Finanzkrise und Wirtschaftsordnung Schriften zum Europäischen und Internationalen Privat-, Bankund Wirtschaftsrecht EIW...
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Finanzkrise und Wirtschaftsordnung Schriften zum Europäischen und Internationalen Privat-, Bankund Wirtschaftsrecht EIW Band 32
Schriften zum Europäischen und Internationalen Privat-, Bankund Wirtschaftsrecht
Herausgegeben von Professor Dr. Horst Eidenmüller, LL.M. (Cambridge), München Professor Dr. Dr. Stefan Grundmann, LL.M. (Berkeley), Berlin Professor Dr. Susanne Kalss, LL.M. (Florenz), Wien Professor Dr. Wolfgang Kerber, Marburg Professor Dr. Karl Riesenhuber, M.C. J. (Austin/Texas), Bochum Professor Dr. Heike Schweitzer, LL.M. (Yale), Florenz Professor Dr. Hans-Peter Schwintowski, Berlin Professor Dr. Reinhard Singer, Berlin Professor Dr. Christine Windbichler, LL.M. (Berkeley), Berlin
EIW Band 32
De Gruyter Recht • Berlin
Stefan Grundmann, Christian Hofmann, Florian Möslein (Hrsg.)
Finanzkrise und Wirtschaftsordnung
De Gruyter Recht • Berlin
Die Herausgeber: Professor Dr. Dr. Stefan Grundmann, LL.M. (Berkeley), Berlin Dr. Christian Hofmann, LL.M.oec.int., Berlin Dr. Florian Möslein, Dipl. Kfm., LL.M. (London), Berlin
∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 978-3-89949-651-2
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Copyright 2009 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Umschlaggestaltung: Christopher Schneider, Berlin Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen
Vorwort Die globale Finanzkrise, die inzwischen auch die Realwirtschaft ins Stocken bringt, wirft zahllose, schwierige Fragen auf: Fragen nach Ursachen und Verantwortlichkeiten, vor allem aber Fragen nach Strategien, um die aktuelle Krise zu bewältigen und künftige Krisen zu vermeiden. Wirtschaft und besonders Politik mussten rasch handeln, um einen Zusammenbruch des Finanzsystems zu vermeiden. Schnell reagiert hat in der Tat der Gesetzgeber: Wohl kein anderer Rechtsakt wurde jemals in so kurzer Frist Gesetz wie das Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Umgekehrt droht in der Eile stets eine Überreaktion. Es besteht deshalb die „Gefahr einer Überregulierung, einer Überfülle von Normen und einer neuen protektionistischen Welle“ (Klaus J. Hopt im Handelsblatt v. 2.1.2009). Aufgabe der Wissenschaft ist, solche Gefahren zu erkennen und rechtzeitig vor ihnen zu warnen. Sie muss besonnen, zugleich aber ebenfalls schnell auf die Krise reagieren, wenn sie ein guter Ratgeber für Politik und Regelgeber sein will. „Finanzkrise und Wirtschaftsordnung – Grundsatzfragen und Politikverantwortung“ ist angesichts der Fülle an brennenden Fragen ein reizvolles Thema für eine wissenschaftliche Tagung, zugleich jedoch angesichts der skizzierten Eilbedürftigkeit eine besondere, auch organisatorische Herausforderung. Der Reiz der Thematik liegt nicht nur in ihrer Aktualität, sondern vor allem in ihrer Interdisziplinarität und auch Grundsätzlichkeit. Die Fragen stellen sich allesamt im Schnittfeld von wirtschaftlicher Aktivität und rechtlichem Rahmen; Antworten können deshalb letztlich nur von Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlern gemeinsam gefunden werden. Diese Fragen betreffen nicht nur ein (hoffentlich schnell) vorübergehendes wirtschaftliches Phänomen, sondern die Grundlagen unserer Wirtschafts- und Rechtsordnung selbst – jedenfalls dann, wenn man auch Antworten zur langfristigen Krisenvermeidung sucht. Die Tagung wurde veranstaltet von der European Law School und dem Institut für Bank- und Kapitalmarktrecht der Humboldt-Universität zu Berlin und fand am 5.12.2008 ebendort statt. Redaktionsschluss war Mitte Januar 2009, später erschienene Beiträge konnten teils noch in den Literaturverzeichnissen nachgetragen werden. Alle Referenten haben sich insofern auf die Herausforderung eingelassen, große Schnelligkeit und wissenschaftlichen Tiefgang zu verbinden: Sie haben sich nicht nur ausgesprochen kurzfristig zur Teilnahme bereit erklärt, sondern auch die gleichermaßen kurze Frist – über die Weihnachtstage – zur Einreichung der fertigen Manuskripte eingehalten. Unser erster und größter Dank gilt deshalb den Referenten. Reich war die mündliche Diskussion, die vielfach noch in den schriftlichen Fassungen Berücksichtigung fand. Auch allen Diskutanten gilt deshalb unser Dank. Die organisatorischen Herausforderungen wären nicht ohne die flexible
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Vorwort
Raumvergabe und Öffentlichkeitsarbeit der Humboldt-Universität und nicht ohne die Mithilfe des Bundesverbandes deutscher Banken bei der Einladungsversendung zu bewältigen gewesen. Ein besonderer Dank gilt dem ganzen Lehrstuhl, besonders Frau Huhn, die „im Angesicht der Krise“ und bei aller Kurzfristigkeit die Fäden souverän in Händen hielt. Nicht zuletzt danken wir dem Verlag de Gruyter und besonders Herrn Dr. Schremmer dafür, dass dieser Band so schnell erscheinen konnte. Quintessenz ist: Die Finanzkrise stellt manches in Frage und ist Herausforderung, zunehmend auch in der Wissenschaft. Berlin, im Februar 2009
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Die Herausgeber
Autorenverzeichnis Stefan Grundmann, Prof. Dr. Dr., LL.M., Lehrstuhl für deutsches, europäisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht, Humboldt-Universität zu Berlin Christian Hofmann, Dr., LL.M.oec.int., Stipendiat der Alexander v. Humboldt-Stiftung, Humboldt-Universität zu Berlin Marcus Lutter, Prof. Dr. Dr. h.c. mult., Emeritus, Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, Universität Bonn Wernhard Möschel, Prof. Dr., Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Europarecht und Rechtsvergleichung, Universität Tübingen Florian Möslein, Dr., Dipl. Kfm., LL.M., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, HumboldtUniversität zu Berlin Bernd Rudolph, Prof. Dr., Institut für Kapitalmarktforschung und Finanzierung, Ludwig-Maximilians-Universität München Hans-Peter Schwintowski, Prof. Dr., Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels-, Wirtschafts- und Europarecht, Humboldt-Universität zu Berlin Roland Vaubel, Prof. Dr., Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Politische Ökonomie, Universität Mannheim Axel v. Werder, Prof. Dr., Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insb. Organisation und Unternehmensführung, Fakultät Wirtschaft und Management, Technische Universität Berlin
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Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V VII
1. Teil: Grundlagen und Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung: Krisenursachen, Finanzmarktstabilisierung, Finanzmarktstabilität Stefan Grundmann / Christian Hofmann / Florian Möslein . . . . . . . . . .
1
2. Teil: Institutsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
§ 2 Finanzmarktkrise: Ursachen, Grundsatzfragen, institutionelle Konsequenzen Hans-Peter Schwintowski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
§ 3 Die internationale Finanzkrise: Grundsatzfragen und Verantwortung aus der Sicht der Kreditinstitute Bernd Rudolph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
3. Teil: Managementverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
§ 4 Bankenkrise und Organhaftung Marcus Lutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
§ 5 Persönliche Managementverantwortung aus betriebswirtschaftlicher Sicht Axel v. Werder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung . . . . . . . . . 105 § 6 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung I Wernhard Möschel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 § 7 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung II Roland Vaubel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
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Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V VII
1. Teil: Grundlagen und Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung: Krisenursachen, Finanzmarktstabilisierung, Finanzmarktstabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Finanzkrise und ihre Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vergabe von Subprime-Darlehen an vermögensschwache Kreditnehmer in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kreditvergabe trotz fehlenden Eigenkapitals . . . . . . . . b) Immanente Risiken und Aufgabe des Eigenkapitalerfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehlende persönliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . d) Niedrigzinsperiode und variable Zinsgestaltung . . . . . . e) Unrealistische Preisbildung am Immobilienmarkt und das Platzen der Blase . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Weitergabe der Kreditrisiken . . . . . . . . . . . . . . . . a) Übertragung und Verbriefung der Kreditforderungen . . . b) Bündelung der Kredite zu Asset Backed Securities . . . . . . . c) Schaffung von Collateralized Debt Obligations (CDOs) . . . . . d) Bewertungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausfallgarantien als weiteres bankaufsichtsrechtliches Problem 4. Die Immobilienkrise zieht weite Kreise . . . . . . . . . . . . III. Aktuelle Finanzmarktstabilisierung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Marktbezogene Absicherung einzelner Bilanzpositionen . . b) Unternehmensbezogene Absicherung durch Kapitalbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Leitungsentscheidung über Antragstellung . . . . . . . . . b) Anstaltsentscheidung über Leistungsgewährung . . . . . . c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einpassung in den marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen . a) Marktordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigentumsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eingrenzung der Stabilisierungsregeln . . . . . . . . . . . . .
1 1 3 3 3 4 6 7 7 8 8 10 11 11 12 14 15 16 17 18 18 19 21 22 22 22 24 24
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Inhaltsverzeichnis
IV. Langfristige Finanzmarktstabilität . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsatz- und Querschnittsfragen . . . . . . . . . . a) Neuausrichtung des Ordnungsrahmens . . . . . . . b) Regulierungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Regulierungsintensität und Regulierungsgegenstand 2. Einige Anwendungsbeispiele im Zeitablauf . . . . . . . a) Vergabe „fauler“ Kredite . . . . . . . . . . . . . . . b) Verbriefung und Gefahrerkennung . . . . . . . . . c) Eigenkapitalunterlegung jedes Kreditrisikos . . . . V. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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25 26 26 28 30 32 32 33 35 36
2. Teil: Institutsverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
§ 2 Finanzmarktkrise: Ursachen, Grundsatzfragen, institutionelle Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die juristisch-ökonomischen Rahmenbedingungen des amerikanischen Immobilienmarktes . . . . . . . . . . . 2. Die Geldpolitik der amerikanischen Zentralbank . . . . . . . 3. Special Purpose Vehicles – Zweckgesellschaften . . . . . . . . 4. Die Bündelung: Asset Backed Securities, Credit Default Swaps, Collaterized Dept Obligations . . . . . . . . . . . . . 5. Rating . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Folgen – Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Institutionelle Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zinspolitik der Zentralbanken . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zweckgesellschaften – Eigenkapitalunterlegung . . . . . . . 3. Stärkung der BaFin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kreditversicherungen – CDS/CDO . . . . . . . . . . . . . . 5. Materielle Staatsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Grundsatz der Risikomischung . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Hedgefonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Prospektpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Rating-Agenturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Anlegerschutz stärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Die internationale Finanzkrise: Grundsatzfragen und Verantwortung aus der Sicht der Kreditinstitute . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entstehung und Verlauf der internationalen Finanzkrise . . . . . 1. Die Entwicklung des amerikanischen Marktes für Wohnungsbaudarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Problematische Trends und Exzesse seit der Jahrhundertwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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41 41 41 42 43 44 45 46 47 47 49 49 50 51 51 51 51 52 52 53
55 55 55 55 56
Inhaltsverzeichnis
3. Von der Subprime Krise zur internationalen Finanzkrise . . 4. Die Liquiditätskrise des Jahres 2008 . . . . . . . . . . . . . III. Lösungsvorschläge zur Krisenbewältigung und Prophylaxe . . 1. Reformen der Bankenaufsicht und des Regulierungsrahmens 2. Abbau von Friktionen im Prozess des Kreditrisikotransfers . 3. Verbesserungen in der Risikokontrolle und im Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Perspektiven für eine Neuordnung der Verantwortlichkeiten
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58 62 63 64 68
. .
70 71
3. Teil: Managementverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
§ 4 Bankenkrise und Organhaftung . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtliche Betrachtungen . . . . . . . . . . 1. Öffentlich-rechtliche Banken . . . . . . . 2. Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorstände . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorstände . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung der Aufsichtsräte/Verwaltungsräte 3. Appendix: Haftung der Abschlussprüfer . V. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 5 Persönliche Managementverantwortung aus betriebswirtschaftlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Managementverantwortung als Sanktion . . . . . . . . . . . . II. Zielsetzungen und Folgen der Sanktionierung . . . . . . . . . 1. Sanktionsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sanktionsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einkommenseinbußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vermögensminderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reputationsverluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beeinträchtigungen der Selbstachtung . . . . . . . . . . e) Freiheitsentzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wirksamkeit gängiger Sanktionsmechanismen . . . . . . . . . 1. Variable Vergütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arbeitsplatzverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zivil- und strafrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung und Implikationen für die Managementverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
77 77 77 79 79 79 79 82 82 83 84 85
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. 100
XIII
Inhaltsverzeichnis
4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung . . . . . . . . 105 § 6 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung I . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zu den Entstehungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Makroökonomische Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mikroökonomische Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . a) Verbriefungsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fannie Mae und Freddy Mac . . . . . . . . . . . . . . c) Die Insolvenz von Lehman Brothers . . . . . . . . . . III. Zu den Reformvorschlägen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verbesserte Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Höhere Liquiditätsvorsorge und höhere Eigenkapitalausstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschärfung der persönlichen Haftung . . . . . . . . . 4. Beendigung des wahnsinnigen Strebens nach einer hohen Rendite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Selbstbehalt bei Kreditverbriefungen . . . . . . . . . . . 6. Verbot spekulativer Leerverkäufe . . . . . . . . . . . . . 7. Lockerungen von Bilanzierungsregeln . . . . . . . . . . 8. Ratingagenturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Das Kreditabsicherungsgeschäft . . . . . . . . . . . . . 10. Internationales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Internationaler Währungsfonds (IWF) . . . . . . . . . b) Europäische Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . .
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111 112 112 112 113 113 114 114 115
§ 7 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung II . . . . . . . I. Die Verantwortung des Staates für die Entstehung der Krise II. Die Verantwortung des Staates für die Krisenbewältigung . III. Die Verantwortung des Staates für die Krisenvermeidung . 1. Falsche Anreize? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundsätze der Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Falsche Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Reformvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die internationale Dimension der Reformdiskussion . . 7. Eine Aufgabe für den Internationalen Währungsfonds?
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht § 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung: Krisenursachen, Finanzmarktstabilisierung, Finanzmarktstabilität Stefan Grundmann / Christian Hofmann / Florian Möslein I.
Einführung
Dieses Buch beschäftigt sich mit Grundsatzfragen der Finanzkrise. Zentrales Gewicht haben in ihm die rechtlichen Institutionen, die als Rahmenordnung fungieren und vor allem langfristige Finanzmarktstabilität verbürgen sollen – zentrale Bedeutung hat damit auch das Thema Politikverantwortung. In der ordoliberalen Tradition steht deshalb das Thema Wirtschaftsordnung (im Finanzsektor) im Mittelpunkt.1 Dabei beschäftigt sich das Buch vor allem mit dreierlei: mit den Ursachen der Finanzkrise; mit der aktuellen Finanzmarktstabilisierung und den insoweit ergriffenen Maßnahmen; und sehr dezidiert auch mit der langfristigen Finanzmarktstabilität und den hier noch zu ergreifenden Maßnahmen. Ziel ist die zeitige wissenschaftliche Bestandsaufnahme – bald nachdem in Politik und Wirtschaftspraxis gehandelt wurde. Jedenfalls in den Grundsatzfragen soll das Bild auch möglichst umfassend sein, ein Gesamtbild: – umfassend, indem nicht nur die Ursachen erörtert werden und derzeitige Finanzmarktstabilisierung mit den hier bereits ergriffenen Maßnahmen; vielmehr bildet die langfristige Finanzmarktstabilität, die Neujustierung des dauerhaften Ordnungsrahmens, einen weiteren, ja vielleicht sogar den zentralen Gegenstand dieser Bestandsaufnahme; gerade hier besteht auch noch längerfristiger politischer Handlungsbedarf; – umfassend, indem jedes Thema von den beiden Seiten der wichtigsten beteiligten und angesprochenen Wissenschaftsdisziplinen aus betrachtet wird, den Rechtswissenschaften ebenso wie den Wirtschaftswissenschaften und – damit verbunden – aus der Perspektive der rechtlichen Rahmeninstitutionen ebenso wie aus der der Marktteilnehmer;
1 Grundlegend Böhm (1933); Eucken (1990); dazu auch etwa Vanberg (2008); Riesenhuber (Hrsg.) (2007); Möschel (1972).
1
1. Teil: Grundlagen und Übersicht
– umfassend nicht zuletzt auch, indem die ganze Breite der Möglichkeiten, jedoch auch die ganze Breite der Verantwortlichkeiten in den Blick genommen werden soll, unvoreingenommen und möglichst neutral. Das sind vor allem die drei Ebenen: Bankinstitute, Management und staatliche Entscheidungsträger. Dabei herrscht in diesem Buch die Sicht vor, dass alle drei Ebenen – (Finanz-)Institute, Bankmanager und staatliche Entscheidungsträger (teils auch Dritte) – Verantwortung tragen, in der Vergangenheit und in die Zukunft hinein. Grundsätzliche Zustimmung verdient weder die (gerne in politischen Diskursen transportierte) Sicht, dass die Verantwortung praktisch allein bei den (Finanz-)Instituten und ihren Managern gelegen habe oder gar in Zukunft vor allem auf Änderung des Ethos zu setzen sei,2 noch die Sicht, dass die politischen Entscheidungsträger über Nacht ihre Metamorphose von „Schurken zu Helden“ inszeniert hätten.3 Geteilte Verantwortung auf allen drei Ebenen – das legt im Folgenden drei große Blöcke nahe: mit Beiträgen zu den drei wichtigsten Akteuren und Regelungsebenen, jeweils analysiert aus rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive, namentlich: – zu den Finanzinstituten (Institutsverantwortung und Anforderungen an die Institute); – zum Bankmanagement (Managementverantwortung und Anforderungen an das Management und das einzelne Organmitglied); und – zu den staatlichen Entscheidungsträgern, auf nationaler und auf supra- und internationaler Ebene; hier sind vor allem die Mechanismen der aktuellen Krisenbewältigung und die Maßnahmen in den Blick zu nehmen, die für die Herstellung von langfristiger Stabilität notwendig sind, dabei teils auch Dritte, etwa die Ratingagenturen, und die staatliche Verantwortung für diese. Alle Fragen stellen sich für die Vergangenheit und für die Zukunft. Daher ist neben dieser Auffächerung in drei Verantwortungsebenen ebenfalls wichtig die Auffächerung in der Zeit, vor allem in drei Phasen: die Vergangenheit mit den Ursachen der Krise; die erste Krisenbewältigung mit den aktuellen Maßahmen zur Finanzmarktstabilisierung, die in Deutschland auch zeitlich auf Grund des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes recht klar auf den Zeitraum zwischen 18.10.2008 und 31.12.2009 eingegrenzt werden kann; und die langfristige Finanzmarktstabilität, die vermehrt die Aufgabe ab 2009 bildet. Da in den einzelnen Themenblöcken nach den drei Verantwortungsebenen – Institute, Management, Staat – unterschieden wird, ist die einleitende Gesamtschau denn auch nach den drei Phasen gegliedert und werden für jede einige Leitlinien angesprochen. Selbstverständlich bedeutet dies nicht, dass
2 Besonders prägnant formuliert wurde dies etwa vom Bundespräsident, wenn er Institute und Manager dazu auffordert, wieder von „Bankern“ – altmodischer – zu Banquiers oder gewissenhaften Bankkaufleuten zu werden; so Köhler, Vortrag vor Vortrag vor dem European Banking Congress in Frankfurt/M. am 20.11.2008 („Finanzmärkte im Dienst der Menschheit“); vgl. auch Manager-Magazin vom 24.10.2008, S. 94 („Das kommt reichlich spät“). 3 So Beck, Die Finanzkrise hat aus Schurken Helden gemacht, Spiegel-Online vom 15.10.2008 (Interview).
2
§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung
diese drei Phasen dann nicht für jede Verantwortungsebene – in den zwei Beiträgen eines jeden Einzelblocks – wieder aufgenommen würden; dennoch verläuft die Unterscheidung nach Verantwortungsebenen gleichsam quer zu derjenigen nach zeitlichen Etappen. Teils wird in den späteren Beiträgen die aktuelle Stabilisierung in den Mittelpunkt gerückt, teils steht die langfristige Stabilität im Vordergrund und fast durchgehend wird von den Ursachen ausgegangen.
II.
Die Finanzkrise und ihre Ursachen
1.
Die Vergabe von Subprime-Darlehen an vermögensschwache Kreditnehmer in den USA
a)
Kreditvergabe trotz fehlenden Eigenkapitals
Die Finanzkrise nahm ihren Anfang auf dem US-amerikanischen Kreditmarkt. Herkömmlich war die Kreditvergabepolitik der Kreditwirtschaft in den USA nicht weniger vorsichtig als die deutsche. Anhand der Kriterien Capacity (Zahlungskraft), Creditworthiness (Kreditwürdigkeit) und Collateral (Sicherheiten) wurde die Kundschaft evaluiert und über Kreditanträge entschieden. Teilweise wurde außerdem der weitere Faktor Character (Charakter) zugrunde gelegt, was zu einer rein subjektiven Einschätzung der Kreditnehmer durch den Kreditgeber führte.4 Sicherheiten galten über lange Zeit nur dann als ausreichend, wenn der Kredit allenfalls 80 % des Wertes der Sicherheit erreichte. Die Ausfallquote war unter diesen Voraussetzungen gering. Seit den 70er Jahren und stetig zunehmend, setzte ein Wandel in der Kreditvergabepraxis ein, namentlich mit den gesetzgeberischen Initiativen zur Abschaffung diskriminierender Vergabepraktiken durch den Fair Housing Act, 42 U.S.C. §§ 3601– 3619, den Equal Credit Opportunity Act, 15 U.S.C. (chapter 41) §§ 1691–1691f, und den Community Reinvestment Act (CRA), 12 U.S.C. (chapter 30) §§ 2901–2908. Das mit diesen Gesetzesinitiativen eingeführte fair lending enforcement brachte es mit sich, dass Immobilienkredite nunmehr neuen Bevölkerungsschichten zur Verfügung standen.5 Außerdem waren die staatsnahen Hypothekenbanken Freddie Mac und Fannie Mae verpflichtet, Kredite von zahlungsschwachen Kreditnehmern aufzukaufen, um den Kreditgebern einen Teil der Risiken abzunehmen.6 Für die Kreditwirtschaft erschloss sich ein neuer Markt, was neue Vergabepraktiken notwendig machte. Fortan teilte sie die Kreditnehmer in zwei Kategorien ein. Auf
4 Dazu und im Folgenden Willis, 65 MDLR 707, 716 f. (2006). 5 Willis, 65 MDLR 707, 719 (2006). Vgl. auch Schwarcz (2008), S. 2. Siehe außerdem zum Depository Institutions Deregulation and Monetary Control Act of 1980 (DIDMCA) und dem Alternative Mortgage Transactions Parity Act of 1982 (AMTPA) Engel/McCoy, 80 TXLR 1255, 1275 (2002). 6 Zu den Vorgaben des Department of Housing and Urban Development (HUD) siehe Engel/ McCoy, 80 TXLR 1255, 1276 (2002). Näher zu Fannie Mae und Freddie Mac Möschel (in diesem Band), S. 105, 107 f.; Vaubel (in diesem Band), S. 119; Barr, 80 N.Y.U.L. Rev. 513, 639 (2005).
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
dem Prime Market wurden Kredite zu günstigen Konditionen an solvente Kunden vergeben. Der Subprime Market zielte auf die zahlungsschwachen Kunden. Die höheren Risiken waren (anfänglich) mit höheren Kosten für die Kunden und schlechteren Vertragsbedingungen verbunden. Dieser Markt begann in den 90er Jahren rapide zu wachsen. Zwischen 1993 und 2004 stieg die Quote der Subprime-Kredite von weniger als 1 % auf 20 % aller vergebenen Immobilienkredite an. Im Jahr 2005 waren mehr als 1 Billion US-$ an Krediten in diesem Segment vergeben.7 Zugleich setzte in den späten 90er Jahren ein Bauboom ein und die Grundstückspreise stiegen erheblich.8 Die Steigerung der Zahl von Hauseigentümern in den USA wird auf fünf Faktoren zurückgeführt: die starken Wirtschaftsjahre in den 90ern, den geringeren Bearbeitungsaufwand bei der Kreditvergabe durch automatisierte Prozesse, die Weitergabe der Risiken an die Kapitalmärkte (dazu sogleich unter 2.), die Eliminierung des Eigenkapitalerfordernisses und die schon erwähnte Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die Kreditwirtschaft partizipierte an diesen Entwicklungen und passte ihre Vergabebedingungen fortlaufend an. War das Kriterium Character schon früh durch Antidiskriminierungsregeln obsolet geworden, wurden nun auch die übrigen Kriterien durch eine fortschreitende Konzentration auf das Merkmal Collateral zurückgedrängt. Soweit eine Immobilie als Sicherheit zur Verfügung stand, kam es auf andere Faktoren kaum noch an. Zugleich wurde auch immer weniger ein Eigenkapitalanteil des Kunden (down payment) beim kreditfinanzierten Immobilienerwerb gefordert. Verlangten die Kreditgeber herkömmlich eine Eigenkapitalquote von 20 %, wurde dieses Erfordernis im Wesentlichen auf zwei Wegen eliminiert, um auch vermögensschwachen Interessenten den Erwerb einer Immobilie zu ermöglichen. b)
Immanente Risiken und Aufgabe des Eigenkapitalerfordernisses
Das Eigenkapital wurde teilweise über einen parallel abgeschlossenen zweiten Kredit aufgebracht, der ebenfalls hypothekarisch abgesichert war, die sog. piggyback mortgage (Huckepack-Hypothek). Teilweise geschah dies, ohne dass der Gläubiger der ersten Hypothek hiervon erfuhr (silent second). In den USA ist dies mangels Registerpublizität möglich. Dieses Verfahren wurde in den vergangenen Jahren massenweise angewandt, was dazu führte, dass etliche Grundstücke schon zu Beginn mit Verbindlichkeiten belastet waren, die ihren Verkehrswert deutlich überstiegen.9 Eine Alternative hierzu bildete die Ausfallversicherung, die sog. Private Mortgage Insurance (PMI) oder auch Lenders Mortgage Insurance (LMI). Soweit der Kreditnehmer den Kreditgeber darüber informierte, dass er nicht über das notwendige Eigenkapi-
7 Willis, 65 MDLR 707, 722 (2006). Siehe auch Lim (2008), S. 3, wonach sich der Trend weiter fortsetzte. Rund 25 % aller bis 2007 bewilligten Kredite zur Finanzierung von Immobilienkäufen wurden auf dem Subprime Market vergeben. 8 Schätzungen zufolge stiegen die Grundstückspreise um rund 40 %, siehe Lim (2008), S. 2. 9 Dazu die Darstellung von Ellis (2008), S. 7.
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§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung
tal verfügte, stufte ihn dieser mitunter als Risikokunden ein und forderte eine Absicherung im Wege der Ausfallversicherung. Diese deckte bei Eintritt des Versicherungsfalls die Differenz zwischen dem Erlös aus der Grundstücksverwertung und den noch offenen Forderungen ab. Gegenüber einer Vollfinanzierung durch zwei Kredite hatte diese Ausfallversicherung für den Kreditnehmer bis ins Jahr 2007 den Nachteil, dass die Versicherungsraten anders als die Kreditzinsen steuerlich nicht abzugsfähig waren.10 Daher galt: Je höher die Verschuldung, desto höher der Steuervorteil. Da ein Versicherungsfall bei Kreditnehmern ohne Eigenkapital wahrscheinlich war, war die Versicherung außerdem teuer und die monatliche Zahlungsbelastung hoch.11 Auch forderte die Versicherungspolice regelmäßig, dass die Raten für das erste Jahr schon bei Abschluss der Versicherung zu zahlen waren. Die Versicherung schied daher für diejenigen Kreditnehmer aus, die nicht einmal diesen Betrag aufbringen konnten. Ihr Vorteil gegenüber einer piggyback-Hypothek bestand hingegen darin, dass sie dem Kreditnehmer den Spielraum beließ, einen Konsumentenkredit zur Finanzierung anderer Anschaffungen aufnehmen zu können, was deutlich schwerer fiel, wenn das Grundstück bereits mit mehreren Krediten belastet war. Risiken für das Finanzsystem wiesen gleichwohl beide Wege auf: Die piggybacks nahmen dem Kreditnehmer, der durch zwei Kredite stark belastet war, jede praktische Möglichkeit, die gesamte Kreditverbindlichkeit jemals zu tilgen, wenn nicht zugleich der Grundstückswert erheblich anstieg und diese Wertsteigerungen auch realisiert werden konnten. Bei der Private Mortgage Insurance waren die Versicherungsunternehmen hohen Ausfallrisiken ausgesetzt, wenn Preissteigerungen auf dem Grundstücksmarkt ausblieben. Für die Kreditnehmer ergab sich häufig ein weiteres Dilemma: Die entstandenen Verbindlichkeiten konnten zwar zurückgezahlt werden, wenn sich der Immobilienmarkt positiv entwickelte, dies jedoch nur, wenn zugleich die Immobilie tatsächlich gewinnbringend veräußert wurde. Soweit die Kreditnehmer diese selbst bewohnten, waren sie hierzu jedoch ungern bereit. Der vermeintliche Ausweg bestand darin, nach dem gleichen Muster ein zweites Grundstück zu erwerben, um dieses über einige Jahre hinweg zu halten und schließlich gewinnbringend zu veräußern. Der Gewinn musste dabei die Verbindlichkeiten für das erste und zweite Grundstück abdecken, aus ihm waren also bis zu vier Kredite zu bedienen. Die Kreditwirtschaft verschloss sich diesem Modell dennoch nicht. In den Jahren kontinuierlicher Preissteigerungen auf dem Immobilienmarkt wurden aufgrund zumeist pauschal überschlagener Wertzuwächse beim Grundstück weitere Kredite bewilligt, zumeist Konsumentenkredite, mitunter aber auch Kredite für weiteren
10 Die steuerliche Seite hat sich 2007 geändert, auch die Versicherungsprämien sind nunmehr steuerlich abzugsfähig. Zur steuerlichen Behandlung der Immobilienkredite seit dem Tax Reform Act 1986 und seinen Auswirkungen auf Immobilienkredite siehe Mansfield, 51 S.C.L.Rev. 473, 522 (2000). 11 Zu den staatlichen Initiativen, diese Versicherungen zu verbilligen, um finanzschwachen Kreditnehmern die Kreditaufnahme zu ermöglichen, siehe Engel/McCoy, 80 TXLR 1255, 1277 (2002).
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
Immobilienerwerb.12 Im Vertrauen auf eine Fortsetzung der Hausse auf dem Immobilienmarkt gab die Kreditwirtschaft das Eigenkapitalerfordernis schließlich gänzlich auf.13 Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Subprime-Kredite nicht nur zum Erwerb eines Wohngrundstücks vergeben wurden, sondern auch als Finanzierungskredit für sonstige Anschaffungen.14 Der Effekt war der gleiche: Das Grundstück wurde hypothekarisch belastet, ganz im Vertrauen darauf, dass sich die Immobilienpreise nach oben entwickeln würden. c)
Fehlende persönliche Haftung
Weiter verschärft wurde die Problematik dieser Vergabepolitik durch gesetzliche Beschränkungen einer persönlichen Inanspruchnahme von Immobilienkreditschuldnern. Das Zwangsvollstreckungsrecht fällt in den USA in die Gesetzgebungszuständigkeit der Bundesstaaten.15 Bei den sog. non-recourse mortgages erklärt der Gesetzgeber eine persönliche Haftung des Kreditnehmers für unzulässig: Der Kreditgeber kann zunächst nur in das Hausgrundstück vollstrecken.16 Ist aus diesem vollständige Befriedigung nicht zu erreichen, können darüber hinaus auch sog. deficiency judgments erwirkt werden, mit denen der Kreditnehmer auf die Differenz zwischen dem aus der Grundstücksverwertung erzielten Erlös und der Zahlungsschuld in Anspruch genommen wird.17 Diese Möglichkeit wurde von der Kreditwirtschaft praktisch jedoch kaum genutzt, da es bei den Kreditnehmern im Subprime-Segment in der Regel ohnehin an einer Haftungsmasse fehlte und sich die hohen Verfahrenskosten daher nicht rechneten. Hingegen ist das Foreclosure-Verfahren, mit dem die Verwertung des Grundstücks betrieben wird, in der Mehrzahl der Staaten einfach und kostengünstig, auch weil kein Gericht eingeschaltet werden muss.18 Daher wurde auf die Möglichkeit einer persönlichen Inanspruchnahme in den Verträgen teilweise auch verzichtet (walkaway-Klausel). Eine Prüfung der individuellen Kreditwürdigkeit der Kreditnehmer erübrigte sich daher.19 Wenn sie dennoch erfolgte, stützte sie sich aus Kostengründen häufig auf leicht zugängliche Quellen, etwa den FICO score.20 Dieser gibt die Zahlungsmoral der 12 Rehm, Kredit und Kapital 2008, 305, 308. 13 Schwarcz (2008), S. 2. Zu debt to income ratio und loan to value ratio auch im Prime Market-Segment siehe Rudolph (in diesem Band), S. 55, 57. 14 Ausführlich dazu Willis, 65 MDLR 707, 732 f. (2006). 15 Hierzu und im Folgenden Ellis (2008), S. 19 f. 16 Siehe Rehm, Kredit und Kapital 2008, 305, 308, wonach 2005 bei 57 % der neu vergebenen Kredite auf einen Eigenkapitalnachweis verzichtet wurde, während in Deutschland Finanzierungen zu 100 % kaum vorkommen, sondern die Kreditinstitute regelmäßig auf einer Eigenkapitalquote von 30 % bestehen. Dazu auch Mulligan/Threinen (2008), S. 7. 17 So etwa in New York und Nevada, unter weiteren Voraussetzungen auch in Kalifornien. 18 Es ist daher in seinen Wirkungen der Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung im deutschen Recht vergleichbar, aber eben nur bezogen auf das Grundstück. 19 Kübler, FS Schwark (2009), S. 499, 501. 20 Benannt nach dem Unternehmen, das diesen erstellt, der Fair Isaac Corporation.
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Verbraucher in denkbar allgemeiner Weise wieder. Aus der Zahlungsdisziplin für Kreditkartenverbindlichkeiten wurde auf diese Weise auf die Ausfallwahrscheinlichkeit bei Immobilienfinanzierungen geschlossen. Zahlungsverzug mit kleinen Beträgen konnte den credit score erheblich nach unten, umgekehrt die disziplinierte Begleichung kleiner Beträge gewaltig nach oben ziehen. d)
Niedrigzinsperiode und variable Zinsgestaltung
Bemerkenswert ist außerdem, dass die Kredite nicht einmal mit Risikozuschlägen versehen wurden, da bei der Kostenkalkulation nicht die persönliche Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers den Ausschlag gab, sondern die Werthaltigkeit des erworbenen Grundstücks. Bedingt durch eine langanhaltende und extreme Niedrigzinspolitik der Federal Reserve konnten die Kreditzinsen über Jahre hinweg sehr niedrig gehalten werden.21 Ein weiterer Anreiz bestand darin, dass die Tilgung des Kredits häufig für die ersten Jahre ausgesetzt wurde (initial teasers).22 Umgekehrt waren die Zinssätze (von Anfang an oder nach einer eher kurzen Anfangsphase) variabel ausgestaltet. Als die Zinsen zunächst im Rahmen geringer Zinserhöhungen der Federal Reserve, dann im Zuge der auftretenden Liquiditätsengpässe rapide anstiegen, führte dies zu einer gewaltigen Belastung der Kreditnehmer, denn die gestiegenen Refinanzierungskosten wurden im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Zinsanpassung an die Kreditnehmer weitergegeben.23 e)
Unrealistische Preisbildung am Immobilienmarkt und das Platzen der Blase
Nicht nur die enorme Nachfrage nach Immobilien, sondern auch das (blinde) Vertrauen auf die Preissteigerungen auf den Immobilienmärkten trug dazu bei, dass die Immobilienpreise zunächst stetig anstiegen. Die laxen Kreditbedingungen führten dazu, dass die Preise künstlich aufgebläht wurden. Käufer, die kein Eigenkapital einzusetzen brauchten und nicht mit ihrem persönlichen Vermögen hafteten, neigten dazu, jeden Preis zu bezahlen, ohne zu verhandeln. Als Folge wurden Preise erzielt, die Selbstzahler nicht akzeptiert hätten. Tatsächlich stiegen die Grundstückspreise im Zuge dieser Entwicklung von 2000 bis 2006 beträchtlich, nämlich um 40–60 %. Noch schneller wuchs die Verschuldung: Die Zahl der durch Hypotheken gesicherten Kredite stieg in der gleichen Zeit um mehr als das Doppelte. Die Verschuldensfalle existierte damit schon viel früher als von den Finanzmärkten wahrgenommen.
21 Zur Kritik an der Zinspolitik der FED siehe Köhler, Manager-Magazin vom 24.10.2008, S. 94; Starbatty, FAZ.Net vom 3.11.2008; Schwintowski (in diesem Band), S. 41, 42 f.; Vaubel (in diesem Band) S. 119. 22 Kübler, FS Schwark (2009), S. 499, 501; Lim (2008), S. 2. 23 Siehe zu den Ausfallquoten, die bei variablen Subprime-Krediten deutlich höher lagen als bei Krediten mit Zinsbindung, Rehm, Kredit und Kapital 2008, 305, 309. Dort auch zur deutschen Rechtslage und den Vorteilen für den Kreditnehmer, die mit langfristigen Zinsbindungen verbunden sind.
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
Ein Weiteres kam hinzu: Die Zahlungsmoral verschlechterte sich rapide. Wer nur mit seinem Grundstück, nicht aber mit seinem Vermögen haftet, verliert sein Interesse an dem Investment, sobald die Kreditschuld den Wert des Grundstücks übersteigt. Selbst der Kreditnehmer, der den Kredit tilgen könnte, nimmt – völlig rational – davon Abstand. Es ist günstiger, das Grundstück aufzugeben und ein anderes zu den nunmehr günstigeren Grundstückspreisen zu erwerben.24 Als die Immobiliennachfrage zunehmend gesättigt war, ignorierte die Baubranche dies teilweise. Die Folge war ein Überhang an Immobilien, der zu einem allmählichen Preisverfall führte.25 Beschleunigt wurde dieser dadurch, dass notleidende Kredite massenhaft zu Zwangsverwertungen von Grundstücken führten.26 Je weiter die Grundstückspreise fielen, desto mehr Kredite wurden notleidend, was weitere Zwangsversteigerungen nach sich zog und immer mehr Immobilien auf den Markt brachte. Eine sich unaufhaltsam beschleunigende Spirale aus Preisverfall, Zahlungsausfällen und Zwangsverwertungen war in Gang gesetzt.
2.
Die Weitergabe der Kreditrisiken
a)
Übertragung und Verbriefung der Kreditforderungen
Nach all dem liegt die Schlussfolgerung nahe, dass (nur) die amerikanische Kreditwirtschaft bereit war, hohe Risiken einzugehen, und allein auf die Wertsteigerungsaussichten der Grundstücke setzte (collateral instead of affordability). Dieser Schluss ist jedoch nur bedingt zutreffend. Mehr noch als die unmittelbaren Kreditgeber verließen sich die weltweit beteiligten Finanzinvestoren auf ein Andauern der Hausse auf dem amerikanischen Grundstücksmarkt. Da auch in den USA die Vorgaben von Basel I umgesetzt wurden, müssen auch nach US-amerikanischem Recht Bankkredite mit Eigenkapital unterlegt werden. Infolgedessen beschränkte die Höhe des verfügbaren Eigenkapitals die Kreditinstitute in ihrer Kreditvergabemöglichkeit.27 Dieses Resultat wurde jedoch durch folgende Finanzkonstruktion vermieden: Die Kreditinstitute veräußerten die Kreditforderungen fortlaufend an hierfür gegründete Zweckgesellschaften, sog. Special Purpose Vehicles (SPV), Single Purpose Entities (SPE) oder Limited Purpose Entities (LPE).28 Deren
24 Dazu Schwarcz (2008), S. 3 f. 25 Mulligan/Threinen (2008), S. 2, 4. Insgesamt belief sich die Summe der Grundstückspreise Anfang 2006 auf US-$ 20 Billionen (nach amerikanischer Zählung US-$ 20 trillion), dazu Lim (2008), S. 2. 26 Der Preisverfall setzte Anfang 2006 ein. 1,2 Mio. Grundstücke wurden zwangsversteigert, was eine Steigerung um 42 % gegenüber dem Vorjahr bedeutete. Diese Zahl wurde in den Jahren 2007 und 2008 noch übertroffen. Zu allem Lim (2008), S. 2. 27 Zur Situation unter Basel II Kübler, FS Schwark (2009), S. 499, 504. 28 Der Begriff der Zweckgesellschaft findet sich in § 1 Abs. 26 KWG und in § 231 Abs. 2 SolvV (Solvabilitätsverordnung), dort jedoch mit einem engeren Verständnis. Eine gesetzliche Definition findet sich auch in Artikel 4 der Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des
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§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung
Zweck bestand darin, Kredite von den Banken aufzukaufen, die fortan nicht mehr in den Bilanzen der Kreditgeber erscheinen sollten und mussten.29 Für die abgetretenen Kredite musste folglich auch kein Eigenkapital mehr vorgehalten werden, vielmehr konnten neue Kredite herausgereicht werden.30 Theoretisch konnten so unbegrenzt viele Kredite in unbegrenzter Höhe vergeben werden, ohne dass das tatsächlich vorhandene Eigenkapital für den Kreditgeber eine Schranke gebildet hätte.31 Hierdurch entstand ein moral hazard-Problem: Wer die Kredite schnell weiterreichen konnte, brauchte sich um die Qualität des Schuldners nicht zu sorgen.32 Durch die Weitergabe der Kreditrisiken entfiel das Eigeninteresse der Kreditgeber nachzuprüfen,33 ob denn eine Rückzahlung wahrscheinlich und Sicherung gegen Ausfall vorhanden war. Dies führte zu einer verantwortungslosen Kreditvergabe.34 Die Systemrisiken ergaben sich daraus, dass die Kreditengagements durch die Weitergabe an die Zweckgesellschaften nicht erloschen, jedoch auch von den neuen Gläubigern nicht mit Eigenkapital unterlegt werden mussten. Dies war möglich, weil die Zweckgesellschaften die Kreditforderungen nur aufkauften, daher nicht als Kreditgeber galten und somit keine Eigenkapitalsicherung vorhalten mussten. Aus deutscher Sicht erbrachten die Zweckgesellschaften keine im Sinne des § 1 Abs. 26 KWG erlaubnispflichtigen Finanzdienstleistungen, wenn sie im Rahmen einer branchenüblichen Refinanzierungstransaktion Darlehensforderungen erwarben. Etwas anderes galt nach § 1 I S. 2 Nr. 7 KWG nur, wenn die zuvor veräußerten Darlehensforderungen vor Fälligkeit zurückerworben wurden.35
Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (Neufassung), ABl. EG 2006 L 177/1, als: „eine Treuhandgesellschaft oder ein sonstiges Unternehmen, die kein Kreditinstitut ist und zur Durchführung einer oder mehrerer Verbriefungen errichtet wurde, deren Tätigkeit auf das zu diesem Zweck Notwendige beschränkt ist, deren Struktur darauf ausgelegt ist, die eigenen Verpflichtungen von denen des originierenden Kreditinstituts zu trennen, und deren wirtschaftliche Eigentümer die damit verbundenen Rechte uneingeschränkt verpfänden oder veräußern können“. 29 Dazu Tollmann, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler (2008), § 1, Rn. 279; Forkel, BKR 2008, 183, 184. 30 Knops, WM 2008, 2185, 2192; Lim (2008), S. 3. 31 Forkel, BKR 2008, 183, 184. 32 Forkel, BKR 2008, 183, 184. 33 Dazu etwa Engel/McCoy, 80 TXLR 1255, 1274 (2002): “Securitization, by making possible a constant flow of money to the home-mortgage market, has dramatically altered the business of mortgage lending. Banks and other lenders do not suffer from liquidity restraints and more funds are available to lend. Securitization also has created opportunities for nonbank lenders to enter the home-mortgage market. (…) Lenders no longer need to be large financial institutions with significant deposits and capitalization. Rather, thinly capitalized mortgage bankers and finance companies can originate loans for sale on the secondary market”. 34 Knops, WM 2008, 2185, 2193; Lim (2008), S. 3: “The dissociation of ownership of assets from risks encouraged poor credit assessment and was fundamental in reducing the margin of safety and increasing the margin of risks”; Wachter, 82 TXLR 413, 416 f. (2003). 35 Zu Zweckgesellschaften im Sinne des § 1 Abs. 26 KWG im Einzelnen Tollmann, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler (2008), § 1, Rn. 280 ff. Siehe auch Fleckner, WM 2004, 2051, 2056.
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
Dieses Fehlen eines Eigenkapitalerfordernisses bei den Ausgangsinstituten, jedoch auch bei den Zweckgesellschaften führte zu zwei großen Risiken: Auf einer ersten Stufe wurden durch Verbriefung und Weiterverkauf unüberschaubare Risiken für Anleger geschaffen, unter diesen in großem Umfange institutionelle Anleger und damit auch andere Kreditinstitute (dazu unten b–d); auf einer zweiten Stufe wurde ein bankaufsichtsrechtliches Risiko dadurch geschaffen, dass Kreditinstitute (die Ausgangsinstitute oder andere Institute) Ausfallgarantien für den Fall fehlender Platzierbarkeit dieser Papiere abgaben, diese jedoch nicht mit Eigenkapital unterlegen mussten (dazu unten 3.). b)
Bündelung der Kredite zu Asset Backed Securities
Die Zweckgesellschaften blieben zwar Gläubiger der Forderungen und Hypotheken, gaben das wirtschaftliche Risiko für diese jedoch durch sog. securitization erneut weiter.36 Sie bündelten die Kreditforderungen und Hypotheken zu Forderungspaketen, schufen verbriefte Anteile, zumeist Schuldverschreibungen, und boten diese als asset backed securities an den Kapitalmärkten an.37 Dritte, zumeist Bankenkonsortien, wurden mit der Emission dieser Wertpapiere beauftragt.38 Hierdurch refinanzierten die Zweckgesellschaften den Erwerb der auf sie übertragenen besicherten Kreditforderungen.39 Die Käufer der Anteile wurden wirtschaftlich gesehen zu den Kreditgebern, ohne nun selbst diese Risikopositionen durch Eigenkapital zu unterlegen oder die Risiken der Kredite selbst evaluieren und entsprechende Vorsorge treffen zu können.40 Die Bewertung der Kreditforderungen erfolgte vielmehr durch Rating-Agenturen, die diese in verschiedene Risikogruppen einteilten. Die geschaffenen Pakete umfassten Forderungen unterschiedlicher Risikoklassen. Hierdurch wurde (theoretisch) die Voraussetzung für eine Risikodiversifizierung geschaffen. Die Inhaber der Schuldverschreibungen partizipierten an den Tilgungsund Zinszahlungen der Kreditnehmer auf ihre Kreditverbindlichkeiten, die an die
36 Engel/McCoy, 80 TXLR 1255, 1274 (2002): “Securitization is the process of converting packages of home loans into securities that are backed by collateral in the form of loans. (…) The first step in the securitization process is for a lender to make loans to borrowers. (…) The loans then are bundled and transferred to an entity, often known as a ‘special-purpose vehicle’ (SPV) that passively holds the loans. (…) The SPV adds credit enhancements that have the effect of reducing the risks associated with defaults. (…) The SPV then creates and issues the mortgage-backed securities and sells the securities to investors. (…) In some cases, the SPV services the loans (i.e., collects the loan payments) and distributes the proceeds to the investors. (…) In other cases, the seller of the loans retains the servicing rights”. Vgl. auch Möschel (in diesem Band), S. 105, 107 f. 37 Darin liegt kein Bankgeschäft iSv § 1 KWG, insbesondere kein Finanzkommissionsgeschäft iSv § 1 I 2 Nr. 4 KWG, da es hierfür eines Handelns für fremde Rechnung bedarf. Näher Schmalenbach/Sester, WM 2005, 2025, 2030. Zu den Anfängen der ABS als Pools zur Bündelung von Kreditforderungen aus Verbraucherkrediten, vornehmlich Kreditkartenforderungen, siehe Kübler, FS Schwark (2009), S. 499, 500. 38 Vertiefend Waschbusch, ZBB 1998, 408, 409. 39 Dabei handelt es sich um ein wesentliches Merkmal der Zweckgesellschaft im Sinne von § 1 Abs. 26 KWG, Tollmann, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler (2008), § 1, Rn. 289. 40 Forkel, BKR 2008, 183, 185.
