by Article 11 of the DSU to ‘make an objective assessment of the matter before it’ … .”277 Kommt ein Mitglied einer solchen bindenden Anordnung nicht nach, so greifen die unten beschriebenen Sanktionsmechanismen, vor allem das Ziehen negativer tatsächlicher Rückschlüsse (inferences).278
5. Zwischenstaatliche Schiedsgerichte (a) Tatsachenermittlungskompetenzen Sowohl frühe als auch neuere internationale zwischenstaatliche Schiedsgerichte hatten bzw. haben in aller Regel weite Tatsachenermitt-
275
DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 188. Es handelt sich hierbei um eines der wenigen Beispiele für eine über den Wortlaut hinausgehende teleologische Auslegung durch das Appellate Body, siehe Ehlermann/Ehring, in: Petersmann (Hrsg.), Reforming the World Trading System, Legitimacy, Efficiency, and Democratic Governance (2005), 535 (548, Fn. 44). 276 277 278
DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 182. DSB, US – Shrimp (AB), Ziff. 106.
Siehe Kapitel 6 A. II. Kuyper, in: FS-Jackson (2000), 309 (321) kritisiert, dass diese Rechtsfolge auch ohne die Annahme einer Panelkompetenz zur rechtlich verbindlichen Anordnung möglich wäre.
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lungskompetenzen.279 Art. 69 der I. Haager Konvention von 1907 etwa bestimmt, dass das Schiedsgericht von den Agenten der Parteien die Vorlegung aller nötigen Aktenstücke und alle nötigen Aufklärungen verlangen kann. Für den Fall der Weigerung kann das Schiedsgericht von ihr Vermerk nehmen. Art. 74 der I. Haager Konvention von 1907 bestimmt darüber hinaus, dass “[t]he Tribunal is entitled to issue rules of procedure for the conduct of the case, to decide the forms, order, and time in which each party must conclude its arguments, and to arrange all the formalities required for dealing with the evidence.” Der Schiedsvertrag zwischen Jemen und Eritrea ist in Bezug auf die Tatsachenermittlungs- und -feststellungskompetenzen des Schiedsgerichts besonders detailliert. Einschlägig ist Art. 7.280 Nach dessen Abs. 4 konnte das Schiedsgericht jederzeit Sachverständige bestellen, nach Abs. 5 von den Parteien die Vorlage von Urkunden verlangen. Auch Drittstaaten konnten um Informationen gebeten werden. Regel 18 Abs. 2 der VerfO im Fall United States-United Kingdom Arbitration Concerning Heathrow Airport User Charges gab dem Schiedsgericht die Befugnis, in jedem Verfahrensstadium die Parteien zur Vorlage von Urkunden und zur Beibringung eines Zeugen oder Sachverständigen zu verpflichten sowie jederzeit eine Ortsbesichtigung zum Zwecke der Untersuchung durchzuführen. Auch die EECC hat nach Art. 5 Abs. 5 des Schiedsvertrages vom 12. Dezember 2000 umfangreiche Ermitt279
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 156 unter Verweis auf den Fabiani Case (France v. Venezuela), Schiedsspruch vom 30. Dezember 1896, in: John Basset Moore, History and Digest of the International Arbitrations to Which the United States has been a Party, Bd. 5 (1898), 4878 ff. und die Verfahrensordnung des Schiedsgerichts im Meerauge-Fall, Schiedsspruch vom 13. September 1902, abgedruckt in Revue de droit international et de législation comparée 8 (1906), 162 (166): «La cour arbitrale a le droit de faire administrer des preuves, de requérir des pièces justificatives, de décréter des mesurages, des descentes sur les lieux et des auditions d’experts ou de témoins.» Anders: Art. 2 des Vertrages zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien vom 8. Februar 1853, A. de La Pradelle/N. Politis, Recueil des Arbitrages Internationaux, Bd. 1, 663 f.: «[Les commissaires] devront enquêter et décider sur [les] réclamations, … mais seulement sur telles preuves ou informations qui leur seront fournies par les soins de leurs gouvernements respectifs.» Siehe auch Art. VIII, 2. Satz Schiedsabkommen zum Trail Smelter-Fall, RIAA 3 (1949), 1907 (1909): ausdrückliche Kompetenz zur Durchführung einer Untersuchung. 280 Abgedruckt in: Permanent Court of Arbitration, The Eritrea-Yemen Arbitration Awards 1998 and 1999 (2005), 222.
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lungsbefugnisse.281 Hierzu gehört auch die Ortsbesichtigung. Diese Kompetenzen hat sie allerdings soweit ersichtlich nicht wahrgenommen. Bereits in frühen schiedsgerichtlichen Streitigkeiten galt, dass die Parteien den beweisrechtlichen Anordnungen des Schiedsgerichts oder der gemischten Kommission Folge leisten mussten.282 Dies ist nunmehr für zwischenstaatliche aber auch gemischte Schiedsgerichte im Allgemeinen anerkannt.283 Eine Pflicht des Schiedsgerichts zur Wahrheitsermittlung jenseits der von den Parteien unterbreiteten Beweismittel besteht jedoch nicht. Die Anordnung von Maßnahmen zur Sachverhaltsermittlung steht im Ermessen des Schiedsgerichts. Entsprechend lehnte es die griechisch-französische Schiedskommission ab, eine Untersuchung anzuordnen, da im konkreten Fall (das fragliche Ereignis lag mehr als dreißig Jahre zurück) die Aussichten auf Aufklärung der Sachlage zu gering und die Kosten zu hoch waren.284
(b) Begrenzung auf Behauptungen der Parteien und streitige Tatsachen Grundsätzlich ist anerkannt, dass sich die Kompetenzen von Schiedsgerichten nur auf strittige Tatsachen beziehen. Unstrittige Tatsachen binden das Gericht.285 Daher muss der Beklagte nach zahlreichen Schiedsverträgen in der Klageerwiderung bezeichnen, welche Tatsachenbehauptungen des Klägers er bestreitet.286 Auch finden sich in einigen ge281 Art. 5 Abs. 5 lautet: “The Commission shall be located in The Hague. At its discretion it may hold hearings and conduct investigations in the territory of either party, or at such other location as it deems expedient.” 282
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (54) m.w.N. in Fn. 2.
283
Für die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit: Donovan, ICC International Court of Arbitration Bulletin 10 (1999), 57 (70); Webster, Arbitration International 17 (2001), 41 (57). Allgemein: Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (374, 383). 284
StSH, Affaire relative à la concession des phares de l’Empire Ottoman (France c. Grèce), Schiedsspruch vom 15. Juli 1956, RIAA 12 (1963), 155 (210). 285
Decaux, Juris-classeurs de droit international, Bd. 4, Fasc. 248, 8 (Ziff.
22). 286
Etwa Ziff. 15 der VerfO der American and British Claims Arbitration: “The Answer shall set out the grounds upon which the claim is resisted by the respondent Government, and shall in so doing indicate clearly the attitude of the respondent Government toward the several allegations contained in the Memorial.”, abgedruckt in: Nielsen, American and British Claims Arbitration
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richtseinsetzenden Verträgen explizite Begrenzungen gerichtlicher Ermittlungsbefugnisse auf strittige Tatsachen.287 Ebenfalls hat die EECC in ihrer Decision No. 4 festgehalten, dass “[t]he rules that the Commission must apply include those relating to the need for evidence to prove or disprove disputed facts”.288 Nur selten haben sich frühere Schiedsgerichte ausdrücklich nicht an den tatsächlichen Vortrag der Parteien gebunden gefühlt.289 Ähnliche Aussagen fehlen bei neueren Schiedsgerichten.
under the Special Agreement Concluded Between the United States and Great Britain, August 18, 1910 (1926), 12. 287
So etwa Art. 52 der VerfO des Französisch-Deutschen gemischten Schiedsgerichts vom 2. April 1920, Recueil des décisions des Tribunaux arbitraux mixtes institués par les Traités de paix, Bd. 1 (1922), 44 (51): «Si le tribunal constate que les parties ne sont pas d’accord sur des faits pertinents, il peut ordonner une enquête.» Gleiches gilt für die VerfO des griechisch-deutschen gemischten Schiedsgerichts (Art. 51, ebd., S. 61 (68)). 288
EECC, Decision Number 4: Evidence, abrufbar unter: <www.pcacpa.org/upload/files/Decision%204.pdf> (Hervorh. d. Verf.). 289
So: Question des frontières de la Guyane, Schiedsspruch vom 1. Dezember 1900, in: H. La Fontaine, Pasicrisie Internationale 1794-1900, Histoire Documentaire des Arbitrages Internationaux (Neudruck 1997), 564 (570): «L’arbitre estime qu’il n’est pas réduit à s’en tenir aux allégations des parties et aux moyens de preuve qu’elles invoquent. Il ne s’agit pas, pour lui, de trancher un différend de droit civil, selon les voies de la procédure civile, mais d’établir un fait historique; il doit rechercher la vérité par tous les moyens qui sont à sa disposition.» Auch: Fabiani Case (France v. Venezuela), Schiedsspruch vom 30. Dezember 1896, in: John Basset Moore, History and Digest of the International Arbitrations to Which the United States has been a Party, Bd. 5 (1898), 4878 (4905): «L’arbitre est investi d’un pouvoir discrétionnaire, limité seulement par l’obligation de se conformer aux principes essentiels de la procédure civile … ; il n’est pas forcé de s’en tenir aux allégués et moyens de preuve des parties, ni d’indiquer tous les éléments dans lesquels il puise sa conviction. La maxime des débats et le principe de la publicité, qui lient les juges permanents … ne lient pas dans la même mesure un arbitre, qui remplit des fonctions temporaires et qui est investi d’une magistrature de confiance.»
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II. Amtswegige Befugnisse internationaler Gerichte gegenüber Drittstaaten 1. Einführung Direkte Befugnisse eines internationalen Gerichts gegenüber einem Staat (z.B. zur Anordnung von Urkundenvorlegungen) bestehen jedenfalls in durch einen Schiedsvertrag eingeleiteten Verfahren im Grundsatz nur gegenüber den Parteien, die sich auf eine gerichtliche Beilegung ihrer Streitigkeit geeinigt haben. Befugnisse des Schiedsgerichts gegenüber am Rechtsstreit nicht beteiligten Drittstaaten kommen hingegen nach dem pacta tertiis-Grundsatz nicht in Betracht.290 Allerdings spricht viel für eine Pflicht dritter, nicht am Streit beteiligter Staaten, die Arbeit des Gerichts nicht zu behindern, d.h. nichts zu tun, was dem Gericht die Erfüllung seiner Aufgaben unmöglich macht. Grund hierfür ist das starke Interesse der internationalen Gemeinschaft an der friedlichen Beilegung von Streitigkeiten durch internationale Gerichte.291 Darüber hinaus haben internationale Schiedsgerichte jedenfalls dann die Möglichkeit der Kontaktierung dritter Staaten zur Beweiserhebung, wenn ihre einsetzenden Verträge dies ausdrücklich vorsehen. Beispiele hierfür sind die Schiedsverträge der Gerichte im Trail Smelter-Fall,292 im Rann of Kutch-Fall,293 im Taba-Fall294 sowie der zwischen Eritrea 290
Für zwischenstaatliche Streitigkeiten: Kazazi, Burden of Proof (1996), 145. Für die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit: Redfern/Hunter, Law and Practice of International Commercial Arbitration (2004), Rn. 6-79. Raeschke-Kessler, in: FS-Schlosser (2005), 713 (730 f.). Siehe auch: IUSCT, William J. Levitt v. Islamic Republic of Iran, Case No. 210, Award No. 510-210-3, 29. August 1991, IUSCTR 27 (1991-II) 145 (152, Ziff. 21): Weigerung des IUSCT, einer Stiftung (Foundation of the Oppressed), die nicht Partei war, die Herausgabe von Urkunden aufzugeben. 291
Zur ähnlichen Problematik des Verhältnisses von Drittstaaten zu internationalen Organisationen siehe: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2 (2002), 228. 292 293
Art. VIII des Schiedsvertrags, abgedruckt in RIAA 3 (1949), 1907 (1909).
VerfO des Indo-Pakistan Western Boundary Case Tribunal, abgedruckt in Case Concerning the Indo-Pakistan Western Boundary (Rann of Kutch), Schiedsspruch vom 19. Februar 1968, RIAA 17 (1980), 1 (9): “The Tribunal will be the judge of the relevance and the weight of the evidence presented to it. If the Tribunal, whether on request of a Party or otherwise, considers it necessary to inspect the original of any document, which is in the possession or under control of a Government other than the Parties, or of any person other than a
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und Jemen abgeschlossene Schiedsvertrag.295 Verpflichtungen zur Zusammenarbeit für die Drittstaaten bestehen jedoch in diesen Fällen nicht.296
2. Kompetenzen einzelner internationaler Gerichte in Bezug auf Drittstaaten Auch in gerichtlichen Auseinandersetzungen unter multilateralen Streitbeilegungsverträgen, sogar nach dem IGH-Statut, gilt, dass der konkrete Rechtsstreit rein bilateral ist und grundsätzlich nur die Parteien, nicht etwa andere Vertragsstaaten betrifft.297 Dennoch kann es sich als notwendig erweisen, nicht im Besitz der Parteien befindliche Beweise von Dritten zu ersuchen oder auf dem Territorium eines Drittstaats eine Ortsbesichtigung vorzunehmen.
citizen of India or Pakistan residing in India or Pakistan, respectively, the Tribunal may request such Government or person to make the same available to the Tribunal.” 294
Case concerning the location of boundary markers in Taba between Egypt and Israel, Arbitration Compromis, RIAA 20 (1994), 107 (108): Art. 3 Abs. 4: “The Tribunal may request that a nonparty to this Compromis provide to it documents or other evidence relevant to the question.” 295
Art. 7 Abs. 5 (c) Arbitration Agreement zwischen Jemen und Eritrea: “At any time during the arbitral proceedings the Tribunal may request if necessary that a nonparty to this Arbitration Agreement provide to it documents or other evidence relevant to the question. Any documents or other evidence so provided shall be transmitted simultaneously to both Parties.” 296
Zur Situation in der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit siehe Art. 3 der IBA Rules on the Taking of Evidence in International Commercial Arbitration: “If a Party wishes to obtain the production of documents from a person or organization who is not a Party to the arbitration and from whom the Party cannot obtain the documents on its own, the Party may, within the time ordered by the Arbitral Tribunal, ask it to take whatever steps are legally available to obtain the requested documents. The Party shall identify the documents in sufficient detail and state why such documents are relevant and material to the outcome of the case. The Arbitral Tribunal shall decide on this request and shall take the necessary steps if in its discretion it determines that the documents would be relevant and material.” 297 Siehe Chinkin, Third Parties in International Law (1993), 148 f.; Benzing, LPICT 5 (2006), 369 (375).
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(a) Historische Betrachtung: Harvard Draft und I. Haager Übereinkommen von 1907 Das I. Haager Abkommen von 1907 enthielt selbst für Drittstaaten die Verpflichtung zur Unterstützung des Beweisverfahrens vor dem Schiedsgericht.298 Dies ergibt sich aus Art. 76, insbesondere dessen Abs. 2, nach dem Drittstaaten die vom Schiedsgericht „erlassenen Ersuchen … nach Maßgabe derjenigen Mittel zu erledigen [haben], über welche die ersuchte Macht nach ihrer inneren Gesetzgebung verfügt. Sie können nur abgelehnt werden, wenn diese Macht sie für geeignet hält, ihre Hoheitsrechte oder ihre Sicherheit zu gefährden“. Weitere Pflichten für Drittstaaten sah auch die – nicht in Kraft getretene – Harvard Draft Convention on Judicial Assistance vor, deren Art. 11 Abs. 1 dem internationalen Gericht auch gegenüber nicht am konkreten Streit beteiligten Staaten eine Kompetenz zur Stellung von Rechtshilfeersuchen erteilt.299 Hiernach soll der ersuchte Staat die Ausführung nur unter einschränkenden Voraussetzungen verweigern können.
(b) Internationaler Gerichtshof und Internationaler Seegerichtshof Entsprechend dem bilateralen Charakter des Rechtsstreits beziehen sich die für die bindende Anforderung von Beweismitteln relevanten Normen im IGH-Statut vom Wortlaut und systematischen Zusammenhang her nur auf die Parteien des Rechtsstreits (vgl. Art. 43, 49 IGH-Statut). Damit spricht viel dafür, dies auch für solche Normen anzunehmen, für die sich dies nicht ohne Weiteres aus dem Wortlaut ergibt, wie z.B. Art. 44 Abs. 2 IGH-Statut, der die Ortsbesichtigung regelt.300 Anderes kann nur gelten, wenn Drittstaaten nach Art. 62, 63 IGH-Statut dem Verfahren beitreten. Für den ISGH, dem vergleichbare Normen im Sta-
298
Schindler, Die Schiedsgerichtsbarkeit seit 1914 (1938), 153.
299
Abgedruckt in: AJIL 33 (1939), Supplement: Research in International Law, 15 (22). 300
So: Bedjaoui, in: FS-Seidl-Hohenveldern (1998), 1 (6): «La Cour ne pouvait entreprendre une descente dans les territoires d’Etats-tiers à l’instance, sans contrevenir gravement à son Statut.» Siehe aber auch Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 4 (1986), 639, der den Anwendungsbereich der Norm auf alle Staaten (nicht nur VNMitglieder) ausdehnt, wobei die Frage der Bindungswirkung offenbleibt. Dass der IGH an der Durchführung einer Ortsbesichtung in einem Drittstaat mit dessen Zustimmung nicht gehindert ist, ist offensichtlich.
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tut fehlen, ist Gleiches anzunehmen. Das bereits für Schiedsgerichte begründete Störungsverbot gilt jedoch auch für Verfahren vor dem IGH und ISGH. Es wird jedenfalls gegenüber VN-Mitgliedern bzw. Parteien des SRÜ noch durch den pacta sunt servanda-Grundsatz gestärkt, da diese gleichzeitig auch Parteien des IGH-Statuts bzw. ISGH-Statuts sind. Daher dürfen nicht am Rechtsstreit beteiligte Staaten nichts unternehmen, was den erfolgreichen Abschluss eines Verfahrens vor dem IGH oder ISGH gefährden würde. Scheiden unmittelbar bindende Anordnungen gegenüber Drittstaaten grundsätzlich aus, stellt sich die Frage, ob IGH und ISGH am Prozess nicht beteiligte Drittstaaten um Beweismittel in nicht verbindlicher Weise ersuchen dürfen.301 Für den IGH ergibt sich eine solche Befugnis aus Art. 44 Abs. 1 IGH-Statut. Die Verhandlungsgeschichte zeigt, dass die Norm nicht auf die Parteien des Rechtsstreits anwendbar ist, sondern nur auf Drittstaaten,302 was durch eine systematische Auslegung bestätigt wird. Denn die Parteien werden nach Art. 42 Abs. 1 IGHStatut durch Bevollmächtigte vertreten, Art. 44 Abs. 1 soll jedoch gerade Zustellungen an andere Personen als die Bevollmächtigten ermöglichen.303 Die Auslegung findet sich außerdem bestätigt durch die Vorgängernorm der Vorschrift, Art. 76 Abs. 1 des I. Haager Abkommens von 1907, in dem es heißt: „Das Schiedsgericht wird sich zur Bewirkung aller Zustellungen, die es im Gebiet einer dritten Vertragsmacht vorzunehmen hat, unmittelbar an die Regierung dieser Macht wenden. Das gleiche gilt, wenn es sich um Beweisaufnahmen an Ort und Stelle handelt.“ Hier wird bereits aus dem Wortlaut deutlich, dass es sich bei den Adressaten der Verfügung nicht um die Parteien handelt.304 Dennoch nah301
So: Foster, CYIL 7 (1969), 150 (175 f.).
302
Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 349; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/ Walter, Art. 44, Rn. 1, 4. So auch: Foster, CYIL 7 (1969), 150 (172). 303 Anzilotti, in: StIGH, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th 1936, Serie D (1936), 240: “[I]f the Court wished to ask the agent of a party to produce witnesses or any other kind of evidence, it was unnecessary to apply Article 44 of the Statute, since direct communication between the Court and a Party was always possible. On the other hand, if the Court asked for something which required action to be taken in another State, Article 44 of the Statute must be applied and direct application must be made to the government.” 304
Siehe auch: Schindler, Die Schiedsgerichtsbarkeit seit 1914 (1938), 153.
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men die Vorgängervorschriften des Art. 62 der IGH-VerfO, also Art. 48 der VerfO von 1922, Art. 54 der VerfO von 1936 und Art. 59 der VerfO von 1972, auch für Anordnungen den Parteien gegenüber Bezug auf Art. 44 Abs. 1 des Statuts.305 Während der Beratungen von 1936 zur Änderung der StIGH-VerfO führte dies zu Missverständnissen. Konsens war jedoch, dass Art. 44 Abs. 1 des Statuts zumindest auch Gesuche an Drittstaaten erfasst. So bemerkte Richter Schücking, dass “there was also the possibility that the Court might wish on its own initiative to approach a [third] government in order to obtain on commission the evidence of a witness or any other evidence without asking the parties for it.”306 Richter Anzilotti erwiderte daraufhin zwar, dass man 1922 davon ausgegangen war, dass zunächst und zuvörderst die Parteien vom Gericht zur Vorlegung weiterer Beweismittel aufgefordert werden sollten und Art. 44 StIGH-Statut nur ausnahms- und hilfsweise zur Anwendung kommen solle, wenn die Parteien dazu nicht in der Lage seien. Jedoch ist dies nur eine Frage der praktischen Vorgehensweise und stellt nicht die Anwendbarkeit der Vorschrift auf Dritte in Frage. Ebenso für eine Möglichkeit des IGH, Drittstaaten um Informationen zu bitten, sprechen Art. 62 Abs. 1, 2. Alt. IGH-VerfO sowie der identische Art. 77 Abs. 1, 2. Alt. ISGH-VerfO, nach denen die Gerichtshöfe nicht nur die Parteien zur Vorlage von Beweismitteln verpflichten können, sondern auch „selbst andere Informationen [zum Zweck der Aufklärung der Sache] suchen“ können, ohne dass dies ausdrücklich auf die Parteien beschränkt wäre.307 Obwohl eine dem Art. 44 Abs. 1 IGHStatut vergleichbare Norm im Statut des ISGH fehlt, hat also auch der ISGH eine solche Möglichkeit. Dies wird bestätigt durch Art. 52 Abs. 2 ISGH-VerfO, der auch Übermittlungen an andere juristische und natürliche Personen als die Parteien avisiert, so auch an Staaten (lit. a). Nach dem Wortlaut des Art. 44 Abs. 1 IGH-Statut erstreckt sich die Kompetenz nur auf Personen, also auf Zeugen und Sachverständige zum Ausschluss beispielsweise der Nachsuchung eines Drittstaates um Herausgabe von Urkunden. Ob eine solche Begrenzung gewollt war, ist
305
Dazu: Guyomar, Commentaire du Règlement de la Cour internationale de Justice (1983), 407 ff. 306 StIGH, Ser. D (1936), Acts and Documents Concerning the Organization of the Court, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th, 1936, 240. 307 Zu Art. 77 ISGH-VerfO: Eiriksson, The International Tribunal for the Law of the Sea (2000), 171.
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aus der Verhandlungsgeschichte zum StIGH-Statut zweifelhaft.308 Es spricht vielmehr viel dafür, die Norm darüber hinaus auch auf alle anderen Beweismittel zu erstrecken.309 Theoretisch kommt damit auch eine Ortsbesichtigung auf dem Territorium eines Drittstaats in Betracht. Art. 66 IGH-VerfO spricht allgemein von einer „Stelle oder Örtlichkeit, mit der der Fall zusammenhängt“, ohne dies auf das Territorium der Parteien zu begrenzen. Für den ISGH ergibt sich diese Möglichkeit aus Art. 81 (der Art. 66 IGH-VerfO entspricht) i.V.m. Art. 52 Abs. 3 ISGH-VerfO.310 Als Ergebnis ist damit festzuhalten, dass IGH und ISGH auch Anfragen an andere Staaten als die Streitparteien amtswegig richten können. Bindend sind diese Ersuchen gegenüber Drittstaaten jedoch nicht. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zum bereits zitierten Art. 76 der I. Haager Konvention von 1907.311
308
Der Formulierungsvorschlag zu Art. 44 Abs. 1 StIGH-Statut von de Lapradelle im Advisory Committee of Jurists lautete noch: “For the service of all notices upon witnesses and experts, the Court shall apply directly to the Government of the State upon whose territory the notice has to be served.” Schließlich wurden die Worte „upon witnesses and experts“ „in letzter Minute“ durch die Phrase „upon persons other than the agents, counsel and advocates“ ersetzt. Siehe PCIJ, Advisory Committee of Jurists, Procès-Verbaux of the Proceedings of the Committee (1920), 589 und 638 f. 309
So auch die bereits zitierten Aussagen Anzilottis und Schückings, in: StIGH, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th 1936, Serie D (1936), 240. 310
Siehe auch: Anderson, Art. 81, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 229: “The locality will normally lie within the jurisdiction of one or both parties.” (Hervorh. d. Verf.). 311
Siehe dessen Abs. 2 und 3: „(2) Die zu diesem Zwecke erlassenen Ersuchen sind nach Maßgabe derjenigen Mittel zu erledigen, über welche die ersuchte Macht nach ihrer inneren Gesetzgebung verfügt. Sie können nur abgelehnt werden, wenn diese Macht sie für geeignet hält, ihre Hoheitsrechte oder ihre Sicherheit zu gefährden. (3) Auch steht dem Schiedsgericht stets frei, die Vermittlung der Macht in Anspruch zu nehmen, in deren Gebiet es seinen Sitz hat.“ Dazu: Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 3 (2006), 1325 (Fn. 139), wo er Art. 76 Abs. 2 des I. Haager Abkommens als nützliche Ergänzung des Art. 44 IGH-Statut bezeichnet. Für eine Bindungswirkung auch: Schindler, Die Schiedsgerichtsbarkeit seit 1914 (1938), 153. Beachte jedoch auch Simpson/Fox, International Arbitration (1959), 205 f., die auch in Art. 76 kein bindendes Verfahren sehen.
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3. Stärker integrierte Streitbeilegungssysteme Gerade in stark institutionalisierten Streitbeilegungsmechanismen kann sich die Sachverhaltsermittlungskompetenz internationaler Gerichte über die Parteien des Rechtsstreits hinaus auch auf Staaten beziehen, die am konkreten Prozess nicht beteiligt sind. Eine solche Kompetenz besitzen insbesondere die Panels im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsmechanismus (Art. 13 DSU)312 und der EuGH (Art. 24 Abs. 2 EuGHSatzung)313 sowie die ad hoc-Strafgerichtshöfe314 und der IStGH (Art. 86 ff. IStGH-Statut).315 Auch in Art. 27 der ILO-Verfassung findet sich eine auch auf Drittstaaten bezogene Kooperationspflicht.316 Entscheidend ist, dass Beweisanordnungen hier auch für Drittstaaten bindend sind. Grund hierfür mag sein, dass die Zusammenarbeitspflicht in diesen Fällen nicht lediglich der Entscheidung des konkreten Streit312
Siehe oben I. 4. (b).
313
Lenaerts/Arts/Maselis, Procedural Law of the European Union (2006), Rn. 24-079. 314
Hier gilt, dass die Verpflichtung zur Zusammenarbeit erga omnes partes besteht, siehe: JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 26: “Furthermore, the obligation set out – in the clearest of terms – in Article 29 [ICTY Statute] is an obligation which is incumbent on every Member State of the United Nations vis-à-vis all other Member States. The Security Council, the body entrusted with primary responsibility for the maintenance of international peace and security, has solemnly enjoined all Member States to comply with orders and requests of the International Tribunal. The nature and content of this obligation, as well as the source from which it originates, make it clear that Article 29 does not create bilateral relations. Article 29 imposes an obligation on Member States towards all other Members or, in other words, an ‘obligation erga omnes partes’. By the same token, Article 29 posits a community interest in its observance. In other words, every Member State of the United Nations has a legal interest in the fulfilment of the obligation laid down in Article 29.” Die Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem JStGH ergibt sich darüber hinaus aus Ziff. 4 der S/RES/827 (1993) vom 25. Mai 1993. 315
Auch hier gilt die Zusammenarbeitsverpflichtung erga omnes partes: Benzing, Max Planck UNYB 8 (2004), 181 (226). 316
“The Members agree that, in the event of the reference of a complaint to a Commission of Inquiry under article 26, they will each, whether directly concerned in the complaint or not, place at the disposal of the Commission all the information in their possession which bears upon the subject-matter of the complaint.”
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falls, sondern der Funktionsfähigkeit des gesamten Gerichtssystems dient.317
4. Verwendung der von Drittstaaten freiwillig zur Verfügung gestellten Informationen Nach Sandifer gilt, dass “[i]t is now well and properly settled that international tribunals may not receive evidence other than that presented by, or on behalf of, the Governments parties to the proceedings, unless specific provision be made for presentation in some other manner.”318 Diese Regel entspricht einer bilateralen Konzeption internationaler zwischenstaatlicher Streitigkeiten. Die Praxis internationaler Gerichte spricht jedoch gegen eine solche Begrenzung und für die Regel, dass die von Drittstaaten auf deren eigene Initiative angebotenen Informationen zulässige Beweismittel sind und vom Gericht verwertet werden können. Für eine Zulassung von durch Drittstaaten angebotenen Beweismitteln kann etwa die Entscheidung des IGH im Corfu Channel-Fall angeführt werden. Im Laufe des Verfahrens legte Jugoslawien als Drittstaat und Nichtintervenient dem IGH und den Parteien ein communiqué vor, in dem es die Aussage eines von Großbritannien gerufenen Zeugen bestritt, dass jugoslawische Schiffe die streitgegenständlichen Minen gelegt hätten.319 Daneben übergab es Albanien Dokumente, welche dieses als Beweismittel in den Prozess einführte. Der Gerichtshof ließ beide Formen der Beteiligung offenbar zu und ermöglichte so eine Beteiligung eines Drittstaates an der Tatsachenaufklärung, die zwar in dieser Form nicht im Statut vorgesehen ist, um die er freilich aber jederzeit über Art. 44 Abs. 1 des Statuts hätte nachsuchen können.320 Allerdings darf dieses Beispiel nicht überbewertet werden, da der Gerichtshof 317 318
Peters, EJIL 14 (2003), 1 (30). Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 192.
319
IGH, Corfu Channel Case, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Judgments of March 25th, 1948, April 9th and December 15th, 1949, Bd. V, 99; IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (17); Chung, Legal Problems Involved in the Corfu Channel Incident (1959), 110 f.; Rosenne, Intervention in the International Court of Justice (1993), 170; Covelli, JWT 33 (2) (1999), 125 (136 f.). 320
Chinkin, Third Parties in International Law (1993), 227 erwägt eine Verortung in Art. 50 IGH-Statut. Siehe auch: Bartos, in: FS-Morelli (1975), 41 (44); Palchetti, Max Planck UNYB 6 (2002), 139 (166 f.).
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schließlich davon absah, die Beweismittel zu verwerten.321 Auch im Nicaragua-Fall hat der IGH betont, dass er jedenfalls im Säumnisverfahren nach Art. 53 IGH-Statut nicht auf das von den Parteien in den Prozess eingeführte Beweismaterial beschränkt sei.322 Im Verfahren vor dem WTO-Streitbeilegungsmechanismus gilt dies ebenso.323 So hat das Appellate Body entschieden, dass WTO-Mitglieder unabhängig von der Möglichkeit, als Dritte nach Art. 10 Abs. 2 und 17 Abs. 4 DSU am Verfahren teilzunehmen, auch amicus curiae-Eingaben machen können.324 Zur Begründung führte es aus, dass die Zulässigkeit solcher staatlicher Eingaben a fortiori aus der Kompetenz folge, Eingaben Privater zu akzeptieren.325 Ob hieraus weiter gefolgert werden kann, dass auch solche Staaten, die nicht WTO-Mitglieder sind, Informationen vorlegen und amicus curiae-Eingaben machen können, ist fraglich.326 Es spricht daher insgesamt viel dafür, internationalen Gerichten auch die Möglichkeit zu eröffnen, auf von Seite dritter Staaten freiwillig zur Verfügung gestellte Materialien amtswegig zuzugreifen.327 Dies stärkt die Stellung internationaler Gerichte im Tatsachenermittlungsprozess und mindert die strikt bilaterale Konzeption des internationalen Prozessrechts teilweise ab. Prozessuale Rechte dieser Drittstaaten bestehen freilich nicht; daher haben sie auch keinen Anspruch darauf, dass ihre Eingaben vom internationalen Gericht berücksichtigt werden. Dies ist der entscheidende Unterschied zum traditionellen Mittel der Intervention.328
321
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (17): “Yugoslavia’s absence from the proceedings meant that these documents could only be admitted as evidence subject to reserves, and the Court finds it unnecessary to express an opinion on their probative value.” 322
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (25, Ziff. 30; 44, Ziff.
72). 323 324 325
Covelli, JWT 33 (2) (1999), 125 (138). DSB, EC – Sardines (AB), Ziff. 164. Hierzu D. IV. 4.
326
Befürwortend: Kaubisch, ZVglRWiss 106 (2007), 104 (109, Fn. 35); Brühwiler, Aussenwirtschaft 60 (2005), 347 (374). 327
Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 899; Palchetti, Max Planck UNYB 6 (2002), 139 (167). 328
DSB, EC – Sardines (AB), Ziff. 166.
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5. Zusammenfassung Internationale Gerichte können in der Regel keine bindenden Anordnungen in der Beweiserhebung gegenüber nicht am Streit beteiligten Drittstaaten treffen. Dies ist nur in stark integrierten Streitbeilegungssystemen möglich. Fehlt ihnen diese Kompetenz, können sie aber in der Regel amtswegig Drittstaaten um Informationen in nicht verbindlicher Weise ersuchen und auf von diesen Staaten freiwillig vorgelegte Informationen zurückgreifen.
C. Kompetenzen internationaler Gerichte zur amtswegigen Kooperation mit anderen internationalen Institutionen Neben Staaten kommen im internationalen Prozess auch internationale Institutionen als Adressaten gerichtlicher Beweisanordnungen in Betracht. Auskünfte internationaler Organisationen (dazu I.) sind eigenständiges Beweismittel und lassen sich in ihrer Funktion etwa mit der Behördenauskunft des deutschen Rechts vergleichen.329 Weiterhin ist die Kooperation in der Beweiserhebung mit anderen internationalen Gerichten (dazu II.) und mit atypischen Völkerrechtssubjekten zu untersuchen (dazu III.).
I. Kooperation mit internationalen Organisationen Aufgrund der vielgestaltigen Tätigkeitsbereiche internationaler Organisationen sowie zahlreicher von ihnen institutionalisierter und formalisierter Berichtssysteme, die oft durch eine umfangreiche Ermittlungstätigkeit der Organisation selbst oder eine Berichtspflicht der Mitgliedstaaten gekennzeichnet sind, liegt ein Rückgriff internationaler Gerichte auf Informationen von internationalen Organisationen nahe. Teilweise normieren gerichtseinsetzende Verträge oder Verfahrensordnungen internationaler Gerichte auch Partizipationsrechte internationaler Organisationen am gerichtlichen Verfahren. Zunächst stellt sich dabei die grundsätzliche Frage des Verhältnisses internationaler Gerichte und Schiedsgerichte zu internationalen Organisationen. Da internationale
329
Siehe §§ 273 Abs. 2 Nr. 2; 358a S. 2 Nr. 2 ZPO, dazu: Thomas/PutzoReichold, § 273 ZPO, Rn. 7.
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Gerichte in ihrer Struktur internationalen Organisationen ähneln, empfiehlt es sich, bei der Untersuchung der Frage mit dem Verhältnis internationaler Organisationen untereinander zu beginnen, um die hierfür geltenden Regeln gegebenenfalls auf die Beziehungen zwischen internationalen Gerichten und internationalen Organisationen bzw. internationalen Gerichten untereinander zu übertragen.
1. Das Verhältnis internationaler Organisationen zueinander (a) Grundsätze Internationale Organisationen sind „gekorene“ Völkerrechtssubjekte und besitzen daher nur partielle Völkerrechtssubjektivität, soweit sie ihnen nach dem Gründungsvertrag zukommt. Im Verhältnis von internationalen Organisationen zu Nichtmitgliedstaaten gilt nach überkommener Auffassung, dass diese sich die Völkerrechtspersönlichkeit nicht entgegenhalten zu lassen brauchen, weil der Verleihungsakt der internationalen Rechtspersönlichkeit, der Gründungsvertrag der internationalen Organisation, eine res inter alios acta darstellt (vgl. auch Art. 34, 5 WVK).330 Objektive Rechtspersönlichkeit besitzen aufgrund ihrer quasi-universellen Mitgliedschaft nach dieser Auffassung nur die VN.331 Ansonsten gilt, dass ein Drittstaat die Rechtspersönlichkeit der Organisation nur gegen sich gelten lassen muss, wenn er sie ausdrücklich oder implizit anerkannt hat.332 Während schon früh Ausnahmen zu dieser Regel anerkannt waren,333 ist die klassische Auffassung gerade in neuerer Zeit zu Recht grundsätzlich in Frage gestellt worden.334 Die Vielzahl internationaler Organisa330 Mann, ZHR 152 (1988), 303 (307 f.); Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 265 (308, Rn. 96); Dupuy, Droit international public (2006), 185; Sands/Klein, Bowett’s Law of International Institutions (2001), 476. 331
IGH, Reparations for Injuries Suffered in the Service of the United Nations, Gutachten vom 11. April 1949, ICJ Rep. 1949, 174 (185). 332
Ipsen/Epping, Völkerrecht (2004), 460 (Rn. 38); Seidl-Hohenveldern/ Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen (2000), 89 f. 333 334
Cassese, International Law (2005), 138 f.
Köck/Fischer, Das Recht der internationalen Organisationen (1997), 566 f.; Akande, in: Evans (Hrsg.), International Law (2006), 277 (284); Amerasinghe, Principles of the institutional law of international organizations (2005), 91. Siehe auch: Alvarez, International Organizations as Law-makers (2005), 137. Früh schon: Seyersted, IJIL 4 (1964), 233 (240).
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tionen und ihre Bedeutungszunahme im Zuge des Wandels des Völkerrechts von einer Koordinations- zu einer Kooperationsordnung rechtfertigt es nicht mehr, dass Drittstaaten sie gleichsam als nicht existent behandeln können. Ihrem Schutzbedürfnis wird durch den Grundsatz Rechnung getragen, dass eine internationale Organisation keine Befugnisse gegenüber Drittstaaten hat. Aufgrund der Doppelnatur des Gründungsvertrages als multilateraler völkerrechtlicher und institutioneller Vertrag gilt, dass die Gründungsverträge internationaler Organisationen eine objektive Ordnung etablieren, welche erga omnes (und nicht lediglich: erga omnes partes) gilt.335 Damit kommt internationalen Organisationen eine objektive, nicht von der Anerkennung anderer Staaten abhängige Völkerrechtspersönlichkeit zu. Es handelt sich dabei nicht um eine originäre Völkerrechtsubjektivität, sondern um eine Objektivierung einer vertraglich geschaffenen Rechtspersönlichkeit.336 Im Verhältnis mehrerer internationaler Organisationen zueinander kann nach der traditionellen Sichtweise der relativen partiellen Völkerrechtssubjektivität nichts anderes als im Verhältnis Organisation – Drittstaat gelten. Damit stünden internationale Organisationen mangels abweichender gründungsvertraglicher Regelung in überhaupt keinem Verhältnis zueinander, insbesondere nicht in einem Rangverhältnis. Dies kann angesichts der objektiven Rechtspersönlichkeit internationaler Organisationen nicht mehr überzeugen. Jedoch gelangt man in der überwiegenden Anzahl der Fälle auch nach der traditionellen Ansicht zur auch gegenüber anderen Organisationen geltenden Rechtspersönlichkeit. Im Gründungsvertrag (regelmäßig) festgelegte Kooperationsmöglichkeiten, explizite Kompetenzabgrenzungsvorschriften und sogar Vertragsschlusskompetenzen mit anderen, nicht näher spezifizierten internationalen Organisationen bewirken nämlich schon nach Vertragsrecht die Objektivierung der Rechtspersönlichkeit internationaler Organisationen auch gegenüber anderen Organisationen. Die Verleihung von Kooperationsmöglichkeiten und Vertragsschlusskompetenzen ist dabei funktional äquivalent mit der von der traditionellen Auffassung geforderten Anerkennung einer internationalen Organisation durch Drittstaaten. Nach der hier befürworteten Ansicht der objektiven partiellen Rechtspersönlichkeit internationaler Organisationen gilt dies erst
335
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/2 (2002), 226 ff.; Crawford, in: id., International Law as an Open System: Selected Essays (2002), 17 (20). 336
Ipsen/Epping, Völkerrecht (2004), 86 (Rn. 7), der dies jedoch ablehnt.
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recht. Damit wirkt grundsätzlich die Völkerrechtspersönlichkeit internationaler Organisationen auch gegenüber anderen Organisationen.337
(b) Koordination zwischen internationalen Organisationen Internationale Organisationen sind als mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete Körperschaften des Völkerrechts grundsätzlich voneinander unabhängig und gleichgeordnet.338 Im Gründungsvertrag gewährte Einflussrechte anderer Organisationen (siehe etwa Art. 13 (b) und Art. 16 IStGH-Statut) ändern an dieser Selbständigkeit und Gleichrangigkeit grundsätzlich nichts. Daraus folgt, dass internationale Organisationen einander rechtlich nicht binden können, falls nicht etwas anderes im Gründungsvertrag bestimmt ist.339 Nur Art. 103 VN-Charta bewirkt über den Umweg der mitgliedstaatlichen Verpflichtungen eine begrenzte mittelbare Hierarchisierung.340 Das Verhältnis internationaler Organisationen zueinander ist daher zunächst anarchisch, da ein geplantes, geordnetes und auf den Ausgleich und die Koordination der Aufgaben ausgerichtetes System nicht zu erkennen ist.341 Trotz oder gerade aufgrund ihrer Unabhängigkeit und Gleichberechtigung überschneiden sich die Kompetenzen internationaler Organisationen oft sowohl sachlich wie auch geographisch.342 Auch die stetig wachsende Anzahl internationaler Organisationen trägt hier-
337
Davon geht auch Tietje, JWT 36 (2002), 501 (511) aus, wenn er sagt, dass internationale Organisationen einen geschützten Jurisdiktionsbereich (notwendigerweise gegenüber anderen Organisationen) in Anspruch nehmen können. 338
Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (160). Hierfür kann man den Rechtsgedanken des in den zwischenstaatlichen Beziehungen geltenden Grundsatzes par in parem non habet imperium heranziehen: Bank, Max Planck UNYB 4 (2000), 233 (262). 339 340 341 342
Sands/Klein, Bowett’s Law of International Institutions (2001), 460 f. Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (165 f.). Wahl, in: FS-Hollerbach (2001), 193 (209).
Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen (2000), 98. Ein neueres Beispiel aus dem Bereich des Fischereimanagements schildert Gillespie, Ocean Development and International Law 33 (2002), 17. Zum Verhältnis der WTO zu den VN-Sonderorganisationen: Sampson, JIEL 7 (2004), 717.
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zu bei. Daher besteht schon praktisch die Notwendigkeit der Koordination der Aufgaben internationaler Organisationen.343 Da internationalen Organisationen jedoch objektive Rechtspersönlichkeit zukommt, entfaltet die Zuweisung vertraglicher Kompetenzen an eine Organisation auch gegenüber anderen Organisationen Wirkung.344 Daraus folgt ein Ordnungsprinzip der funktionalen Dezentralisation, dessen Folge eine Begrenzung der Kompetenzen internationaler Organisationen im Verhältnis zu anderen Organisationen ist.345 Daher gilt auch zwischen internationalen Organisationen ein Rücksichtnahmegebot. Konkret ergibt sich daraus, dass internationale Organisationen aufeinander Rücksicht nehmen müssen, um die ihnen von den Mitgliedstaaten übertragenen Aufgaben effektiv zu erfüllen; man kann auch von einem Störungsverbot im Verhältnis zwischen internationalen Organisationen sprechen, das sich teleologisch aus der Funktion der parallel existierenden Völkerrechtssubjekte herleitet.346
(c) Kooperationsgebot zwischen internationalen Organisationen Kooperationspflichten sind Pflichten zur Aufnahme koordinierter Maßnahmen zur Erreichung eines spezifischen Ziels.347 Jedenfalls in Bezug auf die Wahrnehmung von Gemeinwohlaufgaben durch internationale Organisationen greifen bloße Koordinationspflichten zu kurz. Dies gilt verstärkt im Bereich der friedlichen Streitbeilegung. Die einer Organisation zugewiesenen Aufgaben lassen sich kaum isoliert vom
343
Schermers/Blokker, International Institutional Law (2003), § 1702 ff.; Wahl, in: FS-Hollerbach (2001), 193 (211). 344 Neumann, ZaöRV 61 (2001), 529 (566) unter Berufung auf IGH, Nuclear Weapons Case, ICJ Rep. 1996, 66 (79 f., Ziff. 26); Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (161). 345
Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln (2001), 136 ff. (bezogen auf das VN-System); ders., JWT 36 (2002), 501 (510). Zum Entstehen des Prinzips der funktionalen Dezentralisation im VN-System: Jenks, RdC 77 (1950 II), 149 (172 f.); Dicke, Effizienz und Effektivität internationaler Organisationen (1994), 97 ff. 346
Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (161), der diese Regel noch als in statu nascendi charakterisiert; zuversichtlicher: Neumann, ZaöRV 61 (2001), 529 (566). Siehe auch: Matz, Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge (2005), 365 f. 347
Wolfrum, EPIL II/2 (1995), 1242; Peters, EJIL 14 (2003), 1 (2).
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Aufgabenbereich einer anderen Organisation sinnvoll erledigen. Daher ergibt sich aus der mit der funktionalen Ausdifferenzierung einhergehenden Möglichkeit von Jurisdiktionskonflikten und der Notwendigkeit, divergierende Interessen auszugleichen, ein gewohnheitsrechtlich geltendes Gebot der inter-organisationellen Kooperation.348 Eine effiziente Ausübung der einer Organisation zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse ist ohne eine solche Zusammenarbeit schwer möglich. Inhalt des Kooperationsgebotes ist etwa die Pflicht, nach Treu und Glauben nicht im lediglich Formalen bleibende gemeinsame Anstrengungen zur Lösung eines Jurisdiktionskonflikts zu finden.349 Freilich bleibt dieses Prinzip auf einer hohen Abstraktionsebene; konkrete Folgerungen lassen sich hieraus kaum ableiten.
2. Allgemeine Grundsätze zum Verhältnis internationaler Gerichte zu internationalen Organisationen Unabhängig von den Besonderheiten von gerichtseinsetzenden Verträgen können das Rücksichtnahmegebot wie das Kooperationsgebot aufgrund der starken Ähnlichkeit internationaler Gerichte mit internationalen Organisationen auf das Verhältnis zwischen beiden Institutionstypen übertragen werden.350 Es gelten dieselben grundsätzlichen Erwägungen. Dies ist insbesondere für Jurisdiktionskonflikte bedeutsam, die zu unterschiedlichen Auslegungen materiellrechtlicher Vorschriften und damit zu konfligierenden Verpflichtungen von Staaten führen können, gilt aber auch für den hier analysierten Bereich der Tatsachenermittlung. Dies soll im Folgenden anhand der für einzelne Gerichte geltenden Vorschriften gezeigt werden, die über die allgemeinen Grundsätze teils weit hinausgehen.351
348
Tietje, JWT 36 (2002), 501 (513). Ders., in: Delbrück (Hrsg.), International Law of Cooperation and State Sovereignty (2002), 45 (64). Skeptisch: Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (163 f.). 349
Tietje, JWT 36 (2002), 501 (515).
350
So auch im Ansatz: Ciampi, in: Cassese u.a. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1705 (1710 f.). 351
Die IUSCT-VerfO schweigt zu Kooperationsmöglichkeiten mit internationalen Organisationen. Auch in der Rechtsprechung des Tribunals ist sie bisher nicht relevant geworden. Daher bleibt dieses Gericht bei der nachfolgenden Untersuchung außen vor.
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(a) Internationaler Gerichtshof Zwar übt der IGH seine Befugnisse unabhängig von den anderen Hauptorganen der VN aus;352 dennoch verbindet ihn als Organ der VN ein Kooperationsverhältnis mit anderen VN-Organen.353 Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der Organtreue, aus dem die Verpflichtung folgt, Handlungen der anderen Organe bei der eigenen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, eine drohende Funktionsunfähigkeit der Organisation zu vermeiden und Rechtssicherheit zu gewährleisten.354 Dieses Organtreueverhältnis wirkt wechselseitig, wie Art. 34 Abs. 2 S. 1 und 2 IGH-Statut deutlich machen. In Konkretisierung der Organtreue ist auch vorgeschlagen worden, dass der Sicherheitsrat den IGH gerade in Situationen unterstützen soll, in denen die Tatsachenermittlung für den Gerichtshof schwierig erscheint (etwa bei der gerichtlichen Aufarbeitung militärischer Auseinandersetzungen).355 In Bezug auf die Zusammenarbeit des IGH mit anderen internationalen Organisationen gilt Art. 34 Abs. 2 IGH-Statut, der durch Art. 43 und 69 der IGH-VerfO ergänzt wird.356 Diese Regel stellt eine Konkretisierung des oben skizzierten allgemeinen Rücksichtnahme- und Kooperationsgebots dar. Sie geht aber darüber hinaus, indem sie dem IGH die Kompetenz zur Anforderung von Informationen zuerkennt und somit Kooperationsmöglichkeiten konkretisiert.
(aa) Art. 34 Abs. 2 Satz 1 IGH-Statut Nach Art. 34 Abs. 2 S. 1 IGH-Statut kann der Gerichtshof „nach Maßgabe seiner Verfahrensordnung öffentlich-rechtliche internationale Organisationen um Auskünfte betreffend bei ihm anhängige Rechtssachen 352
Simma/Mosler (1991), Art. 92, Rn. 18.
353
Pellet, LPICT 3 (2004), 159 (162); Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 1, 109. 354
Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 265 (350, Rn. 186).
355
Gardner, in: Damrosch/Scheffer (Hrsg.), Law and Force in the New International Order (1991), 49 (52-53). 356
Außer Betracht bleiben soll hier die Einleitung eines Gutachtenverfahrens durch eine internationale Organisation nach Art. 96 VN-Charta und Art. 65 ff. IGH-Statut. Art. 34 Abs. 3 IGH-Statut betrifft nicht die Anfrage des Gerichtshofs zu Beweiszwecken, sondern hat eher die Übermittlung rechtlicher Argumente zur Auslegung des Vertrages im Sinn, siehe Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 160.
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ersuchen“. Art. 69 Abs. 1 IGH-VerfO stellt klar, dass dies auch amtswegig geschehen kann. Hierunter fallen auch die VN-Organe und ihre Nebenorgane (Art. 22, 29 VN-Charta).357 Aus dem Grundsatz der Organtreue ergibt sich, dass letztere diesen Ersuchen grundsätzlich nachzukommen haben, sie jedenfalls aber ernsthaft prüfen müssen.358 Dies schließt gerichtliche Nebenorgane wie den JStGH und den RStGH mit ein.359 Ob Art. 34 Abs. 2 S. 1 IGH-Statut darüber hinaus ein Kooperationsgebot von VN-Sonderorganisationen nach Art. 57 VN-Charta oder von VN-fremden Organisationen auf Anfrage durch den IGH normiert, ist hingegen zweifelhaft.360 Zwar kommt das IGH-Statut als Bestandteil der VN-Charta in den Genuss der Kollisionsregel des Art. 103 VN-Charta.361 Fraglich ist jedoch, ob über Art. 103 eine Bindung anderer internationaler Organisationen an Entscheidungen der
357 So notifizierte der Kanzler des IGH im Application of the Genocide Convention-Fall erstmals die VN selbst nach Art. 34 Abs. 3 IGH-Statut. Dazu: Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 2 (2006), 630. 358
Dabei stellt sich die Frage, ob die Verpflichtung der VN-Organe und Nebenorgane unbegrenzt besteht. So können sich im Einzelfall Schwierigkeiten in Bezug auf das Mandat dieser Organe ergeben, wie z.B. beim UNHCR, dessen Grundprinzip die Neutralität ist. Allerdings erscheint es nicht von vorneherein zwingend, dass diese Neutralitätsverpflichtung einer Kooperationspflicht mit einem ebenso neutralen und der richterlichen Unabhängigkeit verpflichteten Gericht entgegensteht. Dazu in Bezug auf den JStGH und VN-Organe: Bank, Max Planck UNYB 4 (2000), 233 (265). 359
Zweifelnd aber: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (135), die erwägt, dass Art. 44 IGH-Statut den IGH verpflichte, staatliche Dokumente direkt beim betroffenen Staat zu erfragen und nicht den JStGH darum zu ersuchen. 360
Den VN-Sonderorganisationen kommt eigene Rechtspersönlichkeit zu (Ipsen/Epping, Völkerrecht (2004), § 32, Rn. 86). Die Beziehungen der VN mit den Sonderorganisationen stellen sich somit als Außenbeziehungen der VN dar: Lagoni, in: Wolfrum (Hrsg.), United Nations: Law, Policies and Practice, Bd. 2 (1995), 1081 (1086, Ziff. 17). 361
Pellet, LPICT 3 (2004), 159 (161); Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (166). Das IGH-Statut ist integraler Bestandteil der VN-Charta: Simma/Mosler (1991), Art. 92, Rn. 16; Goodrich/Hambro/Simons, Charter of the United Nations, Commentary and Documents (1969), 552. Soweit Organe der VN echte Entscheidungsbefugnisse haben, gilt Art. 103 VN-Charta auch für die in Ausübung dieser Befugnisse zustandegekommenen sekundären Rechtsakte: Simma/Bernhardt (1991), Art. 103, Rn. 10. Für Beschlüsse des Sicherheitsrats siehe IGH, Lockerbie Case (Provisional Measures), ICJ Rep. 1992, 114 (126, Ziff. 42).
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VN-Organe hergeleitet werden kann. Dies lässt sich allenfalls für den Sicherheitsrat diskutieren, wenn er unter Kapitel VII der Charta handelt.362 Im Übrigen gilt, dass internationale Organisationen grundsätzlich gleichberechtigt sind und daher einander nicht bindend anweisen können. Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen legt auch der Wortlaut des Art. 34 Abs. 2 S. 1 IGH-Statut eine Bindungswirkung der Anfragen nicht nahe. Daher ist anzunehmen, dass es sich hierbei lediglich um nicht bindende Ersuchen handelt. Allerdings haben angesichts des oben begründeten allgemeinen Gebots interorganisationeller Kooperation auch andere, VN-fremde internationale Organisationen Anfragen des IGH jedenfalls ernsthaft zu prüfen.363 Konkrete und echte Kooperationsgebote bis hin zu Herausgabepflichten können sich jedoch aus sogenannten Relationship Agreements der Sonderorganisationen nach Art. 57, 63 VN-Charta ergeben. In diesen Verträgen wird regelmäßig vereinbart, dass die Organisationen den Anfragen des IGH nach Art. 34 nachkommen.364 Damit erstarkt die allge-
362 Dafür: Schermers/Blokker, International Institutional Law (2003), § 1580, der die Bindungswirkung von VN-Sicherheitsratsresolutionen gegenüber von VN-Mitgliedern gegründeten internationalen Organisationen befürwortet. Jedenfalls gilt als Grenze einer Befugnis zur bindenden Anordnung der Zweck und die Kompetenzen der „angewiesenen“ Organisation: Sarooshi, in: McGoldrick/Rowe/Donelly (Hrsg.), The Permanent International Criminal Court (2004), 95 (106). Dazu auch: Benzing, Max Planck UNYB 7 (2003), 591 (626 f.). Skeptisch: Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (166). 363
Zum parallelen Thema der Prüfungspflicht von Staaten in Bezug auf nichtbindende Akte internationaler Organisationen: Frowein, ZaöRV 49 (1989), 778 (785). 364
Siehe etwa: Agreement between the United Nations and the International Labour Organisation, Art. IX Abs. 1: “Relations with the International Court of Justice: (1) The International Labour Organisation agrees to furnish any information which may be requested by the International Court of Justice in pursuance of article 34 of the Statute of the Court.” Identische Formulierungen finden sich in Art. IX Abs. 1 UN-FAO Agreement; Art. XI Abs. 1 UNUNESCO Agreement; Art. VII Abs. 1 UN-ITU Agreement, Art. VII Abs. 1 UN-WMO Agreement, Art. IX Abs. 1 UN-IMO Agreement. Eine eingeschränkte Formulierung ist enthalten im Agreement Governing the Relationship between the United Nations and the International Atomic Energy Agency (Annex zu A/RES/1145 (XII) vom 14. November 1957), Art. X: “The Agency agrees, subject to such arrangements as it may make for the safeguarding of confidential information, to furnish any information which may be requested by the International Court of Justice in accordance with the Statute of the
210
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meine Kooperationspflicht zwischen internationalen Gerichten und internationalen Organisationen zu einer echten Herausgabepflicht von Informationen auf Ersuchen des IGH.365 In der Praxis fragt der Gerichtshof jedoch nur äußerst selten nach Art. 34 Abs. 2 S. 1 IGH-Statut bei internationalen Organisationen um Informationen an.366 Allenfalls informiert der Gerichtshof internationale Organisationen aufgrund von Art. 34 Abs. 3 IGH-Statut und wartet dann auf freiwillige Eingaben.367
(bb) Art. 34 Abs. 2 Satz 2 IGH-Statut Nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 IGH-Statut nimmt der Gerichtshof auch Auskünfte entgegen, die internationale Organisationen ihm von sich aus erteilen. Arbeitet eine Organisation freiwillig mit dem IGH zusammen, so tritt sie als amicus curiae auf.368 Gleichsam als Korrelat zur Möglichkeit der Anforderung von Auskünften ist der IGH nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 IGH-Statut verpflichtet, Eingaben internationaler Organisationen entgegenzunehmen und auch zu berücksichtigen („shall receive“).369 In diesem Recht auf Berücksichtigung der Eingaben liegt eine Privilegierung internationaler Organisationen gegenüber Drittstaaten, denen weder das Statut noch die IGH-VerfO ein solches Recht zugesteht.370 Von diesem Privileg machen internationale Organisationen jedoch offenbar
Court.” Die IAEA ist keine Sonderorganisation nach Art. 57, 63 VN-Charta (Johnson, Max Planck UNYB 2 (1998), 51). 365
Foster, CYIL 7 (1969), 150 (174); Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 191. 366
Siehe: Chinkin/Mackenzie, in: Boisson de Chazournes/Romano/Mackenzie (Hrsg.), International Organizations and International Dispute Settlement: Trends and Prospects (2002), 135 (141 ff.). 367
So z.B. in IGH, Case Concerning Border and Transborder Armed Actions (Nicaragua v. Honduras), Jurisdiction of the Court and Admissibility of the Application, Urteil vom 20. Dezember 1988, ICJ Rep. 1988, 69 (71 f., Ziff. 6 f.). Siehe auch Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Dupuy, Art. 34, Rn. 10 ff. 368
Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 189.
369
Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 4 (1986), 638. 370
Chinkin, AJIL 80 (1986), 495 (515).
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in nur sehr begrenztem Umfang Gebrauch.371 Für den Fall, dass die Auslegung eines Vertrages in Frage steht, dem auch eine internationale Organisation angehört, bestimmt Art. 43 Abs. 2 IGH-VerfO, dass der Kanzler die Organisation notifiziert, die dann Bemerkungen („observations“) hierzu machen kann. Hierfür gilt nach Art. 43 Abs. 3 IGHVerfO das Verfahren des Art. 69 Abs. 2 IGH-VerfO.
(b) Internationaler Seegerichtshof Das Statut des ISGH kennt keine dem Art. 34 Abs. 2 IGH-Statut entsprechende Norm; jedoch hat der ISGH mit Art. 84 ISGH-VerfO eine detaillierte Verfahrensregel betreffend die Kooperation mit internationalen Organisationen aufgestellt, die Art. 34 IGH-Statut und Art. 69 IGH-VerfO kombiniert.372 Eine explizite Ermächtigungsgrundlage für die Norm ist nicht ersichtlich, jedoch ist davon auszugehen, dass der ISGH die inhärente Kompetenz hat, mit internationalen Organisationen zur Erledigung anhängiger Verfahren zusammenzuarbeiten. Letztlich konkretisiert er damit nur eine nach allgemeinem Völkerrecht bereits bestehende Kooperationspflicht. Art. 84 der VerfO ist vom ISGH bisher nicht angewandt worden.373 Nach Art. 84 Abs. 1 ISGH-VerfO kann sich der Seegerichtshof jederzeit vor Abschluss der mündlichen Verhandlung auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen an eine zwischenstaatliche Organisation („intergovernmental organization“) wenden, um für den anhängigen Fall relevante Informationen zu erhalten. Nach Art. 84 Abs. 2 können internationale Organisationen auch aus eigener Initiative Informationen vorlegen. Eine Verpflichtung zur Berücksichtigung solcher spontaner Einga371 Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Dupuy, Art. 34, Rn. 17; Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (214). Siehe aber die Bemerkungen der Internationalen Luftfahrtorganisation (ICAO) in IGH, Case Concerning the Aerial Incident of 3 July 1988, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Bd. 2 (2000), 617. Diese Bemerkungen enthielten auch einen tatsächlichen Teil über das Verfahren im Rat der ICAO nach der Zerstörung des Iran Air Airbus A300 Flight No. IR655 (S. 628 f.). 372
Anderson, Art. 84, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 234 (235); Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (228). Im Gutachtenverfahren gilt Art. 133 ISGH-VerfO. 373 Anderson, Art. 84, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 234 (236).
212
Kapitel 4
ben ist im Gegensatz zu Art. 34 Abs. 2 IGH-Statut nicht ausdrücklich vorgesehen. Art. 84 Abs. 3 ISGH-VerfO schließlich entspricht funktional Art. 34 Abs. 3 IGH-Statut. Art. 84 Abs. 4 ISGH-VerfO definiert den Begriff „intergovernmental organization“, der in der Liste der Begriffsdefinitionen der ISGHVerfO (Art. 1) nicht auftaucht. In Art. 1 (d) ISGH-VerfO ist von „international organization“ die Rede; die Vorschrift verweist auf Art. 1 der Anlage IX zum SRÜ, der wiederum eine sehr enge Definition enthält. Darunter fallen nur solche Organisationen, deren Mitglieder im durch das SRÜ geregelten Bereich Kompetenzen an die Organisation delegiert haben und die sie außerdem dazu ermächtigt haben, internationale Verträge abzuschließen. Der Begriff „intergovermental organization“ in Art. 84 ISGH-VerfO ist breiter und schließt alle internationalen Organisationen nach der allgemeinen völkerrechtlichen Definition ein.374 Für die Kooperation des ISGH mit der VN ist Art. 4 Abs. 1 (a) (iii) des Agreement on Cooperation and Relationship between the United Nations and the International Tribunal for the Law of the Sea relevant,375 nach dem der VN-Generalsekretär dem ISGH die von ihm gewünschten für einen anhängigen Fall relevanten Dokumente zur Verfügung stellt. Eine direkte Kontaktaufnahme des ISGH zum IGH ist hingegen nicht vorgesehen.376
(c) WTO-Streitbeilegungsmechanismus In der Rechtsprechung der Panels und des Berufungsgremiums finden sich zahlreiche Beispiele der Kooperation mit internationalen Organisationen. Art. 13 DSU schränkt die möglichen Adressaten der Beweisanordnungen der Panels in keiner Richtung ein; daher können auch inter-
374 Gautier, in: Treves u.a. (Hrsg.), Civil Society, International Courts and Compliance Bodies (2005), 233 (239). 375
“Article 4: Exchange of information and documents: … (a) The SecretaryGeneral of the United Nations shall: … (iii) Subject to the applicable rules and regulations and the obligations of the United Nations under the relevant agreements, furnish to the International Tribunal information requested by it as relevant to a case before it.” 376 Zu entsprechenden Vorschlägen siehe Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 1 (2006), 158.
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213
nationale Organisationen um Informationen ersucht werden.377 Bereits unter dem GATT 1947 nahm zumindest ein Panel eine Anfrage bei der WHO in Bezug auf die Gesundheitsschädlichkeit von Zigaretten vor.378 Diese ging auf eine Vereinbarung der Streitparteien und letztlich auf einen Antrag Thailands zurück, wurde also nicht von Amts wegen unternommen.379 Im Fall US – Copyright suchte ein Panel gemäß Art. 13 Abs. 1 DSU um Informationen bei der WIPO nach.380 Dort ging es um die Frage nach der Entstehungsgeschichte und der Entwicklung der Vertragspraxis betreffend Art. 9 Abs. 2, 11 und 11bis des Berner Abkommens. Im Fall EC – Approval and Marketing of Biotech Products konsultierte das Panel verschiedene internationale Organisationen und andere internationale Organe, so die Sekretariate der CBD, der Codex Alimentarius-Kommission, der FAO, der IPPC, der OIE, der UNEP und der WHO.381 Auch das Panel im Verfahren US – Continued Suspension holte bei internationalen Organisationen Informationen ein.382 Anfragen sind auch im Schiedsverfahren möglich.383 Art. 13 DSU erlaubt demnach die amtswegige Konsultation mit anderen internationalen Organisationen. Allerdings sind diese Organisationen mangels weiterer vertraglicher Absprachen nicht an Informationsersuchen der Panels gebunden. Der entscheidende S. 3 des Art. 13 DSU 377
Es spricht nichts dagegen, dass dies auch für andere, politische WTOOrgane gilt. So auch: Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (331). Danach können auch grundsätzlich Ergebnisse eines Trade Policy Review in den Panelprozess einfließen. Dagegen aber: DSB, Canada – Aircraft (Panel), Ziff. 9.274 – 9.275; DSB, Chile – Price Band System (Panel), Ziff. 7.95 (Fn. 664). Dem folgend: Luff, Le droit de l’Organisation mondiale du commerce, Analyse critique (2004), 1031; Waincymer, WTO Litigation (2002), 598. 378
GATT, Thailand – Cigarettes, Ziff. 50 ff.
379
Thailand wurde nach einem Memorandum of Understanding der Parteien (abgedruckt in Ziff. 3 der Entscheidung) das Recht gewährt, vor dem Panel solch ein Ersuchen zu beantragen. Dazu: Thomas, JWT 30 (2) (1996), 53 (77 f.). 380 DSB, US – Section 110(5) of the US Copyright Act (Panel), Ziff. 1.7; siehe auch: DSB, US – Section 211 Appropriations Acts (Panel), Ziff. 1.8 und 8.13; DSB, US – Section 211 Appropriations Act (AB), Ziff. 189. 381
DSB, EC – Approval and Marketing of Biotech Products, Ziff. 7.31 f.
382
DSB, US – Continued Suspension (Panel), Ziff. 7.78: Codex Alimentarius Commission, Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives, International Agency for Research on Cancer (Einrichtung der WHO). 383 DSB, EC – The ACP-EC Partnership Agreement, Ziff. 11, 87: Anfrage bei der FAO.
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spricht nur von Mitgliedern; nur hierauf bezog sich die Entscheidung des Appellate Body in Canada – Aircraft.384
3. JStGH und RStGH als Spezialfälle des Verhältnisses internationaler Gerichte zu internationalen Organisationen Eine besondere Stellung nehmen die vom Sicherheitsrat nach Kapitel VII der VN-Charta eingerichteten ad hoc-Tribunale ein, die hier zum Vergleich dargestellt werden sollen. Diese können jedenfalls gegenüber anderen VN-Nebenorganen bindende Anordnungen treffen, da der VN-Sicherheitsrat seine Kompetenz zur Bindung von VN-Nebenorganen für den Bereich der Ermittlungen und der Strafverfolgung an die Tribunale delegiert hat.385 Fraglich ist indes, ob eine solche Befugnis auch gegenüber VN-Sonderorganisationen oder von der VN völlig unabhängigen Organisationen besteht.386 Frühe Entscheidungen des JStGH sind uneinheitlich, sprechen aber überwiegend gegen diese Möglichkeit.387 In Bezug auf Anordnungen gegenüber der Ratspräsidentschaft der EU und der Europäischen Kommission sprach eine Kammer von „requests to consider“.388 Der folgende Beschluss im Kordić-Fall ordnete jedoch die Herausgabe 384
DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 186 ff.
385
Bank, Max Planck UNYB 4 (2000), 233 (257). Hier gilt, dass sich VNMitarbeiter den VN-Gerichten gegenüber nicht auf Immunitäten berufen können, da die Tribunale als Nebenorgane integrale Bestandteile der Vereinten Nationen sind: Sarooshi, Max Planck UNYB 2 (1998), 141 (160). 386
Gegen eine solche Befugnis: Bank, Max Planck UNYB 4 (2000), 233 (263 f.). Kritisch wohl auch: Katz Cogan, AJIL 101 (2007), 163 (168, Fn. 26). 387 JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Milan Kovačević, Case IT-97-24, Decision Refusing Defence Motion for Subpoena, Beschluss vom 23. Juni 1998 (keine Anordnung gegenüber der OSZE möglich). Auch in JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Blagoje Simić et al., Case IT-95-9, Decision on the Prosecution Motion under Rule 73 for a Ruling Concerning the Testimony of a Witness, Beschluss vom 27. Juli 1999, Ziff. 78 heißt es, dass Art. 29 JStGHStatut nicht auf internationale Organisationen anwendbar sei. 388
JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Dario Kordić and Mario Čerkez, Case IT-95-14/2, Decision on ex parte application for the issuance of an order to the European Communtiy Monitoring Mission, Beschluss vom 3. Mai 2000. Dazu: Sluiter, Commentary, in: Klip/Sluiter (Hrsg.), Annotated Leading Cases of International Criminal Tribunals, The International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia 2000-2001 (2003), 283 (285) (keine Bindungswirkung).
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von Dokumenten gegenüber den EU-Mitgliedstaaten, die zum Zeitpunkt der Einrichtung der European Community Monitoring Mission (ECMM) bereits EU-Mitglieder waren, der Präsidentschaft sowie der Europäischen Kommission an. Die Kammer bediente sich hierzu bindender Terminologie („shall disclose“).389 Dies bestätigend hat eine Verfahrenskammer im Simić-Fall mittels einer teleologischen Auslegung des Art. 29 des JStGH-Statuts diese Kompetenz dem JStGH ausdrücklich auch gegenüber internationalen Organisationen allgemein, also nicht begrenzt auf VN-Nebenorgane, zugesprochen.390 Dabei diskutierte die Kammer die durch die eigenständige Rechtspersönlichkeit einer von den VN unabhängig bestehenden inter389
JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Dario Kordić and Mario Čerkez (ex parte, partly confidential), Case IT-95-14/2, Order for the production of documents by the European Community Monitoring Mission and its member states, Beschluss vom 4. August 2000. Zustimmend: Sluiter, Commentary, in: Klip/Sluiter (Hrsg.), Annotated Leading Cases of International Criminal Tribunals, The International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia 2000-2001 (2003), 283 (286), der die bindende Wirkung der Verfügung auf die EU begrenzt sehen möchte und eine Bindung der Präsidentschaft und der Kommission verneint. Siehe darüber hinaus JStGH, Trial Chamber II, Prosecutor v. Enver Hadžihasanović et al., Case No. IT-01-47-PT, Decision on Defence Access to EUMM Archives, Beschluss vom 12. September 2003. 390
Der entsprechende Antrag wurde vom Mitangeklagten Todorović gestellt, weshalb die Entscheidung oft nach ihm benannt wird. JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Simić et al., Case IT-95-9-PT, Decision on Motion for Judicial Assistance to be Provided by SFOR and Others, Beschluss vom 18. Oktober 2000, Ziff. 46 ff. Die Prozessgeschichte wird detailliert dargestellt von James Sloan, Prosecutor v. Todorović, Illegal Capture as an Obstacle to the Exercise of International Criminal Jurisdiction, LJIL 16 (2003), 85 (88 ff.). Auf die politischen Hintergründe der Entscheidung geht ebenfalls ein: Sluiter, Commentary, in: Klip/Sluiter (Hrsg.), Annotated Leading Cases of International Criminal Tribunals, The International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia 2000-2001 (2003), 283 (287). Dem JStGH zustimmend: Chaumette, ICLR 4 (2004), 357 (417); La Rosa, Juridictions pénales internationales, La procédure et la preuve (2003), 329 f.; Schermers/Blokker, International Institutional Law (2003), § 1580; Peters, EJIL 14 (2003), 1 (26 f.). Differenzierend: Sluiter, Commentary, in: Klip/Sluiter (Hrsg.), Annotated Leading Cases of International Criminal Tribunals, The International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia 20002001 (2003), 283 (288), der die Argumentation der Kammer zwar in Bezug auf internationale Organisationen für korrekt hält, jedoch auf SFOR nicht anwendbar, da es sich hierbei ebenfalls um eine vom Sicherheitsrat eingesetzte bzw. mandatierte Organisation handele, die dem JStGH gleichrangig sei.
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Kapitel 4
nationalen Organisation (NATO, unter deren Kommando die SFOR operiert(e)) aufgeworfenen Probleme nicht, sondern betrachtete solche Organisationen lediglich als gemeinsame Unternehmungen („collective enterprises“) mehrerer Staaten, ging also scheinbar von einer rein intergouvernmentalen und rechtlich nicht verselbständigten Natur dieser Organisationen aus. Auch berücksichtigte die Verfahrenskammer nicht, dass die die IFOR und ihre Nachfolgerin SFOR einsetzenden Resolutionen im Gegensatz zum entsprechenden KFOR-Mandat keine explizite Zusammenarbeitsverpflichtung enthielten.391 Im Fall Milutinović bestätigte die Berufungskammer diese Rechtsprechung ausdrücklich.392 Danach sind Art. 29 JStGH-Statut und Regel 54bis JStGH-VerfO auch auf internationale Organisationen und ihre zuständigen Organe anwendbar.393 Entscheidend dafür war die Überlegung, dass die Funktion des JStGH sonst unterminiert würde. Der Beschluss überzeugt jedoch nicht in der Analyse der SFOR-Resolution, aus deren Ziff. 7 eine Verpflichtung der NATO zur Zusammenarbeit mit dem JStGH hergeleitet wird.394 Ziff. 7 enthält lediglich eine Klarstellung der Rechte und Pflichten der Parteien (zu denen die NATO nicht gehörte) unter Art. X des Annex 1A des Daytoner Friedensabkommens395 (dafür spricht auch das die Ziffer einleitende „reminds“) und begründet keine weiter gehenden
391
S/RES/1244 (1999), 10. Juni 1999, Ziff. 14: “Demands full cooperation by all concerned, including the international security presence, with the International Tribunal for the Former Yugoslavia.” 392
Die Entscheidung der Verfahrenskammer lautet: JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Milan Milutinović et al., Case No. IT-05-87-PT, Decision on Second Application of Dragoljub Ojdanic for Binding Orders Pursuant to Rule 54bis, Beschluss vom 17. November 2005, Ziff. 35-38. 393
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Milan Milutinović et al., Case No. IT-05-87-AR108bis.1, Decision on Request of the North Atlantic Treaty Organization for Review, Beschluss vom 15. Mai 2006, Ziff. 8. Dazu: Dawson/ Dungel, LJIL 20 (2007), 115 (137 f.); Katz Cogan, AJIL 101 (2007), 163 (166). 394
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Milan Milutinović et al., Case No. IT-05-87-AR108bis.1, Decision on Request of the North Atlantic Treaty Organization for Review, Beschluss vom 15. Mai 2006, Ziff. 9. 395
Art. X lautet: “The Parties shall cooperate fully with all entities involved in implementation of this peace settlement, as described in the General Framework Agreement, or which are otherwise authorized by the United Nations Security Council, including the International Tribunal for the Former Yugoslavia.”
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Verpflichtungen.396 Nach der Entscheidung der Berufungskammer wird hierdurch jedoch eine eigenständige Verpflichtung der NATO begründet. Wie die Frage für die ad hoc-Tribunale letztlich zu entscheiden ist, kann für die hier interessierende Konstellation offen bleiben. Die Argumentation der Verfahrenskammern im Simić-Fall (SFOR), im Kordić-Fall (ECMM) sowie der Berufungskammer im Milutinović-Fall stellt maßgeblich auf die Delegation der Befugnisse des Sicherheitsrats nach Kapitel VII VN-Charta an die ad hoc-Tribunale ab, indem sie Art. 29 des JStGH-Statuts teleologisch auslegt und von der Befugnis, Staaten bindend zu verpflichten, auf eine entsprechende Kompetenz gegenüber internationalen Organisationen schließt. Da traditionelle internationale Gerichte ihre Befugnisse jedoch nicht durch solche Beschlüsse des Sicherheitsrats, sondern durch Vertragsschluss zwischen Staaten erhalten, ist die Frage ihrer Befugnisse gegenüber internationalen Organisationen letztlich eine der Konkurrenz zweier gleichrangiger Verträge. Das Regime des JStGH kann daher allenfalls als Kontrast zu den für andere internationale Gerichte geltenden allgemeinen Regeln dienen. Entsprechend gilt auch für den IStGH, dass internationale Organisationen grundsätzlich keine tauglichen Adressaten bindender Ersuchen nach Teil 9 des Statuts sind.397 Stattdessen sieht Art. 87 Abs. 6 IStGH-Statut den Abschluss entsprechender Vereinbarungen vor. Eine solche Vereinbarung ist etwa das Negotiated Relationship Agreement between the International Criminal Court and the United Nations.398
4. Zwischenergebnis Internationale Gerichte haben nach allgemeinen Grundsätzen keine Bindungsbefugnisse gegenüber internationalen Organisationen. JStGH und RStGH bilden aufgrund ihrer Einrichtung nach Kapitel VII VNCharta die Ausnahme. Alle untersuchten internationalen Gerichte können jedoch amtswegig Auskunftsersuchen an internationale Organisati-
396
Darauf weist hin: Sluiter, Commentary, in: Klip/Sluiter (Hrsg.), Annotated Leading Cases of International Criminal Tribunals, The International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia 2000-2001 (2003), 283 (288). 397
Kreß, in: Grützner/Pötz (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen (2002), Vor III 26, Rn. 218. 398
Dazu II. 2.
218
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onen richten.399 Diese Ersuchen sind vorbehaltlich einer in einem Abkommen niedergelegten Verpflichtung nicht verbindlich. Internationale Organisationen trifft jedoch eine allgemeine Kooperationspflicht mit internationalen Gerichten und Schiedsgerichten. Dies umfasst zunächst ein Störungsverbot, demzufolge internationale Organisationen die Arbeit der Gerichte nicht beeinträchtigen dürfen. Darüber hinaus ergibt sich hieraus, dass ein Auskunftsersuchen durch ein internationales Gericht zumindest ernstlich und wohlwollend zu prüfen ist. Besteht eine besondere vertragliche Verpflichtung, etwa in einem Relationship Agreement, so konkretisiert sich diese Kooperationspflicht entsprechend.
II. Amtswegige Kooperation in der Beweiserhebung mit anderen internationalen Gerichten Wie zwischen internationalen Organisationen untereinander oder internationalen Gerichten und internationalen Organisationen besteht auch im Verhältnis zwischen internationalen Gerichten bzw. Schiedsgerichten selbst weder eine geordnete Struktur noch gar eine Hierarchie.400 Zwar findet sich auch die Auffassung, der IGH stehe an der Spitze der internationalen Gerichtsbarkeit, ein Argument, das durch die Einordnung als Hauptrechtsprechungsorgan der Vereinten Nationen
399
Dies gilt auch für den IStGH, Art. 15 Abs. 2, 87 Abs. 6 IStGH-Statut. Dazu: Ciampi, in: Cassese u.a. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1607 (1620 f.). 400
Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), 67 (75); Nollkaemper, ICLQ 52 (2003), 615 (628); Charney, RdC 271 (1999), 101 (356-363); Jennings, ICLQ 45 (1996), 1 (5). Siehe auch: JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Zejnil Delalić et al. (“Čelebići case”), IT-96-21-A, Urteil vom 20. Februar 2001, Ziff. 24: “[T]his Tribunal is an autonomous international judicial body, and although the ICJ is the ‘principal judicial organ’ within the United Nations system to which the Tribunal belongs, there is no hierarchical relationship between the two courts.” Auch: RStGH, Appeals Chamber, Laurent Semanza (Appellant) v. The Prosecutor (Respondent), Case No. ICTR-97-23-A, Beschluss vom 31. Mai 2000, sep. op. Shahabuddeen, abgedruckt in: Klip/Sluiter (Hrsg.), Annotated Leading Cases of International Criminal Tribunals, The International Criminal Tribunal for Rwanda 2000-2001 (2003), 195 (200, Ziff. 27).
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bestärkt wird (Art. 92 VN-Charta).401 Jedoch betont dies nur die besondere politische und argumentative Autorität der Entscheidungen des IGH und ist keine formale Statuszuschreibung in Bezug auf andere internationale Gerichte. Folge dieser Gleichberechtigung ist, dass internationale Gerichte und Schiedsgerichte nicht an einzelne Entscheidungen anderer Gerichte gebunden sind.402 Wie im Verhältnis verschiedener internationaler Organisationen zueinander besteht jedoch gerade aufgrund der Gleichrangigkeit ein Störungsverbot, also eine Verpflichtung zur Achtung der Kompetenz und des Jurisdiktionsbereichs anderer internationaler Gerichte. Ob darüber hinaus ein auch für den Bereich der Tatsachenfeststellung bedeutsames Kooperationsverhältnis anzunehmen ist, soll im Folgenden untersucht werden.
1. Freiwillige Kooperation Internationalen Gerichten und Schiedsgerichten steht es offen, freiwillig zusammenzuarbeiten. Aus allgemeinen Prinzipien lässt sich keine strikte Trennung herleiten; im Gegenteil scheint die kooperative Struktur der Völkerrechtsordnung eher gegen eine Isolierung, wie sie etwa der JStGH im Tadić-Fall postuliert hat, zu sprechen.403 Auch verfolgen alle internationalen Gerichte ein gemeinsames übergeordnetes Ziel, nämlich das der friedlichen Streitbeilegung.404 Interessanterweise enthalten gerade traditionelle gerichtsbegründende Verträge wie das IGH-Statut zwar Normen zur Kooperation mit internationalen Organisationen (was gerichtliche Organe dieser Organisationen mit einschließt), nicht jedoch mit „freistehenden“, nicht organisatorisch eingebundenen Gerichten (wie z.B. dem ISGH). Diese Lücke
401
Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 1 (2006), 143 und IGH, Request for an Examination of the Situation in Accordance With Paragraph 63 of the Court’s Judgment of 20 December 1974 in the Nuclear Tests (New Zealand v. France) Case, Beschluss (Order) vom 22. September 1995, diss. op. Weeramantry, ICJ Rep. 1995, 317 (345). 402
Zur prozessualen Rechtssetzung durch ständige Rechtsprechung siehe jedoch Kapitel 2 E. I. 403
Finke, Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen (2004), 321 f.; Shany, The competing jurisdictions of international courts and tribunals (2003), 280 f. 404
(482).
Darauf weist hin: Martinez, Stanford Law Review 56 (2003-2004), 429
220
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mag sich historisch daraus erklären, dass solche nicht an eine internationale Organisation angegliederten permanenten Gerichte zur Zeit der Entstehung der betrachteten gerichtseinsetzenden Verträge nicht üblich waren. Allerdings enthält auch das jüngere ISGH-Statut keine explizit auf die Kooperation mit anderen Gerichten zugeschnittenen Normen. Es finden sich jedoch auch Beispiele für eine explizite Kooperationsbefugnis. So normiert etwa Art. 32 Abs. 7 (c) OSPAR-Konvention: “If two or more arbitral tribunals constituted under the provisions of this Article are seized of requests with identical or similar subjects, they may inform themselves of the procedures for establishing the facts and take them into account as far as possible.”405 Damit wird keine Informations- bzw. Kooperationspflicht, sondern lediglich ein Recht statuiert („may inform themselves“ und „may take into account“). Auch gilt dieses Informationsanfragerecht ausdrücklich nur im Verhältnis zwischen nach der OSPAR-Konvention eingerichteten Schiedsgerichten406 und nicht gegenüber anderen internationalen Spruchkörpern. Ein solches Frage- und Kooperationsrecht kann jedoch im Hinblick auf andere Gerichte und Schiedsgerichte verallgemeinert werden. Art. 34 Abs. 2 IGH-Statut ist danach teleologisch dahingehend auszulegen, dass der IGH – unabhängig vom noch zu beschreibenden Relationship Agreement – unmittelbar mit anderen Gerichten kooperieren kann.407 Gleiches gilt für den ISGH nach Art. 84 Abs. 1 seiner Verfahrensordnung.408 Auch im Bereich der WTO-Streitbeilegung können Panels nach Art. 13 Abs. 1 DSU andere, nicht unter dem DSU etablierte
405
Siehe auch Art. 6 Abs. 3 Annex B der Convention for the Prevention of Marine Pollution from Land-Based Sources (Paris Convention) von 1974: “If two or more arbitral tribunals constituted under the provisions of this Annex are seized of requests with identical or similar subjects, they may inform themselves of the procedures for establishing the facts and take them into account as far as possible.” Eine gleichlautende Formulierung findet sich in Art. 6 Abs. 3 Annex A der Convention for the Protection of the Mediterranean Sea Against Pollution (Barcelona Convention) von 1976. 406
Finke, Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen (2004), 323. 407
Dabei ist fraglich, ob dies nach Art. 50 IGH-Statut i.V.m. Art. 67 IGHVerfO erfolgen kann. So: Ebner, Streitbeilegung im Welthandelsrecht (2005), 146. 408
Ebner, Streitbeilegung im Welthandelsrecht (2005), 152.
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internationale Gerichte um Rechts-, aber auch Tatsachenauskünfte ersuchen.409 Ebensolches trifft auf Erfüllungskontrollmechanismen zu.410 Internationale Gerichte können jedoch nicht nur andere Gerichte um Auskünfte ersuchen, sondern auch amtswegig (also insbesondere ohne dass eine Partei diese in den Prozess eingeführt hat) auf frei verfügbare tatsächliche Feststellungen anderer internationaler Spruchkörper, etwa Tatsachenfeststellungen in veröffentlichten Urteilen, zurückgreifen.411 Dies gilt auch für Urteile internationaler Strafgerichte,412 wie es im Application of the Genocide Convention-Fall – freilich nach Vorlage durch die Parteien – auch geschehen ist. Allerdings ist dann fraglich, welcher Beweiswert den Feststellungen zukommen soll.413 Die Parteien können sich darüber hinaus einigen, dass ein internationales Gericht in einem anderen Verfahren durchgeführte Zeugenbefragungen berücksichtigt, sie aber nochmals der Beweiswürdigung unterzieht.414 Jedoch ist einem Antrag auf Übernahme der tatsächlichen Feststellungen eines anderen Gerichts jedenfalls dann nicht stattzugeben, wenn dieses Schiedsgericht ultra vires gehandelt hat.415
409
Pauwelyn, AJIL 95 (2001), 535 (558); Neumann, ZaöRV 61 (2001), 529
(568). 410
Zu sogenannten Multilateral Environmental Agreements (MEA) und den hiermit verbunden Erfüllungskontrollmechanismen: Marceau, JWT 35 (6) (2001), 1081 (1126 f.) 411
Nollkaemper, ICLQ 52 (2003), 615 (628), der allerdings bestätigend die Bestellung einer Sachverständigengruppe nach Art. 50 IGH-Statut nennt. Hierbei handelt es sich aber gerade nicht um die Berücksichtung anderer, vom Gericht unabhängiger Institutionen, sondern um einen – um die deutsche Terminologie aufzugreifen – „Richtergehilfen“ (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 120, Rn. 1). 412
Nollkaemper, ICLQ 52 (2003), 615 (628).
413
Ders., 629 möchte nach Art der Institution unterscheiden, die die Feststellung getroffen hat, betont aber, dass es keine allgemeingültige Regel gebe, nach der sich der Beweiswert bestimme. Dazu unten Kapitel 8 C. II. 9. 414
Ronald S. Lauder v. Czech Republic, Schiedsspruch vom 3. September 2001, Ziff. 29 (abrufbar unter ). 415
ICSID, Southern Pacific Properties (Middle East) Ltd. v. Arab Republic of Egypt, Case No. ARB/84/3, Decision on Jurisdiction vom 14. April 1988, ILR 106 (1997), 531 (562, Ziff. 120 f.). Der frühere Schiedsspruch der Internationalen Handelskammer (ICC) war von der Pariser Cour d’appel wegen Zuständigkeitsmängeln für nichtig erklärt worden.
222
Kapitel 4
2. Kooperationspflichten Neben der Möglichkeit freiwilliger Kooperation und über ein reines koordinatives Störungsverbot hinaus können auch prozedurale Kooperationspflichten von Streitbeilegungsorganen entstehen. Dies ist angesichts der Vermehrung internationaler Streitbeilegungsorgane und der damit einhergehenden Sorge über eine Fragmentierung des Völkerrechts durch voneinander abweichende Auslegungen identischer Normen bisher vor allem in Bezug auf das anwendbare materielle Recht (Auslegungskonflikte) oder die konkurrierende Befassung internationaler Gerichte (Zuständigkeitskonflikte) diskutiert worden.416 Hier werden unterschiedliche Lösungen angeboten. Einerseits wird argumentiert, dass überhaupt keine Kooperationspflicht bestehe.417 In Ermangelung eines Vorlageverfahrens nach Vorbild des Art. 234 EGV könne man daher im Wesentlichen nur de lege ferenda eine Verpflichtung zur wechselseitigen Beachtung von Entscheidungen zu Rechtsfragen fordern, denen ein anderes Streitbeilegungsorgan näher steht.418 Demzufolge sind internationale Gerichte weder dazu verpflichtet, eine Rechtsfrage einem anderen, sachnäheren Spruchkörper vorzulegen, noch einem solchen Ersuchen nachzukommen. Auch sind sie nicht verpflichtet, einer Rechtsauffassung eines anderen Gerichts zu folgen. Nach einer anderen Auffassung zieht das Störungsverbot eine Verpflichtung internationaler Gerichte nach sich, um einer Koordination der Auslegung und Anwendung materiellen Völkerrechts willen zu kooperieren.419 Danach gilt der Grundsatz, dass Konflikte aufgrund sich 416
Dazu umfassend: Finke, Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen (2004), 322 ff.; Ebner, Streitbeilegung im Welthandelsrecht (2005). Siehe auch: Prager, in: Blokker/Schermers (Hrsg.), Proliferation of International Organizations, Legal Issues (2001), 279 ff. und jüngst Lavranos, LJIL 19 (2006), 223 ff. 417
Oellers-Frahm, Max Planck UNYB 5 (2001), 67 (75): “[T]here exists neither a hierarchy between [international courts] nor even a general obligation of cooperation or coordination.”; skeptisch auch: Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (163). 418
Walter, in: Héritier/Stolleis/Scharpf (Hrsg.), European and International Regulation after the Nation State (2004), 31 (53); Ebner, Streitbeilegung im Welthandelsrecht (2005), 160 ff. 419
Neumann, ZaöRV 61 (2001), 529 (566); RStGH, Appeals Chamber, Laurent Semanza (Appellant) v. The Prosecutor (Respondent), Case No. ICTR-9723-A, Beschluss vom 31. Mai 2000, sep. op. Shahabuddeen, abgedruckt in: Klip/Sluiter (Hrsg.), Annotated Leading Cases of International Criminal Tribu-
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überschneidender Jurisdiktionsbereiche durch Zusammenarbeit der betroffenen Parteien zu lösen seien.420 Angesichts des Störungsverbots und Kooperationsgebots zwischen internationalen Organisationen scheint diese Ansicht überzeugender. Das Koordinations- und Kooperationsgebot internationaler Gerichte gilt nach Völkergewohnheitsrecht und damit vorbehaltlich einer abweichenden vertraglichen Regel. Es bezieht sich zudem auch auf Tatsachenfragen, da eine Koordination und Kooperation internationaler Gerichte notwendig zur Erreichung ihres Zwecks ist und damit eine Forderung des Effektivitätsgebots darstellt: “[A] court’s failure to cooperate on matters such as obtaining evidence is likely to decrease, not increase, the speed and accuracy of their decisions.”421 Allerdings ist dieses allgemeine Kooperationsgebot abstrakt; konkrete Rechtspflichten folgen hieraus nicht. In der Praxis existieren daher gerade für die Kooperation in Tatsachenfragen relevante Abkommen, die die zwischengerichtliche Kooperationspflicht, insbesondere die Pflicht zum Informationsaustausch, konkretisieren. Im Verhältnis zwischen IGH und ISGH normieren Art. 4 Abs. 1 (a) (ii) und Art. 4 Abs. 1 (b) (iii) des Agreement on Cooperation and Relationship between the United Nations and the International Tribunal for the Law of the Sea eine umfangreiche und beiderseitige Pflicht zum Austausch von Informationen.422 Absatz 2 der Vorschrift nimmt solche Informationen von der Verpflichtung aus, deren Übermittlung gegen Geheimhaltungsvorschriften verstoßen würde. Für das Verhältnis zwischen IStGH und VN sieht Art. 5 Abs. 1 (b) (ii) des Negotiated Relationship Agreement between the International Criminal Court and the United Nations vor, dass der Kanzler des IStGH “[f]urnish to the United Nations, with the concurrence of the Court and subject to its Statute and rules, any information relating to the nals, The International Criminal Tribunal for Rwanda 2000-2001 (2003), 195 (200, Ziff. 27): “[T]he necessity to respond to [the need of achiving coherence within the system of international law] is a duty; it is a legal duty flowing from the nature of the mandate of the particular international judicial body; and it has to be discharged in good faith.” 420
Finke, Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen (2004), 331, der eine Nichtigkeit der Gerichtsentscheidung bei Verstoß des Gerichts gegen diese Kooperationspflicht befürwortet (S. 333). 421 422
Martinez, Stanford Law Review 56 (2003-2004), 429 (469).
Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 1 (2006), 159.
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work of the Court requested by the International Court of Justice in accordance with its Statute.” Gleichzeitig verpflichten sich die VN in Art. 15 Abs. 1 des Abkommens, dem IStGH die nach Art. 87 Abs. 6 IStGH-Statut ersuchten Informationen oder Unterlagen beizubringen. Art. 16 betrifft die Aufhebung der Verschwiegenheitsverpflichtung von VN-Mitarbeitern, die vom IStGH als Zeugen geladen werden. Die WTO ist keine Sonderorganisation der VN; damit existiert kein Abkommen nach Art. 57, 63 VN-Charta.423 Die beiden Organisationen haben auch kein den beiden zitierten Instrumenten vergleichbares formelles Abkommen geschlossen. Allerdings regelt ein Briefwechsel das Verhältnis beider Organisationen.424 Darin ist nur eine sehr allgemeine Informationsaustauschpflicht geregelt, die die gerichtlichen Organe nicht ausdrücklich mit einbezieht.425 Inwieweit sie sich auf WTOPanels bezieht, ist daher fraglich.
3. Grenzen der Kooperation: Konflikt mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und der gerichtlichen Funktion In Bezug auf alle angesprochenen Rechte und Pflichten zum Informationsaustausch stellt sich die Frage der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn ein Gericht die in einem anderen Forum ermittelten Tatsachen seiner Entscheidung zugrunde legt. So stufte ein ICSID-Schiedsgericht eine Übernahme von Tatsachenfeststellungen eines anderen Schiedsgerichts als problematisch ein, da sie im Ergebnis einen Verzicht auf die eigene Tatsachenermittlungsfunktion eines Gerichts bedeute423
Kaiser, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), CWTL 2 (2006), Article V WTO Agreement, Rn. 10. 424
WTO, Arrangements for Effective Cooperation with other Intergovernmental Organizations, Relations Between the WTO and the United Nations, Communication from the Director-General, WT/GC/W/10, 3. November 1995. Dazu: Benedek, in: Weiss/Denters/de Waart (Hrsg.), International Economic Law with a Human Face (1998), 479 (482 f.); Tietje, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch (2003), Rn. 77 und ders., JWT 36 (2002), 501 (506). 425
“Exchange of information and documents: The United Nations receives copies of all GATT documents regularly distributed to GATT CONTRACTING PARTIES. The GATT receives copies of documents for the General Assembly and the Economic and Social Council, and of other United Nations organs which are of interest to GATT. In addition, GATT provides such special information as may be requested by the United Nations.”
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te.426 Dies sei kaum vereinbar mit der grundlegenden Funktion des Beweises im gerichtlichen Verfahren, nämlich das Gericht in die Lage zu versetzen, die Wahrheit über die widerstreitenden Anträge der Parteien festzustellen. Daneben verletzte ein unbesehenes Übernehmen die Pflicht des Schiedsgerichts aus Regel 47 der ICSID-AR, nach dem der Schiedsspruch eine Tatsachendarstellung „as found by the Tribunal“ enthalten muss. Gleiche Erwägungen gelten im Grundsatz für die internationale zwischenstaatliche Gerichtsbarkeit. Dies schließt eine Berücksichtigung von Informationen anderer internationaler Gerichte als Beweismittel jedoch nicht aus. Es macht jedoch deutlich, dass das Gericht die so gewonnenen Informationen selbst würdigen muss.427
III. Kompetenzen in Bezug auf atypische Völkerrechtssubjekte Zu den atypischen Völkerrechtssubjekten zählen solche Einheiten, die weder Staaten noch internationale Organisationen sind, aber dennoch über partielle Völkerrechtsfähigkeit verfügen.428 Dazu gehören nach unbestrittener Auffassung das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und der Heilige Stuhl. Die nachfolgenden Bemerkungen beziehen sich im Wesentlichen auf das IKRK,429 das bereits mehrfach
426
ICSID, Southern Pacific Properties (Middle East) Ltd. v. Arab Republic of Egypt, Case No. ARB/94/3, Decision on Jurisdiction vom 14. April 1988, ILR 106 (1997), 531 (562, Ziff. 120 f.): “In effect, the submission asks the Tribunal to abdicate its fact finding function and adopt as its own the findings of a tribunal that has been held to have acted in excess of the powers conferred upon it by the arbitration clause. Such an approach is hardly consistent with the basic function of evidence in the judicial process, which is to enable the tribunal to determine the truth concerning the conflicting claims of the parties before it. Moreover, Rule 47 of the ICSID Arbitration Rules requires that ICSID tribunals make their own findings of fact … .” Bestätigt durch ICSID, Biwater Gauff (Tanzania) Ltd. v. United Republic of Tanzania, Case No. ARB/05/22, Award, Schiedsspruch vom 24. Juli 2008, Ziff. 473 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>). 427
Zur Frage der Bindungswirkung von Tatsachenfeststellungen anderer internationaler Gerichte siehe Kapitel 7 B. II. 4. (a). 428 429
Stein/von Buttlar, Völkerrecht (2005), Rn. 483. Allgemein zum IKRK: von Starck, JIR 13 (1967), 210.
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eine Rolle in der internationalgerichtlichen Tatsachenermittlung gespielt hat.
1. Internationale Strafgerichtshöfe Die erste IKRK-Entscheidung des JStGH (1999) betraf nicht die Frage, ob das Tribunal das IKRK bindend anweisen kann, in seinem Besitz befindliche Urkunden vorzulegen; stattdessen war zu entscheiden, ob das Vertraulichkeitsinteresse des IKRK die freiwillige Zeugenaussage eines ehemaligen IKRK-Mitarbeiters unzulässig machen kann.430 Eine bindende Anordnung an das IKRK dürfte aber bereits durch den in der Entscheidung bestätigten Vertraulichkeitsanspruch bzw. das Beweisverweigerungsrecht (evidentiary privilege) ausgeschlossen sein.431 So ging es im zweiten IKRK-Beschluss im Jahr 2000 um eine Anordnung gegenüber dem IKRK als solchem. Die Verfahrenskammer ging vom absolut geltenden Beweisverweigerungsrecht aus und lehnte die Argumentation der Verteidigung ab, nach der das Komitee hierauf durch Vorlage der fraglichen Dokumente an die Republika Srpska verzichtet habe.432
2. Zwischenstaatliche Gerichte Eine Weisungsbefugnis internationaler Gerichte gegenüber dem IKRK ist nach allgemeinen Grundsätzen nicht anzunehmen. Der Status des Komitees ist insofern mit dem von am konkreten Verfahren nicht beteiligten Drittstaaten oder internationalen Organisationen zu vergleichen, denen gegenüber mangels ausdrücklicher Anordnung ebenfalls keine Befugnisse bestehen.
430
JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Blagoje Simić et al., Case IT-95-9, Decision on the Prosecution Motion under Rule 73 for a Ruling Concerning the Testimony of a Witness, Beschluss vom 27. Juli 1999, Ziff. 38. 431 432
Dazu: Kapitel 7 B. III. 6. (a).
JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Blagoje Simić et al., Case IT-95-9, Decision Denying Request for Assistance in Securing Documents and Witnesses from the International Committee of the Red Cross, Beschluss vom 7. Juni 2000.
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D. Amtswegige Kompetenzen in Bezug auf natürliche und juristische Personen nationalen Rechts Neben Staaten und internationalen Organisationen können auch natürliche und juristische Personen des nationalen Rechts direkte Bedeutung für die Beweiserhebung haben, etwa als Zeugen oder Sachverständige, aber auch als Besitzer von relevanten Dokumenten. Aufgrund des zwischenstaatlichen Charakters ist fraglich, ob eine Kompetenz des internationalen Gerichtes besteht, amtswegig Individuen und juristische Personen in den Prozess einzubeziehen, d.h. Zeugen zu laden, Sachverständige zu bestellen, Individuen oder juristische Personen zur Herausgabe von in ihrem Besitz befindlichen Beweismitteln anzuhalten oder diese als amici curiae zuzulassen. Damit verbunden ist die Frage, ob das internationale Gericht das Individuum selbst völkerrechtlich bindend verpflichten kann, ob die Verpflichtung zur Beibringung des Zeugen bzw. Sachverständigen ausschließlich den Staat trifft, dessen Staatsangehörigkeit die betreffende Person hat oder in dessen Territorium sie sich aufhält, oder ob unter Umständen auch beide verpflichtet werden. Diese Problematik ist klar zu trennen von der Frage, ob Entscheidungen eines internationalen Gerichts unmittelbar in einer nationalen Rechtsordnung anwendbar sind und von nationalen Behörden oder Gerichten ausgeführt werden können oder müssen (sog. direct effect). Während es im letzteren Fall um einen durch das nationale Verfassungsrecht determinierten Transformationsvorgang und damit um die Anwendung nationalen Rechts geht (oder im Falle supranationaler Organisationen um einen direkten Durchgriff, der bei internationalen Gerichten klassischerweise nicht in Betracht kommt),433 stellt sich im ersten Fall zunächst nur die Frage, ob der Einzelne qua Völkerrecht, also auf rein völkerrechtlicher Ebene, verpflichtet werden kann oder ob die Verpflichtung beim Staat liegt, dessen Staatsangehörigkeit der Einzelne besitzt.
I. Amtswegige Ladung von Zeugen Unter diesem Abschnitt stellen sich zwei Fragen. Zunächst ist zu untersuchen, ob bzw. unter welchen Umständen internationale Gerichte 433 Zu diesem Komplex: von Bogdandy, in: Dörr (Hrsg.), Ein Rechtslehrer in Berlin (2004), 1 (21 ff.).
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Zeugen amtswegig laden können. Falls die Antwort positiv ausfällt, muss weiter geklärt werden, wie dies zu geschehen hat; dabei interessiert insbesondere, ob das Gericht sich an das Individuum selbst richten kann oder ob Ladungen stets an den Staat zu richten sind, dessen Staatsangehörigkeit der Zeuge hat.
1. Kompetenz internationaler Gerichte zur Zeugenladung (a) Internationaler Gerichtshof Die Ladung von Zeugen durch den IGH richtet sich nach den Art. 44, 48, 50 und 51 des IGH-Statuts. Weitere Bestimmungen finden sich in der VerfO. Nach Art. 62 Abs. 2 IGH-VerfO kann der Gerichtshof jederzeit „Vorkehrungen für die Anwesenheit eines Zeugen zur Aussage treffen“.434 Dass es sich dabei um die amtswegige Ladung von Zeugen handelt, ergibt sich aus Art. 68 IGH-VerfO.435 Diese Kompetenz war bereits für den StIGH anerkannt.436 Weder der StIGH noch der IGH haben jedoch bisher von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Zeugen amtswegig zu laden.437
434
Guyomar, Commentaire du Règlement de la Cour internationale de Justice (1983), 407. 435
Art. 68 IGH-VerfO lautet: “Witnesses and experts who appear at the instance of the Court under Article 62, paragraph 2, and persons appointed under Article 67, paragraph 1, of these Rules, to carry out an enquiry or to give an expert opinion, shall, where appropriate, be paid out of the funds of the Court.” (Hervorh. d. Verf.). Für eine amtswegige Kompetenz auch Chung, Legal Problems Involved in the Corfu Channel Incident (1959), 148 f. 436 Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 369: «[L]a cour peut spontanément s’adresser à un gouvernement afin d’obtenir la comparution d’un témoin déterminé.» (Hervorh. d. Verf.). Siehe auch die Diskussion in StIGH, Acts and Documents Concerning the Organisation of the Court, Ser. D No. 2, Preparation of the Rules of Court (1922), 145, bei der eine Mehrheit der Richter des StIGH für eine solche amtswegige Kompetenz stimmte. 437
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 51, Rn. 18; RuizFabri/Sorel, Juris-classeurs de droit international, Bd. 4, Fasc. 217 (30. September 2001), 8 (Ziff. 32). Auch der gelegentlich als Beispiel zitierte Certain German Interests-Fall des StIGH ist kein Fall der Anwendung des Art. 62 IGHVerfO (bzw. der entsprechenden Vorgängernorm in der StIGH-VerfO), da der StIGH lediglich in unbestimmter Weise zusätzliche Informationen anforderte, die Parteien selbst jedoch entschieden, dies durch Zeugenaussagen zu tun, siehe
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(b) Internationaler Seegerichtshof Der Zeugenbeweis findet im ISGH-Statut nicht ausdrücklich Erwähnung. Die Kompetenzen des Seegerichtshofs und das Verfahren sind aber in den Art. 72, 78 bis 80, 83 ISGH-VerfO geregelt. Danach ist der Gerichtshof grundsätzlich befugt, Zeugen amtswegig zu laden (Art. 77 Abs. 2 ISGH-VerfO).438 Dass es sich um amtswegig geladene Zeugen handelt, ergibt sich wiederum aus Art. 83 ISGH-VerfO.439 Auch können Zeugen auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen an anderen Orten als dem Gerichtssitz vernommen werden (Art. 78 Abs. 2 ISGHVerfO). In der Praxis hat der Gerichtshof keine Zeugenladungen amtswegig ausgeprochen. Eine von einer Partei beantragte Ladung lehnte er im Camouco-Fall ab.440
(c) Iran-US Claims Tribunal Art. 25 IUSCT-VerfO betrifft nur von den Parteien gerufene Zeugen. Eine Befugnis zur amtswegigen Zeugenladung kann jedoch aus Art. 24 Abs. 3 IUSCT-VerfO hergeleitet werden. Jedoch wurde in keinem Fall ein Zeuge vom Tribunal amtswegig geladen.
(d) WTO-Streitbeilegung Zeugen haben soweit ersichtlich bisher keine Rolle vor den Panels gespielt. Ein Panel hätte allerdings nach Art. 13 Abs. 1 DSU unzweifelhaft die Kompetenz, auch Zeugen amtswegig zu laden. Wenn ein Panel Informationen nicht über den „Umweg“ über ein Mitglied nachsucht, Beschluss vom 22. März 1926, hierzu StIGH, Ser. D No. 2, 212. Im ersten Sinne (proprio motu-Ladung): Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 160. Richtig: Guyomar, Commentaire du Règlement de la Cour internationale de Justice (1983), 409. 438
Eiriksson, The International Tribunal for the Law of the Sea (2000), 186; Anderson, Art. 77, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 219-221. Anders: Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (232). 439
Anderson, Art. 83, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 233. 440
Anderson, Art. 72, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 209 (210 f.); Eiriksson, The International Tribunal for the Law of the Sea (2000), 185.
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sondern direkt mit der Einzelperson oder dem Gremium kommuniziert, muss es die Behörden des betreffenden Mitglieds lediglich hiervon unterrichten (Art. 13 Abs. 1 S. 2 DSU).
2. Adressat der Ladung und Bindungswirkung Ist demnach die Kompetenz zur amtswegigen Ladung gegeben, fragt sich, wem gegenüber das Gericht die Verpflichtung ausspricht. Rechtsakte internationaler Organisationen und internationaler Gerichte richten sich nach herkömmlicher Rechtslage und Praxis an Mitgliedstaaten, nicht direkt an deren Rechtsunterworfene.441 Internationale Organisationen durchdringen also nur in Ausnahmefällen den „Schleier der Rechtspersönlichkeit“ ihrer Mitgliedstaaten.442 Eine vieldiskutierte mögliche Ausnahme bilden die Resolutionen des VN-Sicherheitsrats.443 Adressat der durch die Rechtsakte begründeten völkerrechtlichen Verpflichtung ist daher nach allgemeinem Völkerrecht der Staat, nicht die Einzelperson. Dementsprechend ist anerkannt, dass auch internationale Gerichte nicht die inhärente, also ohne ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage vorauszusetzende Befugnis besitzen, Zwangsmittel gegen natürliche Personen zu verhängen.444 Die Problematik beginnt aber bereits an einem logisch früheren Zeitpunkt als der (zwangsweisen) Durchsetzung einer Pflicht, nämlich der Begründung der Verpflichtung eines Einzelnen.
441 In Bezug auf den IStGH: Kreß, in: Grützner/Pötz (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen (2002), Vor III 26, Rn. 214 ff. 442
Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen (2000), Rn. 1564. 443
Zur (strittigen) Durchgriffswirkung der Beschlüsse des VN-Sicherheitsrats: Herdegen, Die Befugnisse des UN-Sicherheitsrates (1998), 33 f. sowie Wagner, ZaöRV 63 (2003), 879 (897 ff.). Relevante Sicherheitsratsresolutionen aus neuerer Zeit sind S/RES/1267 (1999) vom 15. Oktober 1999, S/RES/1333 (2000) vom 19. Dezember 2000 und S/RES/1390 (2002) vom 28. Januar 2002 (alle zu Afghanistan, dazu: Frowein, in: FS-Eitel (2003), 121 (129 ff.)) sowie S/RES/1373 (2001) vom 28. September 2001 (Terrorismus) und S/RES/1591 (2005) vom 29. März 2005 (Sudan). 444
Dazu noch unten, Kapitel 6 B.
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(a) IGH und ISGH Die Statuten internationaler Gerichte geben über diese Frage in der Regel keine ausdrückliche Antwort. Nach Art. 44 Abs. 1 IGH-Statut gilt allerdings, dass der Gerichtshof sich für Kommunikationen an andere Personen als die Bevollmächtigten, Beistände und Anwälte der Parteien direkt an die Regierung des Staates wenden muss, in dessen Gebiet die Zustellung erfolgen soll.445 Für den Seegerichtshof bestimmt Art. 52 Abs. 2 (e) ISGH-VerfO dasselbe. Eine direkte Kontaktaufnahme ist daher nicht vorgesehen. Hier folgt das Prozessrecht des IGH und ISGH der I. Haager Konvention von 1907, nach deren Art. 25 „[d]ie Zeugen und die Sachverständigen … durch die Kommission auf Antrag der Parteien oder von Amts wegen geladen [werden], und zwar in allen Fällen durch Vermittlung der Regierung des Staates, in dem sie sich befinden“.446 Gleiches gilt nach Art. 76 der I. Haager Konvention von 1907, des Vorbilds des Art. 44 IGH-Statut. Dies könnte man als rein formale und von Zweckmäßigkeitserwägungen getragene Regel verstehen.447 Art. 44 Abs. 1 IGH-Statut stellt jedoch darüber hinaus klar, dass die Ladung nur den Staat bindet, dessen Staatsangehörigkeit der Zeuge besitzt bzw. in dessen Territorium er sich aufhält, und nicht den Zeugen selbst.448 Damit ist Art. 44 Abs. 1 nicht lediglich eine formale Zustellungsvorschrift, sondern verdeutlicht gleichzeitig, dass Individuen nicht vollständig rechtsfähige Völkerrechtssubjekte sind und ihnen in diesem Fall die (passive) Rechtsfähigkeit bzw. Verpflichtungsfähigkeit fehlt, also die Fähigkeit, Träger (genu445
Art. 44 Abs. 1 IGH-Statut gilt nach richtigem Verständnis nicht im Verhältnis des Gerichts zu den Parteien, sondern (nur) zu dritten Staaten, siehe oben unter B. II. 2. (b). 446 Dazu Wehberg, Kommentar zu dem Haager „Abkommen betreffend die friedliche Erledigung internationaler Streitigkeiten“ vom 18. Oktober 1907 (1911), 36: keine direkten Zeugenladungen mit Umgehung des Landes, in dem der Zeuge wohnt. 447
Chaumette, ICLR 4 (2004), 357 (391), die Art. 44 Abs. 1 IGH-Statut als Ausdruck des Prinzips des Völkerprozessrechts ansieht, dass internationale Gerichte eine Zustellung an Einzelne nur über Staaten bewirken können. 448
Hudson, The Permanent Court of International Justice 1920-1942 (1943), 569; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Walter, Art. 44, Rn. 5. Ebenso für den StIGH: Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 369: «[L]a cour peut spontanément s’adresser à un gouvernement afin d’obtenir la comparution d’un témoin déterminé.» (Hervorh. d. Verf.).
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in völkerrechtlicher) Verpflichtungen zu sein. Dies hat zur Folge, dass sie zumindest in zwischenstaatlichen Streitigkeiten nicht Adressaten einer (auch prozessualen) Entscheidung des internationalen Gerichts sein können. Auch ein Direktzugriff in der Form einer nicht bindenden Anordnung ist ausgeschlossen. Diese Erkenntnis wird bestätigt durch einen Blick auf die für staatliche Gerichte im internationalen Rechtsverkehr geltenden Regeln. Hoheitsakte, wozu auch hoheitliche Ermittlungen wie gerichtliche Vorlageanordnungen oder Ladungen zählen, verletzen die Souveränität anderer Staaten.449 Auch sogenannte „schlicht-hoheitliche Ermittlungen“ sind nach wohl herrschender Meinung ausgeschlossen, also beispielsweise die rein informatorische Befragung von im Ausland ansässigen Zeugen durch das Gericht bzw. deren informelle Mithilfe.450 Ebensowenig sind über das Gericht an den ausländischen Zeugen übermittelte Fragen der Parteien selbst möglich, weil auch dann noch die Übersendung der gerichtlichen Fragen dem Staat als eigenes Handeln zugerechnet werden kann.451 Auch die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Vorlegung im Ausland belegener Urkunden ist zweifelhaft.452
(b) WTO-Streitbeilegung Im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsverfahrens ist dies auf den ersten Blick nach Art. 13 Abs. 1 DSU anders: Nach dem insofern unmissverständlichen Wortlaut der Norm kann sich das Panel hier unmittelbar an den Einzelnen richten und muss die Behörden des Staates (nicht notwendigerweise die Regierung) lediglich informieren.453 Diese Möglich-
449 Geimer, Internationales Zivilprozessrecht (2005), Rn. 371, 3630; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht (2006), Rn. 133, 168. 450
Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht (1998), 451 f.; Mössle, Extraterritoriale Beweisbeschaffung im internationalen Wirtschaftsrecht (1990), 320 f. A.A. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht (2005), Rn. 2384. 451 452 453
Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht (1998), 452. Dazu: Geimer, Internationales Zivilprozessrecht (2005), Rn. 2365 f.; 2386.
Der Vorschlag, ICSID-Schiedsgerichten die Befugnis zur unmittelbaren Ladung von Zeugen zu geben, scheiterte knapp (6 Stimmen zu 7), ICSID, Summary Proceedings of the Legal Committee Meeting, December 7, Afternoon, SID/LC/ SR/15 (December 30, 1964), abgedruckt in: Convention on the Settlement of Investment Disputes between States and Nationals of Other States, Documents Concerning the Origin and the Formation of the Convention,
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keit wird jedoch in der Praxis sehr zögernd angewandt, da damit der Anschein erweckt werden könnte, die Regierung des betreffenden Staates „umgehen“ zu wollen.454 Auch hat das DSB bisher nicht klargestellt, ob hiermit eine direkte Verpflichtung des Individuums einhergeht. Der Fall Canada – Aircraft bestätigt nur die völkerrechtliche Bindungswirkung der Ersuchen gegenüber Staaten.455 Die Systematik des Art. 13 DSU spricht allerdings eher gegen eine Bindungswirkung gegenüber Individuen: Erstens deutet die in Art. 13 Abs. 1 S. 2 DSU normierte Unterrichtungspflicht gegenüber den Staaten auf eine gewisse Zurückhaltung des DSU gegenüber direkten Durchgriffen auf Individuen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hin. Zweitens bezieht sich Satz 3, aus dem das Appellate Body die Bindungswirkung gegenüber Staaten maßgeblich abgeleitet hat, eben nur auf Mitglieder, also Staaten (und die EG). Drittens bestimmt das WTO-Recht nicht, dass Entscheidungen der WTO-Panels generell unmittelbar in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten anwendbar sein sollen, was zugegebenermaßen eine von der Bindungswirkung qua Völkerrecht zu unterscheidende Frage ist, aber dennoch als zusätzliches Argument gegen eine Bindungswirkung dienen kann. Daher können WTO-Panels Einzelne zwar – insoweit abweichend von der Rechtslage beim IGH und ISGH – um Informationen ersuchen, bindend als Zeugen laden können sie sie jedoch direkt nicht.456 Sie müssen sich stattdessen an das WTO-Mitglied wenden.
(c) Internationale Strafgerichtshöfe und EuGH Ausnahmen zu der Grundregel, dass internationale Gerichte den Einzelnen nicht unmittelbar verpflichten können, sind der EuGH, der RStGH und der JStGH.457 Ordnungsgemäß geladene Zeugen haben der Ladung des EuGH Folge zu leisten (Art. 48 § 1 EuGH-VerfO). Nach
Vol. II, Part 2, Documents 44-146 (1968), 805 (807); Schreuer, The ICSID Convention: A Commentary (2009), Article 43 [Evidence], Rn. 51. 454
Zdouc, in: Macrory/Appleton/Plummer (Hrsg.), The World Trade Organization: Legal, Economic and Political Analysis, Bd. 1 (2005), 1233 (1262). 455
DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 186 ff.
456
Waincymer, WTO Litigation (2002), 544. Gleiches gilt für die Anordnung der Urkundenvorlegung (dazu sogleich unter III.). 457 Dazu: Kreß, in: Grützner/Pötz (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen (2002), Vor III 27, Rn. 60.
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der Rechtsprechung des JStGH können Individuen in ihrer nichtamtlichen Eigenschaft bindend geladen und so qua Völkerrecht unmittelbar verpflichtet werden.458 So qualifizierte die Berufungskammer im Blaškić-Fall die Befugnis, gegenüber Privatpersonen bindende Anordnungen zu erteilen, als inzident bzw. kraft Sachzusammenhangs gegeben (incidental or ancillary jurisdiction).459 Obwohl eine Bindungswirkung unmittelbar eintritt, wird die Ausführung der vom Einzelnen geforderten Handlung (wie z.B. die Aufnahme einer Zeugenaussage, die Herausgabe von Urkunden, aber auch das Erscheinen als Zeuge vor Gericht) in der Regel jedoch nur unter Zwischenschaltung nationaler Behörden geschehen.460 Unter Umständen können jedoch auch direkte Kontakte hergestellt werden.461 Im Unterschied zum IGH (Art. 44 Abs. 1 IGH-Statut) gilt damit für den JStGH, dass der „Umweg“ über die Staaten lediglich formaler Natur ist. Die durch die Ladung ausgesprochene Verpflichtung trifft den Zeugen unmittelbar, er selbst ist völkerrechtlich verpflichtungsfähig. Daneben trifft die Staaten eine eigene
458 Sarooshi, Max Planck UNYB 2 (1998), 141 (156 f.), der betont, dass dies nicht für zwischenstaatliche Streitigkeiten gelte. Auch die vom JStGH für sich selbst beanspruchte Ausnahmestellung ist aus dogmatischen Gründen kritisiert worden: Ambos, LJIL 15 (2002), 155 (168 f.); Nouvel, RGDIP 102 (1998), 157 (161); Klip, Revue Internationale de Droit Pénal 67 (1996), 267 (275). Siehe allerdings Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen (2000), Rn. 1564, mit der Meinung, dass internationale Organisationen generell mit Außenwirkung Rechtsvorschriften für Individuen erlassen können; als Beispiel nennen sie internationale Verwaltungen von Gebieten durch die VN. 459
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 48. So auch: JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Radislav Krstić, Case IT-9833-A, Decision on Application for Subpoenas, 1. Juli 2003, Ziff. 19. 460 JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 55. 461
Nämlich dann, wenn die nationale Rechtsordnung des betreffenden Staates es zulässt oder wenn der Staat nicht kooperationswillig ist, siehe JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 55. Dazu: Chaumette, ICLR 4 (2004), 357 (392 ff.).
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Pflicht, den Anordnungen des JStGH gegenüber Individuen zur Wirkung zu verhelfen und sie durchzusetzen.462 Beim IStGH ist diese Möglichkeit nicht mehr vorgesehen. Das IStGHStatut formuliert keine Pflichten von Einzelnen zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof.463 Es folgt damit den oben dargestellten allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen. Nach Art. 64 Abs. 6 (b), 69 Abs. 3 IStGH-Statut kann die Hauptverfahrenskammer zwar die Anwesenheit und Aussage von Zeugen verlangen. Dies heißt jedoch nicht, dass eine Kammer den potenziellen Zeugen direkt kontaktieren oder gar verpflichten könnte.464 Dies wird schon aus Art. 64 Abs. 6 (b), 2. Teil deutlich, der auf die Kooperation der Staaten „wie in diesem Statut vorgesehen“ verweist. Nach Art. 93 Abs. 1 IStGH-Statut kann der IStGH den Vertragsstaat lediglich zur Vornahme beeideter Zeugenaussagen verpflichten (Abs. 1 (b)) oder den Staat zur Erleichterung des freiwilligen Erscheinens (Abs. 1 (e)) bzw. zur Erledigung eines Ersuchens um Identifizierung und Feststellung des Verbleibs eines Zeugen (Abs. 1 (a)) auffordern. Er hat jedoch keine unmittelbaren Befugnisse dem potenziellen Zeugen gegenüber, kann ihn also nicht direkt völkerrechtlich verpflichten, vor Gericht zu erscheinen. Ein Zeugniszwang besteht erst dann, wenn der Zeuge vor der Hauptverfahrenskammer erscheint.465 Gleiches gilt für den Ankläger nach Art. 54 Abs. 3 (b) IStGH-Statut. Darüber hinaus sprechen sogar Argumente dafür, dass der IStGH noch nicht einmal den Staat selbst verpflichten kann, den Zeugen – notfalls unter Einsatz von Zwangsmitteln – beizubringen.466 Dies stellt eine schwere Beeinträchtigung seiner Effektivität dar.467 462
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 27; 48. 463
Meißner, Die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof nach dem Römischen Statut (2003), 29; Kreß, in: Grützner/Pötz (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen (2002), Vor III 26, Rn. 215. 464
Ambos, LJIL 15 (2002), 155 (169). Anders: Furuya, NILR 47 (2000), 111 (133); Swart, in: Cassese u.a. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1589 (1598). 465
Terrier, in: Cassese u.a (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1277 (1300). 466
Sluiter, International Criminal Adjudication and the Collection of Evidence: Obligations of States (2002), 254; Meißner, Die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof nach dem Römischen Statut (2003), 194,
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3. Ergebnis Internationale Gerichte können Zeugen in der Regel amtswegig laden. Adressat der Ladung ist jedoch der Staat, nicht der Einzelne selbst. Es ist in zwischenstaatlichen Streitigkeiten nicht nur grundsätzlich Sache der Staaten, die (nur sie verpflichtende) Zeugenladung innerstaatlich umzusetzen; internationalen Gerichten ist es darüber hinaus mangels spezieller Ermächtigung (z.B. Art. 13 DSU) verwehrt, sich direkt – auch in unverbindlicher Form – an Einzelne zu wenden.468 Anderes gilt nur für die WTO-Panels, den EuGH und den JStGH. Es erscheint daher mehr als zweifelhaft, ob eine direkt an einen eventuellen Zeugen gerichtete unverbindliche Einladung (nicht: Ladung) zulässig ist.469 Die gegenüber einer Partei des Rechtsstreits ausgesprochene Ladung eines Zeugen durch das internationale Gericht ist für diesen Staat ebenso bindend wie eine Anordnung zur Vorlage von Dokumenten.
der auf die Ähnlichkeit der Situation im zwischenstaatlichen Rechtshilfeverkehr hinweist, jedoch zutreffend anmerkt, dass die dort einschlägigen Gründe für das Verfahren vor dem IStGH nur in stark abgeschwächter Form gelten. Ebenso: Prost/Schlunck, Art. 93, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court (1999), Rn. 20. Zu dieser Diskrepanz zwischen „internem“ und „externem“ Verfahrensrecht anschaulich: Kreß, JICL 1 (2003), 603 (616), der die Auflösung dieses Gegensatzes zugunsten von Art. 64 Abs. 6 (b) JStGH-Statut vornehmen will und eine direkte völkerrechtliche Bindung des potenziellen Zeugen befürwortet. Dies dürfte nach der Struktur des IStGH-Statuts und nach der hier skizzierten allgemeinen völkerrechtlichen Regel allerdings insofern zu weit gehen, als durch die Ladung nicht das Individuum selbst, wohl aber der Staat verpflichtet wird. 467
Swart/Sluiter, in: FS-Bos (1999), 91 (111).
468
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 160; Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 122 f. 469
Dumbauld, Interim measures of protection in international controversies (1932), 162 (Fn. 1). Befürwortend für ICSID-Schiedsgerichte: Schreuer, The ICSID Convention: A Commentary (2009), Article 43 [Evidence], Rn. 54.
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II. Amtswegige Bestellung von Sachverständigen und Anordnung der Untersuchung (a) Internationaler Gerichtshof Art. 50 IGH-Statut unterscheidet zwischen der Vornahme einer Untersuchung (inquiry/enquête, Art. 50, 1. Alt. IGH-Statut) und der Erstellung eines Sachverständigengutachtens (expert opinion/expertise, Art. 50, 2. Alt. IGH-Statut).470 Die Vorschrift wird ergänzt durch Art. 62, 67 und 68 IGH-VerfO, wobei Art. 62 Abs. 2 nicht die Inauftraggabe eines Gutachtens, sondern die bloße Anhörung eines Sachverständigen betrifft. Auch Art. 68 IGH-VerfO differenziert sprachlich zwischen Sachverständigen und Sachverständigengutachten. Insgesamt sind die betreffenden Normen nicht sonderlich klar formuliert.471 So ist zwischen einer Untersuchung und einem Sachverständigengutachten eine scharfe Trennlinie nur schwer zu ziehen.472 Als Leitlinie kann gelten, dass sich Sachverständigengutachten dadurch auszeichnen, dass sich der Gerichtshof fremder (etwa: wissenschaftlicher) Sachkunde bedient, die er selbst nicht hat. Eine Untersuchung hingegen dient zur Ermittlung umstrittener Tatsachen, die der Gerichtshof aufgrund eigener Sachkunde grundsätzlich auch selbst (etwa im Wege der Ortsbesichtigung) aufklären könnte.473 Während der IGH durchaus von seiner Befugnis, Sachverständige amtswegig zu bestellen – wenn auch nur in begrenztem Umfang – Gebrauch gemacht hat, hat er sich bisher keiner Untersuchung bedient. Der StIGH bestellte nur im Chorzow Factory-Fall Sachverständige zur Feststellung der Schadenshöhe.474 Im Free Zones of Upper Savoy and 470
Die Vorschrift hat kein Vorbild in den Haager Übereinkommen von 1899 und 1907: Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 377. 471
Ruiz-Fabri/Sorel, Juris-classeurs de droit international, Bd. 4, Fasc. 217 (30. September 2001), 8 (Ziff. 29). 472
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 50, Rn. 4.
473
Ruiz-Fabri/Sorel, Juris-classeurs de droit international, Bd. 4, Fasc. 217 (30. September 2001), 8 (Ziff. 30) scheinen die Untersuchung mit der Ortsbesichtigung zu vermischen. 474
StIGH, Case concerning the Factory at Chorzów (Indemnity) (Germany v. Poland), Beschluss vom 13. September 1928, PCIJ ser A, No. 17, 99-103. Dazu: Highet, AJIL 81 (1987), 1 (21); Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm/Tams, Art. 50, Rn. 7 (Fn. 22); Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 227. Die Parteien einigten sich auf die Schadenshöhe,
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the District of Gex-Fall sowie im Oscar Chinn-Fall lehnte er es ab.475 Der IGH bediente sich amtswegig bestellter Sachverständiger nur im Corfu Channel-Fall sowohl im Hauptsacheverfahren als auch später im Verfahren zur Bestimmung des Schadens.476 Im Verfahren zur Hauptsache handelte es sich um drei Marineoffiziere aus Norwegen, Schweden und den Niederlanden.477 Die an sie gerichteten Fragen formulierte das Gericht, nachdem den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, welche diese jedoch nicht wahrnahmen.478 Das Mandat der Sachverständigengruppe legte der IGH in einem Beweisbeschluss fest.479 Nachdem das Sachverständigengremium seinen ersten Bericht abgegeben hatte, bekam es vom Gerichtshof den weiteren Auftrag, die relevante Gegend in Augenschein zu nehmen, um den Bericht zu bestätigen bzw. im Lichte der Ergebnisse des Besuches zu korrigieren.480 Mit Beschluss vom 19. November 1949 wurden weitere Sachverständige zur Bestimmung der Schadenshöhe bestellt.481 Der Gerichtshof befragte bevor die Untersuchung abgeschlossen war, woraufhin der StIGH die Untersuchung einstellte, siehe Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 379 f. 475
Highet, AJIL 81 (1987), 1 (22). Dies wurde von verschiedenen Richtern in Sondervoten kritisiert, siehe StIGH, Oscar Chinn Case, Urteil vom 12. Dezember 1934, PCIJ Ser. A/B No. 63, sep. op. Jonkheer van Eysinga, 131 (147); StIGH, Oscar Chinn Case, Urteil vom 12. Dezember 1934, PCIJ Ser. A/B No. 63, indiv. op. Anzilotti, 107 (109). 476 Siehe Chung, Legal Problems Involved in the Corfu Channel Incident (1959), 146 ff. 477
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (9).
478
IGH, Corfu Channel Case, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Judgments of March 25th, 1948, April 9th and December 15th, 1949, Bd. V, 245 (No. 275: Letter of the British Agent to the Registrar); Rosenne, in: Heere, International Law and The Hague’s 750th Anniversary (1999), 45 (48, Fn. 14); Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 3 (2006), 1327 (Fn. 147). 479
IGH, Corfu Channel Case, Beschluss (Order) vom 17. Dezember 1948, ICJ Rep. 1948, 124 (126 f.). 480
IGH, Corfu Channel Case, Beschluss (Order) vom 17. Januar 1949, ICJ Rep. 1949, 151 und IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 20 f. Dazu auch: Foster, CYIL 7 (1969), 150 (166). 481
IGH, Corfu Channel Case, Assessment of the Amount of Compensation, Beschluss (Order) vom 19. November 1949, ICJ Rep. 1949, 237. Siehe dazu den Sachverständigenbericht vom 1. Dezember 1949, Annex 2 zu IGH, Corfu Channel Case (Compensation), ICJ Rep. 1949, 258-260.
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schließlich das Sachverständigengremium zu noch unklaren Punkten in einem eigens dafür einberaumten Treffen, an dem die Parteien nicht teilnahmen.482 Im Gulf of Maine-Fall hingegen geschah die Hinzuziehung von Sachverständigen aufgrund des Kompromisses.483 Sie waren mit der Unterstützung der Kammer bei der Erstellung einer Karte zur maritimen Abgrenzung betraut.484 Auch bei den Sachverständigen im Frontier Dispute-Fall (Burkina Faso/Mali) handelte es sich nicht um gerichtliche Sachverständige nach Art. 50 IGH-Statut, sondern um solche, deren Expertise der Gerichtshof aufgrund einer Parteivereinbarung anforderte.485 Im Nicaragua-Fall schließlich lehnte es der IGH aufgrund praktischer Schwierigkeiten ab, Sachverständige zu benennen.486 Angesichts der Probleme des Falles im tatsächlichen Bereich ist diese Entscheidung zu Recht kritisiert worden.487 Die Bestellung eines Sachverständigen ist damit grundsätzlich amtswegig, auch ohne und sogar gegen den Willen der Parteien möglich,488 solange es sich bei der zu untersuchenden Tatsache um eine von den Parteien vorgebrachte handelt. Ein Beweisantritt einer Partei ist daher nicht 482 483
IGH, Corfu Channel Case (Compensation), ICJ Rep. 1949, 244 (247). Dazu White, in: FS-Jennings (1996), 528 (530 ff.).
484
IGH, Case Concerning Delimiation of the Maritime Boundary in the Gulf of Maine Area (Canada v. United States of America), Appointment of an Expert, Beschluss vom 30. März 1984, ICJ Rep. 1984, 165. 485
IGH, Case concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Mali), Nomination of Experts, Beschluss (Order) of 9 April 1987, ICJ Rep. 1987, 7 (8): “Whereas the Parties are requesting the Chamber, not to order an expert opinion within the meaning of Article 50 of the Statute of the Court, the purpose of which would be ‘to assist the Court in giving judgment upon the issues submitted to it for decision’, … but to exercise a power, conferred upon it by the Special Agreement, of nominating three persons whom the Parties have themselves decided to entrust with the task of giving an expert opinion for the purpose of implementing the Judgment of the Chamber.”; White, in: FS-Jennings (1996), 528 (533). 486
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (40, Ziff. 61). Skeptisch hierzu: IGH, Nicaragua Case (Merits), diss. op. Schwebel, ICJ Rep. 1986, 259 (322, Ziff. 132). 487
IGH, Nicaragua Case (Merits), diss. op. Schwebel, ICJ Rep. 1986, 259 (322, Ziff. 132); Franck, AJIL 81 (1987), 116. 488 Foster, CYIL 7 (1969), 150 (169); White, The Use of Experts by International Tribunals (1965), 115.
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erforderlich.489 Gleiches gilt für die Untersuchung. Andererseits ist der Gerichtshof nicht verpflichtet, auf Antrag der Parteien eine Untersuchung vorzunehmen oder Sachverständige zu bestellen; ein entsprechendes Recht der Parteien hierauf existiert nach dem Statut nicht.490 Dies soll selbst dann gelten, wenn der Kompromiss ein solches Recht festschreibt.491 Ob dies mit Art. 41 Abs. 1 WVK vereinbar ist, ist zweifelhaft.492
(b) Internationaler Seegerichtshof Die Beweismittel des Sachverständigen und der Untersuchung sind im ISGH-Statut nicht erwähnt, wohl aber in seiner Verfahrensordnung. Art. 77 und 82 der ISGH-VerfO regeln den Sachverständigenbeweis („expert“), Art. 82 darüber hinaus das Sachverständigengutachten („expert opinion“) und die Untersuchung.493 Wie beim IGH unterscheidet das Sachverständigengutachten von der Untersuchung, dass sich der Gerichtshof im ersten Fall fremder Sachkunde zur Sachverhaltsaufklärung bedient, die er selbst nicht hat, während er im zweiten Fall die tatsächlichen Feststellungen auch selbst treffen könnte, sich jedoch Dritter als Gehilfen bedient. Eine Untersuchung ist bisher nicht angeordnet worden. Die Ladung von Sachverständigen richtet sich nach Art. 77 Abs. 2, 82 ISGH-VerfO. Sie werden nach Anhörung der Parteien amtswegig bestellt. Die ISGH-VerfO unterscheidet wie das Prozessrecht des IGH 489
Krusch, Sonderheft der Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (1937), 535 (545). 490
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 50, Rn. 10; Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 894; Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 331 f. 491
In Bezug auf die Ortsbesichtigung siehe die Argumentation des StIGH, die aber auf Untersuchungen und Sachverständige übertragbar ist: StIGH, Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex (France v. Switzerland), PCIJ Ser. A/B No. 46, 95 (162 f.). Der Text des relevanten Teils des Kompromisses ist auf S. 99 abgedruckt: “[T]he Court may be requested by either Party to delegate one or three of its members for the purposes of conducting investigations on the spot and of hearing the evidence of any interested persons.”; White, in: FSJennings (1996), 528 (531, Fn. 13). 492 493
Dazu Kapitel 2 B. III. 1. (a).
Davon zu unterscheiden sind die Beisitzer nach Art. 289 SRÜ und Art. 15 ISGH-VerfO.
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zwischen der Anhörung von Sachverständigen (Art. 77 Abs. 2) und Sachverständigengutachten (Art. 82 Abs. 1); dies ergibt sich aus Art. 83, der beide Möglichkeiten getrennt erwähnt. Amtswegig hat der ISGH bisher noch keine Sachverständigen bestellt.494 Im Straits of Johor-Fall ordnete er aber in einer vorläufigen Maßnahme an, dass die Parteien selbst eine Sachverständigengruppe zur Begutachtung von möglichen schädlichen Auswirkungen der Landgewinnungsmaßnahmen Singapurs beauftragen sollten.495
(c) Iran-US Claims Tribunal Die Kompetenz zur Beauftragung gerichtseigener Sachverständiger ist in Art. 27 IUSCT-VerfO geregelt.496 Nach Wortlaut und Praxis des Tribunals kann es diese amtswegig wahrnehmen.497 Sachverständige sind 494
Anderson, Art. 82, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 231 (232). 495
ISGH, Straits of Johor (Provisional Measures), ITLOS Rep. 2003, 10 (27, Ziff. 106). 496
Art. 27 IUSCT-VerfO lautet:
“1. The arbitral tribunal may appoint one or more experts to report to it, in writing, on specific issues to be determined by the tribunal. A copy of the expert’s terms of reference, established by the arbitral tribunal, shall be communicated to the parties. 2. The parties shall give the expert any relevant information or produce for his inspection any relevant documents or goods that he may require of them. Any dispute between a party and such expert as to the relevance of the required information or production shall be referred to the arbitral tribunal for decision. 3. Upon receipt of the expert’s report, the arbitral tribunal shall communicate a copy of the report to the parties who shall be given the opportunity to express, in writing, their opinion on the report. A party shall be entitled to examine any document on which the expert has relied in his report. 4. At the request of either party the expert, after delivery of the report, may be heard at a hearing where the parties shall have the opportunity to be present and to interrogate the expert. At this hearing either party may present expert witnesses in order to testify on the points at issue. The provisions of article 25 shall be applicable to such proceedings.” 497
Allison/Holtzmann, in: Caron/Crook (Hrsg.), The Iran-United States Claims Tribunal and the Process of International Claims Resolution (2000), 269 (270 f.).
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nur in sehr wenigen Fällen bestellt worden, jedoch zur Begutachtung unterschiedlichster Sachbereiche.498 Grund für die Zurückhaltung des Tribunals mögen Verzögerungen in der Verfahrensdauer und Kosten gewesen sein.499 Keiner der Sachverständigen wurde in zwischenstaatlichen Verfahren bestellt. Eine Untersuchung ist nicht ausdrücklich vorgesehen. Angesichts der Nähe der Untersuchung zum Sachverständigengutachten ist dies unschädlich.
(d) WTO-Streitbeilegung Sachverständige sind in verschiedenen Normen des WTO-Rechts angesprochen. Aufgrund der oft komplexen Sachverhalte stellen sie ein praktisch sehr bedeutsames Beweismittel dar. Grundlegend sind Art. 13 DSU sowie Anhang 4 zum DSU („Sachverständigengutachtergruppen“). Daneben enthalten die weiteren nach Anhang 1 unter das DSU fallenden Abkommen, insbesondere das TBT und das SPS, ebenfalls relevante Normen. Art. 14 Abs. 2 TBT, 11 Abs. 2 SPS und Art. 13 DSU ergänzen sich und stehen nicht etwa im Widerspruch zueinander.500 Grundlegend zu unterscheiden ist zwischen Sachverständigen, die das Panel proprio motu oder auf Antrag der Parteien bestellt („experts“), und solchen, die von den Parteien selbst beauftragt werden und als „expert witnesses“ auftreten, meist als Mitglieder der Delegation einer Partei.501 Im vorliegenden Zusammenhang soll es nur um die erste Kategorie gehen. Nach Art. 13 Abs. 2 S. 1 DSU können Panels „Sachverständige befragen, um deren Gutachten zu bestimmten Aspekten der Angelegenheit einzuholen“. Bei einer wissenschaftlichen oder technischen Angelegenheit kann ein Panel nach Satz 2 einen „schriftlichen Gutachterbericht von einer Sachverständigengutachtergruppe einholen“. Im Rahmen eines WTO-Streitbeilegungsverfahrens ist es dem Panel überlassen, ob es
498
Aldrich, The Jurisprudence of the Iran-United States Claims Tribunal (1996), 343; Allison/Holtzmann, in: Caron/Crook (Hrsg.), The Iran-United States Claims Tribunal and the Process of International Claims Resolution (2000), 269; Kazazi, Burden of Proof (1996), 171 ff. 499
Aldrich, The Jurisprudence of the Iran-United States Claims Tribunal (1996), 347. 500 501
Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (328, Fn. 14). Ebd., 333.
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Informationen von externen Quellen anfordert oder nicht.502 Demnach kann ein Panel Sachverständige auch dann konsultieren, wenn die Parteien dies nicht beantragt haben503 und muss es andererseits auch dann nicht tun, wenn ein solcher Antrag vorliegt. Auch hat es freies Ermessen dahingehend, ob es nach Art. 13 DSU Einzelpersonen als Sachverständige bestellt oder den Bericht einer Sachverständigengutachtergruppe („expert review group“) einholt (Art. 13 Abs. 2 DSU i.V.m. Anhang 4 DSU).504 Auch die Anordnung einer Untersuchung scheint nach Art. 13 DSU nicht ausgeschlossen.505
III. Anordnung der Herausgabe von Dokumenten gegenüber Einzelpersonen Nichts anderes als für die Zeugenladung gilt für Anordnungen gegenüber Einzelpersonen, bestimmte in ihrem Besitz befindliche Dokumente an das internationale Gericht herauszugeben.506 Auch diesbezüglich kann ein internationales Gericht Individuen nicht direkt verpflichten, sondern muss den Umweg über die Streitparteien wählen. Lediglich im WTO-Streitbeilegungsverfahren kommen als Adressaten von Vorlageanordnungen nach Art. 13 DSU auch betroffene Unternehmen und Einzelpersonen in Betracht, wobei hinsichtlich der Bindungswirkung ähnliche Bedenken bestehen wie im Hinblick auf die Ladung von Zeugen. Allerdings sind entsprechende Anfragen durchaus vorgekommen. Im Fall Chile – Alcoholic Beverages deutete das Panel darüber hinaus an, dass die Weigerung von Unternehmen, einer Aufforderung zur Vorlegung von Beweismitteln nachzukommen, beweisrechtliche Konsequenzen für den Staat haben könnten, dessen Staatszugehörigkeit sie besitzen:
502 503
DSB, EC – Sardines (AB), Ziff. 302. Waincymer, WTO Litigation (2002), 589; Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325
(339). 504
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 147. Kritisch hierzu aus systematischen Überlegungen: Christoforou, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 243 (255 f.). 505 506
Waincymer, WTO Litigation (2002), 590.
Für die Panels des WTO-Streitbeilegungssystems siehe: Waincymer, WTO Litigation (2002), 544.
244
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“Our only conclusion here was that, given that the Chilean industry had refused the repeated requests to produce the report, we would accept the EC’s unrebutted evidence about the report’s conclusions.”507 Eine Ausnahme von der Regel bilden auch die ad hoc-Tribunale, die Einzelne in Form einer subpoena duces tecum verpflichten können, in ihrem Besitz befindliche Dokumente herauszugeben.508
IV. Befugnisse gegenüber Nichtregierungsorganisationen und amici curiae Nichtregierungsorganisationen sind in der Regel Körperschaften des nationalen Privatrechts. Ihnen kommt nach herrschender Auffassung keine – auch nicht partielle – Völkerrechtssubjektivität zu.509 Daher gelten in Bezug auf bindende Anordnungen gegenüber ihnen (und anderen privatrechtlichen juristischen Personen des nationalen Rechts) dieselben Grundsätze wie gegenüber Einzelnen.510 Die Diskussion um die Beteiligung von NGOs am internationalen Prozess konzentriert sich folglich auf die Frage, ob das internationale Gericht nicht am Prozess beteiligte private Dritte, die weder Zeugen noch Sachverständige sind, zur freiwilligen Unterbreitung von Eingaben auffordern kann bzw. ob ohne eine solche Aufforderung eingehende Stellungnahmen zulässig sind und vom Gericht berücksichtigt werden dürfen oder müssen. Diese Frage stellt sich in besonderer Weise vor Gerichten, vor denen Einzelne nicht parteifähig sind.511
507 508 509
DSB, Chile – Alcoholic Beverages (Panel), Ziff. 6.27. Siehe Kapitel 6 B. Stein/von Buttlar, Völkerrecht (2005), Rn. 491 f.
510
Der JStGH hat bisweilen supoenae auch gegenüber juristischen Personen des nationalen Rechts ausgeprochen, etwa in JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Anto Furundžija, Case No. IT-95-17/1-T, Urteil vom 10. Dezember 1998, Ziff. 25, 94 (Medica Women’s Therapy Centre). 511
Nach geltendem Recht sind Private vor keinem der im Zentrum dieser Untersuchung stehenden Spruchkörper partei- oder interventionsfähig. Anderes gilt nur im ICSID-Verfahren, beim EuGH, beim EuG, beim EGMR, beim IAGMR sowie im Geltungsbereich des Übereinkommens über Vorversandkontrollen (ABl. EG 1994 Nr. L 336, S. 138-143). Zu letzterem: Rome, Minnesota Journal of Global Trade 7 (1998), 469 ff.; Koepp, Die Intervention im WTO-
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Die Behandlung dieser Eingaben unter dem Aspekt des Beweisrechts rechtfertigt sich aus der Tatsache, dass amici curiae nicht nur über Rechtsfragen, sondern auch über Tatsachenfragen Auskunft geben können.512 Auch ist sie besonders für die Frage der Herausarbeitung von Prozessmaximen relevant, da die amtswegige Zulassung von amici curiae – insbesondere auch ohne oder gar gegen den Willen der Streitparteien – die Parteiherrschaft über das Verfahren weiter einschränkt und so jedenfalls gegen ein striktes adversarial principle spricht.513
1. Internationaler Gerichtshof (a) Eingaben von Nichtregierungsorganisationen Der IGH ließ erstmals 1950 im South West Africa-Gutachten eine amicus curiae-Unterbreitung durch die International League for Human Rights (damals noch: International League for the Rights of Man) zu. Interessant für die vorliegende Untersuchung ist, dass die NGO angewiesen wurde, sich auf Rechtsfragen zu beschränken und Äußerungen zu Tatsachenfragen zu unterlassen.514 Bereits in dem im gleichen Jahr Streitbeilegungsverfahren (2002), 190; Behrens, in: Nowak/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO (2002), 201 (214); Oeter, in: Nowak/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO (2002), 221 (229). 512
Dazu näher Kapitel 7 D. II. 6.
513
Zu diesem Gesichtspunkt: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3 (2002), 844; Tams/Zoellner, AVR 45 (2007), 217 (221 und 223): „Offenheit gegenüber amicus curiae-Schriftsätzen ist daher ein Indiz dafür, dass ein Streitbeilegungsmechanismus nicht bloß die private Funktion der Konfliktschlichtung erfüllt, sondern deutet … auf eine stärker öffentliche Funktion hin.“ Ebenso: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 76. 514
IGH, International Status of South-West Africa, Gutachten vom 11. Juli 1950, Pleadings, Oral Arguments, Documents, 327 (No. 18, The Registrar to Mr. Robert Delson, League for the Rights of Man): “This information confined to legal questions must not include any statement of facts which Court has not been asked to appreciate.” Die ILHR hielt sich jedoch nicht an die Vorgaben des Gerichts und unterbreitete zunächst verschiedene Berichte von Einzelpersonen. Ihre offizielle Eingabe nahm sie nicht fristgerecht vor, weshalb sie abgelehnt wurde: ICJ, International Status of South-West Africa, Pleadings, Oral Arguments, Documents, The Registrar to Mr. Robert Delson, League for the Rights of Man, 346 (No. 66, The Deputy-Registrar to Mr. Asher Lans, Counsel to the International League for the Rights of Man, 12. Mai 1950). Dazu Clark, Human Rights Quarterly 3 (4) (1981), 101 (116-122).
246
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entschiedenen Asylum-Fall, einem streitigen Verfahren, wurde derselben Organisation dieses Recht jedoch nicht eingeräumt. Der IGH begründete dies mit dem unterschiedlichen Wortlaut der Art. 66 Abs. 2 und 4 IGH-Statut einerseits sowie Art. 34 Abs. 2 IGH-Statut andererseits.515 Während die erstgenannte Vorschrift für das Gutachtenverfahren lediglich von „internationaler Organisation“ (Abs. 2) bzw. nur von „Organisation“ (Abs. 4) spricht, beschränkt sich Art. 34 Abs. 2 des Statuts auf „öffentlich-rechtliche internationale Organisationen“ („public international organisations“). Art. 69 Abs. 4 IGH-VerfO definiert eine solche als zwischenstaatliche internationale Organisation. Die Diskrepanz erklärt sich historisch aus den im StIGH-Statut enthaltenen Vorgängervorschriften (Art. 26 und 66).516 Seither sind Anträge auf Zulassung solcher Eingaben beständig abgelehnt bzw. ohne vorherigen Antrag eingereichte Dokumente nicht offiziell berücksichtigt worden.517 Dies gilt auch für Gutachtenverfahren. So scheiterte ein neuerlicher Versuch der International League for the Rights of Man im South West Africa-Gutachten von 1970.518 Der IGH 515
IGH, Asylum case (Colombia v. Peru), Urteil vom 20. und 27. November 1950, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Bd. 2, 228 (No. 66, The Registrar to Mr. Robert Delson, Member of the Board of Directors of the International League for the Rights of Man): “Court finds Article 34 of Statute not applicable since International League of Rights of Man cannot be characterized as public international organization as envisaged by Statute.” 516
Shelton, AJIL 88 (1994), 611 (621).
517
Siehe aber: Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (215) mit Bezug auf den Gabčíkovo-Nagymaros-Fall. Hier reichte Ungarn ein Gutachten einer Nichtregierungsorganisation als Anhang zu seinem Schriftsatz ein: Shelton, International Community Law Review 9 (2007), 139 (152). 518
IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Pleadings, Oral Arguments, Documents, Bd. 2, 639 f. (No. 22 und 23: The Chairman of the Board of Directors of the International League for the Rights of Man to the Registrar), 672 (No. 89, The Registrar to the Chairman of the Board of Directors of the International League for the Rights of Man, 4. Februar 1971), 678 (No. 95, The Chairman of the Board of Directors of the International League for the Rights of Man to the Registrar, 16. Februar 1971), 679 (No. 98, The Registrar to the Chairman of the Board of Directors of the International League for the Rights of Man, 18. März 1971). Die amicus curiaeEingabe ist abgedruckt in: Rovine/D’Amato, New York University JILP 4 (1971), 335.
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247
begründete die Ablehnung nicht weiter. Im Legality of the Use of Nuclear Weapons-Gutachten berücksichtigte der Gerichtshof die Unterbreitungen der International Physicians for the Prevention of Nuclear War nicht.519 Auch wurden hier die Eingaben der Federation of American Scientists nicht Teil der Akte, den Richtern jedoch in der Bibliothek zur Verfügung gestellt.520 Im Israeli Wall-Fall verfuhr der IGH ebenso.521
(b) Eingaben von Einzelpersonen Einzelpersonen sind ebenfalls nicht berechtigt, amicus curiae-Eingaben vor dem IGH zu machen. So erwiderte der Kanzler auf einen entsprechenden Antrag im Namibia-Fall,522 dass die explizite Nennung von „Organisationen“ in Art. 66 IGH-Statut abschließend sei und natürliche Personen bewusst ausnehme (expressio unius est exclusio alterius).523 Aus dem Schreiben geht auch hervor, dass der Gerichtshof befürchtete, von Eingaben Privater überflutet zu werden. Diese Lösung ist vor allem dann rechtspolitisch unbefriedigend, wenn Interessen Privater direkt betroffen sind, so etwa in Fällen diplomatischen Schutzes.524 Es bleibt dem Gerichtshof überlassen, diese Personen amtswegig als Zeugen oder Sachverständige zu benennen, was angesichts seiner zurückhaltenden
519
Shelton, AJIL 88 (1994), 611 (624).
520
Letters to the Editor, International Herald Tribune (The Hague), 15 November 1995. Dazu: Valencia-Ospina, in: Treves u.a. (Hrsg.), Civil Society, International Courts and Compliance Bodies (2005), 227 (231) und Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 3 (2006), 1674 f. 521
Shelton, International Community Law Review 9 (2007), 139 (152).
522
IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Pleadings, Oral Arguments, Documents, Bd. 2, 636 f. (No. 18, Professor Reisman to the Registrar). 523 524
Ebd., 638 (639) (No. 21, The Registrar to Professor Reisman).
Brownlie, ICLQ 11 (1962), 701 (719): “Even if the individual is not to be given procedural capacity a tribunal interested in doing justice effectively must have proper access to the views of individuals whose interests are directly affected whether or not they are parties as a matter of procedure.”; Rosenne, in: FS-Domke (1967), 240 (250): “[I]n the interests of the proper administration of justice … the Court should take advantage of all the powers which it already possesses, and permit an individual directly concerned to present himself before the Court.”
248
Kapitel 4
Nutzung dieser Kompetenz wohl kaum zum effektiven Schutz beitragen kann.
(c) Practice Direction XII Zusammenfassend ist festzuhalten, dass nach gegenwärtiger Praxis des IGH Nichtregierungsorganisationen zumindest potenziell nur in Gutachtenverfahren als amici curiae auftreten können, nicht aber in streitigen Verfahren. Allerdings ist seit dem South West Africa-Gutachten von 1950 auch in Gutachtenverfahren keine NGO mehr als „Freund des Gerichts“ zugelassen worden. Individuen ist dieser Weg hingegen derzeit auch grundsätzlich verschlossen.525 Zwingend ist diese restriktive Handhabung jedoch nach dem Statut nicht.526 An einer baldigen Änderung ist indes zu zweifeln, da der IGH seine Praxis in einer am 30. Juli 2004 veröffentlichten Practice Direction XII nunmehr auch schriftlich und mit Regelwirkung niedergelegt hat.527 Nach Absatz 1 gilt sie nur für Gutachtenverfahren und betrifft nur die Fälle, in denen Nichtregierungsorganisationen unaufgefordert tätig geworden sind. Eine Ent525
Shelton, AJIL 88 (1994), 611 (619 ff.); Ohlhoff/Schloemann, Max Planck UNYB 5 (2001), 675 (682). Ferner: Higgins, ICLQ 50 (2001), 121 (123). 526 Palchetti, Max Planck UNYB 6 (2002), 139 (170); Ascensio, RGDIP 105 (2001), 897 (908). Shelton, International Community Law Review 9 (2007), 139 (154) erwägt jedoch eine Sperrwirkung des Art. 34 Abs. 2 IGH-Statut, dessen Änderung sie vorschlägt. 527
IGH, Press Release 2004/30, 30. Juli 2004. “Practice Direction XII:
1. Where an international non-governmental organization submits a written statement and/or document in an advisory opinion case on its own initiative, such statement and/or document is not to be considered as part of the case file. 2. Such statements and/or documents shall be treated as publications readily available and may accordingly be referred to by States and intergovernmental organizations presenting written and oral statements in the case in the same manner as publications in the public domain. 3. Written statements and/or documents submitted by international nongovernmental organizations will be placed in a designated location in the Peace Palace. All States as well as intergovernmental organizations presenting written or oral statements under Article 66 of the Statute will be informed as to the location where statements and/or documents submitted by international nongovernmental organizations may be consulted.”
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scheidung des IGH, NGOs in streitigen Verfahren nach Art. 50 des Statuts zu Sachverständigen zu bestellen, ist damit zwar nicht explizit ausgeschlossen.528 Auch sind Individuen in der Practice Direction nicht angesprochen, sondern nur Nichtregierungsorganisationen, wobei dieser Begriff nicht weiter konkretisiert wird. Dennoch lässt die Practice Direction erkennen, dass an der bisherigen restriktiven Praxis festgehalten werden soll, auch wenn offen bleibt, ob die Beteiligung von amici curiae in streitigen Verfahren damit ein für allemal ausgeschlossen werden soll. Die Eingaben der NGOs werden – auch wenn sie zulässig sind – nicht Teil der Akte. Auch spricht Abs. 2 nur von einer möglichen Berücksichtigung der Eingabe durch Staaten und internationale Organisationen, nicht jedoch durch den Gerichtshof selbst. Dies wirft die Frage auf, ob sich auch der Gerichtshof selbst auf die Eingaben beziehen darf. Sie werden durch Abs. 2 den allgemein zugänglichen Quellen gleichgestellt. Staaten und internationale Organisationen dürfen sich demnach in ihrem schriftlichen und mündlichen Vortrag darauf beziehen und können sich die Aussagen so zu eigen machen.529 Der restriktive Wortlaut der Norm spricht gegen die Möglichkeit der amtswegigen Einbeziehung durch den IGH. Hierin ist eine bewusste Verengung der allgemeinen Regeln zu sehen, nach denen der IGH auch auf nicht von den Parteien unterbreitetes Material zurückgreifen darf.530 Es darf daher bezweifelt werden, ob die Practice Direction einen gelungenen Kompromiss zwischen einer Gleichstellung von NGOs mit internationalen Organisationen und einem völligen Ausschluss vom Verfahren darstellt.531
2. Internationaler Seegerichtshof Bisher haben weder NGOs noch andere nichtstaatliche Akteure Anstrengungen unternommen, in Verfahren vor dem ISGH die Funktion von amici curiae einzunehmen,532 weswegen bisher keine gerichtliche Stellungnahme zur Möglichkeit solcher Eingaben vorliegt. Das SRÜ räumt nichtstaatlichen Akteuren aber besondere Rechte ein. Nach 528 529 530
Shelton, International Community Law Review 9 (2007), 139 (150 f.). Siehe auch: Art. 102 Abs. 2 i.V.m. Art. 56 Abs. 4 IGH-VerfO. Siehe oben B. I. 1. (b) (aa).
531
So aber: Watts, LPICT 3 (2004), 385 (392 f.). Positive Beurteilung auch bei Charnovitz, AJIL 100 (2006), 348 (353): „useful step toward greater openness“. 532 Gautier, in: Treves u.a. (Hrsg.), Civil Society, International Courts and Compliance Bodies (2005), 233 (238).
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Kapitel 4
Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Art. 305 SRÜ können sie dem Übereinkommen beitreten und werden so zu „Vertragsparteien“. Gleichzeitig können vor der Meeresbodenkammer auch staatliche Unternehmen sowie natürliche und juristische Personen als Parteien eines Rechtsstreits auftreten (Art. 291 Abs. 2 i.V.m. 187 SRÜ sowie Art. 20 Abs. 2 und 37 ISGH-Statut). Ob sie unter Umständen nach Art. 291 Abs. 2 SRÜ i.V.m. Art. 20 Abs. 2 ISGH-Statut auch vor dem Plenum parteifähig sind, ist umstritten.533 Auch scheint die Intervention nach Art. 31 und 32 ISGH-Statut nur Staaten offen zu stehen.534 Art. 84 der ISGHVerfO (als Parallelvorschrift zu Art. 34 Abs. 2 und 3 der IGH-VerfO) ist ebenfalls auf zwischenstaatliche Organisationen begrenzt.535 Wie sich aus der Verhandlungsgeschichte ergibt, wurde eine Öffnung für Nichtregierungsorganisationen nicht erwogen.536 Aufgrund der allgemein offeneren Haltung des SRÜ und des ISGHStatuts zu nichtstaatlichen Akteuren scheint eine Zulassung von amicus curiae-Eingaben insbesondere in Fällen, in denen Gemeinschaftsinteressen betroffen sind, jedoch nicht ausgeschlossen.537 Auch ist der ISGH bisher nicht dem Beispiel des IGH gefolgt und hat eindeutig restriktive Kriterien festgelegt. Daneben bleibt ebenso wie beim IGH die Möglichkeit, Einzelpersonen oder NGOs als Zeugen zu laden oder Sachverständige zu benennen.
3. Iran-US Claims Tribunal Die Frage der Zulässigkeit von amicus curiae-Unterbreitungen vor dem IUSCT war während der Verhandlungen zur VerfO umstritten.538 An533
Gegen eine solche Möglichkeit: Talmon, JuS 2001, 550 (555). Befürwortend aber: Boyle, ICLQ 46 (1997), 37 (53); Basedow, RabelsZ 63 (1999), 361 (362). 534
Gautier, in: Treves u.a. (Hrsg.), Civil Society, International Courts and Compliance Bodies (2005), 233 (238). 535
Ebd., 239. Darin folgt der ISGH Art. 69 Abs. 4 der IGH-VerfO.
536
Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (229 f.). 537 Benzing, LPICT 5 (2006), 369 (403 f.); Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (232). 538
Holtzmann, Drafting the Rules of the Tribunal, in: Caron/Crook (Hrsg.), The Iran-United States Claims Tribunal and the Process of International Claims Resolution (2000), 75 (88).
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251
merkung 5 zu Art. 15 IUSCT-VerfO stellt einen Kompromiss dar. Dort heißt es: “The arbitral tribunal may, having satisfied itself that the statement of one of the two Governments – or, under special circumstances, any other person – who is not an arbitrating party in a particular case is likely to assist the tribunal in carrying out its task, permit such Government or person to assist the tribunal by presenting oral or written statements.” Damit ist die Zulässigkeit solcher Unterbreitungen ins Ermessen des Schiedsgerichts im Einzelfall gestellt.539 Dies scheint jedoch in der Praxis soweit ersichtlich nur in einem Fall geschehen zu sein.540
4. WTO-Streitbeilegung Die Möglichkeit der WTO-Streitbeilegungsorgane, Unterbreitungen von amici curiae entgegenzunehmen und zu berücksichtigen, ist nicht nur unter dem Aspekt der Kompetenzen der Panels und des Appellate Body von Interesse, sondern stellt auch eine wichtige Neuerung hin zu einer stärkeren Einbeziehung der „Zivilgesellschaft“ in das WTOStreitbeilegungssystem dar, das oft als besonders staatszentriert und intransparent kritisiert wird. Sie kann daher die fehlende Parteifähigkeit nicht-staatlicher Akteure wenn nicht völlig ausgleichen, so doch zumindest teilweise korrigieren.541 Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Mehrzahl der WTO-Mitglieder nachdrücklich am strikt zwi-
539
Siehe auch: Aghahosseini, ILF 1 (1999), 208 (209).
540
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 160. Siehe: IUSCT, Islamic Republic of Iran v. United States of America, Case No. A15, Award No. ITL63-Al5-FT, IUSCT 12 (1986-III), 40 (43): Eingabe von Banken gemäß Art. 15, Anm. 5 der IUSCT-VerfO. Siehe auch die Interpretation dieser Praxis in Methanex Corp. v. United States, Decision on Petitions from Third Persons to Intervene as ‘Amici Curiae’, Beschluss vom 15. Januar 2001, Ziff. 32 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>): “For present purposes, the authoritative guide to the exercise of the Iran-US Claim Tribunal’s discretion under Article 15(1) and this award demonstrate that the receipt of written submissions from a non-party third person does not necessarily offend the philosophy of international arbitration involving states and non-state parties.” 541
Zur Beteiligung Privater am WTO-Verfahren allgemein: Behrens, in: Nowak/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO (2002), 201 (insb. 214 ff.).
252
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schenstaatlichen Charakter des Streitbeilegungsmechanismus festhält.542 Die an einer Beteiligung interessierten Gruppen sind im Wesentlichen zwei: einmal NGOs, die die Interessen des Umweltschutzes vertreten oder die Einhaltung der Menschenrechte und Arbeitsschutzstandards anmahnen, andererseits Industrieverbände oder betroffene Einzelunternehmen, die befürchten, durch eine Entscheidung in ihren wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigt zu werden.543 Entsprechend kann die Zulassung von amicus curiae-Eingaben unter zweierlei Gesichtspunkten gesehen werden: als Mittel zur Durchsetzung von Interessen der internationalen Gemeinschaft, wenn man die Beteiligung der NGOs betont, und als Mittel zur Berücksichtigung der Eigeninteressen derjenigen Akteure, die die Entscheidung unter Umständen sehr unmittelbar betrifft, nämlich private Wirtschaftsakteure.544 Amicus curiae-Unterbreitungen sind jedoch zumindest primär kein Instrument zur Gewährung individuellen Rechtsschutzes oder rechtlichen Gehörs, sondern dienen vornehmlich der Optimierung der objektiven Rechtskontrolle bzw. -erzeugung, indem die Informationsgrundlage des Panels verbreitert wird.545 Dies kommt schon im Begriff selbst zum Ausdruck. Bei der Betrachtung der Zulässigkeit von amicus curiae-Eingaben ist zwischen dem Panel- und dem Revisionsverfahren zu differenzieren. Leading case für den Bereich des Panelverfahrens ist der Fall US – Shrimps, in dem das Appellate Body ein Urteil eines Panels verwarf, in dem die Unterbreitung nicht angeforderter amicus curiae-Schriftsätze durch Nichtregierungsorganisationen aus Kompetenzgründen kategorisch abgelehnt wurde. Nach der Meinung des Berufungsgremiums ent-
542
Guinchard u.a., Droit processuel (2005), 902.
543
Ebd., 902. Hier wird oft auf den Filmstreit verwiesen, der im Wesentlichen zwischen den Anwälten von Kodak und Fuji ausgefochten wurde. Dazu: Dunoff, JIEL 1 (1998), 433 (441 ff.). 544 545
Ohlhoff/Schloemann, Max Planck UNYB 5 (2001), 675 (676).
Dörr, JZ 2005, 905 (912); Oeter, in: Nowak/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO (2002), 221 (229). Man kann dennoch durchaus überlegen, ob sich das durch Art. 13 gewährte grundsätzlich freie Ermessen der Panels auf Informationseinholung nicht dann „auf Null“ reduziert, wenn Interessen eines Unternehmens betroffen sind. Dann transformierte sich das „Recht auf Information“ des Panels in ein Anhörungsrecht des betroffenen Wirtschaftsakteurs. Allerdings haben Unternehmen oft weiter gehende Beteiligungsrechte nach nationalem Recht: Brühwiler, Aussenwirtschaft 60 (2005), 347 (372).
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253
hält das DSU ein solches Verbot für das Panelverfahren nicht.546 Als Rechtsgrundlage für die Zulassung unaufgeforderter Eingaben kann eine Gesamtschau der Art. 12 und 13 DSU dienen.547 Auch für das Verfahren vor dem Appellate Body ist die Zulässigkeit solcher Eingaben zwischenzeitlich anerkannt.548 In US – Lead and Bismuth II betonte das Appellate Body seine nur vom DSU und den darunterfallenden Übereinkommen begrenzte umfassende Kompetenz zur Verabschiedung prozessualer Vorschriften aus Art. 17 Abs. 9 DSU,549 die eine Berücksichtigung der Eingaben zulasse. Verstärkend kann noch die Kompetenz aus Regel 16 Abs. 1 der Arbeitsverfahrensregeln hinzugezogen werden.550 Eine Verpflichtung zur Berücksichtigung von Beweismitteln bestehe zwar nur in Bezug auf die Streitparteien oder Dritte i.S.d. Art. 10 DSU; jedoch habe das Appellate Body die Kompetenz, amicus curiae-Eingaben entgegenzunehmen und zu berücksichtigen.551 Im Fall EC – Asbestos schließlich stellte das Appellate Body detaillierte Regeln für die Unterbreitung und Berücksichtigung von amicus curiae-Eingaben auf, um auf einen ob des öffentlichen Interesses am Fall erwarteten Ansturm vorbereitet zu sein.552 Es tat dies auf der Grundlage der in Regel 16 Abs. 1 der Arbeitsverfahrensregeln des Appellate Body enthaltenen Kompetenz, begrenzt auf eine spezielle Streitigkeit prozessuale Regelungen zu treffen. Die entscheidende Zulässigkeitsvoraussetzung für Eingaben war eine Begründung “why it would be desirable, in the interests of achieving a satisfactory settlement of the matter at issue, in accordance with the rights 546
DSB, US – Shrimp (AB), Ziff. 108. Analyse bei Razzaque, Non-state Actors and International Law 1 (2001), 169 (176 ff.). 547
Kaubisch, ZVglRWiss 106 (2007), 104 (108 f.).
548
Siehe aber: Umbricht, JIEL 4 (2001), 773 (787 ff.), der vorschlägt, amicus curiae-Eingaben auf die Panels zu begrenzen. 549
DSB, US – Lead and Bismuth II (AB), WT/DS138/AB/R, 10. Mai 2000, Ziff. 39. 550
Kaubisch, ZvglRWiss 106 (2007), 104 (116 f.).
551
DSB, US – Lead and Bismuth II (AB), Ziff. 41 f. Hierzu kritisch: Appleton, JIEL 3 (2000), 691 (695 f., 698), der e contrario Art. 13 DSU argumentiert, dass das Berufungsgremium im Gegensatz zu den Paneln keine solche Befugnis hat. 552
WT/DS/135/9, 8. November 2000. Die Prozessgeschichte arbeitet auf: DSB, EC – Asbestos (AB), Ziff. 50 ff. Siehe auch: McCall Smith, WTR 2 (2003), 65 (88).
254
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and obligations of WTO Members under the DSU and the other covered agreements, for the Appellate Body to grant the applicant leave to file a written brief in this appeal; and indicate, in particular, in what way the applicant will make a contribution to the resolution of this dispute that is not likely to be repetitive of what has been already submitted by a party or third party to this dispute.” Da die Überprüfungskompetenz des Appellate Body auf Rechtsfragen begrenzt ist, sollte sich ein amicus curiae brief strikt auf solche Fragen beschränken.553 Das Appellate Body erhielt daraufhin elf den aufgestellten formalen Anforderungen genügende Anträge auf Zulassung der Unterbreitung von amicus curiae-Eingaben, beschied aber alle Anträge negativ,554 womit es wohl auf die teils heftig geäußerte Kritik durch eine Mehrheit der WTO-Mitglieder reagierte.555 Diese wendeten unter anderem ein, dass nichtstaatlichen Akteuren unter den vom Appellate Body aufgestellten Regeln mehr Rechte zuerkannt würden, als sie WTOMitgliedern zustünden, die nicht bereits „Dritte“ i.S.d. Art. 10 DSU im Panelverfahren waren.556 Ob die Zulassung von amicus curiae-Unterbreitungen im WTO-Streitbeilegungsverfahren derzeit sinnvoll ist, ist umstritten. Die Vertraulichkeit der Eingabe der Parteien im Panel- und Appellate Body-Prozess sowie die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Verhandlungen hindern einen effektiven Einsatz von amicus curiae briefs, da Außenstehende nur unzureichend über den Inhalt des Prozesses informiert sind.557 Die Aussichten, dass diese besonders den DSB-Prozess
553 554
WT/DS/135/9, 8. November 2000, Ziff. 7(c). DSB, EC – Asbestos (AB), Ziff. 56.
555
Broude, in: Dekker/Werner (Hrsg.), Governance and International Legal Theory (2004), 237 (264). 556
WTO General Council, Minutes of the Meeting on 22 November 2000, WT/GC/M/60, 23. Januar 2001, Ziff. 18; McCall Smith, WTR 2 (2003), 65 (89). 557
Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (330), der daher eine Abschaffung der Vertraulichkeit der Eingaben der Parteien fordert. In der Praxis veröffentlichen viele WTO-Mitglieder ihre Eingaben selbst. Ein paralleles Problem stellt sich bei ICSID-Schiedsverfahren. Hierzu: ICSID, Aguas Provinciales de Santa Fe S.A., Sociedad General de Aguas de Barcelona S.A. and InterAguas Servicios Integrales del Agua S.A. v. The Argentine Republic, Case No. ARB/03/17, Order in Response to a Petition for Participation as Amicus Curiae, Beschluss vom 17. März 2006, Ziff. 35 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>).
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255
charakterisierende Vertraulichkeit aufgegeben wird, scheinen trotz entsprechender Vorschläge derzeit gering.558
5. Ergebnis Trotz des Fehlens expliziter Befugnisse in den Statuten internationaler Gerichte ist eine Berücksichtigung der Eingaben von amici curiae zumindest vor dem IUSCT und den Panels sowie dem Appellate Body der WTO grundsätzlich zulässig. Dies entspricht der Situation vor den Menschenrechtsgerichtshöfen, dem JStGH und RStGH559 sowie zunehmend auch der gemischten internationalen Schiedsgerichtsbarkeit.560 Vor dem IGH stellt sich eine solche Zulassung angesichts der restriktiveren prozessualen Texte und Spruchpraxis schwieriger dar, ist aber nicht ausgeschlossen. Im Falle des ISGH ist eine definitive Aussage mangels Rechtsprechung und Normmaterial schwierig, jedoch scheint das Prozesssystem hier insgesamt tendenziell offener für die Beteiligung Privater. Die Zulassung und Berücksichtigung von amicus curiaeUnterbreitungen steht jedenfalls im Ermessen des internationalen Gerichts, ebenso wie eventuelle verfahrenstechnische Reglementierungen
558
Guinchard u.a., Droit processuel (2005), 903.
559
Dazu: Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (232 ff.: EGMR; 242 ff.: Strafgerichtshöfe). 560
Siehe neben den NAFTA-Entscheidungen Methanex und UPS jetzt auch: ICSID, Aguas Provinciales de Santa Fe S.A., Sociedad General de Aguas de Barcelona S.A. and InterAguas Servicios Integrales del Agua S.A. v. The Argentine Republic, Case No. ARB/03/17, Order in Response to a Petition for Participation as Amicus Curiae, Beschluss vom 17. März 2006, Ziff. 31 ff. (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>). Dazu: Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (270 ff.). Im Verfahren einer nach Art. 26 der ILO-Verfassung eingerichteten Kommission wurden Nichtregierungsorganisationen zur Abgabe von Stellungnahmen über den Sachverhalt aufgefordert: Commission appointed under Article 26 of the ILO Constitution, Complaint by the Government of Ghana Concerning the Observance by the Government of Portugal of the Forced Labour Convention, 1975 (No. 105), Entscheidung vom 21. Februar 1962, ILR 35 (1967), 285 (294 f., Ziff. 20): “With a view to obtaining other relevant information the Commission further decided to inform a number of international organisations of workers and employers and certain other international non-governmental organisations active in legal or humanitarian fields that it would be prepared to consider any relevant factual information they might wish to submit in relation to the complaint.”
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für die Eingaben (z.B. Gegenstand, Form und Länge).561 Ein Recht Einzelner auf Zulassung als amicus besteht also regelmäßig nicht.562
V. Zwischenergebnis Natürliche und juristische Personen des nationalen Rechts sind grundsätzlich keine geeigneten Adressaten gerichtlicher Entscheidungen und Anordnungen im internationalen Prozess. Ausnahmen gelten für den JStGH, den RStGH und den EuGH. Zwar haben alle internationalen Gerichte in der Regel die Befugnis, amtswegig Zeugen zu laden, jedoch muss dies über die Staaten geschehen. Eine Möglichkeit, Individuen unmittelbar zur Herausgabe von in ihrem Besitz befindlichen Urkunden zu verpflichten, besteht ebenfalls nicht. Daher gilt grundsätzlich, dass das internationale Gericht oder Schiedsgericht sich bei der Wahrnehmung seiner Tatsachenermittlungskompetenzen direkt an die Parteien oder Drittstaaten wenden muss, wenn es sich um in ihrem Hoheitsbereich belegene Beweismittel handelt.563 Die Panels der WTO können nach Art. 13 DSU direkt in Kontakt mit Einzelpersonen treten. Allerdings können sie gegenüber diesen keine Verpflichtungen generieren.
E. Synthese: Kompetenzleitende Grundsätze in der Beweiserhebung I. Zusammenfassung der Untersuchung Die Rechtsprechung der untersuchten internationalen Spruchkörper setzt sich kaum mit den die Tatsachenfeststellung und den Einsatz der gerichtlichen Ermittlungskompetenzen leitenden Grundprinzipien aus561
Palchetti, Max Planck UNYB 6 (2002), 139 (165); Bartholomeusz, NonState Actors and International Law 5 (2005), 209 (276). 562
So auch: UPS (United Parcel Service of America Inc.) v. Government of Canada, Decision of the Tribunal on Petitions for Intervention and Participation as Amici Curiae, Schiedsspruch vom 17. Oktober 2001, Ziff. 61 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>): „is a matter of [the Tribunal’s] power rather than of third party right“. 563
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 158.
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einander. Das Spannungsverhältnis zwischen Parteiherrschaft und Richtermacht bleibt daher weitgehend im Dunkeln. Nur das Berufungsgremium des WTO-DSB hat sich bisher klar zu einer strikt kontradiktorischen Prozessform („adversarial system“) bekannt, dies jedoch nicht im Einzelnen systematisiert und sich gerade im Hinblick auf die Kompetenzen der Panels in der Tatsachenfeststellung stark vom adversatorischen Idealbild entfernt. Die gerichtseinsetzenden Verträge enthalten ebenfalls keine Bestimmungen über die Geltung übergeordneter Grundsätze in der Tatsachenermittlung, insbesondere die Abgrenzung der Verantwortungssphären zwischen Parteien und Gericht. Die Geltung von prozessleitenden Maximen kann daher nur aus den einzelnen untersuchten Faktoren rekonstruiert werden.
1. Prozessleitungsbefugnisse Internationale Gerichte haben in zwischenstaatlichen Streitigkeiten grundsätzlich die Befugnis und die Pflicht, das Verfahren zu leiten. Dies kommt insbesondere in Art. 48 IGH-Statut i.V.m. 61 IGH-VerfO, 27 ISGH-Statut i.V.m. 76 ISGH-VerfO, Art. 15 IUSCT-VerfO und Abs. 8 des Anhangs 3 zum DSU zum Ausdruck. Ähnliche Bestimmungen finden sich bei ad hoc eingerichteten Schiedsgerichten. Internationale Gerichte sind also nicht auf die passive Überwachung der Prozessführung der Parteien beschränkt, sondern können steuernd in das Verfahren eingreifen. Man kann daher vom Recht zur materiellen Prozessleitung als allgemeinem Rechtsgrundsatz des Völkerprozessrechts sprechen. Es ist jedoch nicht sicher, ob sich hieraus eine Pflicht – im Gegensatz zur Befugnis – zur materiellen Prozessleitung (i.S.v. § 139 Abs. 1 ZPO) herleiten lässt.
2. Möglichkeiten zur amtswegigen Beweiserhebung Alle untersuchten Gerichte haben die Kompetenz, die Beweisaufnahme in Bezug auf alle Beweismittel amtswegig anzuordnen. In keinem Fall ergibt sich ein ausdrückliches Erfordernis des Beweisantritts durch eine Partei. Sie können die Parteien (und teilweise auch Drittstaaten) verpflichten, Urkunden und Augenscheinsobjekte vorzulegen, sie können amtswegig Zeugen laden und Sachverständige bestellen sowie Eingaben von amici curiae berücksichtigen. Aufgrund der weitgehenden Einheitlichkeit des Prozessrechts internationaler Gerichte haben sich viele Literaturstimmen dafür ausgesprochen, diese amtswegigen Tatsachenermittlungskompetenzen generell als inhärente Befugnisse aller internati-
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onalen Gerichte zu qualifizieren.564 Ihre ausdrückliche Nennung in prozessualen Instrumenten hätte daher nur klarstellenden Charakter.565 Dafür spricht, dass diese Befugnisse regelmäßig notwendig sind, um den Zweck des Gerichts, nämlich die effektive Streitbeilegung, zu erreichen. In dieser Allgemeinheit ist diese Ansicht jedoch jedenfalls ungenau. Da sich die inhärenten Befugnisse ebenso wie die Lehre von den implied powers am Vertrag (hier also: dem gerichtseinsetzenden Vertrag) zu orientieren haben, ist jeweils im Einzelfall festzustellen, ob bzw. welche Tatsachenermittlungsbefugnisse vorliegen. Jedenfalls in Bezug auf die Ortsbesichtigung und die Untersuchung muss dem Gericht die Kompetenz ausdrücklich beigegeben werden. Auch die Möglichkeit zur amtswegigen Ladung von Zeugen durch internationale Gerichte und Schiedsgerichte ohne explizite textliche Grundlage wird teilweise verneint.566 Die besseren Gründe sprechen jedoch in der Regel für eine inhärente Befugnis (inherent power) hierzu,567 jedenfalls soweit das Gericht auch andere Beweismittel amtswegig nutzen darf. Auch die Befugnis zur amtswegigen Ladung von Zeugen kann durchaus als notwendig zur Erreichung des Zwecks des Gerichtes angesehen werden. Diese weiten amtswegigen Befugnisse sprechen klar gegen eine passive Rolle internationaler Gerichte und damit gegen ein strikt adversatorisches Prinzip. Die Tatsachenermittlungskompetenzen internationaler Gerichte können daher als „la plénitude de la compétence qui est discrétionnaire en matière d’initiative des preuves“, also als unbeschränkte und ermessensgeleitete Befugnis zur Beweiserhebung beschrieben wer564
So z.B.: Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 55, Fn. 71 m.w.N.; Martha, Journal of International Arbitration 14 (1997), 67 (69); Collins, University of Pennsylvania Journal of International Economic Law 27 (2006), 367 (374); Sachariew, ZaöRV 51 (1991), 895 (899); Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 152; Nielsen, International Law Applied to Reclamations Mainly in Cases Between the United States and Mexico (1933), 68; Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (84); Kazazi, Burden of Proof (1996), 166. 565
Sereni, Principi generali di diritto e processo internazionale (1955), 73.
