Andrea Schlenker-Fischer Demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz
Andrea Schlenker-Fischer
Demokratisch...
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Andrea Schlenker-Fischer Demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz
Andrea Schlenker-Fischer
Demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz Theorien, Institutionen und soziale Dynamiken
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein sowie der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer & Ehemaligen der Freien Universität Berlin e.V. Zugleich Dissertation der Freien Universität Berlin Datum der Disputation: 29. Oktober 2007
. 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich / Marianne Schultheis VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16495-3
Inhalt
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Danksagung
Meinen tiefsten Dank möchte ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Dr. Hans-Dieter Klingemann aussprechen, der stets an mich und meine Arbeit geglaubt hat und mir jederzeit mit wertvollem Rat zu Hilfe war. Dank seiner Vermittlung und der Unterstützung durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst konnte ich zu Beginn meiner Promotion von einem Aufenthalt am Center for the Study of Democracy an der University of California Irvine (USA) profitieren, wo besonders Russell Dalton und David Easton mein Dank für ihre Aufmerksamkeit und Betreuung gilt. Auch meinem Zweitbetreuer, Prof. Dr. Gerhard Göhler, sei an dieser Stelle für seine interessanten Anregungen gedankt. Besonderer Dank gilt der Studienstiftung des deutschen Volkes, deren Promotionsstipendium diese Arbeit ermöglichte und deren ideelle Förderung stets befruchtend war. Besonders die großzügige Ausweitung der Förderung von StipendiatInnen mit Kindern gab mir die Möglichkeit, die Promotion in Ruhe zu Ende zu bringen. Allerdings gäbe es dieses Buch nicht ohne die geduldige und tatkräftige Unterstützung meiner Familie. Kein Weg war meinen Eltern zu weit, keine Anstrengung zu groß, um mir die Arbeit zu ermöglichen. Meiner Schwester danke ich im Besonderen für das aufmerksame Korrekturlesen. Ebenso möchte ich allen, die mir bei den Aufs und Abs dieser bisweilen einsamen Promotionsphase geduldig zur Seite standen, herzlich danken. Unermüdlich waren hierin vor allem mein Mann und meine Kinder, die mich in schwierigen Phasen aufmunterten und stets unterstützen. Die Dankbarkeit, die ich hierfür empfinde, ist kaum in Worte zu fassen. Meinen Eltern und meinem Mann ist diese Arbeit gewidmet.
Inhalt
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Inhalt Inhalt Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder ...................................................... 9 Einleitung ......................................................................................................... 11 Fragestellung .................................................................................................. 16 Textaufbau ..................................................................................................... 20 A. Grundlagen: Gemeinschaft als Analysekategorie ..................................... 23 1 Gemeinschaft und ihre Konstruktion ......................................................... 24 1.1 Gemeinschaft – ein umstrittener Begriff .................................................. 24 1.2 Gemeinschaft durch kollektive Identifikation .......................................... 27 1.2.1 Kollektive Identität durch Konstruktion ........................................... 27 1.2.2 Codes kollektiver Identitätskonstruktion .......................................... 34 1.3 Fazit: Das Gemeinschaftsverständnis dieser Arbeit ................................. 38 2 Konfliktträchtigkeit ethnischer Differenz? ................................................. 45 2.1 Verhältnis verschiedener Gemeinschaften................................................ 45 2.2 Besonderheit ethnischer Gemeinschaften ................................................. 49 2.3 Dynamik ethnischer Konflikte.................................................................. 55 3 Demos und Nation: Begriffserörterungen .................................................. 67 3.1 Politische Gemeinschaft und ihre Unterstützung...................................... 67 3.2 Demokratische Gemeinschaft und Legitimität ......................................... 76 3.3 Verschiedene Verständnisse der Nation .................................................. 83 B. Normative Debatten: Inhaltliche Bestimmung politischer Gemeinschaft im Hinblick auf ethnische Differenz ................................. 93 4 Der Demos: Politische Gemeinschaft bei Liberalen, Republikanern und Kommunitaristen .................................................................................. 94 4.1 Liberales Modell politischer Gemeinschaft .............................................. 94 4.2 Republikanisches Modell politischer Gemeinschaft ............................... 108 4.3 Kommunitaristisches Modell politischer Gemeinschaft ......................... 114 4.4 Fazit ....................................................................................................... 124 5 Multi-ethnischer Demos: Gemäßigter bis starker Multikulturalismus .. 128 5.1 Versuch eines liberalen Multikulturalismus ........................................... 128 5.2 Kommunitaristischer Multikulturalismus .............................................. 137 5.3 Konsoziatives Modell von Multikulturalismus....................................... 141
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Inhalt
6 Verhältnis von Demos und Ethnos: Modelle demokratischer Gemeinschaft im Hinblick auf ethnische Differenz .................................. 151 6.1 Zweidimensionales Feld zur Verortung der Modelle ............................. 151 6.2 Zwei demokratische Gemeinschaften trotz ethnischer Differenz ........... 159 C. Umsetzung der Inklusion in die demokratische Gemeinschaft: Institutionen, Partizipationsmuster und Identifikation ......................... 167 7 Operationalisierung .................................................................................... 168 8 Identifikation mit der politischen Gemeinschaft ...................................... 174 8.1 Nationale und subnationale Identität ...................................................... 174 8.1.1 Kompatibilität im Vergleich ........................................................... 174 8.1.2 Verschiedene Arten der Identifikation ............................................ 180 8.2 Ethnische Konflikte in Demokratien ...................................................... 186 9 Institutioneller Einfluss .............................................................................. 192 9.1 Demokratieform...................................................................................... 193 9.1.1 Varianz ethnischer Konflikte .......................................................... 193 9.1.2 Varianz der Zustimmung von Wahlverlierern ................................ 204 9.2 Staatsbürgerschaftsregime ..................................................................... 210 9.2.1 Varianz in der Toleranz gegenüber ethnischen Minderheiten ......... 210 9.2.2 Varianz der Selbstidentifikation ethnischer Minderheiten .............. 215 9.3 Fazit ....................................................................................................... 220 10 Gruppenbasierter Einfluss........................................................................ 224 10.1 Sozialkapital politischer und ethnischer Gemeinschaften..................... 224 10.1.1 Sozialkapital und Demokratie........................................................ 224 10.1.2 Verschiedene Arten von Vereinigungen ........................................ 231 10.2 Strukturelle Diversität des Vereinigungslebens .................................... 239 10.2.1 Varianz ethnischer Konflikte ........................................................ 239 10.2.2 Varianz politischer Beteiligung und Orientierungen ethnischer Minderheiten.................................................................................. 250 10.3 Fazit ...................................................................................................... 258 11 Zusammenfassung der Ergebnisse .......................................................... 263 Schluss: Spannungen und Entwicklungstendenzen demokratischer Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz ...................................................... 271 Schlussfolgerungen....................................................................................... 271 Ausblick ....................................................................................................... 283 Literaturverzeichnis ...................................................................................... 289
Inhalt
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Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7:
Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13:
Drei Codes der Identitätskonstruktion nach den Kriterien der Grenzkonstruktion und -erhaltung sowie der Gestaltung des Binnenraumes .................................................................. 37 Akteursebenen und Dimensionen politischer Gemeinschaftsbildung............................................................ 75 Operationale Definitionen einer demokratischen Gemeinschaft ......................................................................... 79 Nationstyp und Code der Identitätskonstruktion.................... 89 Modelle demokratischer Gemeinschaft in multiethnischem Kontext.............................................................. 159 Gegenüberstellung der operationalen Definitionen liberaler und konsoziativer demokratischer Gemeinschaft nach Systemebenen....................................................................... 161 Die drei Ebenen der Demokratie mit entsprechenden Merkmalen des demokratischen Systems und der demokratischen Gemeinschaft nach liberalem und konsoziativem Modell.......................................................... 163 Muster ethnopolitischen Protests und Rebellion nach politischem Regimetyp (1985-1998).................................... 188 Politischer Regimetyp und ethnische Diskriminierung (1990-1998).......................................................................... 189 Mehr bzw. weniger Konflikt je nach politischen Institutionen in 65 ethnisch geteilten Demokratien (1993 bis 1996) .................................................................... 199 Ethnisch stark geteilte Länder nach Konflikttyp, Demokratietyp sowie ethnische Hegemonie mit mehr bzw. weniger Konflikt .................................................................. 201 Vielschichtigkeit von Sozialkapital...................................... 225 Einfluss ethnischer Vereinigungen auf den Zusammenhalt einer demokratischen Gemeinschaft .................................... 262
10 Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6:
Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder Zweidimensionales Feld zur Verortung demokratischer Gemeinschaften in Bezug auf den Umgang mit ethnischer Differenz .............................................................................. 155 Einflussfaktoren auf demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz ............................................................. 173 Politik, ziviles Leben und kommunale Gewalt in Calicut und Aligarh, Hyderabad und Lucknow ................................ 244 Zusammenhang von zivilem Leben und interethnischer Gewalt .................................................................................. 247 Interne und externe Struktur von Vereinigungen ................. 260 Ergebnisse der Studien......................................................... 269
Einleitung
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Einleitung Einleitung
“What people often mean by getting rid of conflict is getting rid of diversity, and it is of the utmost importance that these should not be considered the same” (Follett 1924: 300).
Die Regierungsform der Demokratie hat besonders in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts einen beeindruckenden Siegeszug hinter sich. Immer mehr Länder wurden demokratisch und selbst jene, die es (noch) nicht sind, beteuern, auf dem Weg dorthin zu sein oder die in Wahrheit bessere Demokratie eingeführt zu haben.1 Spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende der sozialistischen Ära in vielen mittel- und osteuropäischen Staaten fehlt eine vor der Weltgesellschaft legitimierbare Systemalternative (Dahl 1998: 1). Diese normative Stärke von Demokratie an sich darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Einführung und Aufrechterhaltung ein voraussetzungsvolles Unterfangen ist. Insbesondere die Erfahrung der Transformation demokratischer in autoritäre oder totalitäre politische Systeme ließ die Frage nach den Bedingungen für die Funktionsfähigkeit eines demokratischen Systems und seiner Stabilität zu einer leitenden Problemstellung der Politikwissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg werden (vgl. Kaase 1995: 204).2 Antidemokratische Überzeugungen und Bewegungen gehen heute vor allem mit fanatischem Nationalismus oder religiösem Fundamentalismus einher. Besonders aktuell hinsichtlich der Stabilitätsbedingungen einer Demokratie ist vor diesem Hintergrund die Frage, ob demokratische Werte in der Bevölkerung verankert sind, also die Frage nach der politischen Kultur eines Landes. Die politische Kultur sollte mit der politischen Struktur übereinstimmen – so lautet die Grundprämisse der politischen Kulturforschung. Die Stabilität einer politischen Ordnung ist dann gesichert, wenn zentrale Elemente der politischen Struktur, d.h. des etablierten Musters politischer Rollen, und der politischen 1 123 der heute 193 unabhängigen Länder weltweit werden als elektorale Demokratien klassifiziert, 90 davon auch von Freedom House hinsichtlich der politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten als frei eingeschätzt (Paddington 2007: 127). 2 Die Fülle an Einflussfaktoren und Entwicklungspfaden, die in der Demokratie- und Transformationsforschung analysiert werden, legt den Schluss nahe, dass es keinen linearen Weg zu Demokratie gibt. Während Vertreter eines soziostrukturellen Ansatzes als wesentliche Funktionsvoraussetzung den Entwicklungsstand eines Landes (Lipset 1959; Przeworski et al. 1996) oder die Streuung gesellschaftlicher Machtressourcen (Vanhanen 1997) nennen, betonen andere die Bedeutung externer Faktoren wie Weltwirtschaft oder Kriege (Schmidt 1997: 299f).
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Kultur, also der psychologischen Dimension von Politik3, in Einklang sind (Almond/ Powell 1978: 12). Auch wenn über Konzept und Methode dieses Ansatzes viel diskutiert wird, kann er nach Eckstein (1988: 789) neben der Theorie rationaler Wahl als „one of the two still viable general approaches to political theory and explanation“ betrachtet werden.4 Da Demokratie Volkssouveränität und die gegenseitige Anerkennung als Freie und Gleiche meint, ist sie in besonderem Maße von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Die Bevölkerung in einer Demokratie sollte diesem Ansatz folgend eine durch demokratische Werte gebundene politische Gemeinschaft bilden. Als solche ist sie jedoch ihrerseits eingebettet in das gesellschaftliche System, das durch tiefer liegende kulturelle Prägungen charakterisiert ist. Diese kulturellen Traditionen eines Landes bilden die Grundlage seiner politischen Kultur. Wird das Maß an Übereinstimmung grundlegender politischer Werte in einer Gesellschaft als entscheidend für die Stabilität eines demokratischen Regimes insgesamt angesehen, kann sich eine besondere Schwierigkeit dann ergeben, wenn die politische Gemeinschaft nicht mit der kulturellen übereinstimmt, wenn also das politische System mehrere kulturelle Gemeinschaften umfasst. Diese können sich in ihren Einstellungen und Werten in einer Weise unterscheiden, dass es irreführend wäre, der Gesamtbevölkerung eine gemeinsame politische Kultur zuzuschreiben. Kein Staat besteht jedoch aus einer so kleinen Einheit, dass er in jeder Beziehung homogen ist. Ganz im Gegenteil steigt die kulturelle Diversität vieler existierender Nationalstaaten, da Kulturen und Völker immer weniger an ein bestimmtes Territorium gebunden sind. Spätestens seit Mitte der sechziger Jahre ist der Vielvölkerstaat in der internationalen Staatenwelt nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.5 Man spricht von fragmentierten, segmentierten oder pluralen Gesellschaften, wobei die Begriffe häufig synonym verwendet werden. Unter einem weit gefassten Begriff von Ethnizität sind nicht nur gemeinsame Abstammung, sondern auch gemeinsame Sprache, Religion oder andere Merkmale kultureller Identität zu verstehen. Ethnische Gruppen in diesem Sinne sind Völker, Volksgruppen, Religionsgemeinschaften – Gruppen, die sich aufgrund eines oder mehrerer kultureller Merkmale von anderen unterscheiden (Horowitz
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Die Einstellungen, Überzeugungen und Werte der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Politik. Das Konzept der politischen Kultur hat seit dem Ende der 1980er Jahre eine bemerkenswerte Wiederbelebung erfahren (vgl. Fuchs 2007; Almond 1996; Inglehart 1990). 5 Walker Connor (1972: 320) errechnete, dass von den damals bestehenden Staaten nur 9 Prozent ethnisch homogen waren. 28 Prozent wiesen eine Mehrheitsgemeinschaft auf, die mehr als drei Viertel aller Einwohner umfasste. In 23 Prozent aller Fälle stellte die Mehrheitsgruppe zwischen der Hälfte und drei Vierteln, und in 30 Prozent, also der größten Gruppe von Staaten, hat keine Gruppe die Mehrheit. 4
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1985: 53). Der Begriff des multi-ethnischen Staates enthält die Wiederentdeckung des Vielvölkerstaates durch die zeitgenössische Sozialwissenschaft. Staaten, deren Bevölkerung ethnisch stark gespalten ist, scheinen vor besonderen Herausforderungen zu stehen. In der Literatur zu den Voraussetzungen von Demokratie herrscht weitgehend Konsens darüber, dass tiefe ethnische und andere gesellschaftliche Spaltungen ein großes Problem darstellen und dass es – ceteris paribus – daher in stark gespaltenen Gesellschaften schwerer als in homogenen ist, Demokratie zu etablieren und aufrechtzuerhalten (vgl. Lijphart 1999: 2). Seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestand „a broad agreement among social scientists that the division of a society into different ethnic groups constitutes a formidable obstacle to stable and viable democracy“ (Lijphart 1995: 854). Pessimistische Analysen unterstellen in Anlehnung an John Stuart Mill, Demokratie könne nur dort gut funktionieren, wo die Unterschiede, die in der Politik überbrückt werden müssen, nicht zu groß seien.6 Viele unterstützen diese Annahme, auch wenn sie die Möglichkeit von Demokratie in solchen Gesellschaften nicht kategorisch ausschließen (Dahl 1971: 105-121; Powell 1982: 42-53; Diamond, Linz, Lipset 1990: 29f; Rueschemeyer, Stephens, Stephens 1992: 286; Blondel 1995: 88f; Bollen und Jackman 1985; Horowitz 1985). Heute sind in vielen Gesellschaften zunehmend Desintegrationsprozesse zu beobachten. Zeitgleich mit globalen Homogenisierungs- und Individualisierungstendenzen verstärken sich weltweit Tendenzen kultureller Fragmentierung verbunden mit schwer verhandelbarer Identitätspolitik. So wurde in den vergangenen Jahrzehnten eine Zunahme der sozialen und politischen Bedeutung von kollektiven Identitäten angesichts einer Vielzahl durchaus verschiedenartiger Konflikte, Integrationsprobleme, aber auch sozialer Bewegungen deutlich: Wiederbelebte, mehr oder weniger aggressive Nationalismen wie in Osteuropa und auf dem Balkan, religiöse Mobilisierungen wie die islamischer Fundamentalisten in vielen arabischen Ländern oder vermehrte separatistische Bewegungen nationaler Minderheiten, selbst in befriedet geglaubten Ländern wie Belgien oder Kanada sind ebenso Beispiele hierfür wie verschiedene Emanzipationsbewegungen und Kämpfe um Anerkennung von ethnisch-kulturellen Gemeinschaften oder Subkulturen mit alternativen Lebensweisen, die sich gegen soziale Ausgrenzung und Diskriminierung wehren, wie Frauen, Homosexuelle, Schwarze in den USA oder Sinti und Roma. Dabei unterscheidet sich die Identitätspolitik, die aus den neuen sozialen Bewegungen in den 1970er und 80er Jahren in den westlichen Demokratien hervorging, von jener des kulturellen, sprachlichen, ethnischen oder religiösen Separatismus. Frauenbewegungen, Forderungen nach gleichen 6
John Stuart Mill ist der Ansicht, Demokratie sei „next to impossible in a country made up of different nationalities“, also in einer multi-ethnischen Gesellschaft, und völlig unmöglich in sprachlich geteilten Staaten, „where people read and speak different languages“ (Mill 1861: 230).
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Einleitung
Rechten für Homosexuelle oder sonst Benachteiligte galten nach Inglehart (1999) als Ausdruck postmaterialistischer Werte. Sie wurden als Signale für einen Wechsel von der gesellschaftlichen Verteilungsproblematik zu einer Beschäftigung mit verschiedenen Lebensformen verstanden. Separatismus hingegen fordert die Identitätsgrenzen des politischen Gemeinwesens heraus (wie die Québécois, Basken, Kurden und andere). Hier geht es um einen Kampf um sprachliche, kulturelle und territoriale Rechte. Gemeinsam ist diesen Phänomenen, dass Ansprüche auf Rechte und Anerkennung als besondere partikulare Gruppe mit Eigenarten und normativen Werten sowie Einsprüche gegen Missachtung und Exklusion im Namen von und mittels kollektiver Identitäten erhoben werden. Je nach Zielsetzung unterscheiden sich jedoch die potenziellen Konsequenzen ethno-kultureller und anderer sozialer, stärker universalistisch orientierter Bewegungen für die politische Gemeinschaft deutlich. Nicht zuletzt die anhaltenden Migrationsbewegungen unserer globalisierten Welt trugen dazu bei, dass Ethnizität als Quelle der Zugehörigkeit, als „anchor of certainty in an uncertain world“ (Durando 1993: 26) neu entdeckt wurde. Schon vor drei Jahrzehnten wurde in vielen Ländern ein deutlicher Anstieg der Tendenz konstatiert, die „Andersartigkeit“ von Gruppen und damit die Salienz ethnischer statt klassenbasierter Formen sozialer Identifikation und Konflikt zu betonen (Glazer/Moynihan 1975: 3, 7). 1972 bezeichnete Samuel Huntington Gruppenkonflikte, im Gegensatz zu sozialrevolutionären Auseinandersetzungen, als die heute vorherrschende Form gesellschaftlichen Konflikts, und er sagte voraus, ihre Häufigkeit und Heftigkeit werde deutlich zunehmen. Heute wird das Bild vom „Kampf der Kulturen“ (Huntington 1996) immer wieder bemüht und durch die Terroranschläge seit 2001, durch fundamentalistisch motivierte Morde wie die Ermordung des niederländischen Regisseurs Theo Van Gogh und den weltweit Furore machenden Streit um Karikaturen des islamischen Propheten mit Aktualität aufgeladen. Dieser Weltsicht eines unvermeidbaren Kampfes miteinander nicht vereinbarer Kulturen widersetzen sich diejenigen, die kulturelle Vielfalt als Bereichung empfinden und Multikulturalismus begrüßen. Neutral betrachtet kann man festhalten, dass kulturelle und ethnische Unterschiede verstärkt ins Bewusstsein getreten sind und mit ihnen spezifische Konfliktpotenziale und Herausforderungen für Integration. Die Konjunktur der Begriffe Kultur, Nation und Identität wird als Krisenphänomen interpretiert (Berding 1994: 9). In ihr spiegele sich die Zerstörung überkommener politischer Strukturen und geistiger Orientierungsmuster. Die alte Ordnung, mit der man vertraut war, werde abgelöst durch eine neue Welt, in der man sich noch nicht zurechtfindet. Die gegenwärtige Umbruchsituation macht die wissenschaftliche Erforschung kollektiver, gerade nationaler und ethnischer Identitäten besonders dringlich. Dementsprechend hat die Beschäftigung mit politischen Systemen, in denen
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unterschiedliche Volks-, Religions- oder Sprachgruppen in Konflikt miteinander liegen oder friedlich koexistieren, sprunghaft zugenommen7. Allgemein können wir mit Rawls (1998) davon ausgehen, dass Pluralismus ein wesentliches und irreversibles Merkmal moderner Gesellschaften ist. Dieser gilt jedoch vor allem dann als schädlich für Demokratie, wenn Gruppenidentität und Intoleranz in einem Zusammenhang gesehen werden. Für die Annahme, dass sich kulturelle Homogenität und Demokratie besser vertrügen, finden sich bescheidene empirische Beweise: So berichtet Karatnycky (1999: 118), dass 57,9 Prozent der monoethnischen Länder in der Welt von Freedom House als „frei“ beurteilt werden, während nur 28,6 Prozent der multi-ethnischen Systeme ebenso zu klassifizieren seien. Zur Erklärung dient die Annahme, dass Menschen in multi-ethnischen Gesellschaften Gruppenbindungen entwickelten, die schlecht für Demokratie seien. Die Ursache für den Zusammenbruch oder die Unmöglichkeit von Demokratie wird in den psychologischen Vorteilen gesehen, die Individuen von ihrer Gruppenzugehörigkeit erhalten. Diese Annahmen werden jedoch weitaus stärker verfochten, als dass sie durch empirische Befunde gestützt würden. Es gibt wenige empirische Studien, die zeigen, dass Gruppenidentitäten eine starke Quelle von Vorurteil und Intoleranz sind und keine systematische Forschung hat bisher gezeigt, dass die Beteiligung an Gewalt zwischen ethnischen Gruppen direkt mit Gruppenidentitäten verbunden ist. Die gesichertste Erkenntnis ist vielleicht diejenige, „that we do not know whether strong group identities are inimical to ethnic peace and democracy“ (Gibson 2006: 665). Trotz der vielfältigen Differenzen, seien sie ethnischer, kultureller oder anderer Natur, bedarf eine Gesellschaft eines gewissen Zusammenhalts, möchte sie grundlegende Ziele wie Frieden und Regierbarkeit sichern. Gerade die demokratische Regierungsform als Herrschaft des Volkes ist besonders darauf angewiesen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger8 als Mitglieder einer politischen Gemeinschaft mit ihren spezifischen Rechten und Pflichten betrachten. Seit Rousseau, spätestens seit der romantischen Philosophie lässt sich die Gemeinschaftsidee nicht mehr aus dem politischen Denken wegdenken.9 Ihre Tradition unterliegt dabei einer grundlegenden Ambivalenz: Zum einen enthält sie Leitbilder eines guten, kollektiven Lebens, zum anderen wurde sie immer wieder Basismotiv totalitärer, völkischer Ideologien. 7 Horowitz (1985) bietet einen guten Überblick über den Forschungsstand, Esman (1973) eine gute Problemdarstellung. 8 Im Folgenden werde ich um der besseren Lesbarkeit willen im Plural von den Bürgern und im Singular von der Bürgerin sprechen, womit natürlich das jeweils andere Geschlecht mitgemeint ist. 9 Dies gilt für die Neuzeit. Dabei ist die politische Gemeinschaft schon ein antikes Konzept. Es hat ein autoritäres Modell der Mitgliedschaft in der Republica von Plato (427-347 v.Chr.) und ein relativ demokratisches Modell (für die wenigen tausend männlichen Bürger) in der Politeia von Aristoteles (384-322 v.Chr.).
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Einleitung
Das Konzept der politischen Gemeinschaft wurde trotz seiner zentralen Bedeutung für jede Gesellschaftstheorie und insbesondere für das Verständnis politischer Regime lange Zeit vernachlässigt. Dabei liefert es eine umfassende vergleichende Perspektive, da es Aspekte der politischen Entwicklung, Stabilität, demokratischer Staatenbildung, politischer Partizipation und das Verhältnis der Inklusion und Exklusion verschiedener Gruppen hinsichtlich der Gleichheit von Rechten und Pflichten integriert, somit also die Zusammenhänge zwischen Schlüsselaspekten politischer Entwicklungen wie Nationenbildung, Staatsbildung und Politikinhalte betont. Hierbei ist die grundlegendste Ebene eine Entscheidung über das „Wir“, also eine Entscheidung über Identität, Bürgerschaft und territoriale, sowie soziale und kulturelle Grenzen des Nationalstaats. Auf zweiter Ebene stehen die Regeln, Prozeduren und der institutionelle Rahmen des Regimes, während die dritte Ebene die konkreten Entscheidungen und umgesetzten Politiken beinhaltet. Das Prinzip einer Einheit in Vielfalt kann entweder nicht postuliert, nicht institutionalisiert oder nicht umgesetzt werden, Exklusion verschiedener Gruppen kann also auf allen drei Ebenen einzeln oder auf einmal stattfinden (vgl. Juviler/ Strohstein 1999). Die Idee der politischen Gemeinschaft umfasst somit den Umfang an Inklusion und Exklusion gemessen an der Reichweite und den Grenzen des Konsenses über Identität und das Maß an multikulturellem Dialog, Respekt und Toleranz; sie umfasst die Gleichheit von Rechten und Pflichten sowie die Reichweite der Bindung, der Apathie und Entfremdung. Dieser konzeptuelle Reichtum der Idee der politischen Gemeinschaft lässt es vielversprechend erscheinen, zunächst von historischen Formen abzusehen und eine genaue Analyse der Begriffsinhalte, Dimensionen und verbundenen Einflussfaktoren vorzunehmen, in der normative Definitionen von Rechten und Pflichten und kulturelle Traditionen als analytische Dimensionen behandelt werden. Dies soll in dieser Arbeit für die besondere Regierungsform der Demokratie geschehen. 10 Fragestellung Eine eingehende Konzeptualisierung politischer Gemeinschaft soll hier vor dem Hintergrund der zahlreichen ethnischen Konflikte und Anerkennungskämpfe weltweit, aber auch der friedlichen Kooperation in ebenso ethnisch heterogenen Gesellschaften unternommen werden. Die grundlegende Fragestellung lautet: 10 Politische Gemeinschaften bestehen grundsätzlich auf verschiedenen Ebenen, von der lokalen über regionalen und nationalen bis hin zur internationalen. Trotz der Globalisierungsprozesse sind nationalstaatliche politische Gemeinschaften auf der Weltbühne bis heute nach außen und innen die relevantesten und effektivsten politischen Einheiten, worauf hier der Augenmerk liegt.
Fragestellung
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was zeichnet eine politische Gemeinschaft aus, die einer Demokratie in multiethnischen Gesellschaften zugrunde liegt? Mit anderen Worten: Wie lässt sich demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz konzipieren und was beeinflusst ihre Entstehung und Persistenz? Ethnische Gemeinschaften werden in der Regel als nicht-staatliche Gruppen verstanden, die eine kollektive Identität teilen und aufgrund ihres Status und ihrer politischen Handlungen politisch von Bedeutung sind. Als Grundlage der kollektiven Identität dienen zumeist geteilte Sprache, Religion, nationaler oder rassischer Ursprung, gemeinsame kulturelle Praktiken und gemeinsames Territorium. Ich verwende ethnische Gemeinschaft und Gruppe synonym als sich ihrer Verbundenheit auf Grundlage ethnischer Kriterien bewusster Menschen, im Gegensatz zu Kategorien, die nicht durch ein solches Bewusstsein gekennzeichnet sind. Ethnische Differenz ist dementsprechend dann gemeint, wenn Unterschiede kultureller Setzungen zwischen Gruppen mit dem Glauben an gemeinsame Abstammung verbunden sind.11 Dabei verstehe ich unter Kultur mit Parsons‘ Definition die bestimmten, variablen Weisen, wie soziales Verhalten in einer Gesellschaft normativ reguliert wird, konkret durch Erinnerung, Sprache, Religion, Gewohnheiten und/ oder Ansichten. Multi-ethnische Gesellschaften wiederum variieren in Vielfalt, Tiefe und Bedeutung (ethno-) kultureller Unterschiede. Nahezu alle existierenden Demokratien sind multi-ethnisch, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß: stark ethnisch gespalten sind entweder klassische Einwanderungsländer wie die USA oder Kanada, aber auch multi-nationale Staaten wie die Schweiz oder Indien. Auch die europäischen Staaten werden durch Migrationsprozesse immer multiethnischer, nicht zuletzt Deutschland. Die Aufzählung macht deutlich, dass ich mich in erster Linie auf schon demokratische Staaten beziehe, doch sollen die Ergebnisse meiner Untersuchung gerade auch für Staaten interessant sein, die sich erst im Prozess der Staatenbildung und des Aufbaus eines Rechtsstaats befinden. Man kann das Ausmaß an ethno-kultureller Vielfalt als graduellen Unterschied ansehen. Zwar bestehen durchaus grundlegende Unterschiede zwischen Einwanderungsländern und solchen, die durch bestimmte Staatsbildungsprozesse zu Vielvölkerstaaten wurden: In ein Einwanderungsland kommen Menschen, von materieller Not getrieben oder aus Unfreiheit fliehend, häufig bereit, alte Identitäten weitgehend aufzugeben. In Vielvölkerstaaten, wie die durch willkürliche koloniale Grenzziehung geschaffenen afrikanischen Beispiele, wollen oder müssen die Menschen hingegen häufig bleiben, wo und was sie sind. Soll diese 11
Für einen Überblick über die Definitionen von Ethnizität und ethnischen Gruppen bei unterschiedlichen Autoren vgl. Ganter, Stephan 1995; Vanhanen 1999: Appendix A, 245-249; und Kapitel II.2 dieser Arbeit.
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Einleitung
Vielfalt aufrechterhalten bleiben, ist das zentrale gesellschaftliche Problem dann nicht die Integration neuer Einwanderer in bestehende Strukturen, sondern die Koexistenz vorhandener und weiter bestehender Gruppen (vgl. Esman 1985: 438-440)12. Nichtsdestotrotz läuft dies im Endeffekt auf ähnliche Probleme und Prozesse hinaus: sollen Einwanderer integriert werden, wird ihnen sicher eine größere Bringschuld zugeschrieben als dies gegenüber nationalen Minderheiten, besonders indigenen Völkern, der Fall ist. Die Mehrheitsgesellschaft muss sich aber trotzdem fragen, inwieweit auch sie sich bewegt und den Einwanderern im Interesse funktionierender Integration entgegenkommt und wo die Grenzen ihrer Integrationsbereitschaft liegen. In Vielvölkerstaaten ist dauerhaft friedliche Koexistenz ohne ein gewisses Maß an Integration kaum denkbar, so dass sich hier als Vorbedingung jedes demokratischen Prozesses die brisante Frage stellt, inwieweit die beteiligten Gruppen bereit sind, Kompromisse einzugehen und eine sie verbindende politische Gemeinschaft zu formen oder zu erhalten. Im letzten Fall geht es also stärker noch um die Persistenz des politischen Systems an sich, während in schon etablierten demokratischen Nationalstaaten unter dem Eindruck von Immigration eher die Frage nach der Qualität der Demokratie im Mittelpunkt steht, von der man jedoch langfristig ebenfalls Auswirkungen auf deren Persistenz erwarten kann. Beide Akzentsetzungen sind daher für eine Einschätzung der Persistenz einer Demokratie, für die diese Arbeit empirischanalytisches Handwerkszeug liefern möchte, relevant. Die Fragestellung berührt somit insgesamt zwei große Bereiche sozialwissenschaftlicher Literatur: erstens das Forschungsgebiet der politischen Kultur, das sich mit den Einstellungen der Bürger beschäftigt, und zweitens das ethnischer Konflikte, das die Ursachen und Vermeidungsstrategien derartiger Gemeinschaftsimplosionen untersucht. Jede Forschungsrichtung für sich weist mittlerweile eine fast unüberschaubare Bandbreite an theoretischen und empirischen Studien auf. Ziel dieser Arbeit ist es nicht, diese Literatur abschließend aufzuarbeiten. Vielmehr soll der Versuch unternommen werden, unter dem spezifischen Blickwinkel der politischen Gemeinschaft Überschneidungen herauszuarbeiten und somit gegenseitig befruchtende Ansätze und Forschungsergebnisse zu identifizieren. Motivation dieser Analyse ist, einen empiriefähigen theoretischen Analyserahmen für Identifikationsprozesse mit der politischen Gemeinschaft herauszuarbeiten zum besseren Verständnis eines friedlichen demokratischen Prozesses in multi-ethnischen Gesellschaften. Diese Frage betrifft Konstruktions- und Reproduktionsprozesse einer politischen und speziell demokratischen 12 Karl W. Deutsch wies bereits früh auf diese Unterschiede hin: „we already know empirically that the rate of assimilation among a population that has been uprooted and mobilized – such as immigrants coming to America – is usually considerably higher than the rate of assimilation among the secluded populations of villages close to the soil“ (Deutsch 1962: 126).
Fragestellung
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Gemeinschaft im Spannungsfeld zwischen normativen Forderungen nach Anerkennung ethnisch-kultureller Differenz und den Bedingungen eines gelingenden demokratischen Prozesses. Zur Beantwortung meiner Frage untersuche ich daher Konstruktionsprozesse einer umfassenden politischen Gemeinschaft auf der Kultur- und Strukturebene von Demokratie und setze diese in Zusammenhang mit den Dynamiken der Beziehungen zwischen ethnischen Gruppen und zwischen ihnen und dem politischen System. Damit möchte ich einen Beitrag zur Verbindung von Makro- und Mikroebene leisten13 und letztlich das Verständnis der Wechselwirkung zwischen politischer Struktur und politischer Kultur ein Stück voranbringen. Es handelt sich in erster Linie um eine konzeptionelle Arbeit, die aus der Verbindung von normativen Demokratietheorien und empirisch-analytischen Sozialtheorien Modelle demokratischer Gemeinschaft, zugehörige Analysekategorien und Hypothesen entwickelt mit dem Ziel, die demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz verschiedener Länder hinsichtlich der Persistenz von Demokratie als Regimeform und des spezifischen Typs demokratischer Gemeinschaft vergleichen zu können. Es geht (noch) nicht um empirisch final fundierte Antworten auf das Problem der Gemeinschaftsbildung trotz ethnischer Differenz und auch nicht um eine neue Theorie, sondern um begrifflichtheoretische Vorbereitungen für systematische empirische Analysen und um auf der Grundlage des Forschungsstandes zu erwartende Entwicklungen und Hypothesen. Dabei verfolge ich drei Analyseziele: das erste besteht in der Klärung des Gemeinschaftsbegriffs für demokratische Systeme im Allgemeinen. Ausgehend von einem im Rahmen der politischen Kulturforschung entstandenen Modell von Demokratie auf drei Ebenen, präzisiere ich mithilfe soziologischer Einsichten in die Bedingungen von Gemeinschaftsbildung die relevanten Einflussfaktoren auf die Entstehung und Aufrechterhaltung einer demokratischen Gemeinschaft. Da hierfür implizite normative Gehalte offen gelegt und begründet werden müssen, soll dies für verschiedene normative Theorien in einem zweiten Schritt geschehen. Je nach normativem Demokratiemodell sind andere institutionelle und zivilgesellschaftliche Strukturen und Prozesse impliziert. In einem dritten Schritt soll deren Einfluss in der Realität überprüft werden, in diesem Stadium allerdings zunächst exemplarisch, um plausible Erwartungen zu untermauern. Die Umsetzung und Dynamik der Modelle wird an empirischen Beispielen veranschaulicht, so dass erste Schlussfolgerungen für die Entstehungsbedingungen, Persistenz und Entwicklungsdynamik demokratischer Gemeinschaften trotz ethnischer Differenz gezogen werden können. 13 Nicht nur Coleman (1986) bezeichnet diese Verbindung als eines der zentralen Probleme der Sozialwissenschaften, die es noch zu lösen gilt.
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Einleitung
Textaufbau Meine Arbeit gliedert sich diesen Zielen entsprechend in drei Teile. Da sie unter der Annahme steht, dass die Existenz und Persistenz einer politischen Gemeinschaft die Grundlage langfristigen Friedens ist und damit einen demokratischen Prozess trotz ethnischer Differenz ermöglicht, sind hierfür zunächst bestimmte Grundlagen und Definitionen von Gemeinschaft in ihren verschiedenen Ausformungen relevant, vor allem ethnischer, politischer, demokratischer und nationaler Natur; diesen ist der erste Teil dieser Arbeit (A) gewidmet. Was unter Gemeinschaft und Gemeinschaftsgefühl allgemein zu verstehen ist und wie sie entstehen, wird im ersten Kapitel erörtert. Nach einer kurzen theoriegeschichtlichen Einführung des Gemeinschaftsbegriffs und seiner ambivalenten Verwendung folgt eine Diskussion von Gemeinschaftsbildung und damit von Identität und Identifikationsprozessen, die sich in erster Linie auf soziologische und sozialpsychologische Einsichten stützt. Die Vielfalt an Formen der Grenzziehung und Gemeinsamkeiten von Gemeinschaften wird idealtypisch durch verschiedene Codes der Identitätskonstruktion zusammengefasst. Diese implizieren verschiedene Verhältnisse von Identitäten zueinander, wobei häufig ein besonders konfliktives Verhältnis zwischen verschiedenen ethnischen Gemeinschaften unterstellt wird. Deren Verständnis und die Dynamik von Konflikten zwischen ihnen behandelt das zweite Kapitel. Da ihr Verhältnis zur umfassenden politischen Gemeinschaft im Mittelpunkt dieser Arbeit steht, wird daraufhin das Konzept der politischen Gemeinschaft und ihrer Unterstützung genauer betrachtet und für eine demokratische Gemeinschaft und deren Legitimität verdichtet. Dieser Erörterung des Demos, für den Identifikationsprozesse auf verschiedenen Ebenen herausgearbeitet werden, folgt eine Betrachtung der Nation. Denn politische Gemeinschaft steht in engem Zusammenhang sowohl mit der Regimeform als auch mit dem Verständnis der Nation, das ganz unterschiedlich geprägt ist, wobei zunächst ein ethnisches von einem zivilen Verständnis unterschieden wird. Diese Begriffserörterungen bilden das analytische Gerüst für die folgende inhaltliche Diskussion. Da sowohl Demos als auch Nation unterschiedlich verstanden werden, wird die formale Bestimmung der Kernkonzepte meiner Arbeit daraufhin im zweiten Teil (B) inhaltlich eingehender gefüllt, indem ich normativ-theoretische Debatten über das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft zunächst entlang einer vereinfachten Gegenüberstellung von liberalen und republikanischen Ansätzen nachzeichne, einschließlich der aktuellen Wendung in der Kommunitarismusdebatte, und daraufhin verschiedene Verständnisse von Multikulturalismus innerhalb einer Nation präsentiere. Für unseren Zusammenhang ist zunächst die Frage relevant, ob es für Demokratie ein Zusammengehörigkeitsgefühl braucht und
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wenn ja, worauf dieses beruht. Das Zusammengehörigkeitsgefühl einer politischen Gemeinschaft ist nicht unabhängig von der politischen Verfasstheit des Gemeinwesens zu betrachten; über beides haben verschiedene normative Demokratietheorien ganz unterschiedliche Vorstellungen. Die Debatte um Inhalt, Ausmaß und Entstehung einer politischen Gemeinschaft in diesen Theorien wird auf den Zusammenhang von demokratischer Gemeinschaft und ethnischer Differenz zugespitzt. Hier wird ein zweiter Diskussionsstrang berührt, der auf der Grundlage normativer Prämissen die politische Gemeinschaft durch das Verhältnis von Demos zum Ethnos bestimmt, wobei vor allem die Frage nach Rechtfertigung und Ausmaß von Gruppenrechten relevant ist. Je nach Code der Identitätskonstruktion fällt dieses Verhältnis unterschiedlich aus, woraus ich eine Übersicht über alternative Modelle demokratischer Gemeinschaft im Hinblick auf kulturelle Vielfalt entwickle. Versteht man das Verhältnis von Demos zum Ethnos als eine Dimension und eine eher monistische respektive plurale Vorstellung der politischen Gemeinschaft als eine zweite, ergibt sich ein Feld zur Verortung unterschiedlicher demokratischer Gemeinschaften, von denen ich zwei Formen demokratischer Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz detaillierter ausdifferenziere. Die normativen Vorgaben dieser Modelle demokratischer Gemeinschaft legitimieren jeweils bestimmte Formen der Umsetzung von Demokratie, bestimmte politische und soziale Institutionen. Die Inklusion ethnischer Differenz in die politische Gemeinschaft vollzieht sich je nach Modell anders und betrifft die zugrundeliegenden Werte, die institutionelle Struktur sowie die politischen Prozesse wie die Beteiligung der Bürger. Der empirischen Umsetzung solch normativer Vorstellungen und dem Forschungsstand hinsichtlich ihres Einflusses auf Gemeinschaftsbildung ist daher der dritte Teil (C) gewidmet. Auf der Grundlage eines Überblicks über das Verhältnis von nationalen zu subnationalen Identitäten einerseits und über ethnische Konflikte in Demokratien andererseits, wird anhand von exemplarisch ausgewählten empirischen Studien zunächst der Einfluss der in den Modellen ausdifferenzierten institutionellen Muster auf die Identifikation mit und somit Persistenz einer demokratischen Gemeinschaft untersucht. Dies umfasst die Implosion demokratischer Gemeinschaft in Form von gewaltsam ausgetragenen ethnischen Konflikten, wobei ich mich auf weltweite Studien ethnischer Konfliktforschung stütze, aber auch die Systemunterstützung von Wahlverlierern, die Toleranz gegenüber ethnischen Minderheiten sowie deren Identifikation mit der politischen Gemeinschaft. Die empirisch orientierte Diskussion über angemessene Institutionen für Demokratie in multi-ethnischen Gesellschaften inspirierte einige vergleichende empirische Studien, die allerdings eine nur vorläufige Einschätzung der notwendigen Bedingungen für die Persistenz einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz erlauben.
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Einleitung
Der Vergleich dieser institutionellen Rahmenbedingungen zeigt, dass Institutionen allein nicht ausreichen, die nötige Stabilität zu gewährleisten. Neben dem in politischen Institutionen verkörperten normativen Rahmen, auf den sich Identifikationsprozesse beziehen, unterstellen die Modelle auch unterschiedliche Gruppenprozesse auf subnationaler Ebene, die ihrerseits essentiell dafür sind, ob eine demokratische Gemeinschaft entsteht oder bestehen bleibt. Dies betrifft das Verhältnis innerhalb und zwischen ethnischen Gruppen ebenso wie jenes zwischen ihnen und dem Staat. Zur Erörterung empirischer Zusammenhänge kann hier wiederum exemplarisch auf Studien zum Sozialkapital ganzer politischer Gemeinschaften sowie subnationaler, ethnischer Gemeinschaften zurückgegriffen werden. Besonders der Struktur des Vereinigungslebens in einer Zivilgesellschaft kommt hierbei Bedeutung zu, weshalb intern heterogene und extern vernetzte Vereinigungen eingehend betrachtet werden. Diese empirischen Studien veranschaulichen bestimmte Dynamiken, Entwicklungspfade und Gefahren der verschiedenen Modelle demokratischer Gemeinschaft und machen letztlich gewisse Erwartungen hinsichtlich ihres Konflikt- und Gemeinschaftspotenzials plausibel. Im Schlussteil werden die Erkenntnisse zusammengefasst und Parallelen zu den Bedingungen der Gemeinschaftsbildung, den normativen Debatten sowie institutionellen und identifikatorischen Dynamiken gezogen. Auf dieser Grundlage lassen sich zur Beurteilung der Chancen zur Entstehung und Aufrechterhaltung einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz empirisch fundierte Hypothesen herausarbeiten.
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A. Grundlagen: Gemeinschaft als Analysekategorie
Die Herrschaftsform der Demokratie wurde bisher vor allem auf der Ebene von Nationalstaaten erfolgreich institutionalisiert. Das für Demokratie konstitutive Prinzip der Volkssouveränität besagt, dass der Träger der politischen Herrschaft das Volk sein müsse. Der Begriff des Volkes ist jedoch vieldeutig. In einer historischen Rückschau legt Wimmer (2004: 43) die Fusion von drei Begriffen des Volkes offen, auf dem das Projekt politischer Modernität beruht: 1) Das Volk als souveräne Entität, die Macht durch eine Art demokratischer Prozedur ausübt; 2) das Volk verstanden als die Bürger eines Staates mit gleichen Rechten vor dem Gesetz; und 3) das Volk als eine nationale Gemeinschaft, die durch ein gemeinsames politisches Schicksal und geteilte kulturelle Muster zusammengehalten wird. Demokratie, Staatsbürgerschaft und nationale Selbstbestimmung wurden zur unteilbaren Dreieinigkeit der Weltordnung der Nationalstaaten. Stellt man jedoch, wie in dieser Arbeit, die Frage nach dem Verhältnis der verschiedenen Bezugsebenen des Volksbegriffs zueinander, ist es sinnvoll, sie voneinander zu unterscheiden. Die wichtigsten Bezugsebenen – die politische, kulturelle und ethnische – werden mit den Begriffen des Demos, der Nation und des Ethnos erfasst. Dies sind verwandte Begriffe (Fuchs 2000: 21), denn bei allen drei handelt es sich um Formen sozialer Einheit (Lepsius 1990) oder, etwas genauer, um Formen von Gemeinschaft. Eine konzeptionelle Diskussion über die Gemeinschaft soll zunächst diese Gemeinsamkeit klarstellen, bevor die spezifischen Charakteristika der unterschiedlichen Begriffe herausgearbeitet werden.