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Zweckgesellschaften flossen und als Rendite an die Inhaber der Schuldverschreibungen ausgeschüttet wurden. Kam es zu einer Verwertung der bestellten Sicherheiten, der hypothekarisch belasteten Grundstücke, wurden die dabei erzielten Erlöse ebenfalls an die Inhaber der Schuldverschreibungen ausgekehrt.41 c)
Schaffung von Collateralized Debt Obligations (CDOs)
Hierin erschöpfte sich die Gestaltung jedoch nicht. Die Anleger sollten sich nicht nur an diversifizierten Forderungspools beteiligen, sondern auch über die Höhe ihres eigenen Ausfallrisikos entscheiden können. Ihre Beteiligungen wurden daher in verschiedene Verlusttragungsgruppen eingeteilt.42 Die erste Gruppe, auch Tranche genannt, sollte die ersten Zahlungsausfälle tragen. Waren etwa 10 % der gebündelten Forderungen als besonders risikoreich eingestuft worden, wurden auch 10 % der ausgegebenen Anteile der höchsten Verlusttragungsgruppe zugeteilt. Sollten Forderungen in Höhe von 10 % notleidend werden, würden die Inhaber der ersten Tranche komplett leer ausgehen. Umgekehrt konnten sie im Falle der Bedienung dieser Forderungen gut verdienen, da die für diesen Fall zugesagte Rendite hoch war. In dieser Tranche bestand also eine hohe Leverage-Wirkung: Hohen Renditeerwartungen standen hohe Ausfallrisiken gegenüber. Üblicherweise wurden auf diese Weise drei Tranchen geschaffen: Die Beteiligungen der Equity-Tranche trugen die ersten Verluste, die der Mezzanin-Tranche die danach auftretenden, während die der Senior-Tranche zuletzt Verluste zu tragen hatten.43 Man nennt diese tranchierten Schuldverschreibungen Collateralized Debt Obligations (CDOs). Der Kreativität schienen keine Grenzen gesetzt. Die CDOs wurden als Vermögensgegenstände (assets) in weitere CDOs eingebracht. Es entstand ein sog. CDO 2 (CDO squared) und, sofern dieses wiederum in ein weiteres CDO eingebracht wurde, ein CDO 3 (CDO cubed). d)
Bewertungsprobleme
Bewertungsfehler stellen einen maßgeblichen Grund für die Finanzkrise dar. Finanzinstitute aus aller Welt beteiligten sich an dem geschilderten Modell in der Hoffnung auf hohe Renditen und verließen sich dabei auf die Risikoeinstufung durch die Rating-Agenturen. Die Bewertung der gehandelten Beteiligungen richtete sich vornehmlich nach zwei Faktoren, der Bonität der enthaltenen Forderungen und der Zuordnung zu den verschiedenen Tranchen. Wegen der Verbriefung und der damit verbundenen hohen Fungibilität der Beteiligungen wurde zudem auch die zu erwartende Handelsentwicklung berücksichtigt. Dies machte ein permanentes Monitoring erforderlich. Was die Bonität der Kreditforderungen anging, wurde dieses solange von den Kreditgebern geleistet, wie diese
41 Tollmann, in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler (2008), § 1, Rn. 279. 42 Zur folgenden Darstellung Lim (2008), S. 3 f. 43 Hierzu die Darstellung bei Rehm, Kredit und Kapital 2008, 305, 309; Kübler, FS Schwark (2009), S. 499, 503.
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
die Kredite in ihren Bilanzen hatten. Entfernten sie diese jedoch aus den eigenen Büchern, indem sie sie auf eine Zweckgesellschaft übertrugen, verschwand auch der Anreiz für eine wirksame Überwachung. Die Rating-Agenturen schienen demgegenüber mit einer fortlaufenden Risikoeinschätzung überfordert, insbesondere weil ihnen die hierzu erforderlichen Informationen jedenfalls nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung standen. Gerade in den Senior-Tranchen unterschätzten sie, wie sich später herausstellte, die Ausfallrisiken stark.44 Hinzu kam ein Interessenkonflikt, da auch die Rating-Agenturen von dem neuen Geschäftsmodell profitierten und daher geringe Anreize besaßen, diese für sie lukrative Einnahmequelle durch schlechte Ratings zu drosseln. Mehr noch: In vielen Fällen konzipierten sie die Anlagemodelle mit.45 Zugleich stellte das Rating regelmäßig die einzige Informationsquelle für die Investoren dar, und das Vertrauen in die Rating-Agenturen erschien grenzenlos.46 Stieg auf der einen Seite die Komplexität der Anlageprodukte, so nahm umgekehrt die Prüfungsdichte auf Investorenseite stetig ab. Etliche professionelle Anleger investierten erhebliche Prozentsätze ihres Eigenkapitals in diese tatsächlich riskanten Finanzprodukte und vernachlässigten die Grundsätze der Risikostreuung.47 War die bankübliche Sorgfalt auf einer ersten Stufe in der US-amerikanischen Kreditwirtschaft bei ihrer Kreditvergabepolitik zu häufig missachtet worden, so wiederholte sich dies auf einer zweiten Stufe weltweit bei den Investitionen in verbriefte Beteiligungen an den Kreditforderungen.48
3.
Ausfallgarantien als weiteres bankaufsichtsrechtliches Problem
Um die Verbriefungen für sicherheitsbewusste Anleger interessanter zu machen, jedoch auch um die Funktionsfähigkeit der SPVs zu gewährleisten, wurden zudem Ausfallgarantien von Kreditinstituten abgegeben. Bestanden diese in der Zusage, einen bestimmten Prozentsatz (üblicherweise 5 bis 10 %) der Zahlungsausfälle zu übernehmen, handelte es sich um ein sog. credit enhancement. Wurde demgegenüber zugesagt, bei Liquiditätsengpässen des Pools Zahlungen an die Inhaber der Schuldverschreibungen zu leisten, lag ein liquidity enhancement vor.49 Auch mit diesen entstand ein eifriger Handel. Sie wurden als bedingte Forderungen ebenfalls verbrieft
44 Dazu der Hinweis von Kübler, FS Schwark (2009), S. 499, 507, wonach due dilligence-Berichte den Rating-Agenturen systematisch vorenthalten wurden. 45 Kübler, FS Schwark (2009), S. 499, 500 und 506. 46 Dieses Informationsdefizit ist nunmehr teilweise bereinigt. Durch Erlass der regulation AB hat die SEC für mehr Transparenz gesorgt. Für öffentlich angebotene ABS muss nunmehr die Zusammensetzung des Pools erklärt, die Funktion und Erfahrung der beteiligten Akteure und die rechtliche Struktur der SPV offengelegt werden. Dazu Kübler, FS Schwark (2009), S. 499, 504. 47 Dazu die Darstellung von Lutter (in diesem Band), S. 77, 82. 48 Zu „Herdentrieb“ und „Katastrophenblindheit“ Kübler, FS Schwark (2009), S. 499, 507 f. 49 Kübler, FS Schwark (2009), S. 499.
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und an den Kapitalmärkten angeboten. Wer eine besonders hohe Leverage-Wirkung wünschte, konnte credit default swaps erwerben und auf den Eintritt oder das Ausbleiben des Sicherungsfalles spekulieren.50 Aus deutscher Sicht bedurfte es aufgrund einer internen Richtlinie der BaFin auch hier keiner Eigenkapitalunterlegung, soweit diese Garantien zeitlich begrenzt waren und einseitig widerrufen werden konnten.51 Diese Ausnahme ist nun unter Geltung der SolvV entfallen.52 Auch hat Basel II eine Schwäche der Basel I-Regelungen behoben bzw. zumindest abgemildert: Das hohe Interesse der europäischen Kreditwirtschaft, sich an den riskanten Finanzprodukten zu beteiligen, beruhte wohl auch darauf, dass die notwendige Eigenkapitalausstattung bei Krediten nicht von der Kundenbonität, sondern allein von der Höhe des erteilten Kredits abhing.53 Dementsprechend bestand ein Anreiz, bei gleicher Eigenkapitalabsicherung Kredite an solche Kunden zu vergeben, bei denen der höchste Zins zu erzielen war, nämlich unsichere Kunden. Basel II orientiert sich demgegenüber auch an den Risiken eines Investments bzw. einer Kreditvergabe. Freilich sind die mit den Ausfallgarantien verbundenen Gefahren auch unter den Regeln von Basel II nicht vollständig beseitigt. Soweit eine Ausfallgarantie (wie in den Fällen des credit enhancement) nur einen gewissen Prozentsatz der gepoolten Forderungen abdeckt, muss auch nur die maximal garantierte Summe durch Eigenkapital unterlegt werden. Besteht die Ausfallgarantie etwa in einer Höhe von 10 %, erfasst die Eigenkapitalunterlegung auch nur 10 % der Summe der insgesamt verbrieften Kreditforderungen. Auf diese Weise lassen sich die strengen Eigenkapitalerfordernisse bei der Kreditvergabe weiterhin in ihrer Wirkung größtenteils umgehen. Hinzu kommt, dass die soeben angesprochenen Bewertungsschwierigkeiten nunmehr stärker als unter Basel I durchschlagen: Bei positivem Rating des Forderungspools kann der Gewichtungsfaktor dazu führen, dass sich die notwendige Eigenkapitalunterlegung erheblich reduziert. Bewertungsfehler wirken sich hierdurch noch dramatischer aus.54 Schwerer noch wiegt, dass astronomische Summen von Instituten aufgebracht werden, die nicht dem Kreditsektor angehören und daher der Regulierung und Aufsicht durch die Überwachungsbehörden nicht unterliegen.55
50 Näher zu den CDOs Schwintowski (in diesem Band), S. 41, 44 f. 51 Eingehend dazu die Darstellung bei Schwintowski (in diesem Band), S. 41, 44. 52 Allerdings ist der Konversionsfaktor einer KSA-Verbriefungsposition bzw. einer IRBA-Verbriefungsposition weiterhin mit null anzusetzen, wenn es sich um eine jederzeit fristlos und bedingungslos kündbare, höchstrangige, qualifizierte Liquiditätsfazilität handelt, §§ 239 Abs. 2, 252 Abs. 2 SolvV. 53 Nach Basel I war jeder Kredit einheitlich mit 8 % Eigenmitteln zu unterlegen. Dabei verbleibt es im Ansatz auch nach Basel II. Ein entscheidender Unterschied besteht jedoch darin, dass die Kreditbeträge bei Zugrundelegung des Standardansatzes abhängig von der Bonitätseinstufung des Kreditnehmers mit einem Prozentsatz gewichtet werden. Diese „risikogewichteten Aktiva“, nicht der Kreditbetrag selbst müssen nunmehr mit 8 % Eigenkapital unterlegt werden. 54 Zu allem Kübler, FS Schwark (2009), S. 499, 504 (Fn. 27). 55 Vgl. Lim (2008), S. 17. Zu Forderungen, auch diese den Eigenkapitalerfordernissen zu unterwerfen, siehe etwa Knops, WM 2008, 2185, 2193.
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
Nach derzeitigem Stand ungeklärt ist, ob die Ausfallgarantien nur in Verbindung mit den eingegangenen Anlagerisiken zur Finanzkrise geführt haben (kumulative Verursachung). Die Ausfallgarantien stellten jedenfalls die wohl wichtigste Ursache für die Liquiditätsengpässe vom Herbst 2008 dar. Es war wohl vor allem die Sorge, aus diesen in Anspruch genommen zu werden, die Finanzinstitute weltweit dazu anhielt, vorsorglich Liquidität bereitzuhalten (zu „horten“). Dies traf zeitlich mit der Insolvenz der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers am 15.9.2008 zusammen, die wegen der Plötzlichkeit ihres Auftretens und der überragenden Größe des Instituts weltweit für Verunsicherung und Misstrauen unter den Finanzinstituten sorgte und den Liquiditätsaustausch weiter beschränkte.56
4.
Die Immobilienkrise zieht weite Kreise
Als die Ausfallquoten bei den Krediten stiegen, wurden die Sicherheiten vermehrt eingefordert. Dies stellte einen der Hauptgründe für die Liquiditätsengpässe im Bankensektor dar: Da die Garantien jederzeit eingefordert werden konnten und noch immer können, hielten und halten die Kreditinstitute Liquidität vor, um gegebenenfalls ihre Zahlungsschuld erfüllen zu können. Als sich die Bewertungen durch die Rating-Agenturen als viel zu positiv herausstellten, wurde das Anlegervertrauen in die Verlässlichkeit des Rating grundsätzlich erschüttert, was zu einem generellen Misstrauen gegenüber Anlageprodukten und einem massenhaften Kapitalabzug führte.57 Die Insolvenzen angesehener Finanzinstitute führten zu weiteren Schocks für die Anleger und infolgedessen zu weiteren Panikverkäufen. Die Bewertung der ABS und CEO fiel dramatisch, so dass gewaltige Bilanzberichtigungen erforderlich wurden.58 Am 2.12.2008 meldete der Spiegel, dass selbst Goldman Sachs, der vermeintliche „Fels in der Brandung“, schwere Verluste hinnehmen musste.59 Was als Kreditkrise begann, weitete sich so zu einer globalen Finanzkrise aus. Nunmehr sind auch weitere Sektoren durch die hohen Verluste erschüttert und Kreditforderungen in anderen Branchen notleidend. Beispielhaft sei die Private EquityBranche genannt. In den letzten Jahren hatten Private Equity Fonds gewaltige Summen auch in CDOs und in Beteiligungen an Unternehmen investiert, die nunmehr im Zuge der Finanzkrise angeschlagen sind. Die Mittel stammten nicht nur aus an den Kapitalmärkten gesammeltem Geld, sondern, beflügelt durch die niedrigen Zinsen der letzten Jahre, auch aus Krediten. Die Vergabekriterien der Kreditwirtschaft waren auch in diesem Bereich ähnlich lax wie bei der Bewilligung von Immobilienkrediten. Viele dieser Kredite drohen notleidend zu werden, und dies
56 Zu den Ursachen der Insolvenz von Lehman Brothers Möschel (in diesem Band), S. 105, 108 f. 57 In diesem Sinne Schwarcz (2008), S. 4. 58 Schwarcz (2008), S. 5. 59 Dazu der Artikel auf Spiegel-Online vom 2.12.2008: „Goldman Sachs schreibt Milliardenverlust“.
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§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung
hat bereits zu einer weiteren Abschreibungswelle bei den Kreditinstituten geführt.60 Ähnliche Probleme treten bei den Hedge Fonds zu Tage: Wegen ihrer Bereitschaft, auch höhere Risiken einzugehen, erwarben gerade sie Anteile an den Tranchen mit hoher Ausfallwahrscheinlichkeit und dies zu einem beträchtlichen Anteil kreditfinanziert.61
III.
Aktuelle Finanzmarktstabilisierung
Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers war die Vertrauenskrise so gewaltig, dass nach einhelliger Meinung aller maßgeblichen Entscheidungsträger dramatische Schritte zu ergreifen waren, um das kollabierende Finanzsystem zu stabilisieren. „Wirtschaftliche Krisenbewältigung“, schrieb der Staatsrechtler Walter Leisner kürzlich in der Juristenzeitung, „ist Gegenstand der Volkswirtschafts-, nach ihr der Betriebswirtschaftslehre, erst dann kommt das Wort des Rechts – allerdings dann als das Letzte“.62 Allerhand solcher Worte sind inzwischen in Gesetze gegossen, um die bestehenden Liquiditätsengpässe in der Kreditwirtschaft zu beseitigen und den Finanzmarkt kurzfristig zu stabilisieren. So wuchs beispielsweise der US-amerikanische Emergency Economic Stabilization Act innerhalb von knapp zwei Wochen von einem dreiseitigen Vorschlag über einen 110 Seiten langen Erstentwurf bis zur endgültigen Verabschiedung auf stolze 451 Seiten an; das englische Banking Bill ist knapper, umfasst aber immer noch über 250 Artikel.63 Geradezu schlank muten demgegenüber die deutschen Regelungen an: Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG), das am 18. Oktober 2008 in Kraft getreten ist, enthält nicht mehr als 7 Artikel, in denen der Gesetzgeber allerdings gleich zwei kompakte neue Gesetze platziert: Das Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz (FMFG), das Errichtung und institutionellen Rahmen des Stabilisierungsfonds normiert, sowie das Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an, sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds (FMBG).64 Zusammen mit einer ebenfalls überschaubaren Durchführungsverordnung 65 bilden diese Rechtsakte das Zentralstück der staatlichen Krisenbewältigung in Deutschland. Die rechtlichen Regeln
60 Dazu der Bericht von Lim (2008), S. 6. 61 Zu den Entwicklungen an den Finanzmärkten näher Rudolph (in diesem Band), S. 55, 62 f. 62 Leisner, JZ 2008, 1061, 1067. 63 Emergency Economic Stabilization Act of 2008 vom 3.10.2008, H.R. 1424, P.L. 110–343, mit Ausführungsvorschriften und Transaktionsdokumentation abrufbar unter www.treasury.gov/ initiatives/eesa (abgerufen am 5.1.2009); Banking Bill 2008 vom 7.10.2008, mit Ausführungsvorschriften und Rechtsfolgenabschätzung abrufbar unter www.hm-treasury.gov.uk/fin_ bankingbill_08.htm; für Länderberichte zur weiteren Krisengesetzgebung vgl. RIW 2009, 51–69. 64 BGBl. 2008 I, 1982. Erste Kommentierungen sind bereits angekündigt: Becker/Mock (in Vorbereitung, 2009); Jaletzke/Verannemann (2009); vgl. auch Deutsches Aktieninstitut (Hrsg.), Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz (2009). 65 Verordnung zur Durchführung des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes vom 17.10. 2008 (Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung – FMStFV), abrufbar auf der Webseite der Finanzmarktstabilisierungsanstalt unter www.soffin.de/downloads/verordnung_fmstfv.pdf (abgerufen am 5.1.2009).
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
werden flankiert von ebenfalls stabilisierenden, vertrauensbildenden Maßnahmen der Geld- und Wirtschaftspolitik, zu denen nicht zuletzt das – rechtlich nicht verbindliche – Versprechen der Bundesregierung gehört, private Spareinlagen staatlich zu garantieren. Diese kurzfristigen Maßnahmen zur Krisenbewältigung stehen naturgemäß im Vordergrund der tagesaktuellen Diskussion. Trotz ihrer immensen finanziellen Auswirkungen für den Fiskus 66 erhielten sie breite parlamentarische Zustimmung. Auch aus ordoliberaler Sicht ist die Notwendigkeit der Stabilisierungsmaßnahmen schwerlich zu bezweifeln, obwohl die staatliche Intervention grundlegende Funktionsmechanismen der privaten Finanzmärkte vorübergehend außer Kraft setzt. Die systemische Finanzkrise stellt indessen das Überleben der Marktordnung selbst in Frage: Ein Patient in Lebensgefahr kann nicht schlicht auf Selbstheilungskräfte hoffen, sondern muss notfalls die giftigsten Pillen schlucken. Die ordnungspolitische Diskussion, die auch im Folgenden im Vordergrund stehen wird (unten IV. und weitere Beiträge), betrifft insofern weniger die situative Krisenbekämpfung, sondern vor allem die strukturelle Gestaltung eines Ordnungsrahmens, der Krisen langfristig vermeiden soll. Das heißt allerdings nicht, dass die Ausgestaltung der Stabilisierungsmaßnahmen jeder ordnungspolitischen Bewertung entzogen wäre. Ganz im Gegenteil: Bei weitem nicht jedes Gegengift verspricht wirksame Heilung; die Not kennt eben doch das eine oder andere ordnungspolitische Gebot.67 Einige dieser ordnungspolitischen Zweifelsfragen lassen sich exemplarisch aufzeigen, wenn im Folgenden nacheinander auf folgende Punkte eingegangen wird: zunächst auf die Instrumente der Krisenbewältigung, sodann auf den grundlegenen Mechanismus, mit dem über Stabilisierungsmaßnahmen entschieden wird, sowie auf die Einpassung in den grundlegenden Ordnungsrahmen und schließlich auf die sachliche und zeitliche Begrenzung des Stabilisierungsgesetzes.
1.
Instrumente
Während das US-amerikanische Rettungspaket, auch als „Troubled Asset Relief Program“ (TARP) bezeichnet, in erster Linie auf den Erwerb risikobehafteter Aktiva setzt,68 sieht das deutsche Stabilisierungsgesetz ein deutlich breiteres Instrumentarium vor. Dieses ist in die Hände des Finanzmarktstabilisierungsfonds gelegt, dem (als einem nicht rechts-, jedoch rechtsgeschäftlich handlungs- und prozessfähigen Sondervermögen des Bundes) gem. § 2 Abs. 1 FMFG die Stabilisierung des Finanzmarktes obliegt und dessen Aufgaben die rechtlich unselbständige, bei der Deut-
66 Überblicksweise zu den fiskalischen Auswirkungen im internationalen und historischen Vergleich OECD (Hrsg.), OECD Economic Outlook 84 (2008), 62–64. 67 In diesem Sinne Schwarz, NZZ v. 4.10.2008, S. 21. Vgl. weiterhin Waclawik, ZIP 2008, 2339 („Die Krise heiligt nicht jedes Mittel“). 68 Näher etwa International Monetary Fund (Hrsg.), Global Financial Stability Report (2008), S. 52; im breiteren Zusammenhang Roberts (2008), S. 124–128. Kritisch beispielsweise Bebchuk, The Economists’ Voice 5 (2008), Article 6.
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§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung
schen Bundesbank angesiedelte Finanzmarktstabilisierungsanstalt wahrnimmt.69 Dem Fonds stehen im Wesentlichen drei Möglichkeiten zur Krisenbewältigung zur Verfügung. Zwei dieser Instrumente sichern einzelne Bilanzpositionen ab, das dritte besteht in einer kapitalmäßigen Beteiligung an Unternehmen des Finanzsektors. a)
Marktbezogene Absicherung einzelner Bilanzpositionen
Erstens kann der Fonds gem. § 7 FMFG von Unternehmen des Finanzsektors und von Zweckgesellschaften sogenannte Risikopositionen übernehmen, also beispielsweise Forderungen, Wertpapiere, derivative Finanzinstrumente, Gewährleistungen und Beteiligungen, jeweils nebst zugehörigen Sicherheiten.70 Diese Risikopositionen müssen vor dem 13. Oktober 2008 erworben worden sein; es geht hier also ausschließlich um „Altlasten“. Der Erwerb kann in jeder geeigneten Form erfolgen, auch durch bloße Absicherung; er wird dadurch erleichtert, dass § 16 FMBG einige zivil- und insolvenzrechtliche Übertragungshindernisse beseitigt.71 Die Verordnung sorgt für Angemessenheit der Gegenleistung, indem sie in § 4 Abs. 2 Nr. 1 FMStV vorsieht, dass der Kaufpreis den in der Bilanz ausgewiesenen Wert grundsätzlich nicht überschreiten darf und die Verzinsung mindestens die Refinanzierungskosten des Fonds decken soll. Dem übertragenden Unternehmen, das grundsätzlich angemessen mit Eigenmitteln ausgestattet sein muss, können gem. § 8 Abs. 2 Nr. 4 FMFG i.V.m. § 4 Abs. 2 Nr. 2 FMStV außerdem Rückkaufpflichten und sogar die Ausfallhaftung auferlegt werden. In diesem Fall werden Risiken nicht einmal verlagert, sondern es wird lediglich ihre Realisierung verzögert und dadurch (zeitweise) eine Bilanzierung vermieden.72 Als zweites Instrument kann der Fonds Garantien für neue, nach dem 18. Oktober 2008 begründete Schuldtitel und Verbindlichkeiten gewähren. Dieses Instrument zielt auf den Markt für neue Kreditvergabe; es dient der Behebung von Liquiditätsengpässen und damit der Erleichterung der Refinanzierung. Die Garantiegewährung soll nach § 2 Abs. 2 S. 1 FMStV vorrangig vor allen anderen Instrumenten zum Einsatz kommen und ist umgekehrt gem. § 5 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 FMStV an die schwächsten Bedingungen geknüpft. Sie gilt daher als mildestes Stabilisierungsmittel.73 Grundsätzliche Voraussetzung ist gem. § 4 Abs. 2 Nr. 3 FMStV wiederum eine angemessene Eigenmittelausstattung. Außerdem ist auch für Garantien eine angemessene Gegenleistung zu vereinbaren, wobei allerdings der Maßstab unscharf
69 Zum institutionellen und öffentlich-rechtlichen Rahmen im Einzelnen: Brück/Schalast/ Schanze, BB 2008, 2526, 2527 f.; Ewer/Behnsen, NJW 2008, 3457, bes. 3458 f.; Spindler, DStR 2008, 2268, 2268 f. 70 Ausführlich, auch zum Folgenden Roitzsch/Wächter, ZIP 2008, 2301, 2302 f. 71 Horn, BKR 2008, 452, 455. 72 Hierzu kritisch Roitzsch/Wächter, ZIP 2008, 2303 („als ob man geschönte Bilanzen bräuchte, um das Vertrauen wieder herzustellen“). 73 Die Begründungen variieren: Horn, BKR 2008, 452, 453 (besonders marktschonend); Mann, DZWiR 2008, 496, 498 (geringe Belastung des Fondsvermögens).
17
1. Teil: Grundlagen und Übersicht
ist: Die Gesetzesbegründung sieht ein Entgelt von mindestens zwei Prozent vor;74 die Verordnung orientiert sich in § 2 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 FMStV an der marktgerechten Vergütung, die sich allerdings in einem nicht funktionierenden Markt kaum sinnvoll ermitteln lassen dürfte.75 Allgemeiner orientieren sich beide Instrumente, Risikoübernahme und Garantiegewährung, gleich mehrfach am Markt als Vergleichsmaßstab, auch wenn sie – ganz gezielt – in diesen Markt eingreifen. b)
Unternehmensbezogene Absicherung durch Kapitalbeteiligung
Erheblich eingriffsintensiver erscheint demgegenüber die Rekapitalisierung als drittes Stabilisierungsinstrument: Nach § 7 Abs. 1 FMFG kann sich der Fonds „an der Rekapitalisierung von Unternehmen des Finanzsektors beteiligen, insbesondere gegen Leistung einer Einlage Anteile oder stille Beteiligungen erwerben und sonstige Bestandteile der Eigenmittel dieser Unternehmen, einschließlich solcher, die nach Landesrecht geschaffen werden, übernehmen“. Zwar wird gem. § 3 Abs. 2 Nr. 1 FMStV auch hier eine marktgerechte Vergütung in Form eines Gewinnvorzugs oder einer Verzinsung angestrebt. Angemessene Eigenmittelausstattung ist aber nicht Voraussetzung, sondern gem. § 3 Abs. 2 Nr. 2 FMStV Ziel dieser Stabilisierungsmaßnahme: Der Fonds unterstützt Marktteilnehmer mit diesem Instrument nicht nur, sondern wird deren Teilhaber. Die Beteiligung ist angesichts der Rechtsformenvielfalt in ganz unterschiedlicher Form möglich: Der Begriff der „Eigenmittel“ umfasst nach § 10 Abs. 2 KWG neben Kernkapitalien auch Ergänzungskapitalien und Drittrangmittel.76 Nach § 3 Abs. 1 S. 1 FMStV soll die Rekapitalisierung allerdings vorrangig durch Stärkung des Kernkapitals bzw. der Eigenmittel erfolgen.77 Besonders wichtig ist die Beteiligung an Aktiengesellschaften über eine Kapitalerhöhung gegen Einlagen. Diese Form der Rekapitalisierung wird deshalb durch das FMBG verfahrensmäßig erheblich erleichtert.78
2.
Entscheidungsmechanismus
Für die ordnungspolitische Bewertung spielt indessen vor allem ein Gestaltungsmerkmal eine zentrale Rolle, das allen drei Instrumenten gemeinsam ist: Die Stabilisierung erfolgt freiwillig, nicht unmittelbar auf Grund staatlichen Zwangs. Voraussetzung ist nämlich jeweils ein Antrag des Unternehmens des Finanzsektors, über den der Fonds gem. § 4 Abs. 1 S. 1 FMFG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat. Rechtsvergleichend sticht diese Lösung vor allem im Vergleich zur englischen Regelung ins Auge. Diese räumt den Aufsichtsbehörden hoheitliche sta-
74 BT-Drs. 16/10600, S. 17. 75 Pointiert Brück/Schalast/Schanze, BB 2008, 2526, 2529. 76 Binder, WM 2008, 2340, 2341; für eine systematische Darstellung der KWG-Regelung selbst vgl. Matzke/Seifert, ZBB 1998, 152. 77 Hierzu kritisch: Seiler/Wittgens, ZIP 2008, 2245, 2254. 78 Ausführlicher sogleich unter III. 2. a). Vgl. weiterhin Horn, BKR 2008, 452, 453 f.; Seiler/Wittgens, ZIP 2008, 2245; Spindler, DStR 2008, 2268, 2269 f.; Ziemons, DB 2008, 2635.
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§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung
bilisation powers ein, die nicht von der Zustimmung der betroffenen Institute, wohl aber von spezifisch niedergelegten Eingriffsvoraussetzungen abhängen.79 Rechtspolitisch stößt das deutsche Antragserfordernis vielfach auf Kritik, weil die Banken das Rettungspaket zunächst nicht im gewünschten Umfang in Anspruch nahmen.80 Ordnungspolitisch bewerten lässt sich dieser Entscheidungsmechanimus allerdings erst, wenn man das Verfahren der zweiseitigen Entscheidungsfindung etwas genauer untersucht. a)
Leitungsentscheidung über Antragstellung
Auf der einen Seite setzt § 4 Abs. 1 S. 1 FMFG den Antrag des betreffenden Unternehmens des Finanzsektors voraus: Stabilisierungsmaßnahmen hängen von der Initiative der Institute selbst ab; Voraussetzung ist eine autonome Entscheidung privater Marktakteure. Das geltende Aufsichtsrecht erlaubt allenfalls begleitende Maßnahmen, um die Marktteilnehmer zu einer entsprechenden Entscheidung zu veranlassen, auch dies allerdings nur unter engen Voraussetzungen und ausschließlich in der finanziellen Krise.81 Die Entscheidung über die Antragstellung ist als solche eine Geschäftsführungsbzw. Leitungsmaßnahme; sie fällt deshalb in die Entscheidungszuständigkeit des Vorstands (§ 76 Abs. 1 AktG) oder sonstigen Geschäftsführungsorgans. Wenn eine Rekapitalisierung beabsichtigt ist, berührt jedoch deren Durchführung die aktienrechtliche Zuständigkeit der Hauptversammlung, weil die Entscheidungshoheit der Aktionäre über Kapitalmaßnahmen gem. § 182 Abs. 1 AktG seit jeher als „integraler Bestandteil ihrer Mitgliedschaftsrechte“ gilt und seit der Kapitalrichtlinie auch europäisch verbürgt ist.82 Das FMBG verändert diese Governance-Struktur allerdings von Grund auf, indem es zwei Sonderformen der Kapitalerhöhung schafft: Zum einen erlaubt § 7 FMBG eine erheblich vereinfachte ordentliche Kapitalerhöhung mit verkürzten Einberufungsfristen, erleichtertem Bezugsrechtsausschluss und eingeschränkter Registerprüfung. Dieses Verfahren erfordert freilich zumindest noch einen Mehrheitsbeschluss der Aktionäre. Zum anderen schafft § 3 FMBG ein „gesetzlich genehmigtes Kapital“ und ermächtigt dadurch den Vorstand,
79 Vgl. im Einzelnen Banking Bill 2008, sec. 12 (“temporary public ownership”) i.V.m. secs. 7 (“general conditions”) und 8 (“specific conditions: temporary public ownership”); dazu überblicksweise Binder, ZBB 2009, 19, 28–30. 80 Polemisch titelte etwa R. Lebert, FTD v. 3.12.2008: „Milliarden, die kaum einer will“. Bis Ende 2008 hatten dann allerdings bereits 15 Banken Eigenkapitalhilfen von insgesamt über 40 Mrd. Euro beantragt, außerdem waren Bürgschaften mit einem Volumen von über 90 Mrd. Euro zugesagt worden, ungenutzt blieb bis zu diesem Zeitpunkt lediglich das Instrument der Risikoübernahme; vgl. NZZ online v. 30.12.2008, „15 Banken wollen unter deutschen Rettungsschirm“, abrufbar unter www.nzz.ch/finanzen/nachrichten. 81 Dazu im Einzelnen: Binder, WM 2008, 2340, 2341–2344. 82 So zu Recht Binder, WM 2008, 2340, 2344 (mit ausführlicher Erläuterung und w.N.); ähnlich: Seiler/Wittgens, ZIP 2008, 2245, 2248; Spindler, DStR 2008, 2268, 2273 f.; Waclawik, ZIP 2008, 2339, 2339. Nach der EuGH-Rechtsprechung darf vom Zustimmungserfordernis gem. Art. 25 Abs. 1 Kapitalrichtlinie nicht einmal in Fällen schwerer Unternehmenskrisen abgewichen werden, vgl. vor allem: EuGH - Urt. v. 12.5.1998 – Rs. C-367/96 Kefalas u.a., Slg. 1998, I-2843.
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
das Grundkapital unter Ausschluss des Bezugsrechts um bis zu 50 % durch Ausgabe neuer Aktien gegen Einlagen an den Fonds zu erhöhen. Um von dieser „Eilkompetenz“ Gebrauch zu machen, benötigt der Vorstand die Zustimmung lediglich des Aufsichtsrates, nicht jedoch der Hauptversammlung (§ 3 Abs. 1 S. 2 bzw. Abs. 2 S. 1 FMBG). Nicht zu Unrecht ist insoweit bereits von einer „geradezu revolutionäre[n] aktienrechtliche[n] Neuregelung“ die Rede, die nicht weniger als einen „Systembruch“ in der austarierten aktienrechtlichen Unternehmensverfassung bedeute.83 Als Folge dieser Kompetenzverschiebung liegt das Initiativrecht für Stabilisierungsmaßnahmen letztlich exklusiv beim Leitungsorgan – das dadurch allerdings in eine ausgesprochen tückische Zwickmühle gerät. Das liegt weniger an den oft zitierten Vergütungsbeschränkungen, die gem. § 10 Abs. 2 Nr. 3 FMFG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 FMStV an Stabilisierungsmaßnahmen geknüpft werden sollen, die aber verantwortungsbewußte Vorstandsmitglieder nicht von einer Antragstellung abschrecken werden.84 Problematisch ist vielmehr die grundlegende Neuausrichtung der Geschäftspolitik, auf die sich begünstigte Unternehmen gem. § 10 Abs. 2 Nr. 1 FMFG i.V.m. § 5 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 5 FMStV grundsätzlich verpflichten müssen. Sie sollen sich beispielsweise darauf festlegen, dem Kreditbedarf der inländischen Wirtschaft, insbesondere kleinerer und mittlerer Unternehmen, Rechnung zu tragen. Das Leitungsorgan bekommt dadurch die Aufgabe eines Sachwalters öffentlicher Interessen zugewiesen, die Vorrang gegenüber Unternehmens- und Aktionärsinteresse beanspruchen.85 Dies steht im Widerspruch zur Grundkonzeption der aktienrechtlichen Leitungsverfassung, die Vorstände just auf dieses Unternehmensinteresse verpflichtet: Das Aktiengesetz verbietet Vorständen zwar nicht pauschal, Interessen des Allgemeinwohls zu berücksichtigen, verpflichtet sie jedoch, in erster Linie für die dauerhafte Rentabilität des Unternehmens und dessen Bestand Sorge zu tragen.86 Der Krisengesetzgeber versucht, dieser aktienrechtlichen Begrenzung des Leitungsermessens entgegenzuwirken: § 2 Abs. 1 FMBG sieht vor, dass die aktienrechtlichen Vorschriften „über die Verantwortung des Vorstands zur eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft sowie über die Zuständigkeit der Organe“ der Zulässigkeit und Wirksamkeit der entsprechenden Verpflichtungserklärung nicht entgegenstehen sollen. Die Vorschrift kann das aktienrechtliche Pflichtenprogramm indes nicht völlig auf den Kopf stellen und den Vorstand gewissermaßen zum „Diener zweier Herren“, des Allgemeinwohls und des Unternehmensinteresses, machen. Ein verantwortungsbewusster Vorstand wird diesen drohenden Zwiespalt möglichst zu vermeiden suchen und deshalb so lange nicht von seiner Eilkom-
83 Vgl. einerseits Seiler/Wittgens, ZIP 2008, 2245, 2247; andererseits: Binder, WM 2008, 2340, 2348. Ähnlich Spindler, DStR 2008, 2268, 2273 f.; weitgehend unkritisch hingegen Brück/Schalast/ Schanze, BB 2008, 2526, 2531 f.; Ziemons, DB 2008, 2635, 2635 f. Zur Unvereinbarkeit mit europäischem Gesellschaftsrecht vgl. bei Fn. 98. 84 Im Einzelnen zu diesen Vergütungsfragen Baeck/Diller, DB 2008, 2423; Diller/Göpfert, DB 2008, 2579; Wilsing/Kleißl, BB 2008, 2422, 2425 f. 85 Binder, WM 2008, 2340, 2348. 86 Wenngleich dies im AktG von 1965 nicht mehr explizit statuiert wird, erlegt § 76 Abs. 1 AktG dem Vorstand eine entsprechende Leitungsverantwortung auf, vgl. nur Möslein (2008), S. 21–23, m.w.N.
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§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung
petenz Gebrauch machen, wie Stabilisierungsmaßnahmen nicht zur Abwendung einer unmittelbar drohenden Bestandsgefährdung erforderlich sind. Im Ergebnis stellt das Antragserfordernis den Vorstand, wie Jens-Hinrich Binder treffend formuliert, „vor die Aufgabe einer praktischen Konkordanz zwischen dem öffentlichen Interesse an einer nachhaltigen finanziellen Stabilisierung in der Systemkrise einerseits und dem Schutz der an sich bestehenden unternehmensinternen Kompetenzordnung sowie dem Schutz der Interessen der Anteilseigner andererseits“.87 Angesichts dieser schwierigen Aufgabe kann man den Vorständen ihre Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme von Stabilisierungsmaßnahmen kaum verdenken. b)
Anstaltsentscheidung über Leistungsgewährung
Ein subjektiver Rechtsanspruch des Unternehmens auf Leistungen des Fonds besteht umgekehrt freilich nicht (§ 4 Abs. 1 S. 3 FMFG). Stattdessen hat die Stabilisierungsanstalt nach pflichtgemäßem Ermessen über die Gewährung der beantragten Leistungen, über das „Ob“ und das „Wie“, zu entscheiden.88 Sie ist keineswegs an den Antrag gebunden, sondern soll Leistungen gem. § 4 Abs. 1 S. 5 FMFG von Auflagen und Bedingungen abhängig machen, darf beantragte Maßnahmen in Absprache mit dem Unternehmen gem. §§ 2 Abs. 1 S. 3, 3 Abs. 1 S. 2 bzw. 4 Abs. 1 S. 2 FMStV auch in anderer als der beantragten Form gewähren und darf wohl sogar andere als die beantragten Stabilisierungsmaßnahmen ergreifen.89 Weder Gesetz noch Verordnung liefern jedoch trennscharfe Entscheidungskriterien. Sachgerechte Leitlinien können lediglich aus der Zweckvorgabe in § 4 Abs. 1 S. 2 FMFG abgeleitet werden, die allerdings ihrerseits eine Fülle von Kriterien benennt: Kriterien wie Finanzmarktstabilität, Wettbewerbsneutralität, Bedeutung des einzelnen Unternehmens, Dringlichkeit und der Grundsatz einer möglichst effektiven und wirtschaftlichen Mittelverwendung können in durchaus unterschiedliche Richtungen weisen. Das macht die Abwägung im Einzelfall ausgesprochen schwierig. Der Gesetzgeber hat nicht einmal geklärt, ob Stabilisierungsmaßnahmen erst zulässig sind, wenn das betreffende Unternehmen in seinem Bestand gefährdet ist, oder bereits, wenn sie betriebswirtschaftlich zweckmäßig erscheinen.90 Ein derart umfangreiches Entschließungs- und Auswahlermessen wirft die verfassungsrechtlich schwierige Frage auf, ob dem Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes gem. Art. 20 Abs. 3 GG Genüge getan ist.91 Eine ge-
87 Binder, WM 2008, 2340, 2348. 88 Vgl. § 4 Abs. 1 S. 1 FMFG. Dazu näher Ewer/Behnsen, NJW 2008, 3457, 3461 (Ermessensreduzierung möglich); Horn, BKR 2008, 452, 456; Mann, DZWiR 2008, 496, 497 f.; zur Rechtsdurchsetzung Ewer, AnwBl 2008, 809, 810 ff. 89 Ansonsten machte die Vorrangregel des § 2 Abs. 2 S. 1 FMStV wenig Sinn, näher Seiler/Wittgens, ZIP 2008, 2245, 2246 f. 90 Gesetzesbegründung und europäische Beihilferegeln sprechen für die erste Alternative: Seiler/Wittgens, ZIP 2008, 2245, 2246. Diese erscheint auch aus ökonomischer Sicht vorzugswürdig, vgl. Vaubel (in diesem Band), S. 119, 120. 91 Zur allgemeinen Frage nach der Geltung dieses Prinzip auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung vgl. nur Huber (1991), S. 500–502; Kämmerer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Rn. 31–33; Schenke, GewArch 1977, 313; teils einschränkend: Jarass, NVwZ 1984, 473; überblicksweise außerdem Detterbeck, Jura 2002, 235, 238 f.
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
setzliche Fixierung trennscharfer Kriterien (etwa nach englischem Vorbild) hätte jedenfalls die Rechtsklarheit deutlich erhöht. c)
Bewertung
Insgesamt droht der scheinbar privatautonome Entscheidungsmechanismus vor allem deshalb zu versagen, weil das Verfahren der Entscheidungsfindung unerwünschte Anreize setzt.92 Eine Entscheidung privater Marktakteure, die sich letztlich am Gemeinwohl orientieren soll, ist gerade nicht Ausfluss echter Privatautonomie.93 Umgekehrt fehlen den Entscheidungsträgern handfeste Kriterien; deshalb droht Beliebigkeit. Die auf den ersten Blick ausgesprochen sympathische, weil scheinbar autonomiewahrende, freiwillige Lösung erweist sich deshalb im Ergebnis aus ordnungspolitischer Sicht als fragwürdig.
3.
Einpassung in den marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen
Drittens ist zumindest exemplarisch zu fragen, wie sich die Stabilisierungsmaßnahmen in den geltenden marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen einfügen. Reibungsgefahr droht nicht nur mit gesellschaftsrechtlichen Regeln, sondern besonders auch mit dem Steuer-, Kapitalmarkt- und Insolvenzrecht.94 Diese einfachgesetzlichen Kollisionen werden durch die punktuellen Anpassungen des Stabilisierungsgesetzes nur unzureichend abgefedert. Aus ordnungspolitischer Sicht hat allerdings die Frage nach der Vereinbarkeit mit der grundlegenden Markt- und Eigentumsordnung aufgrund deren rahmenhafter, aber auch höherrangiger Verankerung noch erheblich größere Bedeutung. a)
Marktordnung
Die Wirtschaftsverfassung als Rahmenordnung des Marktes ist heute weitgehend europäisch, teils sogar global geprägt.95 Das Maßnahmenpaket hingegen ist rein
92 Näher etwa Mann, DZWiR 2008, 496, 500 f. Generell zu dem Phänomen, dass Verhandlungen mit privater Beteiligung „im Schatten“ gesetzlicher, prozeduraler Rahmenvorgaben erfolgen: Riesenhuber/Möslein, in: Riesenhuber (Hrsg.) (2008), S. 1, 32, m.w.N. 93 Im gleichen Sinne die grundsätzliche, vor allem ökonomische Kritik an einer zunehmenden Verwischung der Grenzen zwischen privaten und öffentlichen Interessen von M. Hellwig, FAZ v. 22.11.2008, S. 13 („Für öffentliche Interessen ist zu entscheiden, was in die öffentliche Hand gehört und was durch Rechtsvorschriften geregelt werden kann. Die Wahrnehmung privater Interessen erfolgt autonom – im Rahmen der gesetzten Regeln; zur Autonomie gehört sowohl die Freiheit des Ermessens als auch das Einstehen für Erfolg oder Misserfolg“). 94 Zu Reibungsgefahren mit dem Steuerrecht Altvater, DB 2008, 2612; Korn, DStR 2008, 2248; mit dem Kapitalmarktrecht Spindler, DStR 2008, 2268, 2274 f.; mit dem Insolvenzrecht Dahl, NZI 2008, 719; Eckert/Happe, ZInsO 2008, 1098; Hirte/Knof/Mock, ZInsO 2008, 1217; Hölzle, ZIP 2008, 2003 und K. Schmidt, DB 2008, 2467. 95 Zur europäischen Ebene vgl. nur Basedow (1992); Mestmäcker, in: FG Willgerodt (1994), S. 263 und bereits Ophüls, ZHR 124 (1962), 136; zuletzt Grundmann, ERPL 16 (2008), 553; zur (Unvollständigkeit der) globalen Wirtschaftsverfassung: Drexl, in: Ott/Schäfer (Hsrg.) (2002), S. 333, 351– 353; Stober (2001), S. 31–82.
22
§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung
nationaler Natur, aber immerhin international abgestimmt.96 Besonders der sog. europäische Instrumentenkasten, der am 12. Oktober auf dem Gipfel der Euro-Staaten beschlossen wurde, enthält relativ detaillierte, ihrem Inhalt nach fast richtlinienähnliche Vorgaben. Er gilt jedoch nicht binnenmarktweit, sondern grundsätzlich nur für die Eurozone. Vor allem aber fehlt ihm die gemeinschaftsrechtliche Basis. Deshalb verwundert kaum, dass allerhand Konfliktpotential zwischen den nationalen „Umsetzungsmaßnahmen“ und genuin europäischen Binnenmarktregeln besteht: Stabilisierungsmaßnahmen ziehen fast zwangsläufig Wettbewerbsverzerrungen nach sich, so dass das Gebot in § 10 Abs. 2 Nr. 7 FMFG i.V.m. § 5 Abs. 5 FMStV, solche Verzerrungen zu vermeiden, eher als Lippenbekenntnis zu sehen sein dürfte. Ähnliches gilt für den Grundsatz marktschonender Wiederveräußerung erworbener Anteile gem. § 3 Abs. 3 FMStV. Dass das Stabilisierungsgesetz grundsätzlich mit europäischem Beihilferecht vereinbar ist, hatte die EU-Kommission zwar zeitnah entschieden. Das schließt Unvereinbarkeiten im Einzelfall indes keineswegs aus, wie der lange, inzwischen beigelegte Streit um die Konditionen der Kapitaleinlage bei der Commerzbank zeigt.97 Die gesellschaftsrechtlichen Regelungen des Gesetzeswerks vertragen sich außerdem nicht mit den ausdrücklichen Zustimmungs- und Begründungserfordernissen der Kapitalrichtlinie und mit den Einberufungsfristen, die Aktionärsrechte- und Übernahmerichtlinie vorsehen.98 Schließlich droht auch ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit, weil Rekapitalisierungsmaßnahmen angesichts der drohenden systemischen Risiken zwar grundsätzlich unter Berufung auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu rechtfertigen sind, mangels objektiver, gerichtlich überprüfbarer Eingriffskriterien aber vom EuGH als unverhältnismäßig beanstandet werden könnten.99
96 Koordinierungsinstrument auf europäischer Ebene: Summit of the Euro Area Countries, Declaration on a Concerted European Action Plan of the Euro Area Countries (Paris, 12. Oktober 2008), abrufbar unter www.ue2008.fr (unter “activités”); auf globaler Ebene: G7 Finance Ministers and Central Bank Governors, Plan of Action (Washington, 10. Oktober 2008), abrufbar unter www.ustreas. gov/press/releases/hp1195.htm; Group of Twenty, Declaration of the Summit on Financial Markets and the World Economy (Washington, 15. November 2008), abrufbar unter www.whitehouse.gov/ news/releases/2008/11/20081115-1.html (alle abgerufen am 5. Januar 2009). 97 Vgl. die Entscheidungen der Europäischen Kommission v. 27. Oktober 2008, N 512/2008, und v. 11. Dezember 2008, N 625/2008, beide abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/ state_aid/register (abgerufen am 5. Januar 2009); zu den Hintergründen Hönighaus/Grass, FTD v. 9.12.2008, S. 1. Inzwischen hat die Europäische Kommission einen gemeinschaftsweiten, befristeten Rahmen beschlossen, der mitgliedstaatliche Beihilfen für Banken in bestimmtem Umfang erlaubt: Mitteilung der Kommission, Vorübergehender Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen zur Erleichterung des Zugangs zu Finanzierungsmitteln in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise, ABl. EU v. 22.1.2009 C 270/8. 98 Einhellig Binder, WM 2008, 2340, 2346 f.; Seiler/Wittgens, ZIP 2008, 2248 und 2252; Spindler, DStR 2008, 2268, 2273 f.; Ziemons, DB 2008, 2635, 2637 f. und 2639 sowie bereits H.-J. Hellwig, FAZ v. 5.11.2008, S. 23. 99 Vgl. nur EuGH, Urt. v. 4.6.2002, Rs. C-503/99, Kommission/Belgien, Slg. 2002 I-4809, Rn. 45– 55.
