Stephen Toulmin
Der Gebrauch von Argumenten
Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Berk
BELlZ Athenäum
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Stephen Toulmin
Der Gebrauch von Argumenten
Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Berk
BELlZ Athenäum
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Neue Wissenschaftliche Bibliothek
I
I
Titel der Originalausgabe: The Uses of Argument, Cambridge University Press, 5. Aufl. 1976.
2. Auflage Beltz Athenäum Verlag, Weinheim 1996 Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgend einer Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
© Scriptor Verlag GmbH & Co KG, Wissenschaftliche Veröffentlichungen, Kronberg/Ts. 1975 © Cambridge University Press 1958 Umschlaggestaltung: Bayerl & Ost, Frankfurt am Main Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza Printed in Germany ISBN 3-89547-096-1
5
INHALT Vorwort
............................................................
7
EINLEITUNG ......................................................
9
I
11
BEREICHE DER ARGUMENTATION UND MODALITÄTEN ......
17
Die Entwicklungsstufen einer Argumentation ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Unmäglichkeiten und Unangemessenheiten ........................... Rolle und Kriterien ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die Bereichsabhängigkeit unserer Standards ............................ Fragen zum weiteren Vorgehen .....................................
21 26 32 37 39
WAHRSCHEINLICHKEIT ........................................
44
Ich weiß; ich verspreche; wahrscheinlich .............................. 47 , , Unwahrscheinlich, aber wahr" ..................................... 51 Unberechtigte und falsche Behauptungen ............................. 54 Das Labyrinth der Wahrscheinlichkeit ................................ 59 Wahrscheinlichkeit und Erwartung .................................. 62 Wahrscheinlichkeits beziehungen und Probabilifikation ....... . . . . . . . . .. 67 Ist das Wort" Wahrscheinlichkeit" mehrdeutig? ............. . . . . . . . . .. 70 Wahrscheinlichkeitstheorie und Psychologie ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 77 Die Entwicklung unserer Wahrscheinlichkeitsbegriffe ................... 82 111 DIE STRUKTUR VON ARGUMENTATIONEN ....................
86
Das Schema einer Argumentation 1. Daten und Schluß regeln ..................................... 2. Die Stützung einer Schlußregel ............................... Mehrdeutigkeiten im Syllogismus .................................... Der Begriff der universellen Prämissen ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Der Begriff der fonnalen Gültigkeit .................................. , Analytische und substantielle Argumentationen ........................ Die Charakteristika von analytischen Argumentationen ........ . . . . . . . .. . Einige wesentliche Unterscheidungen ................................ Die Gefahren der Einfachheit .......................................
88 93 98 103 107 111 114 121 126
IV AN GEWANDTE LOGIK UND IDEALISIERTE LOGIK ............. 131 Eine Hypothese und ihre Folgen ................. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Die Verifikation dieser Hypothese ................................... Die Irrelevanz analytischer Kriterien ................................. Logische Modalitäten .............................................. Logik als ein System ewiger Wahrheiten .............................. Die Konstruktion von Systemen und systematische Notwendigkeit ........