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Gemeinschaft und ihre Konstruktion
1 Gemeinschaft und ihre Konstruktion
1.1 Gemeinschaft – ein umstrittener Begriff Gemeinschaft ist die gundlegendste und weitreichendste Idee von Einheit in den Sozialwissenschaften. Die Idee der Gemeinschaft erlangte im 19. Jahrhundert eine ebenso große Bedeutung wie die Idee des Vertrags zur Zeit der Aufklärung. Als intellektuelle Reaktion auf den Individualismus des Naturrechts und der Vertragstheorie des 19. Jahrhunderts begannen Konservative die traditionelle Gemeinschaft und Tugenden wieder zu entdecken14. In der Philosophie kam die Idee der Gemeinschaft in verschiedenen Varianten auf, besonders mit sozialem und moralischem Impetus. Die Attacken auf atomistische Perspektiven der Wirklichkeit werden von Hegel15 angeführt und kulminieren in den Schriften Durkheims.16 Grundsätzlich bezieht sich das Wort Gemeinschaft auf alle Arten von Beziehung, die charakterisiert sind durch ein hohes Maß an persönlicher Intimität, emotionaler Tiefe, moralischer Verpflichtung, sozialer Kohäsion und zeitlicher Kontinuität. Die Motivationen werden als tiefliegend angesehen, über Interesse oder Wille hinausgehend, was sich letztlich in der Unterwerfung des individuellen Willens zuspitzen kann (Nisbet 1966: 48). Der Prototyp von Gemeinschaft, sowohl historisch als auch symbolisch, ist die Familie. Das Band der Gemeinschaft wird besonders gern durch die reale oder imaginierte Antithese im selben
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Für einen guten Überblick vgl. Nisbet 1966: Kapitel 3. Vor allem in seiner Rechtsphilosophie (Hegel 1913); Hegels Kritik des naturrechtlichen Individualismus und direkter Souveränität, seine Zurückweisung des Egalitarismus der französischen Revolution sowie des Vertrags als Modell für menschliche Beziehungen basieren auf einer konzentrischen Sicht der Gesellschaft: zusammengesetzt aus sich überschneidenden Kreisen der Assoziierung – Familie, Beruf, lokale Gemeinschaft, soziale Klasse, Kirche –, von denen jede bis zur Grenze ihrer funktionalen Bedeutung autonom ist und als notwendige Quelle und Verstärkung der Individualität angesehen wird. Alle zusammen bilden den wahren Staat, der für ihn eine „communitas communitatum“ ist, nicht nur das Aggregat von Individuen, wie es die Aufklärung propagiert. Marx war seinerseits an einer ganz bestimmten Form von Gemeinschaft interessiert: an der Solidarität der Arbeiterklasse weltweit und an der Assoziation der Nation nach der proletarischen Revolution. Lokale und verwandtschaftliche Institutionen waren seiner Meinung nach obsolet. 16 Für Durkheim (z.B. 1908) ist nicht das Individuum, sondern die Gemeinschaft erste Realität. Aus der Gemeinschaft flössen die essentiellen Elemente der Vernunft, Verstand und Gefühl seien Manifestationen des Traditionellen und Korporatistischen in der Gesellschaft. Er verkehrt somit den Reduktionismus eines reinen Individualismus in sein Gegenteil. 15
Gemeinschaft – ein umstrittener Begriff
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sozialen Kontext von nicht-kommunalen Beziehungen des Wettbewerbs oder Konflikts, der Nützlichkeit oder vertraglichen Vereinbarung hervorgehoben. Klassischerweise werden Gemeinschaft und Gesellschaft einander gegenübergestellt, was auf Tönnies zurückgeht (1991 (1887)). Dieser stellte einen historischen Wandel sozialer Beziehungen von heilig-kommunaler zu säkularassoziativer Natur fest und nahm eine typologische Abgrenzung von Gemeinschaft und Gesellschaft als zweier gegensätzlicher Prinzipien des sozialen Lebens vor. Im Zuge gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse in den letzten Jahrhunderten sei ein Austausch des zentralen Modus gesellschaftlicher Integration erfolgt. Während sich traditionelle Gemeinschaften noch über vorpolitische, kollektiv geteilte Werte integrierten, und sich durch direkte (face-to-face) Interaktionen auszeichneten, integrierten sich moderne Gesellschaften maßgeblich über formal-rechtliche Prozeduren und Mechanismen. Weber, der stark von Tönnies geprägt ist, untersuchte seinerseits traditionelle und rationale Typen von Gesellschaft. Auf ihn gehen die Wortschöpfungen Vergesellschaftung und Vergemeinschaftung zurück (1980), die verdeutlichen, dass Weber diese Typen sozialer Beziehungen nicht wie Tönnies in einer historischen Abfolge sieht, sondern als idealtypische Formen sozialen Lebens, die beide auch unter modernen Bedingungen auftreten. Gemeinschaftshandeln sei jenes soziale Handeln, das (idealtypisch) auf einem subjektiven, affektiv oder traditional bestimmten Zusammengehörigkeitsgefühl beruht. Das Gegenstück dazu ist Gesellschaftshandeln: soziales Handeln, das (ebenfalls idealtypisch) auf rational motivierte Interessen ausgerichtet ist (1980: 21f). Trotz der konzeptuellen Unterscheidung zwischen diesen Typen der Assoziation betont Weber, wie übrigens auch Durkheim, dass die Stabilität der zweiten auf die eine oder andere Weise in der Kontinuität der ersten verwurzelt sein müsse.17 Bei den europäischen soziologischen Klassikern und ihrer Gegenüberstellung von Gemeinschaft und Gesellschaft lassen sich immer wieder dieselben Dichotomisierungen entdecken: Kollektiv versus Individuum, Tradition versus Moderne, Emotion versus Interesse. Diese scheinen in modernen Debatten der normativen politischen Theorie durch, wie später an der Kommunitarismusdebatte zu sehen sein wird. In politischen Diskursen wurde und wird der Begriff der Gemeinschaft traditionell gern von totalitären, antidemokratischen oder gar rassistischen Kräften gebraucht. In der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wurde die „Gemeinschaft des Blutes“ oder die „Volksgemeinschaft“ gegen die Freiheit des Individuums und die Würde derer, die nicht zur Gemeinschaft gehörten, ins Feld geführt. Aufgrund der totalitären Vergangenheit ist die Rede von der Gemeinschaft in Deutschland bis heute belastet. 17 Durkheim (1999 (1930)) analysiert beispielsweise die unabdingbaren Wurzeln eines Vertrags in nicht-vertraglichen Formen von Autorität und Beziehungen.
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In den USA blickt der Begriff „community“ auf eine andere Geschichte zurück: Seine Verwendung war zwar oftmals kulturkritisch aufgeladen, verfolgte jedoch in der Regel keine explizit antidemokratischen Intentionen. Das Erinnern an die Bedeutung der „community“ war in den USA nach Joas (1992) immer Teil der demokratischen Selbstverständigung. In dieser Tradition stehen auch die kommunitaristischen Autoren. Im Gegensatz zu Tönnies und zur europäischen Theorietradition, das ein Zweiphasenmodell des Gemeinschaftsverfalls von der Gemeinschaft zur Gesellschaft unterstellt, legt man in der amerikanischen Sozialwissenschaft von jeher ein Dreiphasenmodell zugrunde: Gemeinschaft – Gemeinschaftsverlust – Entstehung neuer Gemeinschaft (ebd. 54f). Gemeinschaft wird nicht als ein natürliches oder ursprüngliches Gebilde gesehen, das durch die zivilisatorische Kunst abgelöst wird, sondern die Erzeugung neuer Gemeinschaften kann durchaus bewusst gefördert werden. Nichtsdestotrotz überwiegt in vielen zeitgenössischen Beiträgen über den Zustand moderner Gesellschaften die Diagnose der Auflösung von Gemeinschaften und einer zunehmenden Individualisierung bis hin zur negativ konnotierten Atomisierung (Beck 1998, Giddens 1995, Münch 1998). Ein tiefgreifender Prozess der Desintegration gehe voran, dessen Ursachen und Lösungen diskutiert werden (vgl. Heitmeyer 1997a, 1997b). Die Integration einer gesellschaftlichen Gemeinschaft ohne den Rückfall in totalitäre Formen der Vergemeinschaftung ist trotz des Alters der Debatte noch immer – oder gerade heute wieder – hoch aktuell. Weitgehend neutral lässt sich Gemeinschaft zunächst als eine soziale Einheit verstehen, die sich im Hinblick auf ihre Dauerhaftigkeit, Geschlossenheit und interne Organisation von sozialen Netzen einerseits und organisierten Kollektiven andererseits unterscheidet. Nach Peters (1993: 168f) sind symbolische oder imaginierte Gemeinschaften soziale Entitäten, die durch ein Bewusstsein gemeinsamer Zugehörigkeit unter den Mitgliedern, durch kollektive Identifikationen, Identitätsbestimmungen oder Interessendefinitionen ausgezeichnet sind. Daher sind sie mehr als bloße klassifikatorische Einheiten wie Kategorien, aber auch mehr als soziale Netze, die sich durch verkettete Beziehungen oder reguläre Interaktionen ohne definierte Mitgliedschaften und mit fließenden Außengrenzen bilden.18 Je größer symbolische Gemeinschaften sind, desto weniger bauen sie auf unmittelbarer Kommunikation auf als vielmehr auf Formen indirekter Kommunikation (durch Rollenmodelle oder Meinungsführer) oder diffuser Kommunikation über Massenmedien oder einheitsstiftende Symbole. 18 Von korporativen Einheiten wie Assoziationen und formalen Organisationen, deren Mitgliedschaften ebenfalls definiert sind, unterscheiden sie sich wiederum, da diese gestützt durch Kontroll- und Sanktionsmechanismen reguläre interne Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen aufweisen, die ihnen organisierte kollektive Handlungsfähigkeit verleihen.
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Somit setzen die eine Gemeinschaft auszeichnenden Elemente kommunaler Orientierung und emotionaler Bindung eine gewisse Identifikation der Mitglieder mit der Gemeinschaft voraus. Eine Gemeinschaft wird erst zu einer solchen, wenn sich ihre Mitglieder mit ihr identifizieren, d.h. wenn die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft im Bewusstsein der Mitglieder präsent und auch emotional relevant ist. Erst kollektive Identität konstituiert soziale Einheiten des Typs „Gemeinschaft“ mit definierter Mitgliedschaft und einem geteilten kollektiven Selbstbild, geteilten Überzeugungen und auf die Zukunft der Gemeinschaft bezogene Vorhaben und Ziele, die auch im Bewusstsein der Gemeinsamkeit getragen werden (Peters 1993: 117). In modernen Gesellschaften ist persönliche Identitätsbildung verflochten mit der Integration in eine größere Zahl unterschiedlicher sozialer Einheiten und mit der Partizipation an einer Pluralität kollektiver Identitäten. Aufgrund der inhärenten Verschränkung von Gemeinschaft und kollektiver Identität erstaunt es nicht, dass beide Konzepte auf ähnliche Weise kritisiert werden im Hinblick auf unterstellte Homogenität und Kontinuität. Diese Kritik ist jedoch nur dann angebracht, wenn Elemente personaler Identität auf kollektive Identität und Gemeinschaft übertragen werden, weshalb es lohnenswert ist, den Identitätsbegriff näher zu betrachten. 1.2 Gemeinschaft durch kollektive Identifikation 1.2.1 Kollektive Identität durch Konstruktion Die Identität eines Individuums besteht grundsätzlich aus einer Vielzahl verschiedener Komponenten oder Attributen. In der Regel wird zwischen personaler, sozialer und kollektiver Identität unterschieden. Für eine gelungene Lebensführung wurde von Psychologen ursprünglich eine kontinuierliche, konsistente personale Identität als essentiell angesehen. In der klassischen Konzeption von Identität, die auf Erikson (1966) beruht, hat jede Person a) einen bewussten Sinn individueller Identität, b) den unbewussten Drang nach der Kontinuität des persönlichen Charakters, c) einen fortwährenden oder sich entwickelnden Prozess von Ego-Synthese und d) das Bedürfnis zur Aufrechterhaltung einer inneren Solidarität mit den Idealen und der Identität einer Gruppe. Hier wird die Bedeutung anderer für die eigene Identität deutlich: wir brauchen beides, ein Gefühl der Kontinuität oder Gleichheit mit uns selbst und das Gefühl, dass andere unseren Charakter anerkennen. Wenn wir uns die grundlegende Frage nach unserer Identität stellen – “wer bin ich?” – beziehen wir uns in der Regel auf das, was von zentraler Bedeutung für uns ist. Dies wiederum ist eng mit unseren grundlegenden Orientierungen
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und Zielen verbunden (Taylor 1992: Kap. 2).19 Da sich ein Individuum jedoch nur durch den Bezug zu den es umgebenden Menschen definieren kann und indem es die Ideen benutzt, die irgendwie in seiner Kultur artikuliert sind, ist eine solche Selbstbeschreibung inhärent sozial (vgl. auch Jenkins 1996: Kap. 1). Die selbstreflexive Natur der Menschen bringt es mit sich, dass das Selbst sowohl Objekt als auch Subjekt ist (vgl. Mead 1934). Das Selbstkonzept umfasst die Gesamtheit der Selbstbeschreibungen und Selbstbewertungen, die dem Individuum subjektiv zur Verfügung stehen. Dabei lassen verschiedene Zeiten, Orte, und Umstände unterschiedliche Selbstidentifikationen relevant werden. Dadurch ist das Selbst sowohl dauerhaft und stabil, als auch responsiv gegenüber situationalen oder exogenen Faktoren (Hogg/ Abrams 1988: 25). Die Multiplität von Identität wird heute in der Psychologie allgemein anerkannt, wobei allerdings Grenzen gesetzt werden, jenseits derer eine pathologische Desintegration der Persönlichkeit einsetzt, die in Psychosen kulminiert.20 Während sich personale Identität auf Selbstdefinitionen in Begriffen von persönlichen oder idiosynkratischen Attributen bezieht (Turner 1999: 10), also auf Attribute, die ein Individuum als von anderen unterschieden auszeichnen, bezieht sich soziale Identität auf soziale Kategorien, Attribute oder Komponenten des Selbst-Konzepts, die mit anderen geteilt werden und deshalb Individuen als anderen ähnlich definieren (Monroe et al. 2000: 421). Soziale Identität ist somit der Teil der Identität eines Individuums, der durch Mitgliedschaft in einer oder mehreren Gruppen geprägt und durch die Werte und Gefühle dieser Gruppen beeinflusst wird. Soziale Identität eines Individuums ergibt sich aus dessen Identifikation mit verschiedenen sozialen Gruppen und dient der Verortung im sozialen Raum (Snow 2001). Wir definieren, wer wir sind, indem wir uns in spezifischen Kategorien platzieren und schaffen so eine Grundlage für soziale Vergleiche (Conover/ Hicks 1998: 13). Diese Selbstdefinition in Form von Mitgliedschaft in sozialen Kategorien (Turner 1999: 10) ist geprägt durch einen dynamischen Prozess der Selbst- und Fremd-Kategorisierung, sie wird in der Aushandlung zwischen Askription – als was andere uns identifizieren – und Behauptung – was ich behaupte zu sein – gebildet. Askription und Behauptung variieren je nach Kontext und sozialem Umfeld. Hierin liegt das Bindeglied zwischen individuellen Identifikationsprozessen und kollektiver Identität.
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Die Tatsache, dass Menschen sich in diesen Begriffen definieren, ist etwas weitgehend Modernes. Taylor zeigt, wie Identität von etwas Zugeschriebenem und Unveränderbaren in vormoderner Zeit zu einem Selbst-Konzept wurde, das zu einem gewissen Maß durch jedes Individuum konstruiert und definiert ist. 20 Jenseits der von der Medizin – und Gesellschaft – gesetzten Grenzen wird multiple Identität als Krankheit verstanden, als gespaltene Persönlichkeit oder Schizophrenie.
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Denn die uns eigentlich interessierende Form von Identität im Zusammenhang mit Gemeinschaft ist die kollektive Identität. Während sich soziale Identität auf ein Individuum bezieht, wird kollektive Identität einer Gruppe oder Gemeinschaft21 zugeschrieben. Kollektive Identität bezieht sich auf die geteilten Überzeugungen einer Gruppe, geteilte Erfahrungen oder Ziele, und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit von anderen. 22 Inhalt und Entstehung kollektiver Identitäten sind jedoch umstritten. Es finden sich zwei grundlegend verschiedene Perspektiven hinsichtlich der Konzeptualisierung kollektiver Identität: die essentialistische (oder primordialistische) und konstruktivistische. Essentialisten gehen davon aus, dass geteilte Attribute wie Geschlecht, Ethnizität, Rasse usw. eindeutige inhärente Eigenschaften oder Charakteristika sind, mit denen sich die Betreffenden automatisch identifizieren. Daher erhielten sich kollektive Identitäten relativ autonom auch über geschichtliche Zeiträume hinweg. Während Primordialisten – auf die näher im spezifischen Zusammenhang ethnischer Identitäten eingegangen wird (Kapitel II.2) – stark auf biologische Gemeinsamkeiten abstellen, argumentieren auch Strukturalisten zuweilen essentialistisch, wenn sie von einer quasi automatischen Identifikation mit Elementen der sozialen Struktur wie Rollen, Netzwerken und Gruppen ausgehen (Stryker 1980). Durkheims Ansatz (1908) ist möglicherweise der am meisten strukturalistische, denn für ihn ist das Individuum ein Produkt sozialer Fakten.23 Der Übergang zu einer konstruktivistischen Perspektive wird allerdings fließend, wenn man die Frage stellt, durch welchen Prozess individuelle Identifikation mit kollektiv definierten Inhalten stattfindet. Die konstruktivistische Perspektive auf kollektive Identität hat sich in den Sozialwissenschaften mittlerweile weitgehend durchgesetzt. Diese betont, dass kollektive Identität nichts Gegebenes ist, sondern etwas, das durch Interaktionen mit anderen konstruiert wird. Kollektive Identitäten und ihre Grenzen sind in dieser Perspektive fließend, instabil und veränderbar. Dieser Ansatz betont die Konstruktion und Aufrechterhaltung von Identitäten durch Aushandeln, Interpre21
Ich verwende die Begriffe Gruppe und Gemeinschaft weitgehend synonym als soziale Einheiten mit kollektiver Identität, die sich bisweilen lediglich in der Größe der Einheit unterscheiden, wobei Gruppen tendenziell kleiner sind; beide unterscheiden sich von sozialen Kategorien, die zwar bestimmte Merkmale, aber kein gemeinsames Bewusstsein teilen. Die Gruppe ist die dominante Form gemeinschaftlichen Lebens und ersetzt in soziologischen Analysen häufig als neutralerer Begriff den umstrittenen Gemeinschaftsbegriff (Schäfers 2001: 100). 22 Während kollektive Identität eine kollektive Überzeugung und sozial konstruiert ist, ist Gruppenidentifikation eine individuelle Überzeugung und bezieht sich auf die Aneignung kollektiver Überzeugungen (Klandermans/ de Weerd 2000: 75, Klandermans 1997). 23 Ähnlich ist für Marx individuelle Identität und Bewusstsein ein Produkt der Position einer Person in der ökonomischen Struktur. Während Marx sich auf Klassenstellung als determinierend für Identität konzentriert, ersetzen viele FeministInnen Klasse mit Gender, folgen aber einer ähnlichen Logik (vgl. Monroe 2000: 422).
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tation und Präsentation. Nach Snow (2001) beispielsweise liegt die Essenz kollektiver Identitäten in einem geteilten und interaktiven Gefühl von Einheit oder Wir-Gefühl, das in realen oder vorgestellten geteilten Attributen und Erfahrungen derjenigen begründet ist, die das Kollektiv ausmachen, und in Beziehung oder Abgrenzung zu einem oder mehreren, tatsächlichen oder vorgestellten Sets von anderen steht. In dieses geteilte Wir-Gefühl ist ein entsprechender Sinn kollektiver „Agency“ eingebettet. Kollektive Identität ist daher mehr ein Prozess als Eigentum von sozialen Akteuren, eine soziale Konstruktion, auf die Protagonisten, Gegner und Betrachter antworten und die als Orientierungs- und Interaktionsobjekt für andere Kollektive innerhalb eines Handlungsfeldes dient. Kollektive Identitäten können nur kommunikativ erzeugt oder bestritten werden und betreffen die Frage nach der sozial geltenden Definition der Situation. Kollektive Identitäten stellen spezifische Sinnschemata bereit, durch die Interessen und Ressourcen kollektiv mobilisiert werden. Hierauf beruht ihre Relevanz für die Analyse von sozialen Interdependenzen. Bei der Analyse kollektiver Identitäten geht es also um verschiedene Modi der sozialen Konstruktion und die Geltungsbedingungen eines spezifischen Gemeinsamkeitsglaubens. So betont Max Weber mit Bezug auf den Begriff der Nation: „Nation ist ein Begriff, der, wenn überhaupt eindeutig, dann jedenfalls nicht nach empirischen gemeinsamen Qualitäten der ihr Zugerechneten definiert werden kann. Er besagt, im Sinn derer, die ihn jeweilig brauchen, zunächst unzweifelhaft: dass gewissen Menschengruppen ein spezifisches Solidaritätsempfinden anderen gegenüber zuzumuten sei, gehört also der Wertsphäre an. Weder darüber aber, wie jene Gruppen abzugrenzen seien, noch darüber, welches Gemeinschaftshandeln aus jener Solidarität zu resultieren habe, herrscht Übereinstimmung“ (Weber 1980: 528).
Doch natürlich sind kollektive Identitäten nicht einfach machbar oder planbar, sondern sie entstehen und verändern sich auf der Basis der Wahrnehmung aktueller Problemlagen, der Vergegenwärtigung einer Kollektivgeschichte und der zukunftsorientierten Projektionen kollektiver Ideale. Gerade der Wertbezug kollektiver Identitätsbilder, ihr Bezug auf Weltbilder und Interessenlagen unterschiedlicher intellektueller und sozialer Trägerschichten und die Bedingungen ihres Einflusses auf die Wahrnehmung, Definition und Bewertung kollektiver Problemlagen lassen die Frage nach den Prozessen der Konstruktion und Zurechnung selbst in den Vordergrund treten (Saurwein 1999: 10). Es geht um die Voraussetzungen, Selektionsmodi und Folgen von sozialen Kommunikationsprozessen, durch die Vergangenheit gegenwärtig, kollektive Eigenwerte behauptet und Gestaltungsmodelle für die Gegenwart und Zukunft entworfen werden. Ein solch geteiltes und interaktives Wir-Gefühl ist somit per definitionem nicht statisch. Wird eine Identität angenommen, muss sie in einem ständigen Prozess aufrechterhalten werden. Berger und Luckmann betonen, dass sie durch
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eine kontinuierlich dialektische Beziehung zwischen den eigenen psychologischen Realitäten und der sozialen Struktur produziert wird (1967: 106). Individuen engagieren sich in Identitätsaushandlungen, um sich und anderen Bedeutung zu verleihen. Dadurch werden Identitäten interaktiv konstituiert, sie sind konstruiert, verstärkt und verändert durch die Interaktionen zwischen Individuen (Hunt/ Bedford 1994); soziale Interaktion in ihrer spezifischen Umgebung ist das Kernmedium von Identitätskonstruktion. Um sich in der Vielfalt sozialer Interaktionsprozesse orientieren zu können, ist die Etablierung von Grenzen unumgänglich. So hält Giesen fest: „Grenzen trennen und teilen die reale Vielfalt der Interaktionsprozesse und sozialen Beziehungen; sie markieren den Unterschied zwischen innen und außen, zwischen Fremden und Vertrauten. (…) Ohne elementare Landkarten im Kopf können wir uns nicht sinnvoll bewegen, und ohne Codes lässt sich die soziale Wirklichkeit nicht wahrnehmen. Codes der sozialen Klassifikation machen den Kern der Konstruktion von Gemeinschaftlichkeit und Fremdheit, von kollektiver Identität und Differenzierung aus“ (1993: 30).
Grenzen liefern die Kriterien für die Identifikation von Mitgliedern oder die Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern. Somit geht mit der Konstruktion von Identität auch die Konstruktion eines Anderen einher – einer Außengruppe, in Abgrenzung zu der die Innengruppe sich selbst definiert. Grenzen und Identitäten dienen als Referenzpunkte oder Adressaten für Kommunikation, Erwartungen und Verhaltensnormen. Bei aller terminologischen Unschärfe des Begriffs der kollektiven Identität, lassen sich zwei grundlegende Problembezüge dieses Konstrukts festhalten: Nach innen gewandt geht es um die Frage, ob und wie Kollektive glaubwürdige Selbstbeschreibungen hervorbringen, die als eigenständiger Bezugspunkt gemeinsamen Erinnerns, gemeinsam geteilter Werte, sozialer Zugehörigkeit und darauf bezogener Solidaritätserwartungen ihrer Mitglieder dienen. Der Außenaspekt des Identitätsproblems betrifft die Frage, wie es im Verhältnis zu potenziell konkurrierenden Kollektiven gelingen kann, für eigene Identitätsdarstellungen Bestätigung bzw. öffentliche Anerkennung zu erhalten.24 Kollektive Identitätsvorstellungen vereinfachen die Wahrnehmung und Beurteilung kollektiver Problemlagen und Situationsdefinitionen auf zentrale Leitwerte, für die im Krisenfall Loyalität eingeklagt und mobilisiert werden kann. So umfasst die soziale Konstruktion kollektiver Identitäten zwei Prozesse:
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Die symbolischen Grenzziehungen müssen auch von den Nichtmitgliedern anerkannt werden. Insoweit sind Identitätsdarstellungen immer auf Öffentlichkeiten bezogen, Differenzen zwischen Selbst- und Fremdbild jedoch häufig.
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Gemeinschaft und ihre Konstruktion „Zum einen geht es um die Entstehung eines Gemeinsamkeitsglaubens, der bestehende Differenzen, Konflikte und konkurrierende Loyalitäten zu sekundären Unterschieden umdeutet und eine generalisierte und übergeordnete Solidarität einfordert. Zum anderen geht es um die Abgrenzung des „Fremden“ oder der „Anderen“, deren Unterschiedlichkeit die Einheit des Eigenen erst erfahrbar macht und zugleich zum Bezugspunkt von positiven und negativen Projektionen wird“ (Saurwein 1999: 22f).25
Umfang und Inhalt kollektiver Identitäten variieren über Raum und Zeit. Oft sind externe Definitionen entscheidend, auch Erfahrungen von Feindschaft, schlechter Behandlung oder fehlendem Respekt. Sozial konstruierte Grenzen mögen mit der Kontrolle über Ressourcen und mit sozialer Differenzierung verbunden sein, sind aber nichtsdestotrotz von symbolischen Codes der Distinktion abhängig. Ebenso wird kollektive Identität nicht nur opportunistisch oder instrumentell konstruiert, sondern es tragen auch Prozesse kultureller Bildung und Überlieferung unabhängig von spezifischen Interessen zu ihrer Konstruktion bei (Peters 1998). Während gesellschaftliche Bedingungen einen Großteil dieser Dynamik verantworten, sind auch die beteiligten Gruppen aktiv in der Konstruktion und Rekonstruktion von Identitäten, indem sie Grenzen aushandeln, Bedeutungen zuschreiben, ihre eigene Vergangenheit interpretieren, den Notwendigkeiten der Gegenwart widerstehen und die Zukunft für sich reklamieren. Identitäten werden gebildet, erarbeitet, und wieder gebildet in der Interaktion zwischen den Handlungen und Umständen, den Situationen, in denen sich die Gruppen befinden, und den Ressourcen und Attributen, die sie mit sich bringen. Unterschiedliche kontextuelle Faktoren, Gruppenmerkmale und Besonderheiten der Interaktion spielen eine wichtige Rolle in der Konstruktion von Identitäten und Grenzen, indem sie den Mitgliedern die realen oder vorgestellten Attribute liefern, um die kollektive Identität konstruiert wird. So ist das Potenzial kollektiver Identitätsbildung umso größer, je mehr Charakteristika geteilt werden. Andererseits konstituieren sich bestimmte Identitäten oft erst in bestimmten Situationen, wie durch Exklusion oder Unterdrückung oder werden politisch und sozial erst dann relevant. Sowohl essentialistische als auch konstruktivistische Argumentationen treffen auf Grenzen: Einerseits ist in menschlichen Angelegenheiten nicht alles möglich, gerade für die Mitglieder identitätspolitischer Bewegungen ist Identität durchaus essentiell. Andererseits sind solche Bewegungen historische, also nicht unveränderliche Ereignisse. Werden Ansprüche auf Rechte und Anerkennung als partikulare Gruppe mit ihren Eigenarten und Werten, werden Einsprüche gegen 25 Hierin liegt deutliches Konfliktpotenzial: Interne Konsensdefizite lassen sich durch die Konstruktion innerer und äußerer Feinde kompensieren; die konsensstiftende Wirkung eines starken Gemeinsamkeitsglaubens wird allzu leicht zu einer Quelle missionarischen Eifers und der partikularen Vereinnahmung vermeintlich universeller Werte.
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Missachtung und Exklusion im Namen kollektiver Identitäten erhoben, dann sind diese Bewegungen vom grundlegenden Glauben an die entscheidende Bedeutung dieser identitätsbedingten Unterschiede abhängig. Ohne diesen wären sie nicht im Stande, Individuen zu motivieren. Wie entstehen nun Gemeinschaften und was beeinflusst Gruppenverhalten? Hierzu bedarf es einer genaueren Betrachtung der Verbindung zwischen individuellen Identifikationsprozessen und kollektiver Identität. Im Hinblick auf die Wahl zwischen verschiedenen Identifikations- und Verhaltensoptionen betont die Psychologie den Einfluss individueller Unterschiede und die Soziologie mehr den Einfluss struktureller Gegebenheiten. Sozialpsychologen gehen einen Mittelweg, indem sie nach der Gruppe im Individuum, nach Grundlagen der menschlichen Natur suchen, die durch strukturelle und situationale Faktoren beeinflusst werden. Das individuelle Selbst ist die Basis für beides, personale und soziale Identität, die auf der Identifikation mit anderen beruht, woraus letztlich Gruppenidentifikation oder kollektive Identität entsteht. Im Zusammenspiel von kognitiven Prozessen und sozialen oder kulturellen Einflüssen ist die Dynamik kollektiver Identitäten enthalten, so dass diese Forschungsrichtung für unseren Zusammenhang besonders aufschlussreich ist. Im Allgemeinen gehen Sozialpsychologen davon aus, dass die Identität eines Individuums durch die Werte und Gefühle der Gruppe oder Gruppen, denen es sich zugehörig fühlt, beeinflusst wird. Die neuere Forschung betont, dass die Werte und normativen Erwartungen der sozialen Gruppe in den kognitiven Schemata eines Individuums reflektiert werden. Dabei sind Schemata mehr als einfache Einstellungen. Sie sind hoch organisierte und generalisierte Strukturen im Gedächtnis, die Kognition und Erinnerung leiten (Morgan/ Schwalbe 1990). Betont man jedoch gleichzeitig die kollektive Natur sozialer Kognition und die Rolle intersubjektiver Interaktion für die Interpretation von Ereignissen, ist die Analyse sozialer Repräsentationen vielversprechend. Soziale Repräsentationen sind definiert als die kollektiv gehaltenen Wirklichkeitserklärungen, die kontinuierlich in Interaktionen reproduziert werden (Moscovici 1988; Doise 1988). Kollektive Bedeutung werde durch Kommunikationsakte zwischen Individuen generiert, weshalb Moscovici vorschlägt, weniger objektive Phänomene als vielmehr deren Repräsentation zu analysieren: „Social representations concern the contents of everyday thinking and the stock of ideas that gives coherence to our religious beliefs, political ideas and the connections we create as spontaneously as we breathe. They make it possible for us to classify persons and objects, to compare and explain behaviors and to objectify them as parts of our social setting. While representations are often located in the minds of men and women, they can just as often be found in the society as a whole and, as such, can be examined separately” (1988: 214).
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Dies ist ein weniger passiver Ansatz sozialer Kognition als Schema-Theorie; auch wenn hegemone soziale Repräsentationen zu unbewussten schematischen Rahmen werden können, können sie noch immer zu Bewusstsein kommen, wenn das Verständnis eines Individuums herausgefordert oder es mit sonst unerklärlichen sozialen Fakten konfrontiert ist. Diese Theorie ist für die Analyse politischer Rhetorik und Diskurse von Bedeutung, da sie die Dynamik kontinuierlicher Bedeutungskonstruktionen zu fassen versucht. Wenn wir den Charakter und die Beziehung von Identitätsgruppen in Sprache und Bildern repräsentieren, helfen wir, Überzeugungen über sie zu konstruieren. Sind also kollektive Identitäten das Ergebnis sozialer Kommunikationsprozesse, ist für die Analyse ihrer Konstruktion eine Synthese sozialpsychologischer Theorien wie die der sozialen Identität und Repräsentation mit soziologischen Inhalten vielversprechend. Giesen weist darauf hin, dass solche Kommunikationsprozesse ohne räumliche Verortung geschehen, aber nie ohne zeitliche Bestimmung und soziale Beziehung gedacht werden können (1993: 35). Soziale Kommunikation beziehe sich einerseits auf Codes, d.h. auf räumlich und zeitlich ungebundene symbolische Strukturen, und müsse andererseits der Situation angepasst sein, in die sie eingebettet ist. Beide Elemente sind ihrerseits sozial konstruiert, gehen jedoch der Identitätsbildung voraus und werden daher Giesens Meinung nach von den Interagierenden als selbstverständlich gegeben erfahren. Hier vollzieht Giesen eine leicht essentialistische Wendung, die man nicht mitmachen muss, denn weder Codes noch Situationen müssen von den Interagierenden als gegeben akzeptiert werden. Behält man dies im Hinterkopf, ist es nützlich, aufgrund ihrer Wirkmächtigkeit bestimmte Codes zu unterscheiden. 1.2.2 Codes kollektiver Identitätskonstruktion Mit Hilfe von elementaren Unterscheidungen strukturieren Menschen ihre Welt. Die Konstruktion einer Grenze zwischen dem Innenraum einer Gemeinschaft und der Außenwelt jenseits dieser Grenze ist eine solche Operation zur Herstellung sozialer Wirklichkeit. „Die Konstruktion einer Grenze wird umso nachdrücklicher ausfallen, je stärker der elementare Unterschied zwischen innen und außen mit anderen Differenzen in einem semantischen Feld angereichert und von ihnen gestützt wird“ (Giesen 1999: 25). Ist die Innen-Außen-Differenz an viele Unterschiede gekoppelt, so erscheint sie als grundlegend, unverrückbar und sozial verbindlich. Solche zentralen Unterschiede, die eine Vielzahl von Differenzen bündeln, nennt Giesen Codes. Sie koppeln mehrere elementare und früh erlernte Unterschiede auf eine handlungswirksame Weise. Indem Giesen eine idealtypische Landkarte von Codes kollektiver Identität entwirft, sucht er die
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Logik der Grenzkonstruktion sichtbar zu machen, die sich aus bestimmten Kopplungen ergibt (ebd. 26f). Er unterscheidet drei Typen solcher Codes: primordiale, traditionale und universalistische Codes.26 Diese beinhalten alternative Modi oder Strategien der Grenzerhaltung sowie verschiedene Strukturen oder Organisationsweisen des Binnenraumes der Gemeinschaft, ausgedrückt in Ritualen, der Vorstellung der Außenwelt und der Bewältigung des Fremden. Primordiale Codes binden die Differenz zwischen uns und den anderen an ursprüngliche und scheinbar unveränderbare Unterscheidungen, solche die wir als gegeben betrachten und von der Veränderung durch Diskurs, Tausch und Wahl ausnehmen (ebd. 32). Dieser Bereich wird gemeinhin auch als Natur bezeichnet und ist für die Identität anhand der Leiblichkeit erfahrbar. Primordial codierte Gemeinschaften zeichnen sich durch eine grundlegende Gleichheit der Mitglieder aus. „Aussehen und Herkunft, Geschlecht und Abstammung taugen gerade deshalb als Grundlage kollektiver Identität, weil sie in einer Vielfalt von Unterschieden die natürliche Gleichartigkeit und Ähnlichkeit hervorheben – die Angehörigen erkennen einander als von gleicher Art“ (ebd. 35). Im Binnenraum der Gemeinschaft gilt für alle eine wechselseitige und gleiche Verpflichtung. Die Grenzen sind nicht nur exklusiv und stabil, sondern sollen auch scharf und genau gezogen sein; mittlere Positionen und fließende Übergänge, Grenzgänger und Unentschiedenheit sind zumindest nicht vorgesehen. Nur eine begrenzte Form der Grenzüberschreitung ist möglich. Zudem wird die Außenwelt häufig dämonisiert, insbesondere wenn die Heterogenität der Gemeinschaftsangehörigen unübersehbar ist und ihre Gemeinsamkeit schließlich nicht mehr positiv, sondern nur negativ über die Bedrohung durch den Dämon von außen bestimmt werden kann (ebd. 34-37). „Traditionale Formen kollektiver Identität ergeben sich auf der Grundlage der Vertrautheit mit impliziten Regeln des Verhaltens, mit Traditionen und sozialen Routinen. Dieser Code bindet die grundlegende Differenz zwischen uns und den anderen an die Unterscheidung zwischen der Dauerhaftigkeit von Routinen einerseits und dem Außerordentlichen andererseits“ (ebd. 42). Routinen und Traditionen sind in der Regel von Argumentation und Debatte ausgenommen und werden in Ritualen der Erinnerung konstruiert. Traditionale Identität ist lokal verwurzelt, beruht auf lokalen lebensweltlichen Regeln und wird durch soziale Interaktion erst geschaffen. Im Hintergrund traditionaler Erinnerungsritu26
Damit schließt er trotz deutlich anderer Akzentsetzung an Shils (1957) an. In seinem Buch von 1993 unterschied Giesen primordiale Codes, die natürliche Klassifikationen, Gemeinschaften und Naturalisierung begründen; konventionelle Codes, die sich auf Lebenswelten, rituelle Inklusion sowie Reflexion über Konventionen beziehen; und kulturelle Codes, die Embleme, Missionierung und Schichtung oder auch eine Erfindung des Neuen beinhalten (1993: 48ff). Inhaltlich sind die drei Codes somit mit primordial, traditional und universalistisch gleichzusetzen, doch erachte ich die neuere Terminologie als aussagekräftiger.
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ale steht in der Regel ein Gründungsmythos der Gemeinschaft. „Über diese Selbstverständlichkeit von Routinen und Traditionen lässt sich Gemeinschaftlichkeit aber auch nur so lange sichern, wie Fremde und Außenseiter selten auftauchen und keine provozierenden Fragen stellen“ (ebd. 45). Daher sind sie auf besonders reservierte Räume angewiesen. Die Außengrenze traditionaler Gemeinschaften verläuft vage und ähnelt eher einem diffusen Grenzbereich. Man nähert sich dem Kern dieser Gemeinschaften durch allmähliche respektvolle Teilnahme an den lokalen Lebensformen und Traditionen. Universalistische Codes setzen bei einer besonderen Idee der Erlösung oder Parusie an. An die Stelle der Unveränderlichkeit der Natur oder der Vergangenheit tritt hier die Unbedingtheit des religiösen Überzeugungserlebnisses. Aber auch säkularisierte Bewegungen weisen diese Codierung kollektiver Identität auf, wie ein absoluter Glaube an Aufklärung oder Sozialismus, unbedingter Fortschritts-, Emanzipations- oder Vernunftsglaube27. Universalistische Gemeinschaften betrachten alle Außenseiter als potenzielle Mitglieder. Ein Unterschied besteht nur zwischen der kategorialen Möglichkeit der Erlösung, die für alle gilt, und dem tatsächlichen Bewusstsein des Erlöstseins, das nur für die Angehörigen der Gemeinschaft selbst gilt. Daher sind universalistische Konstruktionen kollektiver Identität im Grunde Außenstehenden gegenüber intolerant. „Gewalt stellt allerdings aus universalistischer Perspektive nur ein letztes bedauerliches Mittel der Inklusion dar; angemessener sind Pädagogik, Missionierung und Überzeugung“ (ebd. 56). Grenzen werden somit durch eine interne Schichtung in Zentrum und Peripherie gezogen (vgl. Eisenstadt 1979). Es wird ein Reflexionsprivileg der Avantgarde postuliert, was bis zu Opferritualen führen kann wie in revolutionär universalistischen Gemeinschaften, zum Beispiel die Säuberungen Stalins und der jakobinische Terror für eine bessere Welt (Giesen 1999: 62). Große Imperien – heute noch ansatzweise auch die USA – entfalteten häufig eine ähnlich expansive Dynamik, gerechtfertigt durch einen Auftrag, der in der transzendenten Ordnung begründet und im wahren Interesse aller sei. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die unterscheidenden Merkmale der dargestellten Codes der Identitätskonstruktion, über die jeweiligen Kriterien der Grenzkonstruktion und -erhaltung sowie der Gestaltung des Binnenraumes.
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Vgl. die Arbeiten von Eric Voegelin, besonders 1956.
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Tabelle 1: Drei Codes der Identitätskonstruktion nach den Kriterien der Grenzkonstruktion und -erhaltung sowie der Gestaltung des Binnenraumes Grenzkonstruktion Grenzerhaltung
Gestaltung des Binnenraumes - Rituale
- Verhältnis der Mitglieder - Verhältnis zur Außenwelt - Bewältigung des Fremden
Primordialer Code über Geschlecht, Generation, Herkunft, Verwandtschaft Hinweis auf Natur und Leiblichkeit, Unterscheidung durch scheinbar unveränderliche Strukturen der Welt
z.B. Reinigung (Askese, Esstabus als Abwehr der Bedrohung der Reinheit von außen) 'natürliche' Gleichheit aller, selten Schichtung
Traditionaler Code über Routinen und soziale Praktiken Konstruktion einer Vergangenheit, mit deren Hilfe die Gegenwart in ein sie begründendes Muster eingereiht wird
Rit. Erinnerung durch Traditionen, Feste, Reden; Lokalisierung und Personalisierung Diffuse Schichtung zw. Trägern der Tradition und Neuen Dämonisierung Außenwelt ist unverständlich; Ignoranz, Toleranz Überschreiten der Aufnahme über allGrenzen nahezu unmähliche respektvolle möglich, nur durch Teilhabe; Lernen nur Geburt, Tod evtl. durch sehr langsam möglich, Heirat oder Reinigungs- da implizite Regeln rituale
Universalistischer Code über die Teilhabe an bestimmten Erlösungserwartungen Spannung zwischen Diesseits und Jenseits: das Gegenwärtige muss im Namen des Jenseits modifiziert werden
z.B. Taufe, Weihe, öffentliches Bekenntnis und Opfer Schichtung zwischen Laien (Peripherie) und Experten (Zentrum) Außenwelt wird als Peripherie gesehen, die eingemeindet werden muss Aufnahme durch Bekenntnisse, Weihen, Taufen und Anerkennen der Lehren und Gesetze
Giesen betont jedoch ausdrücklich, dass die Erstellung von Code-Typen nicht beansprucht, ein realistisches Bild von Prozessen der Identitätsbildung zu geben. Die Codes treten selten in Reinform auf; sie können sich ergänzen und durchmischen, machen jeder für sich jedoch eine unterschiedliche „Logik der Grenzkonstruktion sichtbar“ (Giesen 1999: 27).28
28 Als Beispiele für die Dominanz eines bestimmten Codetyps gibt Giesen für den primordialen Fall den deutschen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts oder faschistische Bewegungen an; für den traditionalen Typ die österreichisch-ungarische Monarchie und für den universalistischen Typ Religionsgemeinschaften, aber auch sozialistische Staatengemeinschaften oder stark vernunftorientierte Staaten mit der Betonung des Gemeinwohls.
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1.3 Fazit: Das Gemeinschaftsverständnis dieser Arbeit Die bisherige Diskussion in diesem ersten Kapitel sollte die Sensibilität gegenüber den grundlegenden Aspekten des Konzepts der Gemeinschaft und der kollektiven Identität schärfen, deren enge Verwandtschaft deutlich wurde. Im Folgenden soll das in dieser Arbeit verwendete Gemeinschaftsverständnis noch einmal zusammengefasst und relevante Unterscheidungen festgehalten werden. Gemeinschaft entsteht aus dem permanent reproduzierten Zusammenschluss von Individuen und konstituiert dadurch potenziell einen kollektiven Akteur. Kollektive Identität ist ihrerseits das Ergebnis psychologischer Prozesse, nämlich individueller Identifikation mit einem Kollektiv, das durch diese kollektive Identifikation wiederum zu einer Gemeinschaft mit Handlungspotenzial wird. Die eigentliche Konstruktion von Gemeinschaft erfolgt auf der Grundlage von zwei Mechanismen (vgl. auch Fuchs 1999a, 1999b): Zum einen auf einer Grenzziehung, die eine Differenz von Innen und Außen errichtet und festlegt, wer die Mitglieder der Gemeinschaft sind und damit auch, wer nicht dazugehört. Zum anderen ist eine Verbindung zwischen diesen Mitgliedern notwendig. Erst diese macht aus dem bloßen Aggregat von Individuen eine Einheit oder ein Ganzes, das Gemeinschaft genannt werden kann. Diese Verbindung besteht in individuell vollzogenen kognitiven und emotionalen Vorgängen, die durch Bezugnahme auf spezifische Grenzen und Gemeinsamkeiten einen Prozess kollektiver Identifikation darstellen. Um einem essentialistischen Verständnis von Gemeinschaft zu entgehen, verwende ich bewusst den Begriff der Identifikation, der den prozesshaften, interaktiven Charakter der Entwicklung eines kollektiven Selbstverständnisses unterstreicht (vgl. Brubaker/ Cooper 2000: 14). Mehrere analytische Unterscheidungen sind hilfreich. Erstens ist zwischen relationalen und kategorialen Weisen der Identifikation zu unterscheiden. Man kann sich oder andere entweder anhand einer Position in einem Beziehungsnetz identifizieren (von Verwandtschaft, Freundschaft, Lehrer-Schüler Beziehung etc.) oder durch die Mitgliedschaft in einer Klasse von Personen, die kategoriale Attribute teilen (wie Rasse, Ethnizität, Sprache, Nationalität, Bürgerschaft, Geschlecht, sexuelle Orientierung). Da Identitäten von Beziehung zu Beziehung variieren, müssen sie in ihrem relationalen Kontext analysiert werden.29 Besonders Gruppen konstruieren ihre Identitäten in Abgrenzung zu und im Austausch mit anderen Gruppen (Barth 1969; Tajfel 29 Relationale soziale Theorie oder phänomenologische Netzwerktheorie ist ein relativ neues Paradigma der Soziologie, dessen Wurzeln in den klassischen Arbeiten von Georg Simmel, Leopold von Wiese und Norbert Elias liegen (vgl. Emirbayer 1997). Seit den 90er Jahren wurde es durch die Beiträge von Harrison White, Andrew Abbott, Mustafa Emirbayer und Charles Tilly zu einer ernstzunehmenden Alternative gegenüber Rational Choice, interpretativer Theorie und Systemtheorie.
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1982). Eine symbolische Einheit wird etabliert, indem Bedeutungsgrenzen gezogen werden, die das innere Beziehungsnetzwerk von äußeren unterscheiden.30 Zusammengehörigkeitsgefühl steht in enger, aber je unterschiedlicher Beziehung zu kategorialer Gemeinsamkeit und relationaler Verbundenheit. Wiederholt wird argumentiert, dass das Zusammentreffen beider ausreiche, um ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu stiften.31 Dies ist allerdings fraglich. Sicher basiert ein solches Gefühl teilweise auf den Ausmaßen und Formen der Gemeinsamkeit und Verbundenheit; darüber hinaus hängt es aber auch von anderen Faktoren ab, beispielsweise von bestimmten Ereignissen und ihrer Codierung in überzeugenden öffentlichen Narrativen, die sich in vorherrschende diskursive Rahmen einfügen.32 Zudem ist tatsächliche relationale Verbundenheit nicht unbedingt notwendig für ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Dies ist typischerweise bei großräumigen Kollektiven wie Nationen der Fall: wenn ein diffuses Selbstverständnis als Mitglied einer bestimmten Nation in ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl kristallisiert, hängt dies weniger von relationaler Verbundenheit ab als vielmehr von einer effektiv vorgestellten und stark empfundenen Gemeinsamkeit (Brubaker/ Cooper 2000: 20). Der Umstand, dass dies zumeist der vorherrschende Weg der Gemeinschaftsbildung war und ist, der in der Nationalismusforschung eingehend analysiert wird, verweist jedoch möglicherweise zu Unrecht das Potenzial gerade ganz bestimmter Verbindungen zwischen Gruppen, Spaltungen zu überbrücken und so zu einem umfassenden Zusammengehörigkeitsgefühl beizutragen, auf die hinteren Ränge wissenschaftlichen Interesses.33 Eine zweite grundlegende Unterscheidung ist die zwischen SelbstIdentifikation und der Identifikation oder Kategorisierung durch andere (vgl. Jenkins 1994, 1996). Wie erwähnt findet Selbst-Identifikation in einem dialektischen Austausch mit externer Identifikation statt, jedoch müssen beide nicht übereinstimmen. Dabei ist Anerkennung, aber auch Missachtung konstitutiv für die Entstehung kollektiver Identitäten (vgl. Emcke 2000). Sowohl externe als auch Selbst-Identifikationen sind fließende Prozesse, wobei einer bestimmten Form externer Identifikation großes Beharrungsvermögen und starke Wirkmäch30 Craig Calhoun (1997: 36ff) weist darauf hin, dass die Bedeutung kategorialer Identifikation in der modernen Gesellschaft immer stärker zugenommen habe. 31 So der Vorschlag von Charles Tilly (1978): Gruppe sei das Produkt von „catness“, kategorialer Gemeinsamkeit, und „netness“, relationaler Verbundenheit in einem Netzwerk. 32 Gerade Interaktionen zwischen kämpfenden Parteien verändern Geschichten, Grenzen und ihre soziale Verstärkung. Die Fähigkeit von Narrativen selbst, Wandel zu verursachen, hängt in erster Linie von ihrer institutionellen Macht ab (Tilly 2003: 612). 33 Mit diesem Hinweis soll kein prinzipielles Abwenden von Kategorien hin zu Netzwerken, von geteilten Attributen hin zu sozialen Beziehungen gefordert werden wie von manchen Vertretern der Netzwerktheorie (vgl. Emirbayer/ Goodwin 1994: 1414), sondern die Relevanz beider Aspekte unterstrichen.