23
1. Teil: Grundlagen und Übersicht
b)
Eigentumsordnung
Weiteres Konfliktpotential besteht zwischen spezifischen Stabilisierungsmaßnahmen und der verfassungsrechtlich verbürgten Eigentumsordnung. Besonders problematisch ist insofern die Figur des gesetzlich genehmigten Kapitals, die nicht nur mit aktienrechtlichen, sondern auch mit verfassungsrechtlichen Grundwertungen schwer in Einklang zu bringen ist.100 Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistet das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum, das Mitgliedschafts- und Vermögensrechte gleichermaßen umfasst. Die Mediatisierung dieser Rechte unterliegt deshalb verfassungsrechtlicher Überprüfung.101 Die gesetzliche Ermächtigung zur Kapitalerhöhung, die eine Mitwirkung der Hauptversammlung entbehrlich macht, greift in elementare Entscheidungsrechte, der gesetzliche Ausschluß des Bezugsrechts in grundlegende vermögensrechtliche Positionen der Aktionäre ein. Die verfassungsrechtlichen Zweifelsfragen wiegen nicht zuletzt deshalb besonders schwer, weil für Aktionäre allenfalls sehr eingeschränkte Möglichkeiten gerichtlicher Überprüfung bestehen, das BVerfG der Gewährung effektiven Rechtsschutzes jedoch maßgebliche Bedeutung zumisst.102 Die Eingriffe in das Eigentum der Aktionäre, die mit der Rekapitalisierung aufgrund gesetzlich genehmigten Kapitals einhergehen, drohen deshalb jedenfalls auf Ebene der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlich beanstandet zu werden. Das gilt umso mehr, als die spätere Wiederveräußerung zwar vorrangig an die Altaktionäre erfolgen soll, diese sich jedoch nicht auf ein individuelles Bezugs- oder Vorkaufsrecht stützen können.103
4.
Eingrenzung der Stabilisierungsregeln
Weil das Regelungspaket sachlich und vor allem zeitlich eng begrenzt ist, scheinen diese ordnungspolitischen, teils auch (europa-)verfassungsrechtlichen Bedenken allerdings weniger schwer zu wiegen. Die sachliche Begrenzung auf Unternehmen des Finanzsektors gilt freilich nicht für alle Regeln: Namentlich die Änderung des Insolvenzrechts, die in Art. 5 und 6 FMStG vorgesehen ist, gilt branchenübergreifend. Außerdem sind Ausstrahlungswirkungen auf andere Rechtsgebiete denkbar. Beispielsweise wird bereits befürchtet, dass die Vermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) S. 5 FMStV, nach der Geschäftsleitervergütungen über 500.000 Euro pro Jahr als unangemessen gelten, die künftige Auslegung des Begriffs der Angemessenheit in § 87 Abs. 1 AktG beeinflussen wird.104
100 Binder, WM 2008, 2340, 2345 f.; Roitzsch/Wächter, DZWiR 2009, 1, 2 und 8; Seiler/Wittgens, ZIP 2008, 2247 f.; Waclawik ZIP 2008, 2339; zweifelnd auch Spindler, DStR 2008, 2268, 2274. 101 Vgl. nur BVerfGE 100, 289, 301–313, und BGHZ 153, 47, 57 (Macrotron). Die Überprüfungsdichte ist im Einzelnen freilich str., dazu statt aller Mülbert/Leuschner, ZHR 170 (2006), 615; Schön, FS Ulmer (2003), 1359; beide m.w.N. 102 Zuletzt etwa BVerfG, NJW 2007, 3268, 3271. 103 Näher: Roitzsch/Wächter, DZWiR 2009, 1, 4; Seiler/Wittgens, ZIP 2008, 2248, 2253 f. 104 Zu den (Gegen-)Argumenten im Einzelnen Wilsing/Kleißl, BB 2008, 2422, 2425 f. (i.R.v. § 87 Abs. 2 AktG).
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§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung
Zeitlich sind Stabilisierungsmaßnahmen des Fonds gem. § 13 Abs. 1 S. 1 FMFG in der Tat nur bis 31.12.2009 möglich. Das setzt auch der in § 5 Abs. 10 FMStV vorgesehen Möglichkeit eine absolute Grenze, die Laufzeit konkreter Maßnahmen zu verlängern, weil die Finanzmarktkrise andauert. Der feste Stichtag macht allerdings die marktschonende Wiederveräußerung erworbener Anteile, die § 3 Abs. 3 FMStV vorschreibt, kurz vor diesem Datum praktisch unmöglich. Die „Rückabwicklung“ der Stabilisierungsmaßnahmen ist allgemein nur bruchstückhaft geregelt 105 und wird schon deshalb möglicherweise deutlich länger dauern als bis Ende 2009. Möglicherweise ist die enge sachliche und zeitliche Begrenzung indessen ohnehin nicht ausschließlich positiv zu bewerten.106 Sie ist nämlich Ausdruck einer anlassbezogenen Ad-hoc-Krisengesetzgebung, also genau das Gegenteil eines langfristigen marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmens. Ein rechtsvergleichender Blick besonders nach England und in die USA zeigt, dass es durchaus möglich ist, institutionalisierte, also langfristig geltende Mechanismen für die Bewältigung von Finanzkrisen zu schaffen, die die staatliche Handlungsfähigkeit bewahren, zugleich aber die mit jeder Stützungsaktion verbundenen unerwünschten Anreizeffekte weitgehend vermeiden.107 Folglich stellt sich die Frage, ob nicht vielleicht gerade stärker institutionalisierte Krisenbewältigungsmechanismen gegenüber der beschlossenen ad-hoc-Lösung ordnungspolitisch vorzugswürdig wären. Diese Überlegung leitet bereits über zu den langfristigen Strategien der Krisenvermeidung.
IV.
Langfristige Finanzmarktstabilität
Konzentriert sich die Aufsatzliteratur – vor allem im rechtswissenschaftlichen Schrifttum – derzeit vielleicht auf die Diskussion der bereits ergriffenen rechtlichen Maßnahmen zur Finanzmarktstabilisierung (oben III.), so haben die Einzelbeiträge im Folgenden tendenziell eher einen anderen Fokus. Die langfristige Finanzmarktstabilität steht in ihnen geradezu im Vordergrund. Das legt es nahe, dass im Auftaktkapitel Fragen der langfristigen Finanzmarktstabilität knapper angesprochen werden, sich dieses Kapitel insoweit also auf die Zeichnung eines Gesamtrahmens und einiger weniger Striche beschränkt. Hilfreich erscheint schon im Ausgangspunkt ein Wort zu der Frage, wie sich die Analyse der Krisenursachen auswirkt auf mögliche Vorschläge zur Korrektur der Rahmenordnung für langfristige Finanzmarktstabilität. Manch ein Diskussionsbeitrag mag den Eindruck erwecken, aus einer hinreichend exakten Analyse der Kri-
105 Vgl. Nachw. Fn. 103. 106 Kritisiert wird bisher vor allem die (erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingefügte) Befristung der insolvenzrechtlichen Regelung gem. Art. 5, Art. 6 Abs. 3 und Art. 7 Abs. 2 FMStG: K. Schmidt, DB 2008, 2467, 2470 („Zurück, marsch, marsch!“). 107 So das Ergebnis der eingehenden rechtsvergleichenden Untersuchung von Binder, ZBB 2009, 19, 32. Für konkrete Reformvorschläge vgl. Vaubel (in diesem Band), S. 119, 121–123.
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
senursachen wäre auch recht unmittelbar auf die nötigen (und hinreichenden) Korrekturen im ordnungspolitischen Rahmen zu schließen.108 Ob dies so ist, erscheint jedoch fraglich. Die Maßnahmen, die die Krise vermieden hätten, reichen heute nicht mehr notwendig aus. Insbesondere bedarf es für die Wiederherstellung einmal erschütterten Vertrauens wohl doch robusterer Maßnahmen als dies vorher der Fall gewesen wäre, als es nur darum ging, bestehendes Vertrauen zu erhalten – und robustere Maßnahmen für viele Jahre, weil selbst junge Marktteilnehmer innerhalb eines Jahrzehnts zwei schwere Krisen erlebt haben. Eine möglichst schlanke Regulierung – „am Effizienzlimit“ – erscheint auch angesichts der Kosten eines Versagens nicht mehr vertretbar, zumal mit ihr das Problem verlorenen Vertrauens nicht hinreichend berücksichtigt wird.
1.
Grundsatz- und Querschnittsfragen
Im Folgenden werden fünf Grundsatz- und Querschnittsfragen identifiziert, immer wieder werden diese in den Einzelbeiträgen aufgegriffen: a)
Neuausrichtung des Ordnungsrahmens
Am Anfang der Überlegungen stehen die beiden Fragen, ob der bisherige Ordnungsrahmen nicht gänzlich ersetzt werden oder doch zumindest neu ausgerichtet werden muss. Die erste und Ausgangsfrage geht dahin (und ging vor allem in der öffentlichen Debatte dahin), ob nicht ein Paradigmenwechsel weg von den Marktwirtschaften mit ihrem Ziel unverfälschten Wettbewerbs eingeleitet werden müsse. Diese Frage wurde in der politischen Debatte gestellt, jedenfalls in den ersten Monaten der Krise. Für eine wissenschaftlich-rechtspolitische Diskussion ist sie freilich wenig fruchtbar, wenn diese auch die Rechtswirklichkeit beeinflussen soll. Alle politischen Resolutionen und Absichtserklärungen lassen nur den Schluss zu, dass die Diskussion um solch einen Paradigmenwechsel jedenfalls nicht die Rechtswirklichkeit beeinflussen wird. So gibt die bereits angesprochene Abschlussresolution des G20Gipfels vom 15.11.2008 (Declaration – Summit on Financial Markets and the World Economy) bereits den Rahmen für alle anstehenden Reformschritte wie folgt vor: “Our work will be guided by a shared belief that market principles, open trade and investment regimes, and effectively regulated financial markets foster the dynamism, innovation, and entrepreneurship that are essential for economic growth, employment, and poverty reduction.”109 Konstatiert man außerdem, dass das System der wettbewerbsgetragenen Marktwirtschaften zwar fundamentale Krisen hervor-
108 Vgl. etwa in der Tendenz Möschel (in diesem Band), S. 105, 110 ff.; Schwintowski (in diesem Band), S. 41, 47–53; sowie Schwarcz (2008), S. 1 ff., 12 ff. 109 In den Wissenschaften sprachen sich für diesen großen Paradigmenwechsel aus etwa Beck (Fn. 3); Buiter (2009).
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§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung
gebracht hat, mit tiefen Einschnitten, umgekehrt jedoch das teils gehandelte Gegenprojekt staatlich getragener Wirtschaften (etwa sozialistischer und kommunistischer Planwirtschaften) über Jahrzehnte dahinsiechte, so erscheint auch inhaltlich nur die Frage nach Reform, nicht die nach Ersetzung die angemessene. Für alles andere hätte jedenfalls eine andere Autorenschaft als in diesem Buch gewählt werden müssen. Angestrebt wird im Folgenden also allein, (einige) Antworten auf die Frage nach der Reform des Ordnungsrahmens zu entwickeln – und nicht nach einer Revolution desselben. Ist schon kein Paradigmenwechsel weg vom System der wettbewerbsgetragenen Marktwirtschaft zu erwarten oder auch nur angezeigt, so liegt es umgekehrt doch nahe, dass die Finanzkrise Auswirkungen hat in der Wahrnehmung verschiedener Formen der Marktwirtschaft, insbesondere ihres jeweiligen Ordnungsrahmens. Diese bilden das zweite Querschnittsthema. Im deutschen und kontinentaleuropäischen Kontext geht es hier weniger um die soziale Marktwirtschaft, als um die ordnungspolitisch robust verfasste – die ordoliberale – Marktwirtschaft.110 Die Finanzkrise muss und wird wahrscheinlich dazu führen, dass solch einem robusten Ordnungsrahmen wieder größere Bedeutung zugeschrieben wird. Dabei meint robust verfasster Ordnungsrahmen einen, in dem eher darauf gesetzt wird, ein Ziel, das grundsätzlich als hilfreich identifiziert wird, so klar zu umreißen, dass es auch tatbestandlich gefasst und mit hinreichender Verlässlichkeit juristisch durchgesetzt werden kann. Umgekehrt wird damit eine Sicht zurückgedrängt, nach der vor allem ein allgemeines ökonomisches Wohlfahrtsziel zu formulieren und zu verfolgen sei und unter diesem Leitgedanken auch von dem „robusteren“ Unterziel abgewichen werden könne. Im Wettbewerbsrecht als dem Kernfeld der ordoliberalen Marktverfassung war das Gedankengut dieses – tatbestandlich robusteren – Ansatzes über die letzten Dekaden eher im Rückzug befindlich, auch in Europa. In einem, notwendig etwas verkürzenden Satz: Während im Kern im ordoliberalen Ansatz die Erhaltung (teils auch Schaffung) von Konkurrenz das oberste Ziel darstellte, also Konkurrenz auch in den Tatbeständen das Schutzgut bildete, weil ihr Fehlen weit überwiegend gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt mindert, weitete sich im Ansatz des „more economic approach“ das Ziel: Als Ziel wurde gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt insgesamt propagiert, was zur Folge hatte, dass Wettbewerb beschränkenden Absprachen grds. nur noch begegnet werden sollte, wenn ihr Schaden für die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt nachgewiesen war.111 Es liegt nahe, dass der robustere Ansatz in der Anwendung leichter handhabbar ist und weniger von Prognosen abhängig, auch dass die Darlegungs- und Beweislast diametral unterschiedlich ist: Die Wettbewerbsbeschränkung ist im more economic approach nicht mehr grds. verboten, sondern nur, wenn ihre wohlfahrtökonomisch schädliche Wirkung im Einzefall sicher prognostiziert werden kann. Mit dem robusteren Ansatz, der auf Erhaltung
110 Hierzu die Nachweise in Fn. 1. 111 Zum New Economic Approach, auch in der Kritik und in Abgrenzung zu klassischen ordoliberalen Ansätzen vgl. etwa Immenga/Mestmäcker (2007), Einleitung Rn. C 28–31; Röller (2005), S. 37; Schmidtchen, WuW 2006, 6.
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
von Wettbewerb abstellt, weil dieser in der Regel Wohlstand mehrend wirkt, wird also der Schluss aus einer Tatsache gezogen: Gesamtwirtschaftlich positive Folgen der Zulassung von Kartellen und Fusionen, die den Wettbewerb beschränken, sind über mehrere Jahre nicht hinreichend sicher messbar und prognostizierbar und daher als allgemeiner Maßstab für die Zulassungs- oder Untersagungsentscheidung ungeeignet. Eine robustere Zielvorgabe ist nach dem Gesagten auch für die aktuelle Finanzmarktstabilisierung anzumahnen, weil die verschiedenen Kriterien, die § 4 Abs. 1 S. 2 FMFG nennt, allzu unscharf formuliert sind und erst recht im Zusammenspiel keine klare Leitlinie vorgeben. Ähnliches scheint schließlich zu gelten, wenn den Zentralbanken – außerhalb der unmittelbaren Krisenstabilisierung, also eines eng umrissenen Zeitraums – Verantwortung für verschiedene Politikziele eingeräumt wird und nicht allein oder zumindest vorrangig für die Inflationsbekämpfung. Ein tatbestandlich robuster Ordnungsrahmen scheint als Zielvorstellung der Reform von besonders hoher Priorität – in jedem Zweifelsfall auch unter Hinnahme von Effizienzeinbußen, etwa für das Kreditwesen. Bezogen auf die Finanzkrise bedeutet die genannte Leitlinie also, dass eine „Formel-1-Regulierung“, die die Regulierten in allen Zweifelsfragen noch „hart am Geschwindigkeitslimit navigieren“ lässt, wieder zurückgenommen werden muss zugunsten einer robusteren, die den Schlüsselsektor Finanzwirtschaft dazu zwingt, tendenziell etwas zu viel (natürlich auch kostspielige) Vorsorge zu treffen. Dafür spricht gleichermaßen das Ziel, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen, wie die Erkenntnis, dass sich die Prognosefähigkeit als begrenzt erwiesen hat und eine größere Vorhersicht von Risiken angezeigt ist. John Meynard Keynes’ mahnender Satz hat sicherlich wieder an Überzeugungskraft gewonnen: “It is better to be roughly right than precisely wrong.” 112 Recht eigentlich trifft er sich freilich auch mit dem Grundansatz ordoliberalen (Ordnungs-)Denkens, wie es von den Gründungsvätern propagiert wurde. Das ist keine Absage an ökonomische Modelle, das ist vielmehr die Hinwendung zum ökonomischen Sachverstand bei der Risikominimierung. b)
Regulierungsebene
Eine dritte Querschnittsfrage, die heute immer wieder aufgeworfen wird und jedenfalls mitgedacht werden muss, ist die der Regulierungsebene: Vielfach wird davon ausgegangen, dass nur internationale Standards Finanzmarktstabilität verbürgen.113 Zu bedenken ist freilich ebenfalls, ob auch eine Regelung auf Europäischer Ebene bereits hinreichende Gewinne verbürgt – insbesondere wenn die internatio-
112 Der häufig zitierte Ausspruch wurde etwa auch von Alan Greenspan bei einem Vortrag vor dem “Committee on the Budget, U.S. House of Representatives” am 4.3.1997 angeführt. 113 Kirchner, FAZ vom 27.3.2009; zu dieser Frage ausführlicher der Beitrag von Vaubel (in diesem Band), S. 119, 126–129 (selbst kritisch). Auch nach Punkt 8 der Abschlusserklärung des G20Gipfels vom 15.11.2008 “Regulation … first and foremost the responsibility of national regulators …”.
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§ 1 Finanzkrise und Wirtschaftsordnung
nale Politik versagt. Immerhin haben Einzelländer wie Italien und Spanien eine Eigenkapitalunterlegung der bereits beschriebenen Eventualverbindlichkeiten in Form von Ausfallgarantien vorgeschrieben bzw. den Kauf der Kreditderivate ganz untersagt.114 Letztlich stellt sich die Frage nach der richtigen Regulierungsebene für jede Phase: So mag es sein, dass die Kreditvergabepolitik nicht international geregelt werden muss, nicht kann oder auch nicht sollte (1. Etappe), wohl aber die Eigenkapitalunterlegung bei Eventualverbindlichkeiten (3. Etappe). Und es mag auch sein, dass bereits eine starke Regulierung auf Europäischer Ebene – angesichts des Finanzvolumens in diesem Raume – geeignet ist, Gefahren weit gehend auszuräumen, wenn eine entsprechende Regulierung auf internationaler Ebene scheitert, die realistischer Weise ohnehin wohl nur im Rahmen der G20 vorstellbar ist. Konkreter gesprochen: Eine weltweite Lösung durch Vernetzung der Aufsichtbehörden und einheitliche bzw. angenäherte Überwachungsmechanismen mag angesichts der Globalität der Zusammenhänge als das Optimum zu sehen sein. Eine Vereinheitlichung und Kooperation auf Gemeinschaftsebene mag jedoch robuster und realistischer ausfallen und daher inhaltlich besser überzeugen. Hätte diese bereits vor Jahren existiert und europaweit eine Eigenkapitalunterlegung der Ausfallgarantien vorgesehen sowie eine Überwachung der Zweckgesellschaften geleistet, wäre die Finanzkrise vermutlich verhindert worden. Wären die Risiken für Kreditinstitute in Europa so erfasst gewesen, dass nur die Rückwirkung von Insolvenzen aus anderen Teilen der Welt zu tragen gewesen wäre, so wären die Belastungen ungleich weniger gewichtig gewesen als in der derzeitigen Krise: Denn in dieser kamen (auch für Kreditinstitute in Europa) die Abschreibungen aus faulen Investments und die Notwendigkeit hinzu, Mittel für die Deckung von Eventualverbindlichkeiten, die sich noch realisieren, zu reservieren. Entsprechend gesteigertes Gewicht hätten Regulierungsschritte in der Europäischen Union. Daher stellt sich durchaus nicht nur die Frage nach weltweiter Vereinheitlichung und Setzung von Standards, sondern angesichts des wirtschaftlichen Gewichts und auch des Leitbildcharakters Europas gleichfalls die Frage nach weiterer Standardsetzung in der Europäischen Union – dies sowohl in Form gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierung als auch einer Europäischen Aufsichtsbehörde, etwa um einen Unterbietungswettbewerb zwischen nationalen Regulierern jedenfalls in Europa zurückzudrängen. Überhaupt stellt sich die Frage nach Vor- und Nachteilen von einheitlichem Recht (mit Durchsetzung) und Regulierungswettbewerb im Hinblick auf die langfristige Finanzmarktstabilität in voller Schärfe. Die zu diskutierende Alternative ist durchaus auch, vielleicht sogar vorrangig, diejenige zwischen nationalen Maßnahmen und gemeinschaftsrechtlichen Maßnahmen, nicht nur diejenige zwischen nationalen und regionalen Maßnahmen einerseits und weltweiten andererseits.
114 Dazu die Berichte aus der Tagespresse, etwa der Bericht „Gewinner in der Finanzkrise“ in Zeit Online vom 17.10.2008. Die Wirkungen der globalen Wirtschaftskrise auf die spanische Volkswirtschaft werden darin freilich gehörig unterschätzt.
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
c)
Regulierungsintensität und Regulierungsgegenstand
aa) Eine vierte Querschnittsfrage betrifft die Eingriffsintensität: Eine der Kernentwicklungen über die letzten Jahrzehnte – vor allem für das Europäische Recht – geht dahin, Transparenzregeln von den inhaltlich zwingenden Eingriffen abzugrenzen und ersteren stärkeres Gewicht, ja rechtlich sogar ein Primat einzuräumen.115 Die vierte Querschnittsfrage stellt sich dahin gehend, ob nicht auch diese Weichenstellung im Lichte der Finanzkrise zu korrigieren ist. Bei der Beantwortung dieser Frage ist es sicherlich hilfreich, nach Phasen zu unterscheiden und die intensiveren inhaltlichen Eingriffe auf die Phase oder die Phasen zu konzentrieren, in der oder in denen solche Eingriffe besonders dringlich sind und auch eine politische Durchsetzung denkbar erscheint. Hilfreich ist gerade hierbei der Blick auf die Ursachen der Krise, also die Frage, welche Regelungsart in welcher Phase den krisenhaften Kreislauf unterbrochen hätte. Hier ist demnach zwischen den verschiedenen Phasen zu unterscheiden: Die erste Phase bildet die Hypothekenkreditvergabe. War die unvorsichtige Kreditvergabe – vor allem in den USA – Auslöser der krisenhaften Entwicklung, liegt der Gedanke an ein Gebot verantwortungsbewusster Kreditvergabe zunächst nahe. Ein solches war freilich auch in Europa allenfalls in abgeschwächter Form durchsetzbar.116 Ein solches widersprach wohl auch sozialpolitischen Zielen in den USA, insbesondere dem Wunsch nach einer Verbreiterung der Grundbesitzquote gerade auch in weniger solventen Bevölkerungsschichten.117 Transparenz an dieser Stelle wäre durchaus herstellbar gewesen, auch griffen an dieser Stelle noch die bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalregeln mit ihrer Anreizwirkung. All dies spricht dafür, die Kreditvergabe selbst nicht in den Fokus der Bemühungen um eine Neujustierung der Rahmenordnung zu stellen, jedenfalls auf internationaler Ebene. Umgekehrt war in der Verbriefung, bei der Schaffung der CDOs jedenfalls ab einem bestimmten Komplexitätsgrad die Transparenz nicht mehr verbürgt.118 An dieser 115 Bahnbrechend (für die Warenverkehrsfreiheit): EuGH 20.2.1979 – Rs. 120/78 Cassis de Dijon, Slg. 1979, 649, 664; sodann, für das Gesellschaftsrecht (im Rahmen der Niederlassungsfreiheit) EuGH 14.3.1999 – Rs. C-212/97 Centros, Slg. 1999, I-1459, 1495; zum prinzipiellen Vorrang von Informationsregeln gegenüber inhaltlich zwingenden Regeln, den beide Entscheidungen begründen, (im Primär- und Sekundärrecht): Grundmann, 39 CMLR 269–293 (2002) (= JZ 2000, 1133– 1143); ders., in: FS Lutter (2000), S. 61–82; Schön, in: FS Canaris (2007), S. 1191–1211; und monographisch: Grohmann (2006). Zur Bewertung von Transparenzregeln vgl. auch: Möschel (in diesem Band), S. 105, 110; Vaubel (in diesem Band), S. 119, 125 f. 116 Auch während der jüngsten Novelle der Verbraucherkredit-Richtlinie wurde die Einführung einer Pflicht zur sog. verantwortungsbewussten Kreditvergabe zwar diskutiert, im Ergebnis in der verabschiedeten Fassung jedoch gerade verworfen. Vgl. die Entwicklung der verschiedenen Vorschläge KOM(2002) 443 endg.; KOM(2004) 747 endg.; KOM(2005) 483 endg., verabschiedete Fassung: Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlamentes und des Europäischen Rates vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, ABl. EG 2008 L 133/66; zur Entwicklung umfassend Hoffmann (2007); zur Bewertung plastisch Franck ZBB 2003, 334. Teils werden immerhin verschärfte Aufklärungspflichten angenommen: Hofmann, in: Riesenhuber (Hrsg.) (2008), S. 71, 96–103 und 111 f. 117 Vgl. oben II. 1. a). 118 Siehe hierzu den Vorschlag zu einer Prospektpflicht von Schwintowski (in diesem Band), S. 41, 51.
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Stelle auch kam es zu den maßgeblichen Lücken in der Eigenkapitalunterlegung der Risiken. Eine Neujustierung der Regulierung an dieser Stelle greift auch nicht mehr unmittelbar in die genannten sozialpolitischen Zielvorstellungen ein (wenn auch selbstverständlich mittelbar durchaus).119 Die Hauptfrage hinsichtlich der Transparenz auf dieser Ebene geht nicht nur dahin, welche Bündelung ab welcher Zahl weiterer Bündelungs- und Aufteilungsschritte intransparent wurde. Vielmehr geht es vorrangig auch um Fragen der Prognostizierbarkeit und um die Frage, welchem „Intermediär“ das Produkt sinnvoller Weise erklärbar gemacht werden muss. Mit anderen Worten: Wenn ein „TÜV“ für Finanzprodukte gefordert wird, so stellt sich zunächst die Frage, ob nicht das bankaufsichtsrechtliche Instrumentarium dafür eine hinreichende Grundlage bildet und nur die ausschließlich finanzmathematische Evaluierung des Risikos zu korrigieren ist und zwar, indem sie durch eine allgemeine, erfahrungsgestützte Zuverlässigkeits- und Plausibilitätsprüfung ergänzt wird.120 Zugleich stellt sich die Frage, ob im Lichte der Erfahrungen nicht wieder die faktische Auslagerung auch der Bewertung neuer Produkte auf Ratinggesellschaften zugunsten einer Letztverantwortung der Aufsichtsbehörden korrigiert werden muss. Die zweifache Frage geht also dahin, ob nicht jedenfalls für neuartige Produktentwicklungen die Verantwortung allein bei den Aufsichtsbehörden liegen muss und ob nicht darüber hinaus für diese eine ausschließliche Verantwortung für bankaufsichtsrechtliche Ziele, d.h. Sicherheit des Kreditwesens, festgeschrieben werden muss – ohne politische Verantwortung, etwa im Hinblick auf evtl. ausgelöste Kapitalströme. Wenn wieder die Aufsichtsbehörden maßgeblicher Transparenzadressat werden, wird aus einer Transparenzregel doch wieder eine inhaltlich zwingende Regel. Transparenz muss hergestellt werden gegenüber der Aufsichtsbehörde, erst auf dieser Grundlage beurteilt diese die Notwendigkeit eines zwingenden Eingriffs oder die Genehmigungsfähigkeit. Ein zentrales Problem auf dieser Ebene mag dann im Wettbewerb zwischen den Aufsichtsbehörden liegen, freilich primär dann, wenn diese gesamtwirtschaftliche Folgen ins Kalkül einbeziehen sollen und nicht allein ein Wettbewerb um die sicherste Kreditwesenregulierung ausgetragen wird. In letzterem Falle schärfen mehrere Perspektiven möglicherweise sogar den Blick für Gefahren – und die Zahl der Aufsichtsbehörden und ihrer unterschiedlichen Perspektiven ist ungleich größer als die der Ratingagenturen. Ist das zentrale Problem ein Unterbietungswettbewerb, so ist hier anzusetzen – (in Europa) durch Harmonisierung, evtl. jedoch auch nur durch Regeln zur Zusammenarbeit und verbindlichen Disputschlichtung über Genehmigungsstrategien. bb) Ähnlich zentral für die inhaltliche Ausgestaltung der Regulierung wie die Frage nach der Alternative zwischen Transparenzregeln und inhaltlich zwingenden Regeln – und nach dem für ihre Durchsetzung Verantwortlichen – ist die (fünfte) Frage nach einer zweiten Alternative: Soll vor allem auf systemische, organisationsbezogene Regulierung gesetzt werden oder auf Regulierung, die individuelles Verhalten steuert. Für das eine steht die bankaufsichtsrechtliche Eigenkapitalausstattung, 119 Dazu, dass die Verbriefung eine der Hauptursachen für den Boom auf dem US-amerikanischen Wohnungsmarkt darstellte, siehe oben II 1 a). 120 Starbatty, FAZ.Net vom 3.11.2008; Rudolph (in diesem Band), S. 55, 70.
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
für das andere stehen Regeln zur richtigen Setzung von Managementanreizen, vor allem durch Vorgaben bei Vergütung und Haftung.121 Das Ziel, Vertrauen zurückzugewinnen, ebenso wie das Ziel, eher zu viel Vorsorge für ein potentiell zerstörerisches Risiko zu treffen, sprechen dafür, beide Ansätze zu kumulieren. Dabei erscheint freilich ein systemisch-organisationsbezogener Ansatz doch noch zentraler. Vernichtende Sanktionen verbieten sich (außerhalb von Fällen von Vorsatz und allenfalls grober Fahrlässigkeit) schon deswegen, weil sie die Möglichkeit unternehmerischen Handelns zu drastisch beeinträchtigen würden. Und eine sinnvollere Gestaltung von Vergütungssystemen kann zwar die Anreizstruktur verbessern. Dadurch wird jedoch die systemische Regulierung und Kontrolle nicht überflüssig: Sie verbürgt nicht nur die Außensicht, sondern mindert die Gefahr von Ausreißern durch „schwarze Schafe“ und kann ein ungleich breiteres Wissen um systemische Gefährdungen zum Tragen bringen. Mit anderen Worten: Das Wissen sowohl der Marktteilnehmer als auch der Regulierer ist angesichts der überragenden Wichtigkeit der Finanzmarktstabilität fruchtbar zu machen.
2.
Einige Anwendungsbeispiele im Zeitablauf
Diese Querschnittsfragen können für jede Phase auf dem Zeitgraphen gestellt und hier konkretisiert werden. Einige wenige Beispiele müssen an dieser Stelle genügen: a)
Vergabe „fauler“ Kredite
Der erste Abschnitt betrifft die Schaffung des „Rohstoffs“, der später in die Verbriefungen einging, und damit des „Rohstoffs“, aus dem die Krise geboren wurde. Die laxe Kreditvergabe war Ausgangspunkt der Krise. Ohne sie wäre es nicht zur Krise gekommen, jedenfalls nicht in dieser Form. Und dennoch ist nach dem Gesagten fraglich, ob an dieser Stelle Regulierung eingreifen müsste und gar internationale Regulierung, darüber hinaus auch, ob eine Regulierung an dieser Stelle überhaupt Verwirklichungschancen hat: Bei der „Pflicht zur verantwortungsbewussten Kreditvergabe“ ist das wohl zu verneinen. Denn das Geschäftsmodell der US-amerikanischen Geschäftsbanken wirkte nicht einmal gänzlich unplausibel: Angesichts von ca. 70 Jahren stetiger Steigerung der (durchschnittlichen) Grundstückpreise erschien – jedenfalls bei niedrigem Zinsniveau – eine Besicherung allein durch Immobilien – und nicht durch die Einkünfte des persönlichen Schuldners – nicht notwendig weniger sinnvoll als die klassische Projektfinanzierung. Denn in dieser soll häufig ebenfalls allein der Kapitalstrom, den das Projekt generiert, den Kredit absichern. Dass ein System zweifacher Wertunterlegung (Immobilie und Schuldner) grds. sicherer erscheint, ändert nichts an der Tatsache, dass die einfache Wertunter121 Dazu etwa Starbatty, FAZ.Net vom 3.11.2008 und in diesem Band vor allem die Beiträge von Lutter (in diesem Band), S. 77, und v. Werder (in diesem Band), S. 87, aber auch Schwintowski (in diesem Band), S. 41; Möschel (in diesem Band), S. 105, 111; Vaubel (in diesem Band), S. 119, 123–125; nach Goldschmidt, SZ vom 17.10.2008, S. 20 die Hauptfrage überhaupt. Allgemeiner zu diesbezüglichen Corporate Governance-Fragen: Mülbert, ZHR 173 (2009), 1–11.
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legung kein so fragwürdiges Geschäftsmodell bildet, dass sie als Gegenstand für ein allgemeines Verbot taugt. Krisenvorsorge muss eher andernorts betrieben werden. In der Tat werden bereits in dieser Phase zwei systemische Risiken erkennbar, bei denen wohl sinnvoller anzusetzen ist: (i) Problematisch wurde die Kreditvergabe vor allem durch den Multiplizierungseffekt, der darin lag, dass die Risiken aus der Kreditvergabe im Ergebnis so veräußert werden konnten, dass sie nach Veräußerung nicht mehr mit Eigenkapital unterlegt werden mussten. Dadurch konnten immer wieder weitere solcher Risiken eingegangen werden, für die stets wieder dasselbe Eigenkapital als Unterlegung eingesetzt wurde. Ausfälle auch von faulen Krediten hätten (angesichts des Bodenwertes) in der Summe wohl aufgefangen werden können, wenn für sie die bankaufsichtsrechtlich vorgesehenen 8 % an Eigenkapital (bezogen auf das eingegangene Risiko) zur Verfügung gestanden hätten, nicht hingegen durch ein Eigenkapital von nahezu Null (im Verhältnis zum Gesamtrisiko). (ii) Problematisch ist sodann, dass die Kreditvergabe dadurch angeheizt wurde, dass zu große Geldmengen nach Anlage suchten. Auch dies ist ein systemisches Risiko – nicht eines von Einzelgeschäften. Denn es geht von der Geldmengenpolitik der Zentralbanken aus, also zu einem Gutteil von zwei Entscheidungsträgern, der Federal Reserve und der Europäischen Zentralbank. In der ersten Phase erscheint demnach die Zügelung der Geldmengenpolitik – sofort bei jeder Besserung der akuten Krise – ungleich wichtiger als ein Gebot verantwortungsbewusster Kreditvergabe. Und solch ein (unmittelbar ansetzendes) Gebot erscheint auch weniger effizient als die mittelbare Steuerung durch Mechanismen, die es verhindern, dass die Pflicht zur vorgeschriebenen Eigenkapitalunterlegung reduziert werden kann. b)
Verbriefung und Gefahrerkennung
Die zweite Phase betrifft die Schaffung des Finanzprodukts durch Veräußerung der Kreditpositionen an ein sog. Special Purpose Vehicle (SPV), ihre Verbriefung und die Weiterveräußerung an Anleger. Dabei wurden Intransparenzen vor allem dadurch geschaffen, dass die ausgegebenen Papiere in den verbürgten Rechten gestaffelt und entsprechend unterschiedlich bewertet wurden: Den obersten Gruppen wurde das Recht einer vorrangigen Befriedigung dergestalt eingeräumt, dass sie aus denjenigen Krediten zu bedienen sein sollten, die nicht notleidend wurden, beispielsweise die oberste Gruppe von 20 % aus den 20 % Kredite, die sich am unproblematischsten erwiesen. Das tatsächliche Risiko wurde umso intransparenter je häufiger neu gebündelt wurde (nunmehr verschiedene dieser Wertpapiere) und dann neu gestaffelt wurde. Die Gefahr ging letztlich vom guten Namen der Ratingagentur aus, die solche Papiere einstufte und zwar idR die obersten ca. 60 % mit AAA. Die eigentliche Gefahr, die von der intransparenten Gestaltung ausging, die rein finanzmathematisch zu einer Bewertung mit AAA führte, liegt noch außerhalb des Kreditwesens: Auf diese Weise entstand ein erhebliches Anlegerrisiko, vor allem bei solchen institutionellen Investoren, die auf Grund ihrer Statuten gehalten sind, konservativ anzulegen (Pensionsfonds, Stiftungen, aber auch Vermögensanleger all-
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
gemein). Schon diese – auch sozialpolitischen – Wirkungen sind enorm. Diese Gefahr ist jedoch zu unterscheiden vom systemischen Risiko im Kreditwesen (unten c). Schon das Anlegerrisiko ist so gewaltig und – anders als das Risiko fauler Kredite – für die Beteiligten so wenig überschaubar, dass der Funktionsschutz (der Kapitalmärkte) berührt ist. Nach dem Gesagten stellt sich hier die Frage nach den Mitteln zur Schaffung von Transparenz vor allem dahin gehend, wem gegenüber Transparenz gesteigert werden kann. Als Alternative kommen vor allem die (drei großen) Ratingagenturen oder die Aufsichtsbehörden in Betracht. Den Aufsichtsbehörden wurde vor der Krise gerne geringere Expertise bescheinigt. Hinzu kommt das Risiko falscher Anreize, bei den Ratingagenturen das der Abhängigkeit von der Vergütung, bei den Aufsichtsbehörden das einer Furcht vor Kapitalflucht bei gehörig strenger Aufsicht. Zwischen diesem Expertiseproblem (Informations- und Informationsverarbeitungsproblem) und dem Anreizproblem ist abzuwägen, um ein Optimum an Kontrolle zu erzielen. Dabei ist hinsichtlich der Informationsprobleme ins Kalkül einzubeziehen: Bei allen Unschärfen, dies im Einzelnen zu definieren, gibt es durchaus einen Risikoindikator, die Schaffung außergewöhnlicher Renditen.122 Bei oben benannten AAA-Papieren waren sie freilich nicht einmal so auffällig hoch, häufig lagen sie nur ca. 0,5 bis 1 % über denen bei denjenigen Staatsanleihen, die mit AAA bewertet wurden. Die besondere „Expertise“ der Ratingagenturen hat sich nicht bewahrheitet. Wichtig mag gewesen sein: Es gibt nur drei große Ratingagenturen, die größere Zahl an Aufsichtsbehörden hat immerhin dazu geführt, dass einige offensichtlich nicht ähnlich irrten. In der Tat scheint der Wettbewerb der Ideen als Wissensgenerator in einem Markt mit größerer Teilnehmerzahl gewirkt zu haben.123 Daher könnte eine Richtung, in der Lösungen zu suchen sind, darin liegen, den Wissenstransfer in diesem größeren Markt der Aufsichtsbehörden zu stärken – oder aber die Zahl der Ratingagenturen zu stimulieren. Wichtig mag in Zukunft sein, dass das Vertrauen in die Bewertung durch Ratingagenturen schwer wieder hergestellt werden kann. Und wichtig mag sein, dass echte Unabhängigkeit bei den Aufsichtsbehörden tendenziell eher zu erreichen ist als bei den Ratingagenturen mit ihrer Vergütungsorientierung, ohne die umgekehrt die Ressourcen für die (angenommene) höhere Expertise fehlen würden. Auf einer nochmals anderen Ebene werden in diesem Zusammenhang die Boni-Systeme diskutiert, ihre stärkere Ausrichtung auf langfristige Unternehmensziele, hier bei den Initiatoren der SPVs, dem Management der Kreditinstitute, von denen die Gestaltung ausging. Dies ist wiederum ein stark systemischer und damit durchaus erwägenswerter Ansatz. 122 Köhler, Manager-Magazin vom 24.10.2008, S. 94; Starbatty, FAZ.Net vom 3.11.2008 (reiner Shareholder Value Approach als Gefahr). 123 Zum Wettbewerb als Entdeckungsinstrument grundlegend v. Hayek (1978), S. 179; heute im Grundsatz unbestritten (allerdings Abwägung mit Nachteilen nötig), vgl. etwa ausführliche Darstellung der Argumente pro und contra in Kerber/Grundmann, 21 European Journal of Law and Economics 215–236 (2005) (m.w.N.). Zu konkreten Reformvorschlägen vgl. Möschel (in diesem Band), S. 105, 113.
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c)
Eigenkapitalunterlegung jedes Kreditrisikos
Das enorme systemische Risiko für das Kreditwesen entstand erst oder primär auf einer dritten Stufe: Der Absatz der von den SPVs emittierten Wertpapiere erfolgte nicht so, dass die gesamte Fristigkeit der ausgegebenen („faulen“) Kredite abgedeckt war, sondern revolvierend. Das solchermaßen begründete Risiko der Fristentransformation war wohl ein Hauptauslöser für die Krise des Kreditwesens. Denn die Kreditinstitute, die die Kreditpositionen anfänglich in SPVs ausgelagert hatten, hatten damit zwar zunächst das Kreditrisiko verkauft. Dies geschah jedoch deswegen nicht endgültig, weil die Kreditinstitute (teils auch andere Kreditinstitute) den SPVs für den Fall der Nichtabsetzbarkeit der Papiere Kreditzusagen gaben. Diese materialisierten sich in dem Moment, in dem die Bereitschaft institutioneller Anleger, die Papiere im nächsten Revolvierungszyklus zu erwerben, nachließ. Umgekehrt waren diese Eventualzusagen, sobald auf ihrer Grundlage Kredite bereitgestellt werden mussten, wertmäßig nicht mehr auf der Refinanzierungsseite gedeckt: nicht (vollständig) durch die Immobilien, die auf Grund geänderten Zinsniveaus, entsprechenden Schuldnerausfalls und Überangebots auf dem Markt an Wert verloren; wichtiger jedoch: auch nicht mehr durch eine Eigenkapitalunterlegung, die ja seit Veräußerung für diese Kreditpositionen nicht mehr bestand; und zuletzt auch nicht durch Eigenkapital, das für diese Eventualverbindlichkeiten hätte vorgehalten werden müssen. Ein erstes Kernanliegen – systemischer Art – geht daher durchaus naheliegend dahin, auch für diese Eventualverbindlichkeiten eine zwingende und lückenlose Eigenkapitalunterlegung zu fordern.124 Hier hat Basel II bereits Verbesserungen gebracht, da solch eine Eigenkapitalunterlegung nun nach den Bestimmungen der SolvV notwendig ist.125 Zugleich bleibt das Problem bestehen, dass Garantien auch von Instituten aufgebracht werden können, die nicht dem Kreditsektor angehören und daher der Regulierung und Aufsicht durch die Überwachungsbehörden nicht unterliegen.126 Ein zweites Kernanliegen – wiederum systemischer Art – geht ähnlich naheliegend dahin, solche Eventualverbindlichkeiten auch verlässlich in der Bilanz selbst abzubilden.127 Im Bankaufsichtsrecht hängt beides zusammen, die Informationsfunktion der Bilanz spricht jedoch auch unabhängig von Folgen für die Eigenkapitalunterlegung für solch eine Steigerung der Aussagekraft der Bilanz. Bei beiden Kernanliegen, vor allem dem ersten, wirkt sich die oben gemachte Überlegung zu einer „robusteren“ Ausgestaltung besonders aus. Wird die geforderte Eigenkapital124 Köhler, Manager-Magazin vom 24.10.2008, S. 94; Schwintowski (in diesem Band), S. 41, 49 f.; Rudolph (in diesem Band), S. 55, 67. Teil auch des Aktionsplans (Anhang zur Abschlusserklärung des G20-Gipfels vom 15.11.2008), als Maßnahmen der „Prudential Supervision“ sowie des „Risk Management“; vgl. auch Möschel (in diesem Band), S. 105. 125 Siehe schon oben II. 3. Zu den Neuerungen durch die SolvV Schwintowski (in diesem Band), S. 41, 49. 126 Vgl. Lim (2008), S. 17. Zu Forderungen, auch diese den Eigenkapitalerfordernissen zu unterwerfen, siehe etwa Knops, WM 2008, 2185, 2193. 127 Vgl. die Nachweise in Fn. 124.
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1. Teil: Grundlagen und Übersicht
ausstattung eher tendenziell zu hoch angesetzt, hat dies zwar Folgen für die Renditen der Kreditinstitute. Die Rolle des Kreditwesens als Schlüsselindustrie scheint dies jedoch erforderlich zu machen. Die sehr hohe Verlässlichkeit der Anlage in Kreditinstitute würde dann nicht mehr mit hoher Renditeerwartung gepaart – die Anlage würde primär auf Anlegerkreise mit konservativem Anlagehorizont zielen.
V.
Ausblick
Die Entwicklung – sowohl bei der Finanzmarktstabilisierung als auch bei den Bemühungen um eine stimmigere Rahmenordnung für langfristige Finanzmarktstabilität – schreitet weiter fort. Für das erste Quartal 2009, das im vorliegenden Buch nur noch ansatzweise berücksichtigt werden konnte (vgl. Vorwort), sind vor allem folgende Entwicklungen nachzutragen: Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz wurde durch ein -ergänzungsgesetz vom 20.3.2009 geändert (BR-Drucks. 16/12100, BGBl. 2009 I, S. 725) – mit Anpassungen zu Fonds und Anteilserwerbserleichterungen (zur Materie III.). Gleich blieben jedoch Grundgerüst und die oben diskutierte Freiwilligkeit. Neu und streitig ist Art. 3 mit dem Rettungsübernahmegesetz, das eine Enteignung erlaubt, um im Falle Hypo Real Estate befürchtetem opportunistischen Verhalten seitens des Großinvestors Ch. Flowers vorzubeugen. Im Bereich Stabilisierung stechen daneben der Disput zwischen USA und EU zur Frage hervor, wie weit die Zentralbank Zinssenkungen treiben sollte (bis zur Nullzinspolitik, USFed) und ob sie massiv langfristige Staatsanleihen kaufen und so die Geldmenge erhöhen sollte (US-Fed, Bank of England), sowie dazu, ob weitere Konjunkturprogramme aufgelegt werden sollten, daneben die Diskussion, ob eine (staatlich finanzierte) „Bad Bank“ errichtet werden soll, die Banken ihre belasteten Aktiva (etwa Problemkredite) abkauft, um ihnen mit bereinigten Bilanzen einen Neustart im Kreditgeschäft zu erlauben. Die EU warnt deutlich, dass, anders als ab 2003, auch die Niedrigzinspolitik bei Besserung sofort beendet werden muss. Im Vordergrund stand jedoch im 1. Quartal 2009 bereits die in der EU befürwortete stärkere Hinwendung zum langfristigen Ordnungsrahmen, die Finanzmarktstabilität. Larosière- und Turner-Report (EU bzw. Großbritannien) beherrschen die Diskussion und dominierten auch den G20-Gipfel am 2.4.2009, wie schon die Vorbereitungsgipfel vom 16. und 20. März.128 Hauptüberlegungen sind: Auf EU-Ebene wird die Aufsicht zwar in Regelsetzungsfragen europäisiert, die Aufsicht selbst jedoch nur koordiniert und national bleiben – ergänzt um ein Früherkennungsgremium bei der EZB. Die Aufsichtsregeln selbst (Basel II) sollen „flächendeckend“ werden –
128 High Level Group on Financial Supervision in the EU (sog. de Larosière-Group), Final Report (Februar 2009) bzw. Financial Services Authority, The Turner Review – A regulatory response to the global banking crisis (März 2009); vgl. außerdem für Deutschland den Bericht der Regierungskommission „Neue Finanzarchitektur“ (Vorsitz: Otmar Issing), abrufbar unter www.bundesregierung.de. Näher zum Ganzen: Berschens, Handelsblatt vom 26.2.2009; Busse, FAZ.Net vom 20.3.2009 (zum EU-Gipfel); N.N., Neue Gremien sollen EU-Finanzaufsicht verbessern, FAZ.Net vom 25.2.2009 sowie das Interview mit Jürgen Stark im Handelsblatt vom 17.3.2009.