566
Oort, Bewijs voor de internationale rechter (1966), 205; Kazazi, Burden of Proof (1996), 170. Ihm folgend: Chaumette, ICLR 4 (2004), 357 (364). 567
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 155; Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 220. Anders in Bezug auf den IUSCT: Selby, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 135 (142): „impossibility of requiring production of witnesses“.
Kompetenzabgrenzung Parteien – Gericht
259
den.568 Die Untersuchung der Kompetenzen internationaler Gerichte in der Tatsachenermittlung zeigt aber auch, dass sie oft nur zögerlich genutzt werden. Der IGH mischt sich etwa derzeit kaum in die Beweisführung der Parteien ein, sondern bleibt weitgehend passiv.569 Zwar forderten einzelne IGH-Richter bisweilen eine stärkere und aktivere Nutzung der Kompetenzen in der Beweisaufnahme;570 bisher wurden diese Ratschläge jedoch noch nicht konsequent umgesetzt. Die Parteien tragen weiterhin die Hauptverantwortung für die Sachverhaltsaufklärung.571 Gleiches gilt trotz umfangreicher amtswegiger Ermittlungsbefugnisse für den ISGH.572 Die von Sandifer im Jahre 1975 ausgesprochene Feststellung, dass internationale Gerichte allgemein Entscheidungen nicht aufgrund der Beweislast träfen, sondern bevorzugt weitere 568
IGH, Avena Case, decl. Ranjeva, ICJ Rep. 2004, 75 (76, Ziff. 4); englische Übersetzung: „full discretionary powers in respect of evidence gathering“. 569 Guinchard u.a., Droit processuel (2005), 892, die dies auf die faktische Wirkung des Konsensprinzips zurückführen. Coulée, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), Le principe du contradictoire devant les juridictions internationales (2004), 7 (30): «Si les textes sont ambitieux, la pratique se rélève beaucoup plus modeste.» Bedjaoui, in: FS-Seidl-Hohenveldern (1998), 1 (2); Ruiz-Fabri/Sorel, Juris-classeurs de droit international, Bd. 4, Fasc. 217 (30. September 2001), 7 f. (Ziff. 28); Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (122 f.); Alvarez, International Organizations as Law-makers (2005), 536 f., resümiert, dass die Rolle der IGHRichter eher dem von Shapiro aufgestellten Ideal des „Fremden“ entsprechen als dem von Fiss, Harvard Law Review 93 (1979), 1 (29) vorgeschlagenen Mandat der Richter als „intrusive guardians of public virtue reaching out to concerns of all others not present in their courtroom“. Internationale Richter seien keine öffentlichen Bediensteten, die durch einen Sozialvertrag implizit mandatiert wären, die internationale Gemeinschaft oder ihre Institutionen zu restrukturieren (S. 537). 570 So z.B. IGH, Barcelona Traction Case (Second Phase), sep. op. Fitzmaurice, ICJ Rep. 1970, 64 (84); IGH, Nicaragua Case (Merits), diss. op. Schwebel, ICJ Rep. 1986, 259 (321 f., Ziff. 132) mit Bezugnahme auf Art. 49 und 50 IGHStatut; IGH, Oil Platforms Case, sep. op. Owada, ICJ Rep. 2003, 306 (322, Ziff. 52); IGH, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories, Gutachten vom 9. July 2004, sep. op. Owada, Ziff. 30. 571
IGH, Nuclear Tests Case (Australia), diss. op. Barwick, ICJ Rep. 1974, 391 (442): “Whilst it is true that it is for the Court to determine what the fact is and what the law is, there is to my mind, to say the least, a degree of judicial novelty in the proposition that, in deciding matters of fact, the Court can properly spurn the participation of the parties.” 572
55.
Wolfrum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts (2006), Rn.
260
Kapitel 4
Ermittlungen anstellten,573 kann demnach nicht bestätigt werden. Ausnahme zu diesem Befund ist das WTO-Streitbeilegungsverfahren, wobei auch hier der wesentliche Teil der Stoffsammlung von den Parteien übernommen wird.574
3. Grenzen der Ermittlungsbefugnisse Grenze der Befugnisse der untersuchten Gerichte ist der unstreitige Tatsachenvortrag der Parteien sowie das, was beide Parteien explizit zugestanden oder worauf sie sich in tatsächlicher Hinsicht geeinigt haben.575 Darüber hinaus kann das Gericht nicht behauptete Tatsachen nicht berücksichtigen.576 Dies entspricht der weitreichenden Parteiautonomie sowohl im prozessualen Bereich (Geltung des Konsensprinzips in der internationalen Gerichtsbarkeit) sowie im materiellen Recht (dispositiver Charakter der meisten Völkerrechtsnormen).577 Insofern kann der Meinung nicht zugestimmt werden, nach der internationale Gerichte in zwischenstaatlichen Streitigkeiten grundsätzlich auch außerhalb der streitigen Sachverhaltsteile ermitteln können.578 Allerdings ist diese Regel von den Gerichten in dieser Klarheit nie explizit bestätigt worden. Es ist daher durchaus nicht ausgeschlossen, dass Gerichte in
573
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 131.
574
Christoforou, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 243 (258). 575
Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (13). Dies gilt auch für den EuGH und das EuG: Lenaerts, in: FS-Louis, Bd. 1 (2003), 241 (245). Anders: Hackspiel, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union (2003), § 24, Rn. 5. 576
So auch: Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 50 ff., 110. Für die internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit: Cordero Moss, in: Muchlinski/Ortino/Schreuer (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Investment Law (2008), 1207 (1233). 577
Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (13). 578
So aber insbesondere: Sachariew, ZaöRV 51 (1991), 895 (899); Lachs, in: FS-van Panhuys (1980), 21 (38); Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 531; Coulée, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), Le principe du contradictoire devant les juridictions internationales (2004), 7 (29 f.)
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Einzelfällen auch über die genannten Begrenzungen hinaus tätig werden.
4. Keine Pflicht zur eigenen Tatsachenermittlung (a) Grundsatz Die Ermittlungsbefugnisse internationaler Gerichte stehen allesamt im Ermessen der Richterbank.579 Dies schließt die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes aus. In keinem der untersuchten Prozessrechtssysteme findet sich eine Verpflichtung zur eigenständigen Ermittlung des Sachverhalts im Sinne des Untersuchungsgrundsatzes. Besonders deutlich wird dieses Ermessen in der Rechtsprechung des Appellate Body der WTO, das die Freiheit der Panels in diesem Bereich regelmäßig betont. Aber auch für den IGH ergibt sich weder aus der Auslegung des Normmaterials noch nach der Praxis des Gerichtshofs eine Pflicht zur Ermittlung von Tatsachen.580 Die Nutzung dieser amtswegig einsetzbaren Befugnisse steht damit durchweg im Ermessen des Gerichtshofs.581 Auch die Kompetenz nach Art. 24 Abs. 3 IUSCT ist ermessensgeleitet.582 Die amtswegig zu nutzenden Tatsachenermittlungskompetenzen
579
Siehe auch: Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 187. 580
So auch: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 43; Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 235. 581 Bedjaoui, BYIL 71 (2002), 1 (9); Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (38). 582
IUSCT, Frederica Lincoln Riahi v. The Government of the Islamic Republic of Iran (Case No. 485), Award No. 596-485-1, Schiedsspruch vom 27. Februar 2003, Concurring and diss. op. Assadollah Noori, IUSCTR 37 (2003), 305 (322, Ziff. 29): “As a matter of law, and as contemplated by Article 24 (1) of the Tribunal Rules, ‘[e]ach party shall have the burden of proving the facts relied on to support his claim or defence.’ Therefore, it does not appear that the Tribunal can initiate a fact-finding process or take on an inquisitorial role. The Tribunal has always found that it is ‘for the Parties to select what evidence they wish to rely on in support of their claim’.” Siehe auch: Trittmann/Duve, in: Weigand (Hrsg.), Practitioner’s Handbook on International Arbitration (2002), 315 (351, Rn. 3).
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modifizieren damit nur die grundsätzliche Parteiherrschaft, beseitigen sie aber nicht.583
(b) Modifikationen aufgrund von Art. 53 IGH-Statut und Art. 28 ISGH-Statut? Fraglich ist, ob Art. 53 Abs. 2 IGH-Statut und Art. 28 S. 3 ISGH-Statut dennoch für die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes jedenfalls vor diesen beiden Spruchkörpern sprechen. Der Gerichtshof kann hiernach bei Säumnis einer Partei auf Ersuchen des Gegners im Sinne seiner Anträge entscheiden, wenn er sich vergewissert hat, dass die Anträge „tatsächlich und rechtlich begründet“ sind.584 Ratio der Art. 53 IGH-Statut und 28 ISGH-Statut ist, die Funktionsfähigkeit der Gerichtshöfe auch dann zu gewährleisten, wenn eine Partei dem Verfahren fernbleibt. Die Vorschrift bestätigt, dass jeder Staat mit Klageerhebung ipso facto Partei eines Rechtsstreites ist, ungeachtet seiner Bereitschaft, vor dem IGH zu erscheinen.585 Weder verhindert noch
583
Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (38). 584
Der IGH ist des Öfteren mit der Säumnis einer Partei konfrontiert gewesen. Dabei handelt es sich insbesondere um das Verfahren zur Bestimmung des Schadensersatz im Corfu Channel-Fall (IGH, Corfu Channel Case (Compensation), ICJ Rep. 1949, 244 ff.), die Fisheries Jurisdiction-Fälle (IGH, Fisheries Jurisdiction Case (UK) (Merits), ICJ Rep. 1974, 3 ff.; IGH, Fisheries Jurisdiction Case (Germany) (Merits), ICJ Rep. 1974, 175 ff.), den Nuclear Tests-Fall (IGH, Nuclear Tests Case (Australia), ICJ Rep. 1974, 253 ff.; IGH, Nuclear Tests Case (New Zealand), ICJ Rep. 1974, 457 ff.), den Aegan Sea Continental Shelf-Fall (IGH, Aegan Sea Continental Shelf Case (Greece v. Turkey), Jurisdiction of the Court, Urteil vom 19. Dezember 1978, ICJ Rep. 1978, 3 ff.), den Teheraner Geiselfall (IGH, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran Case, ICJ Rep. 1980, 3 ff.). Im Teheraner Geiselfall umging der IGH die Problematik des Art. 53 IGH-Statut durch die Feststellung, dass die von den USA behaupteten Tatsachen zum größten Teil „matters of public knowledge“ seien. Die so verfügbaren Informationen seien vollumfänglich übereinstimmend, siehe S. 9 f. (Ziff. 12f.)) und den Nicaragua-Fall (IGH, Nicaragua Case (Merits), Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Rep. 1986, 14 ff.). Der ISGH hatte bisher keine Versäumnisurteile zu fällen. 585
Institut de droit international, Non-appearance before the International Court of Justice, Final Report, IDI Annuaire 64(I) (1991), 280 (301); Doehring, Völkerrecht (2004), Rn. 1127.
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beendet Säumnis das Verfahren.586 Der Gerichtshof kann also nicht „paralysiert“ werden.587 Auch ist ein Versäumnisurteil für beide Parteien nach Art. 59 IGH-Statut und Art. 33 Abs. 1 ISGH-Statut bindend.588 Es handelt sich jedoch nach Text und Entstehungsgeschichte der Normen nicht um ein echtes Versäumnisurteil, da das tatsächliche Vorbringen des Klägers nicht als wahr oder zugestanden unterstellt wird.589 Daher ist auch entgegen der Regelung des Versäumnisurteils in nationalen Rechtsordnungen kein Einspruch gegen das Urteil vorgesehen.590 Ein echtes Versäumnisurteil sehen nur die Verfahren vor dem EuGH (Art. 41 EuGH-Satzung) und dem Europäischen Kernenergiegericht (Art. 26 EuKG-VerfO) vor. Die Säumnis einer der Parteien führt zu praktischen Schwierigkeiten für den Gerichtshof, aber auch für die erschienene Partei gerade in der Beweisaufnahme. Sie kann in Beweisnot geraten, wenn sich entscheidende Beweise in der Hand des nicht mitwirkenden Gegners befinden. Auch der Gerichtshof kann dies nicht wirksam durch Beweisanordnungen nach Art. 48 und 49 des Statuts gegenüber dem Gegner korrigieren.591 Art. 53 IGH-Statut will dennoch sicherstellen, dass „im Falle der Säumnis einer Partei keine der beiden Parteien einen Nachteil erlei586
Art. 28 S. 2 ISGH-Statut ergänzt klarstellend: „Abwesenheit oder Versäumnis einer Partei, sich zur Sache zu äußern, stellt kein Hindernis für das Verfahren dar.“ 587
Institut de droit international, Non-appearance before the International Court of Justice, Final Report, IDI Annuaire 64(I) (1991), 280 (301); Peters, in: Delbrück (Hrsg.), International Law of Cooperation and State Sovereignty (2002), 107 (143); dies., EJIL 14 (2003), 1 (22 ff.), die dies als „principle of nonfrustration“ beschreibt. 588
Thirlway, BYIL 72 (2001), 37 (166); IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (23, Ziff. 27); Fitzmaurice, BYIL 51 (1980), 89 (98, Fn. 1). 589
Mosler, in: FS-Schlochauer (1981), 439 (449). Siehe aber die als teleologische Reduktion einzuordnenden Bemerkungen von Fitzmaurice, BYIL 51 (1980), 89 (93), der vorschlägt, eine Geständnisfiktion bezüglich der Zuständigkeit des IGH eingreifen zu lassen, obwohl Art. 53 Abs. 2 IGH-Statut auf Art. 36 und 37 verweist. Außerdem sei Article 53 seinem Sinn und Zweck nach nicht auf Situationen anwendbar, in denen sich der Beklagte von Verfahrenseinleitung an dem Prozess entziehe (non-appearance ab origine, S. 97). Gegen diese Vorschläge: von Mangoldt, in: FS-Mosler (1983), 503 (523, Fn. 77). 590
Kossi Galley, Revue de la recherche juridique – Droit prospectif 105 (2004), 2523 (2531). 591
Mosler, in: FS-Schlochauer (1981), 439 (443).
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det“.592 Zentrales Anliegen ist demnach der Schutz der Gleichheit der Parteien im Prozess.593 Während der IGH für das Säumnisurteil in der Schadensersatzphase des Corfu Channel-Falls noch eine wenig strenge Prüfung des Vorbringens des Klägers in Aussicht stellte,594 entschied er im Nuclear Tests-Fall, dass es ihm angesichts des Ausbleibens der Beklagten besonders obliege, sich davon zu überzeugen, dass er im Besitz aller verfügbaren Tatsachen sei.595 Ähnlich urteilte er im Nicaragua-Fall, dass er im Falle der Säumnis einer Partei (im konkreten Fall der Vereinigten Staaten) alle ihm verfügbaren Mittel einsetzen müsse, um sich zu vergewissern, dass die Anträge des Antragstellers tatsächlich und rechtlich begründet sind.596 Ob der IGH im Versäumnisverfahren die tatsächlichen Voraussetzungen der Klage im Sinne des Untersuchungsgrundsatzes selbst ermitteln muss, ist unklar. Hiergegen sprechen Sondervoten im Nicaragua-Fall, 592
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (26, Ziff. 31).
593
Ipsen/Fischer, Völkerrecht (2004), 1065 (1186); Coulée, in: RuizFabri/Sorel (Hrsg.), Le principe du contradictoire devant les juridictions internationales (2004), 7 (14); Franck, Fairness in International Law and Institutions (1995), 337; Combacau/Sur, Droit international public (2006), 597; von Mangoldt, in: FS-Mosler (1983), 503 (523). Anders ist dies im Prozess vor der IAMRK, siehe Report No. 5/96 Case 10.970, Peru, March 1, 1996, Raquel Martín de Mejía, Annual Report of the Inter-American Commission on Human Rights 1995, 157 (173): “[T]he ICJ must seek to preserve the interests of the parties in dispute. Within the sphere of the American Convention, however, Article 42 of the Regulations must be interpreted in light of the basic purposes of the Convention, i.e. protection of human rights.” 594
IGH, Corfu Channel Case (Compensation), ICJ Rep. 1949, 244 (248): “While Article 53 thus obliges the Court to consider the submissions of the Party which appears, it does not compel the Court to examine their accuracy in all their details; for this might in certain unopposed cases prove impossible in practice. It is sufficient for the Court to convince itself by such methods as it considers suitable that the submissions are well founded.” 595
IGH, Nuclear Tests Case (Australia), ICJ Rep. 1974, 253 (263, Ziff. 31); IGH, Nuclear Tests Case (New Zealand), ICJ Rep. 1974, 457 (468, Ziff. 32). 596
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (40, Ziff. 59). Dies schloss im konkreten Fall auch solche Informationen ein, die das Gericht nicht auf dem vom Statut und den Regeln vorgesehenen Weg erreichten, sondern vom nicht erschienenen Beklagten „informell“ eingereicht wurden. Dieser Praxis eher zustimmend: Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (121).
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die die Vorschrift einerseits so interpretieren, dass dem IGH zwar gestattet sei, eigene Tatsachenermittlungen anzustellen, ihn dazu jedoch keine Verpflichtung treffe,597 und die andererseits der erschienenen Partei die Beweislast zur Widerlegung von Rechtfertigungsgründen auferlegen, die dem säumigen Staat günstig wären.598 Dennoch ist mit der überwiegenden Auffassung von einer Pflicht zur amtswegigen Ermittlung durch die Gerichte auszugehen. Dafür spricht bereits der Wortlaut („must satisfy itself“/„doit s’assurer“). Fraglich ist nun, ob diese Amtsermittlungspflicht nur im Versäumnisverfahren gelten soll, oder auch auf das normale streitige Verfahren ausstrahlt. So wird teilweise aus Art. 53 IGH-Statut gefolgert, dass das Verfahren vor dem IGH insgesamt inquisitorischer Art sei.599 Dies geht jedoch zu weit. Art. 53 IGH-Statut und Art. 28 ISGH-Statut sollen einer Besonderheit der internationalen Gerichtsbarkeit Rechnung tragen, dass die gerichtliche Streitbeilegung nämlich nur dann effektiv sein kann, wenn beide Parteien das Urteil akzeptieren und durchsetzen. Dies werden sie in der Regel nur dann tun, wenn sie ihre rechtlichen und tatsächlichen Standpunkte während des Prozesses äußern konnten bzw. im Urteil widergespiegelt sehen. Erscheinen beide Parteien, so ist dies in der Regel bei Beachtung des Grundsatzes des fairen Verfahrens unproblematisch. Bei Säumnis muss das Gericht durch eigene Ermittlungen sicherstellen, dass das Urteil akzeptanzfähig ist. Art. 53 IGHStatut stellt daher eine Ausnahmeregelung dar, die nicht ohne Weiteres auf das regelmäßige streitige Verfahren übertragen werden kann. Die darin statuierte Ermittlungspflicht des IGH stellt den Kompromiss für den Fall des Boykotts durch eine Partei dar: Eine der Staatensouveränität verpflichtete Argumentation käme zum Abbruch des gerichtlichen Verfahrens und der Unmöglichkeit einer Entscheidung. Hingegen ließe 597
IGH, Nicaragua Case (Merits), diss. op. Oda, ICJ Rep. 1986, 212 (245, Ziff. 69): “[The prohibition to pronounce judgment in favour of an applicant for the reason that the respondent has not appeared] does not however suggest that the Court is required to establish proprio motu facts on behalf of the absent respondent … . Yet Article 53 by no means prohibits the Court from endeavouring to find facts proprio motu … .” (Hervorh. im Original). 598
IGH, Nicaragua Case (Merits), diss. op. Schwebel, ICJ Rep. 1986, 259 (319, Ziff. 125): “[I]t follows that … the Court cannot hold for Nicaragua unless it proves that the affirmative defence advanced by the United States is unfounded.” 599 Doehring, Völkerrecht (2004), Rn. 1120; Lorenzmeier/Rohde, Völkerrecht – schnell erfasst (2003), 216.
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eine besonders gerichtsfreundliche Auslegung ein echtes Versäumnisurteil jedenfalls in solchen Verfahren zu, in denen es primär um den Ausgleich einzelstaatlicher Interessen geht. Zwischen diesen Positionen bietet Art. 53 IGH-Statut einen Mittelweg, indem er die Fortführung des Verfahrens erlaubt, jedoch dem IGH die Amtsermittlung aufgibt. Die Ermittlungspflicht ist auch deshalb nötig, weil im Unterschied zu nationalen Rechtsordnungen keine Möglichkeit zum Einspruch der säumigen Partei besteht.
5. Bindungswirkung der Beweisbeschlüsse Die Beweisbeschlüsse internationaler Gerichte sind den Parteien gegenüber generell bindend.600 Auch dies spricht gegen ein striktes adversatorisches Verfahren. Hingegen sind Dritte und Einzelne von dieser Bindungswirkung grundsätzlich ausgeschlossen. Ausnahmen gelten für das WTO-Streitverfahren (hier kann gegenüber allen WTO-Mitglieder bindend angeordnet werden) und für das Verfahren vor den ad hoc-Strafgerichten sowie dem EuGH, von denen darüber hinaus nicht nur Staaten, sondern auch Einzelne unmittelbar zur Zusammenarbeit mit dem Gericht verpflichtet werden können.
6. Ergebnis Weder die gerichtseinsetzenden Verträge und Verfahrensordnungen noch die Rechtsprechung lassen einen Schluss auf eine grundsätzlich zurückhaltende Rolle des Gerichts im Sinne eines streng kontradiktorischen Verfahrens zu. Daher ist denjenigen Stimmen in der Literatur zuzustimmen, die ein strikt adversatorisches Prinzip ablehnen. Gleichzeitig lässt sich aus der Untersuchung der Verträge und der Rechtsprechung eine generelle Pflicht zur Tatsachenermittlung durch das Gericht ebenfalls nicht ableiten. Insofern ist auch die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes nicht zu begründen; sie ergibt sich insbesondere auch nicht aus Art. 53 IGH-Statut oder Art. 28 ISGH-Statut. Die Ablehnung des Untersuchungsgrundsatzes wird durch die Grenze des streitigen Parteivortrags für die Ermittlungstätigkeit des Gerichts bestätigt: Internationale Gerichte dürfen im Grundsatz unstrittige Tatsachen nicht nachermitteln und sind an Geständnisse oder tatsächliche Abspra600
So auch: Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 121; Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (383).
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chen der Parteien gebunden. Anders ausgedrückt: Sie dürfen nicht ihre eigene Version der Wahrheit an die Stelle der von den Parteien etablierten setzen.601 Anderes kann im Verfahren vor Menschenrechtsgerichtshöfen und internationalen Strafgerichtshöfen gelten, wobei auch hier zu konstatieren ist, dass sich eine Pflicht der Gerichte zur Tatsachenermittlung weder explizit aus den gerichtseinsetzenden Verträgen und Verfahrensordnungen noch der Praxis der jeweiligen Gerichte ergibt.602 Dennoch ist die Funktion der internationalen Menschenrechts- und Strafgerichtshöfe eine andere als die der zwischenstaatlichen internationalen Gerichtsbarkeit. Aufgrund der Ungleichheit der Parteien müssen sie eine stärkere Schutzfunktion zugunsten des Einzelnen ausüben, was sich auch auf ihre Tatsachenermittlungskompetenzen auswirkt.603 Hier offenbart sich der Unterschied des Völkerprozessrechts zu anderen völkerrechtlichen Prozessordnungen. Gleichzeitig ist insbesondere in stark integrierten Systemen der obligatorischen Streitbeilegung eine Entwicklung hin zu einer aktiveren prozessleitenden und tatsachenermittelnden Rolle des Gerichtes zu erkennen. Entsprechend wird etwa das DSU-Verfahren dahingehend charakterisiert, dass es sich von einem parteigesteuerten Verfahren hin zu einer Art Offizialverfahren entwickelt habe, das einem öffentlich-rechtlichen Verfahren durchaus nahe komme.604 Den Grund für diese Entwicklung kann man in der Wandlung des Verfahrens von einer Methode der (rein bilateralen) friedlichen Streitbeilegung zwischen gleichgeordneten Parteien hin zu einem Instrument der Durchsetzung einer objektiven Rechtsordnung sehen.605 Das WTO-Streitbeilegungsverfahren generell 601
Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (48). 602
Siehe: Kirsch, ICLR 6 (2006), 275 (278) für den IStGH: “With regard to the sparse guidelines for the conduct of the proceedings and the hearing of evidence in the legal framework of the ICC, it is fair to state that the procedure before the ICC is characterized by the absence of any binding obligation on the part of the pre-trial judges as well as the trial judges to extend the taking of evidence to include all facts and pieces of evidence that are relevant for the decision, i.e. establish the truth, proprio motu (‘Amtsaufklärungspflicht’).”; Wolfrum, in: FS-Wildhaber (2007), 915 (918) für das Verfahren vor dem EGMR. 603
Wolfrum, in: FS-Wildhaber (2007), 915 (917).
604
Hilf, in: Hilf/Oeter, WTO-Recht, Rechtsordnung des Welthandels (2005), Rn. 29. 605
Ruffert, ZVglRWiss 100 (2001), 304 (318).
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als „inquisitorisch“ oder quasi-inquisitorisch zu bezeichnen606 und die Beweislastregeln zum „prozessualen Rudiment der kontradiktorischen Streitschlichtung“ zu erklären607 ist jedoch angesichts der oben aufgezeigten Ergebnisse ungenau. Die Verteilung der Kompetenzen zwischen Panel und Parteien im Streitbeilegungsprozess nach dem DSU folgt dem Verhandlungsgrundsatz, der durch beträchtliche Tatsachenermittlungskompetenzen des Panels angereichert ist.608 Dabei ist nicht zu verkennen, dass eine Entwicklung zu einem öffentliche Interessen mit einbeziehenden Verfahren andauert.609 Daraus folgt, dass in zwischenstaatlichen Streitigkeiten weder der Untersuchungsgrundsatz noch ein streng kontradiktorisches Verfahren gilt. Am ehesten entspricht die Situation dem aus dem deutschen Zivilprozessrecht bekannten (modifizierten) Verhandlungsgrundsatz.610
606
Cass, The Constitutionalization of the World Trade Organization, Legitimacy, Democracy, and Community in the International Trading System (2005), 195. Ähnlich (Tendenz zum Offizialverfahren): Hilf, EuR Beiheft 1 (2002), 173 (179); Hilf, in: Hilf/Oeter, WTO-Recht, Rechtsordnung des Welthandels (2005), Rn. 29; 607
So pointiert: Ruffert, ZVglRWiss 100 (2001), 304 (318). Dass das DSU auch im Sinne eines reinen Offizialverfahrens gelesen werden könnte, bestätigt Waincymer, WTO Litigation (2002), 549, der diese Lesart jedoch im Hinblick auf die Rechtsprechung anderer internationaler Gerichte ablehnt. 608
So im Ergebnis auch: Göttsche, Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Rechtsmittelinstanz (2005), 344, der jedoch Art. 13 DSU als „Durchbrechung“ des Verhandlungsgrundsatzes charakterisiert; Feddersen, Der ordre public in der WTO (2002), 174 f.; sowie Guinchard u.a., Droit processuel (2005), 907, die eine Entwicklung von einem Verfahrenstypus ausgehen sehen, der streng adversarial bzw. accusatoire geprägt war, über die Anreicherung von inquisitorischen Elementen hin zu einem procès contradictoire, bei dem sich die Rolle des Richters nicht auf die Wahl einer der angebotenen Standpunkte beschränkt, sondern er prozessleitend tätig werden kann. 609 McGovern, International Trade Regulation (Loseblatt), § 2.2326, Page 2.23-55 (Issue 18, February 2005). Frison-Roche, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), Le principe du contradictoire devant les juridictions internationales (2004), 125 (144 ff.), die eine Entwicklung des Verfahrens weg von dem Schutz individueller Interessen und Rechte hin zu einer Durchsetzung der objektiven Rechtsordnung ausmacht. Siehe auch: Pauwelyn, Ohio State Journal on Dispute Resolution 19 (2003), 121 (132), der eine „Entbilateralisierung“ für die Zukunft fordert. 610
Ebenso: Ruiz-Fabri/Sorel, Juris-classeurs de droit international, Bd. 4, Fasc. 217 (30. September 2001), 7 (Ziff. 24): Das Prozessrecht des IGH sei „imprégnée par le principle de contradictoire, mais ne négligeant pas quelques
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II. Ermessensleitende materiellrechtsbezogene Auslegung der Beweiserhebungskompetenzen Die Ausübung der Kompetenzen internationaler Gerichte zur Tatsachenermittlung stehen in ihrem Ermessen. Aussagen, wie dieses Ermessen auszuüben sei, finden sich weder in der Rechtsprechung noch in den Prozessrechtsinstrumenten. Aus diesem Befund wird gelegentlich gefolgert, dass die gerichtliche Intervention in den Prozess der Tatsachenermittlung allein von den Umständen des Einzelfalles abhänge, im Wesentlichen im freien Ermessen des Gerichts stehe und keine allgemeingültigen Grundsätze festzustellen seien.611 Dies kann jedoch nicht befriedigen. Es ist daher zu fragen, ob sich nicht Grundsätze finden lassen, anhand derer die Ermessensausübung rationalisiert werden kann. Hierbei bietet es sich an, an das materielle Recht anzuknüpfen, das das Gericht in einer konkreten Streitigkeit anwendet, dies deshalb, weil das materielle Völkerrecht und das Völkerprozessrecht interagieren: “In every legal system law and procedure constantly react upon each other. Changes in the substantive law call for new procedures and remedies; new procedures and remedies make possible changes in the substantive law. So it is in international law.”612 Die methodische Herausforderung angesichts der Reaktionsmöglichkeiten des weitgehend statischen geschriebenen (d.h. in gerichtseinsetzenden Verträgen und Verfahrensordnungen niedergelegten) Prozessrechts ist jedoch, dass es sich gerade bei den ständigen internationalen Gerichten, aber auch bei institutionalisierten Schiedsgerichten um ein und dieselbe Prozessordnung handelt, die den Anforderungen von Streitigkeiten über verschiedene materielle Rechtsgebiete gerecht werden muss. Zu untersuchen ist demnach, ob durch flexible Auslegung der Prozessrechtsinstrumente eine Annäherung an das materielle Recht erreicht werden kann. Dabei bieten Wortlaut, Systematik und Vorarbeiten der gerichtseinsetzenden Verträge (Art. 31 Abs. 1, 1. und 2. Alt., 32 traces de la procédure inquisitoire“ und daher hybrid. So auch beim EuGH und dem EuG: Berger, in: FS-Schumann (2001), 27 (31); Hackspiel, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union (2003), § 24, Rn. 1: Nebeneinander von Verhandlungsgrundsatz und Untersuchungsmaxime; Ress, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 177 (183); Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (353). 611
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 161 f.; Halink, New York University JILP 40 (2008), 13 (19). 612
Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 184.
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WVK) keinen geeigneten Ansatzpunkt für eine differenzierte Auslegung der Kompetenzen eines internationalen Gerichts mit Hinblick auf die Tatsachenermittlung. Allenfalls können unbestimmte Rechtsbegriffe wie „necessary“ (Art. 61 Abs. 1 und 2 IGH-VerfO) ein „Einfallstor“ für eine am streitgegenständlichen materiellen Recht orientierte Auslegung des Prozessrechts, insbesondere der Befugnisse des Gerichts, darstellen.613 Besser geeignet scheint demgegenüber, bei der Auslegung der Instrumente auf den Sinn und Zweck des Prozessrechts abzustellen (Art. 31 Abs. 1, 3. Alt. WVK). Telos des Prozessrechts ist generell die Gewährleistung sachlich richtiger Entscheidungen bei der Anwendung materieller Normen. Im zwischenstaatlichen Prozess erfüllt das Prozessrecht damit in der Regel eine Hilfsfunktion bei der Feststellung und Verwirklichung der materiellen Rechte und Pflichten von Staaten.614 Auch dieser Gedanke legt nahe, auf die dem materiellen Recht zugrunde liegenden Wertungen bei der Auslegung des Prozessrechts zurückzugreifen. Für die Erfassung der dynamischen Beziehung zwischen Völkerprozessrecht und materiellem Recht kann darüber hinaus Art. 31 Abs. 3 (c) WVK herangezogen werden. Hiernach ist bei der Auslegung „jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz“ zu berücksichtigen. Dieser ist bei der Interpretation der Sachverhaltsermittlungskompetenzen internationaler Gerichte derjenige des materiellen Rechts, über dessen Auslegung und Anwendbarkeit auf den konkreten Lebenssachverhalt das Gericht zu entscheiden hat.
1. Der Anwendungsbereich des Art. 31 Abs. 3 (c) WVK Art. 31 Abs. 3 (c) WVK beschreibt nicht etwa einen Spezialfall der systematischen Auslegung, da die in Bezug zu nehmenden Vorschriften außerhalb des Textes und seines Zusammenhangs stehen.615 Am tref613
Zu einer ähnlichen Argumentation in einem anderen Zusammenhang: Koskenniemi, Fragmentation of International Law: Difficulties Arising from the Diversification and Expansion of International Law, Report of the Study Group of the ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 13. April 2006, Ziff. 459. 614
Lachs, in: FS-van Panhuys (1980), 21 (24); Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (106). 615
Siehe den Einleitungssatz des Art. 31 Abs. 3: „Außer dem Zusammenhang sind in gleicher Weise zu berücksichtigen … .“ ILC, Report of the International
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fendsten lässt sich diese Form der Interpretation als „völkerrechtskonforme Auslegung“ beschreiben. Nach einem weiten Verständnis ist die Vorschrift Ausdruck eines Prinzips616 oder zumindest eines Ziels617 der „systemischen Integration“ im Völkerrecht, dessen Potenzial für die Koordinierungen völkerrechtlicher Subsysteme im Lichte der Fragmentierung des Völkerrechts bedeutend ist. Danach stellt sich das Völkerrecht – trotz fortschreitender Binnendifferenzierung – als ein einheitliches Rechtssystem dar. Bezüglich der Anwendungsvoraussetzungen ist einleitend festzustellen, dass der in Art. 31 Abs. 3 (c) genannte „Rechtssatz“ aus allen anerkannten Völkerrechtsquellen stammen kann.618 Dies ergibt sich bereits aus Law Commission on the work of its eighteenth session, Draft articles on the law of treaties with commentaries, ILC Yearbook 1966 II, 172 (222): “[T]he Commission decided to transfer this element of interpretation to paragraph 3 as being an element which is extrinsic both to the text and to the ‘context’ as defined in paragraph 2.” 616 McLachlan, ICLQ 54 (2005), 279 ff.; Sands, in: Boyle/Freestone (Hrsg.), International Law and Sustainable Development (1999), 39 (49); Combacau/Sur, Droit international public (2006), 177: „principe d’intégration“. 617
So die vorsichtigere Formulierung in ILC, Report on the work of its 57th session, GAOR, 60th Session, Suppl. No. 10, A/60/10, Ziff. 475. So auch: Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen (2002), 365. Jetzt aber: Koskenniemi, Fragmentation of International Law: Difficulties Arising from the Diversification and Expansion of International Law, Report of the Study Group of the ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 13. April 2006, Ziff. 413. 618
Ganz herrschende Meinung: ILC, Report on the work of its 57th session, GAOR, 60th Session, Suppl. No. 10, A/60/10, Ziff. 477; Koskenniemi, Fragmentation of International Law: Difficulties Arising from the Diversification and Expansion of International Law, Report of the Study Group of the ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 13. April 2006, Ziff. 426; McLachlan, ICLQ 54 (2005), 279 (313); French, ICLQ 55 (2006), 281 (301); EGMR, Golder v. United Kingdom (Application No. 4451/70), Urteil vom 21. Februar 1975, Ser. A vol. 18, 17 (Ziff. 35): “Article 31 para. 3 (c) of the Vienna Convention indicates that account is to be taken, together with the context, of ‘any relevant rules of international law applicable in the relations between the parties’. Among those rules are general principles of law and especially ‘general principles of law recognized by civilized nations’ (Article 38 para. 1 (c) of the Statute of the International Court of Justice).” Siehe auch EGMR (Große Kammer), Al-Adsani v. United Kingdom (Application No. 35763/97), Urteil vom 21. November 2001, ECHR 2001-XI, 79 (100, Ziff. 55). Auch: Boyle, ICLQ 54 (2005), 563 (573); Matz, Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge (2005), 300 f.; Yasseen, RdC
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einer fehlenden Einschränkung des Wortlauts. Damit ermöglicht er die Interpretation völkerprozessrechtlicher Normen unabhängig von der Rechtsquellenzugehörigkeit des streitgegenständlichen materiellen Rechts. Auch können Rechtssätze berücksichtigt werden, die erst nach Abschluss des auszulegenden Vertrages in Kraft traten.619 Art. 31 Abs. 3 (c) WVK kann allerdings nur dort bemüht werden, wo die Offenheit des auszulegenden Begriffes dies ermöglicht.620 Ist dies nicht möglich, so bleibt es grundsätzlich bei der Auslegung nach dem zur Zeit des Vertragsschlusses geltenden Rechts.621 Eine grundsätzliche Revision der anzuwendenden Norm ist über den Umweg der Auslegung also nicht zulässig.622 Die prozessualen Kompetenznormen internationaler Gerichte geben in aller Regel überhaupt keine Auskunft über die Frage, in welchen Situationen das Gericht sich ihrer bedienen soll. Sie sind daher einer Auslegung zugänglich.
2. Einbeziehung asymmetrischer Verpflichtungsstrukturen In vielen Fällen vor multilateralen internationalen Gerichten werden nicht alle Staaten, die Partei des multilateralen Prozessvertrages sind, um dessen Auslegung es anhand von Art. 31 Abs. 3 (c) WVK geht, auch gleichzeitig Partei des streitgegenständlichen materiell-rechtlichen Vertrages sein. Um die angestrebte dynamische Auslegung an sich stati151 (1976 III), 1 (63); Marceau, JWT 33 (5) (1999), 87 (123); dies., JWT 35 (6) (2001), 1081 (1087). Fraglich ist, ob zu den „anwendbaren einschlägigen Völkerrechtssätzen“ in Art. 31 Abs. 3 (c) auch solche vertragsrechtlichen Ursprungs zählen. Man kann argumentieren, dass hier nicht Art. 31, sondern Art. 30 WVK Anwendung findet. Es handelte sich dann – in der Terminologie der Abschnitte 2 und 3 des dritten Teils der WVK – nicht um ein Problem der Vertragsauslegung, sondern eines der Vertragsanwendung. So wohl: Sands, in: Boyle/Freestone (Hrsg.), International Law and Sustainable Development (1999), 39 (48, 57). Allerdings bestehen hieran schon deshalb Zweifel, da der Anwendungsbereich des Art. 30 eng ist und daher darüber hinaus erheblicher Koordinationsbedarf besteht. Außerdem wäre die Rechtsfolge des Art. 30 WVK die vollständige Verdrängung einer Regel zugunsten einer anderen, was nur als ultima ratio in Frage kommt. 619 Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen (2002), 367 m.w.N. 620 621 622
Matz, Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge (2005), 301. Lennard, JIEL 5 (2002), 17 (39). Boyle, ICLQ 54 (2005), 563 (568).
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scher Prozessrechtsverträge zu tragen, muss die Norm daher den Rückgriff auf einen materiellen Rechtssatz zulassen, der nicht für alle Parteien des gerichtseinsetzenden Vertrags gilt. Eine solche Vorgehensweise ist jedenfalls dann unproblematisch möglich, wenn man den Begriff „Vertragsparteien“ in Art. 31 Abs. 3 (c) WVK als „Parteien des Rechtsstreits“ auslegt.623 Dies ist nach dem authentischen Wortlaut des englischen, französischen und spanischen Textes zwar eher möglich als nach der deutschen Übersetzung (die englische und französischen Versionen sprechen nur von „parties“, die spanische von „partes“), jedoch schon vor dem Hintergrund der Gefahr sich widersprechender Auslegungen jedenfalls für die Auslegung materieller Rechtssätze nicht unproblematisch.624 Es bestünde die Gefahr einer Vielzahl unterschiedlicher Auslegungen derselben materiellen Norm abhängig vom jeweiligen Kontext der Auslegung. Insbesondere im gerichtlichen Verfahren hinge die Auslegung so maßgeblich von den (in Bezug auf die auszulegende Norm zufälligen) übrigen Rechtsbindungen der Streitparteien ab. Die WVK gilt für die Auslegung aber auch dann, wenn keine gerichtliche Streitigkeit über die Auslegung einer Norm besteht und ist nicht als spezielle Streitbeilegungsvorschrift konzipiert.625 Dies berücksichtigend fordert eine strenge Ansicht, dass alle Vertragsparteien des auszulegenden Vertrages auch durch die in die Auslegung einzubeziehende Rechtsregel gebunden sein müssen.626 Indes wird diese strikte Interpretation des Art. 31 Abs. 3 (c) WVK den Bedürfnissen der Koordination zwischen völkerrechtlichen Teilrechtsgebieten nicht gerecht.627 Dennoch ist zu bedenken, dass es gerade bei umfassenden vertraglichen Regelungswerken (traités-lois) problematisch ist, über Art. 31 WVK abweichende, nur für einen Teil der Ver623
So: Palmeter/Mavroidis, AJIL 92 (1998), 398 (411); French, ICLQ 55 (2006), 281 (307). 624
So auch: ILC, Report on the work of its 57th session, GAOR, 60th Session, Suppl. No. 10, A/60/10, Ziff. 472 (unter (b)); Boyle, ICLQ 54 (2005), 563 (571, Fn. 43): Gefahr der „Balkanisierung“ internationaler Verträge. 625
Lennard, JIEL 5 (2002), 17 (37); Böckenförde, Grüne Gentechnik und Welthandel (2004), 450. 626 627
DSB, EC – Approval and Marketing of Biotech Products, Ziff. 7.68.
Koskenniemi, Fragmentation of International Law: Difficulties Arising from the Diversification and Expansion of International Law, Report of the Study Group of the ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 13. April 2006, Ziff. 450 und 471.
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tragsparteien geltende Völkerrechtsnormen in die Auslegung des lawmaking treaties einfließen zu lassen und so evtl. bestehende Verbote von inter se-Abkommen durch die Hintertür der Auslegung zu umgehen.628 Daher bietet es sich an, zu differenzieren: Handelt es sich bei der auszulegenden Vertragsbestimmung um eine solche, die integrale Verpflichtungen bzw. solche erga omnes partes begründet, so müssen alle Vertragsparteien auch Mitglied des externen Vertrages sein. Bei allen anderen Vertragsbestimmungen kommt es auf die Parteien des konkreten Streitverfahrens an.629 Ausgehend von dieser Lösung stellt sich die Frage der Einordnung derjenigen Normen in gerichtseinsetzenden Verträgen, die amtswegige Tatsachenermittlungskompetenzen des internationalen Gerichts regeln. Für die Anwendung von Art. 31 Abs. 3 (c) WVK im Prozessrecht stellt sich die Problematik nicht in vergleichbarer Schärfe wie im materiellen Recht. Es geht um flexible, materiellrechtsgeleitete Auslegung des Prozessrechts. Auch aktualisiert sich die normative Wirkung des IGHoder ISGH-Statuts und des DSU im Gegensatz zum materiellen Völkerrecht eben ausschließlich in der gerichtlichen Auseinandersetzung. Der Einwand, das WVK gelte auch außerhalb gerichtlicher Streitbeilegung und verhindere so ein Abstellen auf die Parteien des konkreten Rechtsstreits, tritt somit in den Hintergrund. Auch sind die die Tatsachenermittlung regelnden Normen des IGH-Statuts, des ISGH-Statuts oder vergleichbarer anderer gerichtseinsetzender Verträge nicht von integraler Natur. Dies ist anders bei Gerichten, die speziell zur Durchsetzung von Gemeinschaftsinteressen geschaffen wurden, etwa beim IStGH, JStGH, EGMR und IAGMR. Aus der Bedeutung des Zusammenarbeitsregimes für die adäquate Erfüllung der Funktionen ergibt sich etwa beim IStGH die erga omnes partes-Struktur des Teils 9 des IStGH-Statuts.630 Gleiches gilt für den JStGH. Hier ist ein Rückgriff auf eine flexible Auslegung jedoch auch nicht nötig, da nur ein materiel628
Für das SRÜ betont dies richtig: Boyle, ICLQ 54 (2005), 563 (569): “If the integrity and global character of the Convention are to be preserved, courts must necessarily approach interpretation by reference to Article 31(3)(c) with some caution.” 629
Koskenniemi, Fragmentation of International Law: Difficulties Arising from the Diversification and Expansion of International Law, Report of the Study Group of the ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 13. April 2006, Ziff. 472; Neumann, Die Koordination des WTO-Rechts mit anderen völkerrechtlichen Ordnungen (2002), 368 f. 630
Benzing, Max Planck UNYB 8 (2004), 181 (225 f.).
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les Teilrechtsgebiet von der Gerichtsbarkeit des internationalen Gerichts erfasst wird.
3. Flexible kontextbezogene Auslegung derselben Norm in unterschiedlichen Kontexten Weiterhin ist erforderlich, dass dieselbe prozessrechtliche Norm je nach Kontext unterschiedlich ausgelegt werden kann, d.h. in Abhängigkeit vom anwendbaren materiellen Recht mit unterschiedlichem Akzent zu versehen ist. Nach der hier vorgeschlagenen Vorgehensweise geht es darum, die ermessensgeleitete Nutzung der den internationalen Gerichten zur Verfügung stehenden Kompetenzen unter Bezugnahme auf das materielle Recht zu rationalisieren. Wichtig ist auch, die dienende Funktion des Prozessrechts in Bezug auf das materielle Recht zu betonen. Das Prozessrecht verfolgt den Zweck, den das materielle Recht ihm vorgibt.631 Daher ist eine solche flexible Auslegung möglich.
4. Ergebnis Die flexible Auslegung des Prozessrechts nach dem streitgegenständlichen materiellen Recht ist dogmatisch demnach über eine teleologische Auslegung nach Art. 31 Abs. 1 WVK und eine systemische nach Art. 31 Abs. 3 (c) WVK möglich.632 Der skizzierte Lösungsansatz ist insbesondere relevant für Gerichte, deren Zuständigkeit grundsätzlich nicht funktional oder sektoral begrenzt ist, allen voran für den IGH. Sie ermöglicht es diesen Spruchkörpern, prozessual adäquat auf die Differenzierung der Völkerrechtsordnung in einzelne sektoral begrenzte Regime zu reagieren.633
631
Jauernig, JuS 1971, 329.
632
Verstärkend hinzugezogen werden kann das Prinzip der ordnungsgemäßen Rechtspflege, aus dem auch gewisse positive Pflichten des Gerichts folgen: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 26. 633
Zur Dezentralisierung und Sektoralisierung des Völkerrechts siehe Walter, in: Héritier/Stolleis/Scharpf (Hrsg.), European and International Regulation after the Nation State (2004), 31 (51).
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III. Operationalisierung des Ergebnisses Nachdem eine materiellrechtlich orientierte Auslegung des Prozessrechts internationaler Gerichte zulässig und dogmatisch begründbar ist, ist im Folgenden zu bestimmen, welche Gebiete des materiellen Völkerrechts ein verstärktes gerichtliches Engagement in der Klärung der Tatsachengrundlage rechtfertigen und bei welchen streitgegenständlichen Rechtsmaterien es im Wesentlichen bei dem oben festgestellten Grundsatz, nämlich der Initiative der Parteien, bleibt. An eine intensivere Nutzung der Gerichtsbefugnisse ist vor allem bei materiellen Rechtsgebieten zu denken, die Gemeinschaftsinteressen positivieren. Die Herausbildung von Gemeinschaftsinteressen im positiven Völkerrecht ist ein wesentliches Ergebnis des Prozesses der Konstitutionalisierung des Völkerrechts. Dieser soll im folgenden Abschnitt skizziert und sodann im darauf folgenden auf das Prozessrecht übertragen werden.
1. Konstitutionalisierung des Völkerrechts und Herausbildung von Interessen der internationalen Gemeinschaft Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist eine Entwicklung des Völkerrechts zu verzeichnen, die vom Ausgangspunkt der rein bilateralkoordinativen Ausrichtung des internationalen Rechtssystems, in denen Staaten zwar „gemeinsame Ziele“ verfolgten, aber darüber hinaus keine weitere Verdichtung ihrer Beziehungen anstrebten,634 über die Anerkennung von den Staaten gemeinsamen Werten635 im Kooperationsvölkerrecht hin zur Normativierung von allgemeinen humanitären, d.h. nicht exklusiv den Staaten zuzuordnenden, sondern um der Menschheit als solcher willen zu schützenden Werten reicht (Werte oder Interessen der internationalen Gemeinschaft bzw. globale öffentliche Güter).636 Vor allem mit der letztgenannten Normkategorie positiviert das mo634
So spricht der für das Koordinationsvölkerrecht typische Lotus-Fall von „the achievement of common aims“: StIGH, Lotus Case, Ser. A No. 10, 18. 635
Auch: „Staatengemeinschaftswerten“. Bereits hier kann man von „absoluten“, d.h. gegenüber jedermann bestehenden, Rechten sprechen: Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln (2001), 266. 636
Simma, RdC 250 (1994 VI), 229 (233 f., 248); Bryde, Der Staat 42 (2003), 61 (63 f.); ders., in: Macdonald/Johnston (Hrsg.), Towards World Constitutionalism, Issues in the Legal Ordering of the World Community (2005), 103 (107); Tietje, DVBl. 2003, 1081 (1088); Cassese, International Law (2005), 16; Wolfrum, GYIL 33 (1990), 308 (325); Fassbender, EuGRZ 2003, 1 (11 ff.).
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derne Völkerrecht Werte637 und entwickelt sich so von einer Koexistenz- über eine Kooperationsordnung hin zu einem Recht der internationalen Gemeinschaft.638 Anschaulich kann man von einer „Materialisierung“ des Völkerrechts sprechen.639 Hiermit einher geht eine fortschreitende Institutionalisierung des internationalen Systems. Der mit der dritten Stufe verbundene Prozess wird verbreitet mit dem Begriff „Konstitutionalisierung“ beschrieben.640 Der Begriff der Verfassung bzw. Verfasstheit ist auf das Völkerrecht schon früher angewandt worden und stellt damit keine wesentliche konzeptionelle Neuerung dar.641 Auch ist die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen in Breite und Tiefe (also die Ausdehnung und Verdichtung völkerrechtlicher Regelungen) allein nicht geeignet, um von einer Konstitutionalisierung des Völkerrechts zu sprechen.642 Sie ist aber ihre Voraussetzung,
637
Kadelbach, ZaöRV 64 (2004), 1 (10 ff.).
638
Grundlegend: Friedmann, The Changing Structure of International Law (1964), 60 ff. Siehe auch: Khan/Paulus, in: Erberich u.a. (Hrsg.), Frieden und Recht (1998), 217 (239); Thürer, in: Thürer/Aubert/Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz (2001), 37 (41, Rn. 10). Die von der Völkerrechtswissenschaft gewählten Attribute dieser Entwicklungsstufe des Völkerrechts sind unterschiedlich: „kommunitär“: Nettesheim, JZ 2002, 569 ff.; „konstitutionell“: Dörr, JZ 2005, 905 ff. 639
Nettesheim, JZ 2002, 569.
640
Zur Einordnung in die gegenwärtige völkerrechtliche Debatte: von Bogdandy, ZaöRV 63 (2003), 853 (864). Zum Prozesscharakter: Wahl, in: FS-Brohm (2002), 191. Kritisch zur Begrifflichkeit: von Bogdandy, Harvard ILJ 47 (2006), 223 (241). Kritisch insgesamt: Koskenniemi, EJIL 16 (2005), 113 (117); Hillgruber, JZ 2002, 1072 (1076). Dabei wird die Distanz der völkerrechtlichen Konstitutionalisierungsdebatte zur Funktionsweise nationaler Verfassungen regelmäßig betont, siehe nur Wahl, Der Staat 40 (2001), 45 (52). Zur Konzeption Tomuschats: von Bogdandy, Harvard ILJ 47 (2006), 223 (230). Aber: Ruffert, Die Globalisierung als Herausforderung an das Öffentliche Recht (2004), 39, Fn. 170: „Methodisch geht es hier … um eine Projektion der staatlichen Verfassung auf andere Ebenen.“ 641
Siehe nur: Verdross, Die Verfassung der Völkerrechtsgemeinschaft (1926); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (1984), Kapitel 3; Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 3 (1976) (betitelt: International Constitutional Law); Fassbender, Columbia JTL 36 (1998), 529 ff. 642 Nettesheim, in: FS-Oppermann (2001), 381 (393); Wahl, in: FS-Brohm (2002), 191 (201).
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da hieraus eine neue „Rechtsschicht“ entstehen kann, die neue normative Strukturen herausbildet.643 Der Prozess der Konstitutionalisierung steht daher im hier gebrauchten Sinne zuvörderst für die rechtliche Verdichtung der Gemeinschaftsinteressen, die über die Summe der staatlichen Einzelinteressen hinausgehen und letztlich internationale Verfassungsgüter oder -prinzipien darstellen.644 Hierin ist die Essenz des Konstitutionalisierungsgedankens zu sehen.645 Werte der internationalen Gemeinschaft werden zwar (nach dem gegenwärtigen Stand des Völkerrechts und mangels mit der Formulierung solcher Werte betrauten gemeinschaftlichen Institutionen) maßgeblich von Staaten formuliert,646 transzendieren jedoch den Rahmen rein staatlicher Gemeinschaftsinteressen.647
643
Möllers, in: von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht (2003), 1 (47 f.). Möllers arbeitet mit einem weiten Konstitutionalisierungsverständnis (S. 48), nach dem bereits in der Verrechtlichung und Institutionalisierung des internationalen Systems ein Konstitutionalisierungsprozess zu sehen ist. Folglich bezeichnet für ihn der Begriff der Konstitutionalisierung „die Verselbständigung internationaler Regime von intergouvernementalem Handeln“ (S. 47). 644
Frowein, BerDGV 39 (1999), 427 (446, These 1); Wahl, Der Staat 40 (2001), 45 (49). Dabei ist wichtig zu sehen, dass die Erreichung gemeinsamer Interessen der Staaten ebenfalls keine neue Idee ist, sondern auch im klassischen Völkerrecht (neben der Sicherung der friedlichen Koexistenz) als Funktion des Völkerrechts anerkannt war, siehe Weil, AJIL 77 (1983), 413 (419) mit Verweis auf die bereits oben angeführte Passage aus dem Lotus-Fall. Zu public interest norms auch Riemer, Staatengemeinschaftliche Solidarität in der Völkerrechtsordnung (2003), 269. 645
Ruffert, Die Globalisierung als Herausforderung an das Öffentliche Recht (2004), 39; Frowein, BerDGV 39 (1999), 427 (446, These 1); Scheyli, AVR 40 (2002), 273 (286). Kritiker der Konstitutionalisierungsthese bestreiten gerade diese Herausbildung von Gemeinschaftsgütern auf der internationalen Ebene: Koskenniemi, MLR 70 (2007), 1 (16). 646 Siehe aber Jayme, Vanderbilt JTL 38 (2005), 928 (929): “Globalization means that the international civil society articulates its interests independently from those of states and nations.” 647
Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht (2001), 429. Die klassische Beschreibung dieser über die Staatengemeinschaftsinteressen hinausgehenden Werte findet sich im Reservations to the Genocide ConventionGutachten: IGH, Reservations to the Genocide Convention, ICJ Rep. 1951, 15 (23): “The Convention was manifestly adopted for a purely humanitarian and civilizing purpose. It is indeed difficult to imagine a convention that might have this dual character to a greater degree, since its object on the one hand is to sa-
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An die grundsätzliche Anerkennung einer zunehmenden Wertorientierung des gegenwärtigen Völkerrechts schließt sich die Frage an, welche Werte und Interessen von der Völkerrechtsordnung anerkannt werden. Vorab ist zu bemerken, dass Staatenwerte, Staatengemeinschaftswerte und Werte der internationalen Gemeinschaft weitgehend unkoordiniert und parallel zueinander existieren. Dies spiegelt das Nebeneinander der verschiedenen völkerrechtlichen Ordnungsformen der Koordination, Kooperation und Konstitutionalisierung wider,648 macht jedoch vor allem eine Koordination und Abwägung im Kollisionsfall erforderlich.649 Eine Werthierarchie, anhand derer sich dieser Abwägungsprozess vollziehen könnte, ist jedoch, abgesehen von der Unterscheidung zwischen ius cogens – ius dispositivum, bisher schwer auszumachen. Allenfalls können erga omnes-Verpflichtungen als weitere Zwischenstufe identifiziert werden, die im Rang unter dem zwingenden Völkerrecht, jedoch über rein bilateralen Verpflichtungen stehen.650
feguard the very existence of certain human groups and on the other to confirm and endorse the most elementary principles of morality. In such a convention the contracting States do not have any interests of their own; they merely have, one and all, a common interest, namely, the accomplishment of those high purposes which are the raison d’etre of the convention. Consequently, in a convention of this type one cannot speak of individual advantages or disadvantages to States, or of the maintenance of a perfect contractual balance between rights and duties. The high ideals which inspired the Convention provide, by virtue of the common will of the parties, the foundation and measure of all its provisions.” Auch: diss. op. Alvarez, ICJ Rep. 1951 49 (51): “[Multilateral Conventions of a special character] have a universal character; they are, in a sense, the Constitution of international society, the new international constitutional law. They are not established for the benefit of private interests but for that of the general interest.” 648
Thürer, in: Thürer/Aubert/Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz (2001), 37 (41, Rn. 10); Nettesheim, JZ 2002, 569 (571); Cassese, International Law (2005), 21. Das Koordinationsvölkerrecht wird demnach nicht durch die weiteren Entwicklungsstufen abgelöst, sondern verändert, überlagert und ergänzt. Gleiches gilt aus der Perspektive eines Mehrebenensystems für die Rolle des Staates, Wahl, Der Staat 40 (2001), 45 (56): „Überformung des traditionellen Staates durch das Hinzutreten weiterer Ebenen“. 649 650
Fassbender, EuGRZ 2003, 1 (14).
So: de Wet, ICLQ 55 (2006), 51 (61 f.). Nicht alle erga omnes-Verpflichtungen gehören gleichzeitig zum Bestand des ius cogens: Simma, RdC 250 (1994 VI), 217 (300).
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Zu den Staatenwerten der klassischen Periode zählen die Achtung der Souveränität, das Nichteinmischungsgebot, die Autonomie und Gleichheit der Staaten. Hinzu kommen später – vor allem unter dem Einfluss der VN-Charta und damit im Zeitalter des Kooperationsvölkerrechts – die Sicherung des zwischenstaatlichen Friedens,651 die Freiheit des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs bzw. die wirtschaftliche Entwicklung und die Achtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker als Staatengemeinschaftsinteressen. Dazu zählt auch – quasi als Keimzelle des modernen Umweltvölkerrechts – das Verbot grenzüberschreitender Umweltschädigungen. Die die Staaten(gemeinschafts)werte transzendierenden Werte der internationalen Gemeinschaft sind weniger sicher auszumachen. Einerseits sind als besonders gut entwickelte Rechtssysteme zum Schutz von Gemeinschaftsinteressen der Schutz der Menschenrechte, das humanitäre Völkerrecht und das internationale Strafrecht zu nennen.652 Des Weiteren kann das Wirtschaftsvölkerrecht hierzu gezählt werden,653 wenn man anerkennt, dass ein Ziel der WTO die Erreichung von Freihandel ist,654 und sich der Einsicht des klassischen Wirtschaftsliberalismus anschließt, dass Freihandel Wohlfahrtsgewinne für alle Staaten ermöglicht und fördert und letztlich den Menschen zugutekommt.655 Al651
Zum Frieden als überragendem Gemeinschaftswert siehe Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht (2001), 253; Simma, RdC 250 (1994 VI), 217 (236). 652
Deutlich: IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, sep. op. Simma, ICJ Rep. 2005, 334 (349, Ziff. 38); Oeter, in: Brugger u.a. (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt (2002), 215 (230). 653
So: Khan/Paulus, in: Erberich u.a. (Hrsg.), Frieden und Recht (1998), 217 (253 f., 256). 654
Dagegen: von Bogdandy, Max Planck UNYB 5 (2001), 609 (659 ff.); ders., in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), Max Planck CWTL 2 (2006), Preamble WTO Agreement, Rn. 20. 655
Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht (2007), § 3, Rn. 1. Dörr hält die Destillation eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes der individuellen Marktfreiheit aus den regionalen Integrationsordnungen für möglich, erkennt jedoch an, dass das WTO-Recht z.Zt. auf eine rein zwischenstaatliche Handelsliberalisierung abzielt und (noch) keine Individualrechte einräumt: Dörr, JZ 2005, 905 (909). Ebenso Oeter, in: Nowak/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO (2002), 221 (222): WTO ist „rein völkerrechtliches Instrument der Disziplinierung staatlicher Außenwirtschaftspolitik“. Die Rechtsprechung des DSB scheint von einer zumindest mittelbar drittschützenden Wirkung des WTO-Rechts auszugehen, siehe etwa DSB, US – Section 301 Trade
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lerdings gibt es auch beachtliche Argumente gegen eine solche Interpretation der WTO-Rechtsordnung.656 Das Umweltvölkerrecht ist bereits weniger stark gefestigt. Hier ist darüber hinaus bereits umstritten, ob das Umweltvölkerrecht sich aus seiner nachbarrechtlichen – und damit rein bilateralen souveränitätsschützenden und auf Nutzung, nicht Schutz der Umwelt angelegten – Struktur gelöst hat und ein Gemeinschaftsinteresse am Schutz der Umwelt begründet hat.657 In vielen Bereichen ist seine Normativität fraglich, was insbesondere in häufiger Charakterisierung ihrer Regeln als soft law zum Ausdruck kommt. Jedoch sind auch hier Gemeinschaftsinteressen festzustellen. So führt die UNCC aus: “Indeed, in the case of environmental claims, the duty to prevent and mitigate damage is a necessary consequence of the common concern for the protection and conservation of the environment, and en-
Act, Ziff. 7.73 – 7.78: „principle of indirect effect“. Mit der Frage der Einräumung von Individualrechten verbunden, aber dennoch abzuschichten ist das Problem, ob das WTO-Recht Gemeinschaftsinteressen schützt. Erkennt man Individualrechte an, so wird ein Gemeinschaftsinteresse i.d.R. gegeben sein. Dies kann aber auch ohne eine solche Individualisierung der Fall sein. So: Oeter, in: Brugger u.a. (Hrsg.), Gemeinwohl in Deutschland, Europa und der Welt (2002), 215 (231): Organisationsstruktur der WTO basiert auf klaren Vorstellungen eines die konkreten Einzelinteressen der Staaten übersteigenden Gemeinschaftsinteresses. Deutlich auch: Iwasawa, JIEL 5 (2002), 287 (295). Anders: von Bogdandy, Max Planck UNYB 5 (2001), 609 (661): “According to the Appellate Body, WTO law only serves its members and no further interests.” Ebenso: ders., in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), Max Planck CWTL 2 (2006), Preamble WTO Agreement, Rn. 14. 656
Umfassend: Pauwelyn, EJIL 14 (2003), 907 (932): “Crucially, the objective of trade liberalization driving the WTO is not a genuine ‘collective interest’ in the sense that it transcends the sum total of individual state interests.” 657
Dazu einerseits: Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 387 (455, Rn. 101): nachbarrechtliche Grundstruktur ist der Verwirklichung möglicher Interessengemeinsamkeiten wenig förderlich; andererseits Brunnée, ZaöRV 49 (1989), 791 (792 ff.); Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln (2001), 356 ff., insb. 360 (globaler Umweltschutz als Staatengemeinschaftsinteresse); Simma, RdC 250 (1994 VI), 217 (238 ff.); d’Aspremont, Contemporary International Rulemaking and the Public Character of International Law, International Law and Justice Working Paper 2006/12, 28 ff. Zum geringen Konstitutionalisierungsgrad des Umweltvölkerrechts siehe auch: Oberthür, in: Zangl/Zürn (Hrsg.), Verrechtlichung – Baustein für Global Governance? (2004), 119 (insb. 129).
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tails obligations toward the international community and future generations. This duty encompasses both a positive obligation to take appropriate measures to respond to a situation that poses a clear threat of environmental damage, as well as the duty to ensure that any measures taken do not aggravate the damage already caused or increase the risk of future damage.”658 Konkreter wird in der in Art. 192 SRÜ normierten und auch völkergewohnheitsrechtlichen Pflicht zum Schutz der Meeresumwelt ein solches Gemeinschaftsinteresse gesehen.659 Eine allgemeine erga omnes-Verpflichtung zum Schutz der Umwelt besteht jedoch (noch) nicht. Ebenso sind die mit nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung und Solidarität verbundenen Rechtsregime tendenziell von schwacher Normativität,660 so dass zwar von ihrer Ausrichtung auf einen Gemeinschaftswert ausgegangen werden kann, aber fraglich ist, ob dieser bereits positivrechtlich verankert ist.
2. Interessen der internationalen Gemeinschaft im Völkerprozessrecht Es stellt sich die Frage, inwiefern einzelne prozessrechtliche Instrumente diese Gemeinschaftsinteressen aufnehmen. Richtigerweise wird betont, dass die gerichtliche Durchsetzung von Gemeinschaftswerten schon wegen des Fehlens einer obligatorischen Gerichtsbarkeit nur eingeschränkt möglich ist. Dies fügt sich in die Beobachtung ein, dass die Entwicklung und Verdichtung des Völkerrechts im materiell-normativen Bereich hin zur internationalen Gemeinschaft keine oder nur eine ungenügende Entsprechung im institutionellen Bereich findet.661 So 658 UNCC, Governing Council, Report and Recommendations made by the Panel of Commissioners concerning the fifth instalment of “F4” claims, S/AC.26/2005/10, 30. Juni 2005, Ziff. 40. Die Verknüpfung zwischen „common concern“ und dem erga omnes-Charakter der Verpflichtungen unterstützend: Durner, Common Goods, Statusprinzipien von Umweltgütern im Völkerrecht (2000), 234 ff. (insb. 260 ff.). 659
Proelß, Meeresschutz im Völker- und Europarecht, Das Beispiels des Nordostatlantiks (2004), 79. 660
Kritisch: Kingsbury, in: Cane/Tushnet (Hrsg.), The Oxford Handbook of Legal Studies (2006), 271 (275 f.). Zuversichtlicher: Simma, RdC 250 (1994 VI), 217 (237 f.). 661
Thürer, in: Thürer/Aubert/Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz (2001), 37 (52, Rn. 36); Walter, in: Héritier/Stolleis/Scharpf (Hrsg.), European and International Regulation after the Nation State (2004), 31 (57): „Es ist aber
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mangelt es der internationalen Gemeinschaft an Institutionen zur gerichtlichen Durchsetzung von Gemeinschaftsinteressen.662 An Vorschlägen für die institutionelle Verfestigung, insbesondere die Ausstattung internationaler Institutionen mit unabhängigen Organen zur gerichtlichen Rechtsdurchsetzung, fehlt es nicht: So werden eine internationale Umweltorganisation, ein internationaler Umweltgerichtshof, vor dem ein unabhängiges Organ im Sinne der Offizialmaxime selbst Verfahren einleiten können soll,663 sowie ein internationaler Menschenrechtsgerichtshof vorgeschlagen. Die internationale Streitbeilegung ist – wie bereits erwähnt – traditionell strikt bilateral angelegt und dient dem Schutz und der Durchsetzung einzelstaatlicher Interessen und Rechtsgüter.664 Anders ausgedrückt ist sie nicht nur durch das Konsensprinzip dem Koordinationsvölkerrecht verhaftet, sondern auch von ihrer Zielsetzung her, der Schlichtung eines Streites zwischen zwei Staaten, auf Bilateralität ausgelegt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Unzulänglichkeit internationaler Durchsetzungsmechanismen nicht durch Modifikationen im Völkerprozessrecht aufgefangen werden kann, um auch den über rein bilaterale Rechtsbeziehungen hinausgehenden Interessen der internationa-
wichtig zu erkennen, dass auf der internationalen Ebene die Herausbildung von Wertvorstellungen zumeist nicht mit der parallelen Herausbildung von institutionellen Strukturen zu ihrer Durchsetzung einher geht.“ Siehe auch: Cassese, International Law (2005), 17: „huge gap between the normative level and implementation“. 662
Reisman/Freedman, AJIL 76 (1982), 737: “There is no public prosecutor iure gentium.” Im Zusammenhang mit bereits bestehenden unabhängigen Organen, die zur gerichtlichen Durchsetzung von Gemeinschaftsinteressen befugt sind, ist neben der EU-Kommission v.a. an den Ankläger des IStGH zu denken, der proprio motu tätig werden darf (Art. 15 IStGH-Statut), allerdings nur das Verhalten von Individuen, nicht primär das von Staaten, zum Gegenstand seiner Ermittlungen machen kann. 663
Pauwelyn, in: Chambers/Green (Hrsg.), Reforming international environmental governance: From institutional limits to innovative reforms (2005), 150 (158 ff., insb. 163); Albus, Zur Notwendigkeit eines Internationalen Umweltgerichtshofs (2000); Rest, RECIEL 7 (1998), 63. 664
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3 (2002), 844; Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 2 (2006), 539; Ohlhoff, Methoden der Konfliktbewältigung bei grenzüberschreitenden Umweltproblemen im Wandel (2003), 15.
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len Gemeinschaft im zwischenstaatlichen Prozess angemessene Geltung zu verschaffen.665 Dafür bestehen im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Erstens können Staaten Gemeinschaftsinteressen gerichtlich durchsetzen, indem sie gleichsam in Prozessstandschaft Rechte der internationalen Gemeinschaft geltend machen.666 In diesem Falle handeln sie als Organe der internationalen Gemeinschaft im öffentlichen Interesse.667 Zweitens könnten – und das ist im vorliegenden Zusammenhang besonders interessant – internationale Spruchkörper selbst gehalten sein, ihr Prozessrecht anhand gemeinschaftlicher Interessen auszulegen und anzuwenden, um so eine adäquate Einbeziehung gemeinsamer Werte sicherzustellen. Sind Gemeinwohlvorschriften im Streit betroffen, so hat nach dieser Sichtweise das Gericht selbst den Auftrag, für die adäquate Berücksichtigung der Gemeinschaftsbelange zu sorgen, da der Streit die Interessen der Parteien transzendiert und das Verfahren insoweit „entbilateralisiert“.668 In der Tat kann und muss das Völkerprozessrecht in den ihm durch das Konsensprinzip gesetzten Grenzen als Hilfsmittel materieller Rechtsverwirklichung auf Strukturveränderungen des materiellen Rechts rea-
665 Eine andere Möglichkeit wäre die Ablehnung der Geeignetheit der gerichtlichen Klärung solcher Streitigkeiten. In diesem Sinne (in Bezug auf umweltrechtliche Streitigkeiten): Stephens, IJMCL 19 (2004), 177 (195). Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Einschätzung der UNCC: “[T]he multilateral nature of the UNCC process itself – as compared to the bilateral structure of other international claims settlement proceedings – may well have been the most potent institutional safeguard to ensure due regard to (environmental) community interests in the process.” (Sand, Environmental Policy and Law 35 (2005), 244 (248)). 666
Skeptisch hierzu in Bezug auf den StIGH und den IGH: Thirlway, AJIL 78 (1984), 622 (629). 667 Delbrück, in: ders. (Hrsg.), Allocation of Law Enforcement Authority in the International System (1995), 135 (154), in Bezug auf staatliches Handeln aufgrund von Sicherheitsratsresolutionen; Fassbender, Columbia JTL 36 (1998), 529 (592). 668
Siehe Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 57: “In cases where some public interest is at stake … a certain degree of the public type of procedure may enter into the law of the Court.” Brown, BYIL 76 (2005), 195 (235), betont, dass internationale Gerichte auch Gemeinschaftsinteressen prozessual berücksichtigen.
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gieren.669 Dass eine solche Anpassung eine notwendige Reaktion auf die Herausbildung von Gemeinschaftsinteressen im positiven materiellen Völkerrecht ist, betont Richter Weeramantry in seinem Sondervotum zum Gabčíkovo-Nagymaros-Fall: “The Court, in the discharge of its traditional duty of deciding between the parties, makes the decision which is in accordance with justice and fairness between the parties. The procedure it follows is largely adversarial. Yet this scarcely does justice to rights and obligations of an erga omnes character – least of all in cases involving environmental damage of a far-reaching and irreversible nature. … [I]nter partes adversarial procedures, eminently fair and reasonable in a purely inter partes issue, may need reconsideration in the future … . In addressing such problems, which transcend the individual rights and obligations of the litigating States, international law will need to look beyond procedural rules fashioned for purely inter partes litigation.”670 Eine Orientierung des Völkerprozessrechts an Gemeinschaftsinteressen ist in gewissem Umfang in verschiedenen prozessualen Instrumenten bereits zu konstatieren.671 Hierzu zählen die Diskussion um die Klagebefugnis bei der Durchsetzung von Verpflichtungen erga omnes (actio popularis),672 die Weitung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Drittintervention in internationalen Streitigkeiten,673 die Stärkung der prozess669
Siehe die bereits oben zitierte Aussage von Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 184. 670
IGH, Gabčíkovo-Nagymaros Case, sep. op. Weeramantry, ICJ Rep. 1997, 88 (117 f.). Skeptisch zur Bedeutung dieses Diktums: Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht (2001), 377 f. 671
Benzing, LPICT 5 (2006), 369.
672
Ein zentrales Organ zur (notfalls auch gerichtlichen) Durchsetzung von Gemeinschaftsinteressen (oder des Völkerrechts allgemein), äquivalent zur Rolle der Kommission im Recht der Europäischen Union, existiert freilich nicht (dazu: Uerpmann, JZ 56 (2001), 565 (568)). Zu diesem Themenkomplex siehe auch Ohlhoff, Methoden der Konfliktbewältigung bei grenzüberschreitenden Umweltproblemen im Wandel (2003), 119 ff.; Voeffray, L’actio popularis ou la défense de l’intérêt collectif devant les juridictions internationales (2004). In Bezug auf das humanitäre Völkerrecht: IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, sep. op. Simma, ICJ Rep. 2005, 334 (346 f., Ziff. 32-34). 673
Ansatzpunkt hierfür ist das Erfordernis eines Interventionsgrundes, das grundsätzlich in allen untersuchten Spruchkörpern gilt. Während bei seiner Bestimmung traditionell eine strikt auf die Interessen der (potenziellen) Interve-
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rechtlichen Rechtsstellung von Individuen und Nichtregierungsorganisationen,674 etwa durch die Berücksichtigung von amicus curiae-Unterbreitungen als Mittel zur Berücksichtung von Gemeinschaftsinteressen im gerichtlichen Verfahren,675 die Ausweitung der prozessualen Rechte mit der Pflege von Gemeinschaftsinteressen betrauter internationaler Organisationen sowie die Stärkung der amtswegig einzusetzenden Gerichtskompetenzen, etwa im Bereich der einstweiligen Maßnahmen (vgl. Art. 25 Abs. 1 der IACHR-VerfO; Art. 39 Abs. 1 der EGMRVerfO; Art. 290 Abs. 1 SRÜ).
3. Orientierung der Prozessmaximen an Gemeinschaftsinteressen In Bezug auf die stärkere Nutzung gerichtlicher Ermittlungskompetenzen ist im Einklang mit den beschriebenen Phänomenen daher zuvörderst an Rechtsgebiete zu denken, die öffentliche oder Gemeinschaftsinteressen betreffen. Dies ist auch aus dem nationalen Recht bekannt.676
nienten gerichtete Betrachtungsweise vorherrschte, lockert sich dies bei einigen Verfahren. So sind im WTO-Streitbeilegungsverfahren (Art. 10 Abs. 2 DSU spricht von einem „wesentlichen Interesse“) Interventionen zugelassen worden, um allgemein für eine bevorzugte Behandlung von Entwicklungsländern zu streiten oder um die Auslegung zentraler Normen zu beeinflussen (Koepp, Die Intervention im WTO-Streitbeilegungsverfahren (2002), 71 ff.). 674
Siehe Nettesheim, JZ 2002, 569 (576 f.): „In einer Völkerrechtsordnung, die sich des Schutzes von Gemeinschaftswerten … angenommen hat, wird man … nicht umhin kommen, den Betroffenen formalisierte Mitsprachemöglichkeiten im Prozess der Rechtsentwicklung zu verleihen.“ Unter Rechtsentwicklung ist hier Rechtsgenerierung und Rechtsdurchsetzung (also auch: Rechtsprechung) zu verstehen. 675
Die Öffnung internationaler Streitbeilegungsmechanismen für private (natürliche und juristische) Personen ist natürlich auch von Bedeutung für die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen. Dies soll hier nicht im Vordergrund stehen. Allerdings können beide Elemente auch verbunden werden, so etwa in der Durchsetzung der im EGV garantierten Grundfreiheiten qua Individualrechte und die damit einhergehende Förderung des Gemeinschaftsinteresses des gemeinsamen Marktes. 676
Auch die US-amerikanische pre-trial discovery kann man als parteigesteuerten Untersuchungsgrundsatz bezeichnen. Dieses Instrument kommt vor allem dann zum Einsatz, wenn die Durchsetzung öffentlicher Interessen zumindest neben den Schutz individueller Rechte tritt (Kötz, Duke JCIL 13 (2003), 61 (75): “A strong case can be made for the view that to the extent to which private litigation serves the vindication of a public interest, the parties
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Bei solchen Interessen betreffenden Gerichtsverfahren handelt es sich in der Terminologie Fullers um polyzentrische Streitigkeiten,677 die die Interessen der Streitparteien regelmäßig transzendieren. Sie betreffen folglich die gesamte internationale Gemeinschaft.678 Dies führt zu besonderen Schwierigkeiten, da solche multipolaren Streitigkeiten nicht ohne Weiteres im bilateralen (Gerichtsstreit-) Verhältnis klärbar sind.679 Mangels geeigneter kollektiver Durchsetzungsmechanismen ist jedoch beim gegenwärtigen Stand des Völkerrechts eine bilaterale gerichtliche Lösung der Untätigkeit vorzuziehen. Dabei sind intensivere gerichtliche Ermittlungskompetenzen ein geeigneter Weg, um eine Schwierigkeit der richterlichen Lösung polyzentrischer Streitigkeiten zu beseitigen, nämlich die regelmäßig komplexere Tatsachengrundlage. Wo öffentliche Interessen betroffen sind, könnte das internationale Gericht demnach von seinen Befugnissen stärkeren Gebrauch machen.680 Wie gezeigt ist eine solche Vorgehensweise über Art. 31 Abs. 3 (c) WVK möglich. Dabei ist gerade im gegenwärtigen Kontext wichtig, dass diese Norm als völkerrechtliches Pendant der „verfassungskon-
must be equipped with robust discovery procedures to ferret out the truth, even at the expense of business or personal privacy.”) Parallel hierzu gilt im deutschen Prozessrecht, dass der Einfluss öffentlicher Interessen die Kompetenzen des Gerichts in der Tatsachenermittlung auch im von der Gleichrangigkeit der Parteien ausgehenden Zivilprozess bis hin zur Geltung des Untersuchungsgrundsatzes verstärkt. 677
Fuller, Harvard Law Review 92 (1978), 353 (394 ff.).
678
Jacob, MLR 59 (1996), 207 (218, 221). Zu mehrpoligen Rechtsverhältnissen im deutschen Verwaltungsrecht siehe Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 22 (Februar 2003). 679 Ohlhoff, Methoden der Konfliktbewältigung bei grenzüberschreitenden Umweltproblemen im Wandel (2003), 299 f. 680
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 57. Dieselbe Vorgehensweise wird von Brown, BYIL 76 (2005), 195 (237) für die Nutzung der inhärenten Befugnisse internationaler Gerichte (inherent powers) vorgeschlagen. Dies muss natürlich a fortiori auch für die explizit gewährten Tatsachenermittlungsbefugnisse gelten. Ähnlich in Bezug auf die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit: Fortier, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 159 (170): “In the particular case of disputes concerning natural resources or the environment, arbitrators are called upon to exercise their discretionary powers not only with a view to the will of the parties, but also in a manner that takes into account the inherently public subject matter of the dispute.”
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formen Auslegung“ verstanden werden kann,681 das eine Orientierung an höherrangigen Werten der internationalen Gemeinschaft ermöglicht. Im Regelfall, also bei der Verletzung bilateraler Interessen, ist es daher sachgerecht, es weitgehend bei der Parteiinitiative zu belassen und den Parteien freie Hand bei der Beweisführung zu geben. Sind kollektive Interessen betroffen, so soll auch das Gericht stärker in den Prozess eingreifen. Dies entpflichtet das internationale Gericht jedoch nicht von den allgemein geltenden Grenzen der Tatsachenermittlung, etwa dem unstreitigen Parteivortrag. Dieser lässt sich – wie oben ausgeführt – über das Konsensprinzip begründen. Das Konsensprinzip gilt jedoch auch in solchen Fällen, in denen ius cogens- oder erga omnes-Normen betroffen sind.682 Fraglich ist schließlich, ob sich das Ermessen, das internationalen Gerichten regelmäßig bei der Inanspruchnahme ihrer Tatsachenermittlungskompetenzen eingeräumt ist, in diesen Fällen stets „auf Null reduziert“. Das Gericht würde dann zum mit der Durchsetzung von Gemeinschaftsinteressen betrauten Organ der internationalen Gemeinschaft. Ein solches Ergebnis scheint derzeit jedoch noch nicht begründbar. Zwar lässt sich mit der oben vorgenommenen Einordnung die ermessensgeleitete Nutzung der amtswegigen Befugnisse eines internationalen Gerichts rationalisieren; eine Ermessensreduzierung auf Null würde jedoch vor allem der Praxis internationaler Gerichte widersprechen.
681
Zur Möglichkeit der „constitutional function“ des über Art. 31 Abs. 3 (c) WVK einfließenden Völkerrechts siehe auch: ILC, Report on the work of its 57th session, GAOR, 60th Session, Suppl. No. 10, A/60/10, Ziff. 471. Allgemein zur Auslegung von Verträgen anhand übergeordnetem Recht: Matz, Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge (2005), 307 f. 682
IGH, East Timor Case, ICJ Rep. 1995, 90 (102, Ziff. 29): “[T]he erga omnes character of a norm and the rule of consent to jurisdiction are two different things.” IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo (New Application: 2002), ICJ Rep. 2006, 6 (31 f., Ziff. 64) (in Bezug auf ius cogens-Normen).
Fünftes Kapitel: Kooperationspflichten der Parteien Praktisch eng mit der Frage der Rollenverteilung zwischen Parteien und Gericht in der Stoffsammlung verbunden ist die Kooperations- oder Mitwirkungspflicht der Parteien bei der Tatsachenermittlung. Die Kooperationspflichtenverhältnisse können nach ihrer Art in unterschiedliche Kategorien eingeordnet werden. Zum einen ist nach dem Inhalt der Pflicht zwischen einer allgemeinen und einer konkreten (oder: konkretisierten) Zusammenarbeits- oder Mitwirkungspflicht zu differenzieren. Zum anderen kann nach den Verpflichtungsberechtigten unterschieden werden. Einerseits besteht die Pflicht der Parteien, miteinander in der gerichtlichen Streitbeilegung zu kooperieren („horizontales“ Pflichtenverhältnis), andererseits sind die Parteien aufgerufen, mit dem zur Entscheidung berufenen Gericht zusammenzuarbeiten („vertikales“ Pflichtenverhältnis).1
A. Allgemeine Kooperationspflichten I. Kooperationspflichten im Prozess als Folge der allgemeinen Streitbeilegungspflicht 1. Allgemeines Kooperationsgebot im Völkerrecht Bereits die Charakterisierung der gegenwärtigen völkerrechtlichen Ordnung als einer Kooperationsordnung macht deutlich, dass zwischenstaatliche Zusammenarbeit ein zentraler Topos des positiven Völkerrechts ist.2 Neben Art. 1 Nr. 3 und Art. 55, 56 VN-Charta greifen auch die Resolution über freundschaftliche Beziehungen der Staaten und die über die wirtschaftlichen Rechte und Pflichten Kooperations-
1
Im Ansatz trifft diese Unterscheidung auch Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 118. 2
Dazu: Wolfrum, EPIL II/2 (1995), 1242.
M. Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 215, DOI 10.1007/978-3-642-11647-6_5, © by Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
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pflichten auf.3 Ob eine generelle völkerrechtliche Kooperationspflicht der Staaten nach allgemeinem Völkerrecht besteht, ist dennoch strittig.4 Auch wenn eine solche begründet werden könnte, wäre ihre Effektivität angesichts ihres sehr hohen Abstraktionsgrades zweifelhaft. Im Einzelnen werden sich schwerlich konkrete Rechtsfolgen und Verhaltenspflichten ableiten lassen.5 Dementsprechend haben Staaten spezifische materiellrechtliche Kooperationspflichten in den einzelnen Ordnungen des Völkerrechts festgelegt. Diese finden sich z.B. im Seerecht, im Recht des internationalen Umweltschutzes6 und im internationalen Wirtschaftsrecht.7 Die Kooperationspflichten sind demnach im Wesentlichen vertragsrechtlicher Natur. Nach allgemeinem Völkerrecht gelten hingegen jedenfalls keine konkretisierten Zusammenarbeitspflichten. So erfolgt beispielsweise die strafrechtliche und zivilrechtliche Rechtshilfe nationaler Gerichte und Behörden abseits völkervertraglicher Regelungen ohne Rechtsverpflichtung.8
2. Kooperation im Völkerprozessrecht (a) Pflicht zur loyalen Prozessführung Obwohl die internationale gerichtliche Streitbeilegung begriffsnotwendig eine Meinungsverschiedenheit und damit auch Nicht-Kooperation
3 Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Co-operation among States in Accordance with the Charter of the United Nations, A/RES/2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970; Charter of Economic Rights and Duties of States, A/RES/3281 (XXIX) vom 12. Dezember 1974. 4
Wolfrum, EPIL II/2 (1995), 1242 (1243 ff.).
5
Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln (2001), 223 ff., insb. 288. Vorsichtiger: Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht (2004), 352 ff., insb. 354. 6
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1 (1989), 448 ff., Stoll, in: Wolfrum (Hrsg.), Enforcing Environmental Standards: Economic Mechanisms as Viable Means? (1996), 39. 7
Tietje, in: Delbrück (Hrsg.), International Law of Cooperation and State Sovereignty (2002), 45 (59 ff.). 8
Für das Strafrecht: Ambos, Internationales Strafrecht (2008), § 8, Rn. 53 m.w.N.; für das Zivilrecht: Musielak/Stadler, § 363 ZPO, Rn. 3.
Kooperationspflichten
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voraussetzt,9 ist sie dennoch – wie ihre Pendants in den innerstaatlichen Rechtsordnungen – nicht frei von kooperativen Elementen, weil sie letzten Endes der Befriedung der Streitparteien dient. Ursprung der Zusammenarbeitspflicht ist der konsensuale Charakter der gerichtlichen Streitbeilegung, also die Tatsache, dass Staaten ihr Einverständnis zur gerichtlichen Beilegung geben.10 Sie ist damit eine Konkretisierung der allgemeinen Pflicht, völkerrechtliche Verpflichtungen nach Treu und Glauben zu erfüllen.11 Schon früh war daher anerkannt, dass die Parteien im internationalen Prozess eine gegenseitige Kooperationspflicht trifft (horizontale Kooperationspflicht).12 Grundlegend ist in dieser Hinsicht die (negative) Verpflichtung der Parteien, von allen Handlungen abzusehen, die den Zweck und die Effektivität der gerichtlichen Streitbeilegung vereiteln würden.13 Daneben besteht eine positive Verpflichtung beider Parteien, mit dem Gericht oder Schiedsgericht zum Zwecke der Verfahrensdurchführung zusammenzuarbeiten (vertikale Kooperationspflicht).14 Es kann daher von Kooperationspflichten im Dreiecksverhältnis gesprochen werden, die sich insgesamt als Pflicht der Parteien zu loyaler Prozessführung beschreiben lassen.15
(b) Kooperationspflichten in der Stoffsammlung und Beweisaufnahme Die Prozessförderungspflicht der Parteien erstreckt sich auf verschiedene Aspekte des Verfahrens, so z.B. die Besetzung eines internationalen Schiedsgerichts mit Richtern und seine Ausstattung mit den not9
Peters, in: Delbrück (Hrsg.), International Law of Cooperation and State Sovereignty (2002), 107 (112). 10
Mani, International Adjudication, Procedural Aspects (1980), 198; Schreuer, The ICSID Convention: A Commentary (2009), Article 43 [Evidence], Rn. 65. 11
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 64; Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 180 m.w.N. 12
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (47 f.).
13
Orrego Vicuña, ICC International Court of Arbitration Bulletin 10 (1999), 38 (42); Stein, AJIL 76 (1982), 499 (509). 14
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3 (2002), 844; Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (345). 15
Sereni, Principi generali di diritto e processo internazionale (1955), 73: „principio della lealtà processuale“; Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 531.
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wendigen sachlichen Mitteln.16 Sie hat aber auch für die Phase der Stoffsammlung und Beweiserhebung erhebliche Bedeutung.17 Neben der bereits angesprochenen rechtlichen Begründung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ergibt sich die Kooperationspflicht in der Stoffsammlung weiterhin aus den praktischen Schwierigkeiten, die sich für internationale Gerichte bei der Tatsachenermittlung regelmäßig stellen.18 Als speziell für das Beweisverfahren relevante Ausprägung der allgemeinen Kooperationspflicht kann man zum einen die Wahrheitspflicht der Parteien sowie andererseits deren nicht weiter konkretisierte Verpflichtung begreifen, miteinander sowie mit dem internationalen Gericht oder Schiedsgericht zum Zwecke der Beweisaufnahme zusammenzuarbeiten. In Art. 75 der I. Haager Konvention von 1907 heißt es folglich, dass “[t]he parties undertake to supply the tribunal, as fully as they consider possible, with all the information required for deciding the case”.19 Auch wenn hier die Erfüllung der Kooperationspflicht in das Ermessen der Streitparteien gestellt wird („as fully as they consider possible“),20 wird doch deutlich, dass eine Pflicht der Parteien zur Zusammenarbeit mit dem Gericht in der Tatsachenermittlung im Grundsatz besteht.21 Aus dieser allgemein begründeten Verpflichtung können ohne das Hinzutreten weiterer Faktoren jedoch nur schwer konkrete Rechtsfolgen abgeleitet werden. Sie übt daher keinen entscheidenden 16
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 96.
17
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 59; Mani, International Adjudication, Procedural Aspects (1980), 198 f.; IGH, Genocide Case (Merits), diss. op. Mahiou, Ziff. 61 f. 18
Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 188. 19
Siehe auch Regel 34 Abs. 3 ICSID-AR: “The parties shall cooperate with the Tribunal in the production of the evidence … .” und Art. 6 des Anhangs VII zum SRÜ: “Duties of parties to a dispute: The parties to the dispute shall facilitate the work of the arbitral tribunal and, in particular, in accordance with their law and using all means at their disposal, shall: (a) provide it with all relevant documents, facilities and information; and (b) enable it when necessary to call witnesses or experts and receive their evidence and to visit the localities to which the case relates.” 20
Siehe die Kritik bei Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (134): „formule … beaucoup trop potestative“. 21
Kazazi, Burden of Proof (1996), 123.
Kooperationspflichten
293
Einfluss auf den konkreten Prozessverlauf aus, kann aber durch das Gericht im Einzelfall konkretisiert und insbesondere in der Auslegung prozessrechtlicher Normen relevant werden.
3. Kooperationsverpflichtete Positive Zusammenarbeitspflichten treffen – anders als beim Störungsverbot – grundsätzlich nur die Parteien des Rechtsstreits.22 Art. 3 Abs. 10 DSU hingegen weitet die Kooperationspflicht über den Kreis der Parteien des konkreten Rechtsstreits hinaus aus. Danach beteiligen sich beim Entstehen einer Streitigkeit alle WTO-Mitglieder nach Treu und Glauben an dem Verfahren in dem Bemühen, die Streitigkeit beizulegen. Eine solche Vergemeinschaftung der Kooperationspflicht ist charakteristisch für stark institutionalisierte Formen der gerichtlichen Streitbeilegung. Entsprechend normiert auch Art. 24 Abs. 2 der EuGHSatzung, dass der Gerichtshof von den Mitgliedstaaten und den Organen, die nicht Parteien in einem Rechtsstreit sind, alle Auskünfte verlangen kann, die er zur Regelung dieses Rechtsstreits für erforderlich hält. Die Pflichten sind solche erga omnes partes, da ein Gemeinschaftsinteresse an ihrer Einhaltung besteht.23 Grund hierfür ist, dass die Kooperationspflichten nicht nur für die Beilegung eines bestimmten Disputes aufgestellt sind, sondern ein reibungsloses und nachhaltiges Funktionieren des gesamten Streitbeilegungssystems und damit des Rechtsregimes als solchem sicherstellen sollen.
II. Fürsorge- und Hinweispflichten des Gerichts Grundsätzlich ist anerkannt, dass das internationale Gericht die Parteien auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Punkt hinweisen muss, den die Parteien nicht bedacht haben, wenn es sich in seiner Entscheidung hierauf stützen will.24 Dies folgt aus dem Grundsatz des fairen Verfah22
Dazu bereits oben Kapitel 4 B. II.
23
Peters, in: J. Delbrück (Hrsg.), International Law of Cooperation and State Sovereignty, 2002, 107 (160). Dies gilt auch für die Zusammenarbeitspflichten bei den ad hoc-Straftribunalen und dem IStGH. 24
Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 531. Als Beispiel für einen Bruch dieser Regel kann der Nuclear Tests-Fall dienen.
294
Kapitel 5
rens, der die Gewährung rechtlichen Gehörs fordert.25 Im South West Africa-Fall betonte Richter Jessup daher, dass die Parteien auf einen Punkt hingewiesen worden waren, den das Gericht unabhängig von den Argumenten der Parteien behandeln wollte.26 Mit Hinblick auf die Beweissituation wird jedenfalls ein Hinweisrecht (nicht jedoch eine Pflicht) des Gerichts befürwortet.27 Ein solches Recht ergibt sich etwa aus Art. 61 IGH-VerfO und Art. 76 ISGH-VerfO. In Bezug auf das Verfahren vor dem IUSCT betonte ein Sondervotum die Notwendigkeit, die Parteien darauf hinzuweisen, dass das Gericht eine von den Parteien bisher noch nicht ausreichend geklärte Tatsache als relevant betrachte: “It seems unfair at the late moment of writing the Award for the majority to indicate that [the claimant] is somehow suspect for not answering questions which were never asked.”28 Dass die angegebenen Fundstellen jeweils aus Sondervoten stammen, zeigt gleichzeitig, dass internationale Gerichte Hinweise auf tatsächliche Schwierigkeiten während der Verhandlungen selten geben und sich die Hinweispflicht wie das Verbot der überraschenden Entscheidung noch nicht völlig durchgesetzt hat.29 Dies ist unter dem Aspekt des fairen Verfahrens und der Fürsorgepflicht des Gerichts problematisch.
25
Siehe dazu oben unter Kapitel 3. A. Gleiches gilt für die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit: Sharpe, Arbitration International 22 (2006), 549 (568 ff.). 26
IGH, South West Africa Cases (Second Phase), diss. op. Jessup, ICJ Rep. 1966, 325 (430, Fn. 1): “The Parties were thus made aware that the subject was in the mind of the Court.” Siehe auch: IGH, Nuclear Tests Case (Australia), diss. op. Barwick, ICJ Rep. 1974, 391 (391 f.; 442). 27
Highet, in: Damrosch, The International Court of Justice at a Crossroads (1987), 355 (371). Für die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit: Reymond, Arbitration International 10 (1994), 323 (325). 28
IUSCT, Dallal v. Islamic Republic of Iran et al., Award No. 53-149-1, 10. Juni 1983, diss. op. Holtzmann IUSCTR 3 (1983-II), 17 (23). 29
So auch: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (123), die richtig darauf hinweist, dass das Geben von Hinweisen in Bezug auf die Beweissituation vor Schluss der mündlichen Verhandlung auch die Materialflut vor internationalen Gerichten eindämmen könnte. Siehe auch: Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (356).
Kooperationspflichten
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B. Konkrete Zusammenarbeitspflichten I. Vertikale Kooperationspflicht mit dem internationalen Gericht Das vertikale Kooperationsverhältnis bezieht sich auf das Verhältnis Parteien-Gericht.30 Der Begriff ist nicht notwendig mit einer hierarchischen Ordnung verbunden,31 sondern dient lediglich zur Abgrenzung der verschiedenen Kooperationsstränge.
1. Konkrete vertikale Kooperationspflicht Die konkrete Zusammenarbeitspflicht bezieht sich zunächst darauf, spezifischen amtswegigen Anordnungen des internationalen Gerichts im Rahmen der Beweisaufnahme nachzukommen. Einzelheiten hierzu sind bereits oben dargestellt worden.32
2. Uneingeschränkte Kooperationspflicht mit dem Gericht im internationalen Prozess (a) Die Parker-Regel Vor allem in der älteren Rechtsprechung und Literatur wurde eine uneingeschränkte Pflicht der Parteien angenommen, alle in ihrem Besitz befindlichen relevanten Beweismittel in den Prozess einzubringen. Die amerikanisch-mexikanische General Claims Commission sprach dies im Parker-Fall (1926) unter Berufung auf den Charakter der Kommission als internationales Gericht zum ersten Mal deutlich aus: “As an international tribunal, the Commission denies the existence in international procedure of rules governing the burden of proof borrowed from municipal procedure. On the contrary, it holds that it is the duty of the respective Agencies to cooperate in searching out 30
Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (134); Ciampi, in: Cassese u.a. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1705 (1710). 31 So scheinbar: Peters, EJIL 14 (2003), 1 (33): “The ‘vertical’ approach presupposes a hierarchical relationship between the international courts and the states, attaches greater weight to community interests and consequently refuses to give states a final say on their cooperation.” 32
Kapitel 4.
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Kapitel 5
and presenting to this tribunal all facts throwing any light on the merits of the claim presented. The Commission denies the ‘right’ of the respondent merely to wait in silence in cases where it is reasonable that it should speak. … While ordinarily it is encumbent upon the party who alleges a fact to introduce evidence to establish it, yet before this Commission this rule does not relieve the respondent from its obligation to lay before the Commission all evidence within its possession to establish the truth … . [T]he parties before this Commission are sovereign nations who are in honor bound to make full disclosures of the facts in each case so far as such facts are within their knowledge or can reasonably be ascertained by them. The Commission, therefore, will confidentially rely upon each Agent to lay before it all of the facts that can be reasonably ascertained by him concerning each case no matter what their effects may be.”33 Nach dieser Entscheidung haben die Parteien in einem Rechtsstreit vor einem internationalen Gericht eine uneingeschränkte Verpflichtung, auch ihren Interessen widersprechendes Beweismaterial34 zu besorgen („searching out“) und vorzubringen („presenting“). Die Aussage ist auch nicht auf Situationen begrenzt, in denen sich eine Partei besonderen Beweisschwierigkeiten ausgesetzt sieht.35 Der Annahme einer Rechtsverpflichtung steht nicht entgegen, dass die Kommission die Offenlegungspflicht der Parteien als Ehrenpflicht bezeichnet („in honour bound“). Der Kontext der Formulierung macht deutlich, dass es sich um eine echte Rechtspflicht handeln soll.36 Auch entsteht die Offenlegungspflicht ohne Weiteres, insbesondere ohne dass
33
American-Mexican General Claims Commission, William A. Parker (U.S.A.) v. United Mexican States, Schiedsspruch vom 31. März 1926, RIAA 4 (1951), 35 (39, Ziff. 6 und 7) (Hervorh. d. Verf.). 34
Siehe hierzu jedoch Letter from the permanent delegation of the Netherlands to the United Nations, ILC Yearbook 1953 II, 235 (236) (Kommentar zum Vorschlag der ILC über Kooperationspflichten im Schiedsverfahren): “The wording that the parties should ‘co-operate with one another … in the production of evidence’ gives the impression that every party must collaborate in the gathering of evidence to be used against itself, which no doubt cannot have been intended.” 35
So aber wohl: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 55. 36 So auch: Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 343: „véritable devoir pour les parties“.
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es eines Antrags der gegnerischen Partei bedarf.37 Daher ist diese Pflicht als vertikale, d.h. dem Gericht, nicht der anderen Partei gegenüber bestehende Verpflichtung zu verstehen. Diese uneingeschränkte Herausgabe- und Kooperationspflicht ist im Folgenden von anderen internationalen Gerichten aufgegriffen worden, so etwa im Pinson-Fall: «En effet, les relations internationales sont d’une importance telle, et l’observation de la justice dans leur développement est tellement nécessaire, que ce serait un crime contre l’humanité de vouloir abaisser les procès internationaux de leur plan élévé sur le niveau où se déroulent malheureusement tant de procès entre particuliers.»38 Auch im völkerprozessrechtlichen Schrifttum trifft der Grundsatz teilweise auf Zustimmung.39 Durch die uneingeschränkte Offenbarungspflicht soll das Gericht in die Lage versetzt werden, seine gerichtliche Funktion zu erfüllen, nämlich internationale Streitfälle einer effektiven und fairen Lösung zuzuführen.40 Statt einer Obliegenheit, Beweise zu erbringen, sind hiernach beide Parteien im Rechtssinne verpflichtet,
37
Reisman, Nullity and Revision, The Review and Enforcement of International Judgments and Awards (1971), 597. 38 Commission franco-mexicaine des réclamations, Georges Pinson (France) v. United Mexican States, Urteil vom 19. Oktober 1928, RIAA 5 (1952), 327 (413; Ziff. 44). Weiterhin: Commission appointed under Article 26 of the ILO Constitution, Complaint by the Government of Portugal Concerning the Observance by the Government of Liberia of the Forced Labour Convention, 1930 (No. 29), Entscheidung vom 25. Februar 1963, ILR 36 (1968), 351 (378 f.). Die Untersuchungskommission folgte der Entscheidung im Parker-Fall und untermauerte die Verpflichtung mit Blick auf Art. 27 der ILO-Verfassung, der lautet: “The Members agree that, in the event of the reference of a complaint to a Commission of Inquiry under article 26, they will each, whether directly concerned in the complaint or not, place at the disposal of the Commission all the information in their possession which bears upon the subject-matter of the complaint.” Weitere Beispiele bei Reisman, Nullity and Revision, The Review and Enforcement of International Judgments and Awards (1971), 594 (Fn. 37). 39
Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (85); Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 343 f.; Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 66, 109. Ähnlich: Stein, AJIL 76 (1982), 499 (510, Fn. 50); Schachter, International Law in Theory and Practice (1991), 230; Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 871; Decaux, Juris-classeurs de droit international, Bd. 4, Fasc. 248, 8 (Ziff. 25); Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 105. 40
Mani, International Adjudication, Procedural Aspects (1980), 199.
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nach Treu und Glauben zur Wahrheitsfindung beizutragen.41 In der Tat scheint eine so weitgehende Pflicht nicht unattraktiv vor dem Hintergrund der Pflicht zur friedlichen Streitbeilegung und der Effektivität der gerichtlichen Streitbeilegung, die durch eine möglichst umfassende Tatsachengrundlage gesteigert wird.42
(b) Ablehnung einer allgemeinen uneingeschränkten Offenbarungspflicht Die Parker-Regel hat sich in der internationalen Gerichtsbarkeit und im Schrifttum jedoch letztlich nicht durchgesetzt.43 Dies gilt vor allem für die Pflicht, Beweismittel erst zu beschaffen.44 So normiert auch Art. 75 der I. Haager Konvention von 1907 nur eine qualifizierte vertikale Kooperationspflicht. Diese Lösung ist jedoch wenig praktikabel, auch wenn sie vereinzelt als gelungener Kompromiss zwischen der als zu weitgehend empfundenen Parker-Regel und einer rein von Parteiinteressen gesteuerten Beweisführung ohne generelle Kooperationspflicht nach dem Grundsatz nemo tenetur edere contra se angesehen wird.45 Sie 41
Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (85); Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 848; Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (48 f.; 97 f.). 42
Reisman, Nullity and Revision (1971), 601.
43
Siehe nur Reisman, Nullity and Revision (1971), 593: „most extreme statement of the international burden of disclosure“; Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (392): “As a general rule, a party to an international arbitration is under no obligation to produce documents adverse to its interests unless ordered to do so by the tribunal.” Skeptisch auch: Mani, International Adjudication, Procedural Aspects (1980), 200: “The Parker rule no doubt attempts to formulate a rigid principle in international procedure.” Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 115; Feller, The Mexican Claims Commission 1923-1934 (1935), 262, der aber feststellt, dass die Parteivertreter vor der Schiedskommission in der Regel alle Beweismittel offenlegten. Siehe auch: Sir Cecil Hurst, Report of the Second Committee, in: StIGH, Ser. D (1936), Acts and Documents Concerning the Organization of the Court, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th, 1936, 758 (768 f.), der eine Notwendigkeit für ein weiteres Abkommen sah. 44
In Bezug auf die WTO schlägt eine Beschaffungspflicht im Rahmen des Zumutbaren jedoch vor: Waincymer, WTO Litigation (2002), 549. 45
So maßgeblich Reisman, Nullity and Revision (1971), 599; 603; Mani, International Adjudication, Procedural Aspects (1980), 200 f. Ähnlich: Torres Bernárdez, IDI Annuaire 70 I (2002-2003), 147.
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ist schon deshalb problematisch, weil sie die Reichweite der Offenlegungsverpflichtung im Ergebnis zur Disposition der Parteien stellt („as fully as they consider possible“). Dies gäbe den Parteien einen vom Gericht nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum, der der gerichtlichen Aufgabe und der geordneten Rechtspflege widerspräche.46 Auch im Statut des StIGH und in der Folge auch des IGH, aber auch anderer permanenter internationaler Gerichte fehlt eine Positivierung der Parker-Regel und selbst eine dem Art. 75 der I. Haager Konvention von 1907 entsprechende abgeschwächte Norm.47 Art. 43 Abs. 2 IGHStatut geht davon aus, dass die Parteien nur diejenigen Schriftstücke und Urkunden vorlegen müssen, auf die sie sich zur Unterstützung ihrer Behauptungen beziehen. Damit erfasst die Norm gerade nicht ohne Weiteres die Situation, in der eine der beweisbelasteten Partei günstige Urkunde sich in den Händen der gegnerischen Partei befindet, diese sich jedoch nicht darauf bezogen hat.48 Es bleibt daher bei der konkreten vertikalen Kooperationspflicht, d.h. der Pflicht der Parteien, diejenigen Beweismittel vorzulegen, deren Vorlage das Gericht amtswegig angeordnet hat. Des Weiteren besteht eine Offenlegungspflicht bezüglich derjenigen Dokumente, auf die sich eine Partei im schriftlichen oder mündlichen Verfahren bezieht.49 Umfasst sind sowohl als Beweismittel genannte als auch lediglich illustrativ zitierte Urkunden.50 Zwar fehlt in der IUSCT-VerfO sowie im WTOProzessrecht eine entsprechend formulierte Norm,51 auch hier gilt jedoch nichts anderes. Diese Pflicht zur spontanen Urkundenedition entspricht der Situation in den nationalen Rechtsordnungen.52 46 47 48 49 50
So auch: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 116. Reisman, Nullity and Revision (1971), 599: „significant absence“. Foster, CYIL 7 (1969), 150 (162). Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 98 ff. Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 57.
51
Art. 18 Abs. 2 IUSCT-VerfO besagt lediglich: “It is advisable that claimants (i) annex to their Statements of Claim such documents as will serve clearly to establish the basis of the claim, and/or (ii) add a reference and summary of relevant portions of such documents, and/or (iii) include in the Statement of Claim quotations of relevant portions of such documents.” Gleiches gilt für den Erwiderungsschriftsatz nach Art. 19. Dazu: Holtzmann, in: Caron/Crook (Hrsg.), The Iran-United States Claims Tribunal and the Process of International Claims Resolution (2000), 75 (87). 52
Rechtsvergleichend: Wagner, ZEuP 2001, 441 (472).
300
Kapitel 5
II. Horizontale Kooperationspflicht zwischen den Parteien Obwohl auch die zwischenparteiliche horizontale Zusammenarbeitspflicht in der Sache allgemein anerkannt ist, erscheint sie in keiner aktuellen Prozessrechtskodifikation.53 Sie aktualisiert sich insbesondere bei Dokumenten, die eine Partei zur Beweisführung benötigt, die sich aber im Besitz der anderen Partei befinden. Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob bzw. unter welchen Umständen eine Partei von der anderen Herausgabe eines Beweismittels verlangen kann. Es geht also in der Sache um eine Art von discovery, die sich freilich von ihrem USamerikanischen Vorbild dadurch unterscheidet, dass sie nicht bereits vor dem Prozess zur Verfügung steht (pre-trial discovery) und dass in der Regel keine Zwangsmittel zu ihrer Durchsetzung bestehen. Ein solches Instrument ist dem internationalen Prozess grundsätzlich fremd.54 Eine discovery wird durch den Antrag einer Partei eingeleitet, das Gericht möge der gegnerischen Partei aufgeben, eine Urkunde herauszugeben.55
1. Rechtsvergleichende Untersuchung Während die discovery in der privaten internationalen Schiedsgerichtsbarkeit schon seit längerer Zeit eine große Rolle spielt,56 zeichnet sich 53
Siehe hierzu auch die Position der ILC: Report of the International Law Commission Covering the Work of ist Fifth Session, 1 June-14 August 1953, ILC Yearbook 1953 II, 200 (206, Ziff. 47): “[T]he Commission eliminated that part of the relevant provision [as proposed by Rapporteur Scelle] which imposed upon the parties the duty to co-operate with each other – as distinguished from co-operation with the tribunal – in the production of evidence. It was considered that such obligatory co-operation between the parties … went beyond the accepted international practice and, perhaps, the requirements of international arbitration.” 54 Einzige Ausnahme ist Anhang V des ASÜ („Verfahren für die Sammlung von Informationen über eine ernsthafte Schädigung“), siehe Andersen, Administration of evidence in WTO dispute settlement proceedings, in: Yerxa/Wilson (Hrsg.), Key issues in WTO dispute settlement, The first ten years (2005), 177 (182). 55
So exemplarisch für den Prozess vor dem IUSCT: Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (119). Auch: Kazazi, Burden of Proof (1996), 140. 56
von Schlabrendorff/Sheppard, in: FS-Briner (2005), 743 (758).
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eine Entwicklung hin zu einer verstärkten Diskussion dieses Instruments im zwischenstaatlichen Prozess erst seit kurzem ab. Daher ist die Frage der discovery im zwischenstaatlichen Prozess nicht geklärt und umstritten. Dies erklärt sich aus der höchst unterschiedlichen Regelung von Offenlegungs- und Herausgabeverpflichtungen in den nationalen Zivilprozessrechten, die im Folgenden kurz dargestellt werden soll.
(a) Informationsbeschaffung im US-amerikanischen Zivilprozess: „Pretrial discovery“ Fundamental für das Verständnis des modernen US-amerikanischen Beweisrechts ist das – erst 1938 mit der Zusammenführung von law und equity allgemein eingeführte57 – Instrument der pre-trial discovery. Es hat zwei Funktionen: Erstens soll hierdurch ein sogenannter „trial by ambush“, also ein „Prozess aus dem Hinterhalt“, verhindert werden, indem den Parteien ermöglicht wird, die Beweislage bereits vor Beginn des Prozesses zu übersehen und damit Überraschungen und Konfrontationen mit unvorhergesehenen Beweismitteln während des Prozesses zu vermeiden.58 Zweitens soll die Tatsachengrundlage möglichst umfassend entwickelt werden. Die Trennung zwischen pre-trial discovery, also Informationsaustausch vor Beginn der Verhandlung, und der Beweiserhebung vor Gericht ist im US-amerikanischen Zivilprozessrecht wegen des Juryverfahrens bedeutsam.59 Im Rahmen dieses Prozesses können die Anwälte der Parteien fast jede erdenkliche Information von der anderen Partei verlangen, von der vernünftigerweise erwartet werden kann, dass ihre Einführung in den Prozess zulässig sein werde. Jede Partei ist verpflichtet, alle relevanten Urkunden herauszugeben, selbst solche, deren Inhalt ihren Interessen zuwiderläuft.60 Ihre Grenze findet die discovery im Schutz der Privatsphäre und speziellen Vertrauensverhältnissen.61 Die discovery bezieht sich 57
Zum vorher geltenden Grundsatz, dass jede Partei auf das ihr zur Verfügung stehende Material angewiesen war, siehe Schlosser, JZ 1991, 599 (600). 58
Kötz, Duke JCIL 13 (2003), 61 (74).
59
Siehe Stürner, in: Andenas/Andrews/Nazzini (Hrsg.), The Future of Transnational Civil Litigation (2004), 9 (11), der die Trennung zwischen beiden Phasen wegen der weitgehenden Abschaffung der Jury in englischen Zivilverfahren als überflüssig darstellt. 60 61
Kaufmann-Kohler, Vanderbilt JTL 36 (2003), 1313 (1325). Gerber, in: FS-von Mehren (2002), 665 (668).
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weiter auf alle Dokumente, die zu im Verfahren zulässigen Beweismitteln führen können, auch wenn sie selbst kein solches Beweismittel darstellen (Art. 26 (b) (1) FRCP).62 Sie schließt damit sogenannte „fishing expeditions“ grundsätzlich mit ein. Die den Parteien im Rahmen der pre-trial discovery obliegenden Pflichten sind nicht nur mit innerprozessualen Sanktionen bewehrt. Ihre Durchsetzung kann auch mittels der Beuge- und Strafmaßnahmen des contempt of court-Verfahrens sichergestellt werden. Interessant ist, dass in einer großen Anzahl der Fälle, in denen die pretrial discovery zum Einsatz kommt, nicht lediglich ein strikt bilaterales Streitverhältnis betroffen ist, sondern gleichzeitig öffentliche Interessen involviert sind.63 Hier kommen vor allem Schadensersatzprozesse in den Sinn, in denen auch schon das materielle Recht, nämlich durch Regelung der Funktion und Höhe des Schadensersatzes, einen stärkeren Wert auf die Bewährung und Durchsetzung der objektiven Rechtsordnung als auf privaten Interessensausgleich legt.64 Gerade unter diesem Gesichtspunkt kann man die discovery als „parteigesteuerten Inquisitionsgrundsatz“ charakterisieren,65 deren Ziel die Aufklärung der „materiellen“ Wahrheit ist.66 Allerdings darf man nicht aus dem Auge verlieren, dass die prozessuale Aufklärungspflicht der discovery dennoch nicht im öffentlichen Interesse besteht, sondern primär der Durchsetzung privater Rechte dient.67 In anderen Fällen wird die discovery jedoch heftig kritisiert. So diene sie finanziell potenten Parteien als Mittel der „vorprozessualen Großinqusition“,68 um die andere Seite in die Knie zu zwingen.69
62
Der entscheidende Satz in Rule 26 (b) (1) FRCP lautet: “Relevant information need not be admissible at the trial if the discovery appears reasonably calculated to lead to the discovery of admissible evidence.” 63 64
Kötz, Duke JCIL 13 (2003), 61 (74). Stürner, in: FS-Stiefel (1987), 763 (783).
65
Reymond, Arbitration International 5 (1989), 357 (361). Siehe auch: Katzenmeier, JZ 2002, 533 (538): „Die ‚discovery’ amerikanischer Provenienz ist bewusst darauf angelegt, die objektive Wahrheit ans Licht zu bringen.“ (Hervorh. d. Verf.). 66 67 68 69
Stürner, in: FS-Stiefel (1987), 763 (773). Wagner, ZEuP 2001, 441 (470). Schlosser, FS-Sonnenberger (2004), 135 (148). Kessler, Cornell Law Review 90 (2005), 1181 (1189 m.w.N.).
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(b) Informationsbeschaffung in England: „Disclosure“ Die disclosure, vor der Reform des englischen Zivilprozesses im Jahr 1999 discovery genannt, wird gemeinhin als systembestimmend für das englische Zivilprozessrecht gesehen.70 Ihr Ziel ist es ebenso wie das der US-amerikanischen pre-trial discovery, den Streitparteien Zugang zu relevanten Urkunden zu verschaffen, die sich in der Hand der gegnerischen Partei oder von Dritten befinden, und damit Überraschungen im Prozess zu verhindern sowie die Waffengleichheit der Parteien zu sichern.71 Die discovery-Phase dient jedoch ihrer Konzeption nach nicht nur der Information der Parteien, sondern auch der des Gerichts.72 Nach der Woolf’schen Reform des englischen Zivilprozesses im Jahr 1999 wird die Möglichkeit zur Einsichtnahme in Informationen des Gegners nicht mehr als „discovery“, sondern als „disclosure“ bezeichnet. Unter der früheren Order 24 der Supreme Court Rules (und Order 14 der County Court Rules (CCR)) existierte eine quasi unbegrenzte Pflicht zur Offenlegung von Urkunden.73 Teil 31 der CPR („Disclosure 70
Zuckerman, Civil Procedure (2003), 462: “The modern history of the law of civil procedure is in a large measure the history of the evolution of discovery from its Chancery origins.” 71 Zuckerman, Civil Procedure (2003), 462; Andrews, English Civil Procedure (2003), 597 (Ziff. 26.04). 72
Stürner, in: Andenas/Andrews/Nazzini (Hrsg.), The Future of Transnational Civil Litigation (2004), 9 (10). Bereits vor Beginn der gerichtlichen Auseinandersetzung soll das Instrument der pre-action protocols eine möglichst umfassende Information der Parteien sicherstellen, die bestenfalls zur frühen außergerichtlichen Einigung führt. Zwar ist die Befolgung dieser Prozedur freiwillig, doch drohen Kosten, falls eine gerichtliche Auseinandersetzung sich später als unnötig herausstellt oder die Kosten durch Auslassung der Prozedur ungerechtfertigt erhöht wurden (Andrews, English Civil Procedure (2003), 7 f. (Ziff. 1.13 ff.)). Daneben besteht die Möglichkeit der disclosure before proceedings start nach Rule 31.16 CPR. 73
Dazu: Zuckerman, Civil Procedure (2003), 463 (Ziff. 14.4). Die klassische richterliche Formulierung der discovery-Regel findet sich in Compagnie Financiere et Commerciale du Pacifique v. Peruvian Guano Company (1882-83) 11 QBD 55 (63) per Brett L.J.: “It seems to me that every document relates to the matters in question in the action, which not only would be evidence upon any issue, but also which, it is reasonable to suppose, contains information which may – not which must – either directly or indirectly enable the party [seeking discovery] either to advance his own case or to damage the case of his adversary. … [A] document can properly be said to contain information which may enable the party [seeking discovery] either to advance his own case or to damage the
304
Kapitel 5
and Inspection of Documents“) schränkt diese Pflicht nunmehr ein. Disclosure wird dabei definiert als Angabe über die Existenz oder vormalige Existenz einer Urkunde (Regel 31.2 CPR). Zu unterscheiden ist also die Bekanntgabe der Existenz eines Dokuments (disclosure) von seiner Offenlegung und Einsichtnahme (inspection). Letztere ist in Regel 31.3 CPR niedergelegt. Beschränkungen des Rechts auf Einsichtnahme können sich insbesondere auf Grund von Geheimhaltungsinteressen der Parteien ergeben. Die Verpflichtung aus Teil 31 CPR erstreckt sich grundsätzlich nur auf die sogenannte standard disclosure. Außerdem setzt die disclosure nunmehr eine richterliche Anordnung voraus (Regel 31.5 CPR).74 Nach Regel 31.6 CPR umfasst diese grundlegende Verpflichtung die Identifizierung sowohl von Dokumenten, auf die sich die Partei bezieht (die ihr also in der Regel günstig sein werden), als auch solcher Dokumente, die die Argumentation der Partei selbst nachteilig beeinflussen und solcher, die die Argumentation der gegnerischen Partei negativ oder positiv beeinflussen.75 Maßgebliche Grenze der Offenlegungspflicht ist daher die Relevanz für die Entscheidung des Rechtsstreits. Auch bezieht sich die Offenlegungspflicht nur auf solche Urkunden, die sich in der Kontrolle einer Partei befinden oder einmal befanden (Regel 31.8 CPR). Nicht umfasst von der allgemeinen Offenlegungspflicht sind dagegen Dokumente, die lediglich zum Aufspüren anderer Beweismittel dienen sollen.76 Solche „train of inquiry“-Dokumente sind nur nach Anordnung einer specific disclosure nach Regel 31.12 CPR bezeichnungs- und vorlagepflichtig. Mit Hilfe der specific disclosure kann also eine weitere Offenlegungspflicht durch das Gericht begründet werden. Als Beispiele, in denen eine solche Anordnung nahe liegt, werden Fälle genannt, die in höherem Maße öffentliche Interessen betreffen.77 Nach Regel 31.7 CPR sind die Parteien weiter verpflichtet, im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren nach Dokumenten zu suchen, bezüglich derer sie offenlegungspflichtig sind.
case of his adversary, if it is a document which may fairly lead him to a train of inquiry which may have either of these two consequences.” 74
Zuckerman, Civil Procedure (2003), 466 (Ziff. 14.12). Zur Rechtslage vor der Reform: Schlosser, JZ 1991, 599 (601). 75 76 77
Dazu auch: Wagner, JZ 62 (2007), 706 (711). Wagner, ZEuP 2001, 441 (471).
Zuckerman, Civil Procedure (2003), 476 f. (Ziff. 14.48), der serious fraud allegations nennt.
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(c) Informationsbeschaffung in Frankreich Der 1972 neu formulierte Art. 10 Abs. 1 CC bestimmt: «Chacun est tenu d’apporter son concours à la justice en vue de la manifestation de la vérité.»78 Damit ist die Wahrheitsfindung unabhängig von der Beweislastverteilung Aufgabe beider Parteien im Prozess. Dies konkretisierend stellt Art. 11 NCPC eine allgemeine Mitwirkungspflicht auch der nicht beweisbelasteten Partei auf, die im französischen Schrifttum unter dem Stichwort „droit à la preuve“ diskutiert wird.79 Nach Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 128 und 142 NCPC kann der Richter die Vorlage von im Besitz der gegnerischen Partei befindlichen Urkunden nicht amtswegig, sondern nur auf Antrag des Gegners anordnen.80 Die Art. 10, 11, 138142 NCPC normieren der Sache nach eine grundsätzlich unbeschränkte Editionspflicht bezüglich Urkunden und anderer Beweismittel sowohl für Dritte als auch für die gegnerische Partei unabhängig von einem materiellrechtlichen Vorlageanspruch.81 Ausnahmen von dieser Pflicht er-
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„Jedermann ist verpflichtet, seinen Beitrag zur Arbeit der Justiz zu leisten, damit die Wahrheit offenbar werde.“ Übersetzung von Schlosser, JZ 1991, 599 (602, Fn. 25). Nach Absatz 2 kann die Pflicht zwangsweise durchgesetzt werden: «Celui qui, sans motif légitime, se soustrait à cette obligation lorsqu’il en a été légalement requis, peut être contraint d’y satisfaire, au besoin à peine d’astreinte ou d’amende civile, sans préjudice de dommages et intérêts.» Diese Sanktionsmöglichkeit ist gleichzeitig der Grund, warum der Grundsatz in der materiellrechtlichen Kodifikation des Code civil erfolgt ist: Der NCPC steht lediglich im Rang einer Rechtsverordnung (décret), in der Sanktionen von Verfassungs wegen nur in begrenztem Rahmen zulässig sind: Schilling, Die „principes directeurs“ des französischen Zivilprozesses (2002), 183 (Fn. 68) und Schlosser, JZ 1991, 599 (606, Fn. 65). 79 Stürner, in: FS-Stoll (2001), 691 (699); Schilling, Die „principes directeurs“ des französischen Zivilprozesses (2002), 183 f., 209 ff. Art. 11 Abs. 1 NCPC lautet: «Les parties sont tenues d’apporter leur concours aux mesures d’instruction sauf au juge à tirer toute conséquence d’une abstention ou d’un refus.» 80 81
Schlosser, FS-Sonnenberger (2004), 135 (145).
Stürner, in: FS-Stiefel (1987), 763 (771); Lang, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses vor dem Hintergrund der europäischen Rechtsvereinheitlichung (1999), 104; Wagner, ZEuP 2001, 441 (468). Siehe auch: Rouhette, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 167 (190). Gleiches gilt etwa auch für Italien (Art. 118, 210 ital. Codice di procedura civile; Chizzini/Bajons, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 297 (317 f.)) sowie für Spanien (Art. 328 Ley 1/2000, de 24 de Noviembre, de
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geben sich aus Art. 10 Abs. 2 CC, nach dem Sanktionen nur demjenigen drohen, der sich der Pflichterfüllung „sans motif légitime“ verweigert.82 Hierunter fallen eine drohende Verletzung von Berufs- oder Geschäftsgeheimnissen oder eine unangemessene Beeinträchtigung der Privatsphäre, der Fortbewegungsfreiheit oder des Rechts auf körperliche Unversehrtheit.83 Im Unterschied zum US-amerikanischen Recht sind sogenannte fishing expeditions nicht möglich, da das Beweismittel hinreichend genau bezeichnet werden muss.84
(d) Informationsbeschaffung in Deutschland Eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht – wie sie insbesondere Stürner befürwortet hat85 – hat sich im deutschen Zivilprozessrecht bisher nicht durchgesetzt.86 Stattdessen gilt, dass keine Partei ihrem Gegner das Material für dessen Prozesssieg zu verschaffen braucht.87 Daher
enjuiciamiento civil („Deber de exhibición documental entre partes“); siehe: Schwonke/Tölg, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 593 (623)). 82
Schlosser, FS-Sonnenberger (2004), 135 (140). Ebenso für den italienischen Zivilprozess Art. 118 ital. Codice di procedura civile: «Se la parte rifiuta di eseguire tale ordine senza giusto motivo, il giudice puo’ da questo rifiuto desumere argomenti di prova a norma dell’art. 116 secondo comma.» 83
Schilling, Die „principes directeurs“ des französischen Zivilprozesses (2002), 210. Auch kann nicht im Umkehrschluss zu Art. 11 Abs. 2 NCPC, der Verweigerungsgründe (empêchements légitimes) nur für Dritte erwähnt, gefolgert werden, dass die Parteien unbegrenzt zur Vorlage verpflichtet seien. Hier gilt die allgemeine Regel des Art. 10 Abs. 2 CC fort (Wagner, ZEuP 2001, 441 (477)). 84
Schlosser, JZ 1991, 599 (602); Schilling, Die „principes directeurs“ des französischen Zivilprozesses (2002), 209. 85 Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), passim, insb. 378. 86
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 108, Rn. 8. Kritisch: Katzenmeier, JZ 2002, 533 ff.; Wagner, ZEuP 2001, 441 (469). 87
BGH NJW 1990, 3151: „Daß im Zivilprozeß die Wahrheitspflicht wesentliche Bedeutung hat, erlaubt nicht den Schluß, die Parteien seien generell zu dem Verhalten verpflichtet, das am besten der Wahrheitsfindung dient. Weder die Aufgabe der Wahrheitsfindung noch das Rechtsstaatsprinzip hindern den Gesetzgeber daran, den Zivilprozeß der Verhandlungsmaxime zu unterstellen und es in erster Linie den Parteien zu überlassen, die notwendigen Tatsachen-
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besteht grundsätzlich keine Pflicht einer Partei, die Gegenseite mit allen für den Rechtsstreit relevanten Informationen oder Unterlagen zu versorgen, die diese nicht selbst in ihrem Besitz hat. Jedoch wird dieser Grundsatz mehr und mehr durchbrochen. Modifikationen ergeben sich einmal aus gerichtlichen amtswegigen Aufklärungsmöglichkeiten, aber auch durch sogenannte sekundäre Behauptungslasten und richterrechtliche Gewährungen von Beweiserleichterungen und Beweislastumkehr. Die Gerichte haben Aufklärungs- und Mitwirkungspflichten der nicht beweisbelasteten Partei durch Rechtsfortbildung sowohl im Prozessrecht als auch im materiellen Recht begründet. So stellt die sekundäre Behauptungslast letztlich eine Mitwirkungspflicht der nicht beweisbelasteten Partei dar. Hiernach genügt ein pauschaler, also nicht substanziierter, Vortrag der darlegungs- und beweisbelasteteten Partei, um den Gegner zu verpflichten, den Sachverhalt durch Offenlegung der ihm zugänglichen Tatsachenmaterialien aufzuklären, wenn die Partei keine näheren Kenntnisse über den Geschehensablauf hat. Weitere Modifikationen des Grundsatzes bringen etwa Dokumentationspflichten (z.B. in der Arzthaftung) mit sich, die die (in einem späteren Prozess) nicht beweisbelastete Partei dazu verpflichten, Beweismaterial für den Gegner nicht nur zu liefern, sondern es sogar herzustellen. Auch Beweislastumkehrungen können als eine spezielle Form der prozessualen Mitwirkungspflicht verstanden werden. Insbesondere mit der Zivilprozessrechtsreform 2001 sind die Aufklärungsmöglichkeiten des Gerichts erweitert worden. So kann das Gericht nach § 142 Abs. 1 ZPO unabhängig von der Beweislastverteilung88 und eines materiellrechtlichen Herausgabe- oder Vorlageanspruchs nunmehr anordnen, dass eine Partei in ihrem Besitz befindliche Urkunden oder andere Unterlagen vorlegt, auf die sich eine Partei (also auch behauptungen aufzustellen und die Beweismittel zu benennen. Darauf beruht auch die Regelung der Behauptungs- und Beweislast im Zivilprozeß. Ob eine Partei Ansprüche gegen die andere auf Erteilung von Auskünften, Rechnungslegung, Herausgabe von Unterlagen usw. hat, ist eine Frage des materiellen Rechts … . Dieses enthält darüber eine Reihe ausdrücklicher Vorschriften; zudem kann je nach dem Inhalt des Rechtsverhältnisses und der Interessenlage der Gesichtspunkt von Treu und Glauben solche Pflichten rechtfertigen … . Eine allgemeine Auskunftspflicht kennt das materielle Recht jedoch nicht, und es ist nicht Aufgabe des Prozeßrechts, sie einzuführen … . Es bleibt vielmehr bei dem Grundsatz, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner für seinen Prozeßsieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt … .“ 88 BGH NJW 2007, 2989 (2991 f.); Thomas/Putzo-Reichold, § 142 ZPO, Rn. 1.
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die gegnerische) bezogen hat. Diese Anordnungsmöglichkeit steht allerdings im Ermessen des Gerichts.89 Ein Recht der Parteien auf Anordnung der Vorlegung besteht daher nicht. Obwohl also die Reform von 2001 die Editionspflicht der Parteien wesentlich erweitert hat,90 stellt sie keine Hinwendung zur generellen Herausgabepflicht dar, sondern eine Kompromisslösung, die eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht unmittelbar zwischen den Parteien vermeidet.91 Insbesondere besteht keine der eigentlichen Herausgabepflicht vorgelagerte Pflicht zur Offenlegung der Existenz von Urkunden (im Unterschied etwa zur disclosure im englischen Recht, vgl. Regel 31.2 CPR).92 Auch sind die Vorschriften der §§ 422, 423 und 429 ZPO nicht geändert worden. Dies führt dazu, dass zwar auf Eigeninitiative des Gerichts eine weitgehende Editionspflicht statuiert werden kann,93 eine Partei weiterhin aber einen Anspruch auf Erlass einer Vorlageanordnung auf ihren Antrag hin (§ 421 ZPO) nur dann hat, wenn nach materiellem Recht eine Herausgabepflicht besteht (§ 422 ZPO) oder der Gegner sich auf die Urkunde selbst bezogen hat (§ 423 ZPO).94 Resümierend lässt sich daher sagen, dass der Grundsatz nemo tenetur edere contra se in seiner reinen Form auch im deutschen Zivilprozessrecht nicht mehr gilt. Nach der Tendenz anderer Zivilprozessrechtsordnungen und den jüngsten Reformen im deutschen Zivilprozessrecht ist vorauszusehen, dass er auf Dauer noch weiter eingeschränkt werden wird.95
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Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 108, Rn. 8, die von einer Modifikation des Beibringungsgrundsatzes sprechen; Zöller/Greger, § 142 ZPO, Rn. 2 (Zurückdrängung des Beibringungsgrundsatzes). Siehe auch: Becker, MDR 2008, 1309. 90 91 92
Stadler, Hastings ICLJ 27 (2003), 55 (62 f.). Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 118, Rn. 47. Stadler, Hastings ICLJ 27 (2003), 55 (65).
93
Allerdings muss die Bezugnahme (egal welcher Partei) die Urkunde hinreichend bestimmt bezeichnen: Schlosser, FS-Sonnenberger (2004), 135 (146). 94
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 118, Rn. 37. Auf die Inkonsistenz zwischen § 142 und § 422 ZPO weisen auch hin: Prütting, in: FS-Schumann (2001), 309 (323) und Wagner, JZ 62 (2007), 706 (709). 95
Wagner, ZEuP 2001, 441 (465 ff.).
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2. Herausgabepflichten auf Antrag einer Partei („discovery“) vor internationalen Gerichten Die Ablehnung einer uneingeschränkten Offenbarungspflicht der Parteien gegenüber dem Gericht führt zu der Frage, inwieweit die Parteien auf Antrag der gegnerischen Partei im zwischenstaatlichen Prozess verpflichtet sind, in ihrem Besitz befindliche Urkunden herauszugeben. Hierfür soll der Begriff discovery verwendet werden, ohne dass damit nationale Institute als solche auf den internationalen Prozess übertragen werden. Die kurze rechtsvergleichende Untersuchung hat gezeigt, dass internationale Gerichte auf allgemeine Rechtsgrundsätze in diesem Bereich nicht zurückgreifen können. Die nationalen Rechtsordnungen sind zu unterschiedlich; insbesondere unterscheiden sich auch die rechtspolitischen Erwägungen zum Teil grundlegend, was eine einheitliche Lösung für das Völkerprozessrecht nicht erleichtert.
(a) Offenlegungs- und Herausgabepflichten nach der Rechtsprechung des IGH Art. 43 Abs. 2 IGH-Statut bestimmt lediglich, dass die zur Unterstützung der tatsächlichen Behauptungen angeführten Schriftstücke und Urkunden dem Gerichtshof und der gegnerischen Partei spontan, d.h. ohne vorhergehende Aufforderung der gegnerischen Partei oder Verfügung des Gerichts, zu übermitteln sind. Nach Art. 57 IGH-VerfO (und dem inhaltsgleichen Art. 72 ISGH-VerfO96) haben die Parteien dem Kanzler darüber hinaus Informationen über Beweismittel mitzuteilen, die die Parteien einzuführen gedenken oder um deren Einholung sie das Gericht bitten wollen. Dies deutet auf eine Rolle des Gerichts in der discovery auf Antrag einer Partei hin, konkretisiert aber deren Voraussetzungen nicht. Diese sind daher in der Rechtsprechung zu suchen. Bereits der StIGH hat auf Antrag einer Partei die Vorlage von Dokumenten nach Art. 49 seines Statuts angeordnet.97 Im ELSI-Fall gab der IGH auf Antrag Italiens den USA die Vorlage eines Rechnungsprüfer96
Hierzu: Anderson, Art. 72, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 209. 97
StIGH, Eighth Annual Report of the Permanent Court of International Justice (June 15th, 1931 – June 15th, 1932), Ser. E No. 8, 268. Hierzu auch Guyomar, Commentaire du Règlement de la Cour internationale de Justice (1983), 411 (mit fehlerhafter Seitenangabe bei Zitat des Annual Report) und IGH, Avena Case, decl. Ranjeva, ICJ Rep. 2004, 75 (76, Ziff. 4).
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berichts auf.98 Es handelt sich dabei offenbar um den ersten Fall einer Offenlegung auf Antrag einer Partei vor dem IGH.99 Obwohl das Urteil im englischen Text „ask“ und im französischen „prier“ zur Charakterisierung der Aufforderung nutzt, was auf eine formlose (und nicht bindende) Anfrage hindeutet, erging der Beschluss nach Art. 62 IGHVerfO.100 Der IGH war nicht dazu aufgerufen, zur Frage der hinreichenden Bestimmtheit des Antrags Italiens Stellung zu nehmen, weil Italien das Dokument genau bezeichnet hatte. Soweit ersichtlich fand jedoch keine vorherige direkte Nachfrage Italiens bei den USA statt. Im Avena-Fall waren sich die Parteien einig, dass Mexiko die Beweislast hinsichtlich der mexikanischen Staatsangehörigkeit der 52 Personen trug, deren Rechte nach Art. 36 WKÜ die USA nach dem Vortrag Mexikos verletzt hatten. Die Vereinigten Staaten hingegen trugen die Beweislast dafür, dass diese gleichzeitig auch die US-amerikanische Staatsangehörigkeit innehatten, womit sie aus dem Schutzbereich der Norm fielen.101 Streitig war jedoch die Frage, ob Mexiko nicht eine Pflicht traf, diesbezüglich Informationen vorzulegen, da die für die Feststellung des gesetzlichen (und automatischen) Erwerbs der US-amerikanischen Staatsangehörigkeit notwendigen Angaben wie die Geburtsorte und – daten der Eltern, ihrer Wohnorte sowie ihres Familienstandes zur Zeit der Geburt sich nahezu vollständig in mexikanischem Besitz befanden. Die Vereinigten Staaten sprachen dabei von einem burden of evidence, der von Mexiko zu tragen sei und dessen Erfüllung es den USA erst ermöglichen würde, ihrem burden of proof nachzukommen.102 Die Ver-
98
IGH, ELSI Case, ICJ Rep. 1989, 15 (26, Ziff. 19).
99
Highet, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 33 (60), der dies als einen Fall der „indirect discovery“ beschreibt. Im Corfu Channel-Fall hingegen ordnete der IGH die Vorlage amtswegig an; außerdem hatte sich das Vereinigte Königreich auf die angeforderten Dokumente im Schriftsatz bezogen. 100
Dies wird aus dem Verlauf der mündlichen Verhandlung deutlich, siehe IGH, ELSI Case, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Bd. 3 (Oral Arguments; Correspondence), 131. 101 102
IGH, Avena Case, ICJ Rep. 2004, 12 (41, Ziff. 55 f.).
IGH, Avena Case, CR 2003/26, 38, Ziff. 4.11 (Mr. Sandage), zitierend Amerasinghe, IDI Annuarie 70 I (2002-2003), 139 (171); IGH, Avena Case, ICJ Rep. 2004, 12 (41, Ziff. 56). Siehe Shelton, AJIL 98 (2004), 559 (561).
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einigten Staaten beriefen sich damit zumindest implizit auf eine Kooperationspflicht Mexikos hinsichtlich ihrer Beweisführung.103 Ohne das Problem im Sinne einer discovery oder anderweitig dogmatisch zu verorten, wies der IGH diese Argumentation zurück. Nach der allgemeinen Regel müssten die Vereinigten Staaten die US-amerikanische Staatsangehörigkeit der 52 Personen nachweisen. Mit Bezug auf das in alleiniger mexikanischer Sachherrschaft vermutete Material entschied der Gerichtshof, dass die Vereinigten Staaten zunächst bei den mexikanischen Behörden um dessen Herausgabe hätten nachsuchen müssen.104 Er deutet damit an, dass auch vor dem IGH ein Antrag auf Anordnung der Herausgabe von Dokumenten durch die gegnerische Partei zulässig ist.105 Gleichzeitig fordert er zur Auslösung der Kooperationspflicht ein vorheriges aktives Tun der gegnerischen Partei, nämlich ein Bemühen um die Information unter genauer Bezeichnung des Gegenstandes. Da Art. 77 Abs. 1 ISGH-Statut dem Art. 62 Abs. 1 IGH-Statut entspricht, kann Gleiches für den ISGH angenommen werden.106 Im Application of the Genocide Convention-Fall gab der IGH dem Beweisantrag Bosnien-Herzegowinas auf Anordnung der Vorlage von Urkunden nicht statt. Der Kläger hatte vorgetragen, dass die vollständigen Urkunden, deren geschwärzte Version der Kläger aus den Prozessunterlagen des Milošević-Prozesses vor dem JStGH erhalten hatte, nötig seien, um die direkte Verantwortlichkeit Serbiens für den Völker103
Dies wird zwar nicht im Urteil, aber in einem Sondervotum erkannt: IGH, Avena Case, decl. Ranjeva, ICJ Rep. 2004, 75 (75, Ziff. 3). 104
IGH, Avena Case, ICJ Rep. 2004, 12 (51, Ziff. 57): “The Court cannot accept that, because such information may have been in part in the hands of Mexico, it was for Mexico to produce such information. It was for the United States to seek such information, with sufficient specificity, and to demonstrate both that this was done and that the Mexican authorities declined or failed to respond to such specific requests. At no stage, however, has the United States shown the Court that it made specific enquiries of those authorities about particular cases and that responses were not forthcoming. The Court accordingly concludes that the United States has not met its burden of proof in its attempt to show that persons of Mexican nationality were also United States nationals.” (Hervorh. d. Verf.). 105
Ähnliche Interpretation bei: Müller, LPICT 3 (2004), 553 (556, Fn. 15); Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (131). 106 Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen (2001), 272.
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mord, also die Zurechenbarkeit der Akte der Armee der Republika Srpska zu Serbien, nachzuweisen. Er beantragte die Vorlage zunächst in einem Schreiben vom 28. Dezember 2005 und argumentierte während der mündlichen Verhandlung, dass zumindest negative Rückschlüsse aus der Weigerung Serbiens gezogen werden müssten.107 Der Beklagte hingegen berief sich auf Geheimhaltungsinteressen und auf eine angeblich entgegenstehende Verfügung des JStGH.108 An der konkreten Bezeichnung der Urkunden mangelte es hier ebenso wenig wie an der Voraussetzung der vorherigen Anfrage Bosnien-Herzegowinas bei Serbien. In seiner Ablehnung des Antrags nahm der IGH nicht etwa Bezug auf ein Beweisverweigerungsrecht, sondern verwies darauf, dass dem Kläger hinreichendes Material zum Nachweis seiner Behauptung zur Verfügung stehe. Trotzdem lehnte der IGH die direkte Verantwortung Serbiens für den Völkermord schließlich aus Mangel an Beweisen ab. Diese Entscheidung widerspricht der Begründung im Avena-Fall und ist angesichts der Beweisnot Bosniens im Hinblick auf die Verwicklung der jugoslawischen Staatsführung in die einzelnen Völkermordakte mit dem Recht auf ein faires Verfahren nur schwer vereinbar.109 Auch scheint die Begründung des IGH sehr knapp und unausgewogen und im Einzelnen nicht nachvollziehbar.110 Im Ergebnis lehnt der Gerichts107
IGH, Genocide Case (Merits), CR 2006/3, 26 f., Ziff. 19-22 (Thomas Franck). 108
IGH, Genocide Case (Merits), CR 2006/43, 27 ff., Ziff. 55 ff. (Saša Obradović). 109 Ebenso: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (132); Tomuschat, JICL 5 (2007), 905 (908): “The Court failed to insist on Belgrade’s duty to lay open all of its available files in an un-redacted form. Consequently, it was highly unfair to require the Applicant, the Republic of Bosnia and Herzegovina, to show that compliance by Serbia with its duties under the Genocide Convention would have altered the course of events.” Dem IGH zustimmend: Oellers-Frahm, Vereinte Nationen 55 (2007), 163 (167). 110
Scharfe Kritik daher bei Antonio Cassese, A Judicial Massacre – The international court has set an unrealistically high standard of proof for finding Serbia complicit in genocide, abrufbar unter sowie Marlise Simons, Genocide Court Ruled for Serbia Without Seeing Full War Archive, The New York Times, 9. April 2007, S. 1; Meyer, HRRS 2007, 218 (227); Abass, Fordham JIL 31 (2008), 871 (897); Goldstone/Hamilton, LJIL 21 (2008), 95 (108, 110). Zu dem Hintergrund der Entscheidung, die Dokumente auch nicht amtswegig zu verlangen, siehe Gattini, JICJ 5 (2007), 889 (893, Fn. 15), der auf interne Streitigkeiten beim JStGH verweist.
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hof den Beweisantrag mit der Begründung ab, der Kläger habe genug Material, widerlegt dies aber mit seiner Entscheidung, die er nicht auf Rechtsgründe, sondern auf mangelnde Beweise stützt. Im zweiten Application of the Genocide Convention-Fall (Kroatien gegen Serbien) beantragte Kroatien bereits in der Phase der vorgängigen Einreden die Vorlage von im serbischen Besitz befindlichen Dokumenten durch den Gerichtshof. Der IGH begründete die Ablehnung des Gesuchs damit, dass er nicht von der Notwendigkeit der Herausgabe der Unterlagen zur Entscheidung über den Einwand Serbiens gegen die Zuständigkeit des Gerichtshofs überzeugt sei. Darüber hinaus habe Kroatien keine Gründe für den späten Zeitpunkt des Antrags genannt. Auch würde die Anordnung der Herausgabe in diesem Stand des Verfahrens „viele praktische Probleme“ verursachen.111 Die Handhabung von Vorlageanträgen in den beiden Genocide-Fällen durch den IGH zeigt einerseits, dass dessen Rechtsprechung in diesem Bereich noch nicht gefestigt ist, und führt andererseits deutlich vor Augen, dass eine klare Regelung der Herausgabeanordnungen dringend nötig ist, da eine Zunahme solcher Anträge in der Zukunft zu erwarten steht. Als Voraussetzungen einer Vorlageanordnung durch den IGH können aber jedenfalls die genaue Bezeichung des Dokuments, die vorherige Nachfrage des Antragstellers bei der gegnerischen Partei sowie die Relevanz des Dokuments für den Rechtsstreit festgehalten werden. Die Entscheidung über eine Vorlageanordnung steht jedoch nach gegenwärtigem Stand letztlich im Ermessen des Gerichtshofs. Des Weiteren scheint der IGH im zweiten Genocide-Fall eine zeitliche Begrenzung für die Stellung solcher Anträge eingeführt zu haben, ohne jedoch weiter zu konkretisieren, wann genau er einen Antrag als verspätet werten würde.
(b) Offenlegungs- und Herausgabepflichten unter dem DSU Das Appellate Body betonte in India – Patents (US), dass die Parteien nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens bereits in der dem Panelverfahren vorgeschalteten Konsultationsphase, die noch stärker diplomatisch als gerichtsförmig ist, eine Pflicht zum Informationsaustausch
111
IGH, Genocide Case II (Preliminary Objections), Urteil vom 18. November 2008, Ziff. 13-15 sowie CR 2008/8, 13 (President Higgins).
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treffe.112 Die Verwertbarkeit der in der Konsultationsphase eingebrachten Beweismittel in der Streitschlichtung vor den Panels ist durchaus nicht unproblematisch, da dies die Bereitschaft der Parteien zur Offenlegung von Tatsachen während der Konsultationsphase mindern kann113 und in Bezug auf Urkunden, die im Zuge von Vergleichsverhandlungen entstanden sind, ein völkerprozessrechtliches Beweisverbot besteht.114 Die Zusammenarbeitspflicht der Parteien erstreckt sich auf alle Phasen des WTO-Streitbeilegungsverfahrens und ist gestützt auf die Grundsätze des fairen Verfahrens sowie von Treu und Glauben.115 Zur Begründung und Reichweite der Kooperationspflicht der Parteien spezifisch bei der Tatsachenfeststellung nahm das Panel im Fall Argentina – Footwear auf allgemeine völkerrechtliche Grundsätze der friedlichen Streitbeilegung Bezug: “Another incidental rule to the burden of proof is the requirement for collaboration of the parties in the presentation of the facts and evidence to the panel and especially the role of the respondent in that process. It is often said that the idea of peaceful settlement of disputes before international tribunals is largely based on the premise of co-operation of the litigating parties. In this context the most important result of the rule of collaboration appears to be that the adversary is obligated to provide the tribunal with relevant documents which are in its sole possession.”116 Diese generelle Mitwirkungspflicht konkretisierte sich jedoch erst nach vorherigem Zutun des Klägers: “This obligation does not arise until the claimant has done its best to secure evidence and has actually produced some prima facie evidence in support of its case. It should be stressed, however, that ‘dis112 DSB, India – Patents (US) (AB), Ziff. 94: “All parties engaged in dispute settlement under the DSU must be fully forthcoming from the very beginning both as to the claims involved in a dispute and as to the facts relating to those claims. … Facts must be disclosed freely. This must be so in consultations as well as in the more formal setting of panel proceedings. … If, in the aftermath of consultations, any party believes that all the pertinent facts relating to a claim are, for any reason, not before the panel, then that party should ask the panel in that case to engage in additional fact-finding.” 113 114 115 116
Waincymer, WTO Litigation (2002), 224. Dazu Kapitel 7 B. III. 8. Waincymer, WTO Litigation (2002), 548. DSB, Argentina – Textiles and Apparel, Ziff. 6.40.
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covery’ of documents, in its common-law system sense, is not available in international procedures.”117 Panels können daher auch anordnen, dass die gegnerische Partei in ihrem Besitz befindliche Dokumente herausgibt.118 Entscheidend ist, dass die beweisbelastete Partei bereits überhaupt Beweis angetreten hat (nicht notwendigerweise bezüglich der strittigen Tatsache, denn das Panel benutzt den Ausdruck „in support of its case“), dass die Dokumente relevant sind, sie sich im alleinigen Besitz der anderen Partei befinden und die Partei bei der Gegenseite erfolglos um Vorlage eventuell noch benötigter Beweismittel vorstellig geworden ist.119 Dabei ordnete das Panel die Kooperationspflichten als den Regeln der Beweislast zugehörig („incidental“) ein. Richtig ist jedoch wohl die Ansicht des Schiedspanel im Hormonstreit nach Art. 22 Abs. 6 DSU, das die Zusammenarbeitspflicht als eine von der Beweislast unabhängig zu beantwortende Frage ansah.120 Die Pflicht zur Zusammenarbeit im Panelverfahren ist vielmehr aus Art. 3 Abs. 10 DSU abzuleiten,121 der insofern eine Kodifikation des in der Streitbeilegung allgemein geltenden völkerrechtlichen Grundsatzes darstellt.
117
DSB, Argentina – Textiles and Apparel, Ziff. 6.40 (Fußnoten fehlen). Siehe auch Ziff. 6.58: Die USA hatten versucht, von Argentinien die Originale von Zollpapieren zu erhalten. Das Panel schloss aus der Weigerung, dass die von den USA vorgelegten Kopien vertrauenswürdig waren und gab ihnen vollen Beweiswert. 118
Anders: Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen (2001), 273, unter Verweis auf Swacker/Redden/Wenger, World Trade Without Barriers: The World Trade Organization (WTO) and Dispute Resolution, Bd. 1 (1995), 393. 119
Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht (2007), Rn. 290.
120
DSB, EC – Hormones (US) (Article 22.6 – EC), Ziff. 11: “The duty that rests on all parties to produce evidence and to collaborate in presenting evidence to the arbitrators – an issue to be distinguished from the question of who bears the burden of proof – is crucial in Article 22 arbitration proceedings.” Zustimmend: DSB, US – 1916 Act (EC) (Article 22.6 – US), Ziff. 3.6: “We also agree that a duty rests on both parties to produce evidence and to collaborate in presenting evidence to the Arbitrators.” 121
Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (232).
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Kapitel 5
(c) Offenlegungs- und Herausgabepflichten in der Rechtsprechung des IUSCT Nach Art. 24 Abs. 2 IUSCT kann das Tribunal anordnen, dass jede Partei dem Tribunal und dem Gegner eine Zusammenfassung derjenigen Beweismittel liefert, die sie zur Unterstützung der in ihrem Antrag („Statement of Claim“) gemachten Tatsachenbehauptungen in den Prozess einbringen will. Hiernach müssen jedoch keine der Partei ungünstigen Beweismittel vorgelegt werden,122 was in der Praxis auch nur selten geschieht.123 Grundlage für einen Beweisantrag einer Partei auf Herausgabe eines beim Gegner befindlichen Schriftstücks ist dahingegen Art. 24 Abs. 3 IUSCT-VerfO. Dies bezieht sich auch auf Urkunden, deren Inhalt dem Anordnungsempfänger ungünstig ist.124 Der Antrag einer Partei auf Anordnung der Offenlegung von im Besitz der anderen Partei befindlichen Dokumenten (discovery) ist nach der Rechtsprechung des IUSCT nur dann erfolgreich, wenn er die Urkunden hinreichend genau bezeichnet, die Urkunden für die Entscheidung relevant sind und der Antragsteller vergeblich versucht hat, die Dokumente auf anderem Wege zu beschaffen.125 Dabei wird die Vorausset122
Baker/Davis, The UNCITRAL Arbitration Rules in Practice, The Experience of the Iran-United States Claims Tribunal (1992), 112. 123
Aldrich, The Jurisprudence of the Iran-United States Claims Tribunal (1996), 333. 124 Baker/Davis, The UNCITRAL Arbitration Rules in Practice, The Experience of the Iran-United States Claims Tribunal (1992), 112 f. 125
IUSCT, William Stanley Shashoua v. Government of the Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 69), Beschluss (Order) vom 14. März 1983, nicht veröffentlicht. Zu diesem Fall siehe Kazazi, Burden of Proof (1996), 276 ff. und Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 119 ff. Siehe auch: IUSCT, MCA Inc. v. The Islamic Republic of Iran, Case No. 768, Beschluss (Order) vom 6. Oktober 1983, zitiert in: Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 593; IUSCT, Vera-Jo Miller Aryeh (Case No. 842), Laura Aryeh (Case No. 843), J.M. Aryeh (Case No. 844) v. The Islamic Republic of Iran, Beschluss (Order) vom 6. März 1982, zitiert in: Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 597. Eine Zusammenfassung der Voraussetzungen ist enthalten in IUSCT, Frederica Lincoln Riahi v. The Government of the Islamic Republic of Iran (Case No. 485), Award No. 596-485-1, Schiedsspruch vom 27. Februar 2003, Concurring and diss. op. Assadollah Noori, IUSCTR 37 (2003), 305 (322 f., Ziff. 29): “For a successful motion for production: 1) the request must be specific and clear, not general and vague, identifying specifically the requested documents, 2) the requesting party must persuade the Tribunal that the
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zung des „anderweitigen Bemühens“ mit der grundsätzlich geltenden Beweislastverteilung begründet.126 So lehnte das Tribunal die Anordnung der Herausgabe im Fall Fluor Corporation mit folgenden Gründen ab: “Considering that the Respondent bears the burden of proving the facts it relies upon in support of its defence, the Tribunal concludes that before such a discovery request can be considered, the Respondent must show that it has taken all reasonable steps to procure these documents itself. The Tribunal is not presently satisfied that the Respondent had done so.”127 Sogenannte fishing expeditions sind nach der Rechtsprechung des IUSCT wegen der Voraussetzung der Beweiserheblichkeit der Urkunde und ihrer hinreichend genauen Bezeichnung demnach nicht möglich.128 Ist jedoch zweifelhaft, ob die vom Kläger genau bezeichneten Dokumente sich in der Hand des Beklagten befinden, so kann das Tribunal dem Beklagten aufgeben, die Existenz solcher Dokumente offenzulegen.129 Fraglich ist, ob das das IUSCT bei Vorliegen dieser Voraussetzungen die Vorlage anordnen muss oder es diesbezüglich ein Ermessen hat. Mehrheitlich wird ein Ermessen des Tribunals befürwortet.130 Hieraus documents are necessary, related to the Case or the issues involved, and have a bearing on the Tribunal’s decision, and 3) the requesting party must also show that the requested documents i) are within the sole control of the requested party, ii) are not available or accessible to himself, and iii) that he took reasonable steps to gain access to them, but that his efforts failed for reasons not attributable to him.” Siehe auch: Baker/Davis, The UNCITRAL Artibration Rules in Practice, The Experience of the Iran-United States Claims Tribunal (1992), 113; McCabe, International Lawyer 20 (1986), 499 (515, 517); Aghahosseini, ILF 1 (1999), 208 (209 f.). 126
Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (120). 127
IUSCT, Fluor Corporation v. Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 333), Beschluss (Order) vom 11. November 1987, IUSCTR 18 (1988-I), 68. 128
Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 576. 129
IUSCT, Cases B 4 and B 44, Order, Beschluss (Order) vom 9. Dezember 1986, nicht veröffentlicht. Dazu: Kazazi, Burden of Proof (1996), 289 f.; Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 124 f. 130
Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 574: “The parties possess no right to have evidence produced
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Kapitel 5
erklärt sich auch, dass Beweisanträge nur sehr selten positiv beschieden wurden.131
(d) Offenlegungs- und Herausgabepflichten in der zwischenstaatlichen Schiedsgerichtsbarkeit In zahlreichen älteren Schiedsverträgen finden sich Klauseln, die Offenlegungspflichten auf Antrag einer Partei enthalten.132 Diese sind im Inhalt durchaus unterschiedlich. So existieren beispielsweise uneingeschränkte Offenbarungspflichten, nach denen die gegnerische Partei auch solche Urkunden herausgeben muss, auf die sie sich nicht bezogen hat.133 Daneben gibt es jedoch auch dem § 142 Abs. 1 ZPO a.F. verby their opponents.” und S. 576 mit Verweis auf IUSCT, The Ministry of National Defence of the Islamic Republic of Iran v. The Department of Defence of the Government of the United States of America (Case No. B-1), Beschluss (Order) vom 18. November 1983, IUSCTR 4 (1983-III), 57 (58). Ebenso: Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (393). 131 Dazu: van Hof, Commentary on the UNCITRAL Arbitration Rules, The Application by the Iran-U.S. Claims Tribunal (1991), 165. 132
Siehe Simpson/Fox, International Arbitration, Law and Practice (1959), 205; Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 100. 133
Art. IV des US-amerikanisch-mexikanischen Schiedsvertrags vom 22. Mai 1902 zur Regelung der Streitigkeiten betreffend die „Fonds pieux des Californies“, in: Les Travaux de la Cour permanente d’arbitrage de La Haye (1921), 7 (10): «Chacune des Parties pourra demander à l’autre de lui faire connaître un fait ou de lui communiquer un document considéré comme constituant ou contenant une preuve matérielle intéressant la Partie qui le demande. Le document désiré devra être décrit avec une exactitude suffisante pour que son identification soit certaine et la communication demandée se fera par la remise d’un mémoire ou par le dépôt d’une copie dudit document … .» Art. IX des Vertrags vom 21. Mai 1921 (Landreau claim (U.S.A. v. Peru)), RIAA 1 (1949), 349 (350): “Any party may demand from the other the discovery of any fact or of any document deemed to be or to contain material evidence for the party asking it. Any document shall be described with sufficient accuracy for identification … .” Art. VIII des Protokolls von Caracas zwischen den Vereinigten Staaten und Venezuela über die Entscheidung und Regulierung bestimmter Ansprüche (13. Februar 1909), abgedruckt in: The Orinoco Steamship Case, Schiedsspruch vom 25. Oktober 1910, RIAA 11 (1961) 227 (235): “All public records and documents under the control or at the disposal of either Government or in its possession, relating to the matters in litigation shall be accessible to the other, and, upon request, certified copies of them shall be furnished”; Verfahrensregeln des Indo-Pakistan Western Boundary Case Tribunal, abgedruckt in Case
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gleichbare qualifizierte Offenbarungspflichten, die einen Bezug auf die im eigenen Besitz befindliche Urkunde zur Voraussetzung machen.134 Auch in aktuelleren Schiedsverfahren sind Probleme der Herausgabeanordnungen auf Parteiantrag relevant geworden. In der United States – United Kingdom Arbitration Concerning Heathrow Airport User Charges ordnete das Schiedsgericht eine weitreichende und umfassende discovery an.135 Das Vereinigte Königreich wurde in weitem Umfang dazu verpflichtet, in seinem Besitz oder Einflussbereich befindliche Dokumente („any documents in its possession, custody or powers“) so
Concerning the Indo-Pakistan Western Boundary (Rann of Kutch), Schiedsspruch vom 19. Februar 1968, RIAA 17 (1980), 1 (9): “Discovery and inspection: A party may, by notice in writing, call upon the other Party to make available to it for inspection any document which is or is likely to be in the possession or under the control of such other Party; and thereupon such other Party shall, if the document is in its possession or under its control, provide adequate and expeditious facilities to the Party to take inspection and copies of the document and, on request of such Party and at its cost shall furnish to it such number of photostat copies as it required and also produce the document before the Tribunal.” 134
So bestimmt Art. VII des Kompromisses zwischen Großbritannien und den USA vom 4. April 1908 hinsichtlich der Nordatlantischen Küstenfischerei: “If in the case or counter-case … either Party shall have specified or referred to any documents, correspondence, or other evidence in its own exclusive possession without annexing a copy, such Party shall be bound, if the other Party shall demand it … to furnish the Party applying for it a copy thereof … .” (Award of the Tribunal of Arbitration in the Question Relating to the North Atlantic Coast Fisheries, Schiedsspruch vom 7. September 1910, RIAA 11 (1961), 167 (177)). Siehe auch Appeals Board of the Organization for European Economic Cooperation, Cauro v. Secretary-General of the Organization for European Economic Co-operation (No. 1) (Decision No. 33), Beschluss vom 26. Juli 1961, ILR 31 (1966), 486 (488) (Offenlegungspflicht bezgl. Dokumente, auf die sich die Gegenseite bezogen hat auf Antrag der anderen Partei). Art. 4 Abs. 3 des Washingtoner Vertrages vom 8. Mai 1871, Alabama case, de La Pradelle/Politis, Recueil des Arbitrages Internationaux, Bd. 2 (1856-1872) (1932), 777 (778): «Si dans le mémoire soumis aux arbitres l’une des parties mentionne un rapport ou un document en sa possession exclusive, ou y fait allusion, sans en joindre copie, elle sera tenue, si l’autre juge à propos d’en faire la demande, de lui en fournir une copie … .» (jeweils Hervorh. d. Verf.). 135
Dazu: Skilbeck, ICLQ 44 (1995), 171 (173).
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Kapitel 5
bald wie möglich schriftlich zu identifizieren und offenzulegen.136 Dabei berief sich das Schiedsgericht auf Regel 18 seiner Verfahrensordnung137 maßgeblich auf deren Abs. 4: “The Tribunal may, at the request of either of the parties, call upon the other party to provide further information on, or clarification of, any factual matter in any memorandum submitted by that other.” Das Schiedsgericht interpretierte diese Vorschrift als Ermessenstatbestand. In der Ausübung seines Ermessens ließ es sich von Art. 10 Abs. 5 des dem Streit zugrunde liegenden bilateralen sogenannten Bermuda-2Abkommens über Luftverkehrsdienste leiten, der eine (materiellrechtliche) Pflicht beider Parteien zur Einwirkung auf die nationalen Flughafenbetreiber zum Austausch von Informationen mit den Fluggesellschaften des jeweils anderen Staates enthält.138 Der Umfang, in dem das Schiedsgericht diese discovery anordnete, geht deutlich über das hinaus, was der IGH, das IUSCT oder das WTODSB zugelassen haben, und ähnelt im Umfang eher der in den Vereinigten Staaten möglichen pre-trial discovery.139 Als verallgemeinerbares Beispiel kann der Fall daher kaum dienen. Hintergrund für die Entscheidung mag die Erwägung gewesen sein, dass beide Parteien dem common law-Rechtskreis entstammten. Dennoch offenbarte der Prozess erhebliche Unterschiede in der Rechtsauffassung der Parteien.140 Entscheidend ist jedoch, dass das Schiedsgericht Regel 18 seiner Prozessregeln als Ermessenstatbestand ausgelegte. Dies erinnert an die In136
United States-United Kingdom Arbitration Concerning Heathrow Airport User Charges, Award on the First Question of 30 November 1992, ILR 102 (1996), 216 (235, Ziff. 3.29). 137
Die Verfahrensordnung wurde von den Parteien ausgearbeitet und vom Schiedsgericht im Wesentlichen unverändert angenommen, siehe United StatesUnited Kingdom Arbitration Concerning Heathrow Airport User Charges, Award on the First Question of 30 November 1992, ILR 102 (1996), 216 (228, Ziff. 3.4). Art. 17 Abs. 3 des Bermuda 2 Abkommens lautet: “Except as otherwise agreed by the Contracting Parties, the arbitral tribunal shall determine the limits of its jurisdiction in accordance with this Agreement, and shall establish its own procedure. …” 138 United States-United Kingdom Arbitration Concerning Heathrow Airport User Charges, Award on the First Question of 30 November 1992, ILR 102 (1996), 216 (236, Ziff. 3.31). 139 140
Witten, AJIL 89 (1995), 174 (183); Skilbeck, ICLQ 44 (1995), 171 (173). Dazu: Sinclair, IDI Annuaire 70 I (2002-2003), 323 (329 ff.).
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terpretation des Art. 13 DSU durch das Appellate Body. Interessant ist weiterhin, dass das Schiedsgericht eine materiellrechtliche Norm, nämlich die Informationsaustauschpflicht nach Art. 10 Abs. 5 des Bermuda2-Abkommens, zur Auslegung einer prozessrechtlichen Norm heranzieht. Dies bestätigt die oben gefundene Lösung, nach der das Prozessrecht anhand des materiellen Rechts ausgelegt werden kann.141
C. Zusammenfassung Die rechtsvergleichende Betrachtung hat gezeigt, dass im Bereich der Offenlegungs- und Herausgabepflichten keine allgemeinen Rechtsgrundsätze bestehen. Nationale Zivilprozessrechtsordnungen behandeln die prozessualen Offenbarungs- und Herausgabepflichten der Parteien noch immer sehr unterschiedlich und bieten den Parteien und den Gerichten divergierende Instrumente, solche Verpflichtungen – so sie bestehen – durchzusetzen. Im Bereich des durch Interpretation und Anwendung der jeweiligen Normen in den gerichtseinsetzenden Verträgen – aber auch ohne eine solche Verankerung – entwickelten internationalen Richterrechts beginnen sich jedoch gemeinsame Regeln herauszukristallisieren. Zwar beziehen sich internationale Gerichte in dieser Frage nicht explizit aufeinander, die maßgeblichen Kriterien ähneln sich jedoch sehr. Obwohl eine discovery oder disclosure, wie sie aus manchen nationalen Rechtsordnungen bekannt ist, als solche auf völkerrechtlicher Ebene unbestritten nicht existiert, sind die Auswirkungen der völkerprozessrechtlichen konkreten Kooperationspflicht der Parteien doch denen der discovery ähnlich.142 So kann man feststellen, dass der Grundsatz nemo tenetur edere contra se im Völkerprozessrecht jedenfalls nicht unbeschränkt gilt, sondern die Parteien durchaus zur Herausgabe ihnen ungünstiger Beweismittel durch das Gericht verpflichtet werden können.143 Konkretisierend sind die folgenden Punkte festzuhalten:
141
Kapitel 4 E. II.
142
Amerasinghe, IDI Annuaire 70 I (2002-2003), 139 (214 f.); Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 110 f. 143
IGH, Avena Case, decl. Ranjeva, ICJ Rep. 75 (75 f., Ziff. 4); Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 108.
322
Kapitel 5
1. Es existiert eine allgemeine spontane Offenlegungspflicht bezüglich der Dokumente, auf die sich eine Partei bezogen hat. Das Gericht kann diesbezüglich natürlich auch jederzeit die Vorlage anordnen. 2. Bezüglich aller anderen Beweismittel besteht nach der Rechtsprechung des IGH, des IUSCT und des DSB – in Abkehr von der ParkerRegel – keine unbedingte und unbegrenzte Offenlegungs- oder Aufklärungspflicht weder gegenüber dem Gericht noch zwischen den Parteien.144 Sie setzt vielmehr eine Vorlageanordnung des Gerichts voraus, die auf einen Antrag der gegnerischen Partei ergeht, der die verlangten Urkunden hinreichend genau bezeichnet. Dies verhindert eine Ausforschung zum Zweck der Informationsgewinnung. Klare Regeln, wie präzise die Bezeichnung sein muss, lassen sich generalisierend nicht feststellen. Allerdings sollten die Anforderungen nicht überspannt werden, da das Institut sonst weitgehend leerliefe bzw. es von Zufälligkeiten abhinge, ob ein Antrag Erfolg hätte.145 3. Das angeforderte Dokument muss sich beim Antragsgegner befinden. Weiterhin muss die angeforderte Information entscheidungserheblich sein und dem Antrag muss ein erfolgloses Bemühen bzw. eine fruchtlose Anfrage bei der gegnerischen Partei vorausgegangen sein.146 Aus144 Anders wohl: Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 179, der die Offenlegungspflicht grundsätzlich gemäß der ParkerRegel für unbegrenzt hält bzw. die Anwendung des Grundsatzes dem „bon sens des parties et à l’appreciation raisonnable du tribunal“ überlassen möchte. 145 146
Für das nationale Recht: Wagner, JZ 62 (2007), 706 (713).
Ob diese letzte Voraussetzung auch für das Verfahren vor dem EuGH und dem EuG gilt, ist unklar. Nur auf die genaue Bezeichung und die Erheblichkeit bzw. Zweckdienlichkeit stellen ab: EuGH, Baustahlgewerbe GmbH ./. Kommission, Rs. C-185/95 P, Urteil vom 17. Dezember 1998, Slg. 1998 I-8485 (I-8513, Ziff. 93); EuGH, Union française de l’express (Ufex), vormals Syndicat français de l’express international (SFEI) u.a. ./. Kommission, Rs. C-119/97 P, Urteil vom 4. März 1999, Slg. 1999 I-1371 (I-1402, Ziff. 111). Dazu: Lenaerts/Arts/Maselis, Procedural Law of the European Union (2006), Rn. 24074. Ein vorheriges eigenes Bemühen um die Information fordert: EuG, Agnès Ajour ./. Kommission, Rs. T-201/00 und T-384/00, Urteil vom 25. September 2002, Slg. ÖD 2002, II-885 (II-903, Ziff. 75-78): «L’implication du Tribunal dans la recherche des éléments de preuve au bénéfice des requérants doit se limiter à des cas exceptionnels dans lesquels, notamment, les requérants ont besoin, pour étayer leur argumentation, de certains éléments détenus par la partie défenderesse et se heurtent à des difficultés dans l’obtention de ces éléments, voire même à un refus de la part de cette partie. … [L]es requérants non seulement ne se sont pas réellement efforcés d’obtenir eux-mêmes lesdits éléments de
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nahmen von der letzten Voraussetzung sind insofern zuzulassen, als ein vorheriges direktes Ersuchen nicht notwendig ist, wenn es ohnehin keine vernünftige Aussicht auf Erfolg hätte. 4. Die Offenlegungs- und Herausgabepflicht gilt auch für solche Beweismittel, die der vorlageverpflichteten Partei ungünstig sind. Gegen eine solche Offenlegungspflicht der Parteien wird zwar gelegentlich – wie auch im nationalen, insbesondere im deutschen Recht – die sich aus dem Verhandlungsgrundsatz ergebende Beweislastverteilung aufgeführt.147 Gegenüber dieser Argumentation ergeben sich jedoch ähnliche Bedenken wie im nationalen Recht. So spricht weder die Geltung des Verhandlungsgrundsatzes noch die Beweislastverteilung notwendig gegen eine Offenlegungs- und Herausgabepflicht auch hinsichtlich solcher Beweismittel, die der Partei ungünstig sind und zum Nachweis solcher Tatsachen, bezüglich derer sie nicht beweisbelastet ist.148 5. In völkerrechtlichen Verfahren, die mit dem Institut des prima facie case operieren, ist ein Antrag auf discovery weiterhin nicht von der vorherigen Aufstellung eines solchen abhängig. Die im DSU-Verfahren gewählte Formulierung „some prima facie evidence“ sollte im Wesentlichen als Anbeweis verstanden werden.149 Daher muss es zumindest möglich erscheinen, dass die behauptete Tatsache tatsächlich wahr ist
la Commission, mais aussi … ils n’ont pas fourni au Tribunal en temps utile les informations nécessaires pour que celui-ci puisse, au cas où il l’aurait estimé justifié, ordonner la production de ces éléments sans mettre en cause le bon déroulement de la procédure.» Ebenso: Hackspiel, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union (2003), § 24, Rn. 29 (Fn. 65). 147
So Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 60: “[The principle of cooperation] obviously does not extend as far as to ask the parties to share information or to compromise their ‘egoistic’ interests as opposing parties. For this would again be incompatible with the object and purpose of the proceedings, which is litigation from the standpoint of contrary interests (‘adversarial proceedings’).” 148 149
Wagner, ZEuP 2001, 441 (469); ders., JZ 62 (2007), 706 (710 f.).
Anders: Amerasinghe, IDI Annuaire 70 I (2002-2003), 139 (218); Kazazi, Burden of Proof (1996), 321. Wie hier: Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 178.
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und das Beweismittel diese auch betrifft.150 Diese Voraussetzung kann einem Missbrauch des Instituts vorbeugen.151 6. Es dürfen keine Gründe für die Weigerung eines Staates vorliegen, die eine Nichtherausgabe rechtfertigen, insbesondere Beweisverbote.152 Diese sind notwendiges Korrelat zu Editionspflichten153 und werden an anderer Stelle diskutiert.154 Diese Ausnahme fügt sich in die allgemeine Regel ein, dass die Kooperationspflicht der Parteien dort endet, wo sie von ihnen zustehenden prozessualen Rechten Gebrauch machen.155 7. Vorlageanordnungen stehen auch nach Erfüllung aller dieser Voraussetzungen im pflichtgemäßen Ermessen des internationalen Gerichts.156 Ein Anspruch der Parteien besteht nach gegenwärtigem Stand der Entwicklung wohl (noch) nicht. Man kann daher von einer qualifizierten Herausgabepflicht sprechen,157 die bedeutend weniger umfangreich ist, als unter der nach US-amerikanischem Recht möglichen pre-trial discovery.158 Die Anordnung einer solchen zwangsweise durchsetzbaren Herausgabepflicht wäre auch schwer mit Souveränitätsbedenken zu vereinbaren.159 Ungeachtet der exakten Reichweite der beweisbezogenen Kooperationspflichten zwischen den Parteien ist die Durchsetzung im Einzelfall schwierig.160 Internationale Gerichte bescheiden Vorlageanträge selten positiv.161 Insbesondere die Behandlung des Beweisantrags Bosnien150
Siehe zur Möglichkeit der Wahrheit der Tatsache: IGH, Genocide Case (Merits), diss. op. Mahiou, Ziff. 57, 60. 151 152 153 154 155
Dazu auch: Wagner, JZ 62 (2007), 706 (714) mit Bezug auf § 809 BGB. Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 380 f. Wagner, JZ 62 (2007), 706 (715). Unten Kapitel 7 B. III. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3 (2002), 844.
156
Das gilt auch für den EuGH: Lasok, The European Court of Justice, Practice and Procedure (1994), 385; MacLennan, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 265 (273). 157
In der Tendenz ähnlich: Reisman, Nullity and Revision (1971), 603: „qualified obligation to disclose all evidence bearing on the matter in dispute.“ 158 159 160 161
Mosk, RdC 304 (2003), 9 (97). Waincymer, WTO Litigation (2002), 559. Reisman/Freedman, AJIL 76 (1982), 737 (738). Kazazi, Burden of Proof (1996), 143.
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Herzegowinas im Application of the Genocide Convention-Fall lässt an einer stringenten und einheitlichen Linie des IGH zweifeln.
D. Materiellrechtliche Informations- und Auskunftspflichten Eine weitere Möglichkeit, die Herausgabe von Informationen im Prozess zu fordern, sind materielle Auskunfts- bzw. Herausgabeansprüche.162 Wie das nationale Recht163 kennt auch das Völkerrecht in verschiedenen Bereichen materiell-rechtliche Auskunftspflichten, die in erster Linie zur Beherrschung von umweltbezogenen Risiken und frühzeitiger Abstimmung dienen, die darüber hinaus aber den Parteien auch die Besorgung des für die Streitbeilegung relevanten Tatsachenmaterials ermöglichen.164 Ein wichtiger Bereich ist der der Umweltinformationen. So gibt Art. 9 Abs. 1 OSPAR-Konvention Mitgliedstaaten einen Anspruch auf die Bereitstellung von Informationen über den Zustand des Meeresgebiets sowie über staatliche Tätigkeiten und Maßnahmen, die diesen Zustand beeinträchtigen können.165 Ebenso normiert Art. 5 Abs. 8 SPS ein Verfahren, nach der Staaten unter gewissen Voraussetzungen Informationen („Erläuterungen“) von anderen WTO-Mitgliedern fordern können, wenn sie Grund zu der Annahme haben, dass deren gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen ihre Ausfuhren beschränken oder beschränken könnten.166 Eine uneingeschränkte Infor162
Mosk, RdC 304 (2003), 9 (92); Webster, Arbitration International 17 (2001), 41. 163 164
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 108, Rn. 4 f. Mosk, RdC 304 (2003), 9 (92).
165
StSH, Dispute Concerning Access to Information Under Article 9 of the OSPAR Convention (Ireland v. UK), Final Award, 2. Juli 2003, RIAA 23 (2004), 59 (101, Ziff. 148). Kritisch hierzu: decl. Reisman, 113 (114, Ziff. 6): “Article 9 (1) is not expressed in terms to establish an obligation on the international plane to provide information … .” Zu anderen Beispielen im Umweltvölkerrecht: Stoll, in: Wolfrum (Hrsg.), Enforcing Environmental Standards: Economic Mechanisms as Viable Means? (1996), 39 (68 ff.) 166
McGovern, International Trade Regulation (Loseblatt), § 2.2326 (Page 2.23-53, Issue 18, February 2005). Siehe auch: Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht (2007), Rn. 563.
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mationspflicht über technische Vorschriften, Normen und Konformitätsbewertungsverfahren stellt Art. 10 TBT auf. Darüber hinaus ist weitgehend unbestritten, dass Staaten nach Völkergewohnheitsrecht verpflichtet sind, einander über auf ihrem Staatsgebiet aufgetretene Unfälle oder sonstige Ereignisse zu informieren, falls diese erhebliche grenzüberschreitende Schädigungen hervorzurufen geeignet sind.167 Informationspflichten entstehen weiterhin vor der Inbetriebnahme gefährlicher Anlagen oder der Ausführung anderer risikobehafteter Projekte.168 Weiter gehend stellen einzelne Vorschriften des Vertragsrechts, etwa Art. 198 SRÜ und Art. 13 Abs. 1 des Basler Übereinkommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung von 1989, nicht auf den Schadensfall auf dem Staatsgebiet, sondern lediglich die Kenntnis vom Ereignis ab.169 Die Pflicht bezieht sich auf alle relevanten und verfügbaren Informationen, die zur Verhütung oder Eindämmung von Schäden erforderlich erscheinen.170
167
Rauschning, in: FS-Schlochauer (1981), 557 (573); Wolfrum, GYIL 33 (1990), 308 (313); Kunig, BerDGV 32 (1992), 9 (24 ff.); von Arnauld, AVR 43 (2005) 279 (283 f.). 168 Durner, Common Goods: Statusprinzipien von Umweltgütern im Völkerrecht (2001), 66; Partan, Boston University ILJ, 6 (1988), 43 (79). 169 170
von Arnauld, AVR 43 (2005) 279 (286).
Partan, Boston University ILJ, 6 (1988), 43 (79 f.); von Arnauld, AVR 43 (2005) 279 (308).
Sechstes Kapitel: Durchsetzung prozessualer Entscheidungen im Bereich der Tatsachenfeststellung Wie im allgemeinen Völkerrecht bestehen auch im Völkerprozessrecht Defizite hinsichtlich seiner Durchsetzung.1 Dies wird dann besonders deutlich, wenn das Gericht einer Partei etwas aufgibt, das ihren Interessen zuwiderläuft, etwa die Vorlage von für diese Partei ungünstigen Dokumenten oder die Duldung einer Ortsbesichtigung.2 Nach allgemeiner Auffassung bestehen – vorbehaltlich abweichender Regelungen – keine Sanktionsmöglichkeiten im engeren Sinne für internationale Gerichte oder Schiedsgerichte gegenüber den Streitparteien bei Nichtbefolgung von Beweisanordnungen, sondern nur innerprozessuale (dazu A.).3 Dies gilt erst recht im Hinblick auf Drittstaaten, internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen. Auch gegenüber Einzelnen sind die Kompetenzen internationaler Gerichte begrenzt (dazu B.). Daher ist zu prüfen, ob gerichtliche Anordnungen eventuell in Kooperation mit nationalen Behörden und Gerichten durchgesetzt werden können (dazu C.). Schließlich ist auf die allgemeine staatliche Pflicht zur Umsetzung beweisrechtlicher Anordnungen einzugehen (D.).
1
Wengler, Völkerrecht, Bd. 1 (1964), 744 f. (Fn. 4). Zur mangelnden Befolgung der beweisrechtlichen Anordnungen des IUSCT siehe: McCabe, Arbitral Discovery and the Iran-United States Claims Tribunal, International Lawyer 20 (1986), 499 (518 ff.). 2
Wengler, Völkerrecht, Bd. 1 (1964), 744 f. (Fn. 4).