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tigkeit durch Institutionalisierung zugeschrieben werden kann: formalisierte, kodifizierte, objektivierte Kategorisierungssysteme, die von mächtigen, autoritativen Institutionen reproduziert werden. Unter diesen Institutionen ist der moderne Staat einer der wichtigsten Akteure der Identifikation und Kategorisierung. Er hat große materielle und symbolische Ressourcen und kann die klassifikatorischen Schemata und Arten sozialer Zählung bestimmen, mit denen Bürokraten arbeiten und auf die sich nicht-staatliche Akteure beziehen müssen (Brubaker/ Cooper 2000: 16).34 Doch ist der Staat nicht der einzige wichtige „identifier“. Die Literatur zu sozialen Bewegungen macht anschaulich, wie Bewegungsführer offizielle Identifikationen herausfordern und alternative präsentieren. Sie unterstreicht die Anstrengungen solcher Eliten dahingehend, dass sich Mitglieder einer potenziellen Gemeinschaft und Gefolgschaft als identisch miteinander sehen und sich sowohl kognitiv als auch emotional miteinander identifizieren (vgl. Klandermans 1997; Melucci 1996; Tilly 1998; Snow/ McAdam 2000). Darüber hinaus braucht Identifikation nicht immer konkrete „identifier“. Sie kann auch mehr oder weniger anonym von Diskursen oder öffentlichen Narrativen getragen werden, deren Macht gerade auf ihrem anonymen, unbemerkten Eindringen in unsere Denkweisen, Sprechakte und Verständnisse der sozialen Welt beruht. Eine letzte Unterscheidung bezieht sich auf Freuds Arbeiten und betrifft kognitive, klassifikatorische Bedeutungen einerseits und psychodynamische, emotionale andererseits. Während Klassifikation oder Kategorisierung impliziert, man identifiziert sich oder andere als jemand, der mit einer bestimmten Beschreibung übereinstimmt oder einer bestimmten Kategorie angehört, bezieht sich die psychodynamische Bedeutung darauf, dass man sich emotional mit einer anderen Person, Kategorie oder einem Kollektiv identifiziert. Die formelle Institutionalisierung und Kodifizierung von Kategorien beispielsweise sagt nichts über die Tiefe, Resonanz und Macht solcher Kategorien in den gelebten Erfahrungen der so kategorisierten Personen aus. Ein stark institutionalisiertes Klassifikationssystem macht bestimmte Kategorien auf vorgefasste und legitime Weise zugänglich für die Repräsentation sozialer Realität, die Rahmung politischer Forderungen und die Organisation politischer Handlungen. Dies ist an sich schon ein sehr wichtiger Umstand, bedeutet jedoch nicht automatisch, dass diese Kategorien eine signifikante Rolle darin spielen, im täglichen Leben Wahrnehmungen zu rahmen, Handlungen anzuleiten oder Selbstverständnisse zu prägen. Man sollte externe Kategorisierung und das Selbstverständnis, objektive Gemeinsam34 In kulturalistischen Fortführungen Weberscher Staatssoziologie, besonders in denjenigen, die durch Bourdieu und Foucault (z.B. 1978) beeinflusst sind, monopolisiert der Staat, oder versucht es zumindest, nicht nur legitime physische Gewalt, sondern auch legitime symbolische Macht, wie es Bourdieu nennt (1992).
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keit und subjektives Zusammengehörigkeitsgefühl auseinander halten. Entscheidend ist letztlich die Bedeutung, die kollektive Identitäten für die Individuen haben, was eine empirische Frage ist (vgl. Peters 1998: 15). Betont man das Selbstverständnis der Mitglieder kollektiver Identitäten, gelingt es, kollektive Identitäten weniger als feststehende, statische Gebilde zu betrachten, sondern mehr als dynamisches, unabgeschlossenes Projekt, das abhängig ist von den Verständigungsprozessen innerhalb der Gruppe, aber auch zwischen Gruppen (Emcke 2000: 19)35. Wichtige situationale oder historische Faktoren wie konfliktive Umstände oder Gruppenmobilisierung beeinflussen ihrerseits die Relevanz kollektiver Identifikationen. Zusammenfassend besteht die Identität eines Kollektivs zum einen aus dem gemeinsamen Bewusstsein von Individuen, zu derselben sozialen Einheit zu gehören, die durch bestimmte Charakteristika geprägt ist, also aus dem gemeinsamen Bewusstsein geteilter sozialer Identität (Turner et al. 1987: 19). Andererseits besteht sie in dem subjektiven Gefühl zusammen zu gehören (Easton 1965: 185; Weber 1980: 21); ihr entspricht auf individueller Ebene die emotionale Bindung an die Gemeinschaft oder Gruppe, auf kollektiver Ebene das Gemeinschaftsgefühl. Kollektive Identität entsteht somit einerseits durch kognitive Operationen und andererseits durch affektive Identifikationen. Zunächst muss wahrgenommen werden, dass eine bestimmte soziale Einheit existiert. Hierfür müssen ein oder mehrere Charakteristika identifiziert werden, die eine Anzahl von Individuen gemeinsam haben und auf deren Grundlage Grenzen gezogen werden können, also bestimmte Individuen eingeschlossen und andere ausgeschlossen werden, so dass eine Einheit von der Außenwelt unterschieden wird. Die Bandbreite an möglichen Merkmalen ist endlos, wie z.B. Herkunft, Geschlecht, Religion, Ideologie, Haarfarbe, Vorlieben. Man kann vermuten, dass diese kognitive Leistung am einfachsten ist, wenn es sich um offensichtliche Merkmale wie Hautfarbe oder Geschlecht handelt, und komplexer, wenn es beispielsweise um nationale Identität geht. Verschiedene soziale Repräsentationen und Codes zur Konstruktion sozialer Wirklichkeit stehen dem Individuum zur Verfügung, auf die es in seinen Identifikationsprozessen zurückgreifen kann. Durch diese erste kognitive Leistung wird ein Kollektiv zunächst kognitiv konstituiert und ist somit Grundlage einer potenziellen kollektiven Identität. Dieses Potenzial ist variabel:
35 Emcke schlägt eine analytische Unterscheidung zwischen intentional-aktiven und erzwungenpassiven kollektiven Identitäten vor, die auf der Beschreibung der diversen Entstehungsprozesse fußt und dabei vor allem selbstgewählte und gewollte Identitäten von gewaltsam erzwungenen und fremdgesteuerten unterscheidet, so dass diese letztlich normativ unterschiedlich behandelt werden können.
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Gemeinschaft und ihre Konstruktion Je mehr Individuen bestimmte Merkmale identifizieren, die eine soziale Einheit von der Außenwelt unterscheidet/ je mehr bestimmte Codes akzeptiert werden/ je verbreiteter soziale Repräsentationen in individuelle kognitive Schemata Eingang gefunden haben, desto objektiver erscheint das definierte Kollektiv und desto größer ist das Potenzial für kollektive Identifikation.
Außerdem muss eine zweite kognitive Leistung vollbracht werden: die SelbstZuschreibung von Individuen zu diesem Kollektiv. Ohne diese SelbstKategorisierung würde das Kollektiv ein rein kognitives Phänomen bleiben ohne soziale Bedeutung. Die affektive Identifikation wiederum besteht in der emotionalen Bindung an das Kollektiv von denjenigen Individuen, die sich subjektiv als dem Kollektiv zugehörig kategorisieren (Turner et al. 1987; Hogg/ Abrams 1988; Oakes et al. 1994). Dies verdeutlicht auch der Sprachgebrauch: Identifikation vollzieht sich einmal kategorial, also Identifikation als Mitglied des Kollektivs, und einmal emotional, also Identifikation mit dem Kollektiv. Versteht man Gemeinschaft auf diese Weise, ist sie kein binäres Phänomen, das entweder existiert oder nicht, sondern eine Variable mit zwei Dimensionen, die das Ausmaß der Gemeinschaft bestimmen. Diese können wie folgt formuliert werden: 1. 2.
Je mehr sich Individuen, die objektiv zu einem Kollektiv gehören, auch subjektiv diesem Kollektiv zurechnen, desto stärker ist die kollektive Identifikation als Gemeinschaft. Je mehr Individuen, die sich subjektiv dem Kollektiv zurechnen, eine emotionale Bindung an dieses Kollektiv aufweisen und je intensiver diese emotionale Bindung ist, desto stärker ist die kollektive Identifikation mit der Gemeinschaft.
Je größer die Gemeinschaft, desto schwerer sind Identifikation und Bindung. Beides entwickelt sich leichter auf der Ebene persönlicher Beziehungen und lokaler Gemeinschaften und tendiert dazu, in großen unsichtbaren Gemeinschaften zu verschwinden. Größere Gemeinschaften wie die Gesellschaft eines Flächenstaates, aber auch schon ethnische Gemeinschaften, sind immer ein Zusammenschluss von Unbekannten, von Abwesenden oder sogar von Fremden. Das bedeutet, dass es diese Gemeinschaften nur als im Bewusstsein der Mitglieder vorgestellte geben kann, als imaginäre Gebilde (Anderson 1983), die dennoch reale Konsequenzen haben. Nationalstaaten schaffen es mal besser, mal schlechter, die Identifikation der Bürger mit der abstrakten nationalen Gemeinschaft zu stärken. Dieses Problem stellt sich noch verschärft auf transnationaler Ebene wie bei der europäischen Identität dar. Da Gemeinschaften aber von ihrer dauerhaften Aufrechterhaltung leben und nie als feststehende, abgeschlossene Phänomene betrachtet werden können, kommt eine dritte, variable Dimension hinzu, die das Ausmaß und vor allem die Persistenz einer Gemeinschaft beeinflusst:
Fazit: Das Gemeinschaftsverständnis dieser Arbeit 3.
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Je mehr Individuen, die sich kognitiv und emotional mit der Gemeinschaft identifizieren, den gemeinschaftsinternen Verhaltensnormen entsprechend verhalten, desto realer und persistenter ist die Gemeinschaft.
Die Einhaltung gemeinschaftsinterner Normen ist dann besonders relevant, wenn bestimmte Werte zentrale Kriterien der Gemeinschaftsdefinition sind. Werte gelten allgemein als handlungsanleitend und als eine Art dauerhafte und tiefer verankerte Überzeugung, auf die Individuen zurückgreifen können, wenn sie sich in Situationen befinden, in denen ihnen mehrere Handlungsoptionen zur Verfügung stehen (Parsons/ Shils 1962; Inglehart 1977). Als Vorstellungen des gesellschaftlich Wünschenswerten36 werden Werte auch politisch relevant. Die „ideale Gesellschaft“ (Almond/ Powell 1978: 129) wird zur Präferenzstruktur, an der die Individuen politische Optionen messen. Daher geht die Werteforschung davon aus, dass die Werte eines Individuums nicht nur politische Einstellungen im Allgemeinen, sondern auch konkrete Entscheidungen von der Form der Partizipation bis zur Stimmabgabe für eine bestimmte politische Partei beeinflussen können.37 Obwohl Werte in ihrer Umsetzung in Handlungsorientierungen sicherlich nicht den Alleinanspruch auf individuelle Handlungsanleitung besitzen, sondern mit alternativen Konzepten wie Tradition, sozialstrukturelle Gegebenheiten oder utilitaristischen Kosten-Nutzen Kalkulationen auch in Form von Anreizen konkurrieren, haben sie sich in der empirischen Einstellungsforschung vielfach bewährt (Inglehart 1977, 1999; van Deth/ Scarbrough 1995). Handeln im Sinne bestimmter Werte und Normen ist insbesondere für die Existenz und Persistenz einer normativ gefüllten demokratischen Gemeinschaft relevant, wie in Kapitel 3.2 aufgezeigt wird. Bisweilen reicht ein gemeinsames Bewusstsein, selbst wenn es mit einem gemeinsamen Interesse verbunden ist, nicht dazu aus, rational handelnde Mitglieder einer Gemeinschaft zu gemeinschaftlichem Handeln zu mobilisieren. Gellner (1991: 83) weist auf zwei Komponenten hin, die nachhaltig die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft beeinflussen: Wille, also Identifikation und Zusammengehörigkeitsgefühl, sowie Furcht vor Sanktionen, also Zwang. Die meisten überdauernden Gruppen gründen sich auf eine Mischung aus Loyalität und Identifikation sowie äußeren Anreizen positiver und negativer Art (vgl. Hechter 1987). Identifikation mit der Gemeinschaft erleichtert jedoch kollektives Handeln, insbesondere da sie auf Präferenzen und Motivationen, auf die Entstehung 36
In Kluckhohns Definition, die zwar mit einer Vielzahl von Alternativen konkurriert, aber noch immer zu den am häufigsten angewandten Definitionen gehört, heißt es, ein Wert sei „a conception, explicit or implicit, distinctive of an individual or characteristic of a group, of the desirable which influences the selection from available modes, means, and ends of action“ (Kluckhohn 1951: 395). 37 Teil des Reizes von Werten ist ihre Fähigkeit, durch sehr wenige allgemeine Überzeugungen Handlungsanweisungen für eine Vielzahl von unterschiedlichsten Situationen zu liefern.
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von Erwartungen sowie die Kalkulation von Kosten und Nutzen einer Handlung wirkt, auch wenn sie die Gemeinschaft nicht von der Notwendigkeit der Implementierung von Normen und Sanktionen entbindet. Identifikation ist insgesamt ein wesentlicher Faktor im Prozess sozialer Mobilisierung, vor allem für die Erklärung freiwilligen Handelns.38 Sie ist aber auch manipulierbar und in hohem Maße der Beeinflussung durch Führung und der Konkurrenz verschiedener Einflüsse ausgesetzt. Gemeinschaftsgefühl speist sich somit aus den Identifikationsprozessen der Mitglieder mit dieser Gemeinschaft. Solch expressive und normative Orientierungen werden in erster Linie als Ergebnis von Sozialisationsprozessen betrachtet. Dabei spielt die primäre Sozialisation in der Familie die grundlegendste Rolle, die kognitive Fähigkeiten und Wahrnehmungs-Schemata stark beeinflusst. Insbesondere ist hier angelegt, welches Handeln aus Gewohnheit, weniger aus interessen- oder vernunftbasierter Reflexion gewählt wird. Nichtsdestotrotz werden Einstellungen und Bindungen im Laufe eines Lebens verändert, ergänzt oder gar revidiert. Ausschlaggebend hierfür sind sowohl Einsichten aus zweck- oder wertrationaler Überzeugung (Wertorientierungen) als auch Erfahrungen. Diese verschiedenen Einflüsse gilt es zu bedenken, wenn man konkrete Gemeinschaften und ihr Verhältnis zueinander betrachtet.
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Die Neigung, sich an kollektivem Handeln zu beteiligen, ist auch abhängig von der unterschiedlichen Kapazität, eine Identität auszubilden, und dem unterschiedlichen Zugang zu Ressourcen, die es den Individuen ermöglichen, am Prozess der Identitätsbildung teilzunehmen (Melucci 1988: 342f).
Verhältnis verschiedener Gemeinschaften
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2 Konfliktträchtigkeit ethnischer Differenz?
2.1 Verhältnis verschiedener Gemeinschaften Individuen haben multiple soziale Identitäten und fühlen sich verschiedenen Kollektiven zugehörig, möglicherweise ihrem Geschlecht, ihrer Ethnie, ihrer Nation, Europa etc. Neben dieser eher einfachen Feststellung lautet die interessantere Frage, wie genau diese multiplen Identitäten zusammengehen und wie sie sich zueinander verhalten. Je nach ihrem Verhältnis verstärken sich verschiedene kollektive Identitäten gegenseitig, sind irrelevant füreinander oder stehen im Wettbewerb miteinander. „Insofar as group membership and orientation towards a collective identity demands individual attention, commitment, even some kind of active support or participation, there is always some kind of competition“ (Peters 1998: 12). Kollektive Identitäten im Sinne von Loyalität gegenüber verschiedenen Kollektiven können mindestens auf drei Arten miteinander in Beziehung stehen: sie sind entweder separat, eingebettet oder sich überschneidend, was jeweils unterschiedliche Weisen eines Individuums impliziert, mit diesen multiplen Identitäten umzugehen. Wenn sich die zugrundeliegenden Kollektive gegenseitig ausschließen, also separat oder exklusiv sind, kann das Individuum seine sozialen Identitäten verschiedenen Bereichen zuordnen, so dass sie nicht zur selben Zeit aktiviert werden. Die Möglichkeit, verschiedene soziale Identitäten zu trennen und unterschiedlichen Bereichen oder Lebenssphären zuzuordnen, ist in der klassisch liberalen Idee enthalten, zwischen privater und öffentlicher Sphäre zu trennen. Kulturelle Angelegenheiten und Identitäten, so wird postuliert, gehören in den privaten Bereich, während in der Öffentlichkeit nur politische Interessen und Identitäten angemessen und legitim sind. Soziokulturelle und politische Identitäten sind jedoch in der realen Welt selten scharf trennbar und Interessenkonflikte treten regelmäßig auf. Gerade in politischen Fragen ist häufig nicht nur eine soziale Identität betroffen, so dass mehr als eine kollektive Identität von Bedeutung ist und die zu treffende Wahl in dem unvermeidlich auftretenden Loyalitätskonflikt schwer vorhersehbar ist. Voneinander nicht trennbare kollektive Identitäten können wiederum auf zwei Arten zueinander in Beziehung stehen. Identitäten können erstens verschachtelt oder eingebettet sein, im Sinne konzentrischer Kreise oder einer russischen Matruschka Puppe, eine Identität in der anderen. Dieses Modell unterstellt eine gewisse Hierarchie zwischen den Zugehörigkeitsgefühlen und Loyalitäten eines Individuums. Dieses bindet sich
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an eine dominante Identität und ordnet andere Identitäten unter. Eine solche Beziehung setzt voraus, dass die Inhalte der verschiedenen Identitäten miteinander vereinbar sind. Je abstrakter die dominante Identität ist, desto eher kann sie andere Identitäten einbetten. Die Natur dieser Beziehung ist dann harmonisch und sogar gegenseitig unterstützend oder verstärkend. Das Bild einer russischen Matruschka ist insofern nicht ganz richtig, da jeder äußere Kreis mehr als einen inneren Kreis beinhaltet, es gibt nicht notwendigerweise ein Zentrum, sondern eher mehrere Zentren. Dies ist bspw. legal institutionalisiert in der Zugehörigkeit zur Europäischen Union: jede Bürgerin eines Mitgliedstaates ist automatisch Bürgerin der Europäischen Union. Identitäten können sich zweitens auch überschneiden oder überlappen. Dies bedeutet, dass manche, aber nicht alle Mitglieder einer Gemeinschaft auch Mitglieder einer anderen Gemeinschaft sind. Wenn mehrere kollektive Identitäten, die eine überlappende, aber nicht äquivalente Menge an Personen umfassen, zur selben Zeit und unter denselben Umständen relevant sind, stehen zwei alternative Strategien zur Verfügung, die Identitäten der Gruppen zu kombinieren, zu denen man sich zugehörig fühlt: Die inklusive Strategie ist additiv; die geteilte Eigengruppenidentität wird so ausgeweitet, dass sie alle Mitglieder der involvierten Gemeinschaften einschließt. Die Alternative ist eine Strategie, die nur die Überschneidung verschiedener Kategorien als Eigengruppe definiert, so dass nur diejenigen eingeschlossen werden, die diese überlappenden Gruppenmitgliedschaften gemeinsam haben. Das Bewusstsein multipler Identitäten kann somit entweder den Effekt haben, die Inklusivität der sozialen Identität eines Individuums zu erhöhen oder zu verringern, je nach dem, welche Kombinationsregel benutzt wird (vgl. Brewer 2001: 122). Wenn die Forderungen verschiedener Gruppenmitgliedschaften nicht in Konflikt miteinander sind, ist die additive Strategie relativ einfach, nur durch Beschränkungen der Zeit und Aufmerksamkeit begrenzt, die Individuen verschiedenen Gruppen widmen können oder wollen. Wenn jedoch verschiedene Gruppen wettstreitende Forderungen stellen oder inkompatible Agenden verfolgen, wird das Management kombinierter Identitäten problematischer und anstrengender. Wenn alle Identitäten der Kombination gleich stark sind, wird das Individuum wahrscheinlich versuchen, Kompromisse zu finden und Versöhnung zu erreichen – Anstrengungen, die folglich auch für das Zusammentreffen der involvierten Gruppen Konflikte reduzieren und Toleranz erhöhen. Die alternative Lösung hat den Effekt, das Individuum vor konfligierenden Forderungen innerhalb der eigenen Identität zu bewahren, indem die Grenzen der Gruppenidentifikation verengt und die Fremdgruppe vergrößert wird; dies wiederum verringert Toleranz und Kooperationsbereitschaft, erhöht also das Konfliktpotenzial zwischen Gruppen.
Verhältnis verschiedener Gemeinschaften
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Die Identifikation mit einer Gruppe wird durch deren organisatorische Abkapselung erleichtert, da die Individuen keinem anderen Druck oder konkurrierenden Identitäten ausgesetzt sind. Durch eine solche Abkapselung und die gezielte Schaffung von bspw. Ethnizität lassen sich Schicksalsgemeinschaften konstruieren, welche die Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten beeinflussen und kollektives Handeln erleichtern, indem sie eine relative Homogenität der Interessen ihrer Mitglieder implizieren. Die Einsicht, dass ein komplexes, sich überschneidendes Muster sozialer Differenzierung daher die soziale Stabilität und Toleranz erhöhe, wurde unabhängig voneinander von Anthropologen (Gluckman 1955; Murphy 1957), Soziologen (Coser 1956) und Politologen (Almond/ Verba 1963; Lipset 1959) herausgestellt.39 In einer komplexen Sozialstruktur, die durch sich überschneidende Kategorien ausgezeichnet ist, mag eine einzelne Person an eine Gruppe durch ihr ethnisches Erbe, an eine andere durch ihre Religion, wiederum an andere durch Beschäftigung und Herkunftsregion gebunden sein. Mit dieser Profusion sozialer Identitäten sind andere Individuen in der einen Einteilung Mitglieder derselben Eigengruppe, in einer anderen aber Mitglieder von Fremdgruppen. „Such cross-cutting ingroup-outgroup distinctions reduce the intensity of the individual’s dependence on any particular ingroup for meeting psychological needs for inclusion, thereby reducing the Potenzial for polarizing loyalties along any single cleavage or group distinction and perhaps increasing tolerance for outgroups in general” (Brewer 1999: 439). Aufgrund dieser Mechanismen betrachtet Lipset (1959) Rollendifferenzierung und sich überschneidende Verbindungen als essentielle Vorbedingungen für die Entwicklung stabiler Demokratien. Die vorangehende Diskussion unterstreicht jedoch die Bedeutung dessen, wie diese Identitäten in den Individuen subjektiv repräsentiert sind.40 Verschiedene Wertesysteme und individuelle Unterschiede in sozialen Orientierungen beeinflussen die Art und Weise, wie Individuen ihre Mitgliedschaft in sozialen Kategorien betrachten. Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen mehreren Identitäten und der Strategie, die ein Individuum wählt, um diese zu organisieren, ist das variable Ausmaß an Intensität der Identitäten ein zentraler Punkt. Gemeinschaften sind unterschiedlich fähig, ihre Mitglieder an sich zu binden. Dementsprechend sind die Rollenmerkmale, die mit den respektiven Identitäten verbunden sind, ungleich 39 Coser betont: „In flexible social structures, multiple conflicts crisscross each other and thereby prevent basic cleavages along one axis. The multiple group affiliations of individuals make them participate in various group conflicts so that their total personalities are not involved in any single one of them. Thus segmental participation in a multiplicity of conflicts constitutes a balancing mechanism within the structure” (1956: 153f). 40 So betont Brewer: „Cross-cutting memberships may have the potential to increase tolerance and give rise to more inclusive, concentric group loyalties, but this potential will not be realized if ingroups are defined exclusively rather than inclusively” (1999: 441).
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intensiv und sie können mehr oder weniger leicht aufgegeben werden, vor allem je nach Sozialisation (wie durch Familie oder nationale Zugehörigkeit). Wie stark sich ein Individuum an eine Gemeinschaft gebunden fühlt, ist weitgehend bestimmt von Alter, Erfahrung, Persönlichkeit und sozialem Kontext. Auch innerhalb von Gemeinschaften unterscheiden sich die Mitglieder im Ausmaß ihrer Identifikation. Dies zeigt sich an dem Ausmaß, zu dem das Individuum der Gruppendisziplin folgt und kollektive Sichtweisen und Merkmale verinnerlicht. Die Grenzen zwischen aktiver und passiver Identifikation sind fließend und bilden ein Spektrum, das folgende Stufen der Identifikation mit einer kollektiven Idee beinhaltet: 1. 2. 3. 4.
Passive Zustimmung: Bereitschaft, mit den Gruppeninhalten und -zielen zu sympathisieren, sie anzuerkennen und gut zu heißen Aktive Beteiligung: Bereitschaft, sich im Sinne der Gruppeninhalte und -ziele zu engagieren, und dadurch aktiv an Gruppenbildungsprozessen teilzunehmen Ideologie: Bereitschaft, sich mit den Gruppeninhalten und -zielen zu identifizieren und das eigene Leben vollkommen diesen entsprechend auszurichten Fanatismus: Bereitschaft, sich um des Überlebens der Gruppe willen zu opfern und als Märtyrer zu sterben
Die erste Form der Identifikation ist noch recht passiv, die anderen sind aktiv mit einem beständigen Ansteigen der Intensität, was umfassendere Forderungen und einen zunehmenden Anspruch auf Exklusivität mit sich bringt. Das akzeptable Ausmaß an Kritik gegenüber der Gruppe durch das Individuum selbst oder durch andere verhält sich reziprok zu diesen Graden der Identifikation. Es kommt jedoch nicht nur auf individuelle Unterschiede des Managements verschiedener sozialer Identitäten und des Ausmaßes der Identifikation mit diesen an, denn je nach Art der Konstruktion kollektiver Identitäten, der Grenzziehung und Gestaltung des Binnenraumes stehen diese in einem unterschiedlichen Verhältnis zueinander, was individuelle Wahloptionen beträchtlich einschränkt. Zur Orientierung sind die dargestellten Codes kollektiver Identitätskonstruktion wiederum instruktiv. Primordiale Identitäten können in einer traditionalen Identität eingebettet sein und traditionale Identitäten wiederum in einer universalistischen – vorausgesetzt, ihre Inhalte und Ziele widersprechen einander nicht. Andersherum ist es jedoch nur schwer möglich. Universalistische Codes sind per definitionem dazu fähig, verschiedene Elemente zu inkorporieren unter der Bedingung, dass diese mit der zugrundeliegenden universalistischen Idee kompatibel sind oder sich assimilieren. Ist diese Bedingung erfüllt, können sich starke Identitäten auf beiden Ebenen gegenseitig verstärken. Primordiale Codes hingegen sind inhärent exklusiv konstruiert, jedoch überschneiden sie einander – Menschen sind männlich oder weiblich und schwarz oder weiß etc. Um ihre Bindungskraft zu stärken
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stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung, die gerade ethnische Gruppen verschiedentlich nutzen: eine erste Möglichkeit ist die Kombination mit traditionalen Elementen, wenn beispielsweise ethnische Gruppen gemeinsame Abstammung mit kulturellen und sozialen Elementen verbinden; diese Elemente sind jedoch einem anderen Code zuzuordnen und weniger exklusiv, allmähliche Anpassung ist möglich – kaum jedoch Assimilation an die primordialen Elemente. Eine zweite Möglichkeit ist die Betonung der Grenze und der Unterscheidung von Fremdgruppen, das Außen wird zum „Dämon“ stilisiert. Die Stärkung der Bindungskraft auf die ein und/ oder andere Weise erhöht letztlich die Undurchdringbarkeit der Abgrenzung nach außen. Somit wird in diesen Fällen die kollektive Identität umso exklusiver, je stärker sie ist. Im Allgemeinen bieten die Faktoren, welche die Bindung an eine Eigengruppe für das Individuum wichtig machen, einen fruchtbaren Boden für Antagonismus und Misstrauen gegenüber denjenigen außerhalb der Gruppengrenzen. Die Tendenz, die Werte der Eigengruppe durch moralische Überlegenheit gegenüber anderen zu rechtfertigen, die Sensibilität gegenüber Bedrohungsgefühlen, die Antizipation von Interdependenz unter Bedingungen von Misstrauen, soziale Vergleichsprozesse und Machtpolitik tragen alle dazu bei, die Identifikation mit und Loyalität gegenüber der Eigengruppe mit Verachtung und offener Feindseligkeit gegenüber Fremdgruppen zu verbinden (Brewer 1999: 442). Dies wird besonders deutlich, wenn wir uns den Merkmalen ethnischer Vergemeinschaftungs- und Konfliktformen zuwenden. 2.2 Besonderheit ethnischer Gemeinschaften Begriffe wie „Ethnie“, „Volk“ oder „ethnische Gruppe“ und deren alltagssprachliche Verwendung sind eng mit Ansprüchen auf Herrschaft, Macht und Selbstbestimmung verflochten. Ethnizität ist durch den Verweis auf gemeinsame Abstammung ein häufig affektiv besonders aufgeladenes Selbstverständnis, ein Zugehörigkeitssinn zu einer distinkten, gebundenen Gruppe, der sowohl eine gefühlte Solidarität oder Einheit mit den anderen Gruppenmitgliedern als auch einen gefühlten Unterschied von oder sogar Antipathie gegen bestimmte Außenseiter mit sich bringt, so dass quasi unvermeidlich Fronten entstehen. In der sozialwissenschaftlichen Diskussion ist der Begriff Ethnizität und seine Implikationen umstritten, hier ist der Graben zwischen Essentialisten oder Primordialisten und Konstruktivisten besonders tief. Während erstere ethnische Unterschiede und Vergemeinschaftungen als Ergebnis natürlicher anthropologischer Vorgaben verstehen, Ethnizität unter Bezug auf „ursprüngliche“ oder „objektive“ Gegebenheiten und Verhaltensdispositionen zu bestimmen versuchen
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(Shils 1957; Geertz 1963), halten Konstruktivisten Ethnien für kulturelle Artefakte, die es gibt, weil Menschen glauben, dass es sie gibt; subjektive Deutungsmuster und Prozesse der sozialen Konstruktion von ethnischen Identitäten werden in den Mittelpunkt gestellt.41 Vor allem die Vorstellung von der unhintergehbaren Bedeutung ethnischer Bindungen, deren starke emotionale Bindekraft in den „Blutsbanden“ begründet sei, ist weit verbreitet. Grundlage primordialer Bindungen sind nach Geertz (1963: 112f) Merkmale wie (fiktive) Blutsbande, Rasse (phänotypische Körpermerkmale), Sprache, regionale Zugehörigkeit, Religion sowie Brauch und Tradition. Diese würden durch Geburt und Sozialisation vermittelt und als zentrale Determinanten der Identität in die nichtrationalen Grundlagen der Persönlichkeit eingehen, woraus sich ein unreflektierter Sinn kollektiven Seins ergebe. Ethnizität wird daher aus primordialistischer Perspektive als ein ursprüngliches Element42 menschlichen Daseins aufgefasst, das sich durch alle gesellschaftlichen Ablagerungen und Überformungen hindurch geltend mache. Ethnische Gruppen seien im Wesentlichen mit van den Berghes (1981) Worten „extended kin groups“. Die Bedingungen ihrer Entstehung sind vorbewusst, sie entziehen sich der rationalen Reflexion, sei es weil sie in den nicht-rationalen Fundamenten der Persönlichkeit wurzeln (Geertz 1963) oder weil sie vom genetischen Programm der Spezies Homo Sapiens gesteuert werden (van den Berghe 1981; Vanhanen 1999). Daher rührten auch die starken emotionalen Bindungen an das Kollektiv. Auf dieser Grundlage werden ethnische Bewegungen als „Wiedererwachen“ dauerhafter ethnischer Kollektividentitäten interpretiert. Allerdings ist die Behauptung, ethnische Bindungen seien ursprünglich, kaum aufrecht zu erhalten. Sicher ist nicht zu bestreiten, dass jedem Individuum durch Geburt und im Verlauf der Primärsozialisation Charakteristika wie physische Merkmale, Sprache, Namen und Religion vermittelt werden und dass der spezifische sozio-historische Kontext der Geburt einen starken Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung haben kann. Doch selbst wenn man von der wenig überzeugenden Abwertung bewusster oder gewählter Anteile menschlicher Identitätsbildung absieht, können primordialistische Interpretationen die offensichtlichen Veränderungen, Verschiebungen und Auflösungen von ethnischen Gruppen und Identitäten nicht erfassen. Spätestens seit Max Weber ist im Grunde klar, dass Gemeinsamkeiten erst dann zu Gemeinschaft führen, wenn sie subjektiv als gemeinsames Merkmal empfunden werden. Diese subjektive Empfindung kann
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Vgl. für einen guten Überblick Ganter 1995. Ursprünglich heißt vor allem von Geburt an gegeben und durch genetische Prädispositionen vermittelt, unabhängig von bewussten sozialen Interaktionsprozessen und anderen Formen der Vergemeinschaftung oder Vergesellschaftung vorgelagert. 42
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jedoch nicht a priori vorausgesetzt werden, sondern ist selbst erklärungsbedürftig (Weber 1980: 234). Weber bestimmt ethnische Gruppen folgendermaßen: „Wir wollen solche Menschengruppen, welche auf Grund von Ähnlichkeiten des äußeren Habitus oder der Sitten oder beider oder von Erinnerungen an Kolonisation und Wanderung einen subjektiven Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft hegen, derart, dass dieser für die Propagierung von Vergemeinschaftungen wichtig wird, dann, wenn sie nicht ‚Sippen’ darstellen, ‚ethnische’ Gruppen nennen, ganz einerlei, ob eine Blutsgemeinschaft objektiv vorliegt oder nicht“ (ebd. 237).
Das zentrale Element dieser Definition ist der subjektive Glauben an eine Abstammungsgemeinschaft, an anderer Stelle „der auf Gemeinsamkeiten oder Unterschieden des äußeren Eindrucks der Person und ihrer Lebensführung ruhende Glaube an Blutsverwandtschaft“ (ebd. 240). Diese ethnische Gemeinsamkeit erleichtere Vergemeinschaftung und damit Gemeinschaftshandeln, speziell auch die politische Vergemeinschaftung in Gestalt einer auf staatliche Macht ausgerichteten Nation. Das eigentliche Gemeinschaftsbewusstsein sei „der Regel nach primär durch politisch gemeinsame Schicksale und nicht primär durch ‚Abstammung’ bedingt“, weshalb die Abgrenzung „auch meist künstlich von der politischen Gemeinschaft her geschaffen“ sei (ebd. 241). Wer beim Gemeinsamkeitsglauben Max Webers ansetzt, betont zwangsläufig den prozesshaften Charakter von Ethnizität und entgeht der undankbaren, wenn nicht unmöglichen Aufgabe, „objektive Seinskriterien“ von Abstammung, Kultur oder Herkunft nennen zu müssen.43 Die Literatur über die Entstehung und Reproduktion von Nationen und Ethnien im Sinne „vorgestellter Gemeinschaften“ (Anderson 1983) ist uferlos. Zahlreiche Studien mit sozialkonstruktivistischem Ansatz untersuchen die verschiedensten ethnischen und nationalen Bewegungen, wobei sie durch ein gemeinsames Verständnis vereint sind: „Wether ethnic divisions are built upon visible biological differences among populations or rest upon invisible cultural and ideational distinctions, the boundaries around and the meanings attached to ethnic groups are pure social constructions“ (Nagel 1994: 167f). Die konstruktivistische Perspektive von Ethnizität beruht auf der Grundannahme, dass ethnische Phänomene gleichermaßen wie andere Phänomene auf Formen des sozialen Handelns zurückgeführt werden können, in denen nicht einfach nur „ursprüngliche“, tief verwurzelte oder genetisch prädisponierte Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster reproduziert werden, sondern in denen sich soziale Akteure unter Bezug auf wandelbare Interessen und (Wert-) Ideen und unter je gegebenen (aber durch soziales Handeln wiederum veränderbaren) Umständen sinnhaft 43 Vgl. zu einem interessanten Schaubild zu Ethnizität im Prozess der Identitätssicherung Hettlage (1997: 25).
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aufeinander beziehen und miteinander interagieren. Dies schließt nicht aus, dass einmal vorgenommene Definitionen von Zugehörigkeit ein bestimmtes Beharrungsvermögen und relative Autonomie erlangen, die sich der Manipulation entziehen. Doch wirkt Ethnizität letztlich situationsabhängig, ist in unterschiedlichen Gesellschaften verschieden mobilisierbar und unterliegt im Zeitablauf Verstärkungs- oder Abschwächungstendenzen. Die politische Bedeutung solcher Gruppenidentitäten ändert sich über die Zeit als Antwort auf große Ereignisse wie das Aufbrechen multinationaler Staaten und auf lokale Ereignisse wie einen Wandel in Regierungspolitiken gegenüber Minderheiten. Unter Bedingungen des abrupten Wandels oder allgemeiner Krisen scheint der Appell an ethnische Zugehörigkeiten und Identitäten besonderes Gehör zu finden. Richtungsweisend in der Debatte um die Konstruktion ethnischer Gruppen wie kollektiver Identitäten im Allgemeinen ist Barths Betonung von Grenzen. Das entscheidende Merkmal für die Bestimmung ethnischer Gruppen ist das Kriterium der Selbst- und/oder Fremdzuschreibung von ethnischen Identitäten, die wiederum dadurch charakterisiert sind, dass sie eine Person „in terms of his basic, most general identity, presumptively determined by his origin and background“ (Barth 1969: 13) klassifizieren. Wenn ethnische Gruppen nicht über objektive kulturelle Besonderheiten, sondern über Prozesse der Zuschreibung und Abgrenzung definiert werden, kann das Problem ihrer historischen Kontinuität nach Barth als ein Problem der Grenzerhaltung konzeptualisiert werden (ebd. 14). Ethnische Grenzziehungen kanalisieren oder organisieren soziale Verhaltensweisen und Interaktionsbeziehungen im Binnenraum sowie nach außen, wie schon für kollektive Identität allgemein dargestellt. Das Ausmaß, in dem die gemeinsamen normativen Muster die ethnische Gruppe definieren oder in dem die symbolischen Formen kollektiver Repräsentationen das Handeln der Gruppenangehörigen tatsächlich bestimmen, ist unterschiedlich: „ethnicity is a matter of degree. There is ethnicity and ethnicity. The constraint that custom exercises on the individual varies from case to case. (…) In some situations ethnicity amounts to no more than the exchange of jokes between different culture groups at the strange and bizarre nature of one another’s customs. In other situations it leads to violence and bloodshed” (Cohen 1974: xiv).
Daher sind Instrumentalisten geneigt, die Konstruktion ethnischer Identitäten intentional zu interpretieren. Sie gehen davon aus, dass ethnische Gruppen als Interessengruppen angesehen werden können oder als von politischen Führern ihren Interessen entsprechend manipuliert (ebd.). Ethnizität erscheint in dieser Sichtweise als ein Mechanismus der sozialen und politischen Organisation, dessen Wirksamkeit in der Verbindung von Ideologien der gemeinsamen Kultur und gemeinsamer Herkunft mit praktisch-instrumenteller Funktionalität begründet ist. Dieser Aspekt kann, muss aber nicht vorhanden sein.
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Allgemein enthält die kollektive Identität einer ethnischen Gruppe wie jede Gemeinschaft Bestandteile eines gemeinsamen Symbolsystems, die sich auf die Gruppe als solche beziehen, auf Vorstellungen über besondere Charakteristika der Gruppenmitglieder, über die gute soziale Ordnung, besondere Verpflichtungen gegenüber Gruppenmitgliedern, ein besonderes Vertrauen zwischen Gruppenmitgliedern und über die Vergangenheit sowie Zukunft der Gruppe (vgl. Peters 1998; 2003). Der Glaube an eine Abstammungsgemeinschaft kann als minimales Kriterium angesehen werden, das je nach ethnischer Gruppe durch weitere Merkmale und Inhalte ergänzt wird.44 Ethnische Gruppen variieren hinsichtlich des Grades der Ausformulierung spezifischer Symbolsysteme, ihrer Kohärenz und Bindungskraft. Sie zeichnen sich darüber hinaus in unterschiedlichem Maß durch intern präferenzielle Beziehungen, Kooperationsnetze, Assoziationen bis hin zu Organisationen aus. Enge soziale Kontakte ergeben sich, wenn Angehörige einer Ethnie konzentriert wohnen und in bestimmten Branchen und Betrieben arbeiten. Je gleicher die soziale Lage insgesamt ist, desto eher kann dies als günstig für die Ausbildung einer Gruppensolidarität angesehen werden. Ob jedoch tatsächlich ein Zusammenhang zwischen sozialen Kontakten und der Identifikation mit der Gruppe besteht (vgl. auch Kapitel I.3), ist ebenso wie das jeweilige Verhältnis zwischen unterschiedlichen Identitäten empirisch zu klären. Insgesamt kommt Konstruktivisten das Verdienst zu, darauf hingewiesen zu haben, dass Ethnizität und ethnische Gruppen als soziale Konstrukte anzusehen sind, deren Entstehung und Bedeutung sich nicht aus vermeintlich überhistorischen und quasi-natürlichen Notwendigkeiten erklärt werden kann, sondern erst auf der Grundlage einer Analyse der je spezifischen Interaktionsbeziehungen sowie der Strukturierung des Handlungszusammenhangs. Zusammenfassend weisen ethnische Gruppen als soziale Konstrukte folgende Charakteristika auf (Ganter 1995: 56f): 1. 2. 3.
Ethnien oder ethnische Gruppen sind Wir-Gruppen, die sich durch die Selbstund/ oder Fremdzuschreibung einer kollektiven Identität auf der Grundlage des Glaubens an eine Abstammungsgemeinschaft konstituieren. Die Selbst- und/ oder Fremdzuschreibung kollektiver ethnischer Identitäten impliziert stets einen Prozess der Abgrenzung von anderen Gruppen. Die Bedeutung ethnischer Identitäten für individuelle und kollektive Handlungsorientierungen ist veränderlich.
44 Das Bewusstsein gemeinsamer kultureller Praktiken, einer gemeinsamen Geschichte oder eines gemeinsamen Schicksals sind solche Elemente, was jedoch letztlich zählt ist der Glaube der Mitglieder zusammenzugehören. So kam die Forderung nach mehr Autonomie für Québéc auf, als die Frankophonen den Anglophonen immer ähnlicher wurden, der Nationalismus der Québécois ging mit einer starken Verringerung kultureller Unterscheidbarkeit Hand in Hand (Kymlicka 1995: 87f). Auch die Protestanten in Nordirland sehen sich in ihrem Schicksal verbunden und identifizieren sich miteinander, obwohl sie sich kulturell wenig von den Katholiken unterscheiden (Moore 2001: 58).
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Sollen ethnische Identitäten von Dauer sein, müssen sie und die mit ihnen verbundenen Sinndeutungen, symbolischen Ordnungen und Vorstellungen in der Alltagspraxis immer wieder reproduziert werden. Was grundsätzlich zählt, ist die Überzeugung der Menschen, die manche Eigenschaften und Überzeugungen teilen und derjenigen, mit denen sie interagieren, dass diese Eigenschaften sie von anderen auf eine Art absetzen, die Unterschiede in Behandlung und Status rechtfertigt. Ethnische Identitäten mögen konstruiert sein in dem Sinn, dass sie in Ausmaß und Inhalt veränderbar sind, doch ändert dies nichts an ihrer sozialen Wirklichkeit oder ihrer Persistenz. Die Notwendigkeit der Reproduktion schafft aber ebenso Raum für Veränderungen, Neuinterpretationen und Manipulationen. Durch die Politisierung der Ethnie, das Beziehen auf ein Territorium und die Etablierung einer Staatsidee können Ethnien versuchen, Nationen zu werden. Die Abgrenzung von Ethnizität und Nationalismus erfolgt durch das Verhältnis zum Staat: Während Nationalismus häufig fordert, dass politische und kulturelle Grenzen übereinstimmen sollen – hierzu mehr in Kapitel III.3 –, verlangen ethnische Gruppen vielfach keine Kontrolle über den Staat. Falls die Führer der ethnischen Bewegung einen solchen Anspruch erheben, wird aus der ethnischen Bewegung eine nationale oder nationalistische Bewegung (vgl. Haller 1993: 36). Die meisten politisch relevanten ethnischen Gruppen – in Gurrs (2000) Sinn ethno-politische Gruppen – haben auch eine gemeinsame Geschichte oder Mythen geteilter Erfahrung, oft von Eroberung oder Unterdrückung durch andere. Schwerwiegende kollektive Verletzungen können an die nachfolgenden Generationen weitergegeben und zu einem Bestandteil der „ethnischen Schicksalsgemeinschaft“ werden. Vamik Volkan (1994) bezeichnet diese mentalen Prägungen als „chosen traumas“, die dabei helfen, die Gruppe zu definieren und ihre Feindschaft auf die „Anderen“ zu fokussieren. Diese Bezeichnung hebt hervor, dass die Art und Weise, in der sich diese Verletzungen im kollektiven Bewusstsein niederschlagen, auch durch Prozesse der gezielten Mythologisierung einer Gruppe beeinflusst wird. Das Gegenstück zu gewählten Traumata wären „chosen glories“, die Erinnerung an heroischen Widerstand oder dergleichen (vgl. Ropers 96: 190). Die Vorstellung von einer nach außen abgegrenzten und nach innen integrierten Wir-Gruppe, von Verwandtschaft und von einer Raum und Zeit transzendierenden Gemeinschaft kann eine starke emotionale Bindung an die ethnische Gruppe begründen. Dies zeigt sich an alltäglichen Handlungszusammenhängen, in der Bevorzugung des Umgangs mit Angehörigen der eigenen Gruppe ebenso wie in der Empörung über (tatsächliche oder vermeintliche) Diskriminierung der Gruppe bis hin zu eskalierenden ethnischen Konflikten. Doch kann das Verhältnis zwischen verschiedenen Mitgliedschaftsdefinitionen wie die zwischen ethnischer und anderen kollektiven Identitäten zunächst analytisch differenziert wer-
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den, wie unter II.1 erläutert, als entweder eingebettet, überlappend oder gegenseitig ausschließend und somit als gegenseitig unterstützend, indifferent oder konfliktiv. Die Wahl der Aufbringung von Energie und Aufmerksamkeit geschieht in der Regel unbewusst und gewohnheitsgemäß. Ein unterstützendes Verhältnis besteht zumeist bei eingebetteten Identitäten. Wenn Familientraditionen in lokale oder regionale Zusammenschlüsse eingebettet sind, und diese wiederum in einer nationalen Kirche und/ oder in freiwilligen Vereinigungen, können derart subnationale Gemeinschaften die nationale Identifikation unterstützen. Bei eingebetteten oder überschneidenden Mitgliedschaften entsteht häufig lediglich ein Rollenkonflikt, wenn Forderungen an das Individuum miteinander in Konflikt sind, ohne dass die gesamten Gruppen in Konflikt treten. Bei überlappenden Mitgliedschaften können Loyalitätskonflikte auftreten, wenn kollektive Identitäten mit konfligierenden Orientierungen und Forderungen einhergehen, oder wenn Konflikte bestimmte Elemente der kollektiven Identität betreffen, wie kollektiver Stolz oder Selbst-Respekt, was wiederum den Konflikt verstärken kann. Dies ist besonders dann der Fall, wenn solche Konflikte zwischen sich gegenseitig ausschließenden Gemeinschaften entstehen, da hier psychologische Mechanismen die Exklusivität weiter verstärken, anstatt moderierend Einfluss zu nehmen. Diese Dynamiken werden im Folgenden etwas näher betrachtet. 2.3 Dynamik ethnischer Konflikte Was speziell sind ethnische Konflikte? Wie lassen sich ethnische und andere Arten sozialer und politischer Konflikte unterscheiden? Die meisten verstehen unter ethnischen Konflikten solche, in denen als wichtigste Beteiligte ethnische Gruppen identifiziert werden, sowie solche, die ethnische Feindseligkeiten zu reflektieren scheinen. Rodolfo Stavenhagen definiert ethnischen Konflikt „as a protracted social and political confrontation between contenders who define themselves and each other in ethnic terms; that is, when criteria such as national origin, religion, race, language and other markers of cultural identity are used to distinguish the opposing parties” (1996: 284). Es handle sich um eine kontinuierliche Form kollektiver Handlung zwischen ethnischen Gruppen und involviere ein bestimmtes Maß an Organisation (ebd. 136). Auch wenn Kontinuität und Organisation häufig Charakteristika gewaltsam ausgetragener ethnischer Konflikte sind, ist ethnischer Konflikt nicht auf anhaltende Gewalt zwischen ethnischen Gruppen zu beschränken. Auch sporadische Proteste und kurzzeitiges Aufbrechen von Gewalt zwischen ethnischen Gruppen können zur Kategorie ethnischer Konflikte gezählt werden, da sie in der Regel auf ethnischen Spannungen und Feindseligkeiten beruhen.