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personell, indem (systemrelevante) Hedgefonds und private Anlagegesellschaften erfasst und auch Rating-Agenturen kontrolliert werden; sachlich, indem außerbilanzielle Risiken systematisch einbezogen werden; und räumlich, indem der Druck auf „Aufsichtsoasen“ erhöht wird. Nicht zuletzt soll der Eigenkapitalkoeffizient erhöht werden, dies (antizyklisch) vor allem für „gute Zeiten“, in denen mehr Eigenkapital aufgebaut werden soll. In Deutschland hat das Bundesfinanzministerium bereits einen ersten Gesetzentwurf vorgelegt, um die Befugnisse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) entsprechend zu erweitern (Pressemitteilung des BMF vom 25.3.2009). Auch bei der in der EU geforderten Umgestaltung der (Gehalts-)Anreize schreitet der deutsche Gesetzgeber mit einer schärferen Fassung des Angemessenheitskriteriums und einer Verpflichtung auf längerfristige Kriterien und Haltefristen voran (Pressemitteilung des BMJ vom 11.3.2009). Um die Managerhaftung schließlich ist eine Kontroverse entstanden (vgl. unten S. 77).
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2. Teil: Institutsverantwortung § 2 Finanzmarktkrise: Ursachen, Grundsatzfragen, institutionelle Konsequenzen Hans-Peter Schwintowski
I.
Die Ursachen
Die Ursachen für die Finanzmarktkrise liegen im amerikanischen Immobilien- und Finanzmarktrecht. Es geht um eine 57-Billionen-Dollar-Blase.1 Die Krise erreicht inzwischen die reale Wirtschaft. Allein in Deutschland wird mit 350.000–700.000 zusätzlichen Arbeitslosen gerechnet. Die Nachfrage nach Gütern sinkt weltweit teilweise drastisch.2 Die Notenbanken und Regierungen versorgen die Banken mit Geldspritzen und Staatsgarantien in nie gekanntem Ausmaß. Auf diese Weise soll das Vertrauen der Banken untereinander, der Unternehmen und Verbraucher, gestärkt und die Liquiditätskrise überwunden werden. Die Frage ist nur, ob dieses Rezept in die richtige Richtung geht, ob es finanzökonomisch nachvollziehbar und vernünftig ist, das Platzen einer gigantischen Geldblase mit einer neuen (staatlich finanzierten) Blase zu bekämpfen? Wird hier womöglich der „Teufel mit dem Beelzebub“ ausgetrieben? Wie hat alles angefangen?
1.
Die juristisch-ökonomischen Rahmenbedingungen des amerikanischen Immobilienmarktes
In den USA sind seit Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts – wahrscheinlich auch davor – die Hauspreise kontinuierlich gestiegen; jedenfalls seit wohl 60 Jahren nie gefallen. Jahr für Jahr wurden um die Jahrtausendwende ca. 1,5 Mio. neue Privathäuser gebaut. Die Preise stiegen allein im Jahre 1999 im Durchschnitt um 8 %.3 Im Jahre 2003 wurden 1,7 Mio. neue Häuser in den USA gebaut. Die Preise stiegen um 13 %.4 Allerdings kletterte in diesem Jahr erstmals auch die Leer-
1 2 3 4
Der Spiegel, Heft 47, vom 17.11.08, S. 80. Der Spiegel, aaO., S. 80. Der Spiegel, aaO., S. 53. Der Spiegel, aaO., S. 58.
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2. Teil: Institutsverantwortung
standsquote für Wohneigentum auf fast 2 % – das war für Insider ein Hinweis darauf, dass der Markt „kippt“.5 Im Oktober 2005 sanken in Manhatten die Wohnungspreise im dritten Quartal um 13% gegenüber dem zweiten Vierteljahr.6 Damit ging ein Boom zu Ende, wie die USA ihn noch nie erlebt hat. Im Januar 2007 wies der Chef der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos auf die Undurchsichtigkeit einiger Finanzinnovationen und darauf hin, dass eine „baldige Neubewertung“ von Vermögenswerten bevorstehe.7 Ende 2007 wurden Kreditabsicherungen (Credit Default Swaps) im Gesamtvolumen von 57,9 Billionen Dollar gehandelt.8 Das entspricht der gesamten Weltwirtschaftsleistung eines Jahres.9 In den USA ist es zulässig, die Haftung für einen Immobilienkredit auf Haus und Grundstück zu beschränken (non recourse loan). Das bedeutet, der Kreditnehmer haftet nur mit Haus und Grundstück, nicht aber mit seinem Privatvermögen. Ein solches Privatvermögen ist beim US-Mittelstand auch deshalb nicht vorhanden, weil die Sparquote extrem niedrig ist. Sie lag im Jahre 1998 bei 2 % landesweit.10 Wer in den USA einen Immobilienkredit haben wollte, brauchte folglich kein Eigenkapital. Da sowieso nur die Immobilie für das Darlehen haftete, achteten die Banken immer seltener darauf, ob die Häuslebauer über ein sicheres und hinreichendes Einkommen verfügten. Im Gegenteil, sie haben mit Lockangeboten gearbeitet. Sie haben so genannte „Ninja-Kredite“ entwickelt. Der Begriff steht für: No Income, No Job, No Assets.11 Für die ersten vier oder fünf Jahre wurde die Tilgung gestundet. Zugleich wurde ein fester Zins vereinbart, der häufig unter dem Marktzins lag. An seine Stelle trat – nach einigen Jahren – ein wesentlich höherer und noch dazu variabler Zins. Auch das ging mehrere Jahre lang gut, da die Häuslebauer immer dann, wenn sie den Kredit nicht mehr bedienen konnten, das Haus in der Regel mit erheblichem Gewinn verkaufen konnten. So entstand der Eindruck, als könne man Häuser ohne Eigenkapital und ohne Risiko kaufen. Der Eindruck wurde von den Banken verstärkt, die Kredite zu äußerst günstigen Zinssätzen gewährten.
2.
Die Geldpolitik der amerikanischen Zentralbank
Hintergrund dieser Kreditpolitik der Banken war die Tatsache, dass die von Alan Greenspan über Jahrzehnte geleitete amerikanische Zentralbank (Federal Reserve: Fed) über Jahre hinweg den Refinanzierungssatz der Banken äußerst niedrig hielt und damit wesentlich zur Erhöhung der Geldmenge und der Blase auf den amerikanischen Immobilienmärkten beigetragen hat. Insbesondere nach den Anschlägen
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Der Spiegel, aaO., S. 58. Der Spiegel, aaO., S. 53. Der Spiegel, aaO., S. 67/68. Der Spiegel, aaO., S. 68. Der Spiegel, aaO., S. 68. Der Spiegel, aaO., S. 53. Der Spiegel, aaO., S. 56.
§ 2 Finanzmarktkrise
auf das World Trade Center am 11. September 2001 wurden die Leitzinsen in den USA auf 2 %, dann 1,5 % und schließlich 1 % gesenkt.12 Damit lagen die Leitzinsen niedriger als die Inflationsrate. Folglich war es vernünftiger, sich Geld bei einer Bank zu leihen und dafür ein Häuschen zu kaufen, als zu sparen. Jedenfalls galt das, solange der Wert der Häuser stieg. Die Krise nahm ihren Lauf, als Alan Greenspan versuchte, die Zinsen langsam nach oben zu ziehen. Dies führte dazu, dass die Banken ihre Kredite verteuern und die variablen Zinsen hoch setzen mussten. Damit sank die Nachfrage nach neuen Häusern. Gleichzeitig konnten Kreditnehmer die nunmehr höheren variablen Zinsen nicht mehr bezahlen. Der Versuch das Häuschen am Markt – wie in den Jahren zuvor – mit einem Gewinn zu verkaufen, scheiterte wegen des Überangebotes an Häusern. Seit 2006 verschärfte sich diese Entwicklung – die Grundstückspreise sanken nunmehr massiv. Inzwischen stehen in den USA ca. 4.67 Mio. Häuser leer, die im Durchschnitt 212.000 Dollar gekostet haben. Das macht 990 Mrd. Dollar.13
3.
Special Purpose Vehicles – Zweckgesellschaften
Das Ausfallrisiko bei derart schlecht gesicherten Krediten war von Anfang an hoch. Unter normalen Umständen hätte eine rational handelnde Bank solche Kredite nicht vergeben. Sie hätte diese Kredite mit einem erheblichen Anteil ihres Eigenkapitals unterlegen müssen. Sie hätte folglich ihren Kreditspielraum durch die Vergabe von hochriskanten Krediten stark eingeschränkt. Als Faustformel kann man sagen, dass eine Bank einen Kredit mit 8 % des Eigenkapitals absichern muss. Wer einen Kredit von 1000 Euro geben will, muss diesen mit 80 Euro Eigenkapital unterlegen. Eine Bank die über 100 Mio. Euro Eigenkapital verfügt, kann Kredite in Höhe von etwa 1,25 Mrd. Euro vergeben. Hochriskante Kredite, wie sie in den USA gegeben wurden, schränken also den Kreditspielraum der Banken erheblich ein. Die amerikanischen Banken lösten dieses Problem, indem sie ihre ausstehenden Kredite an eigens zu diesem Zweck gegründete Gesellschaften (Special Purpose Vehicles: auch Conduit (Röhre) genannt) 14 verkauften. Auf diese Weise standen die Kredite nicht mehr in der Bilanz der Bank – sie konnte folglich neue Kredite vergeben. Entscheidend war allerdings, dass das SPV für die übernommenen Risiken kein Eigenkapital benötigte – es war ja keine Bank. Die aus dieser merkwürdigen Logik resultierenden Folge: Die Bank konnte unbegrenzt Immobiliendarlehen vergeben, weil eine Eigenkapitalunterlegung durch die Weitergabe an das SPV entfiel. Auf diese Weise entstand ein Anreiz für die Banken, Darlehen auch an solche Personen zu vergeben, die mit großer Wahrscheinlichkeit zur Rückzahlung nicht in der Lage waren.
12 Der Spiegel, aaO., S. 54. 13 Die Zeit vom 27.11.2008 (Nr. 49), S. 17 (Dossier). 14 Die klassische Zweckgesellschaft wird zu einem ganz bestimmten Zweck gegründet – sie erlischt, wenn der Zweck erfüllt ist. Das Conduit ist dagegen auf Dauer angelegt und kauft regelmäßig Forderungen auf, verbrieft sie und veräußert sie am Kapitalmarkt. Das Conduit funktioniert also wie ein „Durchlauferhitzer“.
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2. Teil: Institutsverantwortung
Die deutschen und europäischen Banken konnten an diesem Geschäft teilnehmen, weil man in Europa die rechtlichen Rahmenbedingungen an diejenigen der USA anpasste. So wurde es im Jahre 2003 für deutsche Banken zulässig, ebenfalls SPV’s zu gründen. Diese – von der Mehrwert- und Gewerbesteuer befreiten – Zweckgesellschaften entstanden, indem deutsche Institute (oft in Irland) zunächst einen Trust gründeten und dieser dann eine Limited – beides kostete etwa fünf bis sechs Pfund und dauerte wenige Tage. Über die Limited hat man dann amerikanische Kreditforderungen mit Hypothekenunterlegungen im großen Stil erworben, diese gebündelt und nunmehr die Anleihen (Mortgage Backed Commercial Papers) am Kapitalmarkt verkauft. Die deutschen Muttergesellschaften haben den Zweckgesellschaften in Irland einfache Kreditzusagen, das sind einfache Garantien, gegeben, und zwar auf ein Jahr befristet und mit einer einseitigen Kündigungsmöglichkeit versehen. Für solche einfachen Kreditzusagen brauchten die Mütter keine Eigenmittel. Das ergab sich aus § 8 Nr. 2b Grundsatz I der Bankenaufsicht und beruhte auf europarechtlichen Vorgaben von Basel I aus dem Jahre 1989. Danach hat man die auf ein Jahr befristeten einfachen Kreditzusagen Jahr für verlängert (revolviert). Konsequenz: Man hat immer größere Anleihen am Kapitalmarkt aufgelegt und immer mehr hypothekengesicherte Immobilienpapiere aus den USA gekauft. Eigenmittel brauchte man dafür nicht. Es gab folglich keine Bremse für diese Engagements, die lukrativ schienen, weil die Anleihezinsen niedriger waren, als der erwartete Erlös aus den Immobilienpapieren.
4.
Die Bündelung: Asset Backed Securities, Credit Default Swaps, Collaterized Debt Obligations
Das SPV bündelte die übertragenen Forderungen und Hypotheken – es entstanden asset backed securities, auch mortgage backed securities oder mortgage backed commercial papers (MBCP) genannt. Sodann wurden Anteile an den MCBP’s am Kapitalmarkt angeboten. Diese Anteile wurden von den Rating-Agenturen bewertet. Abgesichert wurden die Kreditpakete durch credit default swaps. Die Grundidee eines CDS, erfunden von Bill Demchak, einem ehemaligen Mitarbeiter von JP Morgan 15, ist eine Art Kreditversicherung. Die Bank erklärt sich bereit, gegen eine bestimmte Prämie (z.B. 100.000 Euro) das Risiko für den Ausfall eines 10-Mio.-Euro-Kredites zu übernehmen. Wird der Kredit wie vorgesehen bedient, so hat die Bank 100.000 Euro verdient – wird das Unternehmen insolvent, so muss die Bank die 10 Mio. Euro an den Kreditgeber überweisen. Geschäfte dieser Art wurden Swap (Tausch) genannt, weil eine Verbindlichkeit (Rückzahlung eines Kredites) gegen eine Prämie getauscht wurde. Auf diese Weise wurde die Rückzahlung der amerikanischen Immobilienkredite durch CDS abgesichert. Das Geschäft wurde optimiert, indem credit default swaps ihrerseits gebündelt und in Wertpapiere verbrieft wur-
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Der Spiegel, aaO., S. 49.
§ 2 Finanzmarktkrise
den. Es entstand der Begriff Bistro: Broad Index Secured Trust Offering 16. Damit war ein Instrument geschaffen, mit dem man eine große Zahl von credit swaps bündelte. Es entstand die Möglichkeit, nicht nur den Forderungsausfall von US-Immobilienkunden, sondern auch von Großkunden, wie Wal-Mart, IBM oder General Motors zu „versichern“. Dafür wurden erneut Zweckgesellschaften gegründet. Diese übernahmen die credit swaps. Das darauf beruhende Bistro-Wertpapier wurde in großer Stückelung (5 Mio./10 Mio.) direkt an Großinvestoren verkauft. Es entstand ein „Riesen-Swap“.17 Entscheidend war, dass bei Kreditausfällen nicht mehr die Bank, sondern die Zweckgesellschaft einzustehen hatte. Da die Zweckgesellschaft das Risiko der Zahlungsausfälle durch Verkauf der Wertpapiere auf hunderte von Investoren übertragen hatte, trugen nunmehr die Investoren das Rückzahlungsrisiko von kleinen wie großen Krediten weltweit. Im Jahre 2008 waren Kredite im Gegenwert von etwa 57 Billionen Dollar nach dem Vorbild von Bistro „versichert“.18 An die Stelle des Begriffs „Bistro“ trat inzwischen der Begriff collaterized debt obligation (CDO).
5.
Rating
Das Geschäft mit den MBCP’s, den CDS/CDO’s war nur möglich, weil die führenden Rating-Agenturen (Fitch, Standard & Poor’s und Moody’s) bereit waren, die von den Zweckgesellschaften aufgelegten Wertpapiere mit hervorragenden Noten zu versehen. Die besten Papiere bekamen AAA. Dies bedeutet bei Fitch, dass die Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalles innerhalb eines Jahres bei 0,061 % liegt. Die niedrigste Bewertung: CC steht für eine Pleitewahrscheinlichkeit von 37,73 %.19 Das Problem der Rating-Agenturen bestand zum einen darin, dass es in den USA über Jahrzehnte hinweg ausschließlich steigende Hauspreise und damit keinerlei Kreditausfälle gegeben hatte. Von daher lag es nahe, einem Kredit auch dann AAA zu geben, wenn der Darlehensnehmer vermögenslos war. Der Verkauf des Hauses würde, nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte in den USA den Kredit abdecken und den Darlehensnehmern sogar einen kleinen Überschuss bescheren. Hinzu kam, dass die Rating-Agenturen von den Unternehmen, deren Produkte sie bewerteten, bezahlt wurden. So entstand eine gegenseitige Abhängigkeit – die Banken fragten die Rating-Agenturen, was sie tun mussten, um ein AAA-Rating zu bekommen. Die Rating-Agenturen stellten „die Wegweiser auf, sie gaben am Ende die Anlagetipps“.20 Der tiefere Grund für die Finanzmarktkrise liegt also darin, dass weder die Banken noch die von ihnen gegründeten Zweckgesellschaften die von ihnen begebenen Immobilienkredite und Kreditausfallversicherungen (CDO’s) mit
16 17 18 19 20
Der Spiegel, aaO., S. 49. Der Spiegel, aaO., S. 49. Der Spiegel, aaO., S. 49. Der Spiegel, aaO., S. 50. Der Spiegel, aaO., S. 54.
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2. Teil: Institutsverantwortung
Eigenkapital unterlegen mussten. Die Praxis der Rating-Agenturen verschleierte dies, indem Kreditrisiken mit AAA oder BB+ gewichtet wurden, obwohl das Kreditausfallrisiko hoch war. Dies wurde aber für die Erwerber der Anteile nicht mehr sichtbar. Das SPV bündelte nun die übertragenen Forderungen und Hypotheken – es entstanden Asset Backed Securities, auch Mortgage Backed Securities oder Mortgage Backed Commercial Papers (MBCP) genannt. Sodann wurden Anteile an den MBCP’s am Kapitalmarkt angeboten. Diese Anteile wurden von den Rating-Agenturen bewertet. Dabei bildete man zunächst einmal drei Klassen. Die besten Kredite mit der geringsten Rendite wurden mit AAA bewertet. In der nächsten Tranche, die schon riskanter war, lautete das Rating beispielsweise BB+. In der dritten Klasse befanden sich die riskantesten Kredite. Diese wurden nun in einen anderen Pool eingebracht und hießen nun Collateralized Debt Obligations (CDO’s). Innerhalb dieses neuen Pools wurde erneut in drei Tranchen differenziert. Die besten Kredite dieser eigentlich schlechten Kredite bekamen AAA, die zweitbesten BB+. Die allerschlechtesten wurden erneut in einen anderen Pool eingebracht. Dort wiederholte sich das Spiel. Dieser Vorgang konnte beliebig oft geschehen. Alternativ oder auch ergänzend gaben sich die Banken gegenseitig für die schlechtesten Risiken eine Art Kreditausfallversicherung in Form von Credit Default Swaps (CDS). Wie sich heute zeigt, sind die Prämien für diese Versicherungsswaps zu niedrig kalkuliert gewesen. Da sich die Banken diese Absicherungen gegenseitig gaben, sind zugleich alle Banken in die Krise am Kapitalmarkt involviert, auch dann, wenn sie keine MBCP’s erworben haben. Der tiefere Grund für die Finanzmarktkrise liegt also darin, dass die Banken die von ihnen begebenen Immobilienkredite praktisch nicht mit Eigenkapital unterlegen mussten. Die Praxis der Rating-Agenturen verschleierte dieses, indem Kreditrisiken mit AAA oder BB+ gewichtet wurden, obwohl das Kreditausfallrisiko hoch war. Dies wurde für die Erwerber der Anteile aber nicht mehr sichtbar.
II.
Folgen – Grundfragen
Das Geschäft mit Subprime-Krediten musste in dem Moment zusammenbrechen, in dem eine größere Zahl amerikanischer Häuslebauer ihre Kredite wegen der gestiegenen Zinsen nicht mehr zurückzahlen konnten. Für diesen Zeitpunkt war absehbar, dass eine große Zahl von Häusern frei werden und auf den Markt drücken würde. Man musste also damit rechnen, dass die Preise für Grundstücke in den USA zusammenbrechen würden. Genau das hat John Paulson, der bestverdienende Hedgefonds-Manager der Welt, bereits im Jahre 2005 vorausgesehen. Er hat sich nicht auf die Analysten verlassen, sondern drei Leute aus seinem Team darangesetzt, den amerikanischen Immobilienmarkt gründlich zu analysieren. Den Rating-Agenturen traute man schon deshalb nicht, weil diese an der Verbriefung der Hypotheken erheblich mitverdienten. Bereits im Juni 2006 stagnierten die Hauspreise erstmals, und zwar mit fallender Tendenz. Paulson rechnete mit 7 % Ausfäl-
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§ 2 Finanzmarktkrise
len im ABS-Pool. Das war genug, um die BB + – Papiere komplett wertlos zu machen. Trotzdem herrschte am Markt, wie er in einem Interview beschreibt, nach wie vor eine riesige Nachfrage nach genau diesen Bonds. Ihre Verzinsung lag nur 1 % über derjenigen sicherer Staatspapiere. Das war der Punkt, an dem Paulson wusste, was passieren würde. Er legte seine ersten Kreditfonds auf fallende Kurse auf und hat damit viele Milliarden verdient. Man schätzt, dass er selbst alleine im Jahre 2007 einen Gewinn von 1,5 Mrd. Dollar eingestrichen hat. Wie groß die Verluste am Finanzmarkt im Ergebnis sein werden, ist im Moment schwer zu sagen. Verlässliche Zahlen darüber, wie viele Kredite in den USA notleidend sind oder notleidend werden können, gibt es nicht. Es scheint so zu sein, dass mehrere Billionen Dollars verbrieft worden sind. Wie viele von diesen ausfallen, ist zurzeit offen. Eines aber ist klar: Die Tatsache, dass ein sehr großer Teil von Krediten ausgefallen ist und noch ausfallen könnte, hat jedenfalls die Kurse für die MBCP’s verfallen lassen. Mehrere Billionen Dollar Buchgeld sind somit zurzeit verbrannt. Sie fehlen im Geldkreislauf der Welt, können also auch nicht für andere Investitionen, z.B. für die Anlage in Unternehmen, eingesetzt werden. Dies ist der Grund, warum es Rückwirkungen auf die Realwirtschaft gibt, auch wenn man nicht sagen kann, in welchem Umfang dies geschieht, denn niemand weiß, ob diejenigen, die sich finanziell in MBCP’s engagiert hatten, ihr Geld alternativ in der Realwirtschaft angelegt hätten. Diese Erkenntnis zeigt auch, dass es inzwischen eine Abkoppelung zwischen dem Geld auf den Finanzmärkten und den Investitionen in die Realwirtschaft gibt. Die Annahme der Finanzökonomie, wonach das Geld in den Finanzmärkten den realen Wert der Volkswirtschaften widerspiegelt, dürfte nicht mehr zutreffen. Damit stellt sich auch die Frage, welchem Zweck eigentlich Geld dient, das nicht mehr der Realwirtschaft zugeführt wird, sondern ausschließlich innerhalb der Finanzmärkte hin und her getauscht wird. Finanzwissenschaftlich stellt sich damit die Frage, ob die Geldmenge in den Märkten nicht viel zu hoch ist, oder noch anders formuliert: ob wir nicht unsere Währungen längst massiv abwerten müssten, um diese, um den Erdball wandernde Blase überschüssigen Geldes abzubauen. Die derzeit eingetretenen Buchverluste an den Finanzmärkten der Welt zeigen in etwa, wo das Abwertungsvolumen gelegen hat.
III.
Institutionelle Konsequenzen
1.
Zinspolitik der Zentralbanken
Eine wesentliche Ursache der Krise besteht in der Niedrigzinspolitik, die die USNotenbank durch Alan Greenspan vor allem im Anschluss an die Terroranschläge vom 11. September 2001 über Jahre hinweg betrieben hat. Die Leitzinsen in den USA wurden in jener Zeit zunächst auf 2 %, dann auf 1,5 % und schließlich auf 1 % gesenkt.21 Damit waren die Leitzinsen niedriger als die Inflationsrate. Dies bedeu-
21
Der Spiegel, aaO., S. 54.
47
2. Teil: Institutsverantwortung
tete, dass sich Sparen nicht mehr lohnte. Der Sparzins war niedriger als die Inflationsrate. Es war folglich billiger, „sich Geld bei einer Bank zu leihen, Werte zu schaffen, als zu sparen“.22 Die Konsequenzen einer solchen Notenbankpolitik sind katastrophal. Sie bewirken nahezu zwangsläufig eine Aufblähung der Kredit- und damit der Geldmenge, und zwar ohne jeden Bezug zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Normalerweise schaden Kredite in einer Volkswirtschaft nicht, wenn Ihnen entweder eine entsprechende Sparquote und/oder ein entsprechendes Produktivitätswachstum gegenüberstehen. In solchen Fällen wirken Kredite nicht inflationär, sondern sorgen für einen ausgeglichenen Wirtschaftskreislauf im Sinne der volkswirtschaftlichen Quantitätsgleichung.23 Wenn aber, wie in den Vereinigten Staaten, dem Geldmengenwachstum ausgelöst durch die extreme Niedrigzinspolitik der Fed keine Sparquote und auch nahezu keine Produktivitätssteigerung gegenübersteht, so kann das erheblich steigende Kreditierungsvolumen letztlich nur noch eine Preissteigerung und damit eine Inflation bewirken. Inflationen sind Gift für Volkswirtschaften. Sie benachteiligen all diejenigen, deren Einkommenszuwachs mit der Inflation nicht Schritt hält. Das sind die Armen, die Kranken, die Rentner und all diejenigen, die kein Arbeitseinkommen beziehen, etwa, weil sie die Kinder aufziehen und versorgen. Im Ergebnis heißt das, dass eine Zinspolitik der Zentralbanken, die den Banken eine Refinanzierung unterhalb der Inflationsrate eröffnet, letztlich in eine Inflationsspirale und damit in eine zunehmende Verarmung jener Bevölkerungsteile führen muss, die weder über vermehrbares Vermögen noch über Kenntnisse und Ressourcen verfügen, die am Arbeitsmarkt stark nachgefragt sind. Dies bedeutet, dass die Finanzmarktkrise und die mit ihr verbundenen Stützungsmaßnahmen, die die Geldmenge erneut erheblich aufblähen, eine massive Inflationstendenz in sich tragen. Diese Inflation wird zeitversetzt in etwa ein bis anderthalb Jahren in der Realwirtschaft ankommen und dort genau die Bevölkerungsschichten erreichen, die ohnehin nichts zum Zusetzen haben, die durch Inflation folglich immer ärmer werden. Aus diesen Überlegungen folgt die erste These, wonach es eine konzertierte Aktion zwischen den Zentralbanken über eine Zinspolitik geben muss, die es in jedem Falle verhindert, dass sich Banken zu Zinssätzen refinanzieren können, die unterhalb der Inflationsrate liegen. Darüber hinaus sollte die Rolle der Zentralbanken weltweit festgeschrieben werden. Zentralbanken haben die Aufgabe den Geldwert zu stabilisieren. Wenn sie das tun, so verhindern Sie Inflation und sorgen auf diese Weise für ein stabiles nachhaltiges Wachstum der Volkswirtschaften. Wenn die Zentralbanken allerdings darüber hinaus – so wie es die Fed unter Alan Greenspan getan hat, versuchen durch eine Niedrigzinspolitik zugleich wirtschaftspolitische Impulse zu setzen, so müssen sie das Ziel, den Wert des Geldes zu stabilisieren, geradezu not-
22 23
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Der Spiegel, aaO., S. 55/56. Geldmenge × Umlaufgeschwindigkeit = Preis × Produkteinheit.
§ 2 Finanzmarktkrise
wendig verfehlen. Denn eine Niedrigzinspolitik führt unweigerlich zur Ausweitung der Geldmenge (M3) und diese wiederum führt – mangels Sparquote und Produktivitätsfortschritt, ebenso unweigerlich zu Inflationen. Diese Konsequenzen werden allerdings zu Beginn der Geldmengenausweitung nicht gleich sichtbar. Diejenigen, die zu Beginn dieses Prozesses begünstigt werden, profitieren davon – diejenigen, die am Schluss des volkswirtschaftlichen Kreislaufes die Wirkungen erleben, bezahlen dann die Zeche. Dies bedeutet, dass es einen Rechtsrahmen geben muss, der die Zentralbanken dieser Welt darauf verpflichtet, ihre Hauptaufgabe wahrzunehmen, nämlich den Geldwert zu stabilisieren, aber nicht etwa die Wirtschaft anzukurbeln.
2.
Zweckgesellschaften – Eigenkapitalunterlegung
Eine zweite Ursache der derzeitigen Finanzmarktkrise liegt darin, dass die auf die Zweckgesellschaften (SPV’s) ausgelagerten Kreditrisiken nicht mit Eigenkapital unterlegt werden mussten. Auf diese Weise brauchten die Banken die Kredite und Kreditlinien nicht mit Eigenkapital zu unterlegen. Dies ist inzwischen erkannt. Der bis zum 1. Januar 2007 geltende Grundsatz I ist durch die Solvabilitätsverordnung abgelöst. Seit dem 01.01.2008 wird zwischen den Risiken einfacher Kreditlinien und den Risiken verbriefter Kredite differenziert. Kreditrisiken werden mit einem Konversionsfaktor von 100 % gewichtet.24 Außerdem müssen in Zukunft sämtliche Risiken, die in Zweckgesellschaften ausgelagert werden, auch in der Bilanz der jeweiligen Muttergesellschaft ausgewiesen werden.
3.
Stärkung der BaFin
Die Frage ist allerdings, ob die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) die Regeln im Sinne eines stabilen Finanzmarktes auch anwenden wird. Immerhin hat die BaFin spätestens 2002 erkannt, dass es sich bei den verbrieften Produkten, die letztlich zur Finanzmarktkrise führten, um systemische Risiken, also um Bedrohungen, handelte, die das System aus sich selbst heraus zerstören können.25 Obwohl die Gefahren im Jahre 2002 in der BaFin erkannt waren, wurde nichts unternommen. Angeblich gilt unter Bankern die Devise: „Rules are for Fools“.26 Die Kunst bestehe also darin, das jeweils vorhandene Regelwerk auf legalem Wege auszuhebeln.27 Sollte es ein solches Verständnis in den Aufsichtsbehörden der Welt tatsächlich geben, so wird es zu Krisen, wie wir sie zurzeit durchlaufen, immer wieder kommen, denn irgendwelche Schlupflöcher wird es im Gesetz immer geben.
24 Je nach Risikobewertungsmethode sind Kreditfazilitäten nach § 239 Abs. 2/§ 252 Abs. 2 SolvV bei der Eigenkapitalunterlegung zu berücksichtigen; dazu BaFinJournal 11/07, S. 12. 25 Der Spiegel, aaO., S. 56. 26 Der Spiegel, aaO., S. 56. 27 Der Spiegel, aaO., S. 56.
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2. Teil: Institutsverantwortung
Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, ob man die Aufsichtsbehörden unabhängiger gestalten kann. Die deutsche BaFin wird von denjenigen Unternehmen, die sie beaufsichtigt, zugleich finanziert.28 Zugleich untersteht die BaFin aber der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Finanzen. Damit sind politische Einflussnahmen vorgezeichnet. Sie haben in den vergangenen Jahren unter dem Stichwort Stärkung des Finanzplatzes Deutschland dazu beigetragen, die Gründung von Zweckgesellschaften zu begünstigen und sie steuerlich zu entlasten. Darüber hinaus gibt es ein massives Kompetenzproblem zwischen der BaFin und den Aufgaben der nach wie vor bestehenden Bundesbank. Die BaFin verkomme, so wird in der Presse berichtet, zur „Stempelbehörde“ der Bundesbank.29 Dies bedeutet, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für BaFin und Bundesbank überarbeitet werden müssen. Die Arbeitsweise beider Institutionen muss aufeinander abgestimmt und möglicherweise unter eine einheitliche Leitung gestellt werden. Die politische Einflussnahme muss zurückgeführt werden. Für bestimmte Fallgestaltungen sollte darüber nachgedacht werden, eine Haftung der BaFin für fehlerhafte Aufsicht zu etablieren.
4.
Kreditversicherungen – CDS/CDO
Die Absicherung der Kredit- und Insolvenzrisiken durch credit default swaps und (in gebündelter Form) durch collaterized debt obligations hat auf der einen Seite zu einer weltweiten Risikovernetzung und auf der anderen Seite zu dem Eindruck beigetragen, es könne ja gar nichts passieren, man sei ja „versichert“. Das überraschende an dieser Entwicklung ist, dass sie nur deshalb eintreten konnte, weil ein klassischer Grundsatz offenbar aufgegeben wurde, ohne darüber zu diskutieren. Normalerweise dürfen Banken keine Versicherungsgeschäfte und Versicherungen keine Bankgeschäfte machen. Das führt zu einer Trennung der beiden Aufsichtssysteme, die im deutschen Recht etwa durch das Versicherungsaufsichtsrecht im VAG und das Bankenaufsichtsrecht im KWG gekennzeichnet ist. Hätte man den Banken von vornherein klar gesagt, dass Kredit und Insolvenzversicherungen kein Bankgeschäft sind, so hätte es zu den trügerischen Absicherungsnetzen nicht kommen können. Aus welchem Grunde die Bank- und auch die Versicherungsaufsicht akzeptiert haben, dass mit Blick auf Kredit- und Insolvenzversicherungen eine Branchenvermischung stattgefunden hat, die bisher als unzulässig galt, ist eine Frage, die unbedingt aufgearbeitet werden muss. Sollten die Banken auch weiterhin das Geschäft mit CDS/CDO machen dürfen, so wird man Spielregeln für diese Versicherungsgeschäfte festlegen müssen – insbesondere auch solche, die dazu führen, dass Schadenstatistiken entstehen und das ein Risikoausgleich nach dem Gesetz der großen Zahl in der Risikogemeinschaft durchgeführt wird.
28 29
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Grundlage ist das FinDAG. Der Spiegel, aaO., S. 56.
§ 2 Finanzmarktkrise
5.
Materielle Staatsaufsicht
Ferner müsste die materielle Staatsaufsicht auch über Finanzmarktprodukte eingeführt werden. Im Bereich der Versicherungsaufsicht wird dies seit ca. 150 Jahren praktiziert (§ 81 VAG). Als Folge der Einführung der materiellen Staatsaufsicht wäre die Bankaufsicht berechtigt aber auch verpflichtet, sich die am Markt kursierenden Finanzprodukte anzuschauen und solche Produkte herauszunehmen bzw. auf Umgestaltung zu drängen, die für die Finanzmärkte gefährlich werden könnten.
6.
Grundsatz der Risikomischung
Ferner muss der Grundsatz der Risikomischung auch gegenüber den Banken in ihrem Portfolio, und zwar als Bestandteil des Risikomanagementsystems (§ 91 Abs. 2 AktG) durchgesetzt werden. Auf diese Weise würde man vermeiden, dass eine Bank (wie beispielsweise die IKB) zuviel auf eine Karte setzt. Hätten wir in der Vergangenheit die Immobilienkredite mit hinreichendem Eigenkapital unterlegt, hätten wir uns darüber hinaus die MBCP’s und vor allen Dingen die abgeleiteten CDO’s im Wege der materiellen Staatsaufsicht genau angeschaut und hätten wir gegenüber den Banken auf eine angemessene Risikomischung gedrängt, so gäbe es die Finanzmarktkrise, die unsere Volkswirtschaft derzeit erschüttert, nicht.
7.
Hedgefonds
Aus der Perspektive einer globalen Finanzmarktordnung sollten wir ergänzend darauf dringen, dass Hedgefonds das in ihnen angelegte Kapital und insbesondere die eingegangenen Kreditverbindlichkeiten offen legen. Nur wenn die Kreditvolumina, die von den Hedgefonds gezeichnet sind, transparent werden, kann man weltweit früh genug gegensteuern und im Zweifel auch stoppen.
8.
Prospektpflicht
Mit Blick auf Zweckgesellschaften (SPV’s) sollte über die Prospektpflicht in Zukunft nachgedacht werden. Es gibt keinen Sachgrund dafür, dass man für Wertpapiere, die emittiert werden sollen, einen Verkaufsprospekt erarbeiten und von einer Aufsichtsbehörde absegnen lassen muss, während eine vergleichbare Verpflichtung bei den MBCP’s bisher entfällt. Vor allem sollten die Prospekte die Chancen und Risiken, die in MBCP’s lagern, deutlicher machen, als dies bisher der Fall ist.
51
2. Teil: Institutsverantwortung
9.
Rating-Agenturen
Ferner bedürfen die Rating-Agenturen eines globalen Regulierungsrahmens. Rating-Agenturen spielen für die Bewertung von Finanzmarktprodukten eine sehr große Rolle, wie sie die ihnen zugewiesenen Bewertungsspielräume ausnutzen, wird jedoch durch niemanden vorgegeben und kontrolliert. Da Rating-Agenturen Eigeninteressen verfolgen (müssen), darf es nicht verwundern, dass die von ihnen zugrunde gelegten Bewertungsstandards nicht in jedem Falle objektiv und an den Interessen der jeweiligen Marktgegenseite orientiert sind. Auf diese Weise kann es zu Bewertungen kommen, die, wie die Finanzmarktkrise zeigt, zu optimistisch sind. Vor allem an der Methodik der Bewertung muss gearbeitet werden. Die Rating-Agenturen haben für die Bewertung der Risiken aus den Immobiliengeschäften regelmäßig ausschließlich an die Vergangenheit angeknüpft. Zu Beginn der Krise gab es vergangenheitsorientiert aber keine Forderungsausfälle, da die Häuser im Regelfall auf dem amerikanischen Markt mit Gewinn verkauft werden konnten. Dies änderte sich dann in der Krise zwar abrupt wegen des Überangebots an Häusern; das Rating konnte aber rückwirkend nicht mehr korrigiert werden. Dies bedeutet, dass eine Ratingmethode, die ausschließlich vergangenheitsorientiert arbeitet, nicht hinreichend ist, um Risiken, die die Zukunft betreffen, hinreichend und angemessen abzubilden. Dies muss bei der Neuordnung der internationalen Finanzmarktordnung berücksichtigt werden. Darüber hinaus müsste über die Frage nachgedacht werden, wie die Rating-Agenturen eigentlich für Fehleinschätzungen haften.
10.
Anlegerschutz stärken
Die vorstehenden Vorschläge beziehen sich auf die Finanz- und Kapitalmarktordnung der Welt. Daneben wirft die Subprime-Krise aber auch die Frage auf, ob die Regularien zugunsten geschädigter Anleger hinreichend sind. So fällt es beispielsweise auf, dass ein offenbar nicht unerheblicher Teil der Lehman-Geschädigten Sparkassenkunden sind, die aus der Perspektive der Altersvorsorge Lehman-Anleihen auf Empfehlung ihrer Sparkasse gezeichnet haben. Es deutet sich an, dass es hier nicht nur um Einzelfälle, sondern um massenhafte Fehlberatungen geht. Aus der Perspektive des deutschen und europäischen Anlegerschutzrechtes stellt sich die Frage, ob nicht die Geeignetheitsprüfung (§ 31 Abs. 4 WpHG) verbessert und standardisiert werden muss, sodass die Anleger schon bei der Anlageberatung erfahren, welche Risiken Sie bei der Zeichnung des Papiers eingehen. Gleichzeitig wird ihnen bewusst, dass die Anleihe eines international tätigen Bankhauses Risiken in sich bergen kann, die mit dem Ziel der Anlageentscheidung – sparen für die Altersvorsorge – nicht zu vereinbaren ist. Darüber hinaus handelt es sich um gleichartige Beratungsfehler, deren Verfolgung in Deutschland und Europa nach wie vor schwierig ist, weil es eine Sammelklage – vergleichbar der amerikanischen Class Action – im deutschen und europäischen Kapitalmarktrecht nicht gibt. Gewisse Erleichterungen hat zwar das Kapitalanlagemusterverfahrensgesetz geschaffen, aber die
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§ 2 Finanzmarktkrise
Wirkungen, die eine Sammelklage gleichartig betroffener Geschädigter erreichen könnte, werden mit dem KapMuG bei weitem nicht erreicht.
11.
Anwendbares Recht
Schließlich müsste im Rahmen einer globalen Finanzmarktordnung geklärt werden, welches Recht beim Fehlschlagen von Transaktionen anwendbar ist und vor welchen Gerichten auf Schadensersatz geklagt werden kann. Für die Anleger müsste das „Günstigkeitsprinzip“ gelten. Die Aufsichtsbehörden sollten auf den Finanzmärkten ihrer jeweiligen Heimatländer nach den Standards der Heimatländer tätig werden, jedenfalls wenn und soweit die Standards im zwingenden Allgemeininteresse liegen.
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§ 3 Die internationale Finanzkrise: Grundsatzfragen und Verantwortung aus der Sicht der Kreditinstitute Bernd Rudolph
I.
Problemstellung
Die Krise am amerikanischen Markt für verbriefte zweitrangige Hypothekenforderungen (Subprime Krise) und die daraus hervorgegangene internationale Finanzkrise sind von verschiedenen Akteuren an den Finanzmärkten verursacht worden. Zu diesen Akteuren gehören nicht nur die Banken mit ihrem Management und ihren Mitarbeitern, sondern auch andere Finanzintermediäre wie die Ratingagenturen und Hedgefonds. Es gehören aber auch jene Institutionen, die die Banken und das Bankensystem zu kontrollieren haben, wie die Bankenaufsicht und die Zentralbanken, dazu. Das komplexe Ursachenbündel, das die Krise ausgelöst und dann weltweit verbreitet hat, sollte bekannt und verstanden sein, bevor grundlegende Änderungen in den Instituten und in der Bankenaufsicht vorgeschlagen bzw. vorgenommen werden. Sofern der geschäftspolitische Spielraum der Banken und anderer finanzieller Institutionen einschränkt und die Kontroll- und Prüfungsgremien der Banken neuen Regelungen unterworfen werden sollen, müssen die Wirkungsmechanismen der Banksteuerung, der Bankenaufsicht, aber auch der Zentralbankpolitik bekannt sein, damit die überarbeiteten oder neuen Regeln nicht an den verfolgten Zielsetzungen vorbeiführen und vielleicht sogar kontraproduktiv wirken. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich daher in seinem zweiten Abschnitt mit der Aufarbeitung einiger Hintergründe und Ursachen der Krise. Auf dieser Grundlage werden im dritten Abschnitt Vorschläge vorgestellt und diskutiert, die dem Verantwortungsbereich der Banken und der Bankenaufsicht zugeordnet werden können.
II.
Entstehung und Verlauf der internationalen Finanzkrise
1.
Die Entwicklung des amerikanischen Marktes für Wohnungsbaudarlehen
Entstehung und Verlauf der internationalen Finanzkrise sind kaum zu verstehen, wenn man nicht einen Blick auf die Entstehungsgeschichte und Entwicklung des Marktes für Wohnungsbaudarlehen in den USA wirft, der sich seit der Zeit des New Deal in den 30er Jahren herausgebildet hat. Dieser Markt konnte im Laufe der Zeit
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2. Teil: Institutsverantwortung
eine immer bedeutendere Rolle bei der sozialen Absicherung amerikanischer Familien und als Baustein zum „American Dream“ einnehmen. Ein wichtiges Element der Wohnungsbaufinanzierung stellte dabei die Verfügbarkeit erstrangiger Festzinskredite für die Immobiliennachfrager mit niedrigem Einkommen dar, deren Möglichkeiten der Eigenkapitalbildung begrenzt sind und die daher staatlicherseits in verschiedener Weise unterstützt wurden. Dieser Markt hat sich mit vielfältigen Spielarten und Veränderungen auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiterentwickelt, wobei als besonders bemerkenswerte Neuerung in den 80er Jahren Refinanzierungen der Wohnungsbaudarlehen über die Emission sogenannter Mortgage Backed Securities (MBS) üblich geworden sind. Darunter versteht man durch einen Pool von Hypothekenforderungen (Mortgages) gedeckte (Backed) Wertpapiere (Securities). Durch diese Form des Risikotransfers verbleiben die Hypothekendarlehen und die daraus resultierenden Risiken nicht mehr während der gesamten Laufzeit in den Bilanzen der Originatoren, sondern werden an die Kapitalmärkte weitergereicht. In der Form solcher strukturierter Anleihen wandern diese Risiken in die Portfolios institutioneller Anleger wie Pensionskassen und Versicherungen, aber auch in die Portfolios ausländischer Investoren sowie wieder zu den Banken zurück, nun aber in deren Wertpapierportfolios. Der Markt für Mortgages Backed Securities hat seit den 80er Jahren stetig an Größe und Liquidität gewonnen und bildete sich in den letzten Jahren als größtes Segment des amerikanischen Anleihenmarktes vor dem Markt für staatliche Anleihen und andere forderungsbesicherte Papiere heraus. Typisch für das amerikanische System der Wohnungsbaufinanzierung ist auch die Tätigkeit sogenannter Government Sponsored Enterprises (Agencies), wozu insbesondere die in der Zwischenzeit ganz verstaatlichten Institutionen Fannie Mae und Freddie Mac gehören. Ebenso typisch ist seit längerem die Versicherung der Ausfallrisiken über Mortgage Insurance-Konstruktionen, die im Rahmen des eigentlich durch Eigenkapital darzustellenden Risikopuffers ersatzweise eine Versicherungsleistung einbringen. Dieses System der amerikanischen Wohnungsbaufinanzierung trug über viele Jahrzehnte zur Umsetzung der politischen Zielsetzung bei, auch weniger begüterte amerikanische Bürger bei der Verwirklichung des Traums von den eigenen vier Wänden zu unterstützen und damit auch einen Beitrag zu deren Altersvorsorge zu leisten.
2.
Problematische Trends und Exzesse seit der Jahrhundertwende
Etwa seit der Jahrhundertwende und insbesondere seit dem Zusammenbruch der New Economy-Blase 2002 traten nun am amerikanischen Markt für Wohnimmobilien Besonderheiten auf, die in verschiedener Hinsicht als problematisch eingestuft werden müssen. So trug die Bevorzugung der Küstenregionen mit einem hohen Hauspreisniveau und großen Wohnungen zum Wachstum der hohen Preissteigerungen bei, die letztlich in eine ausgeprägte Immobilienpreisblase (Bubble) mündeten. Seit 2002 konnte man auch eine Ausweitung der privaten Hypothekenfinanzie-
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§ 3 Die internationale Finanzkrise
rung feststellen, die im Zusammenhang mit der hohen Marktliquidität gesehen werden kann, die ihrerseits durch das niedrige Zinsniveau begünstigt wurde, das wiederum nach dem Zusammenbruch der New Economy von der Politik der amerikanischen Zentralbank gestützt wurde. Die Kreditvergabe selbst erfolgte häufig über die Vermittlung durch eine große Schar von Maklern, die mit einer abschlussorientierten Vergütung arbeiteten und die Finanzierungen sofort weiterreichten. Die Finanzierung der Wohnungsbaukredite erfolgte vielfach auch oberhalb der staatlichen Fördergrenzen. Wegen des niedrigen Zinsniveaus gab es eine Bevorzugung der Kreditverträge mit Gleitzinsen bzw. variablen Zinsen. Wohneigentum wurde mehr und mehr auch für Bezieher niedriger Einkommen oder sogar Personen ohne geregeltes Einkommen verfügbar. Für 2006 ist ein immer weiter angewachsener Anteil privat finanzierter Hypotheken minderer Bonität mit einem variablen Zinssatz zu vermerken. Die an sich übliche Eigenkapitalfinanzierung in Höhe von ca. 20 % wurde durch Subprime Mortgages ersetzt, die die Rangstelle hinter den üblichen Mortgages einnahmen. Nicht nur die Subprime Kredite sondern auch andere Wohnungsbaufinanzierungen zeichneten sich durch ein hohes Tilgungsdeckungspotential (DTI: debt-to-income ratio) der Kreditnehmer und/ oder eine hohe Beleihungsquote (LTV: loan-to-value ratio) aus. Da die Hauspreissteigerungen über lange Jahre stabil waren und daher als gut prognostizierbar galten, wurden all diese Kredite als nicht besonders risikoträchtig eingestuft. Bei sinkenden Hypothekensätzen lohnte es sich darüber hinaus für die Schuldner, von der Option einer vorzeitigen Tilgung und Erneuerung der Hypothekendarlehen Gebrauch zu machen, sobald eine Wertsteigerung eingetreten war oder sich eine weitere Zinssenkung durchgesetzt hatte, so dass die Schuldner ihre Kreditfinanzierung ausweiten konnten. Von 2002 bis 2005 stieg der Anteil variabel verzinslicher Hypothekenkredite von ca. 15 auf 40 % des Marktvolumens. Der variable Zins lag seit 1999 und immerhin bis 2006 stets mehr als ein Prozent unter dem Festzins, so dass es einen starken Anreiz gab, einen variablen Zinssatz zu verabreden. Festzustellen war auch ein wachsender Anteil der computergestützten Bereitstellungen von Hypothekendarlehen, die sich auf ein einfaches Rating (FICO Score) stützten und zu einer Konzentration der Kreditvergabe bei den großen Hypothekeninstituten beitrugen. Unter diesen Voraussetzungen wurden auch Darlehen an nicht kreditwürdige Kreditnehmer herausgelegt, die über keine feste Einkommensquelle oder einen Eigenkapitalbeitrag verfügten, sog. Ninjas (no income, no job or assets). Typisch waren so genannte 2/28 Kredite mit einem niedrigen Anfangszins und dem Verzicht auf eine Tilgung innerhalb der ersten zwei Jahre. Danach sollte eine normale Tilgung begonnen werden, wobei die Kreditnehmer und Kreditgeber auf weiter sinkende Zinsen und steigende Immobilienpreise hofften. Da die Zukunftsaussichten so günstig erschienen, setzten sich auch sogenannte Huckepack-Kredite (Piggy-backs) privater Kreditinstitute durch, die für Konsumzwecke vergeben wurden und die Differenz zwischen der antizipierten Hauspreissteigerung und der Belastung des Grundstücks in verfügbare Zahlungsmittel umsetzten. Negative Amortisationen waren
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2. Teil: Institutsverantwortung
also an der Tagesordnung. Mehrfachverschuldungen einzelner Kreditnehmer resultierten daraus, dass die Kreditnehmer vielfach mehr als ein Grundstück bzw. Wohneigentum erwarben und daneben bei ihren Kreditkartengesellschaften oder einem Leasinggeber Außenstände aufbauten. Der Trend zum Investment in Wohneigentum wurde auch von offizieller Seite durchaus positiv eingeschätzt. So findet man beispielsweise in einem Bericht der BIZ vom September 2002 folgende Bewertung: 1 „Aus längerfristiger Sicht könnte der jüngste Refinanzierungsboom auf eine neue Welt hinweisen, in der Wohneigentum zunehmend als Liquiditätsquelle betrachtet und zum Ausgleich bei Schwankungen bei Einkommen und Vermögen eingesetzt wird.“
3.