3
Max-Planck-Institute for Comparative Public Law and International Law, Max Planck UNYB 1 (1997), 349 (384). McGovern, International Trade Regulation (Loseblatt), § 2.2326 (Page 2.23-52, Issue 18, February 2005): “The grant of such powers [to impose explicit sanctions for failure to respond to the request], for example to impose fines for noncompliance, to an international tribunal, would be a truly radical step.” M. Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 215, DOI 10.1007/978-3-642-11647-6_6, © by Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
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A. Innerprozessuale Sanktionsmöglichkeiten des Gerichts bei Nichtbefolgung von Beweisanordnungen Das Völkerprozessrecht kennt zwei innerprozessuale Sanktionsmechanismen im weiteren Sinne: Erstens kann das Gericht die Weigerung eines Staates, einem rechtsverbindlichen Beweisbeschluss nachzukommen, ausdrücklich im Urteil feststellen (dazu I.), zweitens können aus der Weigerung Rückschlüsse auf die Wahrheit der behaupteten Tatsache gezogen werden (dazu II.).
I. Feststellung der Weigerung Bei der Feststellung der Weigerung, Anordnungen des Gerichts nachzukommen, handelt es sich um eine Sanktion prozessualer Art.4 Sie ist explizit in einer Vielzahl völkerprozessrechtlicher Normen festgeschrieben,5 gilt aber auch ohne ausdrückliche textliche Grundlage.6 Zunächst bedeutet die Feststellung eine offizielle Rüge des Staates; dies ist eine nicht zu unterschätzende Sanktion, da sie dem sich weigernden Staat politisches Kapital entzieht: “In a context where rectitude is the
4
Sztucki, Interim Measures in the Hague Court (1983), 290; Schulte, Compliance with Decisions of the International Court of Justice (2004), 14 spricht unklar von „automatic sanctions“. 5
Art. 49 IGH-Statut; Art. 69 I. Haager Abkommen von 1907; Art. 24 Abs. 3, 2. Satz PCA Optional Rules for Arbitrating Disputes Between Two States; Art. 14 Abs. 4, Satz 2 EECC-VerfO; Regel 34 Abs. 3, 2. Satz ICSID-AR; Art. 24 Abs. 1 EuGH-Satzung. Art. 28 Abs. 3 IUSCT-VerfO spricht lediglich davon, dass das Tribunal „may make the award on the evidence before it“. Keine entsprechende Norm findet sich im Prozessrecht des ISGH oder des WTODSB. 6
So schon William A. Parker (U.S.A.) v. United Mexican States, Schiedsspruch vom 31. März 1926, RIAA 4 (1951), 35 (39, Ziff. 7); Aguilar-Amory and Royal Bank of Canada Claims (Tinoco case), RIAA 1 (1948), 375 (393); Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 182; Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 577. Für den ISGH, dessen Art. 77 Abs. 1 ISGH-VerfO keine dem Art. 49 S. 2 IGH-Statut entsprechende Regelung enthält siehe Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen (2001), 273, Fn. 164.
Durchsetzung prozessualer Entscheidungen
329
primary value at stake, censure by the Court is a significant sanction.”7 Dennoch spielt dieses Mittel keine große Rolle in der Praxis.8 Da Staaten verpflichtet sind, den Vorlageanordnungen des Gerichts nachzukommen, ist mit der Rüge gleichzeitig die Feststellung eines völkerrechtswidrigen Verhaltens und somit der Staatenverantwortlichkeit verbunden.9 Obwohl dies in der Praxis kaum vorkommen dürfte, ist auch über eine Anzeige dieser Weigerung beim VN-Sicherheitsrat nachzudenken, soweit die Streitigkeit geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden und damit der Anwendungsbereich des Kapitels VI der VN-Charta eröffnet ist. Dies ist beim JStGH schon wegen seiner Etablierung durch eine Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII und beim IStGH zumindest bei nach Art. 13 (b) IStGH-Statut vom Sicherheitsrat unterbreiteten Situationen (Art. 87 Abs. 7 IStGH-Statut) möglich.10
II. Beweisrechtliche Rückschlüsse zu Ungunsten der sich weigernden Partei 1. Kompetenz internationaler Gerichte zum Ziehen negativer Schlüsse Bereits die Androhung des Ziehens negativer Rückschlüsse in der Beweiswürdigung zu Lasten der vorlageverpflichteten Partei kann Partei-
7
Stein, AJIL 76 (1982), 499 (524). Ähnlich: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 132. 8
Siehe etwa IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (32); Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 190. 9
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 35; Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (54): «[L]’Etat qui refuse … à aider le juge dans son effort d’information, manque à une obligation internationale certaine. Ce faisant, il encourt les sanctions générales du droit des gens.»; Gattini, JICJ 5 (2007), 889 (891): „violation of the bona fide obligation to cooperate with the Court“. 10
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 33.
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Kapitel 6
en dazu bewegen, ihnen ungünstige Dokumente vorzulegen.11 Dass es sich bei dieser Technik um eine „Sanktion“ handelt, wird etwa durch die UNIDROIT/ALI Principles of Transnational Civil Procedure bestätigt.12 Die Befugnis eines internationalen Gerichts, aus der Verweigerung der Vorlage von Urkunden im Rahmen der Beweiswürdigung Rückschlüsse auf die Wahrheit oder Unwahrheit der Tatsachenbehauptung zu ziehen, ist bereits seit langem anerkannt.13 Dies gilt insbesondere für die hier untersuchten internationalen Spruchkörper. So erlaubt das Verfahren vor dem IUSCT das Ziehen von Rückschlüssen, wenn die beweisbelastete Partei in Beweisnot ist und der Gegner die ihm zur Verfügung stehenden Urkunden nicht herausgibt,14 dies jedoch nur dann, wenn mit angemessener Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass der Beklagte Zugang zu den erforderlichen Dokumenten
11
Sharpe, Arbitration International 22 (2006), 549 (550).
12
Principle 17.3: “Among the sanctions that may be appropriate against parties are: drawing adverse inferences … .” Max-Planck-Institute for Comparative Public Law and International Law, Max Planck UNYB 1 (1997), 349 (379) bezeichnet diese Möglichkeit als „mittelbare Sanktion“ („indirect sanction“). 13
Simpson/Fox, International Arbitration, Law and Practice (1959), 266; Shah, AJIL 53 (1959), 595 (596); Schulte, Compliance with Decisions of the International Court of Justice (2004), 14; Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (383). Siehe auch: Petrén, Svensk Juristtidning 1972, 96 (102 f.), der die Festlegung in einer Regel jedoch ablehnt. Siehe auch bereits Art. VIII der Convention to submit to a Tribunal of Arbitration the differences touching the import, validity, interpretation and mode of execution of certain contracts (Kolumbien, Großbritannien) vom 31. Juli 1896: “The Arbitrators may call upon the parties to the suit to produce in Court any and all papers and documents the examination of which, in their opinion, would promote the ends of justice. In case of non-compliance with such requests, the Tribunal shall limit its action in the matter to drawing its own inferences or conclusions from such non compliance.” (abgedruckt in H. La Fontaine, Pasicrisie Internationale 1794-1900, Histoire Documentaire des Arbitrages Internationaux (Neudruck 1997), 545. Nicht angemessen sind hingegen Vermutungen zu Lasten eines nicht vorlegenden Staates in Gutachtenverfahren, da hier nicht von „Parteien“ eines Rechtsstreits gesprochen werden kann, die zur Vorlage von Beweisen verpflichtet wären: Murphy, AJIL 99 (2005), 62 (74). 14
IUSCT, ITT Industries, Inc. v. Iran, Award No. 47-156-2, concurring op. Aldrich, IUSCTR 2 (1983-I) 348 (355); IUSCT, Arthur J. Fritz & Co v. Sherkate Tavonie Sherkathaye Sekhtemanie et al. (Case No. 276), Award No. 426-276-3, 30. Juni 1989, IUSCTR 22 (1989-II) 170 (180, Ziff. 42).
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hat.15 Dasselbe gilt bei der Weigerung, expliziten Vorlageanordnungen des Tribunals nachzukommen.16 Eine solche Vorlageanordnung als notwendige Voraussetzung scheint das Tribunal indes nicht zu fordern, obwohl dies nach dem Text des Art. 28 Abs. 3 IUSCT-VerfO nahe liegt.17 Auch die von der EECC aufgestellten Prozessregeln regeln explizit die Kompetenz der Kommission, solche Rückschlüsse zu ziehen. Danach ist eine gerichtliche Vorlageanordnung Voraussetzung. So heißt es in Art. 14 Abs. 4 und 5 EECC-VerfO:18 15
IUSCT, H.A. Spalding, Inc. v. Ministry of Roads and Transportation of the Islamic Republic of Iran, Award No. 212-437-3, 24. Februar 1986, IUSCTR 10 (1986-I), 22 (31 f., Ziff. 29): “Although it might be reasonable to assume Iranian custody and control of documents of a company of which Iran assumed control following the Iranian Revolution, that is not a natural assumption in the case of an individual operating apparently alone as to whom there is no allegation that his business was expropriated. Therefore even though Claimant’s Tehran records are no longer available to Claimant it does not follow that they are available to Respondents and that inferences therefore may be drawn against them.” Ähnlich: IUSCT, George Edwards v. The Government of the Islamic Republic of Iran et al., Award No. 451-251-2, 5. Dezember 1989, IUSCTR 23 (1989-III), 290 (293 f., Ziff. 11). Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (127). 16
Baker/Davis, The UNCITRAL Artibration Rules in Practice, The Experience of the Iran-United States Claims Tribunal (1992), 113; Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (121): „effective tool in compelling discovery“. Ebenso: Daillier/Ghérari/Robert/ Müller, Tribunal irano-américain de réclamations, AFDI 47 (2001), 283 (318). 17
Art. 28 Abs. 3 IUSCT-VerfO: “If one of the parties, duly invited to produce documentary evidence, fails to do so within the established period of time, without showing sufficient cause for such failure, the arbitral tribunal may make the award on the evidence before it.” (Hervorh. d. Verf.). Gleichlautend insoweit Art. 28 Abs. 3 der PCA Optional Rules for Arbitrating Disputes Between Two States. Art. 28 Abs. 3 der PCA Optional Rules for Arbitration of Disputes Relating to Natural Resources and/or the Environment fügt explizit hinzu, dass “the arbitral tribunal may draw appropriate inferences from such failure.” 18
Ebenso: Art. 7 Abs. 5 (b) des Schiedsvertrages der Eritrea Yemen Arbitration, abgedruckt in Permanent Court of Arbitration, The Eritrea-Yemen Arbitration Awards 1998 and 1999 (2005), 222: “If either Party fails to respond to a request for the production of documents or evidence …, the Tribunal may draw from this failure any appropriate evidentiary inference and may make an award based upon the evidence before it.”
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Kapitel 6
“(4) At any time, the Commission may request the parties to produce documents, exhibits or other evidence within a specified time. The Commission shall take note of any failure to do so, as well as any reason given for such failure. Where circumstances warrant, the Commission may draw adverse inferences from any failure by a party to produce evidence. (5) If one of the parties, duly invited to produce documentary evidence, fails to do so within the established period of time, without showing sufficient cause for such failure, the Commission may make the award on the evidence before it.” Die Praxis der WTO-Streitbeilegung bestätigt die Sanktion auch für das WTO-Prozessrecht. So erkannte das Appellate Body den Panels im Fall Canada – Aircraft die Kompetenz zu, aus der Weigerung einer Partei, auf einen Beschluss des Panels nach Art. 13 DSU Informationen vorzulegen, für diese Partei negative Rückschlüsse auf die Wahrheit oder Unwahrheit der fraglichen Tatsachen zu ziehen.19 Das Berufungsgremium bezog sich dabei ausdrücklich auf die Rechtsprechung anderer internationaler Gerichte.20 Die Technik hat nach Aussage des Appellate Body allerdings keinen bestrafenden Charakter.21 Sie soll vielmehr ein Anreiz für die Parteien sein, in der Beweisaufnahme miteinander und mit dem Panel zu kooperieren, und damit zu einer möglichst umfassenden Tatsachengrundlage für die Entscheidung beitragen.22 Fraglich ist die Zulässigkeit dieser Sanktion allerdings beim IGH. Art. 49 IGH-Statut normiert lediglich, dass der Gerichtshof die Weigerung einer Streitpartei, einer Anordnung des Gerichts nachzukommen, ausdrücklich festhält. Der Gerichtshof hat im Nicaragua-Fall betont, dass er im Falle der Säumnis einer Partei alle ihm verfügbaren Mittel 19 DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 197 ff. Das Appellate Body bezog sich dabei auf die in Ziff. 7 des Anhangs V zum ASÜ enthaltenen Regel, nach der Panels bei „ihrer Entscheidungsfindung … aus der Nichtmitwirkung eines Beteiligten am Verfahren der Informationssammlung nachteilige Schlussfolgerungen ziehen“ soll. Kritisch hierzu: Behboodi, JIEL 3 (2000), 563 (586 ff.). Das Appellate Body hat dies nicht als Ausnahmevorschrift interpretiert, sondern die Regel verallgemeinert. Zustimmend: Waincymer, WTO Litigation (2002), 616. 20 21 22
DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 202. Ebd., Ziff. 200.
McCall Smith, WTR 2 (2003), 65 (92); Cameron/Orava, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 195 (229). Zustimmend auch Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 115.
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einsetzen muss, um sich zu vergewissern, dass die Anträge des Klägers tatsächlich und rechtlich begründet sind (Art. 53 Abs. 2 IGH-Statut).23 Dasselbe gilt für den ISGH (Art. 28 S. 3 ISGH-Statut). Die Weigerung einer Partei, einer Anordnung des Gerichtshofes nachzukommen, ist jedoch ein Minus zu ihrem Ausbleiben im Prozess; dies berücksichtigend scheint eine strengere Sanktion schwer begründbar.24 Andererseits finden sich einzelne richterliche Äußerungen, die eine solche Konsequenz möglich erscheinen lassen.25 Da Art. 53 IGH-Statut und Art. 28 ISGH-Statut jedoch Ausnahmevorschriften darstellen,26 sollte hieraus nicht geschlossen werden, dass das Ziehen negativer Rückschlüsse im normalen streitigen Verfahren nicht möglich ist.27 Die genannten Normen stellen lediglich klar, dass die Säumnis kein Verfahrenshindernis darstellt (so explizit Art. 28 S. 2 ISGH-Statut), und legen dem Gericht für diesen Fall gesteigerte Sorgfaltspflichten auf. Festzustellen ist damit, dass Rückschlüsse zu Lasten der sich weigernden Partei gezogen werden können. Voraussetzung ist eine wirksame Vorlageanordnung des Gerichts.28 Das Ziehen solcher Schlüsse ist jedoch nicht zwingend; es handelt sich um eine Ermessenskompetenz im Rahmen der Beweiswürdigung.29 Die Weigerung ist nur ein Faktor, der innerhalb der Beweiswürdigung relevant wird,30 es kommt zu keiner 23
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (40, Ziff. 59).
24
Ähnlich: Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 190. 25
IGH, Barcelona Traction Case (Second Phase), sep. op. Jessup, ICJ Rep. 1970, 161 (215) unter Verweis auf die beweisrechtliche Abhandlung von Wigmore: “If a party fails to produce on demand a relevant document which is in its possession, there may be an inference that the document‚ if brought would have exposed facts unfavourable to the party.” 26
Dazu bereits Kapitel 4 E. I. 4 (b).
27
Für eine solche Befugnis des IGH auch: Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 2 (1951), 647; Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (353). 28
Scheinbar anders (Rückschlüsse auch ohne wirksame Vorlageanordnung): IGH, Genocide Case (Merits), diss. op. Al-Khasawneh, Ziff. 35. Ebenso interpretiert Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (131) Ziff. 206 des Urteils. 29 Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 135; Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 187 ff.; Reuter, AFDI 2 (1956), 46 (49). Scheinbar anders: Guggenheim, Traité de Droit international public, Bd. 2 (1954), 157. 30
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 49, Rn. 19.
334
Kapitel 6
Geständnisfiktion.31 Dabei ist zu beachten, dass der Rückschluss mit den dem Tribunal sonst vorliegenden Beweisen nicht im Widerspruch stehen darf.32 Die Sanktion für die Nichtkooperation kann letzten Endes im Prozessverlust bestehen, da eine dem Gegner der zur Vorlage verpflichteten Partei günstige Tatsache in letzter Konsequenz als wahr unterstellt werden kann und damit der Gegner auch dann Erfolg hat, wenn er selbst seiner Beweislast in diesem Punkt nicht nachgekommen ist.33 Eine Beweislastumkehr findet jedoch bei der Missachtung von Vorlageanordnungen nicht statt.34
2. Praxis internationaler Gerichte Obwohl ihre grundsätzliche Zulässigkeit anerkannt ist, werden Rückschlüsse von internationalen Gerichten doch nur selten gezogen.35 Hintergrund ist wohl, dass solche Schlüsse die Legitimität des Urteils aus Sicht der betroffenen Partei negativ beeinflussen und damit der Befolgungsbereitschaft abträglich sein können.36 Ein gleiches Bild ergibt sich interessanterweise für die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit: Rückschlüsse sind auch hier nicht „the fearsome weapon some lawyers seem to imagine, given the fact that most arbitrators would be disturbed
31
Gleiche Erwägungen gelten für den ICSID-Prozess. Hier bestimmt Art. 45 Abs. 1 ICSID-Ü, dass ein Ausbleiben der Partei oder ihr fehlendes Einlassen zur Sache keine Geständnisfiktion entfalten soll. 32
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (32): “The Court cannot, however, draw from this refusal to produce the orders any conclusions differing from those to which the actual events gave rise.”; IGH, Corfu Channel Case, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Judgments of March 25th, 1948, April 9th and December 15th, 1949, Bd. 4, 564 (Sir Eric Beckett); IGH, Case Concerning the Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Urteil vom 15. Juni 1962, diss. op. Spencer, ICJ Rep. 1962, 101 (109): “No presumption can be made and no inference can be drawn which is inconsistent with facts incontrovertibly established by the evidence.”; Sharpe, Arbitration International 22 (2006), 549 (560). 33
Sharpe, Arbitration International 22 (2006), 549 (550); Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (353). 34
Reiner, Arbitration International 10 (1994), 328 (338).
35
McCabe, International Lawyer 20 (1986), 499 (519); Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 189. 36
Kazazi, Burden of Proof (1996), 319.
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at the thought of deeming the burden of proof discharged by an inference“.37 Beispielhaft ist insoweit, dass sich das IUSCT in einem klar dokumentierten Fall der Weigerung der Herausgabe von Urkunden trotz mehrfacher Anordnung lediglich zur „Interpretation“ der unvollständigen Tatsachengrundlage „im Lichte der Nichtbefolgung der Anordnungen“ entschloss.38 Allerdings berücksichtigte es die wiederholte Weigerung bei seiner Kostenentscheidung.39 Auch setzte es in einem anderen Fall den Beweiswert eines Prüfungsberichts (audit report) niedrig an, weil Iran sich geweigert hatte, einer Anordnung der Offenlegung der dem Bericht zugrunde liegenden Dokumente sowie der Methodik seiner Erstellung Folge zu leisten.40 Auch der IGH hat das Ziehen negativer Schlüsse bisher vermieden. Im Corfu Channel-Fall hatte die Nichtvorlage keine Konsequenzen.
37
Paulsson, in: van den Berg (Hrsg.), Planning Efficient Arbitration Proceedings: The Law Applicable in International Arbitration (1996), 112 (118), der Rückschlüssen dennoch eine gewisse Wirkung nicht abspricht. 38 IUSCT, William J. Levitt v. Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 210), Award No. 510-210-3, 29. August 1991, IUSCTR 27 (1991-II) 145 (165, Ziff. 66). Dazu auch: conc. and diss. op. Allison im selben Fall, S. 187 f.: “Where a party has wilfully failed to comply with Tribunal orders for the production of documents highly relevant to the issues in a case, it is a matter of judgment as to how the Tribunal should react. Most would agree, however, that a party’s deliberate non-compliance with Tribunal orders gives rise to an inference that the production of the requested documents would not have supported that party’s arguments. This inference in turn tends to enhance the credibility of the allegations of the other party that may not be fully documented but are consistent with the factual pattern established by the evidence in the case. Likewise, it tends to diminish the credibility of the non-complying party’s own allegations of fact.” Siehe aber auch Sharpe, Arbitration International 22 (2006), 549 (555 f.), der das Vorgehen des Tribunals damit erklärt, dass der Kläger wesentliche in seinem Besitz befindliche Beweise nicht vorgelegt habe. 39 IUSCT, William J. Levitt v. Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 210), Award No. 510-210-3, 29. August 1991, IUSCTR 27 (1991-II) 145 (185, Ziff. 124): “The Tribunal observes that the Respondent’s failure to comply with the Tribunal’s production orders has caused the expenditure of far higher costs of arbitration than would otherwise have been necessary.” 40
IUSCT, INA Corporation v. Iran (Case No. 161), Award No. 184-161-1, 12. August 1985, IUSCTR 8 (1985-I), 373 (382). Dazu: Chittharanjan F. Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 128 ff. und Sharpe, Arbitration International 22 (2006), 549 (562).
336
Kapitel 6
3. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Ziehen negativer Rückschlüsse bei Nichtbefolgung von Beweisanordnungen ein allgemeingültiger Grundsatz des internationalen Prozessrechts ist. Allerdings ist Voraussetzung, dass sicher feststeht, dass die angeforderten Unterlagen sich im Besitz der angewiesenen Partei befinden. Ebenfalls gefordert werden sollte eine wirksame Vorlageanordnung des Gerichts. Dies ordnen diejenigen Normen an, die das Thema explizit behandeln (Art. 28 Abs. 3 IUSCT-VerfO; Art. 14 Abs. 4 und 5 EECC-VerfO). Auch entspricht dies der Praxis in der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit.41 Es tritt keine Geständnisfiktion ein.42 Das Ziehen von Rückschlüssen ist Teil des Beweiswürdigungsvorgangs. Nicht zulässig ist eine solche Sanktion, wenn der Staat die Herausgabe rechtmäßig verweigert, indem er sich auf ein Beweisverbot stützt.43
41
So bestimmt Art. 9 Abs. 4 der IBA Rules on the Taking of Evidence in International Commercial Arbitration: “If a Party fails without satisfactory explanation to produce any document requested in a Request to Produce to which it has not objected in due time or fails to produce any document ordered to be produced by the Arbitral Tribunal, the Arbitral Tribunal may infer that such document would be adverse to the interests of that Party.” Dazu: RaeschkeKessler, FS-Böckstiegel (2001), 641 (654 f.). Ebenso: Redfern, in: Newman/Hill (Hrsg.), The Leading Arbitrators’ Guide to International Arbitration (2004), 217 (240). Anders jedoch (keine wirksame Vorlageanordnung notwendig): Principle 21 Abs. 3 der UNIDROIT/ALI Principles of Transnational Civil Procedure: “When it appears that a party has possession or control of relevant evidence that it declines without justification to produce, the court may draw adverse inferences with respect to the issue for which the evidence is probative.” 42
Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 394, die dies allerdings mit der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes begründet, der keine Bindung an ein Geständnis zulässt. Witenberg, RGDIP 55 (1951), 321 (339), ders., RdC 56 (1936 II), 1 (55) hält das Ziehen solcher Rückschlüsse jedoch für zwingend, was einer Geständnisfiktion gleichkommt. 43 Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (17). Dazu unten, Kapitel 7 B. III.
Durchsetzung prozessualer Entscheidungen
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B. Zwangsbefugnisse gegenüber Einzelpersonen Bereits oben ist festgestellt worden, dass internationale Gerichte in zwischenstaatlichen Streitigkeiten mangels ausdrücklicher Ermächtigung keine Anordnungen unmittelbar gegenüber Einzelpersonen treffen können.44 Daraus folgt, dass nach gegenwärtiger Rechtslage Zeugen von internationalen Gerichten weder unter Androhung eines Ordnungsgeldes geladen (subpoena ad testificandum)45 noch zwangsweise vorgeführt werden können.46 Gleiches gilt für eine subpoena duces tecum, also eine 44 45
Kapitel 4 D. De lege ferenda für eine solche Kompetenz: Foster, CYIL 7 (1969), 150
(190). 46
So schon die mexikanisch-US-amerikanische General Claims Commission: William A. Parker (U.S.A.) v. United Mexican States, Entscheidung vom 31. März 1926, RIAA 4 (1951), 35 (39, Ziff. 5): “[T]his Commission is without power to summon witnesses or issue processes for the taking of depositions with which municipal tribunals are usually clothed.” Siehe auch: Hammarskjöld, Revue de droit international et de législation comparée 49 (1922), 125 (141); Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1993), 576 f.; Highet, AJIL 81 (1987), 1 (10). In den Verhandlungen zur ICSIDKonvention wurde die Einführung einer solchen Kompetenz ernsthaft diskutiert, aber letztlich knapp abgelehnt: Siehe Schreuer, The ICSID Convention: A Commentary (2009), Article 43 [Evidence], Rn. 54. Highet, AJIL 81 (1987), 1 (7 (Fn. 29) und 10), der auch die Anordnung der Vorlegung von Urkunden für unzulässig hält. Für das IUSCT: Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 578. Siehe auch: Deutsch-USamerikanische Schiedskommission, Lehigh Valley Railroad Company, Agency of Canadian Car and Foundry Company, Ltd. v. Allemagne, Schiedsspruch vom 30. März 1931, RIAA 8 (1958), 102 (103): keine Kompetenz der Kommission zur strafbewehrten Anordnung des Erscheinens (subpoena) oder zur Eidabnahme, weder unter Völkerprozessrecht noch nach einem amerikanischen Gesetz vom 3. Juli 1930, das internationalen Schiedskommissionen diese Befugnis qua nationalem Recht gibt. Siehe auch: EGMR, Denizci and others v. Cyprus (Applications nos. 25316-25321/94 and 27207/95), Urteil vom 23. Mai 2001, ECHR 2001-V, 225 (295, Ziff. 315 (iii)): “In addition, neither the Commission nor the Court had powers of compulsion as regards the attendance of witnesses. In the present case, while twenty-eight witnesses were summoned to appear, five of them failed to give evidence before the Commission delegates. The Court has therefore been faced with the difficult task of determining events in the absence of potentially significant testimony.” Für die WTO: Waincymer, WTO Litigation (2002), 589; DSB, Argentina – Textiles and Apparel (Panel), Ziff. 6.40; Cameron/Orava, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 195 (200 f.).
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Kapitel 6
strafbewehrte Anordnung des Erscheinens und des Vorlegens von Dokumenten. Auch existiert weder ein Verfahren wegen Missachtung des Gerichts (contempt of court)47 noch eine Sanktionsmöglichkeit für Falschaussagen von Zeugen.48 Diese Restriktionen sind Ausdruck der fehlenden Supranationalität des IGH und anderer internationaler Gerichte. Eine Möglichkeit zur zwangsweisen Durchsetzung ergibt sich auch nicht aus allgemeinen ungeschriebenen Befugnissen internationaler Gerichte, auch wenn bisweilen vorgeschlagen wird, solche Befugnisse durch weite Auslegung gerichtseinsetzender Verträge zu erreichen.49 Damit gilt, dass eine Ladung oder eine Vorlageanordnung durch ein internationales Gericht zwar gegenüber dem Staat bindend, aber nicht vom Gericht zwangsweise gegenüber dem Einzelnen durchsetzbar ist, soweit sich nichts anderes aus dem gerichtseinsetzenden Vertrag ergibt. Beispiele für solche Befugnisse sind spärlich und überwiegend internationalen Gerichten älteren Datums zuerkannt worden.50 Beim IGH, ISGH, IUSCT und dem WTODSB fehlt eine solche Kompetenz ganz. 47
Watts, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 289 (298); Shaw, International Law (2003), 985; Highet, AJIL 81 (1987), 1 (10). 48
Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (215). Vgl. im Gegensatz Art. 30 EuGHStatut. 49
Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 182: „bolder use of their inherent powers“. 50
So z.B. Art. VII der Boundary Convention between the United States and Mexico vom 2. März 1889, AJIL 5 (1911), Supplement, 121 (123 f.): “The International Boundary Commission shall have the power to call for papers and information, and it shall be the duty of the authorities of each of the two countries to send it any papers that it may call for, relating to any boundary question in which it may have jurisdiction in pursuance of this convention. The said commission shall have power to summon any witness whose testimony it may think proper to take, and it shall be the duty of all persons thus summoned to appear before the same and to give their testimony, which shall be taken in accordance with such by-laws and regulations as may be adopted by the commission and approved by both governments. In case of the refusal of a witness to appear, he shall be compelled to do so, and to this end the commission may make use of the same means that are used by the courts of the respective countries to compel the attendance of witnesses, in conformity with their respective laws.” Siehe auch: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 295 ff.
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Anderes gilt nur für den JStGH und den EuGH. Die Kammern des JStGH können strafbewehrte Zeugenladungen aussprechen.51 Allerdings hat der JStGH – und auch hier wird der Unterschied zwischen Bindungswirkung und Durchsetzbarkeit deutlich – keine Durchsetzungsmöglichkeiten, wenn sich die betreffende Person nicht bereits in Haft befindet.52 Auch der EuGH und das EuG haben Zwangsbefugnisse gegenüber Zeugen (Art. 48 § 2 EuGH-VerfO, Art. 69 § 2 EuGVerfO). Nach Art. 27 EuGH-Statut kann der Gerichtshof nach Maßgabe der Verfahrensordnung gegenüber ausbleibenden Zeugen „die den Gerichten allgemein zuerkannten Befugnisse ausüben und Geldbußen verhängen“.
C. Durchsetzung von Beweisanordnungen in Kooperation mit nationalen Behörden und Gerichten Grundsätzliche rechtspolitische Überlegungen zum Verhältnis zwischen internationalen und nationalen Gerichten sprechen für eine Kooperation der beiden Ebenen in der Beweissammlung.53 Jedoch ist die Frage der Rechtshilfe nationaler zugunsten internationaler Gerichte bisher kaum diskutiert worden. Die innerstaatliche Durchsetzung und Vollstreckbarkeit der Entscheidungen internationaler Gerichte bezieht sich ausschließlich auf Urteile.54 Hier soll die Diskussion auf beweisrechtliche Beschlüsse internationaler Gerichte ausgeweitet werden, insbesondere auf Zeugenladungen, Sachverständigenbestellungen sowie Anordnungen zur Herausgabe von Dokumenten. Spezielle völker(vertrags)rechtliche Normen zur Durchsetzung verfahrensrechtlicher Entscheidungen internationaler Gerichte in zwischenstaatlichen Streitigkei-
51
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 48. So auch: JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Radislav Krstić, Case IT-9833-A, Decision on Application for Subpoenas, 1. Juli 2003, Ziff. 19. 52
William A. Schabas, The UN International Criminal Tribunals (2006),
469. 53 54
Martinez, Stanford Law Review 56 (2003-2004), 429 (498).
Mosler, Hastings ICLR 4 (1980-1981), 425 ff.; Oellers-Frahm, ZaöRV 36 (1976), 654 ff.
340
Kapitel 6
ten sind nicht ersichtlich, auch wenn z.B. gerade im Bereich der Beweisaufnahme ein offensichtlicher Bedarf besteht:55 “[With regard to] existing international arrangements for international judicial assistance and the relations between national courts and duly established international Courts … one cannot fail to be struck by the virtually complete absence of internationally accepted procedures governing evidence and more particularly the evidence of witnesses in non-criminal litigation, in comparison with what is provided for [international] criminal litigation.”56 Dabei kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: Erstens kann eine Streitpartei (also ein Staat) vor den Gerichten oder Behörden des jeweils anderen Staates um die Durchsetzung ersuchen (dazu I.), andererseits kann das internationale Gericht dies übernehmen (dazu II.).
I. Anwendbarkeit bzw. Vollstreckbarkeit prozessualer Entscheidungen und Anordnungen internationaler Gerichte in nationalen Rechtsordnungen? Zunächst fragt sich, ob Beweisbeschlüsse internationaler Gerichte in dem Sinne unmittelbar anwendbar bzw. vollstreckbar sind, dass Parteien zwischenstaatlicher Streitigkeiten sie unter Anspruchnahme nationaler Gerichte durchsetzen können. Unter dem Begriff „unmittelbare Anwendbarkeit“ („direct effect“ oder „self-executing norm“) völkerrechtlichen Primär- und Sekundärrechts wird die Geltung und Anwendbarkeit im nationalen Rechtsraum verstanden, ohne dass hierfür ein weiterer nationaler Umsetzungsakt (Transformation, Vollstreckbar-
55
Siehe etwa den Kommentar zur Draft Convention on Judicial Assistance (sog. Harvard Draft), AJIL Supp. 33 (1939), 15 (104): “The subject [of judicial assistance to the proceedings of international tribunals] is so obviously one of international concern, that it would be most inappropriate to omit it from a convention which attempts to regulate judicial assistance in general.” Rensmann, Anationale Schiedssprüche (1997), 74; Martinez, Stanford Law Review 56 (2003-2004), 429 (498). 56
Rosenne, LPICT 4 (2005), 523 (527): Rosenne betont auch die Notwendigkeit der Stärkung der Tatsachenfeststellungskompetenzen internationaler Gerichte.
Durchsetzung prozessualer Entscheidungen
341
erklärung) notwendig wäre.57 An der für diese Qualität regelmäßig geforderten Bestimmtheit und damit Geeignetheit zur direkten innerstaatlichen Anwendung wird es bei hier gegenständlichen prozessualen Entscheidungen internationaler Gerichte wie z.B. Vorlageanordnungen in der Regel nicht fehlen. Nach dem gemäßigten Dualismus bilden das Völkerrecht und nationale Rechtsordnungen zwei Schichten oder Ebenen des Rechts, die sich ergänzen und zu einer Einheit verbunden bzw. verwoben sind.58 Allerdings ist die genaue Abgrenzung der Sphären gerade im Bereich der innerstaatlichen Geltung internationaler Gerichtsentscheidungen nicht in allen Bereichen befriedigend geklärt.59 Die wissenschaftliche Diskussion über die unmittelbare Anwendbarkeit bzw. Vollstreckbarkeit der Entscheidungen internationaler Gerichte in nationalen Rechtsordnungen konzentriert sich im Wesentlichen auf Endurteile.60 Sie vollzieht sich zunächst anhand einiger weniger ausdrücklicher Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge, die die innerstaatliche Anerkennung und Vollstreckbarkeit solcher Urteile explizit vorsehen. Dazu gehören neben Art. 54 ICSID-Konvention,61 Art. 68 Abs. 2 AMRK62 und Art. 39 ISGH-Statut (Vollstreckbarkeit der Ent57
Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen (2000), Rn. 1704. Zum Verhältnis der Begriffe Anwendbarkeit und Geltung: Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 81 (103, Rn. 41). 58
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/1 (1989), 101.
59
Zur Frage der unmittelbaren Anwendung von Bestimmungen eines internationalen Vertrages siehe StIGH, Jurisdiction of the Courts of Danzig, Gutachten vom 3. März 1928, PCIJ Reports 1928, Ser. B, No. 15 (17 f.); Buergenthal, RdC 235 (1992), 303 (315 f., 322 ff.). 60
Siehe z.B. Schreuer, ICLQ 24 (1975), 153.
61
Zu Art. 54 ICSID-Konvention siehe: Lörcher, SchiedsVZ 3 (2005), 11 (20); Schöbener/Markert, ZVglRWiss 105 (2006), 65 (106 ff.); Alford, Virginia JIL 43 (2003), 675 (687 ff.). Art. 55 ICSID-Konvention stellt klar, dass staatliche (nicht: völkerrechtliche) Immunitätsregeln bezüglich der Vollstreckung weiter gelten (Schreuer, The ICSID Convention: A Commentary (2009), Article 55 [State Immunity], Rn. 13) und Schöbener/Markert, ZVglRWiss 105 (2006), 65 (107, Fn. 242)). Zum Verfahren in Frankreich: Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 841. 62
Art. 68 Abs. 2 AMRK lautet: “That part of a judgment that stipulates compensatory damages may be executed in the country concerned in accordance with domestic procedure governing the execution of judgments against the state.”
342
Kapitel 6
scheidungen der Kammer für Meeresbodenstreitigkeiten) auch die für Urteile des EuGH geltenden Art. 244, 256 EGV.63 Diese Normen stellen jedoch nach wohl vorherrschender Auffassung eine enge Ausnahme von der allgemeinen völkerrechtlichen Regel dar, dass Entscheidungen internationaler Gerichtsorgane – wie auch die internationaler Organisationen64 soweit sie nicht supranational sind65 – grundsätzlich nicht in nationalen Rechtsordnungen der von ihnen betroffenen Staaten unmittelbar gültig und anwendbar sind.66 Vorschläge zur generellen Voll-
63
Die Überprüfung durch die nationalen Behörden ist auf die Echtheit des Titels beschränkt. Die Vollstreckung von Urteilen gegen einen Mitgliedstaat ist freilich ausgeschlossen. Darin unterscheidet sich die Rechtslage beim EuGH von der vor dem IAGMR. Ausnahmen finden sich auch in einigen schiedsgerichtlichen Entscheidungen: Commission de conciliation franco-italienne, Répartition des biens des collectivités locales dont le territoire a été coupé par la frontière établie en vertu de l’article 2 du Traité de Paix, Entscheidung No. 163 vom 9. Oktober 1953, RIAA 13 (1964), 503 (549); Commission de conciliation franco-italienne, Différend Opere Pie, Entscheidungen No. 277 und 278 vom 4. Oktober 1960 und 29. November 1961, RIAA 16 (1969), 187 (192) und 192 (195). Hier ist dem Schiedsspruch eine Vollstreckungsformel angefügt. 64 Kunig, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 81 (148, Rn. 165); Furuya, NILR 47 (2000), 111 (115). Siehe auch: Wagner, ZaöRV 63 (2003), 879 (913 f.). 65
Die Durchgriffswirkung der Beschlüsse einer Organisation in die nationale Rechtsordnung wird allgemein als ein konstitutives Element ihrer Supranationalität betrachtet. Siehe die Definition bei Helfer/Slaughter, Yale Law Journal 107 (1997), 273 (289): „ability to penetrate the surface of the state“. 66
Mosler, Hastings ICLR 4 (1980-1981), 425 (449): “[T]he development of general international law … has not reached the point where the State concerned is legally bound to open its internal sphere of jurisdiction to the binding effect of international judicial decisions and other international acts.” Hallier, Völkerrechtliche Schiedsinstanzen für Einzelpersonen und ihr Verhältnis zur innerstaatlichen Gerichtsbarkeit (1962), 98; von Bogdandy, JWT 39 (2005), 45 (60): „narrow exceptions to the actual rule in international law“; Oellers-Frahm, in: ASIL-Proc. 89 (1995), 304 (305); Giardina, RdC 165 (1979 IV), 233 (247). Zur Gegenposition etwa: Schreuer, ICLQ 24 (1975), 153 (156): “With the gradual erosion of dualist ideas in academic writings came a growing recognition of the fact that international judicial decisions like other international norms were not just a matter between governments. … [T]heir obligatory character imposed itself on all branches of the State including the judiciary.” Ähnlich: Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 715.
Durchsetzung prozessualer Entscheidungen
343
streckbarkeit internationaler Schiedssprüche haben sich nicht durchsetzen können.67 Auch das IUSCT hat die unmittelbare Vollstreckbarkeit seiner Schiedssprüche in innerstaatlichen Rechtsordnungen abgelehnt,68 allerdings die Verpflichtung der Staaten aus dem Algier-Abkommen betont, dass “the awards of the Tribunal will be treated as valid and enforceable in their respective national jurisdictions”. Obgleich den Staaten ein Ermessen hinsichtlich des „Wie“ dieser Umsetzung zusteht, ist demnach das Fehlen jeglichen Durchsetzungsmechanismusses völkerrechtswidrig.69 Allerdings darf die Vollstreckungsmöglichkeit nicht weniger vorteilhaft sein, als bei der Anerkennung ausländischer Schiedssprüche.70 Die Vereinigten Staaten wurden daher im Fall A/27 vom IUSCT zu Schadensersatz verurteilt, weil sie die Durchsetzung der Urteile des Tribunals nicht gewährleisteten.71
67
So ordneten Art. XIV des ersten Entwurfs einer Konvention für das Schiedsverfahrensrecht (Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (150)) sowie Art. 36 des zweiten Entwurfs (ILC Yearbook 1951 II, 110 (119)) noch eine unmittelbare Anwendbarkeit gegenüber allen Staatsangehörigen und Staatsorganen an. Im endgültigen Entwurf taucht diese Formulierung nicht mehr auf, siehe Art. 26, Report of the International Law Commission Covering the Work of ist Fifth Session, 1 June14 August 1953, ILC Yearbook 1953 II, 200 (211) und Art. 30 der Model Rules, ILC Yearbook 1958 II, 85. 68
IUSCT, Islamic Republic of Iran v. United States of America (Case No. A21), Decision No. DEC 62-A21-FT, Beschluss (decision) vom 4. Mai 1987, IUSCTR 14 (1987-I), 324 (329): “The terms ‘final’ and ‘binding’, when used in instruments relating to international arbitrations, do not ordinarily mean that an award is self-enforcing. Rather, as is generally recognized, a ‘final’ and ‘binding’ award is one with which the parties must comply and which is ripe for enforcement. Thus, when a party fails to comply voluntarily with a final and binding arbitral award, the other party is free to seek enforcement of the award through municipal court procedures.” Siehe auch: Iran Aircraft Industries and Iran Helicopter and Renewal Company v. Avco Corporation, Urteil vom 24. Dezember 1992, 980 F.2d 141 (144 f.) (2d Cir. 1992). 69
Aghahosseini, The Global Community 3 (2003), 3 (11).
70
IUSCT, Islamic Republic of Iran v. United States of America (Case No. A21), Decision No. DEC 62-A21-FT, Entscheidung vom 4. Mai 1987, IUSCTR 14 (1987-I), 324 (331). 71
IUSCT, Islamic Republic of Iran v. United States of America (Case No. A27), Award No. 586-A27-FT, 5. Juni 1998, IUSCTR 34 (1998), 39. Dazu: Ag-
344
Kapitel 6
Eine unmittelbare Anwendbarkeit bzw. Vollstreckbarkeit prozessualer Entscheidungen und Anordnungen in der innerstaatlichen Rechtsordnung ist daher nach geltendem Völkerrecht erst recht ausgeschlossen. Zwar sind einige prozessuale Entscheidungen internationaler Gerichte in dem Sinne selbstvollstreckend („self-executory“), dass sie ihre Wirkung rein innerprozessual entfalten und daher keiner weiteren Durchsetzung in der innerstaatlichen Rechtsordnung bedürfen;72 daneben gibt es aber eine Reihe von Entscheidungen, zu deren Durchsetzung das Gericht schon faktisch auf die Kooperation der Parteien angewiesen ist, wie beispielsweise die Anordnung zur Vorlegung von Urkunden oder die Zeugenladung. Diese können von den Parteien nicht direkt vor nationalen Gerichten durchgesetzt werden; somit kommt der Frage der Rechtshilfeersuchen große Bedeutung zu.
II. Rechtshilfeersuchen durch das internationale Gericht oder Schiedsgericht an nationale Gerichte oder Behörden Mangels einer Durchsetzbarkeit von Beweisanordnungen durch die Parteien ist zu untersuchen, ob das internationale Gericht sich direkt an nationale Gerichte oder Behörden wenden kann, etwa um Vorlageverpflichtungen von Urkunden durchzusetzen.73 Es handelt sich hierbei also um die Frage der Möglichkeit der Rechtshilfe im Bereich der Beweisaufnahme, wie sie im zwischenstaatlichen Bereich Gegenstand des Internationalen Zivilprozessrechts ist.
hahosseini, The Global Community 3 (2003), 3 (13 ff.). Sehr kritisch, aber m.E. nicht überzeugend: Desai, ARIA 10 (1999), 229 (insb. 243 ff.). 72
Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 670; OellersFrahm, ZaöRV 36 (1976), 654 (656). Dazu zählen z.B. die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs, die Zulässigkeit von Beweismitteln, aber auch Beweiswürdigungsvorgänge. 73
Die Situation ist mit § 1050 ZPO vergleichbar, der freilich nur auf private Schiedsgerichte Anwendung findet (Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit (2005), Kapitel 17, Rn. 1).
Durchsetzung prozessualer Entscheidungen
345
1. Anwendbarkeit international-zivilverfahrensrechtlicher Staatsverträge in zwischenstaatlichen Verfahren Auch in Bezug auf die Anwendbarkeit international-zivilprozessrechtlicher Konventionen für den zwischenstaatlichen Prozess ist die Diskussion bisher vornehmlich im Bereich der Endurteile und Schiedssprüche geführt worden. Dabei ist beachtlich, dass durchaus vertreten wird, dass auch (End-)Urteile internationaler (Schieds-)Gerichte über Streitsachen aus zwischenstaatlichen Verträgen der privaten internationalen Schiedsgerichtsbarkeit unterfallen, sofern es sich beim Streitgegenstand nicht um Akte staatlicher Hoheitsgewalt, sondern actae iure gestionis handelt.74 Damit fiele die Vollstreckung unter das UNÜ vom 10. Juni 1958.75 Dies ist jedoch im Ergebnis abzulehnen, da es sich bei der Pflicht zur Umsetzung von Schiedssprüchen internationaler Gerichte um eine obligation of result handelt und daher nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Staaten die Vollstreckung dieser Urteile dem Regime des UNÜ unterstellen wollten.76 Auch spricht die Verhandlungsgeschichte zum UNÜ gegen eine Anwendbarkeit auch bei zwischenstaatlichen Verfahren.77 Darüber hinaus ist das Abkommen auf prozessuale Zwischenentscheidungen, also auch auf Beweisanordnungen, nicht anwendbar.78 Schon daraus folgt, dass auch Beweisbeschlüsse nicht unter das UNÜ fallen.79 Ähnliche Überlegungen spielen aber auch für das HBÜ eine Rolle, dessen sachlicher Anwendungsbereich ohnehin auf die schmale Sparte der zivil- oder handelsrechtlichen Streitsachen begrenzt ist. Art. 1 des Übereinkommens spricht von „judicial authority of a Contracting Sta74
Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit (2005), 361 f. Skeptisch zur Anwendung des acta iure gestionis-Grundsatzes bei der innerstaatlichen Durchsetzung des Urteils Reisman, Nullity and Revision, The Review and Enforcement of International Judgments and Awards (1971), 820 f. 75
O’Connell, Virginia JIL 30 (1990), 891 (917 ff.; 936); Schreuer, Die Behandlung internationaler Organakte durch staatliche Gerichte (1977), 199. 76
Rensmann, Anationale Schiedssprüche (1997), 234 ff. Im Ergebnis auch: Musielak/Voit, § 1061 ZPO, Rn. 3: Völkerrechtliche Schiedssprüche sind keine Schiedssprüche nach § 1061 ZPO und dem UNÜ. 77 78 79
Alford, Virginia JIL 43 (2003), 675 (708). Zöller/Geimer, § 1061 ZPO, Rn. 14.
Mosk, RdC 304 (2003), 9 (93); Webster, Arbitration International 17 (2001), 41 (42): auch keine Qualifikation als „Schiedsspruch“ i.S.d. Übereinkommens.
346
Kapitel 6
te“, so dass es auf ein internationales Gericht nicht anwendbar ist.80 Gleiches gilt für Art. 15 HBÜ. Das HBÜ kommt daher für die hier untersuchten zwischenstaatlichen Verfahren grundsätzlich nicht in Betracht.81
2. Rechtshilfeersuchen aufgrund vertraglicher Ermächtigung und nach allgemeinem Völkerrecht Eine allgemeine Regel, die der des § 1050 ZPO oder anderer nationaler Schiedsgerichtsgesetze entspräche, nach der die Rechtshilfe staatlicher Gerichte oder Behörden in Anspruch genommen werden könnte, gibt es im internationalen Bereich nicht.82 Lediglich einige ältere gemischte Schiedsgerichte konnten auf Vorschriften zurückgreifen, die sie zur Inanspruchnahme von Rechtshilfe durch nationale Behörden und Gerichte ermächtigten.83 Auch die ICSID-Konvention, die Endurteilen in Art. 54 immerhin unmittelbare Vollstreckbarkeit zukommen lässt, ent80
Gleiches gilt für nationale private Schiedsgerichte, siehe etwa FischerZernin/Junker, Journal of International Arbitration 4 (2) (1987), 9 (28); Hunter, ARIA 3 (1992), 204 (207). 81
So auch: Pinto, IDI Annuaire 70 I (2002-2003), 150 (155).
82
§ 1050 ZPO soll gerade ausgleichen, dass dem Schiedsgericht jede Zwangsgewalt fehlt und es insbesondere keine Zwangsbefugnisse gegenüber Zeugen oder Sachverständigen hat (Zöller/Geimer, § 1050 ZPO, Rn. 1); Ähnliche Regelungen finden sich etwa in Sections 43, 44 des English Arbitration Act 1996 und Section 7 des US Federal Arbitration Act. 83
Art. XII des Treaty between the United States and Great Britain Respecting Boundary Waters between the United States and Canada Vertrag vom 11. Januar 1909; AJIL 4 (1910), Supplement: Official Documents, 239 (247). Dazu: Anderson, AJIL 27 (1933), 498 ff. und Jessup, ABA Journal 20 (1934), 55 ff. Siehe auch Art. 53 der VerfO des französisch-deutschen gemischten Schiedsgerichts vom 2. April 1920, Recueil des décisions des Tribunaux arbitraux mixtes institués par les Traités de paix, Bd. 1 (1922), 44 (51); Art. 22 der VerfO der Schiedskommission für Güter, Rechte und Interessen in Deutschland, in: Euler (Hrsg.), Entscheidungen der Schiedskommission für Güter, Rechte und Interessen in Deutschland, Bd. 1 (1958), 91 (95): „Die Kommission kann auf Antrag der Parteien oder von Amts wegen die Vorlegung von Urkunden und sonstigen Beweismitteln verlangen, Zeugen vorladen und anordnen, dass Gutachten erstattet und Ermittlungen angestellt werden. Zu diesem Zweck kann sie die Gerichte der Unterzeichnerstaaten oder der beigetretenen Staaten um Rechtshilfe ersuchen.“ Zum ganzen Simpson/Fox, International Arbitration, Law and Practice (1959), 203 f.
Durchsetzung prozessualer Entscheidungen
347
hält keine Vorschrift, nach der ein Schiedsgericht nationale Behörden oder Gerichte um Rechtshilfe bei der Beweiserhebung ersuchen könnte.84 Festzuhalten ist weiter, dass Kooperations- und Durchsetzungsabkommen mit einzelnen Staaten, denen zufolge internationale Gerichte nationale Einrichtungen um Rechtshilfe ersuchen können, nicht existieren.85 Dieser Befund steht in auffälligem Gegensatz zur internationalen Strafgerichtsbarkeit, deren Statuten explizit Rechtshilfeersuchen vorsehen (vgl. etwa Art. 28 JStGH-Statut und Art. 28 RStGH-Statut). So sind Mitgliedstaaten zum IStGH-Statut nach Art. 88 gehalten, innerstaatliche Verfahren für alle im Statut vorgesehenen Formen der Zusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Damit ist zugleich klargestellt, dass den völkerrechtlichen Vorgaben nicht genügende Verfahren völkerrechtswidrig sind, da sich ein Staat nicht auf Unzulänglichkeiten seines Verfahrensrechts berufen kann.86 Allerdings zeigt das IStGH-Statut gerade in Bezug auf Zeugen hier auch deutliche Schwächen. Trotz fehlender Kompetenznormen wird hinsichtlich verschiedener internationaler Gerichte vertreten, dass Rechtshilfeersuchen nach allgemeinen Grundsätzen möglich sein sollen. Konkrete Vorschläge in diese Richtung finden sich etwa beim EGMR.87 Auch wird mit Hinweis auf Art. 26 Abs. 3 IUSCT-VerfO vertreten, dass Art. 24 Abs. 3 IUSCT-
84
Schreuer, The ICSID Convention: A Commentary (2009), Article 43 [Evidence], Rn. 52. 85
Dies kritisiert Rosenne, LPICT 4 (2005), 523 (527) mit Blick auf die Situation vor dem IStGH: “The Rome Statute coupled with the Rules of Procedure and Evidence contains strong provisions regarding international co-operation and judicial assistance. … It now appears to be of increasing importance to strengthen the powers of other international courts and tribunals, including the International Court of Justice and different ad hoc tribunals, in all matters connected with witnesses and the taking of evidence. Some remedy for perjury should be put in place, probably, as in the case of the International Criminal Court, through national jurisdictions.” 86
Meißner, Die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof nach dem Römischen Statut (2003), 44. Anders wurde dies wohl noch hinsichtlich des zitierten Art. 23 des I. Haager Abkommens von 1907 gesehen. Hier wurde im Konferenzbericht festgehalten, dass ein Staat nicht verpflichtet sein sollte, neue Bestimmungen einzuführen, die Rechtshilfe ermöglichten (Wehberg, Kommentar zu dem Haager „Abkommen betreffend die friedliche Erledigung internationaler Streitigkeiten“ vom 18. Oktober 1907 (1911), 36). 87
Velu, in: FS-Ryssdal (2000), 1511 (1512 f.).
348
Kapitel 6
VerfO es dem Tribunal und – mit Einverständnis des Gerichts – auch den Parteien selbst erlaube, vor nationalen Gerichten die Anordnung der Herausgabe von Urkunden zu beantragen.88 Die Frage, ob mangels vertraglicher Abreden ein Anfragen bei nationalen Gerichten und Behörden durch internationale Gerichte zulässig sind, ist jedoch weder in den verfahrensrechtlichen Texten noch in der Praxis beantwortet. Gegen eine Befugnis internationaler Gerichte, mangels Ermächtigung im gerichtseinsetzenden Vertrag ein formelles Rechtshilfeersuchen an nationale Gerichte oder Behörden zu richten, spricht, dass die Staaten eine dem HBÜ entsprechende Konvention hätten abschließen bzw. das HBÜ auf zwischenstaatliche Gerichte ausdehnen können, dies aber nicht getan haben.89 Die Harvard Draft Convention on Judicial Assistance, deren Teil VI die Rechtshilfe für internationale Gerichte regeln sollte und diese Lücke hätte füllen können, trat nie in Kraft. Auch die Verhandlungen über das Zusammenarbeitsregime des internationalen Strafgerichtshofs sind ein Beispiel dafür, wie schwierig und problematisch eine Einigung hinsichtlich der Verfahren sein kann, mittels derer internationale Gerichte die Hilfe nationaler Behörden und Gerichte in Anspruch nehmen können. Wie im Bereich der zwischenstaatlichen Rechtshilfe spielen Souveränitätsbedenken eine entscheidende Rolle. Daher ist davon auszugehen, dass mangels anderweitiger vertraglicher Vereinbarung internationale Gerichte und Schiedsgerichte keine Befugnis haben, nationale Gerichte oder Behörden unmittelbar um Rechtshilfe zu ersuchen.
88
Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 579, die darauf verweisen, dass die in Art. 26 Abs. 3 IUSCTVerfO festgelegte Möglichkeit, parallel zum Verfahren vor dem IUSCT einstweilige Anordnungen in nationalen Gerichten zu erwirken, stärker in die Position der Gegenpartei eingreife als Maßnahmen der Beweisaufnahme. 89 Zur parallelen Argumentation für das UNÜ: Rensmann, Anationale Schiedssprüche (1997), 237.
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D. Allgemeine staatliche Umsetzungspflicht und Gegenmaßnahmen I. Umsetzungspflicht prozessualer Entscheidungen Angesichts der mangelnden Durchsetzungsmechanismen internationaler Gerichte wird oft angenommen, die Umsetzung vollstreckungsbedürftiger prozessualer Entscheidungen liege letztlich im freien Ermessen der Parteien.90 Eine Umsetzung folgte damit nicht etwa einer Rechtspflicht, sondern stellte eine freiwillige Leistung des Staates dar. Als Vergleichsgröße kann etwa die zwischenstaatliche Rechtshilfe dienen, bei der nach allgemeinem Völkerrecht ebenfalls keine Kooperationspflicht besteht, sondern lediglich nach den Grundsätzen der Courtoisie verfahren wird.91 Eine solche Auffassung mag angesichts der Tatsache verständlich sein, dass die explizite Statuierung einer völkerrechtlichen Pflicht zur Gewährung von Rechtshilfe kaum zu finden ist. Befriedigend ist diese „Freiwilligkeitslösung“ freilich unter Effektivitätsgesichtspunkten schon deshalb nicht, weil es danach im Ermessen einzelner Staaten stünde, ob und unter welchen Umständen sie den Anordnungen internationaler Gerichte Folge leisten wollen. Auch unterscheidet sich die Ausgangslage fundamental von der nach allgemeinem Völkerrecht nicht obligatorischen zwischenstaatlichen Rechtshilfe: Während Staaten nach allgemeinem Völkerrecht nicht zur Leistung von Rechtshilfe verpflichtet sind, trifft die Parteien eines internationalen Rechtsstreits die Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem Gericht; es handelt sich der Sache nach nicht um horizontale, sondern um vertikale Kooperation.92 Insofern fragt sich, ob sich nicht durch Auslegung der gerichtseinsetzenden Verträge bzw. aus Völkergewohnheitsrecht eine Umsetzungspflicht prozessualer Entscheidungen herleiten lässt. Art. 23 Abs. 2 und 3 der I. Haager Konvention von 1907, die zwar streng genommen nur für die im Dritten Titel geregelten Internationalen Untersuchungskommissionen gilt, die aber auch zur Auslegung und Konkretisierung des Art. 75 des Übereinkommens herangezogen wur-
90
Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 670: „effect is to underline … the essentially voluntary nature of the proceedings“. 91 92
Geimer, Internationales Zivilprozessrecht (2005), Rn. 3631. Ambos, Internationales Strafrecht (2008), § 8, Rn. 53.
350
Kapitel 6
de, ordnet eine solche Pflicht explizit an.93 Auch Art. 76 Abs. 2 der I. Haager Konvention von 1907 macht deutlich, dass es eine Umsetzungsund Durchsetzungspflicht gibt.94 Auch wenn diese explizite Durchsetzungsverpflichtung für das Verfahren vor dem IGH weggefallen ist (vgl. Art. 44 IGH-Statut),95 gilt allgemein, dass Entscheidungen internationaler Gerichte – wie die internationaler Organisationen – von Staaten beachtet werden müssen, wenn und soweit sie für sie bindend sind.96 Bereits aus dem Grundsatz der Vertragstreue gegenüber der betreffenden internationalen Organisation folgt, dass die Mitgliedstaaten dem primären und sekundären Recht der Organisation auch im innerstaatlichen Recht Geltung verschaffen.97 In aller Regel steht zwar die Art und Weise der Umsetzung im einzelstaatlichen Ermessen, nicht jedoch das „Ob“. Nichts anderes kann im Bereich des Prozessrechts internationaler Gerichte gelten: Dass prozessuale Entscheidungen des Gerichts in aller Regel für die Parteien bindend sind, ist oben nachgewiesen worden. Damit trifft die Staaten auch die Pflicht zur Befolgung und damit auch zur innerstaatlichen Umsetzung („vertikale Kooperationspflicht“). Diese Pflicht trifft zunächst nur die Streitparteien selbst, nicht jedoch 93
Schindler, Die Schiedsgerichtsbarkeit seit 1914 (1938), 153; Wehberg, Kommentar zu dem Haager „Abkommen betreffend die friedliche Erledigung internationaler Streitigkeiten“ vom 18. Oktober 1907 (1911), 134 f.: „[U]nter den für die Entscheidung der Streitigkeit notwendigen Mitteln sind auch diejenigen zu verstehen, die nach der inneren Gesetzgebung der Parteien angewandt werden können, um das Erscheinen der vor das Schiedsgericht geladenen Zeugen und Sachverständigen herbeizuführen.“ 94
In Absatz 2: “The requests for this purpose are to be executed as far as the means at the disposal of the Power applied to under its municipal law allow. They cannot be rejected unless the Power in question considers them calculated to impair its own sovereign rights or its safety.” Dazu: Schindler, Die Schiedsgerichtsbarkeit seit 1914 (1938), 153. 95
Daher die Anregung von Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 3 (2006), 1325, Fn. 139, der Art. 76 Abs. 2 des I. Haager Abkommens als nützliche Ergänzung des Art. 44 IGH-Statut bezeichnet. 96
Für Gerichtsentscheidungen (Endurteile): Mosler, Hastings ICLR 4 (1980-1981), 425 (449); Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht (1984), § 869 (S. 556). Dies ergibt sich bereits aus dem Konsensprinzip, aber auch nach Völkergewohnheitsrechts: Schachter, AJIL 54 (1960), 1 (2). 97 Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen (2000), Rn. 1701.
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351
Drittstaaten. Dies gilt nicht nur für ad hoc-Schiedsgerichte, an deren Errichtung regelmäßig nur zwei Staaten beteiligt sind, sondern auch für ständige internationale Gerichte wie insbesondere den IGH, obwohl das Statut selbst ein nahezu universal geltender multilateraler Vertrag ist.98 Lediglich im Bereich der WTO-Streitbeilegung ist eine Ausdehnung auch auf Dritte, nicht am Rechtsstreit Beteiligte anzunehmen. Innerstaatliche Normen, die diese Pflicht zur Rechtshilfe allgemein umsetzen und bestätigen, sind jedoch rar gesät.99 Prominentes Beispiel ist 28 U.S.C. § 1782, der US-amerikanische Bundesgerichte ermächtigt, (auch) internationalen Gerichten Rechtshilfe zu leisten.100 Nach der Rechtsprechung mancher amerikanischer Gerichte bezieht sich diese Norm sogar ausschließlich auf zwischenstaatliche Gerichte, und zwar auch auf solche, an deren Errichtung die Vereinigten Staaten nicht beteiligt sind.101 Sie ist jedoch nach der neueren Rechtsprechung des Supreme Court auch auf nationale Gerichte anwendbar.102 Daneben können die Parteien auch ohne Einschaltung des Prozessgerichts nach der Norm vorgehen und etwa ein discovery-Verfahren betreiben.103 98
Art. 10 der Draft Convention on Judicial Assistance (sog. Harvard Draft), sah eine Kooperationspflicht auch solcher Staaten vor, die nicht Streitparteien waren. Darüber hinaus sollten sogar diejenigen Staaten zur Rechtshilfe verpflichtet sein, die dem Statut des Gerichts nicht beigetreten waren: AJIL Supp. 33 (1939), 15 (107). 99
In Deutschland existierte, soweit ersichtlich, nur einmal eine entsprechende Vorschrift: § 1, 2 der Verordnung zur Ausführung des deutsch-amerikanischen Abkommens vom 10. August 1922 vom 28. Juni 1923, RGBl. II 1923, 299. Dazu: Anderson, AJIL 27 (1933), 498 (500) und Jessup, ABA Journal 20 (1934), 55 ff. 100 Die Norm geht zurück auf die Besorgnis des Ausbleibens von Zeugen im I’m Alone Case, dazu Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 296 ff. Zur Geschichte der Vorgängernorm(en) siehe Smit, Columbia Law Review 62 (1962), 1264 sowie Intel Corp. v. Advanced Micro Devices, Inc. 542 U.S. 241, 124 S.Ct. 2466, 159 L.Ed.2d 355 (2004). 101
US Court of Appeals (2nd Circuit), National Broadcasting Co. v. Bear Stearns & Co., 165 F.3d 184 (189). Zu dieser Rechtsprechung: Webster, Arbitration International 17 (2001), 41 (51 f.). 102 103
Kraayvanger/Richter, RIW 2007, 177.
Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht (2006), Rn. 742. Siehe hierzu auch: Methanex Corp. v. United States, Final Award of the Tribunal on Jurisdiction and Merits, Schiedsspruch vom 3. August 2005, Part II – Chapter G, insb. Ziff. 6 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>).
352
Kapitel 6
II. Gegenmaßnahmen Zur Durchsetzung von prozessualen Entscheidungen – soweit völkerrechtlich bindend – kommen auch die klassischen dezentralen völkerrechtlichen Durchsetzungsmechanismen in Betracht.104 So kann ein Staat, der von der Nichtbeachtung des Urteils eines internationalen Gerichts betroffen ist, unter den in Art. 22 und 49 ff. der ILC Articles on State Responsibility genannten Voraussetzungen Gegenmaßnahmen ergreifen.105 Dazu gehört auch der Zugriff auf das Vermögen des Schuldners.106 Es spricht nichts dagegen, denselben Mechanismus auch zur Durchsetzung prozessualer Entscheidungen internationaler Gerichte anzuwenden.107 In der Praxis dürfte dies jedoch kaum vorkommen.
E. Ergebnis 1. Innerprozessuale Sanktionen sind zwar grundsätzlich möglich, jedoch sind ihre Voraussetzungen und Wirkungen in der Rechtspraxis bisher nicht hinreichend geklärt. Sie werden daher nicht wirksam angewandt. 2. Zwangsbefugnisse gegenüber Einzelnen bestehen nicht. Zeugenladungen können daher nicht zwangsweise durchgesetzt werden. 3. Eine Durchsetzung der vollstreckungsfähigen beweisrechtlichen Anordnungen durch die Staaten vor den Gerichten des jeweils anderen Staates ist aufgrund des HBÜ oder des UNÜ nicht möglich.
104
Anders wohl Biehler, Procedures in International Law (2008), 44, nach dem die Nichtbefolgung von Beschlüssen des IGH nach Art. 49 IGH-Statut mangels Bindungswirkung nicht zur Staatenverantwortlichkeit führt. 105
Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 839; Ipsen/ Fischer, Völkerrecht (2004), § 62, Rn. 34, 48. 106 107
Oellers-Frahm, ZaöRV 36 (1976), 654 (657 f.).
In Bezug auf den IStGH: Cassese, EJIL 10 (1999), 144 (166) und Swart/Sluiter, in: FS-Bos (1999), 91 (123); Ciampi, in: Cassese u.a. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1607 (1635 f.). Dass militärische Maßnahmen nicht zur Durchsetzung in Frage kommen, ist unstrittig: Neben einem Verstoß gegen ius cogens bestünde die Gefahr, dass schwache Staaten stets in der Durchsetzung ihrer Rechte benachteiligt würden.
Durchsetzung prozessualer Entscheidungen
353
4. Internationale Gerichte haben mangels ausdrücklicher Normierung im gerichtseinsetzenden Vertrag und ohne entsprechende nationale Umsetzungsgesetzgebung in zwischenstaatlichen Streitigkeiten grundsätzlich nicht die Befugnis, nationale Behörden oder Gerichte um Rechtshilfe zu ersuchen. 5. Die Parteien trifft hinsichtlich der sie bindenden prozessualen Beschlüsse internationaler Gerichte jedoch grundsätzlich eine Umsetzungspflicht. Sie haben daher nach dem innerstaatlichen Recht dafür zu sorgen, dass vom internationalen Gericht geladene Zeugen erscheinen, dass Sachverständige Gutachten erstellen und dass Dokumente herausgegeben werden, deren Vorlage wirksam angeordnet ist.
Siebtes Kapitel: Beweisaufnahme und Beweismittel im internationalen Prozess Die Beweisaufnahme erfolgt im internationalen Prozess weniger formalisiert als in den nationalen Rechtsordnungen. Dennoch haben sich Grundsätze herausgebildet, die im Folgenden näher untersucht werden sollen. Dabei wird zunächst auf den Gegenstand der Beweisaufnahme eingegangen (unter A.), anschließend die Zulässigkeit der Beweisaufnahme untersucht (unter B.), ihre Organisation beschrieben (unter C.), bevor einzelne Beweismittel im internationalen Prozess näher beleuchtet werden (unter D.).
A. Gegenstand der Beweisaufnahme I. Einführung Einigkeit besteht insoweit, als Beweisgegenstand im internationalen Prozess in erster Linie Tatsachen sind.1 Tatsachen müssen von den Parteien vorgetragen und, falls erforderlich, bewiesen werden.2 Obwohl internationale Gerichte ein Erfordernis der Schlüssigkeit des Vortrags nicht ausdrücklich aufgestellt haben, liegt den Entscheidungen ein solches implizit zugrunde.3 Fraglich ist jedoch, ob sich die Erforderlichkeit des Beweises auf Tatsachen beschränkt. Daher ist die Geltung des Rechtssatzes iura novit curia im Völkerprozessrecht zunächst allgemein zu untersuchen (II.) und mit Hinblick auf die einzelnen Rechtsquellen (das Vertragsrecht (III.), das Völkergewohnheitsrecht (IV.) sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze (V.)) zu konkretisieren. Eine Besonderheit im Völkerprozessrecht
1
Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (202); Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (81). 2
Bethlehem, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 175 (186 f.); Mani, International Adjudication, Procedural Aspects (1980), 188. 3
Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 530.
M. Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 215, DOI 10.1007/978-3-642-11647-6_7, © by Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
355
356
Kapitel 7
stellt schließlich die Einordnung nationalen Rechts als Tatsache dar (VI.).
II. Der Grundsatz iura novit curia Nach überwiegender Meinung in der internationalen Rechtsprechung wie in der Literatur gilt das Prinzip iura novit curia auch in internationalen Gerichtsverfahren. Das vom internationalen Gericht oder Schiedsgericht anzuwendende Recht ist also im Grundsatz nicht von den Parteien vorzutragen oder zu beweisen, sondern es ist Aufgabe des Gerichts, die sachverhaltsrelevanten Normen zu kennen, auszulegen und auf den Sachverhalt anzuwenden, um die Begründetheit der Anträge der Parteien zu prüfen.4 So urteilte der IGH im Fisheries JurisdictionFall, dass er nicht nur im Säumnisverfahren nach Art. 53 IGH-Statut das geltende Recht selbst kennen müsse: “The Court however, as an international judicial organ, is deemed to take judicial notice of international law, and is therefore required in
4
Siehe bereits StIGH, Lotus Case, Ser. A No. 10, 31. Siehe auch: Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (29); Kossi Galley, Revue de la recherche juridique – Droit prospectif 105 (2004), 2523 (2540); Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 50. Anders jedoch: Reuter, Le développement de l’ordre juridique international (1995), 540. Anders offenbar auch: Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 1 (1986), 139 (Fn. 3) und 142 (Fn. 2); Bd. 2 (1986), 576. Fitzmaurice macht sich das Argument des Vereinigten Königreichs im Fisheries Jurisdiction-Fall zu eigen, in dem das Vereinigte Königreich argumentiert hatte, dass die zufällige Rollenverteilung in Kläger und Beklagten nicht dazu führen dürfe, dass bei einer Unklarheit über die anwendbaren Rechtsregeln der Kläger ob seiner Beweislast für ihre Existenz stets verlieren müsse. Dies ist jedoch schon deshalb nicht richtig, weil es auf die prozessuale Stellung der Parteien bei der Beweislastverteilung nicht ankommt (siehe Kapitel 9). Bereits in den Vorbereitungsarbeiten zu den ILC Model Rules on Arbitral Procedure hatte Scelle vorgeschlagen, beim Nachweis anwendbaren Rechts eine Kooperation zwischen Parteien und Gericht anzunehmen (Scelle, Second Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/46, ILC Yearbook 1951 II, 110 (118): Article 24 (3): «La preuve des règles de droit applicables, même lorsqu’il s’agit de règles de droit interne, n’est pas exclusivement à la charge des Parties. Le Tribunal peut collaborer avec elles afin de la fournir.»). Dies wurde jedoch später abgelehnt: Decaux, Juris-classeurs de droit international, Bd. 4, Fasc. 248, 8 (Ziff. 23). Einen anderen, wohl so nicht richtigen Inhalt des Prinzips vertritt Gomes Rocha, The International Tribunal for the Law of the Sea (2001), 122.
Beweisaufnahme und Beweismittel
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a case falling under Article 53 of the Statute, as in any other case, to consider on its own initiative all rules of international law which may be relevant to the settlement of the dispute. It being the duty of the Court itself to ascertain and apply the relevant law in the given circumstances of the case, the burden of establishing or proving rules of international law cannot be imposed upon any of the Parties, for the law lies within the judicial knowledge of the Court.” 5 Der Grundsatz gilt auch vor anderen internationalen Gerichten, insbesondere im Verfahren vor den WTO-Panels und dem Berufungsgremium.6 So entschied das Appellate Body im Fall EC – Tariff Preferences: “Consistent with the principle of iura novit curia, it is not the responsibility of the European Communities to provide us with the legal interpretation to be given to a particular provision in the Enabling Clause; instead, the burden of the European Communities is to adduce sufficient evidence to substantiate its assertion that the Drug Arrangements comply with the requirements of the Enabling Clause.”7 Scheinbar anders ist allerdings eine spätere Entscheidung des Berufungsgremiums zu verstehen, nach der sich die Funktion des prima facie case nicht nur auf die tatsächliche, sondern auch auf die rechtliche „Bringschuld“ des Klägers bezieht. Im Fall US – Gambling, führt das Appellate Body aus: “A prima facie case must be based on ‘evidence and legal argument’ put forward by the complaining party in relation to each of the ele5
IGH, Fisheries Jurisdiction Case (UK) (Merits), ICJ Rep. 1974, 3 (9, Ziff. 17) (Hervorh. d. Verf.). IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (24 f., Ziff. 29). Siehe auch: StIGH, Case Concerning the Jurisdiction of the International Commission of the Oder (Submissions), Urteil vom 15. August 1929, Series A, No. 23, 19. Ähnlich: IGH, Border and Transborder Armed Actions (Nicaragua v. Honduras), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 20. Dezember 1988, ICJ Rep. 1988, 69 (76, Ziff. 16). 6
Mavroidis, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), Max Planck CWTL 2 (2006), Article 11 DSU, Rn. 3; Mavroidis, in: Ortino/Petersmann (Hrsg.), The WTO Dispute Settlement System 1995-2003 (2004), 153 (167); Waincymer, WTO Litigation (2002), 537; Martha, Journal of International Arbitration 14 (1997), 67 (68); Gherari, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 69 (84 f.). 7
DSB, EC – Tariff Preferences (AB), Ziff. 105 (Fußnoten fehlen). Zustimmend: Pauwelyn, WTR 3 (2004), 239 (257); Bartels, in: Cottier/Pauwelyn/Bürgi Bonanomi (Hrsg.), Human Rights and International Trade (2005), 463 (475).
358
Kapitel 7
ments of the claim. A complaining party may not simply submit evidence and expect the panel to divine from it a claim of WTOinconsistency. Nor may a complaining party simply allege facts without relating them to its legal arguments.”8 Diese Aussage geht weiter als die Argumentation des Berufungsgremiums im EC – Tariff Preferences-Fall, indem sie dem Kläger auch auferlegt, sich auf konkrete Normen zu beziehen und die behaupteten Tatsachen hierunter zu subsumieren. Einmal mehr zeigt sich hier die Bedeutungsvielfalt des Begriffs „prima facie case“. Die Rechtsprechung bestätigt hier das Erfordernis eines konkreten Antrags zur Festlegung des Streitgegenstandes (Art. 7 DSU), der aufgrund der Einbeziehung konkreter rechtlicher Normen als dreigliedrig beschrieben werden kann,9 und die Prozessförderungspflicht der Parteien. Eine Beweislast für Rechtsverletzungen als solche gibt es jedoch auch im WTO-Recht nicht.10 Entsprechend anerkennt das WTO-Berufungsgremium, dass Panels nicht darauf beschränkt sind, die von den Parteien vorgebrachten rechtlichen Argumente zu analysieren und auf ihrer Basis eine Entscheidung zu treffen, sondern dass sie zur Entwicklung einer eigenen, völlig unabhängigen rechtlichen Beurteilung des Falles befugt und unter Umständen sogar verpflichtet sind, um ihren in Art. 11 DSU niedergelegten Auftrag zu erfüllen.11 Im Grundsatz gilt das Prinzip der Rechtskenntnis des Gerichts für alle Rechtsquellen des Völkerrechts, zu deren Anwendung das jeweilige Gericht befugt ist. Allerdings zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass die Regel der Präzisierung bedarf. Dies ergibt sich daraus, dass die Parteien in ungleich stärkerem Maße als im Verfahren nach nationalem Recht die Möglichkeit haben, auf das vom Gericht anwendbare Recht
8
DSB, US – Gambling (AB), Ziff. 140.
9
Weber, WTO-Streitbeilegung und EuGH im Vergleich (2007), 173 f. Verletzungen weiterer Normen dürfen dann nicht überprüft werden, sind also ultra petita: DSB, Chile – Price Band System (AB), Ziff. 168. 10 11
Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (242).
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 156: “[N]othing in the DSU limits the faculty of a panel freely to use arguments submitted by any of the parties – or to develop its own legal reasoning – to support its own findings and conclusions on the matter under its consideration. A panel might well be unable to carry out an objective assessment of the matter, as mandated by Article 11 of the DSU, if in its reasoning it had to restrict itself solely to arguments presented by the parties to the dispute.”
Beweisaufnahme und Beweismittel
359
selbst Einfluss zu nehmen.12 Zuvörderst ist dies Auswirkung des Konsensprinzips, das den Streitgegenstand nicht nur auf einen konkreten Lebenssachverhalt, sondern auch auf die von den Parteien in die gerichtliche Jurisdiktion ratione materiae einbezogenen Rechtsquellen beschränkt. Das Recht, das das Gericht „zu kennen hat“ ist also identisch mit dem, welches es anwenden darf. Eingeschränkt wird diese Definitionsmacht der Parteien allerdings durch den Grundsatz der KompetenzKompetenz, also der gerichtlichen Befugnis, den Gegenstand und die Reichweite der eigenen Gerichtsbarkeit zu bestimmen. Zweitens existiert im Völkerrecht eine unmittelbare Identität von Rechtssetzer und Rechtsunterworfenem. Kläger und Beklagter, so könnte man vereinfachend sagen, setzen also in vielen Fällen nicht nur das Verfahrens-, sondern auch das materielle Recht, dem sie in der Streitbeilegung unterworfen sind. Hieraus ergeben sich Modifikationen der Maxime iura novit curia.
III. Modifizierungen des Grundsatzes im Bereich des Völkervertragsrechts Schon im Bereich der bestzugänglichen (weil kodifizierten) Quelle des Völkerrechts, des völkerrechtlichen Vertrages, hat der Grundsatz nicht die aus dem nationalen Recht bekannte Bedeutung. Dies hängt vor allem mit der unmittelbaren Identität zwischen Rechtsetzenden und Rechtsunterworfenen im Bereich zwischenstaatlicher Verpflichtungen zusammen. So setzt ein völkerrechtlicher Vertrag unmittelbar Völkerrecht (siehe Art. 38 Abs. 1 (a) IGH-Statut). Der aus dem nationalen Recht wegen des Normsetzungsmonopols des Staates bekannte Dualismus zwischen Vertrag und Norm, also die Unterscheidung zwischen „Gesetz“ und „Vertrag“, ist daher im Völkerrecht schwierig.13 Die innerstaatliche Regel, dass zwar der Vertragsschluss (d.h. die Einigung über die essentialia negotii) von der Partei, die sich auf den Vertrag beruft, zu beweisen ist,14 nicht jedoch die Geltung der Normen, in die dieser eingebettet ist (z.B. des Bürgerlichen Gesetzbuchs), kann somit nicht unmittelbar für den völkerrechtlichen Vertrag gelten. Daher 12
Dies betont richtig: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 53. 13 14
Verhoeven, in: FS-Tomuschat (2006), 635 (640). Dazu: Gsell, AcP 203 (2003), 119 (123).
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Kapitel 7
scheint es im Völkerrecht zumindest nicht eindeutig möglich, zwischen dem Recht, das das Gericht aus eigener Kenntnis ermittelt, und den Transaktionen der Parteien klar zu unterscheiden.15 Entsprechend stößt man auf Entscheidungen internationaler Gerichte, die die Existenz oder eine bestimmte Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages zum Gegenstand des Beweises machen. So ging es im North Atlantic Coast Fisheries Case (1910) um die Frage, ob ein zwischen Großbritannien und den USA geschlossener Vertrag, nach dem USamerikanischen Staatsangehörigen ein gemeinsam mit britischen Bürgern auszuübendes Recht zur Nutzung gewisser zu britischem Territorium gehörenden Fischgründen gewährt wurde, es ausschloss, dass Großbritannien Art und Umfang dieser Nutzung regelte. Das Schiedsgericht entschied, dass dieses einseitige Regelungsrecht ein Attribut der Gebietshoheit Großbritanniens sei, wenn nicht anderes von den USA nachgewiesen würde.16 Dies kann als Bestätigung des allgemeinen Grundsatzes aufgefasst werden, nach dem sowohl die Existenz einer Ausnahmevorschrift als auch deren tatsächliche Voraussetzungen vom sich auf die Ausnahme Berufenden zu beweisen sei.17 In die gleiche Richtung geht die Aussage des StIGH im Legal Status of Eastern Greenland-Fall, dass eine Partei die Beweislast für eine ungebräuchliche oder außergewöhnliche Bedeutung eines in einem Vertrag benutzten Wortes trage.18 Im Fall Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v. 15
Dies meint auch Wengler, Völkerrecht, Bd. 1 (1964), 745 (Fn. 3), wenn er sagt, dass im internationalen Prozess häufig „über abstrakte Rechtsfragen judiziert werden muss“ und daher der Grundsatz der amtswegigen Ermittlung des geltenden Rechts nur eingeschränkt gelte. 16
Award of the Tribunal of Arbitration in the Question Relating to the North Atlantic Coast Fisheries, Schiedsspruch vom 7. September 1910, RIAA 11 (1961), 167 (180): “[O]ne of the essential elements of sovereignty is that it is to be exercised within territorial limits, and that, failing proof to the contrary, the territory is co-terminous with the Sovereignty, it follows that the burden of the assertion involved in the contention of the United States (viz. that the right to regulate does not reside independently in Great Britain, the territorial Sovereign) must fall on the United States.” 17
Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 859; Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (27 f.). 18
StIGH, Legal Status of Eastern Greenland, Urteil vom 5. April 1933, Ser. A/B No. 53, 22 (49 und 52). Ähnlich im deutschen Recht: Für den Fall des schriftlichen Vertragsschlusses ist anerkannt, dass eine Partei, die aus einer Ver-
Beweisaufnahme und Beweismittel
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Jordan entschied das ICSID-Schiedsgericht, dass das Zustandekommen eines mündlichen zwischenstaatlichen Schiedsabkommens vom Kläger zu beweisen war.19 Parallel hierzu liegt der Maritime Delimitation in the Black Sea-Fall, in dem der IGH ausführte, dass ein nicht schriftlich fixiertes Abkommen Gegenstand des Beweises sei, während sich bei der Auslegung eines schriftlichen Vertrages in der Regel keine Beweisfragen stellten.20 Zur Systematisierung dieser Rechtsprechung kann man daher zusammenfassen, dass (a) die Geltung und u.U. die Auslegung einer vertraglichen Regel und (b) die Gebundenheit eines Staates an diese Regel und damit die Entgegensetzbarkeit der Norm gegenüber der anderen Partei im Prozess von der sich auf die Norm berufenden Partei zu beweisen ist.21 Auch ist diejenige Partei beweisbelastet, die sich auf eine vom natürlichen Verständnis einer Vertragsnorm abweichende Auslegung beruft.22 Daraus wird deutlich, dass Rechts- und Tatsachenfragen im Völtragsurkunde eine für sie günstige Rechtsfolge herleiten will, alle außerhalb der Urkunde liegenden Umstände behaupten und beweisen muss, sofern sie sich für das Gericht nicht durch Auslegung der schriftlichen Urkunde bereits ergeben (BGHZ 20, 109 (111 f.); Zöller/Greger, Vor § 284 ZPO, Rn. 18a). 19
ICSID, Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v. The Hashemite Kingdom of Jordan, Case No. ARB/02/13, Schiedsspruch vom 31. Januar 2006, Ziff. 74 f., 80 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>). 20
IGH, Case Concerning Maritime Delimitation in the Black Sea (Romania v. Ukraine), Urteil vom 3. Februar 2009, Ziff. 68: “[I]n th[e] case [concerning Territorial and Maritime Dispute between Nicaragua and Honduras in the Caribbean sea (Nicaragua v. Honduras)] no written agreement existed and therefore any implicit agreement had to be established as a matter of fact, with the burden of proof lying with the State claiming such an agreement to exist. In the present case, by contrast, the Court has before it the 1949 Agreement and the subsequent agreements. Rather than having to make findings of fact, with one or other party bearing the burden of proof as regards claimed facts, the Court’s task is to interpret those agreements.” 21 So vor allem: Combacau/Sur, Droit international public (2006), 597: «[C]’est à chaque partie qu’il revient de prouver ses allégations: quant aux faits qu’elle invoque … , mais aussi quant au droit, quoi qu’on en dise souvent, et notamment lorsque les règles applicables sont coutumières et que l’État qui les invoque doit à la fois établir leur consistance et leur opposabilité dans les relations avec son adversaire.» Ebenso: Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (261). Siehe auch: Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (60). 22 Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (28).
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Kapitel 7
kerprozessrecht noch stärker ineinander verwoben sind, als im nationalen Recht.23 Das internationale Gericht ist jedoch nicht an den Vortrag der Parteien zum Inhalt der völkerrechtlichen Norm gebunden. Dies gilt auch dann, wenn der diesbezügliche Vortrag der Parteien übereinstimmend ist. Anderes ergibt sich nur, wenn es sich um einen bilateralen Vertrag handelt, die Streitparteien also die einzigen Vertragsstaaten sind; hier greift die Regel des Art. 31 Abs. 3 (a) WVK.
IV. Iura novit curia und Völkergewohnheitsrecht 1. Universelles Völkergewohnheitsrecht Während der Grundsatz der gerichtlichen Kenntnis des anzuwendenden Rechts demnach bereits im Vertragsrecht nur unter Kautelen gilt, bedarf er insbesondere mit Hinblick auf das Völkergewohnheitsrecht angesichts seiner besonderen normativen Struktur und fehlenden schriftlichen Niederlegung der weiteren Präzisierung.24 Internationale Gerichte sind verhältnismäßig oft dazu aufgerufen, die völkergewohnheitsrechtliche Geltung einer Norm zu überprüfen.25 Da die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht sich dezentralisiert vollzieht und an bestimmte Tatsachen gebunden ist (die Übung der Staaten als objektives Element, sowie die Rechtsüberzeugung als subjektives), ist die Grenze zwischen Tatsache und Rechtsregel hier besonders fließend.26 Zwar wird auch hier vertreten, dass das Prinzip der
23 Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (82, Fn. 25); Lachs, in: Perelman/Foriers (Hrsg.), La preuve en droit (1981), 109. 24
Verhoeven, in: FS-Tomuschat (2006), 635 (642). Siehe auch die Beweisbedürftigkeit des Gewohnheitsrechts nach § 293 ZPO. Hier wird dem (deutschen) Richter die Kenntnis der gewohnheitsrechtlichen Norm nicht zugemutet. Sie ist demnach Beweisgegenstand, wenn und soweit sie dem Gericht unbekannt sind. Auch unterfällt sie der Amtsermittlungspflicht. Zöller/Geimer, § 293 ZPO, Rn. 3; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 110, Rn. 14. 25
Valencia-Ospina, ILF 1 (1999), 202 (203); Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (202). 26 Bos, GYIL 25 (1982), 9 (16 ff.); Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 70 ff.
Beweisaufnahme und Beweismittel
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Rechtskenntnis des Gerichts uneingeschränkt gelte.27 Andere Stimmen in der Literatur schränken den Grundsatz jedoch dahingehend ein, dass im Streitfall der die Existenz einer solchen Regel behauptende Staat zumindest faktisch deren Nachweis führen muss.28 Dahin deuten auch Aussagen des IGH, etwa in den South West Africa-Fällen.29 Wieder andere Literaturstimmen halten sowohl die Staatenpraxis als auch die opinio iuris für voll beweisbedürftig.30 Die Unsicherheit der Lehre und Rechtsprechung hinsichtlich der Anwendung des iura novit curia-Grundsatzes auf Völkergewohnheitsrecht mag ihren Ursprung in der klassischen Konzeption des Völkerrechtes als Koordinationsrecht haben und der daraus im Lotus-Fall gezogenen Folgerung, dass Beschränkungen der Souveränität durch völkerrechtliche Regelungen nicht vermutet werden können. Schon rein sprachlich liegt deshalb die Konsequenz nahe, dass derjenige Staat die Darlegungsund Beweislast für die Existenz einer solchen Beschränkung, mithin einer Völkerrechtsnorm, innehat, der sie behauptet.31 So wird die Ent-
27
IGH, Fisheries Jurisdiction Case (UK) (Merits), sep. op. de Castro, ICJ Rep. 1974, 72 (79): “International customary law does not need to be proved; it is of a general nature and is based on a general conviction of its validity (opinio iuris). The Court must apply it ex officio; it is its duty to know it as quaestio iuris: iura novit curia.” 28
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (39) (Hervorh. d. Verf.): «La règle de droit, comme telle, en tant que principe impersonnel et objectif de droit international, n’a pas à être prouvée. Et ceci est vrai tant pour la règle écrite que pour la règle coutumière. Mais cette dernière, reposant sur des précédents, donc sur des faits, peut engendrer des controverses de fait, auxquels la procédure de preuve sera éventuellement étendue.» Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 12; Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (133). Kazazi, Burden of Proof (1996), 44: „jura novit curia not fully operative“. 29
Dazu: Favoreu, AFDI 11 (1965), 233 (261).
30
Salmon, RdC 175 (1982 II), 257 (307); Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (537), der sowohl die Staatenpraxis als auch die opinio iuris zum Beweisgegenstand erklärt. Die opinio iuris bedarf keines direkten Beweises und kann daher aus Handlungen oder Unterlassungen abgeleitet werden (American Law Institute, Restatement of the Law Third, The Foreign Relations Law of the United States, Bd. 1 (1987), § 102 (S. 25). Siehe auch: IGH, North Sea Continental Shelf Cases diss. op. Lachs, ICJ Rep. 1969, 219 (231). 31 Becker, in: Menzel/Pierlings/Hoffmann (Hrsg.), Völkerrechtsprechung (2005), 291 (296).
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scheidung in der Tat auch verstanden.32 Es ist allerdings fraglich, ob die Vermutung einer grundsätzlichen völkerrechtlichen Ungebundenheit der Staaten heute noch ohne Weiteres angenommen werden kann.33 Die Beweislast für Rechtsregeln hierauf zu stützen, ist daher problematisch.34 Im Ergebnis wird man in Anlehnung an das zum Völkervertragsrecht Gesagte auch für das Völkergewohnheitsrecht annehmen können, dass zumindest die Existenz der das Gewohnheitsrecht konstituierenden Komponenten von derjenigen Partei zu beweisen ist, die den Grundsatz angewandt wissen will. Freilich wird ihr diese Aufgabe durch die Heranziehung von internationaler und nationaler Rechtsprechung sowie Literaturmeinungen erleichtert. Des Weiteren ist anzuerkennen, dass das internationale Gericht im Bereich der Rechtsermittlung nicht an den Vortrag der Parteien gebunden ist. Es gilt demnach eine unbegrenzte Amtsermittlungskompetenz. Einen entgegengesetzten Weg schlägt die EECC in Bezug auf den völkergewohnheitsrechtlichen Status der Genfer Konventionen von 1949 sowie der Haager Landkriegsordnung von 1907 ein. In einem obiter dictum stellt sie fest: “[T]he Commission holds that the law applicable to this Claim is customary international law, including customary international humanitarian law, as exemplified by the relevant parts of the four Geneva Conventions of 1949. … Whenever either Party asserts that a 32 Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 862. Ähnlich auch: Giegerich, in: Tomuschat/Thouvenin (Hrsg.), The Fundamental Rules of the International Legal Order: Jus Cogens and Obligations Erga Omnes (2006), 203 (210 ff.). Nach Giegerich soll der Staat, der sich auf eine von der allgemeinen Regel abweichende Norm des Völkergewohnheitsrechts beruft, für deren Existenz beweisbelastet sein. Hierin sieht er eine Strategie internationaler Gerichte zur Vermeidung von Lücken im Völkerrecht (S. 212). Dies führt ihn zu einer Bestätigung der Lotus-Vermutung zugunsten einer ursprünglichen Ungebundenheit der Staaten. 33
IGH, Arrest Warrant Case, joint sep. op. Higgins, Koojmans, Buergenthal, ICJ Rep. 2002, 63 (78, Ziff. 51): “[T]he dictum represents the high water mark of laissez-faire in international relations, and an era that has been significantly overtaken by other tendencies.” 34
So auch: Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (27 f.), die daher die Beweislast für Völkergewohnheitsrecht nur auf Ausnahmen von allgemein geltenden Grundsätzen beschränkt.
Beweisaufnahme und Beweismittel
365
particular relevant provision of those Conventions should not be considered part of customary international law at the relevant time, the Commission will decide that question, and the burden of proof will be on the asserting Party.”35 In diesem Fall ist demnach der Beweis der Nichtexistenz einer Regel des Völkergewohnheitsrechts zu führen. Es findet also gleichsam eine Umkehr der Lotus-Regel statt. Daran ist problematisch, dass die EECC Rechtsfragen zur Disposition der Parteien stellt, indem sie sagt, sie müsse nicht über die gewohnheitsrechtliche Geltung einer Norm entscheiden, wenn diese von keiner Partei bestritten werde. Jedenfalls sollte hieraus keine Bindung an die übereinstimmende Auslegung des Völkerrechts durch die Parteien gefolgert werden, sondern allenfalls eine weniger intensive Prüfungspflicht des Gerichts bei Einigkeit der Parteien hinsichtlich des Inhalts einer Norm.36 Bestehen jedoch Zweifel an der Existenz einer Regel des Völkergewohnheitsrechts, so muss das Gericht diesen nachgehen.
2. Regionales Völkergewohnheitsrecht Im Fall regionalen Völkergewohnheitsrechts ist weitgehend unbestritten, dass seine Geltung Gegenstand des Beweises ist. So hat der IGH im Asylum-Fall entschieden, dass jede Partei „must prove that this custom is established in such a manner that it has been binding on the other
35
EECC, Partial Award, Prisoners of War, Eritrea’s Claim 17 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 41. Ebenso: EECC, Partial Award, Central Front, Ethiopia’s Claim 2 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 16 in Bezug auf die Haager Landkriegsordnung. 36
Vor diesem Hintergrund ist auch folgende Aussage zu verstehen: EECC, Partial Award, Central Front, Ethiopia’s Claim 2 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 17: “Although portions of Protocol I involve elements of progressive development of the law, both Parties treated key provisions governing the conduct of attacks and other relevant matters in this Case as reflecting customary rules binding between them. The Commission agrees and further holds that, during the armed conflict between the Parties, most of the provisions of Protocol I were expressions of customary international humanitarian law. Again, had either Party asserted that a particular provision of that Protocol should not be considered part of customary international humanitarian law at the relevant time, the Commission would have decided that question, but the need to do so did not arise.”
366
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Party“.37 Ähnliche Aussagen finden sich auch in anderen Entscheidungen.38 Diese Regel geht darauf zurück, dass ein internationales Gericht jedenfalls regional begrenzte Rechtsetzungsprozesse nicht notwendig kennen muss.
V. Iura novit curia und Art. 38 Abs. 1 (c) und (d) IGH-Statut Auch die Existenz allgemeiner Rechtsgrundsätze i.S.d. Art. 38 Abs. 1 (c) IGH-Statut und richterlicher Entscheidungen sowie der Lehrmeinungen der fähigsten Völkerrechtler (Art. 38 Abs. 1 (d)) ist nach Literaturstimmen Gegenstand des Beweises.39 Bezüglich allgemeiner Rechtsgrundsätze liegt dies in der Tat dann nahe, wenn man davon ausgeht, dass Regeln des nationalen Rechts von den Parteien zu beweisen sind.40 Gleiches könnte daher für die aus der Gesamtheit nationaler Normen gewonnenen allgemeinen Rechtsgrundsätze gelten. Dennoch haben internationale Gerichte gerade in prozessrechtlichen Fragen auf allgemeine Rechtsgrundsätze zurückgegriffen, ohne die zugrunde liegenden Normen von den Parteien beweisen zu lassen. Daher ist auch in diesem Bereich eine gerichtliche Amtsermittlungskompetenz anzuerkennen. Internationalrichterliche Entscheidungen sowie die Meinungen der fähigsten Völkerrechtler als sekundäre Rechtserkenntnisquelle werden oft frei verfügbar und dem Gericht bekannt sein.
37
IGH, Asylum Case (Columbia v. Peru), Urteil vom 20. November 1950, ICJ Rep. 1950, 266 (276). Ebenso: Thirlway, in: Evans (Hrsg.), International Law (2006), 561 (566); Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 406. 38
IGH, Fisheries Jurisdiction Case (UK) (Merits), sep. op. de Castro, ICJ Rep. 1974, 73 (79); IGH, Case Concerning Rights of Nationals of the United States in Morocco (France v. United States of America), Urteil vom 27. August 1952, ICJ Rep. 1952, 176 (200) und diss. op. Hackworth, Badawi, Levi Carneiro, Rau, ebd., 215 (219 f.). 39 40
Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (538). Dazu sogleich unter VI.
Beweisaufnahme und Beweismittel
367
VI. Nationales Recht im Völkerprozessrecht Zu den vor internationalen Gerichten zu beweisenden Tatsachen gehören nach allgemeiner Meinung grundsätzlich auch Normen des nationalen Rechts (ebenso wie nationale Gerichtsentscheidungen41), so dass der Grundsatz iura novit curia hierfür nicht gilt.42 Insofern wird nationales Recht ähnlich gehandhabt wie ausländisches Recht im innerstaatlichen Prozess.43 Hintergrund hierfür ist, dass das internationale Gericht nur dasjenige Recht zu kennen hat, in dessen System es durch seinen Gründungsakt eingebettet ist, also das Völkerrecht.44 Es ist dies aber vor allem auch eine Frage der Kompetenz des internationalen Gerichts, das nur zur völkerrechtlichen Aufarbeitung des Sachverhalts aufgerufen und somit grundsätzlich nicht zur Anwendung nationalen Rechts als solchem befugt ist. Das internationale Gericht wendet daher die nationale Rechtsnorm nicht an, sondern untersucht vielmehr, ob die Norm selbst bzw. ihre Auslegung und Anwendung auf den konkreten Fall völkerrechtskonform war.45 41
Nollkaemper, Chinese JIL 5 (2006), 301 (311 ff.).
42
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (35). Auch: Torres Bernárdez, IDI Annuaire 70 I (2002-2003), 144; American-Mexican General Claims Commission, George W. Cook (U.S.A.) v. United Mexican States, Entscheidung vom 5. November 1930, RIAA 4 (1951), 661 (663): “[D]omestic law must be proved before an international tribunal … . [A]n international tribunal receives evidence of the law furnished it by the parties and may itself undertake researches.” ISGH, The Juno Trader, Urteil vom 18. Dezember 2004, joint sep. op. Mensah/Wolfrum, ITLOS Rep. 2004, 57 (59, Ziff. 6). Für Geltung des Untersuchungsgrundsatzes in Bezug auf nationales Recht: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 391. 43
Z.B. § 293 ZPO. Dazu: Zöller/Geimer, § 293 ZPO, Rn. 2. Das deutsche Gericht wendet die Norm jedoch an, das internationale Gericht legt sie nur aus bzw. überprüft seine Völkerrechtskonformität. 44 45
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 53 f.
StIGH, Certain German Interests in Polish Upper Silesia, Merits, Urteil vom 25. Mai 1926, PCIJ Ser. A No. 7, 19: “From the standpoint of International Law and the Court which is its organ, municipal laws are merely facts which express the will and constitute the activities of States, in the same manner as do legal decisions or administrative measures. The Court is certainly not called upon to interpret the Polish law as such; but there is nothing to prevent the Court’s giving judgment on the question whether or not, in applying that law, Poland is acting in conformity with its obligations towards Germany under the Geneva Convention.” Siehe auch: StIGH, Lighthouses case between France and
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So klar, wie es die Unbestrittenheit dieser Auffassung suggerieren möchte, ist die Unterscheidung zwischen nationalem Recht als – beweispflichtige – Tatsache und Völkerrecht als – grundsätzlich in der Kenntnis des Gerichts stehende – Rechtsfrage indes nicht. Um feststellen zu können, ob eine nationale Norm Völkerrecht verletzt, wird ein internationales Gericht die Vorschrift bis zu einem gewissen Grade auslegen müssen, um sie am völkerrechtlichen Standard zu messen.46 Damit sind Schwierigkeiten verbunden, da das internationale Gericht diesbezüglich grundsätzlich nicht als rechtskundig gelten kann und Befindlichkeiten des Staates, dessen Recht zu überprüfen ist, betroffen sein können.47 Andererseits ist diese richterliche Befugnis auch notwendig, da ein Staat im internationalen Prozess nicht die ausschließliche Kompetenz zur Auslegung seines nationalen Rechts haben kann.48 Im Er-
Greece, Urteil vom 17. März 1934, Ser. A/B No. 62, 22; StIGH, PanevezysSaldutiskis Railway Case, Urteil vom 28. Februar 1939, Ser. A/B No. 76, 19; IGH, Nottebohm Case (Liechtenstein v. Guatemala) (Second Phase), Urteil vom 6. April 1955, diss. op. Read, ICJ Rep. 1955, 34 (36). 46
Aus dieser Notwendigkeit folgert Jenks, dass die Feststellung des Inhalts nationalen Rechts gerade nicht Tatsachenfrage ist: Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 548 ff., insb. 552. Ähnlich: Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (134). Siehe auch: Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (348). 47
Ehlermann, JWT 36 (2002), 605 (623): “Experience suggestes that the determination of the meaning of municipal law of WTO Members can be a delicate task.” Richter, die die Staatsangehörigkeit des betreffenden Staates besitzen, insbesondere ad hoc Richter, können bei der Erkenntnis nationalen Rechts durch das internationale Gericht behilflich sein (Aguilar Mawdsley, in: FSWang Tieya (1993), 533 (536); Guinchard u.a., Droit processuel (2005), 891). Dies war auch die Position der deutschen Delegation bei der Ausarbeitung des Haager Streitbeilegungsabkommens von 1907 (Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 178 f.). Siehe dazu aber die Kritik von Lauterpacht, der anmerkt, dass diese Argumentation voraussetzt, dass der ad hoc Richter tatsächlich die Staatsangehörigkeit des nach Art. 31 IGH-Statut berechtigten Staates hat (Lauterpacht, in: Peck/Lee (Hrsg.), Increasing the Effectiveness of the International Court of Justice (1997), 371 (375)). Bedenken bestehen außerdem mit Hinblick auf das rechtliche Gehör der Parteien, Lauterpacht, LPICT 1 (2002), 55 (83). 48
Die völkerrechtliche Entwicklung nachzeichnend: Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (63).
Beweisaufnahme und Beweismittel
369
gebnis würde dies den anderen Staat benachteiligen und letztlich zu willkürlichen Ergebnissen führen.49 Dieser Schwierigkeit hat der StIGH im Brazilian Loans-Fall zu begegnen versucht, indem er bei der Auslegung nationalen Rechts auf die Rechtsprechung der nationalen Gerichte abstellte.50 Im ELSI-Fall führte der IGH dazu aus: “Where the determination of a question of municipal law is essential to the Court’s decision in a case, the Court will have to weigh the jurisprudence of the municipal courts, and ‘If this is uncertain or divided, it will rest with the Court to select the interpretation which it considers most in conformity with the law’ … .”51 Auch im Rahmen der WTO-Streitbeilegung gilt, dass nationales Recht als Tatsache von der sich darauf berufenden Partei bewiesen werden muss.52 Dieser Nachweis wird regelmäßig durch Vorlage des relevanten 49
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (100, Ziff. 27). 50
StIGH, Case Concerning the Payment in Gold of Brazilian Federal Loans Contracted in France, Urteil vom 12. Juli 1929, Ser. A No. 21, 124. Dabei deutete er wenig konkret an, dass er durchaus dazu verpflichtet sein könne („pourrait éventuellement obligée“, „may possibly be obliged“), sich selbst über das nationale Recht zu informieren. Diese eventuelle Pflicht zur Kundigmachung über nationales Recht nimmt Scelle zum Anlass, die Beweispflichtigkeit der Parteien für nationales Recht insgesamt in Frage zu stellen: Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (134). Siehe auch: StIGH, Case concerning the payment of various Serbian loans issued in France, Urteil vom 12. Juli 1929, Ser. A No. 20, 46. 51 52
IGH, ELSI Case, ICJ Rep. 1989, 15 (47, Ziff. 62).
DSB, US – Sections 301-310 Trade Act, Ziff. 7.18 f.: “Our mandate is to examine Sections 301-310 solely for the purpose of determining whether the US meets its WTO obligations. In doing so, we do not … interpret US law ‘as such’, the way we would, say, interpret provisions of the covered agreements. We are, instead, called upon to establish the meaning of Sections 301-310 as factual elements and to check whether these factual elements constitute conduct by the US contrary to its WTO obligations. The rules on burden of proof for the establishment of facts … also apply in this respect. It follows that in making factual findings concerning the meaning of Sections 301-310 we are not bound to accept the interpretation presented by the US. That said, any Member can reasonably expect that considerable deference be given to its views on the meaning of its own law.” Siehe auch: DSB, India – Patents (US) (AB), Ziff. 65 f.: “In public international law, an international tribunal may treat municipal law in several ways. Municipal law may serve as evidence of facts and may provide
370
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Gesetzestextes oder eines anderen rechtlichen Instruments angetreten, die durch Belege für die einheitliche Anwendung des Gesetzes, nationale Gerichtsurteile, Sachverständigengutachten und Veröffentlichungen anerkannter Rechtswissenschaftler unterstützt werden kann.53 Auch die Gesetzgebungsgeschichte ist relevant und kann von den Panels herangezogen werden, insofern sie Teil der „effektiven Operationalisierung“ der Normen ist.54 In US – Hot Rolled Steel betonte das Panel nochmals die Pflicht, bei der Beweiserhebung und –würdigung nationalen Rechts die Anwendung und Auslegung, die die Norm in der Praxis erfahren hat, mit einzubeziehen: “It is a well accepted principle of international law that for the purposes of international adjudication national law is to be considered as a fact. The analysis of the consistency of the US statute with Article 10.7 [AD] must take into account, therefore, its application in evidence of state practice. However, municipal law may also constitute evidence of compliance or non-compliance with international obligations. … It is clear that an examination of the relevant aspects of Indian municipal law and, in particular, the relevant provisions of the Patents Act as they relate to the ‘administrative instructions’, is essential to determining whether India has complied with its obligations under Article 70.8(a) [of the TRIPS Agreement]. There was simply no way for the Panel to make this determination without engaging in an examination of Indian law. But, as in the case cited above before the Permanent Court of International Justice [the Certain German Interests case], in this case, the Panel was not interpreting Indian law ‘as such’; rather, the Panel was examining Indian law solely for the purpose of determining whether India had met its obligations under the TRIPS Agreement. To say that the Panel should have done otherwise would be to say that only India can assess whether Indian law is consistent with India’s obligations under the WTO Agreement. This, clearly, cannot be so.” DSB, US – Section 211 Appropriations Act (AB), Ziff. 105: “[T]he municipal law of WTO Members may serve not only as evidence of facts, but also as evidence of compliance or non-compliance with international obligations. Under the DSU, a panel may examine the municipal law of a WTO Member for the purpose of determining whether that Member has complied with its obligations under the WTO Agreement.” 53 54
DSB, US – Carbon Steel, Ziff. 157.
DSB, US – Countervailing Measures on Certain EC Products (Panel), Ziff. 7.139: “We are of the view, however, that when examining internal legislation, a Panel must look to all the elements that establish its meaning, not just the statutory language. Therefore, it is also necessary to look at other domestic interpretive tools such as the legislative history … and relevant judicial interpretations to the extent that they form part of the effective operationalization of the legislation.”
Beweisaufnahme und Beweismittel
371
practice, as interpreted and applied by the administering and judicial authorities.”55 Damit wird deutlich, dass die pauschale Einordnung des nationalen Rechts als Tatsache der Wirklichkeit der internationalen Streitbeilegung nicht vollkommen gerecht wird.56 Das internationale Gericht muss letzten Endes die nationale Norm zumindest auslegen, um ihren Inhalt zum Zwecke der völkerrechtlichen Überprüfung festzustellen. Interessanterweise geben die UNIDROIT/ALI Principles of Transnational Procedure ebenfalls die Beweisbedürftigkeit und damit den Tatsachencharakter ausländischen Rechts auf.57
VII. Zusammenfassung Die Regel iura novit curia ist im internationalen Verfahren zwar grundsätzlich anerkannt, gilt jedoch nicht ohne Einschränkungen bzw. hat eine andere Bedeutung als im nationalen Recht. Sie bezieht sich weniger auf die fehlende Beweisbedürftigkeit von Rechtsnormen, sondern vielmehr auf die Freiheit des Gerichts, eine von den Parteien unabhängige rechtliche Beurteilung vorzunehmen. Wichtigste Funktion des Prinzips iura novit curia im Völkerprozessrecht ist daher nur sekundär die Regelung der Beweisbedürftigkeit oder der Beweislast, als vielmehr eine Bestätigung der Kompetenz des internationalen Gerichts in Rechtsfragen, die weiter geht als seine Befugnisse in Tatsachenfragen:58 Es ist dies die Befugnis, auch andere als die von den Parteien vorgetragenen Rechtsnormen auf den Sachverhalt anzuwenden, soweit sie in seiner Zuständigkeit (jurisdiction) liegen und vom Streitgegenstand erfasst sind.59 Das 55
DSB, US – Hot-Rolled Steel (Panel), Ziff. 7.143.
56
So auch: Wittich, in: Zimmermann/Hofmann (Hrsg.), Unity and Diversity in International Law (2006), 345 (352 ff.), der diese Einordnung gar als „Mythos“ bezeichnet. Skeptisch ebenfalls: Foster, CYIL 7 (1969), 150 (178). 57
Principle 22.1, dazu Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201 (230).
58
So auch: Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 94. 59
IGH, Nicaragua Case (Merits) ICJ Rep. 1986, 14 (24, Ziff. 29): “For the purpose of deciding whether the claim is well founded in law the principle iura novit curia signifies that the Court is not solely dependent on the argument of the parties before it with respect to the applicable law”; StIGH, Lotus Case, PCIJ Ser. A No. 10, 31; Kazazi, Burden of Proof (1996), 47.
372
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internationale Gericht hat damit ein „Monopol“ auf die Rechtsauslegung und –anwendung und ist – im Gegensatz zum tatsächlichen – nicht an den rechtlichen Vortrag der Parteien gebunden.60 Jede Partei ist demnach grundsätzlich beweisbelastet für denjenigen Rechtssatz, dessen Anwendung sie vom internationalen Gericht fordert.61 Gerade bei völkergewohnheitsrechtlichen Normen und allgemeinen Rechtsgrundsätzen können sich Mitwirkungspflichten der Parteien ergeben. Für diese Rechtsquellen erscheint es daher sinnvoll, eine verstärkte Kooperationspflicht zwischen den Parteien und dem Gericht im Auffinden und Konkretisieren völkerrechtlicher Regeln anzunehmen.62 Gleiches gilt für nationales Recht: Für Regeln des nationalen Rechts und für regionales Völkergewohnheitsrecht kann zwar davon ausgegangen werden, dass die sich auf die Regel berufende Partei diesbezüglich beweisbelastet ist. Jedoch ist auch hier das internationale Gericht dazu aufgerufen, staatliche Gesetze und andere Rechtsakte auszulegen und auf ihre Völkerrechtskonformität hin zu überprüfen, da aus Gründen der Gleichheit der Parteien einer Partei jedenfalls nicht ein Interpretationsmonopol über ihr eigenes staatliches Recht zugestanden werden kann.
B. Zulässigkeit der Beweisaufnahme Grundsätzlich stehen der Zulässigkeit der Beweisaufnahme vor internationalen Gerichten nur wenige Ausschlussgründe im Wege.63 Im Be60 61
Verhoeven, in: FS-Tomuschat (2006), 635 (637). So auch: Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 91.
62
Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (135). 63
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 184: “The International Court of Justice has construed the absence of restrictive rules in its Statute to mean that a party may generally produce any evidence as a matter of right, so long as it is produced within the time limits fixed by the Court.” Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (203); Highet, AJIL 81 (1987), 1 (8); Kazazi/Shifman, ILF 1 (1999), 193 (194 f.); Shaw, International Law (2003), 984 f.; Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 903; Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (375). Für die WTO: Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (347) und Andersen, in: Yerxa/Wilson (Hrsg.), Key issues in WTO dispute set-
Beweisaufnahme und Beweismittel
373
reich des Beweisrechts zeigt sich die Flexibilität und fehlende Formstrenge des Völkerprozessrechts am deutlichsten, insbesondere wegen des Einflusses der Staatensouveränität:64 “For obvious diplomatic reasons international tribunals are especially reluctant to spurn anything proferred by a sovereign.”65 Dennoch gibt es auch in diesem Bereich Einschränkungen. Die Beweisaufnahme über eine Tatsache ist im internationalen Prozess ähnlich wie im nationalen nur dann zulässig, wenn die Tatsache entscheidungserheblich (I.) und beweisbedürftig (II.) ist und kein Beweisverbot entgegensteht (III.).
I. Entscheidungserheblichkeit Die Entscheidungserheblichkeit ist grundsätzlich Voraussetzung der Zulässigkeit der Beweisaufnahme im internationalen Prozess.66 Bezüglich solcher Tatsachen, die keinen Einfluss auf die Entscheidung des Rechtsstreits durch das Gericht haben, kann demnach nicht zulässig
tlement, The first ten years (2005), 177 (179): „no DSU rules governing the admissibility, production or sufficiency of evidence“. Aus der reichhaltigen Rechtsprechung siehe nur: Mixed Claims Commission Spain-Venezuela, Franqui case, RIAA 10 (1962), 751; Commission franco-mexicaine des réclamations, Georges Pinson (France) v. United Mexican States, Urteil vom 19. Oktober 1928, RIAA 5 (1952), 327 (411, Ziff. 43): «[La Commission a un] droit illimité d’admettre tous les moyens de preuve qu’elle considère en conscience comme suffisants et nécessaires pour asseoir sa conviction et d’en déterminer dans chaque cas particulier la force probante, sans être liée par des prescriptions obligatoires, de quelque nature qu’elles soient.» 64
Waincymer, WTO Litigation (2002), 535.
65
Brower, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 147 (149). 66
Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (81) (vgl. jedoch auch S. 102); Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (133); Dobry, Transactions of the Grotius Society 44 (1958/1959), 63 (75), der dies für den IGH aus der Formulierung des Art. 51 IGH-Statut herleitet („alle zweckdienlichen Fragen“); Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 129; Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 3 (1977), 81; Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 182 f.; Negri, I principi generali del processo internazionale nella giurisprudenza della Corte internazionale di giustizia (2002), 94 f.; DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 143.
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Beweis angetreten werden.67 Sind solche Beweise dennoch mit den Schriftsätzen vorgelegt worden, muss das Gericht ihre Entscheidungserheblichkeit prüfen und bezieht sie bei negativer Beurteilung nicht in die Beweiswürdigung ein.68 Es ist auch dann kein Beweis erforderlich, wenn es schon an der Schlüssigkeit der Klage fehlt, also das Vorbringen des Klägers, auch wenn man es als wahr unterstellt, den Antrag nicht zu begründen vermag.69 Entscheidungserheblich sind ferner nur solche Tatsachen, die vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung existierten.70
II. Beweisbedürftigkeit Grundsätzlich sind alle für den Nachweis der Tatbestandsmerkmale der anzuwendenden Norm erforderlichen Tatsachen beweisbedürftig. Die bloße Behauptung der Existenz einer Tatsache oder deren Leugnen genügt – ebenso wie im nationalen Recht – den Anforderungen des Völkerprozessrechts nicht, wenn die Tatsachen streitig sind.71 Dass streitige 67
Witenberg, La théorie des preuves devant les jurisdictions internationales, RdC 56 (1936 II), 1 (24). Anders: Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (102): «[L]a pratique de la Cour montre que même l’absence de ‹ pertinence › de la preuve ne suffira point, en règle générale, à faire rejeter celle-ci. La seule limitation est celle de la tardiveté.» Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 72, 275 f.; Salmon, Le fait dans l’application du droit international, RdC 175 (1982 II), 257 (310). 68
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (200, Ziff. 58; 217, Ziff. 122). 69
Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 530.
70
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (39, Ziff. 58): “The Court holds that general principles as to the judicial process require that the facts on which its Judgment is based should be those occurring up to the close of the oral proceedings on the merits of the case.” Wohl anders: Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (400 f.): Zeitpunkt der Einleitung rechtlicher Schritte ist entscheidend. 71
Claims Commission between Great Britain and Mexico, Decision No. 39, Claim No. 108, W. Allan Odell, Entscheidung vom 13. Mai 1931, in: Claims Commission between Great Britain and Mexico, Further Decisions and Opinions of the Commissioners Subsequent to February 15, 1930 (1933), 61 (62 f.): “[A] judicial decision cannot be based on [the] personal impression [of the claimant] alone. … A decision which imposes upon a state a financial liability towards another state, cannot rest solely upon the unsupported allegations of
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375
Tatsachen des Beweises bedürfen, ist allgemein anerkannt.72 Die Fälle, in denen Tatsachen nicht beweisbedürftig sind, entsprechen im Wesentlichen den aus dem nationalen Prozessrecht bekannten; über ihr Vorliegen im konkreten Fall entscheidet das internationale Gericht.73 Nicht beweisbedürftig sind demnach Tatsachen, wenn sie nicht streitig sind (1.), wenn sie offenkundig sind (2.), wenn ein Geständnis oder Estoppel vorliegt (3.) oder wenn das Bestehen oder Nichtbestehen einer Tatsache für das Gericht bereits bindend feststeht (4.).
1. Nicht bestrittene Tatsachen und Beweisabsprachen (a) Grundsatz Bereits die Untersuchung der Gerichtskompetenzen im Tatsachenermittlungsbereich hat ergeben, dass unstrittige Tatsachen in der Regel vom Gericht nicht amtswegig nachermittelt werden dürfen.74 Dem entspricht, dass – ebenso wie im deutschen Recht (§ 138 Abs. 3 ZPO)75 – von der gegnerischen Partei nicht bestrittene Tatsachen auch im Völkerprozessrecht nicht beweisbedürftig sind.76 So hat die EECC in ihrer the claimant. … If an international tribunal were to accept all these allegations without evidence, it would expose itself to the not unjustifiable criticism of placing jurisdiction as between nations below the level prevailing in all civilised states for jurisdiction as between citizens.” 72
Sanchez de Bustamante y Sirven, Derecho internacional público, Bd. 5 (1938), 411 f.; Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 105; Island of Palmas case (Netherlands v. USA), Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA 2 (1949), 831 (852): “The Arbitrator … can found his award only on the facts alleged and proved by the parties … .” Claims Commission between Great Britain and Mexico, Decision No. 39, Claim No. 108, W. Allan Odell, Entscheidung vom 13. Mai 1931, in: Claims Commission between Great Britain and Mexico, Further Decisions and Opinions of the Commissioners Subsequent to February 15, 1930 (1933), 61 (63). 73
Sereni, Principi generali di diritto e processo internazionale (1955), 75.
74
Siehe oben Kapitel 4 E. I. 3. Anders: Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 77 f.; Sachariew, ZaöRV 51 (1991), 895 (899). 75 76
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 111, Rn. 21.
Siehe StIGH, Case concerning certain German interests in Polish Upper Silesia, Urteil vom 25. Mai 1926, Ser. A No. 7, 41, 55, 60; StIGH, Chorzów Factory Case (Merits), 30. Ebenso: Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 3 (1977), 81; Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (81); Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (535 f.); Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 530; Witenberg, RdC 56
376
Kapitel 7
Decision No. 4 festgehalten, dass “[t]he rules that the Commission must apply include those relating to the need for evidence to prove or disprove disputed facts”.77 Ebensolches hat das IUSCT entschieden.78 Eine Beweisbedürftigkeit nicht bestrittener Tatsachen kann auch nicht auf der Grundlage des Art. 53 IGH-Statut (und Art. 28 ISGH-Statut) angenommen werden.79 Denn Art. 53 ist eine Schutzvorschrift für den Fall der Säumnis, die nicht ohne Weiteres auf normale streitige Verfahren übertragen werden kann. Nur im Säumnisfall trifft die erschienene Partei die Beweislast auch für nicht bestrittene Tatsachen.
(b) Beweisabsprachen Die Streitparteien können sich daher auch ausdrücklich über Tatsachen einigen, die einem Rechtsstreit zugrunde liegen, so dass das Gericht eine Entscheidung auf der Basis beiderseitig ausdrücklich anerkannter Tatsachen erlassen kann.80 Dies ist Ausdruck der weitreichenden Parteiherr(1936 II), 1 (31); Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 76; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 28; Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (352); Highet, AJIL 81 (1987), 1 (33) sieht im Falle des Nichtbestreitens einen „negativen“ Rückschluss (negative inference) des Gerichts auf die Richtigkeit der Tatsache. Zur fehlenden Beweisbedürftigkeit von nicht bestrittenen Tatsachen vor dem EuGH: MacLennan, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 265 (174). 77
EECC, Decision Number 4: Evidence (Hervorh. d. Verf.).
78
IUSCT, Harris International Telecommunications Inc. v. Islamic Republic of Iran, Award No. 323-409-1, 2. November 1987, IUSCTR 17 (1987-IV), 31 (47, Ziff. 63). 79
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 68: “[No supporting evidence by the claimant may be necessary in municipal law] when there has been no denial of alleged facts, but in international proceedings [a prima facie] case can only be established by submitting evidence sufficient to enable the tribunal to determine that the claim of right put forward is properly made out.” 80 Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987), 136; Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 615; Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (133); Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (13); Rosenne, in: ders., Essays on International Law and Practice (2007), 353 (362); Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FSMensah (2007), 341 (346 f.); IGH, Corfu Channel Case (Merits), diss. op. Aze-
Beweisaufnahme und Beweismittel
377
schaft im zwischenstaatlichen Prozess. Oft geschieht dies im Schiedsvertrag oder dem ad hoc-Kompromiss (Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut) selbst.81 In diesem Fall kann sich keine Partei darauf berufen, das tatsächliche Geschehen habe sich anders zugetragen.82 Die Bindung des Gerichts an diese Tatsachenfeststellungen ergibt sich aus Vertragsrecht. Wie bereits oben dargestellt,83 ist das Gericht nach der überwiegenden Auffassung grundsätzlich nicht befugt, diese unstreitig gestellten Tatsachen anzuzweifeln und diesbezüglich eigene Ermittlungen anzustellen, sondern muss sie seiner Entscheidung zugrunde legen.84 Sie sind daher auch nicht beweisbedürftig.85
(c) Substantiierungspflicht des Gegners In der Rechtsprechung noch nicht hinreichend geklärt ist die Frage, ob beziehungsweise inwieweit eine Last des Gegners zum substantiierten bzw. qualifizierten Bestreiten besteht oder ob einfaches Bestreiten einer Tatsache ausreicht, damit von einer bestrittenen Tatsache ausgegangen werden kann und eine Beweisaufnahme zulässig und notwendig ist.
vedo, ICJ Rep. 1949, 78 (84), der andererseits eine Verabredung bezüglich des vom Gerichtshof anzuwendenden Rechts für unzulässig hält. Dies ist zweifelhaft, bestimmt sich die Kompetenz des Gerichts (jurisdiction) u.U. doch nach dem Kompromiss oder einer vertraglichen Schiedsklausel, die als eine solche Vereinbarung angesehen werden können. Anders (keine Bindung des Gerichts an Beweisabsprache): Sachariew, ZaöRV 51 (1991), 895 (899). 81
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (59). Vgl. insbesondere Art. 10 (c) der Rules of Procedure of the Italian-United States Conciliation Commission, abgedruckt in RIAA 14 (1965), 79 ff. 82 83
Bowett, BYIL 33 (1957), 176 (182). Kapitel 4 E. I. 3.
84
Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (133); Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (26); Delbez, Les principes généraux du contentieux international (1962), 114. Eine andere Auffassung ist auf der Grundlage der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes vertretbar: Foster, CYIL 7 (1969), 150 (183 ff.); Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 389. 85
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 88; Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (352 f.).
378
Kapitel 7
Pauschales Bestreiten ist in jedem Fall – wie im nationalen Prozess (§ 138 Abs. 2, 3 ZPO) – unzulässig.86 In diesem Sinne bestimmt Ziff. 8 der ITLOS Guidelines: “A party should in its pleading deal specifically with each allegation of fact in the pleading of the other party of which it does not admit the truth; it will not be sufficient for it to deny generally the facts alleged by the other party.” Schlichtes Bestreiten einzelner vom Gegner vorgebrachter Tatsachen ist dagegen in der Regel möglich.87 Hiervon ging auch das Panel im Fall Mexico – Soft Drinks aus, in dem Mexiko einzelne Tatsachen nur bestritt, ohne sich weiter dazu zu äußern.88 Wenn die darlegungspflichtige Partei über die Vorgänge nicht informiert ist und der Natur der Sache nach auch nicht sein kann, der Gegner jedoch Kenntnisse hat, muss dieser substantiiert bestreiten, indem er sich über den Sachverhalt erklärt und gegebenenfalls eine Gegendarstellung abgibt.89 Prominentes Beispiel hierfür ist der Corfu ChannelFall, in dem der IGH entschied, dass sich eine Partei über solche Vorgänge erklären muss, die sich auf ihrem Staatsgebiet zugetragen haben.90 Dies ist Ausfluss der allgemeinen Zusammenarbeitspflicht der Parteien.91 Ob bei fehlender Substantiierung des Bestreitens eine Geständnisfiktion eintritt, ist allerdings unklar. Die Rechtsprechung internationaler Gerichte ist in diesem Bereich so unergiebig, dass eine weitere Konkretisierung dieser Regel kaum möglich ist. Gegen eine strenge Geständnisfiktion spricht indes, dass selbst bei Missachtung von Beweisan86
Kossi Galley, Revue de la recherche juridique – Droit prospectif 105 (2004), 2523 (2540). 87 88
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 89. DSB, Mexico – Taxes on Soft Drinks (Panel), Ziff. 8.18-8.20.
89
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 98. Zur Erklärungslast des Gegners im deutschen Zivilprozessrecht: Zöller/Greger, § 138 ZPO, Rn. 8. 90
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (18): “It is true, as international practice shows, that a State on whose territory or in whose waters an act contrary to international law has occurred, may be called upon to give an explanation. It is also true that that State cannot evade such a request by limiting itself to a reply that it is ignorant of the circumstances of the act and of its authors. The State may, up to a certain point, be bound to supply particulars of the use made by it of the means of information and inquiry at its disposal.” 91
Siehe oben Kapitel 6.
Beweisaufnahme und Beweismittel
379
ordnungen des Gerichts nicht automatisch ein negativer Rückschluss gezogen werden muss.92 Die behauptete Tatsache muss also nicht notwendigerweise als wahr unterstellt werden, wenn der Gegner dieser Pflicht nicht nachkommt.93
2. Offenkundige Tatsachen Im deutschen Zivilprozessrecht sind offenkundige (allgemeinkundige und gerichtskundige) Tatsachen nicht beweisbedürftig. Das Gericht darf sie – nach Hinweis an die Parteien – auch ohne Parteibehauptung berücksichtigen.94 Als allgemeinkundig gelten danach Tatsachen, die in einem größeren oder kleineren Bezirk einer beliebig großen Menge bekannt sind oder wahrnehmbar waren und über die man sich aus zuverlässigen Quellen ohne besondere Fachkunde sicher unterrichten kann.95 Gerichtskundig sind die Tatsachen, die dem Gericht aus amtlicher Tätigkeit bekannt sind.96 Die mangelnde Beweisbedürftigkeit offenkundiger Tatsachen ist Ausdruck des Grundsatzes der Prozessökonomie,97 der auch im Völkerprozessrecht Bedeutung hat. Auch im internationalen Verfahren gilt daher, dass offenkundige Tatsachen nicht des Beweises bedürfen.98 So stellte Max Huber im Island of 92
Dazu: Kapitel 6 A. II.
93
In diese Richtung: American-Mexican General Claims Commission, Lily J. Costello, Maria Eugenia Costello and Ana Maria Costello (U.S.A.) v. United Mexican States, Entscheidung vom 30. April 1929, RIAA 4 (1951), 496 (505): “[T]he mere fact that such evidence [produced by the respondent] is meagre can not in itself justify an award in the absence of concrete and convincing evidence produced by the claimant Government.” 94
§ 291 ZPO. Nach herrschender Meinung sind offenkundige Tatsachen nicht behauptungsbedürftig; das Gericht kann die Tatsache also auch ohne Parteibehauptung berücksichtigen: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 111, Rn. 25. Zöller/Greger, § 291 ZPO, Rn. 2; MünchKomm ZPO/Prütting, § 291 ZPO, Rn. 13. Nach h.M. kann auch nicht das Gegenteil der offenkundigen Tatsache zugestanden werden. 95 96 97 98
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 111, Rn. 26. Ebd., Rn. 28. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht (2006), Rn. 662.
Fabiani Case (France v. Venezuela), Schiedsspruch vom 30. Dezember 1896, in: John Basset Moore, History and Digest of the International Arbitrations to Which the United States has been a Party, Bd. 5 (1898), 4878 (4905): «[L]es tribunaux ordinaires peuvent retenir des faits assez notoires pour qui’ils
380
Kapitel 7
Palmas-Fall fest, dass gerichtskundige Tatsachen nicht beweisbedürftig seien: “It is for the Arbitrator to decide … whether allegations do or – as being within the knowledge of the tribunal – do not need evidence in support.”99 Er entschied sodann, dass die Existenz des Vertrags von Utrecht als öffentlich bekannt nicht bewiesen werden musste.100 Ähnlich urteilte auch die Commission franco-mexicaine des réclamations im Pablo Nájera-Fall, dass die Registrierung eines Vertrages beim Völkerbund bekannt und daher nicht beweisbedürftig sei.101 Im gleichen Sinne äußerte sich der IGH jüngst im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall.102 Jedoch sollte die amtswegige Kenntnisnahme von internationalen Verträgen oder anderen internationalen Rechtsakten allenfalls bezüglich ihrer Existenz zu der Kategorie der offenkundigen Tatsachen gezählt werden. Hinsichtlich ihres rechtlichen Inhalts gilt der Grundsatz iura novit curia.103
jugent inutile d’en administrer la preuve … . A plus forte raison en est-il ainsi, en matière d’arbitrage, surtout lorsque les parties n’ont point prescrit à l’arbitre la procédure a suivre … .» Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 303; Lachs, in: Perelman/Foriers (Hrsg.), La preuve en droit (1981), 109 (111); Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (535); Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 4 (1986), 641. Skeptisch: Jessup, AJIL 22 (1928), 735 (751, Fn. 81). 99 Island of Palmas case (Netherlands v. USA), Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA 2 (1949), 831 (841) (Hervorh. d. Verf.). 100
Ebd., 842.
101
Commission franco-mexicaine des réclamations, Pablo Nájera-Fall, Urteil vom 19. Oktober 1928, in: La réparation des dommages causés aux étrangers par des mouvements révolutionnaires: Jurisprudence de la Commission franco-mexicaine des réclamations (1924-1932) (1933), 156 (160, Ziff. 5). 102
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (255, Ziff. 256): “[T]he Court has taken judicial notice of the Tripartite Agrement on Regional Security in the Great Lakes”. 103
Siehe: SCSL, Prosecutor v. Sam Hinga Norman et al. (Case No. SCSL2004-14-AR73), Fofana – Decision on Appeal Against “Decision on Prosecution’s Motion for Judicial Notice and Admission of Evidence”, 16. Mai 2005, Ziff. 47; id., sep. op. Robertson, Ziff. 28: Der Inhalt von Sicherheitsratsresolutionen ist keine offenkundige Tatsache. Allerdings können einzelne in den Resolutionen aufgelistete Tatsachen durchaus offenkundig sein.
Beweisaufnahme und Beweismittel
381
Es finden sich jedoch auch echte Beispiele für die gerichtliche Verwendung offenkundiger Tatsachen.104 Art. 21 der Charta des Nürnberger Tribunals enthielt ebenso wie nunmehr Art. 69 Abs. 6 IStGH-Statut eine explizite Regelung hinsichtlich offenkundiger Tatsachen.105 Auch gilt nach Regel 94 (A) JStGH-VerfO und RStGH-VerfO, dass die Verfahrenskammern „shall not require proof of facts of common knowledge but shall take judicial notice thereof“. Diese allgemeinkundigen Tatsachen sind definiert als Tatsachen, die vernünftigerweise nicht angezweifelt werden können, einschließlich solcher Tatsachen, die universell bekannt sind, wie etwa allgemeine historische Tatsachen, geographische Fakten und Naturgesetze.106 Regel 94 (A) ist zwingend; sind Tatsachen offenkundig, so sind sie nicht beweisbedürftig.107 Die Allgemeinkundigkeit historischer Tatsachen ist jedoch auch außerhalb der internationalen Strafgerichtsbarkeit akzeptiert:108 Im Tehran Hostages104
Z.B. Mixed Claims Commission United States and Germany, United States of America on behalf of Paula Mendel and Others v. Germany, Urteil vom 13. August 1926, in: Mixed Claims Commission United States and Germany, Administrative decisions and opinions of a general nature and opinions and Opinions in individual Lusitania claims and other cases from July 1, 1925, to October 1, 1926 (1926), 784: “From the record herein and from historical sources and official reports of which the Commission takes judicial notice it appears: …” 105
Ebenso Art. 13 (d) der Charta des Militärtribunals für den Fernen Osten (Tokyo-Tribunal). Zur judicial notice im Prozessrecht internationaler Strafgerichte allgemein siehe Stewart, ICLR 3 (2003), 245 ff. 106
Schabas, The UN International Criminal Tribunals (2006), 489.
107
RStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Édouard Karemera, Mathieu Ngirumpatse and Joseph Nzirorera, Case No. ICTR-98-44-AR73(C), Decision on Prosecutor’s Interlocutory Appeal of Decision on Judicial Notice, Beschluss vom 16. Juni 2006, Ziff. 22. Problematisch ist an dieser Entscheidung jedoch, dass die Berufungskammer die Existenz des Genozids gegen die Tutsi in Ruanda zwischen dem 6. April 1994 und dem 17. Juli 1994 als offenkundige Tatsache einstufte, was auch eine rechtliche Bewertung des Geschehens einschließt. Kritisch auch: Heller, AJIL 101 (2007), 157 ff. 108
Spanish Treaty Claims Commission, Letter from the Spanish Treaty Claims Commission transmitting, in response to the resolution of the Senate of December 9, 1903, copies of the parties called for (1903), Judicial Notice, Opinion of Commissioner Wood, 41 (41, 50): “[J]udicial notice is the name of a doctrine whereby courts are permitted … to consider certain facts and regard them as established without the requirements of allegation and proof” (S. 41); “The doctrine of judicial knowledge being founded upon the sound principle that it is unnecessary and inexpedient to require proof of that which is or
382
Kapitel 7
Fall urteilte der IGH, dass “[t]he essential facts of the present case are, for the most part, matters of public knowledge which have received extensive coverage in the world press and in radio and television broadcasts from Iran and other countries”.109 Auch im Nicaragua-Fall und im Velásquez-Rodríguez-Fall spielten offenkundige Tatsachen eine Rolle.110 Neben der fehlenden Beweisbedürftigkeit finden sich auch Anzeichen, dass solche Tatsachen von den Parteien nicht vorgetragen werden müssen, damit sie vom internationalen Gericht berücksichtigt werden können.111 Sie sind damit auch nicht behauptungsbedürftig. Der Grundsatz, dass offenkundige Tatsachen im internationalen Prozess nicht beweisbedürftig sind, ist also weitgehend konsentiert: “The doctrine of judicial notice is known in many legal systems. Tribunals may not and do not close their eyes to facts that stare them in the face.”112 Dennoch gibt es auch skeptische Stimmen, die das Konzept der Offenkundigkeit wegen seiner Unbestimmtheit und Subjektitivät ab-
should be generally known, if the facts under consideration are matters of common knowledge, it is immaterial from what such source is derived.” (S. 50). Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 387 f. 109
IGH, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran Case, ICJ Rep. 1980, 3 (9 f., Ziff. 12). Bereits 1951 bemühte der IGH das Konzept der „notoriety of facts“, allerdings weniger in der Tatsachenfeststellung, als zur materiellrechtlichen Begründung der Gültigkeit der von Norwegen beanspruchten Fischereizone: IGH, Fisheries case (United Kingdom v. Norway), Urteil vom 18. Dezember 1951, ICJ Rep. 1951, 116 (139). 110
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (40, Ziff. 63). Auf Seite 53, Ziff. 92, wendet der Gerichtshof den Grundsatz auf die Frage gemeinsamer Grenzmanöver der USA und Honduras in der honduranisch-nicaraguanischen Grenzregion an. IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras, Urteil vom 29. Juli 1988, Ser. C No. 4, 139 f. (Ziff. 146). Siehe auch: IGH, East Timor Case, diss. op. Skubiszewski, ICJ Rep. 1995, 224 (252, Ziff. 88): “One can also add that in all systems of law courts take judicial notice of matters of public knowledge. This category comprises, inter alia, historical events such as war, aggression, invasion and the incorporation of territory.” 111
StIGH, Customs Regime between Germany and Austria (Protocol of March 19th, 1931), Gutachten vom 5. September 1931, Ser. A/B No. 41, indiv. op. Anzilotti, 70: “Here we are confronted with a well-known fact and one therefore which the Court could take into consideration even if it had not been advanced by the interested Parties.” 112
IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Lauterpacht, ICJ Rep. 1993, 407 (423, Ziff. 42).
Beweisaufnahme und Beweismittel
383
lehnen.113 Diese Einwände sind jedenfalls insofern berechtigt, als internationale Gerichte es bisher versäumt haben, Maßstäbe für die Beurteilung der Offenkundigkeit in zwischenstaatlichen Streitigkeiten zu entwickeln.114 Richtig an der Kritik ist weiterhin, dass Tatsachen nur in evidenten Fällen als offenkundig bewertet werden dürfen. Gerade in Bezug auf Medienberichte ist Vorsicht geboten.115 Steht die Offenkundigkeit einer Tatsache nicht fest, so ist die Tatsache zu beweisen, wenn eine Partei sie bestreitet.116
3. Einseitig zugestandene Tatsachen: Geständnis und Estoppel Im Grundsatz sind zugestandene Tatsachen im zwischenstaatlichen Verfahren nicht beweisbedürftig.117 Als Untergruppen des Geständnisses sollen im Folgenden das gerichtliche Geständnis, das außergerichtliche Geständnis sowie der Estoppel-Grundsatz untersucht werden.
(a) Gerichtliches Geständnis Ein gerichtliches Geständnis ist die im Laufe des Rechtsstreits abgegebene Erklärung einer Partei des Inhalts, dass der Tatsachenvortrag der Gegenpartei ganz oder teilweise zutreffend sei. Gesteht eine Partei im völkerrechtlichen Verfahren eine von der Gegenseite behauptete Tatsache zu, so bedarf es diesbezüglich keiner Beweisaufnahme.118 Die Regel
113
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (30); Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (133, Ziff. 66). 114
Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (140).
115
Siehe auch die Aussagen des IGH in den Fällen Nicaragua und Oil Platforms unten Kapitel 8 C. II. 5. 116 Noch weiter: Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 82 f. und Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (16): Offenkundigkeit entfällt immer, wenn eine Partei bestreitet. Ähnlich wohl: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (140). 117 118
Guggenheim, Traité de Droit international public, Bd. 2 (1954), 159.
Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (536); Bos, A Methodology of International Law (1984), 335 und 337. Siehe auch schon Art. XI des US-amerikanisch-mexikanischen Schiedsvertrags vom 22. Mai 1902 zur Regelung der Streitigkeiten betreffend die „Fonds pieux des Californies“, in: Les Travaux de la Cour permanente d’arbitrage de La Haye (1921), 7 (12): «Les Agents
384
Kapitel 7
gilt auch für den WTO-Streitbeilegungsmechanismus119 und vor dem IUSCT.120 Ein Geständnis muss klar und unmissverständlich sein.121 Während die Möglichkeit eines Geständnisses im internationalen Prozess unstrittig ist, ist in der Literatur umstritten, ob das Gericht an das Geständnis einer Partei gebunden ist, oder ob es sie lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigen kann, ob es also in seinem Ermessen steht, sie als wahr zu behandeln.122 Die Uneinigkeit der Literatur geht wohl auf die unterschiedliche prozessuale Einordnung des Geständnisses in den nationalen Rechtsordnungen sowie die fehlende Unterscheidung zwischen dem gerichtlichen und außergerichtlichen Geständnis zurück. Im deutschen Recht ist das Gericht nach dem Verhandlungsgrundsatz im Allgemeinen an gerichtliche Geständnisse gebunden, da hierdurch die Beweisbedürftigkeit entfällt.123 In anderen Rechtsordnungen, wie etwa dem französischen Recht, wird das Geständnis einer Partei dagegen als Beweismittel behandelt. Dabei ist das gerichtliche Geständnis in aller Regel bindend und erbringt vollen Be-
et Conseil des Parties respectives pourront stipuler l’admission de tous les faits, et cette stipulation, dûment signée, sera admise comme preuve.» 119
DSB, US – Shrimp (Panel), Ziff. 7.15: “It is usual legal practice for domestic and international tribunals, including GATT panels, to consider that, if a party admits a particular fact, the judge may be entitled to consider such fact as accurate.” Das Zugeständnis wurde innerprozessual getätigt, nämlich in der Beantwortung der vom Panel an die Beklagte gestellten Fragen. 120
IUSCT, American Bell International Inc. v. Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 48), Award No. 255-48-3, 19. September 1986, IUSCTR 12 (1986III), 170 (175, Ziff. 16): “It is a general principle of law that a party which at some stage of judicial or arbitral proceedings admits that certain legal conclusions can be drawn from some facts or circumstances is thereafter estopped from arguing otherwise in the same proceedings.” (Hervorh. d. Verf.). 121
Französisch-Italienische Schiedskommission, Différend Industrie Vicentine Elettro-Meccaniche (I.V.E.M.), Beschluss No. 183 vom 7. März 1955, RIAA 13 (1964), 352 (376): «La confession d’une partie ne peut pas lui être opposée, à moins qu’elle ne soit claire et sans équivoque.» 122
Für eine Gebundenheit: Bos, A Methodology of International Law (1984), 337. Für Ermessen: DSB, US – Shrimp (Panel), Ziff. 7.15. sowie Salmon, RdC 175 (1982 II), 257 (316 f.); Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 161. 123
Für Deutschland ist dies Ausfluss der Geltung des Verhandlungsgrundsatzes: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 111, Rn. 13.
Beweisaufnahme und Beweismittel
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weis über die Tatsache, bindet also den Richter.124 Danach liegt trotz der unterschiedlichen Einordnung ein allgemeiner Rechtsgrundsatz nahe, nach dem gerichtliche Geständnisse regelmäßig bindend sind. Für das Völkerprozessrecht wird dieses Ergebnis auch durch das aus dem Konsensprinzip folgende Dispositionsprinzip bestätigt.
(b) Außergerichtliche Aussagen mit Geständniswirkung Fraglich ist weiterhin, ob auch außerhalb des Gerichtsverfahrens gemachte Zugeständnisse die Notwendigkeit der Beweisaufnahme entfallen lassen. Im deutschen Recht kommt nach § 288 ZPO dem Geständnis nur dann Bedeutung zu, wenn Tatsachen „im Laufe des Rechtsstreits vom Gegner bei einer mündlichen Verhandlung“ zugestanden worden sind.125 Demnach ist ein außergerichtliches „Geständnis“ lediglich ein Indiz für die Wahrheit der „zugestandenen“ Tatsache, das als Erkenntnisquelle im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu berücksichtigen ist.126 Die fragliche Tatsache bleibt damit beweisbedürftig. Andere nationale Zivilprozessordnungen behandeln die Frage unterschiedlich. So wird in vielen romanischen Rechtsordnungen ein außergerichtliches Geständnis dann als bindend angesehen, wenn es dem Prozessgegner oder seinem Vertreter gegenüber abgegeben wurde, andernfalls es durch den Richter frei zu würdigen ist.127
124
Frankreich: Art. 1356 CC. Dazu: Rouhette, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 167 (186); Italien: Art. 2733 Abs. 1, 2 ital. CC; Patti, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 267 (294); Portugal: Art. 358 Abs. 1 port. CC; Schwonke, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 505 (512); Rechtsvergleichend: Bajons, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 815 (846); CoesterWaltjen, ZZP 113 (2000) 269 (276). 125 Selbst die in einem vorbereitenden Schriftsatz als richtig deklarierten Tatsachen gelten nur als Ankündigung eines gerichtlichen Geständnisses und binden die Partei daher nicht, soweit nicht in der mündlichen Verhandlung hierauf Bezug genommen wird: MünchKomm ZPO/Prütting, § 288 ZPO, Rn. 25; BGHZ 134, 127 (136). 126
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 111, Rn. 19. Dies gilt auch für Geständnisse, die in einem anderen Prozess, z.B. einem Strafprozess abgelegt worden sind. 127
Frankreich: Rouhette, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 167 (186); Italien: Art. 2730 Abs. 2, 2735 Abs. 2 ital. CC; Patti, in:
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Das Völkerprozessrecht kennt einige Beispiele, in denen ein außergerichtliches Geständnis relevant wurde. Der Hamburger Senat beschäftigte sich mit dieser Frage im 1856 entschiedenen Croft-Fall, der auch als erste internationale Entscheidung zur Wirkung eines Geständnisses überhaupt bezeichnet wird.128 Er entschied, dass außergerichtliche Äußerungen dann völkerrechtlich bindend seien, wenn sie in einer Note oder anderen diplomatischen Kommunikation dem Gegner gegenüber erklärt wurden.129 Rein interne Äußerungen, die ohne Rechtsbindungswillen abgegeben wurden, reichten dagegen nicht aus.130 Man kann diese Entscheidung als einen Fall des außergerichtlichen Geständnisses werten.131 Näher liegt jedoch, dass der Senat ein Schuldanerkenntnis meinte, auch wenn er selbst einerseits von „Geständnis“ spricht, an anderer Stelle jedoch den Ausdruck „Anerkennung einer Ersatzpflicht“ gebraucht. Als Beispiel für die eine Beweisbedürftigkeit ausschließende Wirkung außergerichtlicher Äußerungen kann der Fall daher nicht dienen. Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 267 (295); Schwonke, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 505 (512). 128
Lauterpacht, Private Law Sources and Analogies of International Law, 1927 (Neudruck 1970), 269: „first instance of an exhaustive juridical treatment by an international tribunal of the effect of admission“. 129
Senat der freien und Hansestadt Hamburg, Kompromisssache zwischen den Regierungen Ihrer Majestät der Königin von Großbritannien und Irland und Seiner Majestät des Königs von Portugal, die Angelegenheit des Mr. Croft, Schiedsspruch vom 7. Februar 1856, in: H. La Fontaine, Pasicrisie Internationale 1794-1900, Histoire Documentaire des Arbitrages Internationaux (Neudruck 1997), 373 (375 ff.). Englische Übersetzung in John Basset Moore, History and Digest of the International Arbitrations to Which the United States has been a Party, Bd. 5 (1898), 4979 (4981 f.); Französische Übersetzung in de La Pradelle/Politis, Recueil des Arbitrages Internationaux, Bd. 2 (1856-1872) (1932), 1 (25 ff.). 130
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (32). Kritisch zu dieser Differenzierung: de La Pradelle/Politis, Recueil des Arbitrages Internationaux, Bd. 2 (1856-1872) (1932), 34 ff. 131
So neben Lauterpacht, Private Law Sources and Analogies of International Law, 1927 (Neudruck 1970), 269 auch de La Pradelle/Politis, Recueil des Arbitrages Internationaux, Bd. 2 (1856-1872) (1932), 34 („la preuve des obligations par l’aveu extra-judiciaire“). „Aveu“ wird im französischen Recht als „déclaration par laquelle une personne tient pour vrai un fait qui peut produire contre elle des conséquences juridiques“ definiert (Guillien/Vincent, Lexique des termes juridiques (1999), 57).
Beweisaufnahme und Beweismittel
387
Stimmen in der Literatur werten als Bestätigung der Möglichkeit eines außergerichtlichen Geständnisses Fälle, in denen der IGH solchen Erklärungen von Repräsentanten eines Staates besonderen Beweiswert beimaß, die vor einem offiziellen Organ des Staates oder vor einer internationalen oder regionalen Organisation abgegeben wurden,132 dies insbesondere dann, wenn sie dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Erklärende besitzt, im Prozess zum Nachteil gereichen würden.133 Richtig erscheint indes, dies als Beweiswürdigungsvorgang und nicht als Geständnis zu sehen.134 Dies wird durch die weitere Rechtsprechung des IGH im Application of the Genocide Convention-Fall bestätigt: Hier unterschied der Gerichtshof zwischen einer unabhängig vom Verfahren abgegebenen (politischen) Erklärung und dem eigentlichen Prozessverhalten der Parteien und maß nur letzterem Bedeutung für die Beweisbedürftigkeit von Tatsachen zu.135 Ein außergerichtliches Geständnis kann sich auch nach der vom IGH im Nuclear Tests-Fall aufgestellten Regel ergeben, dass mit Rechtsbindungswillen abgegebene einseitige Erklärungen für den Staat völkerrechtliche Verpflichtungen schaffen können. Der IGH erstreckte diese Wirkung ausdrücklich auf einseitige Akte „concerning legal or factual situations“.136 Auch hier ist jedoch von einem materiellrechtlich bedeutsamen Schuldanerkenntnis oder von einem völkerrechtlich bindenden einseitigen Akt, nicht aber von einem prozessual wirkenden Geständnis auszugehen. Auch vor dem WTO-Streitbeilegungsgremium behaupteten Parteien, Tatsachen seien als zugestanden zu behandeln, da sie von gegenwärtigen oder früheren öffentlichen Bediensteten der Gegenseite außergerichtlich bestätigt worden waren. Während einige Panel dieser Auffassung grundsätzlich positiv gegenüberstanden,137 äußerte das Panel in US – Section 301 Trade Act Skepsis hieran: 132
Diese Einordnung bei Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 160. 133 134 135 136 137
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (41, Ziff. 64). Dazu: Kapitel 8 C. II. 1. (b). IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 377 f. IGH, Nuclear Tests Case (Australia), ICJ Rep. 1974, 253 (266, Ziff. 43).
DSB, US – 1916 Act (Japan), Ziff. 6.61 f.: “The main question is whether these statements should be treated as admissions of facts or of the legal nature of the 1916 Act under the WTO. We note that the factual accuracy of the statements mentioned in this case has been put in doubt by the United States before
388
Kapitel 7
“Attributing international legal significance to unilateral statements made by a State should not be done lightly and should be subject to strict conditions. Although the legal effects we are ascribing to the US statements made to the DSB through this Panel are of a more narrow and limited nature and reach compared to other internationally relevant instances in which legal effect was given to unilateral declarations, we have conditioned even these limited effects on the fulfilment of the most stringent criteria. A sovereign State should normally not find itself legally affected on the international plane by the casual statement of any of the numerous representatives speaking on its behalf in today’s highly interactive and inter-dependant world nor by a representation made in the heat of legal argument on a State’s behalf. This, however, is very far from the case before us.”138 Nach der Untersuchung kann wie folgt differenziert werden: Lässt sich einer außergerichtlichen staatlichen Äußerung ein Rechtsbindungswille in Bezug auf einen Anspruch entnehmen, so handelt es sich um ein Schuldanerkenntnis. Es wird nicht eine Tatsache als richtig anerkannt, sondern ein geltend gemachter Anspruch, so dass eine Änderung der materiellen Rechtslage eintritt. Bezieht sich der Rechtsbindungswille lediglich auf eine Tatsachenfrage, so kommt ein einseitiger bindender Akt in Betracht. In beiden Fällen tritt jedoch keine Geständniswirkung ein. Der Begriff „Geständnis“ sollte sich auf innerprozessuale Vorgänge beschränken. Allerdings kommt unter einschränkenden Voraussetzungen auch ein Estoppel in Betracht.
the Panel. While this is not sufficient to reject those statements out of hand, we are reluctant to consider them as ‘admissions’ of the United States without prior verification of the context in which they were made. For these reasons, we consider that these statements should be used only to the extent that they confirm other established evidence.” 138
DSB, US – Sections 301-310 Trade Act, Ziff. 7.118. In einer Fußnote (692) betonte das Panel an, dass die Tatsachen hier im Prozess zugestanden wurden: “In this case, the legal effect of the US statements does not go as far as creating a new legal obligation. Nonetheless we have applied to them the same, and perhaps even more, stringent conditions. Subsequent to the Nuclear test case, some authors criticised giving legal effect to declarations not directed to a specific State or States but expressed erga omnes … . In this case the US statements had explicit recipients and were made in the context of a specific dispute settlement procedure.”
Beweisaufnahme und Beweismittel
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(c) Tatsachen, die nach dem Estoppel-Grundsatz als zugestanden gelten Der Estoppel-Grundsatz entstammt ursprünglich dem englischen Recht. Aber auch im römisch-rechtlich geprägten kontinentalen Recht ist der Rechtsgedanke im Verbot des venire contra factum proprium enthalten, nach dem sich niemand in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten setzen darf. Im Völkerrecht gilt der Grundsatz aus Gründen des Vertrauensschutzes ebenfalls.139 Der IGH definierte ihn im Nicaragua-Fall als „a statement or representation made by one party to another and reliance upon it by that other party to his detriment or to the advantage of the party making it.“140 Entscheidend ist, dass sich die Estoppel geltend machende Partei nach Treu und Glauben auf eine klare und eindeutige Aussage eines anderen Staates verlassen und rechtserheblich gehandelt hat, so dass sie einen Nachteil erleiden oder die andere Partei einen Vorteil gewinnen würde, falls die andere Partei die Aussage oder Position später änderte. Für das WTO-Recht formulierte damit übereinstimmend ein Panel im Fall Guatemala – Cement: “Estoppel is premised on the view that where one party has been induced to act in reliance on the assurances of another party, in such a way that it would be prejudiced were the other party later to change its position, such a change in position is ‘estopped’, that is precluded.”141
139
Müller/Cottier, EPIL II/1 (1995), 116; Mosler, RdC 140 (1974 IV), 1 (147); StIGH, Case Concerning the Payment of Various Serbian Loans Issued in France, Urteil vom 12. Juli 1929, Ser. A No. 20, 39. Insgesamt zum Vertrauensschutz: Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht (1971). Skeptisch: Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 142 ff. 140
IGH, Case Concerning the Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador v. Honduras), Application by Nicaragua for Permission to Intervene, Urteil vom 13. September 1990, 92 (118, Ziff. 63); IGH, Case Concerning the Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria), Preliminary Objections, Urteil vom 11. Juni 1998, ICJ Rep. 1998, 275 (303, Ziff. 57); IGH, North Sea Continental Shelf Cases ICJ Rep. 1969, 3 (26, Ziff. 30). 141
DSB, Guatemala – Cement II, Ziff. 8.23. Siehe aber die skeptische Beurteilung der Geltung des Prinzips im WTO-Recht durch DSB, EC – Export Subsidies on Sugar (Australia), Ziff. 7.63, bestätigt durch DSB, EC – Export Subsidies on Sugar (AB), Ziff. 310. “We agree with the Panel that it is far from clear that the estoppel principle applies in the context of WTO dispute settlement.”
390
Kapitel 7
Der Estoppel-Grundsatz kann auch für das Völkerprozessrecht, insbesondere das Beweisrecht, relevant werden.142 Mitunter wird hier gar sein Hauptanwendungsbereich gesehen.143 Danach kann eine Partei solche Tatsachen im Prozess nicht bestreiten, die zuvor der anderen Partei gegenüber als wahr geschildert wurden, falls diese Partei sich auf die Wahrheit dieser Tatsachen verlassen hat und sich nach Treu und Glauben darauf verlassen durfte, wenn und soweit sie aufgrund einer Änderung dieser Tatsachendarstellung einen Schaden erleiden würde oder die die Aussage machende Partei daraus einen Vorteil erlangte.144 Teilweise wird auf das Erfordernis des Schadens bzw. des Vorteils verzichtet, da es sich um einen sogenannten „procedural estoppel“ im Gegensatz zum „substantive estoppel“ handele.145 Wegen der Natur des EstoppelGrundsatzes als Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben bedarf es jedoch einer rechtserheblichen Zusatztatsache über das reine Vertrauen auf die Tatsachendarstellung hinaus, so dass diese Voraussetzung notwendig ist, weil es sonst an der Schutzwürdigkeit des Gegners fehlte.146 Mangelt es an dieser zusätzlichen Voraussetzung, kann das internationale Gericht die Aussage nur bei erkennbarem Rechtsbindungswillen des die Aussage machenden Staates als bindenden einseitigen völkerrechtlichen Akt werten. Scheidet auch das aus, so 142
Guggenheim, Traité de Droit international public, Bd. 2 (1954), 158 f.; Lachs, in: Perelman/Foriers (Hrsg.), La preuve en droit (1981), 109 (120); Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (27), der den Estoppelgrundsatz als accord tacite, als stillschweigende Absprache der Parteien, einordnet (S. 28); ähnlich: Delbez, Les principes généraux du contentieux international (1962), 114; Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (133). 143
Bowett, BYIL 33 (1957), 176.
144
Ebd., 183 f.; Negri, I principi generali del processo internazionale nella giurisprudenza della Corte internazionale di giustizia (2002), 95; ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (104, Ziff. 37). Ähnlich: Ebner, Streitbeilegung im Welthandelsrecht (2005), 163; Youakim, Estoppel in International Law (1970), 55 ff. 145
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 69. 146
Bowett, BYIL 33 (1957), 176 (193); Das, RBDI 30 (1997), 607 (612). Zur engen Definition des estoppels im Völkerprozessrecht siehe auch Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 290 ff., insb. 301 f. sowie Martin, L’estoppel en droit international public (1979), 259 f.; Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (14, Fn. 7).
Beweisaufnahme und Beweismittel
391
kann es die Angaben als außergerichtliche Handlungen ohne Geständnis- oder Bindungswirkung in seine Beweiswürdigung mit einbeziehen.147
(d) Weitere Geständnisfiktionen im Völkerprozessrecht Keine Fiktion eines Geständnisses tritt im Gegensatz zum deutschen Recht bei einem völkerrechtlichen Versäumnisurteil ein.148 Während im nationalen Prozess das Gericht lediglich die Schlüssigkeit der Klage unter Fiktion des Geständnisses des tatsächlichen Vortrags des Klägers durch den säumigen Beklagten prüft (§ 331 ZPO),149 bestimmen Art. 53 IGH-Statut und Art. 28 ISGH-Statut, dass sich das Gericht zu vergewissern hat, dass die Anträge bzw. das Begehren tatsächlich und rechtlich begründet sind. Gleiches gilt für Art. 45 Abs. 1 ICSID-Ü.150 Regel 42 Abs. 4 ICSID-AR konkretisiert dies und ordnet an, dass das Schiedsgericht entscheiden soll, „whether the submissions made are well-founded in fact and in law“, was bedeutet, dass das Schiedsgericht im Säumnisverfahren amtswegig alle tatsächlichen Behauptungen der erschienenen Partei verifizieren muss.151 Auch Art. 28 IUSCT-VerfO sieht keine Geständnisfiktion vor. Ebenso wenig als Geständnis zu qualifizieren ist die Weigerung, Kooperationspflichten in der Tatsachenermittlung zu erfüllen. Im Rahmen der Beweiswürdigung ist es allerdings möglich, Rückschlüsse auf die Wahrheit bzw. Unwahrheit der Tatsachen zu ziehen, bezüglich derer die betroffene Partei die Mitarbeit verweigert hat.152
147
So auch: Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 147; Bowett, BYIL 33 (1957), 176 (195); Martin, L’estoppel en droit international public (1979), 202. Dazu unten Kapitel 8 C. II. 3. 148
Frowein, in: Dupuy, Manuel sur les organisations internationales (1998), 153 (184). 149
Siehe Thomas/Putzo-Reichold, § 331 ZPO, Rn. 5.
150
“Failure of a party to appear or present his case shall not be deemed an admission of the other party’s assertion.” 151
Schreuer, The ICSID Convention: A Commentary (2009), Article 43 [Evidence], Rn. 23. 152
Dazu Kapitel 6 A. II.
392
Kapitel 7
4. Bindung an Tatsachenfeststellungen anderer internationaler Gerichte oder internationaler Organisationen Im nationalen Zivilprozess erwachsen die Tatsachen, die das Gericht in seinem Urteil festgestellt und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, in der Regel selbst nicht in Rechtskraft.153 Die präjudizielle Rechtskraftwirkung erstreckt sich demnach nur auf das im ersten Urteil festgestellte Rechtsverhältnis. Fraglich ist, ob sich dies bei internationalen Gerichten ähnlich verhält. Einerseits ist dabei eine materielle Rechtskrafterstreckung zwischen verschiedenen internationalen Gerichten zu untersuchen (dazu (a)), andererseits kommt in Betracht, dass Tatsachen von anderen, nichtgerichtlichen Körperschaften des Völkerrechts in für das internationale Gericht bindender Form festgestellt worden sind (dazu (b)).
(a) Bindung an gerichtlich festgestellte Tatsachen (aa) Res judicata und andere Bindungswirkungen im Völkerprozessrecht Die Figur der Rechtskraft internationaler Urteile ist im Völkerrecht grundsätzlich anerkannt.154 Dazu gehört auch die Unterscheidung zwischen formeller und materieller Rechtskraft, wobei die formelle Rechtskraft in den meisten Fällen mangels Bestehen eines Instanzenzuges mit der Verkündung des Urteils eintritt. So betreffen beispielsweise Art. 60 IGH-Statut und Art. 33 Abs. 1 ISGH-Statut die formelle Rechtskraft (Urteile sind endgültig und unterliegen keinem Rechtsmittel), während Art. 59 IGH-Statut und Art. 33 Abs. 2 ISGH-Statut die materielle Rechtskraft regeln.155 Auch Entscheidungen der Panels des 153
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 152, Rn. 11.
154
Trail Smelter case (US v. Canada), Schiedsspruch vom 11. März 1941, RIAA 3 (1949), 1938 (1950): “That the sanctity of res judicata attached to a final decision of an international tribunal is an essential and settled rule of international law”; IGH, Effects of Awards of Compensation made by the UN Administrative Tribunal, Gutachten vom 13. Juli 1954, ICJ Rep. 1954, 47 (53). Siehe auch: Hallier, Völkerrechtliche Schiedsinstanzen für Einzelpersonen und ihr Verhältnis zur innerstaatlichen Gerichtsbarkeit (1962), 92 ff. 155
StIGH, Interpretation of Judgments Nos. 7 and 8 (The Chorzów Factory), Urteil vom 16. Dezember 1927, diss. op. Anzilotti, PCIJ 1927, ser A, No. 11, 23 (27). Reinisch, LPICT 3 (2004), 37 (47) betont, dass Art. 59 IGH-Statut vornehmlich klarstellen sollten, dass keine stare decisis-Wirkung eintreten sollte.
Beweisaufnahme und Beweismittel
393
WTO-DSB erwachsen in materielle Rechtskraft;156 da hier Rechtsmittel zum Berufungsgremium eingelegt werden können, spielt die formelle Rechtskraft eine besondere Rolle. Grundsätzlich erwächst nur der dispositif, der Tenor des Urteils in Rechtskraft, wobei auf die Entscheidungsgründe zur Auslegung des Tenors zurückgegriffen werden kann.157 Die Wirkung beschränkt sich in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle auf die Parteien des Rechtsstreits.158 Neben der Rechtskraft des Tenors des Urteils kennt das Völkerprozessrecht auch innerprozessuale Bindungswirkungen. Eine solche tritt – vergleichbar mit der des § 318 ZPO – bei Zwischenurteilen in Bezug auf Endurteile ein.159 Beispiel hierfür ist die Bindung des Gerichts an ein Feststellungsurteil zur Staatenverantwortlichkeit (Grundurteil) im weiteren Streit um die genaue Bezifferung des ersatzpflichtigen Schadens.160 Fraglich ist eine Bindung bei der getrennten Verhandlung der vorgängigen Einreden (preliminary objections) und der Hauptsache (merits). Der StIGH entschied hierzu, dass er im Hauptsacheverfahren nicht an das
156
DSB, India – Autos (Panel), Ziff. 7.62.-7.66, Nichols, Virginia JIL 36 (1996), 379 (433 f.); Göttsche, Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Rechtsmittelinstanz (2005), 340 ff. 157
Court of Arbitration, Delimitation of the Contintental Shelf (United Kingdom v. French Republic), Interpretation of the Decision of June 30, 1977, Urteil vom 14. März 1978, ILR 54 (1979), 139 (170, Ziff. 28); Queneudec, in: Permanent Court of Arbitration, The Eritrea-Yemen Arbitration Awards 1998 and 1999 (2005), 1 (4); IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 123; Combacau/Sur, Droit international public (2006), 602 f. Zum völkerprozessrechtlichen Streitgegenstandsbegriff siehe Finke, Die Parallelität internationaler Streitbeilegungsmechanismen (2004), 288 ff.; Reinisch, LPICT 3 (2004), 37 (61 ff.). 158
Wegen, Vergleich und Klagerücknahme im internationalen Prozeß (1987), 380; Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 584: “[T]he direct authority of a judgment may be limited to the parties and to the case …” (Hervorh. d. Verf.). Ausnahme: Urteile zur Abgrenzung des staatlichen Hoheitsgebiets sollen erga omnes-Wirkung haben: Mosler, Hastings ICLR 4 (1980-1981), 425 (455). 159 160
Scobbie, LPICT 4 (2005), 421 (462, Fn. 138).
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (143, Ziff. 284); IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (257, Ziff. 260); EECC, Final Award, Eritrea’s Damages Claims (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 17. August 2009, Ziff. 29 ff.; EECC, Final Award, Ethiopia’s Damages Claims (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 17. August 2009, Ziff. 29 ff.
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Kapitel 7
über vorgängige Einreden ergangene Zwischenurteil gebunden sei.161 Ähnliches kann aus den South-West Africa-Fällen gefolgert werden.162 An der Richtigkeit dieser älteren Rechtsprechung bestehen jedoch Zweifel, da sonst der Zweck des Zwischenurteils, nämlich die Prozessvereinfachung, hinfällig würde.163 Der IGH hat nunmehr im Application of the Genocide Convention-Fall die Bindungswirkung auch dieser Form der Zwischenurteile für das weitere Verfahren bestätigt.164 Keine Bindungswirkung entfalten hingegen bloße Empfehlungen des Gerichts.165 Insbesondere für den IGH gilt, dass er im einstweiligen Rechtsschutz keine endgültigen Feststellungen treffen kann;166 das bezieht sich auch auf Tatsachenfeststellungen. Diese Bindungswirkung besteht jedoch nur für dasselbe Verfahren, nicht aber in unterschiedlichen Streitigkeiten mit abweichendem Streitgegenstand, seien sie auch von denselben Parteien vor demselben Gericht über einen identischen Lebenssachverhalt geführt. Exemplarisch hierfür ist der vom ISGH entschiedene Saiga-Fall. Der ISGH behandelte im Hauptsacheverfahren die Feststellung in seiner Entscheidung im sofortigen Freigabeverfahren nach Art. 292 SRÜ, dass das fragliche Schiff die Staatszugehörigkeit St. Vincents hatte, nicht als präjudiziell, ließ sie aber dennoch in die Beweiswürdigung mit einfließen,167 ohne freilich die Bedeutung dieser Feststellung für die Beweiswürdigung zu erläutern. Eine Bindungswirkung wäre auch schon deswegen nicht in Betracht gekommen, da die in Bezug genommene Feststellung Teil der Sachverhaltsschilderung und nicht des Tenors war.168
161
StIGH, Case Concerning Certain Interests in Polish Upper Silesia (Preliminary Objections), Urteil vom 25. August 1925, Ser. A No. 6, 15 f.; Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 517. 162
IGH, South West Africa Cases (Second Phase), ICJ Rep. 1966, 4 (36 f.).
163
Siehe auch: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Bernhardt, Art. 59, Rn. 29. 164 165
IGH, Genocide Case, Ziff. 114 ff. d’Aspremont, ICLQ 56 (2007), 185 (194).
166
IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), ICJ Rep. 1993, 325 (347, Ziff. 48). 167
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), ITLOS Rep. 1999, 10 (38, Ziff.
71). 168
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 92 (103, Ziff. 34). Ähnlich de la Fayette, IJMCL, 15 (2000), 355 (367).
Beweisaufnahme und Beweismittel
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Die Wirkung der materiellen Rechtskraft erstreckt sich grundsätzlich auch auf Verfahren vor anderen internationalen Spruchkörpern als dem Ausgangsgericht.169 Damit ist nicht gesagt, dass Entscheidungen eines internationalen Gerichts andere formal binden.170 Dies ist nach allgemeinen Regeln, wie sie aus dem Recht internationaler Organisationen bekannt sind, nicht ohne Weiteres möglich. Jedoch offenbart sich hier ein Unterschied zwischen dem Recht internationaler Organisationen und dem Recht der internationalen Streitbeilegung: Während es bei internationalen Organisationen (abgesehen vom allgemeinen Störungsverbot) keinen allgemeinen Rechtssatz gibt, der einer Organisation die Beschäftigung mit einem Sachverhalt verbietet, über den bereits eine andere Organisation eine Aussage getroffen hat bzw. bezüglich dessen sie tätig geworden ist oder wird, kann man bei internationalen Gerichten aus ihrer Funktion, nämlich der endgültigen Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen zwei Parteien, folgern, dass eine erneute Entscheidung dieses Falles wegen der Rechtskraft nicht möglich ist. Während die Funktion internationaler Gerichte immer gleich ist (Streitentscheidung), sind die Funktionen und Aufgaben internationaler Organisationen in der Regel sehr unterschiedlich. Die Nichtzulässigkeit einer Entscheidung, über die bereits ein Urteil gefällt wurde, folgt daher nicht aus einer Bindungswirkung der Entscheidung des anderen internationalen Gerichts, sondern stellt eine inhärente und sich aus der Funktionsweise des internationalen Gerichts ergebende Zulässigkeitsschranke dar.
169
Reinisch, LPICT 3 (2004), 37 (44 ff. und 51 ff.). Anders: Neumann, ZaöRV 61 (2001), 529 (550), der scheinbar die Frage der materiellen Rechtskraft (res judicata) mit der der Bindung an Präzendenzfälle (stare decisis) vermischt. Zum Unterschied der beiden Prinzipien siehe Röben, GYIL 32 (1989), 382 (383); Shahabuddeen, Precedent in the World Court (1996), 167 f.; Scobbie, AYIL 20 (1999), 299 (303) und Hallier, Völkerrechtliche Schiedsinstanzen für Einzelpersonen und ihr Verhältnis zur innerstaatlichen Gerichtsbarkeit (1962), 94 f. Vor diesem Hintergrund ist auch die Aussage von Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (160) zu verstehen („Streitbeilegungsentscheidungen [entfalten] keine rechtliche Verbindlichkeit nach außen.“). Für die hier vertretene Ansicht spricht auch IGH, Pulp Mills on the River Uruguay (Argentina v. Uruguay), Beschluss vom 23. Januar 2007, Ziff. 30. 170 Fleischhauer, Max Planck UNYB 1 (1997), 327 (329) zur fehlenden Bindung anderer internationaler Gerichte an die Entscheidungen des IGH.
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(bb) Bindung an Tatsachenfeststellungen Die Frage der Berücksichtigung von Tatsachenfeststellungen anderer internationaler Gerichte stellte sich vor allem im Application of the Genocide Convention-Fall zwischen Bosnien-Herzegowina und Serbien.171 Angesichts der Proliferation internationaler Gerichte und der Überschneidungen ihrer Jurisdiktion werden sich ähnliche Konstellationen jedoch wohl in Zukunft vermehrt ergeben.172 Im Genocide-Fall verwies der Kläger in großem Umfang auf vom JStGH aufbereitetes Tatsachenmaterial und argumentierte, dass die Feststellungen des Gerichts „are entitled to the status, if not of res judicata, then certainly of evidence demonstrating that which has been regarded as proven by the proceedings in that Tribunal“.173 Trotz der damit zumindest suggerierten Geltung des res judicata-Grundsatzes behaupteten die Kläger im Folgenden nicht mehr, der IGH sei an die Tatsachenfeststellungen formal gebunden, sondern betonten lediglich deren hohe Beweiskraft.174 Der IGH hat diese Sichtweise in seinem Urteil bestätigt und sich nicht an die Beurteilung des JStGH gebunden gesehen, ihr jedoch einen starken Beweiswert zugesprochen.175 Bereits zuvor hatte der IGH klargestellt, dass ein einmal einer Klage zugrunde gelegter Lebenssachverhalt in einem anderen Fall durchaus noch einmal Gegenstand eines Verfah171 Hierzu: Milanović, EJIL 17 (2006), 553 (596); Dupuy, in: Cassese u.a. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1085 (1098). Zur Rechtskrafterstreckung der rechtlichen Beurteilung; Drumbl, New England Law Review 37 (2003), 1037 (1046): Rechtskrafterstreckung bzgl. rechtlichen Erwägungen; und S. 1049: Nutzung von vor dem JStGH eingeführten Beweismitteln im IGH-Verfahren: “[I]t is unclear whether providing evidence of individual criminal responsibility in support of civil liability claims involving the state of which the criminal is an official equally would be eschewed.” Siehe auch: Gattini, RGDIP 110 (2006), 303 (329), der sich gegen eine Rechtskrafterstreckung von strafgerichtlichen Urteilen auf Staatshaftungsprozesse ausspricht. 172 Mathias, AJIL 100 (2006), 629 (643); Rosenne, in: ders., Essays on International Law and Practice (2007), 353 (362). 173
IGH, Genocide Case (Merits), Reply of Bosnia Herzegovina, 23. April 1998, Chapter 3, S. 48, Ziff. 41. 174
IGH, Genocide Case (Merits), CR 2006/5, 19, Ziff. 34 (Thomas Franck): “The facts established by the ICTY that will be cited to assist this Court in order to reach its own conclusions regarding the commission of genocide have various pedigrees.” So auch: Milanović, EJIL 17 (2006), 553 (596). 175
Dazu unten Kapitel 8 C. II. 9.
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rens sein könne und dass keine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen eintrete: “Nor can it be accepted that once the Court has given judgment in a case involving certain allegations of fact, and made findings in that respect, no new procedure can be commenced in which those, as well as other, facts might have to be reconsidered. … In any event, it is for the Parties to establish the facts in the present case taking account of the usual rules of evidence, without it being possible to rely on considerations of res judicata in another case not involving the same parties … .”176 Gleiches gilt im WTO-Streitbeilegungsverfahren. Hier hat das Appellate Body entschieden, dass “[f]actual findings made in prior disputes do not determine facts in another dispute. Evidence adduced in one proceeding, and admissions made in respect of the same factual question about the operation of an aspect of municipal law, may be submitted as evidence in another proceeding. The finders of fact are of course obliged to make their own determination afresh and on the basis of all the evidence before them. But if the critical evidence is the same and the factual question about the operation of domestic law is the same, it is likely that the finder of facts would reach similar findings in the two proceedings. Nonetheless, the factual findings adopted by the DSB in prior cases … , as a rule or norm, are not binding in another dispute.”177 Nach den dargestellten allgemeinen Grundsätzen kommt im Völkerprozessrecht wie im nationalen Recht Tatsachenfeststellungen eines internationalen Gerichts keine Rechtskraftwirkung zu.178 Der insoweit missverständliche Art. 36 Abs. 2 (c) IGH-Statut („das Bestehen jeder Tatsache“) ist daher so auszulegen, dass in den Tenor des Urteils die Völkerrechtsverletzung, nicht jedoch das diese Verletzung begründende „Bestehen jeder Tatsache“ aufzunehmen ist. Nur soweit die Rechtskraft 176
IGH, Border and Transborder Armed Actions (Nicaragua v. Honduras), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 20. Dezember 1988, ICJ Rep. 1988, 69 (91 f., Ziff. 54). 177
DSB, Appellate Body Report, United States – Continued Existence and Application of Zeroing Methodology, WT/DS350/AB/R, 4. Februar 2009, Ziff. 190. 178 Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 56.
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eines Urteils reicht ist ein Antrag als solcher unzulässig. Auf die Beweisbedürftigkeit von Tatsachen in einem anderen Verfahren, das auf diesen Tatsachen aufbaut, aber einen anderen Streitgegenstand betrifft, hat dies keinen Einfluss.179
(cc) Indirekte Bindung über die Streitparteien Um eine indirekte Bindung an bereits festgestellte Tatsachen zu erreichen, wird auch argumentiert, dass ein internationales Gericht den Beweis solcher Tatsachenbehauptungen, die in einem anderen Verfahren von der gleichen Partei anders dargestellt wurden, als unzulässig verbieten könne.180 Dies überzeugt jedoch nicht. Denn ein Unterschied, der eine gegenüber anderen außerprozessualen Äußerungen abweichende Behandlung rechtfertigenden kann, ist nicht ersichtlich. Daher sollte auch dies nur im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden und nach dem Estoppel-Grundsatz beurteilt werden. Ebenso findet sich die Ansicht, dass eine einmal gerichtlich festgestellte Tatsache von den Parteien in keinem anderen Forum oder Verfahren mehr abweichend behauptet werden kann.181 Damit umginge man jedoch das Prinzip, dass Gerichte nicht an die tatsächlichen Feststellungen gebunden sind, die sie selbst in anderen Verfahren oder die andere Gerichte getroffen haben. Die Estoppel-Doktrin kann mangels parteilichen Verhaltens auch nicht dazu fruchtbar gemacht werden, dass Gerichte an die (rechtlichen oder tatsächlichen) Entscheidungen anderer Spruchkörper gebunden sind.182
(dd) Ergebnis Eine Bindung an Tatsachenfeststellungen anderer internationaler Gerichte ist grundsätzlich ausgeschlossen.183 Dennoch können internationale Gerichte diesen Tatsachenfeststellungen besonderes Gewicht in der 179
Rosenne, in: ders., Essays on International Law and Practice (2007), 353
(362). 180 181 182 183
Lachs, in: FS-Elias (1992), 265 (267). Jenks, The Prospects of International Adjudication (1964), 683. Ebner, Streitbeilegung im Welthandelsrecht (2005), 162.
So auch: IGH, Genocide Case (Merits), diss. op. Mahiou, Ziff. 53. Scheinbar anders: Negri, I principi generali del processo internazionale nella giurisprudenza della Corte internazionale di giustizia (2002), 95.
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Beweiswürdigung beimessen.184 So kann man durchaus argumentieren, dass den Tatsachenfeststellungen anderer internationaler Gerichte oder auch desselben Gerichts in früheren Fällen der Anschein der Richtigkeit zukommt.185 Dies wird dann besonders der Fall sein, wenn die Parteien der beiden Verfahren identisch sind.
(ee) Exkurs: Praktische Lösung in Massenverfahren Gerade in Verfahren, die die Aufarbeitung von Systemunrecht betreffen, in denen sich also eine Vielzahl einzelner Fälle auf einen identischen komplexen Lebenssachverhalt bezieht, liegt oft eine besondere Berücksichtung der Tatsachenfeststellungen nahe, die dasselbe Gericht in anderen Fällen getroffen hat. Diese Notwendigkeit hat sich vor allem vor den ad hoc-Strafgerichten und dem IAGMR gestellt, ist aber auch vor den gemischten Schiedskommissionen relevant geworden.186 Im Verfahren vor dem JStGH und dem RStGH hat sich aus der beschriebenen Lage heraus eine Praxis etabliert, gewisse Tatsachen, die in einem oder mehreren erstinstanzlichen Verfahren festgestellt und evtl. im Berufungsverfahren bestätigt wurden, als sogenannte „adjudicated facts“ auch in anderen Verfahren im Wege der „judicial notice“ zuzulassen.187 Es geht demnach um eine besondere Form der gerichtsbekannten Tatsachen. Sinn und Zweck der Regel ist die Prozessökonomie und die Harmonisierung der Rechtsprechung unter Achtung des Rechts des Angeklagten auf ein faires, öffentliches und zügiges Verfahren.188
184
Nollkaemper, ICLQ 52 (2003), 615 (628).
185
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 56. Ebenso DSB, Japan – Alcoholic Beverages II (Panel), Ziff. 6.23 und Palmeter/Mavroidis, AJIL 92 (1998), 398 (404). 186
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 110 f.
187
Regel 94 (B) JStGH-VerfO: “At the request of a party or proprio motu, a Trial Chamber, after hearing the parties, may decide to take judicial notice of adjudicated facts or documentary evidence from other proceedings of the Tribunal relating to matters at issue in the current proceedings.” Dazu: Nice/Vallières-Roland, JCIL 3 (2005), 354 (375). 188
RStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Édouard Karemera, Mathieu Ngirumpatse and Joseph Nzirorera, Case No. ICTR-98-44-AR73(C), Decision on Prosecutor’s Interlocutory Appeal of Decision on Judicial Notice, Beschluss vom 16. Juni 2006, Ziff. 39.