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Ethnische Differenz bedeutet jedoch nicht automatisch ethnischen Konflikt. Dieser entsteht nicht nur weil sich Gruppen unterscheiden, sondern weil diesen Unterschieden besondere Bedeutung beigemessen wird, die sie inkompatibel und unüberbrückbar erscheinen lassen: „Ethnic conflicts evolve out of specific historical situations, they are moulded by particular and unique circumstances, and they are constructed to serve certain interests by idealists and ideologues, visionaries and opportunists, political leaders and ‚ethnic power-brokers’ of various kinds” (Stavenhagen 1996: 285).
Ethnischer Konflikt wiederum ist nicht mit dem gewaltsamen Austrag eines solchen Konflikts gleichzusetzen. Allerdings wohnt ethnischen Konflikten eine eigene Dynamik inne, durch die kollektive Identitäten aktiviert werden. Unter manchen Umständen wird eine kollektive Identität erst im Prozess und als Teil des Konflikts selbst konstruiert (ebd. 66) Die Verbindung von kollektiver Identität und Konflikt macht die Besonderheit ethnischer Konflikte aus: Sie seien eine besondere Art sozialer und politischer Konfrontation, die mehr mit Fragen der Identität und tief verwurzelten Werten als mit rationalen Interessen zu tun haben, weshalb sie häufig lang anhalten, mit kollektiven historischen Erinnerungen und neuen Interpretationen verbunden werden, stark aufgeladen mit Gefühlen und Leidenschaften, Mythen, Ängsten und wahrgenommenen Bedrohungen. Daher seien sie so schwer auf das übliche Geben und Nehmen politischer Verhandlungen zu reduzieren (ebd. 292). Dies schließt natürlich nicht aus, dass soziale und ökonomische Konflikte nicht auch leidenschaftlich ausgetragen werden, oder dass rationale Interessen und Kalküle eine Rolle in ethnischen Konflikten spielen, was in der Regel durchaus der Fall ist. Kern der Aussage ist, dass sich ethnische Konflikte tendenziell um die Selbstwahrnehmung eines gesamten „Volkes“ drehen, was im Rahmen eines modernen Nationalstaates häufig konfligierende Konzepte der Nation oder kontrastierende Ideen über die grundlegende Struktur des Staates mit sich bringt; dann liegen ethnische Identitäten im Wettstreit mit ‚nationaler’ Identität um die Loyalität und das Engagement der Menschen. Nach Stavenhagen ist dies so, „because so often the ‘national’ ideology, which attempts to subsume all socalled subnational identities, is in fact an ‘ethnocratic’ or at least an ‘ethnocentric’ one” (ebd. 290). Die Schweiz könne als historisch erfolgreicher Fall einer multi-ethnischen Nation angesehen werden.45 In den meisten Fällen jedoch stimme das dominante Konzept der Nation mit der Selbstwahrnehmung der do-
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Als sich der französisch-sprachige Teil des Jura in den 1970er Jahren vom Kanton Bern abtrennte, geschah dies auf der Grundlage ihrer wahrgenommenen ethnischen Identität, doch stand die Legitimität der Schweizer Konföderation nicht zur Debatte.
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minanten ethnischen Gruppe überein, von dem die untergeordneten Gruppen ausgeschlossen seien oder sich zumindest so fühlten. Dies muss nicht so sein und ist nicht immer so. Das Verhältnis zwischen ethnischer und nationaler Gemeinschaft oder zwischen mehreren ethnischen Gemeinschaften innerhalb einer politischen Gemeinschaft variiert je nach Typ ethnischen Konflikts. Solche Konflikte unterscheiden sich nach den Zielen der Gemeinschaften, der Orientierung gegenüber dem Staat und dem Diskurs des Kampfes (vgl. Bangura 1994: 10-14). Ein eindeutig konfliktives Verhältnis zwischen ethnischer und nationaler Identität kommt in separatistischen Bewegungen zum Ausdruck, die eine eigene politische Gemeinschaft für eine ethnische Gruppe fordern, die politische Institutionalisierung einer als eigenständig definierten und empfundenen Nation. Anhänger einer solchen Bewegung bezeichnet Gurr (1993) als Ethnonationalisten. Handelt es sich bei einem gegebenen ethnischen Konflikt um einen Wettbewerb um Staatsressourcen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen, um sozioökonomische Verteilung und Chancengleichheit wie bei Gurrs Ethnoklassen, muss der Diskurs ethnischer Mobilisierung nicht immer in nicht-verhandelbaren Positionen ausgedrückt werden, denn Abmachungen können getroffen und Allianzen neu definiert werden, auch wenn das „bargaining“ bisweilen durchaus gewaltsam ausgetragen wird. Beim Kampf um die Rechte indigener Völker oder anderer Minderheiten, die durch Nationalstaatenbildung oder Einwanderung zu solchen wurden, geht es in der Regel um Landrechte und den Schutz von Kultur, Sprache und/ oder Religion sowie um die gleiche Behandlung in der Zuteilung nationaler Ressourcen und Regierungspositionen, um denselben legalen Status und die Abschaffung diskriminatorischer Praktiken und Politik.46 Die Beschwerdemuster oder Forderungen ethnischer Gemeinschaften gruppieren sich somit um einen oder mehrere der folgenden vier eng miteinander verbundenen Bereiche: um politische Autonomie (Selbstbestimmungs- oder Selbstverwaltungsrechte in Form von Föderalismus bis hin zur Abspaltung), um politische Rechte außer Autonomie (in Form spezieller Repräsentationsrechte), um ökonomische Rechte um den Zugang zu Ressourcen und Chancengleichheit und/ oder um soziale und kulturelle Rechte, in Form von finanzieller Unterstützung und legalen Schutzes bestimmter Gruppenpraktiken (vgl. Gurr 1993: Kap. 5; Kymlicka/ Norman 2000). Territorium spielt als definierendes Kriterium für Bürgerschaftsrechte und -identitäten und als Basis politischer Entitäten wie 46 Kymlicka und Norman (2000) unterscheiden ihrerseits Minderheitengruppen folgendermaßen: Nationale Minderheiten, wie staatenlose Nationen und indigene Völker; eingewanderte Minderheiten mit Bürgerschaft oder dem Recht darauf, solche ohne dieses Recht und Flüchtlinge; isolationistische oder nicht-isolationistische religiöse Gruppen und sui generis Gruppen wie Afro-Amerikaner, Roma (Zigeuner) und Russen in ehemaligen Sowjetstaaten etc.
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Staat, Region oder Kommune eine besondere Rolle und ist eine wirkmächtige Quelle von Massenmobilisierungen wie in regionalistischen Bewegungen. Komplexe Prozesse führen vom Empfinden und Äußern von Beschwerden zur tatsächlichen Mobilisierung und von dieser wiederum zu Protest und Konflikt. Unter den Formen ethnischer Konflikte unterscheiden sich Unruhen (Streiks, Demonstrationen, Aufstände, Proteste, Sabotage, Terrorismus) von Bürgerkriegen (Staatsputsch, sezessionistische Rebellionen, Bürgerkrieg und Revolutionen) und beide wiederum von Völkermord jeweils im Ausmaß der Massenmobilisierung, im Grad zentralisierter Organisation und Kontrolle und im Ausmaß und Art der Gewaltanwendung (vgl. Williams 1994). Doch ist es offensichtlich, dass nicht alle Unterschiede zwischen ethnischen Gemeinschaften politisiert werden oder zu Konflikten führen. Meistens koexistieren viele Gruppenidentitäten problemlos und friedlich. Um zu verstehen, wann sich dies ändert, muss man die Faktoren und Prozesse betrachten, die darauf einwirken, welche Gruppenkategorien sich bilden, welche Gruppenidentifikationen am wichtigsten werden in bestimmten Kontexten und warum, und weshalb diese Identifikationen in Konflikt treten. Diese Fragen sind eng mit der Art der Grenzziehung kollektiver Identität und mit den Faktoren verbunden, welche die Bedeutung sozialer Identitäten erhöhen. Zwei Theorien über Beziehungen zwischen Gruppen sind hier besonders relevant: soziale Identitäts-Theorie und realistische Konflikttheorie. Soziale Identitätstheorie und ihr Ableger, die Selbstkategorisierungstheorie, sind sozialpsychologische Versuche, Prozesse kollektiver Identitätsbildung und Beziehungen zwischen Gruppen zu verstehen. Eine zentrale Annahme der Sozialpsychologie ist, dass Menschen dazu tendieren, andere auf der Grundlage von Ähnlichkeiten oder Unterschieden zum Selbst zu klassifizieren; sie nehmen andere als Mitglieder derselben Kategorie wie das Selbst wahr (Eigengruppenmitglieder) oder als Mitglieder einer anderen Kategorie (Fremdgruppenmitglieder). Kognitive Kategorisierung ist notwendig und an sich nicht schädlich. Sozialpsychologen unterstreichen jedoch, dass sie besonders im Kontext der Beziehungen zwischen Gruppen wichtige Effekte auf menschliches Verhalten haben kann, da dieser Kategorisierungsprozess eine Betonung der Ähnlichkeiten innerhalb derselben Kategorie, also zwischen dem Selbst und anderen „ingroupers“, und der Unterschiede zu anderen Kategorien mit sich bringe, also einen Akzentuierungseffekt und einen Prozess des „self-stereotyping“ (vgl. Tajfel 1970). Darüber hinaus postuliert Tajfels „minimal group paradigm“, dass Individuen dazu tendieren, zugunsten der Gruppe eingestellt zu sein, der sie angehören, und zu Ungunsten von Mitgliedern von Fremdgruppen. In einer Serie von Studien zeigte Tajfel (1978, 1981), dass allein das Zuordnen von Subjekten zu zufälligen Gruppen zuverlässig bestimmte Ergebnisse erbrachte: die Übertreibung von Unter-
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schieden zwischen Gruppen, die Abschwächung von Unterschieden innerhalb der Gruppe, die unterschiedliche Zuweisung von Ressourcen zugunsten der Eigengruppe und evaluative Bevorzugung von Eigengruppenmitgliedern.47 Diese Voreingenommenheit bestehe, so Tajfel (1978), da Menschen das psychologische Bedürfnis nach positiver Selbstachtung hätten und da sich ein Teil ihrer Selbstachtung aus ihren Mitgliedschaften in Gruppen speise. Fremdgruppenmitglieder würden negativ bewertet, um sich selbst einen Bewertungsvorteil zu verschaffen in dem allgegenwärtigen Prozess sozialer Vergleiche.48 Der Prozess verläuft somit von der Kategorisierung über die Akzentuierung hin zum sozialen Vergleich, der letztlich Gruppenverhalten motiviert. Angesichts der multiplen sozialen Identitäten jedes Individuums ist dieser Prozess normalerweise nicht problematisch, da andere in einem Kontext als Mitglieder von Fremdgruppen, in einem anderen als Mitglieder der eigenen Gruppe angesehen werden können. Je häufiger jedoch ein anderer als Fremdgruppenmitglied kategorisiert wird und je weniger sich Gruppengrenzen überschneiden, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese Person negativ beurteilt wird und die Gruppen in Konflikt miteinander treten. Soziale Identitätstheorie bietet somit eine beunruhigende Erklärung für interethnische Beziehungen, Gruppenidentifikation und Verhalten (vgl. Monroe et al. 2000: 436). Da kollektive Identifikation der Wahrnehmung von Ähnlichkeit innerhalb der Eigengruppe und von Differenz gegenüber einer oder mehreren Fremdgruppen bedürfe, würden das Selbst und andere in Begriffen von stereotypischer Ähnlichkeit oder Andersartigkeit definiert. Diese kritischen Wahrnehmungen von Differenz können extrem genug werden, um komplettes Distanzieren und Entmenschlichen der Fremdgruppe hervorzurufen.49 47 Weitere Experimente und Studien zu diesem Eigen-Fremdgruppen-Bias belegen, dass sich Individuen in der Tat mit der Eigengruppe identifizieren, Gruppennormen unterstützen und Fremdgruppenmitglieder Stereotypen entsprechend abwerten, selbst wenn es sich bei den Gruppen lediglich um künstliche Labor-Konstrukte handelt und kein Wettbewerb um Ressourcen besteht (vgl. Monroe 2000: 435; für eine Übersicht vgl. Abrams/Hogg 1999, Hogg 2003). Sniderman et al. (1993; 2000) finden interessante empirische Beweise für dieses Phänomen zwischen ethnischen Gruppen auf der Mikro-Ebene. 48 Durch soziale Vergleiche lernen Individuen über sich selbst und entwickeln Vertrauen in die Wahrhaftigkeit und Nützlichkeit ihrer Überzeugungen. Sie sind daher motiviert, soziale Vergleiche anzustellen, um sich ihrer Wahrnehmungen von sich selbst, anderer Menschen, und der Welt im Allgemeinen zu versichern (Hogg/ Abrams 1988: 22). Dass Vergleiche mit anderen zentral für die eigene Identität sind, ist eine Grundannahme in den Sozialwissenschaften. Festingers (1954) Theorie des sozialen Vergleichs und Mertons (1968) Arbeit zu Referenzgruppen sind prominente Verkörperungen dieser Doktrin. 49 Eine alternative Erklärung ist, dass Individuen diskriminieren, um soziale Unsicherheit zu verringern (vgl. Hogg 2003). Dies kann die Unsicherheit über die eigene Zugehörigkeit in einer Gruppe einschließen oder die Unsicherheit über den relativen Status der Eigengruppe als Ganzes.
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Die psychologischen Motivationen einer Voreingenommenheit zugunsten der Eigengruppe und dementsprechendes diskriminatorisches Verhalten wird, wie erwähnt, der Tendenz zugeschrieben, positive Unterscheidbarkeit und Selbstachtung erhöhen zu wollen (Tajfel/ Turner 1986), womit eine Herabwertung von Fremdgruppen und konfliktive Beziehungen zwischen Gruppen quasi automatisch einhergehen würden. Dies schlägt sich in der Literatur nieder: „most contemporary research on intergroup relations, prejudice, and discrimination appears to accept, at least implicitly, the idea that ingroup favoritism and outgroup negativity are reciprocally related“ (Brewer 1999: 430). Positive Einstellungen gegenüber der Eigengruppe sind jedoch nicht grundsätzlich und unmittelbar mit negativen Einstellungen gegenüber Fremdgruppen verbunden. Brewer betont, „that ingroup favoritism and outgroup prejudice are separable phenomena and that the origin of identification and attachment to ingroups is independent of intergroup conflict” (ebd.). Diskriminierung kann ausschließlich durch die Bevorzugung der Eigengruppe motiviert sein, ohne negative Gefühle oder feindliche Absichten gegenüber Fremdgruppen. Im Umkehrschluss kann ebenso Diskriminierung von Fremdgruppen ausschließlich durch Antagonismus gegenüber diesen motiviert sein in Abwesenheit jeglicher Eigengruppenloyalität oder bindung (ebd. 431). Sowohl Laborexperimente als auch Feldstudien weisen darauf hin, dass die Varianz von Eigengruppenbindung und sozialer Identifikation nicht systematisch mit dem Ausmaß an Voreingenommenheit oder negativen Einstellungen gegenüber Fremdgruppen korreliert (Brewer 1979; Hinkle/ Brown 1990). So zeigen sich auch Patriotismus oder Eigengruppenstolz konzeptionell und empirisch unabhängig von Aggressionen gegenüber Fremdgruppen (Feshbach 1994; Struch/ Schwartz 1989; Sniderman et al. 2000), was in Bezug auf den nationalen Kontext in Kapitel VII.1 näher betrachtet wird.50 Der empirisch am besten belegte Prädiktor von Intoleranz ist nicht eine starke Eigengruppenidentität, sondern die Furcht vor Fremdgruppen, also die Wahrnehmung einer realen oder imaginierten Bedrohung der Eigengruppe durch eine Fremdgruppe (vgl. Sullivan et al. 1985; Marcus et al. 1995). Gibson kombiniert diese Einsichten und erwartet allgemein folgenden Pfad, durch den Gruppenidentitäten tendenziell zu politischer Intoleranz und Konflikten zwischen Gruppen führen: Gruppenzugehörigkeit verbunden mit starker Gruppenidentifikation, psychischen Vorteilen von der Gruppenidentifikation und dem Glauben an die Bedeutung der Mitgliedschaft erhöhten das Bedürfnis nach Gruppensolidarität, aber auch die Antipathie gegenüber Fremdgruppen bis hin zur Wahrneh50 Sniderman et al. (2000) stellen die Hypothese auf, dass eine konsistent negative (Hass-Hass) oder konsistent positive Sicht (Liebe-Liebe) gegenüber sowohl Eigen- als auch Fremdgruppen ein ebenso verbreitetes Muster von Gefühlen sein kann wie eine negativ reziproke Beziehung zwischen beiden. Zum Zusammenhang von Nationalstolz und Fremdenfeindlichkeit vgl. VII.1.
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mung einer Bedrohung der Gruppe, was letztlich in politischer Intoleranz und Konflikt zwischen den Gruppen münde (Gibson 2006: 666). Es bedarf also zusätzlicher Faktoren, damit starke Eigengruppenidentitäten zu konfliktiven Beziehungen zwischen Gruppen führen. Erst so lassen sich weitergehende Hypothesen aufstellen, wie hier in Bezug auf Dynamiken in Minderheitengruppen: „As the level of group consciousness – political, cultural, economic, social, territorial, or religious – crystallizes into a desire for self-realization or in reaction to exploitation, inequality, or injustice, support for the basic human and democratic rights tends to disappear and is replaced by a more minacious view of outside groups, members of the dominant culture, and the political system“ (Davis/ Brown 2002: 239).
Die Entstehung von Diskriminierung zwischen Gruppen bedarf einer kognitiven Repräsentation der sozialen Situation, in der eine bestimmte Gruppenunterscheidung sehr salient ist (Brewer/ Gaertner 2004: 303). Je wichtiger, unmittelbar relevanter, persönlich wertvoller die Kategorisierung für das Individuum ist, desto stärker ist der Akzentuierungseffekt und desto wahrscheinlicher treten Effekte eines Eigen-Fremdgruppen-Bias zutage. Wann sind jedoch bestimmte Kategorien relevant? In der Regel verarbeitet das kognitive System Informationen in einem gegebenen Kontext so, dass relevante Ähnlichkeiten und Unterschiede möglichst einfach erklärt werden können; es bildet also eine Kategorisierung, die einen möglichst großen Teil der Varianz erfasst. Wenn Übereinstimmungen und Meinungsverschiedenheiten, Ähnlichkeiten und Unterschiede mit der Rassenzugehörigkeit zusammenfallen, dann wird wahrscheinlich Rasse relevant und die Selbstkategorisierung wird in Begriffen der Rasse ausfallen (Hogg/ Abrams 1988: 26). Andauernde politische Konflikte betonen existierende Grenzen und halten Gruppenidentifikation im individuellen Gruppenmitglied präsent. Daher sind trotz der unendlichen Zahl potenzieller sozialer Gruppen in einer Gesellschaft diejenigen entlang von grundlegenden Spaltungslinien – einschließlich Rasse, Religion, Sprache, Kultur und Klasse – besonders anfällig für Konflikt und Intoleranz zwischen Gruppen. Da diese Gruppen auch die primären Orte der kindlichen und kulturellen Sozialisation sind, sind sie besonders dauerhaft, häufig die Basis sozialer Beziehungen in den täglichen Interaktionen und tragen dazu bei, die Weltsicht des Individuums zu prägen. Was auch immer die Bedeutung sozialer Kategorisierung erhöht und Gruppengrenzen verfestigt, führt zu einer größeren Unterscheidung zwischen Gruppen. Denn damit Interessen- oder ideologische Konflikte als solche zwischen Gruppen wahrgenommen und mobilisiert werden können, müssen diese als Konflikte zwischen Gruppen, nicht als solche zwischen Individuen interpretiert werden. Tajfel (1982: Kap 4) untersuchte die Bedingungen, unter denen interpersonales Verhalten zu Gruppenverhalten wird. In Kontexten, die individuelle soziale
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Mobilität von einer sozialen Position in eine andere erlauben, bleibt Verhalten interpersonal, da es möglich ist, durch individuelle Handlungen die eigene Situation zu verändern. Intergruppen-Verhalten im Gegenzug bedarf Überzeugungen sozialen Wandels, die dann entstehen, wenn Gruppengrenzen nur schwer überschritten werden können, Änderungen der Beziehungen zwischen Gruppen als jenseits der Reichweite von Individuen angesehen werden oder wenn das existierende soziale Schichtungssystem insgesamt als nicht legitim erachtet wird.51 Seine These ähnelt Hirschmans (1970) Konzepten von „exit“ und „voice“: ist die Möglichkeit auszusteigen eingeschränkt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Gruppe als solche ihre Stimme erhebt. Dabei sind nicht nur die relativ objektiven Macht- und Statusbeziehungen zwischen Gruppen relevant, sondern welchem der beiden Überzeugungssysteme – soziale Mobilität oder sozialer Wandel – die Individuen folgen, die je unterschiedliche Implikationen für die Aufrechterhaltung einer positiven sozialen Identität mit sich bringen (vgl. Tajfel/ Turner 1979). In Tajfels Verständnis bilden diese Überzeugungssysteme ein Kontinuum: Je weiter die Überzeugungen vom „sozialen Wandel“-Ende des Kontinuums entfernt sind, desto mehr Kreativität braucht es, um Ideologien stark zu machen, die Individuen dazu bringen, als Gruppenmitglieder und nicht als Individuen zu handeln. Wenn vielfältige Möglichkeiten sozialer Mobilität wahrgenommen werden, ist die symbolische Konstruktion von Grenzen viel schwerer. Bedingungen eingeschränkter Mobilität hingegen machen es wahrscheinlicher, dass sich Individuen mit einer sozialen Gruppe oder Kategorie, zu der sie gehören, identifizieren und Gruppennormen entsprechend handeln. Die Konstruktionen des „Anderen“ oder „Fremden“ können auf verschiedenen Grundlagen ruhen: auf dem legalen Status („Ausländer“), auf physischer Erscheinung („Rasse“), auf realen oder wahrgenommenen kulturellen oder religiösen Unterschieden, auf Klassencharakteristika oder irgendeiner Kombination dieser Elemente. Tritt die Kategorisierung bestimmter sozialer Gruppen hervor, können Individuen diskriminatorisches Verhalten annehmen, müssen es aber nicht. Wie bereits erwähnt, konnte gezeigt werden, dass soziale Kategorisierung und Eigengruppenidentität allein nicht ausreichen, um die Diskriminierung von Fremdgruppen zu verursachen (Brewer 1999; de Figueiredo/ Elkins 2003; Hogg 2003). Ein Zusammenhang zwischen kollektiver Identifikation und Konflikt hängt zusätzlich von individuellen psychologischen Motivationen, sowie vor allem dem spezifischen Vergleich, dem relativen Status von Gruppen und der 51 Dies mag einerseits direkten sozialen Wettbewerb mit sich bringen um konsensuell als wertvoll erachtete Ressourcen, oder andererseits soziale Kreativität herausfordern, neue Wege zu finden, die Position der Gruppe zu verbessern. Für untergeordnete Gruppen bedeutet sozialer Wettbewerb ein riskantes Einlassen mit der dominanten Gruppe, während soziale Kreativität den Status Quo nicht herausfordert (Hogg/ Abrams 1988: 209).
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Durchlässigkeit von Gruppengrenzen ab – also vom Kontext der Gruppenbeziehungen (Turner/ Reynolds 2004: 264). Die Entstehung eines EigenFremdgruppen-Bias unter lediglich zufällig zugeordneten Subjekten unterstreicht den Einfluss des spezifischen Kontexts, der die Beziehungen wie Machtverhältnisse oder Bedrohungsgefühle zwischen Gruppen prägt, auf verhaltensrelevante psychologische Prozesse. Verbleibt man auf der individuellen Ebene, kann man nicht erklären, weshalb Individuen bestimmte Kategorisierungen als herausragend ansehen, weshalb Ethnizität als signifikante Basis von Gruppenkategorisierung herangezogen wird. Wie kann ethnische Zugehörigkeit so wichtig werden, dass Individuen Mitglieder anderer ethnischer Gruppen gegenüber negativ eingestellt sind, sie diskriminieren bis hin zu physisch bedrohen?52 Eine psychologische Erklärung ist, dass frustrierende Situationen die Tendenz von Menschen erhöhen, aggressiv zu reagieren. Die FrustrationAggressions-Hypothese (Festinger 1957) sagt voraus, dass Menschen frustriert und ärgerlich werden, wenn sie davon abgehalten werden, ein gewünschtes Ziel zu erreichen. Der Fokus liegt hier auf der unmittelbaren sozialen Situation. Berkowitz (1969) argumentiert, dass die mächtigste Frustration die ist, die durch ein Gefühl relativer Deprivation entsteht. Dies bezieht sich auf das Gefühl, dass man relativ zu bestimmten anderen Menschen weniger eines gewünschten Gutes hat (ebd. 38). Es lassen sich zwei Typen relativer Deprivation unterscheiden: individuelle Deprivation, also von einem Individuum gegenüber anderen, ähnlichen Individuen, und kollektive Deprivation, die sich aus Vergleichen zwischen Gruppen ergibt. Soziale Vergleiche, die zu Gefühlen der Deprivation und ihren Verhaltenskonsequenzen führen, sind nicht zufällig, sondern werden aus bestimmten sozialen und historischen Gründen gemacht. Wie kann man vorhersehen, welche Individuen oder Gruppen für Vergleiche herangezogen werden? Die Natur und Wahl der Referenzen sind zentrale Themen, die von der Theorie relativer Deprivation unbeantwortet bleiben (ebd. 42). Der einflussreichste Ansatz für eine Antwort auf die Frage, welche Gruppen sich mit welchen anderen vergleichen, ist das funktionale Interdependenz-Modell oder die realistische Konflikttheorie, entwickelt von Sherif (1967). Die grundsätzliche Annahme realistischer Konflikttheorie ist, dass Gruppenverhalten und Vorurteil auf individueller Rationalität basieren, sie folgt somit den Vorgaben der „rational choice“ Theoriefamilie. In dieser Perspektive beruhen Konflikte zwischen Gruppen auf den Wahrnehmungen von Gruppenmitgliedern, die in Folge eines realen Wettkampfes zwischen den Gruppen um knappe Ressourcen 52 Brewers (1999) Überblick über die Forschungsliteratur legt letztlich trotz des Fehlens einer theoretischen oder psychologischen Notwendigkeit nahe, dass der normale Zustand in multikulturellen Gesellschaften der ist, dass Sympathie gegenüber der ethnischen Eigengruppe mit Antipathie und Intoleranz gegenüber Fremdgruppen verbunden ist.
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konfliktiv sind. Dabei stehen die Gruppen in einer Beziehung funktionaler Interdependenz, die Mitglieder der Gruppen haben interdependente Rollen und Statuten. Auf Fremdgruppen werden Stereotypen angewandt, deren Inhalt von den aktuellen oder wahrgenommenen Beziehungen zwischen den besagten Gruppen abhängt. Insbesondere wenn die Gruppen als im Wettbewerb zueinander wahrgenommen werden, so dass etwas, das gut für die eine Gruppe ist, schlecht für die andere ist, wird das Stereotyp der Fremdgruppe wahrscheinlich negativ oder herabwertend sein. Kulturelle, physische und persönliche Unterschiede seien nicht notwendig und somit auch schwer die Ursache für die Entstehung von Konflikten zwischen Gruppen. Die Existenz zweier Gruppen hingegen, die miteinander um ein Ziel wettstreiten, das nur eine erreichen kann, die somit kompetitiv interdependent sind, sei eine ausreichende Bedingung (und potenziell die einzige Ursache) von Feindschaft zwischen Gruppen (vgl. auch Hogg/ Abrams 1988: Kap 5). Dementsprechend wird erwartet, dass in Gesellschaften, in denen ethnische Gruppenzugehörigkeit mit Schichtzugehörigkeit zusammenfällt, mehr Konflikte entstehen als in solchen, in denen ethnische Gruppen egalitär inkorporiert sind53. In der Tat weisen deutlich egalitär inkorporierte Gesellschaften am ehesten Harmonie zwischen ihren Gemeinschaften auf und auftretende Spannungen sind eher milder. Andererseits erwiesen sich jedoch auch stark inegalitär inkorporierte Gesellschaften, wie etwa das indische Kastensystem und lange Zeit auch das südafrikanische Apartheidsystem, als außerordentlich stabil und krisenresistent. „Extreme soziale Über- und Unterordnung wird in diesen Fällen durch Perzeptionen kultureller Über- bzw. Unterlegenheit legitimiert und stabilisiert“ (Hanf 1990: 41). In Fällen extrem ungleicher Inkorporation herrscht häufig stabile Dominanz, da die Unterschiede in Kultur, Struktur und Macht so groß sind, dass die dominante Gruppe nicht wirklich herausgefordert werden kann (Smooha 1975: 82). Das Konfliktpotenzial steigt hingegen deutlich, wenn zusätzlich zum Gefühl ökonomischer das einer kulturell-symbolischen Deprivation entsteht, wenn also die Würde einer Volksgruppe, einer Religion oder einer Sprachgruppe als verletzt empfunden wird. „Folge der symbolischen relativen Deprivation ist es, dass die Schärfe von Konfliktbereitschaft gerade bei ökonomisch Gleichgestellten unterschiedlicher Gemeinschaften am stärksten ausgeprägt ist“ (Hanf 1990: 43). Realistische Gruppenkonflikttheorie und soziale Identitätstheorie werden oft als gegensätzliche Theorien angesehen. Es ist jedoch sinnvoll, gerade angesichts 53
Ähnlich unterscheidet Horowitz (1985: 22ff) „ranked“ und „unranked ethnic groups“. Allerdings sind nur selten ganze ethnische Gruppen höheren oder untergeordneten Ranges, da in der Regel Schichten und Klassen, wenn auch in unterschiedlicher Weise, in den meisten ethnischen Gruppen anzutreffen sind.
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dieser empirischen Tatsachen, diese Modelle als komplementär zu betrachten. So kann man erwarten, dass soziale Identifikation stärker betont wird und mit extremerer Homogenisierung der Eigen- und Fremdgruppe verbunden ist, wenn ein Wettbewerb um Ressourcen besteht (Monroe et al. 2000: 437). Dabei sind jedoch wiederum die Einsichten von Vertretern sozialer Repräsentationstheorie (Moscovici 1988, Doise 1988) ebenfalls von Bedeutung, die betonen, dass kollektive Bedeutung durch den Kommunikationsakt zwischen Individuen generiert wird. Sie stimmen realistischen Konflikttheorien insofern zu, dass tatsächlich oft reale materielle oder politische Interessen in Konflikten zwischen Gruppen involviert seien, doch sie argumentieren, dass die „reale“ Situation weniger bestimmt, wie Menschen sich verhalten, als was Menschen glauben oder wie sie die Knappheit von Ressourcen wahrnehmen. Daher schlägt Moscovici (1988) vor, dass nicht objektive Phänomene, sondern eher deren Repräsentation der Fokus der Analyse von Überzeugungen und sozialen Handlungen sein sollte. Besonders in Zeiten von Unsicherheit werden soziale Repräsentationen des Selbst und anderer intersubjektiv konstruiert, um ein geteiltes Verständnis zu produzieren. Somit ist es wichtig, die Produktion von Überzeugungen in einer bestimmten Gesellschaft durch Symbole und Bedeutungssysteme zu beachten.54 Die Kontexte der Konstruktionsweisen kollektiver Identifikation, also die Situationen, in denen Gemeinschaftsbildung stattfindet, sind somit entscheidend. Solche Umstände sind geprägt durch bestimmte Situationsvariablen wie Werteinstellungen der Beteiligten, soziale Rangordnung, Verteilung der Ressourcen, Routinen, Praktiken, Kompetenzen und vorangegangene Handlungen. Die mögliche Relevanz dieser Umstände ist selbst Resultat vorhergehender Prozesse sozialer Konstruktion (vgl. Giesen 1999: 70). Schlüssel für das Verständnis der politischen Implikationen ethnischer Identität und der Bildung von Konfliktgruppen auf dieser Basis ist somit die Verbindung aus konkreten und weniger konkreten Aspekten ethnischer Identität sowie des sie umgebenden Kontextes und seiner Gelegenheiten. Die Konstruktion ethnischer Identität kann auf einem Spektrum zwischen primordialen historischen Kontinuitäten und instrumentellen Gelegenheitsanpassungen lokalisiert werden (Esman 1994: 15), was in ihren Forderungen reflektiert wird. Um die Bedeutung von ethnischen Zugehörigkeiten in der politischen Gemeinschaft zu untersuchen, ist es somit notwendig, die den Grenzziehungen zugrundeliegenden Interpretationen und Sinndeutungen sowie deren Verknüpfung mit Verhältnissen von Macht und sozialer Ungleichheit zu analysieren. Ethnische Konflikte müssen ebenso wie ihre Entstehungsbedingungen sowohl auf der Ebene der strukturellen Wirk54
Wie Theorien sozialer Repräsentation weist auch die Forschung über symbolischen Rassismus auf die Kontexte hin, in denen diskriminierende Stereotypen generiert werden (vgl. Sears 1988; Sidanius et al. 1997; Sniderman/ Piazza 1993; Sniderman et al. 2000).
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Konfliktträchtigkeit ethnischer Differenz?
lichkeit als auch auf der Ebene der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit untersucht werden. Dies betrifft zum einen die jeweiligen sozialstrukturellen Determinanten, insbesondere die Zusammenhänge zwischen ethnischen Zuschreibungen, sozialer Positionierung und strukturell verfestigten Machtverhältnissen, also die konkrete Konstellation ethnischer Stratifikation.55 Zum anderen sind die politisch-institutionellen Rahmenbedingungen und die darauf bezogenen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster zentral, da in ihnen die Voraussetzungen für kollektives Handeln geschaffen werden. Aufgrund der Komplexität potenzieller Konfliktträchtigkeit ethnischer Differenz können in dieser Arbeit nicht alle Aspekte eingehend untersucht werden. Während die sozioökonomischen Faktoren weitgehend außen vor gelassen werden, liegt das Augenmerk auf der Konstruktion des Verhältnisses verschiedener Gemeinschaften zueinander inspiriert durch verschiedene normative Wertentscheidungen, den damit verbundenen politisch-institutionellen Rahmenbedingungen und ihren Einflüssen sowie deren Interaktionen mit ethnischen Gruppen selbst. Dies betrifft insbesondere die angesprochene Kompatibilität ethnischer Identifikation mit einer Identifikation mit der umfassenden politischen Gemeinschaft, die unterschiedlich konstruiert wird. Im Folgenden wenden wir uns diesen Konstruktionsweisen in Demokratien zu, indem die Begriffe des Demos und der Nation erörtert werden. Hierfür bedarf es zunächst einer Erläuterung des Konzepts der politischen Gemeinschaft und seiner Bedeutung für ein politisches System, bevor dieses in seiner demokratischen Form (Demos) spezifiziert und sein Zusammenhang mit verschiedenen Nationsverständnissen herausgearbeitet wird.
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Ungleichheiten der sozialen Positionierung und der Ressourcenverteilung zwischen ethnischen Gruppen sind zentrale Determinanten sowohl für die motivationalen Voraussetzungen ethnischer Konflikte als auch für die Mobilisierungspotenziale der Konfliktgegner. Gerade die Prozesse der Modernisierung, die differenzielle Verteilung der damit verbundenen sozialen Kosten und Nutzen sowie die Konkurrenz um die knappen Güter der Modernität beeinflussen stark die Aktivierung, Intensivierung und Politisierung von Ethnizität.
Politische Gemeinschaft und ihre Unterstützung
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3 Demos und Nation: Begriffserörterungen
3.1 Politische Gemeinschaft und ihre Unterstützung Die politische Gemeinschaft ist eine Idee, die schon seit der Antike kursiert.56 Aristoteles postulierte ein normatives Konzept der idealisierten partizipatorisch demokratischen Stadtstaaten Athens, wobei Mitgliedschaft in der Gemeinschaft eine Verpflichtung gegenüber ihren Zielen und Regeln mit sich brachte. Ein Gegenstück zu diesem republikanischen Entwurf präsentierte im 18. Jahrhundert John Locke, indem er eine klassisch liberale Version politischer Gemeinschaft entwirft, die aus einer Gesellschaft von Besitzern von Eigentumsrechten und einer Regierung besteht, welche den Schutz individueller Rechte auf Leben, Freiheit und Eigentum zur Aufgabe hat. Das Ideal einer vereinten politischen Gemeinschaft – mehr oder weniger kollektivistisch, mehr oder weniger säkular, mehr oder weniger egalitär, aber immer vereint unter einer legitimen Herrschaft zum Wohle des Gemeinguts – ist seit jeher Gegenstand des politischen Denkens (vgl. Juviler/ Strohstein 1999: 437). Den inhaltlichen, mit Aristoteles und Locke angesprochenen normativen Differenzen wird erst Teil B dieser Arbeit gewidmet sein; hier sollen zunächst die Grundlagen politischer Gemeinschaft im Allgemeinen und demokratischer Gemeinschaft im Besonderen herausgearbeitet werden. Für eine allgemeine Bestimmung des Begriffs ist ein Rückgriff auf Eastons Systemtheorie aufschlussreich. Die politische Gemeinschaft ist nach Easton neben der politischen Ordnung, dem Regime, und den politischen Herrschaftsträgern eine der drei für die Stabilität politischer Systeme wichtigen Komponenten und Unterstützungsobjekte, wobei er das politische System als in diese Gemeinschaft eingebettet ansieht (Easton 1965, 1975). Er definiert politische Gemeinschaft als „that aspect of a political system that consists of its members seen as a group of persons bound together by a political division of labor“ (Easton 1979: 176).57 Easton betont, dass es sich bei der politischen Gemeinschaft nicht um Strukturen politischer Prozesse handle, sondern um die Gruppe von Mitgliedern, die durch die Teilhabe an einer gemeinsamen politischen Struktur und an 56
Die Republica von Plato (427-347 v.Chr.) enthält ein autoritäres Modell der Mitgliedschaft und die Politeia von Aristoteles (384-322 v.Chr.) ein relativ demokratisches (für die wenigen tausend männlichen Bürger). 57 Die politische Arbeitsteilung erfüllt die politische Funktion für die Gesellschaft durch die autoritative Allokation von Werten, also durch die Herstellung und Durchsetzung kollektiv bindender Entscheidungen.
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Demos und Nation: Begriffserörterungen
gemeinsamen Prozessen definiert ist. Die Grenzen der politischen Gemeinschaft schließen sowohl die Personen innerhalb als auch diejenigen außerhalb der Regierung ein, die ihrerseits durch Forderungen und Unterstützung (Loyalität, Gesetzestreue) zum Funktionieren des Systems beitragen. Laut dieser Definition können Mitglieder einer politischen Gemeinschaft durchaus unterschiedliche Kulturen und Traditionen haben oder unterschiedlichen Nationen angehören. Ebenso folgt daraus, dass nicht alle Teile der (Wohn-)Bevölkerung eines Staates notwendigerweise derselben politischen Gemeinschaft angehören. Änderungen der politischen Herrschaftsträger oder der politischen Ordnung schließen wiederum nicht notwendig Änderungen der politischen Gemeinschaft ein. Diese wandle sich nur dann, wenn Mitglieder eine interne Teilung vollziehen, so dass Gruppen der bis dahin vorhandenen Gemeinschaft die Unterstützung entziehen. Anzeichen dafür seien Emigration ganzer Gruppen oder separatistische Bewegungen. Je nach Ebene der politischen Gemeinschaft, von der lokalen bis zur internationalen, findet sich eine andere Arbeitsteilung zur Erfüllung politischer Prozesse (Easton 1979: 181)58. Gruppenkohäsion muss nicht mit höherer Aggregations- oder Analyseebene abnehmen oder mit ihrer Einschränkung zunehmen. Zentral ist, dass sich das analytische Konzept der politischen Gemeinschaft nicht auf den Menschen als Ganzes, sondern nur auf den politischen Aspekt seiner Orientierungen und seines Verhaltens bezieht. Mit diesem Verständnis politischer Gemeinschaft ist Easton nicht allein. Auch für Walzer ist für eine politische Gemeinschaft das geteilte Verständnis hinsichtlich der Verteilung politischer Macht konstitutiv. Die Mitglieder einer politischen Gemeinschaft „verteilen Macht untereinander und vermeiden es, so weit es ihnen möglich ist, sie mit irgend jemand anderem zu teilen“ (Walzer 1992b: 31).59 Die Praktiken und Institutionen einer politischen Gemeinschaft sind Verkörperungen des gemeinsamen Bestrebens, innerhalb des eigenen Territoriums Souveränität auszuüben, was zum einen die relative Autonomie gegenüber anderen politischen Gemeinschaften und zum anderen die Möglichkeit der Durchsetzung rechtlicher Regelungen im Innern impliziert, wie die Distribution von sozialen Gütern in verschiedenen Verteilungssphären (ebd.). System und Gemeinschaft sind jedoch nicht unabhängig voneinander. Die politische Gemeinschaft ist die grundlegendste Komponente, da für den Bestand politischer Systeme zumindest eine minimale Bereitschaft ihrer Mitglieder uner58
In den 1950er Jahren widmeten sich Karl Deutsch (1954; 1962) und Ernst Haas (1964) den integrativen Prozessen der nationalen politischen Gemeinschaft, um Schlüsse für die Formierung transnationaler Gemeinschaften wie die Europäische Gemeinschaft zu ziehen. 59 Politische Macht wird hierbei als Möglichkeit verstanden, autoritative Entscheidungen über Ziele und Risiken gemeinschaftlichen Handelns zu treffen, also als Souveränität und nicht als jede Form von Machtausübung innerhalb einer Gemeinschaft (Walzer 1992b: 281f).
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lässlich ist, an der Lösung ihrer politischen Probleme gemeinsam zu arbeiten. Rustow (1967) ist der Ansicht, dass die einzige Vorbedingung erfolgreicher Demokratisierung die nationale Einheit sei, also der Glaube der Individuen, gemeinsam zu einer politischen Gemeinschaft zu gehören. Auch Easton ist überzeugt, dass letztlich die politische Gemeinschaft, weniger das politische System oder die regierenden Institutionen in ihm, politische Stabilität und Frieden aufrechterhält. „The peculiar value of the concept is that it conveys the latent notion that, underlying the functioning of all systems, there must be some cohesive cement – a sense or feeling of community amongst the members“ (Easton 1979: 167f). Da Regierungslegitimität nur auf der Grundlage einer politischen Gemeinschaft möglich ist, ist Gemeinschaftsgefühl die Motivationsgrundlage für jedes politische System, das nicht ausschließlich auf Zwang beruht, nach Easton „a premise upon which the continuity of any political system depends“ (1957: 391). Der „sense of political community“ ist das Maß für die Unterstützung der politischen Gemeinschaft.60 Diese komme von einem Mitglied dann, wenn es positiv gegenüber dem Erhalt der Strukturen eingestellt ist, durch welche die eigene Rolle und die der anderen in der autoritativen Entscheidungsfindung definiert werden, und wenn es bereit ist, sich für deren Fortsetzung einzusetzen (Easton 1979: 177f). Dies versteht Easton unter dem grundlegenden Willen der Mitglieder einer politischen Gemeinschaft zur politischen Arbeitsteilung, durch den sie sich auszeichne. Politischer Gemeinschaftssinn wird als eine – allerdings nicht notwendigerweise vorhandene – Dimension der politischen Gemeinschaft definiert, und zwar als ihr affektiver Aspekt: „It is important to bear in mind this distinction now being made between the political community and the sense of community. The latter is a dimension of the former, the affective aspect. It may or may not be present; and when present, it may appear in different degrees. It will reflect the varying cohesiveness of the political community“ (Easton 1979: 183f).
Würde Gemeinschaftsbewusstsein als Unterstützungsart, nicht als Dimension politischer Gemeinschaft verstanden, wie von Westle (1989: 73f) vorgeschlagen, bliebe zwar Eastons Systematik der Unterscheidung zwischen Unterstützungsobjekten als den objektiv beschreibbaren Komponenten politischer Systeme und Unterstützungsarten als den subjektiven Haltungen gegenüber diesen Objekten besser gewahrt. Doch missverstünde dies den besonderen Charakter von Gemeinschaft als Bezugsobjekt: fehlt jegliche Unterstützung, kann nicht mehr von Gemeinschaft gesprochen werden. Das Unterstützungsobjekt der politischen Gemeinschaft kann allerdings zumindest als potenzielle Gemeinschaft, je nach 60 Die Unterstützung der politischen Gemeinschaft wird auch von Norris (1999) als oberste Ebene in einem multidimensionalen Schema politischer Unterstützung betrachtet.
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Analyseebene, durch die formalen Kriterien der Mitgliedschaft (z.B. die Staatsangehörigkeit auf der nationalen Analyseebene) bestimmt werden. Dabei lassen sich in der Regel zwei Komponenten unterscheiden, wenn sowohl ihre Mitglieder als auch das Territorium konstitutiv sind, wie es auf der nationalstaatlichen Ebene der Fall ist. Die tatsächliche Existenz einer Gemeinschaft wird durch Vorhandensein von Unterstützung und diese wiederum durch die Stärke der Gefühle für diese Gemeinschaft gemessen. Politischer Gemeinschaftssinn ist somit die Bindung an die politische Gemeinschaft, der Wunsch zum Erhalt und Verbleib in ihr (Easton 1979: 183f), das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gemeinschaft, die aufgrund ihrer gemeinsamen politischen Struktur auch ein gemeinsames Schicksal teilt. Es handelt sich also um das variable Maß kollektiver Identifikation mit der politischen Gemeinschaft. Unabhängig von Unterschieden der Tradition, Religion, Nationalität oder des sozioökonomischen Status hegen Mitglieder mehr oder weniger wechselseitige Sympathie und Loyalität in Bezug auf ihre Teilhabe an der gemeinsamen politischen Arbeitsteilung. Dies ist eine Art diffuser Unterstützung61 in unterschiedlichen Ausdrucksformen. Easton schlägt vor, Patriotismus, Liebe zum Land, Loyalität und Ähnliches als Synonyme zu betrachten (1965: 125). Identifikation mit der politischen Gemeinschaft ist als Gemeinschaftsbewusstsein auf die Mitglieder bezogen, als politisches Heimatgefühl auf das Territorium oder als Nationalstolz auf die Verschmelzung beider Aspekte (Westle 1989: 195). Allerdings ist politischer Gemeinschaftssinn nicht die einzige Art der Unterstützung für die politische Gemeinschaft. „It is possible for a political structure to bind a group together before feelings of mutual identification have emerged“ (Easton 1979: 186). Dies ist sogar eher der Normalfall, zumindest was die frühe Entwicklung nationaler Identitäten in Europa angeht. Monarchen zogen politische Grenzen auf der Karte und erst später entstand eine Art Gemeinschaftsgefühl. Dem Muster eines Elitenprojekts folgte in der Vergangenheit auch die Europäische Union, die Frage nach einer gemeinsamen europäischen Identität ist bis heute ungeklärt. Ausschließlich durch Zwang errichtete Systeme können sich allerdings Unterstützungshandlungen nur durch Gewalt sichern, so dass hier dauerhaft nicht von politischer Gemeinschaft gesprochen werden kann. Unterstützung einer politischen Gemeinschaft kann jedoch auch instrumentell sein. Sieht ein Mitglied eines politischen Systems die Notwendigkeit zur politischen Zusammenarbeit oder befürwortet diese nach Abwägung der Vorund Nachteile der politischen Zusammenarbeit unabhängig von seinen diesbe61
Diffuse Unterstützung funktioniert unabhängig von den spezifischen Vorteilen, die ein Individuum von dem Unterstützungsobjekt erwartet. Diese Art von Loyalität ist wichtig, da sie losgelöst von Meinungsschwankungen eine Reserve des guten Willens darstellt. Nicht zufällig versuchen häufig junge politische Systeme so viel wie möglich diffuse Unterstützung zu generieren.