Von der Subprime Krise zur internationalen Finanzkrise
Ab etwa der Jahresmitte 2006 traten nun verstärkt Risiken in das Bewusstsein verschiedener Finanzakteure, die daraus resultierten, dass erstens das Zinsniveau langsam stieg, dass zweitens dadurch bedingt die Ausfallraten im Subprime Segment der Wohnungsbaufinanzierung anstiegen und dass drittens die über lange Zeit gewohnten jährlichen Hauspreissteigerungen abflachten bzw. ab dem Jahreswechsel 2007 sogar ein Preisverfall zu verzeichnen war. Die nachfolgende Abbildung 2 zeigt, dass die durchschnittlichen Preissteigerungen im Immobilienbereich bis zum Jahresende 2006 zwischen 10–15% lagen, in 2006 zurückgingen und etwa seit dem Jahreswechsel 2006/2007 sogar ein Rückgang der Immobilienpreise zu verzeichnen war. Am 2. April 2007 stellte die New Century Financial Corporation, die zweitgrößte Adresse bei der Vergabe von Subprime Mortgages in den USA, Antrag auf Gläubigerschutz nach Chapter 11 der amerikanischen Insolvenzordnung. Verschiedene Alarmzeichen folgten, die aber von den Märkten und zumindest der Öffentlichkeit in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen wurden. Am 3. Mai 2007 teilte die Schweizerische Großbank UBS nach hohen Verlusten in Subprime Engagements die Schließung des Dillon Read Hedgefonds mit. Es gab Gerüchte, dass auch andere Hedge Fonds geschlossen werden müssten, und es folgte dann am 15. Juni 2007 die Mitteilung von Moody’s, dass über hundert mit Subprime-Krediten unterlegte Collateralized Loan Obligations herabgestuft und weitere 250 Anleihen wegen einer möglichen Herabstufung unter Beobachtung gestellt worden seien. Im Juli 2007 fanden auch bei Standard & Poor’s und Fitch sowie bei Moody’s weitere Herabstufungen statt.
1 Deep/Domanski (2002), S. 50. 2 Die Abbildung ist dem Jahresgutachten 2008/2009 des Sachverständigenrates (S. 124) entnommen.
58
§ 3 Die internationale Finanzkrise
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2. Teil: Institutsverantwortung
Auch diese Meldungen über die kritische Situation am amerikanischen Markt für Wohnimmobilien wurden in Deutschland in der Öffentlichkeit nur am Rande verfolgt, bis dann am 30. Juli 2007 die IKB Deutsche Industriebank in einer Ad hoc Mitteilung Verluste infolge von Problemen am US-Markt für Subprime-Hypotheken meldete und offen legte, dass ihr Hauptanteilseigner, die KfW, ihre finanziellen Verpflichtungen aus den Liquiditätszusagen für ein von ihr betriebenes Investmentvehikel, den Rhineland Funding Capital, übernommen habe. Die IKB betrieb – wie andere Institute auch – schon seit einigen Jahren eine Zweckgesellschaft in den Vereinigten Staaten, ein sog. Conduit, das einerseits in langfristige strukturierte Wertpapiere, insbesondere in Collateralized Debt Obligation CDOs investierte, und dass sich andererseits kurzfristig über die Emission von Mortgage Backed Commercial Paper MBCP refinanzierte. Diese Form der Refinanzierung setzte ein gutes Rating des Conduits voraus, das durch eine Liquiditätszusage der IKB erreicht wurde, bei Bedarf die fälligen Commercial Paper einzulösen. Die CDOs verloren nun mit dem Verfall der Immobilienpreise und der Probleme am Subprime Markt an Wert. Da die Conduits fast ohne Eigenkapital arbeiteten, verweigerten die Anleger dem Conduit die Anschlussfinanzierung, so dass sich Rhineland Funding nicht mehr am Geldmarkt refinanzieren ließ und die Liquiditätsfazilität in Anspruch genommen werden musste, die die IKB aber aus eigenen Mitteln nicht erfüllen konnte. Die KfW musste am 1. August 2007 mit einer Gruppe staatlicher und privater Banken ein milliardenschweres Rettungspaket schnüren und ließ dann am 2. August 2007 über eine Ad-hoc-Mitteilung der IKB feststellen, dass die KfW alle Risiken der IKB übernehme, die aus dem Conduit Rhineland Funding erwachsen können, sowie darüber hinaus erwartete mögliche Verluste von bis zu 1 Mrd. € aus risikobehafteten Positionen aus der Bilanz der IKB. Damit waren die Risiken des amerikanischen Marktes für zweitrangige Hypothekendarlehen über das Conduit Rhineland Funding und die Liquiditätszusage der IKB auf die staatliche KfW übergegangen. Die Märkte konzentrierten sich nun auch auf andere möglicherweise oder tatsächlich durch Verluste im Subprime Segment bedrohte Banken, die Unsicherheit an den Märkten stieg. Die Europäische Zentralbank begann, Liquidität in den Interbanken-Markt einzuschleusen, andere Zentralbanken unternahmen vergleichbare Schritte. Das Federal Reserve Board genehmigte am 17. August eine Senkung des Diskontsatzes und kündigte die Bereitstellung von Mitteln mit einmonatiger Laufzeit an. In Großbritannien beantragte im September 2007 Northern Rock bei der Bank von England Liquiditätsbeistand und erhielt diese Zusage auch nach einem Ansturm der Einleger auf die Schalter der Bank. Das Institut wurde schließlich im Februar 2008 vorläufig verstaatlicht, nachdem sich kein privater Käufer gefunden hatte. Eine bemerkenswerte Eigenheit der damaligen Krisenzeit kann darin gesehen werden, dass sich viele Kreditinstitute, die ebenfalls über Investmentvehikel an der Risikoprämie verschiedener Märkte partizipieren wollten, keineswegs bedroht fühlten, weil in der Zeit von Januar bis Juli 2007 nur B Anleihen und schlechtere
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§ 3 Die internationale Finanzkrise
Bonitäten von dem Wertverfall betroffen waren, während die hoch gerateten Titel keinerlei Einbußen zeigten. Die nachfolgende Graphik zeigt diese Zeitversetzung des Wertverfalls einzelner Ratingklassen und den schließlich einsetzenden Einbruch des amerikanischen Aktienmarktes.3
3 Die Grafik ist dem Jahresgutachten 2008/2009 des Sachverständigenrates (S. 119) entnommen.
61
2. Teil: Institutsverantwortung
4.
Die Liquiditätskrise des Jahres 2008
Der Beginn des Jahres 2008 verlief für die Öffentlichkeit wenig spektakulär, obwohl in dieser Zeit in den Bilanzabteilungen der Kreditinstitute weltweit ein besonderes Augenmerk auf die Wertansätze der verschiedenen Anleiheformen gelegt werden musste. Am 16. März wurde dann die Öffentlichkeit von dem Übernahmeangebot für die Investmentbank Bear Sterns durch J. P. Morgan Chase überrascht. Bear Sterns hatte seit Beginn der Krise mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen gehabt. Mit Unterstützung der Fed wurde dann Ende Mai 2008 die Übernahme vollzogen. Die Krise erreichte im September 2008 ihren Höhepunkt, als die halbstaatlichen Gesellschaften Fannie Mae und Freddie Mac ganz verstaatlicht und durch die Federal Housing Agency übernommen werden mussten. Spektakulär und für die weitere Entwicklung besonders dramatisch war dann am 15. September die Verweigerung der Liquiditätshilfe für die Investmentbank Lehman Brothers. Die Liquiditätsverweigerung führte erstens zur Insolvenz von Lehman, was durch die Verweigerung der Hilfe bewusst in Kauf genommen worden war. Die Entscheidung bewirkte dann aber zweitens für den gesamten weltweiten Interbankenhandel insoweit den Kollaps, als sich die Kreditinstitute von diesem Zeitpunkt ab untereinander auch kurzfristig keine Mittel mehr zur Verfügung stellten. Ein nachvollziehbares Motiv, das bei der Verweigerung der Hilfe für Lehman eine Rolle gespielt hatte, war die Absicht, den Märkten zu signalisieren, dass sie sich nicht auf die „Too Big to Fail Doctrine“ verlassen sollten, die dazu beigetragen hatte, dass die Banken – im Vertrauen auf die Hilfe des Staates bzw. der Notenbanken – zu sorglos Risiken übernommen hatten. Das Signal sollte deutlich machen, dass weder die Eigentümer noch das Management der Banken auf die Dauer Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit erzielen konnten, sondern die mit den Überrenditen verbundenen Risiken selbst tragen müssten. Dieses „Exempel“, das auch in der akademischen Literatur durchaus gelegentlich eingefordert worden war, weil zu Recht das Gefühl bestand, dass die großen Investmentbanken auch auf Kosten dieser Too Big to Fail Doctrine Gewinne erwirtschaften konnten, ohne ein eigentliches Insolvenzrisiko tragen zu müssen, führte in der Folge dazu, dass der gesamte Sektor der Investmentbanken mehr oder weniger zusammenbrach. Am 15. September übernahm die Bank of America die Investmentbank Merrill Lynch und am 21. September geben die beiden letzten großen Häuser Goldman Sachs und Morgan Stanley ihren Status als Investmentbanken auf. Um einen weiteren Flächenbrand zu vermeiden, griff am 18. September der Staat mit massiver Hilfe für die American International Group AIG ein, die weltweit größte Versicherungsgesellschaft, die als zentraler Versicherungsnehmer an den Märkten für Credit Default Swaps aufgetreten war. Am 20. September beantragte das amerikanische Finanzministerium die Bewilligung zum Ankauf „toxischer“ Assets der Banken. Schließlich beschloss der amerikanische Senat am 3. Oktober das Rettungspaket über 700 Mrd. $, das aber in den Wochen danach noch vielfach diskutiert und zum Teil mit anderen Akzenten versehen wurde. Die Reaktion auf die Krise beschränkte sich nicht auf den amerikanischen Markt. Vielmehr reagierten viele Staaten und Notenbanken auf die Krise, indem sie aus
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§ 3 Die internationale Finanzkrise
ihrer Sicht geeignete Hilfspakete schnürten. In Deutschland wurde am 17. Oktober 2008 das Finanzmarktstabilisierungsgesetz verabschiedet, auf dessen Grundlage der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung SoFFin gegründet wurde, der für die deutschen Kreditinstitute Liquiditätshilfen bzw. Eigenkapitalzuschüsse oder Garantien zur Verfügung stellen sollte. Ein Teil dieser Hilfen wurde in der Zwischenzeit von den Banken abgerufen.
III.
Lösungsvorschläge zur Krisenbewältigung und Prophylaxe
Man kann die verschiedenen Vorschläge, das Bankensystem bzw. die Finanzsysteme längerfristig auf einen Pfad zu halten, der den Gesichtspunkten der Finanzstabilität in ausreichendem Maße Rechnung trägt, nach verschiedenen Gesichtspunkten ordnen. Inhaltlich hängen die Vorschläge alle zusammen. Eine Trennung in Verantwortungsbereiche des Bankmanagements, der Bankeigentümer, der Einzelinstitute oder Bankengruppen, der Bankenaufsicht, der Notenbanken, der Politik oder der Bankkunden ist nur selten in klarer Abgrenzung möglich. Dennoch sind gewisse Zuordnungen notwendig, die eine gewisse Struktur der Themenfelder deutlich werden lassen. Im Folgenden sollen insbesondere Vorschläge zu möglichen Maßnahmen in der bankaufsichtlichen Verantwortung den Maßnahmen aus der Perspektive der Einzelinstitute gegenübergestellt werden. Personelle Verantwortlichkeiten treten dagegen in den Hintergrund, auch weil sie perspektivisch für die Neuordnung der internationalen Finanzarchitektur weniger relevant sind. In Abschnitt 3.1 wird zunächst der Regulierungsrahmen besprochen, bevor dann in Abschnitt 3.2 und 3.3 jene Gesichtspunkte diskutiert werden, die man eher dem Verhalten der Kreditinstitute im eigenen bzw. dem der Eigentümer und Manager zurechnen kann. Banken sind weltweit besonders ausgeprägten Regelwerken unterworfen, deren Ratio insbesondere in den Problemen der asymmetrischen Informationsverteilung an den Finanzmärkten und an ihrer Bedeutung für die Realwirtschaft verankert ist. Blickt man vom Ergebnis des Zusammenbruchs der Bankenmärkte ausgehend zurück, so kann man prima facie zu dem Ergebnis kommen, dass diese Regulierungen unzureichend gewesen sind und daher in Zukunft verschärft werden müssen. Es kann allerdings auch sein, dass bestimme Regulierungen die Krise begünstigt oder verschärft haben, also unzulänglich waren. Schließlich könnte man annehmen, dass die bankaufsichtlichen Bestimmungen im Grunde durchaus richtig angesetzt waren, dass sie aber nicht rasch genug an die wachsenden Informations- und Anreizprobleme der sich im Zuge der Securitisation verstärkenden Disintermediation angepasst wurden. Zahlreiche Vorschläge zielen daher darauf ab, Informationsdefizite der Bankenaufsicht abzubauen sowie die bestehenden Regulierungslücken für einzelne Finanzintermediäre wie Hedgefonds und Ratingagenturen baldmöglichst zu schließen. Zu den Faktoren, die die Probleme der asymmetrischen Informationsverteilung verschärft haben, gehören die unkontrollierte Aufspaltung der Wertschöpfungskette
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2. Teil: Institutsverantwortung
der Kreditvergabe und Refinanzierung, also des Kreditrisikotransfers auf andere Marktteilnehmer. Diese hatte aufgrund der über viele Jahre anhaltenden Preissteigerungen am amerikanischen Immobilienmarkt zu einer signifikanten Unterschätzung der Risikosituation durch die Kreditgeber und die Anleger geführt. Das enorme Wachstum der neuen Märkte für den Transfer von Kreditrisiken beeinträchtigte darüber hinaus die Aufmerksamkeit der Akteure an den Bankmärkten, seien es die Risikomanager und Risikocontroller in den Banken, seien es die Wirtschaftsprüfer, die Ratingagenturen oder die Bankenaufsicht. Und der Druck der Kapitalgeber auf Zusatzerträge zu dem weltweit niedrigen Zinsniveau beförderte ebenfalls das mangelnde Risikobewusstsein. Der populär gewordene Begriff des Risikoappetits legt schon nahe, dass die Akteure eher den zusätzlichen Nutzen eingegangener Risikopositionen im Auge hatten als die mit den Positionen verbundenen Verlustgefahren.
1.
Reformen der Bankenaufsicht und des Regulierungsrahmens
Eine Vielzahl von Vorschlägen betrifft notwendige bzw. wünschenswerte Veränderungen in der Bankenaufsicht, da es trotz des weltweit hohen Regulierungsniveaus der Finanzindustrie zu massiven Fehlentscheidungen verschiedener Finanzmarktakteure und danach zu einer Krise des gesamten Finanzsystems gekommen ist. Da die Krise am amerikanischen Markt für Hypothekenfinanzierungen ausgelöst wurde und erst später hohe Verluste bei den Banken und Anlegern in anderen Ländern zu verzeichnen waren, die in die risikobehafteten Asset Backed Securities bzw. Collateralized Debt Obligations investiert hatten, richten sich die Vorschläge für die amerikanischen Institute auf den Prozess der Kreditvergabe und des Kreditrisikotransfers und für die deutsche Aufsicht eher auf das Risikomanagement im Bereich der Mittelanlage in strukturierte Produkte. Die internationale Liquiditätskrise im Anschluss an die Verweigerung der Hilfe für Lehman Brothers hat dann auch zu Überlegungen für ein grundsätzliches Überdenken der Aufgaben der Regierungen bzw. der Notenbanken Anlass gegeben, die Rolle des „Lenders of Last Resort“ für die Liquidität der Banken zu einer vergleichbaren Rolle für die Solvenz der Banken auszubauen. Verschiedene Vorschläge zur Weiterentwicklung bzw. zur Reform der Bankenaufsicht setzen an deren Organisationsstruktur an, wobei Forderungen nach einer grenzüberschreitenden Bankenaufsicht im Mittelpunkt stehen. International stark vernetzte Banken erfordern hinsichtlich der Transparenz für die Bankenaufsicht, aber auch zur Vermeidung einer Regulierungsarbitrage eine Vernetzung bzw. Zentralisierung bankaufsichtlicher Kompetenzen. Selbst in der Europäischen Union, die sich mittels entsprechender Richtlinien durch ein gemeinsames Rahmenregelwerk auszeichnet, lassen sich eine Vielzahl von Ausnahmevorschriften, Auslegungswahlrechten und institutionellen Abweichungen feststellen. In den USA sind bekanntlich die Vorschläge des Basler Ausschusses von vielen Banken gar nicht oder nur mit deutlichen Abweichungen umgesetzt worden. Wichtiger noch, große Insti-
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§ 3 Die internationale Finanzkrise
tute sind grenzüberschreitend tätig und werden dennoch auf nationaler Ebene überwacht, was zu Informationsdefiziten der nationalen Aufsichtsbehörden führen muss. Daher gibt es Vorschläge für grenzüberschreitende „Colleges of Supervisors“ bzw. „Consolidating-Supervisors“, die tätig werden sollen, ohne dass nationale Institutionen oder Regeln davon tangiert würden. Bei der Umsetzung dieser grundsätzlich richtigen Überlegungen zu einem Ausbau der internationalen Bankenaufsicht gilt es allerdings zu bedenken, dass weltweit einheitliche Regelwerke auch neue Gefahren mit sich bringen, wenn sie zu einem Gleichlauf der Handlungsstränge und Entscheidungen der regulierten Banken und Finanzinstitutionen zwingen oder beitragen können. Gibt es Risikopositionen, die aufsichtsrechtlich hinsichtlich der Eigenkapitalunterlegung – aus welchen Gründen auch immer – anders behandelt werden als gleich risikobehaftete Assets, so kann es weltweit zu einer Überbewertung dieser Positionen und einer Überinvestition kommen. Platzt dann die Blase, so werden die Investoren weltweit in gleicher Weise getroffen und haben mangels alternativer Bedingungen an fremden Märkten – mit anderen Regulativen – keine Möglichkeit, ihre Positionen ohne erhebliche Abschreibungen zu liquidieren. Je umfassender bankaufsichtliche Regelwerke sind, umso leichter tragen sie in der Krise zur Illiquidität der betreffenden Positionen bei. Jenseits dieser Überlegungen, die sich auf die grenzüberschreitenden Geschäfte und die Aktivitäten der Nichtbankenintermediäre und somit auf unterschiedliche Regulierungsansprüche beziehen, sind Vorschläge zur Reorganisation der Arbeitsteilung in der Bankenaufsicht gemacht worden, die sich zwischen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin und der Deutschen Bundesbank herausgebildet und in einigen Fällen wohl zu Doppelbelastungen und Ineffizienzen geführt hat. Dabei ist insbesondere die Nähe der Deutschen Bundesbank zu den einzelnen Instituten positiv hervorgehoben worden, woraus dann die Anregung erwachsen ist, die Rolle der Deutschen Bundesbank bei der Bankenaufsicht zu stärken. Letztlich ist dabei aber das grundsätzliche Zusammenwirken der beiden Instanzen nicht in Frage gestellt worden, während in den USA an der Vielzahl nationaler und bundesstaatlicher Institutionen, die an der Bankenaufsicht beteiligt sind, durchaus Kritik geübt worden ist. Bei der Frage der inhaltlichen Ausrichtung der Aufsicht spielt natürlich der Ausbau bankaufsichtlicher Kompetenzen und Instrumente eine Rolle. Hier sind insbesondere Forderungen nach einer Verfeinerung bzw. einem Umbau der Risikomesssysteme und der Risikokontrolle sowie des Einbezugs der Liquiditäts- und Fristentransformationsrisiken in die quantitative Bankenaufsicht laut geworden. Die vergangenen Jahre waren im Zuge der Anpassung an die vielfältigen Vorschriften und Regelwerke, die vom Basler Ausschuss für Bankenaufsicht entwickelt und vorgegeben wurden, durch eine immer weiter gehende Technisierung der Instrumente gekennzeichnet, z.B. den Ausbau der Value-at-Risk Risikomessverfahren, der Simulationsrechnungen und Szenarioanalysen sowie vieler anderer statistisch anspruchsvoller Instrumente. Die Konzeption von Basel II sollte ja gerade die bankaufsichtlichen Anforderungen und die von den Kreditinstituten selbst im Eigeninteresse initiierten Risikomess- und Risikomanagementverfahren so weit
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2. Teil: Institutsverantwortung
wie möglich synchronisieren, was dazu führte, dass die Banken je nach den für sie geltenden Anforderungen und dem Ausbaugrad ihrer Risikomanagementsysteme zwischen alternativen Regulierungsansätzen wählen konnten. Nun haben aber die besonders anspruchsvollen und überwiegend technischen Risikomess- und Risikosteuerungsinstrumente das Bankmanagement unter Umständen gegenüber den Ergebnissen robuster Checks immunisiert, so dass die Risikomessung und Risikosteuerung weitgehend den „Technikern“ des Risikomanagements überlassen wurden mit der Folge, dass auch das Gespür für nahe liegende Inkonsistenzen im Ertrags-Risiko-Verhältnis eingegangener Positionen verdrängt wurde und sogar warnende Stimmen in der Bank selbst, die sich nicht auf einem technisch hohen Niveau artikulieren konnten, nicht mehr ernst genommen wurden.4 Kritisiert worden ist auch, dass sich die technisch ausgefeilten Regulierungen immer nur mit der möglichen Insolvenzsituation einzelner Banken befassten und Systemkrisen in den Regelwerken nicht abgebildet sind. Wie die internationale Finanzkrise aber deutlich gemacht hat, sollten Regelwerke gerade auf diese Situation zugeschnitten sein. Dementsprechend gibt es Vorschläge, die Regulierung auf einfache messbare Größen auszurichten und beispielsweise den maximalen Verschuldungsgrad oder eine untere Schranke für den Anteil des Eigenkapitals an der Bilanzsumme vorzuschreiben. Die Zielrichtung ist dabei klar, dass die Regulierung auf Größen abstellen soll, die möglichst transparent sind und innerhalb und außerhalb der Banken von vielen Marktteilnehmern beobachtet werden können. Damit könnte auch im Sinne der zweiten Säule von Basel II die Verbindung der internen Kontrolle zum bankaufsichtlichen Überprüfungsverfahren gestärkt werden. Damit solche Kontrollvorgänge wirksam werden können, bedarf es einer ausreichenden Qualität und entsprechender Anreize der Aufsichts- und Verwaltungsräte, der Wirtschaftprüfer und der Bankmitarbeiter in der Bankenaufsicht. Ganz offensichtlich gibt es hier vielfältige Ansatzpunkte für eine Umorientierung und für Verbesserungen im Einzelnen. Überdacht werden muss ebenfalls, wie Ausnahmebereiche vermieden werden können, die zum Anlass einer Regulierungsarbitrage genommen werden. Die bis zum 4 Die Deutsche Bundesbank fasst auf ihrer Internetseite den Stand der Bankregulierung wie folgt kompakt zusammen (eingesehen am 6. 1. 2009): Auf europäischer Ebene erfolgte die Umsetzung von Basel II in verbindliches Recht durch die Veröffentlichung der Bankenrichtlinie (2006/48/EG) und der Kapitaladäquanzrichtlinie (2006/49/EG) im Juni 2006. In Deutschland findet die Umsetzung von Basel II in nationales Recht durch Änderungen im Kreditwesengesetz und durch ergänzende Verordnungen, insbesondere die Mitte Dezember 2006 veröffentlichte Solvabilitätsverordnung (SolvV) und die Groß- und Millionenkreditverordnung, statt. Der Schwerpunkt der Umsetzung der ersten Säule von Basel II liegt bei der SolvV. Ebenfalls größtenteils in die SolvV übernommen wurde die Baseler Säule 3. Die in der zweiten Säule verankerten qualitativen Anforderungen sind in den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) konkretisiert. In das Rundschreiben 07/2007 der BaFin zu den Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch und der Ermittlung der Auswirkungen einer plötzlichen und unerwarteten Zinsänderung sind die quantitativen Anforderungen der Baseler Säule 2 bzw. der europäischen Bankenrichtlinie zum Zinsschock eingeflossen.
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§ 3 Die internationale Finanzkrise
Inkrafttreten von Basel II im Januar 2008 keinen regulativen Eigenkapitalanforderungen unterworfenen Liquiditätszusagen an die in den USA tätigen Conduits gehören ebenso dazu wie die 2004 erlassene, in der Zwischenzeit aber nicht mehr relevante Ausnahmeregelung für die amerikanischen Investmentbanken, die Leverage-Ratios zwischen den Risikoaktiva und ihrem Eigenkapital von mitunter 1 zu 40 ermöglicht hatten.5 Mindesteigenkapitalvorschriften sollten in jedem Fall keinen Unterschied bei der Aufspaltung der Geschäfte auf unterschiedliche Teilgesellschaften machen. Die Vorschriften des Baseler Ausschusses sind nicht nur wegen ihres hohen Komplexitätsgrades, sondern auch im Hinblick darauf kritisiert worden, dass sie für das gesamte Bankensystem prozyklische Wirkungen entfalten können. Bei einem in den Risikomesssystemen festgestellten Rückgang der Risiken wegen eines guten konjunkturellen Umfeldes übernehmen die Kreditinstitute zusätzliche Risiken und fordern von ihren Kunden auch gegebenenfalls nur geringe Risikoprämien und Kreditsicherheiten. Darüber hinaus besteht bei den Aktienbanken sogar die Neigung, durch Aktienrückkäufe das Eigenkapital zu verringern, um den Leverageeffekt auszunutzen und die Eigenkapitalrendite zu steigern. Kommt es dann aber wegen eines konjunkturellen Umschwungs zu einem Anstieg der gemessenen Risiken, so ergibt sich bei allen Kreditinstituten gleichermaßen ein Zwang zum Abbau von Risikopositionen bzw. zur Aufstockung des Eigenkapitals, also einem „deleveraging“. Die im Regelwerk von Basel II vorgenommene enge Verbindung zwischen den gemessenen Risiken und dem geforderten Eigenkapital erfordert im Konjunkturabschwung einen Abbau der übernommenen Risiken bzw. verhindert die Übernahme neuer Risiken und schränkt damit die Aktivitäten im Realsektor der Wirtschaft ein, weil der Abbau der Risiken nur über einen Abbau von Assets möglich ist und damit eine Einschränkung der Bereitschaft zur Kreditvergabe einhergeht. Zur Vermeidung der Gefahren eines Credit Crunch im Konjunkturrückgang durch die Eigenkapitalregulierung werden höhere Eigenkapitalpuffer in konjunkturell günstigen Situationen, die dann im Abschwung ohne Anpassungszwang abgebaut werden können, sowie weniger risikosensitive und damit weniger zyklisch wirkende Eigenkapitalvorschriften gefordert. Vorstellbar scheint auch eine gewisse Anbindung des Mindesteigenkapitals der Kreditinstitute an Abweichungen des aktuellen Bilanzwertes der Assets von ihrem langfristigen Durchschnittswert zu sein, der beispielsweise durch eine offizielle Stelle benannt werden könnte und dem damit der Charakter eines Fundamentalwertes zukäme. Als besonderes Problem hat sich in der Finanzkrise nämlich die Anbindung des aufsichtlichen Mindesteigenkapitals der Banken an die Bilanzansätze nach dem Fair Value Prinzip herausgestellt, denen ihrerseits schon gewisse prozyklische Wirkungen zugeschrieben werden. Eine Studie der Universität Bochum und Oppenheim Research vom September 2008 bescheinigt dem Fair Value Accounting zwar, dass es
5
Vgl. Paul (2008), S. 14.
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2. Teil: Institutsverantwortung
nicht als Ursache der internationalen Finanzkrise ausgemacht werden kann, dass aber das Tageswertprinzip die Verschärfung der Krise zum Flächenbrand begünstigt hat. Insbesondere wird festgestellt, dass das IFSR Fair Value Accounting bei Kreditinstituten und Versicherungen prozyklische Ergebniseffekte und steigende Ergebnisvolatilitäten bewirkt. Da bei den Kreditinstituten und Versicherungen an das bilanzielle Eigenkapital auch noch Rechts- und Handlungsfolgen der Aufsichtsbehörden gebunden sind, werden Finanzkrisen und realwirtschaftliche Schocks durch das Fair Value Accounting eng aneinander gebunden. Technische Anpassungen der Definition von Fair Values bei illiquiden Assets sind in der Zwischenzeit vorgenommen worden. Weitergehend kann man sich aber vorstellen, dass regulierende Vorschriften insgesamt von den aktuellen Tageswerten hinreichend entkoppelt werden, was in Verbindung mit den Forderungen nach einfach messbaren Systemen wie Verschuldungsgraden und Eigenkapitalbilanzsummenrelationen ebenfalls für eine Vereinfachung der aufsichtlichen Risikomesssysteme spricht.6
2.
Abbau von Friktionen im Prozess des Kreditrisikotransfers
Lösungsvorschläge zur Krisenbewältigung und Prophylaxe dürfen sich natürlich nicht auf Anpassungen oder den Ausbau regulativer Maßnahmen beschränken, sondern müssen auch bei den Kreditinstituten selbst ansetzen, die zumindest aus der ex post Perspektive ganz offensichtlich in ihrer Gesamtheit im Risikomanagement erhebliche Defizite aufweisen. Der Verdacht liegt nahe, dass die Risiken aus den Liquiditätszusagen unterhalb der Messschwellen lagen, weil sonst die im Verhältnis zum Geschäftsvolumen bzw. zur Bilanzsumme enormen Volumina nicht hätten aufgebaut worden können. Wenn allerdings Vorschläge für die Kreditwirtschaft formuliert werden, so gilt es dabei zu beachten, dass die Geschäftsmodelle der Banken weltweit sehr unterschiedlich sind. Wenn beispielsweise vorgeschlagen wird, die Friktionen der auf viele beteiligte Akteure aufgelösten Wertschöpfungskette im Risikotransferprozess abzubauen, so trifft dieser Hinweis überwiegend den amerikanischen Bankenmarkt, ist aber für den deutschen Markt weitgehend gegenstandslos, weil hier beispielsweise die BaFin darauf dringt, dass das Outsourcing bestimmter Teilleistungen unter der strikten Verantwortung der auslagernden Stellen erfolgt. Die besonders sorgfältig konstruierten True Sale Transaktionen am deutschen Markt sind mit den Transaktionen zum Kreditrisikotransfer am amerikanischen Markt für Wohnimmobilienkredite in keiner Weise vergleichbar. In den USA hat das „Originate and Distribute Modell“ dazu beigetragen, dass vielfältige Friktionen zwischen den Kreditnehmern, den Originatoren und Arrangeuren der Kreditpools sowie zwischen den Arrangeuren der Pools und den Asset Managern bzw. den Investoren aufgetreten sind. Die hinter diesen Friktionen stehenden
6
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Vgl. zur aktuellen Diskussion Baetge/Brembt/ Brüggemann (2008).
§ 3 Die internationale Finanzkrise
Probleme der asymmetrischen Informationsverteilung und die damit zusammenhängenden Risiken des Moral Hazard, der Adverse Selection und der Collusion sind dort schlicht verdrängt worden. Die diesbezüglichen Lösungsvorschläge betreffen dementsprechend die Sorgfaltspflichten auf den einzelnen Stufen des Kreditvergabeprozesses sowie die Prozesse des Risikotransfers. Gefordert wird insbesondere die Umgestaltung der Bonusverträge für die verschiedenen Transaktionspartner hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit und der Teilnahme an einem in den Folgeperioden auftretenden Verlust. Ein rein umsatz- oder ergebnisorientierter Ansatz führt, wie die Subprime Krise deutlich gezeigt hat, zum ungebremsten Aufbau von Risiken, weil die beteiligten Akteure nur in den Genuss der positiven Ergebnisverbesserung, nicht aber in die missliche Situation der Verlustteilnahme in den Folgeperioden gebracht werden. Darüber hinaus muss sicherlich auch im Kreditvermittlungsgeschäft, das für den amerikanischen Bankenmarkt nicht ungewöhnlich ist, eine ausreichende Qualitätskontrolle der Beteiligten, der Prozesse sowie der dort abgeschlossenen Verträge gewährleistet werden. In eine ähnliche Richtung weisen auch alle Vorschläge, auf die hier nicht im Einzelnen eingegangen werden soll, die sich mit den Messsystemen und dem Verhalten der Ratingagenturen in der Krise beschäftigen. Insbesondere ist in der Zwischenzeit die Forderung nach einem Verbot der gleichzeitigen Beratung und Bewertung im Verbriefungsgeschäft sowie der Kreierung strukturierter Produkte Allgemeingut geworden. Bezüglich der („toxischen“) Produkte, die zu Beginn der Krise an Wert verloren haben, nämlich der Collateralized Debt Obligations in ihren verschiedenen Ausprägungen, wird neben einer größeren Transparenz ein Selbstbehalt (Equity Piece) der Emittenten bzw. Originatoren und Arrangeure gefordert, der eine Weitergabe der entsprechenden erwarteten Verluste an Dritte ausschließt. Damit sollen Adverse Selection- und Moral Hazard-Probleme vermindert werden, die aus der pauschalen Weitergabe aller Risiken resultieren können. Dieser rigorose Vorschlag wird aber ebenso kritisiert wie der Vorschlag, von jeder emittierten Tranche der CDOs einen Selbstbehalt beim Verkäufer zu belassen, weil damit der Risikotransfer insgesamt weitgehend unterbunden werden könnte. Die Umsetzung einer rigorosen Selbstbehaltsregel kann sehr schnell dazu führen, dass der Markt austrocknet, was zu einem Effizienzverlust führen würde. Es gilt also nach Lösungen zu suchen, die entsprechende Transaktionskosten vermindern können. Als weiteres Problem hat sich herausgestellt, dass die Risikonehmer im Transferprozess stark konzentriert waren und daher das Gegenparteirisiko bei der Weitergabe von Kreditrisiken in der Krise nicht vernachlässigt werden darf. Hier sollte sich in der Zukunft für die Börsen ein attraktives Geschäftsfeld ergeben, weil diese über ihre Clearinghäuser erstens einen liquiden Markt für die Credit Default Swaps bilden und zweitens über ihre Marginsysteme sicherstellen können, dass die Sicherungsgeber auch in Krisensituationen ihren Verpflichtungen nachkommen können, so dass die Sicherungsnehmer kein Gegenparteirisiko tragen müssen. Ein weiterer Vorschlag im Hinblick auf den Abbau von Friktionen in der Wertschöpfungskette
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2. Teil: Institutsverantwortung
des Kreditprozesses betrifft das Verhalten der Anleger, die in der Vergangenheit offensichtlich sehr sorglos in die komplexen Produkte investiert haben und gezwungen werden könnten, die ökonomische Basis für ihre Anlageentscheidungen zu dokumentieren. Neben den verschiedenen Vorschlägen zum Abbau von Friktionen in der stark aufgegliederten Wertschöpfungskette des Kreditprozesses konzentrieren sich die Vorschläge, die auf die Verantwortung der Institute selbst abstellen, auf Verbesserungen im Aufbau und im Prozess des Risikomanagements der Banken. 3.
Verbesserungen in der Risikokontrolle und im Risikomanagement
Es ist schon im Zusammenhang mit den bankaufsichtlichen Vorschriften darauf hingewiesen worden, dass sich das Instrumentarium der Risikomessung und Risikosteuerung sehr technisiert hat. Dabei ist das Augenmerk stark auf Systeme gelegt worden, die auf Informationen aus Datenreihen der Vergangenheit aufbauen. Die Finanzkrise hat nun gezeigt, dass die gemessenen Kursvolatilitäten und Kurskorrelationen vieler Assets starken Veränderungen unterlegen sind. Dabei war es auch weniger bedeutend, ob die zuvor verwendeten Datenreihen eine 5-jährige oder eine längere Historie korrekt abgebildet haben. Die bedingten Volatilitäten und Korrelationen in Krisensituationen zeigten andere Muster als die über Jahre gemessenen durchschnittlichen Assetpreise und Renditen. Da es noch keine Erfahrungen mit der jetzigen Liquiditäts- und Solvenzkrise geben konnte, konnten selbst in den Stressszenarien die letztlich entscheidenden Risikofaktoren nicht in ausreichendem Maße berücksichtigen werden. In die Richtung robuster Checks kann auch der Hinweis gedeutet werden, dass sich Frühwarnindikatoren für Risiken außerhalb der eigentlichen Risikomesssysteme aufbauen lassen, wenn z. B. hohe Spreads am Markt beobachtet werden können, die dafür sprechen, dass dort Risikoprämien enthalten sind. Andererseits hat sich in der Subprime Krise gezeigt, dass Spreads bis zum Eintritt der Krise zum Teil völlig insensitiv bezüglich der eingegangenen Risiken waren. Als Lösungsvorschläge werden hier insbesondere die Verbesserung der Stresstests und der Szenarioanalysen vorgebracht, der Ausbau und die Stärkung von Plausibilitätstests und, woran der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht und die Bankaufsichtsbehörden in besonderer Weise gearbeitet haben, der Ausbau des Liquiditätsrisikomanagements. Hinsichtlich der Risikomessung mit Hilfe des Value-at-Risk Ansatzes liegt der Verdacht nahe, dass die Banken in der Vergangenheit sehr hohe mögliche Verluste unterbewertet haben, sofern deren Eintrittswahrscheinlichkeit als äußerst klein eingestuft wurde. Ein Value-at-Risk von Null kann einen sehr hohen Verlustbetrag beinhalten, auch wenn das gemessene Risiko unter der Messschwelle liegt, weil das Verlustereignis eine für die Vorgabe zu niedrige Eintrittswahrscheinlichkeit aufweist. Die in der Krise zu Tage getretenen Verluste haben deutlich gemacht, dass die Häufigkeit hoher Verluste größer ist als in den Systemen unterstellt. Die Hinweise
70
§ 3 Die internationale Finanzkrise
auf fette Enden (fat tails) der Ergebnisverteilungen haben nicht nur ihren Niederschlag in den Simulationsrechnungen, sondern schließlich auch in der Realität gefunden.
4.
Perspektiven für eine Neuordnung der Verantwortlichkeiten
„An die Banken richten sich viele Erwartungen, einmal Finanzstabilität, ein andermal Arbeitsplätze, dann Mittelstandsfinanzierung oder die Rettung von Konzernen wie Holzmann. Die Konflikte die aus öffentlichen Ansprüchen an private Unternehmen entstehen, werden übersehen.“7 Gerade weil die Kreditwirtschaft gegenüber anderen Akteuren an den Märkten unverzichtbare Leistungen erbringt, sind die Ansprüche und Erwartungen besonders ausgeprägt. Letztlich ist diese für die Gesamtwirtschaft unverzichtbare Funktion auch der Grund, dass der Finanzsektor in besonderer Weise ausgeprägten Regulierungen unterliegt. Im Rahmen dieses Regulierungsrahmens muss es aber den Kreditinstituten gestattet sein, sich als normale Marktteilnehmer zu bewegen, die ihre Steuerungssysteme auf ihren eigenen bzw. den Vorteil ihrer Eigentümer ausrichten. Daher kann es kontraproduktiv sein, sie jenseits der bankaufsichtlichen Regulierungen mit anderen als den üblichen Ansprüchen zu messen oder zu konfrontieren, die an die Unternehmen und deren Management generell in einer Marktwirtschaft gestellt werden müssen. Ein weitergehender Staatseinfluss ist dabei genauso abzulehnen wie eine Gleichschaltung aller Akteure an den Finanzmärkten. Diese würde einerseits den Fortschritt im Bereich der Finanzwirtschaft behindern und andererseits Anlass zu einem noch weitergehenden gleichgerichteten Verhalten geben, worin der Keim einer neuen internationalen Finanzkrise schon enthalten sein könnte.
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3. Teil: Managementverantwortung § 4 Bankenkrise und Organhaftung Marcus Lutter Bankiers in Deutschland und auf der ganzen Welt haben mit ihren riesigen Spekulationen in amerikanischen Wertpapieren ein großes Unglück angerichtet, haben eine weltweite Bankenkrise ausgelöst und in ihrem Gefolge eine weltweite Wirtschaftskrise. Die Politik aller Länder bemüht sich mit wiederum riesigen Summen der Steuerzahler um Eindämmung der Krisen. Darüber ist bisher die Frage nach der Verantwortung der Bankiers vergessen worden. Das wird hier nachgeholt.
I.
Einleitung
Die Bankenkrise ist in aller Munde und die Vorschläge zu ihrer Überwindung überschlagen sich weltweit. Diese Krise ist aber nicht vom Himmel gefallen, sondern ist das Werk von Menschen, vor allem von Bankiers. Über ihre Verantwortung und ihre etwaige persönliche Haftung wird bislang geschwiegen. Das mag mit der unerhörten Höhe der Schäden zusammenhängen, die die Kraft einzelner Menschen zur Kompensation weit übersteigt. Dennoch muss man wissen, ob und welche Pflichten verletzt worden sind und sei es auch nur zu ihrer Vermeidung in der Zukunft. Im Übrigen ist es angemessen, wenn die Verantwortlichen und ihre Versicherungen wenigstens ihr Schärflein zur Schadensbegrenzung beitragen, wie das in diesen Tagen die einstigen Manager der Schweizer UBS getan haben. Diese Abhandlung will also der Frage nachgehen, ob Vorstände und Aufsichtsräte und Abschlussprüfer deutscher Banken ihre Pflichten verletzt haben. Ehe man damit beginnen kann, gilt es, den Sachverhalt zu klären, auf den dann die rechtlichen Überlegungen aufsetzen können.
II.
Sachverhalt
Nicht nur Spezialinstitute wie Hypothekenbanken, sondern praktisch alle Banken geben hypothekarisch gesicherte Darlehen an ihre Kunden, die ein Haus bauen oder kaufen wollen. So ist es auch in den USA. Normalerweise nehmen die Banken diese Darlehen in ihren Bestand und warten die Zins- und Tilgungsleistungen ab. Bis, ja bis einer dieser amerikanischen Bankiers, nämlich Lewis Ranieri, auf die Idee kam,
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3. Teil: Managementverantwortung
diese vielen Hunderte und Tausende Darlehen an eine von ihm gegründete Zweckgesellschaft – sog. Single Purpose Corporation – abzutreten. Diese bündelte die vielen vielen Darlehen und gab darauf Wertpapiere aus, die an den hypothekarisch gesicherten Zins- und Rückzahlungen der Häuslebauer bzw. -käufer entsprechend partizipieren, sog. Mortgage Backed Securities (MBS) oder auf deutsch: hypothekenbesicherte Wertpapiere. Eine Emittentenhaftung der Zweckgesellschaft gab und gibt es nicht. Das neue Geschäftsmodell breitete sich aus wie ein Flächenbrand und spülte den amerikanischen Banken immer neues Geld in die Kassen, die damit immer schlechtere Kunden finanzierten. Die Papiere der Zweckgesellschaften wurden geratet, gingen an institutionelle Anleger wie Banken, Hedgefonds etc. weltweit weg wie warme Semmeln, da ihre Verzinsung leicht über dem damals sehr niedrigen Marktzins lag. Diese Wertpapiere amerikanischen Rechts waren an keiner Börse notiert, doch bildete sich rasch ein informeller Markt. Als aber immer mehr Häuslebauer ihre Zins- und Rückzahlungen einstellten und die Papiere nicht mehr bedient werden konnten, brach dieser Markt zusammen und die Papiere wurden unverkäuflich und damit praktisch wertlos. Kein Mensch weiß, wie viele dieser Papiere in Umlauf gebracht worden sind; die Untergrenze der Schätzungen liegt bei 800 Mrd. Dollar, die Obergrenze bei 2,8 Billionen immerhin eine Schätzung der Bank of England 1. Das System und die Wertpapiere hatten von Anfang an drei große Schwächen: 1. Im Gegensatz zu unseren Pfandbriefen gibt es hier keine Haftung der emittierenden Zweckgesellschaft. Die Zins- und Kapitalrückzahlung hängt also allein von der Zahlungsbereitschaft und Zahlungsfähigkeit der Häuslebauer ab. 2. Die Verträge, die den Wertpapieren zugrunde lagen und liegen, sind ungemein komplex, 400 bis 500 Seiten lang und sie enthielten irgendwo auf S. 390 die Bestimmung, daß die Zweckgesellschaft einzelne Darlehen aus dem Bündel herausnehmen und dafür andere hineinlegen dürfe. Als die neuen Darlehen immer schlechter wurden, wurde davon reichlich Gebrauch gemacht: gute raus und schlechte rein, zuletzt auch Verbraucherkredite und Kreditkarten-Forderungen. 3. Die amerikanischen Rating-Agenturen haben Erfahrung mit dem Raten von Unternehmen, ihren Aktien und Schuldverschreibungen. Das Raten von Darlehen an Häuslebauer und Verbraucher war ihnen hingegen ganz und gar fremd. Wie fremd, wird an ihren katastrophalen Fehleinschätzungen deutlich, auf die sich weltweit die Bankiers verlassen haben. Auf diesem Hintergrund haben deutsche Banken, private wie die IKB und öffentliche wie die SachsenLB und die BayernLB Milliarden und Milliarden Euro in diese Papiere investiert, alle kurzfristig finanziert, so dass sie mit dem Zusammenbruch des Marktes dieser Papiere nicht nur überschuldet, sondern illiquide wurden. 1 Zum Sachverhalt vgl. die sorgfältige Darstellung in DIE ZEIT Nr. 49 vom 27. November 2008, S. 17 ff.; vgl. weiter Rudolph, Lehren aus den Ursachen und dem Verlauf der internationalen Finanzkrise, zfbf 2008, 713 ff. und Hellwig, Systematic Risk in the Financial Sector, Bonn 2008.
78
§ 4 Bankenkrise und Organhaftung
III.
Rechtliche Betrachtungen
Soviel zum Sachverhalt. Jetzt zur rechtlichen Wertung in Bezug auf Pflichtverletzungen und die etwaige persönliche Haftung der deutschen Bank-Manager und ihrer Aufseher.
1.
Öffentlich-rechtliche Banken
Für die Vorstände, Aufsichtsräte und Verwaltungsräte der hier involvierten öffentlich-rechtlichen Banken und nur für sie stellt sich als erstes die Frage, ob sie nach den für sie geltenden Regeln des öffentlichen Rechts diese Geschäfte überhaupt hätten betreiben dürfen. Diese sehr schwierige Frage wird hier ausgespart.
2.
Sorgfaltspflicht
Für alle betroffenen Vorstände, Aufsichtsräte und Verwaltungsräte geht es um die Frage, ob sie bei diesen Geschäften die Sorgfalt eines gewissenhaften Bankiers bzw. eines gewissenhaften Aufsichts- oder Verwaltungsrats beachtet haben, §§ 93, 116 AktG 2.
3.