132 138 148 150 157 166
6
V
DIE URSPRüNGE DER ERKENNTNISTHEORIE .................. 185 Weitere Konsequenzen unserer Hypothese ........................ ".... Können substantielle Argumentationen gerettet werden? ................ 1. Transzendentale Versuche ................................... 2. Phänomenalismus und Skeptizismus .......................... Substantielle Argumentationen benötigen keine Rettung ................. Die Rechtfertigung der Induktion ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Intuition und der Mechanismus des Erkennens ......................... Die Irrelevanz des analytischen Ideals ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
SCHLUSS
• • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • • '1
••••••••••••••••••••••••••
190 195 195 200 202 205 209 216 220
Nachweise ................................................. . . . . . . . .. 226 Namenregister ........ ". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 227 Sachregister "......................................................... 229
7
Vorwort Die mit diesem Buch verfolgten Absichten sind radikal; andererse~ts sind· jedoch die dabei verwendeten Argumente zum großen Teil nicht originell. Ich habe viele Gedankengänge von Kollegen entlehnt und sie meinen eigenen Zwecken angepaßt. Der genaue" V mfang dieser Anleihen wird durch die Literaturnachweise am Schluß deutlich. Dennoch meine ich, daß der Kernpunkt, auf den hin diese Gedankengänge konvergieren, bisher nicht richtig erkannt oder dargestellt wurde. Wenn man diese Gedankengänge konsequent zu Ende denkt, wird man - falls ich mich nicht täusche - dazu geführt, einen bestimmten Begriff des "deduktiven Schließens" als verworren zurückzuweisen, den viele Philosophen in neuerer Zeit ohne Zögern als einwandfrei akzeptiert haben. An diesem :euch ist einzig der Versuch originell, zu ze~gen, wie man zu dieser Konklusion geführt wird. Wenn der Angriff auf "deduktives Schließen" fehlschlägt, bleibt blog eine Sammlung von Anwendungen der Ideen anderer auf logische Fragen und Begriffe zurück. N eben den am Schluß oder en passant aufgeführten Verweisen auf Veröffentlichungen bin ich mir einer allgemeinen Verpflichtung John Wisdom gegenüber bewußt. Seine Vorlesungen ,in Cambridge 1946-47 machten mich zum ersten Mal auf das Problem "typenübergreifender" Schlüsse aufmerksam, und die Hauptthese meines fünften Kapitels wurde viel ausführlicher in seinen Grifford Lectures in Aberdeen ausgeführt, die vor ungefähr sieben Jahren gehalten wurden, aöer leider immer noch nicht publiziert sind. Ich bin mir auch der besonderen Hilfe bewußt, die ich von P. ~lexan der, K. E. M. Baier, D. G~ Brown, W. D. Falk, D. A. T. Gasking, P. Herbst, Gilbert Ryle und D. Taylor hauptsächlich durch Gespräche erhalten habe. In einigen Fällen haben sie mir vergeblich widersprochen, und ich bin allein für die Ergebnisse verantwortlich; ihnen sind aber alle guten Ideen zuzuschreiben, die ich mir angeeignet und verwendet habe. Ein Teil des in diesen Untersuchungen verwendeten Materials wurde schon in anderer Form veröffentlicht, in Mind, den Proceedings und den Supplementary Volumes der Aristotelian Society. Kapitel 11 wurde zu großen Teilen schon in A. G. N. Flew, Essays in Conceptual Analysis (London 1956) abgedruckt. Leed~
Juni 1957
Stephen T oulmin
9
Einleitung Tlp&)TOV ehreiv 1t'epl Ti I(ai T{VOS ~OLiv 1'1 aTt'6~St~lV I(ai ~lTlaTi),",T}S cXlTOÖS1KT1KTlS.
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Aristoteles, Erste Analytiken 24alO
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Die Absicht dieser Untersuchungen ist es, Probleme aufzuwerfen, nicht, diese zu lösen; Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Forschungsgebiet zu lenken und nicht so sehr, einen vollständigen überblick zu geben; mehr eine Diskussion anzuregen und nicht so sehr, als systematische Abhandlung zu dienen. Diese Untersuchungen sind in einem dreifachen Sinn essays - sie sind gleichzeitig versuch~weise Vorstöße in den Bereich, über den sie handeln; assays oder Untersuch~ngen von Begriffen, die als Beispiele ziemlich willkürlich aus einer größeren Menge herangezogen wurden; und schließlich ballons d'essai, Versuchsballons, die Kritik provozieren sollen. Aufgrund dieser