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züglichen Emotionen, handelt es sich um eine kognitive Bewertung des Outputs der politischen Gemeinschaft, zusammenfassend bezeichnet als „instrumental ties and aims“ (Easton 1979: 186f). Als Pendant zum Gemeinschaftssinn, gekennzeichnet als grundsätzlich, dauerhaft und affektiv, besteht somit auch die Möglichkeit nicht grundsätzlicher, kurzfristiger, kognitiver oder instrumenteller Unterstützung – eine Umschreibung, die nahezu exakt auf die „spezifische Unterstützung“ Eastons zutrifft (vgl. Westle 1989: 194).62 Politischer Gemeinschaftssinn ist daher zwar nicht notwendig für das Entstehen und den Aufbau einer politischen Gemeinschaft, langfristig aber eine wichtige Bedingung für ihre Stabilität, besonders in Zeiten von „Stress“ oder Krisen. Wenn die politische Gemeinschaft Unterstützung verliert, kann dies das gesamte politische System unterminieren, das Fehlen einer Bindung an die zugrunde liegende Gemeinschaft bedroht langfristig das System als Ganzes.63 Easton erörtert zwei Arten, auf Stabilitätsgefährdungen der politischen Gemeinschaft zu reagieren: zum einen Veränderungen der politischen Ordnung, zum anderen die gezielte Förderung des Gemeinschaftssinns. Je zufriedener die Mitglieder eines politischen Systems mit den Prozessen und Institutionen, die ihre Forderungen umsetzen, sind, desto wahrscheinlicher werden sie den Erhalt der Gruppe wünschen, der diese Prozesse und Institutionen gemeinsam „gehören“ (Easton 1979: 320f). Umgekehrt ist bei Unzufriedenheit mit den Outputs der politischen Ordnung zunächst mit dem Entzug der Unterstützung für die politischen Herrschaftsträger zu rechnen und bei lang anhaltender Unzufriedenheit trotz Wechsel der politischen Herrschaftsträger würde der Grund dafür in der Natur der politischen Ordnung gesucht. Erweist es sich aber als unmöglich, die Normen und Strukturen der politischen Ordnung so zu ändern, dass die erwünschten Outputs erzielt werden, bleibe als letzte Reaktion nur, die politische Gemeinschaft selbst in Frage zu stellen. Natürlich gibt es auch Gründe für den Wunsch, einer anderen politischen Gemeinschaft anzugehören oder eine eigene zu gründen, die nicht mit der Responsivität der politischen Herrschaftsträger oder Ordnung verbunden sind. Wenn aufgrund bestimmter Faktoren – z.B. Sprache, Religion, Rasse, Nationalität, gemeinsame Geschichte – eine Identifikation innerhalb einer Subgruppe des politischen Systems besteht, die die Identifikation mit der umfassenden politischen Gemeinschaft übersteigt, kann dies zu dem 62
Westle differenziert darüber hinaus eine diffus-spezifische Unterstützungsart, eine ideologische Outputbewertung und eine spezifisch-diffuse als instrumentelle Outcomebewertung (vgl. die Übersicht in Westle 1989: 205). Für unsere Zwecke würde eine solche Ausdifferenzierung zu sehr ins theoretische Detail gehen und ist empirisch auch nur noch schwer unterscheidbar. 63 Easton erwähnt den Amerikanischen Bürgerkrieg, während das Beispiel des geteilten Deutschlands eine gegenteilige Tendenz veranschaulicht: Die Existenz einer gesamtdeutschen politischen Gemeinschaft war stets ein Hindernis für die Anstrengungen, eine unabhängige ostdeutsche politische Gemeinschaft in der DDR zu bilden (vgl. Ekman 2001: 70).
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Demos und Nation: Begriffserörterungen
Wunsch nach politischer Unabhängigkeit, nach einer eigenen politischen Gemeinschaft führen. Jede politische Gemeinschaft muss als eine wünschenswerte Ordnung des Zusammenlebens erscheinen. Es handelt sich demnach um einen normativen Aspekt (vgl. Lepsius 1990: 235), letztlich um die Frage nach der Legitimität, worauf in der Beschreibung einer demokratischen Gemeinschaft noch näher eingegangen wird. Zur Förderung des politischen Gemeinschaftssinns oder zur Stärkung der wechselseitigen politischen Identifikation dienen darüber hinaus folgende Mittel: erstens die Teilhabe an gemeinsamen politischen Prozessen, Rollen und Kommunikationsnetzen. Die daraus resultierenden, gelernten Muster politischer Interaktion und Kommunikation innerhalb der politischen Gemeinschaft können nach Easton nicht leicht abgestreift werden. Alle Mittel, die diese Interaktion und die politische Kooperation stärken, trügen daher zur Erhöhung der gegenseitigen politischen Identifikation bei. Zweitens könne Eastons Ansicht nach durch eine Erhöhung der sozialen Homogenität eine Stabilisierung des politischen Gemeinschaftssinns erreicht werden, wobei es sich allerdings um eine dem politischen System externe Größe handelt. Darüber hinaus sei eine große Anzahl konkreter Mittel zur Gemeinschaftsförderung verfügbar wie patriotische Zeremonien, Symbole der Gruppenidentität wie Flaggen, Lieder oder Helden, auf die Easton nicht näher eingeht. Ausführlicher behandelt er die Funktion von Ideologien bei der Mobilisierung diffuser Unterstützung für die politische Gemeinschaft. Das Wir-Gefühl als politische Entität könne aus einer gemeinsamen Geschichte und Traditionen ebenso wie aus gemeinsamen gegenwärtigen Erfahrungen entstehen. Beides müsse jedoch so interpretiert und kodifiziert werden, dass es unmittelbar sichtbar, zugänglich und über Generationen hinweg übertragbar wird. Derartige „communal ideologies“ könnten ebenso wie „legitimating ideologies“ expressive und instrumentelle Aspekte aufweisen und sowohl integrativ als auch desintegrativ wirken, je nach inhaltlicher Ausführung und Kontext (vgl. Easton 1979: 333f). Easton hält insgesamt fest: „sentiments of legitimacy, recognition of a general welfare, and a sense of political community are bred deeply into the maturing members of a system through the usual processes of political socialization and through the various special measures a system may adopt if it sees such support as declining“ (1965: 125). Die notwendigen Elemente und Prozesse der Identitäts- und Gemeinschaftsbildung fasse ich im Folgenden auch vor dem Hintergrund der Erörterungen im ersten Kapitel noch einmal zusammen: Die für eine Gemeinschaft konstitutiven Elemente der Grenzziehung nach außen und der Gemeinsamkeiten nach innen sind für eine politische Gemeinschaft logischerweise politisch bestimmt. Hierfür ist zunächst die Definition eines Kollektivs notwendig, das sich die politische Arbeit teilt, also letztlich die Bestimmung einer Gemeinschaft und der
Politische Gemeinschaft und ihre Unterstützung
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dazugehörigen Mitglieder durch ein politisches System zur autoritativen Allokation von Gütern. Es müssen die Eigenschaften festgelegt sein, die das Kollektiv von anderen unterscheidbar macht (klassifikatorischer Aspekt). Auf der Grenzziehung und Bestimmung von Gemeinsamkeiten einer politischen Entität kann ein Bewusstsein politischer Gemeinschaft aufbauen: Werden einem Kollektiv politische Grenzen und Gemeinsamkeiten zugeschrieben, besteht Potenzial zur Bildung einer politischen Gemeinschaft.
Dies kann auch durch Fremdzuschreibung geschehen, durch extern beschlossene Staatsbildungen, wie es beispielsweise in vielen afrikanischen Ländern nach dem Ende der Kolonisation der Fall war. Die Grenzziehung eines politischen Systems geschieht zunächst territorial. Mit Blick auf die Konstitution einer politischen Gemeinschaft bestimmt sie jedoch vor allem, wer Mitglied ist und wer nicht. Dies muss nicht – und tut es häufig nicht – mit der Bevölkerung übereinstimmen, die sich auf dem Gebiet des politischen Systems befindet. Da im Zeitalter der Nationalstaaten der Genuss umfassender Rechte an die Staatsbürgerschaft gekoppelt ist64, ist die formale Grenze im Staatsangehörigkeitsrecht enthalten, geht aber darüber hinaus, da Mitgliedschaft in der politischen Gemeinschaft in einem weiteren Sinne auch die mit der Staatsbürgerschaft verbundenen Rechte und Pflichten beinhaltet. Insgesamt handelt es sich somit um eine grundlegend legale – notwendige, aber nicht ausreichende – Dimension politischer Gemeinschaft. Da der Begriff der politischen Gemeinschaft nicht synonym mit dem des politischen Systems ist, also mit den durch legale Setzungen bestimmten politischen Strukturen, braucht es die in Kapitel I.3 spezifizierten kognitiven und emotionalen Identifikationsprozesse durch die Mitglieder der politischen Gemeinschaft mit ihrer verhaltensprägenden Wirkung (1.-3.). Diese bilden ein Kontinuum, entlang dessen man verschiedene Grade der Intensität politischer Gemeinschaft unterscheiden kann. Objektive Gemeinsamkeiten haben dann einen identitätsbildenden Effekt, wenn sie als solche wahrgenommen werden und ihren Platz in der Selbstbeschreibung des Kollektivs finden. Grenzen und Gemeinsamkeiten tragen somit lediglich das Potenzial der Gemeinschaftsbildung mit einer kollektiven Identität in sich. Damit es tatsächlich zur Gemeinschaftsbildung kommt, müssen zunächst diejenigen, die zur politischen Entität gehören, ein Bewusstsein davon haben, dass eine politische Gemeinschaft besteht – sie müssen also die Grenzziehung nachvollziehen – und sich selbst dieser Entität zuschreiben, sich also subjektiv als zugehörig erachten (kognitive Dimension).
64
Anders beispielsweise in Imperien, in denen manchmal das Lokalitätsprinzip vorherrschte, man also dort Rechte genoss, wo man sich befand oder Steuern zahlte.
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Demos und Nation: Begriffserörterungen 1.
Je mehr die durch die politische Grenzziehung umfassten Individuen diese subjektiv nachvollziehen und sich selbst als diesem Kollektiv zugehörig kategorisieren, desto stärker ist die politische Gemeinschaft kognitiv verankert.
Die Transformation objektiver Gemeinsamkeiten in das subjektive Selbstverständnis eines Kollektivs setzt jedoch einiges voraus. So muss zunächst ein Träger, wie eine gemeinschaftsweite Öffentlichkeit, latente Gemeinsamkeiten sichtbar machen und dadurch ermöglichen, dass sie Teil des Selbstkonzepts der Menschen werden. Bleibt es auf dieser Ebene, kann man von politischer Gemeinschaft als kognitives Phänomen, allerdings noch weitgehend ohne emotionale Relevanz sprechen. Hierfür bedarf es eines Gemeinschaftsgefühls, das wiederum variabel ist (affektive Dimension): 2.
Je mehr Individuen, die sich subjektiv zu einer politischen Gemeinschaft als zugehörig kategorisieren, eine emotionale Bindung an diese aufweisen und je intensiver diese ist, desto stärker ist das Gemeinschaftsgefühl der politischen Gemeinschaft.
Erst wenn Abgrenzung nach außen und Verbindung nach innen durch die Mitglieder der Gemeinschaft nachvollzogen und emotional relevant werden, entsteht eine kollektive Identität, die der Gemeinschaft Subjektcharakter verleiht. Da Gemeinschaft jedoch nur durch die Reproduktion in sozialen Kommunikationen und Interaktionen aufrechterhalten wird, ist darüber hinaus die Verhaltensdimension wichtig. Die so unterschiedene und emotional relevante Gemeinschaft muss für ihr dauerhaftes Bestehen auch eine Bedeutung für die Orientierung des Handelns der Mitglieder haben, es handelt sich hier also um einen verhaltensprägenden Aspekt (vgl. Lepsius 1990: 235). 3.
Je mehr Individuen, die sich subjektiv zu einer politischen Gemeinschaft als zugehörig kategorisieren, den dieser Gemeinschaft zugrunde liegenden Werten entsprechend handeln, desto persistenter ist die politische Gemeinschaft.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass kollektive Identifikation mit der politischen Gemeinschaft zunächst durch Vorgänge im Individuen entsteht: auf der kognitiven Dimension handelt es sich um die Bilder, Erwartungen und Interessendefinitionen der individuellen Mitglieder hinsichtlich der politischen Gemeinschaft, um ihr Überzeugungssystem und kognitive Ressourcen; auf der emotional-expressiven Dimension geht es um die emotionalen Bindungen der individuellen Mitglieder an die politische Gemeinschaft, die zusammengenommen Gemeinschaftsgefühl ergeben; auf der Handlungs- und Erfahrungsdimension schließlich machen die Individuen Erfahrungen in und mit der politischen Gemeinschaft und tragen durch ihr Handeln, wie durch ihre politische Beteiligung ihren Teil zu dieser Dimension und den Erfahrungen anderer bei. Das Individuum bezieht sich hierbei allerdings auf vorhandene Referenzobjekte der kog-
Politische Gemeinschaft und ihre Unterstützung
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nitiven, emotionalen und Erfahrungsdimension, auf Bilder, Erwartungen und Interessendefinitionen, auf emotionsgeladene Symbole und Gemeinschaftsdefinitionen sowie auf kollektive Erfahrungen sowohl auf der Makroebene der politischen Gemeinschaft als Ganzes als auch auf der Mesoebene intermediärer Strukturen, insbesondere der Gruppen, denen es sich zugehörig fühlt. Sowohl Makroals auch Mesoebene tragen so zum Ausmaß der Identifikation des Individuums bei und werden daher im dritten Teil dieser Arbeit eingehend betrachtet. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über diese verschiedenen Akteursebenen65 und Dimensionen der Bildung einer politischen Gemeinschaft. Tabelle 2: Akteursebenen und Dimensionen politischer Gemeinschaftsbildung66 Kognitive Dimension Makro- Offizielle Ideen, SelbstbilEbene der und Ziele der politischen Gemeinschaft; Definition der ökonomischen, politischen und kulturellen Interessen der politischen Gemeinschaft MesoEbene
Bilder, Erwartungen und Interessendefinition von Gruppen hinsichtlich der politischen Gemeinschaft; Größe und Charakteristika der Selbstorganisation der Gruppe
MikroEbene
Bilder, Erwartungen und Interessendefinition der individuellen Mitglieder hinsichtlich der politischen Gemeinschaft und ihrer Rolle darin; Überzeugungssystem, kognitive Ressourcen (Bildung)
Emotional-expressive Dimension Offizielle Symbole der politischen Gemeinschaft (nationale Feiertage, Flaggen); offizieller Umgang mit der Vergangenheit (Gedenktage, Wahrheitskommission); offizielle Abgrenzung (Feinde, Bedrohungen) Symbole der politischen Gemeinschaft in Gruppen (Darstellungsweise), Selbstsituierung von Gruppen zur politischen Gemeinschaft (konstitutiver Teil, Duldung oder Gegensatz); Kohäsion der Gruppe; Bedeutung der Gruppenidentität Emotionale Bindung der individuellen Mitglieder an die politische Gemeinschaft, Gemeinschaftsgefühl
Handlungs- und Erfahrungsdimension Offizielle Politik und Handlungen hinsichtlich der Grundlegung, Aufrechterhaltung und Stärkung der politischen Gemeinschaft; Gelegenheiten zur Erfahrung mit der politischen Gemeinschaft (Verfassungsgebungsprozess, Partizipationsmöglichkeiten) Erfahrungen, Status und Einbindung von Gruppen in der politischen Gemeinschaft; politische Partizipation von Gruppen
Erfahrungen der individuellen Mitglieder in und mit der politischen Gemeinschaft; politische Partizipation der Individuen
65 Nicht zu verwechseln mit den Systemebenen der Kultur, Strukturen und Prozesse einer Demokratie, die sich auf eine inhaltliche Unterscheidung beziehen und im nächsten Kapitel erläutert werden. 66 Inspiriert durch die Ebenen und Komponenten nationaler Identität bei Haller (1999: 269) und die allgemein untersuchten Einflussfaktoren auf politische Partizipation (Bsp. Diehl 2002).
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Demos und Nation: Begriffserörterungen
Für diese unterschiedlichen Bezugsebenen politischer Gemeinschaft stehen hinsichtlich eines Nationalstaates je nach Regierungsform, in unserem Fall je nach Demokratiemodell, und je nach Bestimmung des Nationsverständnisses bestimmte Ideen, Bilder und Ziele zur Verfügung. Diese bestimmen, worauf politische Gemeinschaften letztlich gründen, welche Vorstellungen der Rolle der Bürger und der als wichtig erachteten Vergemeinschaftungen vorherrschen. Die Nation kann entweder vorpolitisch oder systemspezifisch konzipiert sein, was in Kapitel III.3 näher betrachtet wird. Die Regierungsform wiederum bestimmt eine spezifische politische Arbeitsteilung bestimmt, zu der die Mitglieder bereit sein sollen.67 Dass die Verschränkung von Regime und Gemeinschaft je nach Regime und je nach Gemeinschaftsdefinition unterschiedlich groß ist, wurde jedoch bereits deutlich und tritt im Fall einer Demokratie besonders zutage. Inhaltlich kann man eine politische Gemeinschaft daher schwer unabhängig von der Form des politischen Systems bestimmen. Im Folgenden wird die besondere Form von politischer Gemeinschaft in einem demokratischen System näher betrachtet und im Konzept der demokratischen Gemeinschaft verdichtet. 3.2 Demokratische Gemeinschaft und Legitimität Schon der Begriff „Demokratie“ verbindet zwei interdependente Komponenten: das Kratos – die institutionelle Ordnung einer Demokratie – mit dem Demos als Subjekt und Adressat der demokratischen Regierungsform. Damit dem Demos Subjektcharakter zugeschrieben werden kann, muss er als bestimmte Form gesellschaftlicher Gemeinschaft verstanden werden, als demokratische Gemeinschaft (vgl. Berry 1989; Chapman/ Shapiro 1993). Wie jede gesellschaftliche Gemeinschaft wird eine solche durch die erwähnten Mechanismen konstituiert (Fuchs 1999a, 2000): Erstens durch eine Grenzziehung, die definiert, wer einund wer ausgeschlossen wird, und zweitens durch die Verbindungen zwischen den Mitgliedern auf der Grundlage von tatsächlich oder vorgestellten geteilten Merkmalen. Wie erläutert bedarf es des kognitiven Vollzugs und der emotionalen Relevanz dieser Abgrenzung nach außen und Verbindung nach innen durch die Mitglieder der demokratischen Gemeinschaft, damit eine kollektive Identität entsteht, die der Gemeinschaft Subjektcharakter verleiht, so dass man sinnvoll 67 Die Identifikation mit einer politischen Gemeinschaft unterscheidet sich analytisch von der Identifikation mit einer Nation oder einer ethnischen Gruppe, da sie sich auf genau die Elemente bezieht, nämlich politische Institutionen und Ordnungsstrukturen, die ethnischen Gruppen fehlen und die zu nationalen Gruppen als solchen nicht notwendig dazugehören (Sackmann 2004: 37). Indem Easton die politische Gemeinschaft regime-unabhängig definiert, da er sie als etwas Grundlegenderes als ein Regime versteht, sieht er sie in der Tradition Max Webers lediglich als das subjektive Gefühl der Zugehörigkeit zu einer abgrenzbaren Gruppe an (vgl. Fuchs 2002: 360).
Demokratische Gemeinschaft und Legitimität
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von einer Selbstregierung dieser Gemeinschaft reden kann (Fuchs 1999a: 3). Das Potenzial zur Bildung einer demokratischen Gemeinschaft ist umso größer, je mehr die Definition der Grenzen und Gemeinsamkeiten der politischen Gemeinschaft, der Rechte und Pflichten der Bürger nach demokratischen Prinzipien erfolgt. Für die eigentliche Persistenz einer demokratischen Gemeinschaft ergeben sich aus der vorherigen Diskussion folgende Bedingungen: 1.
2.
3.
Je mehr Individuen, die durch eine politische Grenzziehung umfasst werden, die auf demokratischen Prinzipien beruht, sich selbst als diesem Kollektiv zugehörig kategorisieren, desto stärker ist eine demokratische Gemeinschaft kognitiv verankert, desto persistenter ist sie. Je mehr Individuen, die sich subjektiv zu einer demokratischen Gemeinschaft als zugehörig kategorisieren, eine emotionale Bindung an diese aufweisen und je intensiver diese emotionale Bindung ist, desto stärker ist das Gemeinschaftsgefühl der demokratischen Gemeinschaft, desto persistenter ist sie. Je mehr Individuen, die sich als zu einer demokratischen Gemeinschaft zugehörig kategorisieren, demokratischen Werten entsprechend handeln, desto stärker ist demokratische Gemeinschaft erfahrbar, desto persistenter ist sie.
Welche Attribute muss nun eine Gemeinschaft haben, um als demokratisch zu gelten? Die genauen Inhalte der Abgrenzung und Gemeinsamkeiten variieren je nach zugrunde liegender Demokratietheorie, deren wichtigste Ausformungen in Teil B genauer erörtert werden. Allen gemeinsam sind jedoch bestimmte grundlegende Werte: Seit der Geburt der Demokratie im antiken Athen sind die Werte der Freiheit und politischen Gleichheit untrennbar mit dem der Demokratie verbunden (Sartori 1987). Demokratie beruht geradezu auf der „idea of intrinsic equality“ (Dahl 1989: 84f). Dahl zeigt, dass die Demokratie jene politische Staatsform ist, in der die moralische Intuition, wonach alle Menschen intrinsisch gleich sind, auf der politischen Dimension am besten realisiert wird. Alle Mitglieder einer politischen Gemeinschaft haben in einer Demokratie das gleiche Recht auf Teilhabe am politischen Prozess, „all members are to be considered as politically equal“ (Dahl 1998: 37). Die Regierungsform der Demokratie fordert somit als spezifisches Organisationsprinzip politischer Arbeitsteilung, dass alle Betroffenen dieselben Rechte und Pflichten in der autoritativen Entscheidungsfindung über die Verteilung von Gütern haben. Angesichts der normativen Differenzen erstaunt es nicht, dass die am weitesten akzeptierte Definition von Demokratie minimal und prozedural ist. Laut dieser ist ein demokratisches Regime durch freie Wahlen, allgemeines Wahlrecht, friedliche Regierungswechsel und den Respekt bürgerlicher Rechte gekennzeichnet (vgl. Dahl 1971). Prozeduren allein machen jedoch noch keine wirklich erfahrbare Demokratie, es bedarf einer umfassenderen Verwirklichung demokratischer Prinzipien, auch wenn diese nie
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Demos und Nation: Begriffserörterungen
vollkommen, sondern eher als stetige Annäherung an demokratische Ideale anzusehen ist (vgl. Dahl 1989; Merkel 2004). Um die minimalen Eigenschaften einer demokratischen Gemeinschaft herauszuarbeiten, beziehe ich mich auf ein analytisches Modell, das Demokratie in drei hierarchisch strukturierte Ebenen teilt (Fuchs/ Roller 1994; Fuchs 1993, 1999a, 1999b). Die oberste Ebene dieser Steuerungshierarchie ist die der politischen Kultur, deren konstitutive Elemente die grundlegenden Werte einer Demokratie sind. Dieses Verständnis ist nicht mit dem viel weiter gefassten Begriff in der Tradition der politischen Kulturforschung nach Almond und Verba (1963) zu verwechseln, da es ausschließlich die grundlegendsten Werte einer Demokratie umfasst. Die nächste Ebene ist die der politischen Struktur, konkret die des demokratischen Regierungssystems eines Landes, das in der Verfassung festgelegt ist. Diese Struktur kann als selektive Umsetzung der kulturellen Werte einer Gemeinschaft für den Handlungskontext der Politik verstanden werden und wird wiederum durch den Rekurs auf diese Werte legitimiert. Die hierarchisch niedrigste Ebene umfasst die politischen Prozesse, die Realisierung der kollektiven Ziele einer Gemeinschaft durch das Handeln der politischen Akteure. Dieses Handeln wird durch die politische Struktur gesteuert, da mit dem Regierungssystem eines gegebenen Landes normative Erwartungen an das Verhalten von politischen Akteuren verbunden sind. “Die drei Ebenen stellen also eine Steuerungshierarchie dar, die von der Kultur ausgeht und bei den Prozessen bzw. dem faktischen Handeln der Akteure endet” (Fuchs 1999a: 4). Als minimale Charakteristika einer demokratischen Gemeinschaft lassen sich folgende festhalten (vgl. Fuchs/ Klingemann 2000: 4f): Auf der kulturellen Ebene zeichnet sich eine demokratische Gemeinschaft durch die Unterstützung der grundlegenden Werte von Demokratie aus. Diese schließen zum einen die Überzeugung oder Orientierung an Demokratie als Wert und an der Idee der Selbstregierung oder Souveränität des Volkes als Maßstab der Organisation des politischen Systems ein; zum anderen bedeutet dies für das Verhältnis der Bürger zueinander die gegenseitige Anerkennung als Freie und politisch Gleiche. Die Definition einer demokratischen Gemeinschaft auf der strukturellen Ebene kann nur etwas ungenauer ausfallen, da es verschiedenste Ausprägungen gibt. Für alle jedoch muss gelten, dass das Regime von den Bürgern insofern unterstützt wird, als es eine Demokratie und nicht eine Autokratie ist. Sonst wäre die Zustimmung zur Idee der Demokratie völlig unverbindlich. Allerdings kann die Idee einer Demokratie institutionell sehr unterschiedlich umgesetzt werden. Aus diesem Grund können Menschen grundsätzlich eine Demokratie wollen, aber nicht in der Form, in der sie in ihrem Land existiert (Fuchs 2002). Sie mögen sie unterstützen, weil es eine Demokratie ist und als solche die Idee der Demokratie institutionalisiert hat. Zugleich können sie sie kritisieren, weil sie finden, dass die
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Realität der Demokratie in ihrem Land nicht ihren normativen Vorstellungen von Demokratie entspricht und weil sie meinen, dass es alternative Formen der Implementierung gibt, die eine bessere demokratische Realität hervorbringen. Solche Menschen kann man als „kritische Demokraten“ (Klingemann 1999) bezeichnen. Dies ist in einer demokratischen Gemeinschaft durchaus möglich. Die Prozessebene betrifft die Realisierung der politischen Ziele, indem kollektiv bindende Entscheidungen getroffen werden. In pluralistischen Gesellschaften sind solche Ziele immer umstritten und Konflikte um sie sind die eigentliche Essenz des demokratischen Prozesses. Eine demokratische Gemeinschaft ist daher nicht durch Konsens über die politischen Ziele charakterisiert, sondern durch die tatsächliche Einhaltung der prozeduralen Handlungsnormen, wie sie in der Verfassung zugrunde gelegt sind, und welche die alltäglichen politischen Konflikte regulieren sollen. Die Prozesse einer demokratischen Gemeinschaft sind somit durch die Befolgung der demokratisch festgelegten legalen Normen ausgezeichnet. Das Gewaltverbot als politisches Instrument nimmt unter diesen legalen Normen eine herausragende Stellung ein, da es die erfolgreiche Integration einer Gemeinschaft essentiell beeinflusst, was angesichts der Allgegenwart von Konflikten im Idealfall in den friedlichen Dauerstreit einer demokratischen Öffentlichkeit mündet. Die Attribute einer demokratischen Gemeinschaft werden in der folgenden Tabelle als Referenzen für empirische Analysen in der Form von „je mehr – desto mehr“ Aussagen dargestellt. Tabelle 3: Operationale Definitionen einer demokratischen Gemeinschaft Systemebene Kultur
Grundlegende Elemente Werte
Struktur
Regeln und Institutionen
Prozess
Handlungen
Quelle: Fuchs/ Klingemann 2000: 5
Operationale Definitionen Je stärker die Unterstützung von Demokratie und je stärker die Ablehnung von Autokratie ist, desto eher entspricht eine gesellschaftliche Gemeinschaft einer demokratischen Gemeinschaft. Je stärker andere Bürger als frei und gleich anerkannt werden, desto eher entspricht eine gesellschaftliche Gemeinschaft einer demokratischen Gemeinschaft. Je stärker die Unterstützung oder Kritik der Demokratie im eigenen Land auf demokratischen Normen basiert, desto eher entspricht eine gesellschaftliche Gemeinschaft einer demokratischen Gemeinschaft. Je weniger die Bürger Gewalt als politisches Mittel einsetzen, desto eher entspricht eine gesellschaftliche Gemeinschaft einer demokratischen Gemeinschaft. Je mehr sich die Bürger den demokratisch bestimmten Handlungsnormen entsprechend verhalten, desto eher entspricht eine gesellschaftliche Gemeinschaft einer demokratischen Gemeinschaft.
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Demos und Nation: Begriffserörterungen
Die Notwendigkeit eines Gemeinschaftscharakters oder einer kollektiven Identität innerhalb der politischen Gemeinschaft für die Persistenz eines demokratischen Regimes wird von verschiedenen normativen Demokratietheorien unterschiedlich bewertet, was in Teil B näher betrachtet wird. Die Idee hinter dem generellen Konzept der Identität ist, dass sich eine Person oder ein Kollektiv mit einem stark entwickelten Selbstbild oder Identität konsistenter und wirkmächtiger verhalten wird, als ohne eine solche Identität (vgl. Habermas 1976: 92f). Aus der Sicht rationaler Wahl beruht diese Erwartung darauf, dass sich eine Identifikation des Individuums mit einer Gemeinschaft vor allem in der Gleichsetzung individueller und gemeinschaftlicher Interessen äußert (Coleman 1991: 203). Dadurch werden die Anreize zu Trittbrettfahren und letztlich interne Kontrollkosten reduziert und somit Ressourcen freigesetzt, die anderweitig verwendet werden können. Jede der Gemeinschaften, mit denen sich das Individuum identifiziert, kann in bestimmten Kontexten als primäre Zurechnungseinheit für Kosten und Nutzen dienen und so die handlungsrelevanten Interessen definieren. Scharpf betont: „(J)e stärker normativ akzentuiert die Identifikation ist, desto eher werden kollektivdienliche Leistungen freiwillig erbracht und Entscheidungen auch dann akzeptiert, wenn sie dem unmittelbaren Eigeninteresse zuwiderlaufen. Ohne diese Unterstützung durch Identifikation wäre der Kontroll- und Sanktionsaufwand effektiven kollektiven Handelns unter modernen Bedingungen prohibitiv. Umgekehrt bedeutet dies auch, dass politische Einheiten mit schwacher Identitätsbildung nur eine begrenzte Fähigkeit zur kollektiven Selbstbestimmung entwickeln können“ (Scharpf 1993: 26f).
Auf der Grundlage der vorherigen Diskussion über politisches Gemeinschaftsgefühl lassen sich verschiedene Funktionen kollektiver Identifikation mit einer demokratischen Gemeinschaft festhalten. Wie dargestellt, ist ein Wir-Gefühl – ein subjektives Zusammengehörigkeitsgefühl der Mitglieder eines Regimes – nach Easton (1965: 185) eine notwendige Bedingung, dass eine Anzahl von Individuen dauerhaft zusammenarbeiten will. Eine erste Funktion kollektiver Identität besteht daher darin, die grundlegende Bereitschaft zur Kooperation zu sichern, ohne die kein Regime langfristig bestehen kann. Ferner ist politische Kooperation zur Regulierung gemeinsamer Angelegenheiten nur innerhalb einer Struktur mit Institutionen und Prozeduren, im Rahmen eines Regimes denkbar. Damit das Regime seine Funktion erfüllen kann, muss es, wiederum nach Easton (1965), so weit wie möglich von seinen Bürgern akzeptiert werden. Eine der Quellen der Akzeptanz eines Regimes ist, dass es durch die Mitglieder des Kollektivs als Ausdruck dieses Kollektivs wahrgenommen werden kann. Eine zweite Funktion kollektiver Identität liegt somit darin begründet, Grundlage der Unterstützung eines Regimes zu sein, dieses zu legitimieren. Diese Lesart legt es nahe,
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die kollektive Identität als bereits vor dem Regime bestehend anzusehen. Dies muss nicht der Fall sein, wie die Erfahrung der europäischen Nationalstaaten zeigt. Gemeinsame gegenwärtige Erfahrungen und generalisiertes Vertrauen in das System können auch ex post dem Regime ein legitimierendes politisches Gemeinschaftsgefühl liefern und es dadurch stabilisieren. Gemeinschaftsgefühl ist darüber hinaus wichtig, wenn Mehrheits- und Minderheitsbildungen nicht als dauerhaft angesehen werden sollen. Denn die wichtigste Entscheidungsregel in demokratischen Regimen ist die Mehrheitsregel, deren Logik natürlich ist, dass stets eine Minderheit überstimmt wird. Die Minderheit wird die Entscheidung der Mehrheit in dem Maße akzeptieren, in dem sowohl Mehrheit als auch Minderheit als zum selben Kollektiv gehörig wahrgenommen werden, mit dem sich die Mitglieder identifizieren. Demzufolge liegt eine dritte Funktion einer kollektiven Identität in der Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen, deren Bedeutung und Ausmaß Kapitel 8.1.2 gewidmet ist. Eine letzte, weitgehend einmütig akzeptierte Funktion der Identifikation mit der politischen Gemeinschaft ist die Bildung von Solidarität unter den Mitgliedern des Kollektivs. Solidarität ist besonders dann notwendig, wenn es eine Umverteilung zugunsten benachteiligter Bevölkerungsgruppen oder zur Herstellung allgemein sozialer Gerechtigkeit geben soll. All diese Funktionen einer kollektiven Identität haben Einfluss auf die Unterstützung eines Regimes und langfristig auf seine Persistenz. Die Frage nach der Existenz und Persistenz einer demokratischen Gemeinschaft mit kollektiver Identität ist daher allgemein interessant, in einer multi-ethnischen Gesellschaft umso mehr. Die Funktionen von Gemeinschaftsgefühl machen deutlich, dass die Existenz einer demokratischen Gemeinschaft in enger Wechselbeziehung zur diffusen Unterstützung eines Regimes steht. Dieses besteht aus zwei Dimensionen: aus der Überzeugung in die Legitimität des Regimes und Vertrauen in dasselbe (Easton 1965; 1975). Vertrauen entsteht, wenn positive Erfahrungen mit den Politikergebnissen wechselnder politischer Herrschaftsträger auf das Regime, das den politischen Handlungsrahmen der Autoritäten stellt, generalisiert werden. Legitimität ist eine bestimmte Form politischer Unterstützung, welche die Bewertungen des Regimes von einer öffentlichen oder „common good“ Perspektive betreffen (Easton 1965: 278, 312).68 Quellen der Legitimität sind daher die Wertorientierungen der Bürger. In dem Maß, in dem das Regime in den Augen 68 Man kann Legitimität mit Gilley folgendermaßen definieren: „a state is more legitimate the more that it is treated by its citizens as rightfully holding and exercising political power” (2006a: 48; vgl. auch Gilley 2006b). Alle Bürger eines Staates sind die relevanten Subjekte der Legitimität. Der Staat, definiert durch seine Prozesse, Institutionen sowie Normen und Ideologien, ist das relevante Objekt. Die normative Orientierung dieser Form politischer Unterstützung ist in der Verwendung des Begriffs „rechtmäßig“ enthalten, wobei politische Rechtmäßigkeit nach Beetham (1991) aus drei Subtypen besteht: Legalität, Rechtfertigung und Konsens.
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Demos und Nation: Begriffserörterungen
der Bürger ihren präferierten Wertorientierungen entspricht, betrachten sie es als legitim.69 Eine Bindung an demokratische Werte ist somit eine Vorbedingung der Legitimität einer Demokratie. Auf der individuellen Ebene ist Legitimität eine Einstellung, deren Quelle die subjektive Überzeugung ist, dass die institutionelle Struktur des demokratischen Regimes mit den persönlich für richtig gehaltenen Werten übereinstimmt. Demokratie genießt dort Legitimität, wo eine Mehrheit der Bürger die positive Überzeugung dieser Übereinstimmung hat. Dieses subjektive Verständnis von Legitimität70 ist angemessen, wenn man die Persistenz und das Funktionieren eines Regimes betrachtet, denn beide hängen von der tatsächlichen Unterstützung eines Regimes durch seine Bürger ab (Fuchs 2007). Dementsprechend ist Legitimität eine kontinuierliche Variable mit verschiedenen Ausmaßen. Die Messung von Legitimität erfolgt über verschiedene Dimensionen der Einstellungen und Verhalten der Bürger, nicht wie bei einer objektiven Definition von Legitimität durch Festlegungen von außen. Zur Messung subjektiver Legitimität kann man konstitutive oder substitutive Indikatoren verwenden, was Bollen und Lennox (1991) „cause“ und „effect“ Indikatoren nennen. Die ersten sind direkte Einstellungs- und Verhaltensindikatoren zum Ausmaß der Legitimität, gemessen beispielsweise durch das Ausmaß der Legalität und des Konsenses (Beetham 1991), während sich die zweite, substitutive Form der Indikatoren auf die unterstellten Effekte von Legitimität, wie politische Gewalt, bezieht. Diese Formen der Legitimität und ihre Messung sind für diese Arbeit insofern wichtig, als sie indirekter Ausdruck des Bestehens einer demokratischen Gemeinschaft sind. Sie werden daher besonders relevant, wenn in Teil C die Umsetzung verschiedener normativer Modelle demokratischer Gemeinschaft betrachtet wird und inwiefern verschiedene institutionelle und soziale Faktoren deren Persistenz beeinflussen. Bisher wurden die minimalen Merkmale einer demokratischen Gemeinschaft festgehalten, die für alle normativen Demokratiemodelle Gültigkeit beanspruchen. Demokratie kann aber darüber hinaus unterschiedlich verstanden werden, sowohl auf der Ebene der grundlegenden Werte als auch hinsichtlich der Konsequenzen für deren Umsetzung in institutionellen Strukturen. Je nach Demokratietheorie ergeben sich noch zusätzliche Merkmale, die sich erstens in den allgemeineren Werteprioritäten und zweitens in den Vorstellungen über den wünschenswerten Typ einer demokratischen Herrschaftsordnung unterscheiden. Bevor wir uns jedoch dieser genaueren Betrachtung des Demos in verschiedenen 69
Diese Unterscheidung ähnelt der zwischen Input- und Output-Legitimität von Scharpf (1999). In Abgrenzung von objektiver Legitimität, für die gerechtfertigte Kriterien identifiziert werden können, mit deren Hilfe ein Regime bewertet werden kann. Entspricht dieses den definierten Kriterien, ist eine politische Ordnung “anerkennungswürdig” (Habermas 1992). 70
Verschiedene Verständnisse der Nation
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normativen Theorien in Teil B zuwenden, muss zunächst noch eine andere Bezugsebene des „Volkes“ erläutert werden, die mehr oder weniger politisch bestimmt ist: die der Nation. Das Konzept des Demos ist zwar prinzipiell unabhängig von dem der Nation, steht aber faktisch in enger Verbindung mit ihm.71 Denn die politische Gemeinschaft ist nicht nur durch regime-spezifische, in unserem Fall demokratische Vorstellungen bestimmt, sondern auch durch andere Referenzobjekte der Codierung politischer Gemeinschaft, welche die kognitiven und motivationalen Bedingungen zur Identifikation mit derselben liefern. Da in dieser Arbeit die Entstehung und Persistenz einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz interessiert, ist die Art der Grenzziehung der politischen Gemeinschaft besonders relevant. Im Zeitalter der Nationalstaaten wird die formale Definition der Grenzen des Demos durch das Staatsbürgerschaftsrecht festgelegt. Inwiefern eine kollektive Identität auf der Ebene des Nationalstaats mit anderen Formen der Vergemeinschaftung prinzipiell vereinbar ist, hängt von den Kriterien des Ein- und Ausschlusses ab, die jede nationale Gemeinschaft über die demokratischen Kriterien der Binnenorganisation hinaus auszeichnet. Im Folgenden werden daher die herkömmlichen Kriterien der Mitgliedschaft in der politischen Gemeinschaft eines Nationalstaates unterschieden. Verschiedene Verständnisse der Nation bestimmen unterschiedliche Grenzen und Gemeinsamkeiten der politischen Gemeinschaft. 3.3 Verschiedene Verständnisse der Nation Politische Gemeinschaften sind am umfassendsten auf nationalstaatlicher Ebene organisiert. Nationalstaaten sind die vorherrschende politische Organisationsform, Nationalismus die entsprechend dominante Ideologie des modernen Zeitalters. „Nationalism is the cultural framework of modernity; it is its main cultural mechanism of social integration, and therefore, construction. It is the ordercreating cognitive system which invests with meaning, and as a result shapes, our social reality, or the cognitive medium, the prism through which modern society sees this reality“ (Greenfeld 1999: 39)72. Mit politischer Gemeinschaft ist daher gemeinhin die politisch verfasste Nation gemeint. Dies entspricht Hallers Definition von Nation als „self-chosen object of political identification (a politi71
„Nations are the units within which democratic institutions should operate, and since each member of the nation has something to contribute to its cultural development, political democracy becomes the natural vehicle for national self-determination“ (Miller 2006: 532). 72 Es gibt natürlich alternative Arten der Repräsentation der Welt und der Konstruktion politischer Solidarität, deren politische Bedeutung und Sichtbarkeit begrenzt werden müssen, soll Nationalismus letztlich triumphieren (vgl. Nagel 1999).
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cal community) whose members aspire to become politically independent or politically self-determined“ (Haller 1999: 268). Drei Elemente sind in dieser Definition grundlegend: das erste ist das Verständnis einer Nation als politische Gemeinschaft, nicht nur als bürokratischer Apparat oder als ein System, das ausschließlich auf Macht beruht.73 Das zweite betrifft den Willen der Eliten und Bevölkerung, ihr Schicksal selbst zu bestimmen (vgl. auch Weber 1980: 313, 675). Eine Nation in diesem Sinn trachtet danach, sofern sie es noch nicht ist, ein unabhängiger Staat zu werden; sie kann sich aber auch damit begnügen, politische Autonomie innerhalb eines existierenden Nationalstaates zu erlangen (wie im Beispiel Kataloniens). Zentral ist daher ein drittes Element: die Idee der Legitimität. Ein Nationalstaat ist stabil, wenn er ein hohes Maß an Zustimmung durch seine Bürger genießt und sie bereit sind, sich in den politischen Angelegenheiten ihrer politischen Gemeinschaft zu engagieren sowie die Nation gegen Angriffe von Außen zu verteidigen. Eine Nation ist keine klar umgrenzte Entität, sondern eher eine soziale und politisch relevante Idee, eine idée directrice oder gedachte Ordnung (Lepsius 1990: 233). Wie für ethnische Gemeinschaften ist für Nationen eine konstruktivistische Sichtweise angebracht. So definiert Anderson die Nation als „vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän. Vorgestellt ist sie deswegen, weil auch die Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen, oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert“ (Anderson 1983: 15, Hervorhebung im Original).
Je nach den Kriterien für die Bestimmung einer Nation, ergeben sich unterschiedliche Kollektive von Menschen, die einen nationalen Solidaritätsverband formen sollen. Ihr gemeinsames Streben, eine staatliche Verbandsordnung zu gewinnen74, unterscheidet sie von Nationalitäten: „Nationen sind der Idee nach souverän in der Bestimmung ihrer politischen Geschicke, während Nationalitäten in höherem oder geringerem Ausmaß einem übergeordneten Herrschaftssystem unterworfen sind“ (Emerich 1965: 180). Legitimiert sich staatliche Herrschaft über das Prinzip der Volkssouveränität gewinnt die Nation den zusätzlichen Anspruch auf Selbstbestimmung, auf Unabhängigkeit nach außen und Selbstorganisation nach innen.
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Einige Soziologen sehen die Nation als Art der Vergemeinschaftung an, die ein Bindeglied zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft darstelle, da sie Elemente beider Kategorien miteinander verknüpfe. So betrachtet Stichweh (1994: 85) die Nation als Gesellschaft, die eine Gemeinschaft ist (vgl. auch Mayer 1994: 120f). 74 Dementsprechend definiert Hechter Nationalismus als „collective action designed to render the boundaries of the nation congruent with those of its governance unit“ (Hechter 2000: 15).
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Die Einheit nach außen bezieht sich auf nationale Eigenständigkeit.75 Nach innen geht es um die Entstehung oder Vertiefung der nationalen Gemeinschaft, in politisch-praktischer Hinsicht einer wie immer genauer ausfallenden Solidarität der Nationsangehörigen untereinander und für das Ganze. Eine solche Solidarität, die stets Bereitschaft zur Erbringung von Leistungen bedeutet, für die es in absehbarer Zeit keine (vollen) Gegenleistungen geben wird, setzt aber analog zu jeder Solidarität untereinander nicht persönlich Bekannten die individuelle Identifikation mit der Nation voraus (vgl. Estel 1997). Dabei erhebt die Ordnungsvorstellung der Nation gegenüber subnationalen Solidaritätsverbänden den Anspruch, höherrangige und allgemeinere Bedeutung zu haben, etwa gegenüber Klassen, Konfessionen, ethnischen oder soziokulturellen Gruppen. Dieser Anspruch führt potenziell zu vielfältigen Konflikten, wobei wiederum die jeweils geltenden Kriterien der Nation spezifische Konfliktfronten verstärken oder mildern. Er kann erst durchgesetzt werden, wenn sich die politische Herrschaftsordnung tatsächlich über die Idee der Nation konstituiert, der Solidaritätsverband der Nation also in einer staatlichen Verbandsorganisation auftritt. Dann erzwingen die Machtmittel des Staates als Nationalstaat faktisch die Höherrangigkeit der Nation gegenüber anderen Ordnungsvorstellungen mit geringerer verbandsmäßiger Organisationsmacht. Ein opponierender Solidaritätsverband muss dann eine dem Nationalstaat gleichrangige Legitimität für eine potenzielle Staatsbildung und staatliche Machtakkumulation erst nachweisen. Hierbei kommt dem Territorium eine besondere Bedeutung zu. „Der Organisation des Staates entspricht das Territorialprinzip, die wirksam in Anspruch genommene Herrschaft über die Bevölkerung eines abgegrenzten Territoriums“ (Lepsius 1990: 234). Je stärker sich alternative Solidaritätsverbände als territorial geschlossene Einheiten präsentieren können, die eine Basis für die Ausbildung einer eigenen Staatsorganisation darstellen, desto stärker kann die Höherrangigkeit und größere Allgemeinheit der Nation angegriffen werden. Daher haben ethnische Gruppen, die bestimmte Territorien besetzen, mit ihren Forderungen eine höhere Durchsetzungschance gegenüber Staaten als solche ohne territoriale Geschlossenheit. Das Verhältnis von Staat und Nation kann auf zwei verschiedenen Wirkungszusammenhängen beruhen. Einerseits kann ein bestehender Staat versuchen, eine nationale Einheit unter seinen Bürgern zu erreichen, andererseits kann die Behauptung der Existenz einer Nation als Argument zur Gründung eines eigenen Staates oder zur Erlangung politischer Autonomie herangezogen werden. Staatsbildung und Nationenbildung sind daher zwei eng miteinander ver75 Durch Herstellung der politischen Einheit soll ein in seiner Gesamtexistenz weder von außen noch von innen gefährdeter Nationalstaat errichtet werden, dessen territoriale Grenzen möglichst mit den nationalen zusammenfallen, also die „ganze“ Nation umfassen sollen, die den Auftrag der Volkssouveränität erfüllt.