Vorstände
a) Über die Sorgfalts-Anforderungen an einen Bankier wissen wir durch die Regeln des KWG 3, durch internationale Abmachungen wie Basel II sowie die Vorgaben der BaFin 4 relativ gut Bescheid. In unserem Zusammenhang spielen dabei drei Aspekte eine besondere Rolle: das Handeln auf ausreichend informierter Grundlage, die Vermeidung von übergroßen Risiken, insbesondere sogenannten Klumpen-Risiken, und die Einhaltung professioneller Regeln. Das Handeln auf ausreichend informierter Grundlage schützt den Bankier, weil er dann durch die Business Judgment Rule vom unternehmerischen Risiko freigestellt ist 5. Sie schützt aber auch die betreffende Gesellschaft, weil nur auf diese Weise das ihr zugewiesene unternehmerische Risiko begrenzt werden kann. 2 Diese Vorschriften gelten für die öffentlich-rechtlichen Banken nicht unmittelbar, de facto aber auf Grund entsprechender Anwendung; näher dazu Lutter, Pflichten und Haftung von Sparkassenorganen, 1991, S. 4 ff. 3 Vgl. dazu Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 1. Aufl. 1995, Tz. 15.54 ff. und 3. Aufl. 2005, Tz. 19.42 und 19.111 ff. Allein zu den Grundsätzen I und II (§§ 10 u. 10a KWG) gibt es in der Sammlung von Consbruch/Fischer, KWG (Stand August 2008), S. 169 einzelne Aussagen. 4 Allein die Erläuterungen der BaFin in den sog. MaRisk vom 30.10.2007 umfassen mehr als 40 Einzelaussagen auf 50 eng beschriebenen Seiten. 5 Näher dazu Lutter, ZIP 2007, 841 ff.; Fleischer in Fleischer (Hrsg.), Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 7 Rn. 45 ff.; Krieger/Sailer, in K. Schmidt/Lutter (Hrsg.), Kommentar zum AktG, 2008, § 93 Rn. 10 ff.
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3. Teil: Managementverantwortung
Fraglich ist also, ob die betreffenden Bankiers beim Kauf dieser amerikanischen Wertpapiere ausreichend informiert waren 6. Anders gewendet: Was muss ein Bankier beim Erwerb eines solchen Papieres wissen und was hat er gewusst? (1) Zunächst einmal muss der Bankier die Haftungsverhältnisse des Papiers kennen. Da nun ist von großem Gewicht, dass die emittierenden amerikanischen Zweckgesellschaften nicht haften. Aber auch die Häuslebauer und -käufer haften keineswegs notwendig; nach einigen amerikanischen Landes-Rechten beschränkt sich die Haftung auf das belastete Haus: der Eigentümer gibt den Schlüssel für das haftende Haus bei der Bank ab und zieht zwar ohne Haus, aber schuldenfrei weiter. Als Haftungssubstrat stehen also in vielen Fällen nur die belasteten Häuser zur Verfügung. Das ist keine sehr starke Stellung für den Gläubiger in Europa dann, wenn die Schuldner in relevanter Zahl ausfallen und verschwinden. (2) Sodann muss der Bankier die rechtlichen Daten des Papiers kennen und abwägen. Das sind die berühmten 400–500 Seiten-Verträge auf Englisch. Man kann sicher sein, dass keiner der handelnden Bankiers sie gelesen und studiert hat. Hoffen wir, dass es sein Justitiar getan hat. Immerhin wäre ihm oder dem Justitiar dann aufgefallen, dass sich die Qualität seines Wertpapiers ohne sein Zutun gegenüber dem Zeitpunkt des Ratings beliebig verschlechtern kann. Und so ist es dann ja auch geschehen. (3) Weiterhin wurden die Papiere im Umlaufvermögen der Bank gehalten, sollten also liquide sein und nicht auf ewig und immer gehalten werden. Das galt umso mehr, als diese Papiere ihrerseits finanziert waren und nicht etwa ganz oder teilweise aus dem Eigenkapital der Bank bezahlt worden sind 7. Hier galt es also für den Bankier, den Markt für diese Papiere zu analysieren und abzuschätzen. Dabei wäre deutlich geworden, dass dieser Markt in keiner Weise institutionalisiert, also unerhört labil war. Gibt es plötzlich und aus welchen Gründen auch immer keine Käufer für diese Papiere mehr, so existiert der Markt schlicht nicht mehr. Und so ist es ja auch geschehen. (4) Man kann sich schwer vorstellen, dass die handelnden Bankiers über all das wirklich informiert waren. Übrigens trifft sie im Haftungsprozess dafür die Beweislast 8. Waren sie aber tatsächlich informiert, dann haben sie für einen kleinen Zinsvorteil ungewöhnlich hohe Risiken auf ihre Bank genommen.
6 Die Pflicht des Vorstands, nur auf der Grundlage ausreichender Information zu handeln, ist als Teilaspekt seiner Sorgfaltspflicht unstr.; vgl. nur BGH v. 21.4.1997, II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 (ARAG) und OLG Hamm, v. 10.5.1995, 8 U 59/94, ZIP 1995, 1263, 1269; Lutter, aaO.; Krieger/Sailer, aaO., § 93 Rn. 13; Spindler, in: Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 93 Rn. 47; Hopt, in: Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 93 Rn. 84. 7 Spanien ist von der Bankenkrise verschont geblieben, weil dort die Bankenaufsicht die Unterlegung dieser Papiere mit Eigenkapital der Bank verlangt hat. Dadurch waren die Papiere nicht mehr attraktiv und wurden von den spanischen Banken nicht gekauft. Auch in Deutschland hätte das die BaFin tun können, hat es aber versäumt. 8 Dazu Goette, ZGR 1995, 648 ff.; Lutter, aaO., S. 846; Fleischer, aaO., § 11 Rn. 69 ff.; Krieger/Sailer, aaO., § 93 Rn. 31 ff.; vgl. auch BGH v. 4.11.2002, II ZR 224/00, ZIP 2002, 2314 ff.
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§ 4 Bankenkrise und Organhaftung
Die Bankiers werden sich auf das Rating dieser Papiere berufen und erklären, damit entfalle ihre Pflicht zu eigener Information; das alles sei ja durch die Rating-Agentur geprüft worden. Diese Argumentation wäre schon im Ansatz verfehlt; denn die Vorstände müssen selbst verantwortlich handeln. Im Übrigen hätte ihnen auffallen müssen, dass die häufig AAA geratete Qualität eines von einer selbst nicht haftenden Zweckgesellschaft ausgegebenen Wertpapiers über Forderungen an Tausende unbekannter Dritter schlechthin nicht gleich der Schuldverschreibung eines AAA gerateten und haftenden Unternehmens, wie Daimler oder General Electric sein kann. b) Damit ist schon das Stichwort des nächsten Prüfungsabschnittes gefallen: übergroße Risiken. Kein Manager, gleich ob Bankier oder Vorstand eines Industrieoder Handelsunternehmens, handelt sorgfältig, wenn er Risiken für sein Unternehmen eingeht, die, wenn sie sich verwirklichen, zum Untergang dieses Unternehmens führen können 9. So aber war es hier. Angenommen, die Bankiers waren informiert, so hätten sie sehenden Auges – das rechtliche Risiko dieser Papiere – ihr Qualitätsrisiko – das Marktrisiko und – das Klumpenrisiko auf die Bank genommen und das gleich in Höhe von 20 Milliarden (IKB, WestLB und BayernLB) bzw. 30 Milliarden (SachsenLB). Die Folgen kennen wir: ohne die Hilfe von außen wäre jede dieser Banken heute wie Lehman Brother in New York insolvent. Die fraglichen Bankiers haben also weit überzogene Risiken auf ihre Bank genommen. c) Bleibt als letztes die Frage, ob die Bankiers in diesem Zusammenhang auch gegen Sorgfaltsregeln ihres Metiers verstoßen haben. Das ist der Fall. Seit eh und je gilt der Grundsatz, dass langfristige Engagements nicht kurzfristig finanziert werden dürfen10. So aber war es offenbar hier. Die Milliarden-Investitionen in die amerikanischen Wertpapiere waren offenbar kurzfristig finanziert. Denn nach dem Zusammenbruch des Marktes haben sich die fraglichen Banken nicht etwa wegen der hohen Buchverluste für überschuldet erklärt, sondern für illiquide. Das aber signalisiert, dass kurzfristige Verbindlichkeiten aus dem Engagement nicht mehr erfüllt werden konnten.
9 BGHZ 135, 244 ff.; Lutter, aaO., S. 845; Krieger/Sailer, aaO., § 93 Rn. 13; Hopt, aaO., § 93 Rn. 82; Mertens, in: Kölner Komm. AktG, 2. Aufl., § 93 Rn. 49. 10 Kümpel, aaO., 1. Aufl., Ziff. 15.91 f. und 3. Aufl., Ziff. 19.148 ff.; vgl. auch § 11 KWG und dort die Grundsätze I und II sowie Fischer, Bankrecht, 3. Aufl., Ziff. 2.151 und C.P. Claussen, Bankrecht, 3. Aufl., § 3 Rn. 10 zur „Goldenen Bankregel“.
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3. Teil: Managementverantwortung
Darüber hinaus widerspricht auch das eingegangene Klumpenrisiko den Sorgfaltsregeln für einen Bankier 11. Was er schon nach den gesetzlichen Regeln bei Großkrediten und Krediten an Konzerngesellschaften beachten muss, gilt als Sorgfaltsregel natürlich auch für alle anderen Risiken. Hier wird mit Sicherheit eingewandt werden, dass es ganz verschiedene Wertpapiere unterschiedlicher Emittenten waren. Das ist zwar richtig, beseitigt aber das Klumpenrisiko nicht. Da die Emittenten der Papiere nicht haften, spielt die Frage, ob die Papiere von A oder B kommen, keine Rolle: das Risiko bleibt gleich. Aber auch der Inhalt dieser Papiere und ihr Risiko waren gleich: Es ging um Hypothekarkredite gegenüber einer großen Zahl unbekannter Schuldner. Die Gefahr etwaiger Ausfälle war ganz und gar gleich. Genau dem will das Gebot, Klumpenrisiken zu vermeiden, entgegenwirken 12. Im Übrigen hätten schon die einfachsten Sorgfaltsregeln die Bankiers misstrauisch und zurückhaltend machen müssen. Welcher sorgfältige Bankier investiert schon für seine mittelständische Bank ein Drittel der Bilanzsumme in ausländische, weitgehend unbekannte Wertpapiere (so die IKB), wer eine Summe in Höhe des dreifachen Landeshaushalts (so die SachsenLB)? Hier wäre die Bankenaufsicht sicher eingeschritten, hätten die heute insolventen Banken das Geschehen nicht mit Hilfe von Tochter- und Zweckgesellschaften ins Ausland verlegt (Irland, USA) und damit den Eingriffsmöglichkeiten der BaFin entzogen. Rätselhaft aber bleibt, dass diese nicht wegen der beiden Banken verbliebenen irrsinnig hohen Bürgschafts- und Garantie-Risiken eingeschritten ist.
IV.
Ergebnis
Was also ist das Ergebnis unserer Untersuchung und was sind die Rechtsfolgen?
1.
Vorstände
a) Ob die Vorstände der betreffenden Banken auf dem Hintergrund ausreichender Information über rechtliche Struktur und Risiken der fraglichen Papiere gehandelt haben, ist nicht geklärt. Insbesondere dort, wo durch Tochtergesellschaften (WestLB) oder Tochter-Zweckgesellschaften (SachsenLB) gehandelt wurde, könnten daran Zweifel bestehen. b) Sicher ist, dass alle Vorstände gegen das Verbot der Übernahme übergroßer Risiken und sogenannter Klumpenrisiken verstoßen und so die Sorgfaltspflicht verletzt haben. 11 Kümpel, aaO., 1. Aufl., Ziff. 15.32 f. und 3. Aufl., Ziff. 19.171 ff. sowie Fischer, aaO., Ziff. 2.168. Der Gesetzgeber hat das für so wichtig angesehen, dass er bestimmte Klumpenrisiken schlicht verboten hat, §§ 13, 13a KWG; vgl. dazu C.P. Claussen, aaO., § 3 Rn. 8. 12 Claussen, aaO.
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§ 4 Bankenkrise und Organhaftung
c) Naheliegend und wahrscheinlich haben sie darüber hinaus gegen die Regel verstoßen, dass längerfristige Engagements nicht kurzfristig finanziert werden dürfen. d) Das alles gilt auch dann, wenn die fraglichen Geschäfte durch Tochtergesellschaften oder sogenannte Zweckgesellschaften abgewickelt wurden. Denn die fraglichen Vorstände haben dafür in verschiedenster Weise die Haftung ihrer Banken erklärt. Die Vorstände hätten daher die Geschäftsführer dieser Tochter- und Zweckgesellschaften sorgfältig überwachen und die absurd hohen Risiken verhindern müssen. e) Die Aufsichtsräte und Verwaltungsräte dieser Vorstände sind also von Rechts wegen verpflichtet, gegen diese auf Leistung von Schadensersatz vorzugehen. Das gilt umso mehr, als häufig nur dann die hier nützlichen Leistungen einer D+O-Versicherung in Anspruch genommen werden können. Verzögern die Aufsichtsräte dieses Vorgehen und lassen sie gar Verjährung eintreten, so haften sie selbst. Das alles ist durch den Bundesgerichtshof in der berühmten ARAG-Entscheidung geklärt 13.
2.
Haftung der Aufsichtsräte/Verwaltungsräte
Die Aufsichts- und Verwaltungsräte dieser Banken sind zur Überwachung der Geschäftsführung ihrer Vorstände verpflichtet mit dem Ziel, solche Unglücke zu verhindern. Das gerade ist der Sinn des sog. dualen Systems, in ihm findet es seine Bewährung oder eben nicht. Von einigen dieser Räte, wie dem Verwaltungsrat der BayernLB, weiß man, dass sie dem Geschehen und mithin dem pflichtwidrigen Handeln der Vorstände sogar ausdrücklich zugestimmt haben. Ihre Haftung ist fraglos. In allen anderen Fällen kommt es darauf an, was die Aufsichts- und Verwaltungsräte aufgrund der Berichte ihrer Vorstände wussten oder bei entsprechender Sorgfalt hätten wissen können: Möglich ist durchaus, dass Vorstände diese Geschehnisse in Tochter- und Zweckgesellschaften verlagert haben, gerade um diese vor ihren Aufsichtsräten zu verschleiern. Andererseits sind die einige Jahre lang hohen Erträge nicht aus dem Nichts gekommen. Die Aufsichts- und Verwaltungsräte müssten also im Grunde das System kennen. Dennoch: Hier bedarf es der Aufklärung in jedem Einzelfall. Fraglich ist nur, wer das machen soll. Denn Ansprüche der Gesellschaft gegen Aufsichts- und Verwaltungsräte macht der Vorstand geltend, § 78 AktG. Das ist schon an sich grotesk genug – welcher Vorstand klagt schon gegen seinen Aufsichtsrat? –, ist hier aber doppelt verfehlt, weil die Vorstände selbst und in der gleichen Sache involviert sind. Hier kann nur die Sonderprüfung nach §§ 142 ff. AktG oder die Aktionärsklage nach § 148 AktG bei den privaten Bank-Aktiengesellschaften helfen.
13
BGHZ 135, 244 (ARAG).
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3. Teil: Managementverantwortung
Ob sich die Eigner der öffentlich-rechtlichen Landesbanken, also die Sparkassen und die betroffenen Bundesländer Sachsen, Bayern, Nordrhein-Westfalen und jetzt auch Baden-Württemberg dazu aufraffen werden, ist außerordentlich zweifelhaft.
3.
Appendix: Haftung der Abschlussprüfer
a) Auch der Abschlussprüfer ist zu sorgfältiger Amtsausübung verpflichtet; das folgt schon aus seinem Prüfvertrag mit der Gesellschaft, im übrigen aus § 323 HGB. Unabhängig von der Frage, ob die handelnden Tochter- (WestLB) oder Zweckgesellschaften (SachsenLB) mit ihren hohen Aktiva und Passiva in die Konzernbilanz aufgenommen werden mussten, bestanden hohe Bürgschaften und Garantien der jeweiligen Muttergesellschaften; sie gerade haben das Unglück ausgelöst. Solche Haftungsverhältnisse führen entweder zur Pflicht, entsprechende Rückstellungen zu bilden – was hier mangels akuter Gefährdung zunächst nicht zutraf –, oder zur Pflicht, sie unter der Bilanz oder im Anhang anzugeben, §§ 268 Abs. 7, 251 HGB. Dieser Komplex gehört selbstverständlich mit zum Prüfungsprogramm des Abschlussprüfers. Dieser wusste also um die Höhe der potentiellen Risiken. Fraglich ist damit, ob er nach § 321 Abs. 1 Satz 3 HGB verpflichtet war, in seinem Prüfungsbericht auf die ungewöhnliche Höhe dieser Bürgschaften etc. hinzuweisen und auf die hohe Gefahr für den Bestand des Unternehmens im Falle ihrer Realisierung. Das ist tatsächlich anzunehmen. Die Vorschrift hat den Sinn, den Vorstand, vor allem aber den Aufsichtsrat auf mögliche Bestands-Gefährdungen aufmerksam zu machen 14. Dabei steht hier nicht nur die ungewöhnliche Höhe dieser Risiken zur Debatte, sondern ihr Klumpen-Charakter: bricht das labile System dieser ausländischen Wertpapiere ein oder bricht es gar zusammen, so verwirklicht sich das gesamte Risiko auf einen Schlag. Das hätte dem Abschlussprüfer auffallen müssen und hat zu seiner „Redepflicht“ geführt, genauer: zu seiner Pflicht zu einem entsprechenden Vermerk im Rahmen seines Prüfungsberichts 15. Das gilt um so mehr, als jeder Kenner der Materie und erst recht jeder Wirtschaftsprüfer weiß, dass genau eine solche Konstellation zum Zusammenbruch der amerikanischen Großgesellschaften Enron und WordCom geführt hat. b) Auch die Abschlussprüfer haften also wegen unterlassener Redepflicht, allerdings nur in dem sehr eingeschränkten Rahmen des § 323 Abs. 2 HGB (eine Mio. € oder vier Mio. €).
14 Vgl. nur IDW PS 450 Tz. 35 ff. in WPg 2006, 113; Hopt/Merkt, HGB, 33. Aufl. 2008, § 321 Rn. 4; Großkomm. HGB/Zimmer, 4. Aufl., § 321 Rn. 23 und 24. 15 Die Redepflicht bzw. Berichtspflicht besteht nur, wenn der Abschlussprüfer „bei Durchführung der Prüfung“ die Gefahrenlage feststellt. Das ist hier problemlos, weil die Höhe der Bürgschaften und Garantien unter der Bilanz bzw. im Anhang angegeben werden mussten. Das hatte der Abschlussprüfer zu prüfen und so muss er ganz selbstverständlich auf die riesigen Zahlen gestoßen sein.
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§ 4 Bankenkrise und Organhaftung
V.
Schluss
Damit ist das Untersuchungsprogramm zur Haftung der Vorstände, Aufsichts- und Verwaltungsräte sowie Wirtschaftsprüfer der betroffenen Banken in Deutschland bereits abgeschlossen. Wenn man mir und meinen Ergebnissen folgt, gibt es in diesem Jahr für Anwälte, Justitiare und Versicherungen viel zu tun.
Literatur C. P. Claussen, Bankrecht, 3. Aufl. 2003. Consbruch/Fischer, KWG, Stand August 2008. Fischer, Bankrecht, 3. Aufl. 2000. Fleischer in Fleischer (Hrsg.), Handbuch des Vorstandsrechts, 2006. Goette, Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast der objektiven Pflichtwidrigkeit bei der Organhaftung, ZGR 1995, 648. Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1999. Großkomm. HGB, 4. Aufl. 2002. Hellwig, Systematic Risk in the Financial Sector, Bonn 2008. Hopt/Merkt, HGB, 33. Aufl. 2008. IDW, Grundsätze ordnungsmäßiger Berichterstattung bei Abschlussprüfungen (IDW PS 450), WPg 2006, 113 Kölner Komm. AktG, 2. Aufl. (Stand der Bearbeitung 1988). Krieger/Sailer, in K. Schmidt/Lutter (Hrsg.), Kommentar zum AktG, 2008. Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 1. Aufl. 1995. Ders., Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2005. Lutter, Pflichten und Haftung von Sparkassenorganen, 1991. Ders., Die Business Judgment Rule und ihre praktische Anwendung, ZIP 2007, 841. Münchener Kommentar zum AktG, 3. Aufl. 2008. Rudolph, Lehren aus den Ursachen und dem Verlauf der internationalen Finanzkrise, zfbf 2008, 713 ff.
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§ 5 Persönliche Managementverantwortung aus betriebswirtschaftlicher Sicht Axel v. Werder
I.
Managementverantwortung als Sanktion
„Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.“ 1 Mit diesem einfachen, aber auch eingängigen Satz beginnt der Ordoliberale Walter Eucken in seinem berühmten Werk Grundsätze der Wirtschaftspolitik sein Kapitel über die Haftung, die er zu den (insgesamt sieben) konstituierenden Prinzipien der Wettbewerbsordnung zählt. Wer als Unternehmer Gewinne aus riskanten Aktivitäten verbuchen darf, soll also auch die Verluste tragen, sofern diese Aktivitäten scheitern. Dieses Prinzip erscheint unter dem Gesichtspunkt einer fairen und in diesem Sinne auch sozialen Verfassung der Wirtschaft so plausibel zu sein, dass sich eine nähere Begründung (zumindest im Rahmen der hier behandelten Thematik) erübrigt. Natürlich wird dieses Prinzip in der tatsächlich gelebten Marktwirtschaft – mit guten Gründen – variiert. Neben dem „königlichen Einzelkaufmann“ des HGB, der als Urbild des ehrbaren Kaufmanns mit seinem gesamten Privatvermögen einsteht, gibt es bekanntlich Formen abgestufter Haftung, die eine formspezifische Risikoteilung zwischen dem Unternehmer und seinen Gläubigern vorsehen. Hingewiesen sei an dieser Stelle nur auf die Aktiengesellschaft (AG) und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, welche diesen Gedanken sogar in ihrem Namen führt. Das Korrelat zur Gewinnchance, im Fall des Falles auch für Verluste einstehen zu müssen, ist aber auch bei diesen haftungsbegrenzten Formen unternehmerischer Tätigkeit nicht aufgehoben, sondern eben nur auf den Betrag der geleisteten und für die Wirtschaftsteilnehmer transparenten Einlage reduziert. In den nachfolgenden Überlegungen geht es allerdings nicht um die Haftung des Unternehmers, sondern um die Haftung des Vorstands. Aus Sicht der Mechanik des Haftungsprinzips nimmt der Vorstand nun eine Sonderrolle ein. Diese Sonderstellung gilt namentlich für den Vorstand der großen Publikums-AG, wie er sich in den letzten 10–15 Jahren unter dem Eindruck der Globalisierung der Kapitalmärkte rechtstatsächlich entwickelt hat. Der Vorstand ist einerseits das unternehmerische Initiativzentrum der AG, das die Unternehmensstrategie – zwar in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat 2, aber doch 1 2
Eucken (1990), S. 279. Siehe auch Tz. 5.2 Abs. 3 Satz 1 des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK).
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3. Teil: Managementverantwortung
maßgeblich – prägt. Der Vorstand legt damit auch das strategieabhängige Risikoprofil der Unternehmensaktivitäten fest. Er operiert insofern folglich ähnlich dem Unternehmer, der ebenfalls entscheiden muss, welche Risiken er eingeht und welche Risiken er meidet. Anders als der Unternehmer ohne Haftungsbeschränkung trägt der Vorstand allerdings im Misserfolgsfall nicht die unmittelbaren ökonomischen Konsequenzen seiner Risikoentscheidungen. Der Schaden trifft vielmehr primär Dritte, zu denen namentlich die Aktionäre zählen und mittelbar auch andere Stakeholder wie beispielsweise die Arbeitnehmer. Der Vorstand hingegen hat allenfalls indirekt über Umwege für die Folgen seiner Entscheidungen einzustehen – und diesen Umwegen soll der folgende Beitrag aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive nachgehen. Im Kern werden dabei drei Fragenkreise angesprochen. Die erste Frage lautet, welche Funktionen eine Haftung im Einzelnen erfüllen kann und soll. Dabei wird im Weiteren oft auch von Sanktionen gesprochen werden, da der Begriff der Haftung in hohem Maße juristisch besetzt ist und in enger Verbindung steht zur Haftung im schadensersatzrechtlichen Sinne oder gar zur strafrechtlichen Haft. Um eine Anteilnahme des Entscheidungsträgers an den Folgen seiner Handlungen zu bewirken, steht aber – aus ökonomischer Sicht – ein deutlich breiteres Spektrum von Sanktionsmechanismen zur Verfügung als nur das Zivil- und Strafrecht. Die zweite Frage zielt auf die möglichen Folgen, die Sanktionen für die sanktionierte Person haben können. Neben den offensichtlichen materiellen Konsequenzen für das Einkommen und das Vermögen ist hier auch an immaterielle Sanktionsfolgen zu denken, die etwa die Reputation, die Selbstachtung und die Freiheit eines Individuums betreffen können. Auf der Basis der beiden ersten Analyseschritte sollen sodann drittens konkrete Sanktionsmechanismen darauf hin untersucht werden, ob die möglichen Folgen ihres Einsatzes die aufgezeigten Sanktionsziele erreichen können – und ob sie diese Zielsetzungen unter den heute gegebenen Bedingungen auch tatsächlich erreichen. Der dritte Analyseschritt wird bemerkenswerte Durchbrechungen des Prinzips der Haftung offen legen und damit zugleich auch Ansatzpunkte liefern, um Fehlentwicklungen auf dem Gebiet der Anreizsysteme für Vorstände stärker als bisher zu begegnen.
II.
Zielsetzungen und Folgen der Sanktionierung
1.
Sanktionsziele
Sanktionierungen des Vorstandshandels, z. B. Reduzierungen der Vergütungen, Abberufungen oder aber auch zivil- und strafrechtliche Inanspruchnahmen, können generell zumindest drei Ziele verfolgen. Es handelt sich hierbei um das Ziel der Prävention, das Ziel der Wiedergutmachung und das Ziel der Sühne.
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§ 5 Persönliche Managementverantwortung aus betriebswirtschaftlicher Sicht
Die Inaussichtstellung von Handlungsfolgen, welche in die persönlichen Nutzenkalkulationen der Handlungsträger vermutlich als Negativposten eingehen, kann zunächst dazu dienen, bereits ex ante – also vor einer entsprechenden Handlung – Schäden zu vermeiden. Da und soweit antizipiert wird, dass schadensverursachende Aktivitäten Sanktionen nach sich ziehen, werden die betreffenden Entscheidungsträger – so die verhaltenstheoretische Modellvorstellung – motiviert sein, übermäßige Risiken zu meiden, im heute gern gepflegten Fachjargon der Kapitalmärkte also z.B. den Risikoappetit zu zügeln. Ergänzend zum Präventionseffekt können Sanktionen aber auch darauf abzielen, eingetretene Schäden Dritter zu kompensieren. Die Wiedergutmachung wirkt somit ex post – also nach Entscheidung und Handlung – und setzt naturgemäß voraus, dass sich der Schaden nach Art und Umfang prinzipiell überhaupt beheben lässt. Gerade für den Fall, dass eine Wiedergutmachung nicht oder nicht vollständig möglich ist, können Sanktionen drittens auch Sühnecharakter haben. Obwohl sich weder die Handlung noch die Handlungsfolgen ex post ungeschehen machen lassen, soll die Sühne dem Geschädigten Genugtuung verschaffen und durch ihre Abschreckungswirkung zugleich Präventionseffekte für zukünftige Gefahrensituationen entfalten. Ob und inwieweit sich die dargelegten Ziele der Sanktionierung erreichen lassen, hängt von den Konsequenzen ab, die der Einsatz der verschiedenen Sanktionsmechanismen nach sich zieht.
2.
Sanktionsfolgen
In Hinblick auf die Sanktionsfolgen lassen sich zunächst zwanglos die materiellen von den immateriellen Konsequenzen für den sanktionierten Vorstand trennen. Um den Stoff übersichtlich zu halten, soll im Weiteren bei den materiellen Konsequenzen nur zwischen Einkommenseinbußen und Vermögensminderungen differenziert werden und bei den immateriellen Konsequenzen zwischen Reputationsverlusten, Beeinträchtigungen der Selbstachtung sowie dem Sonderfall des Freiheitsentzugs. Zwischen diesen Sanktionsfolgen sind mannigfaltige Wechselwirkungen denkbar und in der Realität oft zu beobachten. So können materielle Sanktionsfolgen indirekt auch immaterielle Konsequenzen auslösen, aber auch ihrerseits durch immaterielle Sanktionsfolgen eintreten. Beispiele bilden etwa Einkommensabsenkungen, die mittelbar auch die Reputation einer Person beschädigen, wenn ihre Referenzgruppe stark materiell disponiert ist 3. Umgekehrt können sich Reputationsschäden, die etwa auf einer Verweigerung der Entlastung durch die Hauptversammlung beruhen, mittelbar auch negativ auf die zukünftigen Einkommensmög-
3 Treffend auch Müller (2009) in der Tagespresse zum Zusammenhang zwischen Vermögensverlust und Selbstachtung: „Schmilzt das Vermögen, erodiert der Mensch.“
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3. Teil: Managementverantwortung
lichkeiten der betreffenden Person auswirken. Diese und weitere Interdependenzen zwischen den verschiedenen Sanktionsfolgen werden im Folgenden zur Vereinfachung nicht weiter thematisiert. a)
Einkommenseinbußen
Einkommenseinbußen beziehen sich auf den laufenden Zahlungsstrom, den ein Vorstandsmitglied aus seiner Tätigkeit bezieht. Solche Einbußen finden prototypisch beispielsweise dann statt, wenn erfolgsabhängige variable Vergütungen vereinbart worden sind und der vergütungsrelevante Erfolg aufgrund von Fehlentscheidungen eines Vorstands ausbleibt. Da Vorstände wie alle Menschen prinzipiell nach hohen Vergütungen streben, versuchen sie Einkommenseinbußen zu vermeiden und werden daher – so die einfache Theorie – zu einer erfolgreichen Unternehmensführung motiviert. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings ein eigentümliches Verhaltensphänomen, das den Konnex zwischen Einkommensentwicklung und Stärke der Motivation moderiert und damit insgesamt komplexer gestaltet. Bei diesem Phänomen handelt es sich um die empirisch gut gestützte sog. relative Einkommenshypothese 4. Nach dieser Hypothese ist nicht die absolute Höhe des eigenen Einkommens entscheidend für die Motivation, sondern die relative Höhe im Vergleich zur relevanten Referenzgruppe. Vereinfacht ausgedrückt kommt es nicht darauf an, dass ich viel verdiene, sondern dass ich mehr verdiene als mein Nachbar. Solange mein Nachbar größere Einkommenseinbußen hinzunehmen hat als ich selbst, fühle ich mich noch relativ privilegiert. Als Folge des angesprochenen Verhaltensphänomens werden Einkommenseinbußen nur bedingt als negative Sanktion empfunden, wenn und soweit sie geringer ausfallen als im Durchschnitt der Referenzgruppe, also etwa der betreffenden Branche. Umgekehrt kann dieses Phänomen – worauf nur als kleiner Exkurs hingewiesen werden soll – auch die nach oben unbegrenzte Einkommenspräferenz erklären, die von manchen als Gier bezeichnet wird. Den Normalverdiener verblüfft der Tatbestand, dass auch exorbitant hohe Einkommen, wie sie etwa im Investmentbanking zu beobachten sind, von den Einkommensbeziehern (oft) nicht als völlig ausreichend oder gar übermäßig eingestuft werden. Die Betroffenen selbst streben vielmehr (häufig) weiter nach noch höheren Einkommen, da und soweit ihre Peers – also Kollegen oder auch Konkurrenten – mit vergleichbaren Positionen und Qualifikationen noch mehr verdienen. b)
Vermögensminderungen
Vermögensminderungen beziehen sich gewissermaßen auf den ökonomischen Besitzstand eines Individuums. Sie treten z.B. dann ein, wenn als Folge juristischer Auseinandersetzungen Schadensersatzleistungen auferlegt werden, die sich nicht
4
90
Siehe hierzu für viele Clark/Oswald, Journal of Public Economics 61 (1996).
§ 5 Persönliche Managementverantwortung aus betriebswirtschaftlicher Sicht
aus dem laufenden Einkommen finanzieren lassen, sondern nur durch Rückgriff auf die privaten Rücklagen. Vermögensminderungen gehen an die Substanz und kommen damit der Haftungssituation des klassischen Unternehmers besonders nahe. Sanktionen, die Vermögensminderungen nach sich ziehen, sollten daher in hohem Maße handlungssteuernd sein. Umgekehrt muss der Steuerungseffekt der Tendenz nach geringer veranschlagt werden, wenn Sanktionsmechanismen keine Bedrohungen der Vermögensposition beinhalten. Sinkt das Einkommen, muss – um es salopp zu formulieren – gegebenenfalls der Gürtel enger geschnallt werden. Geht hingegen das eigene Haus verloren, werden die Koordinaten der bisherigen Existenz in ungleich stärkerem Maße erschüttert. c)
Reputationsverluste
Reputationsverluste einer Person treten in ihrem sozialen Umfeld ein und sind demgemäß primär sozialpsychologischer Natur. Reputationsverluste eines Managers verzehren sein soziales Kapital, das aus der Wertschätzung seiner Person im Netzwerk der für ihn relevanten Bezugsgruppen gebildet wird 5. Sie können beispielsweise eintreten, wenn ein Vorstandsmitglied aufgrund des Scheiterns seiner bislang verfolgten Unternehmensstrategie abberufen wird und fortan in der Community – konkret also z.B. unter Personalberatern und Vorständen anderer Unternehmen – als nicht mehr mandatstauglich gilt. Ob und in welchem Maße solche Reputationsverluste stattfinden, hängt damit – bei gegebener Fehlleistung des Vorstands – letztlich von den Werthaltungen und Reaktionen seines Umfelds ab. Aufschlussreich ist an dieser Stelle ein Feldversuch in Reputationseffekten, der 2008 beobachtet werden konnte. „Wer Recht bricht und Steuern hinterzieht, der muss die Folgen tragen, der gehört nicht mehr dazu.“, hat der BDI-Präsident im Frühjahr dieses Jahres mit Blick auf einen bekannten Steuervorfall im Kreis der DAX-Vorstände verlauten lassen 6. Diese Losung ist in der betreffenden causa in weiten Teilen Deutschlands gehört worden, aber doch nicht überall. Die Einladung, für den Aufsichtsrat eines namhaften Unternehmens zu kandidieren, und die Annahme dieser Einladung erscheinen zumindest als ein Ding der (gesellschaftlichen) Unmöglichkeit, wenn man bedenkt, dass jeder Aufsichtsrat unter anderem auch die Rechtmäßigkeit der Unternehmensleitung zu überwachen hat 7. Die Sorge, von den eigenen Peers verstoßen zu werden, war – nach allem, was bekannt ist – eine der Haupttriebfedern des hanseatischen Kaufmanns, sich ehrbar zu verhalten (und aller nicht-hanseatischen ehrbaren Kaufleute natürlich auch). Die Funktionsfähigkeit dieser Selbstreinigung beständig neu zu beleben und so die
5 Zum social capital siehe z. B. Bourdieu (1986); Coleman, American Journal of Sociology (1988). 6 So Jürgen Thumann in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung Nr. 52 vom 01./02.03. 2008, S. 25. 7 Inzwischen hat die betreffende Person denn auch ihr Aufsichtsratsmandat vorzeitig niedergelegt, siehe Der Tagesspiegel vom 10.01.2009, S. 15.
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3. Teil: Managementverantwortung
„Krähentheorie“ zu widerlegen, wonach eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, muss daher eine der vornehmsten Pflichten der Managementelite sein. d)
Beeinträchtigungen der Selbstachtung
Neben den Reputationsverlusten bilden Beeinträchtigungen der Selbstachtung eine zweite wichtige immaterielle Sanktionsfolge. Im Unterschied zu den Reputationsverlusten markieren Beeinträchtigungen der Selbstachtung Störungen der persönlichen Befindlichkeit. Sie bilden demzufolge eine individualpsychologische Kategorie. Beeinträchtigungen der Selbstachtung als Folge ergriffener Sanktionen lassen sich auf der Ebene der intrinsischen Motivation verorten. Die intrinsische Motivation eines Menschen wird durch das Erlebnis der eigenen Leistungsfähigkeit, Expertise, Professionalität und ähnlicher Ausdrucksformen persönlicher Qualifikation verursacht 8. Sie beruht letztlich darauf, dass für die meisten Menschen Motive wie Selbstverwirklichung und Selbstwirksamkeit handlungsstimulierend sind. Die Bewältigung einer Aufgabenstellung – im hier verhandelten Fall also die erfolgreiche Führung des Unternehmens – stellt für die betreffende Person gewissermaßen einen Wert an sich dar und stärkt so das Selbstwertgefühl. Mangelhafte Leistungen werden dementsprechend zu vermeiden gesucht, da sie – zumindest in der einfachen Theorie – als Ausdruck des Versagens die Selbstachtung unterminieren. Wie bei den Motivationswirkungen des Einkommens erweisen sich allerdings auch die Zusammenhänge zwischen Erfolg und Selbstachtung bei Lichte besehen als komplexer. Nach der bekannten Attributionstheorie neigen Menschen (letztlich aus mentalem Selbstschutz) dazu, Erfolge und Misserfolge unterschiedlichen Ursachen zuzuordnen, also zu attribuieren 9. Erfolge – etwa Überrenditen hochriskanter Investments – werden der eigenen Expertise angerechnet und heben dementsprechend die Selbstachtung. Misserfolge in Form notwendiger Abschreibungen dieser Investments werden hingegen auf externe Größen wie etwa Bonitätsurteile von Ratingagenturen zurückgeführt, die außerhalb des Einflussbereichs der betreffenden Person liegen. Misserfolge sind in dieser asymmetrischen Wahrnehmung nicht durch das eigene Verhalten verursacht worden und bilden daher auch keinen Grund, die eigene Wertschätzung in Frage zu stellen. Auch diese Attributionstheorie gehört zu den empirisch gut gestützten Verhaltenserkenntnissen. Sie kann im Übrigen ganz zwanglos erklären, warum nur wenige Banker heute eigene Verfehlungen eingestehen – und warum führende Banker gelegentlich offenkundig auch kein Problem darin sehen, als exponierte Akteure eines in die Krise geratenen Systems nun forsche Vorschläge zur Systemverbesserung zu unterbreiten.
8 Siehe zur intrinsischen Motivation White, Psychological Review 66 (1959); Deci/Ryan (1985) sowie zu verschiedenen Begriffskonzeptionen Rheinberg (2007), S. 332 ff. 9 Zur Attributionstheorie siehe Kelly, American Psychologist 28 (1973); Martinko (1995); Parkinson (2007), S. 75 ff.
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§ 5 Persönliche Managementverantwortung aus betriebswirtschaftlicher Sicht
e)
Freiheitsentzug
Die Sanktionsfolge des Freiheitsentzugs muss von einem Betriebswirt vor Juristen nicht näher erläutert werden. Sie ist aufgrund ihrer Schwere dem Staat mit seinem Strafrecht vorbehalten und wird der Tendenz nach natürlich besonders dann wirken, wenn die Strafe vollstreckt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Ohne an dieser Stelle auf den Freiheitsentzug als Folge der Aktivierung des Strafrechts näher einzugehen, sei nur kurz ein Aspekt angesprochen, der mitunter aus dem Blick zu geraten scheint. Im Englischen gibt es den schönen Satz „The process is the punishment“ 10. Bevor strafrechtliche Sanktionen eingeleitet werden, sollte daher in Rechnung gestellt werden, dass schon das Strafverfahren als solches eine massive psychologische Belastung der angeklagten Person darstellt, die auch durch einen Freispruch nicht mehr voll behoben werden kann. Staatsanwaltschaften mit eigenen Pressestellen erscheinen vor diesem Hintergrund ebenso problematisch zu sein wie gewisse Formen des investigativen Journalismus, welche die Grenzen zur Vorverurteilung gelegentlich arg strapazieren.
III.
Wirksamkeit gängiger Sanktionsmechanismen
Die folgenden Überlegungen müssen sich aus Gründen des Umfangs auf die zentralen Sanktionsmechanismen konzentrieren, die heute in der Praxis Anwendung finden. Hierzu zählen – die Kopplung des Einkommens an den Erfolg des Vorstands, also die heute weitverbreiteten Systeme leistungsabhängiger Vergütung, – der Widerruf der Bestellung und die Kündigung des Dienstvertrags, vereinfacht formuliert also die Sanktion des Arbeitsplatzverlustes, – die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs nach § 93 AktG, und schließlich – die strafrechtliche Sanktion der Haftstrafe. Da die zivilrechtliche Haftung im voranstehenden Beitrag von Lutter eingehend behandelt ist 11 und ein Betriebswirt auf dem Gebiet des Strafrechts allenfalls dilettieren kann, beschränken sich die Überlegungen bezüglich der zivil- und strafrechtlichen Sanktionen allerdings auf einige allgemeine Anmerkungen. Im Vordergrund stehen damit die beiden personalwirtschaftlichen Maßnahmen der Anreizsystemgestaltung und des Arbeitsplatzverlustes. Dabei wird im Mittelpunkt die Frage stehen, welche Folgen diese Sanktionen für die betroffenen Vorstände in der heute gelebten Praxis tatsächlich haben und inwieweit die Sanktionen ihre oben dargelegten Ziele daher effektiv erfüllen können und erfüllen.
10 11
Vgl. Feeley (1979). Siehe Lutter (2009) in diesem Tagungsband.
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3. Teil: Managementverantwortung
1.
Variable Vergütung
Das heute weitverbreitete Vergütungskonzept, der Kompensation von Vorständen variable Komponenten beizumischen, ist auf den ersten Blick bestechend. Es knüpft das persönliche Einkommen eines Vorstandsmitglieds an seinen Beitrag zum Unternehmenserfolg und setzt damit den Leistungsgedanken um, der in einer Wettbewerbswirtschaft kaum in Frage steht. Die erfolgsabhängige Entlohnung wird dabei oft gepaart mit der vordergründig geradezu genial erscheinenden Idee, durch stock options Manager zu Aktionären zu machen. Auf diese Weise – so scheint es – lässt sich der spätestens seit Berles und Means’ bahnbrechender Veröffentlichung von 1932 diskutierte Interessenkonflikt zwischen Prinzipal und Agent überwinden 12. Im Gegensatz zur theoretischen Plausibilität, die variablen Vergütungssystemen als Sanktionsinstrument zukommt, zeigen sich in der Realität allerdings doch zahlreiche Schwachstellen bei der Umsetzung des Konzepts, die ernsthafte Zweifel an seiner Funktionsfähigkeit begründen. Die Systemmängel lassen sich dabei auf zwei Problemebenen lokalisieren. Zum einen sinken die Einkommen bei Missmanagement tatsächlich oft nicht im geplanten Ausmaß, da Systemmanipulationen vorgenommen werden. So wurde vor allem in der Frühphase der variablen Vergütungen mit Aktienoptionen durch Maßnahmen wie das repricing verhindert, dass die Optionen trotz unbefriedigender Kursentwicklungen wertlos wurden. Zu denken ist ferner an die Möglichkeiten, die Erfolgsgrößen zu beeinflussen, die als Bemessungsgrundlage der variablen Vergütung dienen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Euphemismus des sog. „creative accounting“, dessen Grenze zum „criminal accounting“ im Übrigen nicht immer trennscharf zu ziehen ist. Eine Reihe der gröbsten Schwächen aus der Frühzeit der Systeme variabler, aktienoptionsbasierter Vergütungen sind zwar inzwischen – nicht zuletzt auch durch den Deutschen Corporate Governance Kodex – geächtet worden und heute nicht mehr gängige Praxis. So sollen Aktienoptionen und vergleichbare Gestaltungen nach Tz. 4.2.3 Abs. 3 Satz 2 DCGK auf anspruchsvolle, relevante Vergleichsparameter bezogen sein. Ferner soll eine nachträgliche Änderung der Erfolgsziele oder der Vergleichsparameter ausgeschlossen sein (Tz. 4.2.3 Abs. 3 Satz 3 DCGK). Diese Empfehlungen werden nach den Befunden des Kodex Report in der Praxis mittlerweile durchaus auch weitgehend akzeptiert 13. Wie schwierig es im Einzelfall sein kann, vernünftige Regelungen zu finden, zeigt aber schon folgende stark vereinfachte Konstellation, die unter Vergütungsexperten derzeit diskutiert wird: Angenommen, der Vergleichsparameter ist der DAX, der sich im Verlauf eines Jahres von
12 Siehe Berle/Means (1932) und zur Principal-Agent-Theorie hier nur Jensen/Meckling, Journal of Financial Economics 3 (1976); Grossman/Hart, Econometrica 51 (1983). 13 Siehe zu den Erhebungsergebnissen im Einzelnen v. Werder/Talaulicar, Der Betrieb 61 (2008), S. 827 f.
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§ 5 Persönliche Managementverantwortung aus betriebswirtschaftlicher Sicht
8.000 über 4.000 auf 4.800 entwickelt habe. Die Aktie eines betrachteten Unternehmens habe sich im gleichen Zeitraum zunächst ebenfalls halbiert und dann etwas besser als der DAX erholt (60-30-40). Wird zumindest ein Teil der variablen Vergütungen daran geknüpft, dass sich die eigene Aktie besser als der DAX geschlagen hat, so würden im Beispiel entsprechende Vergütungen ausgezahlt werden, obwohl der Kurs der betreffenden Aktie unter dem Strich um ein Drittel (von 60 auf letztlich 40) gesunken ist. Ohne in die komplizierte Mechanik der ausgefeilten heutigen Vergütungssysteme näher einsteigen zu müssen, lässt sich auf der Grundlage der vorliegenden Daten zumindest ohne Zweifel festhalten, dass die Vorstandsvergütungen in den letzten Jahren im Durchschnitt erheblich gestiegen sind und sich von den Gehaltsentwicklungen der nachgelagerten Hierarchieebenen weit entfernt haben 14. Es wird interessant sein zu beobachten, ob und inwieweit sich in den nächsten Monaten und Jahren das Desaster der Finanzmärkte wie auch die hierdurch verursachten Bremsspuren in der Realwirtschaft tatsächlich in den Vergütungen niederschlagen werden. So wird nach Presseberichten in einer großen deutschen Bank auch heute noch über Boni für die Investmentbanker im hohen dreistelligen Millionenbereich verhandelt, obwohl das Investmentbanking dieses Bankhauses in der Finanzkrise bisher einen Verlust von 3,7 Mrd. Euro eingefahren hat15. Der Verlust wäre im Übrigen noch höher ausgefallen, wenn nicht die zwischenzeitlich eingeführte Lockerung der Bilanzierungsregeln hätte ausgenutzt werden können. Noch eine letzte Beobachtung mag die These von der bisher mangelhaften Erfolgselastizität der Vorstandsvergütung nach unten weiter stützen. Nach § 87 Abs. 2 AktG ist der Aufsichtsrat berechtigt, die vereinbarte Vorstandsvergütung herabzusetzen, wenn eine so wesentliche Verschlechterung in den Verhältnissen der Gesellschaft eingetreten ist, dass eine Weitergewährung der vereinbarten Bezüge eine schwere Unbilligkeit für die Gesellschaft sein würde. Diese Unterstützungsnorm für den Aufsichtsrat scheint in der Diskussion um die Vorstandsvergütungen zu sehr in Vergessenheit geraten zu sein. Die Vergütungsdiskussion wird an dieser Stelle vielmehr eher von Verweisen auf den Grundsatz pacta sunt servanda dominiert, wonach die einmal getroffenen Regelungen sakrosankt sind. Eine offensivere Ausschöpfung der gesetzlichen Möglichkeiten zur nachträglichen Anpassung der Bezüge könnte aber dem Gedanken einer erfolgsabhängigen Vergütung zumindest in eklatanten Fällen auch „nach unten hin“ rechtstatsächlich mehr Gewicht verleihen. Neben der Elastizitätsproblematik variabler Vergütungen nach unten ist zum zweiten zu beachten, dass die negativen materiellen Folgen bei den heute üblichen Systemen auf Einkommenseinbußen begrenzt sind und keine Vermögensminderungen umfassen. Das Fixum, wie auch die in früheren Jahren gebildeten privaten Rück-
14 15
Siehe Schmidt/Schwalbach (2007); Gillenkirch, BFuP 60 (2008), S. 2 f.; Evers (in Vorbereitung). Siehe Obertreis, Der Tagesspiegel Nr. 20 082 (2008), S. 17.
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3. Teil: Managementverantwortung
lagen des Vorstands, bilden gewissermaßen „Schonvermögen“. Anders als beim idealtypischen Unternehmer, der mit seinem gesamten Privatvermögen haftet, existiert hier also bislang eine Sanktionssperre. Das Problem der Sanktionssperre ist als Folge der Finanzkrise inzwischen durchaus erkannt worden und bildet den Hintergrund aktueller Überlegungen, die bisherigen Bonussysteme zu Bonus-Malus-Konzepten auszubauen. Ein Beispiel bilden Pläne der UBS zur Einführung einer Bonus-Malus-Bank16. Die Boni sollen in Zukunft nur noch zum Teil sofort an die Manager ausgezahlt und ansonsten in dieser Bank verwahrt werden, um in späteren Jahren mit eventuellen Verlustanteilen – also einem Malus – verrechnet werden zu können. Auf diese Weise soll die langfristige Orientierung der Manager gestärkt und verhindert werden, dass diese mit Blick auf die erzielbaren Prämien übergroße Risiken eingehen, die sie dann bei einem tatsächlichen Eintritt des Risikos nicht selbst zu tragen haben.