Tatsache erscheinen sie vielleicht ein bißchen unzusammenhängend. Einige der diskutierten Themen wiederholen sich, auf bestimmte zentrale Unterscheidungen wird durchgängig Wert gelegt, und aus Gründen der Lesbarkeit habe ich es vermieden, zu viele Ausdrücke des Zögems oder der Unsicherheit einzufügen - aber kein Ergebnis der folgenden Ausführungen beansprucht Endgültigkeit. Ich habe meine Absicht erreicht, wenn meine Ergebnisse anregend wirken. Wenn sie darüber hinaus als herausfordernd empfunden werden, umso besser. In diesem Fall besteht Hoffnung, daß aus dem dann folgenden Widerstreit der Meinungen die richtigen Lösungen der hier aufgeworfenen Probleme sichtbar werden. Was ist die Natur dieser Probleme? Es sind in einem bestimmten Sinn logische Probleme. Dennoch wäre es vielleicht irreführend zu sagen, daß es Probleme innerhalb der Logik sin'd - denn die gesamte Tradition dieses Fachs würde den Leser dazu führen, vieles zu erwarten, was er in diesem Buch nicht finden wird. Vielleicht beschreibt man sie besser als Probleme über Logik. Es handelt sich um Probleme, die sich nicht innerhalb der Wissenschaft der Logik, sondern erst dann mit besond~rer D~inglichkeit stellen, wenn man sich für eine Weile von den technischen Feinheiten dieses Gebiets zurückzieht und untersucht, ~elc~~Be~e~~~~_g. ~i~.~~ _Wis~~_n~~~af~_~!lsLihr.e--Ergebnisse auf Sachen außerhalb von ihr haben - wie man sie in der Praxis anwenden kann und welche''Bezlenungen den Regeln und Methoden bestehen, die wie im täglichen Leben bei der tatsächlichen Beurteilung von Gültigkeit, Stringenz und Schlüssigkeit von Argumentationen verwenden. Muß es solche Beziehungen geben? Sicher erwartet der Mann auf der Straße (oder der Mann außerhalb des Studierzimmers), daß die Schlußfolgerungen von Logikern irgendeine Anwendung für sein Leben haben. Der Anfang der ersten systematischen Abhandlung über dieses Gebiet scheint diese Annahme zu rechtfertigen. Aristoteles schreibt: "Zum Anfang müssen wir sagen, worüber diese Untersuchung geht und zu welchem Fach sie gehört. Sie beschäftigt sich also mit apodeixis (das heißt mit der Art und Weise, in der Schlußfolgerungen begründet werden müssen) und gehört zur Wissenschaft (episteme) ihrer Begründung." Im 20. Jahrhundert ist es inzwischen vielleicht möglich geworden, diese Beziehung in Frage zu stellen, und manche neigen vielleicht
zu
10 zu der A~ff~s.§"\Ulg, daß ,sisches_ B~w~~.~!?::_~_~~Qgi~J~~~K~!-l~~~g~!~J?,~_~~}Eßf~!g~~ bgenjl!l:_12()!I!l:~lt:n~Lcc~(!n z",.c:i g~zyer~ch,i~dene1)in.:&~ sind. Diese Haltung war a er noch nicht möglich, als Aristoteles seine Worte äußerte. Für ihn waren Fragen der~.r.:: apodeixis eben Fragen über das Beweisen, das Einlösen oder die Rechtfertigung - in einem alltäglichen Sinn - von Behauptungen und Schlußfolgerungen einer solchen Art, daß sie jeder vorbringen konnte. Es ist sogar heute. vielleicht noch wichtig - wenn wir einmal von den interessanten technischen Problemen der Logik absehen - allgemeine, philosophische Fragen über die Beurteilung von Argumentationen in der Praxis zu stellen. Dies ist der Fragenkomplex, mit dem sich die vorliegenden Untersuchungen befassen. Es ist vielleicht eine überraschende Entdeckung, wie wenig Fortschritt unser Verständnis der Antworten in all den Jahrhunderten seit der Geburt der Wissenschaft der Logik mit Aristoteles gemacht hat. Dennoch - so kann man fragen - sind dies doch sicher die Probleme, mit denen sich Logik befassen sollte? Handelt es sich dabei nicht um die zentralen Fragen, an denen der Logiker ansetzt und zu denen er immer wieder zurückkehren müßte? Ober die Aufgaben der Logiker - darüber,. was -sie tun sollten oder getan haben sollten - möchte ich nicht reden; ich habe kein Recht hierzu. Tatsächlich werden wir herausfinden, daß die Wissenschaft der Logik durch ihre Geschichte hindurch die Tendenz gezeigt hat, sich in einer von diesen Ausgangsfragen wegführenden Richtung zu entwickeln, das heißt weg von praktischen Fragen über die Art und Weise, in der wir mit Argumentationen in verschiedenen B,ereichen umgehen können und sie kritisieren können, und sich auf einen Zustand völliger Verselbständigung hin entwickelt hat, in' dem Logik eine eigenständige theoretische Untersuchung wird, die wie einig