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Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine solche Berücksichtigung sind eng auszulegen.189 Nötig ist, dass die Tatsachen zwischen den Parteien (also der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten) im konkreten Verfahren nicht ernsthaft streitig sind, über sie bereits in einem vorherigen Verfahren streitig verhandelt wurde (sie also nicht lediglich Gegenstand eines plea agreement oder eines Geständnisses des Angeklagten waren), sowie dass sie entweder im Berufungsverfahren nicht gerügt wurden bzw. von der Berufungskammer bestätigt wurden.190 Nur vom selben Gericht festgestellte Tatsachen können übernommen werden.191 Es dürfen allerdings keine Tatsachen über diesen Weg in den Prozess eingeführt werden, die die Handlungen, das Verhalten und den mentalen Zustand des Angeklagten selbst betreffen.192 Die Zulassung dieser Tatsachen steht im Ermessen des Gerichts.193 Einmal zugelassen spricht für die übernommenen Tatsachen eine Vermutung der Richtigkeit, die von der Gegenpartei jedoch noch widerlegt werden kann.194 Es tritt also eine Beweislastumkehr ein. Damit weicht
189 Dazu: Nemitz, in: Kirsch (Hrsg.), Internationale Strafgerichtshöfe (2005), 53 (69). 190
JStGH, Appeals Chamber, Kupreškić et al., Case IT-95-16, Decision on the Motions of Drago Josipović, Zoran Kupreškić and Vlatko Kupreškić to Admit Additional Evidence pursuant to Rule 115 and for Judicial Notice to be taken pursuant to Rule 94(b), Beschluss vom 8. Mai 2001, Ziff. 6; JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Krajišnik, Case IT-00-39-PT, Decision on Prosecution Motion for Judicial Notice of Adjudicated Facts and for Admission of Written Statements of Witnesses Pursuant to Rule 92 bis, Beschluss vom 28. Februar 2003, Ziff. 14. 191
Schabas, The UN International Criminal Tribunals (2006), 492.
192
RStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Édouard Karemera, Mathieu Ngirumpatse and Joseph Nzirorera, Case No. ICTR-98-44-AR73(C), Decision on Prosecutor’s Interlocutory Appeal of Decision on Judicial Notice, Beschluss vom 16. Juni 2006, Ziff. 48, 50. 193
Schabas, The UN International Criminal Tribunals (2006), 491 m.w.N.; RStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Édouard Karemera, Mathieu Ngirumpatse and Joseph Nzirorera, Case No. ICTR-98-44-AR73(C), Decision on Prosecutor’s Interlocutory Appeal of Decision on Judicial Notice, Beschluss vom 16. Juni 2006, Ziff. 41. 194
JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Krajišnik, Case No. IT-00-39-PT, Decision on Prosecution Motion for Judicial Notice of Adjudicated Facts and for Admission of Written Statements of Witnesses Pursuant to Rule 92 bis, Beschluss vom 28. Februar 2003, Ziff. 16.
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diese Kategorie von der Behandlung anderer offenkundiger Tatsachen ab, bezüglich derer keine Beweisaufnahme zulässig ist.195 Eine ähnliche Entwicklung wie beim JStGH findet sich aus Erwägungen der Prozessökonomie beim IAGMR.196 So hat der IAGMR oft systematische und daher gleichförmige Verstöße gegen Menschenrechte zu behandeln. Falls die einzelnen Fälle hinreichend vergleichbar sind, kann der Gerichtshof amtswegig oder auf Antrag einer Partei Dokumente in die Fallakte aufnehmen, die in einem vergleichbaren Fall als Beweismittel vorlagen.197 Im Unterschied zum JStGH bezieht sich dies jedoch nicht auf Tatsachen als solche, sondern lediglich auf Beweismittel.
(b) Bindung an Tatsachenfeststellungen nichtgerichtlicher Organe internationaler Organisationen Nicht nur internationale Gerichte treffen im Rahmen ihrer Tätigkeit Tatsachenfeststellungen, sondern auch internationale Organisationen. So fragt sich, ob beziehungsweise unter welchen Voraussetzungen Gerichte oder die Parteien diese Feststellungen nicht mehr in Frage stellen können. Im Folgenden sollen die wichtigsten Sonderkonstellationen untersucht werden (Feststellungen des VN-Sicherheitsrats, der VNGeneralversammlung und des IWF), um allgemeine Regeln zu finden.
(aa) Bindung internationaler Gerichte an Tatsachenfeststellungen des VN-Sicherheitsrats Der VN-Sicherheitsrat ist ein politisches, kein gerichtliches Organ der VN. Bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben und Befugnisse muss er jedoch unvermeidlich auch rechtliche und tatsächliche Feststellungen
195 JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Milošević, Case. No. IT-02-54AR73.5, Decision on the Prosecution’s Interlocutory Appeal Against the Trial Chamber’s 10 April 2003 Decision on Prosecution Motion for Judicial Notice of Adjudicated Facts, Beschluss vom 28. Oktober 2003, diss. op. Hunt, der aus diesem Grund die Einordnung als „judicial notice“ ablehnt. 196
Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights (2003), 206. 197 IAGMR, Cantoral Benavides v. Peru, Urteil vom 18. August 2000, Ser. C No. 69, 110 (Ziff. 16), 113 (Ziff. 32).
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treffen.198 Auch ist der Sicherheitsrat bei der Wahrnehmung seiner Befugnisse grundsätzlich ermächtigt, Tatsachenfeststellungen zu treffen. Bedient sich der Sicherheitsrat der Handlungsform des bindenden (nicht bloß empfehlenden) Beschlusses (decision),199 so ist prinzipiell der gesamte Beschluss inklusive der tatsächlichen Feststellungen (determinations) nach Art. 25 VN-Charta rechtlich bindend.200 Gleichzeitig kommen rechtmäßige und bindende Beschlüsse des Sicherheitsrats und seiner Unterorgane in den Genuss der Regel des Art. 103 VNCharta.201 Fraglich ist, ob solche im Rahmen der Kompetenzen des Sicherheitsrats getroffenen Feststellungen internationale Gerichte binden. Die Problematik ist vielgestaltig und bisher insbesondere im Hinblick auf das Verhältnis von Sicherheitsrat und anderen internationalen Organisationen diskutiert worden. So wird vertreten, dass insbesondere unter Kapitel VII beschlossene Maßnahmen aufgrund von Art. 48 VN-Charta auch für VN-Sonderorganisationen gelten.202 In dieser Allgemeinheit geht die Aussage jedoch zu weit.203 VN-Sonderorganisationen sind grundsätzlich selbständige internationale Organisationen. Weitere Verpflichtungen können sich lediglich aus den Relationship Agreements ergeben, die Sonderorganisationen mit der VN geschlossen haben.204 Jenseits die198 Lauterpacht, Aspects of the Administration of International Justice (1991), 43. 199
Die bindende Wirkung nach Art. 25 VN-Charta gilt unabhängig vom Tätigwerden des Sicherheitsrats unter Kapitel VII VN-Charta, siehe IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South West Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970), Gutachten vom 21. Juni 1971, ICJ Rep. 1971, 16 (53, Ziff. 113); Herdegen, Völkerrecht (2007), § 40, Rn. 17. Anders: Frowein, ZaöRV 36 (1976), 147 (164 f.). 200
Divac Öberg, EJIL 16 (2005), 879 (891).
201
Koskenniemi, Fragmentation of International Law: Difficulties Arising from the Diversification and Expansion of International Law, Report of the Study Group of the ILC, UN Doc. A/CN.4/L.682, 13. April 2006, Ziff. 331; Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (166). Anders: Bowett, EJIL 5 (1994), 89 (93). 202
Killinger, The World Bank’s Non-Political Mandate (2003), 121: Weltbank als Sonderorganisation nach Art. 48 VN-Charta an Beschlüsse des Sicherheitsrates nach Kapitel VII gebunden. 203
Seidl-Hohenveldern/Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen (2000), Rn. 0820. 204 Hierzu: Schermers/Blokker, International Institutional Law (2003), § 1710.
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ser Abkommen besteht jedoch keine hierarchische Beziehung zwischen der VN und ihren Sonderorganisationen.205 Weitergehend wird auch mit Hinblick auf VN-fremde internationale Organisationen vertreten, dass diese jedenfalls dann an Beschlüsse des Sicherheitsrats gebunden seien, wenn alle ihre Mitgliedstaaten gleichzeitig VN-Mitglieder sind.206 Teilweise wird sogar eine generelle Bindungsmöglichkeit des Sicherheitsrats für alle internationalen Organisationen befürwortet.207 Dies ist jedoch nach dem Prinzip der Gleichrangigkeit und Unabhängigkeit internationaler Organisationen höchst zweifelhaft.208 Auch im Verhältnis der VN zu anderen internationalen Organisationen besteht ein Rücksichtnahmegebot.209 Eine Bindungsmöglichkeit ist daher nach dem gegenwärtigen Stand des Völkerrechts abzulehnen, wenn nicht im Gründungsvertrag oder in einem zwischen den Organisationen geschlossenen Abkommen anderes geregelt ist. Mit Hinblick auf den IGH stellte sich bisher schwerpunktmäßig die Frage, inwiefern dieser die Akte des Sicherheitsrats kontrollieren darf. Dabei ist konsentiert, dass der IGH derzeit jedenfalls nicht wie ein Verwaltungs- oder Verfassungsgericht tätig werden kann, um Beschlüsse des Sicherheitsrats abstrakt auf deren formelle und materielle Rechtmäßigkeit und damit Gültigkeit hin zu überprüfen,210 da VN-Organe nicht Partei eines streitigen IGH-Verfahrens sein können. Lediglich ein Gutachten nach Art. 96 VN-Charta kommt in Betracht. Jedoch ist durchaus denkbar, und im Lockerbie-Fall geschehen, dass in einer zwi-
205 Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (165); Klein, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 265 (374 f., Rn. 234). 206
Schermers/Blokker, International Institutional Law (2003), § 1580. UNIDO, Legal Memorandum, United Nations Juridical Yearbook 28 (1990), 311 (Ziff. 5): “UNIDO … is … a subject of international law. As such – and as an international organization of the United Nations system – it has to comply with decisions of the Security Council that are binding on all States, including UNIDO’s member States, even if the resolution does not specifically address international organizations.” 207
Lavalle, CLF 14 (2003), 195 (205).
208
Siehe oben Kapitel 4 C. I. 1.; Sands/Klein, Bowett’s Law of International Institutions (2001), 460 f. Siehe aber auch: Shihata, The World Bank Legal Papers (2000), 808 ff. 209 210
Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (166).
IGH, Certain Expenses of the United Nations (Article 17, Paragraph 2, of the Charter), Gutachten vom 20. Juli 1962, ICJ Rep. 1962, 151 (168).
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schenstaatlichen Streitigkeit die Rechtmäßigkeit einer Sicherheitsratsresolution eine Rolle spielt.211 Die Rechtsprechung des IGH, aber auch anderer internationaler Gerichte zur Frage, ob sie an die vom Sicherheitsrat festgestellten Tatsachen gebunden sind, ist spärlich und wenig erhellend.212 Jedenfalls in Bezug auf das VN-System wird vertreten, dass der Sicherheitsrat eine allgemeine Kompetenz zur bindenden Anordnung anderer VN-Organe hat.213 Davon wäre auch der IGH erfasst. Eine Bindung des IGH und anderer internationaler Gerichte an Sicherheitsratsbeschlüsse kommt jedoch nicht in Betracht. Dies ergibt sich für andere internationale Gerichte als den IGH bereits aus deren fehlender Einbindung in das UNSystem. Auch stellen Funktion und Kompetenzen internationaler Organisationen und VN-Organe die absolute Grenze für die Befugnis des Sicherheitsrats dar, diese zu binden.214 Dies spricht klar gegen eine bindende Wirkung von Tatsachenfeststellungen in Beschlüssen des VNSicherheitsrats gegenüber internationalen Gerichten. Mit dem gerichtlichen Wesen und Auftrag des IGH und anderer internationaler Gerichte ist eine Bindung an tatsächliche Feststellungen des Sicherheitsrates nur schwer vereinbar.215 Gegen eine Bindungswirkung spricht auch, dass der Sicherheitsrat selbst kaum eigene Tatsachenermittlungen durchführt. So handelt er mitunter auf der Grundlage unvollständiger Tatsachen, die ihm von Mitgliedstaaten vorgelegt werden, oder muss rasch auf eine Situation reagieren, so dass keine Zeit zur objektiven Tatsachenermittlung bleibt.216 Aufgabe des IGH wie anderer internationaler 211
IGH, Case Concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention Arising From the Aerial Incident at Lockerbie (Libya v. United States of America), Request for the Indication of Provisional Measures, Beschluss (Order) vom 14. April 1992, ICJ Rep. 1992, 114 (126, Ziff. 42). 212
Siehe: Divac Öberg, EJIL 16 (2005), 879 (892).
213
Bank, Max Planck UNYB 4 (2000), 233 (257): “The Security Council itself is vested with a power to issue binding orders to other organs or sub-organs of the UN.” 214
Sarooshi, in: McGoldrick/Rowe/Donelly (Hrsg.), The Permanent International Criminal Court (2004), 95 (106). Dazu auch: Benzing, Max Planck UNYB 7 (2003), 591 (626 f.). Skeptisch insgesamt: Ruffert, AVR 38 (2000), 129 (166). 215 216
Divac Öberg, EJIL 16 (2005), 879 (892).
Bowett, EJIL 5 (1994), 89 (97, Fn. 27), der zu Recht darauf hinweist, dass Art. 40 VN-Charta (vorläufige Maßnahmen des Sicherheitsrats) letzteren Fall
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Gerichte ist es jedoch, den Streitfall auf der Basis einer streitig verhandelten und daher möglichst umfassenden Tatsachengrundlage zu entscheiden.
(bb) Bindung internationaler Gerichte an Tatsachenfeststellungen der VN-Generalversammlung Die zum Sicherheitsrat angestellten Überlegungen gelten erst recht auch für die VN-Generalversammlung, für die bereits eine dem Art. 25 VNCharta entsprechende Vorschrift nicht existiert. Daher sind ihre Beschlüsse Staaten gegenüber grundsätzlich nicht bindend. Gleiches gilt hinsichtlich internationalen Organisationen, VN-Sonderorganisationen und internationalen Gerichten. Dies macht die Auseinandersetzung zwischen Generalversammlung und der Weltbank (genauer: der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD)) im Jahre 1966-67 deutlich. Hier hatte die Generalversammlung versucht, die Weltbank daran zu hindern, Portugal und Südafrika finanzielle Hilfe zu gewähren, solange diese nicht ihre Kolonialpolitik bzw. ihre Politik der Rassendiskriminierung aufgäben.217 Die Bank war hierzu schon wegen der fehlenden Bindungswirkung von GV-Resolutionen nicht verpflichtet. Auch das entsprechende Relationship Agreement spricht gegen eine Bindung.218 Dies gilt ebenfalls für das Verhältnis der VN-Generalversammlung zu internationalen Gerichten.
(cc) Bindung der WTO-Panels an Tatsachenfeststellungen des Internationalen Währungsfonds Die Frage der Bindung an Tatsachenfeststellungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) stellt sich nur in der WTO-Streitbeilegung; sie
auffangen sollte. Bowett fordert auch verbesserte Ermittlungskompetenzen des Sicherheitsrats (S. 100). In dieselbe Richtung: O’Donnell, EJIL 17 (2006), 945 (959), die eine unabhängige permanente den Sicherheitsrat beratende Tatsachenermittlungsinstanz vorschlägt. 217
Der Vorgang ist abgedruckt in UN Doc. A/6825, in: United Nations Juridical Yearbook 1966 (1968), 108 ff. 218
Shihata, The World Bank Legal Papers (2000), 804 sowie Shihata, The World Bank in a Changing World, Selected Essays (1991), 99 ff. (insb. 102). Bleicher, International Organization 24 (1970), 31 (36 f.); Killinger, The World Bank’s Non-Political Mandate (2003), 121.
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ist umstritten.219 Das GATT und das GATS als unter die Streitbeilegungsvereinbarung fallende Übereinkommen (Art. 3 Abs. 2 DSU i.V.m. Anhang 2 DSU) enthalten Bestimmungen, denen zufolge die VERTRAGSPARTEIEN gewisse Feststellungen des IWF anerkennen. Dazu gehören Art. XV Abs. 2 GATT sowie Art. XII Abs. 5 (e) GATS. Will ein Mitglied nach Art. XII oder XVIII Abschnitt B GATT Einfuhrbeschränkungen zum Schutz der Zahlungsbilanz erlassen, so hat die Beurteilung des IWF großen Einfluss auf die Rechtfertigung der Maßnahme.220 Dies gilt auch für die Frage, ob Kontrollen oder Beschränkungen des Zahlungsverkehrs nach Art. XV Abs. 9 GATT mit dem IWF-Abkommen in Einklang stehen.221 Fraglich ist dabei insbesondere, ob die in den nach diesen Vorschriften obligatorischen Konsultationen mit dem IWF gewonnenen statistischen und anderen Daten über die Zahlungsbilanz für ein Panel bindend sind, das etwa die Vereinbarkeit einer zum Schutz der Zahlungsbilanz erlassenen Maßnahme mit Art. XII GATT prüft. Mit Blick auf die Verhandlungsgeschichte wird mitunter vertreten, dass dies nicht der Fall sei.222 Es gibt jedoch auch andere Meinungen, die insbesondere im Hinblick auf den klaren Wortlaut der Norm („shall accept“) eine Bindungswirkung bejahen.223 Sowohl das Panel als auch das Appellate Body haben die Frage im Fall India – Quantitative Restrictions offen gelassen.224 Al219
Siehe Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht (2007), Rn. 739. Zur ebenfalls umstrittenen Bindung der WTO-Panels an Tatsachenfeststellungen des Textilaufsichtsorgans, der Ständigen Sachverständigengruppe nach Art. 4 Abs. 5 ASÜ und des Ausschusses für Zahlungsbilanzbeschränkungen siehe Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (337, 355); Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 153. 220 221
Ahn, JWT 34 (4) (2000), 1 (9); Siegel, AJIL 96 (2002), 561 (577). DSB, Dominican Republic – Import and Sale of Cigarettes (Panel), Ziff.
7.131. 222
Martha, Journal of International Arbitration 14 (1997), 67 (72) m.w.N. Anders: Siegel, AJIL 96 (2002), 561 (582). Siehe auch: Waincymer, WTO Litigation (2002), 578, Fn. 234. 223 224
Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (355); Siegel, AJIL 96 (2002), 561 (580 f.).
DSB, India – Quantitative Restrictions (Panel), Ziff. 5.12 f.: “We find that, whatever the interpretation of Article XV:2 of GATT 1994, Article 13.1 of the DSU entitles the Panel to consult with the IMF in order to obtain any relevant information relating to India’s monetary reserves and balance-of-payments situation which would assist us in assessing the claims submitted to us. … We do not find it necessary for the purposes of this case to decide the extent to
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lerdings könnten die Ausführungen des Appellate Body durchaus dahingehend interpretiert werden, dass es gegen die Pflicht des Panels aus Art. 11 DSU zur objektiven Beurteilung des Sachverhalts verstieße, die Angaben des IWF ohne weitere Beweiswürdigung zu übernehmen.225 Dies spricht gegen eine Verbindlichkeit der Feststellungen des IWF. Auch das Panel im Fall Dominican Republic – Cigarettes deutete an, dass es noch eine eigene Beurteilung der Situation unter Berücksichtigung der IWF-Informationen unternahm.226 In der Tat sprechen generelle Erwägungen der gerichtlichen Unabhängigkeit gegen eine Bindung. Nach Art. 11 DSU sind die Panels zu einer „objektiven Beurteilung“ des Falles aufgerufen. Dieses Mandat bezieht sich nicht nur auf die Rechtslage, sondern auch auf die tatsächlichen Grundlagen, so dass man auch hier wohl nicht von einer absoluten Bindungswirkung ausgehen kann.227 Daher scheint es sinnvoll, vermittelnd zu argumentieren, dass den Angaben des IWF der Anschein der Richtigkeit zugutekommt.228 Den Einschätzungen des IWF – gleich, ob sie nach Art. XV Abs. 2 GATT in Konsultationen oder nach Art. 13 DSU auf Anfrage eines Panels in den Prozess eingeführt wurden – kommt also in allen Fällen bedeutendes Gewicht zu.229 Eine Bindung ist jedoch abzulehnen.
which Article XV:2 may require panels to consult with the IMF or consider as dispositive specific determinations of the IMF.”; DSB, India – Quantitative Restrictions (AB), Ziff. 152. 225
DSB, India – Quantitative Restrictions (AB), Ziff. 149: “The Panel gave considerable weight to the views expressed by the IMF in its reply to these questions. However, nothing in the Panel Report supports India’s argument that the Panel delegated to the IMF its judicial function to make an objective assessment of the matter. A careful reading of the Panel Report makes clear that the Panel did not simply accept the views of the IMF. The Panel critically assessed these views and also considered other data and opinions in reaching its conclusions.” So auch: Ahn, JWT 34 (4) (2000), 1 (24); Siegel, AJIL 96 (2002), 561 (582). Siehe auch: DSB, EC – Chicken Cuts (Brazil), Ziff. 7.56 mit Fn. 93. 226
DSB, Dominican Republic – Import and Sale of Cigarettes (Panel), Ziff. 7.139: „determination by the Panel“. 227 228 229
So aber scheinbar: Wouters/Coppens, IOLR 3 (2006), 267 (312 f.). So: Ahn, JWT 34 (4) (2000), 1 (25).
Martha, Journal of International Arbitration 14 (1997), 67 (73); Neumann, ZaöRV 61 (2001), 529 (568).
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Kapitel 7
(dd) Zusammenfassung und weitere Fälle Die untersuchten Beispiele zeigen, dass grundsätzlich keine Bindung internationaler Gerichte an tatsächliche Feststellungen der Organe internationaler Organisationen besteht. Jedoch kommt ihnen in der Regel eine hohe Beweiskraft zu. Hat eine Streitpartei als Mitglied der betreffenden internationalen Organisation in einem Organ allerdings für oder gegen die Tatsachenfeststellung gestimmt, so kann dies indirekt Auswirkungen auf die gerichtliche Tatsachenfeststellung über den EstoppelGrundsatz haben; allerdings müssen dessen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.230 Dieses Ergebnis wird durch weitere Beispiele bestätigt. So ist der EGMR an Feststellungen des European Committee for the Prevention of Inhuman and Degrading Treatment or Punishment (CPT), das ebenfalls ein Organ des Europarats ist, zwar nicht gebunden, jedoch kommt ihnen ein hoher Beweiswert zu.231 Ebenfalls keine Bindungswirkung entfalten Tatsachenfeststellungen, die vor der Durchführung des gerichtlichen Verfahrens durch einen internationalen Erfüllungskontrollmechanismus getroffen wurden. Auch ihnen kommt jedoch ein hohes Gewicht zu. So hat der StIGH im Danube Commission-Fall die von einer Sonderkommission des Völkerbunds ermittelten und vom zuständigen Organ des Völkerbunds angenommenen Tatsachen seinem Gutachten ohne weitere Prüfung zugrunde gelegt, obwohl Rumänien dagegen protestiert hatte.232 Daher wird bisweilen vorgeschlagen, dass für die in Berichten solcher internationaler Erfüllungsmechanismen enthaltenen tatsächlichen Feststellungen der Anschein der Richtigkeit gilt, sie
230 231 232
Dazu B. II. 3. (c). Leach, Taking a Case to the European Court of Human Rights (2005), 64.
StIGH, Jurisdiction of the European Commission of the Danube between Galatz and Braila, Gutachten vom 8. Dezember 1927, Ser. B No. 14, 46: “The facts having been already investigated by the Special Committee appointed by the League of Nations, and its report having been adopted by the competent body of the League, the Court does not think it proper to make new investigations and enquiries. The Court is fully aware that the Roumanian Government has refused to accept the facts established by the Committee as conclusive evidence in the matter; but the Court is of opinion that, for the purposes of the present procedure, it must accept the findings of the Committee on issues of fact unless in the records submitted to the Court there is evidence to refute them.” (Hervorh. d. Verf.).
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also zu einer Beweislastumkehr führen.233 Im Gegensatz hierzu haben WTO-Panels vereinzelt entschieden, dass sie an Ergebnisse eines Trade Policy Review nicht nur nicht gebunden, sondern diese sogar als Beweismittel im Panelprozess generell unzulässig seien. Begründet wird dies damit, dass die darin enthaltenen Tatsachen in einem andersartigen, nicht gerichtsförmigen Prozess mit einer diplomatischen Zielrichtung ermittelt und festgestellt wurden.234 Dies widerspricht der hohen Beweiskraft, die Berichten von Erfüllungsmechanismen sonst zukommt, und ist daher abzulehnen.
5. Bindung an Tatsachenfeststellungen nationaler Gerichte Ein internationales Gericht ist der Natur der Sache nach an Entscheidungen nationaler Gerichte ebenso wenig gebunden wie an nationales Prozessrecht.235 Allerdings kann das internationale Gericht im Einzelfall auf von nationalen Gerichten festgestellte Tatsachen zurückgreifen, wenn keine Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung bestehen.236 In den Fällen, in denen diese Tatsachen für den Sitzstaat des nationalen Gerichts ungünstig sind, könnten sie unter Umständen sogar als den vollen Beweis über die Tatsache erbringend angesehen werden.237
233
Beyerlin/Stoll/Wolfrum, in: dies. (Hrsg.), Ensuring Compliance with Multilateral Environmental Agreements (2006), 359 (369). Vgl. auch Kapitel 8 C.II.8.(a). 234
DSB, Canada – Aircraft (Panel), Ziff. 9.274 – 9.275; DSB, Chile – Price Band System (Panel), Ziff. 7.95 (Fn. 664). Dem folgend: Luff, Le droit de l’Organisation mondiale du commerce, Analyse critique (2004), 1031; Waincymer, WTO Litigation (2002), 598. 235
Reinisch, LPICT 3 (2004), 37 (51); Brownlie, Principles of Public International Law (2008), 51. 236
General Claims Commission United States and Panama, José María Vásquez Díaz, Assignee of Pablo Elías Velásquez (Panama) v. United States, RIAA 6 (1955), 341 (342). 237
(46).
Cohn, Review of the International Commission of Jurists 18 (1977), 40
410
Kapitel 7
III. Beweisverbote Der Zulässigkeit der Beweisaufnahme können auch Beweisverbote (evidentiary privileges and immunities) entgegenstehen. Diese sind – soviel ist vorab anzumerken – im zwischenstaatlichen Prozess bisher weit weniger relevant geworden als etwa im Völkerstrafprozessrecht oder dem Recht der privaten internationalen Schiedsgerichtsbarkeit.238 Insofern existiert hierzu nur wenig Material aus Rechtsprechung oder Literatur sowohl unter dem Aspekt der Anordnung der Urkundenvorlegung auf Antrag einer Partei (discovery) als auch des Zeugnisverweigerungsrechtes bei der Zeugenvernehmung, was vor allem auf die spärliche Nutzung dieser Instrumente durch die hier untersuchten Gerichte zurückzuführen ist. Ein anderes Bild bietet die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit. Jedoch schweigen auch hier die verfahrensrechtlichen Texte über das Thema und so haben sich bisher kaum verallgemeinerbare Regeln herausgebildet.239 Die Diskussion steht daher sowohl für die zwischenstaatliche als auch für die privatrechtliche internationale Streitschlichtung noch am Anfang.240 Die Erfahrungen aus der privaten Schiedsgerichtsbarkeit belegen aber jedenfalls, dass sich allgemeine Rechtsgrundsätze offenbar nur schwer herauskristallisieren lassen. Zu unterschiedlich sind die nationalen Rechtsordnungen sowohl in ihren Einzelheiten als auch in den den Regelungen zugrunde liegenden Wertungen.241 Konsentiert ist aber jedenfalls, dass es der Sache nach stets um eine Abwägung des öffentlichen Interesses an einer möglichst umfassenden Tatsachengrundlage des Urteils und dem Schutz bestimmter anderer Werte geht, die einer Verwertung der Beweismittel entgegenstehen.242 238
Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (405).
239
von Schlabrendorff/Sheppard, in: FS-Briner (2005), 743 (757); Meyer, Journal of International Arbitration 24 (2007), 365 (366 f.). 240
Meyer, Journal of International Arbitration 24 (2007), 365 (374); Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (405). 241
Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201 (241); Berger, Arbitration International 22 (2006), 501 (502); von Schlabrendorff/Sheppard, in: FS-Briner (2005), 743 (756) mit Bezug auf das Anwaltsgeheimnis; Meyer, Journal of International Arbitration 24 (2007), 365 (372). 242
Siehe etwa: Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (404); Malanczuk, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1371. Für das englische Recht: Halsbury’s Laws of England, Practice and Procedure, Bd. 37 (2001), 201.
Beweisaufnahme und Beweismittel
411
Beweisverbote lassen sich nach deutscher Rechtsterminologie in Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote unterteilen.243 Dabei untersagen Beweiserhebungsverbote bereits das Aufgreifen eines Beweisangebots der Parteien und die Durchführung einer entsprechenden Beweisaufnahme, während Beweisverwertungsverbote es verbieten, das Urteil auf bestimmte (erhobene) Beweise zu stützen.244 Beweiserhebungsverbote unterteilen sich weiter in Beweisthemen-, Beweismittelund Beweismethodenverbote. Beweisthemenverbote verbieten, bestimmte Tatsachen aufzuklären (etwa §§ 43 DRiG, 174 Abs. 3 GVG). Beweismittelverbote untersagen die Nutzung bestimmter Beweismittel zum Nachweis einer Tatsache, über die grundsätzlich Beweis erhoben werden darf, etwa die Aussage eines Zeugen, der von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Hierunter sind grundsätzlich auch Beweisverweigerungsrechte245 einer Partei zu subsumieren, soweit sie grundsätzlich zur Beweisgabe verpflichtet ist (etwa als Zeuge – was nach vielen nationalen Rechtsordnungen im Unterschied zur deutschen möglich ist – oder im Falle der Urkundenedition), dies aber im Einzelfall verweigern kann. Da nach bisheriger Rechtslage eine Partei nicht ohne Weiteres zur Herausgabe ihr ungünstiger Beweismittel verpflichtet war, hat sich eine diesbezügliche Doktrin in Deutschland (noch) nicht entwickelt.246 Beweismethodenverbote schließlich hindern die Nutzung bestimmter Vorgehensweisen, um die Tatsache aufzuklären (z.B. § 136a StPO). Im internationalen zwischenstaatlichen Prozess stehen verschiedene Arten von Beweisverboten im Vordergrund: staatliche Beweisverweige-
243
Die Terminologie stammt ursprünglich aus dem Strafprozessrecht. Sie kann auch auf das Zivilprozessrecht übertragen werden: MünchKomm ZPO/Prütting, § 283 ZPO, Rn. 61. 244
Dauster/Braun, NJW 53 (2000), 313 (314).
245
Ein Wort zur Terminologie: Das deutsche Recht kennt an sich Weigerungsrechte zur Beweisgabe nur in der Form von Zeugnisverweigerungsrechten. Wenn hier von „Beweisverweigerungsrechten“ gesprochen wird, so begründet sich das aus der Erkenntnis, dass im Völkerprozessrecht auch die Parteien selbst zur Urkundenedition verpflichtet sein können. Für die sich aus der Neufassung des § 142 ZPO ergebenden Änderungen im deutschen Zivilprozessrecht siehe Wagner, JZ 62 (2007), 706 (715), der von „parteibezogenen Weigerungsrechten“ spricht. 246 von Schlabrendorff/Sheppard, in: FS-Briner (2005), 743 (751 f.); Becker, MDR 2008, 1309 (1312 ff.).
412
Kapitel 7
rungsrechte247 wegen Sicherheitsinteressen (dazu 1.), Unternehmensgeheimnisse (dazu 2.), Zeugnisverweigerungsrechte wegen besonderer Vertrauensstellung (dazu 3.), Zeugnisverweigerungsrechte der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk (dazu 4.), Verweigerungsrechte wegen drohender Selbstbelastung von Parteien und Zeugen (dazu 5.) sowie die gerade in jüngerer Zeit relevant gewordenen Verweigerungsrechte internationaler Organisationen und atypischer Völkerrechtssubjekte (dazu 6.). Ausgehend davon, dass auch die außerprozessuale rechtswidrige Beweisbeschaffung durch die Parteien unter ein „Beweiserhebungsverbot“ fallen kann,248 ist auf die Verwertung solcher rechtswidrig erlangter Beweismittel einzugehen (dazu 7.). Schließlich sollen Beweisverbote hinsichtlich Materialien aus gescheiterten Einigungsversuchen der Parteien und Beweismittelverträge untersucht werden (8. und 9.).
1. Staatliche Beweisverweigerungsrechte wegen Sicherheitsinteressen Hauptgrund der staatlichen Verweigerung von Auskünften vor internationalen Gerichten ist die Berufung auf nationale Sicherheitsinteressen.249 Ähnlich wie bei der Frage der Justiziabilität von Streitigkeiten primär wissenschaftlicher Natur wird auch hier oft argumentiert, dass Fälle, die die nationale Sicherheit betreffen, nicht von internationalen Gerichten behandelt werden dürften. Die internationale Gerichtsbarkeit hat ihre Justiziabilität jedoch zu Recht stets bejaht.250 Staatliche Beweisverweigerungsrechte werden immer dann relevant, wenn eine Pflicht zur Auskunftserteilung besteht, was im Regelfall also nur für die Parteien selbst (nach Vorlageanordnung) in Frage kommt und nur in stärker integrierten Streitbeilegungsmechanismen auch für Dritte.251 Wie oben dargelegt besteht eine unter Umständen recht weitreichende Pflicht der Parteien, rechtsstreitrelevante Urkunden zu identifizieren und gegebenenfalls offenzulegen. Dies ist regelmäßig bei sol247 248
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 376. Für das deutsche Recht: Musielak/Foerste, § 284 ZPO, Rn. 23.
249
Die Besorgnis der Weitergabe vertraulicher Informationen von IGHRichtern an andere Staaten war einer der Gründe der USA, im Nicaragua-Fall nicht zur Hauptsache zu verhandeln, siehe Nash Leich, AJIL 79 (1985), 438 (440). 250
Akande/Williams, Virginia JIL 43 (2003), 365 (366) unter Hinweis auf den Nicaragua-Fall. 251
Kapitel 4 B. II.
Beweisaufnahme und Beweismittel
413
chen Dokumenten der Fall, auf die sich eine Seite in ihren Schriftsätzen oder in der mündlichen Verhandlung bezogen hat. Hier wird jedoch normalerweise kein Geheimhaltungsinteresse geltend gemacht werden, da das Dokument ja in den Prozess eingeführt werden soll.252 Weiterhin kann eine Partei einen Antrag auf Anordnung der Herausgabe durch den Gegner vor dem Gericht stellen (discovery).253 Schließlich kann das internationale Gericht die Vorlage häufig auch amtswegig anordnen. In diesen Fällen kann es zu Konflikten mit den Geheimhaltungsinteressen einer Streitpartei kommen.254 Staatliche Beweisverweigerungsrechte in internationalen Verfahren können sich naturgemäß nur aus dem Völkerrecht ergeben. Für nur unter nationalem Recht anerkannte Verweigerungsgründe gilt der Grundsatz, dass ein Staat sich nicht auf sein internes Recht berufen kann, um einer völkerrechtlichen Verpflichtung zu entgehen (vgl. Art. 27 WVK).255 Eine nur in einigen nationalen Rechten akzeptierte „public interest immunity“ kann daher auf internationaler Ebene eine Verweigerung der Urkundenvorlage nicht rechtfertigen.256 252 253
Siehe aber den Corfu Channel-Fall, in dem eben diese Situation auftrat. Kapitel 5 B. II. 2.
254
Dies gilt auch für das nationale Zivilrecht, wobei die ZPO keinen Katalog von Verweigerungsrechten für Parteien kennt. §§ 383, 384 ZPO gelten nur für Zeugen und Sachverständige (§ 408 ZPO), sowie bei der Vorlageanordnung nach § 142 Abs. 1 ZPO für Dritte (Abs. 2), nicht für die Prozessparteien. Eine enstprechende Anwendung scheidet aus, da eine Partei auf Grund des Prozessrechtsverhältnisses weitere Mitwirkungspflichten hat als ein Zeuge (Zekoll/Bolt, NJW 55 (2002), 3129 (3130); Stürner, JZ 40 (1985), 453 (457); anders: Becker, MDR 2008, 1309 (1313 ff.)). Erforderlich ist eine Einzelfallabwägung zwischen dem Geheimhaltungsinteresse einer Partei und dem Anspruch des Gegners auf effektiven Rechtsschutz. Als weitere Vergleichsgröße bietet sich § 99 Abs. 1 S. 2 VwGO an, nach dem die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage von Urkunden und die Erteilung von Auskünften verweigern kann, wenn das Bekanntwerden des Inhalts der Urkunde oder der Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen. Allerdings wird diese Regelung von Art. 19 Abs. 4 GG beeinflusst, der im zwischenstaatlichen Prozess kein Äquivalent findet. 255
Siehe auch: Reuter, Le développement de l’ordre juridique international (1995), 548. 256 ICSID, Biwater Gauff (Tanzania) Ltd. v. United Republic of Tanzania, Case No. ARB/05/22, Procedural Order No. 2, Beschluss vom 24. Mai 2006, 8 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>). Zur „public interest immunity“
414
Kapitel 7
Im vorliegenden Abschnitt stellen sich im Wesentlichen zwei Fragen:257 Erstens ist zu untersuchen, wann und in welchem Umfang eine Partei unter Berufung auf Vertraulichkeit die Herausgabe von Informationen im Prozess rechtmäßig verweigern kann. Dogmatisch handelt es sich hierbei um Beweismittelverbote. Falls eine Herausgabepflicht hinsichtlich sensitiver Informationen dennoch besteht, ist zweitens fraglich, durch welche Maßnahmen vertrauliche Informationen im Prozess geschützt werden können.
(a) Allgemeine Regel für zwischenstaatliche Verfahren (aa) Situation vor dem IGH, dem ISGH und dem IUSCT Im Corfu Channel-Fall forderte der IGH das Vereinigte Königreich nach Art. 49 IGH-Statut und Art. 54 IGH-VerfO (1946) von Amts wegen auf, vertrauliche Marinedokumente vorzulegen.258 Die fragliche Urkunde war in einem vom Vereinigten Königreich als Annex zum Schriftsatz vorgelegten Bericht erwähnt.259 Großbritannien lehnte die Vorlage jedoch unter Berufung auf Geheimhaltungsinteressen (naval secrecy) ab.260 Auch britische Zeugen verweigerten die Aussage in Bezug auf den Inhalt des Dokuments.261 Die Weigerung des Vereinigten Königreichs nahm der IGH jedoch lediglich zur Kenntnis, ohne sie juristisch zu bewerten, zu verurteilen oder Rückschlüsse hinsichtlich des Inhalts der Dokumente zu ziehen.262 Insbesondere erkannte er ein solim englischen Recht siehe: Halsbury’s Laws of England, Practice and Procedure, Bd. 37 (2001), 201 ff. 257
Waincymer, WTO Litigation (2002), 623.
258
IGH, Corfu Channel Case, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Judgments of March 25th, 1948, April 9th and December 15th, 1949, Bd. 4, 428. 259
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (31 f.). Siehe auch: Carty, LPICT 3 (2004), 1; Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (99). 260
IGH, Corfu Channel Case, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Judgments of March 25th, 1948, April 9th and December 15th, 1949, Bd. 4, 255 (No. 302: Letter of the British Agent to the Registrar). Siehe auch: Reisman, Nullity and Revision (1971), 600. 261 262
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (32).
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 62; Max-Planck-Institute for Comparative Public Law and International Law,
Beweisaufnahme und Beweismittel
415
ches Verweigerungsrecht nicht explizit an.263 Vielmehr schien er das Argument des Vereinigten Königreichs zu akzeptieren, dass die Urkunde sich auf einen nicht eingetretenen Eventualfall bezog, so dass sie nicht relevant für die Entscheidung des Falles war.264 Dennoch wird aus dem Urteil häufig gefolgert, dass die Parteien unter Umständen die Vorlegung von Urkunden unter Berufung auf Geheimhaltungsinteressen verweigern können, ohne dass ihnen daraus ein prozessualer Nachteil entsteht.265 Diese Ansicht wird indirekt durch das Urteil des IGH im Genocide-Fall bestätigt, in dem der Gerichtshof Serbien trotz des Beweisantrags von Bosnien-Herzegowina nicht aufgab, vollständige, ungeschwärzte Dokumente vorzulegen. Obwohl der Gerichtshof keine Gründe für die Ablehnung des Beweisantrags nennt, könnten Erwägungen eines Beweisverbots eine Rolle gespielt haben, da Serbien vorgetragen hatte, die Schwärzung sei zum Schutze (angeblicher) Militärgeheimnisse erfolgt.266 Eine eindeutige Aussage über staatliche Herausgabeverweigerungsrechte im IGH-Verfahren ist aufgrund des spärlichen Materials nur schwer möglich.267 Tendenziell scheint es, als habe der IGH – wie auch der StIGH – den Staaten in diesem Bereich weitgehend freie Hand gelassen.268 Jedenfalls können Staaten den Ausschluss der Öffentlichkeit ver-
Max Planck UNYB 1 (1997), 349 (371); Reuter, Le développement de l’ordre juridique international (1995), 549. Dies (offenbar) übertragend auf alle Fälle der Weigerung, einer Anordnung des IGH zur Vorlegung von Beweisen nach Art. 49 IGH-Statut Folge zu leisten: IGH, Avena Case, decl. Ranjeva, ICJ Rep. 2004, 75 (76, Ziff. 5). 263 264
Foster, CYIL 7 (1969), 150 (162). Fitzmaurice, BYIL 29 (1952), 1 (60).
265
Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 1 (1986), 129; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 49, Rn. 19; Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 181 ff. 266
IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 205.
267
Siehe auch: Sir Cecil Hurst, Report of the Second Committee, StIGH, Ser. D (1936), Acts and Documents Concerning the Organization of the Court, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th, 1936, 768 f., der eine Regelung dieser Frage in der Verfahrensordnung des StIGH ablehnt und die Ausarbeitung eines speziellen Abkommens für nötig hält. 268
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 381.
416
Kapitel 7
langen, wenn solche Beweismittel Gegenstand der mündlichen Verhandlung werden, die vertraulichen Charakters sind.269 Art. 302 SRÜ bestimmt, dass das Übereinkommen nicht so auszulegen ist, als habe ein Vertragsstaat in Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Übereinkommen Informationen zu erteilen, deren Preisgabe seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen entgegensteht. Diese Vorschrift ist vor dem ISGH bisher nicht relevant geworden, spricht aber für ein Verweigerungsrecht, auch wenn die Norm dieses – wenig bestimmt – unbeschadet des Rechts eines Vertragsstaats gewährt, die vom SRÜ vorgesehenen Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten anzuwenden. Das IUSCT hat die Herausgabe von Dokumenten, bezüglich derer die Vereinigten Staaten Geheimhaltungsinteressen angemeldet hatten, nicht angeordnet.270 Dies tat es unter Berufung auf die geringen Aussichten darauf, dass die USA der Anordnung Folge leisten würden. Es hielt sich jedoch offen, dies in der Beweiswürdigung negativ zu berücksichtigen.
(bb) Rechtsprechung des WTO-Streitbeilegungsgremiums Im Bereich des WTO-Streitbeilegungssystems wird das Problem der Verwertung vertraulicher Informationen besonders deutlich, weil die Panels umfangreiche Tatsachenermittlungskompetenzen haben und von diesen auch häufig Gebrauch machen. Neben den bereits oben diskutierten staatlichen Sicherheitsinteressen ist hier auch der Schutz von Unternehmensgeheimnissen besonders bedeutsam (hierzu 2.). Das DSU selbst enthält keine Vorschriften über Beweisverweigerungsrechte. Nach Art. XXI (a) GATT kann jedoch ein WTO-Mitglied Auskünfte verweigern, deren Preisgabe nach seiner Auffassung den wesentlichen Sicherheitsinteressen des Staates zuwiderliefe.271 Im Bereich der WTO-Streitbeilegung ist bereits strittig, ob diese Fälle überhaupt justiziabel sind.272 Seinem Wortlaut nach scheint Art. XXI (a) GATT die Entscheidung über die Anwendbarkeit der Norm exklusiv in die Hände 269
Foster, CYIL 7 (1969), 150 (162 f.).
270
IUSCT, The Islamic Republic of Iran v. The United States of America, Case No. A/30, Beschluss (Order) vom 4. November 1999, Ziff. 1, 2, 5, zitiert in: Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 598 f. 271
Parallelvorschriften sind Art. XIVbis Abs. 1 (a) GATS, Art. 73 (a) TRIPS und Art. 2102 Abs. 1 (a) NAFTA. 272
Dazu: Schloeman/Ohlhoff, AJIL 93 (1999), 424 ff.
Beweisaufnahme und Beweismittel
417
des betroffenen Staates zu legen.273 Die Ausübung des Rechts aus Art. XXI (a) GATT kann daher allenfalls auf offensichtlichen Missbrauch hin von Panels überprüft werden. Die Vorschrift ist in der Praxis der Panels jedoch bisher wenig problematisiert worden.274 Neben Art. XIVbis:1 (a) GATS, der Art. XXI (a) GATT entspricht, enthält das GATS mit Art. IIIbis noch eine weitere Vorschrift, aus der sich ein Beweisverweigerungsrecht ergeben kann. Art. IIIbis schränkt primär die Transparenzverpflichtungen aus Art. III GATS ein, kann jedoch auch in der Streitbeilegung relevant werden. Danach verpflichtet das GATS die Mitglieder nicht, vertrauliche Informationen zur Verfügung zu stellen, deren Offenlegung die Durchsetzung von Gesetzen behindern, sonst dem öffentlichen Interesse widersprechen oder die berechtigten kommerziellen Interessen bestimmter öffentlicher oder privater Unternehmen schädigen würde. Im Gegensatz zum GATT sind hier also auch die Interessen privater Unternehmen ausdrücklich geschützt.
(b) Internationale Strafgerichtshöfe, regionale Menschenrechtsgerichtshöfe und EuGH In der Praxis des JStGH ist die Verweigerung der Herausgabe von Urkunden unter Berufung auf nationale Sicherheitsinteressen besonders relevant geworden. Im Blaškić-Fall entschied die Berufungskammer, dass eine auf Sicherheitsinteressen gegründete Ausnahme zur Pflicht der Staaten, relevante Dokumente auf Anordnung vorzulegen, nicht existiere. In diesem Punkt, so die Berufungskammer, weiche das JStGHStatut, dessen Rechtsgrundlage eine aufgrund Kapitel VII der VNCharta ergangene Sicherheitsratsresolution ist, grundlegend vom Völkergewohnheitsrecht ab.275 Die Praxis ist nunmehr in Regel 54bis (F) JStGH-VerfO kodifiziert, nach der bestimmte Schutzmaßnahmen
273 Schloemann/Ohlhoff, AJIL 93 (1999), 424 (445): „vast discretion at the hands of the member invoking it“. Akande/Williams, Virginia JIL 43 (2003), 365 (398). 274
Swaak-Goldman, LJIL 9 (1996), 361 (364); Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (365). 275
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 6165.
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Kapitel 7
durch das Gericht ergriffen werden können, um den Sicherheitsinteressen des betroffenen Staates entgegenzukommen.276 Für den IStGH bestimmten Art. 93 Abs. 4 i.V.m. Art. 72 Abs. 7 (a) IStGH-Statut und Art. 72 Abs. 7 (b) IStGH-Statut eine ähnliche Lösung. Dabei überlässt Art. 72 die Letztentscheidung über die Begründetheit des Einwandes der nationalen Sicherheit dem betroffenen Staat selbst.277 Staatliche Sicherheitsinteressen sind auch durch den IAGMR geschützt worden, indem Zeugen in nicht-öffentlicher Verhandlung vernommen wurden.278 Eine weitere der raren Vorschriften, die ein Verweigerungsrecht normieren, ist Art. 296 Abs. 1 (a) EGV. Danach ist ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht. In der Sache handelt es sich also um ein Beweisverbot,279 über dessen Vorliegen letzt-
276
Regel 54bis ist überschrieben mit “Orders Directed to States for the Production of Documents”. Absatz (F) lautet: “The State, if it raises an objection pursuant to paragraph (D), on the grounds that disclosure would prejudice its national security interests, shall file a notice of objection not less than five days before the date fixed for the hearing, specifying the grounds of objection. In its notice of objection the State: (i) shall identify, as far as possible, the basis upon which it claims that its national security interests will be prejudiced; and (ii) may request the Judge or Trial Chamber to direct that appropriate protective measures be made for the hearing of the objection, including in particular: (a) hearing the objection in camera and ex parte; (b) allowing documents to be submitted in redacted form, accompanied by an affidavit signed by a senior State official explaining the reasons for the redaction; (c) ordering that no transcripts be made of the hearing and that documents not further required by the Tribunal be returned directly to the State without being filed with the Registry or otherwise retained.” 277
Schabas, An Introduction to the International Criminal Court (2007), 300, der auch darauf hinweist, dass die Norm Resultat schwieriger und unübersichtlicher Verhandlungen ist. Auch: Meißner, Die Zusammenarbeit mit dem International Strafgerichtshof nach dem Römischen Statut (2003), 219 ff. m.w.N.; Malanczuk, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1371 (1382, 1386). 278
IAGMR, Godínez Cruz v. Honduras, Urteil vom 20. Januar 1989, Ser. C No. 5, 96 f. (Ziff. 33-35); Vor dem EGMR scheint dies noch nicht relevant geworden zu sein, siehe Schorm-Bernschütz, Die Tatsachenfeststellung im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (2004), 155. 279 MacLennan, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 265 (280).
Beweisaufnahme und Beweismittel
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lich der Gerichtshof entscheidet.280 Art. 67 § 3 der EuG-VerfO erlaubt daher ein Verfahren zur in-camera-Überprüfung der Vertraulichkeit von Beweismitteln.281 Soweit ersichtlich, sind diese Vorschriften jedoch noch nicht relevant geworden.282
(c) Zusammenfassung Die Rechtsprechung internationaler Gerichte zu staatlichen Beweisverweigerungsrechten ist zurückhaltend und unklar und lässt daher kaum Verallgemeinerungen zu.283 Dies mag angesichts der Tatsache zu erklären sein, dass eine unbegrenzte Offenbarungspflicht nach dem Völkerprozessrecht nicht besteht284 und internationale Gerichte regelmäßig keine Zwangsbefugnisse gegenüber Staaten haben. Die Frage des staatlichen Beweisverweigerungsrechts scheint daher in der Praxis von untergeordneter Bedeutung.285 Häufig wird nur zu diskutieren sein, ob ein negativer Rückschluss zu Lasten der sich weigernden Partei zu ziehen ist.286 Dabei ist zu beachten, dass prozessualer Geheimnisschutz nur dann wirksam gewährt wird, wenn die Partei nicht nur nicht zur Offenbarung verpflichtet wird, sondern aus ihrem Schweigen oder ihrer 280
Unentschieden: Lenaerts/Arts/Maselis, Procedural Law of the European Union (2006), Rn. 24-079. 281
Hackspiel, in: Rengelin/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union (2003), § 24, Rn. 22; Schorm-Bernschütz, Die Tatsachenfeststellung im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (2004), 155 schlägt dies auch für den EGMR vor. 282
Lasok, The European Court of Justice, Practice and Procedure (1994), 411 f.; Malanczuk, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1371 (1373); Wegner, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV-Kommentar (2007), Art. 296 EGV, Rn. 5. 283
So auch der Schluss der Verfahrenskammer im Blaškić-Fall: JStGH, Trial Chamber II, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Decision on the Objection of the Republic of Croatia to the Issuance of Subpoena Duces Tecum, Beschluss vom 18. Juli 1997, Ziff. 139: “The sparse case law of other international tribunals does not provide authoritative guidance.” 284
Kapitel 5 B.
285
Zu diesem Zusammenhang für das nationale Recht auch Lang, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses vor dem Hintergrund der europäischen Rechtsvereinheitlichung (1999), 254. 286
Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (367).
420
Kapitel 7
sonstigen Weigerung auch keine ihr ungünstigen Rückschlüsse im Rahmen der Beweiswürdigung gezogen werden.287 Dass ein internationales Gericht zum Ziehen solcher Schlüsse im Rahmen der Beweiswürdigung befugt ist, ist bereits dargelegt worden.288 Daher gewinnt dieser Bereich trotz des Mangels an Zwangsbefugnissen an Bedeutung. Oft sucht aber die Rechtsprechung eine Entscheidung über die Existenz und Reichweite solcher Beweisverbote zu vermeiden, indem sie die streitige Tatsachenfrage aufgrund anderer, leichter zugänglicher Informationen entscheidet, oder – wie im Genocide-Fall – die beweispflichtige Partei zur eigenständigen Besorgung von Beweismaterial anhält. Allerdings führt dies zu undurchsichtigen und unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensgerechtigkeit bedenklichen Entscheidungen. Als Grundregel lässt sich angesichts des spärlichen Normmaterials und der gleichermaßen wenig ergiebigen Rechtsprechung vorsichtig festhalten, dass Staaten Auskünfte über solche Tatsachen rechtmäßig verweigern können, deren Preisgabe wesentliche Sicherheitsinteressen des Staates unverhältnismäßig beeinträchtigen würde.289 Dieses Ergebnis kann auch mit dem Wortlaut des Art. 75 der I. Haager Konvention von 1907 (bzw. Art. 23 derselben Konvention oder Art. 13 der Genfer Generalakte von 1928) begründet werden, der eine Herausgabepflicht nur in dem Umfang statuiert, den die Parteien selbst für „möglich“ halten.290 Rechtspolitisch lässt sich ein solches Recht mit der Besorgnis begründen, dass anderenfalls die Bereitschaft von Staaten zurückgehen
287
Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 176; Musielak/Stadler, § 138 ZPO, Rn. 3, beide zur Frage der Offenlegung strafbaren Handelns. 288
Kapitel 6 A. II.
289
Max-Planck-Institute for Comparative Public Law and International Law, Max Planck UNYB 1 (1997), 349 (373); Akande/Williams, Virginia JIL 43 (2003), 365 (369); Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (367); Malanczuk, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1371 (1376): „recognized privilege for confidential information relating to essential State security interests“; NAFTA, Pope and Talbot, Inc. v. Canada, Ruling on Claim of Crown Privilege, Beschluss vom 6. September 2000, ICSID Rep. 7 (2005), 99 (100, Ziff. 1.4 f.). So auch: ICSID, Biwater Gauff (Tanzania) Ltd. v. United Republic of Tanzania, Case No. ARB/05/22, Procedural Order No. 2, Beschluss vom 24. Mai 2006, 9 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>). 290
Reuter, AFDI 2 (1956), 46 (48).
Beweisaufnahme und Beweismittel
421
könnte, ihre Streitigkeiten vor internationalen Gerichten beizulegen.291 Die völkergewohnheitsrechtliche Geltung dieses Grundsatzes wurde auch implizit von der Berufungskammer des JStGH anerkannt. Zwar kennt das JStGH-Statut ein solches Beweisverweigerungsrecht nicht; die Kammer stellte jedoch fest, dass das Statut in diesem Punkt „offenkundig von Völkergewohnheitsrecht abweicht“.292 Solche Geheimhaltungsrechte können auch ein Abweichen von der Regel rechtfertigen, dass nur vollständige Dokumente vorgelegt werden sollen.293 Ebendies hätte im Genocide-Fall erörtert werden müssen. Andererseits gilt auch für zwischenstaatliche Gerichte die Aussage der Berufungskammer des JStGH im Blaškić-Fall, dass „to grant States a blanket right to withhold, for security purposes, documents necessary for trial might jeopardise the very function of [a court], and ,defeat its essential object and purpose‘“.294 Aus diesem Grund spricht viel dafür, dass letztlich das Gericht, nicht die Parteien, über das Bestehen eines Verweigerungsrechtes im konkreten Fall entscheiden soll.295 Allerdings ist dieses rechtspolitisch erwünschte Ergebnis durchaus nicht gefestigt und insbesondere in der zwischenstaatlichen Gerichtsbarkeit noch nicht erprobt. Befürwortet man die Entscheidungshoheit des Gerichts, muss des Weiteren geprüft werden, wie dem Sicherheitsinteresse des Staates bei der 291
Reisman, Nullity and Revision (1971), 601.
292
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 64 (Übers. d. Verf.). 293
Zu dieser Regel Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 100 ff. 294
JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Tihomir Blaškić, Case IT-95-14, Judgement on the Request of the Republic of Croatia for Review of the Decision of Trial Chamber II of 18 July 1997, Urteil vom 29. Oktober 1997, Ziff. 65. 295
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 380 f. Malanczuk, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1371 bezeichnet die Frage, wer über die Berechtigung der Verweigerung entscheidet, als zentrales Problem. Siehe auch: NAFTA, Pope and Talbot, Inc. v. Canada, Ruling on Claim of Crown Privilege, Beschluss vom 6. September 2000, ICSID Rep. 7 (2005), 99 (100, Ziff. 1.4): “A determination by a Tribunal that documents sufficiently identified deserve protection is a very different matter from acquiescence to a simple assertion, without any identification, that they deserve protection.”
422
Kapitel 7
Überprüfung der Begründetheit des Beweisverweigerungsrechtes Genüge getan werden kann. Sinnvoll wäre die Einrichtung spezieller Verfahren zum Schutz vertraulicher Informationen auch in anderen Verfahren als der WTO-Streitbeilegung, den internationalen Strafgerichtshöfen oder dem EuG.296 Hier ist die von Art. 15 Abs. 4 bis 6 der Optional Rules for Arbitration of Disputes Relating to Natural Resources and/or the Environment des StSH gewählte Lösung interessant, nach der das Schiedsgericht auf Antrag einer Partei über den vertraulichen Charakter der Information entscheidet und sogar einen sogenannten „confidentiality advisor“ bestellen kann, so dass zunächst nicht einmal das Gericht von der Information Kenntnis erhält.297 Solche Verfahren sind auch im nationalen Recht nicht unbekannt, wie etwa § 99 Abs. 2 VwGO (Incamera-Verfahren bei der Berufung auf entgegenstehende öffentliche Interessen) beweist.298 Auch die Rechtsprechung der regionalen Menschenrechtsgerichtshöfe macht deutlich, dass den Sicherheitsinteressen der Staaten flexibel etwa durch Ausschluss der Öffentlichkeit entspro-
296
So auch: Max-Planck-Institute for Comparative Public Law and International Law, Max Planck UNYB 1 (1997), 349 (373). 297 Art. 15 Abs. 4 bis 6 lauten: “4. A party invoking the confidentiality of any information it wishes or is required to submit in the arbitration, including to an expert appointed by the arbitral tribunal, shall make an application to have the information classified as confidential by notice containing the reasons for which it considers the information confidential to the arbitral tribunal, with a copy to the other party.
5. The arbitral tribunal shall determine whether the information is to be classified as confidential and of such a nature that the absence of special measures of protection in the proceedings would be likely to cause serious harm to the party or parties invoking its confidentiality. If the arbitral tribunal so determines, it shall decide and communicate in writing to the parties and the Registry under what conditions and to whom the confidential information may in part or in whole be disclosed and shall require any person to whom the confidential information is to be disclosed to sign an appropriate confidentiality undertaking. 6. The arbitral tribunal may also, at the request of a party or on its own motion, appoint a confidentiality advisor as an expert in accordance with article 27 in order to report to it, on the basis of the confidential information, on specific issues designated by the arbitral tribunal without disclosing the confidential information either to the party from whom the confidential information does not originate or to the arbitral tribunal.” 298 Zur möglichen Übertragung auf das Zivilprozessrecht siehe Wagner, JZ 62 (2007), 706 (717).
Beweisaufnahme und Beweismittel
423
chen werden kann.299 Im Application of the Genocide Convention-Fall hätte ein solches Verfahren die Legitimität des Urteils sicherlich erhöht.300 Ist die Herleitung einer generellen Regel aus der Rechtsprechung unmöglich, bleibt es der Entscheidung im Einzelfall überlassen, wie die betroffenen Interessen abzuwägen sind. Dabei ist zu beachten, dass die wenigen ein Verweigerungsrecht begründenden Normen (z.B. Art. 302 SRÜ, Art. XXI GATT und Art. 296 Abs. 1 (a) EGV) von wesentlichen Sicherheitsinteressen sprechen. Nicht jede Betroffenheit nationaler Sicherheitsinteressen begründet daher schon ein Verweigerungsrecht.301
2. Unternehmensgeheimnisse Da DSB-Verfahren regelmäßig wirtschaftliche Vorgänge betreffen, sind zur tatsächlichen Aufklärung oft Informationen der Marktteilnehmer nötig. Hier können Geheimhaltungsinteressen der Unternehmen betroffen sein (sog. business confidential information, vgl. auch § 384 Nr. 3 ZPO). Im Rahmen der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, an der Unternehmen als Parteien beteiligt sind, ist ein Beweisverweigerungsrecht hinsichtlich der Unternehmensgeheimnisse anerkannt.302 Für die WTO-Streitbeilegung stellt sich das Problem jedoch aus einer anderen Perspektive, da hier nur die WTO-Mitglieder parteifähig sind, sie jedoch regelmäßig auch Daten privater Wirtschaftsteilnehmer in den Prozess einführen müssen. Problematisch ist in diesem Zusammenhang nicht nur ein Durchsickern dieser Informationen an die breite Öffentlichkeit (obwohl die Verfahren in aller Regel nicht öffentlich sind, können sie im Urteilstext auftauchen), sondern auch eine Weitergabe der so gewonnenen Betriebsgeheimnisse durch eine Streitpartei an andere Unternehmen oder ein Bekanntwerden der Information an Unternehmen der Gegenseite, die oft Teil der Delegationen sind.303 299
Siehe etwa: IAGMR, Godínez Cruz v. Honduras, Urteil vom 20. Januar 1989, Ser. C No. 5, 96 f. (Ziff. 33-35). 300 301
Gattini, JICJ 5 (2007), 889 (891); Milanović, EJIL 18 (2007), 669 (678). Lasok, The European Court of Justice, Practice and Procedure (1994),
411. 302
Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (361); siehe auch: Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (404). 303 Prost, in: Yerxa/Wilson (Hrsg.), Key issues in WTO dispute settlement, The first ten years (2005), 190 (199).
424
Kapitel 7
Anerkannt ist, dass Parteien nicht unter Berufung auf die Vertraulichkeit von Unternehmensgeheimnissen ihre Beweislast aushebeln können. Sie müssen nach der allgemeinen Regel ihre Behauptungen belegen.304 Relevant wird der Einwand der Vertraulichkeit daher bei Beweisanordnungen durch das Panel nach Art. 13 DSU, die entweder amtswegig oder auf Antrag der gegnerischen Partei ergehen können. In diesen Fällen konkurrieren das Interesse an umfassender tatsächlicher Aufklärung und das jeweilige Geheimhaltungsinteresse.305 Der Grundsatz der Gleichheit der Parteien im Prozess in der Ausformung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, konkretisiert durch Art. 18 Abs. 1 DSU, verbietet einseitige, also der anderen Partei nicht gleichzeitig zugeleitete (ex parte) Mitteilungen an das Panel oder das Berufungsgremium.306 Unter Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs kann Geheimnisund Vertraulichkeitsschutz also nicht gewährt werden. Die Panels haben die Schutzwürdigkeit solcher vertraulicher Informationen grundsätzlich anerkannt und sind davon ausgegangen, dass bezüglich dieser keine bindenden Vorlageanordnungen in Betracht kommen.307 Auch wird den Interessen beweisbelasteter Parteien Rechnung getragen, die den Nachweis nur unter Verwendung vertraulichen Materials führen können. Neben der ohnehin stets geltenden Vertraulichkeitsverpflichtung in Bezug auf die vorgelegten Unterlagen (für das Panelverfahren: Abs. 3 S. 1 des Anhangs 3 zum DSU, für das Appellate Body-Verfahren: Art. 17 Abs. 10 DSU sowie für beide: Art. 18 Abs. 2), die für alle WTO-Mitglieder gilt,308 verbietet Art. 13 Abs. 1 S. 4 DSU spezifisch die Offenlegung von in den Prozess eingeführten vertrauli-
304
DSB, Indonesia – Autos, Ziff. 14.235: “While complainants cannot be required to submit confidential business information to WTO dispute settlement panels, neither may they invoke confidentiality as a basis for their failure to submit the positive evidence required, in the present case, to demonstrate serious prejudice under the SCM Agreement.” 305
Siehe Ehlermann/Ehring, in: Petersmann (Hrsg.), Reforming the World Trading System, Legitimacy, Efficiency, and Democratic Governance (2005), 535 (549 ff.). 306
McGovern, International Trade Regulation (Loseblatt), § 2.2323 (Page 2.23-35, Issue 19, October 2005). Für das deutsche Recht siehe BGHZ 116, 47 (58). 307 308
145.
DSB, Indonesia – Autos, Ziff. 14.235. DSB, Canada – Aircraft (AB), WT/DS70/AB/R, 2. August 1999, Ziff.
Beweisaufnahme und Beweismittel
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chen Informationen. Gleiches gilt nach Abs. 5 S. 2 des Anhangs 4 zum DSU für Sachverständigengruppen nach Art. 13 Abs. 2 DSU. Möglich sind darüber hinaus spezielle Arbeitsverfahren nach Art. 12 DSU, mit Hilfe derer die Vertraulichkeit der Informationen besonders geschützt werden kann.309 Dies ist in verschiedenen Panelverfahren auch geschehen. Im Fall EC – Approval and Marketing of Biotech Products erließ das Panel nach Rücksprache mit den Parteien spezielle Verfahrensregeln für den Umgang mit streng geheimen Informationen („special set of procedures for the protection of strictly confidential information“), vor allem angesichts der von der EG vorgelegten Unternehmensgeheimnisse.310 Die Panels sind jedoch nicht an die Anträge der Parteien zur Einrichtung solcher Prozeduren gebunden.
3. Zeugnisverweigerungsrechte wegen besonderer Vertrauensstellung bestimmter Berufsangehöriger Vor Gericht erschienene Zeugen stehen auch im internationalen Prozess unter Zeugniszwang,311 auch wenn internationale Gerichte die Erscheinungspflicht selbst nicht durchsetzen und jedenfalls im zwischenstaatlichen Prozess deshalb auch gegen einen erschienenen Zeugen keine Zwangsmittel anwenden können. Daher stellt sich auch hier die Frage nach Zeugnisverweigerungsrechten. Daneben können schriftliche Aufzeichnungen der durch Zeugnisverweigerungsrechte geschützten Personen privilegiert sein, so dass deshalb eine Vorlageanordnung nicht in Betracht kommt. Sinn der beruflichen Zeugnisverweigerungsrechte ist die Gewährleistung der Vertraulichkeit der Kommunikation und des Verhältnisses zwischen den Angehörigen bestimmter Berufsgruppen und der ihre Hilfe und ihren Sachverstand in Anspruch Nehmenden und damit die Ermöglichung der offenen Kommunikation und effektiven Durchführung des Vertragsinhalts.312 Damit kann die durch das Verweigerungsrecht begünstigte Person hierauf auch verzichten.313 309
Prost, in: Yerxa/Wilson (Hrsg.), Key issues in WTO dispute settlement, The first ten years (2005), 190 (196). 310
DSB, EC – Approval and Marketing of Biotech Products, Ziff. 7.43 (Fn.
233). 311 312 313
410.
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 375. Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (350). Lasok, The European Court of Justice, Practice and Procedure (1994),
426
Kapitel 7
Weder der IGH noch der ISGH oder das DSB haben bisher über Berufsgeheimnisse und damit verbundene Zeugnisverweigerungsrechte judiziert.314 Jedoch ist bereits in den Verhandlungen zur StIGH-VerfO davon ausgegangen worden, dass Zeugen keine Berufsgeheimnisse (professional secrecy, secret professionnel) offenbaren müssen.315 Besondere Bedeutung haben Zeugnisverweigerungsrechte jedoch vor internationalen Strafgerichtshöfen, weshalb sie dort eingehend geregelt sind.316
(a) Anwaltsgeheimnis Das Anwaltsgeheimnis schützt die Kommunikation zwischen Mandant und Anwalt. Zweck der Regel ist es, durch die Vertraulichkeit der Kommunikation die umfassende Erteilung rechtlichen Rats zu ermöglichen.317 Dennoch sind in den nationalen Rechtsordnungen die Ansatzpunkte für das Anwaltsgeheimnis teilweise verschieden.318 Das internationale Prozessrecht hat sich soweit ersichtlich bisher vor allem mit der Frage beschäftigt, ob das Anwaltsgeheimnis der Offenlegung bzw. Beschlagnahme von Informationen entgegensteht, weniger, ob der Anwalt selbst zeugnisverweigerungsberechtigt ist. In der internationalen Strafgerichtsbarkeit ist dies ausdrücklich in Regel 97 JStGH314
Weissbrodt/Pekin/Wilson, Minnesota JIL 15 (2006), 43 (48).
315
StIGH, Acts and Documents Concerning the Organisation of the Court, Ser. D No. 2, Preparation of the Rules of Court (1922), 211; StIGH, Acts and Documents Concerning the Organization of the Court, Ser. D, Addendum to No. 2 (1926), 132; StIGH, Ser. D (1936), Acts and Documents Concerning the Organization of the Court, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th, 1936, 826; StIGH, Third Annual Report (June 15th, 1926 – June 15th, 1927), Ser. E No. 3, 212. Dazu auch: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 109. 316
Z.B. Regel 73 IStGH-VerfO.
317
StSH, Arbitration Tribunal Established Pursuant to Article XV of the Agreement Signed at The Hague on 20 January 1930, Reineccius v. Bank for International Settlements, Procedural Order No. 6 (Order with Respect to the Discovery of Certain Documents for Which Attorney-Client Privilege Has Been Claimed), Beschluss vom 1. Juni 2002, abrufbar unter <www.pcacpa.org>, 10; von Schlabrendorff/Sheppard, in: FS-Briner (2005), 743 (763); Meyer, Journal of International Arbitration 24 (2007), 365 (374). 318
Berger, Arbitration International 22 (2006), 501 (504). Rechtsvergleichender Überblick bei von Schlabrendorff/Sheppard, in: FS-Briner (2005), 743 (745 ff.).
Beweisaufnahme und Beweismittel
427
VerfO und Art. 67 Abs. 1 (b) IStGH-Statut i.V.m. Regel 73 IStGHVerfO anerkannt.319 Diese Regeln gehen davon aus, dass der Mandant auf das Verweigerungsrecht verzichten kann. Das Anwaltsgeheimnis gilt darüber hinaus als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Europarecht320 und im zwischenstaatlichen Völkerprozessrecht.321 Es betrifft sowohl natürliche wie juristische Personen. Auch hier kann der Mandant auf das Anwaltsgeheimnis verzichten.322
(b) Beichtgeheimnis Auch das Beichtgeheimnis ist im Völkerstrafprozessrecht ausdrücklich anerkannt (vgl. Regel 73 Abs. 3 IStGH-VerfO). Die Norm bestimmt, dass “the Court shall recognize as privileged those communications made in the context of a sacred confession where it is an integral part of the practice of that religion”. Darüber hinaus gilt es nach menschenrechtlichen Konventionen.323 Eine Entbindung von der Schweigepflicht führt nicht zur Aussagepflicht des Geistlichen.324 Im zwischenstaatlichen Verfahren dürfte dieses Privileg wenig bedeutsam sein. 319
Regel 97 JStGH-VerfO: “Lawyer-Client Privilege: All communications between lawyer and client shall be regarded as privileged, and consequently not subject to disclosure at trial, unless: (i) the client consents to such disclosure; or (ii) the client has voluntarily disclosed the content of the communication to a third party, and that third party then gives evidence of that disclosure.” 320
Lasok, The European Court of Justice, Practice and Procedure (1994), 415; EuGH, AM&S Europe Limited ./. Kommission, Rs. 155/79, Urteil vom 18. Mai 1982, Slg. 1982, 1575 (1610, Ziff. 18); EuG, Akzo Nobel Chemicals Ltd and Akcros Chemicals Ltd ./. Kommission, Rs. T-125/03 und T-253/03, Urteil vom 17. September 2007, abrufbar unter , Ziff. 166 ff. Dieser Schutz gilt jedoch nur für unabhängige Anwälte, die sich nicht in einem Arbeitsverhältnis mit einem Unternehmen befinden (sog. „inhouse counsel“). 321
StSH, Arbitration Tribunal Established Pursuant to Article XV of the Agreement Signed at The Hague on 20 January 1930, Procedural Order No. 6 (Order with Respect to the Discovery of Certain Documents for Which Attorney-Client Privilege Has Been Claimed), Beschluss vom 1. Juni 2002, 10. 322
EuGH, AM&S Europe Limited ./. Kommission, Rs. 155/79, Urteil vom 18. Mai 1982, Slg. 1982, 1575 (1613, Ziff. 28). 323 324
Araujo, American University ILR 15 (2000), 639 (661 ff.).
Rechtsvergleichend: Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (360 f.). Für das deutsche Recht gilt dies nach § 53 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO.
428
Kapitel 7
(c) Arztgeheimnis Rechtsvergleichend ergibt sich eine Anerkennung des Arztgeheimnisses in den meisten nationalen Rechtsordnungen.325 Darüber hinaus ist es in wenigen völkerrechtlichen Verträgen angesprochen. So bestimmt Art. 16 Abs. 3 ZP I:326 „Wer eine ärztliche Tätigkeit ausübt, darf nicht gezwungen werden, Angehörigen einer gegnerischen Partei oder der eigenen Partei – es sei denn in den nach dem Recht der letztgenannten Partei vorgesehenen Fällen – Auskünfte über die jetzt oder früher von ihm betreuten Verwundeten und Kranken zu erteilen, sofern diese Auskünfte nach seiner Auffassung den betreffenden Patienten oder ihren Familien schaden würden.“ Regel 73 Abs. 3 IStGH-VerfO schützt neben dem Arzt-Patientenverhältnis auch die Beziehung zu Psychiater und Psychologen. Wie im Falle des Anwaltsgeheimnisses kann der Patient auf das Erhebungsverbot verzichten.
4. Mitarbeiter von Presse und Rundfunk, insbesondere Kriegsberichterstatter Im deutschen Recht wird der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und privaten Informanten durch die §§ 383 Abs. 1 Nr. 5, 142 Abs. 2 ZPO und die §§ 53 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 S. 2, 97 Abs. 5 StPO sichergestellt. Er ist Ausfluss der durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG verbürgten Pressefreiheit. Vergleichbare Regelungen finden sich in den prozessualen Ordnungen der meisten Staaten, wobei die Reichweite des Schutzes im Einzelnen variiert.327 Sinn und Zweck des Verweigerungs325 326 327
Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (353 ff.). Ähnlich auch Art. 10 Abs. 3 und 4 ZP II.
Rechtsvergleichend siehe etwa: England: Brömmekamp, Die Pressefreiheit und ihre Grenzen in England und der Bundesrepublik Deutschland (1997), 273 ff. zu sec. 10 Contempt of Court Act 1981: “No court may require a person to disclose, nor is any person guilty of contempt of court for refusing to disclose, the source of information contained in a publication for which he is responsible, unless it be established to the satisfaction of the court that disclosure is necessary in the interests of justice or national security or for the prevention of disorder or crime.”; Österreich: Berka, Redaktionsgeheimnis und Pressefreiheit, Aktuelle Probleme des Schutzes journalistischer Quellen im österreichischen Recht (2001); allgemein: Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (355 ff.).
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429
rechts ist in erster Linie die Ermöglichung der Arbeit der freien Presse, die auch ein öffentliches Interesse darstellt.328 Im internationalen Prozess hat sich die Problematik soweit ersichtlich bisher nur vor dem JStGH im Fall Randal gestellt,329 allerdings unter speziellen Vorzeichen. Im Mittelpunkt der Entscheidung stand nicht die allgemeine Pressefreiheit und damit die schutzwürdige Verbindung zwischen Journalist und Informant, sondern die spezifische Rolle des Kriegsberichterstatters.330 Der Zwang zu einer Zeugenaussage über beobachtete Kriegsverbrechen beeinträchtigte so nicht nur die Funktion des Reporters, also die Berichterstattung als solche, sondern stellte auch eine mögliche Gefahr für seine körperliche Unversehrtheit dar. Die Verfahrenskammer hatte am 29. Januar 2002 eine subpoena gegen Randal erlassen und diese auch später aufrechterhalten.331 Die Berufungskammer hingegen hob die subpoena auf.332 Sie betonte, dass ein starkes öffentliches Interesse an der Arbeit von Kriegsberichterstattern bestehe.333 Eine routinemäßige Vernehmung solcher Korrespondenten berge zumindest die Gefahr, dass ihre Arbeit behindert werde, da sie nicht mehr als unabhängige Beobachter wahrgenommen und selbst zu Zielen der Täter werden könnten.334 Im Einzelfall müsse daher eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse der möglichst vollständigen Sachaufklärung und dem Interesse an der effektiven Arbeit von Kriegsberichterstattern vorgenommen werden. Grundsätzlich müssen daher zwei Bedingungen erfüllt sein, damit eine Zeugnispflicht ange328 329
Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (355). Hierzu: Schlesinger, Melbourne JIL, 4 (2003), 240.
330
So ist die Randal-Entscheidung der JStGH-Berufungskammer ausdrücklich auf die Kategorie der Kriegsberichterstatter beschränkt, obwohl sie sich in der Begründung auch auf die Bedeutung und Funktion von Journalisten allgemein bezieht: JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Radoslav Brđanin and Momir Talić, Case IT-99-36-AR73.9, Decision on Interlocutory Appeal, Beschluss vom 11. Dezember 2002, Ziff. 29. 331
JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Radoslav Brđanin and Momir Talić, Case IT-99-36, Decision on Motion to Set Aside Confidential Subpoena to Give Evidence, Beschluss vom 7. Juni 2002. 332 JStGH, Appeals Chamber, Prosecutor v. Radoslav Brđanin and Momir Talić, Case IT-99-36-AR73.9, Decision on Interlocutory Appeal, Beschluss vom 11. Dezember 2002. 333 334
Ebd., Ziff. 35-38. Ebd., Ziff. 43.
430
Kapitel 7
nommen werden kann: Zunächst muss die Aussage von unmittelbarem und wichtigem Wert für die Klärung einer zentralen Frage des Falles sein, und zweitens darf die gesuchte Information nicht anderweitig verfügbar sein. Obwohl die Berufungskammer sich in ihrer Entscheidung ausdrücklich auf die Kategorie der Kriegsberichterstatter beschränkt, scheint es möglich, die Grundsätze auf andere Journalisten zu übertragen und auch außerhalb des Völkerstrafprozesses fruchtbar zu machen,335 insbesondere, weil die Begründung des Vertrauensschutzes auf die „Wachhundfunktion“ oder Wächterrolle der Presse abstellt,336 die der EGMR in den Fällen Goodwin v. United Kingdom sowie Roemen and Schmit v. Luxembourg für den Informantenschutz von Journalisten ohne weitere Differenzierung in Untergruppen nutzt.337 Das Urteil der Berufungskammer ist zu Recht dahingehend kritisiert worden, dass es eine (kleine) Gruppe von Journalisten herausgreift.338 Dies mag unter dem Gesichtspunkt des judicial restraint zu erklären sein. Ein Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten lässt sich jedoch als allgemeiner Rechtsgrundsatz aus den nationalen Rechtsordnungen sowie als menschenrechtliches Völkergewohnheitsrecht (Art. 10 EKMR, 13 AMRK, 19 IPBürg) begründen.
335
Eine Übertragung auf das Recht der privaten internationalen Schiedsgerichtsbarkeit erwägt Meyer, Journal of International Arbitration 24 (2007), 365 (375). 336
Powles, LJIL 16 (2003), 511 (524).
337
EGMR (Große Kammer), Goodwin v. United Kingdom (Application no. 17488/90), Urteil vom 27. März 2003, ECHR 1996-II, 483 (500, Ziff. 39); EGMR, Roemen and Schmit v. Luxembourg (Application no. 51772/99), Urteil vom 25. Februar 2003, Ziff. 46, 57. Siehe auch: Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention (2008), § 23 Rn. 47 f.; Grote/Wenzel, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG – Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz (2006), 895 (913, Ziff. 17). Die public watchdog-Figur hat der EGMR bereits in den Fällen Barthold v. Germany (Application no. 8734/79), Urteil vom 25. März 1985, Ser. A vol. 90, 26 (Ziff. 58); Lingens v. Austria (Application no. 9815/82), Urteil vom 8. Juli 1986, Ser. A vol. 103, 11 (27, Ziff. 44) sowie den Urteilen Observer and Guardian v. United Kingdom (Application no. 13585/88), Urteil vom 26. November 1999, Ser. A vol. 216, 30 (Ziff. 59 (b)) und Sunday Times v. United Kingdom (Application no. 13166/87), Urteil vom 26. November 1999, Ser. A vol. 217, 29 (Ziff. 50 (b)) geprägt. 338
Werly/Jeanneret, SZIER 13 (2003), 491 (504).
Beweisaufnahme und Beweismittel
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5. Selbstbelastung von Parteien und Zeugen Zeugen und Parteien müssen in der Regel nicht aussagen, wenn sie sich damit selbst strafrechtsrelevant belasten müssten.339 Ein solches Zeugnisverweigerungsrecht findet sich in der Überzahl der nationalen Rechtsordnungen,340 ist jedoch rechtspolitisch nicht mehr unumstritten.341 Für den nationalen Strafprozess ist dies z.B. in Art. 14 Abs. 3 (g) IPBürg niedergelegt. Zwar bezieht sich die Norm ausdrücklich nur auf das Recht des Angeklagten, sich nicht selbst belasten zu müssen. Aus Sinn und Zweck der Norm muss dies jedoch auch für Zeugen gelten.342 Gleiches sollte für Art. 6 EMRK angenommen werden. Für den internationalen Strafprozess ist das Recht des Angeklagten in Art. 67 Abs. 1 (g) IStGH-Statut niedergelegt. Es kann nicht auf Zeugen ausgeweitet werden.343 Ein entsprechendes Recht ergibt sich jedoch aus Regel 74 Abs. 3 (a) IStGH-VerfO. Dies gilt eingeschränkt auch nach Regel 90 (F) JStGH-VerfO. Obwohl sich für den zwischenstaatlichen Prozess keine ähnlichen ausdrücklichen Garantien finden, kann hier nichts anderes gelten.344
6. Beweisverweigerungsrechte internationaler Organisationen und atypischer Völkerrechtssubjekte (a) Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (aa) Aussageverweigerungsrechte vor internationalen Strafgerichten Im Simić-Fall hat eine Verfahrenskammer des JStGH festgestellt, dass Mitarbeiter des IKRK ein sowohl vertragsrechtlich345 als auch gewohnheitsrechtlich begründetes Recht zur Zeugnisverweigerung in den Verfahren vor dem JStGH innehaben und darüber hinaus das IKRK die 339 340 341 342
Siehe aber die differenzierte Regelung in Art. 74 IStGH-VerfO. Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (358). Wagner, JZ 62 (2007), 706 (716). Ambos, LJIL 15 (2002), 155 (161).
343
Schabas, Art. 67, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court (1999), Rn. 47 (insb. Fn. 115). 344
Rosenne, in: ders., Essays on International Law and Practice (2007), 353
(363). 345
Vertragsrechtliche Privilegien ergeben sich aus den verschiedenen Sitzabkommen des IKRK mit einzelnen Staaten: Rona, IRRC 84 (2002), 207 (211 f.).
432
Kapitel 7
Vernehmung von (auch: ehemaligen) Mitarbeitern, die freiwillig auszusagen bereit sind, unterbinden kann.346 Träger des Rechtes zur Zeugnisverweigerung ist damit die Organisation selbst, so dass einzelne Mitarbeiter darüber nicht dispositionsbefugt sind. Auch gilt dieses Privileg nach dem Urteil absolut und ist daher keiner Abwägung zugänglich.347 Die Kammer betonte, dass dieses Recht allein auf der einzigartigen Funktion des IKRK im System der Genfer Abkommen und der Zusatzprotokolle begründet sei, letztlich also aus einer teleologischen Interpretation dieser internationalen Verträge folge (implied powers) und daher nicht auf andere Organisationen übertragbar sei.348 Richter Hunt argumentiert hingegen in seinem Sondervotum, dass von einem gewohnheitsrechtlich anerkannten Beweisverweigerungsrecht vor staatlichen Gerichten nicht ohne Weiteres auf ein solches vor internationalen Gerichten geschlossen werden könne.349 An die Stelle eines absoluten Privilegs soll ein relatives treten, das den Schutz der Vertraulichkeit von IKRK-Informationen zwar als stark zu gewichtendes (internationales) öffentliches Interesse honoriert, eine Abwägung mit konkurrierenden Interessen wie der effektiven Verfolgung internationaler Verbrechen jedoch grundsätzlich ermöglicht. Ein überwiegendes öffentliches Interesse und damit eine Zulässigkeit der Zeugenaussage sei dann anzunehmen, wenn die Aussage eines Bediensteten oder ehemaligen Angestellten des IKRK unerlässlich zum Nachweis der Unschuld eines Angeklagten sei,350 oder wenn die Aussage essentiell zum Nach346
JStGH, Prosecutor v. Simić et al., Case IT-95-9, Decision on the Prosecution Motion under Rule 73 for a Ruling Concerning the Testimony of a Witness, Beschluss vom 27. Juli 1999. Siehe hierzu: Rona, IRRC 84 (2002), 207; Jeannet, IRRC 82 (2000), 403; Hampson, ICLQ 47 (1998), 50; Mackintosh, IRRC 86 (2004), 131. 347
JStGH, Prosecutor v. Simić et al., Case IT-95-9, Decision on the Prosecution Motion under Rule 73 for a Ruling Concerning the Testimony of a Witness, Beschluss vom 27. Juli 1999, Ziff. 76. 348 Ebd., Ziff. 72. Siehe insbesondere Fn. 56: “For this reason, the finding of the Trial Chamber that the ICRC has a right to non-disclosure does not ‘open the floodgates’ in respect of other organizations.” 349
JStGH, Prosecutor v. Simić et al., Case IT-95-9, Decision on the Prosecution Motion under Rule 73 for a Ruling Concerning the Testimony of a Witness, Beschluss vom 27. Juli 1999, sep. op. Hunt, Ziff. 23. 350
Ebd., Ziff. 29. Es ist nicht klar, wie dies mit der Unschuldsvermutung zu vereinbaren ist, die einen Nachweis der Unschuld eines Angeklagten in keiner Situation fordert, sondern den Nachweis seiner Schuld.
Beweisaufnahme und Beweismittel
433
weis der Schuld eines Angeklagten in einem Verfahren von fundamentaler Wichtigkeit („of transcendental importance“) zwingend notwendig sei.351 Der Kritik von Richter Hunt ist jedoch entgegenzuhalten, dass alleine die (sich auch nur in Ausnahmefällen realisierende) Möglichkeit, dass die während der Ausübung seiner Funktionen erlangten Kenntnisse einmal in einen Prozess Eingang finden könnten, eine massive faktische Beeinträchtigung der Umsetzung des dem IKRK in den Genfer Abkommen zugewiesenen Mandats darstellen könnte.352 Staaten könnten nämlich Mitarbeitern des IKRK den Zugang insbesondere zu Gefängnissen oder Kriegsgefangenenlagern verweigern, wenn sie besorgen müssten, dass die dort gewonnen Informationen später öffentlich gemacht oder gerichtlich verwertet würden.353 Daher spricht viel für die Übertragung des (dort vertragsrechtlich begründeten) Grundsatzes eines ungeschriebenen Zeugnisverweigerungsrechts von der nationalen auf die Ebene der internationalen Gerichtsbarkeit. Daher kann Hunts Kritik letztlich nicht überzeugen.354 Zu beachten ist jedoch, dass sich das Privileg nicht auf nationale Rotkreuzgesellschaften oder die Internationale Föderation der Rotkreuzgesellschaften bezieht.355 Regel 73 Abs. 4 bis 6 IStGH-VerfO bestätigen die Rechtsprechung der Kammermehrheit für das Verfahren vor dem IStGH.356 Abs. 6 normiert jedoch eine besondere Konsultationspflicht zwischen dem IStGH und dem IKRK, wenn der Gerichtshof eine bestimmte Information als be-
351 352 353 354 355 356
Ebd., Ziff. 31. Bank, Max Planck UNYB 4 (2000), 233 (266). Jeannet, ICLQ 50 (2001), 643 (645). Zustimmend aber: Powles, LJIL 16 (2003), 511 (514). Rona, IRRC 84 (2002), 207 (214).
Regel 73 Abs. 4 IStGH-VerfO lautet: “The Court shall regard as privileged, and consequently not subject to disclosure, including by way of testimony of any present or past official or employee of the International Committee of the Red Cross (ICRC), any information, documents or other evidence which it came into the possession of in the course, or as a consequence, of the performance by ICRC of its functions under the Statutes of the International Red Cross and Red Crescent Movement, unless: (a) After consultations undertaken pursuant to sub-rule 6, ICRC does not object in writing to such disclosure, or otherwise has waived this privilege; or (b) Such information, documents or other evidence is contained in public statements and documents of ICRC.” Zur Verhandlungsgeschichte siehe: Jeannet, ICLQ 50 (2001), 643 (652 ff.).
434
Kapitel 7
sonders wichtig für die Entscheidung bewertet. Dies stellt eine Übertragung der allgemeinen Kooperationspflicht zwischen internationalen Gerichten und internationalen Organisationen auf atypische Völkerrechtssubjekte dar, wie sie oben bereits begründet wurde. Danach müssen Organisationen die Beweisersuchen internationaler Gerichte zumindest ernsthaft prüfen, ohne hieran jedoch gebunden zu sein.
(bb) Übertragung auf zwischenstaatliche Streitigkeiten Die Frage der Übertragbarkeit der in der Rechtsprechung des JStGH entwickelten Grundsätze auf zwischenstaatliche Verfahren vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten stellte sich vor der EECC.357 Während des bewaffneten Konfliktes zwischen Äthiopien und Eritrea hatten Mitarbeiter des IKRK Kriegsgefangenenlager besucht und den Regierungen die diesbezüglichen Berichte zukommen lassen. Der Fall war insofern besonders gelagert, als beide Parteien die in ihrem Besitz befindlichen IKRK-Berichte dem Gericht vorlegen wollten, sich jedoch durch den Widerspruch des IKRK daran gehindert sahen. Obwohl sie die Entscheidung des IKRK, die vertraulichen Dokumente nicht freizugeben, ausdrücklich bedauerte, stellte die EECC das Recht der IKRK, eine solche Verwendung zu verbieten, grundsätzlich nicht in Frage und entschied ohne die fraglichen Dokumente.358 Es ist zweifelhaft, ob diese Entscheidung richtig ist. Schließlich soll das Vertraulichkeitsprivileg des IKRK seinem Sinn und Zweck nach verhindern, dass Staaten dem IKRK den Zugang zu Kriegsgefangenenlagern verwehren, weil sie um eine Veröffentlichung fürchten. Wenn diese Staaten selbst auf eine solche Vertraulichkeit verzichten, ist diese Besorgnis nicht gegeben, so dass eine teleologische Reduktion des Privilegs nahe liegt. Es ist daher vorzugswürdig, für den Fall, dass Staaten in ihrem Besitz befindliche Dokumente des IKRK, die sich ausschließlich auf die Verhältnisse in ihrem eigenen Staatsgebiet beziehen, jederzeit vorlegen können. Betreffen die Informationen mehrere Staaten, müssen diese sämtlich zustimmen. Anderes gilt hinsichtlich der Vernehmung von (auch: ehemaligen) Mitarbeitern des IKRK als Zeugen; hier sollte das IKRK selbst über die Entbindung seiner Mitarbeiter von der Schweigepflicht entscheiden. Diese Frage stellt sich im zwischenstaatlichen Prozess jedoch oft nicht, da internationale Gerichte keine Zwangsmaßnahmen gegen357
EECC, Partial Award, Prisoners of War, Ethiopia’s Claim 4 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003. 358
Ebd., Ziff. 45 ff.
Beweisaufnahme und Beweismittel
435
über Einzelpersonen verhängen können. Allerdings ist natürlich auch hier möglich, dass ein ehemaliger Mitarbeiter wie vor dem JStGH eine freiwillige Aussage machen möchte. Abschließend ist anzumerken, dass der IGH sich im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall auf einen Briefwechsel zwischen dem IKRK und der kongolesischen Regierung über den Austausch von ugandischen Kriegsgefangenen bezog.359 Ob das IKRK hierzu seine Zustimmung erteilte, wird nicht mitgeteilt. Eine solche Verwertung wäre unter Regel 73 Abs. 4 IStGH-VerfO wohl unzulässig. Nach den soeben dargestellten Grundsätzen wäre es jedoch ausreichend, wenn beide Parteien der Verwertung durch den IGH zugestimmt haben.
(b) Andere internationale Organisationen Da die meisten internationalen Organisationen nicht zur Amtshilfe gegenüber internationalen Gerichten verpflichtet sind, stellt sich die Frage eines Beweisverweigerungsrechtes nicht. Nur dort, wo sich aufgrund von relationship agreements oder aus Vertragsrecht (IGH und VN-Organe und Nebenorgane) Kooperationspflichten in Form von Herausgabepflichten ergeben, wird ein etwaiges Verweigerungsrecht relevant. Hier kann man an ähnliche Verweigerungsrechte wie bei Staaten denken, also insbesondere das sich auf Sicherheitsinteressen gründende. Im Einzelfall können sich auch Schwierigkeiten in Bezug auf das Mandat dieser Organe ergeben, wie z.B. beim UNHCR, dessen Grundprinzip die Neutralität ist.360 Jedoch erfährt das UNHCR etwa in der IStGHVerfO gerade nicht dieselbe Behandlung wie das IKRK.361 Ein völkergewohnheitsrechtliches Beweisverweigerungsrecht ist ebenfalls nicht ersichtlich.
7. Rechtswidrig erlangte Beweismittel Das internationale Gericht selbst darf keine Beweise amtswegig unter Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot erheben. Fraglich ist jedoch, wie sich die Zulässigkeit und Verwertbarkeit darstellen, wenn die Beweismittel von einer Partei unter Verstoß gegen Rechtspositionen der 359
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (203, Ziff. 65). 360 361
In Bezug auf den JStGH: Bank, Max Planck UNYB 4 (2000), 233 (265). Rona, IRRC 84 (2002), 207 (210).
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anderen Partei oder von Dritten besorgt wurden. Ausgangspunkt der Problematik ist also die materielle Rechtswidrigkeit der Beweisbeschaffung durch eine Partei.
(a) Rechtsvergleichende Aspekte In den nationalen Zivilprozessordnungen ist die Zulässigkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel nicht einheitlich geregelt. Bereits innerhalb einzelner Rechtsordnungen ist die Frage umstritten. Dies gilt etwa für den deutschen Zivilprozess. Hier wird einerseits vertreten, dass alle unter Verstoß gegen materielles Recht gewonnenen Beweise im Verfahren unverwertbar seien, andererseits, dass solche Beweismittel immer zulässig seien.362 Die wohl überwiegend vertretene Auffassung setzt zunächst beim Schutzzweck der durch den widerrechtlichen Eingriff verletzten Norm an und wägt im Übrigen die Schwere der materiellen Rechtsverletzung, insbesondere grundrechtlich geschützte Positionen, mit den Interessen des Beweisführers und der Allgemeinheit ab.363 Ähnliches gilt in England.364 Auch die EMRK kennt kein generelles Verbot der Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel.365
(b) Illegal erlangte Beweise im Völkerprozessrecht Die Frage der Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel stellte sich vor zwischenstaatlichen Gerichten soweit ersichtlich bisher lediglich im Corfu Channel-Fall.366 Das Vereinigte Königreich hatte ge362
Dazu: Dauster/Braun, NJW 53 (2000), 313 ff.
363
Baumgärtel, FS Klug, Bd. 2 (1983), 477 (484); Heinemann, MDR 2001, 137 (138); Musielak/Foerste, § 286 ZPO, Rn. 6. Zur Rechtsprechung siehe: BVerfG NJW 1973, 891; BGH NJW 1982, 277 (heimliche Tonbandaufnahme); BGH JZ 1991, 927; BVerfG NJW 2002, 3619; BGH NJW 2003, 1727 (Lauschzeuge). 364
Halsbury’s Laws of England, Evidence, Bd. 17 (1) (2002), 201 (214, Ziff.
416). 365
EGMR, Schenk v. Switzerland (Application no. 10862/84), Urteil vom 12. Juli 1988, Ser. A vol. 140, 29 (Ziff. 46 ff.). 366
Siehe jedoch auch: Methanex Corp. v. United States, Final Award of the Tribunal on Jurisdiction and Merits, Schiedsspruch vom 3. August 2005, Part II – Chapter I (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>), Ziff. 54: Herleitung des Verwertungsverbots illegal erlangter Beweismittel aus der Pflicht, das Schiedsverfahren nach Treu und Glauben durchzuführen.
Beweisaufnahme und Beweismittel
437
gen den ausdrücklich erklärten Willen Albaniens eine Minenräumungsaktion in der Straße von Korfu durchgeführt, die zu den albanischen Küstengewässern zählte („Operation Retail“). Es versuchte, diesen Verstoß gegen die territoriale Integrität Albaniens u.a. durch die Notwendigkeit zur Beweissicherung, nämlich der Ermittlung der Herkunft der Minen und der Umstände ihrer Ausbringung, zu rechtfertigen. Der IGH beschrieb dies als „Interventionstheorie“, derzufolge “the State intervening would secure possession of evidence in the territory of another State, in order to submit it to an international tribunal and thus facilitate its task”.367 Der IGH lehnte diesen Rechtfertigungsgrund eindeutig ab: Eine einseitige Intervention von Staaten zur Beweissicherung sei völkerrechtlich unzulässig. Dies gelte schon deshalb, da eine so erreichte Beweissicherung nur den mächtigsten Staaten vorbehalten bliebe und somit die internationale Rechtspflege empfindlich beeinträchtigen könnte.368 Dennoch verwertete der IGH die so gewonnenen Beweise zur Begründung der Verantwortlichkeit Albaniens für die Minenexplosionen.369 Die illegale Beschaffung hatte demnach offenbar keinen Einfluss auf ihre Verwertbarkeit.370 Allerdings hatte Albanien auch nicht vorgetragen, dass die Beweise nicht verwertet werden dürften, sondern lediglich, dass „Operation Retail“ völkerrechtswidrig gewesen sei. Der IGH hätte die Verwertbarkeit also nur dann diskutieren und eventuell ablehnen müssen, wenn man ihn zur amtswegigen Prüfung verpflichtet sieht.371 Daher wird vertreten, dass der IGH solche Beweise grundsätzlich zulassen und die Illegalität ihrer Gewinnung eventuell im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigen könne.372 Dies ist in dieser Allgemeinheit jedoch schwierig mit der Feststellung der Völkerrechtswidrig367 368
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (34). Ebd., 35.
369
Anders: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 177 f.: keine Verwertung. 370
So auch: Shah, AJIL 53 (1959), 595 (606); Franck, Fairness in International Law and Institutions (1995), 336; Kazazi, Burden of Proof (1996), 206. 371 372
Thirlway, AJIL 78 (1984), 622 (632).
Highet, AJIL 81 (1987), 1 (46); Shaw, ICLQ 46 (1997), 831 (858); Shah, AJIL 53 (1959), 595 (610). Reisman/Freedman, AJIL 76 (1982), 737 (748) wollen die Präzedenzwirkung des Corfu Channel-Falles auf die besondere Faktenlage dieses Falles beschränken (insbesondere das rechtswidrige Verhalten (Untätigkeit) Albaniens in der Folge der Minenexplosionen).
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keit der Beweissicherungshandlung zu vereinbaren. Grundsätzlich scheint es angemessen, dass illegal erlangte Beweismittel nicht verwertet werden können.373 Dies gilt jedenfalls für solche Beweismittel, die unter einem besonders schwerwiegenden Rechtsbruch, etwa von ius cogens (z.B. Art. 2 Abs. 4 VN-Charta), gewonnen wurden, da solche Beweissicherungsaktionen selbst ein Bedrohungsrisiko darstellen.374 Hier gebieten bereits Erwägungen hinsichtlich der Effektivität der ius cogensRegel die klare Aussage, dass unter Bruch von ius cogens erlangte Beweismittel im Gerichtsverfahren unzulässig sind. In diesem Bereich bietet sich eine Parallele zu der in Art. 15 Folterkonvention enthaltenen Regel an, dass nachweislich durch Folter herbeigeführte Aussagen nicht als Beweis in einem Verfahren verwendet werden dürfen, es sei denn gegen eine der Folter angeklagte Person zum Beweis dafür, dass die Aussage gemacht wurde. Das Verbot der Folter (Art. 2 Folterkonvention) ist – ebenso wie das in Art. 2 Abs. 4 VN-Charta enthaltene Gewaltverbot – als ius cogens einzuordnen.375 Durch ein Beweisverbot werden so Interessen der internationalen Gemeinschaft geschützt.376 Bei einem Verstoß gegen ius cogens ist es daher auch problematisch, anzunehmen, dass die Parteien die Zulässigkeit solcher Beweismittel vereinbaren können.377 Dagegen kann nicht eingewendet werden, dass die Pflicht zum Ausschluss der Beweise notwendig eine (im Einzelfall zu prüfende) Kompetenz des Gerichts voraussetze, über die Illegalität des Aktes der Beweisermittlung durch einen Staat zu urteilen.378 Denn Inhalt der Entscheidung des Gerichts wäre im Falle der Nichtzulassung nicht unmittelbar die Feststellung des völkerrechtswidrigen Verhaltens eines Staates (es sei denn, diese ist vom (Wider-)Kläger wie im Corfu Channel-Fall beantragt), sondern eben das Bestehen eines Beweisverwertungsverbo373
Biehler, International Law in Practice, An Irish Perspective (2005), 195. Vorsichtig in diese Richtung: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 179. 374
Siehe auch: Reisman/Freedman, AJIL 76 (1982), 737 (738).
375
JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Anto Furundžija, Case No.: IT-9517/1-T, Urteil vom 10. Dezember 1998, Ziff. 153 ff.; de Wet, EJIL 15 (2004), 97 ff. 376
Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (381).
377
So aber: Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (35). 378
Thirlway, AJIL 78 (1984), 622 (638).
Beweisaufnahme und Beweismittel
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tes, auch wenn die Völkerrechtswidrigkeit notwendige Bedingung hierfür ist. Des Weiteren trägt es zur Effektivität von ius cogens-Normen bei, wenn unter Völkerrechtsbruch gewonnene Beweise vom Gericht nicht zugelassen werden, indem jedenfalls implizit eine Aussage über die Völkerrechtswidrigkeit der staatlichen Beweisermittlungshandlung getroffen wird.379 Dieser negative Anreiz wird ergänzt durch den positiven Impuls des IGH, in Situationen mit besonderen Beweisschwierigkeiten Beweiserleichterungen zu gewähren, so dass bereits keine Notwendigkeit für Beweissicherungen unter Bruch des Völkerrechts besteht.380
(c) Beweislast hinsichtlich der völkerrechtswidrigen Erlangung der Beweismittel Die für einen Ausschluss notwendigen Voraussetzungen muss diejenige Partei beweisen, die sich auf die Unzulässigkeit eines konkreten Beweismittels beruft.381 Dieser allgemeinen Regel folgend trägt derjenige, der die Unzulässigkeit speziell wegen Illegalität der Beweisgewinnung rügt, diesbezüglich die Beweislast.382 Dies ist im angloamerikanischen System anders: Hier muss derjenige, der Beweis führt, bei Rüge des Gegners den Nachweis erbringen, dass das konkrete Beweismittel allen Zulässigkeitsanforderungen genügt.383
379
Anders: Thirlway, AJIL 78 (1984), 622 (639): “Thus, a state adducing evidence obtained by means that could be challenged would run the risk not merely of seeing the evidence in question excluded, but also of a finding against it, of, in effect, international responsibility on the basis of a purely incidental jurisdiction of a procedurally interlocutory nature. The inconsistency of such a structure with the basically consensual nature of international jurisdiction is flagrant.” 380
Siehe dazu unten Kapitel 9 C. III. 1. Mit Blick auf den oben geschilderten „positiven Anreiz“ ebenso Thirlway, AJIL 78 (1984), 622 (641). 381
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 179; Kazazi, Burden of Proof (1996), 185; Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 167. Für den EuGH ähnlich: Lasok, The European Court of Justice, Practice and Procedure (1994), 418. 382 383
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 179, 189 f. Reisman/Freedman, AJIL 76 (1982), 737 (739).
440
Kapitel 7
8. Beweise aus gescheiterten Versuchen zu gütlicher Einigung (außergerichtlichen Vergleichen) Die internationale Rechtsprechung lehnt Beweismittel generell ab, die aus gescheiterten Vergleichsversuchen hervorgegangen sind.384 Hierbei handelt es sich um ein Beweismittelverbot.385 Bereits im Chorzów Factory-Fall ließ der StIGH solche Erklärungen, Geständnisse oder Vorschläge als Beweismittel nicht zu, die aus (fehlgeschlagenen) Verhandlungen über eine gütliche Einigung stammten, da diese Verhandlungen ausdrücklich unter der Bedingung geführt worden waren, dass sie das Ergebnis eines künftigen Gerichtsverfahrens nicht beeinflussen sollten.386 Gleiches geschah im River Meuse-Fall.387 Der IGH schließlich bestätigte die gewohnheitsrechtliche Geltung der Regel im Frontier Dispute between Burkina Faso and Mali388 sowie im Qatar-BahrainFall.389 Die Rechtsprechung des IUSCT geht in dieselbe Richtung.390 384
Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (403 f.).
385
Es wird jedoch – wohl unzutreffend – auch argumentiert, dass es sich nicht um eine Zulässigkeitsfrage handelte, sondern um die Einordnung der Beweismittel als irrelevant: Thirlway, AJIL 78 (1984), 622 (625, Fn. 6). 386
StIGH, Chorzów Factory Case (Jurisdiction) PCIJ Ser. A, No. 9, 19; Evensen, Acta scandinavica juris gentium 25 (1955), 44 (58). 387
StIGH, The Diversion of Water from the Meuse, Pleadings, Oral Statements and Documents, PCIJ Ser. C No. 81 (Part II, Public Sittings and Pleadings) (1937), 220, 224. 388
IGH, Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Republic of Mali), Urteil vom 22. Dezember 1986, ICJ Rep. 1986, 554 (632, Ziff. 147). 389
IGH, Case Concerning Maritime Delimitation and Territorial Questions between Qatar and Bahrain (Qatar v. Bahrain), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 1. Juli 1994, ICJ Rep. 1994, 112 (125 f., Ziff. 40): “[T]here is a rule of customary international law in this domain, defined in 1927 by the Permanent Court of International Justice, namely that the Court cannot take account of declarations, admissions or proposals which the parties may have made in the course of direct negotiations when the negotiations in question have not led to an agreement between the parties.” 390
IUSCT, PepsiCo, Inc. v. The Government of the Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 18), Award No. 260-18-1, Schiedsspruch vom 11. Oktober 1986, IUSCTR 13 (1986-IV), 3 (28, Fn. 13): Nichtzulässigkeit von Protokollen und eines Briefes, die als Verhandlungen über Vergleichsbedingungen gewertet wurden; IUSCT, International Schools Services, Inc. v. The Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 123), Award No. 290-123-1, Schiedsspruch vom 29. Januar 1987, IUSCTR 14 (1987-I), 65 (77, Ziff. 37).
Beweisaufnahme und Beweismittel
441
Die Regelung findet ihre Entsprechung in verschiedenen nationalen Rechtsordnungen391 und gilt als allgemeiner Grundsatz auch in der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit.392 Auch die EGMRVerfO normiert in Art. 62 Abs. 2 ein Beweisverbot für solche Mittel, die in Verhandlungen zur gütlichen Einigung nach Art. 18 EMRK entstanden sind. Zweck der Regelung ist, gütliche Einigungen zu fördern, indem die Parteien nicht befürchten müssen, dass ihre Zugeständnisse im Rahmen der Vergleichsverhandlungen in einem späteren Prozess als (außergerichtliches) Geständnis in die Beweiswürdigung einfließen könnten. Bisweilen schließen die Parteien dies ausdrücklich im Schiedsvertrag aus (vgl. Art. V Abs. 1 des Schiedsvertrags im Gulf of MaineFall393).
9. Beweismittelverträge Wie oben angemerkt394 besteht für die Parteien insbesondere bei ad hocSchiedsgerichten, aber in gewissen Grenzen auch bei ständigen internationalen Gerichten die Möglichkeit, prozessuale Absprachen im konkreten Fall zu treffen, die das Prozessrecht beeinflussen, so auch im Bereich des Beweisrechts. Hierzu gehören auch Beweismittelverträge.395 Entsprechend hat das Schiedsgericht in der United States-United Kingdom Arbitration Concerning Heathrow Airport User Charges eine Absprache gelten lassen, in der sich die Streitparteien auf die Nichtzulassung des Berichts der UK Monopolies and Mergers Commission verständigt hatten.396 Darüber hinaus einigten sich die Parteien, dass sie 391 392
Siehe Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (362). Berger, Arbitration International 22 (2006), 501 (514 f.).
393
IGH, Case Concerning Delimiation of the Maritime Boundary in the Gulf of Maine Area (Canada v. United States of America), Urteil vom 12. Oktober 1984, ICJ Rep. 1984, 246 (254): “Neither party shall introduce into evidence or argument, or publicly disclose in any manner, the nature or content of proposals directed to a maritime boundaries settlement, or responses thereto, in the course of negotiations or discussions between the Parties undertaken since 1969.” 394
Kapitel 2 B. III. 2.
395
Zur Zulässigkeit im deutschen Recht: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 112, Rn. 9. 396
United States-United Kingdom Arbitration Concerning Heathrow Airport User Charges, Award on the First Question of 30 November 1992, ILR 102 (1996), 216 (232, Ziff. 3.18 und 3.19).
442
Kapitel 7
den Inhalt des Berichts weder unmittelbar noch mittelbar in den Prozess als Beweise einbringen würden.
10. Zusammenfassung Beweisverbote in der Form individueller Beweisverweigerungsrechte gelten als allgemeine Rechtsgrundsätze im zwischenstaatlichen Verfahren. Dabei ist es unschädlich, dass einzelne Beweisverbote in nationalen Rechtsordnungen unterschiedliche Regelungen erfahren.397 Zur Begründung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes müssen die Rechtsordnungen nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen. Weiterhin können individuelle Beweisverweigerungsrechte aus Verträgen folgen. Staatliche Beweisverweigerungsrechte wegen nationaler Sicherheitsinteressen hingegen ergeben sich entweder aus Vertragsrecht oder Richterrecht. In diesem Bereich ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen; insbesondere lässt sich keine Konvergenz der internationalen Rechtsprechung feststellen. Der Ausrichtung des internationalen Prozesses auf möglichst umfassende tatsächliche Aufklärung entsprechend sollten Zeugnis- und andere Beweisverweigerungsrechte jedoch grundsätzlich eng ausgelegt werden.398 Beweisverbote wegen illegal erlangter Beweismittel und aus Vergleichsverhandlungen entstandener Beweismittel sind hingegen anerkannt.
IV. Zusammenfassung: Zulässigkeit der Beweisaufnahme Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Beweisaufnahme im internationalen Prozess dann zulässig ist, wenn die Tatsache entscheidungserheblich und beweisbedürftig ist und der Beweisaufnahme kein Beweisverbot entgegensteht. Beweisbedürftig sind grundsätzlich alle nicht offenkundigen, strittigen Tatsachen. Streitig sind Tatsachen dann, wenn sie nicht von den Parteien ausdrücklich unstreitig gestellt, von der gegnerischen Partei nicht bestritten wurden oder nicht Gegenstand eines innerprozessualen Geständnisses sind. Andere, außergerichtliche Äußerungen sind zwar nicht als Geständnis i.e.S. zu qualifizieren, können jedoch dazu führen, dass es dem sich äußernden Staat verwehrt ist, die Tatsachen im Prozess anders darzustellen (Estoppel). Eine Bindung 397 398
Mosk/Ginsburg, ICLQ 50 (2001), 345 (379). Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 381.
Beweisaufnahme und Beweismittel
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internationaler Gerichte an tatsächliche Feststellungen internationaler Organisationen tritt in aller Regel nicht ein. Allerdings kommt diesen Feststellungen ein hoher Beweiswert zu. Gleiches ist für Entscheidungen anderer internationaler Gerichte anzunehmen. Unter Umständen ist an einen Anschein der Richtigkeit zu denken, der zu einer Beweislastumkehr führt.
C. Organisation der Beweisaufnahme Die Beweisaufnahme ist im internationalen Prozess wenig formalisiert und für die untersuchten Gerichte nicht einheitlich geregelt. In diesem Bereich sind daher nur wenige Übereinstimmungen im Detail, jedoch durchaus einige gemeinsame Grundsätze zu erwarten.
I. Verfahrensleitende Befugnisse internationaler Gerichte Soweit keine vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien getroffen wurde,399 können internationale Gerichte die Formalitäten der Beweisaufnahme selbst regeln. Dies betrifft etwa die Reihenfolge des Austauschs der Schriftsätze im schriftlichen Verfahren sowie die Reihenfolge der Anhörung in der mündlichen Verhandlung, Fristen zur Vorlage von Schriftsätzen und Beweismitteln sowie deren Verlängerung (vgl. Art. 48 IGH-Statut, 58 IGH-VerfO). Die Beweisaufnahme betreffende Fragen können auch im Vorfeld mit den Parteien besprochen werden, etwa im formalisierten Rahmen einer pre-hearing conference.400 Die Statuten und Verfahrensordnungen internationaler Gerichte sehen eine solche Konsultation regelmäßig vor.401 Besonders bedeutend ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, demzufolge die Parteien grundsätzlich vor Erlass des Beschlusses zu hören sind.402 Leitende Funktion bei 399
Der IGH ist an eine solche Absprache nicht gebunden, soll sie aber berücksichtigen: Art. 44 Abs. 2, 46 Abs. 1 IGH-VerfO. 400
Kazazi, Burden of Proof (1996), 168 f.
401
Vgl. Art. 31 IGH-VerfO, Art. 45 ISGH-VerfO, Anm. 4 zu Art. 15 IUSCT-VerfO. 402 Art. 31 IGH-VerfO, auf den sich Art. 44 Abs. 1 IGH-VerfO (für das schriftliche Verfahren) und Art. 58 Abs. 2 IGH-VerfO (für das mündliche Verfahren) ausdrücklich beziehen, Kazazi, Burden of Proof (1996), 157. Ebenso:
444
Kapitel 7
der Ausübung dieser Kompetenzen kommt dabei den in Kapitel 3 und 4 dargestellten Grundsätzen zu. Prozessuale Entscheidungen können in aller Regel formlos ergehen. Ein förmlicher Beweisbeschluss für jede Beweisaufnahme (vgl. etwa § 358 ff. ZPO) ist nur beim EuGH vorgesehen (Art. 45 § 1 EuGHVerfO), unterliegt aber sonst keinem weiteren Formerfordernis.403 Auch vor anderen internationalen Gerichten bedarf indes die Anforderung eines Sachverständigengutachtens eines förmlichen Beschlusses.404
II. Beweisantritte der Parteien Im deutschen Zivilprozessrecht bedarf es zur Beweisaufnahme in der Regel eines Beweisantrittes (Beweisantrag) der beweispflichtigen Partei.405 Eine Partei tritt Beweis einer streitigen Tatsachenbehauptung an, indem sie ein hierauf bezogenes Beweismittel benennt. Die Beweisführungslast bestimmt, welche Partei den Beweis zu führen hat. Notwendiger Inhalt des Beweisantrags ist die spezifizierte Bezeichnung der Tatsachen, welche durch das Beweismittel bewiesen werden sollen. Ein solches Erfordernis, ein Beweismittel einer strittigen Tatsachenbehauptung genau zuzuordnen und so Beweis anzutreten, findet sich im internationalen Prozessrecht nicht. Dies entspricht der Flexibilität des Beweisrechts in internationalen Prozessen.406 Auch ist die verhältnismäßig strenge Substantiierungspflicht, wie sie sich in der kontinentaleuropäischen Tradition durchgesetzt hat,407 im internationalen Prozess Art. 59 Abs. 1 ISGH-VerfO (schrifliches Verfahren), Art. 73 Abs. 2 ISGHVerfO (mündliches Verfahren). 403
Siehe auch: Meurer, Das Friedensrecht der Haager Friedenskonferenz (1905), 334 zu Artikel 49 des I. Haager Abkommens von 1899. 404 405 406 407
Siehe D. II. 3. (a). Störmer, JuS 1994, 238 (239). Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 37.
Stadler, in: Hofmann u.a. (Hrsg.), Die Rechtskontrolle von Organen der Staatengemeinschaft; Vielfalt der Gerichte – Einheit des Prozessrechts? (2007), 177 (186) unter Hinweis auf die unterschiedliche Situation im angloamerikanischen Prozess. Siehe auch: Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201 (232 f.), insbesondere zum Unterschied zwischen dem im US-amerikanischen Recht vorherrschenden notice pleading im Gegensatz zum fact pleading. Zu dieser Unterscheidung auch: Priestley, Unif. L. Rev. 2001, 841 (842): “Fact pleading
Beweisaufnahme und Beweismittel
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nicht in dieser Klarheit vorhanden.408 Die damit verbundene Funktion des Beweisantritts, unzulässige Beweisermittlungsanträge auszuschließen (Ausforschungsbeweis), findet daher im internationalen Prozess keine direkte Entsprechung. Allerdings existieren in den Prozessordnungen mancher internationaler Gerichte Regeln, die funktional einem Beweisantritt ähneln. So regeln Art. 57 IGH-VerfO und Art. 72 ISGH-VerfO, dass die Parteien vor der mündlichen Verhandlung der Kanzlei Informationen über alle Beweismittel übermitteln, die sie vorlegen möchten oder um deren Beschaffung sie den Gerichtshof bitten wollen. Insbesondere sind die Parteien verpflichtet, detaillierte Angaben zur Person der Zeugen und Parteisachverständigen machen, die sie zu rufen beabsichtigen. Ebenfalls müssen sie ungefähr („in general terms“, „en termes généraux“) bezeichnen, zu welchen Punkten diese Personen Auskunft geben sollen. Dies lässt sich mit einem Beweisantritt vergleichen. Aus der Stellung in Satz 2 des Art. 57 IGH-VerfO (bzw. Art. 72 ISGH-VerfO) wird jedoch deutlich, dass sich dieses Erfordernis nur auf Zeugen und Parteigutachter bezieht. Ob allerdings ein Verstoß gegen diese Vorschrift zur Unzulässigkeit der Beweisaufnahme führt, ist mehr als fraglich. Art. 63 Abs. 1 IGH-VerfO und Art. 78 Abs. 1 ISGH-VerfO schließen ihrem Wortlaut nach nur aus, dass Zeugen und Parteigutachter, die nicht auf der nach Art. 57 IGH-VerfO zu fertigenden Liste aufgeführt sind, von den Parteien gerufen werden. Wird hingegen der Inhalt der Aussage (also die Zuordnung des Beweismittels zu einer bestimmten Tatsache) nicht skizziert, ist die Beweisaufnahme wohl zulässig. Bezüglich Urkunden gilt ähnlich wie im deutschen Recht (§§ 420 f. ZPO), dass der Beweisführer den Beweis durch Vorlegung der Urkunde bzw. durch Antrag an das Gericht antritt, dem Gegner die Vorlegung der Urkunde aufzugeben.409
requires a full statement of all material facts from the beginning of the pleading process; notice pleading requires only that the party against which the pleading is directed is given notice of the nature of the claim.” 408 409
Zur Substantiierungspflicht schon oben, B. II. 1. (c). Kapitel 5 B. II. 2.
446
Kapitel 7
III. Zurückweisung von Beweisanträgen 1. Der Grundsatz der Beweismittelerschöpfung Ist die Beweisaufnahme generell und ein Beweismittel im speziellen zulässig, so muss grundsätzlich Beweis erhoben werden. Auch vor internationalen Gerichten gilt insofern das Prinzip der Beweismittelerschöpfung.410 Dies folgt aus der Pflicht des Gerichts, den Streitfall auf der Grundlage der von den Parteien vorgebrachten Tatsachen zu entscheiden. Eine Ablehnung des Beweisantrags ist jedoch zulässig, wenn die Beweismittel nicht (mehr) zur Bildung der Überzeugung des Gerichts nötig sind, weil das Gericht bereits von der Tatsache überzeugt ist.411 Daneben können beispielsweise Zeugen abgelehnt werden, wenn feststeht, dass die Person nicht aus eigener Wahrnehmung über die streitige Behauptung berichten kann412 oder wenn ihre Aussage für die zu beweisende Tatsache413 oder generell für die Entscheidung414 nicht rele410
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 184: “[A] party may generally produce evidence as a matter of right, so long as it is produced within the time limits fixed by the Court.” Anzilotti, StIGH, Acts and Documents Concerning the Organisation of the Court, Ser. D No. 2, Preparation of the Rules of Court (1922), 210; IGH, South West Africa Cases (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa), Second Phase, Urteil vom 18. Juli 1966, ICJ Rep. 1966, 4 (9): “In the view of the Court, the Statute and Rules of Court contemplated a right in a party to produce evidence by calling witnesses and experts, and it must be left to exercise the right as it saw fit, subject to the provisions of the Statute and Rules of Court.” Zur diesbezüglichen Diskussion in den South West Africa-Fällen siehe Louis Favoreu, Récusation et administration de la preuve devant la Cour internationale de justice: A propos des affaires du Sud-ouest africain (fond), AFDI 11 (1965), 233 (265 f.); Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 106. Weiterhin: Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 241 f. 411
StIGH, Free Zones of Upper Savoy and the District of Gex (France v. Switzerland), Beschluss vom 19. August 1929, PCIJ Ser. A No. 22, 14. Hier waren die Beweismittel darüber hinaus noch verspätet, worauf es aber nicht ankam. 412
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 109; IGH, Corfu Channel Case, Beschluss (decision) vom 10. November 1948, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Judgments of March 25th, 1948, April 9th and December 15th, 1949, Bd. 3 (1948), 250. 413
ISGH, “SAIGA” Case (Prompt Release), Pleadings, Minutes of Public Sittings and Documents (1997), 103; Anderson, Art. 78, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary
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vant ist. Ob das Gericht darüber hinaus aus prozessökonomischen Gründen etwa die Aufrufung von Zeugen durch die Parteien ablehnen kann, ist fraglich,415 wird aber teilweise befürwortet.416 Hinsichtlich des Sachverständigenbeweises gilt das Prinzip der Beweismittelerschöpfung nur hinsichtlich der Parteisachverständigen, nicht jedoch der gerichtlichen Sachverständigen.417
2. Fristen zur Beweisaufnahme Das Urteil eines internationalen Gerichts stützt sich allgemein nur auf solche Tatsachen, die ihm bis zum Ende der mündlichen Verhandlung vorliegen.418 Dieser Zeitpunkt bildet die äußere Grenze der zeitlichen Zulässigkeit der Beweisaufnahme. Sachvortrag sowie Beweismittel, die spätere Vorgänge betreffen, sind daher als unzulässig abzulehnen. Es ist darüber hinaus allgemein anerkannt, dass das internationale Gericht Fristen für die Beweisaufnahme setzen und verspätet gestellte Beweisanträge ablehnen kann (Art. 67 der I. Haager Konvention von 1907).419 Dies geht insbesondere aus Art. 52 IGH-Statut und Art. 46 ISGH-VerfO hervor, wobei es nach dem Wortlaut des Art. 52 grundsätzlich im Ermessen des Gerichtshofs steht, ob er den Antrag ablehnt.420 Fristbestimmungen dienen der Prozessbeschleunigung und sind damit dem Grundsatz der Prozessökonomie zuzuordnen.421
(2006), 222 (223); Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (351). 414
IGH, Certain Questions of Mutual Assistance in Criminal Matters (Djibouti v. France), Urteil vom 4. Juni 2008, Ziff. 12. 415 So geschehen in: IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (178, Ziff. 15). 416 417 418
Riddell, LJIL 20 (2007), 405 (434). Siehe Kapitel 4 D. II. IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (39, Ziff. 58).
419
„Nach dem Schlusse des Vorverfahrens ist das Schiedsgericht befugt, alle neuen Aktenstücke oder Urkunden von der Verhandlung auszuschließen, die ihm etwa eine Partei ohne Einwilligung der anderen vorlegen will.“ 420
Jens Evensen, Acta scandinavica juris gentium 25 (1955), 44 (57); Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour Permanente de justice internationale (1934), 385 ff. 421
Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 259.
448
Kapitel 7
Art. 52 IGH-Statut gilt für alle Arten von Beweismitteln.422 Im Umkehrschluss kann argumentiert werden, dass in anderen Fällen eine Pflicht zur Zulassung der Beweisanträge besteht. Für das WTO-Verfahren ergibt sich Gleiches aus Art. 12 Abs. 5 DSU i.V.m. den von den Panels verabschiedeten Zusatzregeln nach Absatz 11 des Anhangs 3 zum DSU. Auch das IUSCT hat die Kompetenz zur Fristsetzung. Jedoch kann das Tribunal nach Ermessen auch verspätete Beweismittel zulassen.423
3. Zurückweisung verspäteter Beweismittel Die Problematik der Zurückweisung verspäteter Beweismittel stellt sich in erster Linie in Bezug auf Urkunden. Dabei ist fraglich, bis zu welchem Zeitpunkt die zur Unterstützung der Behauptungen notwendigen Urkunden vorgelegt werden können bzw. müssen. Im Island of Palmas-Fall war dies Anlass eines Streits. Die Vereinigten Staaten hatten argumentiert, dass die Niederlande Urkunden, die sie zum Beweis ihrer Behauptungen benötigten, bereits im schriftlichen Vorverfahren vollständig einreichen mussten; später sei ihre Vorlage unzulässig und die bisher nicht bewiesenen Tatsachenbehauptungen daher als falsch zu vermuten. Richter Huber entschied, dass “[h]owever desirable it may be that evidence should be produced as complete and at as early a stage as possible, it would seem to be contrary to the broad principles applied in international arbitrations to exclude a limine, except under the explicit terms of a conventional rule, every allegation made by a Party as irrelevant, if it is not supported by evidence, and to exclude evidence relating to such allegations from being produced at a later stage.”424 In Ermangelung einer ausdrücklichen Regelung im gerichtseinsetzenden Vertrag oder einer Anordnung des Gerichts ist demnach die Grundposition, dass Urkunden und andere Beweismittel noch während der mündlichen Verhandlung eingeführt werden können.
422
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams/Rau, Art. 52, Rn. 2.
423
Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (130 f.). 424
Island of Palmas case (Netherlands v. USA), Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA 2 (1949), 831 (841). Dazu: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 60 ff.; Jessup, AJIL 22 (1928), 735 (748 ff.).
Beweisaufnahme und Beweismittel
449
Von der Feststellung Hubers ausgehend ist argumentiert worden, den Art. 48 bis 51 des IGH-Statuts liege der Gedanke zugrunde, dass die Unterbreitung von Beweismitteln, also auch von Urkunden, grundsätzlich auch noch während der mündlichen Verhandlung zulässig sei.425 In aller Regel bestimmen die Verfahrensordnungen internationaler Gerichte jedoch aus prozessökonomischen Gründen,426 dass alle Urkunden vor Schluss des schriftlichen Vorverfahrens eingereicht werden müssen (Art. 56 IGH-VerfO, Art. 71 ISGH-VerfO).427 Nach diesem Zeitpunkt kann etwa der IGH sie gemäß Art. 52 IGH-Statut zurückweisen. Art. 56 IGH-VerfO und Art. 71 ISGH-VerfO bestimmen weiter, dass eine Vorlegung ausnahmsweise nach Abschluss des schriftlichen Vorverfahrens möglich ist, wenn die andere Partei zustimmt oder der Gerichtshof nach Anhörung beider Parteien die Einführung autorisiert. In dieser Vorschrift hat der IGH seinen ihm unter Art. 52 IGH-Statut eingeräumten Ermessensspielraum für den Urkundsbeweis konkretisiert.428 Daher muss der IGH nunmehr die verspäteten Urkunden zulassen, wenn die gegnerische Partei zustimmt und sich nicht aus anderen Gründen als der Verspätung etwas anderes ergibt.429 Ausreichend ist insofern eine fehlende Rüge der Partei (Art. 56 Abs. 1 S. 3 IGH-VerfO, ebenso Art. 71 Abs. 1 S. 2 ISGH-VerfO). IGH und ISGH können die Vorlegung auch ohne Zustimmung bzw. gegen den Widerstand der gegnerischen Partei zulassen, wenn sie die Beweismittel für notwendig oder sachdienlich erachten.430 In seiner Practice Direction IX hat der IGH 425
StIGH, Ser. D (1936), Acts and Documents Concerning the Organization of the Court, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th, 1936, 181 f. 426
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 93.
427
Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (207). Für den EuGH siehe Artikel 42 § 2 EuGH-VerfO. 428
Art. 56 IGH-VerfO erfasst nur Urkunden, nicht aber andere Beweismittel: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams/Rau, Art. 52, Rn. 4. 429
So: Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 385; Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm/Tams/Rau, Art. 52, Rn. 11. Anders: Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 273 (Fn. 981). Zweifelnd auch Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 71. 430
So geschehen in folgenden Fällen: IGH, Nottebohm Case (Liechtenstein v. Guatemala) (Second Phase), Urteil vom 6. April 1955, ICJ Rep. 1955, 4 (6); IGH, Case concerning the Gabčíkovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slova-
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jedoch strenge Anforderungen an die Zulassung von Urkunden nach Abschluss des schriftlichen Vorverfahrens ohne Einwilligung der gegnerischen Partei gestellt.431 Insbesondere nach Ziff. 4 der Direction ist klar, dass verspätet vorgebrachte Urkunden ohne Zustimmung der gegnerischen Partei nur in Ausnahmefällen vom Gerichtshof zugelassen werden; außerdem muss die vorlegende Partei die Gründe für die Verzögerung erläutern. In jedem Fall ist der anderen Partei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.432 Eine strengere Handhabung des Art. 56 IGH-VerfO in letzter Zeit ist durchaus zu konstatieren.433 Auch Art. 56
kia), Urteil vom 25. September 1997, ICJ Rep. 1997, 7 (13, Ziff. 7); IGH, LaGrand Case, ICJ Rep. 2001, 466 (470 f., Ziff. 6). 431
“Practice Direction IX:
1. The parties to proceedings before the Court should refrain from submitting new documents after the closure of the written proceedings. 2. A party nevertheless desiring to submit a new document after the closure of the written proceedings shall explain why it considers it necessary to include the document in the case file and shall indicate the reasons preventing the production of the document at an earlier stage. 3. In the absence of consent of the other party, the Court will authorize the production of the new document only in exceptional circumstances, if it considers it necessary and if the production of the document at this stage of the proceedings appears justified to the Court. 4. If a new document has been added to the case file under Article 56 of the Rules of Court, the other party, when commenting upon it, shall confine the introduction of any further documents to what is strictly necessary and relevant to its comments on what is contained in this new document.” Aber siehe auch: Higgins, ICLQ 50 (2001), 121 (129), die eine weniger strenge Behandlung verspäteter Eingaben zugunsten einer Konzentration auf wesentliche Dokumente innerhalb der Fristen befürwortet. 432
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 55; Sanchez de Bustamante y Sirven, Derecho internacional público, Bd. 5 (1938), 428. 433
Siehe Prager, LPICT 1 (2002), 401 (406 f.) in Bezug auf den Fall IGH, Case Concerning the Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria: Equatorial Guinea intervening), Urteil vom 10. Oktober 2002, ICJ Rep. 2002, 303 (315, Ziff. 22). Siehe auch: Higgins, ICLQ 50 (2001), 121 (128 ff.). Siehe aber IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), ICJ Rep. 1993, 325 (336 f., Ziff. 20 f.), wo der IGH unter Rückgriff auf Art. 74 Abs. 3 IGH-VerfO während der mündlichen Verhandlung eingereichte Beweismittel zuließ: “[W]hereas however Article 74, paragraph 3, of the Rules of Court provides that ‘The Court shall receive and take into account any observations that may be presented to it before the closure of the oral proceed-
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Abs. 4 IGH-VerfO, der die Bezugnahme auf öffentlich verfügbare Dokumente erlaubt, ist durch die Practice Direction IXbis konkretisiert worden. Der ISGH hingegen hat verspätet vorgelegte Dokumente im Allgemeinen zugelassen, wenn die gegnerische Partei keine Einwände hatte.434 Im Gegensatz zu Art. 56 IGH-VerfO bestimmt Art. 71 Abs. 1 S. 2 ISGH-VerfO, dass eine solche Rüge binnen 15 Tagen seit Empfang der Urkunde abgegeben werden muss. Eine parallele Regelung treffen Art. 63 Abs. 1 S. 2 IGH-VerfO und Art. 78 Abs. 1 S. 2 ISGH-VerfO für Zeugen, die nicht auf der nach Art. 57 IGH-VerfO (Art. 72 ISGH-VerfO) erforderlichen Liste aufgeführt sind. Auch sie können geladen werden, wenn die gegnerische Partei nicht widerspricht oder der Gerichtshof dies zulässt.435 In Ausnahmefällen kommt schließlich auch eine Einreichung von Beweismitteln, insbesondere Urkunden, nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung (Art. 54 Abs. 1 IGH-Statut, Art. 88 ISGH-VerfO) in Betracht.436 Art. 72 IGH-VerfO und Art. 87 ISGH-VerfO lassen dies jedenfalls dann zu, wenn der IGH oder der ISGH selbst nach Art. 49 IGH-Statut und Art. 61 oder 62 IGH-VerfO (Art. 76, 77 ISGH-VerfO) tätig werden und solche Beweismittel amtswegig anfordern.437 Falls nötig ist die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung möglich. Vereinzelt reichen die Parteien aus eigener Initiative nach Schluss der mündlichen Verhandlung noch Beweismittel ein. Eine Berücksichtigung dieser Informationen ist jedenfalls nur dann möglich, wenn die andere
ings’; whereas the Court, taking into account the urgency and the other circumstances of the matter, considers it possible to receive the documents in question as being in this case ‘observations’ under that provision to the extent that they relate to the requests for the indication of provisional measures.” Kritisch hierzu unter dem Aspekt der Gleichheit der Parteien: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 14. 434
ISGH, “Grand Prince” Case, ITLOS Rep. 2001, 17 (24, Ziff. 28 f.).
435
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 78 ff.; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams/Rau, Art. 52, Rn. 4. 436 437
Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (399). Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 49, Rn. 15.
452
Kapitel 7
Partei zustimmt.438 Ein Recht der Parteien auf Berücksichtigung dieser Beweise besteht jedoch nicht.439 Auch das IUSCT lässt grundsätzlich nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens keine weiteren Beweismittel zu.440 Es kann nach pflichtgemäßem Ermessen jedoch auch verspätet vorgebrachte Beweismittel berücksichtigen, wenn die vorlegende Partei die Verspätung begründen kann und die Einführung der Dokumente den Prozess nicht verzögert.441 Auch dann müssen die Eingaben jedoch mindestens zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung eingehen.442 Die gegnerische Partei muss in jedem Fall Gelegenheit zur Stellungnahme bekommen. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung können grundsätzlich keine Beweismittel mehr eingereicht werden.443 Das Arbeitsverfahren nach Anhang 3 zum DSU bestimmt selbst keinen Zeitpunkt, bis zu dem die Beweismittel vorgebracht werden müssen.444 Die Panels haben daher ein weitreichendes Ermessen. Oft legen Panels konkrete Fristen in Zusatzregeln nach Absatz 11 des Anhangs 3 fest. Regelmäßig wird als Stichtag die erste Sitzung des Panels gewählt („first substantive meeting“). Das Berufungsgremium hat diesbezüglich jedoch auf Art. 12 Abs. 2 DSU hingewiesen, nach dem die Panelverfahren ausreichend flexibel sein sollen.445 Vielleicht werden auch wegen dieses 438
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 90; Zur Situation beim StIGH siehe Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 387 f. 439 Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Fassbender, Art. 54, Rn. 9; Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 3 (2006), 1338. 440 441
Kazazi, Burden of Proof (1996), 162 f.; 188 ff. Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 169 ff.
442
IUSCT, Frederica Lincoln Riahi v. The Government of the Islamic Republic of Iran (Case No. 485), Award No. 596-485-1, Schiedsspruch vom 27. Februar 2003, IUSCTR 37 (2003), 11 (24, Ziff. 45). 443
Vera-Jo Miller Aryeh (Case No. 842), Laura Aryeh (Case No. 843), J.M. Aryeh (Case No. 844) v. The Islamic Republic of Iran, Award vom 22. Mai 1997, IUSCTR 33 (1997), 272 (288, Ziff. 52); IUSCT, Frederica Lincoln Riahi v. The Government of the Islamic Republic of Iran (Case No. 485), Award No. 596-485-1, Schiedsspruch vom 27. Februar 2003, IUSCTR 37 (2003), 11 (25, Ziff. 48 ff.). 444 445
DSB, Argentina – Textiles and Apparel (AB), Ziff. 80. DSB, Australia – Salmon (AB), Ziff. 272.
Beweisaufnahme und Beweismittel
453
Hinweises die Präklusionsregeln von den Panels nicht strikt angewandt, so dass Beweismittel oft auch noch nach diesem Zeitpunkt zugelassen werden.446
D. Beweismittel im internationalen Prozess Auf einzelne Beweismittel wurde bereits in Kapitel 4 eingegangen. Dort stand die Rollenverteilung zwischen Parteien und Gericht in der Stoffsammlung im Zentrum, insbesondere die Frage, ob bzw. in welchen Grenzen das Gericht amtswegig tätig werden darf. Der vorliegende Abschnitt stellt die Zulässigkeitsvoraussetzungen und Verfahrensfragen in Bezug auf einzelne Beweismittel näher dar.
I. Allgemeine Grundsätze zur Zulässigkeit von Beweismitteln 1. Abschließender Katalog von Beweismitteln im internationalen Verfahrensrecht? Beweismittel sind all diejenigen Materialien, mit Hilfe derer die Existenz von Tatsachen belegt werden soll.447 Die gerichtseinsetzenden Verträge enthalten zumeist keine Aufzählung zulässiger Beweismittel. Fraglich ist daher, ob ähnlich dem Strengbeweis im deutschen Recht das Völkerprozessrecht die Beweisaufnahme vor Gericht von vornherein auf bestimmte Beweismittel beschränkt. Dagegen spricht eine gefestigte Rechtsprechung internationaler Gerichte und Schiedsgerichte. Es besteht demnach eine Regel des Richterrechts dahingehend, dass grundsätzlich keine Beschränkungen der Zulässigkeit von Beweismitteln angenommen werden können und daher kein Beweismittel a limine ausgeschlossen werden soll.448 Entsprechende Aussagen finden sich im 446
Monnier, LPICT 1 (2002), 481 (499 f.). Siehe auch: DSB, EC – Approval and Marketing of Biotech Products, Ziff. 7.40: Vorlage vieler Dokumente erst nach der ersten Sitzung. 447 448
Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (260).
Siehe bereits unter B., sowie Art. 6 des Jay Treaty vom 19. November 1794 (Treaty of Amity, Commerce and Navigation) zwischen dem Vereinigten Königreich und den USA, in: Bevans, Treaties and other International Agreements of the United States of America 1776-1949, Bd. 12 (1974), 13 (19): “[The Commissioners] shall have the power to examine all such Persons as shall come
454
Kapitel 7
Parker-Fall von 1926, im Island of Palmas-Fall von 1928 sowie in anderen frühen Entscheidungen internationaler Schiedsgerichte.449 Hierin ist eine Abkehr des internationalen Prozessrechts von strikten Zulässigkeitsvorschriften in nationalen Rechtsordnungen, vor allem der traditionell restriktiveren Praxis des common law, zu sehen. Die Parteien genießen demnach weitgehende Freiheit in Bezug auf die Wahl der Mittel für ihre Beweisführung.450 Dem Richter eines internationalen Gerichts wird zugetraut, die Überzeugungskraft eines jeden Beweisstücks im Rahmen der Beweiswürdigung selbst beurteilen zu können.451 Dies gilt
before them on Oath or Affirmation touching the premises; and also to receive in Evidence as they may think most consistent with Equity and Justice all written Depositions, or Books or Papers, or Copies or Extracts thereof.” Siehe auch: Deutsch-Venezolanische Schiedskommission, Faber Case, Jackson H. Ralston, Venezuelan Arbitrations of 1903 (1904), 600 (621 f.): “In its wider and universal sense it [evidence] embraces all means by which any alleged fact, the truth of which is submitted to examination, may be established or disproved.”; Lauterpacht, BYIL 12 (1931), 31 (42); Proposition de M. Huber relatives a l’amendement de certains articles du règlement (31. Dezember 1925), in: StIGH, Revision du règlement de la Cour, Ser. D, Add. No. 2, 246 (250); Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 126 ff.; Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 240; Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (260). Die Regel gilt auch für das WTO-Streitschlichtungsverfahren: Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 133 m.w.N. sowie für das Verfahren vor dem EGMR (EGMR, Ireland v. United Kingdom (Application no. 5310/71), Urteil vom 18. Januar 1978, Ser. A vol. 25, 64 (Ziff. 160)). 449
Feller, The Mexican Claims Commission 1923-1934 (1935), 257 f.; Island of Palmas case (Netherlands v. USA), Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA 2 (1949), 831 (841); Georges Pinson (France) v. United Mexican States, Urteil vom 19. Oktober 1928, RIAA 5 (1952), 327 (411, Ziff. 43). Siehe auch den ShufeldtFall (US v. Guatemala), AJIL 24 (1930), 799 (801): “[I]nternational courts are by no means as strict as municipal courts and cannot be bound by municipal rules in the receipt and admission of evidence. The evidential value of any evidence produced is for the international tribunal to decide under all the circumstances of the case.” 450
Valencia-Ospina, ILF 1 (1999), 202. IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Shahabuddeen, ICJ Rep. 1993, 353 (357), der bestätigt, dass weder das IGH-Statut noch die IGH-VerfO die Gattungen der zulässigen Beweismittel regeln. 451
Statt vieler siehe: Lauterpacht, BYIL 12 (1931), 31 (42); Evensen, Acta scandinavica juris gentium 25 (1955), 44 (56); Valencia-Ospina, ILF 1 (1999), 202 (205).
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auch für das Verfahren vor dem EuGH: Art. 45 § 2 EuGH-VerfO zählt zwar verschiedene Beweismittel auf (persönliches Erscheinen der Partei, Einholung von Auskünften und Vorlegung von Urkunden, Vernehmung von Zeugen, Begutachtung durch Sachverständige, Einnahme des Augenscheins), es handelt sich jedoch nicht um einen abschließenden Katalog von Beweismitteln. Dies folgt daraus, dass die Norm „unbeschadet der Art. 24 und 25 der EuGH-Satzung“ gilt.452
2. Formelle Hierarchie verschiedener Beweismittel? Neben der grundsätzlichen Zulässigkeit aller Beweismittel ist ebenfalls anerkannt, dass keine formelle Hierarchie unter den verschiedenen Beweismitteln besteht.453 Daher ist die sogenannte „best evidence rule“ nicht Bestandteil der völkerprozessrechtlichen Ordnung.454 Bisweilen wird zwar auch zwischen primary und secondary evidence unterschieden, abhängig von der Nähe des jeweiligen Beweismittels zur beweisbedürftigen Tatsache.455 So sollen zur ersten Kategorie etwa Aussagen, die von einem Organ eines Staates gemacht wurden, sowie (journalistische und andere) Augenzeugenberichte zählen. Die zweite Kategorie soll „statements of facts adopted by organs of the United Nations, for example, in the form of preambular paragraphs to resolutions of the General Assembly or the Security Council“ umfassen.456 Mögen diese 452
Lasok, The European Court of Justice, Practice and Procedure (1994),
366. 453
Evensen, Acta scandinavica juris gentium 25 (1955), 44 (51); ValenciaOspina, ILF 1 (1999), 202 (204); Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (88). 454
IGH, Barcelona Traction Case (Second Phase), sep. op. Fitzmaurice, ICJ Rep. 1970, 64 (98, Ziff. 58); Evensen, Acta scandinavica juris gentium 25 (1955), 44 (52); Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (540); Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 204. Zur Bedeutung der „best evidence rule“ im englischen Prozessrecht siehe Halsbury’s Laws of England, Evidence, Bd. 17 (1) (2002), 201 (213, Ziff. 412). Differenzierend: Waincymer, WTO Litigation (2002), 579 f., der zwei Bedeutungen einer „best evidence rule“ ausmacht: (1) Die Möglichkeit, eine Entscheidung auf der Grundlage des besten verfügbaren Beweismaterials zu treffen, auch wenn dadurch das erforderliche Beweismaß eigentlich nicht erreicht wird; (2) die Verpflichtung der Parteien, die bestmöglichen Beweismittel beizubringen. 455
IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Lauterpacht, ICJ Rep. 1993, 407 (423, Ziff. 42). 456
Ebd.
456
Kapitel 7
Unterscheidungen auch Auswirkungen auf die Beweiskraft haben,457 spielen sie für die Zulässigkeit der Beweismittel jedoch keine Rolle. Generell gilt, dass jedes Mittel zum Beweis jeder Tatsache zulässig ist, jedoch frei gewürdigt werden muss.458
II. Voraussetzungen und Verfahren bezüglich einzelner Beweismittel 1. Urkunden Im internationalen Prozess hat der Urkundsbeweis (documentary evidence) eine herausgehobene Stellung erlangt.459 Während aber beispielsweise das IGH-Statut dieses Beweismittel ausdrücklich nennt (Art. 43 Abs. 2, 49), findet sich keine exakte Definition des Begriffs.460 Bedingt durch die Gepflogenheiten des diplomatischen Verkehrs, in dessen Rahmen staatliche Interaktion oft schriftlich stattfindet, sind darunter zunächst in Schriftform abgefasste Dokumente zu verstehen.461 Der Begriff der Urkunde geht im Völkerprozessrecht aber über die in der ZPO übliche Definition der durch Schriftzeichen verkörperten Gedankenäußerung deutlich hinaus.462 Er erfasst daneben auch solche körperlichen Beweismittel, die nach deutschem Recht z.T. zu den Augenscheinsobjekten zählen, wie Photographien,463 Karten464 und 457
Zum Beweiswert der Beschlüsse und Berichte internationaler Organisationen siehe Kapitel 8 C. II. 8. 458
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (88); Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 203: “As applied by international tribunals, the best evidence rule relates essentially to the weight of the evidence rather than to its admission.” 459
Evensen, Acta scandinavica juris gentium 25 (1955), 44 (52); Merrills, International Dispute Settlement (2005), 156; Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 197. 460 461
Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (540). Reuter, Le développement de l’ordre juridique international (1995), 544.
462
Zum deutschen Recht: BGHZ 65, 300 (301). Zur weiteren Definition im Völkerprozessrecht siehe Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 3 (2006), 1246. 463
StIGH, Phosphates in Morocco (Italy v. France), Urteil vom 14. Juni 1938, Ser. C No. 85, 875; UNCC, Governing Council, Report and Recommendations made by the Panel of Commissioners concerning the fifth instalment of “F4” claims, S/AC.26/2005/10, 30. Juni 2005, Ziff. 198; Guillaume, in: Société
Beweisaufnahme und Beweismittel
457
Modelle.465 Auch die Vorführung von Film- und Videoaufnahmen ist dem Urkundsbeweis zuzuordnen, auch wenn in Abweichung von Art. 43 IGH-Statut die Vorlegung noch nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens zulässig ist.466 Der IGH ordnet in der Regel an, dass die gegnerische Partei die Filmaufnahmen vorher einsieht. Obwohl eine „best evidence rule“ im Völkerprozessrecht nie galt, war traditionell die Urkunde grundsätzlich im Original vorzulegen.467 Mittlerweile reicht in der Regel die Vorlage einer beglaubigten Kopie aus.468 Auch können statt des Gesamtdokuments Auszüge vorgelegt werden.469 Das Gericht kann jedoch grundsätzlich Vorlage des (vollständigen) Originals verlangen.470 Falls die Urkunde nicht in einer der Amtssprachen des IGH (Französisch und Englisch, Art. 39 IGH-Statut, so
française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (208). 464
Island of Palmas case (Netherlands v. USA), Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA 2 (1949), 831 (852 ff.). 465
StIGH, Affaire des prises d’eau á la Meuse, Plaidoires, exposés oraux et documents, 1937, Ser. C No. 81, 215. 466
Prager, LPICT 1 (2002), 401 (408). Differenzierend: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 100: Art. 43 Abs. 2 IGH-Statut und Art. 56 IGH-VerfO gilt auch für Filmaufnahmen, wenn sie selbst Beweismittel sind; anders, wenn sie nur Illustrationsmaterial darstellen. Dann sind sie Teil des mündlichen Vortrags, siehe z.B. IGH, Gabčíkovo-Nagymaros Case ICJ Rep. 1997, 5 (13, Ziff. 8); IGH, Kasikili/Sedudu Island (Namibia v. Botswana), Urteil vom 13. Dezember 1999, ICJ Rep. 1999 (II), 1045 (1052, Ziff. 8); IGH, Case concerning Sovereignty over Pulau Ligitan and Pulau Sipadan (Indonesia v. Malaysia), CR 2002/30, 19-21 (Ariffin). Im Application of the Genocide Convention-Fall bezog sich Bosnien-Herzegowina auf Filmaufnahmen, u.a. auf ein Video der durch paramilitärische serbische Einheiten verübten Folter und Tötung von sechs Muslimen, siehe IGH, Genocide Case (Merits), CR 2006/3, 27 f., Ziff. 23 (Thomas M. Franck); IGH, Genocide Case (Merits), Urteil vom 26. Februar 2007, Ziff. 45. 467
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (68). Dazu auch Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 205 ff. 468
Art. 50 Abs. 1 IGH-VerfO, Art. 63 Abs. 1 ISGH-VerfO mit Definition des Begriffs certified copy in Art. 1 (i); Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm/Talmon, Art. 43, Rn. 22. 469
Art. 50 Abs. 2 IGH-Statut, 63 Abs. 2 ISGH-VerfO. Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 105. 470
Reuter, Le développement de l’ordre juridique international (1995), 544.
458
Kapitel 7
auch Art. 43 ISGH-VerfO) abgefasst ist, so muss eine Übersetzung beigefügt werden, deren Richtigkeit von der unterbreitenden Partei zu bestätigen ist (Art. 51 Abs. 3 IGH-VerfO, Art. 64 Abs. 3 ISGH-VerfO). In allen Fällen muss der gegnerischen Partei Gelegenheit gegeben werden, die vorgelegten Urkunden zu prüfen, um sich mit ihrem Inhalt vertraut zu machen. Dies ergibt sich bereits aus dem Grundsatz der Gleichheit der Parteien im Verfahren.471 Demgemäß fordert Art. 43 Abs. 2 IGH-Statut, dass die Schriftstücke und Urkunden neben dem Gerichtshof auch an die Parteien übermittelt werden, und zwar in beglaubigter Abschrift (Abs. 4). Dies gilt auch bei verspätet eingereichten und dennoch zugelassenen Urkunden (Art. 56 Abs. 3 IGH-VerfO). Art. 66 ISGH-VerfO überlässt die Übermittlung aller Urkunden an die gegnerische Seite dem Kanzler. Ähnlich wie im nationalen Prozess spricht eine Vermutung für die Richtigkeit und Vollständigkeit einer schriftlichen Urkunde. Daher muss die Partei, die sich auf eine vom Inhalt der Urkunde abweichende Vereinbarung beruft, diese auch beweisen.472
2. Zeugen Auch im Völkerprozessrecht sind Zeugen Personen, die über einen tatsächlichen Vorgang aus eigener Wahrnehmung berichten.473 Dies erfolgt durch Aussage in der mündlichen Verhandlung (dazu (a)). Darüber hinaus können IGH und ISGH Zeugen auch außerhalb der mündlichen Verhandlung vernehmen (Art. 63 Abs. 2 IGH-VerfO, Art. 78 Abs. 2 ISGH-VerfO).474 Daneben hat der Zeugenbeweis im Völkerprozess471
Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (207); Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (539). 472
IGH, Case Concerning Sovereignty Over Certain Frontier Land (Belgium v. Netherlands), Urteil vom 20. Juni 1959, ICJ Rep. 1959, 209 (226). 473
IAGMR, Bámaca Velásquez v. Guatemala, Beschluss (Order) vom 19. Juni 1998, Annual Report of the Inter-American Court of Human Rights 1998, OAS/Ser.L/V/III.43, Doc. 11, 18. Januar 1999, sep. concurring op. García Ramírez, 251 (Ziff. 2); Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 109; Riddell, LJIL 20 (2007), 405 (435); Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (351). 474
Die Möglichkeit der Zeugenvernehmung durch den Präsidenten allein ist umstritten, siehe Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 307 f.
Beweisaufnahme und Beweismittel
459
recht Bedeutung durch schriftliche Zeugenaussagen (etwa in der Form von affidavidts) erlangt (dazu (b)).
(a) Der Zeugenbeweis allgemein (aa) Zulässigkeit des Zeugenbeweises Der Zeugenbeweis ist vor internationalen Gerichten unabhängig von der zu beweisenden Tatsache generell zulässig.475 Allerdings bleibt seine Bedeutung in zwischenstaatlichen Streitigkeiten traditionell weit hinter der des Urkundsbeweises zurück.476 Der IGH beispielsweise hat nur in insgesamt 10 Fällen Zeugen gehört,477 der StIGH gar nur in einem Fall.478 Im WTO-Streitbeilegungsverfahren spielen sie im Gegensatz zum Sachverständigenbeweis bisher überhaupt keine Rolle; nur in den vom ISGH bisher entschiedenen Fällen traten verhältnismäßig häufig Zeugen auf. Hier unterscheidet sich das Völkerprozessrecht deutlich vom Völkerstrafprozessrecht, wo der Zeugenbeweis im Vordergrund steht.479 Allerdings lassen neuere Entwicklungen insbesondere vor dem IGH auf eine Zunahme der Bedeutung des Zeugenbeweises auch im zwischenstaatlichen Prozess schließen.
(bb) Zeugnisfähigkeit: Der Partei nahestehende Zeugen und Parteivernehmung Grundsätzlich sind alle natürlichen Personen zeugnisfähig. Allerdings ist die beweisrechtliche Einordnung der Parteien oder ihnen nahestehender Personen im Völkerprozessrecht problematisch.
475
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (73).
476
Siehe die Untersuchung der einzelnen Gerichte oben unter Kapitel 4 B. I. sowie Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 289; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 108. 477 478 479
Riddell, LJIL 20 (2007), 405 (434). Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (394).
Terrier, in: Cassese/Gaeta/Jones (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1277 (1299).
460
Kapitel 7
(1) Rechtsvergleichende Betrachtung Die nationalen Rechtsordnungen gehen unterschiedliche Wege, um das Wissen der Parteien in den Prozess einfließen zu lassen. So ist die Partei im deutschen Recht nicht zeugnisfähig und die stattdessen zulässige Parteivernehmung als subsidiäres Beweismittel ausgestaltet.480 Die ZPO folgt damit im Grundsatz dem römisch-kanonischen Grundsatz „nullus idoneus testis in re sua intellegitur“,481 nach dem niemand Zeuge in eigener Sache sein darf. Als „Parteivernehmung“ ist dabei sowohl die Vernehmung der gegnerischen als auch die der beweispflichtigen Partei zu verstehen. Die Vernehmung der nicht beweispflichtigen Partei ist nur dann zulässig, wenn die beweisbelastete Partei den Beweis mit anderen Mitteln nicht vollständig geführt oder andere Beweismittel nicht vorgebracht hat (§ 445 Abs. 1 ZPO), die der beweispflichtigen Partei, wenn eine Partei es beantragt und die andere zustimmt (§ 447 ZPO). Eine Partei kann demnach nach deutschem Verständnis, das etwa von der belgischen, französischen und italienischen Rechtsordnung geteilt wird, niemals gleichzeitig Zeuge sein. Dahingegen lassen die angloamerikanischen Prozessrechtsordnungen die Vernehmung der Partei als Zeuge (auch in eigener Sache) zu, unterstellen die Vernehmung der Partei also den Regeln des Zeugenbeweises.482 Das deutsche Zivilprozessrecht bietet als Alternative die Parteivernehmung. Im Gegensatz dazu halten andere Rechtsordnungen, etwa die französische, belgische, italienische und griechische, grundsätzlich am Parteieid sowohl in der Form des Entscheidungseids als auch des Ergänzungseids fest.483 Der Entscheidungseid erbringt dabei vollen Beweis über das Beweisthema, ist jedoch praktisch nicht sehr bedeutsam, der Ergänzungseid unterliegt der freien Beweiswürdigung; er kann auch amtswegig angeordnet werden und ist daher strukturell verwandt mit der deutschen Parteivernehmung. Dahingegen hat sich im französischen Zivilprozess die comparution personelle des parties durchgesetzt, die zwar formal kein vollwertiges Beweismittel ist, in ihrer praktischen Bedeutung einem solchen 480
Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), Rn. 109 ff.; Thomas/Putzo-Reichold, Vor § 445 ZPO, Rn. 1. Kritisch hierzu: Wagner, ZEuP 2001, 441 (493); Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000) 269 (291 ff., insb. 293): Aufgabe der Subsidiarität und Gleichstellung mit dem Zeugenbeweis. 481
Oder: „Nemo testis in re sua esse debet.“
482
Wagner, ZEuP 2001, 441 (488 f.); Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000) 269 (277 ff.) auch zum rechtsvergleichenden Hintergrund. 483
Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000) 269 (274).
Beweisaufnahme und Beweismittel
461
aber gleichkommt.484 Die italienische Rechtsordnung kennt das interrogatorio formale, das auf ein gerichtliches Geständnis abzielt.485 Die Unterschiede der nationalen Rechtsordnungen verhindern auch hier die Annahme allgemeiner Rechtsgrundsätze über die Zeugnisfähigkeit der Partei und ihr nahestehender Personen. Gleichzeitig erschweren diese Gegensätze internationalen Gerichten den Umgang mit Aussagen der Parteien besonders dann, wenn Parteien aus unterschiedlichen Rechtskreisen beteiligt sind. Sie erklären, dass der Aussage von Parteien bzw. den ihnen nahestehenden Personen (für Staaten sind das in der Regel ranghohe Ministerialbeamte, Regierungsmitglieder oder Militärs) gerade von Richtern kontinentaleuropäischer Prägung Misstrauen entgegen gebracht wird. (2) Die Partei und ihr nahestehende Personen als Zeugen vor internationalen Gerichten Das „persönliche Erscheinen der Parteien“ ist als eigenes Beweismittel nur in der EuGH-VerfO (Art. 45 § 2) und der EuG-VerfO (Art. 65 (a)) vorgesehen.486 Im Verfahren vor dem IGH und dem ISGH ist die Parteivernehmung als Beweismittel hingegen unbekannt. Sie wird kompensiert durch die in Art. 49 IGH-Statut (Art. 77 ISGH-VerfO) verankerte Möglichkeit, amtswegig die Erteilung aller Auskünfte von den Bevollmächtigten der Parteien zu verlangen.487 Ob auch diejenigen Personen als Zeugen in Betracht kommen, die den Staat auf völkerrechtlicher Ebene vertreten (vgl. Art. 7 Abs. 2 WVK) und die danach nach deutschem Verständnis nicht zeugnisfähig wären, ist bisher nicht relevant geworden. Hingegen ist gesichert, dass jedenfalls alle anderen Personen, 484 Art. 184-198 NCPC; Art. 1347 Abs. 3 CC. Dazu: Rouhette, in: Nagel/ Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 167 (187); Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), 269 (286); Lang, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses vor dem Hintergrund der europäischen Rechtsvereinheitlichung (1999), 137. Noch weiter: Wagner, ZEuP 2001, 441 (487): vollwertiges Beweismittel. 485
Art. 228, 230 ital. CPC; Art. 2730, 2733 ital. CC: Chizzini/Bajons, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 297 (324 f.) 486
Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (212). 487
Krusch, Sonderheft der Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (1937), 535 (552); Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (212).
462
Kapitel 7
etwa auch Mitglieder der staatlichen Delegation vor dem IGH und Angehörige des Militärs, vor dem IGH als Zeugen aussagen können.488 Einen eigenen Weg ist das IUSCT gegangen, das zwischen Zeugen i.e.S., die keine Verbindung zu einer der Parteien haben, und solchen Personen differenziert, die potenziell am Ausgang des Verfahrens interessiert sind, wie z.B. die Parteien selbst oder Beschäftigte und Angestellte der Parteien.489 Zugehörige zur letzten Personengruppe werden im Verfahren vor dem IUSCT daher nicht als Zeugen, sondern als Parteirepräsentanten vernommen, die somit keine Aussage (testimony) machen, sondern lediglich „Informationen“ geben.490 Auch fallen Parteirepräsentanten nicht unter die zeugenspezifischen Regelungen und müssen insbesondere keine Beteuerung (solemn declaration) nach Anmerkung 6 (a) zu Art. 25 IUSCT-VerfO abgeben.491 Bei dieser Regelung handelt es sich um einen Kompromiss zwischen dem US-amerikanischen Modell, das die Zeugnisfähigkeit der Parteien grundsätzlich anerkennt, und dem iranischen, das dem kontinentaleuropäischen folgt. Für den IAGMR hingegen gilt, dass die reine Möglichkeit, dass eine Person ein Interesse am Verfahrensausgang haben könnte, nicht ausreicht, um sie als Zeuge zu disqualifizieren.492 Allerdings wird die persönliche Betroffenheit in die Würdigung des Beweiswerts der Aussage mit einbezogen.493 Auch vor Schiedskommissionen wird die geschädigte Partei üblicherweise als Zeuge vernommen.494 Allerdings wird der Aus488 Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 109; Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (403). 489
Brower/Brueschke, The Iran-United States Claims Tribunal (1998), 183.
490
Kazazi, Burden of Proof (1996), 106; Straus, Journal of International Arbitration 3 (3) (1986), 57 (58 ff.). 491
Die Vorschrift lautet: “Before giving any evidence each witness shall make the following declaration: ‘I solemnly declare upon my honour and conscience that I will speak the truth, the whole truth and nothing but the truth.’.” 492
IAGMR, Suárez Rosero v. Ecuador, Urteil vom 12. November 1997, Ser. C No. 35, 60 (Ziff. 32); IAGMR, Ivcher Bronstein v. Peru, Urteil vom 6. Februar 2001, Ser. C No. 74, 163 f. (Ziff. 75). 493
IAGMR, Loayza Tamayo v. Peru, Reparations, Urteil vom 27. November 1998, Ser. C No. 42, 127 (Ziff. 72): “Because Ms. Loayza-Tamayo is the victim in the instant Case and has an immediate interest in it, her testimony cannot be weighed separately; instead, it must be weighed with the full body of evidence in this case.” 494
Oder kann durch eigene affidavits Beweis antreten: Evensen, Acta scandinavica juris gentium 25 (1955), 44 (54).
Beweisaufnahme und Beweismittel
463
sage der Partei alleine oft nur sehr geringer Beweiswert beigemessen.495 In der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit schließlich ist die Differenzierung zwischen Parteien und Zeugen weitestgehend aufgegeben.496 Angesichts der beschriebenen Entwicklung spricht viel dafür, Parteien sowie ihnen nahestehende Personen als generell zeugnisfähig anzusehen.497 Während im zwischenstaatlichen Verfahren die Partei selbst, also der Staat, vertreten durch die in Art. 7 Abs. 2 WVK genannten „gesetzlichen Vertreter“, kaum jemals aussagen dürfte, sind Aussagen ranghoher Beamter oder Militärs durchaus wahrscheinlich. Gegen die Bildung einer Sonderkategorie der „interessierten Personen“, wie sie vom IUSCT entwickelt wurde, spricht schon die Schwierigkeit der Abgrenzung im Einzelfall. Es fügte sich außerdem in die allgemeine Flexibilität des völkerprozessrechtlichen Beweisrechts, dem internationalen Richter die Vernehmung der Partei oder ihr verbundener Personen nicht von vorneherein zu verbieten, sondern ihm stattdessen die Berücksichtigung solcher Verbindungen im Einzelfall durch die Beweiswürdigung zu ermöglichen. Dabei wird der Beweiswert der Parteiaussage stark von den Umständen des Einzelfalles abhängen, etwa der Erreichbarkeit anderer Beweismittel und der Frage, ob die Parteiaussage mit dem übrigen Ergebnis der Beweisaufnahme übereinstimmt oder ihm widerspricht.498
(cc) Sachverständige Zeugen Sachverständiger Zeuge ist nach deutschem Verständnis, wer auf Grund besonderer Sachkunde über seine eigenen Wahrnehmungen berichtet. Es finden die Vorschriften des Zeugenbeweises, nicht die des Sachverständigenbeweises Anwendung. Auch das internationale Verfahren kennt diese Mischkategorie. Da jedoch sowohl Zeugen als auch Sachverständige überwiegend nicht durch das Gericht, sondern die Parteien 495 Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 354 in Bezug auf die Rechtsprechung der britisch-mexikanischen gemischten Schiedskommission. 496
Wagner, ZEuP 2001, 441 (490), der auf die Gleichbehandlung beider Gruppen in Art. 4 Abs. 2 IBA-Rules und Art. 20 Abs. 7 LCIA Arbitration Rules verweist. 497
So bereits: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 365. Jetzt: Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (403). 498
Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (403).
464
Kapitel 7
gerufen werden, ist die Frage der Zuordnung zu den Kategorien der Sachverständigen oder Zeugen oft nicht eindeutig zu beantworten, so dass hier Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen.499 Diese werden jedoch dadurch entschärft, dass etwa nach der Rechtsprechung des IGH Personen, die von einer Partei sowohl als Zeugen als auch als Parteisachverständige benannt sind, nicht in zwei getrennten Verfahrensabschnitten aussagen müssen.500
(dd) Zeuge vom Hörensagen (hearsay evidence) Zeugen vom Hörensagen sind entgegen der common law-Tradition wie im deutschen Zivilprozess grundsätzlich zulässige Beweismittel.501 Fraglich ist allein die Verlässlichkeit der Aussage. Der Beweiswert mag daher gering sein.502 Insbesondere im Nicaragua-Fall lehnte der IGH die Verwertung von Aussagen über Ereignisse, von denen der Zeuge nicht unmittelbar Kenntnis erlangt hatte, unter Verweis auf ihren stark subjektiv geprägten Charakter ab.503 499
Dazu unten: 3. (b).
500
IGH, South West Africa Cases (Second Phase), Pleadings, Oral Arguments, Documents, Bd. 10 (1966), 123. Dazu: Favoreu, AFDI 11 (1965), 233 (264), auch zu den verschiedenen Kategorien der vom Gericht bestellten Sachverständigen und den Parteien gerufenen Zeugen, sachverständigen Zeugen und Parteisachverständigen (S. 265) sowie Riddell, LJIL 20 (2007), 405 (436). Anders noch: IGH, Corfu Channel Case, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Judgments of March 25th, 1948, April 9th and December 15th, 1949, Bd. 3 (1948), 616 (Trennung der Aussagen nach Zeugen und Sachverständigen). 501
Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (395). Der Grund des Ausschlusses des Zeugen vom Hörensagen in der anglo-amerikanischen Tradition ist weniger im ungewissen Beweiswert zu suchen, als im Mangel der Möglichkeit der Gegenpartei, den eigentlichen Augenzeugen, über dessen Wahrnehmung der Zeuge vom Hörensagen berichtet, ins Kreuzverhör zu nehmen, Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 366. 502 503
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 369.
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (42, Ziff. 68): “The Court has not treated as evidence any part of the testimony given which was not a statement of fact, but a mere expression of opinion as to the probability or otherwise of the existence of such facts, not directly known to the witness. Testimony of this kind, which may be highly subjective, cannot take the place of evidence. An opinion expressed by a witness is a mere personal and subjective evaluation of a possibility, which has yet to be shown to correspond to a fact; it may, in conjunction with other material, assist the Court in determining a ques-
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465
(ee) Verfahren der Zeugenvernehmung Das Verfahren der Zeugenvernehmung vor dem IGH und dem ISGH läuft weitgehend parallel. Es richtet sich nach Art. 43 Abs. 5, 51 IGHStatut, die durch die Art. 57, 62-65 IGH-VerfO ergänzt werden, sowie Art. 72, 77-80 ISGH-VerfO. Die Daten der zu rufenden Zeugen und eine generelle Beschreibung ihrer Aussagen sollen dem Kanzler nach Art. 57 IGH-VerfO, 72 ISGH-VerfO rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung übermittelt werden. Gleiches gilt nach Art. 25 Abs. 2 IUSCT-VerfO, nach dem diese Informationen mindestens 15 Tage vor der mündlichen Verhandlung an das Tribunal und die gegnerische Partei übermittelt werden sollen. Beim IGH und ISGH leitet der Kanzler die Angaben an die gegnerische Partei weiter. Nach Art. 63 IGH-VerfO, Art. 78 Abs. 1 ISGH-VerfO können die Parteien jeden in dieser Liste genannten Zeugen in der Verhandlung aufrufen. Ist ein Zeuge nicht auf der Liste angegeben, so kann seine Benennung dennoch zulässig sein, falls die gegnerische Partei nicht widerspricht oder der Gerichtshof entscheidet, dass die Aussage von Relevanz sein könnte (Art. 63 Abs. 1 IGH-VerfO, Art. 78 Abs. 1 ISGH-VerfO). Vor der Aussage sollen Zeugen nicht im Saal anwesend sein (Art. 65 S. 3 IGH-VerfO, Art. 80 S. 3 ISGH-VerfO). Art. 25 Abs. 4 IUSCT-VerfO stellt dies in das Ermessen des Tribunals. In der Praxis werden auch vor dem IUSCT Zeugen erst dann in die Verhandlung gerufen, wenn sie ihre Aussage machen, und müssen zuvor außerhalb des Verhandlungssaales warten.504 Sinn dieser Regelung ist wie im nationalen Recht, die Aussage des Zeugen nicht durch den bisherigen Gang der Verhandlung zu beeinflussen.505 Der Präsident des Gerichtshofs leitet das Verfahren der Zeugenaussage (Art. 48, 51 IGH-Statut, 65 IGH-VerfO; 80 ISGH-VerfO; ähnlich: Art. 15, Anmerkung 6 (b) IUSCT-VerfO).506 Die Zeugenaussage ist öffentlich.507 Die nach Art. 63 IGH-VerfO von den Parteien gerufenen Zeugen werden auch zunächst von ihnen befragt (Art. 65 IGH-VerfO,
tion of fact, but it is not proof in itself. Nor is testimony of matters not within the direct knowledge of the witness, but known to him only from hearsay, of much weight.” 504
Selby/Stewart, International Lawyer 18 (1984), 211 (231).
505
Anderson, Art. 80, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 226 (228). 506 507
IGH, Genocide Case (Merits), CR 2006/22, S. 28, Ziff. 49 (The President). Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (351).
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80 ISGH-VerfO: „starting with the party calling the witness“).508 Anschließend können sie von der gegnerischen Partei ins Kreuzverhör genommen werden.509 Auch eine wiederholte Befragung (re-examination) durch die den Zeugen stellende Partei ist möglich, allerdings nicht eine darauf folgende wiederholte cross-examination, wenn nicht in der reexamination neue Sachverhaltselemente aufkamen.510 Der Präsident und die übrigen Richter können den von den Parteien gerufenen Zeugen selbst Fragen stellen (Art. 51 IGH-Statut; 65 IGH-VerfO; 80 ISGHVerfO).511 Bei amtswegig geladenen Zeugen beginnt der Präsident mit der Befragung und erteilt sodann den Parteien das Wort.512 Zeugen können – ebenso wie Sachverständige – nach Art. 71 Abs. 5 IGH-VerfO, 86 Abs. 5 ISGH-VerfO den ihre Aussage betreffenden Teil des Protokolls einsehen und Korrekturen anbringen. Aus dem in Bezug genommenen Art. 71 Abs. 4 IGH-VerfO ergibt sich, dass diese Korrekturen nicht den Sinn und die Bedeutung des Gesagten und Protokollierten ändern dürfen.513
508 Kontrastierend regelt Art. 26 der I. Haager Konvention von 1907 (betreffend internationale Untersuchungskommissionen), dass „[d]ie Vernehmung der Zeugen … durch den Vorsitzenden [erfolgt]. Doch dürfen die Mitglieder Kommission an jeden Zeugen die Fragen richten, die sie zur Erläuterung oder Ergänzung seiner Aussage oder zu ihrer Aufklärung über alle den Zeugen betreffenden Umstände für zweckdienlich erachten, soweit es zur Ermittlung der Wahrheit notwendig ist.“ 509
Lachs, in: FS-Elias (1992), 265 (272 f.); Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (543); Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (78). Dies gilt auch für Zeugen, die Teil der Delegation einer Partei sind, Watts, Max Planck UNYB 5 (2001), 21 (30). 510 ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), ITLOS Reports 1999, 280 (284, Ziff. 23); Anderson, Art. 80, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 226 (227). 511
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (77); Kazazi, Burden of Proof (1996), 170; Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 156. 512
Anderson, Art. 80, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 226 (227). 513 Zur diesbezüglichen Diskussion im StIGH siehe Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 318 ff.
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467
(ff) Zwangsbefugnisse des Gerichts gegenüber Zeugen Wie bereits oben gezeigt, hat ein internationales Gericht grundsätzlich keine direkten Zwangsbefugnisse gegenüber Zeugen, mit Hilfe derer es sie dazu zwingen könnte, vor Gericht auszusagen.514 Gleiches gilt für erschienene Zeugen. Während die internationale Strafgerichtsbarkeit die Bestrafung wegen Falschaussage und Meineids kennt und hier Verfahren wegen Missachtung des Gerichts (contempt of court) existieren, sind solche Befugnisse anderen internationalen Gerichten fremd.515 Die verbreitete Beteuerungsformel ist funktional nicht der Eidesleistung im innerstaatlichen Recht oder vor internationalen Strafgerichtshöfen gleichgestellt. Allenfalls können internationale Gerichte staatliche Instanzen zur Ahndung falscher Aussagen ersuchen (vgl. z.B. Art. 52 IAGMRVerfO). Vor dem IGH, ISGH, IUSCT oder dem WTO-DSB bestehen jedoch keine entsprechenden Regelungen.
(b) Affidavits und schriftliche Zeugenaussagen Eine besondere Stellung nehmen sogenannte affidavits und schriftlich niedergelegte Zeugenaussagen (witness statements) ein. Kennzeichnend für einen affidavit ist, dass die Zeugenaussage außergerichtlich und ohne die Beteiligung der gegnerischen Partei von einem Notar oder einer sonst nach nationalem Recht hierfür zuständigen Stelle aufgenommen, schriftlich niedergelegt und schließlich ihre Richtigkeit eidlich versichert wird.516 Affidavits stehen damit zwischen Zeugen- und Urkundsbeweis.517 Trotz anfänglicher Skepsis von in kontinentaleuropäischen Systemen ausgebildeten internationalen Richtern518 sind affidavits mittlerweile als zulässige Beweismittel im internationalen Prozess anerkannt.519 Bereits in den frühen gemischten Schiedskommissionen wur514 515
Kapitel 6 B. Foster, CYIL 7 (1969), 150 (171).
516
Salmon (Hrsg.), Dictionnaire de droit international public (2001), 47 („Affidavit“). 517
Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (541); Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (81). 518 519
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 243.
Evensen, Acta scandinavica juris gentium 25 (1955), 44 (53), Chung, Legal Problems Involved in the Corfu Channel Incident (1959), 142; Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 343; Valencia-Ospina, ILF 1 (1999), 202
468
Kapitel 7
den sie als zulässig erachtet.520 Hier waren sie wegen der weit zurückliegenden streitgegenständlichen Ereignisse, des Verlustes oder der Zerstörung von Primärdokumenten oder anderer tatsächlicher Schwierigkeiten oft unentbehrlich.521 Aber auch im Völkerstrafprozessrecht spielen sie eine Rolle.522 Die Statuten und Verfahrensordnungen internationaler Gerichte regeln diese verschiedenen Formen schriftlich niedergelegter Zeugenaussagen nicht. Ausnahme ist Art. 25 Abs. 5 IUSCT-VerfO, nach dem “[e]vidence of witnesses may also be presented in the form of written statements signed by them”. In der Praxis haben aber alle im Zentrum dieser Arbeit stehenden Gerichte solche Dokumente anerkannt. Der StIGH ließ beschworene schriftliche Aussagen im Mavrommatis-Fall zu;523 der IGH folgte dieser Praxis im Corfu Channel-Fall.524 Im United States Nationals in Morocco-Fall lehnte der IGH eine Berücksichtigung ab, da sich die im affidavit niedergelegte Aussage auf Gespräche mit unidentifizierten Personen bezog und der Zeuge somit nur vom Hörensagen berichtete.525 Im South West Africa-Fall lehnte der IGH
(204); Reuter, Le développement de l’ordre juridique international (1995), 544; Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (82); Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 920. 520
Mexikanisch-US-amerikanische Schiedskommission, G.L. Solis (U.S.A.) v. United Mexican States, Schiedsspruch vom 3. October 1928, RIAA 4 (1951), 358 (359); Claims Commission between Great Britain and Mexico, Mrs. Virginia Lessard Cameron, Decision No. 2, Claim No. 9, Entscheidung vom 8. November 1929, RIAA 5 (1952), 27 (30): “Affidavits must and will be weighed with the greatest caution and circumspection, but it would be utterly unreasonable to reject them altogether.”; Italienisch-US-amerikanische Schiedskommission, Amabile case, Schiedsspruch vom 25. Juni 1952, RIAA 14 (1965), 115 (126): “This Commission knows of no rule of international law which would preclude the claimant’s use of Affidavits, Atti di Notorietà, signed statements and similar ex parte testimonial instruments as documentary evidence … .” 521 522
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 247, 249. Cassese, International Criminal Law (2003), 423.
523
StIGH, Readaptation of the Mavrommatis Jerusalem Concessions Case, PCIJ Ser. C No. 13-III (1927), 488 f. (Affidavit sworn by Mr. Malcolm on August 29th, 1927). 524 525
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (16, 19).
IGH, Case Concerning Rights of Nationals of the United States of America in Morocco (France v. United States of America), Urteil vom 27. August 1952, No. 169 (Letter of the Registrar to the Counsel of the Agent of the Govern-
Beweisaufnahme und Beweismittel
469
den Antrag Äthiopiens und Eritreas ab, es Südafrika aufzugeben, statt des Rufens von Zeugen schriftliche Aussagen einzureichen. Diese Entscheidung ist jedoch nicht als grundsätzliche Ablehnung dieser Form des Beweismittels zu verstehen, sondern fußte auf dem vom IGH-Statut jeder Partei eingeräumten Recht, Zeugen zu benennen, das der Gerichtshof grundsätzlich nicht beschneiden könne.526 Im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall merkte der IGH an, dass ein affidavit einen „gewissen Respekt“ verdiene,527 was auf dessen Zulässigkeit schließen, den Beweiswert jedoch eher gering erscheinen lässt. Schriftliche Erklärungen, dass Häftlinge nicht über ihre Rechte nach Art. 36 Abs. 1 (b) WKÜ aufgeklärt wurden, wurden vom IGH im Avena-Fall akzeptiert; allerdings hatten die USA diese Tatsache auch nicht bestritten.528 Im Territorial and Maritime Dispute between Nicaragua and Honduras in the Caribbean Sea ließ der IGH affidavits zwar grundsätzlich zu, beurteilte ihren Beweiswert aber skeptisch.529 Auch vor dem ISGH sind unterzeichnete schriftliche Zeugenaussagen zulässig,530 ebenso wie vor WTO-Panels.531 Gleiches gilt in menschenrechtlichen Verfahren, etwa vor dem IAGMR, wo sie vor allem aus Gründen der Prozessökonomie und der Beschleunigung des Verfahrens ment of the United States of America of 5 August 1952), Pleadings, Oral Arguments, Documents, Bd. 2 (1952), 480. 526
IGH, Beschluss vom 14. Mai 1965, Communiqué (Pressemitteilung) No. 65/10 (19. Mai 1965): “[T]he Court was unable to accede to a request made on behalf of Ethiopia and Liberia that the Court should decide that South Africa, in lieu of calling witnesses or experts to testify personally, should embody the evidence in a deposition or written statement. In the view of the Court, the Statute and Rules of Court contemplated a right in a party to produce evidence by calling witnesses and experts, and it must be left to exercise that right as it saw fit subject to the provisions of the Statute and Rules of the Court.” 527
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (219, Ziff. 129). 528
IGH, Avena Case, ICJ Rep. 2004, 12 (46, Ziff. 76).
529
IGH, Territorial and Maritime Dispute between Nicaragua and Honduras in the Caribbean Sea (Nicaragua v. Honduras), Urteil vom 8. Oktober 2007, Ziff. 244. 530
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), ITLOS Rep. 1999, 10 (21, Ziff. 25); Anderson, Art. 80, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 226 (227). 531 Andersen, in: Yerxa/Wilson (Hrsg.), Key issues in WTO dispute settlement, The first ten years (2005), 177 (185).
470
Kapitel 7
eingesetzt werden.532 Auch die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit lässt sie wegen der verhältnismäßig niedrigen Kosten und der mit ihnen verbundenen Zeitersparnis generell zu.533 Damit ist davon auszugehen, dass affidavits und andere schriftliche Zeugenaussagen schon aus Gründen der Prozessökonomie grundsätzlich zulässig sind, das Gericht jedoch in der Beweiswürdigung die Umstände des Entstehens der Aufzeichnung umfassend beachten muss, um das angemessene Gewicht des Beweismittels zu ermitteln.534 Nicht üblich sind im internationalen Prozess hingegen die aus dem amerikanischen pre-trial discovery-Verfahren bekannten depositions.535
3. Sachverständige und Untersuchung Bisweilen wird die (angeblich) rein wissenschaftliche Natur der Streitigkeit als Zulässigkeitshindernis ins Feld geführt.536 Dennoch lässt sich weder aus dem Wesen der internationalen Gerichtsbarkeit noch aus den gerichtseinsetzenden Verträgen eine solche Einschränkung entnehmen.537 Im Gegenteil spricht gerade die Möglichkeit, für Fragen fachlicher und technischer Art, die das Gericht nicht aus eigener Sachkunde abschließend beurteilen kann, Sachverständige zu benennen, gegen eine solche Begrenzung. Eine allgemeingültige internationalrechtliche Definition des Sachverständigen gibt es nicht.538 Jedoch kann auf die aus dem nationalen Recht bekannte Definition zurückgegriffen werden, nach welcher der Sachverständige eine Ansicht über einen Sachverhalt 532
Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights (2003), 199. 533 534
Brower, The International Lawyer 28 (1994), 47 (50 f.). Zum Beweiswert solcher schriftlicher Zeugenaussagen siehe Kapitel 8 C.