2.
Arbeitsplatzverlust
Vorstandsmitglieder werden befristet bestellt, nach § 84 Abs. 1 Satz 1 AktG auf höchstens 5 Jahre. Vorstandsmitglieder, die glück- und erfolglos agieren, tragen damit das Risiko, nach Ablauf der vereinbarten Frist nicht wiederbestellt zu werden. Darüber hinaus kann der Aufsichtsrat Vorstandsmitglieder bekanntlich nach § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG auch vorzeitig abberufen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ergänzend kann sodann der Dienstvertrag unter den entsprechenden Voraussetzungen gekündigt werden. Empirische Untersuchungen zeigen, dass von diesen Möglichkeiten heute zunehmend Gebrauch gemacht wird 17. Galt früher in der Deutschland AG noch die Devise „Einmal Vorstand, immer Vorstand“, hat sich heute die durchschnittliche Verweildauer von Vorstandsmitgliedern in ihrem Amt signifikant verkürzt. Ein Vorstandsmitglied sieht sich folglich mittlerweile durchaus mit dem realistischen Risiko konfrontiert, bei Missmanagement seinen Arbeitsplatz nach Ablauf seiner Bestellungsfrist oder gar vorzeitig zu verlieren. Wie beim „normalen“ Arbeitnehmer auch sollte nun der Arbeitsplatzverlust im Regelfall eine besonders gravierende Sanktion bedeuten. Sofern der Vorstand nicht problemlos eine neue Beschäftigung findet, entfällt auf Dauer mit dem Einkommen die materielle Grundlage der Existenz der betreffenden Person, die allenfalls aus vorher gebildetem Vermögen gesichert werden kann. Hinzu kommen die negativen Effekte für die Reputation und Selbstachtung. So deuten Befunde der modernen ökonomischen Glücksforschung auf eindrucksvolle Weise darauf hin, dass der Ver-
16 Siehe „Compensation Report: UBS’s new compensation model“. Im Internet unter: http://www.ubs.com/1/ShowMedia/investors/compensationreport?contentId=158101&name= CompensationReport_d.pdf; Stand: 09.01.2009. 17 Siehe o. V., Results (2008), S. 4 f.
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§ 5 Persönliche Managementverantwortung aus betriebswirtschaftlicher Sicht
lust des Arbeitsplatzes (ganz abgesehen von den materiellen Konsequenzen) zu besonders schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Zufriedenheit führt 18. Wie schon bei den Systemen variabler Vergütung relativiert sich allerdings die Strenge der Sanktionsfolgen, wenn man die heute übliche Ausgestaltung von Vorstandsverträgen in die Betrachtung einbezieht. Zunächst sind viele Vorstandsmitglieder gegen das Risiko der Nichtverlängerung ihrer Bestellung materiell abgesichert, da und soweit für diesen (neben Alter, Invalidität und Tod) sogenannten „Vierten Versorgungsfall“ Übergangsgelder vereinbart werden. Die berühmtberüchtigte „Rente mit 44“ 19 eines bekannten Managers ist insofern nur ein besonders markantes Beispiel einer durchaus gängigen Praxis. Die Übergangsgelder werden nicht selten bis zum Eintritt der regulären Altersversorgung geleistet und sodann häufig von wohldotierten Pensionsregelungen abgelöst. Hinzu kommt, dass auch für den Fall der Abberufung bisher häufig generöse Abfindungsregelungen vereinbart worden sind, die zumindest die materiellen Folgen des Arbeitsplatzverlustes sanft abfedern. Die Dotierung mancher Abfindungsregelungen hat gelegentlich das neue Geschäftsmodell einer Ich-AG sui generis entstehen lassen. Manche Manager haben sich geradezu als Abfindungskünstler erwiesen und durch mehrfache Abberufungsepisoden in ihrer Karriere ein großes Millionenvermögen gemacht. Die – man muss es sagen – Pervertierung des Sanktionscharakters der Abberufung in solchen Fällen liegt auf der Hand. So werden alle drei Sanktionsziele der Prävention, der Wiedergutmachung und der Sühne geradezu konterkariert. Mit Blick auf teils horrende Abfindungsbeträge kann für einen Vorstand somit geradezu ein Anreiz bestehen, die eigene Abberufung zu provozieren 20. Aber nicht nur der Präventionsgedanke kann durch die bisherigen Abfindungsusancen ad absurdum geführt werden. Gleiches gilt vielmehr erkennbar auch für die Sanktionsziele der Wiedergutmachung und der Sühne, wenn gescheiterte Vorstände, die ein Unternehmen in desolater Verfassung verlassen, großzügig abgefunden werden. Es erscheint daher gut nachvollziehbar zu sein, dass gerade die Abfindungsproblematik in der öffentlichen Diskussion – und speziell auch in der politischen Auseinandersetzung – eine besondere Aufmerksamkeit erfährt. Der Kodex hat mit seinen 2007 eingeführten Anregungen zum Abfindungs-Cap, die 2008 zu Empfehlungen hochgestuft worden sind, daher ein richtiges und wichtiges Zeichen gesetzt. Die Bestimmungen des Kodex zum Abfindungs-Cap (Tz. 4.2.3 Abs. 4 Satz 1 und 2; Tz. 4.2.3 Abs. 5 DCGK) werden in der Praxis bislang noch nicht großflächig umge-
18 Vgl. Osterloh, zfbf Sonderheft 56 (2007), S. 101. 19 Jahn/Meiländer, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 191 (2007), S. 14. 20 Manche verdiente Vorstände – vor allem der älteren Generation – äußern gelegentlich schon einmal spöttisch, sie seien in ihrem Berufsleben eigentlich recht erfolgreich gewesen, hätten es allerdings nie geschafft, abberufen und dann abgefunden zu werden. Es sei ferner daran erinnert, dass der besagte Manager im Fall der „Rente mit 44“ seine Vorstandsposition von sich aus – wenige Monate vor dem Ende der regulären Vertragslaufzeit – aufgegeben hat.
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3. Teil: Managementverantwortung
setzt, wobei sich Unterschiede zwischen den Börsensegmenten zeigen 21. Lediglich im TecDAX und SDAX werden zum Erhebungszeitpunkt bereits alle drei Bestimmungen mehrheitlich akzeptiert. In Zukunft ist dies auch für den DAX zu erwarten. Hingegen folgen die Unternehmen des Prime Standard sowohl heute als auch in Zukunft mehrheitlich nur der Basisbestimmung in Tz. 4.2.3 Abs. 4 Satz 1 DCGK. Die Unternehmen des MDAX und des General Standard schließlich werden auch in der überschaubaren Zukunft sämtliche Kodexregeln zum Abfindungs-Cap überwiegend ablehnen. Bei der Würdigung dieser empirischen Befunde ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Kodex keinen Eingriff in bestehende Verträge empfiehlt. Es kann daher durchaus einer gewissen Zeit bedürfen, bis sich die Altregelungen gewissermaßen ausgewachsen haben und die Kodexempfehlungen zum Abfindungs-Cap bei Neuabschlüssen bzw. der Verlängerung von Verträgen berücksichtigt werden können. Inwieweit die Praxis hiervon tatsächlich Gebrauch machen wird, bleibt abzuwarten. Im Übrigen sei auch im Abfindungszusammenhang noch einmal auf die nach § 87 Abs. 2 AktG prinzipiell bestehende Möglichkeit verwiesen, Vergütungsvereinbarungen unter (gravierenden) Umständen nachträglich zu ändern. Es scheint dringend angezeigt zu sein, die bestehenden Spielräume juristisch genauer auszuloten und sodann rechtstatsächlich zu nutzen, um sogenannten „bad leavers“ in eklatanten Fällen des Missmanagements hohe Abfindungen zu versagen. Der Abkauf des Lästigkeitswertes eines Managers mag zwar der geräuschlosere Weg sein; er steht dem Gedanken einer persönlichen Managementverantwortung aber diametral entgegen. Insgesamt lässt sich damit festhalten, dass der Arbeitsplatzverlust eines Vorstandsmitglieds als Folge mangelhaften Managements heute eine durchaus realistische Aussicht ist. Die materiellen Auswirkungen des Arbeitsplatzverlustes werden aber bislang nicht selten durch Rundum-Sorglospakete so abgepuffert, dass der unternehmerische Misserfolg häufig nicht (zumindest nicht negativ) auf die persönliche ökonomische Situation der Vorstände durchschlägt. Gehen Vorstände zu Lasten des Unternehmens und damit auch der Aktionäre übermäßige Risiken ein, müssen sie hierfür unter den skizzierten Vertragsumständen nicht spürbar persönlich haften.
3.
Zivil- und strafrechtliche Haftung
Mit Blick auf die betriebswirtschaftliche Perspektive des vorliegenden Beitrags müssen sich die Ausführungen zu den Sanktionsmechanismen der zivil- und strafrechtlichen Haftung auf einige wenige Anmerkungen beschränken. Präventionswirkungen kann die zivilrechtliche Haftung nach § 93 AktG naturgemäß nur dann auslösen, wenn Vorstände realistischerweise mit einer Inan-
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Siehe v. Werder/Talaulicar, Der Betrieb 61 (2008), S. 831.
§ 5 Persönliche Managementverantwortung aus betriebswirtschaftlicher Sicht
spruchnahme rechnen müssen und tatsächlich auch rechnen. Die im Wortlaut so überaus strengen Haftungsbestimmungen haben bislang rechtstatsächlich allerdings nur eine geringe Rolle gespielt 22. Schadensersatz für Missmanagement nach § 93 AktG ist auch heute noch kaum gelebtes Recht. Die Möglichkeit, aufgrund unternehmerischen Fehlverhaltens persönlich in Anspruch genommen zu werden, wird daher bisher in den Entscheidungskalkülen der Manager auch keine durchschlagende Bedeutung gehabt haben, so dass die Präventionseffekte für die Vergangenheit eher niedrig zu veranschlagen waren. Ferner lässt sich mit Blick auf die Wiedergutmachung konstatieren, dass auch blendend verdienende Manager insoweit häufig ausfallen werden, da die in Rede stehenden Schadenssummen die finanziellen Ressourcen eines angestellten Vorstands im Regelfall bei weitem überschreiten. D&O-Versicherungen, die seit einigen Jahren zum gängigen Repertoire auf Vorstandsebene gehören, sollen in diesen Fällen einspringen und den Schadensersatzanspruch der Gesellschaft abdecken. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der Kodex bereits seit seiner ersten Fassung die Empfehlung ausspricht, bei Abschluss einer solchen D&O-Versicherung einen angemessenen Selbstbehalt zu vereinbaren (Tz. 3.8 Abs. 2 DCGK). Diese Empfehlung, die ersichtlich auch auf den Sühneaspekt einer Sanktionierung zielt, zählt zu denjenigen Bestimmungen, die über die Jahre eher zurückhaltende Resonanz gefunden haben. So liegt ihre Befolgungsquote über alle Börsensegmente hinweg betrachtet aktuell noch bei lediglich 48,7% 23. Bemerkenswert ist ferner die Höhe der in der Praxis vorzufindenden Selbstbehalte. Nach den Erhebungen des Berlin Center of Corporate Governance zum Kodex Report 2008 beginnt die Spanne der in Absolutbeträgen vereinbarten Selbstbehalte bei 3.000 Euro pro Vorstandsmitglied. Aber auch Selbstbehalte in Höhe von 5.000 oder 10.000 Euro sind keine Seltenheit. Bei diesen Beträgen darf kaum vermutet werden, dass Selbstbehalte ernsthafte Präventions- und Sühneeffekte erzielen können (und aus Sicht der Vorstände erzielen sollen). Damit noch eine letzte Anmerkung zum Strafrecht: Den schlichten Betriebswirt verblüfft, wenn massive und großflächige Verstöße gegen das Aktiengesetz zivilrechtlich folgenlos bleiben, wie etwa der Mannesmann-Fall gezeigt hat 24. Das Gesellschaftsrecht mit seinem fein ziselierten Gefüge aus Anspruchsnormen, Klagelegitimationen und Schadensersatzberechtigungen erweist sich offensichtlich in vielen Fällen als zu schwerfällig, um ernsthafte Haftungsfolgen auszulösen. Umgekehrt stellt sich das Strafrecht oft als besonders grober Sanktionsmechanismus dar, der den hochkomplexen Sachverhalten der Unternehmensführung und den differenzierten Verhaltensmustern von Vorständen und anderen Managern nur schwer gerecht werden kann. Einer Überdehnung des Strafrechts als Sanktion muss daher mit großen Bedenken begegnet werden. Dies gilt schon deshalb, weil das
22 Vgl. nur Lutter (2007), S. 9 f., Rn. 22. 23 Siehe v. Werder/Talaulicar, Der Betrieb 61 (2008), S. 827 f. 24 Siehe die Urteile des LG Düsseldorf (AZ: XIV 5/03; abgedruckt in: NJW 2004, S. 3275 ff.) sowie des BGH (AZ: 3 StR 470/04; abgedruckt in: ZIP 2006, S. 72 ff.).
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3. Teil: Managementverantwortung
Strafrecht als einziges der angesprochenen Sanktionsinstrumente unter Umständen auch einen Freiheitsentzug zur Folge hat und schon das Strafverfahren als solches gravierende Belastungen der angeklagten Personen mit sich bringt 25. Ferner und vor allem aber ist zu berücksichtigen, dass sich der Untreue-Tatbestand durch eine beachtliche Unbestimmtheit auszeichnet. Für die normale Führungskraft ist daher oft nicht rechtssicher erkennbar, welche Verhaltensweisen noch akzeptabel oder aber verwerflich sind. Sollen Sanktionsmechanismen aber überzeugen, so müssen sie dem gutwilligen Vorstand auch die realistische Chance bieten, sein Unternehmen ohne das Damoklesschwert eines unbeabsichtigten Strafrechtsverstoßes zu führen. Auf hoher See und vor Gericht in Gottes Hand zu sein, mag zwar die rechtstatsächlichen Gegebenheiten treffend beschreiben. Akzeptabel und standortförderlich ist ein solches Sanktionsregime aber nicht. Infolgedessen ist an die Jurisprudenz zu appellieren, den Untreuetatbestand im Managementkontext nicht als „Ausputzer“ der unscharfen Waffe Gesellschaftsrecht überzustrapazieren. Vielmehr sollte zum einen das zivilrechtliche Sanktionsinstrumentarium – wo nötig – ausgebaut werden, um Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters auch zivilrechtlich ahnden zu können 26. Zum anderen und nicht weniger wichtig muss es darum gehen, den Untreuetatbestand durch Präzisierung seiner Verhaltenserwartungen vorhersehbarer zu machen. Nur dann darf erwartet werden, dass sich die Rechtsbürger dem Verdikt des Strafrechts (im Rahmen des menschlich Möglichen) aus innerer Überzeugung unterwerfen. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass Kollisionen mit dem Strafrecht in der Managementpraxis als Lotteriespiel angesehen werden und Verurteilungen dementsprechend ihre negativen Reputationseffekte – zumindest in der managerialen Referenzgruppe – verlieren.
IV.
Zusammenfassung und Implikationen für die Managementverantwortung
Es gehört zu den konstituierenden Prinzipien der marktwirtschaftlichen Ordnung, dass Unternehmer für die Risiken ihres ökonomischen Handelns bis zu einem gewissen Grade persönlich einstehen. Vorstände können und müssen Unternehmern nicht in diesem Sinne gleichgesetzt werden. Vorstände handeln aber ebenfalls unternehmerisch, gehen also aufgrund eigener Entscheidungen Risiken ein, und Vorstände setzen dabei Ressourcen ein, die nicht ihnen selbst gehören, sondern den Aktionären – „OPM“, wie die Angelsachsen kurz und bündig sagen, also „Other People’s Money“. Gerade aufgrund dieser treuhänderischen Stellung gegenüber dem Aktionär muss das Prinzip der persönlichen Haftung bzw. Verantwortung ein Stück weit auch für
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100
Siehe nochmals oben, Abschnitt 2.3. Siehe hierzu auch Lutter (2009) in diesem Tagungsband.
§ 5 Persönliche Managementverantwortung aus betriebswirtschaftlicher Sicht
den Vorstand gelten. Ohne eine solche Rückbindung seiner Entscheidungsfreiheit läuft der Vorstand ansonsten – um es in die anschaulichen Worte eines bekannten BGH-Urteils zu kleiden – aufgrund seiner Anreizstrukturen Gefahr, als Gutsverwalter mit Blick auf mögliche Erfolgsprämien überhöhte Risiken einzugehen, die im Misserfolgsfall allerdings nur den Gutsbesitzer treffen27. Vor dem Hintergrund dieser Grundtatbestände erscheinen die gegenwärtig praktizierten Formen der persönlichen Managementverantwortung namentlich im Bereich der großen Publikumsgesellschaften durchaus reformbedürftig zu sein. Folgende Implikationen lassen sich auf der Grundlage der voranstehenden Überlegungen ableiten. Die theoretisch überzeugende Konstruktionsidee der Systeme variabler Vergütungen sollte in der Praxis stärker zur Geltung gebracht werden. Zunächst ist die Erfolgselastizität der Vorstandsvergütungen nach unten zu stärken, um bei Misserfolgen spürbarere Sanktionsfolgen auszulösen. Ferner sollte auch eine Begrenzung variabler Vergütungen nach oben auf ein sinnvolles Maß in Betracht gezogen werden. Ganz abgesehen von allfälligen Gerechtigkeits- und Fairnessüberlegungen wird auf diese Weise vermieden, Vorstandsmitglieder zu sehr in Versuchung zu führen, mit Blick auf den möglichen exorbitanten persönlichen Gewinn jedes Gefühl für die eingegangenen Risiken zu verlieren. Drittens liegt es nahe, nicht nur die Sanktion der Einkommenseinbuße (qua variabler Vergütung) zu aktivieren. Das Design der Kompensationspakete von Vorständen sollte vielmehr so gestaltet werden, dass auch die Gefahr von Vermögensminderungen virulenter wird. Bonus-Malus-Systeme, wie sie aktuell diskutiert werden, bilden insoweit einen ersten Schritt in die richtige Richtung. In Anbetracht der Komplexität der Materie darf aber davon ausgegangen werden, dass auch hier die Schwierigkeiten im Detail liegen und noch weitergehende Überlegungen anzustellen sind. So können Kombinationen mit der sich ebenfalls etablierenden Praxis sinnvoll sein, Vergütungen zu einem nicht unerheblichen Teil in Aktien und nicht Aktienoptionen auszuzahlen, die über einen längeren Zeitraum gehalten werden müssen und die Vorstände an das Kursschicksal der übrigen Aktionäre binden. Vielleicht noch wichtiger als die Überarbeitung der Vergütungssysteme scheinen viertens Korrekturen der Modalitäten von Arbeitsplatzverlusten zu sein. Die Risikoabschirmung der Vorstände hat hier vielfach ein Ausmaß erreicht, das dem Grundsatz einer persönlichen Managementverantwortung schlicht zuwider läuft. Der Kapitalwert aus Übergangsleistungen, Abfindungen und Altersversorgungen nimmt dem Verlust des Vorstandsamts in vielen Fällen seinen ökonomischen Schrecken, der dieser Sanktion eigentlich innewohnen sollte. An dieser Stelle ist ein konsequentes Umdenken angebracht. Die neue Linie lässt sich vielleicht auf die Formel
27 Zum Bild von Gutsverwalter und Gutsbesitzer zur Beschreibung des Verhältnisses zwischen den Aktionären und den Verwaltungsorganen der AG siehe BGH-Urteil mit AZ: 3 StR 470/04 (vgl. Fn. 24).
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3. Teil: Managementverantwortung
bringen, dass Vorstände während ihrer aktiven Zeit bei guter Leistung gut oder auch hervorragend verdienen sollten. Für die Zeit danach sollten sie allerdings zu großen Teilen privat vorsorgen. Was man den Arbeitnehmern auf den nachgelagerten Hierarchieebenen heute verstärkt überantworten kann, darf man sicher auch dem Vorstand als Hierarchiespitze zutrauen. Durch eine klare materielle Trennung der Phasen des aktiven und des ehemaligen Vorstands markiert der Verlust des Vorstandsamts dann einen spürbaren Einschnitt, der (in materieller Hinsicht) nur selten gleichmütig in Kauf genommen und wohl kaum provoziert werden wird. Zwei weitere Implikationen seien abschließend kurz erwähnt. Zum einen liegt es im Eigeninteresse der Management-Community, dem Reputationsgedanken wieder mehr Gewicht beizumessen und aus der eigenen Mitte heraus die DOs and DON’Ts der angestellten Unternehmenslenker zu definieren. Zum anderen dient es dem Ziel einer konsequenten, aber auch nicht überzogenen persönlichen Managementverantwortung, wenn das Verhältnis von zivil- und strafrechtlicher Haftung wie dargelegt zukünftig mit Augenmaß besser ausbalanciert wird.
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102
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103
4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung § 6 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung I Wernhard Möschel
I.
Einleitung
Eine staatliche Verantwortung innerhalb der Finanzmarktkrise kann in die Vergangenheit gerichtet sein. Dann gehört sie zur Analyse der Ursachen. Sie kann in die Zukunft gerichtet sein. Das ist die Frage nach den zu ergreifenden Reformmaßnahmen. Zwischen beiden besteht ein Zusammenhang. Er kann von eng bis zu scheinbar reichen. Der Zusammenhang ist eng, wenn mit Reformen auf sichtbar gewordene Defizite geantwortet werden soll. Er ist nur scheinbar, wenn die Krise zum Anlass genommen wird, Absichten durchzusetzen, die mit der Finanzmarktkrise nichts zu tun haben. Auf dieser Linie fordert z.B. die Projektgruppe des SPD-Parteivorstandes in ihrem Bericht zur Transparenz und Stabilität auf den Finanzmärkten vom 27. Okt. 2008, die Beteiligungsrechte für Arbeitnehmer zu stärken, Steueroasen auszutrocknen und das dreisäulige deutsche Bankenmodell aus Geschäftsbanken, Genossenschaftsbanken und Sparkassen zu bewahren.1 Methodisch ähnlich, wenngleich auf einer anderen Ebene und mit mehr „panache“ versucht der französische Staatspräsident, Ideen von einer „europäischen Wirtschaftsregierung“ wiederzubeleben. Auch der verbreitet zu hörende Ruf nach einer stärkeren Regulierung von Hedge-Fonds und Private Equity-Gesellschaften hat mit der Finanzkrise wenig zu tun. Diese waren keine Verursacher der Krise, sondern prominente Opfer derselben. In dieser Rolle konnten sie freilich prozyklische Effekte auslösen (sog. deleveraging-Effekt) 2. Die genaue Erfassung solcher Zusammenhänge ist wichtig, da alle Beteiligten ihr politisches „Süppchen“ kochen mögen. Der Bundesfinanzminister kann die Frage nach einer eventuellen politischen Verantwortlichkeit für das Debakel bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Vergessenheit geraten lassen. Sie wird von seiner Rolle als „Ritter in stählerner Rüstung“ überlagert. Für die Bundestagswahl im Herbst 2009 mag diese Rolle hilfreich sein. Die Kanzlerin will sich nicht allzu sehr in den Schatten gedrängt sehen. Das in Aussicht genommene Wahlkampfkonzept – Kanzlerin des Aufschwungs und der Arbeitsplätze – dürfte in der sich entwickelnden Konjunkturkrise untergehen. Ein Ersatz muss her: Jeanne d’Arc
1 2
Projektgruppe (2008), S. 21 ff. Sachverständigenrat (2008 b), Tz. 183 f.
105
4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung
des deutschen Sparers oder der sozialen Marktwirtschaft – mit Akzent auf dem Adjektiv – bieten sich an.
II.
Zu den Entstehungsgründen
Die Stellungnahme zu den Entstehungsgründen darf knapp ausfallen. Zu diesem Thema ist bereits sehr viel gesagt worden, zuletzt im Jahresgutachten 2008/09 des Sachverständigenrates unter dem Titel „Die Finanzkrise meistern – Wachstumskräfte stärken“ 3. Wenn ich darauf noch einmal eingehe, dann, um einiges zurechtzurücken, was in der öffentlichen Debatte verzeichnet oder unterdrückt wird.
1.
Makroökonomische Ursachen
Fundamental sind makroökonomische Ursachen. – An erster Stelle ist das langjährige Ungleichgewicht in der amerikanischen Zahlungsbilanz und die sich darin spiegelnde Verschuldung der USA gegenüber dem Rest der Welt zu nennen. Die USA behandeln das mit „benign neglect“. Eine Änderung ist nicht erkennbar. – Die Geldpolitik der jüngeren Vergangenheit hat zu einer enormen Ausweitung der Geldmenge geführt. Dass sich dies nicht umgehend in Inflation niederschlug, lag an einer „besonderen Hinterlist der Weltgeschichte“, einem gleichzeitigen Technologieschub ohnegleichen und – im Zuge der Globalisierung – einer Ausweitung der Märkte. „So konnte, als Folge der immens großen Lücke zwischen effektiver und potentieller Kapazität („Output Gap“), zu keinem Zeitpunkt Teuerungsdruck entstehen“ 4. Der Schweizer Bankier spricht weiter von einer „Riesenkloake von übermäßiger Verschuldung, die über die letzten fünf Jahre entstand“. Er schätzt diese Überkapazität im Finanzsystem auf 30 bis 50 Prozent. – Die Notenbanken vermittelten allüberall den Eindruck: Ein globales Liquiditätsproblem könne es nicht mehr geben. Die Marktteilnehmer wiegten sich in dieser Sicherheit. – Schließlich mag man eine Mentalität in Erinnerung rufen, die offenbar in den USA verbreitet ist: „Über Schulden wird man reich.“ Wie komplex hier die Zusammenhänge in ihrem Für und Wider sein können, wird in diesen Tagen deutlich. Die Notenbanken um den Globus pumpen riesige Mengen von Liquidität in die Märkte. Robert Zoellick, der Präsident der Weltbank, fürchtet,
3 4
Sachverständigenrat (2008 b); Möschel (2008 a) und ders. (2008 b), 1287. Hummler (2008), S. 1, 2.
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§ 6 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung I
„dass wir ein noch viel größeres Problem schaffen, wenn das Geld nicht rechtzeitig dem System wieder entzogen wird“ 5.
2.
Mikroökonomische Ursachen
In mikroökonomischer Sicht soll der Ursprung der Finanzkrise in den USamerikanischen Immobilienmärkten liegen, einer verfehlten Förderpolitik der Regierung, der Duldung fehlerhafter Anreizstrukturen und generell in einer zu laschen Aufsicht. Diese Facetten sind nicht unrichtig. Sie verzerren indes das reale Bild. a)
Verbriefungsgeschäft
Als Teufelswerkzeug ist das Verbriefungsgeschäft ausgemacht (securitization). Es ist aus den USA zu uns herübergekommen. Die staatliche Aufsicht hätte dieses unterbinden, mindestens stärker kontrollieren sollen. Kreditverbriefungen sind hochintelligente strukturierte Produkte. Sie stellen die Überführung des komplizierten und kostenintensiven Kreditgeschäfts in ein leicht handhabbares Wertpapiergeschäft dar. Intransparent ist an ihm zunächst nichts. Mit ihm verknüpft sind ebenso genaue wie umfängliche Regelwerke. Sie ordnen Zahlungsströme und das gesamte Handling der Transaktion für den problemlosen Fall wie für den Krisenfall. Intransparenzen können erst dann entstehen, wenn bereits verbriefte Kredite noch einmal in einen Korb eingebracht werden und dieser Korb für sich erneut verbrieft wird. Man rechnet damit, dass solche mehrfach verschachtelten Produkte vom Markt verschwinden werden. Ein Insolvenzrisiko im Kreise der Kreditschuldner sucht man zu eliminieren: Wenn im Wege einer Trustkonstruktion ein Bündel von Forderungen zusammengefasst wird in Höhe von beispielsweise 100 Mio. $, so werden in diesen Korb real Forderungen in Höhe von 105 Mio. $ eingebracht. Der Überschuss stellt eine Art Schwundquote dar. Sie richtet sich an historischen Erfahrungen aus. Die Ratingagenturen werden nach Art eines TÜV um ihre Prüfung gebeten. Vorgebliche Interessenkonflikte sind kaum größer, als wenn ein Unternehmen einen Wirtschaftsprüfer bestellt. Bankaufsichtlich gesehen, ist eine Verbriefung von Krediten von Vorteil: Das Ausfallrisiko wird auf mehrere Gläubigerschultern verteilt. Der Reiz für das verbriefende Kreditinstitut liegt im Rückfluss des Kapitals. Es kann zur Grundlage neuer Geschäfte gemacht werden. Dabei werden indes keine falschen Anreize gesetzt. Fannie Mae und Freddy Mac, die beiden riesigen USamerikanischen Förderbanken, statteten die verbrieften, mit Hypotheken gesicherten Forderungen mit einer Garantie der pünktlichen Rückzahlung aus. Das wirkt wie ein Selbstbehalt von 100 %. Soweit das Verbriefungsgeschäft von Special Purpose Vehicles betrieben wurde – dies sind kleine Einheiten in der Nachbarschaft von Briefkastenfirmen an meist steuergünstigen und wenig regulierten Bankplätzen –,
5
Zoellick (2008).
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4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung
arbeiteten diese unter einer Garantie der dahinterstehenden Bank. Andernfalls hätte niemand mit ihnen Geschäfte gemacht. Gleiches gilt auf der Investorenseite für die sog. Special Investment Vehicles. Deshalb haftete z.B. die Sächsische Landesbank für die Verluste, welche ihre SIVs eingefahren hatten. Alle größeren deutschen Banken betreiben seit rund 20 Jahren ein eigenes Kreditverbriefungsgeschäft. Die Vorstellung, sie hätten die damit verbundenen Risiken nicht erkannt oder gar nicht erkennen können, gehört in die Kategorie der Märchen. Bei einem eigenen Verbriefungsgeschäft werden in Deutschland regelmäßig keine Garantien gegeben. Dafür praktiziert der sog. Originator einen Selbstbehalt. Er macht das aus eigenem Interesse: Die Papiere lassen sich dann leichter absetzen. Garantie oder Selbstbehalt, der Markt hat meist entweder für das eine oder für das andere gesorgt. Dies gilt nicht für die SPVs. Die dort vorhandene Garantie betraf die Gesellschaft, nicht notwendigerweise die von ihr vertriebenen Produkte. b)
Fannie Mae und Freddy Mac
Als Beleg für eine staatliche Verantwortung wird häufig die Rolle beschworen, die Fannie Mae und Freddy Mac als halbstaatliche Förderbanken in den USA gespielt haben. In der Tat: Sie haben sich dem Willen von Kongress und Regierung, auch den Beziehern kleinster Einkommen den Erwerb der eigenen vier Wände zu ermöglichen, bereitwillig untergeordnet. Im Subprime-Geschäft waren sie indes nicht tätig. Im Gegenteil, nach ihren Standards definierte sich die Kategorie der sog. „prime mortgages“. Erst mit Ausbruch der Krise im Jahre 2007 halfen sie auf politischen Druck hin bei der Konsolidierung von „subprime mortgage-backed securities“. Sie drehten aber, von einer latenten Staatsgarantie gedeckt, insgesamt ein viel zu großes Rad. Als sie am 7. Sept. 2008 von der zuständigen Bundesaufsichtsbehörde, der Federal Housing Finance Agency, übernommen werden mussten, hatten sie zusammen Anleihen in Höhe von 2400 Mrd. $ zu bedienen. Sie gehörten damit zu den größten Schuldnern weltweit. Doch dieser Eindruck ist für Europa zu relativieren: Fannie Mae und Freddy Mac sind auf dieser Seite des Ozeans kaum in Erscheinung getreten. Als Folge ihrer Verstaatlichung blieben Schuldner wie abgegebene Garantien unverändert. Mit anderen Worten: Kein Gläubiger hat einen Dollar verloren. Die Bedeutung dieser beiden Institute für die weltweite Finanzkrise wird namentlich in Deutschland übertrieben. c)
Die Insolvenz von Lehman Brothers
Entscheidend war vielmehr der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers am 15. Sept. 2008. Dafür gibt es drei Gründe: – Es handelte sich um ein Institut von höchster Reputation, seit 158 Jahren im Geschäft und in dieser Zeit noch in jedem Quartal in den schwarzen Zahlen. – Der Zusammenbruch erfolgte blitzschnell in einer Zeitspanne von Donnerstag auf Sonntag. Banken misstrauten jetzt einander, der Partner könne aufgrund von gefährdeten Forderungen gegen im Einzelnen unbekannte Drittbanken in Schwierigkeiten geraten.
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§ 6 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung I
– Ausschlaggebend war der Schock, dass Lehman Brothers als systemrelevante Bank, wie man heute sagen würde, nicht mit staatlicher Hilfe aufgefangen wurde. Böse Zungen behaupten, dies sei geschehen, weil die hauptsächlichen Gläubiger im Ausland saßen und deshalb innerhalb der amerikanischen Politik keine Rolle spielten. Für unsere Fragestellung sind zwei Punkte erheblich: – Die Insolvenz von Lehman Brothers hatte nichts mit der Krise an den amerikanischen Immobilienmärkten und damit verbundenen staatlichen Verantwortlichkeiten zu tun. Lehman Brothers scheiterte im Kreditabsicherungsgeschäft (Credit Default Swaps). – Lehman Brothers war eine selbständige Investmentbank. Das ist keine Bank im Sinne des amerikanischen Bankenaufsichtsrechts. Sie wurde von der SEC, der Securities Exchange Commission, kontrolliert und das mit einem Focus im Kapitalmarkt- und Börsengeschehen. Man kann deshalb schlecht von einem Versagen der allgemeinen staatlichen Bankenaufsicht sprechen. Die Insolvenz von Lehman Brothers war vielmehr – aus heutiger Sicht – ein Versagen des amerikanischen Krisenmanagements. Wenn die Bedeutung von Lehman Brothers innerhalb der Finanzkrise beiseite geschoben wird, um eine staatliche Verantwortlichkeit leichter nachweisen zu können, so mag man ideologischen Eifer am Werke sehen. Dem Bundesfinanzminister kann man diesen Vorwurf nicht machen. Er sieht im Zusammenbruch von Lehman Brothers die „Wasserscheide“ in der Entwicklung 6. Ebenso ist dem Sachverständigenrat klar, dass erst die Möglichkeit, eine Bank dieser Größenordnung könne fallengelassen werden, „panische Reaktionen (verursachte) und Banken weltweit dazu (veranlasste), Geschäfte untereinander fast vollständig einzustellen“ 7. Über vieles Akzidentelle hinweg mag man die letzten Ursprünge der Krise in den Finanzinnovationen der letzten beiden Jahrzehnte sehen. Sie haben mit großer Dynamik die Finanzmärkte revolutioniert, durchaus zum Wohle aller. Zugleich haben sie neue systemische Risiken mit sich gebracht. Möglicherweise war die Krise unvorhersehbar. Ein bekannter Ökonom schrieb mir: „Selbstverständlich ist sie von genialen Klugscheißern vorhergesehen worden. Aber es gab keine verbindlichen Kriterien, zu erkennen, ob diese eher genial oder eher Klugscheißer waren … Aber lernen können die Menschen immerhin.“
6 7
Steinbrück (2008 b). Sachverständigenrat (2008 b), Tz. 188.
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4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung
III.
Zu den Reformvorschlägen
Das Stichwort „lernen“ bringt uns zu den Reformvorschlägen als Ausprägung der in die Zukunft gerichteten Verantwortlichkeit des Staates. Die wichtigsten seien vorgestellt.
1.
Verbesserte Transparenz
Transparenz ist ein positiv besetztes Wort, durchaus zu Unrecht. Erzwungene oder konsentierte Herstellung von Transparenz kann zum Ersatz für Wettbewerbsbeschränkungen werden. Im Rahmen der Bankenkrise macht sie sich vornehmlich an der Behandlung von Special Purpose Vehicles und Special Investment Vehicles fest. Deren Abschaffung wäre unverhältnismäßig. Diese Formen bankwirtschaftlicher Aktivität können nützlich sein. So ist z.B. die 50 Mrd. Euro schwere Sanierung der Hypo Real Estate Bank auf der Plattform einer Zweckgesellschaft organisiert, bekanntlich unter Beteiligung von Bundesbank, Bafin und Bundesfinanzministerium. Es reicht aus, wenn diese Gesellschaften auf die Bilanz der Muttergesellschaften genommen werden müssen. Doch ist das im Regelwerk von Basel II bereits enthalten.
2.
Höhere Liquiditätsvorsorge und höhere Eigenkapitalausstattung
Dies stößt ins Herz bankwirtschaftlicher Tätigkeit. Das Ausmaß des möglichen Geschäftsvolumens müsste sich zurückbilden. Das war vornehmlich ein Problem größerer, selbständiger Investmentbanken in den USA mit zum Teil abenteuerlichen Kredithebeln.8 Solche Investmentbanken gibt es mittlerweile nicht mehr. Die beiden letzten, Goldman Sachs und Morgan Stanley, haben sich im Zuge der Finanzkrise in Bank Holding Companies umgewandelt. Sie unterstehen jetzt der sehr viel strafferen Bankenaufsicht der Fed. Als Vorteil haben sie dafür unmittelbaren Zugang zu Krediten der Notenbank. Entsprechungen zu diesem Typus, der in den USA gar nicht unter die Bankenaufsicht gefallen war, gibt es in Europa nicht. In Deutschland beruhte die Schieflage der Hypo Real Estate und ihrer Tochtergesellschaft Depfa auf dem Umstand, dass der Interbankenmarkt „nicht mehr stattfand“. Solche singulären Folgen lassen sich mit der genannten Verschärfung klassischer Aufsichtsinstrumente ohnehin nicht steuern.
8
Möschel (2008 a) und ders. (2008 b), 1287.
110
§ 6 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung I
3.
Verschärfung der persönlichen Haftung
Populär ist die Forderung nach einer Verschärfung der Haftungsregeln für Bankleitungen. Sinn macht sie nicht. Schon jetzt haftet jedes Mitglied eines Vorstandes oder eines Aufsichtsrates für jede schuldhafte Pflichtverletzung, dies unter Umkehrung von Vortrags- und Beweislast. Das heißt, diese Organe müssen sich entlasten, dass sie keinerlei Verschulden trifft. In der Praxis ist es mit diesen Haftungsregeln nicht weit her. Das hat einen sachlichen Grund: Unternehmerisches Handeln lässt sich nicht sinnvoll normieren, wenigstens nicht die im Vordergrund stehenden duties of care in Abgrenzung zu den sog. duties of fidelity. Man mag die etwas umständlichen Verfahrensregeln ändern. Bewirken kann dies angesichts einer maßgeblichen business judgement rule kaum etwas. Auch ist darauf Bedacht zu nehmen, dass man nicht die sog. robbery shareholder, jene Erpressungsindustrie rund um Kapitalgesellschaften, begünstigt. Schließlich muss man sehen: Die endgültige Traglast bei solcher Haftung liegt letztlich ohnehin bei den Aktionären: Denn die Gesellschaften pflegen Haftpflichtversicherungen für ihre Manager abzuschließen (D&O-Versicherungen).
4.
Beendigung des wahnsinnigen Strebens nach einer hohen Rendite
Von einer Beendigung des wahnsinnigen Strebens nach einer höheren Rendite ist die Rede.9 Das wird auf natürliche Grenzen stoßen. Die Menschen sind, wie sie sind. Andere gibt es nicht (Konrad Adenauer). Ein Gesetzgeber kann Einfluss nehmen, indem er die steuerliche Abzugsfähigkeit der Remuneration von Gesellschaftsorganen begrenzt. Die Ausgestaltung von Optionen kann er regeln, etwa derart, dass einem Bonusregime immer auch ein Malusregime zugeordnet sein soll. Solche Regelungen müssten generell getroffen werden. Sie auf den Sachverhalt Banken zu beschränken, macht keinen Sinn. Das wäre insgesamt ein massiver Eingriff in die Vertragsfreiheit. Im Kern ist das ein allgemeines Principal-Agent-Problem, welches sich nur in Publikumsgesellschaften stellt. Hier sollten die Gesellschaftsorgane gehindert sein, sich auf Kosten der „machtlosen“ Anteilseigner zu bereichern. Bei einer Gesellschaft mit einem Großaktionär, was sehr verbreitet ist, entfällt das Problem. Warum sollte es den Familien Piëch und Porsche verwehrt sein, den Vorstandsvorsitzenden der Porsche AG fürstlich zu entlohnen, wenn sie das für wünschenswert halten? Die Frage gehört bestenfalls in einen unverbindlichen Verhaltenskodex. Auch sollte nicht vergessen werden, dass sich bei solchen Einkommensbegrenzungen ein weites Feld für Umgehungen öffnet. Der Rechtskultur im deutschen Gesellschaftsrecht wäre dann gewiss nicht gedient.
9
Steinbrück (2008 a), S. 9.
111
4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung
5.
Selbstbehalt bei Kreditverbriefungen
Mit den Ursachen der Finanzkrise hätte diese Maßnahme wenig zu tun. Entweder lagen Garantieerklärungen vor – diese wirken wie ein „100prozentiger Selbstbehalt“ – oder der Markt brachte aus sich heraus einen Selbstbehalt hervor. Man könnte argumentieren: Dann schadet eine staatliche Regulierung gerade nicht. Doch wirkt jede Mindestangabe, zum Beispiel 5 Prozent von einem Kreditbetrag, in der Praxis meist wie ein Richtwert. Das befördert nicht gerade Flexibilität und Wettbewerb.
6.
Verbot spekulativer Leerverkäufe
Die Börsenaufsichtsbehörden einiger Länder haben dieses Instrument im Zuge der Finanzkrise eingesetzt, zeitlich und sachlich begrenzt (nur Finanztitel, nur ungedeckte Leerverkäufe). Das Instrument ist also bereits verfügbar. Ein Verbot von Dauer macht keinen Sinn: Spekulationen sind Arbitragegeschäfte in der Zeit, sie führen Angebot und Nachfrage zusammen. Zugleich teilen die Spekulanten mittelbar dem Markt ihre Erwartungen mit. Leerverkäufe werden überdies als Instrument der Kurssicherung eingesetzt. Schließlich erhöhen sie die Liquidität einer Börse. Je höher diese Liquidität, desto eher entspricht ein einzelner Transaktionspreis einem wirklichen Marktpreis. Zu beanstanden ist nur das Phänomen, dass Baissespekulanten durch das Streuen falscher Gerüchte Kurse nach unten sprechen. § 20a WpHG enthält diesbezüglich ein Verbot. Der historisch berühmteste Fall spielte an der Börse von London, als nach der für England siegreichen Schlacht von Waterloo einzelne davon mit Hilfe von Brieftauben vor dem allgemeinen Publikum Kenntnis erlangt hatten und an der Börse die Nachricht von einer bitteren Niederlage verbreiteten. Das sind Verhaltensweisen im Umfeld des Betrugstatbestandes. Es wäre unverhältnismäßig, darauf mit einer Eliminierung des Problems zu reagieren, nämlich einem Verbot jeglicher Baissespekulation.
7.
Lockerungen von Bilanzierungsregeln
Solche Änderungen sind bereits realisiert (erlaubte Verschiebung nicht derivativer Wertpapiere vom Handelsbestand in den Anlagenbestand). Auf diese Weise werden bei einem Kursverfall Abschreibungen als Folge einer Bewertung nach dem FairValue-Prinzip vermieden. Im Anlagenbestand ist eine Bewertung nach den sog. fortgeführten Anschaffungskosten vorgesehen.10 Es wird auf diese Weise die Bilanz geschönt. Das Publikum kann man dadurch nicht irreführen. Bei der Berichterstattung wird regelmäßig beides geliefert, die niedri-
10
112
Sachverständigenrat (2008 b), Tz. 234 Kasten 7.
§ 6 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung I
gere Bewertung nach der alten Regel und die höhere nach der neuen. Dem Unternehmen wird ein Ausweis erst zukünftiger Gewinne ermöglicht. Diese können ausgeschüttet oder zur Ausdehnung des Geschäfts, namentlich des Kreditgeschäfts, verwandt werden. Für krisengefährdete Unternehmen empfiehlt sich beides eher nicht. Wohl auf Wolfgang Stützel geht die Metapher zurück: Zu hohen Druck in einem Kessel kann man nicht mit Änderungen am Thermometer bekämpfen. Bilanzwahrheit und -klarheit sollte man nicht aufs Spiel setzen, jedenfalls nicht auf Dauer. Die hier gemachten Vorbehalte treffen nicht den Vorschlag, die an Zeitwerten orientierte Fair-Value-Methode durch die Ertragswertmethode der diskontierten Einnahmeüberschüsse zu ersetzen (Discounted Cash Flow, DCF). Doch ist diese Rechenmethode überaus kompliziert.
8.
Ratingagenturen
Die Ratingagenturen, drei an der Zahl, haben ihren Geschäftssitz in New York. Unmittelbar regulieren kann sie der amerikanische Gesetzgeber. Andere Rechtsordnungen können es nur mittelbar, indem sie bestimmte Anforderungen an die Anerkennung von Testaten stellen. Das sachliche Gravamen ist gegenwärtig, dass diese Agenturen vielfach zu mechanistisch-mathematisch gearbeitet haben. Anzumahnen wäre eine stärkere Berücksichtigung des Marktumfeldes und des gesamtwirtschaftlichen Kontextes. Vorschläge der EU-Kommission reichen weiter: Beratungsdienstleistungen sollen zur Vermeidung von Interessenkonflikten untersagt werden. Mindestens drei unabhängige Mitglieder müssen in die Verwaltungsgremien aufgenommen werden. „Fundierte Informationen“ sind als Grundlage für die Ratings nachzuweisen, die verwandten Methoden offenzulegen. Die Agenturen sollen jährlich einen Transparenzbericht veröffentlichen. Im Dezember 2008 hat die SEC neue Regularien erlassen. Die Agenturen dürfen keine strukturierten Anleihen mehr bewerten, bei deren Zusammensetzung sie den Emittenten unterstützt haben. Ferner müssen sie Statistiken über ihre Ab- und Hochstufungen in den bewerteten Anlageklassen veröffentlichen. Ob das alles viel bewirken wird, ist offen.
9.
Das Kreditabsicherungsgeschäft
Nach Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) belief sich der Nennbetrag der weltweit ausstehenden Derivate in der 2. Jahreshälfte 2007 auf etwa 600 Billionen US-Dollar.11 Auf das Geschäft mit handelbaren Kreditabsicherungen, den sog. Credit Default Swaps, entfielen davon rund 10 Prozent. Im ersten Halbjahr 2008 waren es 54,6 Billionen US-Dollar. Zum Vergleich: Das weltweite Bruttosozial-
11
Eggert (2008).
113
4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung
produkt für 2007 belief sich nach Daten der Weltbank auf etwa 55 Billionen USDollar. (Wenn man die Forderungen der Marktteilnehmer gegenseitig aufrechnet, bleibt ein Nettovolumen von 1,6 Billionen US-Dollar.) Finanzinnovationen dieser Art, so nützlich sie sind, bringen zugleich Risiken für die Stabilität der Finanzmärkte mit sich. Im Falle von Lehman Brothers und beim Beinahekollaps des amerikanischen Versicherungsunternehmens AIG haben sie sich realisiert. Als Antwort darauf will man an etwa vier Börsen der Welt sog. zentrale Kontrahenten für CDSs einführen: Das sind zentrale Clearingstellen, wie sie von den Terminbörsen her bekannt sind. Verträge werden nicht mehr zwischen den Marktteilnehmern direkt geschlossen, sondern unter Zwischenschaltung der Clearingstelle. Diese selbst hat keine Solvenzprobleme. Bei Marktteilnehmern erzielte Gewinne oder Verluste werden taggleich ausgeglichen. Bei Risikopositionen sind entsprechende Sicherheiten zu stellen. Eine solche Clearingstelle hat marktstabilisierende Wirkung. Die EU-Kommission will bis Ende 2008 eine Roadmap für ihre Errichtung erarbeiten. Dies ist einer der wenigen Vorschläge, der direkt auf Ursachen der gegenwärtigen Finanzkrise einzugehen sucht.
10.
Internationales
a)
Internationaler Währungsfonds (IWF)
Eine Aufwertung des Internationalen Währungsfonds steht an erster Stelle. Der Washingtoner Gipfel vom 15. Nov. 2008 hat diese Idee aufgenommen (Reinforcing International Cooperation, Reforming International Financial Institutions). Doch ist dabei streng zu unterscheiden. Von einer Funktion des IWF als Bankenaufsichtsbehörde ist dringend abzuraten. Solchen Vorstellungen von einem globalen Finanzmarktpolizisten scheint die französische Regierung anzuhängen. Der Sachverständigenrat spricht immerhin davon, für eine zu entwickelnde „Aufsicht über die größten international tätigen Finanzinstitute … sei der IWF … am ehesten geeignet“ 12. – Eine solche Aufsicht durch eine in Washington D.C. belegene zentrale Behörde müsste angesichts deren Ferne vom lokalen Geschehen völlig ineffizient sein. – Die durchaus unterschiedlichen Bankenmärkte und die ihnen zugeordneten nationalen Regulierungssysteme lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Dies gilt namentlich für die Involvierung der jeweiligen Staaten in ihre Bankenordnung. – Eine solche Aufsicht müsste sich in Richtung amerikanische Bankenaufsicht entwickeln (individuelle Institutsprüfung). Das wäre extrem teuer.