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bundene Prozesse. Staatsbildung meint vor allem die Bildung eines politischen Zentrums, die administrative Durchdringung des von diesem Zentrum dominierten Territoriums und die Konsolidierung der politisch-administrativen Grenzen (Kriesi 1999: 14). Erfolgreiche Staaten sind auf ihrem Territorium souverän: es gibt keine internen oder externen Wettstreiter, die legitimen Anspruch darauf erheben, über dieses Territorium Kontrolle auszuüben, der Staat beansprucht erfolgreich für sich das Monopol der legitimen Nutzung physischer Gewalt innerhalb des gegebenen Gebietes (Weber 1980: 516). Nationenbildung wiederum bezieht sich auf einen Prozess externer kultureller Grenzziehung und interner kultureller Standardisierung (Flora et al. 1993: 16f). Nationenbildung wurde von den meisten modernen Staaten stark gefördert, sie verfolgten mehr oder weniger erfolgreich verschiedene Prozesse der Grenzziehung. So sind Nationalstaaten des europäischen Typs charakterisiert durch Grenzen, die zugleich politisch, militärisch, ökonomisch, kulturell und funktional sind (Bartolini 1998). Doch auch wenn diese zwei Prozesse eng miteinander verbunden sind, müssen sie nicht immer übereinstimmen. Staaten können ohne Nation entstehen; ebenso gibt es nicht nur Nationen, die in einem Staat verkörpert und institutionell und territorial durch ihn geprägt sind, sondern auch solche, die sich vom Staat unterscheiden oder in Opposition zum territorialen und institutionellen Rahmen eines existierenden Staates stehen.76 Die Vereinbarkeit mit anderen Formen der Vergemeinschaftung ist eng mit den Grenzen und Eigenschaften verbunden, durch die sich eine spezifische Nation definiert. Die Nation ist keine naturwüchsige und eindeutige Ordnung des sozialen Lebens, „sie ist über die Zeit veränderlich und an die realen Machtkonstellationen der geschichtlichen Entwicklung anpassungsfähig“ (Lepsius 1990: 233). Daher müssen nationale Gemeinschaften unterschieden werden, „not by their falsity/ genuineness but by the style in which they are imagined“ (Anderson 1983: 6). Nationale Identität ist multidimensional und beinhaltet potenziell eine Vielfalt an kulturellen Identitäten. So fasst Smith unter Nation „a named human population sharing a historical territory, common memories und myths of origin, mass, standardized public culture, common economy and territorial mobility and common legal rights and duties for all members“ (Smith 1991: 11). Diese Definition beinhaltet ethnische, legale, territoriale, ökonomische und politische Komponenten. Verschiedene Nationsvorstellungen rücken aber bestimmte Elemente in den Vordergrund, wobei die herkömmliche Unterscheidung des Verständnis-
76 Hechter unterscheidet daher zwischen „state-building nationalism“, „peripheral nationalism“, „irredentist nationalism“ und „unification nationalism“ (2000: 15-17).
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ses einer Nation dichotom ist: „ethnic“ versus „civic“77. Smith beschreibt diese Nationsverständnisse folgendermaßen: „the ‚ethnocultural‘ conception of nationhood relies on notions of common genealogy and descent ties, a common history, shared cultural traditions and customs as constitutive elements of the nation or of national identity. In the ‚civic‘ conception, the nation is understood as a political community, or more specifically as a selfgoverning, democratic polity with legal and political equality of its citizenmembers“ (Smith 1991: 11-13).
Eine ethnische oder „Volksnation“ konstituiert sich über die ethnische Abstammung: „the world is naturally, or primordially, divided into objectively different ethnic units, and that it is this objective difference between them, or their ethnicity, which underlies national divisions and gives rise to national identities“ (Greenfeld 1999: 50, Hervorhebung im Original). Individuen wird ein natürliches Gefühl intraethnischer Solidarität zugeschrieben, worauf der Staat gründet. Staatsbürgerschaft ist in dieser Perspektive eine Reflektion der ethnischen Identität78, nicht nur Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft. Im Gegensatz zur Betonung individueller Staatsbürgerrechte betreffen die Eigenschaften, durch die ein Volk zur Volksnation wird, ein Kollektiv. Das „Volk“ wird als eine vorpolitische Wesenheit gedacht, der einzelne über seine zugeschriebene Merkmalsgleichheit dieser Kollektivität subsumiert. „Die „Volksnation“ ist daher verfassungsindifferent“ (Lepsius 1990: 236f, Hervorhebung im Original). Die unterschiedlichsten Binnenordnungen und Verfassungen lassen sich über die Souveränität des „Volkes“ rechtfertigen. Ein solches Nationsverständnis birgt große Gefahren. Nach außen enthält es ein latentes Potenzial zur Abwertung anderer Völker als minderwertig. Nach innen ist diese Idee nur dann unproblematisch, „wenn sich durch lange historische Prozesse der faktischen Homogenisierung und der Durchsetzung von kulturellen Vorstellungen der ethnischen Gleichheit klare Außengrenzen eingestellt haben und innerterritoriale Minderheiten aufgesogen worden sind“ (ebd. 236). Da dies praktisch in kaum einem Land der Fall ist, kommt es in diesem Verständnis zu offensichtlichen Ausgrenzungen und Diskriminierungen innerhalb der Nation. Jede Gleichsetzung des Demos als des Trägers der politischen Souveränität mit einem spezifischen Ethnos führt im Ergebnis zu einer Unterdrückung oder Zwangsassimilation von anderen ethnischen, kulturellen, religiösen 77
Dies rekurriert im deutschen Sprachgebrauch auf die Unterscheidung von Meineke zwischen Kulturnation und Staatsnation, auf deren Basis Kohn (1962: 309ff, 550ff) zwischen einem subjektivpolitischen oder westlichen und einem objektiv-kulturellen oder östlichen Nationsbegriff unterschied. 78 Die Vorstellung gemeinsamer Abstammung zur Bestimmung ethnischer Gleichheit wird an verschiedenen Kriterien festgemacht, wie in Kapitel 2.2.2 näher ausgeführt, nämlich an physischen sowie kulturellen Kriterien, an Sprache, Religion und/oder historischer Schicksalsgemeinschaft.
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oder sozioökonomischen Bevölkerungsteilen innerhalb des politischen Verbandes, da der politisch-rechtliche Staatsbürgerstatus an soziale und kulturelle Eigenschaften geknüpft wird, durch die bestimmten Bevölkerungsteilen ein minderer Teilhabeanspruch an der politischen und sozialen Ordnung zugewiesen wird. Außerdem kann die prinzipielle Höherrangigkeit des Volkes gegenüber dem Individuum zur Rechtfertigung der Beschränkung individueller Freiheitsrechte und demokratischer Verfahren im Namen der Realisierung der Interessen des Volkes dienen, die durch herrschende Eliten interpretiert werden. Häufig werden vor diesem Hintergrund soziale Konflikte zu Fragen nationaler Loyalität uminterpretiert. Die Ambivalenz der Definitionskriterien des Volkes in der Vorstellung der Volksnation eröffnet eine Manipulierbarkeit je nach politischer Interessenlage, wie sie der Nationalsozialismus in Deutschland genutzt hat. Smith betont allerdings, dass gemeinsame Abstammung in vielen ethnischen Nationen nur von geringer Bedeutung sei, weshalb er dafür plädiert, ethnisch als identisch mit dem Begriff kulturell zu verwenden (Smith 1983: 180f). Eine verwandte Konzeption ist daher die der „Kulturnation“79. Diese konstituiert sich über die kulturelle Gleichheit von Menschen, wobei eine gemeinsame Sprache eine besondere Rolle spielt. Solange dieser allerdings keine verbandsmäßige organisierte Macht zugeordnet wird, ist sie transpolitisch, wie die Vorstellung einer deutschen Kulturnation, die mit Deutschland und Österreich mehrere politische Gemeinschaften umspannt. Die Bezeichnung als „Kulturnation“ ist jedoch ambivalent: Wird Kultur im Sinne vorpolitischer Werte und Eigenschaften verstanden, ist der Typ von Nation eher der Volksnation zuzuordnen; wird Kultur hingegen im Sinne verbindlicher kultureller Normen und Regeln einer gemeinsamen politischen Kultur verstanden, nähert sich die Nation dem Verständnis einer Staatsbürgernation. Der andere Pol der dichotomen Unterscheidung von Nationsverständnissen bildet die „civic nation“ oder die „Staats(bürger)nation“. Diese „konstituiert sich über die individuellen staatsbürgerlichen Gleichheitsrechte und die Verfahren der demokratischen Legitimation der Herrschaft durch die Staatsbürger“ (Lepsius 1990: 242). In dieser Perspektive wird der moralische, politische und logische Primat des Individuums unterstellt, „who is seen not simply as a physical unit of society, but as its constitutive element, in the sense that all qualities of the latter have their source in the nature of the former“ (Greenfeld 1999: 50). Wir-Identität und Nationalgefühl resultieren einerseits aus der Identifikation mit den Institutionen des Rechtsstaates, wofür der Begriff des Verfassungspatriotismus geprägt wurde. Die Wirkkraft traditionsgesteuerter Bindungen nimmt zugunsten von 79
Für die Konzeption der Kultur- oder Volksnation finden sich im deutschen Idealismus wichtige Referenzen, so in Herders romantischer Idee einer Volksnation, in Fichtes Sprachtheorie oder auch in Hegels Volksgeistlehre.
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(zumindest formal-)demokratischen Mechanismen der Legitimation ab. Andererseits ist dieses Verständnis eng verwandt mit dem der Willensnation, da sich beide im Gegensatz zu objektiv definierten Gemeinsamkeiten aus dem freien und subjektiven Bekenntnis des Individuums zur Nation herleiten. Die Nation wird als großes Kollektiv verstanden, das sich durch die freie Artikulation des Willens seiner Mitglieder konstituiert, durch den kollektiven Akt demokratischer Willensbildung. Die Idee der Subjektivität der Nation ist besonders mit Renan verbunden, vor allem mit dessen berühmt gewordenem Ausspruch aus dem Jahre 1882 von der Nation als täglichem Plebiszit (Renan 1993: 309).80 Die Außenabgrenzung ergibt sich durch den räumlichen Geltungsbereich der Verfassungsordnung und das anderen ebenfalls zugeschriebene Recht auf Selbstbestimmung. Diese Idee ist demnach nicht verfassungsneutral, was erhebliche Folgen für die Binnenordnung hat. Das Gleichheitskriterium nach innen ist die staatsbürgerliche Gleichheit. Ein solches Nationsverständnis postuliert somit Deckungsgleichheit mit dem Demos einer Demokratie ohne zusätzliche kulturelle Grenzziehungen und Gemeinsamkeiten.81 Im Rückgriff auf die erläuterten Codes kollektiver Identitätskonstruktion kann die Staatsbürgernation aufgrund ihrer potenziellen Inklusivität und ihrer Betonung prinzipiell universaler Individualrechte als universalistischer Code betrachtet werden, in Abgrenzung zum eindeutig primordialen Code über Abstammung einer Volksnation und zum traditionalen Code über Traditionen und lokale Geltung bestimmter Werte einer Kulturnation. Tabelle 4: Nationstyp und Code der Identitätskonstruktion Nationstyp Volksnation Kulturnation Staatsbürgernation
Code der Identitätskonstruktion Primordial Traditional Universalistisch
Die Unterscheidung zwischen ethnischen und zivilen Formen des Nationalismus wurde in empirischen Studien durchaus angewandt wie von Rogers Brubaker 80 Gellner sieht den zentralen Gegensatz zwischen kulturell oder voluntaristisch bestimmter Nation: „Erstens: Zwei Menschen gehören derselben Nation an, wenn sie – und nur wenn sie – dieselbe Kultur teilen (…). Zweitens: Zwei Menschen gehören derselben Nation an, wenn und nur wenn sie einander als Angehörige derselben Nation anerkennen.“ (1991:16, Hervorhebung im Original). 81 In Einwanderungsgesellschaften wie die der USA erzwingt die Erfahrung ethnischer Heterogenität andere als ethnische Kriterien für die klassifikatorische und normative Selbstlegitimierung. Die Nation werde hier vor allem politisch konstituiert auf der normativen Legitimationsbasis naturrechtlich gedachter Individualrechte, weshalb die amerikanische Nationenbildung als „first new nation“ (Lipset) bezeichnet wird.
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(1992), der mit seiner historisch vergleichenden Analyse der nationalen Traditionen in Frankreich und Deutschland mehr komparative Arbeit anschob. Die Bildung solcher und ähnlicher nationaler Grundtypen besitzt auch sicher einen Wert für kategoriale Absichten; sie lassen sich aber nicht umstandslos empirischen Nationen zuordnen, denn Elemente beider Nationstypen sind faktisch bei jeder Nation anzutreffen, in unterschiedlichem Ausmaß und in verschiedenen Formen. „Manchmal sind staatsbürgerliche und territoriale Elemente vorherrschend; zu anderen Zeiten werden dagegen ethnische Komponenten und einheimische Besonderheiten betont“ (Smith 1991: 12). Die Idee der Staatsbürgernation vermischt sich in der Realität häufig mit Ideen über die Volks- und Kulturnation82, auch in demokratischen Staatsordnungen bilden sich nationale Identifikationen synkretistisch. Dies ist schon deshalb so, weil sich Demokratisierung immer schrittweise vollzieht. Eine Staatsbürgernation beruht zumeist auf vordemokratischen Vergesellschaftungen, die bereits eine historisch geformte Idee nationaler Zusammengehörigkeit mit Elementen ethnischer und/ oder kultureller Solidarität entwickelt haben. Das größte analytische Problem in der Unterscheidung zwischen ethnischem und zivilem Nationsverständnis besteht in der fehlenden Schärfe beider Begriffe. Dies wird besonders an der Frage deutlich, wo kulturelle Faktoren zu verorten sind (Brubaker 1999: 59-63). Wird das ethnische Verständnis auf reine Abstammungsmerkmale reduziert, fallen kaum reale Fälle in diese Kategorie. Dasselbe gilt für zivile Nationen, bei denen ausschließlich Staatsbürgerschaft Kriterium der Zugehörigkeit sein soll.83 Die nationalstaatliche Integrationsweise ist stets mit der Etablierung von Normen, von kulturellen Kategorien im Denken und Wahrnehmen verbunden und damit auch mit der Schaffung und Fixierung von Differenz und Andersartigkeit. Daher ist auch die eindeutige Bevorzugung des zivilen Modells in normativer Hinsicht problematisch. Jedes Verständnis von Nation und alle Formen von Nationalismus sind zugleich inklusiv und exklusiv. Selbst wenn lediglich Staatsbürgerschaft das Kriterium der Mitgliedschaft ist, schließt sie zugleich ein und aus. „On a global scale, citizenship is an immensely powerful instrument of social closure“ (Brubaker 1999: 64). Wenn Inklusion über formale Kriterien hinaus auch auf der Zustimmung zum „political creed“ 82
So betont Safran, dass neben der republikanischen, staatsbürgerlichen Vision der französischen Nation stets eine organische Konzeption bestand „which much of the Right never abandoned, according to which non-Europeans, Jews, and other non-Christians would not be considered fully French“ (Safran 1991: 221). 83 Auch Smooha betont: „individual liberal democracy is a purely normative model that hardly exists in reality. There is not even one case of democracy that fits the model well. Western democracies developed historically as nation-states that have been dominated by and identified with titular nations. They have never been empty legal settings for unattached and indifferent individuals“ (Smooha 2001: 12f).
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(Ignatieff 1993: 6) beruht, beinhaltet dies eine eigene Logik der Exklusion. Die französische Revolution und der McCartherismus in den USA der 50er Jahre sind Beispiele dafür, zu welchen Auswüchsen dies führen kann. Die Einteilung empirischer Fälle nach ethnischem und zivilem Nationsverständnis richtet sich in erster Linie nach den Kriterien des Zugangs, ob dieser nach dem „ius soli“, also dem Territorialprinzip, als Zeichen einer zivilen Nation oder dem „ius sanguinis“, dem Abstammungsprinzip, für eine ethnische Nation geregelt ist. Eine ausschließlich nach den Rechten des Erwerbs von Staatsangehörigkeit gerichtete Unterscheidung wird jedoch weithin als nicht ausreichend aussagekräftig betrachtet. Staatsbürgerschaft in einem engen Sinne, im Deutschen mit dem Begriff der Staatsangehörigkeit gefasst, betrifft lediglich die formale, legalistische Dimension. Staatsbürgerschaft in einem umfassenden Verständnis bezieht sich auf weit mehr als nur die Regeln für den Erwerb der Nationalität und beinhaltet auch die damit verbundenen Pflichten und Rechte von Staatsbürgern, die nicht unbedingt in Gesetzesform festgeschrieben sind (vgl. Koopmans/ Statham 2001: 122). Denn der Staatsbürgerstatus wurde im Verlauf der Geschichte zunehmend anspruchsvoller definiert, indem neben die bürgerlichen Freiheitsrechte die politischen Teilnahme- und sozialen Teilhaberechte getreten sind (Marshall 1950).84 Diese Fortentwicklung vom Rechtsstaat über die Demokratie bis hin zum Sozialstaat sorgte für rechtliche Absicherungen gegen immer mehr Sachverhalte, die den Status gleicher Mitgliedschaft faktisch unterminierten. Jüngeren Datums sind jene Forderungen, die sich als Fortsetzung dieses Prozesses deuten lassen und mit dem Begriff des Multikulturalismus umschrieben werden, worauf ich in Kapitel 5 näher eingehen werde. Diese Forderungen kreisen um die Frage, inwiefern die Gewährleistung partikularer kultureller Praktiken als ein notwendig nächster Schritt bei der rechtlichen Verwirklichung staatsbürgerlicher Gleichheit interpretiert werden sollte. Es geht also um die Definition gleicher Mitgliedschaft in ethnisch heterogenen Gesellschaften. Dies umfasst zum einen die Frage nach den Kriterien für die Einbürgerung und zum anderen die Debatte um gruppendifferenzierte Staatsbürgerschaft, also um Gruppenrechte. Die dichotome Fassung der Nationsverständnisse kann diese Feinheiten, die enorme Konsequenzen für einzelne Bürger und Gruppen zeitigen, nicht erfassen. Denn mit den verschiedenen Verständnissen von Nation und Staatsbürgerschaft sind jeweils unterschiedliche Anerkennungsformen und institutionelle Konse84 Nach Marshall ist Staatsbürgerschaft ein Status, der Individuen zuerkannt wird, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen; er macht aus bloßen Subjekten politischer Prozesse aktive Partizipanten und Gestalter. Er definiert sowohl Rechte als auch Pflichten der Bürger, also die Ansprüche jeder Person gegenüber der Gemeinschaft oder dem Staat sowie ihre Verpflichtungen gegenüber diesen Institutionen (ebd. 41-43; 45f).
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quenzen verbunden. In Mitgliedschaftsmodellen sind auch bestimmte institutionelle Kanalisierungen der organisierten gesellschaftlichen Partizipation von Individuen und Gruppen enthalten. Es ist daher anzunehmen, dass die Integrationswege und -chancen der Bürgerinnen und Bürger sowie von Zuwanderern und ethnischen Minderheiten durch die vorherrschende Idee nationaler Zugehörigkeit und das Staatsbürgerverständnis der politischen Gemeinschaft geprägt werden. Verschiedene Anforderungen an Staatsbürgerschaft im Sinne gleichberechtigter nationaler Zugehörigkeit machen unterschiedliche Ebenen politischer und ethnischer Assimilation innerhalb der Grenzen einer politischen Gemeinschaft notwendig. Anhand der Vielzahl möglicher Kriterien für die Definition einer Nation sowie deren Manipulierbarkeit wird deutlich, dass es bestimmter Bemühungen und Handlungen von Menschen bedarf, um eine Nation als solche zu konstituieren und nach außen abzugrenzen. Gemeinsame Kennzeichen sind für den Zusammenhalt einer Nation wichtig, reichen aber zur Mobilisierung nicht aus. Dies ist erst dann der Fall, wenn sie mit einem starken Wert versetzt und in eine Ideologie integriert werden. Dadurch werden gemeinsame Merkmale wie Abstammung oder Staatsbürgerstatus zu einem wertvollen Gut, das es zu bewahren gilt und diejenigen, die es besitzen, zu einer Gemeinschaft zusammenfügt, die gemeinsame Ziele verfolgt (vgl. Rothschild 1981: 26f). Hierfür stehen über die dargestellte Dichotomie hinaus verschiedene normative Rahmen zur Verfügung, auf die sich politische Akteure beziehen und die ihren Ansprüchen Legitimität verleihen. Sowohl der Begriff des Demos als auch der Begriff der Nation müssen daher eingehender untersucht und die internen Differenzierungen herausgearbeitet werden. Dies wird in normativen Debatten behandelt, in denen besonders unterschiedliche Ausformungen des zivilen Nationsverständnisses zu Tage treten, eine eher monistische Vorstellung wie in republikanischen Ansätzen und eine pluralere Vorstellung wie in liberalen Theorien bis hin zum Spagat zwischen diesen Positionen, den manche Kommunitaristen versuchen. Rechte und Pflichten der Staatsbürger und Ausmaß der Identifikation mit der demokratischen Gemeinschaft werden in diesen Demokratietheorien ganz unterschiedlich verstanden. Diese Debatte wird daraufhin im Hinblick auf ethnische Unterschiede innerhalb eines Demos zugespitzt, woran das jeweilige Nationsverständnis und seine Grenzziehungen deutlich werden. Hierfür werden zentrale Aussagen der Diskussion um Multikulturalismus herausgestellt. Welche Position in diesen Diskussionen eingenommen wird, liefert den normativen Rahmen legitimer Institutionen und Forderungen und ist insofern für die Frage entscheidend, inwiefern ethnische Differenz eine Herausforderung darstellt, wie mit dieser umgegangen wird und wie groß letztlich das Potenzial einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz ist.
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B. Normative Debatten: Inhaltliche Bestimmung politischer Gemeinschaft im Hinblick auf ethnische Differenz
Die vorangehende Unterscheidung von Ethnos, Demos und Nation als verschiedene Formen der Vergemeinschaftung, die allesamt als vorgestellte Gemeinschaften begriffen werden müssen, machte bereits deutlich, dass diese Begriffe ganz unterschiedlich inhaltlich gefüllt werden können je nach Art der Grenzziehung und Definition der Gemeinsamkeiten. Das Kernkonzept dieser Arbeit, demokratische Gemeinschaft, steht in verschiedenen Beziehungen zum Ethnos, gespeist aus der jeweiligen Nationsvorstellung. In diesem Teil wird das Verhältnis dieser Konzepte eingehender betrachtet, indem die groben Linien normativer Diskussionen um Demokratie und Multikulturalismus nachgezeichnet werden. Zur genaueren Bestimmung des Demos wird vereinfacht zwischen einem liberalen, republikanischen sowie kommunitaristischen Gemeinschaftsverständnis unterschieden. Hinsichtlich des Verhältnisses von Demos und Ethnos beinhaltet die Debatte um Multikulturalismus zentrale Ideen, wobei ich wiederum drei Verständnisse eines multi-ethnischen Demos differenziere. Diese Themen werden im Anschluss so miteinander verbunden, dass sich ein zweidimensionales Feld zur Verortung verschiedener Modelle demokratischer Gemeinschaft ergibt. Diese Vorgehensweise bringt es mit sich, dass hier weder die Einzelheiten der Debatten noch die Plausibilität der normativen Argumente an sich erörtert, sondern deren Realitätsbehauptungen aufgezeigt und letztlich in eine empirisch testbare Form gebracht werden sollen. Vereinfachungen, die zur systematischen Abgrenzung der interessierenden Kernpunkte notwendig sind, seien mir daher verziehen.
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Der Demos
4 Der Demos: Politische Gemeinschaft bei Liberalen, Republikanern und Kommunitaristen Der Demos Bei der inhaltlichen Bestimmung des Demos steht insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit der Individuen und Ansprüchen der Gemeinschaft im Mittelpunkt. Je nach dem, ob dem einen oder dem anderen Vorrang gegeben wird, lassen sich unterschiedliche normative Positionen in der Demokratietheorie festmachen. Die klassische Unterscheidung besteht zwischen liberalen und republikanischen Theorien, wie sie sich in der politischen Ideengeschichte entwickelten. Dieser Gegensatz wurde in der Kommunitarismusdebatte erneut aktuell, die ihn in zeitgenössische Bedingungen eines vielfältigen Pluralismus einbettete. Neben einer Wiederbelebung des klassischen Republikanismus findet sich hier der Versuch, insbesondere im Hinblick auf die Ansprüche subnationaler Gemeinschaften zwischen liberalen individuellen Freiheitsgarantien und republikanischer Tradition der Betonung umfassender Gemeinschaft zu vermitteln. Für unseren Zusammenhang sind in dieser theoretischen Gemengelage gerade die Aussagen über den Stellenwert subnationaler, ethnischer Gemeinschaften relevant, insbesondere über das Verhältnis des Individuums zu ethnischen Gemeinschaften und jenes solcher Gemeinschaften zum Staat. Anstelle einer umfassenden Erörterung der Debatten85 werden die grundlegenden Aussagen der verschiedenen Demokratiemodelle hierüber herausgearbeitet. 4.1 Liberales Modell politischer Gemeinschaft Das heute sowohl in der Realität als auch in normativen Debatten vorherrschende Modell von Demokratie ist grundlegend durch den Liberalismus geprägt.86 Dies reicht zurück auf John Locke, der am Ende des 17. Jahrhunderts die Idee eines konstitutionellen Staates und liberaler Abwehrrechte der Bürger propagierte (vgl. Göhler 2007: 258). Er baute dabei auf Hobbes’ Theorie des Herrschafts85
Zur Differenzierung verschiedener Frontverläufe in der Liberalismus-Kommunitarismus-Debatte je nach Verständnis des Kerns der Kontroverse vgl. Einleitung in Brumlik/ Brunkhorst 1993. So ist bspw. Taylor ein liberaler Kommunitarist, dessen zahlreichen Differenzierungen ich sicher nicht vollständig gerecht werde. 86 So verweist Vorländer darauf, der Liberalismus gehöre heute „zur überparteilichen, konstitutionellen Grundausrüstung westlicher Demokratien“ (2007: 162).
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vertrags auf.87 Anders jedoch als Hobbes betont Locke, dass die im Vertrag zusammengeschlossenen Individuen als souveränes Volk eine Regierung einsetzen, der sie einige ihrer Rechte übertragen. Diese Zentralregierung erhält vor allem den Auftrag der Rechtsprechung zum Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum der Bürger.88 Der Vertrag mit einer Regierungsgewalt implementiert eine Form von Repräsentation – eine Idee, die Hamilton, Madison und Jay in den Federalist Papers (1787/88) weiterführen und liberale Demokratievorstellungen bis heute prägt. Die Staatsgewalt darf – im Gegensatz zu dem von Hobbes propagierten Absolutheitsanspruch politischer Herrschaft – nur die Rechte wahrnehmen, welche die Bürger durch den Vertragsschluss abgegeben haben. Das Gemeinwesen erhält vor allem zwei Aufgaben: erstens durch Zwangsgewalt die Bürger voreinander und zweitens durch Freiheitsrechte die Bürger vor dem Staat schützen. Seiner Konzeption folgend beruht jede gesetzliche Regierung auf der Einwilligung des Volkes, einer freien bürgerlichen Eigentümergesellschaft mit ausgedehntem Widerstandsrecht gegen die Regierung (vgl. Euchner 2004). Am Ende seiner Vertragstheorie steht daher nicht der absolute, sondern der tolerante Staat. Die bei Hobbes zentrale Zielsetzung der Sicherheit wird bei Locke von der Frage der Toleranz verdrängt: Sicherheit ohne Toleranz ist nach Locke nur als Diktatur möglich und daher nicht erstrebenswert. Deutlich wird dies an seiner Behandlung religiöser Differenzen. Locke schlägt eine strikte Trennung vor zwischen dem „business of civil government from that of religion“ (Locke 1996: 11). Während die bürgerliche Regierung der Befriedigung bürgerlicher Interessen (Leben, Freiheit, Gesundheit, Besitz etc.) dienen solle, dürfe die Rettung der Seelen anderen Institutionen überlassen werden. Damit ist die funktionale Ausdifferenzierung zwischen der Bereitstellung der immanenten und der transzendenten Güter gewährleistet und der Staat säkularisiert. Dies mündet in der weiteren Entwicklung des Liberalismus in der Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Auch wenn Locke selbst Atheisten und Katholiken ausdrücklich nicht in sein Toleranzgebot einschließt, ist sein Plädoyer für religiöse Toleranz ein Vorläufer des heutigen liberalen Gebots weltanschaulicher Toleranz.
87 In Hobbes Hauptwerk, dem Leviathan von 1651 (1986), wird der durch Furcht, Ruhmsucht und Unsicherheit geprägte gesellschaftliche Naturzustand durch die Gründung eines Staates, also der Übertragung der Macht auf einen Souverän durch einen Herrschaftsvertrag überwunden (vgl. Kersting 1994; Münkler 2001). Hobbes kann als Urvater des neuzeitlichen Staatsverständnisses angesehen werden; allerdings hat dieses noch keine demokratischen Züge. 88 Zu diesen drei Rechten gehört die wohlfahrtsstaatliche soziale Absicherung wohlgemerkt nicht. Lockes Staatstheorie hat die amerikanische Unabhängigkeitserklärung 1776, den französischen Verfassungsentwurf 1791 sowie die ganze Entwicklung des bürgerlich-liberalen Verfassungsstaates bis heute maßgeblich beeinflusst.
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Der Demos
Insgesamt ist in liberalen Theorien die Freiheit des Individuums von zentraler Bedeutung, worauf schon der Wortstamm – libertas – hindeutet. Auch der große Liberale Kant sah die einzig legitimierbare Grenze individueller Freiheit nur im gleichen Anspruch des anderen.89 Denn jedem Menschen kommen die Fähigkeit und das Recht zu, selbst eine Vorstellung von einem als gut erachteten Leben zu entwickeln und danach zu streben. Auf dieser Autonomie, die allen Menschen dank ihrer praktischen Vernunft und moralischen Urteilskraft als gleiches Potenzial zustehe, beruhe die universelle menschliche Würde (vgl. Kant 1998). Hinsichtlich der Konzeption des Staates ist auch Kant ein Vertragstheoretiker. Doch wird sein fiktionaler Vertrag nicht aus egoistischem Kalkül geschlossen, sondern aus der Einsicht in die transzendentale Notwendigkeit des Staates. Als autonome Subjekte erleben wir uns nach Kant, weil wir das unbedingte Sollen als ein Faktum der Vernunft erfahren, was er besonders in seiner Moralphilosophie herausarbeitet.90 Auch in der Rechtsphilosophie sieht er die Menschen nicht nur aus empirischen, sondern aus prinzipiellen Gründen an die Gesetze gebunden91 (vgl. Kersting 1984). Auf der Grundlage eines Vertrags wird im Rechtsstaat ein immer schon als Vernunftidee existierendes Ideal umgesetzt. Die Umsetzung dieses Vertrags sehen alle als vernunftnotwendig ein, denn nur der Staat kann die Freiheit des einzelnen sichern, weshalb jeder ein Recht auf Staat und zugleich eine Pflicht ihm gegenüber zum Schutz der Freiheit der anderen hat. Die Staatsbildung selbst ist nach Kant unabhängig von Moral und Kultur allein auf der Grundlage der Vernunft möglich, sie wäre selbst für unmoralische Vernunftwesen eine logische Notwendigkeit: „Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben) auflösbar und lautet so: ‚Eine Menge von vernünftigen Wesen, die insgesamt allgemeine Gesetze für ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber ins Geheim sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, dass, obgleich sie in ihren Privatgesinnungen einander entgegenstreben, diese einander doch so aufhalten, dass in ihrem öffentlichen Verhalten der Erfolg ebenso derselbe ist, als ob sie keine solche böse Gesinnung hätten.’ Ein solches Problem muss auflösbar sein“ (Kant 1998: VI, 224). 89 Während für die schottischen Moralphilosophen und die englischen Utilitaristen die Freiheit zur Verfolgung des eigenen Interesses, wirtschaftlich oder hedonistisch motiviert, im Vordergrund stand, betonte die humanistisch-idealistische Tradition (John Stuart Mill) die Möglichkeit individueller Entfaltung. Kant fügte dem eine ethische Komponente hinzu: er verstand Freiheit emanzipativ als zur Mündigkeit führende Fähigkeit, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen (Vorländer 2007: 163). 90 Der Mensch sei frei, wenn er anerkennt, dass die Vernunft den kategorischen Imperativ an ihn richtet und er daher dem Sittengesetz unterworfen ist. Wer sich an kein Gesetz gebunden sieht und nur nach Lust und Laune lebt, sei nicht frei, sondern Sklave seiner Launen. 91 Seine rechtsphilosophische Schrift heißt entsprechend „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre“. Moralische oder rechtsphilosophische Grundsätze lassen sich nach Kant – ganz anders als bei Hobbes – nie empirisch begründen.
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Kant entwirft eine Republik der Vernunft, unabhängig von den Staaten der Wirklichkeit. Ein idealer Staat beruhe auf einem Vertrag, der durch drei Prinzipien geprägt ist: das Freiheitsprinzip, demzufolge alle Gesellschaftsmitglieder als Menschen frei sind; das Gleichheitsprinzip, demzufolge alle als Untertanen gleich sind; und das Prinzip der Selbständigkeit der Bürger. Diese Prinzipien bilden auch die Basis moderner Rechtsstaatlichkeit. Die Vorstellung transzendentaler Vernunftstrukturen und der daraus folgenden Möglichkeit einer, absolut verstandenen, vernünftigen Einrichtung eines Staatswesens macht allgemeine, Kultur übergreifende Annahmen über die Ableitbarkeit von Prinzipien und beinhaltet somit einen Universalismus, der mit enormen philosophischen Voraussetzungen arbeitet. Ein derart normativ anspruchsvoller Universalismus wird heute kaum mehr vertreten. Doch ist ein Anspruch auf universelle Gültigkeit bestimmter Werte und Prinzipien, wie sie auch im Humanismus Niederschlag fanden sowie kosmopolitische Sichtweisen prägen, gerade in liberalen Theorien nicht selten (vgl. Barry 2001; Raz 1985). Dem steht eine Entwicklung liberaler Theorien entgegen, in deren Verständnis der Zusammenschluss in einem Staatswesen ausschließlich auf Nutzen maximierenden Interessen basiert – ein Verständnis, das heute insbesondere libertären Demokratietheorien zugrunde liegt (Nozick 1974; Hayek 2005). In diesen zeitgenössischen Diskussionen über normative politische Theorie wirken die Grundideen der erwähnten politischen Denker nach. Auch wenn alle diese Theorien das Individuum und seine Freiheit zum Ausgangspunkt nehmen, ergibt sich aus einem Zusammenschluss aufgrund vernünftiger Einsicht einerseits und aus egoistischen Nutzenkalkülen andererseits je eine andere politische Gemeinschaft. Im zweiten Fall kann man davon ausgehen, dass es auch langfristig nicht zur Entstehung einer dauerhaften, schock- und krisenresistenten politischen Gemeinschaft kommt, mit der sich die Mitglieder identifizieren, solange egoistische Interessen die einzige Motivation zur Vergemeinschaftung bleiben. Keine diffuse Unterstützung, kein Gemeinschaftsgefühl stützen eine derartige politische Gemeinschaft. Ein vernunft- und wertebasierter Zusammenschluss hingegen trägt deutlich mehr Potenzial zur kognitiven, aber auch emotionalen und verhaltensprägenden Gemeinschaftsbildung in sich trotz der grundsätzlich individualistischen Herangehensweise. Zur genaueren Herausarbeitung eines liberalen Verständnisses politischer Gemeinschaft unter zeitgenössischen Bedingungen konzentriere ich mich im Folgenden auf einen der derzeit prominentesten Vertreter liberaler Demokratietheorien: John Rawls. Standen für Hobbes Sicherheit und für Locke Toleranz im Mittelpunkt bei der Frage nach der Konstitution eines politischen Gemeinwesens, so sieht Rawls die Herstellung von Gerechtigkeit als zentral an. Er geht davon aus, dass es Grundgüter gibt, die jede Konzeption des guten Lebens, also jede ethische Vor-
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stellung davon, wie man sein Leben führen soll, benötigt, um realisiert zu werden. Die wichtigsten Arten gesellschaftlicher Grundgüter seien Rechte, Freiheiten und Chancen, sowie Einkommen und Vermögen. Deren Verteilung würde durch die Regeln der wichtigsten Institutionen eines Gemeinwesens festgelegt (Rawls 1975: 112f), so dass sich die Frage stellt, wie Gerechtigkeitsgrundsätze gefunden werden können, die diese Grundgüter gerecht verteilen und die universell, also zu jeder Zeit und an jedem Ort, gelten. Die Antwort findet Rawls in seiner Theorie der Gerechtigkeit (1971; dt. 1975) mit Hilfe eines Gedankenexperiments, das an den Naturzustand klassisch liberaler Vertragstheoretiker erinnert: In einem (fiktiven) Urzustand wählen die Vertragsparteien Gerechtigkeitsprinzipien, wobei ihnen jedoch Informationsbeschränkungen auferlegt werden. Als Neufassung der Lehre vom Gesellschaftsvertrag beruhen für die Theorie der Gerechtigkeit die fairen Bedingungen von Kooperation auf einer Übereinkunft der daran beteiligten Bürger. „Ihre Übereinkunft muss jedoch, wie jede gültige Übereinkunft, unter angemessenen Bedingungen zustande kommen“ (Rawls 1998: 90). Diese notwendig fairen Bedingungen, die niemandem größere Verhandlungsvorteile zugestehen und Gewaltandrohung, Zwang, Täuschung und Betrug ausschließen, konstruiert Rawls im Urzustand.92 Ein „Schleier des Nichtwissens“ (veil of ignorance) soll den Vertragsparteien zum einen ihre gesellschaftliche Position, ihre natürlichen Fähigkeiten, ihre Lebenspläne und ihre Einstellung zum Risiko verhüllen. Zum anderen soll er ihnen jegliches Wissen über die besonderen Verhältnisse in ihrer Gesellschaft vorenthalten; weder die aktuelle politische und ökonomische Situation noch die Spezifika ihrer Kultur und Geschichte sollen bekannt sein.93 Die Vertragsparteien wissen zwar, wie die Gesellschaft aussieht, für die sie Gerechtigkeitsgrundsätze finden sollen, jedoch fehlen ihnen genau die Kenntnisse, die es ihnen ermöglichen würden, ihre spezifischen Interessen und Werthaltungen bei der Wahl der Gerechtigkeitsprinzipien zu fördern, wodurch im Urzustand ein egoistischer Standpunkt ausgeschlossen werden soll; er erzwingt nach Rawls (1975: 159), dass die Vertragsparteien –
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Walzer (1990) bezeichnet dies im Gegensatz zur Moralerkennung als Moralerfindung. Um trotzdem den Anspruch auf universale Gültigkeit der Normen zu bewahren, ist es notwendig, ein geeignetes Verfahren zur Normerzeugung zu konstruieren. „Der entscheidende Punkt einer erfundenen Moral liegt darin, dass sie uns das liefert, was weder Gott noch die Natur für uns bereitgestellt haben: ein allgemeingültiges Korrektiv für alle verschiedenen gesellschaftlichen Moralen“ (ebd. 22). Der Philosoph wirkt hier als Konstrukteur: es gebe für die Welt zwar keinen fertigen Konstruktionsplan, doch könne er durch Überlegen und Philosophieren weltimmanent gefunden werden. 93 „Zu den wesentlichen Eigenschaften dieser Situation gehört, dass niemand seine Stellung in der Gesellschaft kennt, seine Klasse oder seinen Status, ebenso wenig sein Los bei der Verteilung natürlicher Gaben wie Intelligenz oder Körperkraft. Ich nehme sogar an, dass die Beteiligten ihre Vorstellung vom Guten und ihre besonderen psychologischen Neigungen nicht kennen“ (Rawls 1975: 29).
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Kosten und Nutzen abwägend sowie Risiko vermeidend – die Gerechtigkeitsprinzipien unter allgemeinen Gesichtspunkten bestimmen. Durch diese Generalisierung des Einzelnen findet Rawls zwei Gerechtigkeitsprinzipien, von denen er zumindest in der ursprünglichen Fassung seiner Theorie der Gerechtigkeit noch davon ausging, dass sie universell gültig sind. Da durch die Gerechtigkeitsgrundsätze keine Person, Schicht oder Gruppe in der Gesellschaft bevorzugt wird, müsse auch in der wirklichen Welt jede Bürgerin ihnen zustimmen können, denn sie wäre – hätte sie sich selbst dem Gedankenexperiment unterzogen – zu identischen Gerechtigkeitsstandards gekommen. Hinter dem Schleier des Nichtwissens werden folgende zwei Gerechtigkeitsgrundsätze gefunden: 1. 2.
„Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist.“ „Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen folgendermaßen beschaffen sein: (a) sie müssen unter der Einschränkung des gerechten Spargrundsatzes den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen, und (b) sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäß fairer Chancengleichheit offen stehen” (Rawls 1975: 336)
Der erste Grundsatz ist klassisch liberal: Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit ist eine Theorie liberaler Grundrechte. Der erste Halbsatz des zweiten Grundsatzes (a) beinhaltet das Differenzprinzip, mit dem eine staatlich organisierte Umverteilung oder redistributive Sozialpolitik begründet werden kann, um ungerechte Ungleichverteilungen zu beheben. Formale Chancengleichheit wird durch eine substanziell faire Chancengleichheit ergänzt. Rawls selbst bezeichnet beide Grundsätze als Ausdruck eines egalitären Liberalismus (Rawls 1998: 70). Diese hinter dem Schleier des Nichtwissens gefundenen Gerechtigkeitsgrundsätze müssen mit den moralischen Intuitionen der Bürger vor dem Schleier kompatibel sein – was Rawls als „Überlegungsgleichgewicht“ bezeichnet. Sind sie es nicht, muss die Reflexion hinter dem Schleier von Neuem beginnen, damit die normative Begründung überzeugt. Ein Konsens über Gerechtigkeitsprinzipien kann jedoch unter diesen Bedingungen nur dann zustande kommen, wenn man wie Rawls eine Zusatzbedingung einführt: Nicht alle Konzeptionen des guten Lebens sind seiner Meinung nach qualifiziert, um in einer Theorie der Gerechtigkeit berücksichtigt und mit den nötigen Grundgütern versorgt zu werden. Nur vernünftige Konzeptionen bestünden den Test der Verallgemeinerbarkeit, müssten also für ihre eigene Realisierung nicht auf die Unterdrückung anderer Lebenskonzeptionen zurückgreifen. Rawls sieht selbst ein, dass seine Theorie der Gerechtigkeit auf der Voraussetzung beruht, dass die Bürger einer wohlgeordneten Gesellschaft „dieselbe umfassende Lehre vertreten, die Aspekte des Kantischen umfassenden Libera-
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lismus aufweist, zu dem die Grundsätze der Gerechtigkeit als Fairness gehören könnten“ (Rawls 1998: 39). Bei konsequenter Verwirklichung der genannten Gerechtigkeitsgrundsätze könne diese Voraussetzung jedoch nicht mehr als gegeben angenommen werden, ebensowenig wie die Annahme, alle Bürger vertreten dieselbe religiöse Lehre, sondern das „Faktum des vernünftigen Pluralismus“ müsse akzeptiert werden. Dies bedeutet die Anerkennung dessen, dass eine moderne demokratische Gesellschaft nicht einfach durch einen Pluralismus umfassender religiöser, philosophischer und moralischer Lehren gekennzeichnet ist, „sondern durch einen Pluralismus zwar einander ausschließender, aber gleichwohl vernünftiger umfassender Lehren“ (ebd. 12).94 Dieser Pluralismus sei das natürliche Ergebnis des Gebrauchs der menschlichen Vernunft innerhalb des Rahmens der freien Institutionen einer konstitutionellen Demokratie und somit ein „dauerhaftes Merkmal der öffentlichen Kultur einer Demokratie“ (ebd. 106). Allerdings lehne eine vernünftige umfassende Lehre die wesentlichen Merkmale einer demokratischen Ordnung nicht ab.95 Unvernünftige, irrationale und irrsinnige umfassende Lehren gelte es hingegen „so einzudämmen, dass sie nicht die Einheit und die Gerechtigkeit der Gesellschaft untergraben“ (ebd. 13). Während Rawls somit in der Theorie der Gerechtigkeit einem umfassenden Liberalismus, wie ihn Kant vertritt, sehr nahe ist, was sich im universellen Geltungsanspruch der Gerechtigkeitsgrundsätze niederschlägt, schränkt er in den darauf folgenden Jahren seinen Anspruch an die Idee des politischen Liberalismus ein. Dieser sei „keine Form des Liberalismus der Aufklärung, das heißt keine umfassende liberale und häufig säkulare, auf die Vernunft gegründete Lehre“ (ebd. 36), denn eine solche könne angesichts der Vielfalt an vernünftigen umfassenden Lehren keinen Absolutheitsanspruch erheben. Es gebe keine allgemeingültigen Antworten auf grundlegende Fragen der moralischen Epistemologie und Psychologie. Ein dauerhaftes gemeinsames Verständnis solcher Fragen könnte nur durch den repressiven Gebrauch der Staatsgewalt aufrechterhalten werden (Rawls 1998: 107). Die Aufgabe des politischen Liberalismus bestehe lediglich darin, „eine politische Gerechtigkeitskonzeption für eine konstitutionelle Demokratie auszuarbeiten, die von einer Vielzahl vernünftiger religiöser und nicht-religiöser, liberaler und nicht-liberaler Lehren freiwillig bejaht werden 94 Dies sind solche, die das Ergebnis unserer theoretischen wie praktischen Vernunft sind und normalerweise in einer intellektuellen oder doktrinalen Tradition stehen. Nicht alle vernünftigen umfassenden Lehren seien liberale Lehren, besonders im Fall religiöser Lehren. 95 „Vernünftige Personen sehen ein, dass die Bürden des Urteilens (Beschränkungen der Argumentationsfähigkeit, des Wissens etc.; Erl. der Verfasserin) dem, was vernünftigerweise anderen gegenüber gerechtfertigt werden kann, Grenzen setzen, und deshalb stimmen sie irgendeiner Form der Gewissensfreiheit und der Gedankenfreiheit zu. Es wäre unvernünftig von uns, politische Macht, falls wir allein oder zusammen mit anderen dazu in der Lage sind, dazu zu nutzen, nicht unvernünftige umfassende Ansichten zu unterdrücken“ (Rawls 1998: 136).
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kann; eine Konzeption, mit der diese Lehren unbeeinträchtigt leben und deren Tugenden sie verstehen können“ (ebd. 36). Doch genüge es nicht, dass diese Lehren eine demokratische Ordnung im Sinne eines bloßen modus vivendi akzeptierten, sondern sie müssten als Mitglieder einem „übergreifenden Konsens über eine für einen Verfassungsstaat geeignete politische Gerechtigkeitskonzeption“ (ebd. 299) jeweils von ihrem eigenen Standpunkt aus zustimmen. Erst auf dieser Grundlage könne eine wohlgeordnete Gesellschaft eine Einheit bilden und stabil sein. Die Grundstruktur einer gerechten und stabilen Gesellschaft von freien und gleichen Bürgern werde somit „von einer politischen Gerechtigkeitskonzeption wirksam reguliert, die im Schnittpunkt eines vernünftigen übergreifenden Konsenses zumindest derjenigen vernünftigen umfassenden Lehren liegt, die von ihren Bürgern bejaht werden“ (ebd. 119). Er nimmt an, „dass in einem übergreifenden Konsens jeder Bürger idealerweise sowohl eine umfassende Lehre als auch die im Schnittpunkt liegende politische Konzeption bejaht, die beide irgendwie aufeinander bezogen sind“ (ebd. 15). Das Faktum des vernünftigen Pluralismus bringe es mit sich, dass es mehrere vernünftige politische Gerechtigkeitskonzeptionen gebe, die zum Gegenstand eines übergreifenden Konsenses werden können. Gerechtigkeit als Fairness, die in der „Theorie der Gerechtigkeit“ (1975) vorgestellte politische Konzeption von Gerechtigkeit, sei nur eine unter mehreren in der Familie vernünftiger politischer Gerechtigkeitskonzeptionen. Für jede dieser Konzeptionen gelte jedoch die Notwendigkeit des öffentlichen Vernunftgebrauchs. Damit Bürger, die untereinander zutiefst uneins über religiöse, philosophische und moralische Lehren bleiben, eine gerechte und stabile Gesellschaft bewahren können, sei es wünschenswert, „dass die umfassenden philosophischen und moralischen Auffassungen, auf die wir in Auseinandersetzungen über grundlegende politische Probleme zurückzugreifen pflegen, sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. (…) Der politische Liberalismus zielt demnach auf eine Konzeption politischer Gerechtigkeit als freistehender Auffassung“ (Rawls 1998: 75).