II. 2. 535
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 312 ff.
536
ISGH, Southern Bluefin Tuna Cases (Provisional Measures), ITLOS Rep. 1999, 280 (293, Ziff. 42). 537
Ein ähnlicher Zirkelschluss findet sich im Zusammenhang mit sicherheitsrelevanten (Geheimdienst-) Informationen, die der Geheimhaltungspflicht unterliegen. Hier wird argumentiert, dass sich aus der Existenz von Geheimhaltungspflichten ergebe, dass der Gerichtshof keine Kompetenz zur Entscheidung von Fällen habe, die die „nationale Sicherheit“ betreffen. Siehe hierzu Highet, AJIL 81 (1987), 1 (32, Fn. 157). 538
Savadogo, AFDI 50 (2004), 231 (233).
Beweisaufnahme und Beweismittel
471
aufgrund von Fachwissen äußert oder selbst tatsachenfeststellend tätig wird, so dazu eine besondere Fachkunde nötig ist.539 Grundlegend ist zwischen zwei Kategorien von Sachverständigen zu unterscheiden: die vom Gericht bestellten Sachverständigen i.e.S. (experts) (dazu (a)) und die von den Parteien gerufenen Sachverständigen (expert witnesses oder party experts) (dazu (b)). Beide Kategorien geben jedoch dieselbe Erklärung nach Art. 64 IGH-VerfO bzw. Art. 79 (b) ISGH-VerfO ab.
(a) Vom Gericht bestellte Sachverständige (aa) Die Bestellung von Sachverständigen durch das internationale Gericht Internationale Gerichte und Schiedsgerichte haben die Kompetenz, Sachverständige zur Begutachtung der sich stellenden tatsächlichen Fragen amtswegig zu bestellen.540 Neben den bereits oben näher dargestellten internationalen Gerichten (IGH, ISGH, IUSCT; WTO-Streitbeilegung) ergibt sich diese Befugnis für andere Gerichte aus Art. 49 EuGH-VerfO, Regel A1 Abs. 2 des Annexes zur EGMR-VerfO, Art. 27 der Optional Rules for Arbitrating Disputes Between Two States des StSH, Art. 27 Abs. 7 (f) der VerfO des Court of Conciliation and Arbitration within the OSCE, Abs. 49 der Administrative Procedures des World Bank Inspection Panels sowie aus zahlreichen Verfahrensordnungen internationaler Schiedsgerichte. Die Kompetenz zur Bestellung von Sachverständigen kann darüber hinaus als dem Gerichtscharakter inhärent angesehen werden.541 Das internationale Gericht bestellt Sachverständige in der Regel durch förmlichen Beweisbeschluss, wie es etwa in Art. 67 IGH-VerfO und Art. 82 ISGH-VerfO geregelt ist. Dieser ergeht nach Anhörung der Parteien und regelt den Gegenstand der Begutachtung, Anzahl und Auswahlkriterien der Sachverständigen sowie das für sie maßgebliche Arbeitsverfahren. Entsprechende Vorschriften enthalten Art. 27 Abs. 1 539
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 111; Riddell, LJIL 20 (2007), 405 (435). 540 541
Kapitel 4 D. II.
Siehe Anzilotti, in: StIGH, Third Addendum to No. 2, Elaboration of the Rules of Court of March 11th 1936, Serie D (1936), 247; Foster, CYIL 7 (1969), 150 (170 f.). Anders: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 329.
472
Kapitel 7
IUSCT-VerfO (terms of reference established by the Tribunal) sowie Abs. 1 S. 2 des Anhangs 4 zum DSU. Eine solche Eingrenzung des Arbeitsauftrages ist erforderlich, damit verfahrensbehindernde Intitiativen wie im South West Africa-Fall durch Südafrika unterbleiben.542 Problematisch erscheint hingegen die Übung des IGH, auf Sachverständige zurückzugreifen, ohne dies den Parteien oder der Öffentlichkeit offenzulegen.543 Diese Experten sind keine Sachverständigen im eigentlichen Sinne und nehmen nicht am regulären Verfahren teil, treten also nicht in der Verhandlung auf und erstatten auch keinen offiziellen Bericht. Ihre Rolle findet weder im Urteil noch in sonst einem öffentlich zugänglichen Dokument Erwähnung.544
(bb) Stellung der Sachverständigen und Würdigung durch das Gericht Die Gerichtssachverständigen sind Helfer des internationalen Gerichts.545 Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung546 ist ein internationales Gericht oder Schiedsgericht jedoch nicht an die Aussage oder das Gutachten von Sachverständigen gebunden.547 Gleichzeitig
542 Siehe dazu: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 340 ff. 543
Jennings, in: FS-Skubiszewski (1996), 413 (416).
544
Couvreur, in: Institut du droit économique de la mer (Hrsg.), Le processus de délimitation maritime (2004), 349 (384). 545
IGH, Application for Revision and Interpretation of the Judgment of 24 February 1982 in the case concerning the Continental Shelf (Tunisia/Libyan Arab Jamahiriya) (Tunisia v. Libyan Arab Jamahiriya), Urteil vom 10. Dezember 1985, ICJ Rep. 1985, 192 (228, Ziff. 65): „the purpose of the expert opinion must be to assist the Court in giving judgment upon the issues submitted to it for decision“. 546 547
Dazu: Kapitel 8 A.
Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (545); Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (355); Savadogo, AFDI 50 (2004), 231 (252); Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 898; Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (37); FranzösischItalienische Schiedskommission, Différends héritiers de S.A.R. Mgr le Duc de Guise, Beschluss No. 162 vom 20. November 1950, RIAA XIII (1964), 162 (168): «Il est certain que l’avis de l’expert ne lie pas la Commission, qui doit se prononcer selon sa propre conviction.» und Französisch-Italienische Schiedskommission, Différend Industrie Vicentine Elettro-Meccaniche (I.V.E.M.), Be-
Beweisaufnahme und Beweismittel
473
entbindet ein Sachverständigengutachten das Gericht nicht davon, eine eigene Beweiswürdigung vorzunehmen: “No matter how well qualified the expert may be, … it is fundamental that an arbitral tribunal cannot delegate to him the duty of deciding the case. Rather, the Expert’s Report is simply one element to be considered and weighed by the Tribunal along with all of the other circumstances of the Case.”548 Das Sachverständigengutachten ist daher nur ein Element der Beweiswürdigung. Dennoch kommt es – wie im nationalen Verfahren – häufig vor, dass das internationale Gericht sich den Sachverständigenbericht als Ganzes zu eigen macht, „wenn nicht die im Gutachten festgestellten Tatsachen zu den in der Gerichtsakte enthaltenen Tatsachen, Normen oder Gesetzen der Logik im Widerspruch stehen“.549 So stellte der IGH im Corfu Channel-Fall fest: “The Court cannot fail to give great weight to the opinion of the Experts who examined the locality in a manner giving every guarantee of correct and impartial information.”550
(cc) Ablehnung von Gerichtssachverständigen Aus der Stellung von Gerichtssachverständigen als Helfer des Gerichts folgt, dass sie unabhängig und unvoreingenommen sein müssen, auch wenn die Statuten internationaler Gerichte dies nicht ausdrücklich anordnen.551 Vor dem IGH und ISGH ist die Frage der Ablehnung von durch das Gericht bestellten Sachverständigen wohl deshalb noch nicht relevant geworden, weil sie sich nur selten (IGH) bzw. gar nicht (ISGH) der schluss No. 183 vom 7. März 1955, RIAA 13 (1964), 352 (369). Englische Übersetzung bei Seidl-Hohenveldern, AJIL 53 (1959), 853 (864). 548
IUSCT, Starrett Housing Corporation et al. v. The Government of the Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 24), Award No. 314-24-1, Schiedsspruch vom 14. August 1987, IUSCTR 16 (1987-III), 112 (197, Ziff. 266). 549
So die Formulierung der Französisch-Italienischen Schiedskommission, Différends héritiers de S.A.R. Mgr le Duc de Guise, Beschluss No. 162 vom 20. November 1950, RIAA XIII (1964), 162 (168) (Übersetzung d. Verf.). Dazu auch Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (125 f.). 550 551
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (21).
Vor dem IGH existiert kein ausdrücklicher Standard, vor dem ISGH gilt ein explizites Unabhängigkeitserfordernis nur für Beisitzer nach Art. 289 SRÜ.
474
Kapitel 7
Möglichkeit der gerichtlichen Bestellung von Sachverständigen bedient haben. Sowohl die Rechtsprechung als auch die Verfahrensordnungen schweigen daher zur Frage des Verfahrens zur Ablehnung von Gerichtssachverständigen durch die Parteien. Im Gegensatz zu den genannten Gerichten regelt Section II der Rules of Conduct for the Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes552 für das WTO-Streitbeilegungsverfahren ausdrücklich, dass Sachverständige „shall be independent and impartial, shall avoid direct or indirect conflicts of interest“. Diese Regel ist Ausfluss des Rechts der Parteien auf ein faires Verfahren („due process“) und gilt daher auch unabhängig von den Rules of Conduct.553 Das Panel darf einen Sachverständigen nicht benennen, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass seine Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit beeinträchtigt ist, oder wenn hieran berechtigte Zweifel bestehen.554 Weiterhin regeln die Rules of Conduct auch das Verfahren für die Ablehnung befangener Sachverständiger.
(dd) Verfahrensgarantien für die Parteien Angesichts der Bedeutung der Sachverständigengutachten, insbesondere ihres hohen Beweiswerts, stellt sich die Frage, ob nicht gerichtliche Verfahrensgarantien der Parteien wenigstens analog für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens gelten.555 Solche Garantien sind in den prozessrechtlichen Instrumenten internationaler Gerichte in verschiedenen Stadien der Erstellung des Gutachtens regelmäßig vorgesehen, allerdings durchaus unterschiedlich geregelt. So werden die Parteien in der Regel vor Erlass des Beweisbeschlusses durch das Gericht gehört (Art. 67 Abs. 1 S. 1 IGH-VerfO, Art. 82 Abs. 1 S. 1 ISGH-VerfO („after hearing the parties“)); auch dort, wo kein ausdrückliches Erfordernis der vorherigen Anhörung besteht, wie etwa beim IUSCT, wird dies
552 553 554 555
WT/DSB/RC/1, 11. Dezember 1996. DSB, US – Continued Suspension (AB), Ziff. 433, 436. Ebd., Ziff. 446.
Zum deutschen Recht siehe BGHZ 116, 47 (58): Der Gutachter muss die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen seines Gutachtens offenlegen, und zwar sowohl gegenüber den Parteien (Art. 103 Abs. 1 GG) als auch gegenüber dem Gericht, damit dieses die Beweiswürdigung nach § 286 ZPO ordnungsgemäß durchführen kann.
Beweisaufnahme und Beweismittel
475
in der Regel dennoch ermöglicht.556 Auch während der Erstellung des Gutachtens bestehen Mitwirkungsrechte der Parteien. Art. 27 Abs. 2 S. 3 der IUSCT-VerfO bestimmt etwa, dass “[t]he expert shall invite a representative of each … party to attend any site inspection, and, when the … tribunal so determines, a representative of each party shall be invited to attend other inspections made by the expert”.557 Abs. 5 des Anhangs 4 zum DSU gibt den Parteien „Zugang zu allen einer Sachverständigengruppe zur Verfügung gestellten Informationen, sofern sie nicht vertraulich sind“. Schließlich können die Parteien zum Gutachten Stellung nehmen, teils vor seiner endgültigen Abfassung (Abs. 6 Anhang 4 zum DSU), teils nach seiner Fertigstellung (Art. 67 Abs. 2 IGHVerfO, Art. 82 Abs. 2 ISGH-VerfO, Art. 27 Abs. 3 IUSCT-VerfO, wobei den Parteien in der Praxis bereits der Entwurf des Gutachtens zur Stellungnahme übersandt wird558). Auch die Gutachten einzelner Sachverständiger, die von WTO-Panels beauftragt wurden, werden den Parteien zur Stellungnahme vorgelegt.559 Art. 27 Abs. 4 IUSCT-VerfO sieht darüber hinaus noch ein spezielles Verfahren vor, in dem die Parteien den Sachverständigen befragen und selbst Parteisachverständige präsentieren können. Auch vor Schiedsgerichten, deren Verfahrensordnungen keine solchen genauen Regelungen kennen, sind Verfahrensgarantien relevant geworden. So beantragte Italien im Différend Industrie Vicentine ElettroMeccaniche (I.V.E.M.)-Verfahren, den Gutachterbericht für „nichtig“ bzw. unverwertbar zu erklären, weil die begutachtende Gesellschaft (die Schweizerische Revisionsgesellschaft AG) das im Beweisbeschluss vorgesehene Verfahren nicht eingehalten habe, insbesondere die Pflicht, ih-
556
Allison/Holtzmann, in: Caron/Crook (Hrsg.), The Iran-United States Claims Tribunal and the Process of International Claims Resolution (2000), 269 (274): Das Tribunal hat in der Praxis sowohl den Parteien als auch dem Sachverständigen die Gelegenheit gegeben, zum Auftrag („terms of reference“) vor seinem Beschluss Stellung zu nehmen. 557
Dieser Satz wurde vom IUSCT den UNCITRAL-Regeln hinzugefügt. Dazu auch: Aghahosseini, ILF 1 (1999), 208 (210). 558
Aldrich, The Jurisprudence of the Iran-United States Claims Tribunal (1996), 344. 559 Christoforou, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 243 (252).
476
Kapitel 7
re Ermittlungen „kontradiktorisch“ mit den Parteien durchzuführen.560 Die Schiedskommission entschied, dass der Sachverständige keine gerichtliche Funktion ausübe und daher das „principe de contradictoire“, also die (Waffen-)Gleichheit der Parteien und das Recht auf rechtliches Gehör, nur analog anwendbar sei. Damit sei der Gutachter lediglich verpflichtet gewesen, die Parteien während des Prozesses der Begutachtung über die einzelnen zur Erfüllung seiner Aufgabe ergriffenen Maßnahmen auf dem Laufenden zu halten.561 Im vorliegenden Fall sei dies geschehen.
(ee) Kooperationspflichten der Parteien Sachverständige werden in vielen Fällen auf die Unterstützung durch eine oder beide Parteien, aber unter Umständen auch durch Drittstaaten, angewiesen sein. Fraglich ist daher, ob die Parteien per se verpflichtet sind oder durch das internationale Gericht verpflichtet werden können, mit dem Sachverständigen bzw. der Untersuchungsgruppe zusammenzuarbeiten, also insbesondere Auskünfte zu erteilen, Dokumente herauszugeben und Ortsbesichtigungen zuzulassen.562 Eine ausdrückliche Kooperationsverpflichtung normiert etwa Art. 27 Abs. 2 der StSH Optional Rules for Arbitrating Disputes between Two States, der Art. 27 Abs. 2 der UNCITRAL-Regeln und in dieser Hinsicht auch Art. 27 Abs. 2 IUSCT-VerfO entspricht:563 “The parties shall give the expert any relevant information or produce for his/her inspection any relevant documents or goods that he/she may request of them.” Ebenso gilt nach Abs. 4 S. 3 des Anhangs 4 zum DSU, dass jedes „Mitglied … umgehend und vollständig auf jedes Ersuchen einer Sachverständigen560
Französisch-Italienische Schiedskommission, Différend Industrie Vicentine Elettro-Meccaniche (I.V.E.M.), Beschluss No. 183 vom 7. März 1955, RIAA 13 (1964), 352 (366 f.). 561
Ebd., 367.
562
Dies bringt die Untersuchung in die Nähe der Ortsbesichtigung: Thouvenin, AFDI 43 (1997), 333 (333 f.). Eine solche Möglichkeit liegt den Ausführungen von Schwebel im Nicaragua-Fall zumindest implizit zugrunde, IGH, Nicaragua Case (Merits), diss. op. Schwebel, ICJ Rep. 1986, 259 (322, Ziff. 132). 563
Die Vorschriften sind identisch, außer dass die StSH-Norm das in der UNCITRAL-Fassung enthaltene Wort „require“ durch das scheinbar weichere „request“ ersetzt. Zur Praxis des IUSCT in Bezug auf Art. 27 Abs. 2 IUSCTVerfO siehe Caron, The UNCITRAL Arbitration Rules, A Commentary (2006), 671-673 und Aghahosseini, ILF 1 (1999), 208 (210).
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gruppe um Informationen [reagiert], welche die Gruppe für notwendig und geeignet hält“. Insbesondere der englische Originaltext („shall respond promptly and fully“) verdeutlicht, dass es sich um eine echte Rechtspflicht der WTO-Mitglieder handelt. Für den IGH und den ISGH bestehen keine vergleichbaren Regelungen. Im Rahmen der im Chorzow Factory-Fall angeordneten Untersuchung verfügte der StIGH allerdings, dass der Sachverständigenausschuss die Vorlage jedes Dokumentes verlangen konnte (Ziff. 7), wobei sie nötigenfalls der Gerichtshof nach Art. 49 des Statuts unterstützen sollte, und dass die Sachverständigen auf Wunsch Zugang zu den Örtlichkeiten erhalten sollten (Ziff. 8).564 Das vom Kanzler gewählte Verfahren setzte aber in der Praxis die Zustimmung Polens voraus.565 Ähnliche Kompetenzen wurden der Sachverständigengruppe im Corfu Channel-Fall zunächst nicht mitgegeben.566 Im zweiten Beweisbeschluss war eine Ortsbesichtigung in Sibenik (Jugoslawien) und Saranda (Albanien) jedoch explizit vorgesehen.567 Beide Staaten hatten zuvor ihr Einverständnis zu verstehen gegeben,568 so dass der Fall nicht notwendig für die Befugnis des IGH spricht, die Parteien oder Drittstaaten zur Zusammenarbeit zu verpflichten. Für den IGH ist eine Kooperationsverpflichtung im Gegenschluss zu den genannten expliziten Verpflichtungen des Prozessrechts in Bestimmungen internationaler Gerichte und Schiedsgerichte bestritten worden.569 Die Argumentation lässt sich auf den ISGH übertragen. Allerdings ergibt sich eine solche Verpflichtung der Parteien auch in den Fäl564
StIGH, Chorzów Factory Case, Beschluss (Order) vom 13. September 1928, PCIJ ser A, No. 17, 99 (101 f.). 565
Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 379. 566
IGH, Corfu Channel Case, Beschluss (Order) vom 17. Dezember 1948, ICJ Rep. 1948, 124 ff. 567 IGH, Corfu Channel Case, Decision of the Court, dated January 17th, 1949, Regarding an Enquiry on the Spot, ICJ Rep. 1949, 151. 568
IGH, Corfu Channel Case, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Judgments of March 25th, 1948, April 9th and December 15th, 1949, Bd. 5, 252 (No. 299, L’agent albanais au greffier) und 254 (No. 301, Le chargé d’affaires a.i. de Yougoslavie à la Haye au Président), sub 6) b). 569
White, in: FS-Jennings (1996), 528 (537); Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 50, Rn. 20, der allerdings allgemein die Befugnis des IGH bestreitet, bindende Beweisanordnungen zu treffen.
478
Kapitel 7
len, in denen eine solche weder in prozessrechtlichen Bestimmungen noch im Beweisbeschluss enthalten ist, aus Zweck- und Effektivitätserwägungen. Sachverständige könnten kaum wirksam zur Sachverhaltsaufklärung beitragen, wenn sie hierin nicht von den Parteien durch Herausgabe von Dokumenten oder die Gewährung des Zutritts zu Örtlichkeiten unterstützt würden.570 Es gelten daher dieselben Erwägungen wie bei der Ortsbesichtigung durch das Gericht selbst oder bei der Untersuchung.571
(ff) Beisitzer Sachverständige können schließlich auch als Beisitzer nach Art. 30 Abs. 2 IGH-Statut und Art. 9 IGH-VerfO auf der Richterbank vertreten sein, auch wenn sie kein Stimmrecht haben; sie sind dann kein Beweismittel, sondern Teil des Spruchkörpers. Allerdings haben weder der IGH noch der ISGH von dieser Möglichkeit bisher Gebrauch gemacht.572 Eine Besonderheit der seerechtlichen Streitschlichtung nach dem SRÜ stellt Art. 289 dar. Danach können bei einer Streitigkeit über wissenschaftliche oder technische Angelegenheiten auf Parteiantrag oder von Amts wegen mindestens zwei Experten bestellt werden, die an der Verhandlung als Beisitzer ohne Stimmrecht teilnehmen.573 Die Vorschrift wird durch Art. 15 Abs. 2 und 3 ISGH-VerfO konkretisiert. Auch die Experten nach Art. 289 SRÜ sind damit nicht lediglich Beweismittel, sondern Beisitzer und damit Teil des Spruchkörpers,574 die nach Art. 42 Abs. 2 der ISGH-VerfO und Art. 10 der Internal Judicial Practice auch an den Beratungen teilnehmen. Diese Funktion entspricht ihrem Charakter nach Art. 30 Abs. 2 IGH-Statut i.V.m. Art. 9 IGH-
570
Coussirat-Coustère/Eisemann, in: Société française pour le droit international (Hrsg.), La juridiction internationale permanente (1987), 103 (121). 571
Siehe Kapitel 4 B. I. 1. (b) (bb).
572
Zu dieser Möglichkeit Cazala, in: Leben/Verhoeven (Hrsg.), Le principe de précaution – Aspects de droit international et communautaire (2002), 151 (191). 573
Zur Entstehungsgeschichte der Norm Nordquist/Rosenne/Sohn (Hrsg.), United Nations Convention on the Law of the Sea 1982, A Commentary, Bd. 5 (1989), 49 ff. 574
Talmon, JuS 2001, 550 (552).
Beweisaufnahme und Beweismittel
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VerfO, ist jedoch auf sachverständige Beisitzer begrenzt.575 Auch für Art. 30 Abs. 2 IGH-Statut ist aber anerkannt, dass seine Bedeutung im Wesentlichen in der Möglichkeit der Beiordnung sachkundiger Experten besteht.576
(b) Parteisachverständige Die nationalen Rechtsordnungen weichen in der Behandlung von durch die Parteien selbst eingeführten Sachverständigen oder Gutachten voneinander ab. So liegt – dem streng kontradiktorischen Verfahrensaufbau gemäß – die Verantwortung zur Beibringung von Sachverständigen im angloamerikanischen Recht weitgehend in der Hand der Parteien. Die kontinentalen Rechtsordnungen gehen mit dieser Kategorie vorsichtiger um. Nach deutscher Vorstellung sind Sachverständige „Gehilfen des Richters“, zu Neutralität und Unabhängigkeit verpflichtet und damit grundsätzlich vom Gericht, nicht von den Parteien zu bestellen. Ähnliches gilt für den französischen Prozess.577 Privatgutachten sind daher nach diesem Verständnis kein Beweismittel, sondern haben lediglich den Status von Parteivortrag.
(aa) Parteisachverständige im internationalen Prozess Auch im Völkerprozessrecht existiert die Kategorie der von den Parteien eingeführten Sachverständigen. So können die Parteien vor dem IGH und ISGH selbst Sachverständigengutachten vorlegen oder Parteisachverständige rufen (zu letzterem Art. 57, 63 IGH-VerfO, Art. 72, 78 ISGH-VerfO). Terminologisch wird jedoch nicht immer klar zwischen Parteisachverständigen und durch die Parteien gerufenen sachverständigen Zeugen unterschieden. Oft findet sich für die erste Kategorie sowohl die Bezeichnung party experts als auch expert witnesses. Parteisachverständige i.e.S. sind jedoch nur solche, die die nach Art. 64 (b) IGH-VerfO und Art. 79 (b) ISGH-VerfO vorgesehene Erklärung abgeben. Im Southern Bluefin Tuna-Fall hörte der ISGH einen von Neusee575
Die Vorschrift hat den Hintergrund, dass viele Streitigkeiten vor dem ISGH neben juristischen auch geologische, geophysikalische und hydrographische Probleme aufwerfen: Talmon, JuS 2001, 550 (551). 576 577
Simma/Mosler (1991), Art. 92, Rn. 104.
Vgl. Art. 237 NCPC: «Le technicien commis doit accomplir sa mission avec conscience, objectivité et impartialité.»
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land und Australien benannten Sachverständigen.578 Parteisachverständige wurden etwa auch im Temple of Preah Vihear-Fall,579 in den South West Africa-Fällen580 und im Gabčíkovo-Nagymaros-Fall gehört.
(bb) Überprüfung der Sachkunde des Sachverständigen: voir direProzedur Eine Partei kann Einwände gegen die fachliche Eignung des Parteisachverständigen im Rahmen einer aus dem angloamerikanischen Recht bekannten voir dire-Prozedur erheben. Sie kann den Sachverständigen vor seiner Aussage zur Überprüfung seiner Unabhängigkeit und seiner Qualifikation befragen, Letzteres jedoch nur abstrakt und nicht auf den konkreten Fall bezogen.581 Ein solches Verfahren ist jedoch bisher offenbar nur in je einem Fall vor dem IGH und dem ISGH durchgeführt worden.582 Im Southern Bluefin Tuna-Fall geschah dies mit dem Einverständnis beider Parteien.583 Das voir dire-Verfahren wird im Hinblick auf seine rein angloamerikanische Provenienz kritisiert;584 ein Grund für seine Übernahme in den internationalen Prozess ist jedoch, dass Parteisachverständige eigenständiges Beweismittel sind.
578
ISGH, Southern Bluefin Tuna Cases (Provisional Measures), ITLOS Rep. 1999, 280 (284, Ziff. 25). 579
IGH, Case Concerning the Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Urteil vom 15. Juni 1962, ICJ Rep. 1962, 6 (9). 580 581
IGH, South West Africa Cases (Second Phase), ICJ Rep. 1966, 4 (9 f.). Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Talmon, Art. 43, Rn. 112.
582
ISGH, Southern Bluefin Tuna Cases (Provisional Measures), ITLOS Rep. 1999, 280 (284, Ziff. 25); zur Befragung selbst siehe: ISGH, Southern Bluefin Tuna Cases (Provisional Measures), ITLOS/PV.99/20/Rev.2, S. 35 ff. (Voir direBefragung durch Slater); IGH, South West Africa Cases, Pleadings, Oral Argument, Documents, Bd. 10 (1966), 340 f., 345. 583
Hierzu Eiriksson, The International Tribunal for the Law of the Sea (2000), 185 f.; Anderson, Art. 80, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 226 (227). 584
Romano, Ohio State Journal of Dispute Resolution, 19 (2003), 89 (103 f.).
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(c) Untersuchung Traditionell dient die Untersuchung allein der Tatsachenfeststellung.585 Sie ist streng genommen wie die inspection und das fact-finding eine eigene Form internationaler Streitbeilegung oder der Erfüllungskontrolle, etwa in der Form der Untersuchungskommissionen.586 Als eigenes Beweismittel ist sie vorgesehen in Art. 50 IGH-Statut, Art. 67 IGHVerfO, Art. 82 ISGH-VerfO und Regel A1 Abs. 3 EGMR-VerfO. Die Vornahme einer Untersuchung ist nah mit dem Sachverständigenbeweis verwandt, soweit das Gericht gerichtsfremde Personen mit ihrer Vornahme betraut (davon geht Art. 50 IGH-Statut dem Wortlaut nach aus) oder dem Augenschein in der Form der Ortsbesichtigung, wenn Mitglieder des Spruchkörpers selbst die Untersuchung vornehmen (wie in Regel A1 Abs. 3 EGMR-VerfO vorgesehen). Fraglich ist, ob Untersuchungen nach Art. 50 IGH-Statut und Art. 82 ISGH-VerfO nur durch dritte Personen, Einrichtungen und Organisationen durchgeführt werden können, nicht aber durch den Gerichtshof oder einzelne Richter selbst.587 Der IGH hat im Nicaragua-Fall erklärt, dass Art. 50 des Statuts auch die Einsetzung einer Gruppe von mit dem Fall befassten Richtern ermöglicht.588 Dies wird durch die prozessualen Texte und die Praxis des EGMR bestätigt. In der Tat lassen sich die Instrumente des Sachverständigenbeweises und der Untersuchung oft nur schwer unterscheiden, weil einerseits im Rahmen einer Untersuchung Personen mit besonderem Sachverstand eingesetzt werden, andererseits häufig auch Sachverständige für die Erstellung ihres Gutachtens Ortsbesichtigungen durchführen. Will man eine Unterscheidung dennoch treffen, so könnte man etwa wie folgt differenzieren: Sachverständigengutachten zeichnen sich dadurch aus, dass sich der Gerichtshof fremder (etwa: wissenschaftlicher) Sachkunde, die er selbst nicht hat, bedient, während eine Untersuchung klassisch zur Ermittlung umstrittener Tatsachen dient; diese könnte der Gerichtshof aufgrund eigener Sachkunde grundsätzlich auch selbst (etwa im Wege der Ortsbesichtigung) vornehmen. Die Grenzen sind dennoch fließend. Soweit ersichtlich ist eine Untersuchung bisher in keinem Ver585
Partsch, EPIL II/1 (1995), 343; Collier/Lowe, The Settlement of Disputes in International Law (2000), 24. 586 587 588
Siehe etwa Art. 9 der I. Haager Konvention von 1907 und Art. 90 AP I. So: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tams, Art. 50, Rn. 6.
IGH, Military and Paramilitary Activities (Nicaragua v. United States of America), Merits, Urteil vom 27. Juni 1986, ICJ Rep. 1986, 14 (40, Ziff. 61).
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fahren der hier untersuchten ständigen internationalen Gerichte durchgeführt worden. Beispiele finden sich aber in der Schiedsgerichtsbarkeit. So setzte das Schiedsgericht im Argentina-Chile Frontier Case eine field mission zur Erkundung des strittigen Grenzgebiets aus der Luft und am Boden ein.589
4. Augenschein und Ortsbesichtigung Das deutsche Zivilprozessrecht definiert den Beweis durch Augenschein als die unmittelbare Wahrnehmung von beweiserheblichen Tatsachen durch das Gericht.590 Gegenstand der Wahrnehmung sind körperliche Eigenschaften oder Zustände von Personen und Sachen oder Äußerungen, die in einer Tonaufnahme festgehalten sind.591 Unter „Augenschein“ sind grundsätzlich alle Sinneswahrnehmungen zu fassen, also auch solche, die durch das Gehör, den Geschmack, den Geruch oder das Gefühl vermittelt werden. Dies kann ohne Bedenken auf den internationalen Prozess übertragen werden.
(a) Augenscheinsbeweis allgemein Als Augenscheinsobjekt kann z.B. ein Kuriergepäckstück (diplomatic bag) dienen, wenn es um eine unerlaubte Öffnung des Gepäckstücks nach Art. 27 Abs. 3 WDÜ geht.592 Ansonsten ist der Augenscheinsbeweis im internationalen Recht wegen der weiten Definition des Urkundsbeweises von untergeordneter Bedeutung und wird daher in aller Regel in den gerichtseinsetzenden Verträgen nicht gesondert ausgewiesen (vgl. aber Art. 45 § 2 (e) EuGH-VerfO und Art. 65 (e) EuG-VerfO). Geregelt ist jedoch häufig eine spezielle Form des Augenscheinsbewei-
589
Schiedsspruch vom 9. Dezember 1966, RIAA 16 (1969), 109 (149). Die amtswegige Kompetenz zur Anordnung einer solchen Untersuchung ergab sich aus Art. VI des Schiedsvertrages (S. 120): “In the event of the Parties jointly or the Court of Arbitration desiring a survey, by air or otherwise, for the purposes of the Arbitration, such survey shall be made under the guidance of the Court of Arbitration at the expense of the Parties.” 590 591 592
Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), 60. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 117, Rn. 1.
EECC, Partial Award, Diplomatic Claim, Ehtiopia’s Claim 8, Schiedsspruch vom 19. Dezember 2005, Ziff. 43 f.
Beweisaufnahme und Beweismittel
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ses, die Ortsbesichtigung. Daraus ist zu folgern, dass auch der Augenscheinsbeweis allgemein zulässig ist.
(b) Ortsbesichtigungen Zum Beweismittel des Augenscheins gehört auch die Ortsbesichtigung. Die Möglichkeit ihrer amtswegigen Durchführung ist in den Verfahrensordnungen vieler internationaler Gerichte explizit vorgesehen (Art. 44 Abs. 2 IGH-Statut, 66 IGH-VerfO; Art. 81 ISGH-VerfO; Regel A1 Abs. 1 EGMR). Auch in den Prozessordnungen, die eine solche nicht vorsehen, ist ihre Zulässigkeit jedenfalls mit Einverständnis der Parteien im konkreten Fall zu bejahen.593 Bereits in den nationalen Systemen nehmen die Gerichte ihre Befugnis, Ortsbesichtigungen durchzuführen, nur sehr zögerlich wahr. Nichts anderes gilt auf internationaler Ebene. Als Gründe hierfür mögen gelten der mit der Reise verbundene zeitliche und finanzielle Aufwand, die klimatischen Bedingungen vor Ort sowie die damit verbundenen gesundheitlichen Beschwernisse. Außerdem können Erwägungen einer souveränitätsschonenden Vorgehensweise ebenfalls eine Rolle spielen. Die vom StIGH und IGH durchgeführten Ortsbesichtigungen sind an anderer Stelle bereits dargestellt worden.594 Daneben gibt es einige Beispiele, in denen internationale Schiedsgerichte Ortsbesichtigungen durchgeführt haben.595 Zu den frühen Fällen zählen der der TilletFall,596 der Meerauge-Fall597 und der von einem unter dem StSH etablierten Schiedsgericht entschiedene Grisbadarna-Fall.598 Auch im Trail
593
Hudson, International Tribunals, Past and Future (1944), 93. Für die WTO: Waincymer, WTO Litigation (2002), 544. 594
Kapitel 4 B. I. 1. (b) (bb).
595
Dazu: Hudson, AJIL 31 (1937), 696 f. und Rosenne, in: FS-Bedjaoui (1999), 461 (470 ff.). 596
Affaire Ben Tillet (Royaume-Uni c. Belgique), Schiedsspruch vom 26. Dezember 1898, RGDIP 6 (1899), 46 (48). 597
Meerauge-Fall, Schiedsspruch vom 13. September 1902, Revue de droit international et de législation comparée 8 (1906), 196 (197). 598
StSH, Affaire des Grisbadarna (Norway v. Sweden), Schiedsspruch vom 23. Oktober 1909; RIAA 11 (1961), 155 (157). Dazu Hudson, AJIL 31 (1937), 696.
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Smelter-Fall besichtigte das Schiedsgericht die Örtlichkeit.599 Neuere Fälle sind der Beagle Channel-Fall,600 der Taba-Fall601, die DubaiSharjah Border Arbitration602 sowie der Mont Fitz Roy-Fall.603
5. Auskünfte internationaler Organisationen Hinsichtlich der Auskünfte internationaler Organisationen ergeben sich keine Zulässigkeitsprobleme. Das IGH-Statut (Art. 34 Abs. 2 S. 1), die ISGH-VerfO (Art. 84) sowie nach der Rechtsprechung des Appellate Body auch Art. 13 DSU lassen die amtswegige Einholung solcher Auskünfte durch das internationale Gericht zu. Oft wird die Sachkunde internationaler Organisationen jedoch nicht durch eine gezielte Anfrage des Gerichts direkt an die Organisation in das Verfahren einfließen, sondern die Parteien legen bereits verfasste und veröffentlichte Berichte selbst als Beweismittel vor. In diesem Fall handelt es sich nicht um eine Auskunft, sondern um einen Urkundsbeweis.
6. Amicus curiae-Eingaben (a) Definition und Funktion Die vor allem in den Systemen des common law verbreiteten, aber mittlerweile auch in kontinentalen Rechtsordnungen bekannten604 Eingaben
599 Trail Smelter Case (US v. Canada), Schiedsspruch vom 15. April 1935, RIAA 3 (1949), 1911 (1912), Schiedsspruch vom 11. März 1941, RIAA 3 (1949), 1938 (1939). 600
Beagle Channel Arbitration (Argentina v. Chile), Schiedsspruch vom 18. Februar 1977, ILR 52 (1979), 93 (115 f.). 601
Case concerning the location of boundary markers in Taba between Egypt and Israel, Schiedsspruch vom 29. September 1988, RIAA 20 (1994), 1 (9, Ziff. 7). 602
Dubai-Sharjah Border Arbitration, 19. Oktober 1981, ILR 91 (1993), 543 (551). Der Schiedsvertrag enthielt folgende beweisrechtliche Bestimmung: “[T]he arbitrators have the right to hear any evidence which they deem appropriate.” (S. 550). 603
Différend sur le tracé de la ligne frontière entre la Borne 62 et le Mont Fitz Roy (Argentine/Chili), Schiedspruch vom 21. Oktober 1994, RGDIP 100 (1996), 520 (523): Artikel 8 des Schiedsvertrags (528, Ziff. 11). 604
Für Frankreich: Ascensio, RGDIP 105 (2001), 897 (897 f.).
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eines amicus curiae sind gerade in jüngster Zeit zu einem viel diskutierten Thema der internationalen Gerichtsbarkeit geworden. Die Initiative zu ihrer Zulassung ging dabei nicht von den Gerichten, sondern vielmehr von den potenziellen „Freunden des Gerichts“ selbst aus.605 Amicus curiae-Eingaben stellen streng genommen kein eigentliches Beweismittel dar, da sie oft auch oder gar schwerpunktmäßig zu rechtlichen Fragen Stellung beziehen, insbesondere solchen, die in besonderem Maße öffentliche Interessen tangieren. Auch gibt es keine einheitliche Definition der Rolle und Kompetenzen eines „Freunds des Gerichts“ vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten. Sie können aus eigener Initiative oder auf Beauftragung des Gerichts tätig werden.606 Umschrieben werden kann ein amicus curiae brief als eine Stellungnahme von am Verfahren selbst Unbeteiligter, also von „Personen oder Institutionen …, die kein rechtliches Interesse haben, aber aus akademischen, ideellen oder wirtschaftlichen Interessen dem Gericht Informationen oder Rechtsauffassungen liefern, um die Rechtsfindung zu unterstützen“.607 Ein besonderes rechtliches Interesse (im Sinne eines Interventionsgrundes, vgl. etwa Art. 62 IGH-Statut) ist demnach nicht zu fordern.608 Damit können amici curiae aufgrund ihrer Sachkunde grundsätzlich auch für die Aufklärung des Sachverhaltes Bedeutung gewinnen,609 605
Ascensio, RGDIP 105 (2001), 897 (900).
606
Romano, Ohio State Journal of Dispute Resolution, 19 (2003), 89 (105); Tams/Zoellner, AVR 45 (2007), 217 (220). 607
Neumann, ZaöRV 61 (2001), 529 (569). Ähnlich: Boisson de Chazournes/ Mbengue, LPICT 2 (2003), 205 (207); Umbricht, JIEL 4 (2001), 773 (778). 608 609
Ascensio, RGDIP 105 (2001), 897 (912).
Für die WTO: Dunoff, JIEL 1 (1998), 433 (436); Umbricht, JIEL 4 (2001), 773 (779); Ohlhoff/Schloemann, Max Planck UNYB 5 (2001), 675 (686); Kaubisch, ZVglRWiss 106 (2007), 104 (105); Alvarez-Jiménez, LPICT 6 (2007), 269 (274). Für den ISGH: Anderson, Art. 84, in: Rao/Gautier (Hrsg.), The Rules of the International Tribunal for the Law of the Sea: A Commentary (2006), 234 (236). Für die NAFTA: UPS (United Parcel Service of America Inc.) v. Government of Canada, Decision of the Tribunal on Petitions for Intervention and Participation as Amici Curiae, Schiedsspruch vom 17. Oktober 2001, Ziff. 62 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>). Für das internationale Investitionsschutzrecht: Tams/Zoellner, AVR 45 (2007), 217 (220). Allgemein: Ascensio, RGDIP 105 (2001), 897 (922); Palchetti, Max Planck UNYB 6 (2002), 139 (170); Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (278). Anders: Rosenne, IDI Annuaire 68 I (1998), 215 (216): Die Funktion des amicus curiae ist auf das Mitteilen von Rechtsauffassungen beschränkt.
486
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woraus sich ihre Einstufung zumindest als atypisches Beweismittel oder als Beweismittel im weiteren Sinne rechtfertigt. Neben (oder auch: aufgrund) seiner sachverhaltsaufklärenden Funktion ist das Instrument der amicus curiae briefs dazu geeignet, den Schutz von Gemeinschaftswerten in einem vornehmlich bilateralen Streitverfahren zu unterstützen.610 Es dient nicht dem individuellen Rechtsschutz oder primär der Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern der Optimierung der objektiven Rechtskontrolle durch Verbreiterung der Informationsgrundlage des Gerichts.611 Hieraus erklärt sich auch, dass ein Recht der amici auf Zulassung oder Würdigung der Eingaben nicht besteht.612 Ihre Beteiligung geschieht jedenfalls nach dem in der völkerprozessrechtlichen Literatur vorherrschenden Verständnis nicht im eigenen Interesse, sondern in dem des Gerichts.613 Auch sind amici curiae – wie sich schon aus dem Namen ergibt – Gehilfen des Gerichts, nicht der Streitparteien.614 Als solche sind sie zumindest nach der Definition des IGH auch zur Objektivität verpflichtet.615 Hieraus ergibt sich beweisrechtlich ihre Nähe zum Sachverständigenbeweis.616 610
Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Bd. I/3 (2002), 844; Brown, BYIL 76 (2005), 195 (235). 611
Dörr, JZ 2005, 905 (912); Oeter, in: Nowak/Cremer (Hrsg.), Individualrechtsschutz in der EG und der WTO (2002), 221 (229). Bartholomeusz, NonState Actors and International Law 5 (2005), 209 (278 f.) unterscheidet vier Funktionen von amicus curiae-Eingaben (1) Stellen von rechtlicher Expertise; (2) Bereitstellen von tatsächlichen Informationen; (3) Beteiligungsfunktion für besonders betroffene Einzelne, die kein Zugangsrecht zur Jurisdiktion haben und (4) Übernahme der Funktion des Vertreters des öffentlichen Interesses. 612
Tams/Zoellner, AVR 45 (2007), 217 (235).
613
Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (274). 614
Romano, Ohio State Journal of Dispute Resolution, 19 (2003), 89 (105); Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (280); Ascensio, RGDIP 105 (2001), 897 (918 f.). 615
IGH, Case Concerning the Continental Shelf (Tunisia v. Libyan Arab Jamahiriya), Application by Malta for Permission to Intervene, Judgment, ICJ Rep. 1981, 3 (18): “Malta would moreover do so, not objectively as a kind of amicus curiae, but as a closely interested participant in the proceedings intent upon seeing those issues resolved in the manner most favourable to Malta.” Anders jedoch: Methanex Corp. v. United States, Decision on Petitions from Third Persons to Intervene as ‘Amici Curiae’, Beschluss vom 15. Januar 2001, Ziff. 38 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>): “Amici are not experts; such persons are advocates (in the non-pejorative sense) and not ‘independent’
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(b) Praxis internationaler Gerichte: Möglichkeit und Voraussetzungen der Zulassung Wie bereits an anderer Stelle gezeigt ist die Praxis internationaler Gerichte in diesem Bereich sehr uneinheitlich.617 Ein frühes Beispiel für dieses prozessrechtliche Institut stellt der Trail Smelter-Fall dar, dessen Kompromiss dem Schiedsgericht ermöglichte, Aussagen zu hören und Beweise zuzulassen, die von interessierten Dritten eingereicht wurden.618 Auch dem IGH ist die Beteiligung nichtstaatlicher Akteure nicht unbekannt.619 Bereits im Ayslum-Fall und seither ständig wurden jedoch solche Anträge abgelehnt. Zusammenfassend kann man daher festhalten, dass nach gegenwärtiger Praxis NGOs vor dem IGH nur in Gutachtenverfahren als amici curiae auftreten können, nicht aber in streitigen Fällen. Individuen ist dieser Weg grundsätzlich verschlossen.620 Auch der ISGH hat bisher noch keine amici curiae-Eingaben zugelassen. Besondere Bedeutung hat das Institut des amicus curiae bislang nur in den Verfahren erlangt, in denen auch Individuen parteifähig sind,621 also in the sense that they advance a particular case to a tribunal.” Zur unterschiedlichen Konzeption von amici curiae (neutrale Beteiligte – anwaltliche Interessenvertreter) im nationalen Recht: Chinkin/Mackenzie, in: Boisson de Chazournes/Romano/Mackenzie (Hrsg.), International Organizations and International Dispute Settlement: Trends and Prospects (2002), 135 (136 f.); Umbricht, JIEL 4 (2001), 773 (778): “[W]hat was once a gesture of friendship has become a deliberate act of advocacy.” Zur gerichtsberatenden und nicht „anwaltlichen“ Funktion der amici curiae in Investitionsstreitigkeiten: Tams/Zoellner, AVR 45 (2007), 217 (236, Fn. 86). 616
Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (273); Tams/Zoellner, AVR 45 (2007), 217 (239): „quasi-expert-Status“. 617
Oben Kapitel 4 D. IV.
618
Convention for Settlement of Difficulties arising from Operation of Smelter at Trail, B.C., 15. Apirl 1935, Art. A. VIII.: “The Tribunal shall hear such representations and shall receive and consider such evidence, oral or documentary, as may be presented by the Governments or by interested parties … .” abgedruckt in RIAA 3 (1949), 1907 (1909). 619
Siehe Kapitel 4 D. IV. 1.
620
Shelton, AJIL 88 (1994), 611 (619 ff.); Ohlhoff/Schloemann, Max Planck UNYB 5 (2001), 675 (682). Ferner: Higgins, ICLQ 50 (2001), 121 (123). 621
Auf diesen Unterschied zu den rein zwischenstaatlichen Jurisdiktionen weisen hin: Ascensio, RGDIP 105 (2001), 897 (901, 905); Umbricht, JIEL 4 (2001), 773 (781).
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vor den internationalen Strafgerichten und regionalen Menschenrechtsgerichtshöfen,622 aber auch vor dem WTO-Streitbeilegungsgremium. Daneben wird es auch in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit vermehrt eingesetzt, etwa im ICSID-Verfahren. Seit der Überarbeitung der ICSID-AR im Jahre 2006 existiert eine detaillierte Norm, die nicht nur die generelle Zulässigkeit von amicus curiae-Eingaben bestätigt, sondern darüber hinaus Kriterien hierfür aufstellt. Nach Regel 37 Abs. 2 ICSID-AR (Submissions of Non-Disputing Parties)623 gehören zu den Kriterien, die bei der Entscheidung über die Zulassung von Eingaben zu beachten sind, die Sachkompetenz, die zu erwartende Unterstützung des Gerichts, fehlende Duplikation der bereits durch die Parteien vorgebrachten Argumente, das Verbleiben der Unterbreitung innerhalb des Streitgegenstandes sowie der Grad des Interesses der Person oder Institution an der Unterbreitung. Des Weiteren muss das Gericht prüfen, ob die Einreichung das Verfahren unangemessen verzögern oder eine Partei unfair benachteiligen würde. Schließlich wird das Recht der Parteien festgehalten, zu den Eingaben Stellung zu nehmen, was sich aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt. All diese Kriterien sind auch für zwischenstaatliche Streitigkeiten bedeutsam.
622
Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights (2003), 214 f. Die prozessrechtlichen Texte des IAGMR erwähnen diese Möglichkeit nicht (Ascensio, RGDIP 105 (2001), 897 (902)). Dazu auch: Bartholomeusz, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 209 (232 ff.: EGMR; 242 ff.: Strafgerichtshöfe). Beim EGMR richtet sich die Zulassung von amici curiae nach Art. 36 Abs. 2 EMRK und Regel 44 Abs. 2, 4 EGMR-VerfO, beim JStGH nach Regel 74 JStGH-VerfO, beim IStGH nach Regel 103 der IStGH-VerfO. 623
Regel 37 Abs. 2 ICSID-AR lautet: “After consulting both parties, the Tribunal may allow a person or entity that is not a party to the dispute (in this Rule called the ‘non-disputing party’) to file a written submission with the Tribunal regarding a matter within the scope of the dispute. In determining whether to allow such a filing, the Tribunal shall consider, among other things, the extent to which: (a) the non-disputing party submission would assist the Tribunal in the determination of a factual or legal issue related to the proceeding by bringing a perspective, particular knowledge or insight that is different from that of the disputing parties; (b) the non-disputing party submission would address a matter within the scope of the dispute; (c) the non-disputing party has a significant interest in the proceeding. The Tribunal shall ensure that the non-disputing party submission does not disrupt the proceeding or unduly burden or unfairly prejudice either party, and that both parties are given an opportunity to present their observations on the non-disputing party submission.”
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(c) Mögliche Personen und Institutionen Die Rolle eines amicus curiae ist nicht von vornherein auf einen bestimmten Akteur begrenzt. Als mögliche amici kommen z.B. in Betracht:624 NGOs, Forschungsinstitute, private Unternehmen,625 Anwaltskanzleien, Industrieverbände, andere Interessengruppen wie z.B. Gewerkschaften oder Berufsvereinigungen oder studentische Gruppen sowie einzelne Personen wie etwa Wissenschaftler. Neben der Beteiligung Privater, also natürlicher oder juristischer Personen nationalen Rechts, kann man auch an Völkerrechtssubjekte als amici curiae denken, so Staaten626 und zwischenstaatliche internationale Organisationen.627 Die Frage, ob die Existenz eigener prozessualer Beteiligungsmöglichkeiten für Staaten (Intervention) nicht ihre Teilnahme als amici curiae ausschließt, hat das Appellate Body unter Hinweis auf die verschiedenartigen rechtlichen Konsequenzen zugunsten ihrer Zulassung auch zum zweiten Mechanismus beantwortet.628 Von der ursprünglichen Konzeption, dass es sich bei den Freunden des Gerichts um private oder juristische Personen des nationalen Rechts handelt, entfernt sich diese Sichtweise.
(d) Legitimitätsbedenken Die Institution der amici curiae wird insbesondere in Bezug auf NGOs vor allem vor dem Hintergrund der häufig mangelnden Transparenz ih-
624
Die Aufzählung macht Mackenzie, in: Treves u.a. (Hrsg.), Civil Society, International Courts and Compliance Bodies (2005), 295 (300). Ähnlich: Boisson de Chazournes/Mbengue, LPICT 2 (2003), 205 (230 ff.). 625
Dazu: Brühwiler, Aussenwirtschaft 60 (2005), 347 (372), die bemerkt, dass jedenfalls im WTO-Streitbeilegungsverfahren Unternehmen oft weiter gehende Beteiligungsrechte nach nationalem Recht haben. 626
Covelli, JWT 33 (2) (1999), 125 (136 f.). Siehe auch Regel 103 Abs. 1 IStGH-VerfO. 627
Chinkin/Mackenzie, in: Boisson de Chazournes/Romano/Mackenzie (Hrsg.), International Organizations and International Dispute Settlement: Trends and Prospects (2002), 135 ff.; Boisson de Chazournes/Mbengue, LPICT 2 (2003), 205 (234 ff.). 628
Siehe bereits Kapitel 4 B. II. 4. Dazu auch: Boisson de Chazournes/Mbengue, LPICT 2 (2003), 205 (236 ff.).
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rer Funktionsweise und Finanzierung durchaus kritisch gesehen.629 So wird eingewandt, dass Nichtregierungsorganisationen weder repräsentativ noch – im Unterschied zu Regierungen – den Wählern gegenüber verantwortlich seien.630 Gerade im Rahmen der WTO-Streitbeilegung bestehen Befürchtungen insbesondere der Entwicklungsländer, dass ihre Interessen gerade nicht durch amici gewahrt würden, sondern diese vielmehr einen westlich orientierten und erstweltzentrierten Standpunkt einnähmen.631 Denn zur Teilnahme am WTO-Streitbeilegungsprozess sind umfangreiche technische und finanzielle Mittel erforderlich, die typischerweise nur Organisationen aus reichen Ländern zur Verfügung stehen.632 Diese Kritik zeigt, dass mit der Zulassung von Nichtregierungsorganisationen zum Verfahren auch die Anforderungen an deren interne Struktur sowie Einzelheiten der Art und Weise ihrer Beteiligung geklärt werden müssen.633 Auch kann sich eine Offenlegungspflicht hinsichtlich finanzieller und anderer Verstrickungen empfehlen, wie sie etwa in der US-amerikanischen Rechtsordnung gilt.634 Andererseits ist auch zu berücksichtigen, dass Wirtschaftsverbände und einzelne Unternehmen insbesondere in der WTO-Streitbeilegung schon immer vermittelt über die Staaten am Prozess beteiligt waren, was einen Ausgleich zugunsten von Verbraucher-, Umwelt- und anderen Verbänden notwendig macht.
629
Skeptisch zur Rolle der NGOs in internationalen Verfahren etwa: Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 899. 630
Etwa: Dunoff, JIEL 1 (1998), 433 (438); Tams/Zoellner, AVR 45 (2007), 217 (240). 631
Romano, Ohio State Journal of Dispute Resolution, 19 (2003), 89 (106); Umbricht, JIEL 4 (2001), 773 (786). 632 633 634
Dunoff, JIEL 1 (1998), 433 (438). So auch: Tams/Zoellner, AVR 45 (2007), 217 (239).
Siehe etwa Regel 37 Abs. 6 der US Supreme Court Rules, nach dem ein “brief filed under this Rule shall indicate whether counsel for a party authored the brief in whole or in part and shall identify every person or entity, other than the amicus curiae, its members, or its counsel, who made a monetary contribution to the preparation or submission of the brief. The disclosure shall be made in the first footnote on the first page of text.”
Beweisaufnahme und Beweismittel
491
III. Zusammenfassung: Beweismittel im internationalen Prozess Dem Völkerprozessrecht ist ein Strengbeweisverfahren fremd. Als Beweismittel kommen jedoch grundsätzlich die aus den nationalen Zivilprozessordnungen bekannten Mittel in Betracht. Es besteht weiterhin keine Hierarchie unter den Beweismitteln, die sich auf deren Zulässigkeit auswirken würde. In der Praxis wichtigstes Beweismittel ist die Urkunde, aber auch der Sachverständigen- und Zeugenbeweis werden verstärkt eingesetzt. Dagegen spielt die Ortsbesichtigung nur eine untergeordnete Rolle. Eine gerade in neuerer Zeit wichtige Stellung nehmen amicus curiae-Eingaben ein, deren genaue Rolle und Voraussetzungen jedoch noch nicht in allen Streitschlichtungsmechanismen hinreichend geklärt sind. Die verfahrensrechtliche Behandlung der Beweisaufnahme richtet sich nach dem jeweiligen gerichtseinsetzenden Vertrag. Insofern sind keine einheitlichen Grundsätze herzuleiten, auch wenn sich das Verfahren mitunter sehr ähnelt.
Achtes Kapitel: Grundsätze der Beweiswürdigung, Beweismaß und Beweiswert A. Grundsätze der Beweiswürdigung vor internationalen Gerichten Die Rechtsprechung gibt im Allgemeinen wenig Aufschluss über die Frage der für die Beweiswürdigung vor internationalen Gerichten geltenden Grundsätze;1 klare Regeln sind bisher von ihr nicht formuliert worden.2 Grund hierfür mag sein, dass sich das Völkerprozessrecht im Wesentlichen auf die Frage der Beweiserhebung, genauer gesagt, der Beweisführung der Parteien konzentriert.3 Beweiswürdigungsvorgänge werden hingegen selten offen gelegt.4 Entsprechend gestehen Literaturstimmen internationalen Gerichten einen weiten Ermessenspielraum in der Beweiswürdigung zu.5 Wie umfassend die Freiheit des internationalen Richters in der Beweiswürdigung traditionell gesehen wird, hat der IGH im Rahmen einer Überprüfung eines Schiedsspruchs dargetan: “The appraisal of the probative value of documents and evidence appertained to the discretionary power of the arbitrator and is not open to question.”6 Fehler in der Beweiswürdigung können nach dieser Auffassung nicht zur Nichtigkeit 1
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (92, Ziff. 2). 2
Waincymer, WTO Litigation (2002), 571.
3
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (92, Ziff. 5). 4 Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 28: “Judges of international tribunals have too frequently sought to escape from this dilemma [of applying normal standards in weighing evidence] … by admitting all evidence offered and then declining to reveal what use was made of it in reaching the decision.” 5
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 15.
6
IGH, Case Concerning the Arbitral Award made by the King of Spain on 23 December 1906 (Honduras v. Nicaragua), Urteil vom 18. November 1960, ICJ Rep. 1960, 192 (215 f.). M. Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 215, DOI 10.1007/978-3-642-11647-6_8, © by Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
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Kapitel 8
des Schiedsspruchs führen. Daher fragt sich, ob überhaupt die Beweiswürdigung internationaler Gerichte leitende Grundsätze bestehen.
I. Internationaler Gerichtshof Im Entwurf einer Prozessordnung des StIGH vom 6. März 1922 findet sich ein Artikel über die Beweiswürdigung, in dem es heißt: «La Cour apprécie la valeur des divers moyens de preuve». In der Diskussion wurde die Einfügung des Adverbs „librement“ vorgeschlagen, schließlich jedoch ganz auf die Norm verzichtet, da die Geltung des Grundsatzes auch ohne Kodifikation über jeden Zweifel erhaben war.7 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass weder das IGH-Statut noch die IGH-VerfO Regeln aufstellen, nach denen der IGH die Beweiswürdigung vornehmen soll.8 Jedoch kann als gesichert gelten, dass das Prozessrecht des IGH keinen Legalbeweis (preuve légale) oder strikte Beweisregeln9 kennt, sondern der IGH jedes Beweismittel frei bewerten kann.10 Es gilt damit der Grundsatz der freien Beweiswürdigung.11 So entschied der IGH im Nicaragua-Fall, dass “within the limits of its Sta7
Schenk von Stauffenberg, Statut et règlement de la Cour permanente de Justice internationale (1934), 368; Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 20. 8
IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Shahabuddeen, ICJ Rep. 1993, 353 (357). 9
Beweisregeln führen zur Feststellung der Wahrheit oder der Unwahrheit einer Behauptung ohne Rücksicht auf eine richterliche Beweiswürdigung oder die richterliche Überzeugung (Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 114, Rn. 7). 10
IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Lauterpacht, ICJ Rep. 1993, 407 (423, Ziff. 42). Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (543). 11
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 44; Reuter, Le développement de l’ordre juridique international (1995), 539, der die libre conviction du juge im Völkerprozessrecht für die Kardinalsregel des internationalen Beweisrechts hält. Diese sei eine Regel, die sich rechtsquellentheoretisch in die Kategorie der allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts oder des Völkergewohnheitsrechts einordnen lasse (S. 540). Vgl. auch Art. XXI Convention for the Establishment of a Central American Court of Justice: “In deciding points of fact raised before it, the Central American Court of Justice shall be governed by its free judgment … .”
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
495
tute and the Rules, it has freedom in estimating the value of the various elements of evidence.”12 Der Gerichtshof kann danach jedes Beweismittel nach den Umständen im Einzelfall als unzuverlässig einstufen oder ihm Gewicht beimessen.13 Zur Methodik, nach der der IGH die ihm vorliegenden Beweise frei würdigt, äußerte er sich lange nicht. Erstmals erläuterte er im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall grundsätzlich: “[T]he Court will examine the facts relevant to each of the component elements of the claims advanced by the Parties. In so doing, it will identify the documents relied on and make its own clear assessment of their weight, reliability and value.”14 Im Prozess der Beweiswürdigung ist damit nicht nur die Beweislage pauschal zu bestimmen, sondern auch jedes einzelne Beweisstück zu werten.
II. Internationaler Seegerichtshof Auch in den prozessrechtlichen Dokumenten des ISGH findet sich keine Norm über den Vorgang der Beweiswürdigung. Der ISGH selbst hat sich dieses Problems bisher auch nicht explizit in seiner Rechtsprechung angenommen, obwohl Beweiswürdigungs- und Beweismaßfragen in dem von ihm zu entscheidenden Fällen durchaus eine Rolle spielten, etwa im Saiga (No. 2)-Fall. Die mündliche Verhandlung betraf hier über weite Strecken die strittige Tatsachengrundlage.15 Allerdings spricht das Urteil selbst Grundsätze der Beweiswürdigung nicht explizit an; die Sondervoten gehen hierauf aber näher ein. Danach seien die Grundsätze der Unparteilichkeit und des fairen Verfahrens sowie die Pflicht des Gerichts, den Streitfall zu entscheiden, Grundlage der Beweiswürdigung.16 Das Fehlen sonstiger Bindungen spricht auch hier für die Geltung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung. 12
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (40, Ziff. 60); Frowein, in: Dupuy, Manuel sur les organisations internationales (1998), 153 (190). 13
IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 213.
14
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (200, Ziff. 59). 15 16
De la Fayette, IJMCL, 15 (2000), 355 (361).
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (93, Ziff. 5).
496
Kapitel 8
III. Iran-US Claims Tribunal Art. 25 Abs. 6 der IUSCT-VerfO bestimmt, dass “[t]he arbitral tribunal shall determine the admissibility, relevance, materiality and weight of the evidence offered.” Dies hat das Tribunal zum einen als mit der allgemeinen schiedsgerichtlichen Praxis übereinstimmend angesehen17 und andererseits als Kompetenz zur freien Beweiswürdigung interpretiert.18
IV. WTO-Streitbeilegung 1. Abgrenzung der Tatsachenkompetenzen der Panels und des Berufungsgremiums Der Streitbeilegungsmechanismus der WTO gehört – neben dem Gerichtssystem der EU (in manchen Verfahrensarten) sowie den internationalen Strafgerichtshöfen – zu den seltenen zweiinstanzlichen völkerrechtlichen gerichtsförmigen Streitschlichtungsapparaten. Damit stellt sich neben der Problematik des Prozesses der Beweiswürdigung auch die Frage der Abgrenzung der Kompetenzen im Tatsachenbereich zwischen den Instanzen.
(a) Grundsatz Nach Art. 11 DSU ist die Tatsachenfeststellung und –würdigung alleinige Aufgabe der Panels. Art. 17 Abs. 6 DSU normiert, dass sich ein Rechtsmittel „auf die in dem Panelbericht behandelten Rechtsfragen
17 IUSCT, Islamic Republic of Iran v. United States of America (Case No. A/20), 10. Juli 1986, Iran-US CTR 11 (1986-II), 271 (274). 18
IUSCT, Flexi-Van Leasing, Inc. v. The Islamic Republic of Iran (Case No. 36), Beschluss (Order) vom 20. Dezember 1982, IUSCTR 1 (1981-82), 455 (458): “From the totality of such evidence the Chamber will draw reasonable inferences and reach conclusions as to whether the Claimant was, or was not, a national of the United States, as defined in the Declaration, during the necessary period. It is within the power of the Chamber to do this based on accepted principles of international law and also upon the Provisionally Adopted Tribunal Rules which state that: The arbitral tribunal shall determine the admissibility, relevance, materiality and weight of the evidence offered. Article 25, paragraph 6.” Brower/Brueschke, The Iran-United States Claims Tribunal (1998), 183 sprechen von einer „virtually unlimited freedom“.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
497
und auf die Rechtsauslegung durch das Panel“ zu beschränken hat. Nach der Entscheidung des Berufungsgremiums im Fall EC – Hormones ist die Beweiswürdigung (appreciation of evidence), also die Beurteilung der einem Beweismittel zuzubilligenden Glaubwürdigkeit und seines Gewichts, ein wesentlicher Bestandteil des Prozesses der Tatsachenfeststellung und daher prinzipiell Sache des Panels.19 Dabei ist selbstverständlich, dass die Panels den Beweismitteln nicht die gleiche Bedeutung und Überzeugungskraft zubilligen müssen wie die Streitparteien.20 Dagegen ist die WTO-rechtliche Beurteilung der festgestellten Tatsachen vom Berufungsgremium voll überprüfbar.
(b) Überprüfung der Beweisaufnahme der Panels durch das Berufungsgremium Auch die Frage, ob ein Panel eine „objektive Beurteilung des Sachverhalts“ (Art. 11 DSU) vorgenommen hat, ist rechtlicher Natur und unterliegt damit grundsätzlich der Überprüfung durch das Berufungsgremium.21 Jedoch darf es seine Tatsachenbeurteilung nicht an die Stelle der vom Panel vorgenommenen setzen, da die Tatsachenfeststellung Aufgabe der Panels ist.22 Dazu gehört insbesondere die Frage, ob das erforderliche Beweismaß erreicht wurde.23 In US – Wheat Gluten heißt es daher: “In assessing the panel’s appreciation of the evidence, we cannot base a finding of inconsistency under Article 11 simply on the conclusion that we might have reached a different factual finding from the one the panel reached. Rather, we must be satisfied that the panel has exceeded the bounds of its discretion, as the trier of facts, in its appreciation of the evidence.”24 Eine solche Ermessensübertretung muss qualifizierten Anforderungen genügen, um einen Verstoß gegen Art. 11 DSU darzustellen. Dies ist dann der Fall, wenn ein Panel ein Beweismittel bewusst außer Acht lässt 19
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 132; DSB, Australia – Salmon (AB), Ziff. 161; DSB, Korea – Alcoholic Beverages (AB), Ziff. 160 ff. 20 21 22 23 24
DSB Australia – Salmon (AB), Ziff. 267. DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 132. Ebd., Ziff. 133; Ziff. 260. Hierzu: Kuyper, in: FS-Jackson (2000), 309 (317). DSB, US – Wheat Gluten (AB), Ziff. 151.
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oder sich weigert, ein Beweismittel zu berücksichtigen. Einen ebensolchen Verstoß stellt die mutwillige Verzerrung oder falsche Darstellung von Beweisen dar.25 Diese Verstöße sind so gravierend, dass sie nicht lediglich eine falsche Tatsachenbeurteilung darstellen, sondern als ein außerordentlich schwerwiegender (egregious) Fehler zu bewerten sind, der Zweifel an der Integrität des Panels begründet und letztlich einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren darstellt. Liegt ein solch außerordentlich schwerwiegender Fehler vor, so hat das Panel seine Ermessensgrenzen überschritten. Dieser Standard erscheint allerdings strikt,26 so dass kaum erfolgreiche Rügen einer Verletzung des Art. 11 DSU auf dieser Basis auftreten.
(c) Vervollständigung der rechtlichen Analyse Schwierigkeiten können sich ob dieser Rollenverteilung zwischen Panels und Appellate Body dann ergeben, wenn das Appellate Body in der rechtlichen Bewertung vom Panelreport abweicht und – wozu es unzweifelhaft gemäß Art. 17 Abs. 6 DSU befugt ist – in der von ihm gewählten Terminologie „die rechtliche Analyse des Panels vervollständigt“.27 Dies kann es nur auf Grundlage der vom Panel etablierten Tatsachen leisten, die unter Umständen zur Beurteilung der vom Appellate Body aufgeworfenen entscheidenden rechtlichen Frage nicht ausreichen, insbesondere nicht vollständig sein oder sich widersprechen können.28 Das Appellate Body hat jedoch betont, dass es eine Vervollständigung der rechtlichen Analyse nur dann vornehmen wird, wenn dafür vom Panel ausreichende Tatsachenfeststellungen getroffen wurden.29 Dass die Versuchung groß ist, eventuell bestehende Sachverhaltslücken durch eigene Sachverhaltsermittlung oder schlicht durch Spekulation zu schließen, liegt auf der Hand. Andererseits kann eine solche Usurpierung von Tatsachenfeststellungskompetenzen durch das Berufungsgremium das Recht der Mitglieder auf ein zweiinstanzliches Verfahren be-
25
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 133.
26
Bronckers/McNelis, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 321 (326). 27
DSB, US – Shrimp (AB), Ziff. 123.
28
Cameron/Orava, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 195 (204). 29
Siehe Voon/Yanovich, JWT 40 (2006), 239 (243).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
499
einträchtigen.30 Zur Behebung dieser Schwachstelle hat der Sutherland Report den in der Literatur immer eindringlicher vorgetragenen Vorschlag aufgenommen, dem Appellate Body die Rückverweisung an ein Panel zur neuerlichen Sachverhaltsklärung und rechtlichen Beurteilung nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Appellate Body zu ermöglichen.31
2. Leitende Grundsätze in der Beweiswürdigung Die Beweiswürdigung, also sowohl die Beurteilung der einem spezifischen Beweismittel zuzubilligenden Glaubwürdigkeit und seines Gewichts als auch die Gesamtwürdigung aller zum Nachweis einer Tatsache verfügbaren Beweise, ist Sache der Panels.32 Die Pflicht zur Würdigung ist nicht auf die von den Streitparteien vorgebrachten Beweismittel beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle dem Panel vorliegenden Beweismittel: “In carrying out this mandate, a panel has the duty to examine and consider all the evidence before it, not just the evidence submitted by one or the other party, and to evaluate the relevance and probative force of each piece thereof. … The determination of the significance and weight properly pertaining to the evidence presented by one party is a function of a panel’s appreciation of the probative value of all the evidence submitted by both parties considered together.”33 WTO-Panels sind in der Beweiswürdigung flexibel.34 Sie können jedes Beweismittel würdigen und ihm den Wert zumessen, den sie nach freier Beurteilung für richtig halten.35 Sie haben einen Ermessensspielraum 30
Mavroidis, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), Max Planck CWTL 2 (2006), Article 11 DSU, Rn. 16. 31
Sutherland u.a., The Future of the WTO, Addressing institutional challenges in the new millenium, Report by the Consultative Board to the DirectorGeneral Supachai Panitchpakdi (2004), 57. Siehe auch: Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (336). 32
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 132; DSB, Korea – Alcoholic Beverages (AB), Ziff. 161. 33
DSB, Korea – Dairy (AB), Ziff. 137.
34
Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 116. 35
Martha, Journal of International Arbitration 14 (1997), 67 (69).
500
Kapitel 8
(margin of discretion) in der Beurteilung des Gewichts, das sie einem Beweismittel zuschreiben.36 Es gilt damit der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. WTO-Panels haben dabei insbesondere eine formelle Abstufung des Beweiswerts einzelner Beweismittel abgelehnt. Dieser Grundregel folgte auch das Panel in Indonesia – Autos, auch wenn es im speziellen Fall angesichts der Verfügbarkeit sachnäherer Beweise andere für nicht beweiskräftig hielt. Es argumentierte, dass von den USA vorgelegte Informationen bezüglich der Existenz von Plänen zur Einführung neuer Automodelle auf dem indonesischen Markt zwar vorlägen, aber sehr allgemein seien und nur von Zeitungsartikeln und von Angaben interessierter Autohersteller gestützt würden. Das Panel stellt fest, dass “[t]his information, if properly developed and documented, might have been highly probative”. Es fährt fort: “We do not mean to suggest that in WTO dispute settlement there are any rigid evidentiary rules regarding the admissibility of newspaper reports or the need to demonstrate factual assertions through contemporaneous source information.”37 Jedoch seien die Beweise zu spärlich, um eine Aussage treffen zu können, was besonders unbefriedigend war, da “the affected companies certainly had at their disposal copious evidence in support of the claims of the complainants”. In seiner Beweiswürdigung berücksichtigte das Panel also, dass es dem Kläger und den von ihm vertretenen interessierten Unternehmen ein Leichtes gewesen wäre, überzeugendere und sachnähere Beweismittel vorzulegen. Dies kann sich dann anders darstellen, wenn eine Partei sich auf ähnliche Beweise beruft, um Aktivitäten der Industrie eines anderen Staates nachzuweisen, da solch „weiter entfernte“ Beweismittel dann die einzig erreichbaren sein könnten.38
V. Regionale Menschenrechtsgerichtshöfe Im Irish Case urteilte der EGMR, dass
36 DSB, EC – Asbestos (AB), Ziff. 161 sowie DSB, Brazil – Retreaded Tyres, Ziff. 7.51. 37 38
DSB, Indonesia – Autos, Ziff. 14.234.
Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 134.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
501
“the Court, being master of its own procedure and of its own rules (Article 55 of the Convention), has complete freedom of assessing not only the admissibility and the relevance but also the probative value of each item of evidence before it.”39 Auch hier gilt demnach der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Gleiches stellte der IAGMR im Velasquez Rodriguez-Fall fest: “The Court must determine what the standards of proof should be in the instant case. Neither the Convention, the Statute of the Court nor its Rules of Procedure speak to this matter. Nevertheless, international jurisprudence has recognized the power of the courts to weigh the evidence freely, although it has always avoided a rigid rule regarding the amount of proof necessary to support the judgment.”40 Zur Rationalisierung des Beweiswürdigungsprozesses zieht der IAGMR die sogenannte „sana critica-Regel“ heran,41 die im Englischen auch als „rule of sound criticism“ wiedergegeben wird.42 Sie entstammt dem spanischsprachigen Rechtsraum.43 Danach ist eine Begründung der Tatsachenentscheidung nach rational nachvollziehbaren Kriterien (insbesondere der Logik, der Psychologie und der Lebenserfahrung) notwendig.44 Sie unterscheidet sich damit nicht vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung wie er etwa im deutschen Recht Anwendung findet.45 Des Weiteren gilt, dass der IAGMR eine Gesamtwürdigung aller in allen Verfahrensabschnitten eingebrachten Beweise (des sogenannten „body of evidence“) vornimmt.46 Damit kann der Gerichtshof auch im 39
EGMR, Ireland v. United Kingdom (Application no. 5310/71), Urteil vom 18. Januar 1978, Ser. A vol. 25, 80 (Ziff. 210). 40
IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras, Urteil vom 29. Juli 1988, Ser. C No. 4, 134 f. (Ziff. 127). 41
Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights (2003), 190 m.w.N. 42
Zu einem frühen schiedsgerichtlichen Bezug auf die Regel („rules of sane criticism“) siehe: Walfish Bay Boundary Case, Schiedsspruch vom 23. Mai 1911, RIAA 11 (1961), 263 (302, Ziff. XLVI). 43
Schwonke/Tölg, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 593 (603). 44 45 46
Bovino, International Journal on Human Rights 2 (2005), 57 (66). Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 112, Rn. 3.
IAGMR, Mayagna (Sumo) Awas Tingni Community v. Nicaragua, Urteil vom 31. August 2001, Ser. C No. 79, Ziff. 98.
502
Kapitel 8
Hauptsacheverfahren auf Beweismittel zurückgreifen, die im Verfahren über die vorgängigen Einreden unterbreitet wurden.
VI. Internationale Strafgerichtshöfe Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt auch vor den internationalen Strafgerichtshöfen.47 So lautet Regel 63 Abs. 2 IStGH-VerfO: “A Chamber shall have the authority, in accordance with the discretion described in article 64, paragraph 9, to assess freely all evidence submitted in order to determine its relevance or admissibility in accordance with article 69.” Obwohl nicht in dieser Deutlichkeit ergibt sich dasselbe auch aus Regel 89 JStGH-VerfO.
VII. Schiedsgerichte Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt schließlich auch für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit. Frühe Entscheidungen wie der Walfish Bay Boundary-, Pinson- oder Shufeldt-Fall,48 einzelne Schiedsverträge,49 aber auch die Arbeit der ILC bestätigen dies.50 Die Verfahrensordnung der EECC bestimmt entsprechend in Art. 14 Abs. 2, dass die Kommission frei in ihrer Beweiswürdigung ist: “The Commission shall determine the admissibility, relevance, materiality and weight of the evidence offered.” In der sogenannten „Pre-Hearing Order“ des Schiedsgerichts für die Streitigkeit über die inter-entitäre Grenze im Brčko-Gebiet heißt es, dass “[t]he Tribunal is not bound to adhere to 47
May/Wierda, International Criminal Evidence (2002), 93 f.; La Rosa, Juridictions pénales internationales, La procédure et la preuve (2003), 371 f. 48
Walfish Bay Boundary Case, Schiedsspruch vom 23. Mai 1911, RIAA 11 (1961), 263 (302, Ziff. XLVI); Commission franco-mexicaine des réclamations, Georges Pinson (France) v. United Mexican States, Urteil vom 19. Oktober 1928, RIAA 5 (1952), 327 (413, Ziff. 44); Shufeldt Claim (US v. Guatemala), RIAA 2 (1949), 1079 (1083). 49
Z.B. Procedural Rules des Indo-Pakistan Western Boundary Case Tribunal, abgedruckt in Case Concerning the Indo-Pakistan Western Boundary (Rann of Kutch), Schiedsspruch vom 19. Februar 1968, RIAA 17 (1980), 1 (9). 50 Art. 18 Abs. 1 des ILC-Entwurfs zum Schiedsverfahrensrecht, ILC Yearbook 1958 II, 85.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
503
strict judicial rules of evidence. The probative force of evidence is for the Tribunal to determine.”51
VIII. Zusammenfassung Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt damit uneingeschränkt im internationalen Prozess, unabhängig davon, ob dies im gerichtskonstitutierenden Vertrag ausdrücklich vorgesehen ist.52 Er korrespondiert mit der grundsätzlichen Zulässigkeit aller Beweismittel im internationalen Prozess und gleicht gewissermaßen die aus der Sicht mancher nationaler Rechtsordnungen, die restriktivere Zulässigkeitsregelungen kennen, hierdurch entstehenden Ungewissheiten aus.53 Beweisregeln und Legalbeweise sind dem Völkerprozessrecht daher unbekannt. In seiner Beweiswürdigung ist der internationale Richter allerdings an die Gesetze der Logik und des gesunden Menschenverstandes gebunden und darf keine nicht nachvollziehbaren, willkürlichen oder irrationalen Schlüsse aus dem Beweismaterial ziehen.54 Anhaltspunkte für diesbe-
51
Arbitral Tribunal for Dispute over Inter-Entity Boundary in Brcko Area: Award in The Republika Srpska v. The Federation of Bosnia and Herzegovina (Control over the Brcko Corridor), Schiedsspruch vom 14. Februar 1997, ILM 36 (1997), 396 (403). 52
Guggenheim, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 2 (1951), 650; Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 535; Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 17; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 44; Negri, I principi generali del processo internazionale nella giurisprudenza della Corte internazionale di giustizia (2002), 94; Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (342). Siehe zur internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit auch auch ICSID, Asian Agricultural Products Ltd. (AAPL) v. Republic of Sri Lanka, Case No. ARB/87/3, Final Award, Schiedsspruch vom 27. Juni 1990, ICSID Review 6 (1991), 526 (549 f., Ziff. 56): “Rule (K)- ‘International tribunals are not bound to adhere to strict judicial rules of evidence’. As a general principle, the probative force of the evidence presented is for the Tribunal to determine’ … . Rule (L)- In exercizing the ‘free evaluation of evidence’ provided for under the previous Rule, the international tribunals ‘decided the case on the strength of the evidence produced by both parties’, and in case a party ‘adduces some evidence which prima facie supports his allegations, the burden of proof shifts to his opponent’ … .” 53 54
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (91). Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 409.
504
Kapitel 8
zügliche Kriterien finden sich in der Diskussion des Beweiswerts einzelner Beweismittel.55 Ebenso ist festzuhalten, dass sich die Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit der behaupteten Tatsachen aus der Gesamtheit aller dem Gericht vorliegenden Beweise schöpft. Dies betonte bereits Richter Huber im Island of Palmas-Fall.56
B. Das Beweismaß in Verfahren vor internationalen Gerichten I. Einführung Wie auch in den nationalen Rechtsordnungen stellt sich im internationalen Prozess die Frage, wann eine Tatsachenbehauptung vom Gericht oder Schiedsgericht als bewiesen, also als wahr erachtet werden kann.57 Die Frage danach, ob der Beweis gelungen ist, ist eine Frage des Beweismaßes.58 Das Beweismaß ist einerseits eng mit der Regelung der Beweislast verbunden: Schwierige Beweise können einer Partei um so eher aufgebürdet werden, je niedriger das Beweismaß ist.59 Auch hat das Beweismaß über die Beweislast Einfluss auf den Prozesserfolg einer Partei, weil von ihm abhängt, wie häufig eine Tatsache unerweislich bleibt, also eine non liquet-Situation eintritt, in der Beweislastnormen
55
Siehe unten C.
56
Island of Palmas case (Netherlands v. USA), Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA 2 (1949), 831 (841): “[The Arbitrator] must consider the totality of the allegations and evidence laid before him by the Parties, either motu proprio or at his request and decide what allegations are to be considered as sufficiently substantiated.” 57
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (93, Ziff. 6; 94, Ziff. 10); Kazazi, Burden of Proof (1996), 323. 58
Die entsprechende englische Terminologie ist „standard of proof“ oder „quantum of proof“. Bisweilen wird aber auch der Begriff des „burden of persuasion“ hierfür gebraucht, siehe Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (261). Im französischen Recht ist die Bezeichnung „critère de la preuve“ üblich. 59
Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht (2006), Rn. 694.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
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eingreifen:60 „Je geringer die Anforderungen an das Beweismaß, desto kleiner wird die Zahl der richterlichen Entscheidungen nach Beweislastgrundsätzen sein und umgekehrt.“61 Andererseits hängt es ebenso eng mit der Frage der richterlichen Intervention in den Tatsachenermittlungsprozess zusammen: Die Höhe des zumutbaren Beweismaßes wird auch davon mitbestimmt, wie stark die beweisbelastete Partei auf richterliche Mithilfe bei der Aufklärung zählen kann. Dass ein vor Prozessbeginn festgelegtes und den Parteien bekanntes und von ihnen auch erfüllbares Beweismaß erforderlich ist, ergibt sich bereits aus dem Recht auf ein faires Verfahren und aus dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit von Entscheidungen, der Rechtssicherheit sowie der Verpflichtung des Gerichts zur Begründung der Entscheidung. Dies gilt im nationalen62 wie internationalen63 Prozessrecht. Dennoch wird das Beweismaß in den meisten Entscheidungen internationaler Gerichte nicht eingehend diskutiert,64 noch ist es in den prozessrechtlichen Instrumenten näher angesprochen.65 Vor diesem Hintergrund ist problematisch, die „Überzeugung des Gerichts“ ohne jegliche Spezifizierung als ausreichendes Kriterium im internationalen Verfahren anzusehen,66 jedenfalls dann, wenn hiermit nicht klar die volle Überzeugung von der Wahrheit einer Tatsache, sondern eine nicht weiter spezifizierte subjektive Einstellung gemeint ist. Auch kann es nicht befriedigen, dass internationale Gerichte nicht nur 60
Katzenmeier, Arzthaftung (2002), 505; Bajons, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 815 (817, 830); Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht (1983), 275. 61
Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 66. Zust. Musielak, ZZP 100 (1987), 385 (406); Katzenmeier, ZZP 117 (2004), 187 (190); Clermont/Sherwin, AJCL 50 (2002), 243 (248). 62
Siehe nur Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), Rn. 149; Katzenmeier, ZZP 117 (2004), 187 (189). 63 Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (360); Ähnlich: Walker, Cornell ILJ 31 (1998), 251 (312): “The proper standard of proof should be a matter of law binding upon all panels, not decided by individual panels on a case-by-case or issue-by-issue basis.” Kazazi, Burden of Proof (1996), 323. 64
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 232.
65
Die Parteien können sich aber im Voraus auf ein Beweismaß einigen: Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (354). 66
Valencia-Ospina, ILF 1 (1999), 202 (203). So auch: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 233; Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (263 f.).
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in der Zulassung von Beweismitteln und der Beweiswürdigung, sondern auch in der Frage der Bestimmung des Beweismaßes freies Ermessen haben sollen.67 Dennoch scheinen internationale Gerichte, insbesondere der IGH, die Frage bisher bewusst offen gelassen zu haben, um sich ihrer Flexibilität nicht zu begeben.68 Das Erfordernis der Transparenz in Beweismaßfragen bedeutet hingegen nicht zwingend, dass es ein für alle Fälle einheitlich geltendes Beweismaß geben muss. Die Frage des erforderlichen Beweismaßes kann für verschiedene Arten des Rechtsschutzes durchaus unterschiedlich zu beantworten sein.69 Im nationalen Recht wie auch im Völkerprozessrecht stellen sich beispielsweise unterschiedliche Probleme bei der Tatsachenbeurteilung im einstweiligen Rechtsschutz einerseits und dem Hauptsacheverfahren andererseits. Hinzu kommt, dass bei vielen internationalen Gerichten und Schiedsgerichten Fragen der Zuständigkeit und Zulässigkeit eine besondere Rolle spielen, bezüglich derer zuweilen gar ein getrenntes Vorverfahren durchgeführt wird. Auch hier können prozessuale Eigenheiten zu einer angepassten Beweismaßregelung führen. Angesichts der Verknüpfung von materiellem und Prozessrecht ist weiterhin zu bedenken, dass die streitgegenständliche Rechtsmaterie allgemein und die spezielle materielle Rechtsnorm Einfluss nicht nur auf Art und Umfang der gerichtlichen Ermittlungskompetenzen, sondern auch auf die Festlegung des Beweismaßes haben können.
II. Rechtsvergleichende Aspekte In den nationalen Prozessrechtsordnungen wird zwischen Beweiswürdigung, Beweismaß und Beweislast klar getrennt. So bezeichnet das Beweismaß das Maß der Wahrscheinlichkeit, das erreicht werden muss, damit eine Behauptung vom Gericht als wahr erachtet werden darf und muss.70 Gemeinsam ist allen Rechtsordnungen dabei, dass der Nachweis der vollen (oder objektiven) Wahrheit nicht gefordert wird, sondern 67
So aber: Schwarzenberger, International Law as Applied by International Courts and Tribunals, Bd. 4 (1986), 643. Ähnlich: Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 441. 68 69 70
Riddell, LJIL 20 (2007), 405 (418 f.); Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (263). Für die WTO: Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (360).
Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), 74; Andrews, English Civil Procedure (2003), 722; Phipson on Evidence (2005), 125.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
507
diese allenfalls den Grenzwert richterlicher Erkenntnismöglichkeit bildet. Im Einzelnen unterscheiden sich die nationalen Rechtsordnungen jedoch in ihrer Festlegung des Beweismaßes.
1. Das Beweismaß im deutschen Recht In Deutschland schließt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nicht die Befugnis des Richters ein, frei darüber zu entscheiden, welche Anforderungen für den Beweis einer Tatsache zu stellen sind.71 Dieses Maß ist dem Richter von Gesetzes wegen vorgegeben. Für alle Rechtsgebiete fordern Rechtsprechung und Schrifttum im Regelfall die volle richterliche Überzeugung von der Wahrheit einer tatsächlichen Behauptung. Wie diese näher zu bestimmen ist, ist strittig. Die Rechtsprechung verwendet unterschiedliche Formulierungen wie einen „jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Grad von Wahrscheinlichkeit“,72 die „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“73 oder den „für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit […], der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen“.74 Ein in der Literatur vorgeschlagenes geringeres Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit75 hat sich nicht durchsetzen können. Grund hierfür waren Bedenken, die Haftung könnte ausufern sowie ein solches Beweismaß sei nicht mit dem Wortlaut des § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO sowie der Gesetzessystematik (§§ 287, 294 ZPO) zu vereinbaren.76 In der Praxis bestehen jedoch wohl keine gravierenden Unterschiede zwischen den Auffassungen.77
71 72 73 74
Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), 76 f. BGHZ 18, 311 (318). RGSt 51, 127. BGHZ 53, 245 (256); BGH, VersR 1959, 632.
75
Maassen, Beweismaßprobleme im Schadensersatzprozeß (1975), 54 ff.; Bruns, Zivilprozessrecht (1979), Rn. 168. 76
Katzenmeier, ZZP 117 (2004), 187 (201 f.); ders., Arzthaftung (2002), 519 ff. 77
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 112, Rn. 15.
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2. Das Beweismaß im französischen Recht Das Beweismaß ist im französischen Zivilrecht nicht gesetzlich fixiert78 und wird meist weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur thematisiert. Es gilt die „intime conviction“, wie sie in Art. 427 Abs. 1 des Code de procédure pénal normiert ist. Diese volle Überzeugung des Richters erfordert eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung.79
3. Das Beweismaß im englischen Recht Das englische Recht kennt im Wesentlichen zwei Beweismaße: das der überwiegenden Wahrscheinlichkeit („balance of probabilities“) und das der jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit („proof beyond reasonable doubt“). In zivilrechtlichen Fällen gilt grundsätzlich das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.80 Dies bedeutet, „that a court is satisfied an event occurred if the court considers that, on the evidence, the occurrence of an event was more likely than not.“81 Bei besonders schwerwiegenden Rechtsverstößen soll nach Auffassung einiger Literaturstimmen ein höheres Beweismaß gelten.82 Nach der wohl überwiegenden Auffassung ändert sich hier jedoch nicht etwa das Beweismaß, sondern die Anforderungen an die Verlässlichkeit des Beweismaterials bzw. die Sorgfalt der Beweiswürdigung:83 “When assessing the probabilities the court will have in mind as a factor, to whatever extent is appropriate in the particular case, that the more serious the allegation the less likely it is that the event oc-
78
Brinkmann, Das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht (2005), 58. 79
Clermont/Sherwin, AJCL 50 (2002), 243 (250).
80
King’s Bench Division, Miller v. Minister of Pensions [1947] 2 All ER 372 (374), per Denning J: „reasonable degree of probability“; House of Lords, Bonnington Castings Ltd v. Wardlaw [1956] 1 All ER 615 (618) per Lord Reid; Zuckerman, Civil Procedure (2003), 653; Phipson on Evidence (2005), 154. 81
House of Lords, In Re H. and Others (Minors) (Sexual Abuse: Standard of Proof), [1996] AC 563 (586), per Lord Nicholls. 82
Halsbury’s Laws of England, Evidence, Bd. 17 (1) (2002), 201 (223, Ziff.
426). 83
(568).
Zuckerman, Civil Procedure (2003), 654; Thienel, GYIL 50 (2008), 543
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
509
curred and, hence, the stronger should be the evidence before the court concludes that the allegation is established on the balance of probability. … [T]his does not mean that where a serious allegation is in issue the standard of proof required is higher. It means only that the inherent probability or improbability of an event is itself a matter to be taken into account when weighing the probabilities and deciding whether, on balance, the event occurred.”84 Die Unwahrscheinlichkeit der Wahrheit eines schwerwiegenden Vorwurfs ist damit lediglich Teil des Beweiswürdigungsvorgangs und beeinflusst die Anforderungen an das Beweismaterial.85 Beide Ansichten unterscheiden sich der Sache nach jedoch wohl kaum, da es schwierig ist, zwischen einem erhöhten Beweismaß und dem Erfordernis verlässlicherer Beweise zu unterscheiden.86 Dies läuft letzten Endes auf ein flexibles Beweismaß hinaus, das sich nach den Umständen des Einzelfalles richtet und pragmatisch gehandhabt wird.87 Entscheidend ist, dass die überwiegende Ansicht in der Literatur und soweit ersichtlich auch die Praxis das Maß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nicht im Sinne einer rein mathematisch-statistischen Größe versteht, sondern vielmehr stets auf das Maß der persönlichen Überzeugung des Richters oder der Jury von der Existenz oder dem Nichtvorhandensein einer Tatsache abstellt (subjektiver Wahrschein-
84
House of Lords, In Re H. and Others (Minors) (Sexual Abuse: Standard of Proof) [1996] AC 563 (586), per Lord Nicholls. Siehe auch: House of Lords, Secretary of State for the Home Department v Rehman [2001] 3 WLR 877 (895 f., Ziff. 55), per Lord Hoffmann; Queen’s Bench Division, Hornal v Neuberger Products Ltd. [1957] 1 Q.B. 247 (266), CA, per Morris L.J.: “[T]he very elements of gravity become a part of the whole range of circumstances which have to be weighed in the scale when deciding as to the balance of probabilities”. 85
Williams, Sydney LR 25 (2003), 165 (185) für das australische Recht.
86
Phipson on Evidence (2005), 155: „logical difficulty of requiring more cogent evidence to prove fraud, but still holding that the allegation must be proved on a balance of probabilities“. Siehe auch: Brinkmann, Das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht (2005), 35, der schlussfolgert, dass die Diskussion um das flexible Beweismaß im englischen Prozess nicht überbewertet werden sollte. 87 Gottwald, in: FS-Henrich (2000), 165; Brinkmann, Das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht (2005), 33 ff.
510
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lichkeitsbegriff).88 Es kommt daher darauf an, dass der „trier of fact“ zu dem Ergebnis kommt, dass die Behauptungen der beweisbelasteten Partei der überwiegenden Wahrscheinlichkeit nach wahr sind.
4. Das Beweismaß im US-amerikanischen Recht Das US-amerikanische Zivilprozessrecht kennt grundsätzlich drei verschiedene Beweismaße:89 die im Zivilverfahren Anwendung findende „preponderance of probabilities“ als niedrigstes Beweismaß,90 die volle richterliche Überzeugung im Strafverfahren („proof beyond reasonable doubt“) und einen dazwischen liegenden Grad des „clear and convincing evidence“. Das Regelbeweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit basiert auf Erwägungen der Fehlerminimierung und damit der Vermeidung von Fehlentscheidungen.91 Der Zwischengrad der hohen Wahrscheinlichkeit kommt in Verfahren zur Anwendung, die zwar keine strafrechtliche Verurteilung einer Person, aber einen vergleichbar schwerwiegenden Eingriff in die Rechte einer Person zum Gegenstand haben,92 wenn die Vorwürfe besonders gravierend sind oder es sich um nach allgemeiner Lebenserfahrung besonders außergewöhnliche Geschehensabläufe handelt.93 Ebenso wie im englischen Recht betrifft das Beweismaß die subjektive Überzeugung des „trier of fact“, ist also nicht im Sinne einer mathematisch-statistischen Wahrscheinlichkeit zu verstehen.
5. Ergebnis Während die Formulierungen des Beweismaßes in strafrechtlichen Verfahren sowohl im common law als auch in kontinentaleuropäisch geprägten Rechtsordnungen ähnlich sind, bestehen in zivilrechtlichen 88
Brinkmann, Das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht (2005), 25, 29. 89 90
Clermont/Sherwin, AJCL 50 (2002), 243 (251). Böhm, Amerikanisches Zivilprozessrecht (2005), Rn. 563.
91
Clermont/Sherwin, AJCL 50 (2002), 243 (252 f.); Katzenmeier, ZZP 117 (2004), 187 (200). 92 93
James, Virginia Law Review 47 (1961), 51 (54).
Brinkmann, Das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht (2005), 33.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
511
Streitigkeiten zumindest in der Theorie erhebliche Unterschiede.94 Freilich wird der bloße Wortlautvergleich der Beweismaßdefinitionen in den einzelnen Zivilprozessordnungen zu verzerrten Ergebnissen führen.95 In der Praxis sind die Unterschiede wohl geringer als der Vergleich der theoretischen Grundlagen es vermuten ließe.96 Als gemeinsamer Ausgangspunkt der verglichenen Rechtsordnungen lässt sich festhalten, dass es immer auf die subjektive Überzeugung des Tatsachenfeststellenden von der Wahrheit der umstrittenen Behauptung ankommt, nicht etwa auf eine objektive mathematisch-statistische Wahrscheinlichkeit. Dennoch gestaltet sich angesichts der unterschiedlichen Behandlung der Frage des Beweismaßes in den nationalen Rechtsordnungen die Kristallisierung allgemeiner Rechtsgrundsätze in diesem Bereich schwierig. Denn die Stärke oder der Grad der Überzeugung von der Tatsache (vernünftige überwiegende Wahrscheinlichkeit, volle Überzeugung) unterscheiden sich jedenfalls in der Theorie stark voneinander.97 Da auch die prozessualen Texte internationaler Gerichte hierzu schweigen, kommt der Rechtsquelle des Richterrechts besondere Bedeutung zu.
94
Clermont/Sherwin, AJCL 50 (2002), 243 (246 und 254): Die Unterschiede seien „deep and evident“. 95 Gottwald, in: FS-Henrich (2000), 165 (175); Brinkmann, Das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht (2005), 60 mit diesbezüglicher Kritik an Clermont/Sherwin, AJCL 50 (2002), 243. 96
So stellt Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (379) fest, dass Schiedsrichter aus verschiedenen Rechtskreisen fast ausnahmslos zu denselben Ergebnissen bei der Beweiswürdigung kommen. Ähnlich Marriott, Arbitration International 5 (1989), 280 (282) und Reiner, Arbitration International 10 (1994), 328 (335), der als gemeinsames Beweismaß das der überwiegenden Wahrscheinlichkeit annimmt. Für das Völkerprozessrecht ebenso: Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (354). 97
Ähnlich: Thienel, GYIL 50 (2008), 543 (571). Siehe aber Brinkmann, Das Beweismaß im Zivilprozess aus rechtsvergleichender Sicht (2005), 61 ff., der eine rechtskreisübergreifende einheitliche Theorie des Beweismaßes entwickelt.
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III. Untersuchung der Rechtsprechung internationaler Gerichte zum Beweismaß 1. Internationaler Gerichtshof Im Nicaragua-Fall heißt es, dass “it is clear that general principles of judicial procedure necessarily govern the determination of what can be regarded as proved.”98 Bisher hat der IGH jedoch noch nicht abschließend erläutert, welche diese „allgemeinen Grundsätze des Verfahrensrechts“ seien, nach denen zu beurteilen ist, was als bewiesen angesehen werden kann. Stattdessen war seine Rechtsprechung jedenfalls bis in die jüngste Vergangenheit noch davon gekennzeichnet, dass das Beweismaß entweder nicht offen gelegt oder nur einzelfallbezogen festgelegt wurde.99 Mitunter wird die Möglichkeit eines einheitlich geltenden Beweismaßes in Verfahren vor dem IGH überhaupt abgelehnt. So bemerkte Richter Shahabuddeen in einem Sondervotum im Maritime Delimitation-Fall: “Generally speaking, the standard of proof varies with the character of the particular issue of fact.”100 Dass das Beweismaß von der zu beweisenden Tatsache abhängig sein soll, ist indes nicht überzeugend. Akzeptiert man die Möglichkeit eines flexiblen Beweismaßes, so scheint eine Differenzierung des Beweismaßes anhand der materiellen Rechtsnorm, deren Tatbestandsmerkmale zu beweisen sind, dogmatisch überzeugender. Dies entspricht der Differenzierung der Gerichtskompetenzen in der Tatsachenermittlung nach der streitentscheidenden Norm. Auch geht der IGH, wie im Weiteren dargelegt wird, durchaus von einer allgemeingültigen Regel aus.
98
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (40, Ziff. 60) (Hervorh. d. Verf.); Frowein, in: Dupuy, Manuel sur les organisations internationales (1998), 153 (190). 99
Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (124); Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (263 f.). 100
IGH, Maritime Delimitation and Territorial Questions between Qatar and Bahrain (Qatar v. Bahrain), Urteil vom 15. Februar 1995, diss. op. Shahabuddeen, ICJ Rep. 1995, 51 (63).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
513
(a) Grundregel Weder im Statut des StIGH noch des IGH finden sich ausdrückliche und eindeutige Regelungen zum Beweismaß.101 Lediglich Art. 53 IGHStatut, der streng genommen nur im Säumnisverfahren gilt, regelt in seinem zweiten Absatz, dass der Gerichtshof sich vergewissern muss, dass die Anträge tatsächlich und rechtlich begründet („well founded“) sind. Dies interpretierte der IGH im Nicaragua-Fall als Ausdruck des einschlägigen Standards in allen streitigen Verfahren.102 Diese einheitliche Handhabung überzeugt, da die säumige Partei weder bevorteilt noch benachteiligt werden soll.103 Auch Art. 53 IGH-Statut sagt freilich nichts über ein konkretes Beweismaß aus.104 Nach dem Urteil des IGH im Nicaragua-Fall müssen „überzeugende Beweise“ („convincing evidence“) die Behauptungen des Klägers stützen.105 Ebenfalls von „convincing evidence“ spricht der IGH im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall.106 Dabei bleibt freilich fraglich, welcher Grad an Überzeugung notwendig ist. Daneben hat der IGH aber auch bisweilen den Begriff „conclusive evidence“ verwendet.107 Die zitierte Formulierung des IGH im Nicaragua-Fall („convincing evidence“) wird auch als gegenüber der überwiegenden Wahrscheinlichkeit höheres Beweismaß
101 102 103
Siehe auch: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (124). IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (24, Ziff. 29). Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 145.
104
Wohl deshalb scheinbar gegen eine Einordnung des Art. 53 IGH-Statut als Beweismaßnorm: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 245. 105
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (24, Ziff. 29): “The use of the term ‘satisfy itself’ in the English text of the Statute (and in the French text the term ‘s’assurer’) implies that the Court must attain the same degree of certainty as in any other case that the claim of the party appearing is sound in law, and, so far as the nature of the case permits, that the facts on which it is based are supported by convincing evidence.” (Hervorh. d. Verf.). Siehe aber Mosler, in: FS-Schlochauer (1981), 439 (456), der von „verminderter Beweislast“ im Säumnisverfahren spricht. 106
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (208, Ziff. 83; 209, Ziff. 91; 241, Ziff. 210; 249, Ziff. 237). Dazu: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (126). 107
Z.B. IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (268, Ziff. 303) und IGH, Corfu Channel (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (17).
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interpretiert.108 Dies hängt mit dem im US-amerikanischen Recht anerkannten Beweismaß des „clear and convincing evidence“ zusammen, das zwischen der überwiegenden Wahrscheinlichkeit und der vollen Überzeugung steht. Neben den bereits zitierten Ansichten in der Literatur, die das einschlägige Beweismaß unter Bezug auf die neuere Rechtsprechung des IGH als „clear and convincing evidence“ ansehen, interpretieren andere Literaturstimmen das IGH-Statut und die Rechtsprechung unterschiedlich. So hält Dumbauld vollkommen überzeugende Beweise („absolutely convincing proof“) für die Tatsachenfeststellung in Endurteilen für nötig.109 Dieses sehr hohe Beweismaß erinnert an das Maß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit („proof beyond reasonable doubt“), das ebenfalls in dieser Form befürwortet wird.110 Dagegen steht die Aussage von Richter Lauterpacht im Application of the Genocide Convention-Fall: Da zwischenstaatliche Streitigkeiten nicht die Strafbarkeit von Individuen betreffen, sei das Beweismaß „beyond reasonable doubt“ nicht anwendbar. Im konkreten Fall folgerte er aus der Tatsache, dass sich der größte Teil der relevanten Beweismittel auf dem Territorium des Beklagten befände, dass das Beweismaß sich auf „appropriate evidence“ reduziere, allerdings (und unter dem Gesichtspunkt der Beweiserleichterung wegen asymmetrischer Informationsverteilung inkonsequent) auch für den Beklagten.111 Wieder andere halten das Maß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für einschlägig.112 In der Zusammenschau der Hinweise aus Rechtsprechung und Literatur ist vorsichtig dahingehend zu resümieren, dass als Standardbeweis108
O’Connell, JCSL 7 (2002), 19 (24). Ähnlich: Robertson, ICLQ 39 (1990), 191 (196): „intermediate standard of proof“. Auch: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (126) in Bezug auf den Oil Platforms-Fall. 109
Dumbauld, Interim measures of protection in international controversies (1932), 161. 110
Dobry, Transactions of the Grotius Society 44 (1958/1959) 63 (70); Kazazi, Burden of Proof (1996), 351. 111
IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Lauterpacht, ICJ Rep. 1993, 407 (423 f., Ziff. 44 f.). 112 Van den Wijngaert, International Commentary on Evidence 4 (2006), Article 7, 2: “[T]he ICJ as a fact finder in a ‘civil case’ can decide a fact to be established upon a balance of probabilities.”; dies., ASIL Proc. 100 (2006), 63 (66). Siehe auch: IGH, Case concerning the Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador v. Honduras: Nicaragua Intervening), Urteil vom 11. September 1992, ICJ Rep. 1992, 351 (506, Ziff. 248): „balance of probabilities“.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
515
maß das der überzeugenden Beweise im Sinne der Zwischenstufe des US-amerikanischen Rechts („clear and convincing evidence“) besonders in neuerer Zeit und insbesondere in der Rechtsprechung des IGH angenommen wird.
(b) Erhöhtes Beweismaß bei schwerwiegenden Rechtsverletzungen Im Corfu Channel-Fall hatte der IGH die Frage zu entscheiden, ob ein für den Schaden an zwei britischen Kriegsschiffen ursächliches Minenfeld mit der Duldung oder zumindest dem Wissen Albaniens von jugoslawischen Kriegsschiffen gelegt worden war. Dazu führte der Gerichtshof aus, dass die erhobenen Vorwürfe der Kollusion zwischen Jugoslawien und Albanien und deren Verantwortlichkeit für das Legen der Minen von solch außergewöhnlicher Schwere seien, dass zu ihrem Nachweis ein (erhöhter) Grad der Gewissheit nötig sei, der gegenwärtig nicht erreicht worden war.113 Dies ist als Beweismaß der „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ interpretiert worden,114 das insbesondere aus der internationalen Strafgerichtsbarkeit in der Form des „proof beyond reasonable doubt“ bekannt ist.115 Eine Stütze findet diese Auslegung im Sondervotum des Richters Krylov. Dieser argumentierte, dass ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit für die Etablierung der Staatenverantwortlichkeit vonnöten sei, da ein solcher Fall regelmäßig die Ehre eines Staates als Völkerrechtssubjekt und seine Position in der Staatengemeinschaft betreffe.116 Allerdings spricht die maßgebliche französische Fassung nur von „force probante suffisante“,117 so dass eine Gleich-
113
IGH, Corfu Channel (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (17). Ein Zeuge hatte angegeben, gesehen zu haben, wie Minen kurz vor dem fraglichen schädigenden Ereignis auf zwei jugoslawische Kriegsschiffe verladen wurden, die unmittelbar nach dem Vorfall wieder einliefen. 114
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 236.
115
Schabas, The UN International Criminal Tribunals (2006), 463; Kreß, in: Grützner/Pötz (Hrsg.), Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen (2002), Vor III 26, Rn. 169. 116
IGH, Corfu Channel Case (Merits), diss. op. Krylov, ICJ Rep. 1949, 68 (69). Er lehnte die Verurteilung eines Staates basierend auf Indizienbeweisen wie im konkreten Fall geschehen ab. 117
Darauf weist hin: Gattini, JICJ 5 (2007), 889 (896).
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setzung des Beweismaßes mit dem in strafrechtlichen Verfahren einschlägigen fernliegt.118 Die Regel, nach der das Beweismaß für schwerwiegende Rechtsverletzungen erhöht sei, hat der IGH in der Folge zunächst nur vereinzelt aufgegriffen, fand hierfür aber Zustimmung in der Literatur.119 Mit steigender Schwere der behaupteten Rechtsverletzung müsse die richterliche Überzeugung stärker ausgeprägt sein, damit eine Tatsache als bewiesen angesehen werden kann.120 Dieses flexible oder abgestufte Beweismaß erinnert an die britische und US-amerikanische Rechtslage.121 Endgültige Anerkennung erfuhr das differenzierte Beweismaß jedoch erst 2007 im Urteil des IGH im Genocide-Fall. Dort führt der Gerichtshof nunmehr unmissverständlich aus: “The Court has long recognized that claims against a State involving charges of exceptional gravity must be proved by evidence that is fully conclusive (cf. Corfu Channel (United Kingdom v. Albania), Judgment, I.C.J. Reports 1949, p. 17). The Court requires that it be fully convinced that allegations made in the proceedings, that the crime of genocide or the other acts enumerated in Article III have been committed, have been clearly established. The same standard applies to the proof of attribution for such acts.”122 118
So auch: Thienel, GYIL 50 (2008), 543 (572 f.).
119
Zustimmend auch IGH, Maritime Delimitation and Territorial Questions between Qatar and Bahrain (Qatar v. Bahrain), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 15. Februar 1995, diss. op. Shahabuddeen, ICJ Rep. 1995, 51 (63): “A higher than ordinary standard may, for example, be required in the case of a charge of ‘exceptional gravity against a State’.” Ebenfalls in diese Richtung: Nollkaemper, ICLQ 52 (2003), 615 (630): “Holding a state responsible for genocide or crimes against humanity … should not be based on unrebutted statements of fact by an injured state. There must be a difference between the standard of proof required for showing a minor injury to a foreign investor and a claim for genocide … .” 120 IGH, Oil Platforms Case (Merits), sep. op. Higgins, ICJ Rep. 2003, 225 (234, Ziff. 33). Zustimmend: IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, diss. op. Kateka, ICJ Rep. 2005, 361 (374, Ziff. 43; 376, Ziff. 51). Siehe aber auch Loucaides, in: FS-Velu, Bd. 3 (1992), 1431 (1433, Fn. 5): “The view that the degree of proof required varies directly with the seriousness of the violation complained of is a suspect doctrine without any concrete legal foundation.” 121 122
Siehe oben II. 3. und 4. IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 209 (Hervorh. d. Verf.).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
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Für die Verantwortlichkeit für Völkermord verlangt der IGH demnach die volle richterliche Überzeugung. Dies ist nicht von vorneherein mit dem Beweismaß des „beyond reasonable doubt“ gleichzusetzen, was bereits daraus hervorgeht, dass Serbien die Anwendung genau dieses Maßes in den Schriftsätzen und der mündlichen Verhandlung gefordert hatte,123 der Gerichtshof dieses jedoch nicht aufgriff.124 Eine Unterscheidung zwischen beiden Standards ist jedoch schwierig. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen die Pflicht, Völkermord zu verhindern oder Verantwortliche zu bestrafen oder auszuliefern (Art. I, VI, VII der Völkermordkonvention), verlangt der Gerichtshof hingegen „proof at a high level of certainty appropriate to the seriousness of the allegation“.125 Hierbei scheint es sich um ein niedrigeres Beweismaß als dem der vollen Überzeugung zu handeln.126 An anderer Stelle im Urteil spricht er von „präzisen und unwiderlegbaren“ Beweisen („precise and incontrovertible evidence“).127 Angesichts der Kritik an dieser Rechtsprechung128 besteht Anlass, nach dem Regelungszweck zu fragen, die hinter einer solchen Beweismaßerhöhung bei schweren Völkerrechtsverletzungen stehen könnte. Zu123
Ebd., Ziff. 208.
124
Dazu: Meyer, HRRS 2007, 218 (225). Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (127 f.) interpretiert den Begriff „fully conclusive“ als dem Maß des „clear and convincing evidence“ entsprechend. Auch Ascensio, RGDIP 111 (2007), 285 (296 f.) ordnet dieses Beweismaß als leicht unter dem für die internationale Strafgerichtsbarkeit geltenden Maß des „beyond reasonable doubt“ ein. Ähnlich: Thienel, GYIL 50 (2008), 543 (573 f.). Beispiel für die Anwendung des „beyond reasonable doubt“-Standards ist jedoch: IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 422. Für eine solche Auslegung auch: Alvarez, ASIL Newsletter 23 (2) (2007), 1; Breuker, Griffin’s View 8 (2007), 39 (58): “[T]he Court adapted its standard of proof to a level that does not seem to differ significantly from the criminal law standard … .” 125
IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 210. Siehe dazu auch: Oellers-Frahm, Vereinte Nationen 55 (2007), 163 (164). 126 127 128
Meyer, HRRS 2007, 218 (226, Fn. 76). IGH, Genocide Case (Merits), Urteil vom 26. Februar 2007, Ziff. 417.
Ruth Wedgwood, Slododan Milosevic’s Last Waltz, New York Times vom 12. März 2007, S. A23 und Antonio Cassese, A Judicial Massacre – The international court has set an unrealistically high standard of proof for finding Serbia complicit in genocide, abrufbar unter . Zustimmend jedoch: Breuker, Griffin’s View 8 (2007), 39 (56).
518
Kapitel 8
nächst kommt ihre Rechtfertigung mit Hinblick auf den erhöhten Schutz der Souveränität (in den Worten von Richter Krylov: die „Staatenehre“) des betroffenen Staates in Betracht. Daneben kann man an die – inzwischen freilich aufgegebene – Differenzierung der ILC zwischen einfachen Völkerrechtsverstößen und Staatenverbrechen (oder völkerrechtlichen Staatsverbrechen) erinnern (siehe jetzt Art. 40 und 41 ILC Art. zur Staatenverantwortlichkeit). Diese Unterscheidung wurde eingeführt, um zwischen den Rechtsfolgen „gewöhnlicher“ Völkerrechtsverletzungen und Verstößen gegen grundlegende Interessen der internationalen Gemeinschaft zu unterscheiden.129 Die Behauptung schwerwiegender Völkerrechtsbrüche könnte demnach eine dem nationalen Strafrecht entsprechende „Unschuldsvermutung“ zugunsten des beschuldigten Staates und damit eine Beweismaßerhöhung auslösen.130 Mit Blick auf den Vorwurf des Völkermords kann man auch bedenken, dass Völkermord auch dann, wenn es um Staatenverantwortlichkeit und nicht individuelle strafrechtliche Haftung geht, immer noch ein Verbrechen darstellt, für dessen Nachweis ein besonders hohes Beweismaß erforderlich ist.131 Eine solche Parallele überzeugt jedoch nicht. Die Unschuldsvermutung und das erhöhte Beweismaß in strafrechtlichen Fällen begründen sich vor allem grund- bzw. menschenrechtlich.132 Als Grund bleibt demnach die besondere Stigmatisierung des Staates bei einer Verurteilung wegen eines schwerwiegenden Völkerrechtsbruches.133 Weiterhin muss man sich vergegenwärtigen, dass es sich bei schweren Völkerrechtsverstößen oft um Verstöße gegen ius cogens und andere 129 Siehe Art. 19 des Entwurfs von 1996, abgedruckt in Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, Introduction, Text and Commentaries, Cambridge (2002), 17. 130 So wörtlich: IGH, Corfu Channel Case (Merits), diss. op. Ečer, ICJ Rep. 1949, 115 (119 f.): “I consider therefore that in international law there is a presumption in favour of every State, corresponding very nearly to the presumption in favour of the innocence of every individual in municipal law.” Auf S. 120 nimmt er Bezug auf den Grundsatz in dubio pro reo. Ähnlich: AmericanVenezuelan Mixed Claims Commission, Gage case, in: Jackson H. Ralston, Venezuelan Arbitrations of 1903 (1904), 164 (167). 131
Milanović, EJIL 17 (2006), 553 (595), der mit Hinblick auf die Rechtssicherheit auch vor divergierenden Entscheidungen des JStGH und des IGH warnt. Ebenso: Jørgensen, The Responsibility of States for International Crimes (2000), 268. 132 133
Etwa: Art. 6 Abs. 2 EMRK. Breuker, Griffin’s View 8 (2007), 39 (57).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
519
Normen handelt, die dem Schutz von Gemeinschaftsinteressen dienen. Der Staat wird beschuldigt, eine zentrale Norm des internationalen ordre public verletzt zu haben. Die Effektivität der Durchsetzung solcher zentraler Normen kann unter einem besonders hohen Beweismaß leiden.134 Folgt man daher der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des IGH und setzt das Beweismaß für den Nachweis eines besonders schwerwiegenden Rechtsbruchs sehr hoch an, um Staaten gerade in diesem Bereich vor unrichtigen Entscheidungen zu schützen, wird man nicht umhin kommen, als Ausgleich für den erhöhten Schutz und die damit verbundene Schwächung der Durchsetzung von Allgemeininteressen weiter reichende Tatsachenermittlungskompetenzen und evtl. -pflichten des Gerichts anzuerkennen. Die Möglichkeit einer solchen Auslegung der Tatsachenermittlungsbefugnisse internationaler Gerichte ist bereits begründet worden.135 Diese Abwägung hat der der IGH im Völkermordfall nicht vorgenommen und zwar an den Nachweis der Völkerrechtsverletzung hohe Anforderungen gestellt, seine eigene Verantwortung für eine Aufklärung der Tatsachen – auch auf entsprechende Beweisanträge Bosniens hin – jedoch nicht uneingeschränkt wahrgenommen.136 Eine Vorlegung derjenigen Dokumente, die nach der Argumentation Bosnien-Herzegowinas eine Verbindung zwischen der Regierung Restjugoslawiens und der Führung der Republika Srpska hätten beweisen können, ordnete der Gerichtshof weder an, noch zog er negative Rückschlüsse auf den Inhalt der Dokumente zu Lasten Serbiens, wie es der Kläger verlangt hatte.137 Stattdessen verwies der IGH Bosnien-Herzegowina darauf, dass auch ohne Intervention des Gerichtshofes umfangreiche Beweismaterialien zu dessen Verfügung stünden.138 Die Kombination aus der Forderung eines hohen Beweismaßes, der Belassung der Beweislast bei Bosnien trotz offenbarer Beweisschwierigkeiten und der Weigerung, die Vorlage der Dokumente anzu-
134
Ähnlich: Ascensio, RGDIP 111 (2007), 285 (297), der von einem „effet pervers de la distinction établie dans les Articles de la CDI sur la responsabilité de l’Etat entre les obligations découlant de normes impératives du droit international général gravement violées et les autres obligations“ spricht. 135
Kapitel 4 E. III.
136
Berechtigte Kritik daher bei Meyer, HRRS 2007, 218 (226 f.) und Breuker, Griffin’s View 8 (2007), 39 (77): „inconsistent approach“. 137 138
Siehe dazu Kapitel 5 B. II. 2. (a). IGH, Genocide Case (Merits), Urteil vom 26. Februar 2007, Ziff. 206.
520
Kapitel 8
ordnen, lassen an der Legitimität der Entscheidung Zweifel aufkommen.139 Befürwortet man ein erhöhtes Beweismaß für den gerichtlichen Nachweis eines Verstoßes gegen eine zentrale Völkerrechtsnorm, muss man konsequenterweise ein ebenso strenges Maß anlegen, wenn ein Staat sich auf einen Rechtfertigungsgrund beruft, um die Abweichung von einer dem internationalen ordre public zugehörigen Norm zu verteidigen. Bestes Beispiel ist das Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 VN-Charta, mit der die Abweichung vom als ius cogens einzustufenden Gewaltverbot aus Art. 2 Abs. 4 VN-Charta und Völkergewohnheitsrecht gerechtfertigt werden kann. Dem folgend argumentiert Richter Kooijmans in seinem Sondervotum zum Oil Platforms-Fall, dass die Gewaltanwendung einer strengen Rechtmäßigkeitsprüfung unterzogen werden müsse und daher Wahrscheinlichkeiten oder Beinahe-Sicherheiten nicht zur ihrer Rechtfertigung genügten.140 Konkret war fraglich, wann die ein amerikanisches Selbstverteidigungsrecht stützende behauptete Tatsache bewiesen sei, dass ein US-amerikanisches Schiff in zurechenbarer Weise von einer iranischen Mine getroffen wurde. Richter Kooijmans spezifizierte das hier anzulegende Beweismaß wie folgt: “The fact that in the days after the accident mines were found in the immediate neighbourhood which were moored, carried the distinctive serial numbering of Iranian mines and had evidently been laid recently, proves in my view beyond any reasonable doubt that the Samuel B. Roberts was struck by an Iranian mine.”141 Damit legte er für Rechtfertigungsgründe, die von ius cogens-Normen abweichen, das hohe Beweismaß des jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Grades von Wahrscheinlichkeit zugrunde.142 Gleichzeitig akzeptierte er die Zulässigkeit des Indizienbeweises.143
139
So deutlich auch: Gibney, HRLR 7 (2007), 760 (762).
140
IGH, Oil Platforms Case, sep. op. Kooijmans, ICJ Rep. 2003, 246 (263, Ziff. 54). 141
Ebd., 263, Ziff. 56 (Hervorh. d. Verf.).
142
Ähnlich in Bezug auf das Urteil insgesamt: Crook, AJIL 98 (2004), 309 (311). Ebenso: Lobel, Yale JIL 24 (1999), 537 (547), der dies allerdings nicht auf gerichtliche Verfahren beschränkt, sondern bereits als materielles Kriterium für eine Rechtmäßigkeit der Selbstverteidigung aufstellt. 143
Dazu noch unten D.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
521
(c) Beweismaß in Zuständigkeits- und Zulässigkeitsfragen Das vom IGH angelegte Beweismaß für die Beurteilung der Zuständigkeit und Zulässigkeit ist ebenfalls nicht unumstritten. Immer wieder wird in Sondervoten hierfür ein besonders hohes Maß an Sicherheit gefordert. So vertrat Richter Lauterpacht in seinem Sondervotum zum Norwegian Loans-Endurteil die Auffassung, dass “the Court will not uphold its jurisdiction unless the intention to confer it has been proved beyond reasonable doubt”.144 Gleiches vertraten die Richter Spender und Fitzmaurice in den South West Africa-Fällen.145 Dieses erhöhte Beweismaß kann man mit dem Konsensprinzip der internationalen Gerichtsbarkeit begründen,146 weil es souveränitätsschonend wirkt. Die Rechtsprechung des IGH selbst lässt jedoch wohl das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit genügen.147
144
IGH, Case of Certain Norwegian Loans (France v. Norway), Urteil vom 6. Juli 1957, ICJ Rep. 1957, sep. op. Lauterpacht, 34 (58) (Hervorh. d. Verf.); Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 437. Ebenso: IUSCT, Flexi-Van Leasing, Inc. v. The Islamic Republic of Iran (Case No. 36), Beschluss (Order) vom 15. Dezember 1982, diss. op. Kashani, IUSCTR 1 (1981-82), 463 (476): “It is a well-established rule of international law that jurisdiction of an arbitral tribunal, in the absence of a direct agreement to arbitrate between the parties, must be determined on the basis of full certainty as to the person and subject matter.” 145
IGH, South West Africa Cases (Preliminary Objections), joint diss. op. Spender und Fitzmaurice, ICJ Rep. 1962, 465 (473). Siehe auch: IGH, Ambatielos Case (Greece v. United Kingdom), Urteil vom 19. Mai 1953, diss. op. McNair, Basdevant, Klaestad und Read, ICJ Rep. 1953, 25 (29). 146
Waincymer, WTO Litigation (2002), 569. Ähnlich: Riddell, LJIL 20 (2007), 405 (423). 147
IGH, Border and Transborder Armed Actions (Nicaragua v. Honduras), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 20. Dezember 1988, ICJ Rep. 1988, 69 (76, Ziff. 16); IGH, Fisheries Jurisdiction case (Spain v. Canada), Urteil vom 4. Dezember 1998, ICJ Rep. 1998, 432 (450, Ziff. 38): „whether the force of the arguments militating in favour of jurisdiction is preponderant“ (Hervorh. d. Verf.). Siehe auch: IGH, Maritime Delimitation and Territorial Questions between Qatar and Bahrain (Qatar v. Bahrain), Urteil vom 15. Februar 1995, diss. op. Shahabuddeen, ICJ Rep. 1995, 51 (62 ff.). So auch schon: StIGH, Chorzów Factory Case (Jurisdiction), PCIJ Ser. A, No. 9, 32.
522
Kapitel 8
(d) Beweismaß in Eilverfahren In Fällen des einstweiligen Rechtsschutzes ist anerkannt, dass eine prima facie-Begründung der Zuständigkeit ausreicht.148 Hinsichtlich des für die Begründetheit geltenden Beweismaßes hat sich der IGH bisher nicht geäußert. Lediglich in Sondervoten finden sich Hinweise. Richter Shahabuddeen wies in seinem Sondervotum zum Great Belt-Fall darauf hin, dass der einstweiligen Rechtsschutz suchende Staat „is required to establish the possible existence of the rights sought to be protected“.149 Dies deutet auf ein geringes Beweismaß hin. Der gleiche Richter votierte im Application of the Genocide Convention-Fall: “[A]lthough it is not necessary to produce ‘absolutely convincing proof’, ‘substantial credibility’ is required. That, I would think, is the test to be applied in making an evaluation of the quality of the material before the Court.”150 Literaturstimmen unterstützen dieses gegenüber dem Hauptsacheverfahren gesenkte Beweismaß.151
(e) Beweismaß in Säumnisverfahren (Art. 53 IGH-Statut) Seit dem Nicaragua-Urteil des IGH gilt, dass das Beweismaß im Säumnisverfahren und im normalen streitigen Verfahren identisch ist.152 Dies erscheint vom Standpunkt einer historischen Auslegung zumindest fragwürdig, da die Formulierung, dass der Anspruch des Klägers durch „substantial evidence“ unterstützt sein müsse, aus der Norm letztlich gestrichen wurde.153 Trotz fehlenden Strafcharakters des Art. 53 für die nicht erschienene Partei spricht daher viel dafür, Beweiserleichterungen zugunsten der er148
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Oellers-Frahm, Art. 41, Rn. 28.
149
IGH, Case Concerning Passage Through the Great Belt (Finland v. Denmark), Request for the Indication of Provisional Measures, Beschluss (Order) vom 29. Juli 1991, sep op. Shahabuddeen, ICJ Rep. 1991, 28 (36). 150
IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Shahabudeen, ICJ Rep. 1993, 353 (360) unter Verweis auf Dumbauld, Interim measures of protection in international controversies (1932), 161. 151
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Oellers-Frahm, Art. 41, Rn. 37.
152
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (24, Ziff. 29) (Hervorh. des Verf.). 153 Zimmermann/ Tomuschat/ Oellers-Frahm/ von Mangoldt/ Zimmermann, Art. 53, Rn. 14.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
523
schienenen Partei etwa in Form einer stärkeren Zulassung des Indizienbeweises anzunehmen.154 Angesichts der durch Art. 53 statuierten Amtsermittlungspflicht scheint es aber diesbezüglich ungenau, von einer „verminderten Beweislast“ des Klägers zu sprechen.155 Weiter gehende Beweiserleichterungen sind ebenfalls vorgeschlagen worden. So sollen alle (Tatsachen-)Fragen, die sich auch nach Ausschöpfung der Ermittlungskompetenzen des IGH nicht klären lassen, im Falle des Nichterscheinens zugunsten der erschienenen Partei zu entscheiden sein, wenn die säumige Partei sich nach Aufforderung nicht zur Sache äußert.156 Dies steht jedoch im Gegensatz zur Rechtsprechung des IGH im Nicaragua-Fall.
2. Internationaler Seegerichtshof Weder das ISGH-Statut noch die ISGH-VerfO noch die Rechtsprechung des ISGH konkretisieren das von ihm anzuwendende Beweismaß. Lediglich einige Sondervoten setzen sich mit diesem Thema auseinander.
(a) Beweismaß im Hauptverfahren In seinem Sondervotum im Saiga (No.2)-Fall unterschied Richter Wolfrum drei Beweismaße, die in internationalen Prozessen traditionell der Beweiswürdigung zugrunde gelegt würden. Dies ist zunächst der Beweis des ersten Anscheins (prima facie evidence), der nach Wolfrum auf den einstweiligen Rechtsschutz begrenzt ist. Für das Hauptsacheverfahren kämen die Maße „proof beyond reasonable doubt“ und „preponderance of evidence“, also die überwiegende Wahrscheinlichkeit in Betracht.157 Das Sondervotum argumentiert in Übereinstimmung mit dem 154
Mosler, in: FS-Schlochauer (1981), 439 (449) mit Bezug auf die im KorfuFall angenommene Beweiserleichterung. Ähnlich: Highet, AJIL 81 (1987), 1 (33): starke analytische Ähnlichkeit zwischen Beweisverweigerung aufgrund „nationaler Sicherheitsinteressen“ und Säumnis. 155
Mosler, in: FS-Schlochauer (1981), 439 (456).
156
Fitzmaurice, BYIL 51 (1980), 89 (121). Skeptisch mit dem Argument, dass diese Auslegung gegen den Wortlaut der Norm verstieße: Arangio-Ruiz, IDI Annuaire 64(I) (1991), 280 (321). 157 ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (94 f., Ziff. 12).
524
Kapitel 8
Urteil des IGH im Nicaragua-Fall, dass Art. 28 ISGH-Statut, der das Procedere im Falle der Säumnis einer Partei regelt und bestimmt, dass sich der Gerichtshof vergewissern muss, „dass das Begehren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht begründet ist“, implizit auch das vom Gerichtshof allgemein anzulegende Beweismaß regele.158 Dabei sei „in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht begründet“ ein strengerer Maßstab als die überwiegende Wahrscheinlichkeit und eher vergleichbar mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit.159
(b) Beweismaß im Schiffsfreigabeverfahren nach Art. 292 SRÜ Im Saiga-Fall entschied der ISGH, dass das Beweismaß in Schiffsfreigabeverfahren ein anderes sei als im Hauptsacheverfahren: “The Tribunal in this regard considers appropriate an approach based on assessing whether the allegations made are arguable or are of a sufficiently plausible character in the sense that the Tribunal may rely upon them for the present purposes.”160 Im Wesentlichen läuft dies auf eine Plausibilitätskontrolle hinaus. Das Tribunal schloss ausdrücklich nicht aus, dass im Hauptsacheverfahren ein höheres Beweismaß angemessen sein könnte. Das Urteil der Richtermehrheit basiert auf der impliziten Annahme, dass das Verfahren nach Art. 292 SRÜ dem einstweiligen Rechtsschutz ähnele.161 Dies wurde von der Minderheit zu Recht vehement bestritten, da das Verfahren nach Art. 292 ein Hauptsacheverfahren eigener Art ist.162 Entscheidend ist neben dem Charakter des Verfahrens als Hauptsacheverfahren, dass Art. 113 Abs. 1 ISGH-VerfO normiert, dass dem Antrag dann stattzugeben ist, wenn er „begründet“ ist (well founded, bien fondée, vgl. die Formulierung in Art. 53 Abs. 2 IGH-Statut und
158 159 160
Ebd., 94, Ziff. 11. Ebd., 94 f., Ziff. 12. So auch: Kazazi, Burden of Proof (1996), 351. ISGH, “SAIGA” Case (Prompt Release), ITLOS Rep. 1997, 16 (27, Ziff.
51). 161 162
Lowe, ICLQ 48 (1999), 187 (191).
ISGH, “SAIGA” Case (Prompt Release), diss. op. Mensah, ITLOS Rep. 1997, 39 (39, Ziff. 5), diss. op. Anderson, ITLOS Rep. 1997, 63 (54, Ziff. 5); diss. op. Wolfrum und Yamamoto, ITLOS Rep. 1997, 46 (46 ff., Ziff. 5-9); diss. op. Park, Nelson, Chandrasekhara Rao, Vukas und Ndiaye, ITLOS Rep. 1997, 53 (55 f., Ziff. 8-10). So auch: Lagoni, in: FS-Jaenicke (1999), 543 (548).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
525
Art. 28 Abs. 2 ISGH-VerfO). Im Monte Confurco-Fall führt der ISGH aus, dass aufgrund der Eilbedürftigkeit der Schiffsfreigabeverfahren „the extent to which the Tribunal could take cognizance of the facts in dispute and seek evidence in support of the allegations made by the parties“ begrenzt sei.163 Ob hierin eine Bestätigung eines niedrigeren Beweismaßes in dieser Verfahrensart zu sehen ist, ist zweifelhaft.
3. Iran-US Claims Tribunal Art. 24 IUSCT-VerfO schweigt zum Beweismaß. Auch das Tribunal hat in seiner Rechtsprechung das Beweismaß nicht weiter konkretisiert. Stattdessen hat es geurteilt, dass Art und Menge des nötigen Beweises von der Natur und den Umständen des Falles abhingen,164 weshalb an einem einheitlich geltenden Maß gezweifelt wird.165 Jedoch kann man aufgrund einiger Aussagen des Tribunals166 im Einklang mit der Rechtsprechung anderer internationaler Gerichte aus guten Gründen befürworten, dass grundsätzlich das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit („preponderance of the evidence“) gilt.167 Ein Beweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit lässt sich aus der Rechtsprechung des IUSCT jedenfalls nicht herleiten.168 163 ISGH, “Monte Confurco” Case (Prompt Release), ITLOS Rep. 2000, 86 (109, Ziff. 74). 164
IUSCT, The Islamic Republic of Iran v. The United States of America (Case No. B-1), Award No. ITL 60-B1-FT, Schiedsspruch vom 4. April 1986, IUSCTR 10 (1986-I), 207 (216, Ziff. 31) und IUSCT, Schering Corporation v. The Islamic Republic of Iran (Case No. 38), Award No. 122-38-3, Schiedsspruch vom 13. April 1984, diss. op. Mosk, IUSCTR 5 (1984-I), 374 (375). “It is regrettable that the Tribunal has never discussed the standard of proof it imposes on the parties.” 165
Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 570: “The standard of proof … varies according to the circumstances.” 166
IUSCT, Combustion Engineering, Inc. et al. v. The Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 308), Award No. 506-308-2, Teilschiedsspruch vom 18.Februar 1991, IUSCTR 26 (1991-I), 60 (79 f., Ziff. 70): „preponderance of the evidence“. 167
Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 572; Aghahosseini, ILF 1 (1999), 208 (213). 168 Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 570.
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Kapitel 8
Allerdings ergaben sich in den meisten vom Tribunal verhandelten Fällen Probleme der Parteien, insbesondere der US-amerikanischen Kläger, zum Nachweis ihrer Behauptungen erforderliches Beweismaterial zu besorgen.169 Bei Beweisnot hat das IUSCT daher in einigen Fällen Beweiserleichterungen gewährt. In solchen Fällen genügte oft der Beweis des ersten Anscheins („prima facie evidence“).170 Dabei ist der Anscheinsbeweis als ein geringeres Beweismaß als die überwiegende Wahrscheinlichkeit anzusehen.171 Beweiserleichterungen sind nicht auf Fragen des materiellen Rechts begrenzt, sondern gelten auch für die Zuständigkeit bzw. Zulässigkeit. So ist es nach der Rechtsprechung des IUSCT nicht nötig, die Staatsangehörigkeit von Aktionären einer Aktiengesellschaft durch Pässe, Geburts- oder Einbürgerungsurkunden nachzuweisen.172 Ob der Anscheinsbeweis allerdings allgemein im Verfahren vor dem IUSCT ausreicht, das erforderliche Beweismaß zu erreichen, ist zweifelhaft.173 Der Standard des „prima facie evidence“ ist in der Regel nur dort zur Anwendung gekommen, wo besondere Beweisschwierigkeiten bestanden. Ansonsten hat das Tribunal das Maß der überwiegenden 169
Aldrich, The Jurisprudence of the Iran-United States Claims Tribunal (1996), 332. Siehe etwa IUSCT, Sola Tiles, Inc. v. The Government of the Islamic Republic of Iran (Case No. 317), Award No. 298-317-1, Schiedsspruch vom 22. April 1987, IUSCTR 14 (1987-I), 223 (238, Ziff. 52). 170
IUSCT, Rockwell International Systems, Inc. v. The Government of the Islamic Republic of Iran (The Ministry of National Defence) (Case No. 430), Award No. 438-430-1, Schiedspruch vom 5. September 1989, IUSCTR 23 (1989-III), 150 (188, Ziff. 141): “Prima facie evidence must be recognized as a satisfactory basis to grant a claim where proof of the facts underlying the claim presents extreme difficulty and an inference from the evidence can be reasonably drawn.” 171
Anders: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 140, der beide Begriffe als identisch bezeichnet. 172
IUSCT, Flexi-Van Leasing, Inc. v. The Islamic Republic of Iran (Case No. 36), Beschluss (Order) vom 15. Dezember 1982, IUSCTR 1 (1981-82), 455 (457). Siehe aber die diss. op. Kashani im selben Fall, 463 (476); IUSCT, General Motors Corporation et al. v. The Government of the Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 94), Beschluss (Order) vom 18. Januar 1983, IUSCTR 3 (1983-II), 1 wies die Kläger an, Zertifikate der Eintragung der Aktiengesellschaft vorzulegen. Diese waren durch US-amerikanische Behörden zu beschaffen. 173
So aber: Kazazi, Burden of Proof (1996), 336. Skeptisch auch: Das, in: International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes (2004), 193 (227, Fn. 93).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
527
Wahrscheinlichkeit angelegt. Auch hat es – ähnlich wie der IGH – ein höheres Beweismaß für erforderlich gehalten, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß, etwa ein betrügerisches Verhalten oder die Fälschung von Beweismitteln, nachgewiesen werden sollten.174 Hier soll der Maßstab „clear and convincing evidence“ oder gar „beyond a reasonable doubt“ gelten, auch wenn die Kammer betont, dass die genaue Begrifflichkeit weniger entscheidend sei als das gegenüber der allgemeinen Regel erhöhte Beweismaß.175
4. WTO-Streitbeilegung Eine ausdrückliche Regelung des vom Streitbeilegungsorgan der WTO anzulegenden Beweismaßes findet sich im DSU nicht.176 Relevant ist jedoch Art. 11 DSU, der die Beweiswürdigungspflichten der Panels festlegt.177 Danach „nimmt das Panel eine objektive Beurteilung der vor ihm liegenden Angelegenheit vor, einschließlich einer objektiven Beurteilung des Sachverhalts und der Anwendbarkeit sowie der Vereinbarkeit mit den einschlägigen unter die Vereinbarung fallenden Übereinkommen“. Die Rechtsprechung des Appellate Body misst jedoch Art. 11 noch eine weitere Bedeutung zu, nämlich die der Festlegung des Überprüfungsmaßstabs bzw. der Kontrolldichte („standard of review“). Von diesem Begriff des „standard of review“ muss das Beweismaß un-
174
Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 569. Zur Beweislastverteilung siehe IUSCT, Abrahim Rahman Golshani v. The Government of the Islamic Republic of Iran (Case No. 812), Award No. 546-812-3 vom 2. März 1993 und Briner, in: FS-Bär/Karrer (1997), 41 (49 f.). 175
IUSCT, Dadras International et al. v. The Islamic Republic of Iran et al. (Case Nos. 213 and 215), Award vom 7. November 1995, IUSCTR 31 (1995), 127 (162, Ziff. 123 f.); IUSCT, Vera-Jo Miller Aryeh (Case No. 842), Laura Aryeh (Case No. 843), J.M. Aryeh (Case No. 844) v. The Islamic Republic of Iran, Award vom 22. Mai 1997, IUSCTR 33 (1997), 272 (317, Ziff. 159). 176
Andersen, in: Yerxa/Wilson (Hrsg.), Key issues in WTO dispute settlement, The first ten years (2005), 177 (179); DSB, US – Countervailing Duty Investigation on DRAMS, Ziff. 138 mit Bezug auf das ASÜ. Art. 15 Abs. 1 ASÜ soll allerdings ein eigenes Beweismaß enthalten, siehe Ziff. 138 (Fn. 250). 177
Oben A. IV. 1.
528
Kapitel 8
terschieden werden. Relevant für die gegenwärtige Arbeit sind allerdings beide Begriffe, da beide die Tatsachenfeststellung betreffen.178
(a) Überprüfungsmaßstab bzw. Kontrolldichte („standard of review“) Nach der Rechtsprechung des Appellate Body normiert Art. 11 S. 2 DSU den generellen Maßstab für die Überprüfung sowohl des Sachverhalts als auch der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme, sofern keine Sonderregelungen eingreifen.179 Dabei hat sich bereits früh herauskristallisiert, dass hinsichtlich der Einschätzung der Rechtslage kein wie auch immer gearteter Beurteilungsspielraum der Staaten besteht.180 Anders verhält sich dies in Tatsachenfragen. Hier ist die Überprüfungsdichte u.U. eingeschränkt. Beim „standard of review“ in Bezug auf die Tatsachenfeststellung geht es nicht um die Frage, wie überzeugend die vorgelegten Beweise sein müssen, damit das Panel von deren Wahrheit ausgehen darf, sondern darum, ob und inwieweit es Tatsachen überhaupt auf ihre Wahrheit bzw. Existenz oder Nichtexistenz prüfen kann. Hintergrund der Regel ist die vertikale Kompetenzabgrenzung zwischen der internationalen und der nationalen Ebene,181 also die Frage des Ausmaßes der Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten.182 Auch hierfür ist nach der Rechtsprechung des Appellate Body Art. 11 S. 2
178
Darüber hinaus können die Auswirkungen einer geringeren Kontrolldichte unter Umständen ähnliche Wirkungen zeitigen wie eine Beweislastveränderung, siehe Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 144 (für den margin of appreciation im europäischen Menschenrechtsschutz). 179
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 116. Eine solche Sonderregelung stellt z.B. Art. 17 Abs. 6 ADÜ dar. Siehe dazu Ruffert, ZVglRWiss 100 (2001), 304 (312 ff.). 180
Oesch, JIEL 6 (2003), 635 (656); Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 154; Ehlermann/Lockhart, JIEL 7 (2004), 491 (498). 181
Oesch, JIEL 6 (2003), 635; Ehlermann/Lockhart, JIEL 7 (2004), 491 (492). DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 115 spricht von einer „balance of jurisdictional competences“. 182
von Bogdandy, Max Planck UNYB 5 (2001), 609 (671).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
529
DSU maßgebend,183 der den von den Panels anzulegenden Prüfungsmaßstab in Tatsachenfragen einschränkt: “So far as fact-finding by panels is concerned, their activities are always constrained by the mandate of Article 11 of the DSU: the applicable standard is neither de novo review as such, nor ‘total deference’, but rather the ‘objective assessment of the facts’. Many panels have in the past refused to undertake de novo review, wisely, since under current practice and systems, they are in any case poorly suited to engage in such a review. On the other hand, ‘total deference to the findings of the national authorities’, it has been well said, ‘could not ensure an ‘objective assessment’ as foreseen by Article 11 of the DSU’.”184 Hintergrund des im nationalen Kontext aus dem Verwaltungsrecht bekannten Maßstabs des standard of review ist demnach, dass im Rahmen des WTO-Rechts den Mitgliedstaaten verschiedentlich ein Beurteilungsspielraum zugestanden wird, der es ihnen erlaubt, subsumtionsrelevante Tatsachen in verbindlicher und vom DSB nur eingeschränkt überprüfbarer Weise festzustellen. Relevant wird der Überprüfungsmaßstab vor allem in Fällen, in denen nationale Einrichtungen und Behörden Gebrauch von durch WTOAbkommen eingeräumten Ermächtigungen machen, von WTONormen abzuweichen, wie z.B. bei den sogenannten trade remedies, also Entscheidungen nationaler Behörden zur Verhängung von Ausgleichszöllen zur Begegnung von Wettbewerbsverzerrungen.185 Im Einzelnen sind dies Schutzmaßnahmen (safeguard measures nach Art. XIX Abs. 1a GATT 1994 i.V.m. dem Übereinkommen über Schutzmaßnahmen) und Antidumpingmaßnahmen.186 Daneben kann man aber auch 183 Weitere Fragen der Kontrolldichte stellen sich auch bei Rechtfertigungen nach Art. XX GATT. Auch hier lässt das WTO-Recht Mitgliedstaaten Einschätzungsspielräume, etwa in der Festlegung eines Gesundheitsschutzzieles unter Art. XX lit. b GATT und des Niveaus, auf dem es erreicht werden soll. Siehe dazu DSB, EC – Asbestos (Panel), Ziff. 8.171. Diese (auf rechtliche, nicht tatsächliche Fragen bezogene) Kontrolldichtereduzierung wird jedoch nicht durch Art. 11 DSU, sondern durch Art. XX GATT angeordnet (Ruffert, ZVglRWiss 100 (2001), 304 (311)). 184
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 117 (Fußnoten fehlen).
185
Stoll/Schorkopf, WTO – Welthandelsordnung und Welthandelsrecht (2002), Rn. 337; Andersen, in: Yerxa/Wilson (Hrsg.), Key issues in WTO dispute settlement, The first ten years (2005), 177 (180). 186
Hierzu: Ehlermann/Lockhart, JIEL 7 (2004), 491 (503-513).
530
Kapitel 8
gesundheitsschützende Maßnahmen nach dem SPS-Übereinkommen (so im Hormonfall) und Maßnahmen zum Schutz von in Art. XX GATT aufgeführten Gütern zum Problemkreis zählen.187 Die Diskussion über die Kontrolldichte fokussiert sich daher auf die Überprüfung der Anwendung von WTO-Recht (oder doch zumindest auf WTORecht zurückgehendes nationales Recht) durch nationale Instanzen. In US – Cotton Yarn spezifizierte das Appellate Body diese Aufgabe der Panels wie folgt: “[P]anels must examine whether the competent authority has evaluated all relevant factors; they must assess whether the competent authority has examined all the pertinent facts and assessed whether an adequate explanation has been provided as to how those facts support the determination; and they must also consider whether the competent authority’s explanation addresses fully the nature and complexities of the data and responds to other plausible interpretations of the data. However, panels must not conduct a de novo review of the evidence nor substitute their judgement for that of the competent authority.”188 Entscheidend ist hierbei, dass die Panels nicht als Erstprüfer des Beweismaterials fungieren, sondern eine Überprüfung der Maßnahmen einer nationalen Behörde durchführen189 und damit eine Beurteilung eines staatlichen Aktes übernehmen, der seinerseits einem durch WTORecht weitgehend determinierten Verfahren folgt.190 Einzige Norm mit einer expliziten und recht präzisen Festlegung des Überprüfungsmaßstabs im WTO-Primärrecht ist Art. 17 Abs. 6. i) ADÜ, wo es heißt: 191 „Bei der Prüfung der in Absatz 5 genannten Angelegenheit … stellt die Sondergruppe [das Panel] zwecks Beurteilung des Sachverhalts fest, ob die Sachverhaltsfeststellung der Behörden richtig und die 187 188 189
Ehlermann/Lockhart, JIEL 7 (2004), 491 (513-519). DSB, US – Cotton Yarn (AB), Ziff. 74. DSB, US – Countervailing Duty Investigation on DRAMS (AB), Ziff.
188. 190
Andersen, in: Yerxa/Wilson (Hrsg.), Key issues in WTO dispute settlement, The first ten years (2005), 177 (184) verdeutlicht diesen Unterschied in der Weise, dass das Panel in trade remedy-Fällen im Wesentlichen als „Berufungsinstanz“ fungiert, während es in allen anderen Streitigkeiten originär tatsachenfeststellend tätig wird. 191 Hierzu: Croley/Jackson, AJIL 90 (1996), 193 (198); Desmedt, JIEL 1 (1998), 695 (696).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
531
Sachverhaltswürdigung unparteiisch und objektiv war. War die Sachverhaltsfeststellung richtig und die Sachverhaltswürdigung unparteiisch und objektiv, so kann die Würdigung nicht verworfen werden, auch wenn die Sondergruppe möglicherweise zu einer anderen Schlussfolgerung gekommen wäre … .“ Die Norm geht auf die Initiative der USA zurück, die sich jedoch mit der Forderung nach einer Verallgemeinerung einer begrenzten Kontrolldichte für die gesamte Streitbeilegung nicht durchsetzen konnten.192 Sie kann als besondere Regelung der Rücksichtnahme auf staatliche Souveränitätsbedenken gesehen werden193 und ist damit nicht analogiefähig oder sonst einer Verallgemeinerung zugänglich.194 Obwohl der Überprüfungsmaßstab in Art. 17 Abs. 6 ADÜ strenger formuliert scheint, als die Rechtsprechung dies für die in Art. 11 DSU verortete Grundregel angenommen hat, sind Unterschiede zwischen dem standard of review unter beiden Normen in der Praxis dennoch kaum festzustellen: In beiden Fällen geht die Überprüfung des Sachverhalts sehr weit.195 Dies kann im Hinblick auf den Wortlaut der Norm und die Verhandlungsgeschichte zu Art. 17 Abs. 6 problematisch sein.196 In der Sache können die Panels daher eine von Mitgliedstaaten getroffene Einschätzung nicht von Grund auf neu beurteilen, müssen aber die staatliche Tatsachenbeurteilung auch nicht ohne Weiteres hinnehmen und ihrer Beurteilung zu Grunde legen. Dahingegen haben sowohl Panels als auch das Appellate Body das Recht und die Pflicht, die rechtliche Vereinbarkeit der mitgliedstaatlichen Maßnahmen mit den Bestimmungen des jeweils einschlägigen Abkommens vollumfänglich zu überprüfen.197 Problematisch hieran erscheint, dass die Einräumung eines Beurteilungsspielraums für Staaten eine Frage des materiellen Rechts ist, die im Regelfall nicht losgelöst von der materiellrechtlichen Norm betrachtet werden kann und deren Beantwortung sich von Fall zu Fall 192 193 194
Ruffert, ZVglRWiss 100 (2001), 304 (313). Hilf, JIEL 4 (2001), 111 (118). DSB, EC – Hormones, Ziff. 114; DSB, Argentina – Footwear (EC), Ziff.
118. 195
Oesch, JIEL 6 (2003), 635 (649, m.w.N. in Fn. 55 und 650). Ähnlichkeiten zwischen dem Standard nach Art. 11 DSU und Art 17 Abs. 6 (i) ADÜ stellen auch fest: Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 180. 196 197
Oesch, JIEL 6 (2003), 635 (659). DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 116.
532
Kapitel 8
unterscheiden dürfte. Dahingegen regelt Art. 11 DSU die Tatsachenfeststellungs- und Beurteilungskompetenzen der Panels allgemein und losgelöst von der konkret anwendbaren materiellen Rechtsnorm. Aus dem Wortlaut des Art. 11 jedenfalls lässt sich eine Beschränkung der Kontrolldichte weder im tatsächlichen noch im rechtlichen Bereich entnehmen.198 Auch macht eine eingeschränkte Nachprüfung staatlicher Tatsachenfeststellung nur dort Sinn, wo der angegriffenen Maßnahme überhaupt eine solche Tatsachenüberprüfung durch nationale Behörden vorausgegangen ist.199 Die dogmatische Verortung einer eingeschränkten Nachprüfbarkeit nationaler Entscheidungen in Art. 11 DSU lässt sich daher allenfalls historisch aus den Verhandlungen zur Streitbeilegung in der Uruguay-Runde erklären200 und ist mit dem Ziel der Verrechtlichung des Welthandelssystems und der Verbindlichkeit wirtschaftsvölkerrechtlicher Regeln nur schwer vereinbar.201 Sie ist weiterhin zumindest ungewöhnlich, da sich das self-contained regime der Welthandelsordnung hier grundsätzlich vom allgemeinen Völkerrecht unterscheidet, das in der gerichtlichen Streitbeilegung in der Regel von einer Tatsachenüberprüfung in vollem Umfang ausgeht.202 Vorzugswürdig wäre daher, die Verortung einer reduzierten Kontrolldichte in Art. 11 DSU aufzugeben und stattdessen materielle Normen, die eine Abweichung von WTO-Recht zulassen, jeweils auf eine eventuelle Reduzierung des Überprüfungsmaßstabs hin zu untersuchen.203
(b) Beweismaß Vom Überprüfungsmaßstab zu unterscheiden ist das Beweismaß. Hierüber geben weder das DSU noch die anderen WTO-Abkommen Aufschluss. Auch hat sich die Rechtsprechung hierzu nicht sonderlich häu198
Oesch, JIEL 6 (2003), 635 (647 f.); Ruffert, ZVglRWiss 100 (2001), 304 (314), der richtig darauf hinweist, dass eine solche Auslegung auch aus systematischen Gesichtspunkten problematisch ist, da sie im Widerspruch zu den dem Panel in Art. 13 DSU eingeräumten weiten Kompetenzen zur Beweiserhebung steht. 199 200 201 202 203
97.
Ehlermann/Lockhart, JIEL 7 (2004), 491 (502). Siehe hierzu: Croley/Jackson, AJIL 90 (1996), 193 (199 ff.). Ruffert, ZVglRWiss 100 (2001), 304 (317). Oesch, JIEL 6 (2003), 635 (639). So auch: Ohlhoff, in: Prieß/Berrisch (Hrsg.), WTO-Handbuch (2003), Rn.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
533
fig geäußert.204 Einleitend ist jedoch festzustellen, dass dem bereits in anderem Zusammenhang vorgestellten205 Institut des prima facie case keine das Beweismaß determinierende Funktion zukommt.206 Bereits in den nationalen Rechtsordnungen, denen das Rechtsinstitut entstammt, regelt der prima facie case nicht das Beweismaß für ein endgültiges Obsiegen.207 Das Appellate Body urteilte im Fall US – Wool Shirts and Blouses, dass jeweils im Einzelfall festgestellt werden müsse, welches Beweismaß mit welchen Beweismitteln erreicht werden müsse, um einen prima facie case zu begründen.208 Insofern ist es zumindest ungenau, im prima facie case eine Beweiserleichterung im Sinne des Anscheinsbeweises für den Kläger zu sehen und ihn somit mit dem Beweismaß gleichzusetzen.209 Die Unklarheiten mögen auf eine Verwechslung zwischen prima facie evidence und prima facie case zurückzuführen sein. Während der erste Begriff das Beweismaß hinsichtlich einer konkreten Tatsache bezeichnet, hat letzterer lediglich eine spezifisch prozessstrukturierende, nicht aber eine beweismaßbeeinflussende
204
McGovern, International Trade Regulation (Loseblatt), § 2.2327 (Page 2.23-63, Issue 18, February 2005). 205
Kapitel 4 B. I. 4 (c) (bb).
206
So auch: Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 167 f.; Christoforou, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 243 (258; Fn. 29); Kazazi, Burden of Proof (1996), 329; Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 254 f. (zum IUSCT). Anders offenbar: Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (256). 207
Zuckerman, Civil Procedure (2003), 660; Williams, Sydney LR 25 (2003), 165 (179): Es ist nicht erforderlich, dass bereits das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erreicht wurde. 208
“In the context of the GATT 1994 and the WTO Agreement, precisely how much and precisely what kind of evidence will be required to establish such a presumption will necessarily vary from measure to measure, provision to provision, and case to case.” DSB, US – Wool Shirts and Blouses (AB), S. 14. 209
Dies wird vor allem im deutschen Schrifttum oft ohne Weiteres angenommen: von Bogdandy/Makatsch, EuZW 11 (2000), 261 (262); Göttsche, Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Rechtsmittelinstanz (2005), 346 f.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht (2007) § 9, Rn. 96. Ähnlich: Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht (2007), Rn. 290, die sich aber sonst für das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit aussprechen.
534
Kapitel 8
Funktion.210 Das Appellate Body klärte in Canada – Aircraft nur, dass bei erfolgreicher Aufstellung eines prima facie case dem Antrag der diesen case aufstellenden Partei stattzugeben sei, stellte also die Folgen der Erreichung des Beweismaßes im Sinne der (objektiven) Beweislast klar: “A prima facie case … is a case which, in the absence of effective refutation by the defending party (that is, in the present appeal, the Member requested to provide the information), requires a panel, as a matter of law, to rule in favour of the complaining party presenting the prima facie case.”211 In der Literatur wird diese Definition zu Recht als zu unbestimmt kritisiert und aus due process-Gesichtspunkten eine genauere Bestimmung des zur Etablierung eines prima facie case notwendigen Beweismaßes gefordert. Als niedrigste Schwelle wird in diesem Zusammenhang die Unterstellung der Wahrheit des durch die beweisbelastete Partei tatsächlich eingebrachten Beweismaterials angeboten.212 Damit wäre ein prima facie case erfolgreich aufgestellt, wenn die Klage schlüssig ist und der Kläger bezüglich aller notwendigen Tatsachen wenigstens den Beweis angetreten hat. In der Tat lässt sich für diese Auffassung eine Aussage des Appellate Body im Fall US – Gambling anführen, wonach “[t]he evidence and arguments underlying a prima facie case, therefore, must be sufficient to identify the challenged measure and its basic import, identify the relevant WTO provision and obligation contained therein, and explain the basis for the claimed inconsistency of the measure with that provision”.213 Diese Schwelle scheint jedoch zu nahe an den für ein – im DSU-Verfahren nicht vorgesehenes – Versäumnisurteil nötigen Voraussetzungen im Sinne einer reinen Schlüssigkeitsprüfung zu liegen, um tatsächlich als praktikables Kriterium dienen zu können. Auch hat das Appellate Body den Vortrag zurückgewiesen, dass zur 210
Zu diesem Unterschied: Halsbury’s Laws of England, Evidence, Bd. 17 (1) (2002), 201 (215, Ziff. 418): zu „prima facie evidence“ und (229, Ziff. 342): zu „prima facie case“. 211 DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 192. So bereits: DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 98, 104. Siehe auch: Lillie S. Kling (U.S.A.) v. United Mexican States, RIAA 4 (1951), 575 (585): “Prima facie evidence has been defined as evidence‚ which, unexplained or uncontradicted, is sufficient to maintain the proposition affirmed.” 212
Cameron/Orava, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 195 (235). Siehe auch: Cameron/Gray, ICLQ 50 (2001), 248 (278). 213
DSB, US – Gambling (AB), Ziff. 141.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
535
Aufstellung eines prima facie case vom Kläger lediglich vernünftige Zweifel an der Vereinbarkeit der Maßnahme mit WTO-Recht geweckt werden müssten.214 Im gleichen Fall scheint es, als habe das Appellate Body den Standard des beyond reasonable doubt angelegt.215 Angesichts der fehlenden Auseinandersetzung mit der Frage des Beweismaßes in der Rechtsprechung des Appellate Body ist eine definitive Aussage hierzu schwierig. So begnügen sich manche Beobachter mit der Feststellung, das Beweismaß sei jedenfalls eher niedrig anzusiedeln.216 Nach Pauwelyn hat der Begriff prima facie case den Inhalt, das Beweismaß so zu senken, dass kein schlüssiger Beweis („conclusive evidence“), vonnöten sei, sondern dass eine (unwiderlegte) Vermutung der Wahrheit der Tatsachen im Sinne einer „gewissen Wahrscheinlichkeit“ ausreiche.217 Dies lässt auf ein Beweismaß schließen, das – wie es rein sprachlich zwar nahe liegt, jedoch aufgrund der Unterscheidung zwischen prima facie case und evidence abzulehnen ist – einem Beweis des ersten Anscheins nahe kommt.218 Andere sehen das zur Aufstellung eines prima facie case im Verfahren vor den Panels erforderliche Beweismaß in der überwiegenden Wahrscheinlichkeit („preponderance of the evidence“).219 Für dieses Ergebnis sprechen die besseren Gründe: Wenn man davon ausgeht, dass der prima facie case in der Rechtsprechung des Appellate Body seine prozessleitende Hilfsfunktion im Sinne einer Zweiteilung des Prozessgeschehens verloren hat (oder besser: niemals besaß), dann kann man als relevantes Beweismaß auch nicht die relativ geringen Anforderungen an den prima facie case gelten lassen, wie sie
214
DSB, India – Patents (US) (AB), Ziff. 74.
215
McGovern, International Trade Regulation (Loseblatt), § 2.2327 (Page 2.23-63, Issue 18, February 2005). 216 217
Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 168. Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (246, 252-253).
218
So: Göttsche, Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Rechtsmittelinstanz (2005), 346. 219
Mavroidis, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), Max Planck CWTL 2 (2006), Art. 11 DSU, Rn. 6; Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 144; Waincymer, WTO Litigation (2002), 568; Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht (2007), Rn. 290: „Bleiben die Beweise im Gleichgewicht, dann ist die Verletzung des WTORechts nicht nachgewiesen.“
536
Kapitel 8
im US-amerikanischen Recht angelegt werden.220 Denn der prima facie case im US-amerikanischen Recht geht davon aus, dass nach seiner Etablierung der Tatsachenfeststellungsprozess fortdauert und sich das Bild, das das Gericht (bzw. die Jury) vom Sachverhalt hat, noch weiter ergänzt und vervollständigt. Jedoch ist der prima facie case nach der Rechtsprechung des Appellate Body ein „definitive case“,221 also bereits das Gesamtbild, das ein Panel benötigt, um eine Entscheidung zu fällen. Auch finden sich in der Rechtsprechung der Panels Hinweise für ein Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, auch wenn es bisher vom Appellate Body ausdrücklich nicht bestätigt worden ist. Im Fall US – Section 301 Trade Act urteilte das Panel: “Since, in this case, both parties have submitted extensive facts and arguments in respect of the EC claims, our task will essentially be to balance all evidence on record and decide whether the EC, as party bearing the original burden of proof, has convinced us of the validity of its claims. In case of uncertainty, i.e. in case all the evidence and arguments remain in equipoise, we have to give the benefit of the doubt to the US as defending party.”222 Diese Auffassung findet Bestätigung in den Berichten der Panels in US – 1916 Act (EC) und US – 1916 Act (Japan)223 und wird auch in Schiedsverfahren nach Art. 22 Abs. 6 DSU angewendet.224 Damit ist grundsätzlich vom Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit auszugehen.225 Anderes gilt nach Art. 15 Abs. 1 ASÜ für die Feststel220 So aber: Kallmayer, Verbot und Rechtfertigung von Präferenzabkommen im GATT (2005), 277, Fn. 929. 221
So richtig: Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 170. 222 223
DSB, US – Section 301 Trade Act, Ziff. 7.14 (Hervorh. d. Verf.). DSB, US – 1916 Act (EC), Ziff. 6.58; DSB, US – 1916 Act (Japan), Ziff.
6.57. 224
DSB, Decision by the Arbitrators, EC – Hormones (US) (Article 22.6 – EC), Ziff. 9: “Should all arguments and evidence remain in equipoise, … the party bearing the original burden of proof, would lose.” 225
Dieses Beweismaß gilt grundsätzlich auch in den sogenannten Nichtverletzungsbeschwerden (non-violation complaints) nach Art. 26 DSU. Die dort geforderte „ausführliche Begründung“ ist zwar bisweilen als erhöhtes Beweismaß interpretiert worden (insb. von Cameron/Gray, ICLQ 50 (2001), 248 (278) und Göttsche, Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Rechtsmittelinstanz (2005), 347); dies hat sich jedoch in der Rechtsprechung nicht durchgesetzt und wird auch von der wohl überwiegenden Literatur
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
537
lung einer Schädigung im Sinne des Art. VI GATT. Hier müssen „eindeutige Beweise“ vorliegen. Dieses Maß bezieht sich jedoch primär auf die von nationalen Behörden im Verfahren vor der Verhängung von Ausgleichsmaßnahmen zu beachtenden Voraussetzungen, die freilich vom Panel nachgeprüft werden können. Dies zeigt zugleich, dass die Verwendung des Begriffes prima facie case als das Beweismaß determinierend – ebenso wie dies schon in der oben untersuchten Abgrenzung der Sachverhaltsermittlungskompetenzen des Panels von der Verantwortung der Parteien der Fall war – irreführend ist. Genau genommen nutzt das Appellate Body ihn auch nicht in diesem Zusammenhang, denn es hat lediglich entschieden, dass bei Aufstellung eines – unwiderlegten – prima facie case durch den Kläger der Klage stattzugeben ist (Canada – Aicraft) und dass das hierzu erforderliche Beweismaß im Einzelfall variieren kann (US – Wool Shirts and Blouses).
5. Regionale Menschenrechtsgerichtshöfe (a) Europäischer Menschenrechtsgerichtshof Die EKMR, die bis 1998 primär für die Tatsachenermittlung zuständig war, formulierte im Greek Case, einer Staatenbeschwerde, im Jahr 1969 das Beweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit („beyond reasonable doubt“).226 Dabei sei ein „vernünftiger Zweifel“ „not a doubt based on a merely theoretical possibility or raised in order to avoid a disagreeable conclusion, but a doubt for which reasons can be given drawn from the facts presented“.227 Im Irish Case sowie im Fall
abgelehnt (DSB, Japan – Film, Ziff. 9.5; Waincymer, WTO Litigation (2002), 579; Cottier/Nadakavukaren Schefer, in: Petersmann (Hrsg.), International trade law and the GATT/WTO dispute settlement system (1997), 143 (162) und Böckenförde, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), Max Planck CWTL 2 (2006), Art. 26, Rn. 28). 226
Zur EKMR-Praxis siehe Frowein, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 237 (246 ff.); Trechsel, in: Université Catolique de Louvain (Hrsg.), La présentation de la preuve et la sauvegarde des libertés individuelles (1977), 121 (141). Zur Entwicklung der EGMR-Rechtsprechung zum Beweismaß umfassend: Thienel, GYIL 50 (2008), 543 (563 ff.). 227
EKMR, Denmark, Norway, Sweden and the Netherlands v. Greece, Comm. Report vom 5. November 1969, Yearbook of the European Commission of Human Rights 12 (1969), 196, Ziff. 30.
538
Kapitel 8
Cyprus v. Turkey, ebenfalls Staatenbeschwerden, bestätigte der EGMR dies, betonte aber, dass ein solches Beweismaß durch Rückschlüsse aus unwiderlegten Vermutungen erreicht werden könne und dass das Verhalten der Parteien bei der Beweisaufnahme berücksichtigt werden müsse.228 Dieses Beweismaß gilt grundsätzlich auch bei Individualbeschwerden.229 Das im Vergleich zu anderen internationalen Gerichten (mit Ausnahme der Strafgerichtshöfe) erhöhte Beweismaß wird teils auf die Schwere der in Frage stehenden Rechtsverletzung (die bisweilen als „quasistrafrechtlich“ bezeichnet wird) zurückgeführt,230 bei besonders schwerwiegenden Verletzungen der Konvention auch auf ihren Charakter als systematische und schwere Verletzungen eines nicht derogierbaren Rechts (Art. 3, 15 Abs. 2 EMRK).231 Es ist wegen seiner Strenge und wegen des Unterschieds der Prozesszwecke im nationalen Strafprozess und internationalen Menschenrechtsverfahren in der Literatur zu Recht oft kritisiert worden.232 Überdies haben sowohl einzelne Staaten233 als auch Nichtregierungsorganisationen in Eingaben nach Art. 36 Abs. 2 EMRK i.V.m. Regel 44 Abs. 2 EGMR-VerfO eine Aufgabe des Maßes 228
EGMR, Ireland v. United Kingdom (Application no. 5310/71), Urteil vom 18. Januar 1978, Ser. A vol. 25, 65 (Ziff. 161): “[S]uch proof may follow from the coexistence of sufficiently strong, clear and concordant inferences or of similar unrebutted presumptions of fact. In this context, the conduct of the Parties when evidence is being obtained has to be taken into account.” EGMR (Große Kammer), Cyprus v. Turkey (Application no. 25781/94), Urteil vom 10. Mai 2001, ECHR 2001-IV,1 (35, Ziff. 112; 88, Ziff. 341). Dazu auch: Loucaides, LJIL 15 (2002), 225 (230). 229
EGMR, Aydin v. Turkey (Applications nos. 28293/95, 29494/95 and 30219/96), Urteil vom 25. September 1997, ECHR 1997-VI, 1866 (1888 f., Ziff. 70); EGMR, Aşan v. Turkey (Application no. 56003/00), Urteil vom 31. Juli 2007, abrufbar unter <www.echr.coe.int/ECHR>, Ziff. 69. 230
Das, in: International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes (2004), 193 (225). 231
Shelton, Fordham ILJ 12 (1989), 361 (386).
232
Shelton, Duke JCIL 13 (2003), 95 (138); Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 199 f.; Wolfrum, in: FS-Wildhaber (2007), 915 (921 ff.): Thienel, GYIL 50 (2008), 543 (579 ff.). 233
EGMR (Große Kammer), Cyprus v. Turkey (Application no. 25781/94), Urteil vom 10. Mai 2001, ECHR 2001-IV, 1 (87, Ziff. 337). Zypern argumentierte, dass „substantial evidence“ ausreiche. Der Gerichtshof lehnte dies in Ziff. 341 ab.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
539
gefordert.234 Auch einzelne Richter des EGMR haben sich diesbezüglich kritisch geäußert. So bemerkt Richter Bonello in seinem Sondervotum im Fall Veznedarglo v. Turkey: “[T]he standard of proof should be proportionate to the aim which the search for truth pursues: the highest degree of certainty, in criminal matters; a workable degree of probability in others. … Confronted by conflicting versions, the Court is under an obligation to establish (1) on whom the law places the burden of proof, (2) whether any legal presumptions militate in favour of one of the opposing accounts, and (3) ‘on a balance of probabilities’, which of the conflicting versions appears to be more plausible and credible. Proof ‘beyond reasonable doubt’ can, in my view, only claim a spurious standing in ‘civil’ litigation, like the adversarial proceedings before this Court.”235 Abweichend von diesen kritischen Stimmen wird das hohe Beweismaß jedoch vereinzelt als adäquat für die Feststellung von Menschenrechtsverletzungen auch in anderen internationalen Gerichten bezeichnet.236 Es bestehen jedoch Anzeichen, dass der EGMR im Einzelfall von seiner Rechtsprechung abweicht und ein weniger strenges Beweismaß zulässt.237 Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen der Gerichtshof Beweiserleichterungen gewährt, weil das Opfer der Menschenrechtsverletzung typischerweise in besonderer Beweisnot ist, vornehmlich solchen, in denen Verstöße während des Polizeigewahrsams auftreten.238 Darüber hinaus ist in Übereinstimmung mit der vom EGMR im Irish Case geprägten Formel zu betonen, dass das aus nationalen Rechtsordnungen bekannte strafrechtliche Beweismaß „beyond reasonable doubt“ 234 EGMR (Große Kammer), Nachova and others v. Bulgaria (Application nos. 43577/98 and 43579/98), Urteil vom 6. Juli 2005, abrufbar unter <www.echr.coe.int/ECHR>, Ziff. 140 (Eingabe von „Interights“). 235
EGMR, Sevtap Veznedaroğlu v. Turkey (Application no. 32357/96), Urteil vom 11. April 2000, partly diss. op. Bonello, abrufbar unter <www.echr.coe.int/ECHR>, Ziff. 12-14. Siehe auch: EGMR, Anguelova v. Bulgaria (Application no. 38361/97), Urteil vom 13. Juni 2002, partly diss. op. Bonello, ECHR 2002-IV, 399 (399 f.; Ziff. 4, 9). 236
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 236.
237
O’Connell, JCSL 7 (2002), 19 (23); Rudolf, EuGRZ 1996, 497 (498); Singh Sethi, 8 (2001) Human Rights Brief, 29 (30 f.): Thienel, GYIL 50 (2008), 543 (582). 238
Siehe Kapitel 9 C. III. 4. (b).
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Kapitel 8
nicht mit dem im Prozess vor dem EGMR anwendbaren Maß identisch ist.239 Vereinzelt hat der EGMR (etwa im Fall Nachova v. Bulgaria) die Geltung eines einheitlichen Beweismaßes sogar abgelehnt: “[T]he level of persuasion necessary for reaching a particular conclusion and, in this connection, the distribution of the burden of proof are intrinsically linked to the specificity of the facts, the nature of the allegation made and the Convention right at stake.”240
(b) Interamerikanischer Menschenrechtsgerichtshof In keinem der verfahrensrechtlichen Dokumente des inter-amerikanischen Menschenrechtsschutzes findet sich eine Regelung des Beweismaßes. Der IAGMR betont in ständiger Rechtsprechung, dass “international jurisprudence has always avoided a rigid rule regarding the amount of proof necessary to support the judgment.”241 Als Leitlinie betonte der IAGMR erstmals im Velásquez Rodríguez-Fall, dass je nach Schwere der in Rede stehenden Völkerrechtsverletzung durch einen Staat ein angemessen hohes Maß an Wahrscheinlichkeit für die Tatsachenfeststellung gefordert werden müsse.242 Es spricht viel dafür, den IAGMR dahin zu interpretieren, dass er für den Fall systematischer Menschenrechtsverletzungen das Beweismaß des clear and convincing evidence angelegt hat, also ein über der überwiegenden Wahrscheinlichkeit liegendes Maß.243 Das Beweismaß beyond reasonable doubt er239
Loucaides, in: FS-Velu, Bd. 3 (1992), 1431 (1436 f.); Leach, Taking a Case to the European Court of Human Rights (2005), 174; EGMR (Große Kammer), Nachova and others v. Bulgaria (Application nos. 43577/98 and 43579/98), Urteil vom 6. Juli 2005, abrufbar unter <www.echr.coe.int/ECHR>, Ziff. 147: “However, it has never been its purpose to borrow the approach of the national legal systems that use that standard.” 240
EGMR (Große Kammer), Nachova and others v. Bulgaria (Application nos. 43577/98 and 43579/98), Urteil vom 6. Juli 2005, abrufbar unter <www.echr.coe.int/ECHR>, Ziff. 147. 241
Statt aller: IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras, Urteil vom 29. Juli 1988, Ser. C No. 4, 135 (Ziff. 127). 242
IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras, Urteil vom 29. Juli 1988, Ser. C No. 4, 135 (Ziff. 129); IAGMR, Godínez Cruz v. Honduras, Urteil vom 20. Januar 1989, Ser. C No. 5, 131 (Ziff. 135); IAGMR, Fairén Garbi and Solís Corrales v. Honduras, Urteil vom 15. März 1989, Ser. C No. 6, 123 (Ziff. 132). 243
Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 400; dies., The Burden
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
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wähnt der Gerichtshof nicht.244 Vielmehr deutet einiges auf dessen Ablehnung hin, da der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont, dass das Verfahren sich von Strafverfahren nach Sinn und Zweck unterscheidet, indem es nicht auf die Verurteilung von Individuen abzielt, sondern den Schutz der Opfer und die Zubilligung von Entschädigung für von Staaten begangene Menschenrechtsverletzungen bezweckt.245 Das Beweismaß liegt mithin zwischen dem der an Sicherheit grenzenden und der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.246 In der Literatur hingegen ist für andere Fälle von weniger schwerwiegendem Charakter ein niedrigeres Beweismaß vorgeschlagen worden.247 Auch wird ein flexibles Beweismaß befürwortet, das sich nach der jeweiligen Menschenrechtsverletzung richtet.248
6. Das Beweismaß in der Rechtsprechung älterer Schiedsgerichte Die Rechtsprechung älterer zwischenstaatlicher Schiedsgerichte zum Beweismaß ist nicht einheitlich. Für ein Maß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit lässt sich z.B. die Affaire des biens brittaniques au Maroc espagnol anführen. Hier hielt Richter Huber fest, dass der Schiedsrichter im internationalen Prozess in der Beweiswürdigung, insbesondere auch in der Frage des Beweismaßes, weitgehende Freiheit habe:
of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 201, die aber auf die spanische Version hinweist, nach der eine volle richterliche Überzeugung gefordert zu werden scheint. Anders: Bovino, International Journal on Human Rights 2 (2005), 57 (73 f.): Ziel und Zweck des Menschenrechtsschutzes verlangen ein geringeres Beweismaß. Ähnlich: Rudolf, in: Zimmermann/Hofmann (Hrsg.), Unity and Diversity in International Law (2006), 389 (401). 244
Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 198. 245
IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras, Urteil vom 29. Juli 1988, Ser. C No. 4, 136 (Ziff. 134). 246
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 239, der aber auch eine Angleichung an die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für möglich hält (S. 240). 247
Buergenthal, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 261 (272). 248 Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights (2003), 213.
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Kapitel 8
«[I]l ne peut pas être question de présomptions formelles dans les sens du droit et de la procédure civils; au contraire, il est loisible au Rapporteur d’établir des responsabilités sur la base de probabilités suffisantes, résultant de l’ensemble des éléments d’information mis à sa disposition.»249 Damit sprach er sich für eine hinreichende (wohl: überwiegende) Wahrscheinlichkeit aus. Ähnliches wird in Bezug auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit im Schrifttum vertreten.250 Auch für ein höheres Beweismaß lassen sich jedoch Beispiele aus der Praxis finden. In den Mexico City Bombardment Claims findet sich eine Befürwortung des Beweismaßes „beyond reasonable doubt“ im Falle „außervertraglicher Haftung“.251 Im Faber-Fall sprach die deutschvenezolanische Schiedskommission von einer „moral conviction“, also wohl einer vollen Überzeugung des Gerichts, die nötig sei, um eine Tatsache als gegeben anzunehmen.252 Auch der von der britisch-venezolanischen Schiedskommission entschiedene Kelly-Fall fordert „indubitable proof“ angesichts der Schwere des Vorwurfs.253 Im Trail Smelter-Fall urteilte das Schiedsgericht, dass zum Nachweis der Schädigung „clear and convincing evidence“ von Nöten sei.254
249 Affaire des biens brittaniques au Maroc espagnol (Espagne c. RoyaumeUni), Schiedsspruch vom 1. Mai 1925, RIAA 2 (1949), 615 (654) (Hervorh. d. Verf.). 250
Brower, International Lawyer 28 (1994), 47 (49).
251
Claims Commission between Great Britain and Mexico, Decision No. 12, Mexico City Bombardment Claims, Merits of the Claim, Entscheidung vom 15. Februar 1930, Sondervotum Sir Percival, in: Claims Commission between Great Britain and Mexico, Decisions and Opinions of the Commissions, October 5, 1929, to February 15, 1930, 108 (109). Zustimmend offenbar: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 210. 252
Deutsch-Venezolanische Schiedskommission, Faber-Fall, Jackson H. Ralston, Venezuelan Arbitrations of 1903 (1904), 600 (622). 253
British-Venezolanische Schiedskommission, Kelly-Fall, RIAA 11 (1961), 398 (400): “As this charge is a very grave one, involving acts which are treasonable if he were a citizen of Venezuela, justice and equity require that even in a civil matter the facts themselves and the deductions to be made therefrom should rest upon indubitable proof, and so strong and forceful as to practically do away with all doubt concerning the charge made.” 254 Trail Smelter case (US v. Canada), Schiedsspruch vom 11. März 1941, RIAA 3 (1949), 1938 (1965).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
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Dabei stützte es sich bei der Ermittlung des Beweismaßes – getreu seiner nach Art. IV des Schiedsvertrages eingeräumten Kompetenz, sowohl Völkerrecht als auch US-amerikanisches Recht anzuwenden – auf die Rechtsprechung des amerikanischen Supreme Court zu Fällen betreffend die Luft- und Wasserverschmutzung.255 Die vom Schiedsgericht zitierten Fälle können als Interpretationshilfe des Schiedsspruchs dienen und belegen ein sehr hohes Beweismaß im Sinne eines „clearly and fully proved“.256
7. Eritrea Ethiopia Claims Commission Die Rechtsprechung der EECC ist für die vorliegende Arbeit auch unter dem Aspekt des Beweismaßes besonders interessant, da die Entscheidungen in der Sache in großem Umfang auf der Beurteilung von strittigen Tatsachenfragen vor dem Hintergrund weitgehend anerkannter Normen des humanitären Völkerrechts beruhen.257 Insbesondere erhellt ihre Rechtsprechung die Bedeutung des prima facie case für das Beweismaß im Völkerprozessrecht. Die EECC stellte zunächst fest, dass die Bestimmungen ihrer Prozessregeln, die die Beweisaufnahme und -bewertung regeln, allgemein üblicher internationaler Praxis folgten, insbesondere darin, dass sie das erforderliche Beweismaß nicht festlegten.258 Da das Verfahren hauptsächlich schwerwiegende Verletzungen des Völkerrechts zum Gegenstand habe, müsse der eindeutige und überzeugende Beweis („clear and convincing evidence“) zur Feststellung der anspruchsbegründenden Tatsachen verlangt werden.259 Die Feststellung einer solchen Verletzung be255 256
Ebd., 1964. So auch: Verhoosel, European Environmental Law Review 6 (1997), 247
(248). 257
Klein, GYIL 47 (2004), 214 (264-265).
258
EECC, Partial Award, Prisoners of War, Ethiopia’s Claim 4 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 35; EECC, Partial Award, Prisoners of War, Eritrea’s Claim 17 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 44. 259
EECC, Partial Award, Prisoners of War, Ethiopia’s Claim 4 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 37. Diese Feststellung über das erforderliche Beweismaß ist auch Teil des Tenors (Teil C. Evidentiary Issues). EECC, Partial Award, Prisoners of War, Eritrea’s Claim 17 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 46; EECC, Partial Award, Central Front, Ethiopia’s Claim 2 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff.
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Kapitel 8
zeichnete sie als „bedeutsame Angelegenheit mit ernsthaften Auswirkungen auf die Interessen und das Ansehen des betroffenen Staates.260 Dabei lehnte die Kommission die Anlegung eines höheren Beweismaßes, wie es in strafrechtlichen Fällen einschlägig sei (also „proof beyond reasonable doubt“), ausdrücklich ab. Die Tatsache, dass manche Fragen der Staatenverantwortlichkeit untrennbar mit potenziell strafrechtlich verbotenem Verhalten von Einzelpersonen verbunden seien, rechtfertige die Übertragung eines im Strafprozess geltenden höheren Wahrscheinlichkeitsgrades nicht, da die Kommission nicht zur strafrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts berufen sei.261 Hiermit setzt sich die Kommission von der Rechtsprechung des IGH im Genocide-Fall ab, nach der bei schwerwiegenden Völkerrechtsverletzungen die volle richterliche Überzeugung gefordert wird.262 Das Beweismaß des „clear and convincing evidence“ erfordert eine geringere Wahrscheinlichkeit als das Maß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, jedoch mehr als eine nur überwiegende Wahrscheinlichkeit.263 Während die Kommission für den Nachweis des Eintritts eines Schadens als anspruchsbegründendes Merkmal noch das Beweismaß des eindeutigen und überzeugenden Beweises („clear and convincing evidence“) anlegte, griff sie für die Ermittlung der Schadenshöhe auf
7; EECC, Partial Award, Civilians Claims, Eritrea’s Claims 15, 16, 23 & 27-32 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 17. Dezember 2004, Ziff. 35; EECC, Partial Award, Western Front, Aerial Bombardment and Related Claims, Eritrea’s Claims 1, 3, 5, 9-13, 14, 21, 25 & 26, Schiedsspruch vom 19. Dezember 2005, Ziff. 6; EECC, Partial Award, Diplomatic Claim, Ehtiopia’s Claim 8, Schiedsspruch vom 19. Dezember 2005, Ziff. 27; EECC, Final Award, Eritrea’s Damages Claims (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 17. August 2009, Ziff. 35; EECC, Final Award, Ethiopia’s Damages Claims (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 17. August 2009, Ziff. 35. 260
EECC, Final Award, Eritrea’s Damages Claims (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 17. August 2009, Ziff. 34; EECC, Final Award, Ethiopia’s Damages Claims (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 17. August 2009, Ziff. 34. 261
EECC, Partial Award, Prisoners of War, Ethiopia’s Claim 4 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 38; EECC, Partial Award, Prisoners of War, Eritrea’s Claim 17 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 47. 262 263
Siehe oben 1. (b).