12
114
Sachverständigenrat (2008 b), Tz. 172, offenbar enger in Tz. 269.
§ 6 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung I
Weniger harsch ist ein Verdikt, wenn es um die Schaffung einer internationalen Plattform für die Ausarbeitung eines generellen Regelwerkes geht, eine verbesserte Kooperation zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden oder die Schaffung eines Kreditregisters oder einer Risiko-Weltkarte, wie das die Arbeitsgruppe um Otmar Issing vorgeschlagen hat.13 Man mag darin Elemente eines Frühwarnsystems sehen. Dennoch überwiegen die Vorbehalte: – Die Öffnung von Zuständigkeiten pflegt eine Eigendynamik zu entfalten, deren Ziel und Tempo kaum beherrschbar sind. – Der IWF hat 187 Mitglieder. Es ist schwer vorstellbar, wie diese auf einen fruchtbaren, gemeinsamen Nenner gebracht werden können. – Bislang wurde die Politik des IWF von den USA dominiert. In ihrem Kielwasser folgten die europäischen Staaten. Mit den USA als Hegemon könnte es zu Ende gehen. Mit der bequemen Lage der Europäer, die keine wirkliche Verantwortung tragen, wäre es dann vorbei, ohne dass sie selbst das entstehende Machtvakuum füllen könnten. Ein solches Dilemma vermeidet man besser. Es gibt eine vorzugswürdige Option: Die internationale Kooperation sollte über die BIZ in Basel gestaltet werden. Das Forum für Finanzmarktstabilität (FSF), ein Arbeitskreis von Finanzministern, Notenbanken und Bankaufsichtsbehörden aus den G7-Ländern, ließe sich dort integrieren. b)
Europäische Gemeinschaft
Neben dem IWF richten sich viele Augen auf eine intensivierte Rolle der Europäischen Gemeinschaft in der Finanzmarktregulierung. Mit den Ursachen der gegenwärtigen Krise hat das nichts zu tun. Ein spezifisches Problem der EU war, dass ein Finanzinstitut einer Regulierung deshalb nicht unterfiel, weil sich eine Aufsichtsbehörde in einem Mitgliedsland auf eine Aufsichtsbehörde in einem anderen Mitgliedsland verließ. Der Zusammenbruch des Banco Ambrosiano war der spektakuläre Fall. Doch das ist Jahrzehnte her und als Problem längst gelöst. Grundlegend ist dagegen die Sinn’sche Selektionsthese vom ruinösen Charakter des Wettbewerbs der Regulierungssysteme.14 Die Antwort darauf wäre dann eine Harmonisierung, u.a. im Rahmen der EU. Die intuitive Idee ist einfach: Wenn wir bestimmte Gegenstände dem Markt und damit dem Wettbewerb entziehen, sie vielmehr staatlicher Regulierung unterstellen, dann mache es keinen Sinn, diesen Wettbewerb durch die Hintertür über einen Wettbewerb der Regulierungssysteme wiedereinzuführen. Das ist richtig auf der Prämisse eines benevolenten Staates. Wer dem Konzept eines Leviathan mehr abgewinnen kann, wird die Möglichkeit eines exit für segensreich halten. Etwa beim Wettbewerb der Steuersysteme, der bei den
13 14
Issing (2008), p. 11. Sinn (2003), p. 5 ff.
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4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung
Special Purpose Vehicles seine Rolle gespielt hat, mag man einen begrenzenden Einfluss in Richtung Höhe und Struktur einer Besteuerung willkommen heißen. Nicht erstrebenswert ist demgegenüber competition in laxity innerhalb der Bankenaufsicht. Auch das hatte bei den Special Purpose Vehicles eine Bedeutung. Doch muss man die Kirche im Dorf lassen. 50 Jahre EG belegen, dass es mit solcher competition in laxity nicht weit her ist. Dafür gibt es einen einleuchtenden Grund: Die Staaten, welche wesentlichere Bankenplätze beherbergen, haben selbst ein Interesse daran, die Stabilität von Finanzmärkten zu gewährleisten. Das schließt die Börsen mit ein. Spielräume, wie sie exotische Bankenplätze gewähren und wie sie von den Special Purpose Vehicles gesucht wurden, muss man im Auge behalten. Die Einbeziehung dieser SPVs in die Bankbilanzen, wie es Basel II vorsieht, ist ein Mittel dazu. Die Unterdrückung des Regulierungswettbewerbs durch Harmonisierung der Regeln wäre demgegenüber gänzlich unverhältnismäßig. Gegen eine Ausdehnung von EG-Kompetenzen sprechen zudem allgemeinere Erwägungen: – Die rund 18.000 hochqualifizierten Beamten bei der Kommission in Brüssel, davon 6.200 im höheren Dienst, sind ständig auf der Suche nach anspruchsvoller Tätigkeit. Als edelste gilt die Rolle des Gesetzgebers. Dies löst einen strukturellen Trend zu einem ständigen Zuviel aus. – Das gegenwärtige Demokratiedefizit auf der europäischen Ebene in dem Sinne, dass man einen missliebigen Entscheider nicht einfach abwählen kann, ließe sich nur in einer Bundesstaatsperspektive beseitigen. Ein politischer Wille in dieser Richtung ist nicht vorhanden. – Im Laufe des Jahrhunderts wird es aufgrund der demographischen Entwicklung zum ersten Mal mehr Franzosen als Deutsche geben. Dies wird unvermeidlich zu einem deutschen Einflussverlust führen. Die Leichtigkeit, mit der sich gegenwärtig Ideen von einer europäischen Wirtschaftsregierung, von einer Wirtschaftspolitik aus einem Guss unter Einbeziehung der Geldpolitik der EZB, zurückweisen lassen, ist dann bedroht. Nationale Zuständigkeiten könnten sich als „sichere Häfen“ erweisen. In der Erklärung des Washingtoner Gipfels heißt es, alle Finanzmärkte, alle Produkte und alle Teilnehmer sollten reguliert werden oder einer Aufsicht unterworfen sein.15 Ich hoffe, dies ist nur ein knackiger Politikerspruch ohne konkrete Folgen. Für weite Beurteilungsspielräume spricht die Einschränkung „as appropriate to their circumstances“. Wäre es anders, müssten in Zukunft Innovationen in der Finanzbranche erst den Zulassungsstempel einer Behörde erhalten. Ein Alptraum!
15
116
Declaration (2008), Tz. 9.
§ 6 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung I
Literatur Bundesbank (2004), Credit Default Swaps – Funktionen, Bedeutung und Informationsgehalt, Monatsbericht (12), 43. Declaration (2008), Declaration of the Summit on Financial Markets and the World Economy, http://www.whitehouse.gov/news/releases/2008/11/20081115-1.html. Eggert, M. (2008), Kommt ein zentrales Clearing?, FAZ Nr. 265 vom 12. Nov. 2008, B 11. Hummler, K. H. (2008), Die Wiedergeburt des Eigentums, Anlagekommentar Nr. 259 vom 13. Okt. 2008, 1. Issing, O. (2008), New Financial Order. Recommendations by the Issing Committee, 1. Möschel, W. (2008 a), Auch der Staat hat versagt, NZZ Nr. 262 vom 8./9. Nov. 2008, 15. Möschel, W. (2008 b), Finanzkrise und Marktwirtschaft, Wirtschaft und Wettbewerb 58 (12), 1283. Projektgruppe des SPD-Parteivorstandes (2008), Eine Neue Balance von Markt und Staat: Verkehrsregeln für die Internationalen Finanzmärkte, Berlin. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2008 a), Das deutsche Finanzsystem. Effizienz steigern – Stabilität erhöhen, Paderborn. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2008 b), Die Finanzkrise meistern – Wachstumskräfte stärken, Jahresgutachten 2008/09, Paderborn. Sinn, H. W. (2003), The New Systems Competition, Oxford. Steinbrück, P. (2008 a), Zur Lage der Finanzmärkte, Regierungserklärung am 25. Sept. 2008 im Deutschen Bundestag, BT-Plenarprotokoll 16/179, Stenographischer Bericht der 179. Sitzung, 18968. Steinbrück, P. (2008 b), Die Lage ist noch schlechter geworden, FAZ Nr. 253 vom 29. Okt. 2008, 11. Zoellick, R. (2008), Finanzmarktreform mit Skalpell, nicht mit der Axt, FAZ Nr. 272 vom 20. Nov. 2008, 12.
117
§ 7 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung II Roland Vaubel Die Frage nach der Verantwortung des Staates stellt sich in dreierlei Hinsicht: 1. Inwieweit war der Staat für den Ausbruch der Finanzmarktkrise verantwortlich? 2. Wie sollte der Staat die Krise, nachdem sie ausgebrochen war, bekämpfen? 3. Sollte der Staat, um solche Krisen in Zukunft nach Möglichkeit zu vermeiden, zusätzliche Regulierungen einführen und, wenn ja, welche? Zu der ersten Frage ist schon viel geschrieben worden. Deshalb werde ich mich kurz fassen und nur einiges ergänzen.
I.
Die Verantwortung des Staates für die Entstehung der Krise
Staatliche Institutionen haben auf dreierlei Weise zur Krisenentstehung beigetragen: 1. Die staatlich initiierten, garantierten und beeinflussten Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac haben durch den massenhaften Ankauf von Subprime Mortgages die Entstehung dieses höchst labilen Marktes erst möglich gemacht. 2. Sowohl Fannie Mae und Freddie Mac als auch die rein privaten Hypothekenbanken unterstanden einer staatlichen Aufsicht. Die staatlichen Regulierungsbehörden haben versagt. 3. Ohne die extrem expansive Geldpolitik der amerikanischen Notenbank in den Jahren 2002 bis 2004 wäre es nicht zu der Immobilienpreisblase gekommen. Verfehlt war nicht die Niedrigzinspolitik des Jahres 2002, denn 2001–02 befand sich die amerikanische Wirtschaft in einer Rezession. Aber nachdem die Wirtschaft 2003 und 2004 wieder ansehnliche reale Wachstumsraten von 2,5 und 3,6 Prozent erreicht hatte, hätte die Geldpolitik unverzüglich zu einem neutralen Kurs zurückkehren müssen. Dass es nicht dazu kam, lag wahrscheinlich daran, dass 2004 ein Wahljahr war. Außerdem waren die Konjunkturprognosen der Fed für 2003 und 2004 viel zu pessimistisch. Aber das kann Absicht gewesen sein. Vielleicht sollten sie dazu dienen, die expansive Geldpolitik vor der Wahl zu rechtfertigen. Die Niedrigzinspolitik der Fed ermutigte nicht nur zum kreditfinanzierten Immobilienkauf. Als Folge der expansiven Geldpolitik wurde auch die Ertragskurve so steil, dass sich die Banken für eine stärkere Fristentransformation entschieden. Das trug zur Labilität des Bankensystems bei.
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4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung
II.
Die Verantwortung des Staates für die Krisenbewältigung
Nachdem die Krise ausgebrochen war, machte die Politik zwei Fehler. Zum einen gingen die Rettungsaktionen nicht weit genug. Der amerikanische Staat hätte den Konkurs von Lehman Brothers verhindern sollen, denn dieser hat die weltweite Panik ausgelöst. Lehman Brothers was too big to fail. Das war nicht unbedingt vorauszusehen. Ich muss gestehen, dass ich selbst damals Henry Paulsons Entscheidung für richtig hielt, auch eine renommierte Investment Bank pleite gehen zu lassen. Aber im Nachhinein ist klar, dass es ein Fehler war. Die vielleicht wichtigste Lehre aus der Krise ist, dass der Staat nicht nur die ganz großen, sondern auch mittelgroße Banken vor dem Konkurs bewahren muss. Die Regierungen schreckten davor zurück, den Fortbestand der größeren Banken bedingungslos zu garantieren. Stattdessen wurden immer mehr Bankguthaben mit staatlichen Bürgschaften abgesichert, Zentralbankkredite zu erleichterten Bedingungen vergeben, Aufkäufe notleidender Kredite in Aussicht gestellt, die Bewertungsstandards gelockert und Mittel für staatliche Kapitalbeteiligungen bereit gestellt. Alle die Maßnahmen stützten die Banken, aber sie blieben hinter dem Ziel zurück, weitere schwerwiegende Bankenkonkurse auszuschließen. Der Staat hätte m.E. eine Auffanggesellschaft bereit stellen müssen, die alle größeren insolventen Banken übernimmt, weiterführt, rekapitalisiert und nach der Panik gleich wieder verkauft – so wie die bürgerliche Regierung Schwedens dies 1992 vorexerziert hat. Die Maßnahmen gingen insofern nicht weit genug. In anderer Hinsicht gingen sie aber viel zu weit – und das war der zweite Fehler des staatlichen Krisenmanagements. Die staatlichen Hilfsmaßnahmen oder Subventionen waren nämlich nicht auf diejenigen Banken beschränkt, die vor dem Konkurs standen, sondern sie wurden allen gewährt – den Kranken wie den Gesunden. Wenn die Subventionen ungezielt – mit der Gießkanne – vergeben werden, entstehen Mitnahmeeffekte, die die Hilfsprogramme nicht nur verteuern, sondern auch unerwünschte Anreizwirkungen auslösen können. Hans-Werner Sinn ist für das Gießkannenprinzip: „Der Staat muss den Banken sagen: Entweder besorgt ihr euch frisches Kapital am Markt, oder wir steigen bei Euch ein“.1 Mir ist unverständlich, wieso es Aufgabe des Staates sein könnte, sich an solventen Banken zu beteiligen. Wenn eine schwere Rezession erwartet wird, ist es an der Makropolitik gegenzusteuern.
III.
Die Verantwortung des Staates für die Krisenvermeidung
Was kann und sollte der Staat tun, um solche Krisen in Zukunft zu vermeiden? Die Antwort hängt davon ab, wie man den Ausbruch der Krise erklärt. Es ist klar, dass die Vermögensbildungspolitik, die Bankenregulierung und die Geldpolitik nicht
1
Zitat aus dem Berliner „Tagesspiegel“ vom 25.10.2008.
120
§ 7 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung II
die Fehler wiederholen dürfen, die in den USA gemacht wurden. Aber haben nicht auch die Banken, die Finanzmärkte versagt, und müssen die Reformen nicht auch dort ansetzen? Was die Fehler der Banken angeht, sind zwei Arten von Erklärungshypothesen zu unterscheiden. Die eine behauptet, dass die Banken wider besseres Wissen die Krise riskiert haben, weil der Markt nicht die richtigen Anreize bietet. Das ist die These vom Marktversagen, wie sie Sinn vertritt.
1.
Falsche Anreize?
Dabei muss zwischen den Eigentümern und den Managern unterschieden werden. Die Eigentümer waren nach dieser Hypothese zu risikofreudig, weil ihre Haftung im Konkursfall beschränkt ist, während ihnen Gewinne unbegrenzt zugute kommen. Die Manager waren nach dieser Hypothese zu risikofreudig, weil sie nur auf Zeit beschäftigt werden und daher nicht so langfristig denken wie die Eigentümer und weil sie über zum Teil asymmetrische Bonussysteme am Unternehmenserfolg beteiligt sind. Sinn sieht die Ursache in den Haftungsbeschränkungen: – „Die Wechselwirkung zwischen dem Anreiz, das Eigenkapital zu minimieren, und dem Anreiz zum Glückspielen verursachte die amerikanische Krise … Die Krise breitete sich aus, weil das Bankensystem nicht in ausreichendem Maße risikoscheu war, ja in vielen Fällen das Risiko geradezu suchte“.2 – „Bei hoher wirtschaftlicher Unsicherheit kann die Haftungsbeschränkung … zum Problem werden, weil sie den Wagemut zum Glücksrittertum übersteigert … Die fünf großen US-Investmentbanken, von denen bisher drei der Krise zum Opfer fielen, haben hemmungslos auf diese Strategie gesetzt“.3 Die Nachteile von Haftungsbeschränkungen sind seit Jahrhunderten bekannt, und sie gelten für Banken wie Nichtbanken. Trotzdem haben sich das Prinzip der beschränkten Haftung, die Delegation der Unternehmensführung an Manager und die Erfolgsbeteiligung der Manager weithin durchgesetzt und im Markt bewährt. Weshalb sollten diese bewährten Prinzipien der Unternehmensverfassung gerade jetzt zu einer stark übersteigerten Risikobereitschaft – Glücksrittertum, wie es Sinn nennt – geführt haben? Liegt es an den neuen Formen der Erfolgsbeteiligung für Manager – den Aktienoptionen? Dass die Manager einen kürzeren Zeithorizont haben als die Eigentümer, war schon immer so. Dass jede Form der Erfolgsbeteiligung die Manager zur kurzfristigen Gewinnmaximierung anregt, ist auch nichts Neues. Dass sich die Erfolgsbeteiligung der Manager nicht (nur) nach dem Betriebsergebnis, sondern (auch) nach dem Aktienkurs oder Shareholder Value bemisst, hat die Kurzfristorientierung der Man-
2 3
Ifo-Standpunkt 99 vom 28.10.08. Wirtschaftswoche vom 13.10.08.
121
4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung
ager nicht verstärkt, sondern im Gegenteil abgebaut. Auch die potentielle Asymmetrie der Erfolgsbeteiligung gibt es nicht erst seit den Aktienoptionen. Schließlich haben sich diese Bonussysteme nicht nur bei den Banken, sondern in allen Wirtschaftszweigen durchgesetzt. Sind jetzt alle Manager zu „Glücksrittern“ geworden? Das ist vielleicht die Welt der Abenteuerfilme, aber nicht die Realität. Richtig ist, dass die Haftungsbeschränkungen die volle Internalisierung der Risiken verhindern. Aber daraus folgt nicht, dass die Manager – oder Eigentümer – den Konkurs leichtfertig in Kauf nehmen bzw. nahmen und daher – wie Sinn meint – „die Risiken suchten“. Ein Bild soll dies verdeutlichen. Betrachten wir den Piloten eines vollbesetzten Passagierflugzeugs – eines Jumbos. Er haftet nur für einen winzigen Bruchteil des Schadens, der entsteht, wenn er einen schweren Fehler macht, das Flugzeug infolgedessen abstürzt und alle Insassen umkommen. Da er selbst nur einen Teil des Schadens trägt, müsste er eigentlich – nach Sinns Argumentation – zu risikofreudig sein. In Wirklichkeit ist er es aber nicht, denn der Absturz würde ihn sein Leben kosten. Das ist für ihn ein hinreichender Anreiz, den Absturz zu vermeiden. Ein Konkurs ist ein Absturz. Eigentümer und Manager haben in aller Regel einen hinreichenden Anreiz, ihn zu vermeiden. Technisch ausgedrückt: nicht alle Externalitäten sind allokationsrelevant. Viele sind intramarginal und daher zu vernachlässigen. Das ist seit langem anerkannt, wird aber von den Propheten des Marktversagens gerne übersehen. Nicht unmittelbar absturzgefährdet waren die Credit-Rating-Firmen und diejenigen Hypothekenbanken, die die ursprünglichen Kredite vergaben, verbrieften und weiterverkauften, so dass sie kaum mehr am Risiko beteiligt waren. Auch diesen beiden Akteuren musste jedoch klar sein, dass die Vortäuschung niedriger Risiken ihren Geschäftserfolg langfristig gefährden würde. Es gibt aber nicht nur allgemeine Plausibilitätsüberlegungen, die gegen die These von den verzerrten Marktanreizen und damit gegen Marktversagen sprechen. Die ökonometrische Evidenz zeigt nämlich, dass der Anteil der notleidenden Kredite ganz überwiegend durch die Veränderungen der Immobilienpreise erklärt werden kann und kaum von den Vergabekriterien der Hypothekenbanken abhing.4 Das deutet darauf hin, dass die Hypothekenbanken selbst von den massenhaften Kreditausfällen überrascht wurden. Auch wenn der Markt den Risikoträgern einen hinreichenden Anreiz bot, den Konkurs zu vermeiden, so stellt sich doch als nächstes die Frage, ob ihre Anreize nicht insofern verzerrt waren, als sie sich darauf verlassen konnten, dass der Staat für sie einspringen würde. Das ist das Moral-Hazard-Problem der Versicherungsökonomik.
4
Gorton, The Panic, 74.
122
§ 7 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung II
Ich sehe zwei mögliche Einwände: 1. Selbst wenn der Staat die Bank rettet, hat die Krise für das Führungspersonal der Bank doch hinreichend unangenehme Konsequenzen – bis hin zur Entlassung. 2. Manche Banken wurden ja gerade nicht vor dem Konkurs bewahrt – die größte war Lehman Brothers. Ich neige deshalb zu der alternativen Erklärungshypothese: die Banker haben sich geirrt.
2.
Irrtum
Auslöser der Krise waren falsche Erwartungen, nicht falsche Anreize – jedenfalls nicht falsche Marktanreize. Die Banker haben die Risiken nicht „gesucht“ (Sinn), sondern unterschätzt. Die Wirtschaft funktioniert – wie die Wissenschaft – nach dem Prinzip des „trial and error“ (Karl Popper). Denn der Wettbewerb bietet maximale Anreize zur Innovation. Die modernen Finanzmärkte sind das beste Beispiel. Der Irrtum ist unvermeidlich. Dass sich die Menschen irren, bedeutet nicht, dass die Marktwirtschaft ein ineffizientes System ist. Die Marktwirtschaft ist ein Koordinationsmechanismus; diese Aufgabe erfüllt sie hocheffizient. Aber sie kann natürlich nichts daran ändern, das die Zukunft ungewiss ist. Wer von der Marktwirtschaft vollkommene Voraussicht fordert, verlangt Unmögliches. Deshalb macht es auch keinen Sinn, den Irrtum als „Marktversagen“ zu bezeichnen. Unvollkommene Voraussicht ist kein Systemfehler. Es kommt hinzu: Der Staat, die Politiker und Beamten, wissen es auch nicht besser. Im Gegenteil, diejenigen, die die besten Voraussagen machen, zieht es eher in den gut bezahlten Bankvorstand als in den engen Rock des Beamten. Worin bestand der Irrtum? – Die Banker haben die Entwicklung der amerikanischen Immobilienpreise falsch eingeschätzt. – Die Kreditvermittlungskette war zu lang um überschaubar zu sein. – Die Banker haben die Leistungsfähigkeit der mathematisch-statistischen RisikoManagement-Systeme, die sie eingeführt hatten, überschätzt. – Die Ausfallrisiken, die sich hinter den Asset-Backed Securities verbargen, wurden unterschätzt. Dass nicht falsche Marktanreize, sondern falsche Erwartungen ausschlaggebend für die Entstehung der Krise waren, macht ein einfaches Gedankenexperiment deutlich. Nehmen wir an, die Banken hätten alle Risiken richtig eingeschätzt, aber die Haftungsbeschränkungen wären geblieben. Wäre die Krise trotzdem ausgebrochen? Sicher nicht!
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4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung
Oder umgekehrt: unterstellen wir, es hätte die Haftungsbeschränkungen nicht gegeben, aber die Prognosefehler der Banken wären geblieben. Wäre es trotzdem zu der Krise gekommen? Ja natürlich! Die Haftungsbeschränkungen waren weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung für den Ausbruch der Krise. Notwendige Bedingung war die Unterschätzung der Risiken. Wer immer noch zweifelt, sollte die Entwicklung der Risikoprämien betrachten. Die Risikoprämien bei den amerikanischen Subprime Mortgages sind in den Jahren vor der Krise – ab 2001 – gefallen.5 Wenn dies der Ausdruck einer sinkenden Risikoaversion gewesen wäre, hätten die Risikoprämien auch in den anderen Bereichen des US-Finanzsystems – zum Beispiel am Corporate Bond-Markt – fallen müssen, was nicht zutrifft (a.a.O.). Die fallenden Risikoprämien für Subprime Mortgages zeigen daher, dass die zunehmenden Risiken in diesem Markt nicht erkannt wurden. Die empirische Evidenz deutet auf einen Irrtum hin.
3.
Grundsätze der Reform
Wenn jetzt Lehren aus der Krise gezogen werden sollen, so sollten daher die folgenden Grundsätze gelten: 1. Regulierung ja, wenn es darum geht, sich besser auf den – auch in Zukunft unvermeidlichen – Irrtum vorzubereiten. Regulierung nein, wenn sich der Staat anmaßt, kraft besseren Wissens Irrtümer verhindern zu wollen. 2. Wenn der Staat die Banken zwingt, sich besser auf den Irrtum vorzubereiten, sollte er nicht punktuell intervenieren – dazu fehlt ihm das Wissen –, sondern schärfere Regeln aufstellen. Das heißt: Ja zu strengeren gesetzlichen Finanzierungsregeln; nein zu einer mächtigeren staatlichen Regulierungsbehörde, die nach eigenem Ermessen in die Dispositionsfreiheit der Banken eingreift. 3. In Maßen vertretbar sind Vorschriften, die mehr Transparenz herstellen und auf diese Weise den Marktteilnehmern helfen, sich vor Irrtum und Betrug zu schützen. 4. Es ist es notwendig, dem Moral Hazard vorzubeugen, der in Zukunft von der viel weiter reichenden Bestandsgarantie für Banken ausgehen wird. 5. Die staatliche Bestandsgarantie darf nicht dazu führen, dass die Banken subventioniert und damit gegenüber den anderen Wirtschaftszweigen bevorzugt werden.
5
Demyanyk/van Hemert, Understanding, Abb. 6 und 7.
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§ 7 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung II
4.
Falsche Lehren
Aus diesen Grundsätzen ergibt sich, dass die folgenden Reformvorschläge in die Irre führen: 1. Es ist nicht Aufgabe des Staates, die Managergehälter zu kontrollieren. 2. Es ist nicht notwendig, die bestehenden Haftungsbeschränkungen aufzuheben. 3. Es wäre falsch, den Banken vorzuschreiben, was für Forderungen sie erwerben dürfen: in welchem Umfang und mit welchen Risiken. Denn davon versteht der Staat nichts. Leider gibt das deutsche Finanzmarktstabilisierungsgesetz dem Staat das Recht, Kreditvergabequoten festzulegen. 4. Ganz verfehlt wäre es, – wie von vielen gefordert –, durch staatliche Regulierungen die Spekulation zu unterdrücken oder zu erschweren. Das gilt auch für Leerverkäufe – jedenfalls von Nichtbanken. Die Spekulation erfüllt eine nützliche Funktion. Die Preise, die die Spekulanten fordern oder bieten, zeigen ihre Erwartungen an. Diese Preissignale sind wichtige Informationen auch für andere, die sich kein eigenes Urteil zutrauen. Insofern stellen die Spekulanten – ohne es zu wollen – für die Allgemeinheit ein öffentliches Gut bereit. Man kann nicht dadurch, dass man das Thermometer (die Spekulation) vernichtet, die Krankheit (den Irrtum) oder das Fieber (die Krise) bekämpfen. 5. Es ist falsch, den Rating-Agenturen ein bestimmtes Geschäftsmodell vorzuschreiben, wie EU-Kommissar McCreevy dies vorschlägt. 5.
Reformvorschläge
Richtig sind dagegen Reformen, die verhindern, dass der Irrtum – das Platzen der nächsten Spekulationsblase – wieder zu massenhaften Bankkonkursen und einer Finanzmarktpanik führt. Da solche Fehleinschätzungen die ganze Volks-, ja Weltwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen, ist es durchaus gerechtfertigt, von den Banken eine Verstärkung der Risikopuffer zu verlangen, d.h. die Untergrenze für die Kernkapitalquote zu erhöhen. Die vorgeschriebene Mindesteigenkapitalquote könnte natürlich – wie bisher – von den eingegangenen Risiken abhängen, soweit diese schematisch erfasst werden können. Damit die Eigenkapitalvorschriften nicht prozyklisch wirken, müssen sie im Ernstfall genug Zeit für die Rekapitalisierung lassen. Erst wenn die Gesamtwirtschaft zu ihrem Potentialwachstum zurückgekehrt ist, muss die Rekapitalisierung einsetzen. Das ist objektiver, als die erforderliche Kernkapitalquote von einem geschätzten Fundamentalwert abhängig zu machen. Die Begründung für die Verschärfung der Eigenkapitalvorschriften ist nicht wie bei Sinn, dass sonst die Anreize nicht stimmen, sondern die Tatsache, dass das Irrtumspotential der Banker offensichtlich größer ist, als wir – auch sie selbst – bisher vermutet haben. Zu den unproblematischen Vorschriften, die mehr Transparenz herstellen und damit den Marktteilnehmern helfen, sich vor Irrtum und Betrug zu schützen, zähle ich die folgenden Offenlegungspflichten:
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– Die kreditveräußernden und kreditverbriefenden Banken müssen ihre Selbstbeteiligungsquoten bekannt geben. – Alle Banken müssen ihre außerbilanziellen Positionen berichten. – Die Rating-Agenturen müssen ihre Beratungsaufträge offen legen.6 Wenn die Banken – und zwar nicht nur die Großbanken – in Zukunft darauf bauen können, dass der Staat sie nicht Konkurs gehen lässt, sondern auffängt und rekapitalisiert, dann wird der Bankensektor auf Kosten der anderen Branchen subventioniert und die Allokation verzerrt. Deshalb sollten die Banken selbst für die Kosten der Institutsgarantie aufkommen. Für diese Lösung spricht auch, dass sich die Banken sonst in Zukunft darauf verlassen könnten, auf Kosten der Steuerzahler vor der Insolvenz bewahrt zu werden. Die Banken sollten verpflichtet werden, sich für den Konkursfall zu versichern – entweder beim Staat oder – wenn sie dies vorziehen – auf dem Weltversicherungsmarkt. Den Beitragssatz könnte der Staat von der jeweils nachgewiesenen Eigenkapitalquote der Bank, einer schematischen Risikoklassifizierung ihrer Forderungen und dem Ausmaß der Fristentransformation abhängig machen. Je mehr also die Eigenkapitalquote das zulässige Minimum übersteigt und je geringer das Risiko der Forderungen und die Fristentransformation, desto niedriger der Beitragssatz.7 Die Reform sollte auch nicht vor den Landesbanken und der Kreditanstalt für Wiederaufbau Halt machen. Brauchen wir sie wirklich – nach allem, was geschehen ist?
6.
Die internationale Dimension der Reformdiskussion
Wenn es um die Verantwortung des Staates geht, darf die internationale Dimension nicht fehlen. Denn der Staat – das sind ja auch die internationalen und supranationalen Organisationen. Sie wachsen in einem atemberaubenden Tempo.8 In der Öffentlichkeit scheint sich mehr und mehr die Meinung durchzusetzen, dass die jetzt anstehende Reform der Bankenregulierung internationale Absprachen zwischen den Regierungen oder Aufsichtsbehörden notwendig macht. Einige meinen eher laienhaft, gemeinsame Probleme müsse man auch gemeinsam lösen. Das ist ein Trugschluss, wie auch der Laie erkennen kann. Die Menschen haben viele gemeinsame Probleme – zum Beispiel gelegentliche Zahnschmerzen. Am besten lösen kann sie aber meist jeder für sich – mit seinem Zahnarzt. Wir nennen das das Subsidiaritätsprinzip.
6 Die amerikanische Börsenaufsicht ist noch weiter gegangen und hat den Rating-Agenturen im Dezember 2008 untersagt, strukturierte Anleihen zu bewerten, bei deren Zusammenstellung sie beratend mitgewirkt haben. 7 Eine Versicherungslösung ist effizienter als eine Umlagefinanzierung unter den Banken, denn diese wird erst nach Einbruch der Krise fällig und schwächt dann auch noch die gesünderen Banken. 8 Vaubel/Dreher/Soylu, Das Personalwachstum.
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§ 7 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung II
Für die Dezentralisierung der Entscheidungsfindung – auch in der Politik – sprechen viele Gründe: 1.
Auf dezentraler Ebene verfügt die Politik über bessere Informationen.
2.
Auf dezentraler Ebene funktioniert die demokratische Kontrolle besser.
3.
Auf dezentrale Ebene werden die Unterschiede in den Präferenzen und Bedürfnissen besser berücksichtigt.
4.
Dezentrale Wirtschaftspolitik lässt den Bürgern mehr Freiheit.
5.
Eine Vielzahl von Experimenten begünstigt die Innovation. Zum Beispiel weiß niemand genau, wie sehr die Risikopuffer verstärkt und die Offenlegungspflichten erweitert werden sollten oder was die optimale Versicherungslösung ist.
Muss aber nicht, wenn die Finanzmärkte international integriert sind, auch die Finanzmarktpolitik international integriert sein? Dass dem nicht so ist, zeigt die berühmte „Assignment Solution“ (Zuordnungslösung) von Robert Mundell, der – auch dafür – 1999 den Nobelpreis erhielt.9 Danach ist dezentrale Wirtschaftspolitik auch bei internationaler Interdependenz der Märkte effizient, wenn jeder Staat jedem seiner wirtschaftspolitischen Ziele das jeweils effektivste wirtschaftspolitische Instrument zuordnet. Jede Regierung achtet dann darauf, was die anderen Regierungen tun, und sie reagiert darauf. Die Regierungen können und sollten einander zwar informieren, aber sie treffen keine Absprachen. Das Ergebnis dieses „nicht-kooperativen Spiels“ ist ein „Nash-Gleichgewicht“, das zugleich stabil und effizient ist. Eine solche eindeutige Zuordnung von Instrument und Ziel ist nicht nur möglich, sondern auch wünschenswert. Denn sie macht klar, wer bei Zielverfehlungen verantwortlich ist und zur Rechenschaft gezogen werden muss. Nur so kann demokratische Kontrolle funktionieren. Ein möglicher Einwand ist nun, dass die Zuordnungslösung zwar optimal („firstbest“) ist, dass sie aber in der Realität keine Chance hat, weil die Politiker den Hals nicht voll bekommen können, d.h., mehr Ziele als Instrumente haben. Zum Beispiel wollen sie mit dem Instrument Bankenregulierung nicht nur das Ziel Finanzmarktstabilität erreichen, sondern auch den Weltmarktanteil der heimischen Banken maximieren, weil das für mehr Beschäftigung und höhere Steuereinnahmen sorgt. In einer solchen „second-best world“ bietet sich eine Technik an, die in der quantitativen Theorie der Wirtschaftspolitik als „Optimierung bei flexiblen Zielen“ bezeichnet wird. Bei diesem Verfahren werden die konkurrierenden Ziele gewichtet und der Verlust aus den Zielverfehlungen minimiert. Wenn nun jede Regierung den Weltmarktanteil der heimischen Banken maximieren will und sich die Bankenregulierung negativ auf diesen Marktanteil auswirkt,
9
Eine gute Darstellung bietet Patrick (1973).
127
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fürchten viele einen internationalen Wettlauf zum regulatorischen Nullpunkt („race to bottom“). Auch Sinn ist der Meinung, dass ein solcher Deregulierungswettlauf für den Ausbruch der Finanzmarktkrise verantwortlich ist: „Die Regulierung war einem Laschheitswettbewerb unterworfen, der sie wirkungslos werden ließ. Wer weniger streng als andere regulierte, der konnte seinen Banken einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz aus anderen Ländern verschaffen. Man wusste zwar, dass eine nachlässige Regulierung die Käufer der Finanzprodukte schädigen könnte, weil die Rückzahlungswahrscheinlichkeit damit verringert wurde. Aber die Käufer hatten keine Lobby und saßen zum Teil ohnehin im Ausland … Der Wettbewerb der Staaten kann grundsätzlich nicht funktionieren …“.10 Wer so argumentiert, übersieht entscheidende Zusammenhänge. Denn die Regulierung der Banken hat ja für die Regierungen nicht nur Kosten (beim Marktanteil), sondern auch einen Nutzen: Finanzmarktstabilität, ein öffentliches Gut. Der Deregulierungswettbewerb zwischen den Staaten löst daher nicht einen Wettlauf zum Nullpunkt, sondern einen Wettlauf zum Nash-Punkt aus. Das Problem ist nur, dass der Nash-Punkt bei der Optimierung flexibler Ziele nicht optimal ist. Die Frage ist aber, ob die Finanzmarktstabilität wirklich ein flexibles Ziel ist. Denn keine Regierung hat ein Interesse daran, durch übermäßige Deregulierung Banken anzulocken, wenn sie erwarten muss, dadurch eine Finanzkrise auszulösen. Wenn es trotzdem – wie in diesem Jahr – zu einer Panik kommt, so kann der Grund nicht ein „Laschheitswettbewerb“ (Sinn), sondern nur ein Irrtum sein. Wenn die Deregulierung der Finanzmärkte überhaupt eine notwendige Bedingung für den Ausbruch der Finanzmarktkrise war, so war sie also nicht eine Folge falscher Anreize, sondern falscher Erwartungen. Die Regierungen hätten die Wirkungen der Deregulierung nicht richtig eingeschätzt. Daraus folgt: das Ziel der Finanzmarktstabilität ist im kritischen Bereich nicht flexibel, sondern fix, und es hat Vorrang vor der Maximierung des Weltmarktanteils. Damit ist aber Mundells Assignment-Lösung wieder anwendbar. Dezentrale Regulierung funktioniert. Nur in dem Bereich, in dem die Regulierung über das für die Finanzmarktstabilität notwendige Maß hinausgehen würde, hängt die von der Regierung gewählte Regulierungsintensität davon ab, wie stark die anderen Regierungen die Banken regulieren. Deshalb führen internationale Absprachen, denen keine Bank entkommen kann, zu einer Überregulierung – d.h. zu einer Regulierungsintensität, die über das für Finanzmarktstabilität notwendige Niveau hinausgeht. Eine weitere Komplikation kommt hinzu. Welche Bank hat ein Interesse daran, sich in einem Land anzusiedeln, dessen Finanzmarktstabilität wegen mangelnder Regulierung ernsthaft gefährdet ist? Das heißt: selbst wenn jede Regierung für ihr Instrument Bankenregulierung nicht ein Ziel, sondern zwei Ziele – Finanzmarkt-
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Wirtschaftswoche vom 10.11.08.
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stabilität und einen möglichst großen Weltmarktanteil im Bankgeschäft – hätte, so wären diese Ziele nicht voneinander unabhängig, sondern positiv miteinander verknüpft. Jede Regierung würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Auch in diesem Fall ist Mundells Assignment-Lösung anwendbar.11 Sinn sieht ein weiteres Problem darin, dass die Käufer der Finanzprodukte zum Teil im Ausland sitzen. Aber weder die Banken noch die Regierungen haben ein Interesse daran, das lukrative Auslandsgeschäft zu verlieren. Schließlich meint Sinn, dass die Bankenregulierung zu „lasch“ sei, weil die Käufer der Finanzprodukte keine Lobby haben, während die Banken gut organisiert und politisch schlagkräftig sind. Diese Asymmetrie gibt es natürlich, aber auf internationaler Ebene ist sie noch viel stärker. Für die Interessengruppen ist es nicht schwer, sich auf europäischer oder atlantischer Ebene zu organisieren. Die Anleger können dem nichts entgegensetzen – sie verstehen noch nicht einmal, was in Brüssel oder Washington gespielt wird. Ob die Deregulierung des Bankgeschäfts – wie von Sinn unterstellt – eine notwendige Bedingung für den Ausbruch der Finanzmarktkrise war, ist nicht eindeutig zu klären. Dafür spricht, dass Deregulierung Innovationen ermöglicht, die ihrer Natur nach riskant sind. Da die Deregulierung, falls sie zu weit ging, jedoch nicht auf falschen Anreizen, sondern auf falschen Erwartungen der Regierenden beruhte, ist zu erwarten, dass sie jeder für sich daraus lernen. Es spricht nichts dagegen und viel dafür, dass die Regulierung des Bankgeschäfts eine nationale Aufgabe bleibt.
7.
Eine Aufgabe für den Internationalen Währungsfonds?
Sollte der Internationale Währungsfonds (IWF) für die Regulierung der Banken zuständig sein? Der IWF hat keine Erfahrung in der Regulierung der Banken. Der IWF verleiht das ihm anvertraute Kapital an Regierungen, nicht an Banken. Für internationale Aspekte der Bankenregulierung ist bisher das „Financial Stability Forum“ der Bank für Internationalen Zahlungsbilanzausgleich in Basel zuständig. Dort ist die erforderliche Expertise. Wenn der IWF im Rahmen seiner Überwachungstätigkeit (Surveillance) vertrauliche Informationen erhält, die die Finanzmarktstabilität tangieren, sollte er sie dem Financial Stability Forum zur Verfügung stellen. Der IWF hat die diversen Währungs-, Verschuldungs- und Finanzmarktkrisen der letzten Jahrzehnte auch nicht vorhergesehen. So hieß es zum Beispiel in dem „Glo-
11 Manche Autoren meinen, die Banken hätten einen „Anreiz zur Regulierungsarbitrage“. Aus einem Regulierungsgefälle folgt jedoch nicht, dass die Banken falschen Anreizen ausgesetzt sind. Es bedeutet lediglich, dass in einigen Ländern erlaubt ist, was in anderen verboten ist. Nicht alles, was erlaubt ist, ist im Interesse der Banken.
129
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bal Financial Stability Report“ des IWF vom April 2007 (S. 7): “The amount of potential credit loss in subprime mortgages may be fairly limited”. Leider weisen die Wirtschaftsprognosen des IWF generell besonders große Fehler auf. Ein weiteres Beispiel sind seine Wachstumsprognosen. Tabelle 1 Durchschnittliche absolute Prognosefehler für das reale Wirtschaftswachstum im Folgejahr 1973–1985, in Prozent Land
IWF-Prognose
Nationalstaatliche Prognose
Private Prognose
USA
1,4 %
1,4 %
1,0 %
Japan
1,8 %
1,2 %
–
Deutschland
1,6 %
1,2 %
–
–
1,1 %
Großbritannien 1,4 % Frankreich
1,1 %
1,2 %
–
Italien
2,2 %
–
1,9 %
Quelle: Michael Artis (1988)
Erläuterung: – kursiv: höchster absoluter Prognosefehler – fett: niedrigster absoluter Prognosefehler
Wie Tabelle 1 zeigt, lieferte der IWF in den Jahren 1973–1985 für fünf der sechs größten Industrieländer die schlechtesten Prognosen. Die Prognosen der Privaten waren immer die besten, die der betreffenden Nationalstaaten nur in der Hälfte der Fälle. In Tabelle 2 habe ich diese Analyse für den Zeitraum 1990–2004 aktualisiert. Die Vergleichsprognosen stammen von der Organization for Economic Cooperation and Development (OECD), dem National Institute for Economic and Social Research, London (NIESR), der Arbeitsgemeinschaft der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute (AWF), dem Sachverständigenrat (SVR), den privaten Consensus Forecasts des Economist, der American Statistical Association und dem National Bureau for Economic Research (ASA/NBER), dem Institut für Weltwirtschaft, Kiel (IfW) und dem Institut National de la Statistique et des Etudes Economiques, Paris (INSEE). Da zum Beispiel der Sachverständigenrat keine Frühjahrsprognosen veröffentlicht, habe ich mich auf die Herbstprognosen beschränkt. Für sechs der sieben Industrieländer weisen die Prognosen des IWF den größten Fehler auf. Das gleiche gilt im Durchschnitt der sieben Länder. Am treffsichersten sind die privaten Prognosen des Economist Consensus und, soweit vorhanden, die Prognosen, die die drei in der letzten Spalte genannten wissenschaftlichen Institute
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§ 7 Finanzmarktkrise: Die staatliche Verantwortung II
jeweils für das eigene Land vorgelegt haben. Die besten Prognosen werden nicht vom IWF, sondern von Privaten bzw. vor Ort gemacht. Tabelle 2 Durchschnittliche absolute Prognosefehler für das reale Wirtschaftswachstum, Herbstprognose für das Folgejahr, 1990–2004, in Prozent Land
IWF
OECD NIESR AWF SVR
Economist nationale Consensus Institute
USA
1,2 %
1,2 %
1,1 %
Japan
1,6 %
1,3 % 1,5 % 1,5 % 1,4 % 1,4 %
Deutschland
1,1 %
0,9 % 1,1 %
Großbritannien
1,0 %
0,8 % 0,8 % 0,8 % 0,7 % 0,9 %
Frankreich
1,1 %
0,8 % 0,8 % 0,9 % 1,0 % 0,8 %
Italien
1,2 % 0,9 % 0,8 % 1,5 %
Kanada
1,5 %
Durchschnittlicher Prognosefehler
1,24 % 1,04 % 1,06 % 1,17 % 1,06 % 1,01 %
1,2 %
1,2 %
1,2 %
1,0 % 0,9 % 0,9 %
ASA/NBER: 1,1 %
IfW: 0,9 %
INSEE: 0,8 %
0,9 % 0,8 %
1,4 % 1,2 % 1,3 % 1,3 % 1,2 %
Quelle: eigene Berechnungen auf der Grundlage von Aldenhoff (2006)
Erläuterung: – kursiv: höchster absoluter Prognosefehler – fett: niedrigster absoluter Prognosefehler
Es kommt hinzu, dass die Wachstumsprognosen des IWF – wie Aldenhoff gezeigt hat 12 –, systematisch in Richtung Optimismus verzerrt sind. Sowohl die Frühjahrsals auch die Herbstprognosen für das Folgejahr sind im Fall der sieben größten Industrieländer auf dem Ein-Prozent-Signifikanzniveau in Richtung Optimismus verzerrt – möglicherweise weil die Regierenden der Mitgliedstaaten dies gerne sehen (vor allem vor Wahlen). Die Frühjahrs- und Herbstprognosen für Asien und die Frühjahrsprognosen für Lateinamerika sind desto stärker in Richtung Optimismus verzerrt, je umfangreicher die Kredite, die der IWF in dem betreffenden Jahr an die Länder der betreffenden Region vergibt. Diese Korrelationen sind teilweise auf dem Fünf-Prozent und teilweise auf dem Zehn-Prozent-Niveau signifikant. Selbst in seinem Kerngeschäft – der Kreditvergabe – ist der IWF auf dem falschen Weg. Denn er sollte seine Kredite nicht – wie bisher – subventionieren, sondern zu
12
Aldenhoff, Review of International Organizations (2007), 239, Tabellen 1 und 2.
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4. Teil: Politikverantwortung und Wirtschaftsordnung
einem Strafzins vergeben. Er sollte sie auch nicht – wie in der Vergangenheit 13 – jeweils dann erhöhen, wenn in dem Empfängerland Wahlen anstehen. Die Zentralisierung der Wirtschaftspolitik auf internationaler Ebene ist nicht die Lösung des Problems. Im Gegenteil: sie schafft zusätzliche Probleme. Effizient und freiheitlich ist dezentrale Wirtschaftspolitik. Deshalb das Subsidiaritätsprinzip.
Literatur Aldenhoff, F.-O., Haben die Konjunkturprognosen des Internationalen Währungsfonds einen politischen Bias? Eine Public Choice Analyse, Universität Mannheim, Manuskript (2006). Aldenhoff, F.-O., Are economic forecasts of the International Monetary Fund politically biased? A Public Choice analysis, Review of International Organizations (2007), 239. Artis, M., How accurate is the World Economic Outlook? Staff Studies for the World Economic Outlook, International Monetary Fund (1988). Demyanyk, Y./van Hemert, O., Understanding the Subprime Mortgage Crisis, Working Paper, Stern School of Business, New York University (2008). Dreher/Vaubel, Do IMF and IBRD cause moral hazard and political business cycles? Evidence from panel data, Open Economies Review 15, (2004), 5. Gorton, G., The Panic of 2007, National Bureau of Economic Research Working Paper 14358 (2008). o. V., Regierung lehnt Korrekturen am Rettungspaket ab, Der Tagesspiegel vom 25.10.2008. Patrick, J. D., Establishing Convergent Decentralized Policy Assignment, Journal of International Economics 3 (1973), 37. Sinn, H.-W., Löcher stopfen: Die Ursache der Bankenkrise, ifo-Standpunkt 99 vom 28.10.08, abrufbar unter www.cesifo-group.de (unter: Politikdebatte/ifo-Standpunkte). Ders., Ende des Verwirrspiels, Wirtschaftswoche vom 13.10.08, S. 64. Ders., Käse statt Granit, Wirtschaftswoche vom 10.11.08, S. 62. Vaubel/Dreher/Soylu, Das Personalwachstum in internationalen Organisationen: Ein Principal-Agent-Problem? Eine empirische Analyse, in: F. U. Pappi et al. (Hg.), Die Institutionalisierung internationaler Verhandlungen (2004), 205.
13 Vgl. die ökonometrischen Ergebnisse von Dreher/Vaubel, Open Economies Review 15, (2004), 5.
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