Umfassende Lehren – religiöse, philosophische und moralische – gehörten zu dem, „was wir die ‚Hintergrundkultur’ einer Zivilgesellschaft nennen können. Dies ist die Kultur des Sozialen, nicht des Politischen“ (Rawls 1998: 79). Diesen gegenüber soll die öffentliche Sphäre neutral sein; in der politischen Arena sollten lediglich Probleme, die wesentliche Verfassungsinhalte oder grundlegende Fragen der Gerechtigkeit betreffen, behandelt und möglichst unter Berufung auf einen Kern ausschließlich politischer Werte gelöst werden, die den übergreifenden Konsens der verschiedenen ideologischen und ethischen Perspektiven widerspiegeln. Treten diese in Konflikt mit anderen Werten, gebühre ihnen Vorrang. Dies wird damit gerechtfertigt, dass die Werte des Politischen sehr bedeutende
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Werte seien, da sie das Grundgerüst des sozialen Lebens und die grundlegenden Bedingungen politischer und sozialer Kooperation bestimmten. Unter diesen Kernwerten sind „die Werte der gleichen politischen und bürgerlichen Freiheiten, der fairen Chancengleichheit und der wirtschaftlichen Gegenseitigkeit sowie die sozialen Grundlagen gegenseitiger Achtung unter den Bürgern“ (ebd. 226). Zusammen verkörperten diese Werte das liberale Legitimitätsprinzip, dass politische Macht, da sie die kollektive Zwangsmacht freier und gleicher Bürger ist, nur so auszuüben sei, „dass alle Bürger sie im Lichte ihrer gemeinsamen menschlichen Vernunft anerkennen können“ (ebd.). In die Verfassungen liberaler demokratischer Regime eingeschrieben, sicherten diese liberalen Rechte den Rahmen der Demokratie selbst. Ein übergreifender Konsens ist somit mehr als ein modus vivendi und mehr als ein auf der Konvergenz von Eigen- und Gruppeninteressen beruhender Konsens darüber, bestimmte Autoritäten anzuerkennen oder sich an bestimmte institutionelle Regeln zu halten. Ein solcher Verfassungskonsens decke nur bestimmte grundlegende prozedurale Verfassungsgrundsätze und politische Verfahren eines demokratischen Staates ab (ebd. 249f). Die politischen Grundsätze und Ideale eines übergreifenden Konsenses hingegen nehmen grundlegende Ideen der Gesellschaft und der Person in Anspruch. Er gehe über Grundsätze zur Institutionalisierung eines demokratischen Verfahrens hinaus und schließe Grundsätze für die Grundstruktur als ganze ein, wie Gewissens- und Gedankenfreiheit sowie faire Chancengleichheit und das Abdecken bestimmter Grundbedürfnisse (ebd. 256). Der Gegenstand des Konsenses, die politische Gerechtigkeitskonzeption, sei eine moralische Konzeption, die wiederum aus moralischen Gründen bejaht werde (ebd. 236). Neben Vorstellungen über die Gesellschaft und Personen schließe sie auch politische Tugenden ein, durch welche die Gerechtigkeitsgrundsätze im menschlichen Charakter verankert und im öffentlichen Leben zum Ausdruck gebracht würden. Getragen von ihren umfassenden Lehren würden Bürger diese unterstützen. Die Befolgung des übergreifenden Konsenses werde somit gewährleistet „aufgrund des Ineinanderpassens der politischen Konzeption und der umfassenden Lehren und aufgrund der Anerkennung des hohen Wertes der politischen Tugenden“ (Rawls 1998: 265).96 Daher bliebe der Konsens selbst bei Veränderungen der politischen Machtverteilung zwischen verschiedenen Auffassungen stabil, wohingegen die Stabilität eines modus vivendi von Zufälligkeiten und einem Gleichgewicht relativer Kräfte abhänge (ebd. 236). An die96 Es gebe viele vernünftige umfassende Lehren, die mit den von einer politischen Gerechtigkeitskonzeption für eine demokratische Ordnung formulierten politischen Werten kompatibel sind. Diese könnten sich ganz unterschiedlich auf den übergreifenden Konsens beziehen. Er kann sich von ihnen ableiten (wie Kants Moralphilosophie), sich annähern (wie Benthams Utilitarismus) oder aufgrund einer Abwägung von Urteilen bejaht werden (Rawls 1998: 261).
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ser Stelle wird deutlich, dass es schwer ist, sich neben der Gerechtigkeit als Fairness andere politische Gerechtigkeitskonzeptionen vorzustellen, die den Anforderungen an Vernunftgebrauch und Inkorporierung dieser expliziten inhaltlichen Rechte und Tugenden entsprechen. Dies erschwert es jedoch, Rawls’ politischen Liberalismus von einem umfassenden Liberalismus zu unterscheiden.97 Trotzdem bekräftigt Rawls, dass die Konzeption der Gerechtigkeit als Fairness gegenüber verschiedenen Konzeptionen des Guten fair sei – oder genauer gegenüber den Personen, um deren Konzeptionen es sich handelt –, obwohl einige Konzeptionen als nicht zulässig beurteilt werden und obwohl nicht alle dieselben Chancen haben sich zu entwickeln (ebd. 279). Unfair wäre, wenn zum Beispiel ausschließlich individualistische Konzeptionen in einer liberalen Gesellschaft bestehen könnten oder wenn diese so dominant wären, dass Vereinigungen, die religiöse oder gemeinschaftsbezogene Werte vertreten, sich nicht entfalten könnten. So würde der umfassende Liberalismus Kants darauf zielen, die Werte der Autonomie und der Individualität als Ideal für viele, wenn nicht alle Lebensbereiche zu fördern. Der politische Liberalismus hingegen habe ein anderes Ziel und stelle geringere Anforderungen. Er fordere, dass zur Erziehung aller Kinder das Wissen um ihre Grund- und Bürgerrechte gehöre. „Darüber hinaus sollte ihre Erziehung sie darauf vorbereiten, uneingeschränkt kooperative Mitglieder einer Gesellschaft zu sein und sie zur Selbständigkeit befähigen. Auch sollten die politischen Tugenden gefördert werden, so dass sie wünschen, in ihren Beziehungen zur übrigen Gesellschaft faire Bedingungen sozialer Kooperation zu achten“ (Rawls 1998: 297). Rawls gibt zu, dass es eine Ähnlichkeit zwischen den Werten des politischen Liberalismus und den Werten der umfassenden liberalen Theorien von Kant und Mill gebe. Die Unterschiede zwischen einem umfassenden und einem politischen Liberalismus lägen im Anwendungsbereich und im Grad der Allgemeinheit, ihre Nähe wird jedoch anhand dieser konkreten Ansprüche an Erziehung wieder sehr augenscheinlich. Rawls nimmt zwar an, dass ein übergreifender Konsens niemals vollständig, sondern allenfalls annäherungsweise erreicht werde. Ein bloßer modus vivendi könne sich jedoch „im Laufe der Zeit zunächst in einen Verfassungskonsens und dann zu einem übergreifenden Konsens entwickeln“ (Rawls 1998: 261). Bürger handelten in Übereinstimmung mit Verfassungsregeln, je mehr sie „eine (durch Erfahrungen) begründete Sicherheit haben, dass andere sich ebenso daran halten werden. In dem Maße, in dem der Erfolg der politischen Konzeption anhält, gewinnen die Bürger zunehmend Vertrauen und Zuversicht zueinander“ (ebd.). 97 Rawls gibt zu, dass die politische Konzeption von Gerechtigkeit als Fairness, die aus dem Ideal freier und gleicher Personen in einer konstitutionellen Demokratie entwickelt wurde, „ceteris paribus für die Klasse der Konzeptionen im Fokus eines übergreifenden Konsenses (falls einer zustande kommt) typisch ist“ (ebd. 260, Hervorhebung im Original).
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Sobald ein Verfassungskonsens bestehe, müssten politische Gruppen das öffentliche Forum der politischen Diskussion betreten und, um eine Mehrheit zusammenzubekommen, schon aus rationalen Erwägungen die engeren Kreise ihrer eigenen Auffassungen verlassen und politische Konzeptionen entwickeln, mit deren Hilfe sie die von ihnen bevorzugten politischen Programme anderen gegenüber erklären und rechtfertigen können. Dadurch würden politische Gerechtigkeitskonzeptionen formuliert, die abgestimmt werden könnten und letztlich den Pluralismus in einem für die jeweilige Gesellschaft geltenden übergreifenden Konsens zusammenhielten (ebd. 255-257). Der demokratische Verfassungsstaat benötigt nach Rawls’ Ansicht eine ganze Reihe von wichtigen Tugenden: Toleranz, Bereitschaft zum Entgegenkommen, Vernünftigkeit und Fairness (ebd. 157). Gemeint sind also die politischen Tugenden, die das Ideal einer guten Bürgerin ausmachen, was sehr stark an den klassischen Republikanismus erinnert, solange dieser nicht als umfassende religiöse, philosophische oder moralische Lehre aufgefasst wird. Denn Rawls lehnt es ab, eine Konzeption des höchsten Gutes in einem aktivistischen politischen Leben zum Maßstab einer politischen Theorie zu machen. Es müsse auch ein Recht der Bürgerin geben, von den Anstrengungen und Belastungen der Partizipation entlastet zu werden. In der Rawlsschen Tugendlehre geht es eher darum, dass die Tugenden der Kooperation einigermaßen, nicht unbedingt vollständig verbreitet sind und von den Institutionen so weit wie möglich ermutigt werden, also ein sehr pragmatischer Ansatz gegenüber dem Motivationsproblem philosophischer Ethiken (vgl. Reese-Schäfer 1997: 627). Doch fragt Rawls selbst, ob Menschen einen hinreichend starken Gerechtigkeitssinn entwickeln, um sich den Institutionen einer politischen Gerechtigkeitskonzeption zu fügen. „Unter bestimmten Annahmen einer vernünftigen Psychologie des Menschen“, so seine Antwort, „und unter den normalen Bedingungen des menschlichen Lebens (entwickeln) diejenigen, die unter gerechten Institutionen aufwachsen, einen für deren Stabilität hinreichenden Gerechtigkeitssinn und ein begründetes Zugehörigkeitsgefühl zu ihnen“ (Rawls 1998: 230). Innerhalb einer gerechten Grundstruktur bildeten sich Charakterzüge und Interessen, bei denen der Gerechtigkeitssinn stark genug sei, um ungerechten Tendenzen entgegenzuwirken. Struktur wirke also ausreichend auf Kultur zur eigenen Stabilisierung – allerdings unter der Bedingung eines voraussetzungsvollen, rationalen, letztlich Kantischen Menschenbildes. Eine wohlgeordnete Gesellschaft ist somit eine, „in der alle Bürger dieselben Gerechtigkeitsgrundsätze akzeptieren und dies öffentlich voreinander anerkennen“, in der die Grundstruktur bekanntermaßen diesen Grundsätzen genügt, und in der die Bürger einen wachen Gerechtigkeitssinn haben, „der sie befähigt, Gerechtigkeitsgrundsätze zu verstehen, anzuwenden und in der Regel ihnen
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entsprechend (...) zu handeln“ (ebd. 300). Die Bürger haben durchaus ein gemeinsames Ziel von hoher Priorität, nämlich „gerechte Institutionen zu unterstützen und untereinander diesen gemäß in gerechter Weise zu handeln (...). Darüber hinaus mag die politische Gerechtigkeit unter Bürgern zu den grundlegenden Zielen gehören, auf die sie verweisen, um zu zeigen, welche Art von Personen sie sein wollen“ (ebd.). Das Ziel politischer Gerechtigkeit ist somit wichtiger Teil der nicht-institutionellen oder moralischen Identität der Bürger. Auch wenn dies aus Rawls’ Sicht keine Konzeption des Guten ist, kann ein derart substanzielles Verständnis politischer Gerechtigkeit durchaus als Referenzpunkt für Identifikation dienen. Denn eine wohlgeordnete demokratische Gesellschaft sei mehr als eine Vereinigung, da sie ein vollständiges und geschlossenes soziales System sei. Da sich die Gerechtigkeitsgrundsätze auf die Gestaltung der sozialen Welt richten, in der unser Charakter sowie unsere umfassenden Überzeugungen entstehen, müssten sie „in den Hintergrundinstitutionen der Zivilgesellschaft denjenigen Grundfreiheiten und Chancen einen Vorrang geben, die es uns allererst ermöglichen, freie und gleiche Bürger zu werden und unsere Rolle als Personen mit einem solchen Status zu verstehen“ (ebd. 112). Dies stellt wiederum die Frage, wie umfassend der übergreifende Konsens und damit letztlich die durch ihn begründete Gemeinschaft ist. Jede Gesellschaft enthalte unzählige soziale Gemeinschaften verschiedenster Art. Eine wohlgeordnete Gesellschaft sei selbst „eine soziale Gemeinschaft sozialer Gemeinschaften“ (a social union of social unions) (Rawls 1975: 572). Da wir in der politischen Sphäre Zwangsmitglieder seien, müsse sich die Gemeinschaftsorientierung hier allerdings zurückhalten.98 Sie sollte lediglich die Möglichkeit solcher Vergemeinschaftungen garantieren und eventuell ermutigen. Hieraus schließt ReeseSchäfer: „Rawls ist also ein Kommunitarier der freiwilligen Assoziationen in der Sphäre der privaten, der künstlerischen und wissenschaftlichen Gemeinschaftlichkeit. Er ist aber in der politischen Sphäre ein strikter Liberaler“ (1997: 630f). Rawls selbst betont, dass eine wohlgeordnete demokratische Gesellschaft keine Gemeinschaft sei, „wenn wir darunter eine Gesellschaft verstehen, die von einer gemeinsamen umfassenden religiösen, philosophischen oder moralischen Lehre gelenkt wird. (…) Wenn man sich eine Demokratie als eine Gemeinschaft im angegebenen Sinne vorstellt, 98 Schon in der „Theorie der Gerechtigkeit“ fragte sich Rawls selbst, ob die Vertragstheorie ein befriedigendes Verständnis der Gemeinschaftswerte möglich machte (1975: 565). Rawls versteht unter der Gemeinschaftsorientiertheit der Menschen weitaus mehr als eine Bedingung zur Entwicklung der Sprech- und Denkfähigkeit und zur Teilnahme an gesellschaftlichen und kulturellen Aktivitäten. Denn schon die Vorstellungen unserer Ziele und Güter, die wir anstreben, setzten „eine soziale Situation wie auch ein Ideensystem voraus, das das Ergebnis der gemeinschaftlichen Anstrengungen einer langen Tradition ist“ (ebd. 567).
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Rawls hält somit die Idee einer politischen Gemeinschaft für unbrauchbar und gefährlich. Andere Arten von Gemeinschaft sind seiner Meinung nach aber durchaus wichtig und auch realisierbar: „erstens in den verschiedenen Vereinigungen, deren Aktivitäten im Rahmen der Grundstruktur bleiben, und zweitens in den Vereinigungen, die über die Grenze der Nationalstaaten hinausreichen, wie Kirchen und wissenschaftliche Organisationen“ (ebd. 387). Gemeinschaftsdenken und Gemeinschaftsempfinden wird also in Bereiche unterhalb und jenseits des Politischen verlagert.99 Rawls’ Definition von Gemeinschaft weicht allerdings deutlich von der in dieser Arbeit erarbeiteten Konzeption ab. Nach Rawls sei eine Gemeinschaft „per definitionem eine besondere Art von Vereinigung, nämlich eine, die durch eine umfassende Lehre vereinigt wird, zum Beispiel eine Kirche“ (ebd. 111). Nur wenn man politische Gemeinschaft so versteht, dass für ihre Einheit die Zustimmung zu ein und derselben umfassenden Lehre notwendig ist, kann man mit Rawls postulieren, dass „der repressive Gebrauch der Staatsgewalt eine notwendige Bedingung für eine politische Gemeinschaft“ (ebd. 107) ist. Angesichts der formalen Bedingungen einer Gemeinschaft ist es jedoch nicht plausibel, weshalb eine politische Gemeinschaft nur dann entstehen sollte, wenn eine umfassende Lehre in Rawls’ Sinn sie verbindet. Grenzziehung, interne Gemeinsamkeiten und vor allem die notwendigen kognitiven und emotionalen Prozesse bei den Mitgliedern können Gemeinschaft bei Vereinigungen stiften, die zunächst rein instrumentelle Ziele haben oder auch in anderer Hinsicht keine umfassende Lehre beinhalten. Die Besonderheit seiner Definition wird besonders deutlich, wenn er Familien den Gemeinschaftscharakter abspricht, da sie keine umfassende Lehre beinhalteten, während die Familie bei allen soziologischen Klassikern als der Urtyp von Gemeinschaft gilt. Ganz im Gegensatz zu seinem eigenen Postulat und entgegen der allgemeinen liberalen Gemeinschaftsskepsis kann man fragen, ob Rawls’ „wohlgeordnete Gesellschaft“, in der alle Mitglieder dieselbe Gerechtigkeitskonzeption teilen, nicht in einem Maße moralisch integriert ist, das mit dem von Grund auf konfliktiven Charakter moderner Gesellschaften unverträglich ist (vgl. Haus 2003: 142; im Anschluss an Dubiel 1994). Einigen liberalen Theoretikern, wie Charles 99 Zumindest nach Reese-Schäfers (1997: 631f) Interpretation; andere hingegen sehen wie Kersting (1993) in Rawls’ Entwicklung eine Konversion zum kommunitaristischen Denken.
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Larmore und Bruce Ackerman, ist Rawls’ Anspruch an Konsens dementsprechend auch zu hoch. Sie wollen liberalen Gesellschaften bloß einen modus vivendi als normativen Kern zugrundelegen, also „den Bürgern moderner Staaten nur noch die Anerkennung jener Rechte und Verfahrensregeln abverlangen, die die friedliche Koexistenz und die Verfolgung privater Interessen sicherstellen“ (Dubiel 1994: 108). Erst bei einer solchen Vereinigung könnte man kaum von politischer Gemeinschaft sprechen, Rawls’ Entwurf hingegen begründet deutlich eine liberale politische Gemeinschaft. Im Gegensatz zur liberalen Tradition, die der Vertragstheorie von Thomas Hobbes folgt und Gerechtigkeitsprinzipien als Wahl rationaler Egoisten betrachtet, integriert Rawls die Moraltheorie von Immanuel Kant, indem die Gerechtigkeitsprinzipien von einem allgemeinen Gesichtspunkt aus gewählt werden, denen jede Bürgerin aufgrund ihrer Vernunft zustimmen kann. Einsicht in Gerechtigkeitsprinzipien ist in dieser Konzeption die Grundlage politischer Gemeinschaft. Uneingeschränkter Egoismus hingegen ist nach Rawls nur mit libertären Modellen vereinbar, in denen zwischen den Individuen Konkurrenz herrscht und jeder seines Glückes Schmied ist, also ausschließlich selbst für seine Lage verantwortlich ist. An einer libertären Position kritisiert er jedoch, dass Freiheitsgarantien bloß formal seien: in einer rein formalen konstitutionellen Ordnung würden übergroße soziale und ökonomische Ungleichheiten zugelassen, was demokratische Stabilität verunmögliche (Rawls 1998: 59). Der Liberalismus Rawlsscher Prägung baut zwar auch auf der Konkurrenz der Individuen auf, ebenso aber auf der Einsicht in die Notwendigkeit einer gewissen Verantwortung des Staates dafür, die fairen Rahmenbedingungen der Chancengleichheit zu sichern – mit weitreichenden Konsequenzen für die Organisation der Binnenstruktur der politischen Gemeinschaft. Der klassische Liberalismus erfuhr eine Veränderung hin zum politischen Liberalismus, dessen wichtigster Vertreter John Rawls erörtert wurde. Auf der Basis von Eigentumsrechten und politischen Freiheitsrechten rückte verstärkt die Frage nach der Konzeption eines gerechten liberalen Staates als Rahmen demokratischer Prozeduren und Verfahren in den Mittelpunkt. Hierbei ist die wichtigste Vorstellung die der Neutralität des Staates. Angesichts des Faktums des Pluralismus könne ein demokratischer Staat nur dann stabil und gerecht sein, wenn er sich auf die politische Sphäre beschränkt und keine Aussagen darüber macht, wie ein gutes Leben aussehen soll. Auch wenn Rawls im Laufe der Jahre zunehmend Abstand vom Universalismus Kantscher Prägung nahm und seine zunächst als universal gültig gedachte Konzeption von Gerechtigkeit immer mehr auf eine bestimmte Gesellschaftstradition einschränkte, wurde seine Nähe zu diesen Wurzeln immer wieder deutlich. Sein Entwurf kann daher nach wie vor als Versuch einer universalistischen Codierung der Identitätskonstruktion der
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politischen Gemeinschaft aufgefasst werden, die auf den Werten individueller Autonomie und Chancengleichheit beruht. Dies sind – noch einmal zusammenfassend – die zwei grundlegenden Prämissen des Liberalismus: die Autonomie des Individuums, die die einzig legitimierbare Grenze individueller Freiheit nur im gleichen Anspruch des anderen sieht; und die Chancengleichheit: jeder soll die gleichen Chancen zur Selbstbestimmung haben, die durch eine differenz-blinde Rechtsordnung gesichert werden sollen. Problemen kultureller Vielfalt und dem allgemeinen weltanschaulichen Dissens in modernen pluralistischen Gesellschaften begegnen liberale Theorien insgesamt mit dem Versuch, Fragen des guten Lebens aus dem politischen Bereich auszuklammern. Durch die Abstraktion von den verschiedenen Sichtweisen des guten Lebens soll ein überlappender Konsens hinsichtlich der politischen Konzeption von Gerechtigkeit erreicht werden. Dieser Konsens soll aufgrund seiner Konstruktion nicht durch Interessen charakterisiert sein, sondern durch Einverständnis und Akzeptanz aus moralischen Gründen. Eine politische Gemeinschaft entsteht somit durch den Zusammenschluss von Bürgern, die zur Sicherung der Autonomie und Chancengleichheit einen Vertrag hinsichtlich der politischen Konzeption von Gerechtigkeit abschließen und diesen Konsens aus moralischer Einsicht aufrechterhalten. 4.2 Republikanisches Modell politischer Gemeinschaft Das kontrastierende Modell zum liberalen Verständnis politischer Gemeinschaft ist ein Patriotismus, der auf starker Identifikation der Bürger mit der Gemeinschaft nicht nur auf politischer, sondern auch auf kultureller Grundlage ruht – wie in den meisten republikanischen Demokratietheorien. Patriotismus ist mehr als übereinstimmende moralische Prinzipien: es ist die gemeinsame Treue gegenüber einer bestimmten historischen Gemeinschaft (Taylor 1993: 115) und somit ein partikularistischer oder traditionaler Code der Identitätskonstruktion. Als klassisches Modell der Demokratie beinhaltet der Republikanismus100, anknüpfend an antike Vorbilder, ein Modell des Gemeinwesens, das die aktive Teilhabe aller Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten in den Mittelpunkt stellt: Die Sicherung demokratischer Freiheiten verlange die aktive Beteiligung von Bürgern, die die notwendigen Tugenden besitzen (vgl. Tocqueville 1987 (1835)). Zu einem so verstandenen Republikanismus stehe nach Rawls die Konzeption der Gerechtigkeit als Fairness in keinem grundsätzlichen Gegensatz. „Es mögen allenfalls gewisse Differenzen in Fragen der Ausgestaltung von Instituti100
Zum Republikanismus als ideengeschichtliche Quelle vgl. Held (1997: 36-69), Niesen (2001), Buchstein/ Schmalz-Bruns (1994: 302-308).
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onen und der politischen Soziologie demokratischer Staaten bestehen“ (Rawls 1998: 304). Der klassische Republikanismus setze keine umfassende religiöse, philosophische oder moralische Lehre voraus, so dass er nicht mit dem von Rawls vorgestellten politischen Liberalismus unvereinbar sei. In einer starken Variante des Aristotelismus stützt sich das republikanische Gemeinwesen jedoch auf ein Ethos der Bürgerehre, das der Bürgerin nicht nur bestimmte Tugenden abverlangt, sondern auch von ihr erwartet, dem Schicksal der politischen Gemeinschaft den obersten Rang auf der Liste ihrer persönlichen Prioritäten einzuräumen. Der Mensch wird als ein soziales, ja politisches Lebewesen – als zoon politikon – verstanden, das erst dann seiner Natur entsprechend erfüllt leben kann, wenn es sich politisch beteiligt.101 Während der Mensch im Liberalismus als Rechtsperson betrachtet wird, ist er im Republikanismus vor allem aktiver Bürger, wobei von ihm Tugendhaftigkeit in seinen Einstellungen, Handlungen und Urteilen erwartet wird. Der Mensch könne sein innerstes Wesen nur in einer demokratischen Gesellschaft mit einer breiten und aktiven Beteiligung am politischen Leben vollständig verwirklichen; demokratische politische Partizipation wird als Pflicht102, unabdingbare Voraussetzung für Freiheit und bevorzugter Ort für ein gutes Leben betrachtet. In dieser Tradition vertritt Hannah Arendt (1958) die Auffassung, dass Freiheit und Weltzugewandtheit, die am besten in der Politik verwirklicht würden, die einzigen Werte seien, die das menschliche Leben aus dem endlosen Kreislauf der Natur befreien und es lebenswert machten.103 Damit handelt es sich bei dieser Form des Republikanismus um eine spezifische Konzeption des guten Lebens, oder mit Rawls’ Worten um eine umfassende Lehre, die zu einem politischen Liberalismus im Gegensatz steht (Rawls 1998: 305).104
101 Nach Aristoteles (Politika III, 6 (1995)) ist die Grundbestimmung des Menschen, da er ein zoon politikon sei, das Zusammenleben mit anderen; nur so verwirkliche er seine Natur, die ihn im Gegensatz zu den Tieren mit Sprache ausgestattet hat und damit mit der Möglichkeit, sich Vorstellungen von Recht und Unrecht zu machen und mit anderen auszutauschen. Der Staat wiederum ist für Aristoteles der Zusammenschluss kleinerer Gemeinschaften zu einer großen, die das Ziel der Selbstgenügsamkeit, der Autarkie, erfüllt. Entstanden aus der logischen Folge wachsender Gemeinschaften (Familie – Hausgemeinschaft – Dorf – Polis) bestehe der Staat als natürliche Einheit zur Ermöglichung eines vollkommenen Lebens. 102 Für Republikaner sind Rechte nicht Vorbedingung, sondern Produkt des politischen Prozesses, was zur Beteiligung verpflichtet: „They believe the moral framework of politics to be defined by a duty to participate in collective decision-making and to take the views of one’s fellow citizens seriously, rather than a right to participation that one may or may not exercise” (Bellamy 2000: 177). 103 Ausführlicher zu Arendts Betonung des Vorrangs der Politik vgl. Kateb 1984: Kap. 1. 104 Das aristotelische Erbe wird besonders in kommunitaristischen Argumentationen wieder deutlich.
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Neben der Traditionslinie der antiken griechischen Philosophie gilt als grundlegender Vordenker dieser Demokratieschule der Neuzeit Rousseau.105 Dieser ging über die Naturrechtslehre des 17. Jahrhunderts hinaus, indem er die These von der Annahme eines Herrschaftsvertrages radikal ablehnte und als entscheidenden Ausgangspunkt für die Staatsbildung allein den Gesellschaftsvertrag erachtete. Dabei ist auch in Rousseaus Gesellschaftskonzeption das Individuum zunächst der Ausgangspunkt.106 Individuelle Freiheit als Freisein von Fremdbeherrschung kann es nach Rousseau in der Gesellschaft nur geben, wenn der Wille des Individuums in allen Angelegenheiten, die auch andere betreffen, mit dem Willen aller anderen und somit dem Willen der Gesamtheit identisch ist (vgl. Göhler 2007: 258). Der Gesellschaftsvertrag soll eine Gesamtheit von Individuen zu einer moralischen und politischen Ganzheit verschmelzen. Das Einzelinteresse, die volonté particulière, ist zwar gerechtfertigt, jedoch hat die volonté générale, das gesellschaftliche Gesamtinteresse und Herzstück des Gesellschaftsvertrages, im Kollisionsfall Vorrang. Individual- und Allgemeinwillen sollten jedoch möglichst weitgehend deckungsgleich sein. Dank der Identifikation mit dem Allgemeinwillen als einer vernünftig-sittlichen Wirklichkeit bewahre das Individuum seine Freiheit.107 Rousseaus staatstheoretisches Bestreben ist es daher, dieses Ziel durch entsprechende Institutionen, verfassungsrechtliche Grundsätze und eine tiefgreifende nationale Erziehung zu erreichen. Die Essenz des Gesellschaftsvertrags fasst er wie folgt: „Jeder von uns stellt gemeinschaftlich seine Person und seine ganze Kraft unter die oberste Leitung des Allgemeinwillens, und wir nehmen jedes Mitglied als untrennbaren Teil des Ganzen auf“ (Rousseau 1977 (1762): I,6). Der Gesellschaftsvertrag schließe eine gegenseitige Verpflichtung zwischen dem Gemeinwesen und den einzelnen in sich ein. Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Souverän und Staat, also zwischen dem Volk und den Staats- oder Grundgesetzen einer Staatsordnung, die die Regierungsform bestimmen, ist er der Meinung, ein Volk sei, „wie immer die Dinge stehen mögen, stets Herr seiner Gesetze und berechtigt, sie zu ändern, 105
Andere republikanische Diskurse, von Machiavelli bis zu einigen Autoren der Federalist Papers (vgl. Pockock 1975; Münkler 1996), sind weniger radikal-demokratisch als Rousseaus Vorstellungen einer direkt-partizipatorischen Demokratie. Zur möglichst klaren Kontrastierung mit dem Liberalismus besonders hinsichtlich der jeweils notwendigen sozio-moralischen Voraussetzungen wird hier nur Rousseau behandelt. 106 Bereits in seiner zweiten „Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen“ (1755) ging er beim Naturzustand vom vereinzelt lebenden Individuum aus. 107 Dies ist im Sinne eines idealen Maximalprogramms gedacht. In den Auftragswerken „Projet de Constitution pour la Corse“ (1764) und „Considérations sur le grouvernement de Pologne“ (1772) geht er von den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen in diesen Ländern aus und orientiert sich bei den vorgeschlagenen Reformen an den im Gesellschaftsvertrag entwickelten Prinzipien. In diesen Verfassungsentwürfen verwandelte er sein Maximalprogramm aufgrund der gegebenen staatlich-moralischen Verhältnisse in ein differenziertes und steigerungsfähiges Minimalprogramm.
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selbst wenn es die besten wären“ (II,12). Hinsichtlich des Verhältnisses der Glieder untereinander und zwischen ihnen und dem Staat fordert er, die Beziehung müsse im ersten Fall so begrenzt und im zweiten Fall so ausgedehnt wie möglich sein, „so dass jeder Bürger unabhängig von allen andern, von der Polis aber im höchsten Maße abhängig ist; beides wird stets durch dieselben Mittel erreicht, denn nur die Stärke des Staates macht die Freiheit seiner Glieder aus“ (II,12). Hierauf gründen die bürgerlichen Gesetze und ein Staat, der in hohem Maße vom Willen der Bürger abhängt. Rousseau betont darüber hinaus eine andere Art von Gesetzen, die „in die Herzen der Bürger eingeschrieben wird. Sie bildet die wahre Verfassung des Staates; sie gewinnt jeden Tag neue Kraft; (...) sie erhält ein Volk im Geiste einer verfassten Ordnung und setzt unmerklich die Macht der Gewohnheit an die Stelle der Staatsmacht“ (II,12). Rousseau spricht hier „von den Sitten und Gebräuchen und vor allem von der öffentlichen Meinung“ (ebd.). Daher verwundert es nicht, dass er besonders ein solches Volk als geeignet erachtet, Gesetze zu empfangen, „das durch gemeinsame Herkunft, durch Interessen oder Verträge bereits geeint ist, ohne das wahre Joch der Gesetze jemals getragen zu haben“ (II,10). Um die gesellschaftlichen Bande des staatlichen Gemeinwesens festigen zu helfen, greift Rousseau auch auf die Religion zurück. Er spannt alle ideologischen Mittel ein, die seines Erachtens dem gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen können. Dabei werden bestehende Religionen auf ihre politische Zweckmäßigkeit hin geprüft. Im Gesellschaftsvertrag verlangt er, dass sich möglichst jeder Staatsbürger zu einer Religion bekennen solle, „die ihn seine Pflichten liebgewinnen lässt. Die Glaubenssätze dieser Religion gehen dagegen den Staat und dessen Glieder nur insofern etwas an, als sie die Moral und die Pflichten betreffen, die derjenige, der sich zu ihnen bekennt, gegenüber seinem Nächsten zu erfüllen hat. Sonst kann jeder glauben, was er will, ohne dass dem Souverän das Recht zusteht, sich danach zu erkundigen“ (IV,8).
Die von ihm angedachte Zivilreligion beinhaltet also kein in sich geschlossenes System religiöser Dogmen, sondern erstreckt sich darauf, durch metaphysische Abstützung das gesellschaftliche Zusammenleben nach den Vorgaben des Allgemeinwillens zu fördern. Die Notwendigkeit uneingeschränkter Toleranz wird hingegen abgelehnt. Damit ist das republikanische Modell normativ sehr anspruchsvoll. Gemeinschaftliche Werte haben eine zentrale Rolle und genießen im Zweifelsfall Vorrang vor der individuellen Freiheit. Das Verhältnis zwischen den Individuen ist ein solidarisches und solidarisch nehmen sie ihr Leben selbst in die Hand. Somit unterscheidet sich das republikanische gegenüber dem liberalen Modell zusätzlich durch eine anti-staatliche und anti-paternalistische Grundhaltung. Die gemeinschaftlichen Werte sollen gerade nicht durch den Staat, und somit stell-
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vertretend für die Bürger umgesetzt werden, sondern durch die Gemeinschaft der Bürger selbst. Partizipation und Selbstorganisation der Bürger in lokalen Einheiten ist ein wesentliches Postulat republikanischer Demokratietheorien. So geht Rousseau davon aus, dass der – von ihm prä-politisch und prä-diskursiv verstandene – Allgemeinwille unteilbar ist. Er könne nur gefunden werden, wenn alle Staatsbürger selbst bei einer Abstimmung entscheiden dürfen. Daher dürfe es keine Repräsentation geben, da diese die Zahl derjenigen, die faktisch abstimmen, reduziere und so die Realisierung des Allgemeinwillens verunmögliche. Ebensowenig dürfe es Parteien oder Parteiungen geben, da sie die Zahl der Meinungen darüber, was der Allgemeinwille ist, reduzieren. Letztlich muss die Souveränität beim Volk in seiner Realpräsenz bleiben, Gewaltenteilung ist kein wünschenswertes Prinzip. Zentrale Überzeugung dieser bürgerlich-humanistischen Tradition, wie sie Taylor (2002) bezeichnet, ist somit, dass jede freie Regierungsform einer starken Identifikation von Seiten ihrer Bürger bedürfe – etwas, das Montesquieu „vertu“ nannte. „Die Bürger müssen die Pflichten auf sich nehmen – manchmal sogar unter persönlichen Opfern –, die die Pflege ihres Gemeinwesens mit sich bringt“ (Taylor 2002: 15). Die Bereitschaft zu einem solchen Engagement kann natürlich in einer freien politischen Gemeinschaft nicht erzwungen werden, sondern die Bürger müssen es selbst wollen. Dies setzt aber voraus, „dass die Bürger einen starken Sinn für die Zugehörigkeit zu ihrem Gemeinwesen haben, ja dass sie im äußersten Fall dazu bereit sind, für es zu sterben. Kurz, sie müssen etwas besitzen, das man bis ins 18. Jahrhundert hinein ‚Patriotismus’ nannte“ (ebd. 16). In der Tat kann sich Rousseaus Idee des Allgemeinwillens auf wirkliche Erfahrungen berufen. Ein starkes Gemeinschaftsgefühl entwickelt sich, wenn Bürger ein gemeinsames Ziel verfolgen und bei dessen Durchsetzung ihre Stärke empfinden sowie sich als Menschen achten, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Dies ist häufig dann der Fall, wenn sich Bürger gegen eine Diktatur organisieren: „In dieser Kampfsituation wird Rousseaus Idee Wirklichkeit. Die Beteiligten überwinden die Differenzen, die sie sonst trennen, sie sind sich der Bedeutung ihres gemeinsam angestrebten Zieles bewusst und haben das berechtigte Gefühl, dass dieses Ziel zu erreichen ein Sieg für den Anspruch auf Selbstregierung wäre“ (ebd. 18). Die Voraussetzung einer solch kooperativen Selbstregierung und Solidarität ist im Grunde eine gemeinsam geteilte Konzeption des Guten, gemeinsam geteilte ethische Vorstellungen (vgl. Fuchs 99a: 8). Eine republikanische Gemeinschaft ist daher eine ethisch homogene Gemeinschaft, in der wenig Raum für Differenzen ist. Aufgrund dieser substanziellen Füllung von Gemeinschaft finden sich auch durchaus totalitäre oder zumindest antifreiheitliche Momente im Werk Rousseaus. Das gleichheitsinspirierte Partizipationsideal enthält Aspekte, die Freiheit unterminieren, da es die Bürger dazu
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nötigt, sich politisch zu beteiligen. Außerdem wird im Ergebnis ein staatlicher Paternalismus ermöglicht, der darüber entscheidet, welche Entscheidungen angeblich dem Gemeinwohl dienen. Vor diesem Hintergrund macht Taylor als den „geschichtsmächtigsten Erben der politischen Ideen Rousseaus“ (Taylor 2002: 17)108 den Marxismus aus, besonders in seiner leninistischen Variante. Ihm liege die Überzeugung zugrunde, dass die Überwindung der Klassengesellschaft schließlich die Harmonie der Interessen zum Vorschein bringen würde. Der Allgemeinwille des Proletariats trüge es in eine auf Herrschaftsfreiheit angelegte Gesellschaft.109 Diese Vorstellung habe der Leninismus allerdings mit der verhängnisvollen Idee der Partei als Avantgarde des Proletariats verbunden. Sie habe im Namen der Arbeiterklasse gesprochen, als ob sich diese durch eine einzige Zielsetzung auszeichnete, die von der Partei zu artikulieren und zu verwirklichen wäre – was Rousseaus Ideen und vor allem seiner Ablehnung von Repräsentation deutlich widerspricht.110 Generell übersieht eine zu starke Betonung von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeitsgefühl, dass Menschen und Gruppen die meiste Zeit Ziele verfolgen, die einander widersprechen, dass sie unterschiedliche und bisweilen unvereinbare Interessen verfolgen und verschiedene Vorstellungen vom Gemeinwohl haben. Anstatt diese Differenzen und Rivalitäten zu leugnen und ihnen auszuweichen, müssen sie in einem demokratischen System auf eine bestimmte Weise ausgetragen werden. Die Momente, in denen eine ganze Gesellschaft die Euphorie eines gemeinsamen Willens teilt, sind selten; oft genug sind es gerade die tragischen Augenblicke in ihrer Geschichte. „Die Erfahrung des Gemeinwillens von Gruppen ist Teil des laufenden Kampfes um Zielsetzungen und kann nicht an seine Stelle treten“ (ebd. 18f). Taylor schließt hieraus: „Als Leitfaden für eine demokratische Gesellschaft ist das von Rousseau inspirierte Modell verheerend. Es spricht Differenzen, Konkurrenz und Streit ihre Legitimität ab. Da diese aber nur durch Repression abgeschafft werden können, sind alle Regime, die auf diesem Modell beruhen, Despotien“ (ebd. 19). 108 Rousseaus Idee des Gemeinwillens inspirierte eine ganze Reihe von Demokratieauffassungen, beispielsweise die Forderungen nach radikaler Partizipation, wie sie die Protestbewegungen der späten sechziger Jahre erhoben. Sie gingen von der Annahme aus, dass, wenn Einfluss und Macht bestimmter undemokratischer Interessen erst einmal gebrochen seien, eine bisher verborgene Einmütigkeit zutage treten würde, die jeden einzelnen in die für alle geltenden Bedingungen einer vollen Entfaltung der Gesellschaft einwilligen lassen würde. 109 So heißt es im Kommunistischen Manifest: „An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ (Marx/ Engels 1974 (1848): 482). 110 „So lebte die volonté générale im 20. Jahrhundert weiter in Gestalt von Regimen, die die Unterdrückung in wahrhaft gigantischen Dimensionen systematisierten. Jean-Jacques hätte das Grauen gepackt, wenn er erlebt hätte, was man aus seiner Idee gemacht hat“ (Taylor 2002: 18).
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Im Gegensatz zum Liberalismus und seinem methodologischen Individualismus geht der Republikanismus in der Regel von einem methodologischen Holismus aus, Basis allen Theoretisierens über das Politische ist die Gemeinschaft oder der Mensch innerhalb der Gemeinschaft. In dieser Perspektive wird betont, dass das Individuum konstitutiv auf soziale Beziehungen zu anderen Menschen angewiesen ist, wobei die Gemeinschaft unterschiedliche Facetten der individuellen Entwicklung unterstützt.111 Wird im Liberalismus rechtsförmig-prozessorientiert gedacht, steht daher im Republikanismus das Gemeinwohl im Mittelpunkt, das sich wiederum nicht aus dem politischen Prozess ergibt, sondern diesem substanziell vorgelagert ist (vgl. Schaal/Heidenreich 2006: 55f). Auch wenn die republikanische Demokratietheorie bisher dauerhaft noch nirgends realisiert wurde, entfaltet sie als Ideal immer wieder Dynamik. Die Erörterungen zum klassischen Republikanismus halte ich jedoch vor allem aufgrund seiner inhärenten Differenzfeindlichkeit bewusst kurz. Darüber hinaus sind subnationale Gemeinschaften, die auf der Suche nach demokratischer Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz eine entscheidende Rolle spielen, nicht explizit Gegenstand republikanischer Überlegungen. Einige republikanische Grundzüge kehren im nachfolgend behandelten Kommunitarismus wider, der den aktuellen Bedingungen eines ausgeprägten Pluralismus in heutigen Gesellschaften mehr Aufmerksamkeit widmet. Auch wenn eine trennscharfe Abgrenzung von republikanischen und kommunitaristischen Theoretikern nur schwer möglich ist, werden die Unterschiede spätestens bei der Erörterung eines kommunitaristischen Verständnisses von Multikulturalismus in Kapitel 5.2 deutlich zutage treten. 4.3 Kommunitaristisches Modell politischer Gemeinschaft In der Tradition des Republikanismus, aber gegen Totalitarismus und extremen Individualismus zugleich gewandt, sehen sich die Kommunitaristen.112 Das Erbe republikanischer Theorien – Demokratie habe einen Allgemeinwillen zur Voraussetzung, an dessen Artikulierung alle partizipieren und mit dem sich alle 111
Die gesellschaftliche Gemeinschaft ist von so zentraler Bedeutung, da sie zum einen menschliche Grundbedürfnisse wie Nähe, Wärme und Geborgenheit befriedigt, so dass ein Basisvertrauen entwickelt werden kann, das im späteren Leben den Umgang mit anderen erleichtert und dazu beiträgt, ein dichtes Netz reziproker sozialer Beziehungen aufbauen zu können. Darüber hinaus bietet sie Rollen an, die es erlauben, die eigenen Fähigkeiten auszubilden: Ohne die Vorstrukturierung des Möglichen bliebe ein jedes Wollen nur unbestimmt. Nicht zuletzt fungiert die Gemeinschaft nach der Familie als wichtigste Instanz der Sozialisation für die Vermittlung von zentralen Werten und Normen. 112 Zur Kommunitarismusdebatte vgl. Brumlik/ Brunkhorst (1993), Forst (1994), Honneth (1994), Zahlmann (1994).
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identifizieren – wurde von ihnen aufgegriffen und unter gegenwärtigen Bedingungen neu betrachtet. Allerdings gibt es kaum „den“ Kommunitarismus, der Begriff war zunächst eine Fremdzuschreibung113 und beinhaltet eine sehr vereinfachende Opposition. Es gibt jedoch einen gemeinsamen Argumentationskern der betreffenden Theoretiker: die Kritik an den in modernen Gesellschaften zunehmenden Individualisierungsprozessen und dem damit einhergehenden Verlust an Gemeinschaft114, welcher der hegemonial gewordenen liberalen individualistischen Fundierung westlicher Demokratien geschuldet sei (Taylor 2002). Der Liberalismus wird von Kommunitaristen dahingehend kritisiert, dass er eine verfahrensrechtliche Republik zur Folge habe, in der soziale Beziehungen von Rechts- und Fairness-Gesichtspunkten dominiert würden, während die öffentliche Diskussion von Kriterien des guten Lebens austrockne oder deren Resultate politisch nicht umgesetzt würden. In der liberalen Doktrin seien zwei Entwicklungstendenzen angelegt: „zum einen eine Tendenz, demokratische Spielräume zu verdrängen; zum anderen eine Tendenz, die Art von Gemeinschaft zu untergraben, von der sie nichtsdestotrotz abhängt“ (Sandel 1994: 33). Der Liberalismus wird also einerseits als Einschränkung republikanischer Selbstregierung und andererseits als sich selbst unterhöhlendes Projekt kritisiert. Im Vordergrund des Interesses steht somit die normative Frage nach den soziomoralischen Grundlagen moderner demokratischer Gesellschaften. In dieser Debatte geht es in erster Linie um das Verhältnis des „Rechten“ zum „Guten“ (vgl. Honneth 1994). Wie oben ausgeführt, argumentiert der Liberalismus, dass das Rechte Priorität besitze, da das normative Leitideal moderner, pluralistischer Gesellschaften nur die Gerechtigkeit sein könne. Das Besondere der jeweiligen Gemeinschaft von Bürgern eines Staates spiele nur eine untergeordnete Rolle. Genau hieran stört sich der Kommunitarismus in mehrfacher Hinsicht. Es sei gerade das Einzigartige jedes politischen Gemeinwesens, das nur für sich entscheiden könne, wie es leben will. Gerechtigkeitsvorstellungen könnten nicht losgelöst von der politischen Gemeinschaft identifiziert werden, sondern seien auch Resultat der jeweils partikularen kollektiven Identitäten und Kulturen. Entgegen Rawls, der davon ausging, dass es Grundgüter gebe, die jede vernünftige Konzeption des guten Lebens benötigt, wendet Walzer (1992a) ein, dass ein und dasselbe Gut durchaus unterschiedlich gewertschätzt wird. Da der Wert von Gütern sozial konstruiert sei, reiche ein einfaches Verständnis von Gleichheit nicht, sondern man brauche ein solches, das auf der in verschiedenen „Sphären der Gerechtigkeit“ je spezifischen sozialen Konstruktion des Wertes eines 113
Eine Fremdzuschreibung durch Liberale, durch die die Liberalismus-Kommunitarismusdebatte der 1970er und 1980er Jahre vor allem innerhalb der anglo-amerikanischen politischen Theorie erst richtig in Gang kam. 114 Die Betonung der Gemeinschaft (lat. communitas) brachte dieser Strömung ihre Bezeichnung.