Das, in: International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes (2004), 193 (225).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
545
Schätzungen zurück.264 Zur Begründung führte sie aus, dass die Frage der Schadenshöhe weniger emotionsgeladen und politisch brisant sei. Auch seien die besonderen Schwierigkeiten der Parteien beim Nachweis des exakten Schadensausmaßes zu berücksichtigen. Eindeutige und überzeugende Beweise zu verlangen hieße, in den meisten Fällen überhaupt keinen Schadensersatz zuzusprechen, was dem Auftrag der Kommission zuwiderliefe, den sozioökonomischen Folgen der Krise für die Zivilbevölkerung nach Art. 5 Abs. 1 des Schiedsvertrages vom 12. Dezember 2000 Rechnung zu tragen.265 Bei der Beweiswürdigung ging die Kommission davon aus, dass ein prima facie case dann erbracht sei, wenn die Gesamtheit des vom Kläger vorgebrachten Beweismaterials eindeutigen und überzeugenden Beweis für die Verletzung liefere. Im Anschluss hieran müssten die vom Beklagten unterbreiteten Beweise daraufhin untersucht werden, ob sie die Behauptung des Klägers widerlegen („rebuttal“),266 wobei das Beweismaß hierfür nicht klar artikuliert wird. Dabei fällt auf, dass die Kommission zwar zwischen dem allgemeinen Beweismaß und der aus dem Prozess vor den Panels im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsmechanismus bekannten Unterteilung der Beweisaufnahme in zwei Abschnitte unterscheidet, jedoch für das erfolgreiche Aufstellen eines prima facie case anders als das WTO-Berufungsgremium verlangt, dass der Kläger klare und überzeugende Beweise vorlegt. Dass angesichts der Schwere der behaupteten Völkerrechtsverletzungen ein besonders hoher Grad an Wahrscheinlichkeit gefordert wird, dieser dann aber auch auf die Etablierung eines prima facie case erstreckt wird, legt den Schluss nahe, dass mit der Bezeichnung „prima facie“ im konkreten Fall nicht etwa ein niedriges Beweismaß gemeint ist (wie beim Beweis des ersten Anscheins im deutschen Recht), sondern lediglich die zweiteilige kontradiktorische Prozessstruktur vor der Kommission bezeichnet werden soll. Die Zweiteilung in prima facie case und rebuttal erscheint so nur 264
EECC, Final Award, Eritrea’s Damages Claims (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 17. August 2009, Ziff. 34 ff.; EECC, Final Award, Ethiopia’s Damages Claims (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 17. August 2009, Ziff. 34 ff. 265
EECC, Final Award, Eritrea’s Damages Claims (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 17. August 2009, Ziff. 36; EECC, Final Award, Ethiopia’s Damages Claims (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 17. August 2009, Ziff. 36. 266
EECC, Partial Award, Prisoners of War, Ethiopia’s Claim 4 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 43.
546
Kapitel 8
als ein methodologisches Hilfsgerüst, das den Prozess der Beweiswürdigung rationalisieren soll. Dieses Verständnis lässt auch die Ansicht zweifelhaft erscheinen, die für den Gegenbeweis („rebuttal“) ebenfalls „clear and convincing evidence“ verlangt.267 Denn Ziel des Gegenbeweises ist ja nicht der Beweis der Nichtexistenz einer Tatsache (also das kontradiktorische Gegenteil des Hauptbeweises), deren Vorhandensein zur Haftungsbegründung notwendig ist, sondern nur die Erschütterung der Überzeugung des Gerichts in dem Umfang, dass sie unter das Niveau des vom beweisbelasteten Kläger zu erreichenden Beweismaßes fällt und die Behauptung wieder zweifelhaft ist,268 im vorliegenden Fall demnach die Beweislage nicht mehr „klar und überzeugend“ genannt werden kann. Mit anderen Worten ist das rebuttal das völkerprozessrechtliche Äquivalent nicht zum deutschen Beweis des Gegenteils, sondern eben zum Gegenbeweis.269 Dies bestätigt das bereits zum WTORecht Gesagte:270 der prima facie case determiniert nicht das Beweismaß, sondern regelt die Prozessstruktur.271 Die Kommission bewies Flexibilität, wenn besondere, von den Parteien nicht zu vertretende Umstände die Beweiserhebung erschwerten. So anerkannte die EECC, dass im kulturellen Kontext der Streitparteien Opfer von Vergewaltigungen nur außerordentlich zurückhaltend und widerwillig über die ihnen widerfahrenen Verletzungen Auskunft gäben, was bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sei.272 Dies begründete die Kommission damit, dass sie andernfalls einer Denkschule 267
So aber: Klein, GYIL 47 (2004), 214 (239).
268
Für das deutsche Recht: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 109, Rn. 13. 269 270
Hierzu siehe Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), 14. Siehe oben 4. (b).
271
Daher geht die von Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 435 f. geäußerte Kritik fehl, die Kommission habe irreführenderweise das Beweismaß des „clear and convincing evidence“ mit dem „prima facie case“ verbunden. 272
EECC, Partial Award, Central Front, Ethiopia’s Claim 2 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 36; EECC, Partial Award, Central Front, Eritrea’s Claims 2, 4, 6, 7, 8 & 22 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 39; EECC, Partial Award, Civilians Claims, Eritrea’s Claims 15, 16, 23 & 27-32 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 17. Dezember 2004, Ziff. 85; EECC, Partial Award, Western Front, Aerial Bombardment and Related Claims, Eritrea’s Claims 1, 3, 5, 9-13, 14, 21, 25 & 26, Schiedsspruch vom 19. Dezember 2005, Ziff. 77.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
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Vorschub leisten würde, die Vergewaltigungen als unvermeidbaren Kollateralschaden in bewaffneten Konflikten betrachte.273 Das Ergebnis hätte eventuell auch mit einer dahingehenden Parteivereinbarung begründet werden können, da sich beide Parteien einig in der Beurteilung der kulturell bedingten Schwierigkeiten waren. Fraglich ist jedoch, ob es sich hierbei um eine Senkung des Beweismaßes handelt.274 Dies ist deshalb zweifelhaft, weil die Kommission nicht ausdrücklich den Standard des clear and convincing evidence aufgab,275 sondern lediglich kein Muster häufiger oder weitverbreiteter Vergewaltigungen zur Feststellung einer Haftung voraussetzte.276 Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Kommission bereits in ihren ersten Entscheidungen festlegte, dass sie es schon aus Praktikabilitätsgründen277 nicht als ihre Aufgabe ansehe, die Verantwortlichkeit einer Partei für jeden einzelnen Vorfall eines Verstoßes festzustellen, sondern dass es um die Haftung für schwere Rechtsverletzungen gehe, die normalerweise in häufig auftretenden oder weitverbreiteten („frequent or pervasive“) rechtswidrigen Handlungen oder Unterlassungen bestünden und eine erhebliche Anzahl von Opfern beträfen.278 Staatenverantwortlich273
EECC, Partial Award, Central Front, Ethiopia’s Claim 2 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 36. 274
So: Klein, GYIL 47 (2004), 214 (243).
275
Dies sagt die Kommission ausdrücklich: “What the Commission has done is look for clear and convincing evidence of several rapes in specific geographic areas under specific circumstances.” EECC, Partial Award, Central Front, Ethiopia’s Claim 2 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 38; EECC, Partial Award, Central Front, Eritrea’s Claims 2, 4, 6, 7, 8 & 22 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 41. 276
EECC, Partial Award, Central Front, Ethiopia’s Claim 2 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 37; EECC, Partial Award, Central Front, Eritrea’s Claims 2, 4, 6, 7, 8 & 22 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 40. 277
Die EECC begründet dies mit den „Grenzen des Machbaren“ einerseits für die Parteien, nämlich zu informieren und zu argumentieren, und andererseits für die Kommission, nämlich im Rahmen der begrenzten Zeit und der von den Parteien zur Verfügung gestellten Ressourcen Feststellungen zu treffen: EECC, Partial Award, Prisoners of War, Ethiopia’s Claim 4 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 54. 278
EECC, Partial Award, Prisoners of War, Ethiopia’s Claim 4 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 54; EECC, Partial Award, Prisoners of War, Eritrea’s Claim 17 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 56.
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keit für Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht entsteht jedoch nicht erst ab dieser Erheblichkeitsschwelle, da es keine de minimis-Regel im humanitären Völkerrecht gibt.279 Es handelt sich daher bei dieser Einschränkung um eine autonome Begrenzung der Gerichtsbarkeit durch die EECC, die in Fällen der Vergewaltigung von Zivilistinnen aufgegeben wird. Daraus erklärt sich auch die nur scheinbar unterschiedliche Behandlung der Frage, ob Äthiopien haftbar für angebliche sexuelle Übergriffe auf weibliche Kriegsgefangene, die nicht als Vergewaltigung zu qualifizieren waren, gemacht werden könne. Auch hier hatte Eritrea vorgebracht, dass die ehemaligen weiblichen Kriegsgefangenen sich geweigert hätten, über dieses Thema zu sprechen, was vom Kläger respektiert worden sei.280 Obwohl die Kommission die Vorwürfe sehr ernst nahm, lehnte sie es ab, das Beweismaß zu senken.281
IV. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im Bereich des Beweismaßes keine allgemeinen Rechtsgrundsätze der nationalen Rechtsordnungen bestehen. Mangels Festlegung in völkerprozessrechtlichen Verträgen oder in richterlichen Prozessordnungen bleibt als maßgebliche Rechtsquelle daher das fallweise entwickelte Richterrecht. Allerdings hat sich ein einheitliches Beweismaß oder auch eine stimmige Theorie eines den Umständen und der Art der Rechtsverletzung angepassten flexiblen Beweismaßes, das bzw. die für alle zwischenstaatlichen Jurisdiktionen übergreifend gelten kann, in der internationalen Rechtspre-
279 Dies scheint die Kommission anders zu beurteilen, indem sie argumentiert, dass Vergewaltigungen definitionsgemäß vorsätzliche und schwere Verletzungen involvierten und daher auch ohne Häufigkeit Staatenverantwortlichkeit auslösten, aber in dieser Hinsicht einen Sonderfall darstellten: EECC, Partial Award, Central Front, Ethiopia’s Claim 2 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 38; EECC, Partial Award, Central Front, Eritrea’s Claims 2, 4, 6, 7, 8 & 22 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 41. 280
EECC, Partial Award, Prisoners of War, Eritrea’s Claim 17 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 140. 281
Ebd., Ziff. 141. Die Kommission verwendet hier den Begriff burden of proof, jedoch wird aus dem sprachlichen Kontext („lowered“) klar, dass es sich um das Beweismaß handeln muss.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
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chung bisher nicht herausgebildet.282 Gemeinsam ist den verschiedenen internationalen Gerichten, dass – wie im nationalen Recht – dem Beweismaß nicht eine objektive mathematisch-statistische Wahrscheinlichkeit zugrunde liegt, sondern die subjektive Überzeugung des internationalen Richters von der Wahrheit der umstrittenen Behauptung zählt. Davon ausgehend kann man vorsichtig resümieren, dass in zwischenstaatlichen Streitigkeiten eine Tendenz hin zur überwiegenden Wahrscheinlichkeit als „Standardbeweismaß“ besteht,283 dies jedoch unter der Einschränkung, dass die Rechtsprechung des IGH gerade in jüngster Zeit eher auf das Beweismaß des „clear and convincing evidence“ hindeutet.284 Die Entwicklung ist hier noch im Fluss. Ebenfalls kristallisiert sich eine Auffassung insbesondere in der neueren Praxis des IGH heraus, derzufolge schwerer wiegende Rechtsverletzungen ein erhöhtes Beweismaß nach sich ziehen.285 Eine solche flexible Beweismaßregelung entspricht durchaus der Verflechtung des Beweismaßes mit dem materiellen Recht, da Funktion des Beweismaßes die Bestimmung ist, wann 282
Das gilt auch für den EuGH, der bisher keine allgemeingültige Formel für das Beweismaß gefunden hat: Lasok, The European Court of Justice, Practice and Procedure (1994), 429-431. 283
So auch: Ramcharan, in: ders. (Hrsg.), International Law and FactFinding in the Field of Human Rights (1982), 64 (78); Kazazi/Shifman, ILF 1 (1999), 193 (195); Amerasinghe, Principles of Evidence in International Litigation, IDI Annuaire 70 I (2002-2003), 139 (398), Art. 19 des Resolutionsentwurfs: “[I]n principle tribunals shall base [their] decision on whether in the light of the evidence available it is probable (and not merely possible) that the actor’s (claimant’s) case has been demonstrated (preponderance of the evidence).” Sinclair, IDI Annuaire 70 I (2002-2003), 323 (338); Wolfrum, in: FSWildhaber (2007), 915 (920). 284 285
So auch: O’Connell, ASIL Proc. 100 (2006), 44 (45).
Siehe aber auch: ICSID, Asian Agricultural Products Ltd. (AAPL) v. Republic of Sri Lanka, Case No. ARB/87/3, Final Award, Schiedsspruch vom 27. Juni 1990, ICSID Review 6 (1991), 526 (549 f., Ziff. 60). In diesem Fall forderte die Klägerin Ersatz des ihr durch die Zerstörung einer ihrem Tochterunternehmen gehörenden Garnelenfabrik entstandenen Schadens nach Art. 4 des des bilateralen Investitionsvertrages zwischen dem Vereinigten Königreich und Sri Lanka. Die Zerstörung ereignete sich im Zuge einer militärischen Aktion gegen die Tamilenrebellen am 28. Januar 1987. Das Schiedsgericht urteilte, dass die Verursachung des Schadens durch die Regierung Sri Lankas nicht bewiesen war; angesichts der Schwere des Vorwurfs müsse die Zurechnung „in a conclusive manner“ und nicht lediglich prima facie bewiesen sein.
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eine Tatsache als erwiesen gelten soll. Dies enthält eine Wertung darüber, unter welchen Umständen eine materielle Rechtsfolge eintreten soll.286 Allerdings ist die internationale Gerichtsbarkeit bisher eine nähere Erörterung der Frage schuldig geblieben, in welchen Fällen von einer besonders schwerwiegenden Völkerrechtsverletzung und damit von einem höheren Beweismaß auszugehen ist.287 Im Bereich des Beweismaßes besteht also noch weiterer Klärungsbedarf, der aller Voraussicht nach nur von den internationalen Gerichten selbst geleistet werden kann, da eine explizite Festlegung des Beweismaßes in gerichtseinsetzenden Verträgen nicht zu erwarten steht.
C. Der Beweiswert Die Frage des Beweiswertes bezieht sich auf die Fähigkeit eines bestimmten, konkreten Beweismittels, den erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit hinsichtlich einer Tatsache (das Beweismaß) zu erfüllen. Mit anderen Worten ist der Beweiswert die Eignung eines Beweismittels, die Überzeugung des Richters zu beeinflussen.288
I. Allgemeine Grundsätze zum Beweiswert Der Wert eines Beweismittels beruht auf Hilfstatsachen, die nach der Lebenserfahrung auf seine Zuverlässigkeit schließen lassen, so z.B. der Identität und Unversehrtheit sowie der Anschaulichkeit des Augenscheinsobjekts, der Echtheit und dem Inhalt der Urkunde, der Glaubwürdigkeit des Zeugen oder der Partei, der Fachkenntnis und Unbefangenheit des Sachverständigen.289 Ein hoher Beweiswert kommt einem Beweismittel dann zu, wenn es aufgrund jener Hilfstatsachen eine hohe Überzeugungskraft hat, wie es z.B. bei einem von einem unabhängigen Sachverständigen angefertigten 286 287
Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht (1983), 278 f. So auch: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007),
101. 288
Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), 19; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 109, Rn. 27. 289
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 109, Rn. 27.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
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Gutachten der Fall sein wird, das nach gesicherten Methoden der Naturwissenschaft erstellt wurde. Einen geringen Beweiswert wird im Allgemeinen die Aussage eines Zeugen haben, der die geschilderten Ereignisse nicht persönlich erlebt hat, sondern sie nur vom Hörensagen schildern kann. Der Beweiswert kann somit nicht abstrakt-generell einem Beweismittel als solchem zugeschrieben, sondern muss im konkreten Einzelfall ermittelt werden. Nach der kontinentaleuropäischen Tradition sind diejenigen Dokumente von besonders hoher Beweiskraft, die in tempore non suspecto, also bereits vor Aufkommen der gerichtlichen Auseinandersetzung möglichst zeitgleich mit dem in ihnen dokumentierten Ereignis oder Vorgang entstanden.290 Skepsis hat der IGH – und auch das IUSCT291 – daher bezüglich des Beweiswerts von einer Partei aus Anlass der und speziell für die Prozessführung vorbereiteten Materials geäußert.292 Dies gilt insbesondere für Angaben der geschädigten Privatperson im Falle der Ausübung diplomatischen Schutzes,293 aber auch bei außergerichtlichen Aussagen ranghoher Regierungsmitglieder in eigener Sache nach Entstehen der Streitigkeit. Letztlich haben diese Urkunden oder Aussagen nur den Status eines Parteivortrags und keine weitere beweisrechtli-
290
Demeyere, SchiedsVZ 1 (2003), 247 (249); Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (46); Arbitral Tribunal Constituted Pursuant to Article 287, and in Accordance with Annex VII, of the United Nations Convention on the Law of the Sea, in the Matter of an Arbitration between Barbados and the Republic of Trinidad and Tobago, Schiedsspruch vom 11. April 2006, abrufbar unter <www.pca-cpa.org>, Ziff. 266. 291
Brower, International Lawyer 28 (1994), 47 (55); Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (110). 292
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (201, Ziff. 61 und 277, Ziff. 336). 293
Claims Commission between Great Britain and Mexico, Decision No. 12, Mexico City Bombardment Claims, Merits of the Claim, Entscheidung vom 15. Februar 1930, in: Claims Commission between Great Britain and Mexico, Decisions and Opinions of the Commissions, October 5, 1929, to February 15, 1930, 100 (102 f.); Claims Commission between Great Britain and Mexico, Decision No. 39, Claim No. 108, W. Allan Odell, Entscheidung vom 13. Mai 1931, in: Claims Commission between Great Britain and Mexico, Further Decisions and Opinions of the Commissioners Subsequent to February 15, 1930 (1933), 61 (63). Dazu: Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 311.
552
Kapitel 8
che Relevanz.294 Auch Aussagen von Regierungsmitgliedern, deren Staat Partei des Verfahrens ist, sind nur von geringem Beweiswert, da diese sich aller Voraussicht nach mit den Interessen ihres Landes identifizieren und darauf achten werden, nichts auszusagen, was den Interessen ihres Landes im Prozess schädlich sein könnte.295 Gleiches gilt für hochrangige Offiziere.296 Von neutralen Quellen unbestätigte Berichte militärischer Geheimdienste einer Streitpartei sind ebenso wenig verlässlich.297 Als besonders zuverlässig hingegen werden Beweismittel eingestuft, die einen unmittelbaren Zusammenhang zur zu beweisenden Tatsache aufweisen, z.B. Aussagen von Personen, die die fraglichen Ereignisse selbst miterlebt haben.298 Liegen die Ereignisse allerdings weit zurück, so kommt Aussagen, die erst lange nach der zu beweisenden Tatsache getätigt werden, nur geringer Beweiswert zu. Daneben hat der IGH solche Beweismittel als besonders wertig gewürdigt, die öffentlich zugänglich waren und deren inhaltliche Richtigkeit von unparteiischen Personen nicht in Frage gestellt wurde.299 Auch Tatsachendarstellungen, die sich aus von den Parteien gemeinsam erstellten Dokumenten ergeben, ohne dass diese rechtlich bindend wären, wurden vom IGH tendenziell als beweiskräftig angesehen.300 Auch die Tatsache, dass eine Partei sachnähere Beweise hätte anbieten können, kann eine Rolle spielen.301
294
Lasok, The European Court of Justice, Practice and Procedure (1994),
378. 295
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (43, Ziff. 70).
296
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (203, Ziff. 65). 297
Ebd., 267, Ziff. 298.
298
Ebd., 201, Ziff. 61; Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 399. 299 IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (201, Ziff. 61). 300
Ebd., 277, Ziff. 335 (Austausch diplomatischer Noten), Ziff. 336, 342 (gemeinsam erstellter Lagebericht). 301
Claims Commission between Great Britain and Mexico, Decision No. 39, Claim No. 108, W. Allan Odell, Entscheidung vom 13. Mai 1931, in: Claims Commission between Great Britain and Mexico, Further Decisions and Opinions of the Commissioners Subsequent to February 15, 1930 (1933), 61 (63, Ziff. 6). Siehe auch: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 202.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
553
Dies alles lässt darauf schließen, dass oberste Leitprinzipien bei der Bestimmung des Beweiswerts die Sachnähe und Neutralität des Beweismittels sind.302
II. Bewertung einzelner Beweismittel durch die Rechtsprechung 1. Beweise aus neutraler Quelle oder gegen die Interessen eines Staates (a) Zeugen Der IGH hat zum Beweiswert grundsätzlich geurteilt, dass die Überzeugungskraft derjenigen Zeugenaussagen besonders hoch sei, die entweder aus einer neutralen Quelle stammen oder die aus der Sphäre des Staates herrühren, den sie belasten.303 So gilt die Aussage eines Zeugen als besonders zuverlässig, wenn er der Sphäre keiner der beiden Parteien zugeordnet werden kann und deshalb keinen Vorteil aus seiner Aussage bzw. aus einem auf diese Aussage gestützten Urteil ziehen kann.304 Andererseits können Abhängigkeiten zu dem Staat, für den Zeugen aussagen, den Beweiswert verringern.305 Je länger das streitige Ereignis zum Zeitpunkt der Aussage jedoch zurückliegt, desto geringer ist der Beweiswert.306 Berichtet der Zeuge von Ereignissen, die er selbst nicht 302
Latty, AFDI 51 (2005), 205 (218).
303
Frowein, in: Dupuy, Manuel sur les organisations internationales (1998), 153 (189). 304
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (42-43, Ziff. 69). Bestätigend: IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Lauterpacht, ICJ Rep. 1993, 407 (429, Ziff. 61). Siehe auch: Waincymer, WTO Litigation (2002), 623. 305
Walfish Bay Boundary Case, Schiedsspruch vom 23. Mai 1911, RIAA 11 (1961), 263 (302 f., Ziff. XLVIII): “[T]he witnesses brought forward by one or the other [party] depend in some way or other, by reason of nationality, residence, or office, on the State in whose favour they are giving evidence – a fact which, though it does not properly constitute a legal objection, is a ground for a reasonable presumption that they may accentuate their assertions, whether they wish it or not, in a definite sense.” 306
IGH, Oil Platforms Case (Merits), ICJ Rep. 2003, 161 (189, Ziff. 58) in Bezug auf eine Aussage, die 10 Jahre nach dem fraglichen Geschehen aufgezeichnet wurde. Ebenso: EGMR, İpek v. Turkey (Application no. 25760/94), Urteil vom 17. Februar 2004, ECHR 2004-II, 1 (8, Ziff. 116): “[T]he passage of time takes a toll on a witness’ capacity to recall events in detail and with accu-
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persönlich wahrgenommen hat (Zeuge vom Hörensagen), so wird der Aussage ein eher geringer Beweiswert zukommen.307 Im Ergebnis identisch verfährt das IUSCT, wobei es bereits terminologisch zwischen Zeugen i.e.S., die keine wie auch immer geartete Verbindung zu einer der Parteien haben, und solchen Personen differenziert, die potenziell am Verfahrensausgang interessiert sein können, wie z.B. die Parteien selbst oder deren Angestellte.308 Zugehörige der letzteren Personengruppe werden im Verfahren vor dem IUSCT daher nicht als Zeugen, sondern als Parteirepräsentanten vernommen, die somit keine Aussage machen (testimony), sondern lediglich „Informationen“ weitergeben.309 Das IUSCT hat den Aussagen von Zeugen i.e.S. stets höheren Beweiswert beigemessen als denen von Parteirepräsentanten310 und damit ebenfalls den Grundsatz der Neutralität angewandt. Wie beschrieben gilt für den IAGMR, dass die reine Möglichkeit, dass eine Person ein Interesse am Verfahrensausgang haben könnte, nicht ausreicht, um sie als Zeuge zu disqualifizieren. Allerdings wird auch hier die persönliche Betroffenheit in die Würdigung der Aussage mit einbezogen.311 Des Weiteren misst der IGH hohen Beweiswert solchen Zeugenaussagen bei, die den Interessen des Staates widersprechen, als dessen Repräsentant der Zeuge auftritt.312 So entschied der IGH im Nicaragua-Fall, racy. In the instant case, the witnesses testifying before the Delegates were asked to recollect incidents which occurred many years previously.”; Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (287). 307
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (16 f.); IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (42, Ziff. 68); Walfish Bay Boundary Case, Schiedsspruch vom 23. Mai 1911, RIAA 11 (1961), 263 (303, Ziff. XLIX); Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 393; Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (281). 308
Brower/Brueschke, The Iran-United States Claims Tribunal (1998), 183; Brower, International Lawyer 28 (1994), 47 (49). 309
Kazazi, Burden of Proof (1996), 106; Straus, Journal of International Arbitration 3 (3) (1986), 57 (62); Selby/Stewart, International Lawyer 18 (1984), 211 (231). 310
Brower, International Lawyer 28 (1994), 47 (49).
311
IAGMR, Loayza Tamayo v. Peru, Reparations, Urteil vom 27. November 1998, Ser. C No. 42, 127 (Ziff. 72); Bovino, International Journal on Human Rights 2 (2005), 57 (69). 312
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (43, Ziff. 69).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
555
dass schriftliche oder mündliche Aussagen der Regierungsmitglieder eines Staates, die gegen dessen Interessen gerichtet sind, als besonders verlässlich angesehen werden können.313
(b) Äußerungen von der Partei zuzurechnenden Personen außerhalb des Forums Der IGH misst denjenigen Informationen besonders hohe Überzeugungskraft zu, die aus der Sphäre einer Partei stammen und ihr potenziell zum Nachteil gereichen, wie beispielsweise Dokumente und außerhalb des Forums getane Aussagen von Repräsentanten eines Staates, die dessen Interessen widersprechen.314 Dies gilt insbesondere für führende Politiker, aber auch für hochrangige Vertreter des Militärs.315 Letztere Erwägung spielte bereits im Island of Palmas-Fall in Bezug auf offizielles oder halb-offizielles Kartenmaterial eine Rolle, das die im Streit stehende Insel als der Gebietsherrschaft der anderen Partei unterstehend verzeichnete.316 Diese Aussagen sind hingegen nicht als Geständnis zu werten, wie es der IGH im Nicaragua-Fall andeutete.317 Ein Panel hat die eben skizzierte Rechtsprechung des IGH im Rahmen der WTO-Streitbeilegung (wenn auch ohne Berufung auf die IGHRechtsprechung) sinnvoll fortgeführt. In Chile – Alcoholic Beverages heißt es im Kontext der Überprüfung einer steuerlichen Maßnahme anhand Art. III GATT, dass “[s]tatements by a government against WTO interests (e.g., indicating a protective purpose or design) are most probative. Correspondingly, it is less likely that self-serving comments by a government attempting to justify its measure would be particularly probative”.318 Damit sind Äußerungen staatlicher Funktionsträger nicht nur dann von hohem Beweiswert, wenn sie den staatseigenen Interessen 313
Ebd., 43, Ziff. 70.
314
Ebd., 41, Ziff. 64; IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (201, Ziff. 61). Dazu auch Highet, AJIL 81 (1987), 1 (33, Fn. 160). 315
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (206, Ziff. 78). 316 Island of Palmas case (Netherlands v. USA), Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA 2 (1949), 831 (852). 317
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (41, Ziff. 64): “They may be construed as a form of admission.” Siehe Kapitel 7 B. II. 3. (b). 318
DSB, Chile – Alcoholic Beverages (Panel), Ziff. 7.119.
556
Kapitel 8
widersprechen, sondern auch dann, wenn sie den gemeinsamen Interessen des jeweiligen Rechtsregimes zuwiderlaufen.
(c) Verallgemeinerung Diese in Bezug auf mündliche oder schriftliche Äußerungen von Personen bezogenen Kriterien können auf andere Beweismittel übertragen werden. So hat der IGH im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall anerkannt, dass einem von in der Zeugenbefragung und in der Beurteilung komplexer Sachverhalte erfahrenen Richtern erstellten Bericht ein hoher Beweiswert zukommt.319 Obwohl dieser Bericht von einer Streitpartei (Uganda), wohl aber nicht im Hinblick auf den konkreten Rechtsstreit, in Auftrag gegeben worden war, bürgten die besondere Qualifikation der Berichterstatter und die angewandte Methodik für Neutralität. Auch waren die tatsächlichen Feststellungen für Uganda vorwiegend ungünstig. In weiten Strecken bezieht sich der IGH in seinem Urteil fast ausschließlich auf die Erkenntnisse dieses Berichts.320 Zusammenfassend kann damit festgestellt werden, dass solchen Beweismitteln besonders hoher Wert zukommt, die entweder aus neutraler Quelle stammen oder die ungünstig für den Staat sind, der sie sich zurechnen lassen muss, sei es durch die Amtseigenschaft der die Aussage machenden Person oder die Entstehung eines Dokuments in der Sphäre des betreffenden Staates. Daneben spielt die Verlässlichkeit der Methodik eine Rolle, mit der die Information ermittelt wurde.
2. Schriftliche Zeugenaussagen und „affidavits“ Von den Parteien eingeführte schriftlich festgehaltene Zeugenaussagen, seien sie vor einer nach nationalem Recht hierfür zuständigen Stelle beschworen („affidavits“) oder nicht, sind grundsätzlich als Beweismittel zulässig.321 Nach allgemeinen Grundsätzen ist das internationale Gericht jedoch frei in der Würdigung dieser Beweismittel.322 Die Beweis319 IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (201, Ziff. 61). 320 321 322
Ebd., 249 ff., Ziff. 237 ff. Kapitel 7 D. II. 2. (b). Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 261 f.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
557
kraft ist abhängig von der Verlässlichkeit des Zeugen selbst und der Methode der Niederlegung der Aussage. Dabei kann sich negativ auf den Beweiswert auswirken, dass die betreffende Person vom Gericht nicht befragt und auch nicht von der gegnerischen Partei ins Kreuzverhör genommen werden kann.323 Für den Beweiswert schriftlicher Zeugenaussagen ist von Bedeutung, dass der IGH speziell für den Zweck der Verhandlung vorbereiteten Beweismitteln der Parteien keinen hohen Wert zumisst.324 Ebenso wird ein solches Dokument dann von geringerem Beweiswert sein, wenn die Aussage erst lange nach dem fraglichen Ereignis schriftlich niedergelegt worden ist.325 So wurde die schriftliche Aussage eines Piloten im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall als wenig glaubwürdig beurteilt, da seine Aussage drei Jahre nach den fraglichen Ereignissen und 22 Monate nach Einleitung des Verfahrens vor dem IGH durch den Kongo von einem Rechtsberater des kongolesischen Dienstes zur militärischen Aufdeckung unpatriotischer Aktivitäten aufgenommen worden war.326 Gleiches gilt für affidavits von Amtsträgern einer Streitpartei.327 Die bisher intensivste Auseinandersetzung mit dem Beweiswert von affidavits findet sich im Territorial and Maritime Dispute between Nicaragua and Honduras in the Caribbean Sea-Fall:
323
Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 401 ff.; Walfish Bay Boundary Case, Schiedsspruch vom 23. Mai 1911, RIAA 11 (1961), 263 (302, Ziff. XLVII); Claims Commission between Great Britain and Mexico, Decision No. 12, Mexico City Bombardment Claims, Merits of the Claim, Entscheidung vom 15. Februar 1930, in: Claims Commission between Great Britain and Mexico, Decisions and Opinions of the Commissions, October 5, 1929, to February 15, 1930, 100 (102 f.); EGMR, Ireland v. United Kingdom (Application no. 5310/71), Urteil vom 18. Januar 1978, Ser. A vol. 25, Ziff. 79 f. (Ziff. 210) in Bezug auf einen von der EKMR vernommenen Zeugen. 324
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (201, Ziff. 61). 325
IGH, Oil Platforms Case (Merits), ICJ Rep. 2003, 161 (189, Ziff. 58) in Bezug auf eine Aussage, die 10 Jahre nach dem fraglichen Geschehen aufgezeichnet wurde. Siehe auch: Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (283). 326 IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (202, Ziff. 64). 327
Ebd., 219, Ziff. 129: “While a notarized affidavit is entitled to a certain respect, the Court must observe that it is provided by a party in the case and provides at best indirect ‘information’ that is unverified.”
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Kapitel 8
“The Court notes, as to that latter category of evidence, that witness statements produced in the form of affidavits should be treated with caution. In assessing such affidavits the Court must take into account a number of factors. These would include whether they were made by State officials or by private persons not interested in the outcome of the proceedings and whether a particular affidavit attests to the existence of facts or represents only an opinion as regards certain events. The Court notes that in some cases evidence which is contemporaneous with the period concerned may be of special value. Affidavits sworn later by a State official for purposes of litigation as to earlier facts will carry less weight than affidavits sworn at the time when the relevant facts occurred. In other circumstances, where there would have been no reason for private persons to offer testimony earlier, affidavits prepared even for the purposes of litigation will be scrutinized by the Court both to see whether what has been testified to has been influenced by those taking the deposition and for the utility of what is said. Thus, the Court will not find it inappropriate as such to receive affidavits produced for the purposes of a litigation if they attest to personal knowledge of facts by a particular individual. The Court will also take into account a witness’s capacity to attest to certain facts, for example, a statement of a competent governmental official with regard to the boundary lines may have greater weight than sworn statements of a private person.”328 Ähnlich vorsichtig behandelt das IUSCT schriftliche Zeugenaussagen.329 Das Tribunal ist affidavits vor allem deshalb mit einer gewissen Skepsis begegnet, weil Mechanismen, die einem Missbrauch des Instruments vorbeugen sollen, auf internationaler Ebene nicht existieren und nationale Gerichte Falschaussagen vor internationalen Gerichten in der Regel nicht verfolgten.330 So stellte das IUSCT fest, dass
328 IGH, Territorial and Maritime Dispute between Nicaragua and Honduras in the Caribbean Sea (Nicaragua v. Honduras), Urteil vom 8. Oktober 2007, Ziff. 244. 329 330
Brower, International Lawyer 28 (1994), 47 (55).
Siehe hierzu auch: Claims Commission between Great Britain and Mexico, Decision No. 12, Mexico City Bombardment Claims, Merits of the Claim, Entscheidung vom 15. Februar 1930, in: Claims Commission between Great Britain and Mexico, Decisions and Opinions of the Commissions, October 5, 1929, to February 15, 1930, 100 (102 f.): “[I]n nearly all cases a false statement will remain without penalty.” Claims Commission between Great Britain and
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
559
“the value attributed to this kind of evidence is directly related … to a system of sanctions in case of perjury, which can easily and promptly be put into action and is rigorous enough to deter witnesses from making false statements. Such a system does not exist within international Tribunals and recourse to the domestic courts of the witness or affiant by the other party would be difficult, lengthy, costly and uncertain.”331 Dennoch wurden angesichts der unverschuldeten Beweisnot einer Partei affidavits durchaus berücksichtigt, wobei jeweils die Umstände des Einzelfalles entscheidend waren.332 Dabei kann die Beeidigung der Aussage vor einer staatlichen Stelle eine Rolle spielen.333 Gänzlich gegen eine Berücksichtigung unbeschworener schriftlicher Zeugenaussagen entschied sich die EECC. Sie erkannte den von äthiopischen Kriegsgefangenen ausgefüllten und von Äthiopien vorformulierten Fragebögen, in denen die Betroffenen Auskunft über die Haftbedingungen und Erfahrungen in den eritreischen Kriegsgefangenenlagern geben sollten, nur ungewissen Beweiswert zu. Sie schloss sich damit den von Eritrea geäußerten Bedenken an der Formulierung der Fragen und der Methode der Erhebung an, die unweigerlich zu ungenauen und unzuverlässigen, weil zwangsläufig übertriebenen Antworten führen mussten.334 Die Kommission stützte ihre Überzeugung daher nicht auf diese von Äthiopien in den Prozess eingeführten Dokumente. Weitere von Äthiopien vorgelegte Beweismittel umfassten schriftliche Erklärungen ehemaliger äthiopischer Kriegsgefangener, die mit feierlicher Bekundung („solemn declaration“) der Wahrhaftigkeit der in der Erklärung gemachten Aussage und einer Versicherung an Eides Statt der Exaktheit der Übersetzung versehen waren. Bei der Beurteilung ihres Beweiswertes prüfte die Kommission die Deutlichkeit und die Detailliert-
Mexico, Mrs. Virginia Lessard Cameron, Decision No. 2, Claim No. 9, Entscheidung vom 8. November 1929, RIAA 5 (1952), 27 (30). 331 IUSCT, W. Jack Buckamier v. The Islamic Republic of Iran, ISIRAN/Army, Tehran Redevelopment Corporation, Bank Mellat, Hejrat Branch, Case No. 941, Urteil vom 6. März 1992, IUSCTR 28 (1996), 53 (75, Ziff. 67). Zur Missbrauchsgefahr und fehlenden Sanktionsmechanismen siehe auch Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 265. 332 333 334
Brower/Brueschke, The Iran-United States Claims Tribunal (1998), 189 f. Hierzu: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 198.
EECC, Partial Award, Prisoners of War, Ethiopia’s Claim 4 (Ethiopia v. Eritrea), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 41 und 81.
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heit der Aussage sowie die Frage, ob andere Aussagen oder andere Beweismittel die in ihr gemachten Tatsachenbehauptungen stützten („corroboration“).335 Im Fall Tradex Hellas S.A. (Greece) v. Albania entschied ein ICSIDSchiedsgericht hinsichtlich nicht notariell beglaubigter schriftlicher Zeugenaussagen, dass diese grundsätzlich zulässiges Beweismittel sein könnten, da weder Regel 34 Abs. 1 noch Regel 36 (a) ICSID-AR ein „sworn affidavit“ verlangten und die Eidleistung in vielen nationalen Rechtsordnungen keine Zulässigkeitsvoraussetzung sei.336 Auch von den Parteien geäußerte Zweifel an der Unabhängigkeit der Zeugen und Behauptungen unzulässiger Beeinflussung von Zeugen durch die Parteien sollen der Zulässigkeit nicht entgegenstehen. Allerdings behielt sich das Gericht vor, das diesbezügliche Vorbringen der Parteien in der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.337 Nach alledem wird der Beweiswert schriftlicher Zeugenaussagen generell niedrig anzusetzen sein. Dies gilt vor allem für nicht vor einer zuständigen nationalen Stelle beeidigte Aussagen. Schließlich sind die Art und Weise ihres Zustandekommens, der zeitliche Abstand zwischen den bezeugten Ereignissen und der Aufnahme sowie die Verlässlichkeit der die Aussage tätigenden Person relevant. Im Regelfall können affidavits und andere schriftliche Zeugenaussagen daher andere Beweismittel allenfalls ergänzen und zusammen mit ihnen zum Beweis der Tatsache führen; anderes gilt nur in Ausnahmesituationen, etwa bei Beweisnot.338
3. Parteiaussagen Außergerichtliche Parteiaussagen sind nicht als Geständnis zu werten, sondern können allenfalls über den Estoppel-Grundsatz zur Unbe335
Ebd., Ziff. 43; EECC, Partial Award, Prisoners of War, Eritrea’s Claim 17 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 1. Juli 2003, Ziff. 49: “In evaluating the probative strength of a declaration to portray a violation (or several violations) of international law, the Commission considered the clarity and detail of the relevant testimony, and whether the evidence is corroborated by testimony in other declarations or by other available evidence.” 336 ICSID, Tradex Hellas S.A. (Greece) v. Republic of Albania, Case No. ARB/94/2, Schiedsspruch vom 29. April 1999, ICSID Review 14 (1999), 197 (220, Ziff. 80). 337 338
Ebd., 221, Ziff. 83. Ähnlich: Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (281).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
561
streitbarkeit der Tatsache führen.339 Ist dies nicht der Fall, so kann das Gericht sie frei würdigen.340 Vor frühen Schiedskommissionen wurde der Aussage einer Partei alleine oft nur sehr geringer Beweiswert beigemessen.341 Allerdings finden sich auch gegenteilige Beispiele.342 Besonders wenn der beweisbelasteten Partei keine anderen Beweismittel zur Verfügung stehen, wird eine Parteiaussage in Betracht kommen.343 Allgemein gelten die Grundsätze, die für den Beweiswert der Aussage einer der Sphäre einer Partei zuzurechnenden Person gelten.
4. Sachverständigengutachten und Privatgutachter Bereits im Rahmen der Diskussion der Beweismittel wurde darauf hingewiesen, dass zwischen vom Gericht bestellten Sachverständigen und Privatgutachtern zu differenzieren ist.344 Dies gilt auch für die Beurteilung des Beweiswerts.
(a) Gerichtliche Sachverständige Allgemein wird den Aussagen der vom internationalen Gericht bestellten Sachverständigen mehr Gewicht beigemessen als den Parteisachver339
Kapitel 7 B. II. 3 (c).
340
Kazazi, Burden of Proof (1996), 214; Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 147; Bowett, BYIL 33 (1957), 176 (195); Martin, L’estoppel en droit international public (1979), 202. 341
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 354 in Bezug auf die Rechtsprechung der britisch-mexikanischen gemischten Schiedskommission. 342
American-Mexican General Claims Commission, Daniel Dillon (U.S.A.) v. United Mexican States, Entscheidung vom 3. Oktober 1928, concurring op. Nielson, RIAA 4 (1951), 369 (370): “An arbitral tribunal, can not, in my opinion, refuse to consider sworn statements of the claimant, even when contentions are supported solely by his own testimony. Unimpeached testimony of a person who may be the best informed person regarding transactions and occurrences under consideration can not properly be disregarded because such a person is interested in a case. No principle of domestic or international law would sanction such an arbitrary disregard of evidence.” 343 344
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 365. Kapitel 7 D. II. 3.
562
Kapitel 8
ständigen.345 Nur erstere sind „Helfer des Gerichts“. So heißt es im Corfu Channel-Fall: “The Court cannot fail to give great weight to the opinion of the Experts who examined the locality in a manner giving every guarantee of correct and impartial information.”346 Das IUSCT urteilte im Starrett Housing-Fall parallel, dass die Sachkunde der Experten, die sorgfältige Arbeitsweise und die umfassende Untersuchung der zu begutachtenden Frage für eine hohe Beweiskraft ausschlaggebend seien.347 Normalerweise werden internationale Gerichte diesen Gutachten folgen, wenn nicht triftige Gründe für ein Abweichen vorliegen, so etwa wenn das Gutachten den vom Gericht anderweitig festgestellten Tatsachen, dem geltenden Recht oder dem gesunden Menschenverstand widerspricht.348 Ähnlich werden Sachverständigengutachten in der Schiedsgerichtsbarkeit gewürdigt.349
(b) Privatgutachter In Bezug auf nicht vom Gericht in Auftrag gegebene, sondern durch die Parteien eingebrachte Gutachten gelten im Grundsatz ähnliche Kriterien, wobei hier die Neutralität besonders sorgfältig zu überprüfen ist. So maß der IGH im Grenzstreit zwischen Qatar und Bahrain den Par345
Pauwelyn, ICLQ 51 (2002), 325 (334).
346
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (21). Siehe auch: Lalive, SJIR 7 (1950), 77 (101). 347
IUSCT, Starrett Housing Corporation et al. v. The Government of the Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 24), Award No. 314-24-1, Schiedsspruch vom 14. August 1987, IUSCTR 16 (1987-III), 112 (196 ff., Ziff. 265: Qualifikation des Sachverständigen); Ziff. 267 (Verfahren); Ziff. 268 (Gründlichkeit der Überprüfung des durch die Parteien dem Sachverständigen unterbreiteten Tatsachenmaterials); Ziff. 269 (Offenlegung subjektiver Einschätzungen und Meinungen); Ziff. 270 (Möglichkeit der Befragung des Sachverständigen durch das Gericht). 348 IUSCT, Starrett Housing Corporation et al. v. The Government of the Islamic Republic of Iran et al. (Case No. 24), Award No. 314-24-1, Schiedsspruch vom 14. August 1987, IUSCTR 16 (1987-III), 112 (199, Ziff. 273). 349
Französisch-Italienische Schiedskommission, Différends Héritiers de S.A.R. Mgr le Duc de Guise, Beschluss No. 162 vom 20. November 1950, RIAA 13 (1964), 162 (168): «[L]a commission n’a pas de raison de ne pas faire siennes les conclusions de l’expertise, à moins que l’argumentation de l’expert ne soit en contradiction avec les faits tels qu’ils résultent du dossier, avec les dispostions légales ou les règles de la logique.»
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
563
teigutachten großen Wert bei.350 Auch im Grenzstreit zwischen Benin und Niger bezog sich die Kammer des IGH auf verschiedene von den Parteien gemeinsam in Auftrag gegebene hydrographische und topographische Gutachten. Dabei maß es einer Studie besonders hohen Beweiswert zu, die nach Meinung der Kammer von einer unabhängigen und fachlich renommierten Stelle erstellt worden war.351 Für die Neutralität sprach auch die Tatsache, dass es sich um von den Parteien gemeinsam beauftragte Sachverständige handelte. Im Gegenzug werden Parteigutachten nicht oder nur begrenzt berücksichtigt, wenn die Qualifikation der Sachverständigen und die angewandte Methodik defizitär sind.352 Insgesamt geht die Tendenz dahin, dass Privatgutachter einer strengeren Prüfung durch das Gericht unterzogen werden.353
5. Medienberichte Viele der vor internationalen Gerichten verhandelten zwischenstaatlichen Fälle sind hochpolitischer Natur. So verwundert es nicht, dass diese häufig Gegenstand umfangreicher Berichterstattung in den Medien sind, die die Parteien in den Prozess einzuführen suchen.354 Medienberichte sind aufgrund der weiten völkerprozessrechtlichen Definition in allen Fällen dem Urkundsbeweis zuzuordnen, gleich ob es sich um Zei-
350
IGH, Case Concerning Maritime Delimitation and Territorial Questions between Qatar and Bahrain (Qatar v. Bahrain), Merits, Urteil vom 16. März 2001, ICJ Rep. 2001, 40 (99, Ziff. 195). 351
IGH, Case Concerning the Frontier Dispute (Benin v. Niger), Urteil vom 12. Juli 2005, Ziff. 110: “In this respect, the Chamber considers it of great importance that the 1967-1970 survey was carried out by an independent firm renowned for its expertise and experience and that the results were contained in a report presented to the governments of four riparian States, including the Parties to the present case. Furthermore, the findings of the NEDECO study were not contested at the time of their publication and they are corroborated by both earlier and later studies.” 352
Daillier/Ghérari/Robert/Müller, AFDI 47 (2001), 283 (321) in Bezug auf die Rechtsprechung des IUSCT; Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (45). 353
Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (44). 354
Siehe: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (139).
564
Kapitel 8
tungsberichte355 oder Film- bzw. Fernsehaufnahmen handelt.356 Hinsichtlich des Beweiswerts von Medienberichten ist die Rechtsprechung des IGH widersprüchlich. So schien ihnen der IGH im Teheran Hostages-Fall hohe Beweiskraft beizumessen.357 Einige der berichteten Tatsachen wurden aufgrund der einheitlichen Berichterstattung gar als offenkundig eingestuft. Im Nicaragua-Fall, im Oil Platforms-Fall und im Genocide-Fall hingegen brachte der Gerichtshof deutliche Skepsis hinsichtlich der Verlässlichkeit der Quellen zum Ausdruck.358 So seien Medienberichte stets Sekundärquellen. Der Gerichtshof habe keine Anhaltspunkte hinsichtlich der ursprünglichen Quelle(n) oder der Hinweise, auf die sich solche Berichte bezögen. Daher seien Medienberichte zwar grundsätzlich zulässige Beweismittel, jedoch “not as evidence capable of proving facts, but as material which can nevertheless contribute, in some circumstances, to corroborating the existence of a fact, i.e. as illustrative material additional to other sources of evidence.”359 Auch nach der neuesten IGH-Rechtsprechung kann zwar die widerspruchsfreie und übereinstimmende („consistent and concordant“) mediale Berichterstattung über dasselbe Ereignis als Beweis „nützlich“ sein,360 jedoch seien auch diese Informationen nur mit Vorsicht zu verwerten. So könnte sich nach genauerer Untersuchung der Berichte herausstellen, dass sie sich nur auf eine einzige Quelle stützten. Diese Berichte können nicht einen höheren Beweiswert haben als ihre Quellen
355
Besondere Aufmerksamkeit wurde der Erwähnung eines im Playboy abgedruckten Interviews des damaligen nicaraguanischen Innenministers Tomás Borge Martínez im Sondervotum des Richters Schwebel im Nicaragua-Fall zuteil (IGH, Nicaragua Case (Merits), diss. op. Schwebel, ICJ Rep. 1986, 259 (420, Ziff. 47)). Ob eine der Parteien dieses Dokument einführte oder der Richter von sich aus hierauf zugriff, ist nicht bekannt. 356
Kapitel 7 D. II. 1.
357
IGH, United States Diplomatic and Consular Staff in Teheran Case, ICJ Rep. 1980, 3 (9 f., Ziff. 12). 358
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (40, Ziff. 62); IGH, Oil Platforms Case (Merits), ICJ Rep. 2003, 161 (190, Ziff. 60); IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 213, 357. Zur Behandlung von Sekundärquellen im Genocide-Fall siehe auch Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (143). 359 360
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (40, Ziff. 62).
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (204, Ziff. 68).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
565
selbst.361 Daher wurden viele der von den Parteien vorgelegten Medienberichte im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall als unzuverlässig eingestuft.362 Allerdings verbieten sich auch hier Generalisierungen: Angesichts der konsistenten medialen Berichterstattung über die Vorgänge in Bosnien-Herzegowina 1992 und 1993 fragte Richter Lauterpacht im Application of the Genocide Convention-Fall zu Recht: “One must ask: are the secondary reports likely to be inaccurate or falsified? What interest would the reputable newspapers in which the reports appeared have in inventing news of this kind? And why should so many invent the same news, pointing the same accusatory fingers at the same parties?”363 Besonderes Gewicht kann Medienberichten insbesondere dann zukommen, wenn sie international bedeutsame Ereignisse betreffen und vom hiervon negativ betroffenen Staat nicht dementiert werden.364 Medienberichte sind auch im WTO-Streitbeilegungsprozess zulässiges Beweismittel.365 Bezüglich der Beweiswürdigung führte das Panel in Australia – Leather aus: “[W]e consider the reports, both press and company, submitted by the United States as relevant to our analysis of the facts and circumstances surrounding the design and grant of that assistance. Moreover, to the extent that Australia has not specifically challenged the truth of the facts (or statements by individuals) reported, we conclude that we may consider these articles, and make our own judgment as to their appropriate weight and probative value. … [W]e take into account the circumstances in which the reported remarks were made, the source, and whether the information is corroborated
361 362
IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1986, 14 (41, Ziff. 63). Dazu: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (142 f.).
363
IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Lauterpacht, ICJ Rep. 1993, 407 (430, Ziff. 65). Kritisch jedoch: IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), diss. op. Kreca, ICJ Rep. 1993, 453 (459): “Media information may not per se, in my opinion, be taken as evidence and still less as irrefutable, hard proof of the existence of the relevant fact. At best it can be taken as evidence tending to establish fact.” 364 365
Highet, AJIL 81 (1987), 1 (40). Waincymer, WTO Litigation (2002), 621 m.w.N.
566
Kapitel 8
elsewhere or contrary evidence is offered, in assessing the value of these exhibits as evidence.”366 Neben dem Kontext der Berichterstattung sind demnach die Art der Quelle, die Reaktion der gegnerischen Partei sowie die Bestätigung durch andere Beweismittel relevant. Im Prozess vor der EECC wurden auch Aussagen „eingebetteter“ Kriegsberichterstatter eingeführt, auf die jedoch in der Schiedsspruchbegründung nicht weiter eingegangen wurde.367 Das IUSCT hat sich umfangreich auf Medienberichte gestützt, was damit zusammenhängen mag, dass andere Arten von Beweismitteln durch die Wirren der islamischen Revolution schwer erreichbar waren.368 Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des IGH im Nicaragua-Fall maß es nicht widersprochenen Medienberichten einen zum Nachweis einer Tatsache ausreichenden Beweiswert zu.369 Der IAGMR ordnet Zeitungsberichte dabei nicht als Urkunden i.e.S., sondern als Informationen ein, die den Beweiswert anderer Beweismittel unterstützten („corroboration“) oder bestätigen, dass es sich um allgemeinkundige Tatsachen handelt.370
6. Kartenmaterial Karten sind dem Urkundsbeweis zuzuordnen371 und werden naturgemäß oft in Territorialstreitigkeiten relevant.372 So können sie als Beweis 366
DSB, Australia – Automotive Leather II, Ziff. 9.65, Fn. 210.
367
EECC, Partial Award, Western Front, Aerial Bombardment and Related Claims, Eritrea’s Claims 1, 3, 5, 9-13, 14, 21, 25 & 26, Schiedsspruch vom 19. Dezember 2005, Ziff. 19. 368
Holtzmann, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 101 (112). 369
IUSCT, Rouhollah Karubian v. The Government of the Islamic Republic of Iran (Case No. 419), Award No. 569-419-2, Schiedsspruch vom 6. März 1996, IUSCTR 32 (1996), 3 (34, Ziff. 135-137). 370
IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras, Urteil vom 29. Juli 1988, Ser. C No. 4, 139 f. (Ziff. 146); IAGMR, Ivcher Bronstein v. Peru, Urteil vom 6. Februar 2001, Ser. C No. 74, 162 (Ziff. 70). Siehe auch: Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights (2003), 206. 371 372
Highet, AJIL 81 (1987), 1 (18).
Lee, Pacific Rim Law and Policy Journal 14 (2005), 159; Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (268).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
567
des Grenzverlaufs oder der Ausübung von Hoheitsgewalt in einem bestimmten Gebiet dienen.373 Kartenmaterial wird von internationalen Gerichten traditionell mit Vorsicht gehandhabt,374 was vor allem bei älteren Karten auf die Unzuverlässigkeit der kartographischen Methode zurückzuführen ist. Insbesondere ist relevant, ob die Hersteller der Karten die betreffende Gegend selbst begutachtet hatten oder sich lediglich auf anderes Material, etwa frühere Karten, bezogen (parallel zum Zeugen vom Hörensagen).375 Traditionell können Karten daher lediglich als Bekräftigung (corroboration) einer auf anderem Wege erreichten Feststellung herangezogen werden, sind jedoch nicht allein zur Beweisführung hinsichtlich der Gebietshoheit geeignet.376 Karten, die im Widerspruch zu einem anderweitig gefundenen Ergebnis stehen, können somit nicht berücksichtigt werden.377 Dies ist auch bei neueren, technisch zuverlässigeren Karten der Fall, die zwar die rein physischen Geodaten akkurater wiedergeben, aber hinsichtlich der Verzeichnung von Ortsnamen (der Toponymie) und politischen Grenzen noch immer
373
Brownlie, The Rule of Law in International Affairs (1998), 157.
374
Siehe nur: Island of Palmas case (Netherlands v. USA), Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA 2 (1949), 831 (852): “[O]nly with the greatest caution can account be taken of maps in deciding a question of sovereignty.”; StSH, Arbitration pursuant to an Agreement to Arbitrate dated 3 October 1996 (Eritrea v. Yemen), Award of the Tribunal in the First Stage of the Proceedings (Territorial Sovereignty and Scope of the Dispute), Schiedsspruch vom 9. Oktober 1998, Ziff. 388: “The evidence is, as in all cases of maps, to be handled with great delicacy.” Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 229; Weissberg, AJIL 57 (1963), 781 (798). 375
Island of Palmas case (Netherlands v. USA), Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA 2 (1949), 831 (852). 376
StGH, Question of Jaworzina (Polish-Czechoslovakian Frontier), Gutachen vom 6. Dezember 1923, PCIJ Ser. B No. 8, 33; IGH, Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Republic of Mali), Urteil vom 22. Dezember 1986, ICJ Rep. 1986, 554 (582, Ziff. 54); IGH, Kasikili/Sedudu Island (Namibia v. Botswana), Urteil vom 13. Dezember 1999, ICJ Rep. 1999 (II), 1045 (1098, Ziff. 84); IGH, Case Concerning Sovereignty over Pulau Ligitan and Pulau Sipadan (Indonesia v. Malaysia), Urteil vom 17. Dezember 2002, ICJ Rep. 2002, 625 (667, Ziff. 88); Brownlie, The Rule of Law in International Affairs, 156; Lee, Pacific Rim Law and Policy Journal 14 (2005), 159 (164). 377 Island of Palmas case (Netherlands v. USA), Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA 2 (1949), 831 (853).
568
Kapitel 8
manipulierbar sind.378 Im Grenzstreit zwischen Burkina Faso und Mali entschied der IGH daher, dass für den in Karten angezeigten Grenzverlauf keine Vermutung der Richtigkeit bestehe und insbesondere keine Beweislastumkehr eintrete: “[Maps] cannot in themselves alone be treated as evidence of a frontier, since in that event they would form an irrebuttable presumption, tantamount in fact to legal title. The only value they possess is as evidence of an auxiliary or confirmatory kind, and this also means that they cannot be given the character of a rebuttable or juris tantum presumption such as to effect a reversal of the onus of proof.”379 Diese Beurteilung wurde im Grenzstreit zwischen Benin und Niger vom IGH im Jahr 2005 bestätigt.380 Es bleibt damit bei der sehr vorsichtigen Haltung des IGH zu Kartenmaterial. Karten können jedoch nach der neueren Rechtsprechung in der Schiedsgerichtsbarkeit dann besondere Bedeutung erlangen, sofern andere Beweismittel nicht verfügbar sind.381 Ein höherer Beweiswert ist auch Karten aus einer neutralen (d.h. nicht den Streitparteien zuzurechnenden) Quelle (wie etwa unabhängigen oder kommerziellen kartographischen Quellen sowie Karten von kartographischen oder navigationstechnischen Diensten dritter Staaten) zuzubilligen.382 Gleichermaßen haben solche Karten einen hö378
IGH, Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Republic of Mali), Urteil vom 22. Dezember 1986, ICJ Rep. 1986, 554 (582 f., Ziff. 55); Highet, AJIL 81 (1987), 1 (19): “Like statistics, cartography can ‘lie’.” 379
IGH, Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Republic of Mali), Urteil vom 22. Dezember 1986, ICJ Rep. 1986, 554 (583, Ziff. 56). Zu diesem Fall: Dupuy, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 81 (88 ff.). 380
IGH, Case Concerning the Frontier Dispute (Benin v. Niger), Urteil vom 12. Juli 2005, Ziff. 44. Siehe auch: Müller, LPICT 4 (2005), 501 (505 ff.). 381
StSH, Arbitration pursuant to an Agreement to Arbitrate dated 3 October 1996 (Eritrea v. Yemen), Award of the Tribunal in the First Stage of the Proceedings (Territorial Sovereignty and Scope of the Dispute), Schiedsspruch vom 9. Oktober 1998, Ziff. 375: “Were there no other evidence in the record concerning the attitude or intentions of Italy, this evidence would be of greater importance.” IGH, Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Republic of Mali), Urteil vom 22. Dezember 1986, ICJ Rep. 1986, 554 (586, Ziff. 62). 382
StSH, Arbitration pursuant to an Agreement to Arbitrate dated 3 October 1996 (Eritrea v. Yemen), Award of the Tribunal in the First Stage of the Proceedings (Territorial Sovereignty and Scope of the Dispute), Schiedsspruch vom 9. Oktober 1998, Ziff. 380 f.; ähnlich: IGH, Case Concerning the Frontier Dispute
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
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heren Beweiswert, die offiziell von einem Staat herausgegeben worden sind und gegen seine Interessen sprechen, also dem Herausgeberstaat nicht die Hoheit über das streitige Gebiet zuordnen.383 Anderes gilt folgerichtig dann, wenn sie allein aus der Sphäre des interessierten Staates stammen und seine Position stärken.384 Andere Grundsätze gelten, wenn es sich bei der Karte um eine Vertragskarte handelt, also eine Karte, die integraler Bestandteil eines Grenzvertrages ist.385 Eine solche Karte stellt streng genommen kein Beweismittel dar, sondern ist selbst Teil der rechtlich bindenden Abmachung (eines völkerrechtlichen Vertrages), die den allgemeinen Regeln des Vertragsrechts unterliegt.386 Auch dies ist ein Beispiel für die schwierige Trennung zwischen der Beweisbedürftigkeit von Tatsachen und Recht im Völkerrecht. Ist eine Karte nicht bereits ursprünglich Teil eines Vertrages, so kommt in Betracht, sie zum Zwecke der Vertragsauslegung als Teil der travaux préparatoires (Art. 32 WVK) oder als Nachweis späterer Vertragspraxis (Art. 31 Abs. 3 (b) WVK) mit einzubeziehen.387 Entsprechend entschied der IGH im Temple of Preah Vihear-Fall, dass eine von einem Grenzziehungsvertrag abweichende Karte durch nachfolgende Praxis der Parteien ein integraler Bestandteil des Vertrages werden kann. Die Parteien hätten durch gemeinsame Akzeptanz der Karten dem Vertrag eine verbindliche Auslegung dahinge(Burkina Faso v. Republic of Mali), Urteil vom 22. Dezember 1986, ICJ Rep. 1986, 554 (583, Ziff. 55-56). Dazu: Kamto, in: FS-Bedjaoui (1999), 371 (390); Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (44). Siehe auch: Lee, Pacific Rim Law and Policy Journal 14 (2005), 159 (169). 383
Island of Palmas case (Netherlands v. USA), Schiedsspruch vom 4. April 1928, RIAA 2 (1949), 831 (852). 384
Kamto, in: FS-Bedjaoui (1999), 371 (388).
385
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 230; Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (268); Pietrowski, Arbitration International 22 (2006), 373 (397); IGH, Case Concerning Sovereignty over Certain Frontier Land (Belgium v. Netherlands), Urteil vom 20. Juni 1959, ICJ Rep. 1959, 209 (220); IGH, Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Republic of Mali), Urteil vom 22. Dezember 1986, ICJ Rep. 1986, 554 (582, Ziff. 54). 386
Khan, Die Vertragskarte (1996), 36 ff.; Kamto, in: FS-Bedjaoui (1999), 371
(379). 387
Brownlie, The Rule of Law in International Affairs (1998), 156; Khan, Die Vertragskarte (1996), 24 ff. (travaux préparatoires) und 28 ff. (spätere Vertragspraxis).
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hend gegeben, dass die auf der Karte verzeichnete Grenzziehung der im Vertrag festgelegten Wasserscheidelinie vorgehe.388 Zum selben Ergebnis gelangte er im Fall Sovereignty over Pulau Ligitan and Pulau Sipadan.389 Ebenso können Karten rechtliche Relevanz zum Nachweis einer Anerkennung (admission und acquiescence) durch den anderen Staat haben.
7. Berichte nationaler Behörden Der IGH bezog sich im Application of the Genocide Convention-Urteil auch auf Berichte nationaler Behörden.390 Nach dem IGH hängt die Beurteilung ihrer Verlässlichkeit unter anderem von ihrer Quelle (parteiisch – etwa von den Behörden einer Streitpartei – oder neutral), dem Verfahren ihres Zustandekommens (der IGH führt hier als Gegensätze einerseits einen anonymen Pressebericht, andererseits einen in einem sorgfältig geführten Gerichts- oder gerichtsähnlichen Verfahren zustande gekommenen Bericht an) sowie anderen Kriterien ab, u.a. der Qualität und Art des Beweismittels (z.B. Äußerung gegen die Interessen einer Partei).391 Aber auch auf den ersten Blick „neutrale“ Berichte können unter Umständen wenig beweiskräftig sein. So urteilte die EECC in Bezug auf Berichte des britischen Innenministeriums und des USamerikanischen Außenministeriums, dass diese auf Basis unvollständiger oder unrichtiger Information entstanden sein könnten, die das berichtende Gremium nicht verifizieren konnte. Es bestünde weiterhin die Gefahr, dass die Berichte nicht unparteiisch seien, sondern die Inte-
388
IGH, Case Concerning the Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Urteil vom 15. Juni 1962, ICJ Rep. 1962, 6 (34). Kritisch: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 233 und Weissberg, AJIL 57 (1963), 781 (792 ff., insb. 798). 389
IGH, Case Concerning Sovereignty over Pulau Ligitan and Pulau Sipadan (Indonesia v. Malaysia), Urteil vom 17. Dezember 2002, ICJ Rep. 2002, 625 (661 f., Ziff. 72; 668, Ziff. 91). Siehe aber auch die Ablehnung der Einbeziehung einer anderen Karte nach Art. 31 Abs. 2 (a) oder (b) WVK auf S. 650 f. (Ziff. 48). Dazu: Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (271 f.). 390 391
IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 412: CIA-Report. Ebd., Ziff. 227.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
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ressen oder die Ziele der Berichterstatter oder ihrer Informationslieferanten widerspiegelten.392 Stammen die Berichte von den Behörden oder sonstigen offiziellen Einrichtungen einer der Streitparteien, so ist besondere Vorsicht bei ihrer Verwertung geboten.393 Es gelten daher die Grundsätze über Parteiaussagen. Eine Einschränkung erfährt diese Regel aber dann, wenn es sich um unabhängige gerichtsähnliche nationale Einrichtungen handelt. So maß der IGH im Congo-Fall dem Bericht einer nationalen Untersuchungskommission, der sogenannten „Porter Commission“,394 deshalb große Beweiskraft zu, weil er auf den Aussagen von durch erfahrene Richter vernommenen Zeugen basierte.395 Auch hatte keine Partei die Glaubwürdigkeit des Berichts bestritten. Während die vom IGH aufgestellten Kriterien für die Beurteilung der Verlässlichkeit des Berichts durchaus geeignet erscheinen, ist die Anwendung im Fall zweifelhaft, da die Kommission selbst Schwierigkeiten bei der Tatsachenermittlung eingestand.396
8. Berichte und Beschlüsse internationaler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen Berichte und Beschlüsse internationaler Organisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen sind dem Urkundsbeweis zuzuordnen. Auch hier gilt, dass ihre Bedeutung als Beweismittel gerade in den letzten Jahren zugenommen hat, da sich die Aktivitäten internationaler Organisationen sowohl territorial als auch sachgebietsbezogen stark ausgedehnt haben. Auch NGOs verfügen über eine wesentlich verbesserte Infrastruktur als in der Vergangenheit und fertigen oft umfangreiche Berichte über Krisengebiete an.
392
EECC, Partial Award, Civilians Claims, Eritrea’s Claims 15, 16, 23 & 2732 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 17. Dezember 2004, Ziff. 34. 393
Siehe: IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (217, Ziff. 122). 394
Judicial Commission of Inquiry into Allegations of Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth in the Democratic Republic of the Congo. 395
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (179, Ziff. 18; 201, Ziff. 61). 396
Dazu eingehend: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (152 f.).
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Kapitel 8
(a) Internationale Organisationen Berichte, die internationale Organisationen im Rahmen ihrer Zuständigkeit regelmäßig oder anlassbezogen verfassen, haben angesichts der Expertise dieser Organisationen grundsätzlich einen hohen Beweiswert.397 Bisweilen ist von internationalen Gerichten angenommen worden, den in ihnen enthaltenen Tatsachen komme der Anschein der Richtigkeit zu, so dass eine Beweislastumkehr eintrete.398 Diese Ansicht ist jedoch vereinzelt geblieben und geht in ihrer Pauschalität zu weit. Besonders häufigen Gebrauch macht die jüngere Rechtsprechung des IGH von Berichten internationaler Organisationen. Entsprechend der Vielzahl internationaler Organisationen und internationaler Berichtssysteme sind auch die vom IGH berücksichtigten Quellen divers und umfassen Beschlüsse des VN-Sicherheitsrats und der VN-Generalversammlung sowie von diesen Organen eingesetzte Kommissionen (z.B. die Commission of Experts für Jugoslawien), Berichte von Sonderberichterstattern diverser VN-Organe (z.B. des Special Rapporteur of the UN Commission on Human Rights399) sowie Berichte von VNFriedensmissionen. Daneben wurde auch auf Berichte VN-fremder internationaler Organisationen Bezug genommen.400 Im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall rekurrierte der IGH in großem Stil auf Berichte der United Nations Mission in the Democratic Republic of the Congo (MONUC), des Sonderberichterstatters des IPBürg-Menschenrechtsausschusses sowie des VN-Generalsekretärs.401 Dabei ging er nicht weiter auf die Frage ein, welche Me397
Ramcharan, in: ders. (Hrsg.), International Law and Fact-Finding in the Field of Human Rights (1982), 64 (72); Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (146). 398
Commission appointed under Article 26 of the ILO Constitution, Complaint by the Government of Portugal Concerning the Observance by the Government of Liberia of the Forced Labour Convention, 1930 (No. 29), Entscheidung vom 25. Februar 1963, ILR 36 (1968), 351 (395): „the successive reports of the Committee of Experts and the Conference Committee on the Application of Conventions and Recommendations, referred to in the complaint, as constituting the necessary evidence to establish a prima facie case“. 399 400 401
IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 328. Ebd., Ziff. 341 f.: Bericht des Europarats.
So z.B. IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (239, Ziff. 206; 240; Ziff. 209 (Sonderberichterstatter); 230, Ziff. 175; 239, Ziff. 206; 240 f., Ziff. 209 f. (Berichte des Generalsekretärs); 239, Ziff. 206; 240, Ziff. 208 f. (Berichte der MONUC).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
573
thoden bei der Datensammlung von den VN-Mitarbeitern angewandt wurden.402 Dies ist nicht unproblematisch. Für die gerichtliche Verwertung der Berichte muss eine Rolle spielen, auf welche Weise, insbesondere aufgrund welcher Methode der Tatsachenaufklärung, welcher Quellen und unter Anlegung welcher Sorgfaltsstandards, diese Berichte zustande kommen.403 Entsprechend maß der IGH im Congo-Fall dem nationalen Bericht einer Untersuchungskommission gerade deshalb große Beweiskraft bei, weil er auf den Aussagen von durch erfahrene Richter vernommenen Zeugen basierte.404 Identische Maßstäbe müssen auch für Berichte internationaler Organisationen gelten. Dies deutet der IGH im Congo-Fall zumindest auch an. Jedenfalls dort, wo Berichte explizit darauf verweisen, dass eine Schlussfolgerung auf unsicherer Tatsachengrundlage, etwa Informationen aus zweiter Hand, beruht, hat der IGH diese nicht in die Beweiswürdigung einbezogen.405 Aber auch in anderen Fällen ist eine kritische Überprüfung der in solchen Berichten und Beschlüssen genannten Tatsachen geboten, wie Beispiele aus der Rechtsprechung des JStGH zeigen.406 402 Die Demokratische Republik Kongo hatte argumentiert, dass die MONUC-Berichte „are the result of careful fieldwork carried out by MONUC experts, and attested to by other independent sources“. IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (232, Ziff. 182). 403
Zu Recht kritisch daher: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (146); Halink, New York University JILP 40 (2008), 13 (26 ff.). Siehe auch die Einwände in IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, diss. op. Kateka, ICJ Rep. 2005, 361 (375, Ziff. 47; 377, Ziff. 52), der darauf hinweist, dass die Autoren von VN-Berichten nicht immer Zugang zu den Ländern oder relevanten Informationen haben. Kolb, SZIER 16 (2006), 163 (187) meint, durch die Verwertung als quasi unwiderlegliches Beweismittel käme den eigentlich als „soft law décisionel“ einzuordnenden Berichten internationaler Organisationen volle Rechtswirkung zu (hard law). Da es sich hierbei jedoch nicht um rechtliche Bewertungen, sondern tatsächliche Feststellungen handelt, ist diese Einschätzung wohl zu weitgreifend. Zu einem Mechanismus, durch den per Verweisung nicht-verbindliche Standards zu rechtlich verbindlichen werden und dessen beweisrechtlichen Auswirkungen siehe unten Kapitel 9 B. IV. 2. (c) und (d) zu Art. 3 Abs. 1 bis 3 SPS und Art. 2 Abs. 4 und 5 TBT. 404
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (201, Ziff. 61). 405
Ebd., 225, Ziff. 159: Hier bezog der IGH nicht bestätigte, aus zweiter Hand stammende Informationen in einem Bericht des VN-Generalsekretärs nicht in die Beweiswürdigung ein. 406
Dazu: Van den Wijngaert, ASIL Proc. 100 (2006), 63 (67).
574
Kapitel 8
Entsprechend hat der IGH auf diese Verfahrensanforderungen im Application of the Genocide Convention-Fall bei der Festlegung des Beweiswerts der verschiedenen JStGH-Dokumente besonderen Wert gelegt.407 Hinsichtlich des Berichts des VN-Generalsekretärs „The Fall of Srebrenica“ betonte der IGH, dass die Art und Weise seiner Erstellung eine besondere Garantie für die Verlässlichkeit seiner Feststellungen biete: “The care taken in preparing the report, its comprehensive sources and the independence of those responsible for its preparation all lend considerable authority to it.”408 Dennoch zog der IGH auch Tatsachenfeststellungen in Resolutionen des Sicherheitsrats und der Generalversammlung zur Entscheidungsfindung heran, ohne sie auf den Prozess ihres Zustandekommens und damit ihre Verlässlichkeit hin zu prüfen.409 Diese Resolutionen werden jedoch bisweilen ohne hinreichend gründliche (eigene) Recherche angenommen, sind oft das Resultat politischer Kompromisse,410 und aus diesen Gründen nicht ohne Weiteres aussagekräftig. Die vom IGH zitierten Resolutionen geben zum Teil keine Auskunft darüber, woher die relevanten Informationen stammen, zum Teil legen sie dies offen.411 In diesem speziellen Fall war ihre ungeprüfte Einbeziehung jedoch wohl deshalb zu rechtfertigen, da der IGH die Resolutionen lediglich zur Bestätigung von bereits aus anderen Quellen erreichten Feststellungen nutzte. Von Bedeutung für den Beweiswert ist neben dem angewandten Verfahren auch, mit welchem Auftrag und mit welcher Zielsetzung die Organe internationaler Organisationen bei der Anfertigung von Berichten tätig werden. So sind etwa Angaben im Jahrbuch des IGH wohl von geringer Beweiskraft, da die Herausgabe eines Jahrbuchs nicht zu seinen gerichtlichen Tätigkeiten gehört;412 ebenso wenig kann die Anfertigung einer
407 408 409 410
Dazu sogleich unter 9. IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 230. Ebd., Ziff. 274, 301. Groome, Fordham ILJ 31 (2008), 911 (938).
411
In Bezug auf Ziff. 274: S/RES/819 (1993), 16. April 1993 (VNGeneralsekretär); S/RES/941 (1994), 23. September 1994 (UNHCR und IKRK); S/RES/1019 9. November 1995 (VN-Generalsekretär, UNCRO). 412 IGH, Nicaragua Case (Jurisdiction and Admissibility), diss. op. Jennings, ICJ Rep. 1984, 533 (540).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
575
Landkarte durch die VN Auswirkungen auf die Grenzziehung haben.413 Sehr viel kritischer als der IGH beurteilte die EECC Berichte des IKRK, der Organe der VN sowie von Nichtregierungsorganisationen. Sie urteilte, dass diese Berichte auf Basis unvollständiger oder unrichtiger Information entstanden sein könnten, die das berichtende Gremium nicht verifizieren konnte. Es bestünde weiterhin die Gefahr, dass die Berichte nicht unparteiisch seien, sondern die Interessen oder die Ziele der Berichterstatter oder ihrer Informationslieferanten widerspiegelten.414 Daher sei ihre Glaubwürdigkeit im Einzelfall zu überprüfen; sie seien jedoch insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn die von den Parteien vorgebrachten Beweise sich stark widersprächen. Der EGMR hingegen maß den Berichten des European Committee for the Prevention of Inhuman and Degrading Treatment or Punishment (CPT), einem Organ des Europarats, hohen Beweiswert zu.415 Dies deshalb, weil das Komitee regelmäßig Besuche vor Ort durchführt und seine Methode der Tatsachenermittlung damit ein hohes Maß an Verlässlichkeit gewährt. Dennoch untersuchte der EGMR auch die Umstände, unter denen diese Berichte zustande gekommen waren, die zu einer Verringerung des Beweiswerts im Einzelfall führten.416
413
StSH, Arbitration pursuant to an Agreement to Arbitrate dated 3 October 1996 (Eritrea v. Yemen), Award of the Tribunal in the First Stage of the Proceedings (Territorial Sovereignty and Scope of the Dispute), Schiedsspruch vom 9. Oktober 1998, in: Permanent Court of Arbitration, The Eritrea-Yemen Arbitration Awards 1998 and 1999 (2005), 17 (117, Ziff. 377): “It is well accepted that, in the United Nations practice, its publication of a map does not contsitute a recognition of sovereign title to territory by the United Nations.” 414
EECC, Partial Award, Civilians Claims, Eritrea’s Claims 15, 16, 23 & 2732 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 17. Dezember 2004, Ziff. 34. 415
EGMR, Dougoz v. Greece (Application no. 40907/98), Urteil vom 6. März 2001, ECHR 2001-II, 255 (266, Ziff. 46); EGMR, Peers v. Greece (Application no. 28524/95), Urteil vom 19. April 2001, ECHR 2001-III, 275 (291 ff., Ziff. 61; 296 f., Ziff. 70-72). 416
So maß er einem Teil des Berichts des CPT über Zustände in Gefängnissen kein großes Gewicht bei, weil der Bericht auf einem Besuch des Komitees zu einer anderen Jahreszeit und damit unter anderen klimatischen Verhältnissen stattfand, als sie zum Zeitpunkt der Inhaftierung des Beschwerdeführers vorlagen: EGMR, Peers v. Greece (Application no. 28524/95), Urteil vom 19. April 2001, ECHR 2001-III, 275 (296, Ziff. 70).
576
Kapitel 8
(b) Nichtregierungsorganisationen Auch Berichte von Nichtregierungsorganisationen wurden vom IGH sowohl im Armed Activities on the Territory of the Congo-Fall als auch im Application of the Genocide Convention-Fall berücksichtigt.417 Obwohl der Beweiswert der Berichte im Einzelnen im Dunkeln bleibt, charakterisiert der IGH den Bericht der International Crisis Group als „unabhängig“ und Human Rights Watch als „glaubwürdige Quelle“.
9. Tatsachenfeststellungen in Urteilen anderer internationaler Gerichte sowie in urteilsähnlichen Berichten An Tatsachenfeststellungen, die andere internationale Gerichte im Rahmen ihrer Zuständigkeit getroffen haben, sind internationale Gerichte – wie bereits gezeigt wurde – nicht gebunden.418 Ihnen kommt jedoch erheblicher Beweiswert zu.419 So hat der IGH im Armed Activities on the Territory of the Congo-Urteil hervorgehoben, dass “evidence obtained by examination of persons directly involved, and who were subsequently cross-examined by judges skilled in examination and experiences in assessing large amounts of factual information, some of it of a technical nature, merits special attention”.420 Dabei bezog er sich nicht nur auf formale Gerichtsverfahren, sondern auch ihnen vergleichbare, gerichtsähnliche Prozesse. Die bisher größte Bedeutung erlangten Tatsachenfeststellungen anderer internationaler Gerichte im Genocide-Fall, in dem der IGH erstmals eine Methodik zu deren Evaluation entwickelte. Es steht zu erwarten, dass der IGH ähnliche Kriterien an den Tatsachenfeststellungsprozess
417
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (220, Ziff. 135 (Bericht der International Crisis Group), 240, Ziff. 209 (Bericht von Human Rights Watch)). IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 305, 331: Bericht des österreichischen Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte; Ziff. 330: Amnesty International; Ziff. 341: Human Rights Watch/Helsinki Watch und das Humanitarian Law Centre; Ziff. 410: Netherlands Institute for War Documentation. 418 419 420
Kapitel 7 B. II. 4. IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 214.
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (201, Ziff. 61).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
577
anderer internationaler Gerichte anlegen wird.421 Er differenzierte hinsichtlich des Beweiswerts zwischen verschiedenen Formen gerichtlicher Dokumente aus der Praxis des JStGH.422 Dabei maß er den Anklageschriften keinen Beweiswert zu. Gleiches gilt für Entscheidungen im Zwischenverfahren einschließlich des Haftbefehlsverfahrens, da hier regelmäßig ein prima facie case genüge und der Angeklagte nicht beteiligt sei, sowie für das no case to answer-Verfahren nach dem Abschluss des sogenannten prosecution case, da auch hier die reine Möglichkeit der späteren Verurteilung ausreiche. Den Strafzumessungsurteilen und den auf eine guilty plea folgenden Urteilen sei jedenfalls ein gewisser Beweiswert zuzugestehen. Dahingegen schätzte der IGH die Tatsachenfeststellungen der Verfahrenskammern im regulären Hauptverfahren als besonders verlässlich ein.423 Grundsätzlich ist an dieser Differenzierung nichts auszusetzen. Es ist jedoch anzumerken, dass das Gericht bei einer zu unkritischen Übernahme der tatsächlichen Feststellungen anderer internationaler Gerichte Gefahr läuft, seine Pflicht zur eigenen Beweiswürdigung zu verletzten. Dies gilt vor allem dann, wenn nicht eine positive Feststellung einer Tatsache durch ein anderes Gericht, sondern gerade deren Fehlen weitgehend ungeprüft übernommen wird, ohne dass eigene Anstrengungen zur Tatsachenaufklärung unternommen werden.424 Das internationale Gericht, das auf Tatsachenfeststellungen anderer internationaler Gerichte zurückgreifen will, muss weiterhin die prozessualen und materiellrechtlichen Umstände, unter denen das in Bezug genommene Gericht 421
In Bezug auf den IStGH: Rosenne, in: ders., Essays on International Law and Practice (2007), 353 (366). 422
Kritisch zur Verwertung der Rechtsprechung des JStGH durch den IGH im Genocide-Fall: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (154 ff.). 423 424
IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 223.
Kritik am IGH im Genocide-Fall daher bei Sivakumaran, ICLQ 56 (2007), 695 (707) und bei Goldstone/Hamilton, LJIL 21 (2008), 95 (105 ff.). Besonders problematisch ist die Folgerung des IGH im Völkermord-Fall, dass die Entscheidung der JStGH-Anklägerin, einzelne Angeklagte nicht des Völkermords anzuklagen und in einzelnen Urteilsabsprachen den Anklagepunkt des Völkermords zurückzuziehen, gegen die Existenz des dolus specialis spreche (IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 374). Die Anklagebehörde des JStGH folgt nicht dem Legalitätsprinzip. Auch kann die Entscheidung, Völkermord nicht anzuklagen oder einen entsprechen Anklagepunkt im Rahmen einer Urteilsabsprache zurückzuziehen, unterschiedliche Gründe haben (siehe dazu: Goldstone/Hamilton, LJIL 21 (2008), 95 (106 f.).
578
Kapitel 8
zu seinen tatsächlichen Feststellungen gekommen ist, genau prüfen, um diese richtig einschätzen zu können.425 Trotz aller praktischen Vorteile der Berücksichtigung von bereits gerichtlich festgestellten Tatsachen muss das internationale Gericht daher selbst in eine eigene, weiter gehende Beweisaufnahme insbesondere dann eintreten, wenn die gegnerische Partei Beweisangebote zur Widerlegung des bereits anderweitig festgestellten Sachverhalts gemacht hat.
III. Zusammenfassung Oberste Leitprinzipien bei der Bestimmung des Beweiswerts eines Beweismittels sind dessen Sachnähe und Neutralität. Dabei spielt auch das zeitliche Verhältnis zur festzustellenden Tatsache eine Rolle. Berichte aus zweiter Hand, etwa von Zeugen vom Hörensagen oder Medienberichte, sind intensiv und kritisch zu prüfen. Bei der Würdigung der Ergebnisse von Tatsachenfeststellungen anderer Individuen oder Organe (Sachverständige, Privatgutachter, Berichte nationaler und internationaler Organisationen, Medienberichte) sowie internationaler Gerichte sind das Verfahren, die bei Erstellung angewandte Sorgfalt, die Sachkunde sowie die Quellenzuverlässigkeit entscheidend.
D. Der Indizienbeweis Ein Beweis ist dann unmittelbar, wenn er sich auf Tatsachen richtet, die ein Tatbestandsmerkmal der anzuwendenden Norm ausfüllen.426 Dahingegen ist der Indizienbeweis (circumstantial evidence) auf andere, tatbestandsfremde Tatsachen gerichtet, die den Schluss auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer tatbestandsrelevanten Tatsache ermöglichen.427
425
Ebenfalls im Hinblick auf den Genocide-Fall: Groome, Fordham ILJ 31 (2008), 911 (931): “The ICJ mistakenly assumed that if there had been evidence of involvement by senior Serb officials, it would have been introduced in the several Srebrenica trials.” 426 427
Thomas/Putzo-Reichold, Vorbem § 284 ZPO, Rn. 10. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 109, Rn. 15.
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
579
I. Zulässigkeit des Indizienbeweises Auch der Indizienbeweis ist im internationalen Verfahrensrecht anerkannt.428 Er wird oft mit den Ausdrücken „inference“ oder „factual presumption“ umschrieben. Dies erklärt sich aus der Nähe zu den aus dem deutschen Prozessrecht bekannten tatsächlichen Vermutungen, die strukturell ebenfalls einen Indizienbeweis darstellen.429 Wie der IGH im Corfu Channel-Fall festgestellt hat, ist dies ein Fall der allgemeinen Rechtsgrundsätze i.S.d. Art. 38 Abs. 1 (c) IGH Statut.430 Die Zulässigkeit des Indizienbeweises rechtfertigt sich auch aus den Beweisschwierigkeiten im internationalen Prozess, gerade im Bereich der Staatenverantwortlichkeit.431 So urteilte das Panel im Fall Argentina – Textiles: “For international disputes it seems normal that tribunals, in evaluating claims, are given considerable flexibility. Inference (or judicial presumption) is a useful means at the disposal of international tribunals for evaluating claims. In situations where direct evidence is not available, relying on inferences drawn from relevant facts of each case facilitates the duty of international tribunals in determining whether or not the burden of proof has been met. It would therefore appear to be the prerogative of an international tribunal, in each given case, to determine whether applicable and unrebutted inferences are sufficient for satisfying the burden of proof. In this respect, the International Court of Justice, in some cases, found it difficult to assert stringent rules of evidence.”432 Der Indizienbeweis bezeichnet im Völkerrecht wie im nationalen Recht eine Technik der Beweiswürdigung; so betonte das IUSCT, dass “the use of [factual] presumptions can constitute a perfectly legitimate method of evaluating the evidence”.433 Grundsätzlich ist auch eine Verurteilung eines Staates allein aufgrund von Indizien möglich.434 428 429
Salmon, RdC 175 (1982 II), 257 (312). Siehe Kapitel 9 C. II. 1 (b).
430
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (18): “[I]ndirect evidence is admitted in all systems of law, and its use is recognized by international decisions.” 431 432
Reuter, Le développement de l’ordre juridique international (1995), 546. DSB, Argentina – Textiles and Apparel, Ziff. 6.39 (Fußnote fehlt).
433
IUSCT, Islamic Republic of Iran v. United States of America (Case No. A/20), 10. Juli 1986, Iran-US CTR 11 (1986-II), 271 (276) (Hervorh. d. Verf.). 434
Kazazi, Burden of Proof (1996), 267.
580
Kapitel 8
II. Anforderungen an die Schlüssigkeit der Indizien Ein Beweis aufgrund von Indizien ist offensichtlich jedenfalls dann nicht erfolgreich, wenn positiv Tatsachen feststehen, die dem Beweisthema des Indizienbeweises widersprechen.435 Fraglich ist hingegen, welche inhaltlichen Anforderungen an den Indizienbeweis zu stellen sind, insbesondere ob er nur dann gelingt, wenn die Indizien „keinen vernünftigen Zweifel“ an der Richtigkeit der tatbestandsrelevanten Tatsache zulassen.436 Nach dem Sondervotum des Richters Badawi Pasha im Corfu Channel-Fall gilt: «[L]es indices sont des faits qui, sans fournir une preuve immédiate de l’imputation, la rendent probable à l’aide du raisonnement. … Toujours est-il que, suivant certaines législations, les indices doivent être graves, précis et concordants. D’autre part, la doctrine la plus autorisée en la matière estime que ‹ la preuve par indice n’est censée être réussie que quand toute autre solution ne serait possible qu’en admettant des circonstances tout à fait étonnantes, inhabituelles et contraires au cours du monde ›. Ces règles doivent être le guide constant dans l’appréciation des preuves.»437 Eine entsprechende Aussage findet sich im Irish Case.438 Dabei ist die Erwähnung des „grave, précis et concordants“ eine deutliche Anspielung auf Art. 1353 des französischen Code civil. Die Formulierung soll435
IGH, Case Concerning the Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Urteil vom 15. Juni 1962, diss op. Spender, ICJ Rep. 1962, 101 (109): “No presumptions can be made and no inference can be drawn which is inconsistent with facts incontrovertibly established by the evidence.” IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras, Urteil vom 29. Juli 1988, Ser. C No. 4, 135 (Ziff. 130): „so long as they lead to conclusions consistent with the facts“. Dies gilt auch, wenn negative Rückschlüsse aus der Weigerung einer Partei, Urkunden vorzulegen, gezogen werden sollen: IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (32): “The Court cannot, however, draw from this refusal to produce the orders any conclusions differing from those to which the actual events gave rise.” 436
So etwa: IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (18).
437
IGH, Corfu Channel Case (Merits), diss. op. Badawi Pasha, ICJ Rep. 1949, 58 (60) (Hervorh. d. Verf.). 438
EGMR, Ireland v. United Kingdom (Application no. 5310/71), Urteil vom 18. Januar 1978, Ser. A vol. 25, 65 (Ziff. 161): “[P]roof may follow from the coexistence of sufficiently strong, clear and concordant inferences or of similar unrebutted presumptions of fact.”
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
581
te jedoch nicht als gegenüber dem Normalfall erhöhtes Beweismaß verstanden werden, sondern als Aufforderung zur Sorgfalt bei der Würdigung von Indizienbeweisen („circumstantial evidence“).439 Dabei ist von Bedeutung, dass sowohl im Irish Case als auch im Corfu Channel-Fall das Beweismaß ob der Schwere der gegen den beklagten Staat erhobenen Vorwürfe besonders streng gehandhabt und gleichzeitig eine Beweiserleichterung der Art gewährt wurde, dass eine Verurteilung allein auf der Grundlage von Indizienbeweisen erfolgen konnte. Daher sind die in diesem Zusammenhang gemachten Aussagen nicht ohne Weiteres auf alle Indizienbeweise übertragbar.440 Die bisweilen festgestellte Tendenz in der Rechtsprechung des IGH, den Indizienbeweis nur ausnahmsweise zuzulassen,441 mag sich daher aus der politisch heiklen Natur der jüngsten Fälle erklären. Grundsätzlich können Indizienbeweise daher auch durch Erreichen des Regelbeweismaßes der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zum erfolgreichen Nachweis einer Tatsachenbehauptung führen.442
E. Zusammenfassung: Die Beweiswürdigung vor internationalen Gerichten I. Grundsätze der Beweiswürdigung Im Völkerprozessrecht gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Strenge Beweisregeln, etwa in Form des Legalbeweises, sind unbekannt. In seiner Beweiswürdigung ist der internationale Richter an die Gesetze der Logik und des gesunden Menschenverstandes gebunden und darf keine nicht nachvollziehbaren, willkürlichen oder irrationalen Schlüsse aus dem Beweismaterial ziehen. Die Beweiswürdigung stützt sich auf die Gesamtheit der dem Gericht vorliegenden Beweise, seien sie durch die Parteien eingebracht oder vom Gericht amtswegig erhoben.
439
Waincymer, WTO Litigation (2002), 619.
440
Offenbar anders: Das, in: International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes (2004), 193 (237); Kazazi, Burden of Proof (1996), 265 f. 441 442
Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (157).
So auch: Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 133 (Fn. 487).
582
Kapitel 8
II. Beweismaß Angesichts der unterschiedlichen Handhabung des Beweismaßes durch internationale Gerichte bestehen Bedenken gegen eine pauschale Festlegung eines für alle internationalen Gerichte geltenden Beweismaßes.443 Unterschiede bestehen schon dahingehend, wie eingehend sich einzelne Gerichte mit dieser Frage auseinandersetzen. Während sich die regionalen Menschenrechtsgerichtshöfe und in jüngerer Zeit der IGH sowie einzelne Schiedsgerichte, etwa die EECC, verstärkt um eine Klärung bemüht haben, lässt eine solche Entwicklung beim ISGH und beim WTO-DSB aber auch beim IUSCT und EuGH noch auf sich warten. Allenfalls lässt sich resümieren, dass das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit in der Rechtsprechung einiger Spruchkörper (WTO-DSB und IUSCT) sowie von großen Teilen der Literatur befürwortet wird. Der IGH jedoch weicht hiervon ab und legt grundsätzlich ein höheres Maß des „clear and convincing evidence“ zugrunde. Diesem Beweismaß folgt auch die EECC. Zudem hat sich in jüngster Zeit die Rechtsprechung des IGH zu einem flexiblen Beweismaß gefestigt, nach der je nach Schwere des Vorwurfs ein höherer Grad an Überzeugung von der Wahrheit der Tatsache zu fordern ist. Auch die regionalen Menschenrechtsgerichtshöfe haben kein einheitliches Beweismaß entwickelt. Während der EGMR von einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ausgeht, folgt der IAGMR eher der Linie des IGH. Uneinigkeit besteht weiterhin über die Auswirkungen des Instituts des prima facie case auf das Beweismaß. Dies scheint auch auf einer Vermengung der Begriffe des prima facie case und des prima facie evidence zu beruhen. Richtigerweise sind beide streng zu trennen. Dem prima facie case kommt keine das Beweismaß determinierende Funktion zu. Dies ergibt sich klar aus der Rechtsprechung der EECC, die dem Begriff rein prozessstrukturierenden Charakter beimisst und im Übrigen das Beweismaß des „clear and convicing evidence“ anwendet. Auch eine genaue Untersuchung der scheinbar in eine andere Richtung deutenden Rechtsprechung des WTO-DSB kommt zum selben Ergebnis. Anderes gilt für den Begriff des prima facie evidence, der sich auf das Beweismaß bezieht. Hierbei soll es sich um einen Minimalstandard handeln.444 Andere wiederum gehen so weit, zu resümieren, dass der prima facie-
443 444
Anders: Kazazi/Shifman, ILF 1 (1999), 193 (195).
Das, in: International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes (2004), 193 (226).
Beweiswürdigung, Beweismaß, Beweiswert
583
Beweis, falls nicht widerlegt, generell ausreiche, um dem Beweismaß vor internationalen Gerichten zu genügen,445 sehen also hierin das Standardbeweismaß. Diese Ansicht findet jedoch keine Stützte in der untersuchten Rechtsprechung. Schließlich will man den prima facie-Beweis als eine Beweiserleichterung im Sinne eines gesenkten Beweismaßes verstehen, ihn jedoch auf solche Fälle beschränken, in denen sich der Beweis einer Tatsache als außerordentlich schwierig erweist.446 Diese These soll weiter unten im Zusammenhang mit den Beweiserleichterungen bei Beweisnot einer Partei untersucht werden.447
III. Beweiswert Der Beweiswert eines Beweismittels kennzeichnet seine Eignung, die Überzeugungsbildung des Richters zu beeinflussen. Besonders hoch wird die Beweiskraft sein, wenn das Beweismittel sachnah und neutral ist. Bei der gerichtlichen Würdigung von Tatsachenberichten und -feststellungen, die von Individuen, nationalen und internationalen Organen, Medien sowie anderen internationalen Gerichten stammen, sind die Methode der Erstellung, die hierbei angewandte Sorgfalt, die Sachkunde sowie die Quellenzuverlässigkeit entscheidend.
445
Kazazi, Burden of Proof (1996), 336 f. Ähnlich: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 252. 446 447
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 173 f. Kapitel 9 C. III. 2 (b).
Neuntes Kapitel: Die Beweislast im internationalen zwischenstaatlichen Prozess A. Einleitung I. Begriffliche Unsicherheiten in der Behandlung von Beweislastfragen vor internationalen Gerichten Eine Definition der Beweislast und eine Beurteilung der Beweislastverteilung im internationalen Prozess werden durch fehlende Kodifikation beweisrechtlicher Regeln, die inkonsistente Nomenklatur und oft ungenaue Differenzierungen in Rechtsprechung und Literatur erschwert. In rechtsvergleichenden Betrachtungen dieses Aspektes des Beweisrechts findet sich oft eine eher holzschnittartige und schematische Gegenüberstellung zwischen dem „common law“ und dem „civil law“.1 Auch beschäftigt sich die Literatur stärker mit der Frage, welche Folgen Beweislastfragen für die Parteien haben, als damit, wie die Beweislastverteilung zu ermitteln ist.2 Eine Ursache der Unsicherheiten in der begrifflichen Darstellung der Beweislast ist die meist fehlende Klärung der Prozessgrundsätze, denen das Verfahren folgt (Verhandlungs- oder Untersuchungsgrundsatz). Diese Prinzipien determinieren auch wesentliche Grundkonstanten der Beweislast im nationalen Verfahrensrecht wie im Völkerprozessrecht, etwa die Differenzierung zwischen subjektiver und objektiver Beweislast. Während die subjektive Beweislast nur in vom Verhandlungsgrundsatz bestimmten Verfahren gilt, muss auch im dem Untersuchungsgrundsatz folgenden Prozess die Gefahr der Beweislosigkeit, also die objektive Beweislast, geregelt sein.3 1
Etwa: Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (229); Mosk, RdC 304 (2003), 17 (131 ff.); Sandrock, Allgemeine Rechtsgrundsätze im Verfahrensrecht der WTO (2004), 149 ff. 2
Dies gilt auch für das Völkerrecht: Kazazi, Burden of Proof (1996), 30.
3
Rosenberg, Die Beweislast (1965), 93; Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht (1983), 274; Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 227 (Februar 2003); MünchKomm ZPO/Prütting, § 286 ZPO, Rn. 93, 97; James, Virginia Law Review 47 (1961), 51 (52): “[E]ven under a system where the trier of fact had the job of investigating the facts without help or argument M. Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 215, DOI 10.1007/978-3-642-11647-6_9, © by Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
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Ausdruck der Unsicherheit über Fragen der Beweislast im internationalen Verfahren ist die Ablehnung der Existenz jeglicher Beweislastverteilung in frühen Schiedsgerichtsentscheidungen.4 Dies kann schwerlich als Negation der objektiven Beweislast interpretiert werden, da eine Entscheidung auch bei tatsächlichen Zweifeln möglich sein muss.5 Auch die Begründung, im internationalen Prozess ließen sich Kläger und Beklagter oft nicht auseinander halten, greift zu kurz:6 Unabhängig von der prozessualen Stellung der Beteiligten muss eine Entscheidung bei Beweislosigkeit gewährleistet sein. Begriffliche Unsicherheiten und Unschärfen finden sich jedoch auch in jüngerer Zeit. So hat der IGH im Fisheries Jurisdiction-Fall festgestellt, dass bei der Frage der Zuständigkeit eines internationalen Gerichts nicht sinnvoll von einer Beweislast der Parteien gesprochen werden kann: “[T]here is no burden of proof to be discharged in the matter of jurisdiction”.7 Als Grundkonsens in der wissenschaftlichen Debatte scheint sich zu kristallisieren, die Beweislast im internationalen Prozess bedeute „the obligation of each of the parties to a dispute before an international tribunal to prove its claims to the satisfaction of, and in accordance with the rules acceptable to, the tribunal“.8 Diese Definition ist jedoch unge-
from the parties, there would still be the possibility of doubt or equipoise when the time for decision came.” Ähnlich: Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 110. 4
American-Mexican General Claims Commission, William A. Parker (U.S.A.) v. United Mexican States, Entscheidung vom 31. März 1926, RIAA 4 (1951), 35 (39, Ziff. 7): “The absence of international rules relative to a division of the burden of proof between the parties is especially obvious in international arbitrations between Governments in their own right, as in those cases the distinction between a plaintiff and a respondent often is unknown, and both parties often have to file their pleadings at the same time.” Dazu unten unter B. VI. Kritisch zum Parker-Fall: Kazazi, Burden of Proof (1996), 230 ff. 5
In diesem Sinne: Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 328; Kazazi, Burden of Proof (1996), 38. Gegen die Existenz der objektiven Beweislast (risk of non-persuasion) aber: Law, The Local Remedies Rule in International Law (1961), 54 f. 6
Hierzu: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 123.
7
IGH, Fisheries Jurisdiction case (Spain v. Canada), Urteil vom 4. Dezember 1998, ICJ Rep. 1998, 432, Ziff. 37 f. 8
Kazazi, Burden of Proof (1996), 30, 42. Ebenso: Martha, Journal of International Arbitration 14 (1997), 67; Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 12.
Beweislast
587
nau. Sie umfasst die Pflicht bzw. prozessuale Last, Beweis anzubieten und zu führen, das erforderliche Beweismaß zu erfüllen und die vor dem jeweiligen Streitschlichtungsorgan geltenden beweisrechtlichen Regeln einzuhalten. Sie beantwortet jedoch insbesondere nicht, wer die Beweislast für einzelne Tatsachen trägt und wie dies zu ermitteln ist.
II. Bedeutung und Funktionen der Beweislast im internationalen Prozess Die Beweislastverteilung kann im nationalen wie im internationalen Verfahren entscheidenden Einfluss auf das Prozessergebnis haben.9 Die beweisbelastete Partei wird in aller Regel faktisch benachteiligt, da ihre Chancen auf den Prozessgewinn zumindest in der Theorie sinken.10 Auch wirkt die Beweislast sich bereits im Vorfeld eines Prozesses aus, da von ihr die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage und damit die Entscheidung zur Beschreitung des Rechtsweges mit abhängen.11 Angesichts dieser Bedeutung verbietet sich eine einzelfallbezogene und damit letztlich willkürliche Behandlung der Beweislastproblematik. Wichtigste Funktion der objektiven Beweislast ist, eine Entscheidung trotz Unaufklärbarkeit einer Tatsache zu ermöglichen. Fehlte eine Beweislastregelung, so müsste das Gericht im Falle der Beweislosigkeit die Entscheidung des Rechtsstreits verweigern, da eine Subsumtion unter eine Norm unmöglich wäre. Die Funktion der Beweislast hängt dadurch eng mit der Pflicht des internationalen Gerichts zusammen, den Streitfall zu entscheiden.12 Objektive Beweislastnormen sind funktional betrachtet demnach Hilfsmittel bei der gerichtlichen Entscheidung
9
Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 576: “[T]he burden of proof [may] make the whole difference between winning and losing the case.” Young, BYIL 71 (2000), 317 (324). Siehe auch: Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht (2006), Rn. 674. 10
Young, BYIL 71 (2000), 317 (334); Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (262). 11
Albus, Zur Notwendigkeit eines Internationalen Umweltgerichtshofs (2000), 130; Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (262). 12 Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 104. Zur Pflicht des Gerichts, den Rechtsstreit zu entscheiden, siehe oben Kapitel 3. D. I.
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Kapitel 9
streitiger Fälle,13 indem sie eine Verkürzung der Wahrheitsermittlung bewirken.14 Eine weitere Funktion der Beweislast liegt in der Delegation der Tatsachenermittlung. Die Rechtsordnung (und letztlich das Gericht) überantwortet durch die Beweislast die Tatsachenermittlung den Parteien.15 Dies bezieht sich sowohl auf die Phase vor dem Prozess sowie auch auf das Verfahren selbst. Vor dem Prozess werden die Parteien vorausschauend Beweise sammeln, um ihrer Beweislast im Prozess genügen zu können.16 Im Prozess schließlich wirkt sich die Beweislast strukturgebend aus, da sie das Verhalten von Parteien und Gericht maßgeblich mitbestimmt. Sie wird daher auch anschaulich als „Rückgrat des Prozesses“ beschrieben.17 Diese Funktion kann auch als der organisatorische oder strukturelle Aspekt der Beweislast bezeichnet werden.18 Sanktion der Last, Beweise zu erbringen, ist der mögliche Prozessverlust, wenn die nicht bewiesene Behauptung für die Schlüssigkeit der Klage unerlässlich ist.19 Durch die Verteilung der Beweislast wird so eine gezielte Steuerung des von den Parteien betriebenen Tatsachenermittlungsprozesses möglich.
13 14
Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), Rn. 194. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht (1983), 282.
15
Reisman/Levit, in: Nieto Navia (Hrsg.), La Corte y el Sistema de Derechos Humanos (1994), 443 (456). 16
Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (262). 17
MünchKomm ZPO/Prütting, § 286 ZPO, Rn. 100.
18
Grando, JIEL 9 (2006), 615 (616): „organizational aspect of the burden of proof“. 19
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (40); Scelle (Special Rapporteur), Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (134).
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589
III. Arten der Beweislast: Rechtsvergleichende Aspekte 1. Deutsches Recht Im deutschen Recht unterscheidet man zwischen zwei verschiedenen Erscheinungsformen der Beweislast, nämlich der subjektiven20 und der objektiven Beweislast.21 Aus dem Justizgewährungsanspruch (bzw. dem Rechtsverweigerungsverbot) folgt, dass der Richter eine Sachentscheidung nicht ablehnen darf, wenn sich der streitrelevante Sachverhalt nicht zur Überzeugung des Gerichts aufklären lässt.22
(a) Objektive Beweislast Die objektive Beweislast betrifft die Frage, zu wessen Gunsten oder Ungunsten eine misslungene Beweisaufnahme zu berücksichtigen ist.23 Sie bezeichnet die Nachteile, die sich aus der Nichtanwendung eines der betroffenen Partei günstigen Rechtssatzes oder der Anwendung eines ihrem Gegner günstigen Rechtssatzes im Fall eines non liquet ergeben.24 Die Beweislastregeln greifen ein, wenn es wegen nicht möglicher Verifikation einer Tatsache an einem subsumtionsfähigen Untersatz mangelt und damit nach logischen Gesetzen überhaupt keine Entscheidung möglich wäre. Die Nichtverifizierbarkeit einer Tatsache geht zu Lasten der diesbezüglich beweisbelasteten Partei.
(b) Subjektive Beweislast Die subjektive Beweislast ist die sich im eigenen Interesse einer Partei ergebende Notwendigkeit, zur Vermeidung prozessualer Nachteile (Beweisfälligkeit und damit Prozessverlust) den Beweis einer strittigen Tatsache zu führen, also Beweis anzubieten.25 Sie folgt grundsätzlich der objektiven Beweislast. Sie existiert nur in Prozessformen, die der
20
Auch: Beweisführungslast, formelle Beweislast oder prozessuale Beweis-
last. 21 22 23 24 25
Auch: Feststellungslast, materielle Beweislast, Beweisrisiko. MünchKomm ZPO/Prütting, § 286 ZPO, Rn. 91. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 114, Rn. 3. Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), 116, 129. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 114, Rn. 4.
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Verhandlungsmaxime, nicht dem Untersuchungsgrundsatz folgen.26 Hier liegt sie stets beim Gericht.27
(c) Weitere Lasten Die konkrete Beweisführungslast wechselt je nach bereits geführtem Beweis und der vorläufigen Überzeugung des Gerichts zwischen den Parteien hin und her.28 Man kann auch von Gegenbeweisführungslast sprechen.29 Die Behauptungs- oder Darlegungslast bezeichnet einen den oben beschriebenen Konzepten vorgelagerten Bereich, nämlich die sich für die Parteien aus der Verhandlungsmaxime ergebende Obliegenheit, Tatsachen vorzutragen.30 Für jede Partei müssen diejenigen konkreten Behauptungen aufgestellt sein, die die abstrakten Voraussetzungen der ihr günstigen Normen ergeben.31 Sie läuft daher parallel zur Beweislast. Auch dieses Phänomen kann in eine subjektive und eine objektive Seite unterteilt werden. So bezeichnet die subjektive Behauptungslast die Notwendigkeit, zur Vermeidung von rechtlichen Nachteilen tatsächliche Behauptungen aufzustellen. Dagegen sind als objektive Behauptungslast diejenigen Nachteile zu bezeichnen, die sich für eine Partei ergeben, wenn wegen des Fehlens bestimmter Tatsachenbehauptungen ihr günstige Rechtssätze nicht angewandt werden können. Kommt der Kläger seiner (subjektiven) Behauptungslast nicht nach, ist die Klage bereits als unschlüssig abzuweisen (objektive Behauptungslast). Trägt der Beklagte die Tatsachen nicht vor, welche die rechtshindernden, rechtshemmenden oder rechtsvernichtenden Einwendungen begründen, so ist der (schlüssigen) Klage stattzugeben. In beiden Fällen ergeht die Entscheidung nicht, weil der Sachverhalt sich nicht aufklären lässt, sondern weil die Sachverhaltsschilderung schon nicht genügend ist.32 Die praktische Bedeutung der Behauptungslast ist im Zivilprozess hingegen relativ gering, da der Richter nach § 139 Abs. 1 ZPO die Parteien zur 26
Schenke, Verwaltungsprozessrecht (2005), Rn. 22.
27
Allerdings trägt z.B. der Beschuldigte im Strafprozess faktisch doch zumindest einen Teil der subjektiven Beweislast (Walter, JZ 2006, 340). 28
MünchKomm ZPO/Prütting, § 286 ZPO, Rn. 101.
29
Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses (1976), 8; ders., in: FS-Stoll (2001), 691 (701). 30 31 32
Jauernig, Zivilprozessrecht (2003), 207 f. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 114, Rn. 39. Schmidt, JuS 2003, 1007 (1008).
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Aufstellung fehlender Behauptungen anhalten muss.33 In Verfahren, die dem Untersuchungsgrundsatz folgen, gilt sie ohnehin nicht.34
2. Angloamerikanisches Recht In den angloamerikanischen Rechtsordnungen ist es üblich, zwischen dem „burden of persuasion“ und dem „evidential burden“ zu differenzieren; die Unterscheidung geht auf die besondere zweigliedrige Struktur des angloamerikanischen Prozesses zurück.35 Die inkonsistente Nutzung der Begriffe in Rechtsprechung und Literatur erschwert allerdings oft ein klares Verständnis der Beweislastverteilung.36
(a) „Burden of persuasion“ Vergleichbar mit der objektiven Beweislast im deutschen Recht regelt der „burden of persuasion“ (alternativ:37 „persuasive burden“, „risk of non-persuasion“, „probative burden“, „legal burden“), zu wessen Lasten ein non liquet geht, nämlich der beweisbelasteten Partei. Damit umfasst er auch die Darlegungs- oder Behauptungslast.38 Der burden of persuasion ist auf einzelne Tatsachen bezogen.39 Er wechselt während des Prozesses nicht, sondern bleibt konstant verteilt.40 33 34
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 114, Rn. 39. Schenke, Verwaltungsprozessrecht (2005), Rn. 22.
35
Dazu bereits oben Kapitel 4 B. 4. (c) (bb) (3). Auch: Taniguchi, in: Janow/ Donaldson/Yanovich (Hrsg.), The WTO: Governance, Dispute Settlement, and Developing Countries (2008), 553 (555). 36
Siehe dazu: Bunge, Zivilprozess und Zwangsvollstreckung in England und Schottland (2005), 144; Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271 (272 f.); ders., Sydney LR 25 (2003), 165 (168). 37 Zu den Terminologieunterschieden: Tapper, Cross and Tapper on Evidence (2004), 133; Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271 (272). 38
Bunge, Zivilprozess und Zwangsvollstreckung in England und Schottland (2005), 143. 39 40
Zuckerman, Civil Procedure (2003), 650.
Halsbury’s Laws of England, Evidence, Bd. 17 (1) (2002), 201 (218, Ziff. 420); Graf von Bernstorff, Einführung in das englische Recht (2006), 182; Zuckerman, Civil Procedure (2003), 650, Ziff. 21.38; Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271 (274).
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(b) „Evidential burden“ Der „evidential burden“ (auch: „burden of production“, „burden of adducing evidence“41) regelt die Verpflichtung der Partei, bei Beginn oder im weiteren Verlauf des Verfahrens tatsächliche Behauptungen in der Art nachzuweisen, dass die Tatsachen den Vortrag der Partei so tragen, dass eine Entscheidung in ihrem Sinne als möglich erscheint.42 Der evidential burden obliegt demnach der Partei, die verlöre, wenn überhaupt keine oder keine weiteren Beweismittel vorgelegt würden,43 er folgt grundsätzlich der objektiven Beweislast.44 Der evidential burden ist insbesondere Resultat des Juryprozesses und der Möglichkeit des Richters, eine Tatsachenfrage der Jury erst gar nicht zur Entscheidung vorzulegen, weswegen er auch anschaulich als „duty of passing the judge“ formuliert wird.45 Kommt die mit dem evidential burden belastete Partei ihrer Verpflichtung nicht nach, so wird der Richter diesen Punkt erst gar nicht der Jury vorlegen.46 Handelt es sich bei dieser Partei um den Kläger, könnte der Beklagte einen Antrag auf richterliche Klageabweisung („no case to answer“) stellen.47 Dieses Prozessrechtsinstitut ist wichtig zum Verständnis der englischen Beweislastregelung, weil das Institut des „evidential burden“ sich nur im Zusammenhang mit der „no case to answer“-Prozedur erklärt.48
(c) Andere Formen von „burden“ Abzugrenzen hiervon ist die Frage, welche Partei im Prozess zu einem konkreten Zeitpunkt Beweis führen muss (konkrete Beweisführungs41 42 43
Zuckerman, Civil Procedure (2003), 650. Graf von Bernstorff, Einführung in das englische Recht (2006), 182. Halsbury’s Laws of England, Evidence, Bd. 17 (1) (2002), 201 (218, Ziff.
420). 44 45 46
Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271 (280). Tapper, Cross and Tapper on Evidence (2004), 134, 137. Ebd., 137.
47
Zuckerman, Civil Procedure (2003), 650; Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271 (273). Dazu bereits oben Kapitel 4 B. I. 4. (c) (bb) (3). 48
Williams, Sydney LR 25 (2003), 165 (167); ders., in: FS-Eggleston (1982), 271 (272): “Where the question is whether a no case submission should be accepted, or whether a particular issue should be left to the jury, it is the evidential burden which is in issue.” Auch: S. 273.
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last). Diese konkrete Beweisführungslast, die während des Prozesses wechseln kann, wird oft mit dem evidential burden gleichgesetzt.49 Es scheint jedoch überzeugend, auch den evidential burden als konstant zu betrachten,50 wenn man seinen Ursprung als Überwindung der „Hürde“ des Richters bedenkt. Die konkrete Beweisführungslast kann daher besser mit „provisional burden“ oder „tactical burden“ beschrieben werden, der die Notwendigkeit bezeichnet, auf den vom Gegner geführten Beweis zu reagieren.51 Schließlich ist des Öfteren auch von einem „burden of proof on the whole case“ oder einem „ultimate burden“ die Rede.52 Er ist im Unterschied zu den vorgenannten Formen des „burden“ nicht auf einzelne Tatsachen bezogen, sondern bezeichnet gleichsam die Gesamtheit der Tatsachen, für die der Kläger bzw. der Beklagte beweisbelastet ist.53 Ist eine dieser Tatsachen noch unbewiesen, so trägt die diesbezüglich (im Sinne einer burden of persuasion) beweisbelastete Partei gleichzeitig also auch den ultimate burden.54
3. Französisches Recht Begrifflich unterscheidet das französische Zivilprozessrecht nicht streng zwischen objektiver und subjektiver Beweislast.55 Der Sache nach ist die Unterscheidung jedoch bekannt.56 So unterteilt sich die „charge de la preuve“ einmal in die „charge de la production de la preuve“ (subjektive Beweislast) und in die Regel vom „sort du procès lorsque la preuve
49
Halsbury’s Laws of England, Evidence, Bd. 17 (1) (2002), 201 (218, Ziff. 420); Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271 (273). 50
Zuckerman, Civil Procedure (2003), 651; Williams, Sydney LR 25 (2003), 165 (169). 51
Tapper, Cross and Tapper on Evidence (2004), 137 f.; Williams, in: FSEggleston (1982), 271 (273); Zuckerman, Civil Procedure (2003), 651 (Ziff. 21.38), der jedoch die Begriffe des „provisional“ oder „tactical burden“ nicht nennt. 52 53
Tapper, Cross and Tapper on Evidence (2004), 140. Graf von Bernstorff, Einführung in das englische Recht (2006), 183.
54
Bunge, Zivilprozess und Zwangsvollstreckung in England und Schottland (2005), 144. 55
Rouhette, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 167 (175). 56
Stürner, in: FS-Stoll (2001), 691 (692).
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n’aura pu être faite“ bzw. dem „risque de la preuve“ (objektive Beweislast).57 Ebenso existiert eine Behauptungslast.58
IV. Mögliche Kriterien für die Verteilung der objektiven Beweislast Für die Verteilung der objektiven Beweislast kommen verschiedene Kriterien in Betracht, die sich im Wesentlichen im nationalen Recht herausgebildet haben, aber hiervon beeinflusst auch für die internationale Ebene vorgeschlagen werden. Im Folgenden sollen die wichtigsten zunächst skizziert werden, um anschließend die Praxis internationaler Gerichte auf die Anwendung dieser Kriterien hin zu untersuchen. Bei diesen Grundsätzen handelt es sich um die Verteilung nach Parteirollen bzw. Prozessverhalten (dazu 1.), nach materiellen Grundsätzen (dazu 2.) und nach der Normenstruktur (dazu 3.). Vorab sind jedoch zwei Anmerkungen zu machen. Erstens geht es um eine Beweislastverteilung. Es ist demnach abzulehnen, dass nur der Kläger alles – also auch das Nichtvorliegen der Einwendungen des Beklagten – beweisen oder der Beklagte alle Behauptungen des Klägers widerlegen muss.59 Die erste Regel führte dazu, dass der Beklagte möglichst viele, auch fernliegende, Einwendungen vorbringen würde, die zweite dazu, dass zu vorschnell zur gerichtlichen Streitbeilegung gegriffen würde. Zweitens scheidet ein freies Ermessen des Gerichts hinsichtlich der Beweislastverteilung schon deshalb aus, weil es dem Recht der Parteien auf ein faires Verfahren widerspricht, nach dem die Parteien das anwendbare Recht, also auch die Beweislastverteilung, vor dem Verfahren kennen müssen.60 Der Beweislastverteilung liegen generalisie-
57
Maximilian Schilling, Die „principes directeurs“ des französischen Zivilprozesses (2002), 199. 58 Granet, Nouveau Code de Procédure Civile Commenté, Vol. 1 (2000), 85 (87) (Article 9): «[L]es parties … ont la charge d’alléguer … et de prouver … les faits propres à fonder [leurs prétentions].» 59 60
Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 105.
Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht (1996), 109. Anders jedoch Sereni, Principi generali di diritto e processo internazionale (1955), 77, der die Existenz einer vom Einzelfall unabhängigen Beweislastverteilung im Völkerrecht ablehnt: «Spetta dunque al giudice di determinare caso per caso, ove sia disaccordo delle parti, a quale di esse incomba di provare un fatto determinato.» Siehe dort auch S. 90 f. Ähnlich: Max Sørensen, Les sources du droit internatio-
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rende Risikozuweisungen zugrunde. Sie ist Produkt eines normativen Akts und einer Einzelfallabwägung nicht zugänglich.61
1. Verteilung nach Parteirollen oder Prozessverhalten: „actori incumbit probatio“ Die in der internationalen Rechtsprechung und Literatur am weitesten verbreitete Ansicht folgt der Maxime actori incumbit probatio bzw. ei incumbit probatio qui dicit non qui negat. Sie geht auf das römische Formularverfahren zurück, in dem der Kläger Grundlage und Inhalt seiner actio zu beweisen hatte, während der Beklagte bezüglich des Tatbestandes seiner exceptio und anderer ihm günstiger Tatsachen beweisbelastet war.62 Als historisch bestbelegte Regel ist sie der Ausgangspunkt fast aller nationalen Rechtsordnungen in der Regelung der Beweislastfrage.63 Ihre Begründung liegt in der Einschätzung, dass derjenige, der sich eines Gerichts zur Durchsetzung seiner Rechte bedient, die Berechtigung seines Begehrens in tatsächlicher Hinsicht nachweisen soll.64
nal (1946), 209: „liberté discrétionnaire de mettre la preuve à la charge de l’une ou de l’autre des deux parties“. 61
MünchKomm ZPO/Prütting, § 286 ZPO, Rn. 105; Zöller/Greger, Vor § 284 ZPO, Rn. 17. Dies befürwortet aus ökonomischer Analyse auch Grando, JIEL 9 (2006), 615 (647), wenn sie eine einzelfallbezogene Anwendung von Wahrscheinlichkeitserwägungen und Kostenverursachung ablehnt und sich stattdessen für eine generalisierende Betrachtung ausspricht. Für den EuGH: Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (1996), 53 f. 62 Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozessrecht (1996), 363 f.; Stürner, in: FS-Söllner (2000), 1171 (1174). Zur Beweislastverteilung im Legisaktionsverfahren ders., S. 1172. 63 64
Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht (1983), 281.
Dieser Gedanke kommt auch in der Rechtsprechung internationaler Gerichte zur Geltung: JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Zejnil Delalić, Zdravko Mucić and Esad Landžo, Case No. IT-96-21-T, Urteil vom 16. November 1998, Ziff. 599: “It is a fundamental requirement of any judicial system that the person who has invoked its jurisdiction and desires the tribunal or court to take action on his behalf must prove his case to its satisfaction. As a matter of common sense, therefore, the legal burden of proving all facts essential to their claims normally rests upon the plaintiff in a civil suit or the prosecutor in criminal proceedings.”
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Sie knüpft indes nur scheinbar an die prozessuale Stellung der Partei als Kläger bzw. Beklagter an, indem sie besagt, dass es der Kläger (actor) sei, der seinen Anspruch nachweisen müsse.65 Denn der Begriff des „actor“ ist nach dieser Auffassung nicht nach der (eher zufälligen) Verfahrenskonstellation zu bestimmen, sondern nach dem konkreten Prozessverhalten, nämlich danach, wer eine konkrete Tatsache behauptet.66 Daher wird die Maxime auch mit „affirmanti incumbit probatio“ wiedergegeben.67 Die objektive Beweislast bezüglich einer Tatsache trägt also die Partei, die sie durch Behauptung ihrer Existenz oder Nichtexistenz in den Prozess einführt.68 Dabei wird teilweise angenommen, dass die Frage der Beweislastverteilung sich aus der Art der Behauptung ergebe; diese sei nicht abstrakt zu bestimmen, sondern lediglich dem Fallrecht internationaler Gerichte zu entnehmen.69 Dieses ergebe, dass bezüglich der Ausnahmen von einer Regel derjenige beweisbelastet sein soll, der sich darauf beruft (reus in excipiendo fit actor), da er diesbezüglich der „actor“ sei.70
65 Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 327; Kazazi, Burden of Proof (1996), 116 f., 378; Negri, I principi generali del processo internazionale nella giurisprudenza della Corte internazionale di giustizia (2002), 90 f. Siehe auch: Lord Phillimore, PCIJ, Procès Verbaux of the Proceedings of the Advisory Committee of Jurists, June 16 – July 24, 1920 (1920), 316: “Another principle … is that by which the plaintiff must prove his contention under penalty of having his case refused.” Zur Kritik an einer rein formalen Verteilung der Beweislast nach der Stellung als Kläger bzw. Beklagter siehe Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 194. 66
Guggenheim, Traité de Droit international public, Bd. 2 (1954), 160 (Fn. 2); Mani, International Adjudication, Procedural Aspects (1980), 204; Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 853; Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 62; Kazazi, Burden of Proof (1996), 221 f.; Sharpe, Arbitration International 22 (2006), 549 (552). Gegen eine schematische Verteilung der Beweislast nach Parteirollen auch DSB, US – Continued Suspension (AB), Ziff. 360: “In our view, the allocation of the burden of proof … should not be determined simply on the basis of a mechanistic rule that the party who initiates the proceedings bears the burden of proof.” 67 Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 46. 68 69 70
Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (121). Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 853. Ebd., Rn. 859.
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Problematisch hieran ist, dass die Bestimmung eines Regel-AusnahmeVerhältnisses im Völkerrecht oft schwierig ist. Jede Regel lässt sich positiv wie auch negativ formulieren, womit auch die Einschränkung, dass nur positive Behauptungen zu beweisen seien, fehlgeht.71 Auch ist die actori-Regel sehr abstrakt und formal72 und führt letztlich zu willkürlichen Ergebnissen.73 Sie lässt keine Einbeziehung der Systematik und des Sinns und Zwecks der Norm oder des normativen Kontexts zu.74 Die Aussage, jeder müsse die Richtigkeit seiner Behauptung beweisen, führt außerdem im Ergebnis dazu, dass bei bestrittenen Tatsachen beide Parteien gleichermaßen für diese Tatsachen beweisbelastet sind (einmal im positiven und einmal im negativen Sinne), und ist daher nicht praktikabel.75 Außerdem ist fraglich, ob das Abstellen auf das reine Behaupten einer Tatsache sinnvoll ist. Zwar ist die Behauptungslast der Beweislast logisch vorgelagert, wird aber von dieser determiniert, nicht umgekehrt. Selbst wenn man auf das Behaupten abstellte, wäre immer noch nicht geklärt, welche Partei eine Tatsache für den Prozesserfolg behaupten muss.76 Die Regel hat zwar einen einleuchtenden Kern (Angreiferprinzip), ist in dieser undifferenzierten Form aber nicht ohne Einschränkung als Grundregel der Beweislastverteilung geeignet.
71
Schwering, System der Beweislast im englisch-amerikanischen Zivilprozeß (1969), 101; Grando, JIEL 9 (2006), 615 (641). 72
Grando, JIEL 9 (2006), 615 (638): „general and abstract character“.
73
Für den EuGH: Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (1996), 46. 74
Young, BYIL 71 (2000), 317 (329); Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 576. Für den deutschen Zivilprozess siehe auch BGH, NJW 2001, 2096. Kritisch auch: Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (1996), 49; Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 185. 75
Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (269). 76 Schwering, System der Beweislast im englisch-amerikanischen Zivilprozeß (1969), 99 f.
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2. Beweislastverteilung nach materiellen Grundsätzen (a) Sphärentheorie Besonders für Schadensersatzansprüche im (deutschen) Zivilrecht wird eine Beweislastverteilung nach räumlichen Gefahrenbereichen vertreten.77 Jeder ist für die in seinem Gefahrenbereich (seiner Herrschaftsoder Organisationssphäre) entstehenden Schäden verantwortlich und trägt daher auch die Beweislast hinsichtlich derjenigen Umstände, die in dieser Sphäre liegen. Eine solche Betrachtung schließt für das Völkerrecht bereits der Corfu Channel-Fall aus, in dem klar gesagt wird, dass es die Entstehung eines Schadens im Hoheitsgebiet eines Staates alleine noch nicht rechtfertige, dem Territorialstaat die Beweislast für seine Entlastung aufzuerlegen. Sie ist des Weiteren zu unbestimmt zur Formulierung einer allgemeinen Regel.78
(b) Wahrscheinlichkeitserwägungen Bisweilen wird auch argumentiert, diejenige Partei solle die Beweislast tragen, die den (konkret oder abstrakt) unwahrscheinlicheren Tatsachenvortrag tätigt. Allerdings ergeben sich auch hier erhebliche Unsicherheiten bei der Einordnung.79 Auch spricht viel dafür, Wahrscheinlichkeitserwägungen, die naturgemäß flexibel und daher wenig systematisierbar sind,80 eher bei der Beweiswürdigung als bei der Beweislast anzubringen.81
(c) Angreiferprinzip Das Angreiferprinzip geht von der Überlegung aus, dass zugunsten des Besitz- oder Bestandsschutzes und Rechtsfriedens derjenige die Beweislast trägt, der sich gegen die bestehende Sachlage wendet.82 Es ähnelt der Auffassung, die die Beweislast nach Parteirollen verteilt sieht (actori 77
Prölss, Beweiserleichterungen im Schadensersatzprozeß (1966), 65 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 114, Rn. 17. 78 79 80 81 82
Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht (1996), 116. Grando, JIEL 9 (2006), 615 (647). Schmidt, JuS 2003, 1007 (1010). Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht (1996), 162. Aus neuerer Zeit deutlich: Katzenmeier, ZZP 117 (2004), 187 (213 f.).
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incumbit probatio), weil es normalerweise der Kläger sein wird, der eine Änderung des gegenwärtigen Zustandes anstrebt, ist jedoch nicht mit ihr identisch, da in Ausnahmekonstellationen (negative Feststellungsklage, Widerklage) auch der Beklagte in die Rolle dessen kommen kann, der eine solche Änderung begehrt. Solche Überlegungen finden sich auch in der völkerprozessrechtlichen Diskussion.83
(d) Verteilung nach Informationsbesitz/Beweisnähe Ein weiteres materielles Prinzip ist die Beweisnähe. Hiernach soll diejenige Partei für eine Tatsache beweisbelastet sein, die die besseren Aufklärungsmöglichkeiten hat, typischerweise also den Beweismitteln näher steht. Sie entspricht einer ökonomisch inspirierten Ansicht, nach der die Beweislast regelmäßig bei der besser informierten Partei liegen soll, da auf diese Weise Transaktionskosten (für die Informationsbeschaffung) gespart würden.84 Problematisch ist allerdings, dass sich hieraus kein allgemeines Prinzip ableiten lässt, nach dem die Beweislastverteilung mit der nötigen Sicherheit und Vorhersehbarkeit zu bestimmen wäre.85 Oft genug hängt die Verteilung der Beweismittel vom Zufall ab. Dem Gesichtspunkt der Beweisnähe kann im konkreten Fall durch Beweiserleichterungen Rechnung getragen werden.
(e) Zusammenfassung Problematisch an den Ansätzen, die die Beweislastverteilung ausschließlich nach materiellen Kriterien vornehmen wollen, ist, dass sie allesamt wenig geeignet für eine verallgemeinerbare Regel sind, die den Anforderungen der Rechtssicherheit genügt. Dennoch sind die Kriterien als Ausdruck prozessualer Gerechtigkeitsvorstellungen durchaus von Bedeutung und können die Beweislastverteilung im Einzelfall beeinflussen.
83
Kazazi, Burden of Proof (1996), 226 f.: “The party who loses if the issue before the tribunal is not proven, or the party who benefits from a change in the normal state of affairs, is the party who bears the burden of proof.” Siehe auch: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 92. 84
Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (264). 85
Grando, JIEL 9 (2006), 615 (641).
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3. Modifizierte Normentheorie (a) Normentheorie in Deutschland Nach der in Deutschland vorherrschenden und maßgeblich von Rosenberg entwickelten Normentheorie richtet sich die Beweislastverteilung nach der Normstruktur. Jede Partei trägt die Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Normen.86 Die Günstigkeit bemisst sich nach der Art des Tatbestandes der Norm: anspruchsbegründenden Normen stehen sogenannte Gegennormen gegenüber, die sich anspruchshindernd, anspruchsvernichtend oder anspruchshemmend auswirken. Das Abstellen auf die Günstigkeit allein ist demnach nicht ausreichend, sondern es setzt noch die Zuordnung einer Tatsache zu einer günstigen Norm voraus.87 Folglich hat der Kläger die rechtsbegründenden Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, der Beklagte die rechtshindernden, -vernichtenden oder -hemmenden.88 Während die rechtsvernichtenden und rechtshemmenden Tatsachen leicht zu bestimmen sind, bestehen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der rechtsbegründenden von den rechtshindernden. Nach der Normentheorie ist das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen rechtsbegründender und rechtshindernder Tatsache das Regel-Ausnahmeverhältnis, das insbesondere durch die sprachliche Fassung der Norm zum Ausdruck kommt. Rechtshindernde Tatsachen sind dabei besonders hervorgehoben durch Wendungen wie „es sei denn“ oder „dies gilt nicht wenn“. Rechtsbegründende Tatbestandsmerkmale sind dagegen regelmäßig positiv formuliert. Diese Sichtweise kommt in den meisten Fällen zu denselben Ergebnissen wie die oben zunächst dargestellte, die sich auf den Satz „actori incumbit probatio“ stützt, da eine Partei in aller Regel nur diejenigen Tatsachen behaupten wird, die zur Begründung ihres Anspruches notwendig und ihr daher günstig sind.89 Sie erklärt aber, warum eine Partei die Tatsache behaupten wird und regelt darüber hinaus auch die Behaup86 Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 228 (Februar 2003). 87 88 89
Stürner, in: FS-Stoll (2001), 691 (693). Baumgärtel, Beweislastpraxis im Privatrecht (1996), 111.
Young, BYIL 71 (2000), 317 (329): “In litigation, parties will tend to assert all favourable propositions irrespective of whether they are framed in the affirmative or negative.” Die Gemeinsamkeiten der beiden Ansichten betont auch Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 11 f.
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tungslast. Denn wenn die Klage nicht schlüssig ist, muss sie abgewiesen werden. Grundannahme der Normentheorie ist, dass durch Auslegung der materiellen Handlungsvorschrift auch die Beweislastverteilung ermittelt werden kann.90 Nach der klassischen Normentheorie folgt demnach die Beweislastverteilung zwingend aus der Struktur der materiellrechtlichen Norm.91 Demgegenüber hat sich eine modifizierte Form der Normentheorie durchgesetzt, die auch andere Kriterien als die Normstruktur berücksichtigt und in die Auslegung einbezieht, dass auch Beweislastregeln Resultat einer wertenden Entscheidung des Gesetzgebers sind. Es geht also um eine Auslegung der Norm nicht nur nach dem Wortlaut, sondern darüber hinaus anhand der Wertungen des materiellen Rechts.92 Hiernach berücksichtigt die Beweislastverteilung materielle Kriterien wie den Bestandsschutz (im Sinne des Angreiferprinzips), den sozialen Schutz, den Rechtsfrieden, die Beweisnähe der Parteien sowie den Normzweck der jeweiligen Vorschrift.93
(b) Ähnliche Ansätze in anderen Zivilprozessordnungen Der Ansatz der in Deutschland herrschenden modifizierten Normentheorie liegt vielen nationalen Rechtsordnungen des civil law-Rechtskreises zugrunde (Art. 1315 franz. Code civil,94 Art. 9 franz. NCPC, 90
Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 228 (Februar 2003); Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 73. Zu den verschiedenen Erscheinungsformen der modifizierten Normentheorie im deutschen Recht siehe Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), 121 ff. 91
Rosenberg, Die Beweislast (1965), 98 ff., insb. 108, nach dem man „zur Beantwortung der Frage, ob eine Tatsache zu den rechtsbegründenden oder rechtshindernden oder rechtsvernichtenden oder rechtsausschließenden gehöre stets auf den Rechtssatz zurückgehen [muss], als dessen Voraussetzung diese Tatsache in Betracht kommt.“ 92
MünchKomm ZPO/Prütting, § 286 ZPO, Rn. 115.
93
Ebd. Zum Bestandsschutzgedanken als Kriterium der Beweislastverteilung im Völkerrecht siehe Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 92. 94
Art. 1315: «(1) Celui qui réclame l’exécution d’une obligation doit la prouver. (2) Réciproquement, celui qui se prétend libéré, doit justifier le paiement ou le fait qui a produit l’extinction de son obligation.» Die Beweislast für Schuldverhältnisse ist explizit im Code civil geregelt, bezieht sich nach allge-
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Art. 2697 ital. Codice civile,95 Art. 217 span. Ley de enjuciamiento civil,96 Art. 8 schweiz. ZGB,97 Art. 150 niederl. Burgerlijke rechtsvordering98). Auch im angloamerikanischen99 sowie im chinesischen100 Recht meiner Meinung jedoch auf das gesamte französische Zivilrecht (Schilling, Die „principes directeurs“ des französischen Zivilprozesses (2002), 199 f.; Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (1996), 102). Daneben gilt ganz allgemein die (identische) prozessuale Beweislastverteilung des Art. 9 NCPC: «Il incombe à chaque partie de prouver conformément à la loi les faits nécessaires au succès de sa prétention.» Dabei wird die Unterteilung in günstige und ungünstige Tatsachen anhand ähnlicher Kriterien wie im deutschen Recht vorgenommen (Clermont/Sherwin, AJCL 50 (2002), 243 (248)). 95 Art. 2697 (Onere della prova): «Chi vuol far valere un diritto in giudizio (Cod. Proc. Civ. 163) deve provare i fatti che ne costituiscono il fondamento (Cod. Proc. Civ. 115). Chi eccepisce l’inefficacia di tali fatti ovvero eccepisce che il diritto si è modificato o estinto deve provare i fatti su cui l’eccezione si fonda.» Dazu: Patti, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 267 (270 f.). 96
Ley 1/2000, de 24 de Noviembre, de enjuiciamiento civil, Artículo 217 (Carga de la prueba): «(2) Corresponde al actor y al demandado reconviniente la carga de probar la certeza de los hechos de los que ordinariamente se desprenda, según las normas jurídicas a ellos aplicables, el efecto jurídico correspondiente a las pretensiones de la demanda y de la reconvención. (3) Incumbe al demandado y al actor reconvenido la carga de probar los hechos que, conforme a las normas que les sean aplicables, impidan, extingan o enerven la eficacia jurídica de los hechos a que se refiere el apartado anterior.» Dazu: Schwonke/Tölg, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 593 (606). 97
Art. 8 ZGB (Beweislast): „Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet.“ 98
Art. 150: „De partij die zich beroept op rechtsgevolgen van door haar gestelde feiten of rechten, draagt de bewijslast van die feiten of rechten, tenzij uit enige bijzondere regel of uit de eisen van redelijkheid en billijkheid een andere verdeling van de bewijslast voortvloeit.“ 99
Für England: House of Lords, Joseph Constantine Steamship Line, Ltd. v Imperial Smelting Corporation. Ltd. [1941] 2 All E.R., 165 (179) per Viscount Maugham: “[T]he burden of proof in any particular case depends on the circumstances in which the claim arises. In general the rule which applies is ei qui affirmat non ei qui negat incumbit probatio. It is an ancient rule founded on considerations of good sense, and it should not be departed from without strong reasons.” 100
Mo Zhang/Zwier, Tulsa JCIL 10 (2003), 419 (435-438).
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gilt Entsprechendes. Zwar wird gelegentlich auf die Behauptung einer Tatsache abgestellt,101 aber es finden sich vermehrt differenzierte Aussagen. So kann als beweisrechtliche Grundregel in England gelten, dass “as a matter of common sense, the persuasive burden of proving all facts essential to their claim normally rests upon the claimant”.102 Zwar ist die Doktrin gerade in den angloamerikanischen Rechtsordnungen nicht gefestigt, wohl weil Beweislastfragen wegen des geringeren Beweismaßes weniger relevant sind als in den kontinentaleuropäisch geprägten Rechtsordnungen. Englische und US-amerikanische Entscheidungen und Literaturstimmen legen die Beweislastverteilung daher oft fallspezifisch fest und bestreiten die Existenz oder Möglichkeit einer allgemeingültigen Regel.103 Dennoch liegt den richterlichen und wissenschaftlichen Stellungnahmen zur Problematik eine der Normentheorie vergleichbare Herangehensweise zugrunde. Es besteht der Versuch, eine allgemeine Grundregel zu finden, nach der sich die Beweislast für eine Tatsache danach richten soll, ob sie ein „necessary ingredient“ des Vor-
101
Andrews, English Civil Procedure (2003), 719 (Ziff. 31.06); Phipson on Evidence (2005), 127; House of Lords, In re H. and Ohters (Minors) (Sexual Abuse: Standard of Proof), [1996] AC 563 (586), per Lord Nicholls: “The general principle is that he who asserts must prove. Generally … a plaintiff or applicant must establish the existence of all the preconditions and other facts entitling him to the [judgment or] order he seeks.” Beruft sich der Beklagte auf einen Rechtfertigungstatbestand, so trägt er hierfür die Beweislast: Andrews, English Civil Procedure (2003), 719; Stone, LQR 60 (1944), 262 (280). 102 Tapper, Cross and Tapper on Evidence (2004), 144; Halsbury’s Laws of England, Evidence, Bd. 17 (1) (2002), 201 (218, Ziff. 421). 103
Zuckerman, Civil Procedure (2003), 652 (Ziff. 21.42 und Fn. 22): “It should be noted that the allocation of the burden of proof … is governed by considerations of justice concerning the distribution of the risk of error between opposing parties. … [T]here are, however, no general rules about allocating the burden of proof between the parties, … such as the supposed rule that one party must establish the elements of liability while the other party must establish the elements negativing liability or those proving a defence.” Ebenso Wigmore, A Treatise on the Anglo-American System of Evidence in Trials at Common Law, Bd. 9 (1940), 275: “[T]here is not and cannot be any one general solvent for all cases. It is merely a question of policy and fairness based on experience in the different situations.” Auch: Schwering, System der Beweislast im englisch-amerikanischen Zivilprozeß (1969), 88: keine für alle Fälle gleichermaßen geltende Regel. Ähnliche Einwände wurden auch in der frühen deutschen zivilprozessrechtlichen Literatur vorgebracht, siehe nur: Kisch, ZZP 30 (1902), 532 (536) sowie Rosenberg, Die Beweislast (1965), 98 (Fn. 1 und 2) m.w.N.
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bringens des Klägers oder des Beklagten darstellt.104 Eine Partei hat also „all matters essential to its case“ nachzuweisen. Hieran schließt sich die Frage an, welche Tatsachen „necessary“ oder „essential“ (also: einer Partei günstig) sind,105 weil die meisten Tatsachen sowohl als dem Kläger als auch dem Beklagten „notwendig“ gewertet werden können.106 Bei der Unterscheidung, für wessen Argumentation Tatsachen „essential“, also günstig sind, wird auch im angloamerikanischen Recht primär auf den Satzbau und die Normstruktur107 sowie ergänzend auf materielle Kriterien zurückgegriffen: “[The allocation of the burden of proof] will turn on many factors, such as whether one of the parties deserves special consideration because of some economic or social or personal disadvantage, or because of a general policy to discourage a certain activity. Sometimes the onus of proof may be imposed on the defendant because of the inherent dangerousness of an activity.”108 Die Kriterien entsprechen weitgehend denen der modifizierten Normentheorie, die auch materielle Wertungen einbezieht; hierzu gehören der Gedanke des Angreiferprinzips,109 der Beweisnähe110 oder der Wahrscheinlichkeit eines Geschehensablaufs.111 104 Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271 (296): “If the issue in dispute constitutes a necessary ingredient of the plaintiff’s cause of action, then the burden will be upon the plaintiff. If, however, it is classified as a matter exempting the defendant from liability in a certain event, the burden will be on the defendant.” 105
Wigmore, A Treatise on the Anglo-American System of Evidence in Trials at Common Law, Bd. 9 (1940), 275; Stone, LQR 60 (1944), 262 (280). 106
Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271 (275); ders., Sydney LR 25 (2003), 165 (170): “The difficulty with such a test is that most matters can be classified as an ‘essential element’ in the establishment of a cause of action, or as a matter ‘avoiding’ the prima facie claim of the plaintiff.” 107
Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271 (276): „the form in which a legal rule is traditionally stated“; ders., 291 und 296: „form and structure of the particular statute is vital“. 108
Zuckerman, Civil Procedure (2003), 652, Ziff. 21.42 (für England). Für eine wertungsabhängige Beweislastverteilung auch: Stone, LQR 60 (1944), 262 (283). Dazu auch: Schwering, System der Beweislast im englisch-amerikanischen Zivilprozeß (1969), 150 ff. 109
Schwering, System der Beweislast im englisch-amerikanischen Zivilprozeß (1969), 114; Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271 (276 f.): “[T]he basic starting point is that the burden of proof should normally be on the plaintiff as to all issues. In the absence of reasons to the contrary, the party who invoked
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Rechtsvergleichend – und von Unterschieden im Einzelnen abstrahierend – lässt sich daher resümieren, dass der Kläger das Bestehen seines Rechts, der Beklagte den Rechtsuntergang oder Entstehungshindernisse beweisen muss.112 Dies ist letztlich auch die Position der Principles of Transnational Civil Procedure, die in Art. 21 Abs. 1 bestimmen: “Ordinarily, each party has the burden to prove all the material facts that are the basis of that party’s case.” Konrad Zweigert soll den Grundsatz daher als „Weltgewohnheitsrecht“ bezeichnet haben.113
(c) Übertragung der modifizierten Normentheorie auf das Völkerrecht Der Grundsatz actori oder affirmanti incumbit probatio – ergänzt durch die Erkenntnisse der modifizierten Normentheorie – kann danach als in den nationalen Rechtsordnungen verankerter allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne des Art. 38 Abs. 1 (c) IGH-Statut gelten. Er entspricht den Strukturprinzipien des Völkerrechts und ist daher auf die internationale Ebene übertragbar.114 Gründe der Struktur völkerrechtlicher Normen sprechen nicht dagegen.115 In geeigneten Fällen the judicial process, and compelled the defendant’s involvement in that process, should run the risk of having decided against him any issue as to which the tribunal of fact is, at the end of the day, undecided.” 110
Halsbury’s Laws of England, Evidence, Bd. 17 (1) (2002), 201 (220, Ziff. 423); Schwering, System der Beweislast im englisch-amerikanischen Zivilprozeß (1969), 125; Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271 (298). 111
Schwering, System der Beweislast im englisch-amerikanischen Zivilprozeß (1969), 128; Williams, in: FS-Eggleston (1982), 271 (277). 112 113
Stürner, in: FS-Stoll (2001), 691 (692). Zitiert in: Pohle, in: FS-Dölle, Bd. 2 (1963), 317 (323).
114
Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. 3 (1977), 81: „[J]ede Partei muß die Tatsachen beweisen, auf die sie ihre anspruchsbegründenden oder -hemmenden Behauptungen gründet.“; Lagoni, in: FS-Jaenicke (1999), 543 (549). Ähnlich: Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (19): «Celui qui demande à bénéficier de l’application d’un principe doit en effet en démontrer la réunion des conditions d’application.» 115
Anders jedoch: Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 105: «[L]a ripartizione del rischio [della mancata prova] operata attraverso la distinzione fra fatti costitutivi, modificativi ed estintivi delle situazioni poste a fondamento delle rispettive pretese, sembra troppo strettamente vincolata alla concezione del negozio giuridico privato, come contrapposto alla nor-
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(etwa im Vertragsrecht) kann dabei durchaus auch auf die Satzbaulehre zurückgegriffen werden, wobei man sich bewusst sein muss, dass selbst im nationalen Recht die Wortlautauslegung an ihre Grenzen stößt.116 Dies gilt erst recht für das Völkerrecht.117 Einerseits handelt es sich oft um völkergewohnheitsrechtliche Normen, die überhaupt keine autorisierte textliche Grundlage kennen,118 oder um vertragsrechtliche Regeln, die meist das Resultat langwieriger diplomatischer Verhandlungen und Kompromisse sind.119 Wortwahl und Satzbau allein können demnach nur Ausgangspunkt der Auslegung sein. Aber auch die Systematik – die ohnehin nur bei der Auslegung von Verträgen eine Rolle spielt – führt nicht immer zu sachgerechten Ergebnissen. Weiterhin gründet die Normentheorie auf der für das deutsche, aber etwa auch das italienische oder spanische Recht geltenden materiellrechtlichen Unterscheidung zwischen rechtsbegründenden, rechtsvernichtenden und rechtshemmenden Tatsachen, die für das Völkerrecht in dieser Klarheit nach gegenwärtigem Stand nicht akzeptiert ist.120 In der Sache bestehen jedoch keine Gründe, nicht auch im Völkerrecht eine entsprechende Einteilung
ma giuridica.» Ferrari Bravo schlägt stattdessen als Kriterium der Beweislastverteilung das Interesse an der Bejahung der fraglichen Tatsache vor (S. 106). Gegen eine Anwendung der Normentheorie im Völkerrecht auch: Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 405. 116
MünchKomm ZPO/Prütting, § 286 ZPO, Rn. 113; Englisches Recht: Phipson on Evidence (2005), 127, die darauf hinweisen, dass “[i]n deciding which party asserts the affirmative, regard must be had to the substance of the issue and not merely to its grammatical form.” 117
Grando, JIEL 9 (2006), 615 (634).
118
Identische Bedenken für die ungeschriebenen Regeln des common law: Schwering, System der Beweislast im englisch-amerikanischen Zivilprozeß (1969), 108; Stone, LQR 60 (1944), 262 (280). 119
Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 860: «[I]l est difficile d’établir si une situation est considérée comme une exception par rapport à une autre, ou comme la deuxième branche d’une alternative ordinaire.» Ebenso skeptisch in Bezug auf Wortlaut- und Normstrukturargumente: Young, BYIL 71 (2000), 317 (328). Auch: Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 402. Beispielhaft für diese Schwierigkeit sind die unten geschilderten Fälle EC – Hormones und EC-Sardines. 120
Grando, JIEL 9 (2006), 615 (639).
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vorzunehmen.121 In zwischenstaatlichen Streitigkeiten wird es dabei regelmäßig weniger auf rechtsvernichtende oder rechtshemmende Tatbestände ankommen, sondern sich vielmehr die Frage stellen, ob es sich bei dem geltend gemachten Recht um ein anspruchsbegründendes oder anspruchshinderndes Element handelt. Dies zeigt sich vor allem an denjenigen Normen, die klassisch als Rechtfertigungsgründe oder Ausnahmen bezeichnet werden, so etwa Art. 51 VN-Charta gegenüber Art. 2 Abs. 4 VN-Charta oder Art. XX GATT gegenüber Art. I und III GATT. Gerade in diesem Bereich ist auch eine materielle Wertung vorzunehmen. Im Völkerrecht darf allerdings nicht nur schematisch auf einen oft nur behaupteten Ausnahmecharakter der Norm abgestellt werden, sondern es sind alle in der materiellen Norm zum Ausgleich gebrachten Interessen (Besitzstand, Gefährdungspotenzial, Risikosphäre, Beweisnähe) in die beweislastbezogene Auslegung einzustellen.122 Die beweislastrechtliche Auslegung der Norm muss daneben auch die Systematik der materiellrechtlichen Norm sowie ihren Sinn und Zweck einbeziehen.123 Für eine solche Herangehensweise spricht darüber hinaus, dass sie sich für eine Verallgemeinerung auch für andere als zwischenstaatliche Streitigkeiten anbietet, etwa Streitigkeiten zwischen Individuen und Staaten, oder Staaten und internationalen Organisationen oder deren Organen.
121
Siehe dazu etwa: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 93: “[A] finding is made against [a] party if the [assertion which a party cannot establish] is essential to that party’s case.” Acosta Estévez, El Proceso ante el Tribunal International de Justicia (1995), 194. 122
Für das deutsche Verwaltungsprozessrecht: Maunz/Dürig-SchmidtAßmann, Art. 19 Abs. 4 GG, Rn. 228 (Februar 2003). Für das WTO-Streitbeilegungsverfahren: DSB, US – Continued Suspension (AB), Ziff. 361: Einbeziehung der Beweisnähe sowie der prozessualen Fairness in die Ermittlung der Beweislastverteilung. 123
MünchKomm ZPO/Prütting, § 286 ZPO, Rn. 115. Zu einem Anwendungsbeispiel siehe Young, BYIL 71 (2000), 317 (334): Beweislastverteilung bei Bestreiten der Zulässigkeit eines Falles vor dem IStGH nach dem Grundsatz der Komplementarität muss der prozessualen Systematik des Statuts und seinem Sinn und Zweck entsprechen.
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B. Untersuchung der Rechtsprechung internationaler Gerichte Internationale Gerichte und Schiedsgerichte haben die Beweislastverteilung nicht systematisch fortentwickelt und verdichtet und sich nicht vertieft mit der Geltung allgemeiner Rechtsgrundsätze auseinandergesetzt. Ausdifferenzierte Regeln finden sich daher weder in gerichtseinsetzenden Verträgen, dem prozessrechtlichen Sekundärrecht noch in der Rechtsprechung.124 Dennoch lässt sich der gegenwärtige Stand der Diskussion in die beschriebenen dogmatischen Grundsätze einordnen.
I. Ständiger Internationaler Gerichtshof und Internationaler Gerichtshof Die in Verfahren vor dem IGH anzuwendende Beweislastverteilung ist – wie zuvor auch beim StIGH – weder im IGH-Statut noch in der IGH-VerfO geregelt. Insbesondere in ihrer frühen Phase war die Rechtsprechung des IGH hinsichtlich der Beweislastverteilung auch noch nicht gefestigt.125 In seiner weiteren Rechtsprechung hat der IGH jedoch einige wesentliche Grundsätze der Beweislastverteilung geklärt.
1. Grundsatz Bereits der StIGH bediente sich Beweislastregeln, oft jedoch in Bezug auf Rechtsfragen und in wenig systematisierter Form.126 Der IGH ent-
124
So auch: Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (230).
125
So stellte Richter Lauterpacht in einem Sondervotum zum Norwegian Loans Fall fest, dass “[t]here is, in general, a degree of unhelpfulness in the argument concerning the burden of proof. However, some prima facie distribution of the burden of proof there must be.” IGH, Case of Certain Norwegian Loans (France v. Norway), Urteil vom 6. Juli 1957, 9, sep. op. Lauterpacht, ICJ Rep. 1957, 34 (39). Andere Interpretation des Diktums bei Kazazi, Burden of Proof (1996), 326 (Fn. 8): Dies soll für die Geltung eines prima facie-Standards sprechen. Dazu auch Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 134. 126
StIGH, Legal Status of Eastern Greenland, Urteil vom 5. April 1933, Ser. A/B No. 53, 22 (49 und 52) in Bezug auf eine Vertragsauslegung. Norwegen trug die Beweislast für eine von der gewöhnlichen Nutzung eines Begriffes ab-
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schied zunächst im Temple of Preah Vihear-Fall, dass die Parteien die Beweislast für diejenigen Tatsachen oder Behauptungen tragen, die sie vortragen bzw. aufstellen.127 Dabei klärte er gleichzeitig, dass die formale Stellung als Kläger oder Beklagter nicht entscheidend ist. Im Nicaragua-Fall hat der IGH dies bestätigt.128 Gleichzeitig betonte der IGH dort, dass für den Fall der Unerweislichkeit der Tatsache (non liquet) ein Anspruch als nicht bewiesen zurückgewiesen werden könne. Dies bestätigt, dass auch im internationalen Prozess nicht bewiesene Tatsachen als nicht existent anzusehen sind.129 Ebenfalls kann die Grundregel, dass der Staat, der sich auf eine Tatsache beruft, diese auch zu beweisen hat, als in der Rechtsprechung des IGH gefestigt angesehen werden.130 Sie wird zumindest indirekt durch Art. 43 IGH-Statut bestätigt,
weichende Bedeutung eines im Vertrag benutzten Begriffes. Siehe die Rechtsprechungsübersicht bei Kazazi, Burden of Proof (1996), 75 ff. 127
IGH, Case Concerning the Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Urteil vom 15. Juni 1962, ICJ Rep. 1962, 6 (15 f.): “Both Cambodia and Thailand base their respective claims on a series of facts and contentions which are asserted or put forward by one Party or the other. The burden of proof in respect of these will of course lie on the Party asserting or putting them forward.” 128
IGH, Nicaragua Case (Jurisdiction and Admissibility), ICJ Rep. 1984, 392 (437, Ziff. 101): “Ultimately … it is the litigant seeking to establish a fact who bears the burden of proving it.” Siehe dazu Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (538): “As in municipal law, the party which alleges a fact bears the burden of proof: Actori incumbit probatio.” 129
So auch: Kammerhofer, LJIL 20 (2007), 89 (92). Siehe auch IGH, Certain Questions of Mutual Assistance in Criminal Matters (Djibouti v. France), Urteil vom 4. Juni 2008, Ziff. 143: Beweislast für Existenz und Zugang eines Schreibens bei der Partei, die sich hierauf beruft. Bei misslungenem Beweis gilt dass “the Court cannot take this document into consideration in its examination of the … case.” 130
IGH, Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria, Equatorial Guinea intervening), Urteil vom 10. Oktober 2002, ICJ Rep. 2002, 303 (453, Ziff. 321 f.) (behaupteter Verstoß gegen vorsorgliche Maßnahmen). IGH, Avena Case, ICJ Rep. 2004, 12 (41, Ziff. 55): “Both Parties recognize the well-settled principle in international law that a litigant seeking to establish the existence of a fact bears the burden of proving it.” Dazu: Ghandhi, ICLQ 54 (2005), 779 (781). So auch: IGH, Oil Platforms Case (Merits), sep. op. Higgins, ICJ Rep. 2003, 225 (233, Ziff. 30); IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 204; dazu: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (121); IGH, Genocide Case (Merits), diss. op. Mahiou, Ziff. 60; IGH, Certain Questions of
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nach dem die Parteien im schriftlichen Verfahren alle zur Unterstützung ihres Vorbringens vorgelegten Schriftstücke und Urkunden an den Gerichtshof und die Parteien zu übermitteln haben.131 Obwohl der IGH dies nicht ausdrücklich bestätigt hat, wird allgemein angenommen, dass gleichzeitig der Grundsatz reus in excipiendo fit actor gilt.132 So entschied der IGH im Oil Platforms-Fall, dass die Vereinigten Staaten die Beweislast für das Vorliegen eines „bewaffneten Angriffs“ im Sinne des Art. 51 VN-Charta sowie für die Verhältnismäßigkeit der Verteidigungshandlung trugen.133 Die Beweislast des Beklagten für die Voraussetzungen des Art. 51 VN-Charta lässt sich auch aus Wertungen des materiellen Rechts folgern, da das Selbstverteidigungsrecht Ausnahme zur ius cogens-Vorschrift des Gewaltverbots ist.
2. Beweislast bezüglich der Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse (a) Beweislast in Zuständigkeitsfragen (aa) Art. 36 IGH-Statut: Konsensprinzip Die Zuständigkeit des IGH richtet sich nach Art. 36 IGH-Statut und folgt damit dem Konsensprinzip. Bei der Feststellung, Fragen der Zuständigkeit seien Rechtsfragen und unterfielen damit dem Grundsatz iura novit curia, kann es zur Beantwortung der Beweislastfrage hingegen nicht bleiben,134 auch wenn sich diese Ansicht auf das Urteil des IGH im Fisheries Jurisdiction-Fall stützen kann, wo der Gerichtshof ausführte:
Mutual Assistance in Criminal Matters (Djibouti v. France), Urteil vom 4. Juni 2008, Ziff. 143, 175. 131
So: Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (199); Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 31. 132
Siehe: Salmon (Hrsg.), Dictionnaire de droit international public (2001), 38 („Actori incumbit probatio“). 133 IGH, Oil Platforms Case (Merits), ICJ Rep. 2003, 161 (189, Ziff. 57; 195, Ziff. 71; 198, Ziff. 76). Diese Beweislast wurde in allen Punkten nicht erfüllt: Ziff. 61, 71 f., 76. 134 So aber: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 50.
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“The Court points out that the establishment or otherwise of jurisdiction is not a matter for the parties but for the Court itself. Although a party seeking to assert a fact must bear the burden of proving it … this has no relevance for the establishment of the Court’s jurisdiction, which is a ‘question of law to be resolved in the light of the relevant facts’. … That being so, there is no burden of proof to be discharged in the matter of jurisdiction. Rather, it is for the Court to determine from all the facts and taking into account all the arguments advanced by the Parties, ‘whether the force of the arguments militating in favour of jurisdiction is preponderant, and to ascertain whether an intention on the part of the Parties exists to confer jurisdiction upon it’.”135 Diese Feststellung wird durch Sondervoten in anderen Urteilen bestätigt.136 Das Prinzip iura novit curia gilt hier wie bezüglich aller Rechtsfragen.137 Es geht jedoch gerade darum, festzustellen, wer die für die Anwendung der Rechtsregel notwendigen Tatsachen zu behaupten hat und wer das Risiko der Beweislosigkeit trägt. Daher ist anzuerkennen, dass auch in Zuständigkeitsfragen eine objektive Beweislast besteht.138 Denn es muss eine Regel geben, nach der auch dann entschieden werden kann, wenn die die Zuständigkeit begründenden Tatsachen nicht zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Dabei hat sich der IGH weder in der zitierten noch in späteren Entscheidungen veranlasst gesehen, eigene Ermittlungen anzustellen, um Zuständigkeitsfragen zu klären. Die Praxis des IGH spricht daher gegen die Geltung des Untersuchungsgrundsatzes auch in Zuständigkeitsfragen und gegen die Ver135
IGH, Fisheries Jurisdiction Case (Spain v. Canada), Urteil vom 4. Dezember 1998, ICJ Rep. 1998, 432, Ziff. 37-38 (Hervorh. d. Verf.). 136
IGH, Case of Certain Norwegian Loans (France v. Norway), Urteil vom 6. Juli 1957, diss op. Basdevant, ICJ Rep. 1957, 71 (74): “Even if [France] had maintained silence with regard to [the Geneva General Act], the Court ‘whose function it is to decide in accordance with international law such disputes as are submitted to it’ could not ignore it. When it is a matter of determining jurisdiction and, above all, of determining the effect of an objection to its compulsory jurisdiction, the principle of which has been admitted as between the Parties, the Court must, of itself, seek with all the means at its disposal to ascertain what is the law.” 137 138
Verhoeven, in: FS-Tomuschat (2006), 635 (649 f.).
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tomuschat, Art. 36, Rn. 30. Anders wohl: Amerasinghe, Jurisdiction of International Tribunals (2003), 239 f.
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pflichtung, Beweise für von den Parteien behauptete Tatsachen amtswegig zu erheben.139 Insbesondere steht er nach seiner Rechtsprechung nicht in der Pflicht, vom Kläger nicht vorgetragene Jurisdiktionsbasen zu ermitteln.140 Der Gerichtshof hat vielmehr auch in diesem Bereich die allgemeinen Regeln angewandt.141 Es scheint daher sinnvoller, anzunehmen, dass der Gerichtshof Zuständigkeitsfragen von Amts wegen zu prüfen hat.142 In diesem Sinne ist der IGH zu verstehen, wenn er sagt, dass „there is no burden of proof to be discharged in the matter of jurisdiction“. Dies ist nicht gleichbedeutend mit der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes.143 Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung beschränkt sich auf die von den Parteien behaupteten Tatsachen und die Bewertung des dem Gericht durch die Parteien beigebrachten oder offenkundigen Tatsachenstoffs. Daher spricht der IGH im Fisheries Jurisdiction-Fall von „all the facts … advanced by the Parties“. Die Geltung des Grundsatzes der Amtsprüfung 139
Dazu: Thirlway, BYIL 70 (1999), 1 (9-11); Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 514, 530 (amtswegige Feststellung und Geltung des Untersuchungsgrundsatzes); Dörr, Kompendium völkerrechtlicher Rechtsprechung (2004), 699; Pauwelyn, AJIL 95 (2001), 535 (556). 140
IGH, Aegean Sea Continental Shelf Case (Greece v. Turkey), Jurisdiction of the Court, Urteil vom 19. Dezember 1978, ICJ Rep. 1978, 3 (38, Ziff. 93); Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tomuschat, Art. 36, Rn. 30. 141
IGH, Border and Transborder Armed Actions (Nicaragua v. Honduras), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 20. Dezember 1988, ICJ Rep. 1988, 69 (76, Ziff. 16): “The existence of jurisdiction of the Court in a given case is however not a question of fact, but a question of law to be resolved in the light of the relevant facts. The determination of the facts may raise questions of proof.” Siehe auch: IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo (New Application: 2002), ICJ Rep. 2006, 6 (26, Ziff. 43 (Nichtvorliegen von Beweisen der Notifizierung des Rückzugs eines Vorbehalts zu Art. IX der Völkermordkonvention beim VN-Generalsekretär) und 41, Ziff. 92 (fehlende Beweise in Bezug auf gescheiterte Versuche der Demokratischen Republik Kongo, eine schiedsgerichtliche Lösung des Streites herbeizuführen, die nach Art. 29 des VN-Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Voraussetzung für die Zuständigkeit des IGH ist)). 142
Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 512; Wolfrum, in: Ndiaye/Wolfrum (Hrsg.), FS-Mensah (2007), 341 (345). 143
Für das deutsche Zivilprozessrecht: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 77, Rn. 46; Zöller/Greger, Vor § 128 ZPO, Rn. 12. Anders offenbar: Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 530, der von ex officio Aufklärung spricht.
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schließt freilich nicht aus, dass der Gerichtshof auf die unsichere Beweissituation hinweist und unter Umständen die Vorlage weiterer Unterlagen erbittet oder anordnet (vgl. Art. 79 Abs. 8 IGH-VerfO).144 Verpflichtet ist er dazu jedoch nicht, wie auch der Wortlaut der Norm bestätigt. Wie im deutschen Zivilprozessrecht können die Parteien die Zuständigkeit des Gerichts jedoch nicht in dem Sinn unstreitig stellen, dass der IGH sie in tatsächlicher Hinsicht nicht überprüfen könnte;145 ebenso wenig kommt ein Geständnis oder Anerkenntnis in Betracht.146 Daher kann der Gerichtshof von Amts wegen auch andere Einwände gegen seine Zuständigkeit untersuchen als die von den Parteien vorgetragenen.147 Andererseits kann der IGH auch einen anderen Rechtsgrund für seine Zuständigkeit annehmen als den von den Parteien vertretenen,148 ist hierzu jedoch nicht verpflichtet. Dies ist Teil seiner KompetenzKompetenz. Natürlich können die Parteien jedoch nach dem Konsensprinzip die Gerichtsbarkeit des IGH auch noch nachträglich anerken144
Art. 79 Abs. 8 IGH-VerfO lautet: “In order to enable the Court to determine its jurisdiction at the preliminary stage of the proceedings, the Court, whenever necessary, may request the parties to argue all questions of law and fact, and to adduce all evidence, which bear on the issue.” 145
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 188. Anders offenbar Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 516, der von einer amtswegigen Prüfung absehen will, wenn und soweit die Zulässigkeit und Zuständigkeit des Gerichts vom Willen der Parteien abhängig ist. 146 So auch: Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 307 mit Fn. 22, der ausführt, dass ein Geständnis die andere Partei nicht vom Nachweis einer Tatsache entbindet, wo die Wahrheit dieser Tatsache eine conditio sine qua non für die Klagebefugnis einer Partei oder die Zuständigkeit des Gerichts ist. Auch: American-Mexican General Claims Commission, Edgar A. Hatton (U.S.A.) v. United Mexican States, Entscheidung vom 26. September 1928, RIAA 4 (1951), 329 (331): Amtswegige Prüfung der Staatsangehörigkeit; Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 454 f.; IGH, Anglo-Iranian Oil Co. Case, indiv. op. McNair, ICJ Rep. 1952, 116: “An international tribunal cannot regard a question of jurisdiction solely as a question inter partes. That aspect does not exhaust the matter. The Court itself, acting proprio motu, must be satisfied that any State which is brought before it by virtue of such a Declaration [under Article 36 (2) of the ICJ Statute] has consented to the jurisdiction.” 147
Shihata, The Power of the International Court to Determine its Own Jurisdiction (1965), 221 f. 148
Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 516.
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nen oder sich rügelos einlassen, so dass der IGH zuständig wird. Daraus erklärt sich, dass der IGH auch keine umfangreichen Nachfragen stellen wird, wenn keine der Parteien die Gerichtsbarkeit rügt und sich sonst keine Zweifel an seiner Zuständigkeit ergeben.149 Davon geht auch Art. 36 Abs. 6 IGH-Statut aus, der eine Entscheidung des Gerichtshofs über die Zuständigkeit davon abhängig macht, dass sie bestritten wird. Anders ist die Begründung der Zuständigkeit trotz (voriger) Unzuständigkeit in Form der rügelosen Einlassung (forum prorogatum) auch nicht zu erklären.150 Nach alledem ist fraglich, wer die objektive Beweislast für das Vorliegen der Zuständigkeit trägt. Aufgrund des Konsensprinzips liegt es nahe, die objektive Beweislast derjenigen Partei zuzuordnen, die sich auf die Zuständigkeit (compétence) des internationalen Gerichts oder Schiedsgerichts beruft, die also den Rechtsstreit initiiert und ein für sie günstiges Sachurteil erstrebt.151 Hiervon geht implizit auch Art. 38 Abs. 2
149
Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 455 mit Hinweis auf Rosenne; Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 516; Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tomuschat, Art. 36, Rn. 30. Ähnlich auch IGH, Border and Transborder Actions (Nicaragua v. Honduras), Jurisdiction and Admissibility, Urteil vom 20. Dezember 1988, ICJ Rep. 1988, 69 (76, Ziff. 16) mit der Feststellung, dass die Tatsachen bezüglich der Zuständigkeit zwischen den Parteien nicht streitig waren. 150
Thirlway, BYIL 70 (1999), 1 (9 f.); Zimmermann/Tomuschat/OellersFrahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 38. 151
Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 437; Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 868; Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 54 f.; Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (23, Fn. 30); IGH, South West Africa Cases (Preliminary Objections), joint diss. op. Spender und Fitzmaurice, ICJ Rep. 1962, 465 (473); IGH, Case Concerning Right of Passage over Indian Territory (Portugal v. India), Urteil vom 26. November 1957, diss. op. Chagla, ICJ Rep. 1957, 166 (173 f.): “It is always for a party which comes before a court or a tribunal to make out a prima facie case that the tribunal or court has jurisdiction. If that prima facie burden is discharged, it may be that the burden would shift on to the other party. … Therefore, it is for Portugal to establish that the dispute which she has brought before the Court falls within the scope of India’s Declaration, and she can only establish that provided she satisfies the Court that the dispute is not exclusively within the domestic jurisdiction of India.” Ebenso Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 70 mit Verweis auf den NottebohmFall. Siehe auch: ICSID, Waste Management, Inc. v. United Mexican States, Ca-
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IGH-VerfO aus. Hiergegen sprechen auch nicht Art. 79 Abs. 1 und 4 IGH-VerfO, nach denen der Beklagte die fehlende Zuständigkeit rügen und diesbezüglich Beweis antreten muss. Dies impliziert nicht, dass die rügende Partei die Beweislast im vollen Umfang trägt. Vielmehr ist diese nur bezüglich der die Zuständigkeit zunichtemachenden Faktoren beweisbelastet, wenn die Zuständigkeit bereits hinreichend sicher feststeht.152
(bb) Art. 34 und 35 IGH-Statut: Parteifähigkeit Parteifähig vor dem IGH sind nur Staaten (Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut), die Vertragsparteien des Statuts sind bzw. die nach Art. 35 Abs. 2 IGHStatut als Partei zugelassen sind. Die Parteifähigkeit gehört zur Zuständigkeit (jurisdiction ratione personae), nicht zur Zulässigkeit (admissibility).153 Bezüglich der in Art. 35 IGH-Statut normierten Voraussetzungen urteilte der IGH im Use of Force-Fall, dass die Parteien diese Eigenschaft nicht unstreitig stellen bzw. sich hierzu nicht rügelos einlassen können. Zwar beruhe die Jurisdiktion des Gerichtshofs auf dem Konsens der Parteien; dies gelte jedoch nicht für die Parteifähigkeit, die stets amtswegig zu prüfen sei: “On this point, however, it is the view of the Court that a distinction has to be made between a question of jurisdiction that relates to the consent of a party and the question of the right of a party to appear before the Court under the requirements of the Statute, which is not a matter of consent. The question is whether as a matter of law Serbia and Montenegro was entitled to seise the Court as a party to the Statute at the time when it instituted proceedings in these cases. Since that question is independent of the views or wishes of the Parties, even if they were now to have arrived at a shared view on the point, the Court would not have to accept that view as necessarily the correct one. The function of the Court to enquire into the matter and reach its own conclusion is thus mandatory upon the Court irrespective of the consent of the parties and is in no way in-
se No. ARB(AF)/98/2, Schiedsspruch vom 2. Juni 2002, diss. op. Highet, ILM 40 (2001), 70 (72, Ziff. 9): “Jurisdiction is never to be presumed.” 152
Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 42 f.,
57. 153
Amerasinghe, Jurisdiction of International Tribunals (2003), 257.
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compatible with the principle that the jurisdiction of the Court depends on consent.”154 Die Parteifähigkeit ist demnach Prozessvoraussetzung. Dennoch überprüfte der IGH im Verfahren über die vorgängigen Einreden im Application of the Genocide Convention-Fall nur die von Jugoslawien vorgebrachten Einreden gegen die Gerichtsbarkeit und trat nicht etwa von Amts wegen darüber hinaus in die Prüfung des Art. 35 IGH-Statut ein, obwohl dies nach der Aussage im Use of Force-Fall durchaus nahe gelegen hätte.155 Im Endurteil stellte er jedoch klar, dass im Tenor des Urteils über die vorgängigen Einreden impliziter festgestellt worden sei, dass diese Voraussetzung vorläge. Dies sei insbesondere deswegen der Fall, weil er ansonsten amtswegig seine Unzuständigkeit hätte aussprechen müssen.156 Die Frage der Parteifähigkeit ist vom Gerichtshof daher amtswegig aufzuwerfen und zu beantworten. Freilich besteht eine objektive Beweislast dahingehend, dass eine tatsächliche Ungewissheit bezüglich der Parteifähigkeit zu Lasten derjenigen Partei geht, für die sie günstig ist. Die Beweislastverteilung folgt demnach auch hier der allgemeinen Regel.
(b) Beweislast in Zulässigkeitsfragen Der IGH unterscheidet traditionell zwischen Einwendungen gegen die Zuständigkeit (jurisdiction, compétence) und die Zulässigkeit (admissibility, recevabilité). Die Differenzierung fehlt im IGH-Statut, das nur die Zuständigkeit erwähnt (Art. 36 und 53 IGH-Statut), wird jedoch in der VerfO eingeführt (Art. 79 Abs. 1 IGH-VerfO). Weiter erläutert werden die Begriffe freilich nicht. Obwohl eine Abgrenzung im Einzelnen schwierig ist,157 ist mit der Lehre davon auszugehen, dass Zulässigkeitsvoraussetzungen weitere, über die Zuständigkeit hinaus gehende Sachentscheidungsvoraussetzungen darstellen. Die in Art. 36 IGH-Statut geregelte Zuständigkeit erschöpft sich daher im Konsenserfordernis.158 Ist ein Verfahren nicht zulässig, so kann der Gerichtshof trotz Zustän154
IGH, Case Concerning Legality of Use of Force (Serbia and Montenegro v. Belgium), Preliminary Objections, Urteil vom 15. Dezember 2004, Ziff. 36. 155 Kritisch daher: Art. 36, Rn. 29. 156 157 158
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tomuschat,
IGH, Genocide Case (Merits), Ziff. 122 f., 132. Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tomuschat, Art. 36, Rn. 111. Ebd., Rn. 110.
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digkeit nicht in der Sache entscheiden.159 Mit dieser Charakterisierung ist jedoch noch nichts über die Einordnung als Prozessvoraussetzung oder Prozesshindernis (prozesshindernde Einrede) gesagt.160 Nur im ersten Fall müsste das Gericht die Zulässigkeitshindernisse stets von Amts wegen prüfen. Eine erschöpfende Aufzählung oder gar eine abschließende Definition der Zulässigkeitsvoraussetzungen (admissibility) vor dem IGH gibt es nicht. Zu den praktisch wichtigsten Zulässigkeitsvoraussetzungen für Klagen eines Staates, in denen er diplomatischen Schutz gegenüber seinen Staatsangehörigen geltend macht, gehört einerseits der Nachweis der Staatsangehörigkeit (dazu (aa)) und andererseits das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung (dazu (bb)).161 Daneben sind die anderweitige Rechtshängigkeit (Litispendenz) und die Rechtskraft (res iudicata)162 sowie die Schiedseinrede, die fehlerhafte (also nicht wirksame) Klageerhebung (Art. 40 Abs. 1 IGH-Statut i.V.m. Art. 38 Abs 2 IGH-VerfO), der Rechtsmissbrauch und die fehlende Klagebefugnis zu erwähnen.163 Bereits aus der Einbeziehung der fehlerhaften Klageerhebung in diese Aufzählung wird klar, dass jedenfalls nicht alle Zulässigkeitsvoraussetzungen als prozesshindernde Einreden qualifiziert werden können, sondern jede einzeln daraufhin zu untersuchen ist, ob sie von Amts wegen oder nur auf Rüge einer Partei zu prüfen ist.
(aa) Klagebefugnis bei der Ausübung diplomatischen Schutzes: Staatsangehörigkeit Ein Staat ist nur dann klagebefugt im Rahmen des diplomatischen Schutzes, wenn das Individuum oder die juristische Person, zugunsten dessen bzw. derer der Staat den Schutz ausüben möchte, seine Staatsan159
Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice, Bd. 2 (1986), 438 f.; Thirlway, BYIL 71 (2000), 71 (73 ff.). 160
Siehe aber: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tomuschat, Art. 36, Rn. 110, der resümiert, dass der Gerichtshof die Frage der Kompetenz stets amtswegig behandele, Fragen der Zulässigkeit jedoch regelmäßig nur auf Rüge hin. 161 162 163
Amerasinghe, Jurisdiction of International Tribunals (2003), 245. Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 515.
Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Tomuschat, Art. 36, Rn. 110, 115 (Schiedseinrede); 116 (fehlerhafte Klageerhebung); 117 f. (Rechtsmissbrauch), Rn. 121 (fehlende Klagebefugnis).
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gehörigkeit hat (nationality of claims). Nach einer Auffassung in der Literatur ist die Staatsangehörigkeit der Person, für die ein Staat diplomatischen Schutz ausüben möchte, vom internationalen Gericht amtswegig zu prüfen.164 Gleiches soll für eine juristische Person gelten.165 Damit hätte sich der IGH des Bestehens der Nationalität als Prozessvoraussetzung jederzeit amtswegig zu vergewissern.166 Allerdings weicht die Rechtsprechung des IGH hiervon ab. Danach prüft der IGH die Frage der Staatsangehörigkeit nicht, wenn die Parteien sich hierüber einig sind.167 Ob der IGH hierdurch eine amtswegige Prüfungspflicht ablehnt oder diese doch implizit geprüft hat, ist nicht klar. Ebenso wie bei der Zuständigkeit ist jedenfalls davon auszugehen, dass der IGH die Staatsangehörigkeit bei Einigkeit der Parteien regelmäßig nicht eingehend prüft. Dies steht im Gegensatz etwa zur Rechtsprechung der Kommission im Flegenheimer-Fall, die es als ihr Recht und ihre Pflicht ansah, eigene Ermittlungen über die Staatsangehörigkeit anzustellen, um sich zu vergewissern, dass nicht der Klägerstaat einer Person diplomatischen Schutz mit unlauteren Mitteln gewährt, der dieser eigentlich nicht zustünde.168 Bezüglich der Staatsangehörigkeit gilt, dass der klagende Staat beweisen muss, dass derjenige, zu dessen Gunsten er diplomatischen Schutz ausüben will, seine Staatsangehörigkeit hat.169 Steht jedoch fest, dass ein Staat einer Person seine Staatsangehörigkeit verliehen hat, spricht eine Vermutung für die völkerrechtliche Wirksamkeit dieser Verleihung.170 164
Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 514.
165
IGH, Barcelona Traction Case (Second Phase), sep. op. Fitzmaurice, ICJ Rep. 1970, 64 (84, Ziff. 34): “It was not enough, in my opinion, to proceed on the basis that since neither Party had contested the Canadian nationality of the Barcelona Company, and both had proceeded on the assumption that the Company was Canadian, the Court was not called upon to speculate otherwise.” 166
Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 104.
167
IGH, Case Concerning Ahmaadou Sadio Diallo (Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo), Preliminary Objections, Urteil vom 24. Mai 2007, Ziff. 41. 168
Italian-United States Conciliation Commission, Flegenheimer Case (Decision No. 182), Schiedsspruch vom 20. September 1958, RIAA 14 (1965), 327 (348 f., Ziff. 38). 169
IGH, Avena Case, ICJ Rep. 2004, 12 (41, Ziff. 55 f.); Mani, International Adjudication, Procedural Aspects (1980), 206.
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Der Staat, der behauptet, die Staatsangehörigkeit sei völkerrechtswidrig verliehen worden, trägt also hierfür die Beweislast. Die Anforderungen an den Nachweis der Staatsangehörigkeit setzt der IGH nicht allzu hoch an. In seinem Sondervotum zum Avena-Fall war daher Richter Parra-Aranguen der Auffassung, dass Mexiko die mexikanische Staatsangehörigkeit der Personen, die in ihren Rechten aus Art. 36 WKÜ angeblich verletzt wurden, nicht nachgewiesen habe, da es sich lediglich auf den den Erwerb der Staatsangehörigkeit regelnden Art. 30 der mexikanischen Verfassung berufen hatte,171 ohne dessen Text als Beweis in den Prozess einzuführen.172 Diese Sichtweise erscheint sehr formalistisch. Der Text der mexikanischen Verfassung dürfte gerichtsbekannt sein.173
(bb) Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs Nach Völkergewohnheitsrecht gilt, dass zunächst alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft werden müssen, bevor der Rechtsweg auf zwischenstaatlicher Ebene zulässig ist. Die Regel ist dann nicht anwendbar, wenn der Rechtsweg nicht effektiv ist. Dabei ist fraglich, ob der IGH diese Zulässigkeitsfrage stets amtswegig zu prüfen hat. Dies ist wohl zu verneinen, da der IGH diesen Einwand nie ohne vorherige 170
Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 116; Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Bd. 1 (1992), 856: „very strong presumption“; ILC, Draft articles on Diplomatic Protection with Commentaries, in: Report of the International Law Commission, 58th session, UN Doc. A/61/10, S. 31, 34. Interessanterweise leitet die Kommission die Beweislastverteilung aus der Formulierung der Norm her: “Draft article 4 requires that nationality should be acquired in a manner ‘not inconsistent with international law’. The double negative emphasizes the fact that the burden of proving that nationality has been acquired in violation of international law is upon the State challenging the nationality of the injured person.” 171 Art. 30 der Mexikanischen Verfassung lautet in seinem relevanten Teil: «La nacionalidad mexicana se adquiere por nacimiento o por la naturalization. A) Son Mexicanos por nacimiento: I. Los que nazcan en territorio de la República, sea cual fuere la nacionalidad de sus padres.» 172
IGH, Avena Case, sep. op. Parra-Aranguen, ICJ Rep. 2004, 84 (85 f., Ziff.
7-11). 173
Weckel, RGDIP 108 (2004), 731 (738) erklärt die Zurückhaltung des IGH damit, dass dieser nicht dafür zuständig sei, die verfassungsrechtliche Rechtmäßigkeit einer Handlung oder eines Zustands zu überprüfen.
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Rüge einer Partei erwähnt hat.174 Damit handelt es sich wohl nicht um eine Prozessvoraussetzung, sondern um ein Prozesshindernis, das nur im Interesse einer Partei besteht, der es folglich überlassen bleibt, sein Vorliegen zu rügen.175 Die Rechtsprechung internationaler Gerichte hierzu ist insgesamt nicht konsistent und trägt wenig zur Klärung bei.176 Auch der IGH hat bisher keine klaren Richtlinien aufgestellt. Er hat jedoch zumindest implizit die Beweislast für die Beschreitung und Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs dem Staat auferlegt, der diplomatischen Schutz ausüben möchte, also dem Kläger.177 Entsprechende Aussagen finden sich auch in der Literatur.178 Im ELSI-Fall entschied der IGH jedoch, dass jedenfalls dann, wenn der Private innerstaatliche Rechtsbehelfe bereits in großem Umfang erfolglos bemüht hat, dem (vermutlichen) Verletzerstaat die Beweislast dafür obliegt, dass noch ein weiteres Erfolg versprechendes Mittel zur Verfügung gestanden hätte.179
174
Gegen eine amtswegige Prüfung auch: Kokott, Interim Report on “The Exhaustion of Local Remedies”, International Law Association, London Conference (2000), Committee on Diplomatic Protection of Persons and Property, in: International Law Association, Report of the Sixty-Ninth Conference (2000), 606 (628): Prüfung nur, wenn der beklagte Staat rügt. Offenbar auch: Dugard, Third report on diplomatic protection, 7. März 2002, A/CN.4/253, Ziff. 105: amtswegige Prüfung nur in menschenrechtlichen Verfahren; Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 168. Für eine amtswegige Prüfung wohl: Dahm, Völkerrecht, Bd. 2 (1961), 514. 175
Zum deutschen Recht: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 93, Rn. 1. 176
Dugard, Third report on diplomatic protection, 7. März 2002, A/CN.4/253, Ziff. 106. 177
IGH, Armed Activities on the Territory of the Congo, ICJ Rep. 2005, 168 (276, Ziff. 333). 178 Kokott, Interim Report on “The Exhaustion of Local Remedies”, International Law Association, London Conference (2000), Committee on Diplomatic Protection of Persons and Property, in: International Law Association, Report of the Sixty-Ninth Conference (2000), 606 (628 und 630): “(1) The claimant has to prove that he exhausted the local remedies; or (2) that he was exempted from doing so; (3) The host state has to prove that (further) remedies existed which were not exhausted.” Robertson, ICLQ 39 (1990), 191 (196). 179
IGH, ELSI Case, ICJ Rep. 1989, 15 (46, Ziff. 59; 47, Ziff. 62). Dazu Vives Chillida, REDI 44 (1992), 7 (15).
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Insgesamt liegt eine gemeinsame Verantwortung der Parteien für die Beurteilung dieser Frage nahe.180 Eine pauschale Verlagerung der Beweislast auf den Kläger stünde auch im Widerspruch zur Rechtsprechung anderer internationaler Gerichte, etwa im Ambatielos-Fall. Nach dieser Entscheidung trägt zunächst der Beklagte die Beweislast dafür, dass ein Rechtsweg im innerstaatlichen Recht besteht, und dass dieser nicht genutzt wurde.181 Während man also die Zuständigkeit (jurisdiction, compétence) eines internationalen Gerichts wegen des Konsensprinzips beweisrechtlich als „Ausnahme“ qualifizieren muss, wäre danach jedenfalls in Bezug auf die Voraussetzung der Rechtswegausschöpfung die Zulässigkeit einer Klage vor einem zuständigen Gericht die Regel, so dass eine Vermutung für die Zulässigkeit bestünde.182 Auch die dogmatische Einordnung sowie Funktion und Zweck der Rechtswegerschöpfungsregel beeinflussen die Beweislastregelung. Sieht man die Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs als dem materiellen Recht zugehörig an, so dass mangels Rechtswegerschöpfung bereits keine Staatenverantwortlichkeit besteht, wäre nach der allgemeinen Regel der Klägerstaat diesbezüglich beweisbelastet.183 Die besseren 180
So auch Art. 15 Abs. 1 des Entwurfs zum diplomatischen Schutz: Dugard, Third report on diplomatic protection, 7. März 2002, A/CN.4/253, 38: “The claimant and the respondent States share the burden of proof in matters relating to the exhaustion of local remedies in accordance with the principle that the party that makes an assertion must prove it.” Law, The Local Remedies Rule in International Law (1961), 57; Sulliger, L’epuisement des voies de recours internes en droit international général et dans la Convention européenne des droits de l’homme (1979), 168; Young, BYIL 71 (2000), 317 (332): „divided burdens approach“. 181 The Ambatielos Claim (Greece v. UK), Schiedsspruch vom 6. März 1956, RIAA 12 (1963), 83 (119). So auch: Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 867; Kazazi, Burden of Proof (1996), 98 f.; Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 73. 182
So: Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 868; Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (23). 183
Ago, Sixth Report on State responsibility, UN Doc. A/CN.4/302 and Add. 1-3, ILC Yearbook 1977 II, 3 (22 f.); StIGH, The Panevezys-Saldutiskis Railway case, PCIJ Reports, Ser. A/B No. 76, Urteil vom 28. Februar 1939, diss. op. Hudson, 42 (47): “It is a very important rule of international law that local remedies must have been exhausted without redress before a State may successfully espouse a claim of its national against another State. This is not a rule of procedure. It is not merely a matter of orderly conduct. It is part of the sub-
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Gründe sprechen jedoch dafür, die Regel als prozessrechtlich zu charakterisieren, denn der Verstoß gegen einen völkerrechtlichen Mindeststandard, der beim Zugang zu Gerichten gewahrt sein muss, stellt einen eigenen Verletzungstatbestand dar, der von der Voraussetzung der Rechtswegerschöpfung zu trennen ist.184 Dafür spricht auch die systematische Position und Formulierung des Art. 44 (b) der ILC-Artikel zur Staatenverantwortlichkeit, der das Gebot der Rechtswegerschöpfung nicht im ersten Teil („The Internationally Wrongful Act of a State“), sondern im dritten Teil („The Implementation of the International Responsibility of a State“) verortet und anordnet, dass die Staatenverantwortlichkeit nicht gerügt werden kann, wenn der Rechtsweg nicht erschöpft ist, und nicht, dass die Verantwortlichkeit erst gar nicht entsteht. Aus der Qualifikation der Regel als prozessrechtlich ist für sich allein jedoch kein überzeugendes Argument für die Beweislastverteilung abzuleiten. Besondere Bedeutung kommt daher dem Sinn und Zweck der Regel zu. Ihr Hauptzweck ist der Schutz der Souveränität des Aufenthaltsstaates.185 Ihm soll hierdurch die Möglichkeit gewährt werden, das völkerrechtswidrige Verhalten noch innerstaatlich zu korrigieren.186 Diese Erwägungen sprechen dafür, die Beweislast für die Er-
stantive law as to international, i.e. State-to-State, responsibility. If adequate redress for the injury is available to the person who suffered it, if such a person has only to reach out to avail himself of such redress, there is no basis for a claim to be espoused by the State of which such a person is a national. Until the available means of local redress have been exhausted, no international responsibility can arise.” 184
Dugard, Second report on diplomatic protection, 28. Februar 2001, A/CN.4/514, Ziff. 63 ff., der dies als „third position“ bezeichnet. Wo die Völkerrechtsverletzung gerade darin besteht, dass kein Rechtsweg offensteht („denial of justice“), ist die Rechtswegerschöpfung naturgemäß keine Zulässigkeitsvoraussetzung. So auch: Amerasinghe, State Responsibility for Injuries to Aliens (1967), 212 ff. 185
Jiménez de Aréchaga, RdC 159 (1978 I), 1 (292); Okowa, in: Evans (Hrsg.), International Law (2006), 479 (498); Shaw, International Law (2003), 730; Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 155. 186
Doehring, EPIL III/1 (1997), 238; IGH, Interhandel Case (Switzerland v. United States of America), Preliminary Objections, Urteil vom 21. März 1959, ICJ Rep. 1959, 6 (27): “Before resort may be had to an international court in such a situation, it has been considered necessary that the State where the violation occurred should have an opportunity to redress it by its own means, within the framework of its own domestic legal system.”
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schöpfung des Rechtswegs dem Kläger zuzuordnen, der diplomatischen Schutz ausüben möchte.187 Als Grundregel der geteilten Verantwortlichkeit für die Etablierung der Ausschöpfung innerstaatlicher Rechtswege ist daher folgende Beweislastverteilung systemgerecht, wobei im Einzelnen vieles strittig ist:188 Zunächst muss der Beklagte die Nichtausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs rügen (Prozesshindernis).189 Eine amtswegige Prüfung findet also nicht statt. Danach obliegt es nach Sinn und Zweck der Regel zunächst dem Kläger, zu zeigen, dass überhaupt innerstaatliche Rechtswege beschritten wurden.190 Alternativ kann der Kläger natürlich auch sofort nachweisen, dass Rechtsbehelfe entweder nicht existent sind 187
Indifferent in dieser Hinsicht ist der Zweck, dem internationalen Gericht einen bereits juristisch aufbereiteten Sachverhalt zu präsentieren und zu verhindern, dass nicht komplexe Klagen mit geringem Streitwert auf die internationale Ebene gelangen. Auch die (vermutete) höhere Effektivität des innerstaalichen Rechtswegs lässt keine Rückschlüsse auf die Beweislastverteilung zu. Zu diesen Zwecken der Regel: Okowa, in: Evans (Hrsg.), International Law (2006), 479 (498). 188
Siehe auch: Fawcett, BYIL 31 (1954), 452 (458); Law, The Local Remedies Rule in International Law (1961), 54 ff.; Haesler, The exhaustion of local remedies in the case law of international courts and tribunals (1968), Chappez, La règle de l’épuisement des voies de recours internes (1972), 324 ff.; Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 78 ff. 189
IGH, Case Concerning Ahmaadou Sadio Diallo (Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo), Preliminary Objections, Urteil vom 24. Mai 2007, Ziff. 45: Guinea hatte verschiedene individuelle Rechtsverletzungen gerügt (willkürliche Verhaftung, unmenschliche Behandlung und rechtswidrige Ausweisung), Kongo jedoch nur in Bezug auf die Ausweisung seine Rüge der Nichtausschöpfung der innerstaatlichen Rechtswege substantiiert. Der IGH prüfte daraufhin nur die Ausschöpfung des Rechtswegs hinsichtlich dieser letzten Verletzung, in Bezug auf die übrigen hielt er die Klage ohne Weiteres für zulässig, obwohl auch Guinea nicht argumentiert hatte, dass Diallo in Bezug auf diese Verletzungen den innerstaatlichen Rechtsweg ausgeschöpft hatte. 190
Dies wird von Fawcett, Santulli und Dugard nicht gefordert. Auch der Ambatielos-Fall deutet in eine andere Richtung. Letztlich wird dieses Erfordernis aber wohl unausgesprochen mitgedacht, wenn gesagt wird, der Beklagte, der sich auf die Regel beruft, müsse die Existenz eines nichtbeschrittenen Rechtsweges nachweisen. Wie hier: Kokott, Interim Report on “The Exhaustion of Local Remedies”, International Law Association, London Conference (2000), Committee on Diplomatic Protection of Persons and Property, in: International Law Association, Report of the Sixty-Ninth Conference (2000), 606 (628 und 630).
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oder dass vorhandene Rechtswege wegen Ineffektivität keine Erfolgsaussichten boten und daher nicht beschritten werden mussten. Dies folgt aus der ELSI-Rechtsprechung.191 Danach muss der Beklagte die Existenz einer (weiteren) Rechtsschutzmöglichkeit nachweisen, die der vom Kläger vertretene fremde Staatsangehörige nicht genutzt hat. Gelingt ihm dieser Beweis, so ist es wiederum am Kläger, nachzuweisen, dass dieser Rechtsweg nicht effektiv bzw. der betreffenden Person nicht zuzumuten gewesen sei.192 Im Fall Diallo hat der IGH diese Regel nunmehr bestätigt, auch wenn er nicht klar zwischen den verschiedenen Phasen der Beweisführung differenziert: “In matters of diplomatic protection, it is incumbent on the applicant to prove that local remedies were indeed exhausted or to establish that exceptional circumstances relieved the allegedly injured person whom the applicant seeks to protect of the obligation to exhaust available local remedies (see Elettronica Sicula S.p.A. (ELSI) (United States of America v. Italy), I.C.J. Reports 1989, pp. 43-44, para. 53). It is for the respondent to convince the Court that there were effective remedies in its domestic legal system that were not exhausted (see ibid., p. 46, para. 59).”193 191
Aber auch schon aus StIGH, Panevezys Saldutiksis Railway Case, Urteil vom 28. Februar 1939, PCIJ Ser. A/B No. 76, 18, siehe Robertson, ICLQ 39 (1990), 191 (193). 192
So: Jiménez de Aréchaga, RdC 159 (1978 I), 1 (295); ders., in: Sørensen (Hrsg.), Manual of Public International Law (1968), 531 (590); Jennings/Watts, Oppenheim’s International Law, Bd. 1 (1992), 526; Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 166. Dem folgend: Dugard, Third report on diplomatic protection, 7. März 2002, A/CN.4/253, 38 f. (Article 15) und Ziff. 102 ff.; Santulli, Droit du contentieux international (2005), 509 f. (Rn. 867). Ebenso: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005) 73; Fawcett, BYIL 31 (1954), 452 (458); Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (23, Fn. 29). 193
IGH, Case Concerning Ahmaadou Sadio Diallo (Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo), Preliminary Objections, Urteil vom 24. Mai 2007, Ziff. 44. Einen anderen Vorschlag unterbreitet Richter Lauterpacht im Norwegian Loans-Fall, wobei dieser maßgeblich von den Umständen des Einzelfalles beeinflusst scheint (siehe auch: Dugard, Third report on diplomatic protection, 7. März 2002, A/CN.4/253, 43, Ziff. 113): (1) Nach der Grundregel obliegt es dem diplomatischen Schutz ausübenden Klägerstaat, die Nichteffektivität der innerstaatlichen Rechtsmittel zu beweisen. (2) Der Beweis der Nichteffektivität gilt als geführt, wenn Gesetze bestehen, die privaten Klägern nach dem ersten Anschein (on the face of it) vorhandene Rechtsmittel unzugänglich
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II. Internationaler Seegerichtshof 1. Grundsatz Der ISGH selbst hat in der Begründetheitsprüfung in Hauptsacheverfahren noch keine Ausführungen über die Beweislastverteilung getroffen, sondern nur im Verfahren über die Zuständigkeit und Zulässigkeit des Hauptsacheverfahrens (dazu 2.). Hinweise auf die Thematik finden sich allenfalls in Sondervoten. So geht Richter Wolfrum in seinem Sondervotum im Saiga (No. 2)-Fall vertiefend auf die Frage der Beweislast vor dem ISGH ein.194 Die Folgen der Beweislast werden in eine prozessuale und eine materielle geschieden. Während erstere die Pflicht einer Partei bezeichnet, Tatsachen vorzutragen und Beweismittel einzubringen, was der Behauptungs- und subjektiven Beweislast entspricht, betrifft der zweite Aspekt die objektive Beweislast. Hinsichtlich der Verteilung der Beweislast stellt Wolfrum fest, dass das Prinzip actori incumbit probatio in den meisten nationalen Rechtsordnungen anerkannt sei: “It is the prevailing principle governing the appreciation of evidence by adjudicating bodies in all main legal systems that the burden of proof lies on the party who asserts [a fact] (actori incumbit probatio). It has been argued occasionally that international tribunals are not tied by such firm rules as developed in all national legal systems since they were not appropriate to litigation between Governments. I have doubts whether this approach is still fully adequate. The principle actori incumbit probatio is recognized in all legal systems.
machen. (3) In diesem Fall ist es Sache des Beklagten, zu zeigen, dass ein effektiver Rechtsbehelf dennoch vorhanden ist. (4) Das hierfür (Punkt 3) anzulegende Beweismaß sollte nicht zu hoch sein („ought not be so stringent as to be unduly exacting“) (IGH, Case of Certain Norwegian Loans (France v. Norway), Urteil vom 6. Juli 1957, sep. op. Lauterpacht, ICJ Rep. 1957, 9, 34 (39)). 194
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (93, Ziff. 6): “Rules concerning the appreciation of evidence in all legal systems generally identify two issues to be considered, namely which of the parties has the burden of proof and what is the standard of appreciation to be used in assessing the evidence produced. Both issues are linked. The notion of the burden of proof embraces two aspects: a procedural one, namely who has the duty to present pleadings and evidence, as well as a substantive one, namely which party bears the negative consequences if the alleged facts have not been proven satisfactorily. Whether a fact has been proven satisfactorily is where the standard of proof becomes relevant.”
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While the particularities of each legal system may result in modifications concerning the implementation of this principle its essence is uncontested, namely that the party which asserts a fact, whether the claimant or the respondent, bears the negative consequences if the respective facts are not proven.”195 Die so festgestellte Beweislastverteilung bestätigt sich durch einen Blick auf nach Annex VII SRÜ eingerichtete Schiedsgerichte. Während auch Annex VII SRÜ selbst keine explizite Regelung der Beweislastproblematik enthält, weisen die entweder durch Parteivereinbarung festgelegten oder in Ausübung der prozessrechtlichen Kompetenzen nach Art. 5 Annex VII vom Schiedsgericht aufgestellten Verfahrensordnungen eine detailliertere Beweislastregelung aus. So bestimmt Art. 12 Abs. 1 der Prozessregeln des von Irland und dem Vereinigten Königreich eingerichteten Schiedsgerichts im MOX-Plant-Fall, dass “[e]ach Party shall have the burden of proving the facts relied on to support its claim or defence”.196 Nachfolgende Annex VII-Schiedsgerichte haben diese Regelung übernommen,197 so das von Barbados und Trinidad und Tobago eingerichtete.198
2. Beweislast in Zuständigkeits- und Zulässigkeitsfragen Auch vor dem ISGH gilt, dass Fragen der Zuständigkeit grundsätzlich vom Gericht von Amts wegen geprüft werden müssen, auch wenn diese 195
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (93, Ziff. 7). Er bezieht sich dabei auf die Rechtsprechung des StIGH, des IGH und des IUSCT sowie verschiedener Versöhnungs- und anderer Kommissionen. Er zitiert insbesondere: IGH, Nicaragua Case (Merits), ICJ Rep. 1984, 14 (437, Ziff. 101), IGH, Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Republic of Mali), Urteil vom 22. Dezember 1986, ICJ Rep. 1986, 554 (587 f.; Ziff. 64 f.) sowie IGH, Case Concerning the Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Urteil vom 15. Juni 1962, ICJ Rep. 1962, 6 (15 f.). 196
Rules of Procedure for the Tribunal Constituted under Annex VII to the United Nations Convention on the Law of the Sea Pursuant to the Notification of Ireland Dated 25th October 2001, abrufbar unter <www.pca-cpa.org>. 197 198
Dazu: Daly, LPICT 4 (2005), 261 (275).
In Art. 11 Abs. 1 der VerfO (Rules of Procedure for the Tribunal Constituted under Annex VII to the United Nations Convention on the Law of the Sea Pursuant to the Notification of Barbados Dated 16 February 2004), abrufbar unter <www.pca-cpa.org>.
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von keiner Partei gerügt wurde.199 Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass für den Fall der Beweislosigkeit eine Entscheidungsregel nach der objektiven Beweislast besteht.200 Das Verfahren der Zuständigkeitsund Zulässigkeitsrüge ist in Art. 97 ISGH-VerfO näher geregelt, der die Parallelvorschrift zu Art. 79 IGH-VerfO darstellt. Im Unterschied zur Vorschrift in der IGH-VerfO wird hier nicht suggeriert, dass nur der Beklagte solche Rügen vorbringt. Dies überzeugt, da beispielsweise bei einer Widerklage auch der Kläger deren Zulässigkeit rügen kann. Nach Art. 97 Abs. 2 ISGH-VerfO muss die tatsächliche Grundlage der Rüge dargetan werden. Des Weiteren sind die Parteien nach Art. 97 Abs. 3 verpflichtet, Beweismittel zu benennen. Das Tribunal kann nach Art. 97 Abs. 5 S. 2 jederzeit von den Parteien die Vorlage weiterer Informationen und Beweise verlangen.
(a) Hauptsacheverfahren Im ersten und bisher einzigen Hauptsacheverfahren des ISGH, dem Saiga (No. 2)-Fall, war im Rahmen der Zulässigkeit (admissibility) streitig, ob Sankt Vincent und die Grenadinen (im Folgenden: St. Vincent) klagebefugt in Bezug auf die in Frage stehenden Vorfälle war. Denn auch im Verfahren vor dem ISGH gilt nach der allgemeinen Regel, dass ein Staat nur dann klagebefugt ist, wenn er die Verletzung eigener Rechte geltend machen kann.201 Dazu war notwendig, dass die M/V “Saiga” die Staatszugehörigkeit von St. Vincent besaß (Art. 92 SRÜ). Art. 91 SRÜ überlässt dem Völkergewohnheitsrecht folgend die Gewährung der Staatszugehörigkeit sowie die Festlegung der hierauf bezogenen Kriterien und Verfahren der ausschließlichen Zuständigkeit jedes Staates.202 Insbesondere legt das innerstaatliche Recht fest, welche Schiffe sich für die Verleihung der Staatszugehörigkeit qualifizieren, wobei alle Rechtsordnungen zusätzlich einen Verleihungsakt fordern,
199
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), ITLOS Rep. 1999, 10 (30, Ziff. 40); ISGH, “Grand Prince” Case, ITLOS Rep. 2001, 17 (41, Ziff. 77-79). 200
Anders offenbar: ISGH, “Grand Prince” Case, sep. op. Treves, ITLOS Rep. 2001, 63 (64, Ziff. 2): „burden of proof … does not seem relevant in a situation in which the Tribunal is acting proprio motu“. 201 202
Wolfrum, ZEuS 3 (2000), 1 (7).
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), ITLOS Rep. 1999, 10 (36 f., Ziff. 63-65).
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der in aller Regel die Registrierung des Schiffes ist.203 Daraus schloss der ISGH, dass die Staatszugehörigkeit eines Schiffes eine Tatsachenfrage sei, die wie alle anderen Tatsachenfragen auf der Basis der von den Parteien geführten Beweise entschieden werden müsse.204 Bei der Beweislastfrage ging das Gericht von einer zweistufigen Prüfung aus.205 St. Vincent als Kläger und damit ursprünglich beweisbelastete Partei musste einen „Anfangsbeweis“ („initial burden“, „charge initiale“) erbringen, indem es nachwies, dass die Saiga zur Zeit der Beschlagnahme die Staatszugehörigkeit St. Vincents hatte. Dieser Beweis wurde nach Meinung der Richtermehrheit erfolgreich geführt.206 Das Beweismaß für diese Feststellung wurde nicht offen gelegt. Angesichts der sich teilweise widersprechenden Beweisstücke kann es sich jedoch nicht um mehr als ein Plausibilitätskriterium gehandelt haben.207 Daher musste, so das Gericht, nunmehr Guinea beweisen, dass das Schiff nicht in St. Vincent registriert sei oder nicht die Staatszugehörigkeit St. Vincents hatte. Da dieser Gegenbeweis nicht erfolgreich geführt wurde, blieb es bei der Feststellung der vincentinischen Nationalität.208 Hierin ist eine fragwürdige Beweislastverschiebung zu Lasten des Beklagten zu sehen,209 die von der Beurteilung derselben Frage bei der verwandten Materie der Ausübung diplomatischen Schutzes abweicht. Insbesondere griff im vorliegenden Fall nicht die Vermutung der völ-
203
ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (97, Ziff. 20). 204 ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), ITLOS Rep. 1999, 92 (37, Ziff. 66): “The Tribunal considers that the nationality of a ship is a quesiton of fact to be determined, like other facts in dispute before it, on the basis of evidence adduced by the parties”. Kritisch hierzu: Lowe/Churchill, IJMCL 17 (2002), 463 (474). 205
de la Fayette, IJMCL, 15 (2000), 355 (367).
206
Sich diesem Urteil anschließend: de la Fayette, IJMCL, 15 (2000), 355 (368). Wolfrum kritisiert die Entscheidung, da das Zertifikat über die vorläufige Registrierung vor dem entscheidenden Datum abgelaufen war und die Saiga erst nach ihrer Festsetzung endgültig in das Schiffsregister des Staates St. Vincent eingetragen wurde: ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 1999, 92 (96 ff., Ziff. 15 ff.) und ders., ZEuS 3 (2000), 1 (8). 207 208
de la Fayette, IJMCL, 15 (2000), 355 (368). ISGH, “SAIGA” (No. 2) Case (Merits), ITLOS Rep. 1999, 10 (38, Ziff.
72). 209
Wolfrum, ZEuS 3 (2000), 1 (8).
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kerrechtskonformen Verleihung der Staatszugehörigkeit,210 da bereits strittig war, ob eine solche Verleihung überhaupt stattgefunden hatte bzw. noch wirksam war, nicht, ob sie eventuell im Widerspruch zu völkerrechtlichen Normen stand.
(b) Schiffsfreigabeverfahren Besondere Probleme stellten sich in der bisherigen Tätigkeit des ISGH hinsichtlich der Zulässigkeit eines Antrags nach Art. 292 SRÜ. Dabei ist die Zulässigkeit des Antrags einmal mit Hinblick auf die generelle Zulässigkeit des Rechtsbehelfs (der nach dem Wortlaut und der Verhandlungsgeschichte auf die Verletzung der Bestimmungen des SRÜ begrenzt ist, also eine in den Art. 73 Abs. 2, 220 Abs. 7 oder 226 Abs. 1 (b) SRÜ geregelte Rechtsverletzung voraussetzt211) sowie andererseits in Bezug auf die Staatszugehörigkeit des festgehaltenen Schiffes relevant geworden. Im Saiga-Fall ging die Mehrheit der Richter implizit davon aus, dass es dem Antragsgegner oblag, zu beweisen, dass das Schiff nicht aufgrund einer von Art. 292 SRÜ erfassten Vorschrift festgehalten wurde (hier: Art. 73 SRÜ: Festhalten wegen Verletzung von Fischereivorschriften des Küstenstaates), sondern aufgrund eines Vorgangs, für den das SRÜ keinen Freigabeanspruch vorsieht (im konkreten Fall: Verletzung zollrechtlicher Vorschriften).212 Sie kam daher zum Ergebnis, dass der Antrag zulässig sei. Dagegen meinte die Minderheit, der Antragsteller müsse darlegen, dass das Schiff aus einem Grund festgehalten worden sei, der unter eine Vorschrift des SRÜ falle (hier also unter Art. 73 SRÜ), deren Voraussetzungen für das rechtmäßige Festhalten jedoch nicht erfüllt worden waren, so dass ein Freigabeanspruch bestand.213 Diese Ansicht ist zu bevorzugen, da es der allgemeinen Regel entspricht, dass der Kläger die Beweislast für die Zuständigkeit des Gerichts und die Zulässigkeit der Klage trägt. Die Erwägungen der Mehr210 211
Dazu oben I. 2. (b) (aa). Wolfrum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts (2006), Rn.
64. 212
So auch: Lagoni, in: FS-Jaenicke (1999), 543 (550 f.), der dies vor allem mit Erwägungen der Gleichheit der Parteien begründet. 213
ISGH, “SAIGA” Case (Prompt Release), diss. op. Wolfrum und Yamamoto, ITLOS Rep 1997, 46 (46, Ziff. 4). Zustimmend: Lowe, ICLQ 48 (1999), 187 (194).
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heit stützen sich hingegen auf die zweifelhafte Interpretation des Vorbringens des Antragsgegners, sein Handeln sei nicht von vorneherein auf ein völkerrechtswidriges Festhalten des Schiffes gerichtet gewesen, so dass gleichsam eine „Vermutung“ für ein Handeln unter Art. 73 SRÜ bestünde.214 Aktuell wurde die Frage der Beweislast in Zuständigkeits- und Zulässigkeitsfragen auch im Zusammenhang mit der Staatszugehörigkeit eines Schiffes im Schiffsfreigabeverfahren nach Art. 292 SRÜ. Während der ISGH im Saiga-Fall die Staatszugehörigkeit des Schiffes nicht gesondert behandelte, entschied er im Grand Prince-Fall, dass Fragen der Zuständigkeit (jurisdiction) amtswegig zu prüfen seien.215 Zwar hatte Frankreich die Zuständigkeit nicht gerügt, jedoch entschied der ISGH unter Berufung auf die Rechtsprechung anderer internationaler Gerichte, dass diese Frage vom Gerichtshof auch dann angesprochen werden müsse, wenn diesbezüglich keine Uneinigkeit zwischen den Parteien bestehe: “According to the settled jurisprudence in international adjudication, a tribunal must at all times be satisfied that it has jurisdiction to entertain the case submitted to it. For this purpose, it has the power to examine proprio motu the basis of its jurisdiction. … As a consequence, the Tribunal possesses the right to deal with all aspects of the question of jurisdiction, whether or not they have been expressly raised by the parties.”216 Allerdings statuiert auch der ISGH keine dem Untersuchungsgrundsatz entsprechende Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung, da er die Beurteilung auf der Grundlage der von den Parteien gemachten Beweismittel vornimmt. Das Urteil kommt zu dem Schluss, dass Belize zum Zeitpunkt des Antrags nicht Flaggenstaat i.S.d. Art. 292 Abs. 2 SRÜ war, da der Antragsteller insofern beweisfällig geblieben war.217 Interessant ist, dass der ISGH die Frage der Staatszugehörigkeit – anders als der IGH – als
214
ISGH, “SAIGA” Case (Prompt Release), ITLOS Rep. 1997, 16 (34, Ziff.
72). 215
Wolfrum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts (2006), Rn.
69. 216 217
ISGH, “Grand Prince” Case, ITLOS Rep. 2001, 17 (41, Ziff. 77, 79). Ebd., 44, Ziff. 93.
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amtswegig zu prüfende Frage einstuft. Grund hierfür mag die laxe Registrierungspolitik von Billigflaggenstaaten sein.218 Die objektive Beweislast in Zuständigkeitsfragen obliegt demnach vor dem ISGH demjenigen, der die Zuständigkeit behauptet.219 Dabei geht der ISGH wie im ordentlichen Hauptsacheverfahren davon aus, dass der Kläger zunächst einen „Anfangbeweis“ (initial burden) für die Klagebefugnis erbringen muss.220 In einem Sondervotum zum Grand Prince-Fall kritisieren einige Richter die Weigerung des Gerichtshofs, die Ermittlungskompetenzen nach Art. 77 ISGH-VerfO zu nutzen.221 Unabhängig von der Berechtigung dieser Kritik im konkreten Einzelfall ist der Mehrheit zuzugestehen, dass eine Verpflichtung zum Einsatz der gerichtseigenen Untersuchungsmittel nicht besteht. Wie die Untersuchung der Rechtsgrundlagen und der Praxis des IGH gezeigt hat, sind Zuständigkeitsfragen zwar amtswegig zu prüfen, dies kann aber allein auf Grundlage der von den Parteien beigebrachten Tatsachen stattfinden, ohne dass das Gericht selbst ermittelnd tätig wird. Es gilt nicht der Untersuchungsgrundsatz, sondern der Grundsatz der Amtsprüfung. 218
Wolfrum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts (2006), Rn.
69. 219
Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 868.
220
ISGH, “Grand Prince” Case, ITLOS Rep. 2001, 17 (38, Ziff. 67). Siehe auch: Cot, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), Le principe du contradictoire devant les juridictions internationales (2004), 35 (40). Ebenso: ICSID, Hussein Nuaman Soufraki v. United Arab Emirates, Case No. ARB/02/7, Schiedsspruch vom 7. Juli 2004, Ziff. 58: “[The] Claimant bears the burden of proving … that he was an Italian national on the relevant dates and that, as a result, he belongs to the class of investors in respect of whom the Respondent has consented to jurisdiction.” Bestätigt durch: ICSID, Hussein Nuaman Soufraki v. United Arab Emirates, Case No. ARB/02/7, Decision of the ad hoc Committee on the Application for Annulment of Mr. Soufraki, Schiedsspruch vom 5. Juni 2007, Ziff. 108 f., beide Entscheidungen abrufbar unter <www.investmentclaims.com>. 221
ISGH, “Grand Prince” Case, joint diss. op. Caminos, Marotta Rangel, Yankov, Yamamoto, Akl, Vukas, Marsit, Eiriksson and Jesus, ITLOS Rep. 2001, 66 (66, Ziff. 3): “In the present case, having decided to take up, proprio motu, the question of its jurisdiction, the Tribunal decided to base itself solely on the documents before it and was consequently required to make certain assumptions as to the administrative actions taken or not taken by the Belize authorities. It would not have been necessary to make these assumptions had the Tribunal, once it began its deliberations, exercised its powers under article 77 of its Rules to seek information necessary for the elucidation of any aspects of the matters in issue.”
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III. Iran-US Claims Tribunal 1. Grundsatz Art. 24 IUSCT-VerfO, der unverändert von den UNCITRAL-Regeln übernommen wurde, bestimmt, dass jede Partei die Beweislast für diejenigen Tatsachen trägt, auf die sie sich zum Nachweis ihrer Ansprüche oder Verteidigung beruft. Danach trägt der Kläger die Beweislast für diejenigen Tatsachen, auf die er sich stützt.222 Im Fall A/1 führt ein Sondervotum dazu aus: “The general principle of law, actori incumbit probatio, reus in excipiendo fit actor, which finds expression notably in Article 356 of the Iranian Code of Civil Procedure and in Article 1315 of the French Code Civil, imposes the burden of proof of an obligation on the party invoking it.”223 Die Regel ist vom Tribunal in zahlreichen zwischenstaatlichen wie gemischt privat-staatlichen Fällen bestätigt worden.224 So heißt es im Fall A/20, dass die Regel allgemein anerkannten Grundsätzen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit entspreche.225 Des weiteren stellte eine Kammer fest, dass, “[a]ccording to the general principles of international procedural law and Article 24, paragraph 1, of the Tribunal Rules, each party shall have the burden of proving the facts relied on to sup-
222 IUSCT, Reza Said Malek v. Islamic Republic of Iran (Case No. 193), Award No. 534-193-3, Schiedsspruch vom 11. August 1992, IUSCTR 28 (1992), 246 (287, Ziff. 111). 223
IUSCT, Case A/1 (Issues I, III and IV), Urteil vom 30. Juli 1982, sep. op. Kashani und Shafeiei, IUSCTR 1 (1981-82), 203 (209). 224
IUSCT, Dadras International et al. v. The Islamic Republic of Iran et al. (Case Nos. 213 and 215), Award vom 7. November 1995, IUSCTR 31 (1995), 127 (161, Ziff. 120): “The Tribunal need hardly recall the general proposition that the burden of proof rests on the party asserting or alleging a fact.” IUSCT, Vera-Jo Miller Aryeh (Case No. 842), Laura Aryeh (Case No. 843), J.M. Aryeh (Case No. 844) v. The Islamic Republic of Iran, Award vom 22. Mai 1997, IUSCTR 33 (1997), 272 (316, Ziff. 157). Siehe auch: Daillier/Ghérari/Robert/ Müller, AFDI 47 (2001), 283 (317) sowie Kazazi, Burden of Proof (1996), 107 ff. und Mouri, The International Law of Expropriation as Reflected in the Work of the Iran-U.S. Claims Tribunal (1994), 265 f. 225
IUSCT, Islamic Republic of Iran v. United States of America (Case No. A/20), 10. Juli 1986, Iran-US CTR 11 (1986-II), 271 (274).
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port his claim or defense.”226 Dieser Regel entsprechend liegt die Beweislast für die Staatsangehörigkeit des Klägers als Zulässigkeitsvoraussetzung bei diesem.227 Dies entspricht der für den IGH und den ISGH geltenden Regel. Gerade in Bezug auf die Beweislast finden sich viele Sondervoten der iranischen und US-amerikanischen Richter.228 Während die iranischen Richter eine striktere Anwendung der Beweislastverteilung forderten, plädierten ihre amerikanischen Kollegen für die Einbeziehung von Beweisschwierigkeiten der amerikanischen Anspruchsteller.
2. Prima facie-Standard und Beweislast Das IUSCT hat sich in mehreren Fällen des prima facie-Standards bedient und sich dabei auf die Rechtsprechung früher Schiedskommissionen berufen.229 Dies betraf jedoch die Beweislast nur in ihrer Form als konkrete Beweisführungslast bzw. Gegenbeweisführungslast.230 Eine Verlagerung der objektiven Beweislast wird hierdurch nicht bewirkt.231 Zum prima facie case äußerte sich Richter Aghahosseini in seinem Sondervotum zum Fall Golshani v. Iran. Dort machte er deutlich, dass es sich hierbei nicht um eine eigene Beweislastregel handelt: “The Rule that the burden of proof lies on him who affirms a fact and not on him who denies it (ei qui affirmat, non ei qui negat incumbit probatio) admits of no exception – none whatsoever. Nor is there any room under the Rule for a shift in the burden of proof at 226
IUSCT, Vera-Jo Miller Aryeh (Case No. 842), Laura Aryeh (Case No. 843), J.M. Aryeh (Case No. 844) v. The Islamic Republic of Iran, Award vom 22. Mai 1997, IUSCTR 33 (1997), 272 (320, Fn. 40). 227
Kazazi, Burden of Proof (1996), 109 ff.; Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 74. 228
Kazazi, Burden of Proof (1996), 113.
229
IUSCT, Flexi-Van Leasing, Inc. v. The Islamic Republic of Iran (Case No. 36), Beschluss (Order) vom 15. Dezember 1982, IUSCTR 1 (1981-82), 455 (457): Bezug auf den Parker-Fall. Zur Rechtsprechung des IUSCT siehe Kazazi, Burden of Proof (1996), 333 ff. 230
Caron/Caplan/Pellonpäa, The UNCITRAL Arbitration Rules: A Commentary (2006), 570; Kazazi, Burden of Proof (1996), 329. 231
Siehe auch: Kazazi, Burden of Proof (1996), 329, der resümiert, dass eine abschließende Definition des prima facie case nicht möglich sei. Kazazi differenziert allerdings nicht zwischen prima facie case und prima facie evidence.
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any time of the middle stages of the proceeding. Throughout the case and at the end of the day, the duty to prove an asserted fact remains with him who makes it. In the absence of satisfactory proof on his part, he can never succeed in his assertion on the basis of his adversary’s failure to carry a shifted burden.”232 Stattdessen beziehe sich der Begriff „prima facie“ auf das erforderliche Beweismaß: “Next, there is of course the quite separate issue of the standard of proof: proof ‘beyond reasonable doubt’ in criminal cases, and ‘on the preponderance of evidence’ in civil cases. Now, when in a civil case the Claim is supported by prima facie evidence, the defendant may either challenge and successfully discredit the evidence, or fail to do so. In the former, the Claim naturally fails because the evidence having been discredited, the burden of proof is not satisfactorily carried. In the latter, the Claim prevails, not because the defendant has failed to shoulder a shifted burden, but because the adduced and unchallenged prima facie evidence preponderates – prevails – where it is not discredited. In other words, the asserting party in such a case simply succeeds in discharging his duty to prove his assertion ‘on the preponderance of evidence’.”233 Hiernach sei der Standard des prima facie evidence also identisch mit dem der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.
IV. WTO-Streitbeilegung Die Panels und das Appellate Body des DSB sind besonders häufig dazu aufgerufen, Beweislastfragen zu untersuchen.234 Diese ungleich höhere Relevanz der Tatsachenfeststellung im Verfahren vor den Panels oder dem Appellate Body ist auffällig im Vergleich zu den klassischen zwischenstaatlichen Gerichten wie dem IGH. Die Häufigkeit, mit der Streitparteien im Panelprozess Beweislastfragen aufwerfen und im Anschluss auch vor dem Berufungsgremium rügen, kann auf verschiedene 232
IUSCT, Abrahim Rahman Golshani v. The Government of the Islamic Republic of Iran (Case No. 812), Award No. 546-812-3 vom 2. März 1993, sep. op. Aghahosseini, IUSCTR 29 (1993), 122 (123 f.). 233 234
Ebd., 124.
Siehe Grando, JIEL 9 (2006), 615 (617), die bemerkt, dass Beweislastfragen seit 1996 in fast jeder WTO-Streitigkeit verhandelt wurden.
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Gründe zurückgeführt werden: Erstens mag sie mit der höheren Bereitschaft der WTO-Mitglieder zusammenzuhängen, im Rahmen der WTO-Streitbeilegung Tatsachenbehauptungen der Gegenseite zu bestreiten; dies steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem obligatorischen Charakter der WTO-Streitbeilegung. Zweitens mag aber auch eine Rolle spielen, dass die Panels und das Appellate Body ihre Beweislastentscheidungen transparenter gestalten als andere internationale Spruchkörper, die aus politischen Erwägungen eher auf materielle Begründungen ausweichen, um als tendenziell weniger legitim eingeschätzte Beweislastentscheidungen zu vermeiden. Drittens, und dies ist zugleich eine kritische Bemerkung, deren Richtigkeit im Folgenden zu überprüfen ist, kann dieses Phänomen damit zusammenhängen, dass das Beweisrecht trotz umfangreichem case law noch immer nicht völlig widerspruchsfrei geklärt ist.235 Insofern kann man zwar feststellen, dass die Beweislastverteilung im Laufe der Entwicklung des Streitbeilegungssystems eine immer wichtigere Rolle in der Praxis des DSB einnahm. Ob sich dieser Trend aber fortsetzen wird,236 hängt auch von der Konsolidierung der beweisrechtlich relevanten Rechtsprechung ab.
1. Grundsatz (a) Entwicklung der Rechtsprechung zur Beweislast Eine ausdrückliche und allgemeingültige Definition der Beweislast findet sich weder im DSU noch in anderen WTO-Übereinkommen. Auch sind Beweislastnormen rar gesät.237 Als textlichen Ausgangspunkt für die Untersuchung von Beweislastfragen im DSU kann man Art. 6 Abs. 2 S. 2 DSU heranziehen, nach dem der Antrag auf Einsetzung eines Panels „die einzelnen strittigen Maßnahmen nennen und eine kurze Zusammenfassung der Rechtsgrundlage der Beschwerde geben muss“.238 Weder die Panels noch das Appellate Body haben jedoch ihre beweislastrechtlichen Überlegungen primär auf spezifische Normen des DSU gestützt, sondern vielmehr auf allgemeine Grundsätze des Völ235
So: Grando, JIEL 9 (2006), 615 (617); Christoforou, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 243 (257 f.). 236 So: Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 143. 237 238
Hierzu zählen etwa Art. 10 Abs. 3 ÜLW und Art. 3 Abs. 8 DSU.
So: Göttsche, Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Rechtsmittelinstanz (2005), 344.
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kerprozessrechts zurückgegriffen. Nach der Rechtsprechung des Appellate Body ist die Beweislast ein verfahrensrechtlicher Begriff, der die faire und geordnete Handhabung und Entscheidung einer Streitigkeit sicherstellen soll,239 also vor allem eine prozessstrukturierende und gleichheitssichernde Funktion hat. Im Fall US – Wool Shirts and Blouses äußerte sich das Appellate Body erstmals grundsätzlich zur Frage der Beweislast im Streitbeilegungsverfahren der WTO:240 “[V]arious international tribunals, including the International Court of Justice, have generally and consistently accepted and applied the rule that the party who asserts a fact, whether the claimant or the respondent, is responsible for providing proof thereof. Also, it is a generally-accepted canon of evidence in civil law, common law and, in fact, most jurisdictions, that the burden of proof rests upon the party, whether complaining or defending, who asserts the affirmative of a particular claim or defence. If that party adduces evidence sufficient to raise a presumption that what is claimed is true, the burden then shifts to the other party, who will fail unless it adduces sufficient evidence to rebut the presumption.”241 Diese Beurteilung stützte es auf umfangreiche rechtsvergleichende Nachweise.242 Das Appellate Body sieht die Beweislastverteilung damit 239
DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 198. Diese Fairnessfunktion betonen auch: Cameron/Gray, ICLQ 50 (2001), 248 (277). 240
Bereits vorher hatten Panel vereinzelt zu Fragen der Beweislastverteilung Stellung genommen: siehe DSB, US – Gasoline (Panel), Ziff. 6.20, 6.35; DSB, Japan – Alcoholic Beverages II (Panel), Ziff. 6.14 ff.; DSB, US – Underwear, Ziff. 7.14 ff. Auch in der Praxis der Panels unter dem GATT 1947 war die Regel actori incumbit probatio zumindest implizit anerkannt (Martha, Journal of International Arbitration 14 (1997), 67 (82 f.) m.w.N.; Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (235 ff.)). 241 242
DSB, US – Wool Shirts and Blouses (AB), S. 14.
Es zitiert in der zum obigen Absatz gehörenden Fußnote wie folgt: „See M.N. Howard, P. Crane and D.A. Hochberg, Phipson on Evidence, 14th ed. (Sweet & Maxwell, 1990), p. 52: “The burden of proof rests upon the party, whether plaintiff or defendant, who substantially asserts the affirmative of the issue.” See also L. Rutherford and S. Bone (eds.), Osborne’s Concise Law Dictionary, 8th ed. (Sweet & Maxwell, 1993), p. 266; Earl Jowitt and C. Walsh, Jowitt’s Dictionary of English Law, 2nd ed. by J. Burke (Sweet & Maxwell, 1977), Vol. 1, p. 263; L.B. Curzon, A Directory of Law, 2nd ed. (Macdonald and Evans, 1983), p. 47; Art. 9, Nouveau Code de Procédure Civile; J. Carbonnier, Droit Civil, Introduction, 20th ed. (Presses Universitaires de France, 1991), p. 320; J. Chevalier and L. Bach, Droit Civil, 12th ed. (Sirey, 1995), Vol. 1, p. 101;
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sowohl richterrechtlich als auch durch allgemeine Rechtsgrundsätze begründet. Grundsätzlich trägt damit die Partei die Beweislast für diejenigen Tatsachen, die zur Begründung der angestrebten Rechtsfolge (claim or defence) notwendig sind.243 Beruft sich die gegnerische Partei auf einen Rechtfertigungstatbestand (Ausnahme), so trägt sie für die zur Etablierung dieses Tatbestandes notwendigen Tatsachen die Beweislast (dazu unter 2.).244 Die Definition der Beweislast wurde vom Appellate Body im Fall EC – Hormones nochmals bestätigt und als ein Prinzip gewürdigt, das in allen auf dem Grundsatz der Parteiherrschaft basierenden Verfahren gelte („rule applicable in any adversarial proceedings“).245
(b) Prima facie case und Beweislast Nach der Rechtsprechung des Appellate Body arbeitet das WTOBeweisrecht mit der Vermutung, dass der Beklagte rechtmäßig gehandelt hat („initial presumption“), also die in Frage stehende Maßnahme mit dem WTO-Recht vereinbar ist.246 Die Partei, die dies bestreitet, im
R. Guillien and J. Vincent, Termes juridiques, 10th ed. (Dalloz, 1995), p. 384; O. Samyn, P. Simonetta and C. Sogno, Dictionnaire des Termes Juridiques (Editions de Vecchi, 1986), p. 250; J. González Pérez, Manual de Derecho Procesal Administrativo, 2nd ed. (Editorial Civitas, 1992), p. 311; C.M. Bianca, S. Patti and G. Patti, Lessico di Diritto Civile (Giuffré Editore, 1991), p. 550; F. Galgano, Diritto Privato, 8th ed. (Casa Editrice Dott. Antonio Milani, 1994), p. 873; and A. Trabucchi, Istituzioni di Diritto Civile (Casa Editrice Dott. Antonio Milani, 1991), p. 210. 243
Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 143. Dies gilt auch in Verfahren nach Art. 22 Abs. 6 DSU: DSB, EC – Hormones (US) (Article 22.6 – EC), Ziff. 9. 244
Siehe auch: DSB, Argentina – Textiles and Apparel (Panel), Ziff. 6.34; bestätigt in DSB, Turkey – Textiles (Panel), Ziff. 9.57: “The rules on burden of proof are now well established in the WTO and can be summed up as follows: (a) it is for the complaining party to establish the violation it alleges; (b) it is for the party invoking an exception or an affirmative defense to prove that the conditions contained therein are met; and (c) it is for the party asserting a fact to prove it.” 245 246
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 98.
DSB, EC – Hormones (US) (Article 22.6 – EC), Ziff. 9: “WTO Members, as sovereign entities, can be presumed to act in conformity with their WTO obligations. A party claiming that a Member has acted inconsistently with WTO
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Regelfall der Kläger, der eine Rechtsverletzung behauptet, muss die für ihn günstigen Tatsachen beweisen. Dies hat er in Form der Aufstellung eines prima facie case zu tun. Im Fall Canada – Aircraft erklärte das Appellate Body diesen Begriff wie folgt: “A prima facie case … is a case which, in the absence of effective refutation by the defending party (that is, in the present appeal, the Member requested to provide the information), requires a panel, as a matter of law, to rule in favour of the complaining party presenting the prima facie case.”247 Hat der Kläger daher erfolgreich diesen prima facie case aufgestellt, so ist eine „Vermutung“ („presumption“) der Rechtsverletzung gegeben.248 Diese Vermutung zu widerlegen obliegt nun dem Beklagten („rebuttal“), wozu er sich verschiedener Strategien bedienen kann: Zunächst kann er versuchen, die für den prima facie case vorgebrachten Tatsachen zu widerlegen, also diejenigen Fakten, für die der Kläger die Beweislast trägt. Ob er dabei seinerseits einen prima facie case führen muss, ist allerdings fraglich;249 ein rebuttal kann auch in der Erschütterung der vom Kläger aufgestellten Vermutung bestehen. Der Beklagte kann sich jedoch auch – alternativ oder kumulativ – auf Rechtfertigungsgründe („exceptions“) berufen, für die nun wiederum er die Beweislast trägt. Bereits oben wurde im Zusammenhang mit der Abgrenzung der Verantwortungssphären der Parteien und der Panels bei der Beweisbeschaffung250 sowie hinsichtlich des Beweismaßes251 angemerkt, dass die Funktion des prima facie case aus der Rechtsprechung des DSB nicht eindeutig zu bestimmen ist. Er wirft auch in Bezug auf die Beweislast Fragen auf. Dies wird schon daraus deutlich, dass die frühen französischen Übersetzungen der Entscheidungen der Panels und des Appellate Body den Ausdruck mal mit „présomption“, mal mit „commencement rules bears the burden of proving that inconsistency.” DSB, Canada – Dairy (Article 21.5 – New Zealand and US) (AB), Ziff. 66. 247
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 104 (mit Verweis auf DSB, US – Wool Shirts and Blouses, S. 14). Ebenso: DSB, Canada – Aircraft (AB), Ziff. 192. 248
In diesem Sinne ist die Etablierung eines prima facie case mit der Aufstellung einer presumption identisch. Siehe: Mavroidis, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), Max Planck CWTL 2 (2006), Art. 11 DSU, Rn. 6. 249
So: Kallmayer, Verbot und Rechtfertigung von Präferenzabkommen im GATT (2005), 280. 250 251
Kapitel 4 B. 4. (c) (bb). Kapitel 8 B. III. 4. (b).
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de la preuve“252 übersetzten.253 Den Begriff commencement de preuve kennt das französische Recht im Zusammenhang mit dem commencement de preuve par écrit, den man als einen Anfangsbeweis (im Gegensatz zum Vollbeweis) verstehen kann. Dieser ist ausnahmsweise zulässig, nämlich bei Verträgen, die dem strengen beweisrechtlichen Schriftformzwang des Art. 1341 Code civil nicht entsprechen.254 Die Übersetzung wird daher zu Recht als misslungen bezeichnet.255 In der Tat sagt die Regel, dass es dem Kläger obliegt, einen prima facie case für eine Rechtsverletzung zu etablieren, nichts über die Verteilung der objektiven Beweislast,256 welche Seite also das Risiko der Beweislo-
252
So in der Übersetzung des DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 104: «Il convient également de garder à l’esprit qu’un commencement de preuve, en l’absence de réfutation effective par la partie défenderesse, fait obligation au groupe spécial, en droit, de statuer en faveur de la partie plaignante fournissant le commencement de preuve.» Die spanische Übersetzung übernimmt den Begriff „prima facie“ und spricht von „acreditación prima facie“: «Es también oportuno recordar que la acreditación prima facie es aquella que requiere, a falta de una refutación efectiva por parte del demandado, que el Grupo Especial, como cuestión de derecho, se pronuncie en favor del reclamante que efectúe la acreditación prima facie.» 253
Canal-Forgues, Le règlement des différends à l’OMC (2004), 74. (Ziff. 117). Den Begriff des commencement de preuve übernehmend: Guinchard u.a., Droit processuel (2005), 907. 254
Art. 1341 CC betrifft nicht die Gültigkeit des Vertrages, sondern die zulässigen Beweismittel, mittels dener der Vertragsinhalt nachgewiesen werden kann. Der Zeugenbeweis ist demnach ausgeschlossen. Demnach handelt es sich um einen „indirekten Formzwang“. Art. 1347 CC normiert eine Ausnahme, nach der der Zeugenbeweis ein vom Schuldner dem Gericht als Anfangsbeweis unterbreitetes Schriftstück ergänzen kann. Art. 1347 Abs. 2 CC definiert als commencement de preuve par écrit: «On appelle ainsi tout acte par écrit qui est émané de celui contre lequel la demande est formée, ou de celui qu’il représente, et qui rend vraisemblable le fait allégué.» Dazu: Wagner, ZEuP 2001, 441 (488). 255
Abi-Saab, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 97 (101). 256
Dies scheint auch das Appellate Body nunmehr anzuerkennen: DSB, Japan – Apples (AB), Ziff. 157: “It is important to distinguish, on the one hand, the principle that the complainant must establish a prima facie case of inconsistency with a provision of a covered agreement from, on the other hand, the principle that the party that asserts a fact is responsible for providing proof thereof. In fact, the two principles are distinct.” Anders offenbar: Oesch, Standards of Review in WTO Dispute Resolution (2003), 167.
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sigkeit trägt.257 Nach der oben zitierten Aussage des Appellate Body im Canada – Aircraft-Fall scheint es jedoch so, als hätte der prima facie case auch die objektive Beweislast zum Gegenstand; nur so ist zu erklären, dass bei erfolgreicher Aufstellung eines solchen case das Panel für den Kläger entscheiden müssen soll. Jedoch fügt dies der bereits in US – Wool Shirts and Blouses getroffenen grundsätzlichen Feststellung, dass jede Partei die ihr günstigen Tatsachen beweisen muss, nichts hinzu. Die objektive Beweislast muss also bereits vor Anwendung der Vermutungsregel für eine Rechtsverletzung, die mit der Aufstellung eines prima facie case eintritt, feststehen.258 Sie selbst verschiebt sich auch nicht, sondern bleibt im Prozess stets gleich verteilt.259 Daher ist der Begriff „establishing a prima facie case“ in den Ausführungen der Panels und des Appellate Body nur dahingehend zu verstehen, dass eine Partei die ihr günstigen Tatsachen nach dem erforderlichen Beweismaß beweisen muss.260 Auch die Verwendung des Begriffes der „Vermutung“ (presumption) ist irreführend: “To speak … of a presumption in this context is simply another way of expressing the burden of proof that rests upon the complaining party and the evidential burden that may arise and burden the opposing party.”261 Was sich dagegen ändert ist die Verteilung der konkreten Beweisführungslast: Sie liegt zunächst beim Kläger, dann (nach Etablierung des prima facie case) beim Beklagten (rebuttal),262 und zwar auch bezüglich der Tatsachen, für die der Kläger beweisbelastet ist. Der prima facie case 257 258
Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (252). Ebd., 253.
259
Waincymer, WTO Litigation (2002), 539; Walker, Cornell ILJ 31 (1998), 251 (295). Anders: Kallmayer, Verbot und Rechtfertigung von Präferenzabkommen im GATT (2005), 277-278. 260
Canal-Forgues, Le règlement des différends à l’OMC (2004), 74 (Ziff.
117). 261
Unterhalter, in: Janow/Donaldson/Yanovich (Hrsg.), The WTO: Governance, Dispute Settlement, and Developing Countries (2008), 543 (551). 262
Im Sinne der subjektiven Beweislast ist so auch die Rechtsprechung des DSB in den folgenden Fällen zu verstehen: DSB, US – Wool Shirts and Blouses, S. 14; DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 98. In EC – Hormones wird dies besonders in Ziff. 109 deutlich, wo das Appellate Body ausführt, dass nach der Aufstellung eines prima facie case „the onus [is] shifted to the [defendant] to bring forward evidence and arguments to disprove the complaining party’s claim“. Dazu Waincymer, WTO Litigation (2002), 550, Fn. 82 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung unter dem GATT 1947; Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (254).
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hat daher im Wesentlichen Bedeutung für die Frage der Beweisführung der Parteien und bedingt für den Beweiswürdigungsprozess der Panels, nicht aber für die Frage der objektiven Beweislast; der Begriff sollte daher in diesem Kontext vermieden werden.263 Das durch die Verlagerung der Beweisführungslast bedingte formale Pingpong-Spiel (Aufstellung eines prima facie case durch den Kläger, rebuttal durch den Beklagten) ist im Rahmen der WTO-Streitbeilegung lediglich idealtypisch,264 während es im US-amerikanischen Prozess durchaus streng durchgehalten wird, inklusive der prozessrechtlichen Mittel des Antrags auf „no case to answer“ bzw. des „directed verdict“ als Zäsur zwischen zwei Prozessteilen.265 In der Praxis der Panels wird die so suggerierte Zweiteilung jedoch durchbrochen. Dies ist schon deshalb der Fall, da die Panels selbst über weitreichende Kompetenzen zur Sachverhaltsermittlung verfügen. Denn um zu beurteilen, ob der Kläger einen prima facie case erfolgreich nachgewiesen hat, ist das Panel nicht gezwungen, sich allein auf die von den Parteien vorgelegten Beweismittel zu stützen, sondern kann – wie oben nachgewiesen – auch auf Informationen einer internationalen Organisation sowie eines Sachverständigen zurückgreifen oder von den Parteien oder anderen WTOMitgliedern weitere Informationen anfordern.266 Hierin liegt keine unzulässige Verlagerung der Beweislast auf den Beklagten in Form einer Beweislastumkehr, obwohl in der Literatur gefordert wird, die zur Beurteilung der Frage, ob ein prima facie case erfolgreich aufgestellt wurde, zu berücksichtigenden Beweise auf die vom Kläger in seiner ersten 263
So im Ergebnis auch: Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (253).
264
Zur Konstruiertheit des prozessualen „Pingpong-Spiels“ für das Verfahren der WTO: Abi-Saab, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 97 (100): „assez artificielle et très peu convaincante“. 265
Wigmore, A Treatise on the Anglo-American System of Evidence in Trials at Common Law, Bd. 9 (1940), 293 f., der zwischen zwei Arten des Gebrauch des prima facie case unterscheidet, wobei derjenige des duty of passing the judge im Vordergrund steht. Daneben wird der prima facie case ähnlich wie im WTORecht als presumption gebraucht (S. 293). In diesem letzteren Sinne ist also nicht nur ein directed verdict abgewendet, sondern der Kläger hat bereits mehr erreicht, nämlich seiner Beweislast in dem Sinne genüge getan, dass er gewönne, würde der Gegner den erbrachten Beweis nicht widerlegen (S. 293, 295 f.). Zu den unterschiedlichen Funktionen im US-amerikanischen Recht siehe auch Owens, Corpus Juris Secundum, Bd. 32A (1996), 690 ff. 266
Siehe dazu Kapitel 4. B. 4. (c) (bb).
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schriftlichen Vorlage vorgebrachten zu beschränken.267 Darüber hinaus kennt das WTO-Prozessrecht keine strikte zeitliche Beweisführungstrennung für die Parteien.268 Daraus wird deutlich, dass der prima facie case keine Prozesszäsur mit sich bringt: “WTO adjudicating bodies do not raise a flag whenever a presumption has been created.”269 Stattdessen ist, wie oben bereits beschrieben, die Beurteilung durch das Panel, ob ein prima facie case aufgestellt und ob er widerlegt wurde, Teil eines Gesamtbeweiswürdigungsprozesses.270
(c) Korrektur des Ergebnisses durch materielle Kriterien? Im Fall EC – Sardines schloss das Appellate Body eine Änderung der Beweislastverteilung nach materiellen Gerechtigkeitskriterien aus. Es gebe keine Anhaltspunkte im WTO-Streitbeilegungssystem dafür, dass die Beweislastverteilung nach dem Maß der Schwierigkeiten korrigiert werden solle, die der Kläger oder der Beklagte bei der Informationsbeschaffung haben könnten.271 Es scheint daher der Herleitung der Beweislastverteilung aus materiellen Kriterien oder einer Einzelfallbetrachtung der tatsächlichen Umstände und damit einem Ermessen des Gerichts eine Absage zu erteilen.272 Dies entspricht dem oben begründeten Ergebnis, nach dem die Ausrichtung der Beweislastverteilung ausschließlich anhand von materiellen Grundsätzen zu unbestimmt ist.273 Die Entscheidung des Berufungsgremiums ist jedoch auch dahingehend kritisiert worden, dass die Beweislastverteilung sich zumindest auch nach materiellen Kriterien 267
Cameron/Orava, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 195 (235). 268 Taniguchi, in: Janow/Donaldson/Yanovich (Hrsg.), The WTO: Governance, Dispute Settlement, and Developing Countries (2008), 553 (565 f.). 269
Mavroidis, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), Max Planck CWTL 2 (2006), Art. 11 DSU, Rn. 8. 270
Anders offenbar: Cameron/Gray, ICLQ 50 (2001), 248 (278).
271
DSB, EC – Sardines (AB), Ziff. 281: “There is nothing in the WTO dispute settlement system to support the notion that the allocation of the burden of proof should be decided on the basis of a comparison between the respective difficulties that may possibly be encountered by the complainant and the respondent in collecting information to prove a case.” 272 273
Für das deutsche Recht: Zöller/Greger, Vor § 284 ZPO, Rn. 17. Oben unter A. IV. 2.
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bestimmen sollte und nicht lediglich formal zu definieren sei.274 Jedoch ist die Entscheidung in dieser Hinsicht aus den oben genannten Gründen richtig. Das Appellate Body setzt im Falle asymmetrischer Informationsverteilung zwischen den Parteien stärker auf Kooperationspflichten bei der Beweisaufnahme sowie auf eigene Tatsachenermittlungskompetenzen der Panels, anstatt die Beweisschwierigkeiten über eine Verschiebung der Beweislastverteilung auszugleichen. Gerade im Fall EC – Sardines existierten darüber hinaus umfängliche materiellrechtliche Informationspflichten des Beklagten aus Art. 2 Abs. 5 und Art. 10 Abs. 1 TBT, der die Einrichtung einer Auskunftsstelle vorschreibt, die zur Auskunftserteilung über alle in einem Fragenkatalog aufgeführten Angelegenheiten zuständig ist. Gleiches gilt nach Art. 5 Abs. 8 SPS und Ziff. 3 des Anhangs B zum SPS. Auch bietet sich während des Konsultationsverfahrens im Rahmen der WTO-Streitbeilegung in der Regel ausreichend Gelegenheit zur Sammlung von verfahrensrelevanten Informationen.275
(d) Ergebnis Zusammenfassend lässt hinsichtlich der Beweislastverteilung im WTOProzess Folgendes festhalten: 1. Nach der Grundregel muss jede Partei die ihr günstigen Tatsachen beweisen. 2. Die prima facie case-Regel hat im DSU-Prozess nicht die objektive Beweislast zum Gegenstand. Sie spricht stattdessen die Beweisführungslast (subjektive Beweislast) an, indem sie Orientierung dafür bietet, welche Partei zu welchem Zeitpunkt im Prozess Beweis zu führen hat. Eine strikte Trennung nach plaintiff case und respondent case in dem Sinne, dass die nicht beweisbelastete Partei erst dann tätig werden muss bzw. darf, wenn ein prima facie case etabliert wurde, existiert je-
274
Horn und Weiler merken jedoch an, dass es auch keine Anhaltspunkte im DSU gebe, die gegen eine Beweislastverteilung anhand dieser Kriterien sprechen: European Communities – Trade Description of Sardines: Textualism and its Discontent, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (264). 275 Skeptisch hierzu: Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (265).
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doch nicht.276 Der prima facie case determiniert darüber hinaus auch nicht das anzulegende Beweismaß.277 3. Die prozessuale Struktur, die durch das Wechselspiel von prima facie case und rebuttal anschaulich gemacht wird, entspricht nur bedingt der Realität der WTO-Streitbeilegung. Stattdessen durchbrechen oder ergänzen die Sachverhaltsermittlungskompetenzen des Panels diese streng kontradiktorische Struktur in beträchtlichem Ausmaß.278
2. Ausnahmen, Rechtfertigungstatbestände und Tatbestandsausnahmen Dass die sich auf einen Ausnahme- oder Rechtfertigungstatbestand berufende Partei bezüglich dessen tatsächlicher Voraussetzungen beweisbelastet ist, fügt sich in die generelle Regel, nach der jede Partei die ihr günstigen Tatsachen zu beweisen hat. Solche Tatbestände bilden rechtshindernde Normen. Diese Regel bestätigte das Appellate Body im Fall EC – Tariff Preferences.279 Jedoch muss von Fall zu Fall geprüft werden, ob es sich bei der relevanten Bestimmung um eine echte Ausnahmevorschrift handelt, die zur Rechtfertigung eines festgestellten Verstoßes herangezogen werden kann (hierbei handelt es sich in der – nicht konsistenten280 – Terminologie des Appellate Body um eine „limited exception“ oder „affirmative defence“281), oder ob die Vorschrift vielmehr eine 276 277 278
Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 109. Siehe oben, Kapitel 8 B. III. 4. (b). Siehe oben, Kapitel 4 B. I. 4. (c) (bb).
279
DSB, EC – Tariff Preferences (AB), Ziff. 104. Zur Praxis unter dem GATT siehe Thomas, JWT 30 (2) (1996), 53 (79). 280
Hierzu: Waincymer, WTO Litigation (2002), 554. Die beiden Begriffe „exception“ und „affirmative defence“ sind jedoch wohl austauschbar, siehe DSB, US – Wool Shirts and Blouses (AB), S. 16; DSB, EC – Tariff Preferences (AB), Ziff. 88, 106. Auch: McGovern, International Trade Regulation (Loseblatt), § 2.2327 (Page 2.23-56, Issue 18, February 2005); Bartels, in: Cottier/Pauwelyn/Bürgi Bonanomi (Hrsg.), Human Rights and International Trade (2005), 463 (469). 281
Hierzu: Kallmayer, Verbot und Rechtfertigung von Präferenzabkommen im GATT (2005), 107 f. Die dort vertretene Unterscheidung zwischen Ausnahmen und Rechtfertigungsgründen ist beweisrechtlich nicht relevant; der Beklagte trägt für beide die Beweislast. Hingegen ist wichtig, dass die hier als Tatbestandsausnahme bezeichneten „autonomous rights“ nicht gleichbedeutend sind mit dem von Kallmayer für „exceptions“ gebrauchten Begriff „Ausnahme“.
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Tatbestandsausnahme darstellt (in der Terminologie des Appellate Body: „autonomous right“,282 „conditional right“283 oder „positive obligation“284), bei deren Vorliegen bereits keine Unvereinbarkeit mit der Norm, also kein Rechtsverstoß, vorliegt. In Bezug auf Normen der letztgenannten Kategorie muss der Kläger beweisen, dass der Beklagte gegen die von der Vorschrift aufgestellten Bedingungen verstoßen hat.285 Durch die Einordnung einer Regel als Tatbestandsausnahme wird dem Mitglied, das von dem „autonomous right“ Gebrauch machen möchte, über den Weg der Beweislastverteilung ein höherer Grad an nationaler Regelungsautonomie eingeräumt als bei der Charakterisierung als Rechtfertigungsgrund. Das Appellate Body hat Art. XX und XXIV GATT sowie Art. XIV GATS als Rechtfertigungsgründe ausgelegt, Art. 3 Abs. 3 SPS und 2 Abs. 4 TBT jedoch als Tatbestandsausnahme. Der Enabling Clause wurde gar als eine „Zwischenkategorie“ des „untypischen Rechtfertigungsgrundes“ eingeordnet. Im Folgenden sollen nur die wichtigsten Rechtfertigungstatbestände und Tatbestandsausnahmen einzeln untersucht werden.286
(a) Art. XX GATT und XIV GATS Nach der Rechtsprechung des Appellate Body muss die sich auf Art. XX GATT 1994 berufende Partei nicht nur die einzelnen Tatbestände, sondern auch die im sogenannten chapeau enthaltenen Tatbe-
282
DSB, EC – Hormones, Ziff. 104 und 172. Hier stellte das Appellate Body klar, dass Art. 3 Abs. 1 SPS diejenigen Situationen von seinem Anwendungsbereich ausnimmt, die von Art. 3 Abs. 3 SPS umfasst sind. 283
Siehe etwa Pauwelyn, Beitrag zur Diskussion in: Charnovitz, Steve u.a., Internet roundtable, The Appellate Body’s GSP decision, WTR 3 (2004), 239 (257). 284
DSB, Brazil – Aircraft (AB), Ziff. 140 f. Siehe auch: Waincymer, WTO Litigation (2002), 553. 285
Grando, JIEL 9 (2006), 615 (619); McGovern, International Trade Regulation (Loseblatt), § 2.2327 (Page 2.23-59, Issue 19, October 2005) charakterisiert die „positive obligations“ als Regeln mit Doppelnatur, die sowohl Verpflichtungen enthalten als auch Ausnahmen von anderen Verpflichtungen darstellten. 286
Zu weiteren Beispielen siehe Grando, JIEL 9 (2006), 615 (620 f.).
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standsmerkmale beweisen.287 Gleichzeitig deutete das Berufungsgremium an, dass die Beweislast bezüglich des chapeau schwerer zu erfüllen sei, als für die einzelnen Rechtfertigungsgründe der Buchstaben (a) bis (j).288 Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass es sich um einen Beweis des Nichtvorliegens einer willkürlichen Diskriminierung oder einer verschleierten Beschränkung des internationalen Handels handelt, also um einen „negativen Beweis“.289 Gleiches gilt für die Parallelvorschrift des Art. XIV GATS.290 Diese Beweislastverteilung findet auch im Complianceverfahren nach Art. 21 Abs. 5 DSU Anwendung.291 Damit trägt die sich auf Art. XX GATT bzw. Art. XIV GATS berufende
287
Kritisch hierzu: Trebilcock/Howse, The Regulation of International Trade (2005), 129, die argumentieren, dass für den chapeau auch der Kläger beweisbelastet sein könnte, da generell eine Vermutung bestehe, dass WTO-Mitglieder die sich aus dem WTO-Recht ergebenden Rechte nicht mißbräuchlich ausübten. 288 DSB, US – Gasoline (AB), S. 22: “The burden of demonstrating that a measure provisionally justified as being within one of the exceptions set out in the individual paragraphs of Article XX does not, in its application, constitute abuse of such exception under the chapeau, rests on the party invoking the exception. That is, of necessity, a heavier task than that involved in showing that an exception, such as Article XX(g), encompasses the measure at issue.” Siehe auch DSB, US – Wool Shirts and Blouses, S. 16: “Articles XX and XI:(2)(c)(i) are limited exceptions from obligations under certain other provisions of the GATT 1994, not positive rules establishing obligations in themselves. They are in the nature of affirmative defences. It is only reasonable that the burden of establishing such a defence should rest on the party asserting it.” Zur Praxis der Panels unter dem GATT 1947 siehe Martha, Journal of International Arbitration 14 (1997), 67 (88) m.w.N. 289 290 291
Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (239 f., Fn. 38). DSB, US – Gambling (Panel), Ziff. 6.450 f.
DSB, US – Shrimp (Article 21.5 – Malaysia) (Panel), Ziff. 5.19: “We also conclude that, even though this is a compliance case and even though good faith application of treaty obligations is to be presumed, the United States still has to establish a prima facie case that the implementing measure is justified under Article XX, since it is an affirmative defence. If the United States establishes a prima facie case, the burden of proof will shift onto Malaysia. If the evidence on a particular claim or defence remains in equipoise, the party bearing the initial burden of proof will be deemed to have failed to provide sufficient evidence in support of its claim.”
Beweislast
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Partei in allen Verfahrensarten die Beweislast für deren tatsächliche Voraussetzungen.292
(b) Art. XXIV GATT In Turkey – Textiles ging das Panel davon aus, dass Art. XXIV GATT eine Rechtfertigungsnorm für Verstöße gegen die Meistbegünstigungsklausel sei.293 Das Appellate Body stimmte dem im Wesentlichen zu: “[T]his ‘defence’ is available only when two conditions are fulfilled. First, the party claiming the benefit of this defence must demonstrate that the measure at issue is introduced upon the formation of a customs union that fully meets the requirements of subparagraphs 8(a) and 5(a) of Article XXIV. And, second, that party must demonstrate that the formation of that customs union would be prevented if it were not allowed to introduce the measure at issue.”294 Es besteht also ein zweiteiliger kumulativer Test. Beweisbelastet ist die Partei, die sich auf die Ausnahmevorschrift des Art. XXIV GATT beruft.
(c) Ausnahmevorschriften im SPS (aa) Art. 3 Abs. 1 bis 3 SPS: Harmonisierung Leading case für die Auslegung des Art. 3 SPS ist der Fall EC – Hormones. Das Panel hatte im Gegenschluss zu der in Art. 3 Abs. 2 SPS enthaltenen Vereinbarkeitsvermutung argumentiert, dass immer dann, wenn staatliche gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen nicht internationalen Normen, Richtlinien oder Empfehlungen entsprächen,295 der solche Maßnahmen erlassende Staat die Beweislast für die Konformität mit dem SPS trage.296 Wenn also der Kläger 292
Feddersen, Der ordre public in der WTO (2002), 177 f.; Komuro, JWT 29 (4) (1995), 5 (21). 293 294
DSB, Turkey – Textiles (Panel), Ziff. 9.87. DSB, Turkey – Textiles (AB), Ziff. 58 f.
295
Internationale Normen werden in Ziff. 3 des Anhangs A zum SPS näher erläutert. 296 DSB, EC – Hormones (Canada), Ziff. 8.89; DSB, EC – Hormones (US), Ziff. 8.86.
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etabliert habe, dass ein die Maßnahme betreffender internationaler Standard i.S.d. Art. 3 Abs. 1 SPS existiert und dass die Maßnahme hiervon abweicht, sollte der Beklagte nachweisen, dass eine ein höheres Schutzniveau rechtfertigende wissenschaftliche Begründung nach Art. 3 Abs. 3 SPS vorliege.297 Das Appellate Body bestätigte zwar, dass Art. 3 Abs. 2 SPS eine widerlegbare (aber in der Praxis wohl kaum zu widerlegende298) Vermutung für die Vereinbarkeit solcher nationaler Vorschriften mit dem SPS und GATT aufstellt, die internationalen Standards entsprechen.299 Nach der vom Panel abweichenden Entscheidung des Appellate Body trägt der Kläger jedoch auch dann die Beweislast für den Rechtsbruch des Beklagten (also im konkreten Fall einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 Abs. 3 SPS), wenn dessen Maßnahme nicht in Konformität mit internationalen Standards steht, sondern ein höheres Schutzniveau verfolgt.300 Der Kläger muss für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 SPS demnach beweisen, dass eine rechtfertigende wissenschaftliche Begründung nicht vorliegt. Das Appellate Body führt aus: “The general rule in a dispute settlement proceeding requiring a complaining party to establish a prima facie case of inconsistency with a provision of the SPS Agreement before the burden of showing consistency with that provision is taken on by the defending party, is not avoided by simply describing that same provision as an ‘exception’.”301 297 Bree, Harmonization of the Dispute Settlement Mechanisms of the Multilateral Environmental Agreements and the World Trade Agreements (2003), 207 f. 298
So: Landwehr, in: Wolfrum/Stoll/Seibert-Fohr (Hrsg.), Max Planck CWTL 3 (2007), Art. 3 SPS, Rn. 27 und Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht (2007), Rn. 556. 299
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 170.
300
Ebd., Ziff. 109. Zustimmend: Bree, Harmonization of the Dispute Settlement Mechanisms of the Multilateral Environmental Agreements and the World Trade Agreements (2003), 208 f.; Sander, ZEuS 3 (2000), 335 (364); Godt, EWS 9 (1998), 202 (204). 301
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 104 (Hervorh. im Original). Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (266) interpretieren diese Aussage dahingehend, dass das Appellate Body die Regel anzweifelt, nach der Ausnahmevorschriften beweisrechtlich unterschiedlich behandelt werden. Dies greift jedoch zu weit. Auch im Lichte späterer Entscheidungen des Appellate Body, die die Regel bestätigen, muss das Diktum so ver-
Beweislast
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Nach dem Appellate Body ist für Ausnahmen zwar grundsätzlich die sich hierauf berufende Partei beweisbelastet. Die Einordnung als Ausnahme kann jedoch nicht immer ohne Weiteres nach dem Wortlaut und der Systematik der Norm bestimmt werden. Dies bestätigt die bereits oben geäußerte Kritik an der Ansicht, die die Herausarbeitung von Beweislastregeln allein durch die Untersuchung des sprachlichen RegelAusnahmecharakters vornehmen möchte. Stattdessen entschied das Appellate Body, dass die drei Absätze des Art. 3 SPS jeweils drei gleichrangigen und daher zu unterscheidenden Situationen entsprächen.302 Man kann die Entscheidung unter dem Aspekt kritisieren, dass sie Parallelen zwischen Art. XX GATT und dem SPS nicht hinreichend aufgreift, die eine unterschiedliche Beweislastregelung fraglich erscheinen lassen.303 So ist es richtig, dass in beiden Fällen staatliche Maßnahmen ausnahmsweise mit dem GATT vereinbar sein sollen, wenn durch sie bestimmte, von der WTO-Rechtsordnung erlaubte Ziele verfolgt werden. Besonders deutlich wird die Konnexität der beiden Normen in Art. 2 Abs. 4 SPS, nach dem SPS-konforme gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen gleichzeitig nach Art. XX lit. b GATT gerechtfertigt sind.304 Im Ergebnis ist der Entscheidung des Appellate Body jedoch zuzustimmen. Im Hintergrund steht, dass die internationalen Standards, auf die Art. 3 SPS Bezug nimmt, an sich nicht verbindlich sind und auch nicht von Institutionen mit einem hinreichend demokratisch legitimierten politischen Mandat verabschiedet wurden.305 Gerade die Codex Alistanden werden, dass genau geprüft werden muss, ob es sich tatsächlich um eine Ausnahmevorschrift handelt. 302
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 169 ff.
303
Waincymer, WTO Litigation (2002), 554. Ebenso: Grando, JIEL 9 (2006), 615 (632 f.). Allerdings stimmt sie mit der Situation in der NAFTA überein (Art. 723 Abs. 6 NAFTA: “The Parties confirm that a Party asserting that a sanitary or phytosanitary measure of another Party is inconsistent with this Section shall have the burden of establishing the inconsistency.”). 304
Absatz 8 der Präambel des SPS-Abkommens stellt ebenfalls klar, dass das SPS-Abkommen Art. XX (b) GATT konkretisiert. Siehe auch: Stoll/Schorkopf, WTO – Welthandelsordnung und Welthandelsrecht (2002), Rn. 300. 305
Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht (2007), Rn. 591: „legitimatorische Defizite“; Sander, ZEuS 3 (2000), 335 (347 f.): „erhebliche Defizite hinsichtlich demokratischer Legitimation und Transparenz“; Rabe, ZLR 1998, 129 (135): „Mangel an Transparenz, fehlende demokratische Legitimation und judizielle Überprüfung, mangelnde Beteiligung der Betroffenen“.
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mentarius-Kommission, die den von der FAO und WHO erstellten Codex Alimentarius verwaltet, steht angesichts der in ihr zusammengefassten industriellen Lobbygruppen sowie ihrer intransparenten Verfahrensweise in der Kritik.306 Zudem sind die von den im Anhang A Nr. 3 SPS genannten internationalen Gremien getroffenen Empfehlungen inhaltlich oft höchst umstritten.307 Ein Regel-Ausnahmeverhältnis schränkte den Spielraum der Mitgliedstaaten zu sehr ein und führte zu einer zu starken Positivierung nicht verbindlicher internationaler Standards, den das Appellate Body ausdrücklich ablehnte, weil eine solche Entscheidung der WTO-Mitglieder angesichts des grundsätzlich empfehlenden Charakters der Codex Alimentarius-Standards deutlicher im Text der Norm hätte zum Ausdruck gebracht werden müssen.308 Die Entscheidung wahrt so die Regelungsautonomie der Mitglieder im Bereich des Gesundheitsschutzes.309 Indem das Appellate Body nicht auf den Wortlaut („es sei denn“, Abs. 1) abstellt, sondern andere Belange mit in die Auslegung der Norm einbezieht, stärkt es darüber hinaus die Legitimität des WTO-Rechts, indem es neben der Handelsliberalisierung auch andere Interessen und Wertungen im WTO-Recht zulässt.310 Außerdem unterscheidet sich Art. 2 SPS von Art. XX GATT dadurch, 306
von Bogdandy, Max Planck UNYB 5 (2001), 609 (633 ff.); Böckenförde, Grüne Gentechnik und Welthandel (2004), 103; Möllers, Gewaltengliederung (2005), 323; Charnovitz, Tulane Environmental Law Journal 13 (2000), 271 (286 f.); Nowrot, Normative Ordnungsstruktur und private Wirkungsmacht (2006), 309 f., der darauf hinweist, dass die nationalen Delegationen selbst zu einem großen oder gar überwiegenden Teil von einzelnen Unternehmen oder Wirtschaftsverbänden gestellt werden. Zum Verfahren der Kommission: Makatsch, Gesundheitsschutz im Recht der Welthandelsorganisation (WTO) (2004), 204 ff.; Sander, ZEuS 3 (2000), 335 (338 ff.). 307
Stoll/Schorkopf, WTO – Welthandelsordnung und Welthandelsrecht (2002), Rn. 317. 308
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 165: “We cannot lightly assume that sovereign states intended to impose upon themselves the more onerous, rather than the less burdensome, obligation by mandating conformity or compliance with such standards, guidelines and recommendations.” Dazu auch: Rabe, ZLR 1998, 129 (135). 309
Bree, Harmonization of the Dispute Settlement Mechanisms of the Multilateral Environmental Agreements and the World Trade Agreements (2003), 208 f. 310
Henckels, Melbourne JIL 7 (2006), 278 (283). Hierzu allgemein: Howse/ Nicolaïdis, in: Porter u.a. (Hrsg.), Efficiency, Equity, Legitimacy: The Multilateral Trading System at the Millenium (2001), 227 (229, 244).
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dass es bei letzterem immer um Rechtfertigungen von diskriminierendem Verhalten des Beklagten geht – nämlich um einen Verstoß gegen Art. I oder III GATT. Dahingegen sind die in Art. 2 und 3 SPS (und auch im TBT) normierten Pflichten solche der Harmonisierung.311 Es geht also zumindest auch um unterschiedslos anwendbare Maßnahmen. Schließlich sind die Konsequenzen einer fehlerhaften Entscheidung gegen die gesundheitsschützende Maßnahme in der Regel schwerer wiegend als die einer falschen Entscheidung, die zu ihrer Aufrechterhaltung führt, weshalb die Beweislast so verteilt sein sollte, dass falsche Entscheidungen gegen die Maßnahme vermieden werden.312 Des Weiteren darf man nicht verkennen, dass auch nach der Auslegung des Appellate Body noch immer ein hoher Rechtfertigungsdruck auf dem Mitgliedstaat lastet, der strengere Vorschriften als nach den internationalen Standards empfohlen einführen möchte.313 Zu beachten ist auch, dass Art. 5 Abs. 8 SPS ein Auskunftsrecht für den Kläger begründet, das ihm die Beweisführung im Einzelfall erleichtert.314
(bb) Art. 5 Abs. 7 SPS Nach der Regelungssystematik des SPS müssen WTO-Mitglieder vor Einführung von Maßnahmen, die nicht unter Art. 3 Abs. 2 SPS fallen, eine entsprechende Risikobewertung nach Art. 5 SPS durchführen. Art. 5 Abs. 7 SPS erfasst Fälle, in denen das wissenschaftliche Material für eine den Anforderungen des SPS genügende Risikobewertung nicht ausreicht („insufficiency of scientific evidence“).315 Hier können Mit311
Darauf weist Heiskanen, JWT 38 (2004), 1 (23) richtig hin. Auf S. 32 votiert er jedoch dafür, diesen Unterschied nicht über eine Abweichung in der Beweislastverteilung, sondern über die Überprüfungsdichte (standard of review) aufzufangen. 312
Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (268). Zur Kostenanalyse siehe auch: Grando, JIEL 9 (2006), 615 (649 f.). 313
Zu allem: Walter, in: Héritier/Stolleis/Scharpf (Hrsg.), European and International Regulation after the Nation State (2004), 31 (40 f.). 314
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 102 hat den Anspruch aus Art. 5 Abs. 8 SPS als rein vorprozessual relevant bezeichnet. Die Vorschrift hat daher keine Relevanz für die Beweislastverteilung. Dazu: Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht (2007), Rn. 563. 315
Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht (2007), Rn. 562.
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glieder vorübergehende Maßnahmen einführen. Nach der Entscheidung des Panels in EC – Approval and Marketing of Biotech Products stellt Art. 5 Abs. 7 SPS ein autonomous right und keine Ausnahme dar, und zwar in Bezug sowohl auf Art. 2 Abs. 2 SPS316 als auch auf Art. 5 Abs. 1 SPS.317 Seine Abweichung zur Appellate Body-Entscheidung in Japan – Agricultural Products II, in der Art. 5 Abs. 7 als „a qualified exemption from the obligation under Art. 2.2 not to maintain SPS measures without sufficient scientific evidence“ charakterisiert wurde,318 rechtfertigte es damit, dass das Appellate Body nicht den Begriff „exception“ genutzt habe.319 Damit muss die eine Verletzung des Art. 5 Abs. 7 SPS behauptende Partei beweisen, dass dessen Voraussetzungen nicht vorliegen.320 Die Entscheidung ist zu Recht aufgrund ihrer schematisch anmutenden Anwendung der Unterscheidung zwischen Ausnahme und Tatbestandsausnahme kritisiert worden.321 Im Ergebnis ist aufgrund des Regelungszwecks jedoch zutreffend, dass die Beweislast für eine Verletzung des Art. 5 Abs. 7 SPS bei derjenigen Partei liegen sollte, die eine Verletzung der Norm behauptet, nicht beim beklagten WTO-Mitglied, das vorläufige Maßnahmen auf unsicherer Tatsachengrundlage ergreifen möchte.
(d) Ausnahmevorschriften im TBT (aa) Art. 2 Abs. 4 TBT Der Fall EC – Sardines warf eine dem Hormones-Fall ähnliche Frage auf, nämlich das Verhältnis der beiden Abschnitte des Art. 2 Abs. 4 TBT. Nach dieser Vorschrift verwenden WTO-Mitglieder für notwendige technische Vorschriften einschlägige internationale Normen als Grundlage, es sei denn, diese sind zur Erreichung der angestrebten berechtigten Ziele ungeeignet. Nach Art. 2 Abs. 5 TBT besteht bei Konformität mit internationalen Normen – ein strikteres Kriterium als un316 317 318
DSB, EC – Approval and Marketing of Biotech Products, Ziff. 7.2969. Ebd., Ziff. 7.2997. DSB, Japan – Agricultural Products II (AB), Ziff. 80 (Hervorh. im Origi-
nal). 319
DSB, EC – Approval and Marketing of Biotech Products, Ziff. 7.2972.
320
Ebd., Ziff. 7.2976. Zustimmend: Scott, The WTO Agreement on Sanitary and Phytosanitary Measures (2007), 112 ff. 321
Broude, WTR 6 (2007), 215.
Beweislast
653
ter Art. 2 Abs. 4 TBT, wofür die Nutzung einer internationalen Norm als Grundlage nationaler Regelungen ausreicht – eine widerlegliche Vermutung dafür, dass die technische Vorschrift kein unnötiges Handelshemmnis schafft. Das TBT selbst enthält keine der Ziffer 3, Anhang A zum SPS vergleichbare Definition der „internationalen Norm“,322 so dass die Mitglieder regelmäßig Grundsätze für die Entwicklung internationaler Normen verabschieden.323 Interessanterweise spricht Art. 2 TBT nur von „internationalen Normen“, während Art. 3 SPS durch Bezugnahme auf „internationale Normen, Richtlinien oder Empfehlungen“ scheinbar weiter ist. Allerdings bezieht sich der Begriff „internationale Normen“ im TBT generell auch auf nicht bindende Vorschriften, wie aus Art. 5 Abs. 4 und 6 sowie Art. 12 Abs. 4 TBT hervorgeht.324 Während das Panel im Sardines-Fall noch angenommen hatte, dass der mit „es sei denn“ eingeleitete Satz 2 des Art. 2 Abs. 4 TBT eine Ausnahme zu Satz 1 darstelle und damit vom Beklagten zu beweisen sei,325 stehen die beiden Teile nach dem Berufungsgremium nicht in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zueinander.326 Stattdessen seien die im zweiten Teil des Art. 2 Abs. 4 genannten „Umstände“ („circumstances“) vom Anwendungsbereich des ersten Teils ausgenommen. Mit einem Umkehrschluss zu der in Art. 2 Abs. 5 S. 2 TBT ausgesprochenen Vereinbarkeitsvermutung hatte schon das Panel nicht argumentiert (im Gegensatz zum Panel im EC – Hormones-Fall zur Parallelvorschrift des Art. 3 Abs. 2 SPS). Peru als Kläger oblag es daher, einen Verstoß der EU gegen beide Teile des Art. 2 Abs. 4 TBT zu beweisen, also sowohl, dass der internationale Standard nicht als Grundlage der EG-Verordnung diente, als auch, dass der Standard ein unwirksames oder ungeeignetes Mittel zur Erreichung der von der EG angestrebten berechtigten Ziele waren
322
Herrmann, ZLR 2002, 537 (539).
323
Zuletzt: Decision of the [TBT] Committee on Principles for the Development of International Standards, Guides and Recommendations with Relation to Articles 2, 5 and Annex 3 of the Agreement, G/TBT/1, Rev. 9, 8. September 2008, S. 37. 324
Im Ergebnis ebenso: Wirth, in: Shelton (Hrsg.), Commitment and Compliance (2000), 330 (339). 325 326
DSB, EC – Sardines (Panel), Ziff. 7.50 mit Fn. 70. DSB, EC – Sardines (AB), Ziff. 275.
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war.327 Dies werde dem Kläger durch die in Art. 2 Abs. 5 S. 1 TBT statuierte Informationspflicht sowie die Existenz einer Auskunftsstelle gem. Art. 10 TBT erleichtert.328 Diese Entscheidung ist ebenfalls mit der bereits oben angesprochenen fraglichen Legitimität der in Art. 2 Abs. 4 und 5 TBT in Bezug genommenen internationalen Standards (im konkreten Fall: der von der Codex Alimentarius-Kommission verabschiedete „Codex Stan 94“) zu begründen.329 Auch die für das TBT relevanten internationalen Standards werden oft unter großem Einfluss der am jeweiligen Regelungsbereich interessierten Industrie angenommen.330 Angesichts des Textes der Norm wird hier noch deutlicher, dass eine Satzbauanalyse allein für die Ermittlung der Beweislastverteilung nicht weiterführend ist.331 Eine Wortlautanalyse spricht stark für ein Regel-Ausnahmeverhältnis.332 Man kann daher überspitzt sagen, das Berufungsgremium habe den Wortlaut des Art. 2 Abs. 4 TBT in sein Gegenteil verkehrt.333 Dabei ist zu beachten, dass die materiellen Anforderungen des Art. 2 Abs. 4 TBT sehr viel strenger sind als die des Art. 3 Abs. 3 SPS.334 Die Beweisanforderungen an den Kläger sind daher im SPS höher als im TBT. Art. 3 Abs. 3 SPS spricht nur vom Vorliegen einer wissenschaftlichen Begründung, um eine Abweichung vom internationalen Standard zu erlauben. Der Kläger muss nach der Rechtsprechung des Appellate Body also nachweisen, dass keine wissenschaftliche Begründung für die inkriminierte Maßnahme existiert. Dagegen fordert Art. 2 Abs. 4 TBT 327
DSB, EC – Sardines (AB), Ziff. 275, 287; Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (261). 328
Kritisch hierzu: Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (264). 329 Kritisch jedoch: Matsushita/Schoenbaum/Mavroidis, The World Trade Organization: Law, Practice, and Policy (2006), 494 ff. 330
Howse, in: Joerges/Petersmann (Hrsg.), Constitutionalism, Multilevel Trade Governance and Social Regulation (2006), 383. 331
Der zweite Satzteil des Art. 2 Abs. 4 TBT beginnt mit dem für das deutsche Zivilrecht typischerweise eine Beweislastumkehr andeutenden „es sei denn“. 332 Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (266 f.). 333
Heiskanen, JWT 38 (2004), 1 (29). Zustimmend aber wohl: Trebilcock/ Howse, The Regulation of International Trade (2005), 129. 334
Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht (2007), Rn. 575.
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nach der Auslegung des Appellate Body vom Kläger lediglich den Nachweis, dass die internationalen Normen wirksame oder geeignete Mittel zur Erreichung der durch die strittige Maßnahme angestrebten berechtigen Ziele sind. Entsprechend wirkte sich die erfolgreiche Rüge der vom Panel vorgenommenen Beweislastverteilung im Sardines-Fall auch nicht aus: Peru hatte hinreichend dargetan, dass der internationale Standard wirksames und geeignetes Mittel zur Erreichung der von der EG verfolgten angestrebten berechtigten Ziele war.335 Da Peru keinen Beweis hinsichtlich des Konsumentenverhaltens geführt hatte, scheint das hierzu erforderliche Beweismaß eher niedrig angesiedelt zu sein.336 Mit diesem Kunstgriff trägt das Berufungsgremium der Regelungsautonomie der WTO-Mitglieder formal Rechnung, betont aber quasi „durch die Hintertür“ dennoch die Bedeutung internationaler Standards. Eine gleich gelagerte Situation ergibt sich für von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) ausgearbeitete internationale Normen; auch sie stellen grundsätzlich internationale Normen i.S.d. TBT dar. Die ISO besteht aus nationalen Normierungsorganisationen, die sich wiederum zum Teil sowohl aus Regierungs- wie Industrievertretern, also Lobbygruppen, zusammensetzen.337 Andere Gruppen haben kaum Mittel und Ressourcen, um auf den Prozess Einfluss zu nehmen.338 Die demokratische Legitimation ist daher gering.
(bb) Art. 2 Abs. 5 S. 2 TBT Art. 2 Abs. 5 S. 2 TBT stellt ähnlich wie Art. 3 Abs. 2 SPS eine – bereits vom Wortlaut der Norm her widerlegliche – Vermutung für die Nichterrichtung unnötiger Handelshemmnisse zugunsten desjenigen WTOMitglieds auf, dessen nationale technische Vorschrift der einschlägigen internationalen entspricht (volle Konformität). Damit wird sicherge335
DSB, EC – Sardines (AB), Ziff. 290 f.
336
Horn/Weiler, in: Horn/Mavroidis (Hrsg.), The WTO Case Law of 2002 (2005), 248 (273). 337
Roht-Arriaza, in: Shelton (Hrsg.), Commitment and Compliance (2000), 263 (265); Wirth, in: Shelton (Hrsg.), Commitment and Compliance (2000), 330 (338 ff.); ders., University of Chicago Legal Forum (1997), 331 (347 ff.); Alvarez, International Organizations as Law-makers (2005), 221. 338
(341).
Wirth, in: Shelton (Hrsg.), Commitment and Compliance (2000), 330
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stellt, dass diejenigen Mitglieder, die der Verpflichtung zur innerstaatlichen Einführung internationaler Standards gemäß Art. 2 Abs. 4 S. 1 TBT nachkommen, nicht in Konflikt mit Art. 2 Abs. 2 TBT geraten, nach dem sie technische Vorschriften nicht in der Absicht oder mit der Wirkung ausarbeiten, annehmen oder anwenden dürfen, unnötige Hemmnisse für den Handel zu schaffen.339
(e) Art. 6 ÜTB Gleiches wie für Art. 3 Abs. 3 SPS und Art. 2 Abs. 4 TBT galt nach der Rechtsprechung des Berufungsgremiums für Art. 6 ÜTB, dessen Geltung am 1. Januar 2005 ablief (Art. 9 ÜTB).340 Auch hier seien die nach Art. 6 ÜTB zu treffenden Schutzmaßnahmen ein fundamentaler Teil der Rechte und Pflichten der WTO-Mitgliedstaaten gewesen.341 Hier wie in den Fällen des Art. 3 Abs. 3 SPS und 2 Abs. 4 TBT versäumte es das Appellate Body jedoch, exakte Kriterien für die Unterscheidung zwischen einer Tatbestandsausnahme auf der einen und einer Ausnahme oder einer Rechtfertigungsvorschrift auf der anderen Seite aufzustellen.342 Bei dieser Einordnung mag eine Rolle gespielt haben, dass der Handel mit Textilien und Bekleidung von der allgemeinen GATT-Disziplin ausgenommen war.343 Die Mitgliedstaaten hatten sich also in diesem Sektor ein höheres Maß an Spielraum vorbehalten.
(f) Ergebnis: Rechtfertigungstatbestände und Tatbestandsausnahmen Nach welchen Kriterien das Berufungsgremium die Einordnung einer Vorschrift als Ausnahme- oder Rechtfertigungstatbestand bzw. als Tatbestandsausnahme vornimmt, bleibt nach der bisher dargestellten Rechtsprechung des Appellate Body unklar. Einen Abgrenzungsversuch unternahm das Berufungsgremium im Fall EC – Tariff Preferences: “In cases where one provision permits, in certain circumstances, behaviour that would otherwise be inconsistent with an obligation in 339
Howse, in: Joerges/Petersmann (Hrsg.), Constitutionalism, Multilevel Trade Governance and Social Regulation (2006), 383 (388). 340 341 342 343
DSB, US – Wool Shirts and Blouses (AB), 20. Kritisch: Vermulst/Mavroidis/Waer, JWT 33 (2) (1999), 1 (11). Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (252). Herrmann/Weiß/Ohler, Welthandelsrecht (2007), Rn. 725 f.
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another provision, and one of the two provisions refers to the other provision, … the complaining party bears the burden of establishing that a challenged measure is inconsistent with the provision permitting particular behaviour only where one of the provisions suggests that the obligation is not applicable to the said measure.”344 Bei der Einordnung einer Vorschrift, die ein von einer anderen Norm verbotenes Verhalten erlaubt und die demnach sowohl Rechtfertigungstatbestand wie Tatbestandsausnahme sein kann, kommt es demnach darauf an, ob eine der Vorschriften auf die andere Bezug nimmt und „zu erkennen gibt“, dass die Verpflichtung nicht anwendbar sei. Jedoch ist der Wortlaut der Vorschrift offenbar nicht entscheidend, wie die Einordnung des Art. 3 Abs. 3 SPS als Tatbestandsausnahme verdeutlicht. Auch die Tatsache, dass eine Norm eigene Verpflichtungen aufstellt (sogenannte „positive obligations“), ist kein sicheres Indiz für eine Einordnung als Tatbestandsausnahme, da beispielsweise auch Art. XX GATT eigenständige Bedingungen für sein Eingreifen festlegt.345 Die letztlich doch wieder auf sprachliche Eigenheiten abstellende Unterscheidung des Appellate Body ist daher nicht rational nachvollziehbar und scheint willkürlich.346 Der aufgestellte Test führt, wenn er konsequent angewandt wird, zu einem Zirkelschluss, da die Frage, ob eine Norm zu erkennen gibt, ob die in ihr enthaltene Verpflichtung nicht auf die Maßnahme anwendbar sei, ja gerade die Ausgangsfrage ist.347 Damit bleibt festzustellen, dass das Appellate Body bisher eine überzeugende Abgrenzungsmethode schuldig geblieben ist. An der Auffassung des Appellate Body ist dennoch richtig, dass eine Bestimmung nicht einfach als „Ausnahme“ charakterisiert werden kann, um daraus beweisrechtliche Konsequenzen zu ziehen. Letztlich ist nach der modifizierten Normentheorie zu entscheiden, ob beim Wortlaut der Norm als Ausgangspunkt der Auslegung im Einzelfall stehen zu bleiben ist oder ob andere Wertungen mit einzufließen haben. Wie gezeigt können die bisher vorgenommenen Differenzierungen des Appellate Body hierdurch erklärt werden.
344 345
DSB, EC – Tariff Preferences (AB), Ziff. 88. Dazu auch: Grando, JIEL 9 (2006), 615 (626).
346
McGovern, International Trade Regulation (Loseblatt), § 12.121 (Page 12.12-1, Issue 19, October 2005): „source of confusion, for example in relation to the assignment of the burden of proof“. Ebenso: Broude, WTR 6 (2007), 215 (223); Lester, AJIL 101 (2007), 453 (458). 347
Broude, WTR 6 (2007), 215 (218).
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3. Rechtsfolgen eines non liquet Nach dem oben Gesagten ist für den Kläger zu entscheiden, wenn der prima facie case unwiderlegt bleibt bzw. wenn eine Gesamtbeweiswürdigung ergibt, dass die vom Kläger zu beweisenden Tatsachen nachgewiesen wurden. Gleiches gilt, wenn es dem Kläger nicht gelingt, einen prima facie case zu beweisen, oder die Gegenseite in ihrem rebuttal erfolgreich den prima facie case erschüttert. Im letzteren Fall urteilte das Panel im Fall US – Section 301 Trade Act: “Since, in this case, both parties have submitted extensive facts and arguments in respect of the EC claims, our task will essentially be to balance all evidence on record and decide whether the EC, as party bearing the original burden of proof, has convinced us of the validity of its claims. In case of uncertainty, i.e. in case all the evidence and arguments remain in equipoise, we have to give the benefit of the doubt to the US as defending party.”348 Diese Auffassung wurde in den Berichten der Panels in US – 1916 Act (EC) und US – 1916 Act (Japan) bestätigt: “If, after having applied the above methodology, we could not reach certainty as to the most appropriate court interpretation, i.e. if the evidence remains in equipoise, we shall follow the interpretation that favours the party against which the claim has been made, considering that the claimant did not convincingly support its claim.”349 Ein non liquet geht also mit derjenigen Partei heim, die beweisbelastet ist. Die Frage, wann ein non liquet vorliegt, entscheidet sich nach dem anzuwendenden Beweismaß. Die zitierten Passagen gehen von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit aus.350 In den Fällen, in denen die von den Parteien vorgelegten oder vom Panel selbst akquirierten Beweise im Gleichgewicht bleiben, ist eine Entscheidung nach der objektiven Beweislast zu treffen.
348 349
DSB, US – Section 301 Trade Act, Ziff. 7.14 (Hervorh. d. Verf.). DSB, US – 1916 Act (EC), Ziff. 6.58; DSB, US – 1916 Act (Japan), Ziff.
6.57. 350
Siehe auch Kapitel 8 B. III. 4. (b).
Beweislast
659
4. Besonderheiten in der Streitschlichtung mit Entwicklungsländern (a) Einleitung Im internationalen Wirtschaftsrecht, und damit auch im Recht der WTO, gilt das Kooperations- und Solidaritätsprinzip, welches sich vornehmlich aus Art. 55 (b) und 66 VN-Charta herleitet351 und auch in der Präambel zum WTO-Abkommen verankert ist.352 Als Optimierungsgebot verpflichtet es, der wirtschaftlichen Situation der schwächer entwickelten Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft durch geeignete Maßnahmen angemessen Rechnung zu tragen.353 Das WTORecht kennt spezifische Ausprägungen dieses Grundsatzes, die auch beweisrechtliche Konsequenzen haben.
(b) Art. 27 Abs. 2 und 4 ASÜ Im Fall Brazil – Aircraft entschied das Appellate Body, dass die in Art. 27 Abs. 4 i.V.m. 2 ASÜ aufgestellten Bedingungen positive Verpflichtungen (positive obligations) der Entwicklungsländermitglieder seien und nicht Rechtfertigungstatbestände (affirmative defences). Dies erkläre sich daraus, dass Art. 3 Abs. 1 (a) ASÜ überhaupt nicht erst zur Anwendung komme, wenn ein Entwicklungsland die Bedingungen des Art. 27 erfülle (Tatbestandsausnahme). Diese Einordnung wird – sehr viel deutlicher als in den anderen Beispielsfällen der Tatbestandsausnahmen354 – durch den Wortlaut der Norm bestätigt („findet keine Anwendung“).355 Daher trägt der Kläger die Beweislast dafür, dass ein
351
Dazu Simma/Wolfrum (2002), Art. 55 (a) and (b), insb. Rn. 32. Es handelt sich dabei weniger um (individuelle) Rechte, sondern um ein Systemprinzip der internationalen Gemeinschaft: Tomuschat, EPIL IV/1 (2000), 460 (466). 352 Im zweiten Absatz der WTO-Präambel heißt es: „Die Vertragsparteien dieses Übereinkommens, in der Erkenntnis, dass es positiver Bemühungen bedarf, damit sich die Entwicklungsländer, insbesondere die am wenigsten entwickelten unter ihnen, einen Anteil am Wachstum des internationalen Handels sichern, der den Erfordernissen ihrer wirtschaftlichen Entwicklung entspricht … .“ 353
Tietje, in: FS-Delbrück (2005), 783 (806).
354
Bartels, in: Cottier/Pauwelyn/Bürgi Bonanomi (Hrsg.), Human Rights and International Trade (2005), 463 (470). 355
DSB, Brazil – Aircraft (AB), Ziff. 139 f.
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Entwicklungsland zumindest eine der in Art. 27 Abs. 4 ASÜ angeführten (kumulativen) Bedingungen nicht erfüllt.356
(c) Enabling Clause Dagegen hat das Berufungsgremium aufgrund einer Wortlautanalyse („notwithstanding“) entschieden, dass der Enabling Clause nicht wie von der EG argumentiert eine Tatbestandsausnahme sei, sondern eine Ausnahmevorschrift darstelle.357 Nach der allgemeinen Regel trägt auch hier grundsätzlich der Beklagte als die sich auf einen Rechtfertigungstatbestand berufende Partei die Behauptungslast und die objektive Beweislast.358 Der Enabling Clause, so das Berufungsgremium, müsse aber ob seiner fundamentalen Bedeutung im WTO-System und seines materiellen Gehalts von der Regel abweichend behandelt werden. So erlaube es der Enabling Clause den entwickelten Mitgliedstaaten, Produkten aus Entwicklungsländern einen gegenüber den entwickelten Staaten erweiterten Marktzugang zu gewähren. Dies solle den Entwicklungsländern erhöhte Erträge aus ihren wachsenden Exporten einbringen, die entscheidend für ihre wirtschaftliche Entwicklung seien. Der Enabling Clause sei daher wesentlich zur Begünstigung von Handel als Mittel zur Wachstums- und Entwicklungsförderung. Daher sei er keine „typische“ Ausnahme- oder Rechtfertigungsvorschrift, wie sie etwa Art. XX GATT 1994 darstelle.359 Dieser spezielle Status zeitige Auswirkungen auf das Streitbeilegungssystem. Geschichte und Zweck des Enabling Clause zeigten, dass entwickelte WTO-Mitglieder zu einer für Entwicklungsländer günstigen Abweichung von Art. I GATT 1994 gerade ermutigt werden sollten. 356 Ebd., Ziff. 141. Siehe auch: Palmeter/Mavroidis, Dispute Settlement in the World Trade Organization, Practice and Procedure (2004), 150. 357
DSB, EC – Tariff Preferences (AB), Ziff. 99. Dazu: Spadano, International Trade Law & Regulation 12 (2006), 48. Ebenfalls für eine Einordnung des Enabling Clause als Ausnahmevorschrift mit dem Hinweis, dass ansonsten eine Art. 27 Abs. 2 ASÜ entsprechende Formulierung hätte gefunden werden müssen: Schmahl, AVR 42 (2004), 389 (399 f.). Kritisch zu der Entscheidung: Mathis, Legal Issues of Economic Integration 31 (2004), 289 (299). 358 DSB, EC – Tariff Preferences (AB), Ziff. 104: “From this allocation of the burden of proof, it is normally for the respondent, first, to raise the defence and, second, to prove that the challenged measure meets the requirements of the defence provision.” (Hervorh. im Original). 359
Ebd., Ziff. 106.
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Aus Art. 6 Abs. 2 DSU und letztlich aus Gesichtspunkten des due process folge daher, dass der Kläger diejenigen Tatbestandsmerkmale des Enabling Clause identifizieren müsse, die das Präferenzsystem (preferential scheme) des Beklagten seiner Meinung nach nicht erfülle, so dass es rechtswidrig sei.360 Daher obliege es zwar weiterhin – wie bei einer Ausnahmeregelung üblich – dem Beklagten, die Vereinbarkeit des Präferenzsystems mit dem Enabling Clause zu beweisen, jedoch müsse der Kläger die Parameter definieren, innerhalb derer der Beklagte seinen Rechtfertigungsbeweis zu führen habe.361 Dies gehe aber nicht so weit, dass der Kläger auch den Nachweis der Unvereinbarkeit führen und somit die dafür notwendigen Tatsachen beweisen müsse, sondern erschöpfe sich in der genauen Bezeichnung der streitigen Tatbestandsmerkmale mit schriftlicher Begründung.362 Es handelt sich somit nicht um eine Beweislastumkehr, sondern um eine gesonderte Behauptungslast des eigentlich nicht beweisbelasteten Klägers.363 Zu Recht ist diese Entscheidung ob ihres geringen praktischen Werts kritisiert worden.364 Eine Identifizierungspflicht des Klägers machte nur dann Sinn, wenn die Verteidigungsstrategie (also die Berufung auf den Enabling Clause) bedeutend weniger offensichtlich gewesen wäre als im vorliegenden Fall. Daher könnte man durchaus an eine Einordnung als Tatbe-
360
Ebd., Ziff. 113: “[W]hen a complaining party considers that a preference scheme of another Member does not meet one or more of those requirements, the specific provisions of the Enabling Clause with which the scheme allegedly falls afoul, form critical components of the ‘legal basis of the complaint’ and, therefore, of the ‘matter’ in dispute. Accordingly, a complaining party cannot, in good faith, ignore those provisions and must, in its request for the establishment of a panel, identify them and thereby ‘notif[y] the parties and third parties of the nature of [its] case’. For the failure of such a complaining party to raise the relevant provisions of the Enabling Clause would place an unwarranted burden on the responding party.” 361 362
DSB, EC – Tariff Preferences (AB), Ziff. 114. Ebd., Ziff. 118.
363
Zum deutschen Recht: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 108, Rn. 14. 364
Mavroidis, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg), Max Planck CWTL 2 (2006), Article 11 DSU Rn. 42; Grando, JIEL 9 (2006), 615 (654, Fn. 170). Zustimmend diesbezüglich jedoch Schmahl, AVR 42 (2004), 389 (400, Fn. 42) und RuizFabri/Monnier, Journal du droit international 131 (2004), 997 (1035-42).
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standsausnahme oder autonomes Recht der Mitgliedstaaten denken365 mit der Folge, dass der Kläger nicht nur die Behauptungs-, sondern auch die Beweislast hinsichtlich des Nichteingreifens des Enabling Clause trüge.366
V. Regionale Menschenrechtsgerichtshöfe 1. Europäischer Menschenrechtsgerichtshof (a) Beweislast bei Staatenbeschwerden Im Irish Case lehnte der EGMR eine Beurteilung des Falles nach Beweislastkriterien ab. Keine der Parteien trage die Beweislast für eine Konventionsverletzung. Stattdessen betonte der Gerichtshof, dass er das gesamte ihm vorliegende Tatsachenmaterial prüfe, gleich welcher Herkunft es sei, ob es also von der EKMR, den Parteien oder anderen Quellen vorgelegt wurde, und dass er falls nötig auch selbst (proprio motu) tätig werden könne.367 Diese Aussage wird man so verstehen müssen, dass der Gerichtshof die Beibringung der relevanten Tatsachen nicht als alleinige Aufgabe der Parteien ansehen und damit die Existenz einer strikt verstandenen subjektiven Beweislast ablehnen wollte.368 Es geht also um eine Entscheidung gegen ein reines adversarial principle und für die Geltung einer stärker am Untersuchungsgrundsatz orientierten Prozessmaxime. Eine objektive Beweislast legt der EGMR seinen Entscheidungen freilich auch zugrunde.369
365
Valette, RBDI 38 (2005), 623 (635). Kritisch auch: Bartels, in: Cottier/Pauwelyn/Bürgi Bonanomi (Hrsg.), Human Rights and International Trade (2005), 463 (476). 366
So auch: Grando, JIEL 9 (2006), 615 (654).
367
EGMR, Ireland v. United Kingdom (Application no. 5310/71), Urteil vom 18. Januar 1978, Ser. A vol. 25, 64 (Ziff. 160), bestätigt in: EGMR (Große Kammer), Cyprus v. Turkey (Application No. 25781/94), Urteil vom 10. Mai 2001, ECHR 2001-IV, 1 (35, Ziff. 113). 368 369
Ähnlich: Rudolf, EuGRZ 1996, 497 (499).
Siehe dazu: EGMR, Ireland v. United Kingdom (Application no. 5310/71), Urteil vom 18. Januar 1978, sep. op. Zekia, Ser. A vol. 25, 97 (100), der die Beweislast als „elementary rule of justice“ beschreibt. So auch: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 77.
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(b) Beweislast für die Rechtswegerschöpfung bei Staatenbeschwerden Während der Gerichtshof eine Beweislastverteilung für die sachliche Beurteilung demnach scheinbar ausschloss, bestätigte er sie für die Rechtswegerschöpfung. So sei es Aufgabe des die Rechtswegerschöpfung bestreitenden Beklagten, den Nachweis der theoretischen und praktischen Verfügbarkeit und der Effektivität eines Rechtswegs zu führen, der eine vernünftige Aussicht auf Abhilfe biete. Bei Gelingen dieses Nachweises sei es Sache des Klägerstaates, darzutun, dass dieser Rechtsbehelf entweder ausgeschöpft wurde oder aber im konkreten Fall unzureichend und ineffektiv war.370
(c) Beweislast bei Individualbeschwerden Grundregel für Individualbeschwerden ist, dass der Beschwerdeführer die tatsächlichen Behauptungen beweisen muss.371 Jedoch wird ihm dies durch Mitwirkungspflichten des beklagten Staates erleichtert. Für Individualbeschwerden hat der EGMR daher die besondere Bedeutung der sich aus Art. 38 Abs. 1 (a) EMRK ergebenden Verpflichtung der Staaten zur Unterstützung des Gerichts in der Tatsachenermittlung hervorgehoben. Aus der dieser Verpflichtung zugrunde liegenden Beobachtung, dass sich oft alle Beweismittel in der Sachherrschaft des beklagten Staates befinden, hat der EGMR außerdem gefolgert, dass “Convention proceedings do not in all cases lend themselves to rigorous application of the principle affirmanti incumbit probatio (he who alleges something must prove that allegation).”372 In besonders gelagerten Fällen, in denen 370
EGMR (Große Kammer), Cyprus v. Turkey (Application No. 25781/94), Urteil vom 10. Mai 2001, ECHR 2001-IV, 1 (36, Ziff. 116): “In the context of the instant case, it is incumbent on the respondent Government claiming nonexhaustion to satisfy the Court that the remedy was an effective one available in theory and in practice at the relevant time, that is to say, that it was accessible, was one which was capable of providing redress in respect of the aggrieved individuals’ complaints and offered reasonable prospects of success. However, once this burden of proof has been satisfied it falls to the applicant Government to establish that the remedy advanced by the respondent Government was in fact exhausted or was for some reason inadequate and ineffective in the particular circumstances of the case, or that there existed special circumstances absolving the persons concerned from the requirement of exhausting that remedy.” 371 372
Krüger, in: FS-Nørgaard (1988), 249 (251).
EGMR, Timurtaş v. Turkey (Application no. 23531/94), Urteil vom 13. Juni 2000, ECHR 2000-VI, 303 (326, Ziff. 66).
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typischerweise eine Informationsasymmetrie auftritt, hat der EGMR daher Beweiserleichterungen gewährt.373 Für die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs ist grundsätzlich der Beschwerdeführer beweisbelastet.374
2. Interamerikanischer Menschenrechtsgerichtshof Im Prozess vor dem IAGMR treten drei Parteien auf: das (vermutliche) Opfer als Kläger, der Staat als Beklagter, sowie die Kommission als „prozessuale Partei“ (Art. 2 Nr. 24 IAGMR-VerfO). In der Praxis ist jedoch die Kommission der Hauptakteur im gerichtlichen Verfahren.375 Wie auch sonst im Völkerprozessrecht trägt grundsätzlich derjenige, der eine Tatsache behauptet, dem sie also günstig ist, die Beweislast.376 Dies ist in den meisten Fällen die Kommission.377 Nach Art. 24 IAGMR-VerfO sind jedoch auch die Opfer selbst direkt am Verfahren beteiligt und können Informationen vorlegen. Beweiserleichterungen hat der IAGMR ebenso wie der EGMR vor allem in Fällen gewährt, die die Verletzung von Art. 5 AMRK betreffen.378
VI. Schiedsgerichte 1. Ältere Schiedsgerichte und gemischte Schiedskommissionen (a) Grundregel Im 1926 entschiedenen Parker-Fall, der vielen beweisrechtlichen Abhandlungen als Ausgangspunkt für die Diskussion der Beweislastverteilung dient, lehnte die Kommission scheinbar eine Aufteilung der Be-
373 374 375
Dazu unten, C. III. 4. (b). Robertson, ICLQ 39 (1990), 191 (193, 196). Bovino, International Journal on Human Rights 2 (2005), 57 (63).
376
Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights (2003), 210. 377
IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras, Urteil vom 29. Juli 1988, Ser. C No. 4, 133 (Ziff. 123); IAGMR, Godínez Cruz v. Honduras, Urteil vom 20. Januar 1989, Ser. C No. 5, 129 (Ziff. 129); Shelton, Fordham ILJ 12 (1989), 361 (382 f.); Bovino, International Journal on Human Rights 2 (2005), 57 (63). 378
Dazu: C. III. 4.
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weislast zwischen den zwei Streitparteien ab.379 Dies begründete sie mit der besonderen Struktur zwischenstaatlicher Streitigkeiten, in denen regelmäßig nicht zwischen Kläger und Beklagtem unterschieden werden könne. Stattdessen befürwortete sie eine unbegrenzte Kooperationspflicht der Parteien, nach der diese alle relevanten Informationen vorlegen müssten. Obwohl diese oft zitierte Sentenz im Schrifttum vereinzelt auf Zustimmung stößt,380 ist sie eher als Ablehnung der Geltung nationalen Rechts im internationalen Prozess als als Leugnung der Existenz der Beweislast zu verstehen.381 Dementsprechend findet sich das Bestehen einer Regel für die objektive Beweislast auch in der Masse der älteren Rechtsprechung bestätigt.382 Bereits in der Affaire du Queen (1872) entschied der Schiedsrichter, dass „on doit suivre, comme règle générale de solution, le principe de jurisprudence, consacré par la legislation de tous les pays, qu’il appartient au réclamant de faire la preuve de sa prétention“.383 Auch urteilte die amerikanisch-deutsche gemischte Kommission im Smith-Fall (1924), dass es auch die liberale Handhabung des vor internationalen Schiedsgerichten anzuwendenden Beweisrechts nicht erlaube, die Beweislast des Klägers für seinen Anspruch aufzugeben.384 Ähnliche For-
379
American-Mexican General Claims Commission, William A. Parker (U.S.A.) v. United Mexican States, Entscheidung vom 31. März 1926, RIAA 4 (1951), 35 (39, Ziff. 7): “The absence of international rules relative to a division of the burden of proof between the parties is especially obvious in international arbitrations between Governments in their own right, as in those cases the distinction between a plaintiff and a respondent often is unknown, and both parties often have to file their pleadings at the same time.” 380 381
Sereni, Principi generali di diritto e processo internazionale (1955), 77. So auch: Ferrari Bravo, La prova nel processo internazionale (1958), 110.
382
Offenbar a.A. Feller, The Mexican Claims Commission 1923-1934 (1935), 261 (Fn. 22). 383
Affaire du Queen (Brésil c. Suède-Norvège), Urteil vom 26. März 1872, in: de La Pradelle/Politis, Recueil des Arbitrages Internationaux, Bd. 2 (18561872) (1932), 706 (708). 384
Mixed Claims Commission United States and Germany, United States of America on behalf of Jessie Taft Smith and John W. Smith v. Germany, Urteil vom 8. Oktober 1924, in: Mixed Claims Commission United States and Germany, Administrative decisions and opinions of a general nature and opinions and decisions in certain individual claims (1925), 465 (470 f.).
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mulierungen finden sich auch in anderen Schiedssprüchen.385 Die Parker-Entscheidung ist also nicht als Absage an die Existenz einer Regel zur Verteilung der objektiven Beweislast zu verstehen.386 385 Tribunal arbitral mixte franco-allemand, Firme Ruinart Père et Fils c. Franzmann, Schiedspruch vom 27. Mai 1927, in: Recueil des décisions des Tribunaux arbitraux mixtes institués par les Traités de paix, Bd. 7 (1928), 599 (601): «[L]e présent Tribunal, non lié par la loi dont s’agi, et en l’absence de toute disposition contraire au Traité, ne peut que s’en tenir au principe usuel qui met le fardeau de la preuve à la charge du demandeur.» (bezgl. der Staatsangehörigkeit). Tribunal arbitral turco-grec, Banque d’Orient c. Gouvernement turc, Schiedsspruch vom 9. Februar 1928, in: Recueil des décisions des Tribunaux arbitraux mixtes institués par les Traités de paix, Bd. 7 (1928), 967 (973): «[S]uivant les règles concernant la répartition de la charge de la preuve, le demandeur est obligé de prouver l’existence des faits sur lesquels il base sa prétention.» Affaire Chevreau (France c. Royaume-Uni), Schiedsspruch vom 9. Juni 1931, RIAA 2 (1949), 1113 (1124 f.). Hier hatte der Kläger (Frankreich) mit Hinweis auf einen Beschluss des StIGH im Oderkommission-Fall (StIGH, Case Concerning the Jurisdiction of the International Commission of the Oder (Submissions), Beschluss (Order) vom 15. August 1929, Annex 4 to Jugdment No. 16, Ser. A, No. 23, 44 (45)) argumentiert, dass keine Beweislastverteilung bestehe, da nach dem Beschluss des StIGH in durch Kompromiss vor ein internationales (Schieds-) Gericht gebrachten Fällen keine Unterscheidung zwischen Kläger und Beklagtem möglich sei. Der norwegische Schiedsrichter lehnte dies ab: «L’ordonnance ne se refère qu’à une question de procédure et elle ne décide rien en ce qui concerne les questions relatives à la charge de la preuve. [S]i l’article 3 du Compromis impose aux deux Parties le devoir de ‹ déterminer à la satisfaction de l’Arbitre, l’authenticité de tous points de faits invoqués pour établir ou dénier la responsabilité ›, cette disposition n’a pas, de l’avis de l’Arbitre, pour but d’exclure l’application des règles usuelles concernant les preuves. Elle démontre seulement qu’il peut être aussi un devoir de prouver l’existence de faits allégués pour dénier la responsabilité.» Dazu: Rousseau, Droit international public, Bd. 5 (1983), 341. Siehe auch: In the Matter of the Diverted Cargoes (Greece v. Great Britain), Schiedsspruch vom 10. Juni 1955, ILR 22 (1955), 820 (825): “As regards the burden of proof, it falls upon the State which claims from another State the performance of an obligation to establish the existence and the amount of the claim.” m. Anm. Simpson, ICLQ 5 (1956), 471 (483). Französische Originalversion abgedruckt in: RIAA 12 (1963), 53 (70): «[E]n ce qui concerne la charge de la preuve, … il encombe à l’Etat qui réclame d’un autre Etat l’exécution d’une obligation, d’établir l’existence et le montant de sa créance.» Portugiesisch-Deutsches Schiedsgericht (Art. 297 und 298 des Versailler Vertrages), Responsabilité de l’Allemagne à raison des actes commis postérieurement au 31 juillet 1914 et avant que le Portugal ne participât à la guerre (Portugal c. Allemagne), Urteil vom 30. Juni 1930, RIAA 2 (1949), 1035 (1040, Ziff. 4): «Le fardeau de la preuve incombe à l’État portugais. Le demandeur doit établir
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(b) Beweislast für Ausnahmevorschriften Auch die Regel, dass der sich auf eine Ausnahme zu einer allgemein geltenden Regel berufende Staat das Vorliegen ihrer tatsächlichen Voraussetzungen zu beweisen hat, findet sich durch die Rechtsprechung früher Schiedsgerichte bestätigt.387 So legte das Schiedsgericht seiner Entscheidung in der Affaire de l’indemnité russe zugrunde, dass der Beklagte den Rechtfertigungsgrund der force majeure nachweisen müsse. 388
2. Jüngere Schiedsgerichte Diese in der älteren Schiedsgerichtsbarkeit entwickelte Regel wird in den Verfahrensordnungen jüngerer Schiedsgerichte regelmäßig explizit niedergelegt. So bestimmt Art. 14 Abs. 1 der EECC-VerfO, dass “[e]ach party shall have the burden of proving the facts it relies on to support its claim or defense.”389 Identische Formulierungen finden sich in Art. 11 Abs. 1 der Verfahrensordnung des von Barbados und Trini-
pour chaque réclamation: a) l’existence d’un acte contraire au droit des gens, cause du dommage; b) le fait que cet acte a été commis par l’État allemand ou par une autorité allemande; c) la date de l’acte, date qui doit être compris entre le 31 juillet 1914 et le 9 mars 1916; d) le montant du dommage.» 386
Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 326-331. 387 Portugiesisch-Deutsches Schiedsgericht (Art. 297 und 298 des Versailler Vertrages), Responsabilité de l’Allemagne à raison des actes commis postérieurement au 31 juillet 1914 et avant que le Portugal ne participât à la guerre (Portugal c. Allemagne), Urteil vom 30. Juni 1930, RIAA 2 (1949), 1035 (1056, Ziff. 1): «Comme le soutient le demandeur, le capteur d’une prise neutre doit, en principe, la conduire au port. S’il fait usage de la faculté exceptionnelle de détruire sa capture, il doit prouver s’être trouvé dans l’état de nécessité admis par l’article 49 [de la déclaration de Londres].» Art. 49 der Londoner Seekriegsrechtserklärung lautet: «Par exception, un navire neutre doit, saisi par un bâtiment belligérant et qui serait sujet à confiscation, peut être détruit, si l’observation de l’article XLVIII peut compromettre la sécurité du bâtiment de guerre ou le succès des opérations dans lesquelles celui-ci est actuellement engagé.» Abgedruckt in: Clive Parry, Consolidated Treaty Series 208 (1908-1909), 338 (350). 388
Affaire de l’indemnité russe (Russia v. Turkey), 11. November 1912, AJIL 7 (1913), 178 (195). Seidl-Hohenveldern, EPIL IV/1 (2000), 268 (269). 389
Explizit auch: EECC, Partial Award, Economic Loss Throughout Ethiopia, Ethiopia’s Claim 7, Schiedsspruch vom 19. Dezember 2005, Ziff. 12.
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dad und Tobago eingerichteten Schiedsgerichts,390 Art. 12 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Iron Rhine-Schiedsgerichts,391 Art. 12 Abs. 1 der Verfahrensordnung des OSPAR-Schiedsgerichts392 sowie Art. 12 Abs. 1 der Verfahrensordnung des MOX Plant-Schiedsgerichtes.393 Sie entsprechen Art. 24 Abs. 1 der Optional Rules for Arbitrating Disputes between Two States des StSH. Dies bestätigt die Regel, dass der Kläger bezüglich der anspruchsbegründenden, der Beklagte bezüglich der anspruchsvernichtenden Tatbestandsmerkmale beweisbelastet ist.
3. ICSID-Schiedsgerichte Weder das ICSID-Ü (Art. 43) noch die ICSID-AR (Regel 34) regeln die in Investitionsstreitigkeiten geltende Beweislastverteilung. In der Sache Asian Agricultural Products Ltd. (AAPL) v. Republic of Sri Lanka stellte das Schiedsgericht vor allem unter Rückgriff auf die Abhandlungen Bin Chengs und Sandifers allgemeingültige beweisrechtliche Normen für das ICSID-Schiedsverfahren auf, die es als „fundierte Regel des Völkerrechts“ bezeichnete:394 “Rule (G)- ‘There exists a general principle of law placing the burden of proof upon the claimant … . Rule (H)- ‘The term actor in the principle onus probandi actori incumbit is not to be taken to mean the plaintiff from the procedural standpoint, but the real claimant in view of the issues involved’. … Hence, with regard to ‘proof of individual allegations advanced by 390
Art. 11, Rules of Procedure for the Tribunal constituted under Annex VII to the United Nations Convention on the Law of the Sea pursuant to the notification of Barbados dated 16 February 2004. 391
Art. 12, Rules of Procedure for the Arbitration regarding the Iron Rhine between the Kingdom of Belgium and the Kingdom of the Netherlands. 392
Art. 12, Rules of Procedure for the Arbitral Tribunal constituted under the OSPAR Convention pursuant to the request of Ireland dated 15 June 2001. 393
Art. 12, Rules of Procedure for the Tribunal constituted under Annex VII to the United Nations Convention on the Law of the Sea pursuant to the notification of Ireland dated 25 October 2001. 394
ICSID, Asian Agricultural Products Ltd. (AAPL) v. Republic of Sri Lanka, Case No. ARB/87/3, Final Award, Schiedsspruch vom 27. Juni 1990, ICSID Review 6 (1991), 526 (549 f., Ziff. 56). Dazu auch bereits ICSID, Société Ouest Africaine des Bétons Industriels (SOABI) v. Senegal, Schiedsspruch vom 25. Februar 1988, ICSID Reports 2 (1994), 190 (270, Ziff. 9.23).
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the parties in the course of proceedings, the burden of proof rests upon the party alleging the fact’. Rule (I)- ‘A Party having the burden of proof must not only bring evidence in support of his allegations, but must also convince the Tribunal of their truth, lest they be disregarded for want, or insufficiency, of proof’ … . Rule (J)- ‘The international responsibility of the State is not to be presumed. The party alleging a violation of international law giving rise to international responsibility has the burden of proving the assertion’ (The Tanger Horse case (1924), the Corfu Channel case (1949), and the Belgium Claims case …).” Dies deutet darauf hin, dass die in zwischenstaatlichen Streitigkeiten geltenden beweisrechtlichen Regelungen ebenso im Streit zwischen Investor und Staat Anwendung finden.395 Die Ausführungen zur Beweislast wurden im Fall Tradex Hellas S.A. (Greece) v. Albania bestätigt. Das Schiedsgericht sah es als einen allgemeinen Prozessrechtsgrundsatz an, dass der Kläger die Beweislast für die durch die einschlägigen Normen des materiellen Rechts aufgestellten Tatbestandsmerkmale zur Begründung der Klage trage: “The wording of [the relevant provisions of the Albanian law] confirms what can be considered as a general principle of international procedure – and probably also of virtually all national civil procedural laws –, namely that it is the claimant who has the burden of proof for the conditions required in the applicable substantive rules of law to establish the claim.”396 Interessant ist, dass das Gericht die Beweislastregel primär als allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts und nicht als einen sich aus den Rechtsordnungen der Staaten abgeleiteten Grundsatz nach Art. 38 Abs. 1 (c) IGH-Statut betrachtet. Dies ergibt sich aus der Wortwahl („general principle of procedural law“) sowie aus der Tatsache, dass das 395
Siehe auch: ICSID, Marvin Feldman v. Mexico, Case No. ARB(AF)/99/1, Schiedsspruch vom 16. Dezember 2002, ICSID Reports 7 (2005), 341 (393, Ziff. 177) (Inbezugnahme der beweisrechtlichen Aussage von DSB, US – Wool Shirts and Blouses (AB), S. 14); Compañía de Aguas del Aconquija S.A. & Vivendi Universal v. Argentina, Case No. ARB/97/3, Schiedsspruch vom 3. Juli 2002, ICSID Review 19 (2004), 89 (135, Ziff. 113). 396
ICSID, Tradex Hellas S.A. (Greece) v. Republic of Albania, Case No. ARB/94/2, Schiedsspruch vom 29. April 1999, ICSID Review 14 (1999), 197 (219, Ziff. 74).
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Gericht die Übereinstimmung der staatlichen Zivilprozessrechte als weitere, getrennte Rechtsquelle benennt. Ähnlich urteilte das Schiedsgericht im Fall Salini Costruttori 397 sowie die Überprüfungskommission im Fall Soufraki v. United Arab Emirates, die festellte, dass “[t]he burden of proof resting on the party asserting a fact has to be discharged under international rules of evidence.”398
VII. Zusammenfassung Die Untersuchung der gerichtseinsetzenden Verträge, der Verfahrensordnungen sowie der Rechtsprechung internationaler Gerichte hat gezeigt, dass die Beweislast im internationalen Prozess grundsätzlich sowohl eine subjektive als auch eine objektive Komponente hat.399 Wer die Beweislast trägt, muss seiner Beweisführungslast nachkommen und trägt das Risiko des non liquet, also einer ihm ungünstigen Sachentscheidung wegen Unerweislichkeit einer Tatsache.
1. Grundregel für die Beweislastverteilung (a) Objektive Beweislast (aa) Konsentierte Grundregel: actori incumbit probatio Die Regel actori incumbit probatio ist als allgemeiner Rechtsgrundsatz der objektiven Beweislast von internationalen Gerichten allgemein anerkannt und regelmäßig angewandt worden.400 Sie gilt wegen ihrer kon397 ICSID, Salini Costruttori S.p.A. and Italstrade S.p.A. v. The Hashemite Kingdom of Jordan, Case No. ARB/02/13, Schiedsspruch vom 31. Januar 2006, Ziff. 70 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>). 398
ICSID, Hussein Nuaman Soufraki v. United Arab Emirates, Case No. ARB/02/7, Decision of the ad hoc Committee on the Application for Annulment of Mr. Soufraki, Schiedsspruch vom 5. Juni 2007, Ziff. 110 (abrufbar unter <www.investmentclaims.com>). 399
Anders wohl: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 89, der sich gegen eine subjektive Beweislast ausspricht. 400
Petrochilos, Procedural Law in International Arbitration (2004), 219 (Fn. 232); Ripert, RdC 44 (1933 II), 565 (646 f.); Bin Cheng, ICLQ 2 (1953), 595 (596); Guillaume, in: Société française pour le droit international, La juridiction internationale permanente (1987), 191 (199); Martha, Journal of International Arbitration 14 (1997), 67 (82); Vité, Les procédures internationales
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sistenten und gerichtsübergreifenden Anwendung daneben auch als richterrechtlicher Grundsatz, wie internationale Gerichte verschiedentlich betonen. Nach ganz überwiegender Auffassung kommt es dabei nicht auf die Eigenschaft als Kläger bzw. Beklagter an, sondern auf das Behaupten einer Tatsache.401 Konsequenz daraus ist, dass zumindest grundsätzlich die sich auf Ausnahmen oder Rechtfertigungstatbestände berufende Partei die Beweislast für die diesen Tatbestand begründenden Tatsachen trägt.402 Über diese sehr abstrakte und formale Grundregel hinaus hat sich die Rechtsprechung bisher noch nicht entwickelt.403 Die objektive Beweislast verbleibt für die Dauer des gesamten Prozesses gleich verteilt.404 Ein „shifting of the burden of proof“ findet grundsätzlich nicht statt. Dies gilt selbst für solche Jurisdiktionen, die eine Verschiebung der Beweislast jedenfalls sprachlich explizit annehmen, insbesondere die WTO-Streitbeilegung.
(bb) Mängel der actori-Regel und Alternativen Die Grundannahme der actori-Regel ist aber nur insofern richtig, als sie das Symptom (das Behaupten), nicht jedoch den Grund des prozessualen Verhaltens einer Partei in den Blick nimmt. Eine Partei wird nur diejenigen tatsächlichen Behauptungen aufstellen, die ihr günstig sind,
d’établissement des faits dans la mise en œuvre du droit international humanitaire (1999), 21; Das, in: International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes (2004), 193 (202). Dagegen: Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 405. 401 So schon Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (41); Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (134); Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 334. Auch: Delbez, Les principes généraux du contentieux international (1962), 115; Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 854 ff.; White, The Use of Experts by International Tribunals (1965), 8 f. 402
Daher ist die Frage, ob eine Regel als Tatbestandsausnahme oder Rechtfertigungstatbestand aufzufassen ist, vor allem aus prozessrechtlichen Gründen relevant, so dass sich ihre Bedeutung nicht in einem „Kampf der Rechtskulturen“ erschöpft (so jedoch scheinbar: Kammerhofer, LJIL 17 (2004), 695 (701)). 403 404
So auch: Grando, JIEL 9 (2006), 615 (642).
Pauwelyn, JIEL 1 (1998), 227 (232); Buergenthal, in: Lillich (Hrsg.), FactFinding Before International Tribunals (1992), 261 (267).
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die also den von ihr geltend gemachten Anspruch tragen.405 Insofern greift die Feststellung zu kurz, dass die Beweislast von der Rollenverteilung der Parteien oder von ihrem Prozessverhalten abhänge.406 Das Abstellen auf das Behaupten einer Tatsache kann dazu führen, dass die Parteien durch geschickte Formulierung ihrer Anträge versuchen, die Beweislast auf den Gegner abzuwälzen.407 Daher ist die Übertragung der als allgemeiner Rechtsgrundsatz begründbaren408 modifizierten Normentheorie auf das Völkerprozessrecht zu bevorzugen, zumal sich die oben dargestellte internationale Rechtsprechung hiermit gut rekonstruieren lässt. Demnach muss jeweils die konkrete materiellrechtliche Norm mit Hinblick auf die Ermittlung der ungeschriebenen Beweislastnorm ausgelegt werden. Erster Ansatzpunkt hierfür ist das Günstigkeitsprinzip und – soweit möglich, also insbesondere im Völkervertragsrecht – die Satzbaulehre. Die Grenzen für eine aus dem Wortlaut herzuleitende Beweislastverteilung sind aber im Völkerrecht noch enger zu ziehen als etwa im deutschen öffentlichen Recht. Dies zeigt besonders die Untersuchung der Rechtsprechung des WTO-Berufungsgremiums.409 Daraus folgt, dass die der Norm zugrunde liegenden Wertungen, ihr systematischer Kontext sowie ihr Sinn und Zweck stets mit zu berücksichtigen sind.
(b) Subjektive Beweislast Davon unterscheidet sich die subjektive Beweislast (der „burden of going forward“ oder „burden of evidence“), die grundsätzlich der objektiven Beweislast folgt. Je nach Situation kann jedoch die konkrete Beweisführungslast zwischen den Parteien wechseln.410
405
Kaufmann, Wiederaufnahme von Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof (2005), 230 f. 406
So aber: Dugard, Third report on diplomatic protection, 7. März 2002, A/CN.4/253, Ziff. 116: “The burden of proof is largely dependent on the division of roles in the litigation (i.e. which party raises the issue) … .” 407 408 409 410
Grando, JIEL 9 (2006), 615 (629). Dazu bereits A. IV. 3. Dazu oben IV. und Grando, JIEL 9 (2006), 615 (623 f.).
Buergenthal, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 261 (267).
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2. Bedeutung des prima facie case für die Beweislastverteilung Mit dem Begriff des prima facie case arbeiten durchaus nicht alle zwischenstaatlichen internationalen Gerichte; insbesondere der IGH und der ISGH erwähnen ihn nicht.411 Seine Bedeutung scheint vielmehr auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit und die WTO-Streitbeilegung begrenzt zu sein.412 Dabei ist klar zwischen prima facie case und prima facie evidence zu unterscheiden.413 Die Hauptfunktion des prima facie case ist die der Prozessstrukturierung, also die Regelung der Frage, welche Partei wann in der Beweisführung aktiv werden muss. Er regelt
411
Highet, AJIL 81 (1987), 1 (6): “It is erroneous to view the Court’s [ICJ’s] procedure as requiring that a prima facie case be made out in each instance by the presentation of testimony, as in a municipal or civil proceeding.”; Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (124). 412
So auch: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 96. Anders jedoch: Rivier, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 9 (20), die argumentiert, dass auch IGH und ISGH zumindest implizit von dieser Technik Gebrauch machen. Zum Begriff des prima facie case im Völkerstrafprozessrecht siehe: Hunt, in: FS-Kirk McDonald (2001), 137; Vohrah, in: Kirk McDonald/Swaak-Goldmann (Hrsg.), Substantive and Procedural Aspects of International Criminal Law, Bd. 1 (2000), 479. Der Begriff des prima facie case erscheint im JStGH-Statut an verschiedenen Stellen: Art. 18 Abs. 4 regelt die Frage, wann der Ankläger eine Anklageschrift (indictment) vorlegen kann, während Art. 19 Abs. 1 die Zulassung der Anklage durch das Gericht betrifft. Bei der Schuldfrage hat die Figur des prima facie case naturgemäß keinen Platz (Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 885). Der prima facie case zur Bestätigung der Anklageschrift existiert, falls “there is evidence (if accepted) upon which a reasonable tribunal of fact could be satisfied beyond reasonable doubt of the guilt of the accused on the particular charge in question.” (JStGH, Trial Chamber, Prosecutor v. Slobodan Milošević et al., Case No. IT-99-37-I, Decision on Application to Amend Indictment and on Confirmation of Amended Indictment, Beschluss vom 29. Juni 2001, Ziff. 3 (per Judge Hunt)). Dasselbe Kriterium gilt für Art. 58 Abs. 1 (a) IStGH-Statut. Danach muss nach der Beweissituation eine spätere Verurteilung nach realistischer Einschätzung möglich sein (Turone, in: Cassese u.a. (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court: A Commentary, Bd. 2 (2002), 1137 (1172 f.)). 413
So auch: Abi-Saab, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 97 (101). Anders: Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 246 ff., der beide Begriffe synonym verwendet. Zum „prima facie evidence“ siehe unten C. III. 2. (b).
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letztlich also die konkrete Beweisführungslast.414 Die Figur hat hingegen keine Bedeutung für die Verteilung der objektiven Beweislast.415 Vielmehr ist die Beweislastverteilung im WTO-Rechtsregime identisch mit der vor anderen internationalen Gerichten.416
C. Beweislastumkehr und Beweiserleichterungen I. Definitionen von Beweislastumkehr und Beweiserleichterungen Bei der Untersuchung der Anordnungen einer Beweislastumkehr im Völkerprozessrecht ist grundsätzlich zwischen der Umkehr der objektiven Beweislast, der Beweisführungslast sowie der Reduzierung des Beweismaßes zu unterscheiden.417 Im nationalen wie im Völkerprozessrecht sind viele als Fälle der „Beweislastumkehr“ bezeichneten Phänomene tatsächlich lediglich Beweiserleichterungen für die beweispflichtige Partei, die normalerweise in einer Senkung des Beweismaßes, in sekundären Darlegungslasten oder anderen Mitwirkungspflichten der nicht beweisbelasteten Partei bestehen. Von einer Umkehr der objektiven Beweislast kann nur gesprochen werden, wenn sich das Risiko der Nichterweislichkeit von einer Partei auf die andere verschiebt. Die völkerprozessrechtlich relevanten Gruppen der Beweislastumkehr und ähnlichen Beweiserleichterungen lassen sich im Wesentlichen in zwei Gruppen einteilen: Zum einen können gesetzliche Tatsachenvermutungen die allgemeine Beweislastverteilung verändern (dazu II.). Zum anderen kommt ein solcher Mechanismus bei zwischen den Parteien ungleich verteiltem Zugang zu den erforderlichen Beweismitteln in Betracht (Informationsasymmetrie, dazu III.). Als besonders häufig diskutiertes Sonderproblem ist schließlich die in beiden vorgenannten
414 Sharpe, Arbitration International 22 (2006), 549 (552); ICSID, Waste Management v. United Mexican States, Case No. ARB(AF)/98/2, Schiedsspruch vom 2. Juni 2002, diss. op. Highet, ILM 40 (2001), 70 (72, Ziff. 9 und 82, Fn. 8), der zwischen onus probandi und onus proponendi unterscheidet. 415
Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 884.
416
So im Ergebnis auch: Brown, A Common Law of International Adjudication (2007), 97. 417 Für das deutsche Recht siehe: Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), 99.
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Kategorien zu verortende Frage der Beweiserleichterungen im Umweltvölkerrecht darzustellen (dazu IV.).
II. Gesetzliche Vermutungen im internationalen Prozess 1. Vermutungen im nationalen Recht (a) Gesetzliche Tatsachenvermutungen Das deutsche Recht unterscheidet begrifflich zwischen gesetzlichen Tatsachenvermutungen, Rechtsvermutungen und tatsächlichen Vermutungen. Durch gesetzliche Tatsachenvermutungen wird die Beweislast geregelt.418 Wie einfache Beweislastregeln ermöglicht eine Vermutung die Anwendung von Rechtssätzen, obwohl deren tatsächliche Voraussetzungen nicht feststehen. Allerdings muss zu der zum Eingreifen von Beweislastnormen allein notwendigen tatsächlichen Ungewissheit (non liquet) noch die sogenannte Vermutungsbasis hinzukommen, damit die Vermutungsregel angewendet werden kann. Diese Vermutungsbasis wiederum ist ein feststehender (weil beweisbedürftiger und bewiesener) tatbestandsfremder Sachverhalt, von dem auf das Vorliegen anderer, tatbestandsrelevanter Fakten geschlossen werden kann.419 Darlegungsund beweisbedürftig ist also nicht die vermutete Tatsache selbst, sondern die Vermutungsbasis.420 In der Regel sind Tatsachenvermutungen widerlegbar. Sie greifen begriffsnotwendig dann nicht ein, wenn die vermutete Tatsache oder ihr Gegenteil bewiesen ist, also gerade keine tatsächliche Ungewissheit mehr besteht. Daher muss die Partei, zu deren Lasten die Vermutung operiert, das Gegenteil der Vermutung beweisen (Beweis des Gegenteils und damit Haupt- bzw. Vollbeweis421). Unwiderlegliche Vermutungen sind dagegen keine Beweislastnormen, sondern ordnen materielle Rechtsfolgen an. Ihre Besonderheit ist die, dass der Normtext eine 418
Jauernig, Zivilprozessrecht (2003), 211; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 111, Rn. 35; Gottwald, Jura 2 (1980), 225 (235). 419
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 111, Rn. 34. Siehe auch: Franck/Prows, LPICT 4 (2005), 197 (200). 420
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 111, Rn. 35; Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 127; Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), 142. 421
Jauernig, Zivilprozessrecht (2003), 211.
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Rechtsfolge anordnet, indem er einen ersten Tatbestand mit einem anderen zweiten gleichstellt, anstatt die identische Rechtsfolge jeweils an beide Tatbestände getrennt anzuknüpfen. Eine ähnliche Situation ergibt sich für den englischen und US-amerikanischen Zivilprozess, in dem zwischen „presumptions of fact“ und „presumptions of law“ unterschieden wird. Presumptions of law sind Rechtsregeln, die vom Gericht anzuwenden sind, falls keine Beweise vorliegen, die ein anderes Ergebnis rechtfertigen,422 mit anderen Worten also dann, wenn ein non liquet festgestellt wird. Eine widerlegbare rechtliche Vermutung führt zu einer Umkehr der Beweislast,423 wobei im Einzelnen umstritten ist, ob lediglich die subjektive Beweislast betroffen ist oder die objektive Beweislast umgekehrt wird.424 Die Klassifizierung vieler als presumptions gekennzeichneter Regeln ist daher unsicher. Auch das französische Zivilrecht kennt rechtliche Vermutungen („présomptions légales“, Art. 1350 Code civil) und tatsächliche Vermutungen („présomptions de l’homme“ oder „de fait“). Bei ersteren definiert der Gesetzgeber wie im Falle der deutschen gesetzlichen Tatsachenvermutung, dass von einer festgestellten Tatsache auf eine andere, nicht bewiesene geschlossen werden muss.425 Die Vermutung ist einfach („simple“ oder „juris tantum“), wenn gegen sie der Gegenbeweis zulässig ist („preuve du contraire“), und absolut („absolue“, „irréfragable“ oder „juris et de jure“), wenn sie unwiderleglich ist. Ist sie widerleglich, bewirkt sie demnach eine Verschiebung der Beweislast.426 Die Kodifika-
422
Halsbury’s Laws of England, Evidence, Bd. 17 (1) (2002), 201 (279).
423
Ebd., 201 (220); Joseph Constantine Steamship Line Ltd v Imperial Smelting Corporation Ltd [1941] 2 All ER 165 (191), HL, per Lord Wright. 424
Dazu: Schwering, System der Beweislast im englisch-amerikanischen Zivilprozeß (1969), 191. 425
Art. 1352 Code civil: «(1) La présomption légale dispense de toute preuve celui au profit duquel elle existe. (2) Nulle preuve n’est admise contre la présomption de la loi, lorsque, sur le fondement de cette présomption, elle annule certains actes ou dénie l’action en justice, à moins qu’elle n’ait réservé la preuve contraire et sauf ce qui sera dit sur le serment et l’aveu judiciaires.» 426
Gleiches gilt etwa in Belgien und Italien: Bervoets, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 27 (48); Patti, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 267 (272).
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tion nimmt damit die im europäischen gemeinen Prozess getroffene Unterscheidung auf.427
(b) Tatsächliche Vermutungen Kennzeichnend für tatsächliche Vermutungen hingegen ist die Aussage, dass nach der Lebenserfahrung ein bestimmtes Ereignis oder eine bestimmte Beschaffenheit anzunehmen ist; sie stellen daher keine Beweislastregeln dar,428 sondern bezeichnen eine logische Schlussfolgerung im Rahmen der Beweiswürdigung des Gerichts. Sie setzen keine tatsächliche Ungewissheit voraus, wie es bei rechtlichen Vermutungen der Fall ist. Ein non liquet kann durch die Beweiswürdigung des Gerichts gerade gar nicht erst entstehen. Vielmehr sind in ihnen Beweiserleichterungen zu sehen, die sich insbesondere in einem gesenkten Beweismaß auswirken. Beispiel hierfür ist der Anscheinsbeweis (prima facieBeweis) im deutschen Recht. Er regelt nicht die Beweislast, sondern stellt lediglich einen Beweiswürdigungsvorgang im Rahmen der freien Beweiswürdigung dar429 und ist strukturell daher ein Indizienbeweis.430 Ist der Anscheinsbeweis zulässig, bewirkt er eine Beweiserleichterung für den Beweisbelasteten, nicht eine Beweislastumkehr. Gegen ihn ist nicht der Beweis des Gegenteils nötig, sondern es reicht der Gegenbeweis.431 Die im englischen Recht gebräuchlichen „presumptions of fact“ entsprechen den tatsächlichen Vermutungen und werden als logische Schlussfolgerungen von einer bewiesenen auf eine nicht bewiesene Tatsache definiert.432 Das Gericht ist nicht verpflichtet, solche Schlussfolgerungen 427 428
Stürner, in: FS-Stoll (2001), 691 (694). Musielak, Die Grundlagen der Beweislast im Zivilprozess (1975), 156 ff.
429
Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), 82 ff.; Prütting, Gegenwartsprobleme der Beweislast (1983), 9, 94 ff. (insb. 111); Rosenberg/ Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 112, Rn. 16. 430
Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht (2004), § 112, Rn. 18. Zum Indizienbeweis im Völkerprozessrecht siehe Kapitel 8 D. 431
BGHZ 100, 31 (34). Zum Gegenbeweis: Thomas/Putzo-Reichold, Vorbem § 284 ZPO, Rn. 8. 432
Probate, Divorce and Admiralty Division, Chard v Chard (otherwise Northcott), [1955] 3 All ER 721 (726) per Sachs J: “There are rebuttable presumptions of fact, which are no more than inferences logically drawn from one fact as to the existence of other facts, as exemplified by the res ipsa loquitur ca-
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zu ziehen. Die Doktrin „res ipsa loquitur“ stellt eine spezielle Ausformung der tatsächlichen Vermutungen im Bereich des Nachweises des fahrlässigen Verschuldens („negligence“) dar.433 Auch die französischen „présomptions de l’homme“ oder „de fait“ bezeichnen Vorgänge der freien Beweiswürdigung.434 Im Allgemeinen verstehen vor allem die romanischen Rechtsordnungen unter dem Begriff „Vermutung“ oft solche tatsächlichen Vermutungen im Sinne von Beweiserleichterungen, nicht einer Beweislastumkehr.435
(c) Rechtsvermutungen Rechtsvermutungen erfüllen grundsätzlich dieselbe Funktion wie Tatsachenvermutungen. Allerdings wird bei ihnen eine Mehrheit von Tatsachen, nämlich die Gesamtheit der zur Begründung eines Rechts nötigen Einzeltatsachen, vermutet.436 Die Vermutung ist damit unmittelbar auf die Rechtsfolge einer Norm gerichtet.
2. Vermutungen im Völkerprozessrecht (a) Grundsätzliche Einwände gegen gesetzliche Tatsachenvermutungen im Völkerrecht Auch im internationalen Prozess stellt sich die Frage der Existenz von Vermutungen. Verschiedentlich ist argumentiert worden, dass hier Tatsachenvermutungen nicht bestünden, sondern ihre Bemühung durch in-
ses… .”; Halsbury’s Laws of England, Evidence, Bd. 17 (1), 4. Auflage, 2002, 201 (278). 433
So auch im US-amerikanischen Zivilprozess: Allen, Harvard Journal of Law and Public Policy 17 (1994), 627 (636). 434
Art. 1353 Code civil [Présomptions de l’homme]: «Les présomptions qui ne sont point établies par la loi, sont abandonnées aux lumières et à la prudence du magistrat, qui ne doit admettre que des présomptions graves, précises et concordantes, et dans les cas seulement où la loi admet les preuves testimoniales, à moins que l’acte ne soit attaqué pour cause de fraude ou de dol.» 435 Bajons, in: Nagel/Bajons (Hrsg.), Beweis – Preuve – Evidence (2003), 815 (831, Fn. 55), die darauf hinweist, dass der Anscheinsbeweis im deutschen Recht die Funktionen der Vermutungen im romanischen Rechtskreis übernimmt. 436
Musielak/Stadler, Grundfragen des Beweisrechts (1984), Rn. 248 f.
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ternationale Gerichte einem „abus d’expression“ geschuldet sei.437 Andere Literaturstimmen jedoch halten Vermutungen als Teil des internationalen Beweisrechts für im Recht und in der Praxis internationaler Gerichte fest verankert und unterscheiden zwischen rechtlichen und tatsächlichen Vermutungen.438 Die Kritik Witenbergs an der oft überraschenden Kennzeichnung internationalrichterlicher Argumentationsformen als Vermutungen entbehrt nicht jeglicher Berechtigung. In der Tat ist die oft als „Vermutung“ bezeichnete Erwartung, dass sich Staaten rechtmäßig verhalten und durch ihre Handlungen Völkerrecht „in der Regel“ nicht verletzen werden, keine rechtliche Tatsachenvermutung im oben genannten Sinne,439 da sie sich ja gerade nicht auf eine spezifische tatsächliche Ungewissheit stützt und auch keine Vermutungsbasis voraussetzt, sondern den allgemeinen Grundsatz wiederholt, dass die eine Rechtsverletzung behauptende Partei die für die Feststellung der Rechtsverletzung relevanten Tatsachen beweisen muss.440 Aus demselben Grund stellt sie auch keine tatsächliche Vermutung dar.441 Gleiches gilt für die Vermutung des Handelns in gutem Glauben.442 Gehen diese Regeln über die allgemeine Grundregel der Beweislastverteilung hinaus, so können diese „voraussetzungslosen 437
Witenberg, RGDIP 55 (1951), 321 (329); ders., RdC 56 (1936 II), 1 (46); Sereni, Principi generali di diritto e processo internazionale (1955), 90. Skeptisch auch Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 141 f. 438
Amerasinghe, LPICT 3 (2005), 395 (398, Fn. 1).
439
Anders: Amerasinghe, LPICT 3 (2005), 395 (398, 403); Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 114; IGH, Corfu Channel Case (Merits), diss. op. Ečer, ICJ Rep. 1949, 115 (119 f.), der von einer „presumption of innocence“ spricht. 440 Witenberg, RGDIP 55 (1951), 321 (329 f.). Zum Fehlen der Vermutungsbasis bei einzelnen im US-amerikanischen Recht als „presumptions“ gekennzeichneten Regeln siehe: Schwering, System der Beweislast im englischamerikanischen Zivilprozeß (1969), 138. 441
Anders: Cazala, in: Leben/Verhoeven (Hrsg.), Le principe de précaution – Aspects de droit international et communautaire (2002), 151 (166): „présomption de fait“. 442
Für das WTO-Recht: Zeitler, JIEL 8 (2005), 721 (724). Die Vermutung für die Gutgläubigkeit stammt aus dem französischen Code civil (Art. 2268): «La bonne foi est toujours présumée, et c’est à celui qui allègue la mauvaise foi à la prouver.» Siehe auch Artikel 1147 Abs. 3 des italienischen Codice civile. Damit ist eine tatsächliche Vermutung ausgesprochen, keine rechtliche Tatsachenvermutung, siehe Stürner, in: FS-Stoll (2001), 691 (695).
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Vermutungen“ im Einklang mit der Definition des nationalen Rechts als Beweislastsonderregeln bezeichnet werden.443 Keine Tatsachenvermutung, sondern eine (in der Geltung zweifelhafte) Auslegungsregel ist schließlich die Regel „in dubio mitius“.444 Grundsätzlich ist die Möglichkeit der Existenz gesetzlicher Tatsachenvermutungen aber auch mit der Begründung bestritten worden, dass es schon deshalb keine gesetzlichen Vermutungen im Völkerprozessrecht geben könne, weil die Kategorie des „Gesetzes“ im Völkerrecht mangels Subordinationsverhältnis nicht existiere.445 Diese auf ein zu formales Verständnis des „Gesetzes“ abstellende Begründung überzeugt hingegen nicht.446 Bedenkenswert ist aber der Einwand, dass gesetzliche Vermutungen stets Ausdruck einer Wertung des Gesetzgebers seien, mit der er Verhalten steuere.447 Eine solche Wertung werde auf internationaler Ebene hingegen nicht vorgenommen und sei auch gar nicht möglich.448 Das Rechtssystem des Völkerrechts, so die Argumentation, sei hierzu noch zu anarchisch, unvollständig und dezentralisiert.449 Hierauf lässt sich erwidern, dass sich das Völkerrecht weiterentwickelt und insbesondere in Teilrechtsgebieten so stark verdichtet hat, dass eine pauschale Ablehnung der Möglichkeit gesetzlicher Tatsachenvermutungen nicht mehr trägt. Das Völkerrecht nimmt in der Tat Wertungen vor, die auch beweisrechtlich relevant werden können. Festzustellen ist daher, dass die Möglichkeit gesetzlicher Tatsachenvermutungen auch auf internationaler Ebene grundsätzlich besteht.450 Jedoch sind keine unwi443
Gottwald, Jura 2 (1980), 225 (235).
444
Anders: Amerasinghe, LPICT 3 (2005), 395 (398): rechtliche Tatsachenvermutung. 445 Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (46); Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (134, Ziff. 70). 446
So auch: Niyungeko, La preuve devant les juridictions internationales (2005), 108. 447
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (47). So auch: Delbez, Les principes généraux du contentieux international (1962), 115; Scelle, Report on Arbitral Procedure, A/CN.4/18, 21. März 1950, ILC Yearbook 1950 II, 114 (134). 448 Ähnliche Bedenken klingen an bei Zehetner, in: FS-Verdross (1980), 701 (713 f.), der Kausalitätsvermutungen für grenzüberschreitende Umweltschäden nur durch vertragliche Vereinbarung zwischen Staaten für möglich hält. 449 450
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (47).
Amerasinghe, LPICT 3 (2005), 395 (404); Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 53; Das, in: Inter-
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derleglichen Vermutungen („praesumptiones iuris et de iure“) bekannt.451
(b) Wirkungen der Vermutungen Während die Existenz von Tatsachenvermutungen in neueren völkerrechtlichen Schriften zunehmend anerkannt wird, sind ihre Wirkungen im Völkerprozessrecht teilweise ungeklärt und umstritten. So wird beispielsweise vertreten, dass zwar keine objektive Beweislastumkehr bewirkt, aber der Anscheinsbeweis der Richtigkeit der Tatsache, für deren Vorliegen die Vermutung spricht, begründet werde.452 Nach dieser Ansicht werden Vermutungen daher vornehmlich im Rahmen der Beweiswürdigung durch den Richter relevant; bei ihrem Vorliegen tritt darüber hinaus eine Umkehr der subjektiven Beweislast bzw. der konkreten Beweisführungslast ein.453 Ähnlich ist der Gebrauch des Begriffs „presumption“ im Prozessrecht der WTO-Streitbeilegung; auch hier bezeichnet die durch die Aufstellung des prima facie case generierte „Vermutung“ eine Verschiebung der subjektiven, nicht der objektiven Beweislast.454 Nach diesem Verständnis rücken völkerprozessrechtliche Vermutungen in die Nähe der aus dem deutschen Recht bekannten „tatsächlichen Vermutungen“, wenn argumentiert wird, dass im internationalen Prozess Vermutungen die (subjektive) Beweislast zu der Partei hin verschieben, die die im Einklang mit der Vermutung gezogene loginational Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes (2004), 193 (235, Fn. 117), der auf die Schwierigkeiten in der Nomenklatur hinweist. 451
Aguilar Mawdsley, in: FS-Wang Tieya (1993), 533 (547); Kazazi, Burden of Proof (1996), 256. Anders: Waincymer, WTO Litigation (2002), 553 (Art. 3 Abs. 8 DSU) sowie generell Salmon, RdC 175 (1982 II), 257 (311). 452
Kazazi, Burden of Proof (1996), 251 f., 371, der jedoch tatsächliche Vermutungen zu meinen scheint, da er argumentiert, dass eine Beweislastumkehr Indizienbeweisen ein zu hohes Gewicht zukommen ließe (S. 252). 453
So deutlich: Amerasinghe, LPICT 3 (2005), 395 (401): “[W]hile the effect of [rebuttable] presumptions is not to reverse the burden of proof, they do relieve the party in whose favour the relevant presumption applies from carrying forward proof, by creating a conclusion of fact in its favour.” Ähnlich: Das, in: International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes (2004), 193 (236), der eine Verschiebung der subjektiven Beweislast annimmt. 454
Dazu: B. IV. 1. (b).
682
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sche Schlussfolgerung zu widerlegen sucht.455 Auch wird der Begriff „Vermutung“ synonym mit dem Indizienbeweis gebraucht, der in der Beweiswürdigung den Schluss von bereits bewiesenen Hilfstatsachen auf die zu beweisende Haupttatsache ermöglicht.456 Wieder eine andere Auffassung geht davon aus, dass Vermutungen die Umkehr der objektiven Beweislast bewirken.457 Die verschiedenen Erklärungen gehen letztlich auf terminologische Unsicherheiten zurück, wie sie sich im Übrigen auch im nationalen Recht finden.458 Der Begriff „Vermutung“ wird im Völker- wie im nationalen Recht oft inkonsequent sowohl für gesetzlich angeordnete Tatsachenvermutungen als auch für reine Beweiswürdigungsvorgänge genutzt. Solche „Vermutungen“, die lediglich die richterliche Beweiswürdigung aufgrund von Erfahrungswerten beschreiben und die Verschiebung der subjektiven Beweislast betreffen, sind Beweiserleichterungen für die beweisbelastete Partei, kehren jedoch die objektive Beweislast nicht um. Hier reicht die Erschüttung des Hauptbeweises aus, um die Beweiserleichterung zu entkräften. Aus Gründen der Klarheit sollte daher der Begriff Vermutung im Völkerprozessrecht auf solche Regeln begrenzt werden, die die objektive Beweislast regeln.459 Für eine solche strenge Unterscheidung spricht auch die Rechtsprechung des IGH: “In consequence, except when the maps are in the category of a physical expression of the will of the State, they cannot in themselves alone be treated as evidence of a frontier, since in that event they would form an irrebuttable presumption, tantamount in fact to legal title. The only value they possess is as evidence of an auxiliary or confirmatory kind, and this also means that they cannot be given the
455 IGH, Case Concerning Sovereignty over Pulau Ligitan and Pulau Sipadan (Indonesia v. Malaysia), Urteil vom 17. Dezember 2002, diss. op. Franck, ICJ Rep. 2002, 691 (692, Ziff. 4). 456
Franck/Prows, LPICT 4 (2005), 197 (227) mit Bezug auf den Corfu Channel-Fall. 457
Salmon, RdC 175 (1982 II), 257 (311); McGovern, International Trade Regulation (Loseblatt), § 2.2327 (Page 2.23-58, Issue 19, October 2005); Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/Kolb, General Principles of Procedural Law, Rn. 53; Thomas, JWT 30 (2) (1996), 53 (72). 458
So z.B. im deutschen Recht in Bezug auf den Begriff „tatsächliche Vermutung“. 459
So auch: Amerasinghe, LPICT 3 (2005), 395, der eine klare Unterscheidung zwischen „legal presumptions“ und „inferences“ befürwortet.
Beweislast
683
character of a rebuttable or juris tantum presumption such as to effect a reversal of the onus of proof.”460 Auch der IGH reserviert den Begriff der Vermutung daher für rechtliche Tatsachenvermutungen, die eine Umkehr der objektiven Beweislast bewirken.
3. Einzelfälle (a) WTO-Recht Das WTO-Recht kennt tatsächliche Vermutungen: “A presumption is an inference in favour of a particular fact and would also refer to a conclusion reached in the absence of direct evidence.”461 Fraglich ist aber, ob nach geltendem Recht auch gesetzliche Tatsachenvermutungen bestehen.
(aa) Art. 3 Abs. 2 SPS Nach der Rechtsprechung des Appellate Body stellt Art. 3 Abs. 2 SPS eine widerlegbare Vermutung auf, dass gesundheitspolizeiliche oder pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen eines WTO-Mitglieds, die internationalen Normen, Richtlinien oder Empfehlungen entsprechen, mit den einschlägigen Bestimmungen des SPS-Übereinkommens und des GATT 1994 im Einklang stehen.462 In diesem Fall obliegt es daher dem Kläger nachzuweisen, dass eine Rechtsverletzung vorliegt; er hat also alle die Tatsachen zu beweisen, die zu einer solchen Verletzung notwendig sind. Dies entspricht der allgemeinen Regel, dass der Kläger die Rechtsverletzung nachzuweisen hat. Gleiches gilt jedoch für solche Maßnahmen, die nicht auf internationalen Standards basieren (Art. 3 Abs. 1 und 3 SPS): Hier urteilte das Appellate Body, dass das WTO460
IGH, Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Republic of Mali), Urteil vom 22. Dezember 1986, ICJ Rep. 1986, 554 (683, Ziff. 56). 461 462
DSB, Argentina – Textiles and Apparel (Panel), Ziff. 6.38.
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 170: “Under Article 3.2 of the SPS Agreement, a Member may decide to promulgate an SPS measure that conforms to an international standard. Such a measure would embody the international standard completely and, for practical purposes, converts it into a municipal standard. Such a measure enjoys the benefit of a presumption (albeit a rebuttable one) that it is consistent with the relevant provisions of the SPS Agreement and of the GATT 1994.”
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Mitglied zwar nicht in den Genuss der Vermutung nach Art. 3 Abs. 2 SPS komme, jedoch auch nicht schlechter als im Normalfall gestellt werde.463 Eine Beweislastumkehr in dem Sinne, dass der Beklagte nunmehr die Vereinbarkeit der von ihm ergriffenen Maßnahme mit dem WTO-Recht nachweisen müsse, findet also entgegen der Argumentation des Panels im selben Fall nicht statt.464 Fraglich ist jedoch, was dann die Wirkung der Vermutung des Art. 3 Abs. 2 SPS sein soll. Insbesondere scheint es nunmehr beweisrechtlich keine Rolle zu spielen, ob Art. 3 Abs. 2 oder 3 SPS einschlägig ist: In beiden Fällen trägt der Kläger die Beweislast.465 Die Entscheidung des Appellate Body ist daher auch stark kritisiert worden. Entweder hätte die Regelung in Art. 3 Abs. 1 und 3 SPS als Regel-Ausnahme-Verhältnis interpretiert werden müssen466 oder Art. 3 Abs. 2 SPS hätte einen weiteren Effekt zugesprochen bekommen müssen, der die Vorschrift von der allgemeinen beweisrechtlichen Rechtsfolge abhebt. Anzudenken wäre zum Beispiel, dass die Vermutung in Art. 3 Abs. 2 SPS unwiderleglich ist.467 Dies ist aber nach der insofern unmissverständlichen Rechtsprechung nicht der Fall. Auch in Betracht käme, dass Art. 3 Abs. 3 SPS zwar die Beweislastverteilung unberührt lässt, stattdessen aber zu einer Beweiserleichterung in Form einer Beweismaßabsenkung für den Kläger führt. Diesen Weg geht das Appellate Body jedoch auch nicht. Die Entscheidung des Appellate Body ist dennoch aus anderen, bereits oben diskutierten Gründen richtig.468 Solange die internationalen Standards in einem wenig transparenten und legitimen Verfahren erarbeitet werden, ist eine Beweisbelastung des Beklagten bei Abweichung von diesen 463
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 171: “The Member imposing this measure does not benefit from the presumption of consistency set up in Article 3.2; but, as earlier observed, the Member is not penalized by exemption of a complaining Member from the normal burden of showing a prima facie case of inconsistency with Article 3.1 or any other relevant article of the SPS Agreement or of the GATT 1994.” 464
Siehe oben unter B. IV. 2. (c).
465
Scott, The WTO Agreement on Sanitary and Phytosanitary Measures (2007), 260. 466
Mavroidis, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), Max Planck CWTL 2 (2006), Art. 11 DSU, Rn. 41. 467
In diese Richtung: Rabe, ZLR 1998, 129 (134): „[Ü]bernimmt ein Mitglied der WTO [die in Art. 3 Abs. 2 SPS angesprochenen] Standards, kann ihm nicht vorgeworfen werden, ein Handelshemmnis zu errichten.“ 468
Dazu oben B. IV. 2. (c) (aa).
Beweislast
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Standards (unter Art. 3 Abs. 1 und 3 SPS) nicht gerechtfertigt. Dann ist aber Art. 3 Abs. 2 SPS trotz seines Wortlauts und entgegen der Rechtsprechung des Appellate Body keine Vermutung i.e.S., da sie die Beweislast nicht umkehrt. Es bleibt jedoch die Möglichkeit, dass das Appellate Body bei fortschreitender Tendenz zur Harmonisierung internationaler Standards und entsprechender Legitimation und Transparenz der zu ihrer Verabschiedung führenden Verfahren der in Art. 3 Abs. 2 SPS niedergelegten Regel eine echte beweislastumkehrende Wirkung beimessen wird, indem es – wie vom Wortlaut der Art. 3 Abs. 1 und 3 SPS naheliegend – die Beweislast bei von Standards abweichenden nationalen Regeln dem Beklagten auferlegt.469 Dann kehrte Art. 3 Abs. 2 SPS diese Beweislast um mit der Folge, dass ihm die Funktion einer echten Vermutung zuteil würde.
(bb) Art. 2 Abs. 5 TBT Art. 2 Abs. 5 S. 2 TBT stellt nach seinem insofern eindeutigen Wortlaut eine widerlegbare Vermutung dafür auf, dass eine mit internationalen Standards konforme Maßnahme kein unnötiges Hemmnis für den internationalen Handel schafft. Sie ist damit Parallelvorschrift zu Art. 3 Abs. 2 SPS. Angesichts der Interpretation des Art. 2 Abs. 4 TBT durch das Appellate Body470 fragt sich auch hier, worin die genaue Wirkung der widerleglichen Vermutung nach Art. 2 Abs. 5 TBT besteht. Es gilt das zu Art. 3 Abs. 2 SPS Gesagte.
(cc) Art. 3 Abs. 8 DSU Art. 3 Abs. 8 DSU stellt eine Vermutung auf, dass ein Verstoß gegen WTO-Recht zu einer Zunichtemachung oder Schmälerung von Vorteilen führt.471 Mit anderen Worten erleichtert es den Nachweis des Schadens und der haftungsausfüllenden Kausalität bei nachgewiesener Rechtsverletzung. Die amtliche schweizerische Übersetzung ist aussagekräftiger als die blasse deutsche Version und trifft den englischen Wortlaut besser:
469 470 471
Ähnlich: Sander, ZEuS 3 (2000), 335 (366); Rabe, ZLR 1998, 129 (136). Siehe B. IV. 2. (d) (aa).
Stoll, in: Wolfrum/Stoll/Kaiser (Hrsg.), Max Planck CWTL 2 (2006), Article 3 DSU, Rn. 72.
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„Verstösse gegen Verpflichtungen nach einer unter die Vereinbarung fallenden Übereinkunft gelten prima facie als Zunichtemachung oder Schmälerung von Vorteilen. Somit besteht in der Regel die Vermutung, dass ein Regelverstoss nachteilige Auswirkungen auf andere Mitglieder hat, die Vertragspartei der betreffenden unter die Vereinbarung fallenden Übereinkunft sind; in solchen Fällen muss das Mitglied, gegen das Beschwerde geführt wird, die Behauptung widerlegen.“ Es ist strittig, ob die Norm eine Beweislastregel ist und für den Nachweis des Schadens lediglich eine Umkehr der objektiven Beweislast anordnet oder ob sie sogar eine unwiderlegliche Vermutung für den Eintritt einer Schmälerung oder Zunichtemachung von Vorteilen und damit im Einklang mit dem oben Ausgeführten eine materielle Rechtsfolgen anordnende Vorschrift darstellt.472 Für eine Interpretation als unwiderlegbare Vermutung kann die frühere GATT-Streitbeilegungspraxis angeführt werden.473 So entschied das Panel im Superfund-Fall, dass im Fall von violation complaints nach Art. XXIII Abs. 1 (a) GATT die Vermutung der Zunichtemachung oder Schmälerung von Vorteilen zumindest praktisch unwiderlegbar sei.474 Dogmatisch sprechen allerdings die besseren Gründe für eine Widerleg-
472
Für unwiderlegliche Vermutung: Waincymer, WTO Litigation (2002), 553; Abi-Saab, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 97 (99). 473 Siehe aber: Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht (1990), 319, der von einer (einfachen) Umkehr der Beweislast ausgeht. Ebenso das Understanding Regarding Notification, Consultation, Dispute Settlement and Surveillance vom 28. November 1979 sowie der dazugehörige Annex über Agreed Description of the Customary Practice of the GATT in the Field of Dispute Settlement (Article XXIII:2), L/4907, adopted on 28 November 1979, BISD 26S/210, Ziff. 5: “In cases where there is an infringement of the obligations assumed under the General Agreement, the action is considered prima facie to constitute a case of nullification or impairment. … This means that there is normally a presumption that a breach of the rules has an adverse impact on other contracting parties, and in such cases, it is up to the contracting parties against whom the complaint has been brought to rebut the charge.” 474
GATT, US – Taxes on Petroleum and Certain Imported Substances (Superfund), angenommen am 17. Juni 1987, L/6175, BISD 34S/136, ILM 27 (1988), 1600 (1612, Ziff. 5.1.7). Eine Diskussion des Falles findet sich bei Thomas, JWT 30 (2) (1996), 53 (72 ff.).
Beweislast
687
lichkeit der Vermutung,475 da die meisten WTO-Verpflichtungen den Schutz einzelner Staateninteressen bezwecken und eine unwiderlegbare Vermutung eines Schadens den Charakter des Streitbeilegungssystems zu sehr in Richtung eines objektiven Verfahrens verschieben würde.476 Es handelt sich bei Art. 3 Abs. 8 DSU also um eine echte gesetzliche Tatsachenvermutung.
(dd) Art. 10 Abs. 3 ÜLW Nach Art. 3 Abs. 1 ASÜ sind solche Subventionen vom generellen Subventionsverbot ausgenommen, die mit den Bestimmungen des ÜLW in Einklang stehen. Danach ist es den WTO-Mitgliedern gestattet, Ausfuhrsubventionen für landwirtschaftliche Produkte zu gewähren, soweit dies mit den in den Listen des Mitglieds aufgeführten Verpflichtungen in Einklang steht (Art. 8 ÜLW). Solche Ausfuhrsubventionen sind zu notifizieren und in eine während der Uruguay-Runde ausgehandelte Senkungsverpflichtung einbezogen.477 Nach Art. 10 Abs. 3 ÜLW muss ein Mitglied, das behauptet, dass eine über dieses Senkungsverpflichtungsniveau hinaus ausgeführte Menge nicht subventioniert wird und damit nicht gegen das ÜLW und damit auch das ASÜ verstößt, nachweisen, dass für die betreffende Ausfuhrmenge keine in Art. 9 ÜLW aufgeführte oder sonstige Ausfuhrsubvention gewährt worden ist. Das Appellate Body betonte in Canada – Dairy, dass die generelle Regel, nach der der Kläger das Vorliegen aller für die behauptete Rechtsverletzung relevanten Tatsachen beweisen müsse, nicht ohne Weiteres für unanwendbar zu erklären sei, da sie einen „canon of evidence“ darstelle, der in internationalen Verfahren generell akzeptiert sei und angewendet werde.478 Art. 10 Abs. 3 ÜLW stelle eine beweisrechtli-
475
Martha, Journal of International Arbitration 14 (1997), 67 (78), der das Beweismaß für eine Widerlegung (rebuttal) des prima facie case einer solchen Schmälerung jedoch sehr hoch ansetzt (siehe S. 80); Lörcher, Neue Verfahren der internationalen Streiterledigung in Wirtschaftssachen (2001), 283: Widerlegbare Vermutung; Pauwelyn, EJIL 14 (2003), 907 (943, Fn. 127). 476
Gazzini, EJIL 17 (2006), 723 (732).
477
Dazu: Stoll/Schorkopf, WTO – Welthandelsordnung und Welthandelsrecht (2002), Rn. 402; Senti, WTO, System und Funktionsweise der Welthandelsordnung (2000), Rn. 1035 ff. 478
66.
DSB, Canada – Dairy (Article 21.5 – New Zealand and US) (AB), Ziff.
688
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che lex specialis dar,479 die eine echte Umkehr der objektiven Beweislast anordnet. Danach habe zwar der Kläger im Einklang mit den allgemeinen Regeln nachzuweisen, dass ein WTO-Mitglied eine über seine nach dem ÜLW bestehenden Verpflichtungen hinausgehende Menge landwirtschaftlicher Produkte exportiert habe; nach Wortlaut, Kontext und Zweck der Norm480 müsse jedoch dann der Beklagte nachweisen, dass bezüglich dieses Überschusses keine Ausfuhrsubvention gewährt wurde:481 “The significance of Article 10.3 is that, where a Member exports an agricultural product in quantities that exceed its quantity commitment level, that Member will be treated as if it has granted WTOinconsistent export subsidies, for the excess quantities, unless the Member presents adequate evidence to ‘establish’ the contrary. This reversal of the usual rules obliges the responding Member to bear the consequences of any doubts concerning the evidence of export subsidization.”482 Mit anderen Worten besteht demnach eine Vermutung für die Subventionierung des Überschusses.
(b) Art. 42 IAKMR-VerfO Nach Art. 22 Abs. 2 des Statuts der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission hat die Kommission die Befugnis, eine eigene Verfahrensordnung zu erlassen. Art. 39 der auf dieser Grundlage erlassenen Verfahrensordnung lautet: “Article 39. Presumption The facts alleged in the petition, the pertinent parts of which have been transmitted to the State in question, shall be presumed to be true if the State has not provided responsive information during the maximum period set by the Commission under the provisions of 479
DSB, Canada – Dairy (Article 21.5 – New Zealand and US) (AB), Ziff. 69. Dazu auch: Gherari, in: Ruiz-Fabri/Sorel (Hrsg.), La preuve devant les juridictions internationales (2007), 69 (89). 480 Das Appellate Body geht in Ziff. 73 f. schulmäßig nach diesen Auslegungskanonizes vor. 481 482
74.
So auch: Waincymer, WTO Litigation (2002), 551. DSB, Canada – Dairy (Article 21.5 – New Zealand and US) (AB), Ziff.
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Article 38 of these Rules of Procedure, as long as other evidence does not lead to a different conclusion.” Im Velasquez Rodriguez-Fall stellte der IAGMR fest, dass dies eine rechtliche Tatsachenvermutung („legal presumption“) darstellte.483 Allerdings handelt es sich um keine Vermutung i.e.S., da weder eine Vermutungsbasis gefordert wird noch hierdurch die objektive Beweislast umgekehrt wird; sie liegt vielmehr immer noch beim Beschwerdeführer bzw. bei der Kommission. Vielmehr formuliert die Regel eine Sanktion für die Verletzung der prozessualen Kooperationspflicht.
(c) Art. 52 Abs. 3 ZP I Eine Konfliktpartei, die gegen humanitäres Völkerrecht verstößt, ist zum Schadensersatz verpflichtet (Art. 91 ZP I, Art. 3 des Haager Abkommens betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1907).484 Dabei gelten grundsätzlich die allgemeinen völkerrechtlichen Regeln zur Staatenverantwortlichkeit: Der Schadensersatz fordernde Staat muss daher die Verletzung einer Norm des humanitären Völkerrechts nachweisen. Nach Art. 52 ZP I ist es untersagt, zivile Objekte zum Ziel von Angriffen zu machen. Der Kläger muss demnach beweisen, dass ein in den Kampfhandlungen vom Gegner zerstörtes Objekt zivilen Charakters war. Art. 52 Abs. 3 ZP I stellt jedoch eine widerlegbare485 Vermutung dahingehend auf, dass ein in der Regel für zivile Zwecke bestimmtes Gebäude im Zweifel auch zu zivilen Zwecken genutzt wird und somit kein legitimes militärisches Ziel darstellt. Nach dem Kommentar des IKRK bedeutet dies, dass “there is a presumption that civilian buildings … are not used by the armed forces, and consequently it is prohibited to attack them unless it is certain that they accommodate enemy combatants or military objects.”486 Dies impliziert, dass der Angreifer die Beweislast für die militärische Nutzung des Ob-
483
IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras, Urteil vom 29. Juli 1988, Ser. C No. 4, 136 (Ziff. 134). 484
Wolfrum, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten (1994), 413 (434). 485 486
David, Principes de droit des conflits armés (2002), 274.
Sandoz/Swinarski/Zimmermann, Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949 (1987), Ziff. 2034.
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jekts trägt.487 Angesichts des Fehlens einer Vermutungsbasis handelt es sich hierbei um eine Beweislastsonderregel.
4. Ergebnis Die Möglichkeit gesetzlicher Tatsachenvermutungen ist auch im Völkerprozessrecht anerkannt. Sie haben grundsätzlich beweislastumkehrende Wirkung. Jedoch sind solche Regeln im positiven Völkerrecht nur sehr vereinzelt feststellbar. Viele in Literatur und Rechtsprechung als „Vermutung“ bezeichnete Normen und Grundsätze stellen sich bei näherer Betrachtung nicht als gesetzliche Tatsachenvermutungen, sondern als Beweiswürdigungsvorgänge heraus, andere „Vermutungen“ sind wegen des Fehlens einer Vermutungsbasis eher als Beweislastsonderregeln zu qualifizieren. Wichtig ist dennoch festzuhalten, dass nach Völkervertragsrecht die Möglichkeit besteht, solche Vermutungen einzuführen.
III. Beweislastumkehr oder Beweiserleichterung bei Informationsasymmetrie Informationsasymmetrien zwischen Kläger und Beklagtem kommen in zwischenstaatlichen Verfahren verhältnismäßig häufig vor. Darunter fallen alle Situationen, in denen nicht die beweisbelastete Partei, aber ihr Gegner oder ein Dritter im Besitz der nötigen Beweismittel ist. Bis zu einem gewissen Grad kann eine Informationsasymmetrie durch Kooperationspflichten der Parteien und u.U. auch von Dritten ausgeglichen werden. Die bisherige Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass solche Kooperationspflichten nur auf einer abstrakten Ebene anerkannt sind. Konkrete Herausgabepflichten, insbesondere auf Anordnung des Gerichts, sind zwar nach dem gegenwärtigen Stand des Völkerprozessrechts durchaus nachweisbar,488 jedoch (noch) nicht hinreichend effektiv, um einer Informationsasymmetrie wirksam abzuhelfen. Neben der zwischenparteilichen Kooperationspflicht kann auch die amtwegige gerichtliche Intervention in den Tatsachenermittlungsprozess die Beweis487
EECC, Partial Award, Western Front, Aerial Bombardment and Related Claims, Eritrea’s Claims 1, 3, 5, 9-13, 14, 21, 25 & 26, Schiedsspruch vom 19. Dezember 2005, sep. op. van Houtte, Ziff. 6. 488
Kapitel 5 B.
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not der beweisbelasteten Partei mildern. Dass internationale Gerichte regelmäßig mit solchen Befugnissen ausgestattet sind, ist bereits nachgewiesen worden.489 Dennoch ergeben sich auch hier Probleme, da diese Befugnisse durch die Geltung des Verhandlungsgrundsatzes begrenzt sind und von den Gerichten in der Praxis bisher nur sehr zögerlich wahrgenommen und noch seltener durchgesetzt werden. Daher soll im Anschluss untersucht werden, ob die Informationsasymmetrie durch eine Veränderung der Beweislastverteilung oder Beweiserleichterungen zumindest teilweise ausgeglichen wird.
1. Pflichtigkeit der territorialen Souveränität (a) Der Corfu Channel-Fall Ein typischer Fall der asymmetrischen Verteilung von Informationen im Völkerprozessrecht liegt dann vor, wenn die streitrelevanten Vorgänge sich ganz oder teilweise auf dem Gebiet der nicht beweisbelasteten Streitpartei zugetragen haben. So argumentierte das Vereinigte Königreich im Corfu Channel-Fall, dass das Legen von Minen in der Meerenge zwischen dem albanischen Festland und der Insel Korfu nur mit dem Wissen Albaniens möglich gewesen sei, womit allein aus der tatsächlichen Kontrolle des fraglichen Gebiets die Zurechnung der zur Verletzung führenden Handlung (des Minenlegens) folge. Haftungsgrund im Corfu Channel-Fall war ein rechtswidriges Unterlassen, nämlich das der Verhinderung der Schädigung bzw. der Warnung vor vom Staatsgebiet ausgehenden drohenden Gefahren, nicht die Zurechnung des aktiven Tuns von Dritten.490 Voraussetzung hierfür war das Wissen der albanischen Regierung von diesen Gefahren. 489 490
Kapitel 4.
So richtig: Jones, BYIL 26 (1949), 447 (452); Lévy, RGDIP 65 (1961), 744 (754 f.); Rau, in: Menzel/Pierlings/Hoffmann (Hrsg.), Völkerrechtsprechung (2005), 756 (759); Herdegen, Völkerrecht, 4. Auflage (2005), 383 f. Die Situation stellte sich anders dar im sonst ähnlich gelagerten Oil Platforms-Fall, bei dem sich die Minenlegung in internationalen Gewässern vollzog, bezüglich derer Iran keine ausschließliche territoriale Kontrolle ausübte, siehe IGH, Oil Platforms Case (Merits), sep. op. Owada, ICJ Rep. 2003, 306 (322, Ziff. 51). So auch: Orakhelashvili, ICLQ 53 (2004), 753 (760), der jedoch die im Corfu Channel-Fall aufgestellten Beweisregeln für nicht verallgemeinerbar hält, und von Carlowitz, SZIER 15 (2005), 255 (270). Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (137) hält die Anwendung der Corfu Channel-Regel auch in der Situation des Oil Platform-Falles für möglich.
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Die ausschließliche territoriale Kontrolle Albaniens über die beweisrelevanten Vorgänge hatte dem IGH zufolge jedoch keine Auswirkungen auf die Beweislast: “This fact, by itself and apart from other circumstances, neither involves prima facie responsibility nor shifts the burden of proof.”491 Stattdessen seien Art und Weise der Beweisführung zu modifizieren, insbesondere in der Form von Beweiserleichterungen hinsichtlich des Nachweises des Wissens Albaniens um die Vorgänge in seinen Küstengewässern. Da unter diesen Umständen das Opfer eines völkerrechtlichen Delikts oft den direkten Beweis nicht führen könne, sei eine liberalere Zulassung des indirekten Beweises (Indizienbeweises) angezeigt („inferences of fact“ und „circumstantial evidence“).492 Der indirekte Beweis sei in allen Rechtsordnungen sowie in verschiedenen internationalen Entscheidungen anerkannt. Dieses Ergebnis kann man mit der prozessrechtlichen Nutzbarmachung des materiellrechtlichen Grundsatzes der Pflichtigkeit der territorialen Souveränität oder Gebietshoheit erklären.493 Nach diesem Grundsatz darf derjenige, der Souveränität über ein Gebiet ausübt, dieses nicht dazu nutzen oder wis491
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (18). Anders jedoch: IGH, Corfu Channel Case (Merits), sep. op. Alvarez, ICJ Rep. 1949, 39 (44), der für eine Umkehr der Beweislast plädiert: “[E]very State is considered as having known, or as having a duty to have known, of prejudicial acts committed in parts of its territory where local authorities are installed; that is not a presumption, nor is it a hypothesis, it is the consequence of its sovereignty. If the State alleges that it was unaware of these acts, particularly if they occurred in circumstances in which vigilance was unavailing – e.g., by the action of submarines, etc. – it must prove that this was the case, for otherwise its responsibility is involved.” Ebenso: Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen nach Völkerrecht (1997), 514; Murphy, AJIL 99 (2005), 62 (66, Fn. 34); Dolzer, in: Kunig u.a. (Hrsg.), Umweltschutz im Völkerrecht und im Kollisionsrecht (1992), 195 (216): Beweislastumkehr. Für eine Beweislastumkehr auch: Dobry, Transactions of the Grotius Society 44 (1958/1959), 63 (73); Chung, Legal Problems Involved in the Corfu Channel Incident (1959), 130 f. Unentschieden: Riddell, LJIL 20 (2007), 405 (415, 420 f.). 492
Diese Argumentation aufnehmend IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Lauterpacht, ICJ Rep. 1993, 407 (424, Ziff. 45). 493
So: Rosenne, The Law and Practice of the International Court 1920-2005, Bd. 3 (2006), 1044: “The need to admit circumstantial evidence derives from the rule of substantive law that a State on whose territory an act contrary to international law has occurred may be called upon to give an explanation.” Ebenso: Highet, AJIL 81 (1987), 1 (31); Rau, in: Menzel/Pierlings/Hoffmann (Hrsg.), Völkerrechtsprechung, Ausgewählte Entscheidungen zum Völkerrecht in Retrospektive (2005), 756 (759).
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sentlich nutzen lassen, anderen zu schaden. Die Pflichtigkeit der Souveränität ist immanente Schranke territorialer Herrschaftsausübung.494 Der im Corfu Channel-Fall aufgestellte Grundsatz lässt sich damit verallgemeinern auf alle diejenigen Schädigungen, die vom Staatsgebiet einer Streitparteien ausgehen, insbesondere auf den Bereich der zwischenstaatlichen Umweltschäden.495 Fraglich ist jedoch, ob diese Beweiserleichterung zu einer Senkung des Beweismaßes führt. Für eine solche Sichtweise spricht das Sondervotum Lauterpachts im Völkermord-Fall.496 Zweifel hieran sind jedoch schon deswegen angebracht, weil der IGH den Beweis des Wissens oder der Duldung des Minenlegens seitens Albaniens durch indirekte Beweise nur unter der Bedingung gelten lassen wollte, dass die so gezogenen Rückschlüsse keinen Raum für vernünftigen Zweifel ließen.497 Damit wird das zuvor ob der Schwere des Vorwurfs erhöhte Beweismaß498 bestätigt, wenn nicht gar noch hin zu einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit („beyond reasonable doubt“) verschärft.499 Jedoch wird eine Tatsachenfeststellung und damit Verurteilung eines Staates allein auf Grund von Indizienbeweisen ermöglicht, auch solcher von eher schwacher Beweiskraft, worin die entscheidende Beweiserleichterung liegt.500 Diese bildet somit den Ausgleich für das auch in den Fällen der Beweisnot geltende Interventionsverbot zur Beweissicherung.501
494 495
Odendahl, Die Umweltpflichtigkeit der Souveränität (1998), 362. Dazu unten IV.
496
Richter Lauterpacht folgert aus der Aussage des IGH im Corfu ChannelFall, dass bei ausschließlicher territorialer Kontrolle das Beweismaß lediglich „appropriate evidence“ sei: IGH, Genocide Case (Further Provisional Measures), sep. op. Lauterpacht, ICJ Rep. 1993, 407 (424, Ziff. 45 f.). 497
IGH, Corfu Channel Case (Merits), ICJ Rep. 1949, 4 (18): “The proof may be drawn from inferences of fact, provided that they leave no room for reasonable doubt.” (Hervorh. im Original). 498
Siehe oben Kapitel 8 B. III. 1. (b).
499
In diesem Sinne: Watts, in: Weiss (Hrsg.), Improving WTO Dispute Settlement Procedures (2000), 289 (294) und Orakhelashvili, ICLQ 53 (2004), 753 (760). Ähnlich auch: Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 399. 500
Siehe auch die Analyse bei Chung, Legal Problems Involved in the Corfu Channel Incident (1959), 129. Gegen diese Beweiserleichterung richtet sich: IGH, Corfu Channel Case (Merits), diss. op. Krylov, ICJ Rep. 1949, 68 (72): “One cannot condemn a State of the basis of probabilities. To establish interna-
694
Kapitel 9
Dennoch ist fraglich, ob dem in Beweisnot geratenen Staat durch diese Regel in concreto die Beweisführung tatsächlich erleichtert wird. Bei besonders schwerwiegenden Rechtsverletzungen erhöht sich – wie oben gezeigt – das Beweismaß, und die Anforderungen an das Beweismaterial sind besonders streng. Die Möglichkeit der Verurteilung allein aufgrund von Indizienbeweisen mag daher eine gewisse Beweiserleichterung darstellen. Ob diese Form der Beweiserleichterung allerdings ausreicht, um die Fälle der Beweisnot befriedigend zu regeln, ist zweifelhaft. Akzeptiert man keine weiter gehende Beweismaßsenkung oder gar – wie in der Literatur oft vorgeschlagen – eine Beweislastumkehr, so müssen die Kooperationspflichten der gegnerischen Partei konsequenter durchgesetzt oder die amtswegigen Ermittlungsbefugnisse des Gerichts ausgeschöpft werden.
(b) Fälle militärischer Besetzung Vergleichbar mit der Situation im Corfu Channel-Fall ist die militärische Besetzung eines Gebiets; hier geht es nicht um die Ausübung voller territorialer Souveränität, sondern von faktischer Kontrolle über das Territorium eines anderen Staates.502 Die Rechte und Pflichten der Besatzungsmacht sind in der Haager Landkriegsordnung sowie im ZP I geregelt. Danach hat die Besatzungsmacht vor allem für die Wohlfahrt der Einwohner des besetzten Gebietes zu sorgen.503 Die EECC hat in diesen Fällen nicht lediglich eine Beweismaßsenkung für angemessen gehalten, sondern eine Beweislastumkehr für die Zurechnung von Schädigungen an in einem besetzten Gebiet belegenen Gebäuden mit der Folge angenommen, dass Äthiopien als Besatzer beweisen musste, dass ihm Schädigungen nicht zurechenbar waren, die während der Besatzungszeit entstanden waren.504 Die Tatsache, dass die Schädigungen
tional responsibility, one must have clear and undisputable facts. In this case these facts are absent.” 501
Dazu: Shah, AJIL 53 (1959), 595 ff.
502
Bothe, EPIL III/2 (1997), 763. Siehe auch Art. 42 der II. Haager Konvention von 1899: “Territory is considered occupied when it is actually placed under the authority of the hostile army.” 503 504
Bothe, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 637 (669, Ziff. 82).
EECC, Partial Award, Central Front, Eritrea’s Claims 2, 4, 6, 7, 8 & 22 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 95; EECC, Partial
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695
während der Besatzungszeit und nicht in der Zeit zwischen dem Abzug Äthiopiens und der Wiederaufnahme der Verwaltung durch Eritrea stattgefunden hatten, leitete die EECC im Wege der tatsächlichen Vermutung daraus her, dass nicht ersichtlich sei, wie jemand nach Abzug die Mittel zur Sprengung großer Gebäude gehabt haben könnte.505
(c) Ausdehnung auf weitere Fälle? Fraglich ist, ob Gleiches dann gelten muss, wenn ein Territorium lediglich de facto von einem Staat kontrolliert wird, ohne zu seinem Staatsgebiet zu gehören oder von ihm militärisch besetzt zu sein. Dies trug Bosnien-Herzegowina im Völkermordfall vor dem IGH vor, weil Jugoslawien die „effektive Kontrolle“ über Bosnien ausgeübt habe.506 Grund für die Beweiserleichterung kann hier nicht die territoriale Pflichtigkeit sein, da keine Souveränität ausgeübt wird. Abgesehen davon ist zu bedenken, dass die die Beweisschwierigkeiten begründenden Umstände, nämlich die Unzugänglichkeit des Gebiets, auf dem die behaupteten Völkerrechtsverletzungen stattgefunden haben sollen, für die beweisbelastete Partei nicht in vollem Umfang gegeben waren und vor allem zur Zeit des Rechtsstreits auch nicht weiter fortbestanden. Der IGH hat eine solche Erleichterung in seinem Urteil nicht angesprochen und damit implizit abgelehnt.507
2. Weitere Fälle der Beweiserleichterungen bei Beweisnot der beweispflichtigen Partei (a) Spontane Editionspflicht bei Urkunden im Falle der Beweisnot Informationsasymmetrien treten unabhängig von territorialen Gegebenheiten auch dann auf, wenn sich Dokumente, auf die sich der Kläger beruft und die ihm günstig sind, im alleinigen Besitz des Beklagten be-
Award, Western Front, Aerial Bombardment and Related Claims, Eritrea’s Claims 1, 3, 5, 9-13, 14, 21, 25 & 26, Schiedsspruch vom 19. Dezember 2005, Ziff. 47. 505 EECC, Partial Award, Central Front, Eritrea’s Claims 2, 4, 6, 7, 8 & 22 (Eritrea v. Ethiopia), Schiedsspruch vom 28. April 2004, Ziff. 92. 506
IGH, Genocide Case (Merits), Reply of Bosnia and Herzegovina, 23. April 1998, Chapter 3, Ziff. 13. 507
Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (138).
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finden.508 Hier ist anzudenken, dass sich die allgemeine Mitwirkungsund Prozessförderungspflicht des Beklagten stets dahingehend konkretisiert, dass er verpflichtet ist, die relevanten Dokumente vorzulegen509 oder dass die Beweislast für diese Tatsache von vorneherein umgekehrt wird.510 Diese Ansicht findet sich bereits im Parker-Fall511 und in der Rechtsprechung anderer gemischter Schiedskommissionen,512 sowie des IUSCT.513 So resümiert Sandifer, dass “[t]he obligation of a party to produce evidence in its possession and not accessible to the opposing party is … generally recognized”.514 Jedoch ist bereits oben dargelegt worden,515 dass sich eine konkrete Herausgabepflicht erst dann ergibt, wenn das internationale Gericht die Vorlage amtswegig oder auf Antrag einer Partei anordnet. Im letzten Fall muss die beweisbelastete Partei vorher Versuche unternommen haben, die Informationen anderweitig als durch gerichtliche Anordnung zu erlangen. Kommt die Partei einer Anordnung des Gerichts nicht nach, kann dieses in der Beweiswürdigung negative Rückschlüsse ziehen. Eine allgemeine spontane Editionspflicht oder eine pauschale Be508 509
Waincymer, WTO Litigation (2002), 540 ff. So: Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (72); Kazazi, Burden of Proof (1996),
136. 510
So: Kamto, GYIL 49 (2006), 269 (286 f.).
511
American-Mexican General Claims Commission, William A. Parker (U.S.A.) v. United Mexican States, Entscheidung vom 31. März 1926, RIAA 4 (1951), 35 (39, Ziff. 6): “When the claimant has established a prima facie case and the respondent has offered no evidence in rebuttal, the latter may not insist that the former pile up evidence to establish its allegations beyond a reasonable doubt without pointing out some reason for doubting.” Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 330 bemerkt richtig, dass es sich hier um eine Frage des Beweismaßes (quantum of proof) und nicht um eine Frage der Beweislast handelt. 512
Tribunal arbitral turco-grec, Banque d’Orient c. Gouvernement turc, Schiedsspruch vom 9. Februar 1928, in: Recueil des décisions des Tribunaux arbitraux mixtes institués par les Traités de paix, Bd. 7 (1928), 967 (973), das bereits bei besonderen Beweisschwierigkeiten eine Beweislastumkehr annimmt. 513
Brower, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding Before International Tribunals (1992), 147 (151). 514
Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 153, der jedoch betont, dass sich dies aus der Rechtsprechung des IGH und auch aus Art. 49 S. 2 IGH-Statut nicht ergibt (S. 150). 515
Kapitel 5 B. II.
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weislastumkehr sind daher nicht anzunehmen. Ein System abgestufter (sekundärer) Darlegungslasten verbunden mit einer Geständnisfiktion, wie sie sich im deutschen Recht – auch in Reaktion auf fehlende prozessuale Herausgabeansprüche der in Beweisnot befindlichen Partei – herausgebildet hat (§ 138 Abs. 4 ZPO), ist im Völkerprozessrecht bisher nicht entwickelt worden. Zwar ist seit dem Urteil des IGH im Corfu Channel-Fall anerkannt, dass einen Staat bezüglich solcher Vorgänge eine Erklärungspflicht trifft, die sich vollumfänglich auf seinem Territorium zugetragen haben. Jedoch hat der IGH der Beweisnot lediglich durch die Zulassung des Indizienbeweises abgeholfen. Im praktischen Ergebnis sind die Unterschiede freilich gering, da eine in Beweisnot befindliche Partei stets die Anordnung der Herausgabe vor Gericht verlangen kann. Eine echte Umkehr der objektiven Beweislast besteht jedoch in diesen Fällen nicht.516 Erst wenn die gegnerische Partei die in ihrem Besitz befindlichen Urkunden auf Anordnung des Gerichts nicht herausgibt, aber auch keine Beweise zur Widerlegung der vom Kläger aufgestellten These vorlegt, wird vermutet, dass der Inhalt der im alleinigen Besitz der Partei befindlichen Beweismittel ihr ungünstig sei.
(b) „Probatio diabolica“ und „prima facie evidence“ Die Beweislastverteilung betrifft auch die sogenannte probatio diabolica-Regel. Nach dieser für das Völkerprozessrecht vor allem in gemischten Streitigkeiten und insbesondere im Fallrecht von Reparationskommissionen und -tribunalen entwickelten Regel kann der beweisbelasteten Partei nicht zugemutet werden, nicht mehr existierende oder für sie nicht einsehbare Dokumente zu beschaffen.517 Grundgedanke der Regel ist, dass es ungerecht wäre, auf der Beweislast des Klägers zu bestehen, falls ihm der Beweis unmöglich oder unverhältnismäßig erschwert ist, insbesondere dann, wenn es gleichzeitig leicht für den Gegner ist, die Umstände nachzuweisen, die zu seiner Entlastung führen. Dabei kann sich die Beweisnot der beweisbelasteten Partei aus verschiedenen Gründen ergeben, z.B. in Fällen, in denen die eigentlich entscheidenden
516 517
Kazazi, Burden of Proof (1996), 149.
Das, in: International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes (2004), 193 (205).
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Beweismittel in der Hand des Beklagten liegen,518 aber auch bei objektiv gegebenen519 und sogar bei in der Sphäre des Klägers liegenden Schwierigkeiten.520 In diesen Fällen befürworten Rechtsprechung und Literatur oft eine echte Umkehr der Beweislast zugunsten des Klägers.521 Abweichend davon wollen andere eine Beweiserleichterung durch eine Senkung des Beweismaßes erreichen. Entsprechend formulierte ein ICSID-Schiedsgericht: “Rule (M)- Finally, ‘In cases where proof of a fact presents extreme difficulty, a tribunal may thus be satisfied with less conclusive proof, i.e., prima facie evidence’.”522 Fraglich ist, ob diese Grundsätze auf zwischenstaatliche Streitigkeiten ohne Weiteres übertragbar sind. Hiervon gehen viele Literaturstimmen aus und befürworten zwar nicht eine Beweislastumkehr, aber die Zulas518
IUSCT, Raygo Wagner Equipment Company v. Star Line Iran Company (Case No. 17), Schiedsspruch vom 15. Dezember 1982, IUSCTR 1 (1981-82), 411 (413) (Frage der Kontrolle einer Gesellschaft durch die iranische Regierung). Plehn case, zitiert in: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 172. 519 British-Mexican Claims Commission, Robert John Lynch (Great Britain) v. United Mexican States, Decision No. 1 vom 8. November 1929, RIAA 5 (1952), 17 (18) in Bezug auf den Beweis der Staatsangehörigkeit: “[I]t would be impossible for any international commission to obtain evidence of nationality amounting to certitude unless a man’s life outside the State to which he belongs is to be traced from day to day. Such conclusive proof is impossible and would be nothing less than probatio diabolica. All that an international commission can reasonably require in the way of proof of nationality is prima facie evidence sufficient to satisfy the Commissioners and to raise a presumption of nationality, leaving it open to the respondent State to rebut the presumption … .” 520
IUSCT, Flexi-Van Leasing, Inc. v. The Islamic Republic of Iran (Case No. 36), Beschluss (Order) vom 15. Dezember 1982, IUSCTR 1 (1981-82), 455 (457) (kein voller Nachweis der US-amerikanischen Staatsangehörigkeit aller Aktionäre der Klägergesellschaft nötig). 521
Das, in: International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes (2004), 193 (207); Tribunal arbitral turco-grec, Banque d’Orient c. Gouvernement turc, Schiedsspruch vom 9. Februar 1928, in: Recueil des décisions des Tribunaux arbitraux mixtes institués par les Traités de paix, Bd. 7 (1928), 967 (973), «Dans une pareille situation, … le fardeau de la preuve tombe sur l’adversaire de celui qui au début en avait la charge.» 522
ICSID, Asian Agricultural Products Ltd. (AAPL) v. Republic of Sri Lanka, Case No. ARB/87/3, Final Award, Schiedsspruch vom 27. Juni 1990, ICSID Review 6 (1991), 526 (549 f., Ziff. 56).
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sung von prima facie evidence,523 also eines abgesenkten Beweismaßes, in allen Fällen, in denen eine (auch staatliche) Partei den Beweis wegen Informationsasymmetrie nur schwer führen kann und in denen die gegnerische Partei trotz leichteren Zugangs zum Beweismaterial dieses nicht vorlegt.524 Trotz des berechtigten Anliegens dieser Ansicht, der Beweisnot eines Staates abzuhelfen, ist eine Verallgemeinerung dieser Regel nicht unproblematisch. Viele der gerichtlichen Entscheidungen, die zu ihrer Stützung angeführt werden, sind im Kontext einer Nachkriegssituation getroffen worden, in der die Beweislage für den Kläger als nicht im beklagten Staat residierender natürlicher Person besondere Schwierigkeiten mit sich brachte.525 Auch sind sie im Zusammenhang mit dem Zweck dieser Mechanismen zu sehen, einen gerechten Augleich der persönlichen Schäden von Privatpersonen zu gewährleisten. Eine Übertragung auf den zwischenstaatlichen Prozess ist auch angesichts der Entscheidung des IGH im Corfu Channel-Fall nicht ohne Weiteres möglich. Bestätigung findet dieses Ergebnis auch in der Rechtsprechung der UNCC, die das in Art. 35 Abs. 1, 3 UNCC-VerfO festgelegte Beweismaß für Anträge der Kategorien D (Klagen von Einzelpersonen mit einem Wert von mehr als 100.000 USD), E (Anträge von Unternehmen) und F (Anträge von Staaten sowie internationalen Organisationen) trotz der auch hier bestehenden Beweisschwierigkeiten als der überwiegenden Wahrscheinlichkeit entsprechend angesehen hat.526 In weniger 523
Beim prima facie case geht es hingegen gerade nicht um Beweiserleichterungen: DSB, EC – Sardines (AB), Ziff. 281. Siehe dazu Kapitel 8 B. III. 4. (b). Anders: Göttsche, Die Anwendung von Rechtsprinzipien in der Spruchpraxis der WTO-Rechtsmittelinstanz (2005), 347. 524
Etwa: Sandifer, Evidence Before International Tribunals (1975), 173; Bin Cheng, General Principles of Law as applied by International Courts and Tribunals (1953), 323, der den Standard des prima facie evidence als „less conclusive proof“ charakterisiert; Santulli, Droit du contentieux international (2005), Rn. 882; Salmon, RdC 175 (1982 II), 257 (312). 525
So auch: Das, in: International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes (2004), 193 (210). Siehe nur die von Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 246 ff. aufgeführte Rechtsprechung. 526
UNCC, Report and Recommendations made by the Panel of Commissioners Concerning Part One of the First Instalment of Individual Claims for Damages above US$ 100,000 (Category “D” Claims), S/AC.26/1998/1, 3. Februar 1998, Ziff. 72. Siehe dazu: Wühler, JIEL 2 (1999), 249 (267).
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bedeutenden Fällen genügte hingegen ein „vernünftiges Minimum“ an Beweisen.527 Daher scheint es vorzugswürdig, im zwischenstaatlichen Prozess keine generelle Beweismaßsenkung anzunehmen, sondern den Weg über Vorlageanordnungen (discovery) des Gerichts auf Antrag der in Beweisnot befindlichen Partei zu wählen. Bei der Weigerung der Vorlage kann das Gericht diese in seine Beweiswürdigung einbeziehen.528 Dennoch ist festzustellen, dass das internationale Prozessrecht in diesem Bereich noch keine eindeutigen Regeln herausgebildet hat.
3. Beweisvereitelung Bei der Beweisvereitelung geht es um die Frage, wie das Beweisrecht einer vom Gegner schuldhaft herbeigeführten Beweisnot der beweispflichtigen Partei begegnet. Voraussetzung für eine Beweislastumkehr wäre hier die Pflicht einer Partei, Beeinträchtigung von Beweismitteln zu unterlassen.529 Dieser aus den nationalen Rechtsordnungen bekannte Gedanke lässt sich auf das internationale Prozessrecht übertragen.530 Eine solche Pflicht zur Beweiskonservierung kann sich insbesondere auch aus Beweissicherungsanordnungen des internationalen Gerichts im Wege der vorsorglichen Maßnahmen (z.B. Art. 41 IGH-Statut) ergeben.531 Des Weiteren kann sie aus völkerrechtlichem Vertrag oder dem Grundsatz von Treu und Glauben folgen. Fälle, in denen eine sol527 UNCC, Report and Recommendations made by the Panel of Commissioners Concerning the First Instalment of Individual Claims for Damages up to US$ 100,000 (Category “C” Claims), S/AC.26/1994/3, 21. Dezember 1994, Ziff. 22 f. 528 529
Dazu siehe Kapitel 6 A. II. Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht (1983), 293.
530
Das, in: International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes (2004), 193 (208). 531
Zu Beweissicherungsanordnungen siehe: IGH, Case Concerning the Frontier Dispute (Burkina Faso v. Mali), Requests for the Indication of Provisional Measures, Beschluss (Order) vom 10. Januar 1986, ICJ Rep. 1986, 3 (9, Ziff. 20; 12, Ziff. 32); IGH, Case Concerning the Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria), Request for the Indication of Provisional Measures, Beschluss (Order) vom 15. März 1996, ICJ Rep. 1996, 13 (12, Ziff. 41; 25, Ziff. 49). Kritisch hierzu die sep. op. Ajibola, ICJ Rep. 1996, 35 (54 f.). Siehe auch: Zimmermann/Tomuschat/Oellers-Frahm/OellersFrahm, Art. 41, Rn. 21.
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che Beweisvereitelung relevant geworden ist, sind allerdings bisher nicht bekannt.
4. Besonderheiten im Menschenrechtsschutz (a) Fälle des Verschwindenlassens Eine Beweiserleichterung, aber eben keine echte Beweislastumkehr, ließ der IAGMR in der Velasquez Rodriguez-Entscheidung für Fälle des Verschwindenlassens zu. Auch hier sind die Beweismittel typischerweise asymmetrisch verteilt, da “this type of repression is characterized by an attempt to suppress any information about the kidnapping or the whereabouts and fate of the victim”.532 Die Beweisnot des Individuums muss daher ausgeglichen werden.533 Dies wird durch eine Verschiebung des Beweisthemas erreicht.534 Der Kläger muss nicht die Verantwortlichkeit des Staates für das konkrete Verschwindenlassen nachweisen, sondern zunächst nur zeigen, dass (a) der Staat eine offizielle Praxis des Verschwindenlassens anwendet oder zumindest duldet und (b) dass eine Verbindung zwischen dem konkreten Fall und dieser Praxis besteht.535 Letztendlich handelt es sich hierbei um einen Anscheinsbeweis. Gleichzeitig wird der indirekte Beweis (circumstantial evidence) für die Beweisführung zugelassen.536 Außerdem trifft den Staat eine Dokumentationspflicht bei der menschenrechtsrelevanten Durchführung seiner Aufgaben. So führte der IAGMR in einem Fall, in dem mehrere Insassen eines Gefängnisses während eines Gefangenenaufstandes verschwunden waren, aus, dass
532
IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras, Urteil vom 29. Juli 1988, Ser. C No. 4, 135 (Ziff. 131). 533
Kokott, Beweislastverteilung und Prognoseentscheidungen bei der Inanspruchnahme von Grund- und Menschenrechten (1993), 398. 534
Bovino, International Journal on Human Rights 2 (2005), 57 (69 f.).
535
IAGMR, Velásquez Rodríguez v. Honduras, Urteil vom 29. Juli 1988, Ser. C No. 4, 134 (Ziff. 125); IAGMR, Godinez Cruz v. Honduras, Urteil vom 20. Januar 1989, Ser. C No. 5, 129 f. (Ziff. 130 ff.); IAGMR, Bámaca Velásquez v. Guatemala, Urteil vom 25. November 2000, Ser. C No. 70, 290 (Ziff. 130); Jo M. Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights (2003), 211. 536 IAGMR, Godínez Cruz v. Honduras, Urteil vom 20. Januar 1989, Ser. C No. 5, 131 (Ziff. 136).
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die Regierung bei Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht relevante Informationen hätte vorlegen können: “The Court feels that it is not up to the Inter-American Commission to determine the whereabouts of the three persons to whom these proceedings refer, but instead, because of the circumstances at the time, the prisons and then the investigations were under the exclusive control of the Government, the burden of proof therefore corresponds to the defendant State. This evidence was or should have been at the disposal of the Government had it acted with the diligence required.”537
(b) Beweislastumkehr bei Verletzungen von Art. 3 EMRK bzw. Art. 5 AMRK In Art. 3 EMRK betreffenden Fällen von klar dokumentierten, während der Haft entstandenen körperlichen Verletzungen tritt eine Beweiserleichterung zugunsten des Beschwerdeführers ein. Wenn dieser einen plausiblen, die Konventionsverletzung tragenden Sachverhalt schildert, muss der betroffene Staat beweisen, dass die Verletzungen nicht aufgrund von Fremdeinwirkung durch Haftpersonal entstanden sind.538 Gleiches gilt für Verfahren über Verletzungen des Art. 5 AMRK vor dem IAGMR.539 Diese Beweiserleichterung ist jedoch zunächst auf
537
IAGMR, Neira Alegria et al. v. Peru, Urteil vom 19. Januar 1995, Ser. C No. 20, 65 (Ziff. 65). 538
Rudolf, EuGRZ 1996, 497 (500); Shelton, Duke JCIL 13 (2003), 95 (138); Krüger, in: FS-Nørgaard (1988), 249 (251). Siehe jüngst: EGMR, Aşan v. Turkey (Application no. 56003/00), Urteil vom 31. Juli 2007, abrufbar unter <www.echr.coe.int/ECHR>, Ziff. 68 f.: “The Court reiterates that where an individual is taken into custody in good health but is found to be injured by the time of release, it is incumbent on the State to provide a plausible explanation of how those injuries were caused and to produce evidence casting doubt on the victim’s allegations, particularly if those allegations were corroborated by medical reports, failing which a clear issue arises under Article 3 of the Convention … . Where the events in issue lie wholly, or in large part, within the exclusive knowledge of the authorities, as in the case of persons within their control in custody, strong presumptions of fact will arise in respect of injuries occurring during detention. Indeed, the burden of proof may be regarded as resting on the authorities to provide a satisfactory and convincing explanation.” 539
IAGMR, Villagrán Morales et al. v. Guatemala (The “Street Children” Case), Merits, Urteil vom 19. November 1999, Ser. C, No. 63, 176 (Ziff. 170);
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die Fälle der während der Haft entstandenen Verletzungen beschränkt.540 Es handelt sich hierbei um eine dem Anscheinsbeweis im nationalen Recht vergleichbare Erleichterung für die in Beweisnot befindliche Partei.541
(c) Diskriminierungsfälle Eine Untersuchungs- und Dokumentationspflicht des Staates, deren Verletzung in einer Beweislastumkehr resultiert, hat eine Kammer des EGMR auch im Hinblick auf eine Verletzung des Art. 14 i.V.m. Art. 2 EMRK etabliert.542 Diese Umkehr soll dann eintreten, wenn die Behörden klaren Anzeichen für ein rassistisches Motiv einer Tat nicht nachgegangen sind. Die Große Kammer revidierte dies jedoch, da der Beweis des Fehlens einer subjektiven Einstellung, nämlich des rassistischen Motivs bei einer Gewalttat, schwerer zu führen sei als der Beweis im Arbeitsrecht oder der Dienstleistungserbringung, wo oftmals die diskriminierende Wirkung als solche als Beweis ausreiche.543 Stattdessen wertete die Große Kammer die Verletzung der Ermittlungspflicht als eigenständigen Verstoß gegen sich aus Art. 2 i.V.m. 14 EMRK ergebende Ermittlungsverpflichtungen. Allerdings schloss sie nicht aus, dass es in gewissen Fallkonstellationen doch zu einer Beweislastumkehr kommen könnte, freilich ohne diese zu spezifizieren.
5. Ergebnis Informationsasymmetrien kommen im zwischenstaatlichen Prozess recht häufig vor. Die Beweisnot einer Partei führt jedoch nicht zur
Pasqualucci, The Practice and Procedure of the Inter-American Court of Human Rights (2003), 210. 540
Kokott, The Burden of Proof in Comparative and International Human Rights Law (1998), 198. 541
Rudolf, EuGRZ 1996, 497 (500).
542
EGMR, Nachova and others v. Bulgaria (Application nos. 43577/98 and 43579/98), Urteil vom 26. Februar 2004, abrufbar unter <www.echr.coe.int/ ECHR>, Ziff. 155-175, insb. 171. 543
EGMR (Große Kammer), Nachova and others v. Bulgaria (Application nos. 43577/98 and 43579/98), Urteil vom 6. Juli 2005, abrufbar unter <www.echr.coe.int/ECHR>, Ziff. 157.
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Umkehr der objektiven Beweislast.544 Vielmehr haben internationale Gerichte in nicht immer konsistenter Weise versucht, die Beweisnot durch andere Beweiserleichterungen zu beheben, so etwa durch eine verstärkte Zulassung des Indizienbeweises. Eine gänzlich überzeugende Lösung ist bisher noch nicht gefunden worden. Insbesondere ist das Zusammenspiel von Beweislastsenkung, Kooperationspflicht der gegnerischen Partei und amtswegiger Tätigkeit des Gerichts noch nicht hinreichend austariert. Auch in zwischenstaatlichen Streitigkeiten stehen den Gerichten jedoch Instrumente zur Verfügung, um Beweisasymmetrien auszugleichen. Es ist ein Postulat des fairen Verfahrens, dass sie dieses Instrumentarium auch effektiv anwenden.
IV. Beweislastumkehr und Beweiserleichterungen im Umweltvölkerrecht In umweltvölkerrechtlichen Prozessen stellen sich besonders häufig Beweisschwierigkeiten. Dabei unterscheiden sich die Beweisregeln bei der Haftung für bereits eingetretene Schädigungen (dazu 1.) von solchen Fällen, in denen es um die Verhinderung noch drohender Schäden geht (dazu 2.).
1. Beweiserleichterungen bei bereits eingetretenen Umweltschäden Nach allgemeinen Grundsätzen muss der Kläger nicht nur den Schaden einschließlich seiner Höhe, sondern auch die Kausalität der Verlet-
544
Siehe etwa: IGH, Oil Platforms Case (Merits), sep. op. Owada, ICJ Rep. 2003, 306 (321, Ziff. 46): “Nevertheless, there is no denying the fact that there undoubtedly exists an asymmetry in the situation surrounding this case as described above, in terms of producing evidence for discharging the burden of proof, between the position of the Applicant in its claim against the Respondent and the position of the Respondent in its defence against the Applicant. I am prepared to accept that this asymmetry is inherent in the circumstances of the present case and that there is little the Court can do under the circumstances. It is primarily the task incumbent upon the party which claims certain facts as the basis of its contention to establish them by producing sufficient evidence in accordance with the principle actori incumbit onus probandi.” So scheinbar aber: Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (136).
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705
zungshandlung für den Schaden nachweisen.545 Gerade bei Verletzungen des Umweltvölkerrechts ist ein Nachweis der Kausalität der Verletzungshandlungen des Schädigers für den entstandenen Schaden jedoch schwierig, weil regelmäßig unterschiedliche Ursachen für Umweltschäden in Betracht kommen.546 Trotz dieser Schwierigkeiten urteilte das Schiedsgericht im Trail Smelter-Fall, dass zum Nachweis der Schädigung und der haftungsbegründenden Kausalität „clear and convincing evidence“ von Nöten sei.547 Eine Beweislastumkehr wurde nicht gewährt, obwohl die Beweisbeschaffung alles andere als problemlos war.548 Immerhin nahm das Gericht aber eine gewisse Beweiserleichterung hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität vor, indem es eine „just and reasonable inference“ als zum Beweis ausreichend erachtete.549 Auch im Rahmen der Arbeit der UNCC tauchten Beweisprobleme insbesondere im Hinblick auf die Kompensation von Umwelt- und Gesundheitsschäden auf. So wurden im Kommissionsbericht über die sogenannten „F4“-Anträge zahlreiche Anträge aus Beweislastgründen abgelehnt. Als besonders problematisch erwies sich dabei der Nachweis der Kausalität der im Zuge der Invasion und Besetzung Kuwaits vorgenommenen Handlungen Iraks (wie z.B. der Inbrandsetzung von Ölquellen) für Umweltschäden sowie des Eintritts von Schäden an Umwelt, Kulturerbe oder Gesundheit. So stellte die Kommission in Bezug auf die Schwärzung der Oberfläche an Kulturdenkmälern fest, dass die Verbindung zwischen der Oberflächenveränderung und den brennenden Ölquellen nicht nachgewiesen wurde. Insbesondere konnte nicht ausgeschlossen werden, dass lokale Verschmutzungsquellen wie Motoremissionen, regionale Ölraffinerien und andere menschliche Einwir-
545
Zehetner, in: FS-Verdross (1980), 701 (710); Sachariew, ZaöRV 51 (1991), 895 (914). 546
Xue, Transboundary Damage in International Law (2003), 178.
547
Trail Smelter Case (US v. Canada), Schiedsspruch vom 11. März 1941, RIAA 3 (1949), 1938 (1965). Siehe dazu oben Kapitel 8 B. III. 6. 548
Trail Smelter Case (US v. Canada), Schiedsspruch vom 15. April 1935, RIAA 3 (1949), 1911 (1921 f.) und Xue, Transboundary Damage in International Law (2003), 179. 549 Trail Smelter Case (US v. Canada), Schiedsspruch vom 15. April 1935, RIAA 3 (1949), 1911 (1920).
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kungen die Schädigungen mitverursacht hatten.550 Auch hier lehnte die Kommission dementsprechend eine Beweislastumkehr ab. In der Rechtsprechung internationaler Gerichte hat sich also bisher keine deutliche Beweismaßerleichterung für den Nachweis der Kausalität für Umweltschäden durchsetzen können.551 Allenfalls ist eine gewisse Erleichterung darin zu sehen, dass der Indizienbeweis stets zulässig ist. Dennoch befürworten viele Stimmen in der Literatur darüber hinaus eine weitere Beweismaßerleichterung.
2. Beweislastregelungen bei drohenden Schäden Nach traditionellem Völkerrecht sind Staaten dazu verpflichtet, keine signifikanten grenzüberschreitenden Umweltschäden zu verursachen bzw. Kompensation für entstandene Schäden zu leisten. Die ex post facto vorgenommene Kompensation kann jedoch die Schädigung und Gefährdung der Umwelt nur unzureichend ausgleichen. Damit rückt die Vorbeugung von potenziellen Schädigungen ins Zentrum der rechtlichen Diskussion. Dabei ist zwischen dem völkerrechtlichen Präventions- und dem Vorsorgeprinzip zu unterscheiden.
(a) Präventionsprinzip Nach dem Präventionsprinzip sind solche Aktivitäten zu unterlassen, die schädigende Auswirkungen im Gebiet anderer Staaten zeitigen. Einen solchen Unterlassungsanspruch kann ein Staat auch gerichtlich im Wege der Unterlassungsklage durchsetzen. Bereits im Trail SmelterFall552 wurde aber deutlich, dass hierzu der Nachweis erbracht werden muss, dass die befürchtete Schädigung auch tatsächlich eintreten werde. Die Beweislast liegt bei dem Staat, der die Aktivität zu unterbinden sucht; nicht etwa muss der (potenzielle) Schädigerstaat die Unschäd550 UNCC, Governing Council, Report and Recommendations made by the Panel of Commissioners concerning the fifth instalment of “F4” claims, S/AC.26/2005/10, 30. Juni 2005, Ziff. 204-206. 551
Bei durch Klimaveränderung verursachten Schäden soll allerdings ein geringeres Beweismaß den Nachweis der Kausalität erleichtern: Verheyen, Climate Change Damage and International Law: Prevention Duties and State Responsibility (2005), 260 ff. 552 Trail Smelter Case (US v. Canada), Schiedsspruch vom 11. März 1941, RIAA 3 (1949), 1938 (1965).
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lichkeit seines Tuns darlegen und beweisen. Die drohende Schädigung muss über einer Erheblichkeitsschwelle liegen und mit nahezu an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten.553 Das Beweismaß ist demnach sehr hoch und wird in den meisten Fällen nicht zu erfüllen sein. Genau an dieser Stelle setzt das Vorsorgeprinzip an, indem es auch diejenigen Situationen erfassen will, in denen der tatsächliche Eintritt einer solchen Schädigung jedenfalls bei drohenden schwerwiegenden Schäden nicht mit Sicherheit nachweisbar ist, sondern lediglich ein Risiko hierfür besteht.
(b) Das Vorsorgeprinzip als Völkergewohnheitsrecht Während einige nationale Rechtsordnungen554 sowie das europäische Umweltrecht auf dem Vorsorgegedanken als geltendem Recht beruhen,555 ist die Diskussion um den normativen Status des Vorsorgeprinzips im Völkerrecht noch nicht abgeschlossen. Bereits über die erste internationale Erwähnung des Prinzips besteht in der Literatur Uneinigkeit. So werden einerseits die Weltnaturcharta der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1982,556 andererseits die Ministererklärung der
553 Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts (1998), 91, 112 f.; Wolfrum, in: Beurier/Kiss/Mahmoudi (Hrsg.), New Technologies and Law of the Marine Environment (2000), 203 (206); Loibl, in: Neuhold/Hummer/Schreuer (Hrsg.), Österreichisches Handbuch des Völkerrechts (2004), 444 (452); Freestone/Makuch, YIEL 7 (1996), 3 (13): “The preventive principle is concerned with the prevention of harm and risks that are known and have been scientifically proven.”; Freestone, in: Churchill/Freestone (Hrsg.), International Law and Global Climate Change (1991), 21 (31); Primosch, ÖZöR 51 (1996), 227 (232); Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 387 (464, Rn. 116). Zu eng: Ipsen/Heintschel von Heinegg, Völkerrecht (2004), 973 (1052), der jedoch richtig darauf hinweist, dass das Verbot erheblicher transnationaler Umweltschädigungen repressiven (oder ex post) Charakter hat, während das Präventionsprinzip eine Situationsbeurteilung ex ante erforderlich macht. Dazu auch: Kloepfer, Umweltrecht (2004), § 9, Rn. 29. Zur Ausdehnung des Präventionsprinzips auf das eigene Hoheitsgebiet siehe Sands, Principles of International Environmental Law (2003), 246 f. 554 Wolfrum, in: Beurier/Kiss/Mahmoudi (Hrsg.), New Technologies and Law of the Marine Environment (2000), 203 (204). 555 556
Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 387 (463, Rn. 116).
Werner, UPR 2001, 335 (338); de Sadeleer, Les principes du pollueurpayeur, de prévention et de précaution (1999), 138.
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zweiten Konferenz zum Schutz der Nordsee im November 1987557 oder der sogenannte Brundtland-Report558 genannt. Das Vorsorgeprinzip umfasst die zwei Bereiche der Risikovorsorge – seinem klassischen Anwendungsbereich – und der Ressourcenvorsorge.559 Gerade der letzte Aspekt ist eng mit dem Gedanken der nachhaltigen Entwicklung und Nutzung verbunden.560 Beweisrechtlich relevant wird das Prinzip jedoch in seiner Risikovorsorgevariante. Hier beruht es auf der Einsicht, dass Umweltschädigungen oft nur schwer oder nur mit hohem Aufwand ex post facto zu beheben oder im schlimmsten Falle gar irreversibel sind. Wiedergutmachung und Schadensersatz als Rechtsfolge eines repressiven und notwendig reaktiven Rechtsschutzgedankens greifen hier zu kurz.561 Der Ansatz zur rechtlichen Steuerung muss aus dieser Sicht ein präventiver sein, ist jedoch mit einer Schwierigkeit behaftet: der wissenschaftlichen Ungewissheit über Ursache und Wirkung in komplexen ökologischen Systemen, die genaue Voraussagen schwierig bis unmöglich macht. Ein wirksamer präventiver Schutz der Umwelt muss mit dieser inhärenten Unsicherheit operieren. Das bereits dargestellte Präventionsprinzip ist daher kaum ausreichend.
(aa) Anwendungsbereich Prinzip 15 der Rio-Deklaration wird weithin als klassische Formulierung des Vorsorgeprinzips anerkannt,562 obgleich es selbst dem soft law zuzuordnen ist.563 Es lautet: 557
Second International Conference on the Protection of the North Sea: Ministerial Declaration Calling for Reduction of Pollution, 25. November 1987, ILM 27 (1988), 835 ff. 558
Brundtland (Hrsg.), Our Common Future (1987).
559
Kloepfer, Umweltrecht (2004), § 4, Rn. 13 f.; Böckenförde, Grüne Gentechnik und Welthandel (2004), 181, Fn. 530. 560 Lucchini, AFDI 45 (1999), 710 (714): «La précaution apparaît ainsi faite de l’ensemble de moyens concrets à mettre en œuvre au service [des fins du développement durable].»; Böckenförde, Grüne Gentechnik und Welthandel (2004), 181 (Fn. 530). 561 562
Kloepfer, Umweltrecht (2004), § 9, Rn. 47.
Kiss/Shelton, International Environmental Law (2004), 206; Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts (1998), 125; Kiss, in: Freestone/Hey (Hrsg.), The Precautionary Principle and International Law: The Challenge of Implementation (1996), 19 (27).
Beweislast
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„Zum Schutz der Umwelt wenden die Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten weitgehend den Vorsorgegrundsatz an. Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben.“564 Nach dieser Formulierung setzt das Prinzip zwei Tatbestandsmerkmale voraus: (1) eine potenzielle Gefährdung, d.h. das Drohen eines Schadens und (2) das Fehlen völliger wissenschaftlicher Gewissheit über den Kausalzusammenhang zwischen einem Verhalten und der Gefährdung oder Schädigung.565 Daran schließen sich zwei Fragen an: (a) wie erheblich der drohende Schaden sein muss und (b) mit welcher Wahrscheinlichkeit er eintreten muss.566 In Bezug auf ersteres begrenzt die Formulierung der Rio-Deklaration den Anwendungsbereich auf schwerwiegende oder irreversible Schäden („serious or irreversible damage“) und stellt damit ein vergleichsweise strenges Kriterium auf. Ebenso suggeriert die Formulierung „Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit“ ein eher hohes Maß an Wahrscheinlichkeit für den Schadenseintritt. Daneben betont sie, dass Staaten nur im Rahmen ihrer Möglichkeiten („according to their capabilities“) verpflichtet sind. Diese Einschränkungen sind jedoch nicht allen Definitionen des Prinzips in anderen Verträgen gemein und daher nicht notwendigerweise Teil eines möglichen völkergewohnheitsrechtlichen Kerns des Prinzips.567 So lassen Art. 10 Abs. 6 und Art. 11 Abs. 8 des Cartagena-Protokolls über die biologische Sicherheit bereits „mögliche nachteilige Auswirkungen“ („potential adverse effects“) ausreichen.568 In der OSPAR-Konvention schließlich ist die Schwere des Schadens für die menschliche Gesund563
Böckenförde, Grüne Gentechnik und Welthandel (2004), 183.
564
Die englische Originalfassung lautet: “In order to protect the environment, the precautionary approach shall be widely applied by States according to their capabilities. Where there are threats of serious or irreversible damage, lack of full scientific certainty shall not be used as a reason for postponing costeffective measures to prevent environmental degradation.” 565 566
Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts (1998), 111. Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 387 (463 f., Rn. 116).
567
Wolfrum, in: Beurier/Kiss/Mahmoudi (Hrsg.), New Technologies and Law of the Marine Environment (2000), 203 (205). 568
Zu den Unterschieden zwischen Prinzip 15 und dem CartagenaProtokoll: Böckenförde, Grüne Gentechnik und Welthandel (2004), 184, 188.
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heit, lebende Ressource und für das marine Ökosystem als Schwellenkriterium für das Eingreifen des Vorsorgegrundsatzes nicht weiter spezifiziert. Festgehalten werden kann jedoch, dass der Anwendungsbereich jedenfalls dann eröffnet ist, wenn irreversible Schäden drohen.569 Aus Effektivitätsgesichtspunkten muss eine überwiegend wahrscheinliche Schädigung ausreichen.570 Vorgeschlagen wird auch eine flexible Skala, die sich an der Schwere der drohenden Umweltschäden orientiert: Danach soll das Vorsorgeprinzip bereits bei geringer Wahrscheinlichkeit der Schädigung zur Anwendung kommen, wenn es sich um schwerwiegende oder bleibende Schäden handelt, während es bei weniger gravierender Schadensbedrohung einer höheren Wahrscheinlichkeit bedürfen soll.571 Gemein ist allen Definitionen, dass der Anwendungsbereich dort beginnt, wo deutliche Anzeichen dafür bestehen, dass sich eine Maßnahme umweltschädigend auswirken kann.572 Der entscheidende Unterschied zum Präventionsprinzip ist also die Ungewissheit des Schadenseintritts.573
569
Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 387 (463 f., Rn. 116, Fn. 397). 570
Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts (1998), 117.
571
Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 387 (463 f., Rn. 116, Fn. 399); Freestone, in: Churchill/Freestone (Hrsg.), International Law and Global Climate Change (1991), 21 (33). 572
Wolfrum, in: Beurier/Kiss/Mahmoudi (Hrsg.), New Technologies and Law of the Marine Environment (2000), 203 (208) spricht von einem prima facie-Test. 573
Hepburn/Cordonier-Segger/Gehring, The Principle of the Precautionary Approach to Human Health, Natural Resources and Ecosystems, Draft Working Paper CISDL, March 2005, 7; Lucchini, AFDI 45 (1999), 710 (715); Nouzha, Revue Juridique de l’Environnement 2000, 391 (401); Erben, Das Vorsorgegebot im Völkerrecht (2005), 212 f.
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(bb) Normativer Status des Vorsorgeprinzips und Rechtsfolgen Der normative Status des Vorsorgeprinzips ist stark umstritten.574 So ist bisher nicht befriedigend geklärt, ob das Prinzip lediglich aufgrund spezieller vertragsrechtlicher Positivierung gilt oder ob es völkergewohnheitsrechtliche Geltung für sich beanspruchen kann. Auch ist umstritten, ob das Vorsorgeprinzip reinen Prinzipiencharakter hat oder ob sich aus ihm auch konkrete Rechtsfolgen herleiten lassen. Überwiegend werden jedoch konkrete materielle und prozedurale Rechtsfolgen anerkannt.575 Seinem materiellen Gehalt nach sagt das Vorsorgeprinzip in seiner grundlegendsten Form, dass Staaten vorausschauend vorgehen sollen, wenn sie potenziell umweltschädigende Maßnahmen treffen, um drohende Schäden zu antizipieren und zu verhindern oder zu mildern. Es geht um ein vorbeugendes Tätigwerden des Staates, damit Umweltschäden verhindert werden.576 Darüber hinaus wird aus dem Prinzip materiell gefolgert, dass Staaten verpflichtet sind, Tätigkeiten oder Substanzen, welche sich umweltschädigend auswirken können, einschränkenden Regelungen bis hin zum Verbot zu unterwerfen, selbst wenn keine wissenschaftliche Gewissheit hinsichtlich ihrer Auswirkungen gegeben ist. Gleiches gilt auch für die Tätigkeit von Staaten selbst. Auch sind geeignete positive Maßnahmen zu ergreifen, um Umweltschäden zu verhindern; Untätigkeit widerspricht dem Vorsorgeprinzip.577 Fraglich ist, ob oder inwiefern der Grundsatz auch Auswirkungen im Beweisrecht zeitigt, insbesondere, ob eine Beweislastumkehr als Folge 574
Das Prinzip vorsichtig als noch in der Entstehung begriffenes Völkergewohnheitsrecht charakterisierend: Beyerlin, Umweltvölkerrecht (2000), Rn. 113, 127; Fabra, YIEL 10 (1999), 15 (16). Bereits von einer gewohnheitsrechtlichen Norm ausgehend: Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts (1998), 107. Siehe auch: StSH, Iron Rhine Case, RIAA 27 (2008), 35 (66 f., Ziff. 59; 116, 222): “Environmental law and the law on development stand not as alternatives but as mutually reinforcing, integral concepts, which require that where development may cause significant harm to the environment there is a duty to prevent, or at least mitigate, such harm … . This duty, in the opinion of the Tribunal, has now become a principle of general international law. … Today, in international environmental law, a growing emphasis is being put on the duty of prevention.” Siehe auch Art. 174 Abs. 2 EGV. 575
Wolfrum, in: Morrison/Wolfrum (Hrsg.), International, Regional and National Environmental Law (2000), 3 (11). 576 577
Graf Vitzthum, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht (2007), 387 (463, Rn. 116). Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts (1998), 123.
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des Prinzips anzunehmen ist. Die Beweislast liegt grundsätzlich bei der Partei, die im Rahmen einer Unterlassungsklage entweder eine Maßnahme eines anderen Akteurs mit der Begründung verhindern will, dass sie (potenziell) umweltschädlich sei,578 oder die den Verstoß einer eigenen Umweltschutzmaßnahme gegen ein anderes völkerrechtliches Gebot rechtfertigen will, wie es vor allem im Welthandelsrecht vorkommen kann.579 Fraglich ist nun, ob das Vorsorgeprinzip im internationalen Prozess zu einer Umkehr der Beweislast oder zu Beweiserleichterungen in der Form führt, dass der Initiator eines potenziell umweltgefährdenden Projekts beweisen muss, dass diese Schädigung nicht eintreten werde, bzw. dass der die umweltschützende Maßnahme eines Staates gerichtlich angreifende Staat beweisen muss, dass die Maßnahme nicht gerechtfertigt sei, weil kein Risiko der Schädigung bestehe. Dies wird in der Literatur verschiedentlich befürwortet. Dabei ist zu beachten, dass oft sehr unterschiedliche Phänomene bezeichnet werden, wenn von einem „reversal of the burden of proof“ im Zusammenhang mit dem Vorsorgeprinzip gesprochen wird. So wird dies etwa als argumentative Bringschuld im politischen Prozess verstanden; auch diskutiert man unter der Rubrik die (eventuell vom Völkerrecht geforderte) Beweislastumkehr in verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahren im nationalen Recht.580
3. Anwendung vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten Internationale Gerichte haben die völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Vorsorgeprinzips bisher nicht ausdrücklich anerkannt. Daher überrascht es kaum, dass auch seine prozessualen Rechtsfolgen noch nicht hinreichend geklärt sind. Angesichts der Häufigkeit, mit der Streitparteien sich auf den Grundsatz – und hier insbesondere auf seine angeblichen beweisrechtlichen Auswirkungen – berufen haben, erstaunt dieses Ergebnis allerdings. So beriefen sich vor dem IGH auf den Grundsatz 578 Sands, The “Greening” of International Law (1993), 3; Sands, Principles of International Environmental Law (2003), 273; Marr, EJIL 11 (2000), 815 (821). 579
Siehe Bodansky, in: Caron/Schneider (Hrsg.), Bringing New Law to Ocean Waters (2004), 381 (385): “[T]he precautionary principle provides a justification for taking environmental measures that might otherwise be questionable as disguised barriers to trade.” 580
(296).
Cordonier Segger/Gehring, Journal of Environmental Law 15 (2003), 289
Beweislast
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Neuseeland im Nuclear Tests-Fall (1995)581 sowie Ungarn und die Slowakei im Gabčíkovo-Nagymaros-Fall;582 vor dem ISGH Australien und Neuseeland in den Southern Bluefin Tuna-Fällen,583 Irland im MOX Plant-Fall584 und Malaysia im Land Reclamation-Fall;585 sowie vor dem Appellate Body der WTO die Europäische Gemeinschaft im Hormones-Fall und im Fall EC – Approval and Marketing of Biotech Products.586
(a) Nuclear Tests-Fall Im Wiederaufnahmeverfahren zum Nuclear Tests-Fall (1995) lehnte der IGH den Antrag Neuseelands nach Absatz 63 des Urteils vom 20. Dezember 1974 ab. Obwohl der Vortrag der Parteien, insbesondere Neuseelands, hierzu Anlass geboten hätte, äußerte er sich im Urteil selbst zum Vorsorgeprinzip nicht.587 Lediglich in den Sondervoten fand es Beachtung. So hielt Richter Weeramantry die beweisrechtliche Funktion des Vorsorgeprinzips in seinem Sondervotum für „sufficiently well established in international law for the Court to act upon it“.588 Danach 581
IGH, Request for an Examination of the Situation in Accordance With Paragraph 63 of the Court’s Judgment of 20 December 1974 in the Nuclear Tests (New Zealand v. France) Case, Beschluss (Order) vom 22. September 1995, ICJ Rep. 1995, 288 (290, Ziff. 5; 298, Ziff. 34). 582
IGH, Gabčíkovo-Nagymaros (Case), ICJ Rep. 1997, 5 (62, Ziff. 97).
583
ISGH, Southern Bluefin Tuna Cases (Provisional Measures), ITLOS Rep. 1999, 274 (285 f., Ziff. 28 f.; 288 f., Ziff. 31 f.; 291, Ziff. 34). 584
ISGH, MOX Plant Case (Provisional Measures), ITLOS Rep. 2001, 95 (108, Ziff. 71): “Ireland argues that the precautionary principle places the burden on the United Kingdom to demonstrate that no harm would arise from discharges and other consequences of the operation of the MOX plant, should it proceed … .” 585
ISGH, Straits of Johor (Provisional Measures), ITLOS Rep. 2003, 10 (23, Ziff. 74 f.). 586
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 16; DSB, EC – Approval and Marketing of Biotech Products, Ziff. 7.54 f.; 7.77 f. 587
Dazu: Fitzmaurice, Non-State Actors and International Law 4 (2004), 173 (187 ff.). 588
IGH, Request for an Examination of the Situation in Accordance With Paragraph 63 of the Court’s Judgment of 20 December 1974 in the Nuclear Tests (New Zealand v. France) Case, Beschluss (Order) vom 22. September 1995, diss. op. Weeramantry, ICJ Rep. 1995, 317 (348).
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muss in Fällen, in denen Umweltschäden gleich welcher Art drohen, der potenzielle Schädiger nachweisen, dass seine Handlungen keine schädigenden Wirkungen haben werden. Den Grund dieser Beweislastverschiebung scheint Weeramantry jedoch weniger im Vorsorgeprinzip selbst, sondern in einer vielen umweltrechtlichen Fällen gemeinen Informationsasymmetrie zu sehen, da sich der Nachweis für den Antragsteller schwierig erweisen könne, weil die hierfür notwendigen Informationen sich üblicherweise weitgehend in der Hand des potenziellen Schädigers befänden.589
(b) Southern Bluefin Tuna-Fälle In den Southern Bluefin Tuna-Fällen hatten Australien und Neuseeland sich auf die auslegungsleitende Funktion des Vorsorgeprinzips gestützt. In seiner Anordnung ging der ISGH hierauf nicht ausdrücklich ein, war jedoch der Auffassung, dass die Parteien mit Umsicht und Vorsicht („prudence and caution“) handeln und wirksame Schutzmaßnahmen treffen sollten, um eine schwerwiegende Schädigung des Südlichen Blauflossenthunbestandes zu verhindern,590 obwohl die wissenschaftlichen Daten über die Auswirkungen des japanischen Fischereiprogramms auf den Bestand durchaus widersprüchlich waren.591 In einem Sondervotum bemerkte Richter Laing, dass die völkergewohnheitsrechtliche Geltung des Prinzips nicht festzustellen sei. Nichtsdestoweniger sei eine wesentliche Konsequenz des Grundsatzes die Beweislastumkehr zu Lasten des Staates, der ein Territorium kontrolliere, von dem Schaden ausgehen könnte.592 Richter Treves betonte in einem Sondervotum lediglich, dass ein precautionary approach dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes inhärent sei.593
589
Ebd., 342.
590
ISGH, Southern Bluefin Tuna Cases (Provisional Measures), ITLOS Rep. 1999, 280 (296, Ziff. 77). 591
Ebd., 296, Ziff. 79.
592
ISGH, Southern Bluefin Tuna Cases (Provisional Measures), sep. op. Laing, ITLOS Rep. 1999, 305 (310, Ziff. 14; 311, Ziff. 16). 593
ISGH, Southern Bluefin Tuna Cases (Provisional Measures), sep. op. Treves, ITLOS Rep. 1999, 316 (318, Ziff. 9).
Beweislast
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(c) MOX Plant-Fall (ISGH) In der Entscheidung über vorläufige Maßnahmen nach Art. 290 Abs. 5 SRÜ im MOX Plant-Fall über den Bau und den Betrieb der Anlage zur Herstellung von Mischoxid-Brennelementen im britischen Sellafield lehnte der ISGH den Antrag Irlands mangels Dringlichkeit ab,594 da die Konstituierung eines Schiedsgerichts nach Annex VII SRÜ kurz bevorstehe. Auf die Wahrscheinlichkeit der Schädigung der Meeresumwelt musste das Gericht daher nicht weiter eingehen, obwohl Irland diesbezüglich vorgetragen hatte, dass es aufgrund des Vorsorgeprinzips dem Vereinigten Königreich obliege, zu zeigen, dass kein Schaden durch den Betrieb der MOX-Anlage entstehen könne.595 Obwohl der Gerichtshof dazu nicht explizit Stellung nahm, scheint er die Beweislast für das Drohen schwerwiegender Schäden der Meeresumwelt durch die Inbetriebnahme der MOX-Anlage bis zur Einrichtung des Schiedsgerichts trotz potenziellen Eingreifens des Vorsorgeprinzips als bei Irland liegend angesehen zu haben, was sich vom Vorgehen in den Southern Bluefin Tuna-Fällen unterscheidet.596 Vor diesem Hintergrund äußerte sich Richter Wolfrum in einem Sondervotum zwar skeptisch über den gewohnheitsrechtlichen Status des Vorsorgeprinzips im Umweltvölkerrecht und betonte, dass dessen Rechtsfolgen im Allgemeinen umstritten seien. Dennoch sei anerkannt, dass die Beweislast betreffend die möglichen Auswirkungen einer Maßnahme umgekehrt würde: “A State interested in undertaking or continuing a particular activity has to prove that such activities will not result in any harm, rather than the other side having to prove that it will result in harm.”597 594
ISGH, MOX Plant Case (Provisional Measures), ITLOS Rep. 2001, 95 (110, Ziff. 81). 595
Ebd., 108 f., Ziff. 71.
596
So auch: Gillroy, Stanford JIL 42 (2006), 1 (46); ISGH, MOX Plant Case (Provisional Measures), sep. op. Mensah, ITLOS Rep. 2001, 118 (Abs. 1): “I agree with the conclusion that the evidence before the Tribunal does not suffice to show either that irreversible prejudice might occur to any rights of Ireland or that serious harm to the marine environment might occur, solely as a result of the commissioning of the MOX plant, in the period between now and the constitution of the Annex VII arbitral tribunal.” Kritik hierzu in sep. op. Székely, ITLOS Rep. 2001, 143 (147 f., Ziff. 18; 148 f., Ziff. 22). 597
ISGH, MOX Plant Case (Provisional Measures), sep. op. Wolfrum, ITLOS Rep. 2001, 131 (134). Im einstweiligen Rechtsschutz sei das Vorsorgeprinzip jedoch nicht anwendbar, da die Beweislastumkehr zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führe: “[T]he approach advanced by Ireland would have
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(d) MOX Plant-Fall (Annex VII SRÜ-Tribunal) In seiner Entscheidung über weitere vorläufige Maßnahmen legte das nach Annex VII SRÜ eingerichtete Schiedsgericht implizit Irland die Beweislast für das Drohen schwerer Schäden für die Meeresumwelt nach Art. 290 Abs. 1 SRÜ auf und folgte damit dem bereits dargestellten Urteil des ISGH.598 Es führte aus, dass “the Tribunal does not consider that Ireland has established that any harm which may be caused to the marine environment by virtue of the operation of the MOX plant, meets [the] threshold test [of serious harm to the marine environment]”.599
(e) MOX Plant-Fall (OSPAR-Tribunal) Auch im OSPAR-Fall wurden die möglichen Auswirkungen des Vorsorgeprinzips auf die Beweislast relevant.600 Art. 2 Abs. 2 (a) der for result that the granting of provisional measures becomes automatic when an applicant argues with some plausibility that its rights may be prejudiced or that there was serious risk to the marine environment.” In diese Richtung auch: Evans, YIEL 10 (1999), 7 (14). Siehe aber auch ISGH, Southern Bluefin Tuna Cases (Provisional Measures), sep. op. Treves, ITLOS Rep. 1999, 316 (318, Ziff. 9): “The precautionary approach can be seen as a logical consequence of the need to ensure that, when the arbitral tribunal decides on the merits, the factual situation has not changed. In other words, a precautionary approach seems to me inherent in the very notion of provisional measures.” Gleichzeitig überschreite das Tribunal nach Meinung Wolfrums seine Kompetenz, wenn es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die von den Parteien vorgelegten (Urkunden-) Beweise würdigte. Gegen die Sichtweise Wolfrums: Brown, IJMCL 17 (2002), 267 (285), der argumentiert, Wolfrum erhöhe das im einstweiligen Rechtsschutz üblicherweise anwendbare Beweismaß und schränke die Beweiswürdigungskompetenz zu weit ein. Ähnlich: Rashbrooke, IJMCL 19 (2004), 515 (528 f.). 598
Churchill/Scott, ICLQ 53 (2004), 643 (651).
599
Arbitral Tribunal Constituted Pursuant to Article 287, and Article 1 of Annex VII, of the United Nations Convention on the Law of the Sea for the Dispute Concerning the MOX Plant, International Movements of Radioactive Materials, and the Protection of the Marine Environment of the Irish Sea, The MOX Plant Case (Ireland v. United Kingdom), Order No. 3, Suspension of Proceedings on Jurisdiction and Request for Further Provisional Measures, 24. June 2003, Ziff. 55. 600
Einführend in den Fall: Fitzmaurice, IJMCL 18 (2003), 541 ff.; McDorman, AJIL 98 (2004), 330 ff.
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OSPAR-Konvention hält die Vertragsparteien ausdrücklich an, das Vorsorgeprinzip anzuwenden.601 Ein Hauptproblem des MOX Plant-Falles vor dem OSPAR-Tribunal war die Frage, ob die von Irland angeforderten Informationen, nämlich die geschwärzten Teile zweier die MOXAnlage in Sellafield betreffender Berichte, „Informationen“ im Sinne von Art. 9 der OSPAR-Konvention darstellten.602 Dabei argumentierte Irland, dass es sich um Informationen über „Tätigkeiten oder Maßnahmen, die [den] Zustand [des Meeresgebietes] beeinträchtigen oder beeinträchtigen können“ handele. Die Mehrheit entschied, dass dies nicht der Fall sei, da Irland nicht nachgewiesen habe, dass die geschwärzten Teile den Zustand des Meeresgebietes beträfen603 oder, die Wahrheit dieser Behauptung unterstellt, dass es sich um Informationen über Tätigkeiten oder Maßnahmen handele, die diesen Zustand beeinträchtigen oder beeinträchtigen können.604 Diese Entscheidung wurde von Schiedsrichter Griffith scharf kritisiert. Er war der Meinung, dass die Mehrheit den Einfluss des Vorsorgeprinzips auf die Beweislastverteilung verkannt habe.605 Die ausdrückliche Anerkennung des Vorsorgeprinzips in Art. 2 OSPAR-Konvention habe zur Folge, dass bei der Prüfung von Informationsansprüchen nach 601
Art. 2 Abs. 2 OSPAR-Konvention lautet: „Die Vertragsparteien wenden folgende Grundsätze an: (a) das Vorsorgeprinzip, nach dem Verhütungsmaßnahmen getroffen werden, wenn triftige Gründe zur Besorgnis vorliegen, dass unmittelbar oder mittelbar der Meeresumwelt zugeführte Stoffe oder Energie zu einer Gefährdung der menschlichen Gesundheit, einer Schädigung der lebenden Ressourcen und der Meeresökosysteme, einer Beeinträchtigung der Annehmlichkeiten der Umwelt oder einer Behinderung der sonstigen rechtmäßigen Nutzungen des Meeres führen können, selbst wenn es keinen schlüssigen Beweis für einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Einträgen und ihren Auswirkungen gibt.“ 602
Dispute Concerning Access to Information Under Article 9 of the OSPAR Convention (Ireland v. UK), Final Award, 2. Juli 2003, RIAA 23 (2004), 59 (105, Ziff. 161). 603 604 605
Ebd., 106, Ziff. 163. Ebd., 110 f., Ziff. 179, 182.
Dispute Concerning Access to Information Under Article 9 of the OSPAR Convention (Ireland v. UK), Final Award, 2. Juli 2003, RIAA 23 (2004), diss. op. Griffith, 119 (134 ff., Ziff. 72 ff.). Ihm folgend: Shany, LJIL 17 (2004), 815 (821) und wohl auch Sands, Principles of International Environmental Law (2003), 857 f. Vor allem aus strategischen Gesichtspunkten (konservative Interpretation der OSPAR-Konvention zur Stärkung des Vertrauens der Staaten in gerichtliche Streitbeilegung) positiv: McDorman, AJIL 98 (2004), 330 (337 ff.).
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Art. 9 der Beklagte (hier das Vereinigte Königreich) zu beweisen habe, dass der infolge der Tätigkeit oder Maßnahme zukünftig zu erwartende Schaden geringfügig sei und dass keine Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung des Meeresgebietes bestehe.606 Über das Vorsorgeprinzip würde so eine Vermutung aufgestellt, dass die Informationen Maßnahmen beträfen, die den Zustand des Meeresgebietes beeinträchtigen oder beeinträchtigen können. Gelinge dem Beklagten dieser Nachweis hinsichtlich der Aktivitäten nicht, so handelte es sich um „Informationen“ i.S.d. Art. 9 Abs. 2, auf deren Herausgabe Irland nach Art. 9 Abs. 1 einen Anspruch habe. Das hiergegen gelegentlich vorgetragene Argument, dass das Schiedsgericht ob seiner Verfahrensordnung keine Beweislastumkehr zu Lasten des Vereinigten Königreichs aufgrund des Vorsorgeprinzips hätte vornehmen können,607 übersieht, dass nach der Normenhierarchie Art. 2 Abs. 2 (a) der OSPAR-Konvention über der Verfahrensordnung steht, diese also harmonisierend ausgelegt werden muss; auf keinen Fall könnte sie eine durch die Konvention vorgenommene Beweislaständerung abbedingen. Dennoch bleiben Zweifel an der Beweislastumkehr im konkreten Fall. Eine explizite Beweislastumkehr wird jedenfalls durch Art. 2 Abs. 2 (a) OSPAR-Konvention nicht angeordnet.608
606
Dispute Concerning Access to Information Under Article 9 of the OSPAR Convention (Ireland v. UK), Final Award, 2. Juli 2003, RIAA 23 (2004), diss. op. Griffith, 119 (135, Ziff. 74). 607 608
So: Churchill/Scott, ICLQ 53 (2004), 643 (651).
Anders Art. 3 Abs. 3 (c) Annex II der OSPAR-Konvention: “Unless, at or before the expiry of this period of 15 years, the Commission decides by a unanimous vote not to continue the exception provided in subparagraph 3(b), it shall take a decision pursuant to Article 13 of the Convention on the prolongation for a period of 10 years after 1st January 2008 of the prohibition, after which another meeting of the Commission at Ministerial level shall be held. Those Contracting Parties mentioned in subparagraph 3(b) of this Article still wishing to retain the option mentioned in subparagraph 3(b) shall report to the Commission meetings to be held at Ministerial level at two yearly intervals from 1999 onwards about the progress in establishing alternative land-based options and on the results of scientific studies which show that any potential dumping operations would not result in hazards to human health, harm to living resources or marine ecosystems, damage to amenities or interference with other legitimate uses of the sea.”
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(f) EC – Hormones Im Fall EC – Hormones urteilte das Appellate Body, dass es auf die Frage der Geltung des Vorsorgeprinzips für die Streitentscheidung nicht ankomme, und traf daher keine Aussage hierüber.609 Der Grundgedanke des Vorsorgeprinzips sei jedoch in Art. 5 Abs. 7 SPS enthalten.610 Auch entschied das Appellate Body in Bezug auf Art. 5 Abs. 1 SPS und Ziff. 4 des Anhangs A (Definition der Risikobewertung) zum SPS, dass die vom Panel gewählte Terminologie zur Risikobewertung von schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen oder Tieren („wahrscheinlich“) dem Textbefund („möglich“) widerspreche.611 Dies kann als – durch den Vorsorgegedanken beeinflusste – Absenkung des Beweismaßes interpretiert werden (weniger als „überwiegende Wahrscheinlichkeit“).612
(g) EC – Approval and Marketing of Biotech Products Auch das Panel im Fall EC – Approval and Marketing of Biotech Products traf keine definitive Aussage zum Status des Vorsorgeprinzips. Es stellte lediglich fest, dass noch kein internationales Gericht das Prinzip explizit anerkannt habe und dass in der Literatur Uneinigkeit über seinen Status bestehe.613 Im Übrigen komme es hierauf für die Entscheidung des Falles nicht an.
4. Beweislastumkehr oder Beweismaßreduzierung? Die internationale Rechtsprechung hat das Vorsorgeprinzip bisher nur in sehr begrenztem Umfang angewandt; beweisrechtliche Konsequenzen wurden aus dem Grundsatz nur in Sondervoten gezogen. Auch die 609 610
DSB, EC – Hormones (AB), Ziff. 123. Ebd., Ziff. 124.
611
Ebd., Ziff. 184: “What needs to be pointed out at this stage is that the Panel’s use of ‘probability’ as an alternative term for ‘potential’ creates a significant concern. The ordinary meaning of ‘potential’ relates to ‘possibility’ and is different from the ordinary meaning of ‘probability’. ‘Probability’ implies a higher degree or a threshold of potentiality or possibility. It thus appears that here the Panel introduces a quantitative dimension to the notion of risk.” 612 613
Waincymer, WTO Litigation (2002), 569. DSB, EC – Approval and Marketing of Biotech Products, Ziff. 7.88.
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Literatur ist in der Beurteilung dieses Punktes uneins. Konsentiert ist lediglich die Annahme, dass der Grundsatz der Vorsorge auch prozessrechtliche Relevanz hat.
(a) Beweislastumkehr Einer weiten Interpretation folgend („strenge Vorsorge“614) liegt der innovative Kern des Vorsorgeprinzips gerade in seiner verfahrensrechtlichen Komponente, nämlich der Beweislastumkehr.615 Diejenigen Staaten, die potenziell umweltschädigende Maßnahmen vornehmen wollten, müssten nachweisen, dass kein Schaden eintreten könne.616 Für diese Ansicht kann man auf frühe Formulierungen des Vorsorgeprinzips, etwa in der Weltcharta für die Natur von 1982, verweisen.617 Die Risikoproduktion ist damit so lange verboten, wie der Risikoverursacher nicht die Unschädlichkeit nachweist oder den Eintritt von Schäden durch geeignete Vorkehrungen ausschließt (in dubio pro securitate).618
614
Beer, Das Vorsorgeprinzip in der internationalen Verwaltung der biologischen Vielfalt (2004), 105. 615
Wolfrum, in: Morrison/Wolfrum (Hrsg.), International, Regional and National Environmental Law (2000), 3 (14); Wolfrum, in: Beurier/Kiss/Mahmoudi (Hrsg.), New Technologies and Law of the Marine Environment (2000), 203 (207); Martin-Bidou, RGDIP 103 (1999), 631 (655); Marr, EJIL 11 (2000), 815 (821); ders., The Precautionary Principle in the Law of the Sea (2003), 16 f.; Hinds, Umweltrechtliche Einschränkungen der Souveränität (1997), 241 f.; Roda Verheyen, Climate Change Damage and International Law (2005), 75 f. 616
Fabra, YIEL 10 (1999), 15 (16); Šoljan, ARIEL 3 (1998), 209 (212). Siehe auch: Shany, LJIL 17 (2004), 815 (821). IGH, Nuclear Weapons Case, diss. op. Weeranamtry, ICJ Rep. 1996, 429 (502) sieht neben dem Vorsorgeprinzip ein weiteres selbständiges umweltvölkerrechtliches Prinzip des Inhalts, dass die Beweislast bezüglich der Sicherheit beim Autor der betreffenden Maßnahme liege. 617 Prinzip 11 b): „Aktivitäten, die vermutlich mit einer hochgradigen Gefährdung der Natur verbunden sind, muss eine erschöpfende Untersuchung dieser Gefährdung vorangehen; ihre Befürworter müssen beweisen, dass die zu erwartenden Vorteile mögliche Schäden für die Natur überwiegen; wo die möglichen schädlichen Folgen nicht ausreichend bekannt sind, sollten diese Aktivitäten nicht weiter verfolgt werden.“ Zitiert nach: Burhenne/Irwin, The World Charter for Nature (1985), 115. 618
O’Riordan/Cameron/Jordan, in: dies. (Hrsg.), Reinterpreting the Precautionary Principle (2001), 9 (20). Dazu auch: Calliess, DVBl. 2001, 1725 (1730 f.).
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(b) Modifizierte Beweislastverteilung Nach einer anderen Lesensart des Vorsorgeprinzips soll zunächst der sich auf das Vorsorgeprinzip berufende Akteur wenigstens die Beweislast für einen „Besorgnisanlass“ tragen, d.h. begründete Anzeichen darlegen, aus denen sich mögliche Risiken und Gefahren ergeben. Ist dies geschehen, so soll dem Risikoverursacher aufgegeben sein, die aufgestellte Vermutung zu widerlegen und so den Besorgnisanlass zu erschüttern. Dabei soll jedoch kein Gegenbeweis verlangt werden, sondern es wird für ausreichend erachtet, wenn Tatsachen vorgebracht werden, aus denen sich eine begründete Wahrscheinlichkeit für die Unmöglichkeit des Schadenseintritts ergibt.619
(c) Beweiserleichterung Überwiegend wird in der Literatur jedoch eine vollständige Beweislastumkehr als Wirkung des Prinzips auf das in der gerichtlichen Streitbeilegung anwendbare Verfahrensrecht bestritten.620 Diese Ansicht überzeugt aus verschiedenen Gesichtspunkten. Bereits die Unsicherheiten und Zweifel über die normative Geltung des Vorsorgeprinzips sprechen gegen eine so weitreichende Folgerung.621 Die strenge Vorsorge behinderte auch den technischen Fortschritt, indem das Vorsorgeprinzip einseitig zu Lasten des Prinzips der nachhaltigen Entwicklung ausgelegt und dem Initiator der technischen Neuerung einen schwer zu erfüllenden negativen Beweis auferlegen würde.622 Sie führte zu einem grundsätzlichen Verbot potenziell – aber eben nicht sicher prognostizierbarer
619
Calliess, DVBl. 2001, 1725 (1732 f.). Ähnlich: de Sadeleer, Environmental Principles: From Political Slogans to Legal Rules (2002), 207. 620
Fitzmaurice, Non-State Actors and International Law 4 (2004), 173 (192): “[T]he question of the reversal of the burden of proof is still met with reluctance from certain States.” Proelß, Meeresschutz im Völker- und Europarecht, Das Beispiels des Nordostatlantiks (2004), 84 (zum SRÜ), 152 f. (zum Fish Stock Agreement von 1995); Freestone, in: Hey (Hrsg.), Developments in International Fisheries Law (1999), 287 (318) (in Bezug auf das Fish Stock Agreement von 1995). Siehe auch: Radé, Revue juridique de l’environnement 2000, Numéro spécial: Le principe de précaution, 75 (87). 621 622
Dupuy, RGDIP 101 (1997), 873 (890).
Cazala, in: Leben/Verhoeven (Hrsg.), Le principe de précaution – Aspects de droit international et communautaire (2002), 151 (170 f.); Calliess, DVBl. 2001, 1725 (1732).
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– umweltschädigender Handlungen. Denn ein Beweis der Unschädlichkeit umweltbeeinträchtigender Aktivitäten wird aller Voraussicht nach deshalb nicht möglich sein, weil das Vorsorgeprinzip ja gerade dann eingreift, wenn sich die Sachlage nicht sicher klären lässt.623 Auch finden sich in internationalen Verträgen oder (unverbindlichen) Deklarationen nur vereinzelt und ausnahmsweise auf einzelne Umweltmedien begrenzte Hinweise auf eine Beweislastumkehr, so dass hiervon nicht auf eine völkergewohnheitsrechtlich geltende Regel geschlossen werden kann.624 Solche Anordnungen der Beweislastumkehr bestehen etwa im Bereich des Verklappens auf See. So bestimmte die (inzwischen zurückgenommene) Entscheidung der Oslo Commission OSCOM 89/1, dass die Verklappung von Industrieabfällen in der Nordsee verboten sein sollte, falls nicht bewiesen sei, dass die Materialien der Meeresumwelt keine Schäden zufügen könnten.625 Auch Art. 3 Abs. 3 (c) Annex II der OSPAR-Konvention ordnet offenbar eine Beweislastumkehr an. Auch können Normen in Bereichen der nachhaltigen Fischereiwirtschaft (insb. Art. 61 Abs. 2 und Art. 119 Abs. 1 (a) SRÜ) im konkreten Regelungszusammenhang als eine Beweislastumkehr anordnend angesehen werden.626 Ähnliches gilt für das CartagenaProtokoll.627 Jedoch sind auch diese Normen alles andere als eindeutig.628 Für eine solche „weichere“ Auslegung können auch die im Auftrag der FAO erarbeiteten Guidelines on the Precautionary Approach to Capture
623
de Sadeleer, Environmental Principles, From Political Slogans to Legal Rules (2002), 206; Beer, Das Vorsorgeprinzip in der internationalen Verwaltung der biologischen Vielfalt: Aufnahme und praktische Umsetzung (2004), 110. 624 Epiney/Scheyli, Strukturprinzipien des Umweltvölkerrechts (1998), 125; Erben, Das Vorsorgegebot im Völkerrecht (2005), 265. Skeptisch im Hinblick auf eine Verallgemeinerung auch: Sands, Principles of International Environmental Law (2003), 273; Lucchini, AFDI 45 (1999), 710 (729). 625 OSCOM Decision 89/1 vom 14. Juni 1989 on the Reduction and Cessation of Dumping Industrial Wastes at Sea, abgedruckt in: Freestone/Ijlstra, The North Sea: Basic Legal Documents on Regional Environmental Co-operation (1991), 119. 626
Freestone/Hey, in: dies. (Hrsg.), The Precautionary Principle and International Law: The Challenge of Implementation (1996), 249 (261); Freestone, in: Hey (Hrsg.), Changing International Fisheries Law (1999), 287 (319). 627 628
Dazu: Motaal, JWT 39 (2005), 483 (490). Lucchini, AFDI 45 (1999), 710 (729).
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723
Fisheries and Species Introduction von 1995 angeführt werden, nach denen aus dem Vorsorgeprinzip lediglich eine „angemessene Beweislastverteilung“ folgt.629 Auch betonen die Richtlinien, dass “although the precautionary approach to fisheries may require cessation of fishing activities that have potentially serious adverse impacts, it does not imply that no fishing can take place until all potential impacts have been assessed and found to be negligible”.630 Eine Beweislastumkehr kommt allenfalls bei Hochrisikoaktivitäten in Betracht.631 Eine Beweismaßabsenkung gegenüber dem nach dem Präventionsprinzip geltenden erhöhten Beweismaß ist daher wohl die angemessene beweisrechtliche Umsetzung des Vorsorgeprinzips,632 wobei deren genaues Ausmaß ungewiss ist.633 Möglich scheint, dass die auf Unterlassung potenziell umweltschädlicher Aktivitäten klagende Partei statt – wie nach dem Präventionsprinzip gefordert – einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nur die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Gefahr bzw. schädlicher Folgen für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit darlegen muss.634 Auch wird das gesenkte Beweismaß des Beweises des ersten Anscheins (prima facie) vorgeschlagen.635 Dennoch 629
FAO Fisheries Technical Paper 350/1, Precautionary approach to fisheries, Part 1: Guidelines on the precautionary approach to capture fisheries and species introduction (1996), 4. Dazu: Vanderzwaag, Ocean Development and International Law 33 (2002), 165 (172 f.). Ähnlich: Art. 4 Abs. 2 (d) der ILA Resolution 3/2002 (New Delhi Declaration of Principles of International Law Relating to Sustainable Development), abgedruckt in: International Environmental Agreements 2 (2002), 209 ff. 630
FAO Fisheries Technical Paper 350/1, Precautionary approach to fisheries, Part 1: Guidelines on the precautionary approach to capture fisheries and species introduction (1996), 5. 631 632
Lucchini, AFDI 45 (1999), 710 (729). So jetzt auch: Trouwborst, RECIEL 16 (2007), 185 (192).
633
Birnie/Boyle, International law and the environment (2002), 117: “[The precautionary principle or approach] does not allow states to proceed with proposed activities on the basis that a risk of harm has not been proved conclusively, but neither does it require proof that there is no harm.” Siehe auch auf S. 119: “In some cases … the principle involves a reversal of proof, but to what level remains uncertain.” 634 635
Erben, Das Vorsorgegebot im Völkerrecht (2005), 264.
Cazala, in: Leben/Verhoeven (Hrsg.), Le principe de précaution – Aspects de droit international et communautaire (2002), 151 (173 ff.).
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bleibt festzuhalten, dass auch diese beweisrechtliche Konsequenz bisher nicht gerichtlich bestätigt ist. Hier besteht – auch angesichts der in hohem Maße uneinheitlichen Diskussion in der Literatur – verstärkter Klärungsbedarf durch internationale Gerichte.
D. Zusammenfassung: Die Beweislast vor internationalen Gerichten Als Rechtsquelle der Beweislastnormen im Völkerprozessrecht ist neben – spärlich gesäten – Vertragsbestimmungen und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen auch das Richterrecht hervorzuheben. Gerade im Bereich der Beweislastverteilung beziehen sich internationale Gerichte verstärkt auf die Rechtsprechung anderer Spruchkörper, so dass hier von einer jurisdiktionsübergreifenden Geltung gesprochen werden kann. Auch im Völkerprozessrecht gibt es eine objektive Beweislast, so dass der klagende Staat das Risiko der Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsachen trägt. Die Klage kann daher wegen Beweislosigkeit gegen den Beweislastträger entschieden werden. Frühe schiedsrichterliche Entscheidungen, die dies anders beurteilten, sind überholt. Als aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen folgendes Grundprinzip der Beweislastverteilung kann der Grundsatz „actori incumbit probatio“ gelten, jedoch mit wichtigen Einschränkungen. Einerseits ist der „actor“ nicht notwendigerweise der Kläger. Darüber hinaus zeigt die Rechtsprechung der WTO-Streitbeilegungsorgane, dass ein rein formal verstandener Grundsatz des actori incumbit probatio zu kurz greift. Die materiellrechtliche Norm, um deren Anwendung es im Prozess geht, ist daher in Bezug auf die Beweislastverteilung auszulegen. Dabei spielen auch materielle Kriterien eine Rolle. Von den oben angeführten Gesichtspunkten für die Beweislastverteilung hat die Rechtsprechung jedoch explizit nur denjenigen der Beweisnähe aufgegriffen. Der IGH hat es im Corfu Channel-Fall allerdings abgelehnt, dieses Kriterium für die Beweislastverteilung selbst nutzbar zu machen, und sich stattdessen für eine moderate Beweiserleichterung ausgesprochen. Das Appellate Body hat jedoch zumindest implizit materielle Erwägungen dazu genutzt, eine von Wortlaut und Systematik der Norm an sich nahe liegende Beweislastumkehr abzulehnen. Fälle der echten Beweislastumkehr sowie der gesetzlichen Tatsachenvermutungen sind selten. Weder der Grundsatz der Pflichtigkeit der
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Territorialhoheit noch das umweltvölkerrechtliche Vorsorgeprinzip sind in der Rechtsprechung bisher als beweislastverschiebend ausgelegt worden. Hingegen kommen Beweiserleichterungen in unterschiedlicher Form in Betracht, die von der Zulassung des Indizienbeweises auch bei schwerwiegenden Völkerrechtsverletzungen bis hin zur Senkung des Beweismaßes reichen. Nicht zu einer Umkehr der objektiven Beweislast führt der vor allem in der WTO-Streitbeilegung prominente prima facie case. Hier ist überdies fraglich, ob es sich dabei um eine Beweiserleichterung etwa in der Form der Beweismaßsenkung handelt, da das Appellate Body einen Zusammenhang mit dem anzulegenden Beweismaß abgelehnt hat. Schließlich kann die Beweislast von den Parteien einvernehmlich abgeändert werden. Beweislastverträge sind daher grundsätzlich zulässig.636
636
Grando, JIEL 9 (2006), 615 (628 f.); Kazazi, Burden of Proof (1996), 3; Amerasinghe, Evidence in International Litigation (2005), 75. Siehe auch: Pauwelyn, Conflict of Norms in Public International Law (2003), 318.
Zehntes Kapitel: Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick A. Zusammenfassung der Ergebnisse I. Systematisierung und Einheitlichkeit des Beweisrechts In seiner Abhandlung des Beweisrechts vor internationalen Gerichten aus dem Jahre 1936 resümiert Witenberg wie folgt: «En matière de preuves, l’examen des précédents permet de dégager un système de solution complet et parfaitement cohérent.»1 An ähnlichen Einschätzungen in der Literatur auch aus neuerer Zeit fehlt es nicht. Die Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass das Bild des Beweisrechts vor internationalen Gerichten nur teilweise ein einheitliches ist. Während einige wenige Bereiche als im Wesentlichen gefestigt gelten können, stellt sich der überwiegende Teil als noch nicht hinreichend strukturiert und systematisiert dar. Entsprechend kann nur unter Einschränkungen von einem einheitlichen, für alle internationalen Gerichte geltenden Beweisrecht in zwischenstaatlichen Streitigkeiten gesprochen werden; in vielen Bereichen ist bestenfalls eine konvergierende Entwicklung zu konstatieren. Wieder andere Themen sind bisher überhaupt nur vereinzelt von internationalen Gerichten angesprochen worden, so dass sich definitive Aussagen noch nicht treffen lassen. Insgesamt ist jedoch ein Trend erkennbar, dass internationale Gerichte sich verstärkt mit beweisrechtlichen Fragen auseinandersetzen, weil strittige Tatsachen auch im zwischenstaatlichen Verfahren immer häufiger auftreten. Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten ist daher in einem stetigen Prozess der Entwicklung und Verdichtung.
1
Witenberg, RdC 56 (1936 II), 1 (97). Siehe aber die entgegengesetze, fast zeitgleiche Einschätzung von Wigmore, A Treatise on the Anglo-American System of Evidence in Trials at Common Law, Bd. 1 (1940), 157: “It seems clear that at present one can point to no definite, fixed, and regularly applied rules of evidence observed by international tribunals.” M. Benzing, Das Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 215, DOI 10.1007/978-3-642-11647-6_10, © by Max-PlanckGesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V., to be exercised by Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Published by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2010. All Rights Reserved.
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Kapitel 10
II. Quellen des Beweisrechts und die Frage eines einheitlich geltenden Beweisrechtes Die Feststellung der fehlenden dogmatischen Fundierung des Beweisrechts trifft in besonderem Maße auf die Frage seiner Rechtsquellen zu. Einigkeit besteht lediglich insoweit, dass internationale Verträge zwar großes Potenzial zur Klärung wesentlicher Fragen des Beweisrechts haben, dieses jedoch nur äußerst rudimentär regeln. Nach der hier vertretenen – aber keineswegs unbestrittenen – Auffassung kann das Völkergewohnheitsrecht diese Lücken aufgrund seiner besonderen Strukturvoraussetzungen nicht füllen. Daher kommt besondere Bedeutung den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, aber auch der internationalen Rechtsprechung zu. Hier ist anzuerkennen, dass die Rechtsprechung gerade im Bereich des Prozess- und Beweisrechts eine besonders hervorzuhebende Rolle spielt. Ihr ist – unter den beschriebenen Kautelen – eine prozessrechtsgenerative Rolle zuzubilligen.2 Diese tritt neben die Entwicklung von Verfahrensordnungen und anderen Formen sekundärer Rechtsetzung durch internationale Gerichte, die Fragen des Beweisrechts jedoch ebenfalls bisher nur bruchstückhaft regeln.
III. Verfahrensgrundsätze Neben den für die Beweisaufnahme allgemein relevanten Grundsätzen des fairen Verfahrens, des rechtlichen Gehörs, des Dispositionsgrundsatzes, des Öffentlichkeitsgrundsatzes und des Rechts der Parteien auf eine Entscheidung des Rechtsstreits ist auch eine für zwischenstaatliche Streitigkeiten gerichtsübergreifend geltende Verfahrensmaxime für das Verhältnis der Parteien und des Gerichts in der Stoffsammlung begründbar: Der internationale zwischenstaatliche Prozess folgt einer modifizierten Verhandlungsmaxime. Damit ist zunächst gesagt, dass primär die Parteien für die Stoffsammlung verantwortlich sind. Dem internationalen Gericht stehen jedoch umfangreiche Ermittlungskompetenzen zur Verfügung, derer es sich in der Regel amtswegig bedienen kann. Dies schließt die Geltung eines streng adversatorischen Grundsatzes aus. Andererseits besteht keine Verpflichtung zur Nutzung dieser Kompetenzen; sie stehen allesamt im Ermessen des internationalen Gerichts. Auch scheint es für zwischenstaatliche Streitigkeiten gut be-
2
Kapitel 2 E. I.
Zusammenfassung der Ergebnisse
729
gründbar, dass nicht von den Parteien vorgebrachte Tatsachen vom Gericht auch nicht berücksichtigt werden dürfen. Hinsichtlich der in diesem Rahmen nutzbaren Befugnisse internationaler Gerichte ist eine weitere Rationalisierung des ihnen eingeräumten Ermessens geboten. Diese sollte sich nach der hier vorgeschlagenen Lösung maßgeblich am streitgegenständlichen materiellen Recht orientieren. Danach ist eine stärkere Nutzung der Kompetenzen vor allem dann möglich und geboten, wenn das materielle Recht Interessen der internationalen Gemeinschaft positiviert.
IV. Kooperationspflichten der Parteien Die Parteien zwischenstaatlicher Streitigkeiten sind zur prozessualen Zusammenarbeit nach Treu und Glauben bereits nach dem Konsensprinzip verpflichtet, das immer noch als Grundsatz des Völkerprozessrechts gelten kann. Ist danach die Ausübung internationaler Gerichtsbarkeit abhängig vom Konsens der Parteien, so liegt ihr stets ein gerichtseinsetzender Vertrag zwischen den Parteien zugrunde, der von diesen nach Art. 26 WVK nach Treu und Glauben zu erfüllen ist. Diese Zusammenarbeitspflicht bezieht sich auch auf die Beweisführung, ist jedoch aufgrund ihrer Abstraktheit wenig geeignet, konkrete Rechtsfolgen im Prozess zu zeitigen. Der Grundsatz spielt daher vor allem für die Auslegung von prozessualen Bestimmungen eine Rolle.3 Konkrete Zusammenarbeitspflichten folgen jedoch aus den Beweisbeschlüssen des internationalen Gerichts. In diesem Bereich kristallisiert sich eine Regel heraus, nach der Parteien auf Antrag des Gegners auch zur Herausgabe von ihnen ungünstigen Beweismitteln verpflichtet werden können, wenn die beweisbelastete Partei zuvor das Erforderliche und ihr Zumutbare getan hat, um den Beweis zu führen, und sich insbesondere vor Antragstellung bemüht hat, selbst in Besitz des fraglichen Beweismittels zu kommen.4 Grenzen ergeben sich aus Beweisverweigerungsrechten der Parteien.5 Allerdings ist die Rechtsprechung in diesem Bereich auch innerhalb einzelner internationaler Prozessordnungen noch so ungefestigt, dass sich erst in Zukunft erweisen wird, ob diese Regel in der hier begründeten Form Bestand haben kann. Insbesondere 3 4 5
Kapitel 5. A. I. Kapitel 5 B. II. 2. Kapitel 7 B. III.
730
Kapitel 10
nach dem Urteil des IGH im Genocide-Fall steht zu erwarten, dass zukünftig sowohl Parteien als auch die Literatur in diesem Bereich weitere Klärung herbeiführen werden.
V. Durchsetzung des Beweisrechts Differenzierte Kataloge von Kooperationspflichten von Staaten mit internationalen Gerichten, wie sie bei den internationalen Strafgerichtshöfen die Regel sind, existieren im Bereich des Völkerprozessrechts ebenso wenig wie Mechanismen zur Durchsetzung der Pflichten. Die Durchsetzung des Beweisrechts erfolgt daher derzeit vor allem innerprozessual. Aber auch die etwa durch Rückschlüsse zu Lasten der kooperationsverweigernden Partei mögliche Durchsetzung des Beweisrechts ist in der Handhabung durch internationale Gerichte defizitär, obwohl diese Möglichkeit unzweifelhaft besteht.6 Nach dem hier vertretenen Ergebnis setzt eine solche negative Würdigung der Weigerung einer Partei einen wirksamen Vorlagebeschluss des Gerichts voraus. Gerade in diesem Bereich besteht Raum und Bedarf für eine stringentere und für die Parteien besser vorhersehbare Handhabung des prozessualen Instrumentariums.
VI. Beweisaufnahme 1. Flexibilität der Beweisaufnahme Die Beweisaufnahme wird von internationalen Gerichten innerhalb der von den prozessrechtlichen Texten gesetzten Grenzen flexibel gehandhabt, wenn auch gerade vor dem IGH in neuerer Zeit durch die Verabschiedung von Practice Directions formalisierende Tendenzen zu erkennen sind. Die Vorgaben gerichtseinsetzender Verträge sind rar und werden im Wesentlichen von internationalen Gerichten fallbezogen konkretisiert. Besondere Regelungen bestehen hinsichtlich des Zurückweisens verspäteten Vorbringens.
6
Kapitel 6 A. II.
Zusammenfassung der Ergebnisse
731
2. Beweisbedürftigkeit Beweisbedürftig sind in erster Linie die von den Parteien behaupteten Tatsachen. Die Ausnahmen hierzu folgen aus der Struktur des internationalen Prozesses als dem Verhandlungsgrundsatz folgend. Demgemäß sind solche Tatsachen nicht beweisbedürftig, die nicht entscheidungserheblich, von der gegnerischen Partei nicht bestritten oder zugestanden sind.7 Dabei bindet grundsätzlich nur ein innerprozessuales Geständnis das Gericht. Außerprozessuale Aktivitäten der Parteien, die eine Bestätigung von Tatsachenbehauptungen enthalten, können einerseits in die Beweiswürdigung einfließen oder über den Estoppel-Grundsatz zwischen den Parteien als feststehend betrachtet werden.8 An Tatsachenfeststellungen anderer internationaler Gerichte, internationaler Organisationen sowie nationaler Gerichte ist ein Gericht dagegen grundsätzlich nicht gebunden.9 Die von diesen etablierten Tatsachen bleiben daher beweisbedürftig, allerdings kommt den Feststellungen der internationalen Organe unter Umständen ein hoher Beweiswert zu.
3. Beweisverbote Der Zulässigkeit der Beweisaufnahme können auch im internationalen Prozess Beweisverbote entgegenstehen.10 In diesem Bereich ist die Rechtsprechung spärlich und die Entwicklung daher noch im Fluss, es können aber einige Grundsätze festgehalten werden. So ist prinzipiell anerkannt, dass Staaten im Gerichtsverfahren keine ihre nationale Sicherheitsinteressen beeinträchtigenden Informationen preisgeben müssen. Auch bestehen individuelle Zeugnisverweigerungsrechte; so sind etwa das Anwaltsgeheimnis, das Beichtgeheimnis, das Arztgeheimnis und der journalistische Quellenschutz anerkannt. Daneben hat sich ein Beweisverweigerungsrecht des IKRK herausgebildet. Generell nicht zulässig sind daneben Beweismittel, die aus Bemühungen zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreites hervorgegangen sind. Hinsichtlich mit völkerrechtswidrigen Mitteln erlangter Beweise ist jedenfalls dann ein
7 8 9 10
Kapitel 7 B. I. und II. Kapitel 7 B. II. 3. (c). Kapitel 7 B. II. 4. Kapitel 7 B. III.
732
Kapitel 10
Verwertungsverbot anzunehmen, wenn es sich bei dem vorangegangen Verstoß um den Bruch einer Norm des ius cogens handelt.
VII. Beweismittel Ein numerus clausus der im internationalen Prozess zulässigen Beweismittel wird einhellig von Literatur und Rechtsprechung abgelehnt.11 Eine formelle Hierarchie von Beweismitteln besteht daher ebenso wenig wie ein abschließender Beweismittelkatalog. Stattdessen ist dem internationalen Richter die Bewertung der Beweismittel im Rahmen der Beweiswürdigung überlassen. Die Beweismittel des Völkerprozessrechts entsprechen im Wesentlichen denen des nationalen Rechts. Hinsichtlich aller Beweismittel gilt, dass das Gericht sie amtswegig erheben kann. Das mit Abstand bedeutsamste Beweismittel stellt im internationalen Prozess die Urkunde dar. Daneben ist jedoch der Zeugenbeweis auch in zwischenstaatlichen Streitigkeiten im Vordringen begriffen.12 Dabei lässt die Praxis alle Personen zum Beweis zu, auch solche, die über die fraglichen Ereignisse nicht aus eigener Anschauung berichten können (Zeugen vom Hörensagen). Die fehlende unmittelbare Wahrnehmung der beweiserheblichen Tatsache kann jedoch bei der Würdigung berücksichtigt werden. Daneben ist die Einreichung schriftlich niedergelegter Zeugenaussagen und affidavits zwar zulässig, jedoch häufig wenig beweiskräftig. Ob eine Partei selbst als Zeuge vernommen werden kann, ist in den nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich gelöst. Im zwischenstaatlichen Prozess stellt sich die Frage kaum, da selten die den Staat repräsentierenden Organe als Zeugen vernommen werden sollen. Aber auch in gemischten Streitigkeiten hat sich die Vernehmung der Partei als eigenes Beweismittel nicht überall durchgesetzt. Stattdessen unterscheidet etwa das IUSCT zwischen interessierten Zeugen und solchen, die kein direktes Interesse am Ausgang der Streitigkeit haben. Die Aussagen interessierter Zeugen werden dabei in der Beweiswürdigung tendenziell als weniger zuverlässig eingeschätzt. Diese Skepsis setzt sich im zwischenstaatlichen Prozess insofern fort, als dort den Aussagen von öffentlichen Bediensteten oder dem Staat sonst nahestehenden Personen ebenfalls häufig ein geringerer Beweiswert beigemessen wird. 11 12
Kapitel 7 D. Kapitel 7 D. II. 2.
Zusammenfassung der Ergebnisse
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Der Sachverständigenbeweis kennt die Unterteilung in Gerichts- und Parteisachverständige.13 Grundsätzlich werden Gerichtssachverständige als zuverlässiger erachtet, werden aber nur selten bestellt. Daneben kennt das internationale Prozessrecht das Mittel der Untersuchung, das jedoch nur selten zum Einsatz kommt. Gleiches gilt für den Augenschein und die Ortsbesichtigung durch das Gericht. Während viele Augenscheinsobjekte angesichts des weiten Urkundenbegriffs bereits der Urkunde zuzurechnen sind und der Augenscheinsbeweis daher nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist die Ortsbesichtigung zwar als eigenes Beweismittel vorgesehen, wird aber nur in den seltensten Fällen in Erwägung gezogen. Schließlich ist als atypisches Beweismittel die amicus curiae-Eingabe zu nennen.14 Anerkanntermaßen darf ein „Freund des Gerichts“ nicht nur zu rechtlichen, sondern auch zu tatsächlichen Fragen Stellung nehmen. Dabei haben die einzelnen untersuchten Gerichte die Zulässigkeit solcher Eingaben höchst unterschiedlich gehandhabt. Eine einheitliche Regel lässt sich daher nicht destillieren. Jedenfalls aber ist die Entwicklung hin zu einer verstärkten Zulassung dieser Eingaben unverkennbar.
VIII. Beweiswürdigung, Beweismaß und Beweiswert 1. Beweiswürdigung Der internationale Richter ist in seiner Beweiswürdigung frei und nicht an gesetzliche Beweisregeln gebunden. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt daher uneingeschränkt im internationalen Prozess.15 Grenzen der Freiheit in der Beweiswürdigung sind die Gesetze der Logik und des gesunden Menschenverstandes. Nicht nachvollziehbare, willkürliche oder irrationale Schlüsse aus dem Beweismaterial dürfen nicht gezogen werden.
2. Beweismaß Die Frage des Beweismaßes ist bisher weder innerhalb der völkerrechtlichen Spruchkörper noch gerichtsübergreifend hinreichend geklärt. In 13 14 15
Kapitel 7 D. II. 3. Kapitel 7 D. II. 6. Kapitel 8 A.
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Kapitel 10
neuerer Zeit zeichnet sich jedoch eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Problematik sowohl in der Rechtsprechung als auch im Schrifttum ab. Mit einiger Vorsicht kann man feststellen, dass das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit als Standardbeweismaß in zwischenstaatlichen Streitigkeiten sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur den meisten Zuspruch findet.16 Gerade der IGH votiert jedoch für ein flexibles Beweismaß, das vom „clear and convincing evidence“ in den Standardfällen bis hin zur vollen richterlichen Überzeugung beim Nachweis von besonders schwerwiegenden Völkerrechtsverletzungen reicht. Dahingegen bekennt sich der EGMR konstant zur Geltung des Maßes „beyond reasonable doubt“.
3. Beweiswert Für den den einzelnen Beweismitteln zuzumessenden Beweiswert haben sich in der internationalen Rechtsprechung sachgerechte Kriterien herausgebildet. Demnach kommt es entscheidend auf die Sachnähe des Mittels und seine Neutralität an.17 Immer dann, wenn Beweismittel auf Personen zurückgehen, die einen Sachverhalt bereits anderweitig einer Prüfung unterzogen haben, also nicht direkte Sachnähe vorweisen können (etwa: gerichtliche Sachverständige, Privatgutachter, Berichte internationaler und nationaler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen, Medienberichte), werden sie regelmäßig dann besonders beweiskräftig sein, wenn die Methode ihrer Erstellung, die angewandte Sorgfalt sowie die Zuverlässigkeit der herangezogenen Quellen hoch einzuschätzen sind. Obwohl diese Grundsätze allgemein anerkannt sind, werden einzelne Beweismittel, insbesondere solcher sekundärer Natur, von internationalen Gerichten nicht immer sorgfältig daraufhin überprüft und entsprechend bewertet.
IX. Beweislastverteilung 1. Existenz und Ausgestaltung der Beweislast Entgegen teilweise gegensätzlicher Aussagen in frühen Schiedssprüchen und Literaturmeinungen existiert auch im internationalen zwischen16 17
Kapitel 8 B. Kapitel 8 C.
Zusammenfassung der Ergebnisse
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staatlichen Verfahren die objektive Beweislast.18 Danach ist im Falle der Unerweislichkeit einer Tatsache gegen die Partei zu entscheiden, die diesbezüglich beweisbelastet ist. Hieraus sowie aus der Geltung des Verhandlungsgrundsatzes folgt, dass diese Partei auch darlegungspflichtig ist und einer subjektiven Beweislast oder Beweisführungslast unterliegt. Für die Bestimmung der Beweislastverteilung gilt das in mehrerlei Hinsicht eingeschränkte Prinzip actori incumbit probatio.19 Als gesichert kann gelten, dass es für die Verteilung nicht auf die formale Stellung der Parteien im Prozess ankommt. Es greift jedoch auch zu kurz, wenn – wie in der Rechtsprechung und der völkerprozessrechtlichen Literatur oft angenommen – allein auf das Behaupten einer Tatsache abgestellt wird. Zwar wird dieses Kriterium in der Regel zu sachgerechten Ergebnissen führen, jedoch muss sich die Beweislastverteilung unabhängig nicht nur von der formalen Parteistellung, sondern auch vom Prozessverhalten der Parteien bestimmen lassen. Hier kann die aus den nationalen Rechtsordnungen bekannte modifizierte Normentheorie den Bedürfnissen des internationalen Prozesses angepasst werden. Danach ist bei der Ermittlung der Beweislastverteilung auf eine Auslegung der streitgegenständlichen materiellrechtlichen Norm abzustellen. Diese orientiert sich zunächst an Wortlaut und Systematik, bezieht jedoch sekundär auch andere materielle Kriterien mit ein. Dieses Ergebnis lässt sich rechtsvergleichend gut begründen.20 Die internationale Rechtsprechung hat freilich hierzu noch nicht Stellung genommen. Ansätze finden sich allenfalls im WTO-Recht; hier birgt die Unterscheidung des Appellate Body zwischen „autonomous rights“ und „defences“ einen Ansatz, in dem man eine vom Wortlaut der Norm ausgehende, aber wertende Elemente einbeziehende Begründung der Beweislastverteilung sehen kann.
2. Beweiserleichterungen und Beweislastumkehr Beweiserleichterungen bei Beweisschwierigkeiten einer Partei sind im Völkerprozessrecht zwar grundsätzlich anerkannt, aber noch nicht hinreichend systematisiert und wenig effektiv. Bisher ist lediglich gesichert, dass auch bei schwerwiegenden Völkerrechtsbrüchen ein Staat allein auf 18 19 20
Kapitel 9 B. Kapitel 9 A. IV. und B. Kapitel 9 A. IV.
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Kapitel 10
Grund von Indizienbeweisen verurteilt werden kann, wenn sich die Beweismittel zum großen Teil auf dem Gebiet des Beklagten befinden.21 Eine generelle Absenkung des Beweismaßes hin zu „prima facie evidence“ kann nicht festgestellt werden. Solche Beweiserleichterungen sind lediglich in Streitigkeiten gefestigt, in denen ein Individuum dem Staat gegenübersteht. So haben die regionalen Menschenrechtsgerichtshöfe in Situationen, in denen der Einzelne typischerweise in Beweisnot ist, in begrenztem Umfang Beweiserleichterungen gewährt. Im zwischenstaatlichen Prozess kann die in Beweisnot befindliche Partei jedoch durch Antrag auf Vorlegung von Urkunden durch den Gegner sicherstellen, dass sie ihre Behauptungen beweisen kann. Solche Anträge auf „discovery“ sind vor allen untersuchten Gerichten bekannt.22 Allerdings werden sie von diesen nicht konsequent beschieden. Das Institut der Beweislastumkehr wird gerade im Schrifttum oft als probates Mittel zur Beweiserleichterung genannt. Bei näherer Analyse stellt sich jedoch heraus, dass viele Fälle, in denen internationale Gerichte und die Literatur vom „shifting of the burden of proof“ sprechen, nicht die Umkehr der objektiven Beweislast betreffen. Dies gilt vor allem für den sogenannten „prima facie case“ in der WTO-Streitbeilegung, der nur eine Verschiebung der Beweisführungslast meint. Auch das Vorsorgeprinzip führt nicht zu einer Beweislastumkehr, sondern senkt bei präventiven Unterlassungsklagen lediglich das Beweismaß gegenüber dem traditionellen Präventionsprinzip. Nur rechtliche Tatsachenvermutungen, die auch im Völkerprozessrecht existieren und insbesondere im Vertragsrecht verankert sind, verschieben die objektive Beweislast. Sie sind jedoch (noch) spärlich gesät.
B. Ausblick Für die Zukunft kann mit einiger Zuversicht prognostiziert werden, dass das Beweisrecht vor internationalen Gerichten in seiner Bedeutung weiter zunehmen wird. Dies ergibt sich nicht nur aus der – bereits in der Einleitung angesprochenen – immer größeren Zahl der tatsächlich strittigen internationalen Fälle, sondern auch in der wachsenden Bereitschaft internationaler Gerichte, sich der Herausforderung der Beweisaufnahme und -würdigung zu stellen. Die erhöhte Aufmerksamkeit, die 21 22
Kapitel 9 C. III. Kapitel 5 B. II. 2.
Zusammenfassung der Ergebnisse
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dieses Thema in der völkerrechtlichen Literatur gerade in den letzten Jahren erhalten hat, bestätigt diese Einschätzung. Daher wird sich die Aufgabe stellen, gerade diejenigen Bereiche des Beweisrechts gerichtlich einer weiteren Klärung zuzuführen, bezüglich derer in der vorliegenden Arbeit noch weitreichende Defizite festgestellt wurden und allenfalls Entwicklungstendenzen aufgezeigt werden konnten. Zu diesen zählen insbesondere die Klärung der Rechtsquellen, die Frage der Vorlageanordnungen (discovery), die Durchsetzung beweisrechtlicher Anordnungen, die Existenz und Reichweite von Beweisverboten, das Beweismaß sowie die Entwicklung einer differenzierten und systematisch geschlossenen Theorie der Beweislastverteilung. Auch der faire Umgang mit der Beweisnot einer Partei muss sich erst noch festigen. Eine solche Klärung ist kaum von den Staaten selbst zu erwarten, etwa in Form der vertragsrechtlichen Konsolidierung des völkerprozessualen Beweisrechts. Gefragt sind daher vor allem internationale Gerichte, die es in der Hand haben, die ihnen gegebenen weitreichenden Befugnisse zu konkretisieren und vor allem zu nutzen. Dabei muss gelten, dass sie sich von der souveränitätschonenden Anwendung des Prozessrechts zumindest soweit entfernen, dass eine den Maßstäben der guten Rechtspflege (proper administration of justice) gerecht werdende Entscheidung innerhalb einer angemessenen Verfahrensdauer möglich wird. Hierzu bieten sich gerade im Beweisrecht verschiedene Möglichkeiten. So sollten sich für zwischenstaatliche Streitigkeiten zuständige internationale Gerichtshöfe ein Beispiel an den internationalen Strafgerichtshöfen nehmen und sogenannte case oder status conferences anberaumen. Dort könnten wichtige prozessuale Vorfragen geklärt werden. Des Weiteren wären solche Konferenzen nützlich, damit der Gerichtshof den Parteien Hinweise zu die Beweisführung betreffenden Fragen geben kann, etwa die des in Bezug auf verschiedene Teile des Falles anzulegenden Beweismaßes23 oder darüber, welche Tatsachen das Gericht als offenkundig einstuft. Eine solche Vorgehensweise wäre nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensgerechtigkeit, sondern auch der Prozessökonomie zu begrüßen. Wichtige Voraussetzungen könnten auch in gesonderten Beschlüssen geklärt werden. Solche Beschlüsse kommen in der ad hoc-Schiedsgerichtsbarkeit insbesondere auch in Beweisfragen 23
Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (128). Für die internationale private Schiedsgerichtsbarkeit auch: Reiner, Arbitration International 10 (1994), 328 (340).
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Kapitel 10
durchaus vor.24 Sie könnten auch dazu beitragen, die oft überlange Verfahrensdauer zu verkürzen, auch wenn nicht übersehen werden darf, dass Verzögerungen häufig auf das Verhalten der Staaten selbst zurückgehen. Es bleibt festzuhalten, dass das Beweisrecht für die Legitimität der Urteile internationaler Gerichte mitentscheidend ist. Die Fortentwicklung und Klärung des Beweisrechts ist daher eine wesentliche Aufgabe internationaler Gerichte und der völkerrechtlichen Literatur.
24
Siehe etwa EECC, Decision No. 4, abrufbar unter <www.pca-cpa.org>; Teitelbaum, LPICT 6 (2007), 119 (129).
Summary I. Aim and Scope of the Study The present study seeks to describe the law of evidence in inter-state disputes as applied by international courts from an analytical and systematic perspective. The purpose of the study is to provide a comprehensive overview of the current law of evidence, to clarify and critically comment on it, and finally, to propose ways in which the law might be further developed. To this end, the study analyses the various applicable statutes, the relevant rules of procedure, other procedural instruments and the case law of the main permanent international courts and tribunals which determine inter-state disputes. These include the International Court of Justice (ICJ), its predecessor, the Permanent Court of International Justice (PCIJ), the International Tribunal for the Law of the Sea (ITLOS) and the WTO Dispute Settlement Body (DSB). In addition, the decisions of the main arbitral tribunals and mixed claims commissions are included. Other international courts, such as the Iran-US Claims Tribunal (IUSCT) the two active regional human rights courts (the European Court of Human Rights (ECtHR) and the Inter-American Court of Human Rights (IACtHR)), the ad hoc international criminal tribunals (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY) and International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR)) and the International Criminal Court (ICC) primarily deal with cases that do not involve two states as parties, but rather pronounce on individual rights or individual responsibility and hence operate in a different procedural setting. Nevertheless, their procedural documents and case law are also examined in this study in order to be able to draw a comparison to the procedural rules applied in inter-state disputes. The study seeks to identify common evidentiary rules and principles applicable in all inter-state judicial disputes, regardless of which international court or tribunal may be seized of the matter. In doing so, the starting point for the study is an analysis of the traditional sources of international law, i.e. international treaties (the statutes of the courts, including inherent or implied powers under such treaties) and the secondary procedural law made by the judicial bodies pursuant to those
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treaties (the rules of procedure and other instruments, such as practice directions and codes of conduct), as well as customary international law and general principles of law. In addition, the study specifically examines the role of judicial law-making in procedural law in general and in evidentiary law in particular.
II. The Status of the International Law of Evidence in Inter-State Disputes While many academic commentators and practitioners past and present conclude that the law of evidence in inter-state disputes consists of a more or less complete and coherent set of rules, an analysis of the case law of the main permanent international courts and tribunals, as well as of arbitral decisions, reveals that there is no uniform and consistent understanding of the international law of evidence, or in fact of international procedural law in general. Some areas of the law of evidence may be considered settled and extensively analysed, whilst others remain hotly debated or have yet to be analysed in depth. One possible reason for this may be that the constitutive instruments and procedural rules of international courts and tribunals are fragmentary in relation to evidentiary questions. In addition, international courts and tribunals have in the past either not been frequently called upon to decide on issues of evidence or have avoided ruling on such matters out of concern that this may impair the willingness of states to accept such judgments. An alternative explanation for the absence of a coherent approach to evidentiary law in inter-state disputes may be that international courts and parties traditionally have attached particular importance to flexibility in the application of international procedural law. Therefore it is only with caution that one may refer to a truly uniform law of evidence valid for and binding on all international courts and arbitral tribunals seized of inter-state disputes. In many areas, the case law is only just beginning to slowly move towards a common approach. Some issues have only been addressed by individual courts, while other courts have not been confronted with, or have avoided pronouncing on, such issues. Consequently, the treatment of the law of evidence before international courts and tribunals is often inconsistent and unpredictable, which is particularly problematic from the point of view of the principles of a fair trial and a proper administration of justice. In addition, inconsistent and imprecise use of evidentiary terminology, as well
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as the lack of comparative procedural analysis, exacerbate the difficulties in reaching consensus on a uniform body of evidentiary rules. Nevertheless, a clear and steady trend can be discerned to the effect that international courts and tribunals are increasingly addressing evidentiary questions in greater depth and detail. The main reason for this may be a change in perception towards international judicial dispute settlement. In the past it may have seemed inappropriate for a state party to international judicial proceedings to challenge the arguments of the opposing party not only on legal, but also on factual grounds. However, in more recent cases, states are no longer simply contesting legal interpretations but have begun to question factual assertions put forward by the other side. This, together with a greater willingness of international courts to engage with evidentiary issues, and more animated academic debate, has given greater momentum to the development of the international law of evidence.
III. The Significance and Function of International Evidentiary Law The law of evidence regulates the fact-finding process of international courts and tribunals. The fact-finding task is a fundamental element of the function of international courts. It enables courts to decide cases even when the parties cannot agree on the factual basis of the dispute. The aim of the law is to ensure that an international court has or may gain knowledge of all material facts in order to reach a well-reasoned decision and to establish rules which define when a fact may be regarded as proven. International evidentiary law, as international procedural law in general, has an auxiliary function in that it ultimately facilitates the enforcement of substantive international law. Questions of evidence have increasingly gained in significance in recent years in international dispute settlement. The most controversial cases before the ICJ have involved heavily disputed factual grounds, such as the Armed Activities on the Territory of the Congo and the Application of the Genocide Convention cases. As the international legal system evolves into an increasingly consolidated and comprehensive set of rights and obligations, and as its subject matter scope expands, the role played by facts in determining a resolution to any case is likely to increase and consequently evidentiary questions will become subject to more intensive dispute between the parties.
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A consistent and well-developed system of evidence contributes to a fair trial and the sound administration of justice. It is necessary for the legitimacy of international judgments and the effectiveness of international dispute settlement as a whole. If a judgment is rendered on the basis of a set of incomplete or insufficient facts, this may impair the willingness of states generally to abide by the rulings of an international court.
IV. Sources of the Law of Evidence in Inter-State Disputes Up to now, the issue of the sources of the law of evidence in international law has not been extensively explored. While it is commonly agreed among academic commentators that treaties have the most potential to play a significant role in clarifying evidentiary law, most constitutional instruments of international courts and tribunals are silent as to this aspect. Some gaps left by treaty law can potentially be filled by reference to inherent or implied powers, with most international courts preferring to speak of inherent rather than implied powers when discussing their unwritten competences. Whichever term is used, the requirements for such powers are the same: A power is only inherent if it is necessary for the exercise of the jurisdiction of the court or tribunal, that is, the settlement of international disputes, and can only be recognised if it is not inconsistent with the object and purpose of the treaty establishing the court or tribunal. Inherent powers may be a useful tool in establishing a common law of evidence for international courts, as procedural competences and rules developed by one court under the doctrine of inherent powers may well be transferred to other courts of a similar jurisdictional type, e.g. from one court deciding inter-state disputes to another. Many commentators suggest that the gaps in the international law of evidence which are left by treaty law may be filled by customary international law. However, the nature of customary international law means that it is ill-suited to fulfil such a purpose. On the one hand, procedural practice – including the gathering and assessment of evidence – is often made by international courts rather than states. On the other hand, the procedural practice of states is normally directed at the international court, not other states. Hence, one of the necessary elements of international customary law, that is the interaction between states (state practice), does not exist in the area of procedural law.
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General principles of law are traditionally regarded as one of the main sources of the law of evidence in international disputes. Nevertheless, they also face considerable criticism. For instance, it is argued that the varying approaches which individual national legal orders take in their treatment of evidential principles prevents the establishment of a clear set of common rules. The case law of international courts has, however, made ample use of general principles of law in this area. Judge-made law plays a pivotal role as a separate source of international evidentiary law. The main form of judge-made law is that of secondary procedural law enacted by international courts, whether in the form of “rules of procedure” or other instruments, such as practice directions or codes of conduct. Most international courts are vested with the authority to lay down rules of procedure (see Article 30 of the ICJ Statute, Article 16 of the ITLOS Statute, or Art. 17 (9) of the WTO Dispute Settlement Undertaking (DSU)). In addition, the case law of international courts plays a crucial role in the development of international procedural law generally, and the law of evidence in particular. Whilst most commentators agree that such case law is important for understanding evidentiary law, most would also concur with the traditional opinion that the judgments of international courts are not in themselves sources of international law. Such opinion seems to be supported by Article 38 (1) (d) of the ICJ Statute, which characterises judicial decisions as a “subsidiary means for the determination of rules of law”. It is clear that an individual judgment of an international court cannot have the status of a source of international procedural law as there is no doctrine of precedent in international law. Nonetheless, a consistent procedural practice of international courts may well constitute a separate source of international procedural law in its own right, if states expressly or implicitly follow this consistent practice, for example by making reference to procedural precedents in their written and oral submissions.
V. General Principles of International Procedural Law Inter-state international litigation is based on several generally accepted fundamental principles which also impact on the admissibility of the taking of evidence. International courts often refer to these tenets as “general principles of international procedural law”. The most fundamental of these principles is the right to a fair trial which also applies to the inter-state process. Its basic element is the procedural equality of the
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parties which is a consequence of the sovereign equality of states, and the right to be heard (audiatur et altera pars). Each party must be given the opportunity to present its legal and factual arguments and given the chance to adequately respond to the arguments of the opposing party. In terms of the law of evidence, this generally means that each party has a right to submit all relevant evidence, and must be granted access to the evidence of the opposing party in order to analyse it and formulate counter-arguments. Unlike in international criminal law where the Prosecutor as an international organ decides to initiate proceedings, the principle of party autonomy in inter-state litigation means that it is the parties, rather than the international court or an independent organ, who bring a case to court and define the scope of the dispute. The international court must not go beyond what is requested by the parties (ne ultra petita). The parties also have the right to consensually end the proceedings. The parties have a right to have their dispute decided by the international court, and to have access to the judicial reasoning which was relied on in order to reach the decision. Most international procedural systems also acknowledge the principle of public hearings (see, e.g., Article 46 ICJ Statute, Article 26 (2) ITLOS Statute). However, the same is not generally true for the WTO dispute settlement mechanism and international arbitral proceedings. Paragraph 2 of Appendix 3 to the DSU (“Working Procedures” for panels) states that the panel shall meet in closed session. However, panels have recently begun to open selected proceedings to the public. Whilst all of the procedural principles described above are relevant to the taking of evidence, the pivotal question for the international law of evidence is how to allocate responsibilities and duties with respect to the gathering of evidence between the international court and the parties. Commentators and international judges alike have long disagreed as to whether international inter-state court proceedings follow an “adversarial” or “inquisitorial” model. National civil procedural models by and large offer three types of principles for determining the allocation of responsibility for fact-finding between the court and the parties: The first is a strictly adversarial model, where the court’s role is mainly that of an impartial referee that will not seek to complete or otherwise influence the factual record. The second, the inquisitorial model, lies at the opposite side of the spectrum and generally gives the court the authority to gather evidence even on facts that the parties have not presented. Moreover, the court has the duty to actively investigate the factual circumstances of a case in order to achieve the most complete and accurate
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understanding possible of the facts. The third model is a compromise between the adversarial and inquisitorial systems and is referred to as the modified adversarial model. It is based on the adversarial model in that the primary responsibility for gathering evidence lies with the parties, but at the same time the courts are given considerable competence with regard to eliciting the factual basis of the dispute. The modified adversarial model allows the court to discuss the legal and factual situation with the parties, to indicate which aspects of the dispute require further clarification and, more importantly, to order the production of evidence ex officio. The main difference to the inquisitorial model is that the court is not obliged to actively investigate the facts. The procedural instruments and case law of international courts allow one to draw the conclusion that international procedural law in interstate disputes largely follows a modified adversarial model. It is the parties who define the scope of the dispute and bear the primary responsibility for asserting and proving specific facts. Nevertheless, international courts have ample power to influence the taking of evidence ex officio; generally, all means of evidence gathering available in inter-state litigation can be invoked by the court of its own motion. For example, it is not required that the parties first enter a specific motion to order production of a document or hearing of a witness. Notwithstanding this, international courts are bound to the factual matrix as defined by the parties. This means that in general, the courts may not take into account facts that have not been presented by either party to the proceedings, are bound by mutually agreed facts, and must decide whether contested facts are sufficiently established by evidence. Courts have a largely unfettered discretion in deciding whether to make use of their ex officio competences to gather evidence, that is, they may decide if and when to exercise their authority to request the parties to provide documents, to make use of experts or to call witnesses. They should, however, make more active use of their powers if the dispute in question relates to the interests of the international community as a whole, given that in such cases the dispute is not a merely a bilateral issue between the parties, but rather concerns multiple actors, both state and individual.
VI. Cooperation Duties in International Procedural Law It is widely agreed that parties to inter-state disputes are obliged to cooperate in good faith. This duty, however, is too vague to have any
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meaningful relevance in specific procedural situations, especially for the law of evidence. Nevertheless, the court may, in specific cases, define concrete duties of cooperation by issuing procedural orders. Such orders may also be made in relation to fact-finding. The most important example is that of discovery orders, i.e. orders directed to a party, at the request of the opposing party, to produce a particular document. Individual state legal systems have taken varying approaches to duties of cooperation in general, in particular to discovery obligations. Common law legal systems have more extensive disclosure obligations, while many civil law systems tend to adhere to the Roman law principle that no one is under an obligation to produce documents against his own interests (nemo tenetur edere contra se). Early arbitral jurisprudence, especially of the American-Mexican General Claims Commission (Parker case), advocated a virtually unlimited duty on the parties to disclose all relevant facts and evidence. This rule, however, has not become incorporated in international procedural law. Instead, the duty to disclose documents adverse to a party’s own interests has been defined more restrictively. In more recent international case law, it seems that a rule has begun to emerge to the effect that a party may be required by the court to produce a document even if it is detrimental to that party’s case. A request for the production of documents by one party will, however, only be granted by the international court if that party has first made all necessary and reasonable efforts to secure possession of the relevant document itself. In addition, the other party may rely on evidentiary privileges. Such privileges, the applicability of which to a given case must be determined by the international court, include national security interests, confidential business information and attorney-client privilege. However, the case law and procedural practice of international courts are far from settled in this area. Requests for the production of documents are often treated in a relatively arbitrary manner. One recent example is the request made by Bosnia-Herzegovina for the production of unredacted documents by Serbia in the Genocide case. Needless to say, it is expected that interstate disputes and academic literature will contribute to a further clarification of this area in the future.
VII. Implementation and Enforcement of the Law of Evidence International procedural law in inter-state disputes recognises neither a generally accepted catalogue of duties of cooperation applicable to par-
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ties or third states by international courts or tribunals, nor mechanisms for the enforcement of such duties. As a result, inter-state dispute settlement stands in contrast to international criminal law, where both the procedural law of the ad hoc tribunals and the ICC includes provisions for the cooperation between the court and UN member states or the parties to the ICC Statute. The only means of enforcing the law of evidence in inter-state disputes is generally made by drawing adverse inferences, for instance where a party does not produce a document that it has been ordered to disclose. However, international courts and tribunals have only rarely made use of this means of enforcement.
VIII. Taking of Evidence 1. Flexibility of International Courts and Tribunals in the Taking of Evidence Traditionally, international courts and tribunals have adopted a flexible approach to the admission and taking of evidence. However, some international courts have in recent times made efforts to formalise their proceedings. One example is the ICJ, which has issued several practice directions. The parameters for the taking of evidence set by the procedural instruments of international courts and tribunals are scarce and are essentially set out by the courts individually in specific cases.
2. Issues that Need to be Proved before International Courts and Tribunals Issues that need to be proved before international courts and tribunals are primarily the facts asserted by the parties. Facts which are not disputed between the parties, or are agreed upon by the parties, do not need to be proved. The same is true where the court takes judicial notice of the fact in question as it is of common knowledge, or where the party contesting a particular fact is estopped from doing so. It is generally accepted that courts are not bound by the facts established by other international courts or international organisations. This does not preclude that the conclusions of these international organs may have a high probative value and thus be influential on the decision making process. According to the principle of iura novit curia, it is only the facts that need to be proved, while the law is already known to the court. While many international courts and academic commentators contend that
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this principle is also one of international procedural law, a closer look reveals that such statements do not sufficiently take into consideration the structure of international law. Exceptions are required already when referring to the best-documented source of international law: treaties. The validity, scope and, to a certain extent, interpretation of an international treaty may be subject to proof. The question may also arise as to whether a party to a proceeding is bound by a specific provision of a treaty. With regard to customary international law, if the rule has not yet been recognised by international courts, a party asserting a rule is required to prove its constitutive elements, state practice and opinio juris. For regional international custom, it has long been accepted that a party relying on such a rule must prove its existence and scope.
IX. Means of Proof There is no exhaustive list of means of proof in international procedural law. In principle, all types of evidence are admissible in international litigation, and it is for the judge to assess the evidentiary value of each individual piece of evidence. Equally, there is no hierarchy of different means of proof in international law. The most common means of proof in international litigation resemble those used in most national legal systems. The most important and most frequently used is documentary evidence. Documentary evidence may range from media reports, reports by international organisations and NGOs, and maps to factual findings reached in the decisions of other international courts. While the use of witness evidence has traditionally been scarce in interstate litigation, it is increasingly gaining in importance, as demonstrated in the recent Genocide case decided by the ICJ. In this context, international courts and tribunals have generally considered hearsay evidence to be admissible. The fact that the witness cannot give first-hand evidence may, however, influence the probative weight given to such evidence. Written witness statements and affidavits are also admissible means of evidence in international litigation, even though their evidentiary value may be limited depending on the circumstances in which they were taken. National legal systems disagree on the question of whether a party to the proceedings may be heard as a witness. However, the problem does not arise frequently in inter-state litigation, as heads of state, or other
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organs representing the state, are rarely called upon to give testimony. International procedural law does not, however, contain a clear rule to the effect that parties or their legal representatives may not give testimony. Nevertheless, some international courts (especially the IUSCT) differentiate between the testimony given by so-called “interested persons”, i.e. those who have a close relationship with one party, and others who appear to be neutral. The testimony of interested persons is often regarded as less reliable. Such a tendency can also be discerned in inter-state litigation. Public servants of states who are parties to the dispute are often regarded as potentially biased and hence their testimony, as well as written documentation prepared by them, may be subject to intense scrutiny by the international court. Expert evidence is a traditional means of proof in international litigation and is mainly used in cases where scientific issues are in dispute. Different rules apply depending on whether the expert is one selected by a party or is called upon by the court itself. International courts generally have the authority to ask for an expert opinion proprio motu. The role of these experts is to assist the court in giving judgment upon the issues submitted to it for decision. The parties to the case are generally required to cooperate with the experts by providing them with all relevant information that they may request from them. International courts have emphasised, however, that the duty of deciding the case must in no way be delegated to the expert. The report prepared by the expert is merely to be considered and weighed by the court, taking into account all other available evidence. Nevertheless, evidence given by courtappointed experts will normally carry significant weight. Expert reports prepared for one party are more closely scrutinised by international courts as to their appropriate expertise and the conclusions they have reached. Besides being a separate mechanism of international dispute settlement, inspections are also a recognised means of proof in international litigation (see, e.g., Article 50 of the ICJ Statute, and Article 82 of the ITLOS Statute). If the court requests a third party to undertake the inspection, the inspection bears great resemblance to the contribution of courtappointed experts. If the court itself conducts the inspection, the inspection is effectively a site visit, which is also an accepted, but equally rarely used means of proof. In recent years, amici curiae have gained importance in international litigation. An amicus curiae may be defined as a person or institution with no legal interest in the dispute, but who provides the court with factual or legal information for academic, idealistic or economic inter-
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ests, in order to assist the court in solving the dispute. The function of amici curiae is often regarded as being limited to addressing legal issues, but they may also play a role in fact-finding. Given that amici curiae generally have no legal interest in a dispute, there is no right of a person or institution to be heard as an amicus. The significance of amicus curiae submissions differs widely between international courts. While human rights courts, international criminal tribunals and ICSID tribunals have made increasingly frequent use of such submissions, the ICJ has only accepted briefs in advisory, not contentious proceedings.
X. Assessment and Evaluation of Evidence, Standard of Proof, Probative Value 1. Evaluation of Evidence The evaluation and assessment of evidence is a field of international procedural law that has traditionally received little attention both from international courts and in the literature. The constitutional instruments and secondary procedural law of international courts typically do not contain any provisions on the issue. In the past, courts and commentators have often been satisfied to point out that international courts have a large discretion in evaluating the probative value of individual pieces of evidence. Recent years have witnessed a rising importance of evidentiary questions in international litigation; international courts have devoted more attention and consideration to the standards and procedure of evaluating evidence. There is also a growing sensitivity among international courts as to the need to justify their assessment and, in particular, to give reasons in the judgment. The basic rule agreed between international courts is that international courts may freely weigh the evidence before them, meaning that formal rules which would ascribe a particular evidentiary value to a defined means of evidence are lacking in the international legal system.
2. Standard of Proof The question of the standard of proof in international litigation remains in a state of flux. The ICJ, for example, has recently leaned towards a standard of “clear and convincing evidence” as a default rule, whereas the facts underlying claims against a state involving charges of exceptional gravity (such as genocide) require the full conviction of the court,
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which may arguably be taken to come close to a “beyond reasonable doubt” standard, normally found in national criminal law. WTO dispute settlement follows a somewhat singular route amongst international courts dealing with inter-state disputes. It first requires the complaining party to establish a prima facie case, which is defined as a “case which, in the absence of effective refutation by the defending party, requires a panel, as a matter of law, to rule in favour of the complaining party presenting the prima facie case”; a successful establishment of a prima facie case will raise a presumption in favour of its claim. The defending party then has to rebut this presumption. The case law of panels and the Appellate Body is not, however, entirely clear as to the standard of proof necessary to establish such a prima facie case. An analysis of the case law reveals that the WTO dispute settlement mechanism normally operates with a “preponderance of the evidence” or “balance of probabilities” test. Statements on the applicable standard of proof of other international courts and tribunals vary between the balance of probabilities and the full conviction of the court. Whatever standard of proof is adopted, the common underlying rule is that none of the tests refer to a statistical or mathematical probability, but rather focus on the personal conviction of the judge of the truth of the fact asserted.
3. Probative Value While all courts make it clear that the assessment of evidence is not a rigidly defined procedure subject to strict formal rules, they have gradually developed certain parameters by which the probative value of individual pieces of evidence may be determined. How influential each piece of evidence is in proving particular facts will mainly depend on the reliability and neutrality of the source of such evidence. The testimony of an eyewitness will thus be of greater value than a hearsay statement. A document drafted immediately after the events in question will be more persuasive than one written long after the fact. Media reports may accordingly be of only limited value, depending on the quality of their underlying research and the reliability of their sources. Neutrality may be a decisive factor where persons interested in a particular version of the story give testimony, write press articles or compile NGO reports.
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XI. Burden of Proof 1. Existence and Allocation of the Burden of Proof Contrary to statements made in early arbitral awards, international procedural law clearly contains rules on the burden of proof. The burden of persuasion defines how the international court must decide if a fact cannot be proved, that is, when the court, having regard to the applicable standard of proof, is neither convinced of the existence nor the nonexistence of a fact. In such a case, the court will decide the issue against the party who bears the burden of proof. The adversary principle prevailing in international litigation implies that each party also bears the burden of producing or presenting evidence in relation to those facts for which it has the burden of proof. In principle, the allocation of the burden of proof follows the wellestablished principle of actori incumbit probatio. However, this generally accepted rule requires further clarification. First, it is clear that the allocation of the burden of proof is not influenced by the formal role of the parties in the proceedings, that is, it is independent from the role of the plaintiff or the respondent, as otherwise this would lead to arbitrary results. It is equally unsatisfactory to merely make the burden of proof dependent on which party alleges a particular fact. While this rule may lead to the correct outcome in most cases, the allocation of the burden of proof must be independent from both the formal status as well as the procedural behaviour of the parties. A comparative analysis of national laws reveals that the burden of proof is generally determined by examining the substantive rule of law that the court is called upon to apply. A party will have to prove all facts essential or necessary to its case, that is, the facts which need to be established so that a rule favourable to that party can operate. The interpretation of which elements of a rule are essential or necessary in the way just described will begin with the text and structure of the norm as well as its context, but will also take into consideration certain normative criteria. Such criteria include an appraisal of the general probability of certain facts, as well as an analysis of which party invoked the judicial process, which party will benefit from a change in the existing state of affairs, and which party is in possession of the relevant information.
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2. Alleviation and Shift of the Burden of Proof Alleviation of the burden or standard of proof is a generally accepted feature in international procedural law; however, in practice international courts are inconsistent in their recognition and application of it. One definite rule that can be distilled from the case law of international courts is that a state may be held responsible by an international court for grave violations of international law even where the evidence is only of an indirect nature, for instance if the material evidence is located on the territory of the defendant. A general lowering of the standard of proof to “prima facie evidence” can not be established from the case law of international courts in interstate disputes. It occurs more frequently in dispute settlement mechanisms where an individual and a state are parties. The regional human rights courts, for instance, normally place a less onerous burden of proof on the individual in situations where he or she is typically not in the possession of the kind of proof necessary to meet the full burden of proof. In inter-state litigation, a party lacking information on facts with regard to which it bears the burden of proof may instead apply to the court for discovery. However, international courts have not yet developed a consistent approach to the requirements for such discovery requests. The procedural tool available to courts of a “shifting of the burden of proof” in the sense of shifting the burden of persuasion is frequently referred to in the case law of international courts and in the literature; however, its meaning and requirements remain opaque. Most instances where courts or individual commentators perceive a shift in the burden of proof, upon closer inspection it turns out to be a lowering of the applicable standard of proof or another comparable technique. This holds particularly true for the so-called “prima facie case” as referred to by the WTO dispute settlement institutions. A genuine shift of the burden of persuasion does not occur if the complaining party has established a prima facie case. The international environmental law precautionary principle equally does not effect a shift in the burden of persuasion, but leads to a lowering of the required standard of proof.
XII. Outlook The role of the law of evidence before international courts and tribunals in inter-state litigation will, in all likelihood, continue to gain in impor-
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tance for international litigation. More and more cases coming before international courts involve a widely disputed factual basis – which is often politically sensitive – and international courts themselves are showing a growing awareness of the fact that sound evidentiary principles are essential prerequisites to fair and just proceedings and judgments. In this context it will be a major task for international courts and literature to further clarify and develop those aspects of the international law of evidence in inter-state litigation which remain vague and ill-defined. In particular, aspects such as discovery requests by a party, the enforcement of evidentiary and other procedural decisions by international courts (including the question of the scope of cooperation duties of parties and third states), the existence and extent of evidentiary privileges, the standard of proof and a systematically sound theory of the allocation of the burden of proof will need to be addressed. Accordingly, the question of how to deal with a disparity of information between the parties is of particular importance. Clarification of such questions is not to be expected from states. It is for international courts and tribunals to interpret and make use of their extensive powers in relation to fact-finding and the evaluation of evidence in a consistent manner. In doing so, they should place less emphasis on a construction of their procedural texts so as to intrude as little as possible on state sovereignty, and more emphasis on applying the principles of the sound administration of justice and fair trial more consistently to the evidentiary field. Several instruments which are already commonly used in other procedural settings may contribute to such development. For example, international courts dealing with inter-state disputes may be inspired by their international criminal law counterparts and enhance the evidentiary clarity and fairness of their proceedings by holding case or status conferences in which important procedural questions could be discussed in detail. Parties may be subsequently instructed as to the court’s current view of the evidentiary situation, including the standard of proof applicable to different aspects of the case. Such an approach would not only be beneficial to procedural fairness but may well also contribute to reducing the length of proceedings. Important conclusions or further procedural advice by the court could be documented in separate procedural decisions. It is vital that all actors in international litigation are aware that the international law of evidence is of paramount importance for the legitimacy of international judgments and the international dispute settlement system as a whole. The further
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development and clarification of international evidentiary law is thus a fundamental task of international courts and academic commentators.
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Sachregister actori incumbit probatio, siehe Beweislast Affidavits, siehe Zeugenbeweis Allgemeine Rechtsgrundsätze: 36 f., 39 f., 42, 47 f., 71 ff., 86, 97 f., 112, 115, 309, 321, 355, 366, 372, 410, 442, 461, 511, 548, 579, 608, 637, 724, 728 − im Völkerprozessrecht: 74 ff. Amicus curiae: 26, 200, 210, 244 ff., 286, 484 ff., 491, 733 − Definition: 484 ff. − Rolle im internationalen Prozess: 485 f. − Zulässigkeit: 487 ff. Angreiferprinzip: 598 f., 601, 604 Anscheinsbeweis: 523, 526, 533, 677, 681, 701, 703 − prima facie case, Unterschied: 533 f., 582, 673, 679 − prima facie evidence: 314, 323, 523, 526, 634, 736 audiatur et altera pars, siehe rechtliches Gehör Augenschein: 150 ff., 167, 174, 176 f., 257, 455 f., 550, 733 − Zulässigkeit: 482 f. Auskunft internationaler Organisationen, siehe Beweismittel Auslegung: 49, 62, 110, 159, 195, 215, 269 ff., 287, 349, 569, 601, 606 f. − in dubio mitius: 50, 680
− materiellrechtsgeleitete Auslegung des Prozessrechts: 269 ff. − nationalen Rechts durch internationale Gerichte: 367 ff. − systemische Auslegung (Art. 31 Abs. 3 (c) WVK): 270 ff. Ausnahmen, siehe Beweislast Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs, siehe Rechtswegerschöpfung Avena-Fall (IGH): 310 ff., 469, 619 Begründungsgebot gerichtlicher Entscheidungen: 125 ff. Besetzung, militärische: 694 f. Beweisantritt: 257, 444 f. Beweisaufnahme: 355 ff. − Fristen: 447 ff. − Gegenstand: 355 ff. − Unmittelbarkeit der: 224 − Verfahren: 443 − Zulässigkeit der: 372 ff. Beweisbedürftigkeit: 374 ff. − von nationalem Recht: 367 ff. − von Rechtsregeln, siehe iura novit curia − von Tatsachen: 355 Beweisbeschluss: 340, 444, 471 − Bindungswirkung: 157 ff., 187, 266 Beweiserleichterungen: 307, 439, 514, 522 f., 526, 533, 539, 581, 583, 664, 674 ff., 690 ff.
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− Anscheinsbeweis, siehe dort − Indizienbeweis, siehe dort − Schadensschätzung: 544 f. Beweislast: 585 ff. − actori incumbit probatio: 595 ff., 600, 625, 632, 668, 670 ff., 724, 735 − Ausnahmen: 360, 596, 610 (IGH), 626 (ISGH), 632 f. (IUSCT), 644 ff. (WTO), 667 (Schiedsgerichte), 671 − Beweislastumkehr: 29, 185, 334, 400, 409, 443, 568, 572, 641, 674 ff., 675 ff. (Vermutungen), 690 ff. (Informationsasymmetrie), 704 ff. (Umweltvölkerrecht) − Beweislastverteilung: 1, 17, 28 f., 45, 57, 179, 305, 307, 317, 323, 594 ff., 670 ff. − Funktionen: 587 f. − objektive: 585, 589, 593 f., 643, 662, 665, 670 f., 681 f., 724 − subjektive: 183, 444, 585, 589 f., 593, 641, 643, 670, 672, 676, 681 − in Zulässigkeitsfragen: 610 ff. (IGH), 626 ff. (ISGH) Beweislastumkehr, siehe Beweislast Beweislastverteilung, siehe Beweislast Beweismaß: 504 ff. − Beweismaßreduzierung/senkung: 547, 674, 690 ff., 700, 719 ff., 725 − für besonders schwerwiegende Völkerrechtsverletzungen, erhöhtes: 508, 515 ff., 527, 538, 543 ff., 582, 694
Sachregister
− EECC: 543 ff. − Internationaler Gerichtshof: 512 ff. − Internationaler Seegerichtshof: 523 ff. − Iran-US Claims Tribunal: 525 ff. − Menschenrechtsgerichtshöfe: 537 ff. − Rechtsvergleichung: 506 ff. − WTO-Streitbeilegung: 527 ff. Beweismittel, siehe auch Beweiswert, Beweisaufnahme: 453 ff. − Affidavits, siehe Zeugenbeweis − Amicus curiae, siehe dort − Augenschein, siehe dort − Auskünfte von internationalen Organisationen: 206 ff., 484 − Hierarchie: 455 f. − numerus clausus: 453 ff. − Ortsbesichtigung, siehe dort − Parteivernehmung, siehe dort − rechtwidrig erlangte: 435 ff. − Sachverständige, siehe dort − Untersuchung, siehe dort − Urkunden, siehe dort − Zeugen, siehe Zeugenbeweis − Zulässigkeit: 456 ff. Beweismittelerschöpfung, Grundsatz der: 446 f. Beweismittelverträge: 441 f. Beweisnot, siehe auch Informationsasymmetrie: 29, 263, 312, 526, 539, 559 f., 690 ff., 736 Beweissicherungsanordnungen: 700
Sachregister
Beweisverbote: 27, 324, 336, 373, 410 ff. − Anwaltsgeheimnis: 426 f. − Arztgeheimnis: 428 − außergerichtliche Vergleichsversuche: 314, 440 f. − Beichtgeheimnis: 427 − Beweismittelverträge, siehe dort − Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK): 431 ff. − Kriegsberichterstatter: 428 ff. − Presse und Rundfunk, Mitarbeiter: 428 ff. − rechtswidrig erlangte Beweismittel: 435 ff. − staatliche Beweisverweigerungsrechte: 412 ff. − Unternehmensgeheimnisse: 423 ff. Beweiswert: 221, 335, 387, 396, 408, 443, 462 ff., 469, 474, 550 ff. − einzelner Beweismittel, siehe dort Beweiswürdigung, freie: 493 ff. − einzelner Beweismittel, siehe dort Codes of Conduct: 99 ff. Codex Alimentarius: 213, 650, 654 Codex Alimentarius-Kommission: 213, 649 f., 654 Corfu Channel-Fall: 84, 147, 199, 238, 264, 335, 378, 436, 438, 468, 473, 477, 515, 562, 578 ff., 598, 669, 691 ff. Diplomatischer Schutz: 247, 551, 617 ff. − Rechtswegerschöpfung, siehe dort
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Disclosure, siehe Vorlageanordnungen Discovery, siehe Vorlageanordnungen Dispositionsgrundsatz: 119 ff., 153 − ne ultra petita: 120 f. Drittstaaten: 143, 189, 192 ff., 210, 256, 327, 350 f., 476 f. − amtswegige Befugnisse internationaler Gerichte gegenüber: 192 ff. − i.S.d. Art. 10 DSU: 176, 186 f., 253 f. Durchsetzung des Prozessrechts: 26, 300, 327 ff. − Feststellung der Weigerung der Beachtung gerichtlicher prozessualer Anordnungen: 328 f. − gegenüber Einzelnen: 22, 337 ff., 467 − negative Rückschlüsse: 329 ff. − Rechtshilfe: 344 ff. − unmittelbare Anwendung prozessualer Entscheidungen: 340 ff. EECC, siehe Eritrea-Ethiopia Claims Commission (EECC) EGMR, siehe Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Einzelpersonen − amtswegige Kompetenzen internationaler Gerichte gegenüber: 227 ff. − als Sachverständige, siehe dort − als Zeugen, siehe Zeugenbeweis
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− Zwangsbefugnisse gegenüber: 337 ff. Enabling Clause: 645, 660 ff. Entscheidung, Recht auf eine: 124 f. Entscheidungserheblichkeit: 373 f., 442 erga omnes-Verpflichtungen: 203, 274, 279, 282, 285, 288, 293 Eritrea-Ethiopia Claims Commission (EECC): 16, 189 ff., 331, 364 f., 434 ff., 502, 559, 566, 694 f. − Beweismaß: 543 ff., 582 Estoppel: 26, 375, 383, 389 ff., 398, 408, 442, 560 EuG, siehe Europäisches Gericht erster Instanz (EuG) EuGH, siehe Europäischer Gerichtshof (EuGH) Europäisches Gericht erster Instanz (EuG): 122, 339, 419, 422, 461, 482 Europäischer Gerichtshof (EuGH): 4, 20, 102, 120, 122, 125 f., 198, 233 ff., 263, 266, 339, 341 f., 417 ff., 454 f., 461 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR): 100, 105, 122, 274, 347, 408, 430, 471, 481, 483, 575, 582, 701 ff. − Beweislast: 662 ff. − Beweismaß: 537 ff. − Beweiswürdigung: 500 ff. faires Verfahren, Recht auf ein: 116 ff., 312, 474, 498, 505, 534, 594, 661 Fragerecht: 137, 145 GATS: 406, 417
Sachregister
− Art. XIV GATS: 645 ff. GATT: 213, 406, 417, 423, 529 f., 537, 555, 648 f., 651, 656 − Art. XX GATT: 607, 645 ff., 649, 650, 657, 660, 683, 686 − Art. XXI (a) GATT: 416 f. − Art. XXIV GATT: 647 Gemeinschaftsinteressen: 55, 89, 134, 142, 192, 252, 276 ff., 438, 518, 729 − im Völkerprozessrecht: 282 ff. Gemischte Schiedsgerichtsbarkeit: 190, 346, 664 ff. Generalversammlung der Vereinten Nationen, siehe Vereinte Nationen Genocide-Fall (IGH): 13, 18, 28, 221, 311 ff., 387, 415, 420, 423, 514, 516 f., 522, 544, 564, 576 ff., 616 Geständnis: 155 f., 168, 375, 383 ff., 391, 441 f., 461, 555, 560, 613 − außergerichtliches: 385 ff. − gerichtliches: 383 ff. Geständnisfiktion: 333 f., 336, 378 f., 391, 697 Günstigkeitsprinzip, siehe Normentheorie Harvard Draft Convention on Judicial Assistance: 194, 348 Herausgabe von Dokumenten, siehe Vorlageanordnungen IAGMR, siehe Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR) IAKMR, siehe Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (IAKMR)
Sachregister
ICSID, siehe International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) IGH, siehe Internationaler Gerichtshof (IGH) IKRK, siehe Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) implied powers, siehe implizite Kompetenzen implizite Kompetenzen: 57 ff., 258, 432 Indizienbeweis: 84, 520, 523, 578 ff., 677, 682, 692 ff., 704, 725 − Voraussetzungen: 580 f. − Zulässigkeit: 579 Informationsasymmetrie: 514, 643, 664, 674, 690 ff., 701, 703 f., 714 inhärente Kompetenzen: 57 ff., 86, 108, 211, 230, 257 f., 471 − Bedeutung für das Völkerprozessrecht: 64 inherent powers, siehe inhärente Kompetenzen Inquisitionsmaxime, siehe Prozessmaximen, Untersuchungsgrundsatz Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte (IAGMR): 21, 77, 102, 105, 122, 125, 274, 399 ff., 418, 462, 467, 469, 554, 566 − Beweislast: 664 − Beweismaß: 540 f. − Beweiswürdigung: 500 ff. Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (IAKMR): 21, 688 f.
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Interessen der internationalen Gemeinschaft, siehe Gemeinschaftsinteressen International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID): 123, 125, 163, 224 f., 341, 346, 361, 391, 488, 560, 668 ff., 698 Internationale Gerichte − Bindung anderer internationaler Gerichte an Tatsachenfeststellungen von: 396 ff. − Kooperation mit anderen internationalen Gerichten: 218 ff. Internationale Organisationen − Berichte und Beschlüsse als Beweismittel: 484, 572 ff. − Bindung internationaler Gerichte an Tatsachenfeststellungen von: 401 ff. − Mitwirkungsrechte und -pflichten im internationalen Prozess: 201 ff. Internationale private Schiedsgerichtsbarkeit: 334, 410, 470 Internationaler Gerichtshof (IGH) − amici curiae: 245 ff. − amtswegige Kompetenz zur Bestellung von Sachverständigen: 237 ff. − amtswegige Kompetenz zur Zeugenladung: 228, 231 f. − amtswegige Kompetenzen gegenüber Staaten: 143 ff. − Beweislast: 608 ff. − Beweismaß: 512 ff.
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− Kompetenzen gegenüber internationalen Organisationen: 207 ff. − Praxisanweisungen (Practice Directions): 99, 103 f., 248 f., 449, 451 − Vorlageanordnungen: 309 ff. Internationaler Seegerichtshof (ISGH) − amici curiae: 249 f. − amtswegige Kompetenz zur Bestellung von Sachverständigen: 240 f. − amtswegige Kompetenz zur Zeugenladung: 229, 231 f. − amtswegige Kompetenzen gegenüber Staaten: 164 f. − Beweislast: 625 ff. − Beweismaß: 522 ff. − Kompetenzen gegenüber internationalen Organisationen: 211 f. − Richtlinien: 104 f. Internationaler Strafgerichtshof (IStGH): 37, 41 ff., 92, 102, 105, 108, 120, 122, 126, 161, 198, 204, 217, 223 f., 235, 274, 329, 347, 381, 418, 427 f., 431, 433, 435, 502 Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (JStGH): 40, 58, 59 f., 81, 84, 100, 105, 113, 160 f., 208, 214 ff., 226, 233 ff., 255 f., 274, 311 f., 329, 339, 347, 381, 396, 399 ff., 417 f., 426 f., 429, 431 ff., 573 f. Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda (RStGH): 42, 100, 208, 214 ff., 233 ff., 255 f., 347, 381, 399 ff.
Sachregister
Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK): 225 ff., 431 ff., 575 Iran-US Claims Tribunal (IUSCT) − amici curiae: 250 f. − amtswegige Kompetenz zur Bestellung von Sachverständigen: 241 f. − amtswegige Kompetenz zur Zeugenladung: 229 − amtswegige Kompetenzen gegenüber Staaten: 168 ff. − Beweislast: 632 ff. − Beweismaß: 525 ff. − Vorlageanordnungen: 316 ff. ISGH, siehe Internationaler Seegerichtshof (ISGH) IStGH, siehe Internationaler Strafgerichtshof (IStGH) iura novit curia: 26, 355, 356 ff., 380, 610 f. − und allgemeine Rechtsgrundsätze: 366 f. − und nationales Recht: 367 ff. − und Vertragsrecht: 359 ff. − und Völkergewohnheitsrecht: 362 ff. ius cogens: 43, 55 f., 279, 288, 438 f., 518, 520, 610 IUSCT, siehe Iran-US Claims Tribunal (IUSCT) JStGH, siehe Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (JStGH) jura novit curia, siehe iura novit curia jus cogens, siehe ius cogens Karten: 456, 555, 566 ff. − Vertragskarten: 569 f. Klagebefugnis: 285, 617 ff., 631
Sachregister
Konstitutionalisierung des Völkerrechts: 276 ff. − und Völkerprozessrecht: 282 ff. Kooperationspflicht − von Drittstaaten: 198 f. − von internationalen Organisationen: 205 − der Parteien: 289 ff. (allgemeine), 295 ff. (konkrete) − Vorlageanordnungen, siehe dort Landkarten, siehe Karten Legitimität gerichtlicher Entscheidungen: 18 ff., 334, 423, 519 f. local remedies rule, siehe Rechtswegerschöpfung Lotus-Fall (StIGH): 363, 365 Medienberichte: 383, 563 ff., 570, 578, MOX Plant-Fall: 626, 713 − Annex VII SRÜ-Tribunal: 716 − ISGH: 715 − OSPAR-Tribunal: 716 ff. nationale Behörden, Berichte: 570 f. nationales Recht im zwischenstaatlichen Prozess: 367 ff. NATO: 216 f. ne ultra petita, siehe Dispositionsgrundsatz NGOs, siehe Nichtregierungsorganisationen Nicaragua-Fall (IGH): 69, 76, 118, 148, 156, 200, 239, 264, 332, 382, 389, 464, 481, 494 f., 512 f., 522 ff., 554 f., 564, 566, 609
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Nichtregierungsorganisationen: 25 f., 148, 244 ff., 286, 487, 489 f., 538, 571, 576 Normentheorie: 600 ff., 672 − in anderen Rechtsordnungen: 601 ff. − modifizierte, in Deutschland: 600 f. Öffentlichkeitsgrundsatz, siehe Prozessmaximen Offenkundige Tatsachen: 379 ff., 442, 564, 612 Offenlegungspflichten, siehe Vorlageanordnungen Offizialmaxime, siehe Prozessmaximen Oil Platforms-Fall (IGH): 9, 18, 27, 520, 564, 610 Ortsbesichtigung: 150 ff. (IGH), 167 (ISGH), 174 (IUSCT), 176 f. (WTO), 189 f., 193 f., 197, 237, 258, 327, 476, 477 f., 481, 483, 491 OSPAR-Konvention: 50 f., 220, 325, 709 f., 716 ff., 722 Parker-Fall/Regel: 295 ff., 322, 453 f., 664 ff. Parteifähigkeit: 244, 250 f., 423, 487, 615 f. Parteivernehmung: 459 ff. Practice Directions, siehe Internationaler Gerichtshof (IGH) Präventionsprinzip: 706 ff., 723, 736 Praxisanweisungen (Practice Directions), siehe Internationaler Gerichtshof (IGH) precautionary principle, siehe Vorsorgeprinzip prima facie case: 178, 658, 681
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− und Beweislast: 633 f. (IUSCT), 637 ff. (WTO), 673 f., 725 − und Beweismaß: 532 ff. (WTO), 543 ff. (EECC) − und discovery: 323 − Funktion im angloamerikanischen Recht: 181 ff. − und Kompetenzabgrenzung zwischen Gericht und Parteien: 179 ff. − und Streitgegenstand: 357 f. prima facie evidence, siehe Anscheinsbeweis probatio diabolica: 697 ff. Prozesshindernis/-voraussetzung: 610 ff. Prozessmaximen − Dispositionsmaxime, siehe Dispositionsgrundsatz − Öffentlichkeitsgrundsatz: 122 ff., 254, 415 f., 422 f. − Offizialmaxime: 119, 267, 283 − strikt adversatorisches/kontradiktorisches Verfahren: 132 ff., 142, 184, 186, 258, 266, 268, 479, 644 − Untersuchungsgrundsatz: 133, 139 ff., 177, 261 f., 264, 266, 268, 585, 590, 611 f., 630 f., 662 − Verhandlungsgrundsatz: 24, 137 ff., 268, 323, 384, 585, 691 Quellen, siehe Rechtsquellen Rechtfertigungstatbestände: 156, 265, 406, 437, 520, 607, 637 f., 644 ff., 667, 671 rechtliches Gehör: 55, 110, 116 ff., 171, 252, 294, 424, 443, 476, 486, 488
Sachregister
Rechtshilfeersuchen: 194, 290, 339, 344 ff. Rechtskraft: 54, 91, 158, 164, 392 ff., 617 Rechtsquellen des Völkerprozessrechts: 31 ff. − allgemeine Rechtsgrundsätze, siehe dort − Richterrecht, siehe dort − Vertragsrecht, siehe dort − Völkergewohnheitsrecht, siehe dort Rechtssetzung durch internationale Gerichte: 86 ff. Rechtswegerschöpfung: 619 ff., 663 f. res iudicata, siehe Rechtskraft Richterrecht: 39, 86 ff., 307, 321, 442, 453, 511, 548, 637, 671, 724 Rotes Kreuz, siehe Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) RStGH, siehe Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda (RStGH) Rückschlüsse, negative: 188, 312, 329 ff., 391, 420, 519, 696 Sachverständige − Gerichtssachverständige, amtswegige Beauftragung: 237 ff. − Gerichtssachverständige, Beweiswert: 561 f. − Gerichtssachverständige, Verfahren: 471 ff. − Parteisachverständige: 562 f. − Zulässigkeit: 470 ff. Sanktionen, siehe Durchsetzung des Prozessrechts
Sachregister
Schiffsfreigabeverfahren: 524 f., 629 ff. Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, siehe Vereinte Nationen Souveränität: 14, 23, 49 f., 93 ff., 135, 174, 232, 265, 280, 324, 373, 483, 518, 531, 622, 691 ff. − souveräne Gleichheit: 34, 73, 117, 119, 142 Sphärentheorie: 598 SPS, siehe Übereinkommen über gesundheitliche und pflanzengesundheitliche Maßnahmen (SPS) SRÜ, siehe Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) Störungsverbot − zwischen internationalen Gerichten: 19, 222 f. − zwischen internationalen Gerichten und Staaten: 195, 293 − zwischen internationalen Organisationen: 205, 395 − zwischen internationalen Organisationen und internationalen Gerichten: 218 f. Strengbeweis: 149, 453, 491 Substantiierungspflicht: 132, 377 ff., 444 Tadić-Fall (JStGH): 40, 42, 46, 59, 219 Tatbestandsausnahmen: 644 ff. TBT, siehe Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT) Übereinkommen über gesundheitliche und pflanzenge-
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sundheitliche Maßnahmen (SPS) − Art. 2 SPS: 649 f. − Art. 3 SPS: 645, 647 ff., 653 ff., 684 f. − Art. 5 SPS: 325, 643, 651 f., 719 − Art. 11 SPS: 242 Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT) − Art. 2 TBT: 643, 645, 652 ff., 685 − Art. 10 TBT: 326, 643 − Art. 12 TBT: 653 − Art. 14 TBT: 242 Umkehr der Beweislast, siehe Beweislast Umweltschäden: 280, 693, 704 ff. UNIDROIT/ALI Transnational Principles of Civil Procedure: 112, 330, 371 United Nations, siehe Vereinte Nationen Untersuchung − amtswegige Anordnung: 237 ff. − Zulässigkeit: 481 f. Untersuchungsgrundsatz, siehe Prozessmaximen Urkunden − amtswegige Anordnung der Vorlage: 147 ff. (IGH), 166 (ISGH), 172 ff. (IUSCT), 175 f. − Antrag auf Anordnung der Herausgabe oder Vorlage, siehe Vorlageanordnungen − öffentlich zugängliche: 166, 451, 552
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− Zulässigkeit: 546 ff. Vereinte Nationen − Generalversammlung: 53, 67, 70, 401, 405, 572, 574, 707 − Sicherheitsrat: 53, 157, 207, 209, 214, 217, 230, 329, 401 ff., 417, 574 Vergleich: 440 f. Vermutung: 49, 364, 400, 458, 535, 568, 618, 621, 628 f., 637 ff., 648, 653, 655, 675 ff. − Rechtsvermutung: 678 − Tatsachenvermutung: 675 ff. − tatsächliche Vermutung: 676 f., 679, 683 Versäumnisverfahren/-urteil: 133, 149, 156, 200, 262 ff., 332 f., 356, 376, 391, 513, 522 ff., 534 Vertragsrecht − als Gegenstand des Beweises: 359 ff. − und Völkerprozessrecht: 48 ff. Völkergewohnheitsrecht: 36 f., 39, 47, 49, 65 ff., 73, 86, 90, 110, 223, 282, 326, 349, 417, 421, 430, 520, 606, 619, 627, 707 ff., 722 − als Gegenstand des Beweises: 362 ff. − und Völkerprozessrecht: 66 ff. Völkermord-Fall (IGH), siehe Genocide-Fall (IGH) Völkerprozessrecht: 31 ff. Voir dire-Verfahren: 480 Vorlageanordnungen − Rechtsvergleichung: 300 ff. − im Völkerprozessrecht: 309 ff. (IGH), 313 ff. (WTO),
Sachregister
316 ff. (IUSCT), 318 ff. (Schiedsgerichtsbarkeit) Vorsorgeprinzip: 707 ff. WTO-Streitbeilegung − amici curiae: 251 ff. − amtswegige Kompetenz zur Bestellung von Sachverständigen: 242 f. − amtswegige Kompetenz zur Zeugenladung: 229 f., 232 − amtswegige Kompetenzen gegenüber Staaten: 174 ff. − Beweislast: 634 ff. − Beweismaß: 527 ff. − prima facie case: 179 ff., 637 ff. − Vorlageanordnungen: 313 ff. Zeugenbeweis − Affidavits: 467 ff. − amtswegige Zeugenladung: 227 ff. − Beweiswert: 551, 553 − „interessierte Personen“: 459 ff. − schriftliche Zeugenaussagen: 467 ff. − Zeuge vom Hörensagen: 464, 468, 551, 554, 567, 578 − Zulässigkeit: 458 ff. Zulässigkeit − der Klage, Beweislast: 616 ff., 626 f. − von Beweismitteln, siehe dort Zuständigkeit − Beweislast: 610 ff., 626 f. − rügelose Einlassung: 614 f.
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Hrsg.: A. von Bogdandy, R. Wolfrum Bde. 27–59 erschienen im Carl Heymanns Verlag KG Köln, Berlin (Bestellung an: Max-Planck-Institut für Völkerrecht, Im Neuenheimer Feld 535, 69120 Heidelberg); ab Band 60 im Springer-Verlag Berlin, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona 215 Markus Benzing: Das : Beweisrecht vor internationalen Gerichten und Schiedsgerichten in zwischenstaatlichen Streitigkeiten. 2010. L, 846 Seiten. Geb. E 139,95 Steuerung der Selbstbestimmung und der Staatsentstehung. 214 Urs Saxer: Die internationale : 2010. XLII, 1140 Seiten. Geb. E 169,95 213 Rüdiger Wolfrum, Chie Kojima (eds.): Solidarity: A Structural Principle of International Law. 2010. XIII, 238 Seiten. Geb. E 69,95 212 Ramin S. Moschtaghi: Die menschenrechtliche Situation sunnitischer Kurden in der Islamischen Republik Iran. 2010. XXIII, 451 Seiten. Geb. E 94,95 211 Georg Nolte (ed.): Peace through International Law. The Role of the International Law Commission. 2009. IX, 195 Seiten. Geb. E 64,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 210 Armin von Bogdandy, Rüdiger Wolfrum, Jochen von Bernstorff, Philipp Dann, Matthias Goldmann (eds.): The Exercise of Public Authority by International Institutions. 2010. XIII, 1005 Seiten. Geb. E 149,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 209 Norman Weiß: Kompetenzlehre internationaler Organisationen. 2009. XVIII, 540 Seiten. Geb. E 99,95 208 Michael Rötting: Das verfassungsrechtliche Beitrittsverfahren zur Europäischen Union. 2009. XIV, 317 Seiten. Geb. E 79,95 207 Björn Ahl: Die Anwendung völkerrechtlicher Verträge in China. 2009. XIX, 419 Seiten. Geb. E 289,95 206 Mahulena Hofmann: Von der Transformation zur Kooperationsoffenheit? 2009. XIX, 585 Seiten. Geb. E 299,95 205 Rüdiger Wolfrum, Ulrike Deutsch (eds.): The European Court of Human Rights Overwhelmed by Applications: Problems and Possible Solutions. 200 9. VIII, 128 Seiten. Geb. E 59, 95 zzgl. landesüblicher MwSt. 204 Niels Petersen: Demokratie als teleologisches Prinzip. 2 0 09. XXVII, 280 Seiten. Geb . E 79, 95 203 Christiane Kamardi: Die Ausformung einer Prozessordnung sui generis durch das ICTY unter Berücksichtigung des Fair-Trial-Prinzips. 2009. XVI, 424 Seiten. Geb. E 89, 95 202 Leonie F. Guder : The Administration of Debt Relief by the International Financial Institutions. 2009. XVIII, 355 Seiten. Geb. E 84, 95 zzgl. landesüblicher MwSt. 201 Silja Vöneky, Cornelia Hagedorn, Miriam Clados, Jelena von Achenbach: Legitimation ethischer Entscheidungen im Recht. 2009. VIII, 351 Seiten. Geb. E 84,95 200 Anja Katarina Weilert : Grundlagen und Grenzen des Folterverbotes in verschiedenen Rechtskreisen. 2009. XXX, 474 Seiten. Geb. E 94,95 199 Suzette V. Suarez: The Outer Limits of the Continental Shelf. 2008. XVIII, 276 Seiten. Geb. E 79,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 198 Felix Hanschmann: Der Begriff der Homogenität in der Verfassungslehre und Europarechtswissenschaft. 2008. XIII, 370 Seiten. Geb. E 84,95 197 Angela Paul: Kritische Analyse und Reformvorschlag zu Art. II Genozidkonvention. 2008. XVI, 379 Seiten. Geb. E 84,95 196 Hans Fabian Kiderlen: Von Triest nach Osttimor. 2008. XXVI, 526 Seiten. Geb. E 94,95 195 Heiko Sauer: Jurisdiktionskonflikte in Mehrebenensystemen. 2008. XXXVIII, 605 Seiten. Geb. E 99,95 194 Rüdiger Wolfrum, Volker Röben (eds.): Legitimacy in International Law. 2008. VI, 420 Seiten. Geb. E 84,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 193 Doris König, Peter-Tobias Stoll, Volker Röben, Nele Matz-Lück (eds.): International Law Today: New Challenges and the Need for Reform? 2008. VIII, 260 Seiten. Geb. E 69,95 zzgl. landesüblicher MwSt.
192 Ingo Niemann: Geistiges Eigentum in konkurrierenden völkerrechtlichen Vertragsordnungen. 2008. XXV, 463 Seiten. Geb. E 94,95 191 Nicola Wenzel: Das Spannungsverhältnis zwischen Gruppenschutz und Individualschutz im Völkerrecht. 2008. XXXI, 646 Seiten. Geb. E 99,95 190 Winfried Brugger, Michael Karayanni (eds.): Religion in the Public Sphere: A Comparative Analysis of German, Israeli, American and International Law. 2007. XVI, 467 Seiten. Geb. E 89,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 189 Eyal Benvenisti, Chaim Gans, Sari Hanafi (eds.): Israel and the Palestinian Refugees. 2007. VIII, 502 Seiten. Geb. E 94,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 188 Eibe Riedel, Rüdiger Wolfrum (eds.): Recent Trends in German and European Constitutional Law. 2006. VII, 289 Seiten. Geb. E 74,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 187 Marcel Kau: United States Supreme Court und Bundesverfassungsgericht. 2007. XXV, 538 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 186 Philipp Dann, Michal Rynkowski (eds.): The Unity of the European Constitution. 2006. IX, 394 Seiten. Geb. E 79,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 185 Pál Sonnevend: Eigentumsschutz und Sozialversicherung. 2008. XVIII, 278 Seiten. Geb. E 74,95 184 Jürgen Bast: Grundbegriffe der Handlungsformen der EU. 2006. XXI, 485 Seiten. Geb. E 94,95 183 Uwe Säuberlich: Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht. 2005. XV, 314 Seiten. Geb. E 74,95 182 Florian von Alemann: Die Handlungsform der interinstitutionellen Vereinbarung. 2006. XVI, 518 Seiten. Geb. E 94,95 181 Susanne Förster: Internationale Haftungsregeln für schädliche Folgewirkungen gentechnisch veränderter Organismen. 2007. XXXVI, 421 Seiten. Geb. E 84,95 180 Jeanine Bucherer: Die Vereinbarkeit von Militärgerichten mit dem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 8 Abs. 1 AMRK und Art. 14 Abs. 1 des UN Paktes über bürgerliche und politische Rechte. 2005. XVIII, 307 Seiten. Geb. E 74,95 179 Annette Simon: UN-Schutzzonen – Ein Schutzinstrument für verfolgte Personen? 2005. XXI, 322 Seiten. Geb. E 74,95 178 Petra Minnerop: Paria-Staaten im Völkerrecht? 2004. XXIII, 579 Seiten. Geb. E 99,95 177 Rüdiger Wolfrum, Volker Röben (eds.): Developments of International Law in Treaty Making. 2005. VIII, 632 Seiten. Geb. E 99,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 176 Christiane Höhn: Zwischen Menschenrechten und Konfliktprävention. Der Minderheitenschutz im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). 2005. XX, 418 Seiten. Geb. E 84,95 175 Nele Matz: Wege zur Koordinierung völkerrechtlicher Verträge. Völkervertragsrechtliche und institutionelle Ansätze. 2005. XXIV, 423 Seiten. Geb. E 84,95 174 Jochen Abr. Frowein: Völkerrecht – Menschenrechte – Verfassungsfragen Deutschlands und Europas. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Matthias Hartwig, Georg Nolte, Stefan Oeter, Christian Walter. 2004. VIII, 732 Seiten. Geb. E 119,95 173 Oliver Dörr (Hrsg.): Ein Rechtslehrer in Berlin. Symposium für Albrecht Randelzhofer. 2004. VII, 117 Seiten. Geb. E 54,95 172 Lars-Jörgen Geburtig: Konkurrentenrechtsschutz aus Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EGV. Am Beispiel von Steuervergünstigungen. 2004. XVII, 412 Seiten (4 Seiten English Summary). Geb. E 84,95 171 Markus Böckenförde: Grüne Gentechnik und Welthandel. Das Biosafety-Protokoll und seine Auswirkungen auf das Regime der WTO. 2004. XXIX, 620 Seiten. Geb. E 99,95 170 Anja v. Hahn: Traditionelles Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften zwischen geistigen Eigentumsrechten und der public domain. 2004. XXV, 415 Seiten. Geb. 84,95 169 Christian Walter, Silja Vöneky, Volker Röben, Frank Schorkopf (eds.): Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty? 2004. XI, 1484 Seiten. Geb. E 169,95 zzgl. landesüblicher MwSt. 168 Kathrin Osteneck: Die Umsetzung von UN-Wirtschaftssanktionen durch die Europäische Gemeinschaft. 2004. XXXIX, 579 Seiten. Geb. E 99,95