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Gutes aufbaut. Daher könne Gerechtigkeit nur partikular und in Relation zu einer spezifischen Gemeinschaft und deren Kultur bestimmt werden. In Abgrenzung zur Moralbegründung durch Entdeckung wie in Religionen oder durch Erfindung wie bei Rawls präferiert Walzer daher eine interpretative Art der Moralbegründung. Das Verfahren der Moralinterpretation gebe den Anspruch auf, universal gültige Normen zu begründen.115 Es werde nicht versucht, einen außergesellschaftlichen Standpunkt zu beschreiben, von dem aus sich neue Normen erfinden lassen, sondern man gehe von den vorhandenen moralischen Überzeugungen der Gesellschaftsmitglieder aus. Walzer selbst geht allerdings darüber hinaus, lediglich auf den Bestand an Moralvorstellungen als Rechtfertigungsgrundlage zurückzugreifen. Er postuliert, es sei Aufgabe der Gesellschaftsmitglieder, die besonderen moralischen Traditionen, die in der Gesellschaft wirksam sind, einer rationalen Deutung zu unterziehen, was seine liberale Grundhaltung zum Vorschein bringt. Das Ausmaß, in dem die moralischen Traditionen aller Gesellschaftsmitglieder berücksichtigt und einer rationalen Deutung unterzogen würden, bestimme den in dieser Gesellschaft bestehenden Anpassungs- und Homogenisierungsdruck. Während also der Liberalismus an universelle Gerechtigkeitsstandards glaubt – oder in einer abgeschwächten Form wie bei Rawls’ politischem Liberalismus zumindest davon ausgeht, dass in allen westlichen Demokratien grundsätzlich ähnliche (intuitive) Prinzipien der Gerechtigkeit gelten – sucht der Kommunitarismus nach den partikularen Vorstellungen von Gerechtigkeit in den jeweiligen politischen Gemeinschaften.116 Die unterschiedliche Einschätzung des Verhältnisses des Rechten zum Guten schlägt sich auch in der Frage nach dem angemessenen Verständnis der politischen Gemeinschaft nieder. Hier machte Sandel einen zentralen Punkt in seiner umfangreichen Kritik am Liberalismus Rawlsscher Prägung fest: Eine Auffassung von Gerechtigkeit, die die Solidarität der Bürger in Anspruch nimmt, müsse auf einem stärkeren Verständnis von Gemeinschaft beruhen, als dies bei liberalen Theorien der Fall sei (Sandel 1982: 147-154). Nur eine konstitutive Sicht der Gemeinschaft könne diesem Anliegen entsprechen und den selbstdestruktiven Tendenzen des Liberalismus entkommen, denn Zugehörigkeit sei ein konstituti115 Ein kulturimmanenter Rechtfertigungsmodus schließt universale Werte nicht a priori aus. Möglicherweise kann die Interpretation partikularer Moralvorstellungen eine Schnittmenge von Werten aufzeigen, die in allen Kulturen gleichermaßen anerkannt werden. Auf der Suche danach befinden sich bspw. Martha Nussbaum (1993) und Amartya Sen (2001). Diese Annahme scheint nicht unplausibel, denn Angehörige aller Kulturen haben zumindest die menschliche Natur gemeinsam. Alle haben elementare Bedürfnisse, deren Befriedigung sie Wert beimessen. Man kann daher erwarten, dass sich in allen Kulturen hierauf gerichtete normative Überzeugungen finden. Letztlich bleibt dies jedoch eine empirische Frage. 116 Dabei kann man zumindest Walzer keinen Relativismus vorwerfen, da er durchaus unabhängige (Meta-)Kriterien für das Maß an Gerechtigkeit in einer politischen Gemeinschaft besitzt.
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ves Moment der individuellen Identität. Nur wenn die Gemeinschaft als Zweck an sich und Zugehörigkeiten als intersubjektiv erworbene begriffen würden, so Sandel, verstoße auch die Inanspruchnahme persönlicher Fähigkeiten durch die Gemeinschaft nicht gegen den Selbstzweckstatus der Subjekte (ebd. 143f). Sollen sich im Wesentlichen als frei begreifende Mitglieder eine politische Gemeinschaft als konstitutiv für ihre Identität betrachten, müsse diese individuierend und Freiheit ermöglichend konzipiert werden. Die politische Freiheitsordnung müsse daher als Ausdruck einer Konzeption vom guten Leben verstanden werden, einer Konzeption, „in which the subject is empowered to participate in the constitution of its identity” (ebd. 152). Ein solches Ermöglichungskonzept skizziert Sandel (ebd. 154-161) im Anschluss an Taylors Handlungstheorie. Die Bildung der Identität eines Individuum durch Gemeinschaften sei als dialogischer Prozess zu verstehen: „The community is (...) constitutive of the individual in the sense that the self-interpretations which define him are drawn from the interchange which the community carries on“ (Taylor 1985: 8; vgl. auch Rosa 1999: 52). Die Gemeinschaften zugrundeliegenden gemeinsamen Bedeutungen seien unerlässlicher Bezugspunkt für bedeutungsvolles gemeinsames Handeln (Taylor 1985: 39). Gemeinschaften lieferten daher gemeinsame, der individuellen Selbst-Interpretation vorausliegende, dem dialogischen Prozess jedoch nicht prinzipiell entzogene Bewertungsstandards im Sinne eines Horizontes dessen, was im sozialen Zusammenleben von Bedeutung ist. Individuelle Identität werde nicht durch gemeinschaftliche Vorgaben determiniert, sondern ihre Entfaltung sei nur vor dem Hintergrund geteilter kultureller Standards möglich, da gelingende Identität von vornherein in den Kontext sozialer Anerkennung gestellt werden müsse. Vor diesem Hintergrund wirft die philosophische Kritik am Liberalismus dem liberalen Menschenbild Atomismus vor. Der liberale Individualismus gehe davon aus, dass das Selbst vor seinen Zielen existiere, dass das „Ich“ seine Ziele aktiv suche, verwerfe und neue suche. Für das Selbst seien daher nicht die Ziele, sondern die Möglichkeit, sie auszuwählen, konstitutiv. Kommunitaristen kritisieren eine solche Sichtweise des Individuums als ein „freischwebendes Ich“, sie erkenne vom Selbst nur die Hülle. Die liberale Person sei leer und die vollständige Freiheit ein Vakuum, in dem nichts der Mühe wert wäre (Taylor 1988: 157). Dabei sei der Mensch seiner biologischen Natur folgend ein gemeinschaftsorientiertes Wesen, er brauche die Gemeinschaft geradezu.117 Kommunitaristen betonen die innere Befähigung – von Natur aus und mehr noch in sozialer Hinsicht – zur Authentizität. Nicht nur externe, sondern auch interne Hindernisse könnten 117
Er könne zwar durch seinen Intellekt die Natur beherrschen, doch brauche er Zeit, um die hierfür nötigen kulturellen und instrumentellen Fähigkeiten zu erlernen. Die Überlieferung dieser Fähigkeiten erfolge nur in einer (kulturell geprägten) Gemeinschaft.
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den Menschen hemmen, ein authentisches Selbst auszubilden, denn der Mensch verstehe sich und die Welt nur aus dem Kontext einer sinnstiftenden Gemeinschaft heraus. Bedeutungsvolle Wahlentscheidungen könne das Individuum nicht befreit von jedem sozialen Kontext treffen, sondern nur innerhalb eines solchen. Gemeinschaft sei daher ein wertvolles Gut, da sie dem Individuum erst ermögliche, bedeutsame Entscheidungen zu treffen, indem sie eine moralische Landkarte zur Verfügung stelle, die Wertungen hinsichtlich dessen bereitstellt, was richtig und falsch, wertvoll und wertlos ist (so auch Kymlicka 1989). Neben der Betonung der Gemeinschaft bewahren die kommunitaristischen Theoretiker118 einen Kern des klassischen Demokratieverständnisses, indem sie von der republikanischen Tradition den inneren Wesenszusammenhang von persönlicher Freiheit und Praxis der Selbstregierung übernehmen (Sandel 1995: 57). Das soziale Zusammenleben könne nur dann als frei bezeichnet werden, wenn das Ideal der aktiven Bürgerin in den von den Mitgliedern einer demokratischen Gemeinschaft verfolgten Konzeptionen des guten Lebens fest verankert sei und eine partizipationsfreundliche Ausgestaltung der politischen Institutionen die effektive Ausübung dieses Ideals ermögliche. „Nur der partizipierende Bürger ist frei; nur eine politische Gemeinschaft aktiver Bürger ist ein freies Gemeinwesen. Dieses ‚positive’ Freiheitsverständnis (...) teilen letztlich alle der dem Kommunitarismus zuzuordnenden Theoretiker“ (Haus 2003: 198). Ein wichtiger Theoretiker, auf den sich viele Kommunitaristen beziehen119, ist John Dewey, bei dem diese Grundlinien schon angelegt sind. Aufgrund der fehlenden Vorbelastung des Begriffs der Gemeinschaft in den USA konnte ein im Grunde liberaler Autor wie er die „great community“ als Zielvorstellung einer Gesellschaftsreform empfehlen (Dewey 1996 (1927): 147). Dabei verknüpft Dewey seine Gemeinschaftskonzeption eng mit Demokratie (vgl. Haus 03: 102105). „Als Idee betrachtet“, so eine oft zitierte Aussage Deweys, „ist die Demokratie nicht eine Alternative zu anderen Prinzipien assoziierten Lebens. Sie ist die Idee des Gemeinschaftslebens selbst“ (Dewey 1996: 129). Eine voll verwirklichte Gemeinschaft zeichnet sich nach Dewey dadurch aus, dass die in ihr ablaufenden kollektiven Handlungszusammenhänge durch öffentliche Kommunikation hinsichtlich ihrer Folgen gemeinschaftlich reflektiert, gestaltet und unterstützt werden. Soziale Praktiken sollen also einer kommunikativ-reflexiven Moralisierung unterliegen. Die Idee der Demokratie sei insofern mit der Idee der Gemein118 Alexis de Tocqueville, Hannah Arendt und John Dewey sind Theoretiker der jüngeren Geschichte, bei denen republikanisches Ideengut fortwirkt (vgl. Buchstein/ Schmalz-Bruns 1994: 306), deren Schaffen jedoch Jahrzehnte vor der Kommunitarismusdebatte liegt. So kann insbesondere Tocqueville „als ideengeschichtliche Schlüsselfigur für die Verknüpfung von Liberalismus und Republikanismus betrachtet werden“ (Haus 03: 201). 119 Zur Bezugnahme auf Dewey vgl. Barber (1988: 200; 1994: 101f), Sandel (1995: 66f), Walzer (1994: 175f).
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schaft identisch, als in ihr das „klare Bewusstsein eines gemeinschaftlichen Lebens, mit allem, was sich damit verbindet“ (ebd.) verwirklicht sei. Neben dieser reflexiven Gestaltung des gemeinsamen Lebens solle Demokratie in den Praktiken von Gemeinschaften verkörpert sein. Denn sie sei nicht nur ein Regierungssystem, sondern eine soziale Idee, die extensiv in allen Formen menschlicher Assoziation nach Verwirklichung strebe (ebd. 125). Für Dewey bedeutet dies vor allem, dass Demokratie in lokalen Gemeinschaften beginnt (ebd. 177). Dies müsse allerdings von einer subsidiären, gemeinschaftsfreundlichen und Markt einhegenden Politik flankiert werden. Hier findet bereits die Vorstellung Ausdruck, dass der demokratische Staat und die Assoziationen der Bürgergesellschaft in einem wechselseitigen Ergänzungs- und Ermöglichungsverhältnis stehen. Auch wenn keine unabhängigen Ziele definiert werden, verzichtet Deweys Sicht der Demokratie nicht auf normative Kriterien. Sie finden sich in einer inklusiven Vorstellung demokratischer Gemeinschaft. Da Demokratie „für ein Leben in freier und bereichernder Kommunion“ (ebd. 155) stehe, muss dies für den Pragmatisten Dewey auch in der Praxis erfahrbar sein. Daher könnten demokratische Experimente danach bewertet werden, inwiefern sie einem egalitären Anspruch auf Kommunikations- und Verantwortungsteilhabe zur Verwirklichung helfen. Dass Demokratie für eine gemeinsame Lebensweise steht und insofern nicht unabhängig von den Lebenspraktiken einer Gesellschaft bestimmt werden kann, kennzeichnet das kommunitaristische Demokratiedenken insgesamt. Die Deweysche Perspektive machen sich vor allem die Kommunitaristen zu eigen, die konstruktive Vorstellungen einer Weiterentwicklung zeitgenössischer demokratischer Gemeinwesen präsentieren und nicht bloß in einem nostalgischen Rückblick auf die Selbstregierungspraktiken lokaler Gemeinschaften der Vergangenheit verharren (Haus 2003: 206). Demokratie wird in dieser Perspektive als ein auf dem Pluralismus assoziativer Zusammenhänge ruhendes, durch politische Institutionen ermöglichtes und von kommunikativen Prozessen getragenes Projekt der Gesamtgesellschaft angesehen, das seine konkrete Manifestation und seinen Ursprung immer wieder in lokalen Arenen finden müsse. Die Idee der Demokratie beschränkt sich hier nicht auf die Sphäre der Politik, sondern betrifft alle Formen von Gemeinschaften, denen die Mitglieder der politischen Gemeinschaft angehören. Dabei ist eine wichtige Bedingung für Demokratie nach Taylors Auffassung Einheit. Eine politische Gemeinschaft entstehe, wenn Politik als gemeinsames Projekt empfunden würde und eine Identifikation mit den politischen Institutionen verankert sei. „Die Existenz des Gemeinwesens als solches samt seinen Gesetzen muss ein Gut darstellen, das respektiert und gepflegt wird“ (Taylor 2002: 16). Damit sich die Bürger als Beteiligte am gemeinsamen Unternehmen
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der Wahrung ihrer Bürgerrechte verstehen, genüge es nicht, Demokratie als politische Form prinzipiell gutzuheißen, sondern sie müssten sich ihren Mitbürgern gegenüber hinsichtlich der Verteidigung dieser Rechte in besonderer Weise verpflichtet fühlen. Der Antrieb hierfür könne nur „aus einem Gefühl der Solidarität kommen, das die allgemeine Verpflichtung zur Demokratie übersteigt und mich mit jenen anderen, meinen Mitbürgern, verbindet“ (ebd. 21f). Daher gehöre zu den funktionalen Erfordernissen für die Organisationsweise einer Demokratie, dass die Mitglieder „den Bürgerstatus als einen wichtigen Bestandteil ihrer Identität betrachten“ (ebd. 150). Es bleibt jedoch unklar, ob die Identifikation mit dem Gemeinwesen in der Form eines reinen Patriotismus erfolgen kann, wonach die vorpolitische Identität keine Rolle spielt und sich alle Loyalität auf die freiheitlichen Institutionen bezieht. Dies entspricht dem in der deutschen Diskussion mittlerweile üblichen Begriff des Verfassungspatriotismus, für dessen post-nationale Prägung maßgeblich Habermas (1991) verantwortlich ist und dem auch Rawls’ Vorstellungen zugeneigt sind. Nationalismus steht demgegenüber dafür, dass die politische Loyalität unabhängig vom Staatswesen ethnisch, sprachlich, kulturell oder religiös begründet ist. Zwischen einem so verstandenen Patriotismus und einem Nationalismus oder der nationalen Identität müsse es nach Taylor keinen Zusammenhang geben, sie seien sogar zuweilen unvereinbar (Taylor 2002: 151).120 Taylor ist jedoch davon überzeugt, dass langfristig vor allem jene Demokratien stabil seien, in denen die nationale Identität mit den Institutionen und Verfahren der Selbstregierung eng verwoben ist, also der nationale Mythos mit der Entstehung der demokratischen Institutionen selbst verbunden ist, so dass zur Nation zu gehören, nicht zuletzt hieße, Loyalität gegenüber diesen Institutionen zu empfinden (ebd. 22). Dies macht Taylor daran fest, dass sich, historisch betrachtet, der Nationalismus regelmäßig „in den Dienst des Patriotismus“ (ebd. 152) gestellt habe, weil letzterer zumindest in der Konstitutionsphase von Staaten nicht genügend Bindungskräfte entfaltet habe. Ob dies darauf schließen lässt, dass der Rekurs auf eine vorpolitische kulturelle Gemeinschaft grundsätzlich funktional notwendig ist, ist eine Frage, die nach Taylor nur unter Berücksichtigung des jeweiligen kulturellen Kontextes beantwortet werden kann (Taylor 1994: 128ff). Ein liberaler Nationalismus, wie ihn Taylor und andere vertreten (Kymlicka 1999; Tamir 1993), bleibt stets Spannungen ausgesetzt, denn „(o)bwohl alle Bürger gleich sein sollen, hat der Staat seine raison d’être in einer Kulturnation, der nicht alle angehören“ (Taylor 2002: 164). Hier gelte es zwischen dem Bezug des Staates auf die Eigenschaften einer Kulturnation (Sprache, Gebräuche, Religion) und dem Ziel der Gleichheit aller Bürger zu vermitteln. Denn politische 120
Empirischen Unterschieden zwischen Patriotismus und Nationalismus widmet sich Kapitel 8.1.2.
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Gemeinschaft beziehe sich, so Taylor, einerseits auf die Identifikation mit einem gemeinsamen Projekt der Selbstregierung und andererseits auf eine politische Weise der kulturellen Selbstbehauptung.121 Nationale Identität mit liberaler Prägung und dialogischer Kultur halte die Perspektive einer Aussöhnung von Besonderheit und Allgemeinheit, von Individualität und Gemeinschaft, von interkultureller Interaktion und kultureller Selbstbehauptung offen. „Die Versöhnungsarbeit wäre dann freilich jeweils in der jeweiligen Kultur von politischen Eliten, Intellektuellen, kulturellen Gemeinschaften usw. zu leisten. Sie bleibt eine partikulare Aufgabe, für die es kein extern zu verabreichendes Patentrezept gibt“ (Haus 2003: 132). Ganz in republikanischer Tradition ist auch für Taylor Identifikation untrennbar mit Partizipation verbunden. Identifikation bedeute zum einen eine Hineinnahme öffentlicher Angelegenheiten in die Selbstentfaltung des Individuums, das Öffentliche wird als konstitutiver Bestandteil des guten Lebens angesehen. Sie beruhe zum anderen auf einem Heraustreten des einzelnen in die Sphäre der Öffentlichkeit, so dass er oder sie zeige, „zumindest zeitweise an der Formierung eines herrschenden Konsenses beteiligt zu sein, mit dem man sich zusammen mit anderen identifizieren kann“ (Taylor 1994: 127). Die politische Gemeinschaft habe deshalb eine so wesentliche Bedeutung für die dialogische Identitätsfindung des Individuums, da gemeinsames politisches Handeln für Taylor – wie schon für Hannah Arendt – ein alternativloser Modus der bewussten Gestaltung des eigenen Schicksals ist. In der Moderne biete allein die Politik die Chance, aus einer Haltung des passiven Erleidens in jene des aktiven Tuns überzugehen (Taylor 1995a). Das republikanische Projekt einer allgemeinen und intensiven Beteiligung der freien und gleichen Bürger an demokratischer Selbstregierung wird von einigen Theoretikern wie Walzer und Taylor – die man wie Haus als pluralistische Republikaner bezeichnen könnte – so verstanden, dass es in erster Linie im Medium der vielfältigen vorpolitischen Aktivitätsfelder ablaufen kann und soll, in denen sich die Bürger bereits bewegen.122 Wie Barber geht man davon aus, dass die politische Gemeinschaft aus einer Vielzahl von Partizipationsarenen besteht; anders als bei Barber jedoch wird die Rolle der Bürgerin selbst von Grund auf pluralistisch verstanden und statt einer radikalen direktdemokratischen Transformation der repräsentativen Demokratie setzt man eher auf deren Öffnung 121 Auch wenn Phänomene wie der islamische Fundamentalismus und illiberale Nationalismen ebenfalls entlang dieser Logik erklärbar seien, könne ihrem Streben nach Anerkennung und Identitätsvergewisserung entgegengehalten werden, dass ihr Handeln (in kultureller Hinsicht) bloß defensiv ausgerichtet sei (Taylor 2002: 164). 122 „Im Gegensatz zum politischen Republikanismus Sandelscher Prägung liegt der Akzent weniger auf ‚der’ Tugend ‚des’ Staatsbürgers und seiner Verbundenheit gegenüber ‚der’ (nationalen) politischen Gemeinschaft“ (Haus 03: 230).
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gegenüber den aktiven Gruppen einer Gesellschaft. Medium und Träger des republikanischen Projekts sind aus dieser Perspektive die Assoziationen der Bürger- bzw. Zivilgesellschaft. Die Debatte um Zivilgesellschaft selbst ist weit verzweigt und häufig diffus (vgl. Schmalz-Bruns 1992: 246). Mit diesem Begriff ist ein zwischen dem Staat und dem Individuum liegender Bereich von Vereinigungen, Aktivitäten und Identitäten gemeint, der sich im herkömmlichen Verständnis durch die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses auszeichnet. Mit dieser Sphäre der Selbstorganisation jenseits von Markt und Staat verbinden sich Hoffnungen auf Demokratisierung und Legitimierung politischer Entscheidungen, aber auch auf soziale Integration und Überwindung politischer Entfremdung. Je nach den zu erwartenden Funktionen wird der Begriff gegenüber anderen abgegrenzt. Während normativ besonders hohe Ansprüche an die Zivilgesellschaft gestellt werden, wenn diese als Leitbild und Trägerin der Menschheitsemanzipation in Erscheinung tritt (Cohen/ Arato 1992), geht Walzer eher von einem Verständnis aus, das die Vermittlungsfähigkeit der Zivilgesellschaft in den Mittelpunkt stellt. Zivilgesellschaft ist für ihn zunächst mehr oder weniger das gesamte Ensemble intermediärer Instanzen, in dem unterschiedliches Potenzial verortet werden könne. Zu bewerten sei sie danach, „ob sie fähig ist, Bürger hervorzubringen, die wenigstens manchmal Interessen verfolgen, die über ihre eigenen und diejenigen ihrer Genossen hinausgehen, und die über das politische Gemeinwesen wachen, das die Netzwerke der Vereinigungen fördert und schützt“ (Walzer 1992b: 93).123 Mehr Gemeinsinn ist nach Walzer nicht ohne erweiterte politische Partizipationsmöglichkeiten zu haben, auch wenn diese Erweiterung den politischen Prozess nicht vernünftiger und verständigungsorientierter, sondern erbitterter, streitsüchtiger, intoleranter und fanatischer mache, denn die Politik beruhe „ihrem Wesen nach auf Wettstreit“ (Walzer 1992c: 194). Dennoch plädiert Walzer für die breite Teilhabe an diesem Wettstreit, denn es gebe eine Art von Gemeinsamkeit, die selbst dann möglich sei, wenn es Konflikte gibt, vielleicht sogar nur dann. Eine rationale Einigung sei nicht in jedem Fall möglich, wohl aber eine Form wechselseitiger Anerkennung und Verpflichtung: „Im Laufe anhaltender politischer Betätigungen werden (...) aus Feinden vertraute Gegenspieler, von denen man weiß, dass sie dieselben (einander widersprechenden) Fragen stellen. Männer und Frauen, die zuvor ihre wechselseitige Verschiedenheit bloß tolerierten, erkennen nun, dass sie ein gemeinsames Engagement teilen, dieser 123 Gegenüber republikanischen Verfallsklagen und Tugendpredigten ist Walzer der Meinung, die Ideale der Staatsbürgerschaft bildeten „heute kein zusammenhängendes Ganzes mehr“ (1992c: 189). Während Patriotismus und politischer Aktivismus als Ideale nach „einer Art Hingabe“ verlangen und damit Erregung und Aufruhr ermöglichen, sollen Zivilität und Toleranz die Spannung mildern, bewirken dadurch jedoch evtl. die Lockerung der Bindungen und den Rückzug in die Privatsphäre.
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Bühne gegenüber und den Menschen, die sich auf ihr bewegen. Selbst eine Wahl, die in gegnerische Lager spaltet, ist dann ein Ritual der Einheit“ (ebd. 195).
Wie Liberale hält also auch Walzer Dissens für erwartbarer als Konsens, schließt jedoch im Gegensatz zu jenen daraus nicht, dass bestimmte Fragen der politischen Agenda entzogen werden müssten. Es könne auch im bleibenden Dissens zu wechselseitiger Anerkennung kommen, wenn man die Kontrahenten als gleichermaßen engagiert, loyal und um die besten Argumente bemüht erfährt. Demokratische Beteiligung verweise nicht ausschließlich auf eine wechselseitige Anerkennung „bloß als Individuen, die in genau derselben Weise vernünftig sind, wie wir selbst, sondern (auch) als Angehörige von Gruppen, die Überzeugungen und Interessen haben, welche ihnen ebensoviel bedeuten, wie unsere Überzeugungen und Interessen uns bedeuten“ (Walzer 1999: 57f). Taylor geht noch einen Schritt weiter, indem er zur Herstellung der notwendigen Einheit im Rückgriff auf Gadamer auf einen Prozess der Horizontverschmelzung verweist, damit eine Form substanzieller gegenseitiger Anerkennung trotz weiter bestehender Differenzen möglich wird. Durch die Auseinandersetzung mit dem Anderen würden die eigenen Maßstäbe zum Teil verändert, so dass ein Urteil auf der Grundlage eines neuen Wertverständnisses getroffen werden könne (Taylor 1993: 68).124 Sowohl Walzers als auch Taylors Vorstellungen erheben allerdings einen sehr hohen Anspruch an die Art des Konfliktaustrags und die Bereitschaft zu gegenseitiger Anerkennung. Dabei ist zu bedenken, dass es sowohl einen Tugend- als auch Teufelskreis geben kann. Erfolgreiches gemeinsames Handeln kann „ein Gefühl gesteigerter Macht auslösen und zugleich die Identifikation mit der politischen Gemeinschaft stärken“ (Taylor 1995a: 132). Mangelnde Identifikation mit dem politischen Gemeinwesen hingegen unterhöhlt die Bereitschaft, sich für übergreifende politische Ziele einzusetzen und erschwert gemeinsames Handeln, da dieses auf dem Vertrauen in die Kooperationswilligkeit der Umgebung aufbaut. Diese Dynamiken finden sich in der Diskussion um Sozialkapital politischer Gemeinschaften wieder, zumindest in der kommunitarismusnahen Variante von Robert Putnam. Insgesamt kann die Sozialkapitalforschung „als eine wichtige Ergänzung der Kommunitarismusdebatte und Demokratietheorie durch Erkenntnisse der empirischen Sozialforschung betrachtet werden.“ (Haus 2003: 243) Dies wird im dritten Teil dieser Arbeit in Kapitel 10 zur Empirie solcher Tugend- und Teufelskreise und dem Einfluss von Gruppen hierauf deutlich werden. 124 „Wir lernen, uns in einem erweiterten Horizont zu bewegen, in dem wir das, was uns vorher als die selbstverständlichen Koordinaten unserer Urteile erschien, nun als mögliche Koordinaten neben denen der uns bislang nicht vertrauten Kultur wahrzunehmen vermögen. Die ‚Horizontverschmelzung’ wird wirksam, indem wir ein neues Vergleichsvokabular entwickeln, mit dessen Hilfe wir solche Gegensätze artikulieren können“ (Taylor 1993b: 63f).
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4.4 Fazit In allen drei vorgestellten normativen Theorien, im Liberalismus, Republikanismus wie auch Kommunitarismus, ist allenfalls eine Minimalbedingung für Demokratie erfüllt, wenn sich alle relevanten Akteure formal an die ‚Spielregeln’ halten, wie es ein gängiges Kriterium der Konsolidierung demokratischer Regime verlangt125. Die verschiedenen Demokratietheorien laden ein solches Minimalverständnis demokratischer Herrschaft, das ein prekäres Zusammenleben in Form eines modus vivendi ermöglicht, unterschiedlich normativ auf, besonders hinsichtlich der Motivation zur demokratischen Arbeitsteilung, der kulturellen Bestandsvoraussetzungen und des nötigen Maßes an solidarischem Zusammenhalt. Sie bestimmen damit das Ausmaß der Identifikation der Bürger mit dieser Herrschaftsform und ihren Mitbürgern und letztlich die Vorstellung demokratischer Gemeinschaft unterschiedlich. Alle gehen jedoch von der Notwendigkeit einer politischen Gemeinschaft aus, die das demokratische Projekt trägt, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Vertreter des Liberalismus sowie des Kommunitarismus stimmen in Folgendem überein: „Ohne ein bestimmtes Maß der gemeinsamen Bindung an übergreifende Werte, also ohne das, was wir eine soziale Wertgemeinschaft oder, weniger belastet, eine kulturelle Lebensform nennen können, ist die Funktionsfähigkeit einer demokratischen Gesellschaft nicht gewährleistet“ (Honneth 1993: 260).
Die Begründungen differieren, die beide Seiten für die Notwendigkeit einer solchen Gemeinschaft hervorbringen: Liberale betonen den Gesichtspunkt der Freiheitsbedingungen menschlicher Subjekte; zumindest der republikanismusfreundliche Rawls sieht, dass ein System von Freiheit verbürgenden Rechten nur aufrecht erhalten werden könne, wenn deren moralischer Gehalt von den sie umgebenden ethischen Lebensformen getragen wird. Kommunitaristen interessiert mehr der Gesichtspunkt der Bestandsvoraussetzungen einer demokratischen Politik selbst und betonen, dass die Ausübung liberaler Freiheitsrechte nur gewährleistet sei, wenn sich die Subjekte in einer Gemeinschaft eingebunden wissen, zu deren konstitutiven Elementen auch die wechselseitige Unterstützung der Freiheit des anderen gehöre (Honneth 1993: 261). Damit werden zugleich Erwartungshaltungen hinsichtlich der Verankerung politischer Institutionen und Verfahren in der politischen Kultur einer Gesellschaft generiert, was wiederum je nach Art gemeinsamer Wertorientierung bestimmte Interaktionsmuster oder gar spezifische Gefühlsbindungen impliziert. Dies lässt sich anhand verschiedener Muster der Anerkennung verdeutlichen. 125 Die am weitesten akzeptierte Definition von Demokratie ist minimal und prozedural (vgl. Dahl 1971); vgl. auch Kapitel 3.2.
Fazit
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Der Fokus der Anerkennung liegt in einer liberalen Gemeinschaft auf dem rechtlich festgelegten Freiheitsspielraum des jeweils anderen, wechselseitige Anerkennung wird also jenen Eigenschaften gezollt, die alle Mitglieder miteinander teilen. Hierauf gründen Respekt und Toleranz. Die Einschränkung individueller Selbstentfaltung durch äußere Zwänge wird abgelehnt. In einer kommunitaristischen Gemeinschaft hingegen soll der andere jeweils aufgrund der Eigenschaften und Fähigkeiten geschätzt werden, die ihm als Individuum zukommen und für eine gemeinsame Lebenspraxis wertvoll sind, so dass über Respekt und Toleranz hinaus Beziehungen der Solidarität aus wechselseitiger Wertschätzung entstehen (ebd. 263). Moderne Solidarität ist nach Honneth an soziale Verhältnisse symmetrischer Wertschätzung gebunden. Eine solche Form der Solidarität beruht allerdings auf einem intersubjektiv geteilten Werthorizont, der über politische Werte hinausgeht, denn nur dann zeigt sich, warum die Eigenschaften des jeweils anderen für die gemeinsame Lebenspraxis von Bedeutung sind. Doch wie steht es um die „Solidarität unter Fremden“ (Brunkhorst 1997)? Kann man erwarten, dass in pluralen Gesellschaften alle Lebensweisen, die nicht gegen grundlegende Werte des Zusammenlebens verstoßen, als positiv angesehen und gewertschätzt werden? In demokratischen Wohlfahrtsstaaten, in denen Umverteilung staatlich organisiert ist, kann man der Bereitschaft zu einer solchen Umverteilung den solidarischen Charakter nicht gänzlich absprechen, auch wenn sie „nur“ aus der Überzeugung heraus entsteht, den anderen gebühren dieselben Chancen zur Selbstverwirklichung. Diese Überzeugung, die sicher nicht libertäre Ansichten, aber doch den politischen Liberalismus nach Rawls auszeichnet, ist eine durchaus aktive und kann auch mehr oder weniger affektiv aufgeladen sein. Die Notwendigkeit der Erfahrung von Wertschätzung für die individuelle Selbstentfaltung wird dadurch nicht geleugnet, doch kann diese nach liberaler Doktrin in anderen Arenen, nicht der politischen erfahren werden. Die Vorstellung gesellschaftsweiter Solidarität als wechselseitiger Wertschätzung zeigt wieder deutlich den enorm hohen normativen Anspruch kommunitaristischer Vorstellungen an demokratische Gemeinschaften. Eine zentrale Frage an den Liberalismus bleibt jedoch, ob Demokratien die im Gedankengut der Aufklärung wurzelnden universalistischen Prinzipien individueller Rechte, Freiheit und Gleichheit hochhalten und zugleich die Reproduktion bestimmter Kulturen ermöglichen oder sogar ermutigen können (vgl. die Beiträge in Young 1998). Neben dem Verhältnis zu ethno-kulturellen Gemeinschaften betrifft dies auch die kulturellen Grundlagen der politischen Gemeinschaft selbst und damit die Förderung einer Identifikation mit derselben, auf der zumindest abstrakte Solidarität beruht. Gerade auf die mangelnde Fähigkeit des Liberalismus, durch seine universalistisch orientierten Wertvorstellungen und durch die Abstraktion von Tradition das notwendige Gemeinschaftsgefühl zu
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fördern, wiesen Kommunitaristen wiederholt hin und erhielten angesichts der weitverbreiteten Krisentheorien aufgrund exzessiven Individualismus (Beck 1998) wohlwollende Aufmerksamkeit und beträchtlichen Zulauf. Allerdings kann die Möglichkeit einer starken Identifizierung mit liberalen Werten und daraus resultierendes Gemeinschaftsgefühl nicht a priori ausgeschlossen werden. Die Diskussion um Multikulturalismus macht zudem deutlich, dass real existierende liberale Demokratien eben nicht völlig von allen Traditionen und kulturellen Vorstellungen rein sind, Anspruch und Wirklichkeit klaffen zumeist auseinander, denn „(e)in konsequenter theoretischer Liberalismus wird direkt auf eine weltbürgerliche Position hinzielen“ (Reese-Schäfer 1997: 157). Ebenso mag der Hinweis darauf, dass Rechte mit Pflichten verbunden seien und Solidarität unabdingbar für eine politische Gemeinschaft sei, berechtigt sein – eine wirklich republikanische oder auch kommunitaristische Gemeinschaft ist schwer zu finden. Die Auseinandersetzung um das notwendige Maß des Zusammenhalts sind schwer beizulegen, denn wir wissen nicht, ob kulturelle Kohärenz oder kulturelle „mélange“ – „the chaotic coexistence of projects, pursuits, ideas, images, and snatches of culture within an individual“ (Waldron 1995: 95) – besser die persönliche Autonomie fördern; ebenso wenig können wir abschließend sagen, wieviel kulturelle Gemeinsamkeit für das erfolgreiche Funktionieren demokratischer Institutionen notwendig ist (Miller 2006: 537). Nichtsdestotrotz genießen solche normativen Wertsetzungen große Bedeutung als Referenzen für Orientierungen und Handlungen. Inwieweit ein Gemeinschaftsgefühl auf der Grundlage solcher Werte besteht, bleibt letztlich eine empirische Frage. Reese-Schäfer hält fest, dass die Debatte zwischen Liberalen und Kommunitaristen inzwischen mit konkreten Resultaten weitgehend abgeschlossen sei (1997: 156). Während das Denken der meisten Kommunitaristen als Variante innerhalb einer liberalen Gesellschaft zu verstehen ist126, liegt bei Rawls auch kein radikaler Begründungsindividualismus vor. Da die liberalen Grundrechte als Individualrechte einerseits die Bedingung einer post-traditionalen Form demokratischer Sittlichkeit sind, andererseits aber auch ein potenzieller Sprengsatz für kommunitäre Lebensformen, gehen manche so weit zu sagen, dass der Liberalismus von Zeit zu Zeit kommunitaristische Korrekturen brauche im Sinne einer Wiederbelebung, Stärkung und Ausweitung jener demokratischen Partizipationsformen, deren Korrelat die liberalen Grundwerte seien (Wellmer 1993). Ebenso versteht Reese-Schäfer (1997) die kommunitaristische Kritik als notwendiges Korrektiv zum Individualismus des Liberalismus, das in regelmäßigen Abständen einer Unterhöhlung liberaler Gemeinschaften entgegenwirken müsse. Auch andere (z.B. Kersting 1993) schließen aus ihren Überlegungen, dass sich eine Art 126 Eine Rückbindung an gemeinsame und geteilte Überzeugungen vollzog er, wie aufgezeigt, stärker in seinen späteren Veröffentlichungen, weniger in den 70er Jahren.
Fazit
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kommunitarischer Reformpragmatismus in der Debatte durchgesetzt habe, der dogmatische Liberalismus der Vertragstheorie sei kommunitarisiert worden. Doch auch wenn sich die Positionen mittlerweile angenähert haben, sind die verschiedenen Ansätze eines eher abstrakt-universalistischen Liberalismus und eines eher traditional-kontextualistischen Kommunitarismus grundlegend, gerade für die Vorstellung demokratischer Gemeinschaft. Sowohl bei Inhalt als auch Umfang sowie dem postulierten Weg der Gemeinschaftsbildung werden andere Schwerpunkte gesetzt: Liberale geben zu, dass man eine begrenzte, politische Form der Gemeinschaft braucht und die liberalen Grundsätze immer auch auf partikulare Weise umgesetzt werden. Gemeinschaftsgefühl könne sich vor allem als Verfassungspatriotismus entwickeln, also als emotionale Bindung an die in der Verfassung festgelegten universalistischen Werte und gemeinschaftsspezifischen Normen ihrer Auslegung. Am anderen Ende des Spektrums geben die meisten Kommunitaristen zu, dass eine Gemeinschaft von Gemeinschaften ohne die Basis liberaler Grundrechte nicht zustande kommen kann.127 Sie sei aber nicht ausreichend für notwendige Identifikationsprozesse, für die zusätzlich ‚dichte‘ Werte der kulturellen Tradition als Referenzobjekte zur Verfügung stehen müssten. Gerade im Hinblick auf den Schutz oder gar die Förderung subnationaler Gemeinschaften ergeben sich je nach normativer Grundlegung unterschiedliche Konsequenzen für institutionelle Arrangements. Dies wird in der Debatte um Multikulturalismus besonders deutlich.
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Walzer, Taylor, Etzioni, Barber u.a. sind dieser Meinung, MacIntyre hingegen nicht unbedingt.
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5 Multi-ethnischer Demos: Gemäßigter bis starker Multikulturalismus Multi-ethnischer Demos Mit dem Faktum der Vielfalt heutiger Gesellschaften konfrontiert, sehen sich sowohl die liberale als auch die republikanische Demokratieschule grundlegenden Vorwürfen ausgesetzt: Liberale „Differenzblindheit“ wird als versteckte Dominanz der Mehrheitskultur bezeichnet – der Staat kann sich zwar von Religion distanzieren, kaum jedoch von der Festlegung einer oder zumindest einer begrenzten Anzahl offizieller Sprachen –, während republikanische Kollektivvorstellungen als unvereinbar mit Vielfalt überhaupt erscheinen und durchaus totalitäres Potenzial in sich tragen. Forderungen nach Bewahrung, Verteidigung und sogar Förderung ethno-kultureller Gemeinschaften aufgrund ihres eigenständigen Wertes und ihrer Authentizität werden in Debatten um Multikulturalismus128 und Gruppenrechte diskutiert. Während streng Liberale Gruppenrechte als Verstoß gegen demokratische Gleichheit ablehnen, lassen sich multikulturalistische Positionen auf einem Kontinuum verorten, das von moderaten liberalen Multikulturalisten, die vorübergehende Maßnahmen zur Förderung ethnokultureller Gemeinschaften befürworten, über pluralistische Kommunitaristen bis hin zu stark kommunitär argumentierenden Multikulturalisten, die eine weitgehend auf ethno-kulturellen Gemeinschaften beruhende, konsoziative Demokratie vorschlagen, reicht. Dabei ist die Rechtfertigung kollektiver Rechte entscheidend für das Ausmaß, zu dem sie mit den normativen Demokratietheorien in Einklang zu bringen sind. 5.1 Versuch eines liberalen Multikulturalismus Wie dargestellt ist die normative Logik liberalen Individualismus die „Entethnisierung“ der Politik. Da der Liberalismus auf der individuellen Autonomie und Chancengleichheit aufbaut, sind Kollektive wie ethnische Gruppen keine legitimen Rechtsträger. Kollektiven Zielen gegenüber sollen liberale Demokratien 128 Mit dem Begriff des Multikulturalismus können verschiedene Dinge angesprochen sein, doch beziehe ich mich wie in dieser Arbeit insgesamt auch hier auf ethno-kulturelle Gruppen, also ethnische und nationale kulturelle Gruppen im Sinne intergenerationaler Gemeinschaften mit gewissen geteilten Praktiken und gemeinsamer Geschichte, die von den Mitgliedern als konstitutiv für die Gruppe angesehen werden.
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neutral sein – Fragen religiöser, ethnischer oder ähnlicher Praktiken und Überzeugungen werden aus der politischen, öffentlichen Sphäre rationaler Argumentation verbannt und dem Privatbereich zugedacht. Für die Organisation des politischen Bereichs sollen solche Gerechtigkeitsprinzipien maßgebend sein, die sich neutral gegenüber den konkurrierenden Konzeptionen vom Guten verhalten. Dieser Anspruch einer neutralen Haltung wird zum einen hinsichtlich der Rechtfertigung staatlicher Institutionen erhoben, zum anderen hinsichtlich der im Staat angewandten Verfahren (Larmore 1995: 43f.). Auf der Ebene der Rechtfertigung verbietet Neutralität, staatliche Institutionen unter Zuhilfenahme einer Konzeption vom Guten zu begründen, wie etwa mit dem Verweis darauf, sie würden der Verwirklichung eines bestimmten religiösen oder sittlichen Ideals dienen. Auf der Ebene der staatlichen Verfahren verpflichtet Neutralität zur rechtlichen Gleichbehandlung der verschiedenen Auffassungen vom guten Leben. Keine Weltanschauung darf rechtlich, z.B. indem sie in den Rang einer Staatsreligion gehoben wird, besser gestellt werden als andere. Gruppenrechte sind daher in einem klassisch liberalen Rechtsverständnis nicht vorgesehen, allein das Individuum ist Rechtssubjekt. Nur so könne sich kulturelle Vielfalt in Privatsphäre und Zivilgesellschaft gerecht entfalten. Ausnahmen zu dieser Regel sind lediglich temporär zu rechtfertigen, wenn es der Herstellung von Chancengleichheit durch sozioökonomische Umverteilung dient, was durch Rawls’ Differenzprinzip gerechtfertigt ist. Angespornt durch die Forderungen verschiedenster Gruppierungen nach Anerkennung findet sich jedoch auch innerhalb der liberalen Schule eine Debatte um die kontroverse Beziehung zwischen „Pluralism and liberal neutrality“, wie es der Titel eines Bandes zusammenfasst (Bellamy/ Hollis 1999; vgl. auch Bellamy 1999, 2000; Spinner 1994). Sollten liberale Prinzipien und Prozeduren in ihrem Ausmaß und Charakter verändert oder neu interpretiert werden, um ethnokulturellem Pluralismus mehr Raum zu gewähren, oder besteht hierzu kein Anlass, da die Betonung individueller Rechte schon ausreichend Vorsicht gegenüber der Macht der Mehrheit über Minderheiten anmahne? Würde nicht jede Bewegung in Richtung von Gruppenrechten bedeuten, dass der Anspruch des Individuums, nur als ein solches betrachtet zu werden, unabhängig von Rasse, Hautfarbe oder nationaler Herkunft unwiderbringlich reduziert würde (Glazer 1997: 137)? Die Skepsis gegenüber Gruppenrechten bleibt unter Liberalen groß, denn die Akzeptanz solcher Rechte könnte die individuelle Autonomie gefährden und verhindern, dass Individuen ihre Gruppe verlassen oder Ideen und Praktiken annehmen, die ihrem ethno-kulturellen Erbe widersprechen. Denn es ist offensichtlich: „groups as well as the state might violate (…) individual rights” (Van Dyke 1976: 368). Viele Kulturen sind nicht liberal, was liberalen Multikulturalismus widersprüchlich erscheinen lässt. Dieses Thema kam insbesondere ange-
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sichts der Frage auf, welchen Einfluss der Schutz kultureller Minderheitenrechte auf Frauen hat (Cohen et al. 1999; Okin 2002; Shachar 1999; 2001). Religiöse und kulturelle Minderheiten möchten häufig das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten hinsichtlich der Mitgliedschaft in ihren Gemeinschaften zu organisieren, indem sie die Gewohnheiten, Traditionen und Praktiken wie Ehe und Scheidung kontrollieren. Häufig jedoch haben dabei Frauen einen anderen Stand als Männer, ihnen wird der Zugang zu Ressourcen verwehrt oder sie werden generell unfair behandelt. Multikulturelle Theorien stehen daher bisweilen vor einem Dilemma: „(they) attempt to address one form of inequality, namely cultural inequality, but in doing so they undermine the prospects of addressing other forms, such as sexual inequality“ (Eisenberg/ Spinner-Halev 2005: 8). Manche Stränge des Feminismus und liberalen Egalitarismus sind in dieser Hinsicht besonders absolut. So stehen Feminismus und Multikulturalismus für Susan Okin (1998, 2002) in weitgehend unversöhnlichem Gegensatz zueinander: Kulturen, die ihre Mitglieder und im Besonderen Frauen nicht respektierten, verdienten auch keinen Respekt. Der liberale Staat sollte Minderheitenkulturen nicht schützen, sondern sie entmutigen, Traditionen fortzuführen, die mit der gleichen Würde von Frauen nicht in Einklang sind oder ihnen nicht dieselben Chancen auf ein erfülltes und selbst bestimmtes Leben einräumen wie Männern. Rechte gerade für patriarchale Minderheitengruppen behinderten die menschliche Entwicklung. Sie schlägt vor, der Staat könne Gruppen entweder zwingen, liberal zu werden, oder ihnen erlauben, über ihre Regeln auf demokratische Art und Weise zu bestimmen (Okin 2005).129 Die Entscheidung darüber, was angemessen sei, hänge davon ab, ob die Gruppe unterdrückt werde oder nicht. Sie favorisiert den demokratischen Weg für unterdrückte Gruppen, was noch immer staatliche Einflussnahme auf die Angelegenheiten der Gruppe bedeutet in der Hoffnung auf interne Reformen. Die weitergehende liberale Variante sei für nicht unterdrückte Gruppen besser zu rechtfertigen und auch geeigneter. Illiberale Gruppen sollten nicht liberalisiert werden, doch sollten ihnen weder legale Gewalt über ihre Mitglieder zugestanden noch irgendwelche Staatsunterstützung zuteil werden. Auch Individualisten wie Brian Barry bestehen vehement darauf, dass die Bürger nur in einer differenzblinden Demokratie, die auf individuellen Rechten basiert, volle Gleichheit erfahren (Barry 2001: 67). Die Forderungen von Multikulturalisten seien kein Kampf für mehr Respekt gegenüber Differenz, sondern würden kulturellen Relativismus fördern. Die Prinzipien liberalen Egalitarismus hätten universelle Gültigkeit. In dem Maß wie kulturelle Gruppen diesen nicht entsprächen, hätten sie kein Anrecht auf Tolerierung, geschweige denn Schutz, 129 Damit sich Minderheiten von innen heraus reformieren, müssten sich Frauen, wie Mahajan (2005) für muslimische Frauen in Indien deutlich macht, innerhalb der Gruppe organisieren.
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sondern müssten abgelehnt werden. Wenn notwendig, müsste in solchen Gemeinschaften interveniert werden, um sicherzustellen, dass liberale Prinzipien eingehalten werden. Dieser Liberalismus folgt der perfektionistischen, umfassenden Variante von Kant oder Mill. Die Moralität der Autonomie erlaube keine Toleranz von Gemeinschaften, die individuelle Autonomie verletzen oder gering achten. Es gebe keinen prinzipiellen Grund dafür, nicht zu intervenieren: universelle Prinzipien stünden höher als kulturelle Differenzen.130 Bei dieser Diskussion ist für Liberale das Ausmaß, in dem Mitgliedschaft in solchen subnationalen Gemeinschaften freiwillig ist, entscheidend (Eisenberg/ Spinner-Halev 2005: 10f). So widmen sich Vertreter pluralistischer Demokratietheorie insbesondere Fragen der Kompromissfindung zwischen Interessengruppen und ihrer Inklusion in das politische System (vgl. Eisfeld 2006). Hierbei wird jedoch in erster Linie auf freiwillige, weitgehend ethnisch heterogene Vereinigungen abgestellt, „cultural, linguistic and religious groups are often portrayed as unsuitable participants in democratic politics” (Eisenberg 2006: 74). Es wird angenommen, die demokratische Debatte würde schnell in einen sozialen Konflikt degenerieren, wenn kulturelle oder religiöse Gruppen Interessen, die sich auf ihre spezifischen Werte beziehen, öffentlich vorbringen. Sie sind der Meinung, konstitutive Ansprüche von Identität und anderen tief sitzenden Werten seien zu persönlich und zu absolut, um Gegenstand der Art von Kompromiss sein zu können, der für demokratische Politik gebraucht wird (vgl. Bader 2001; Johnson 2000; Waldron 2000). Das Überlappen von Interessen und Mitgliedern in heterogenen Vereinigungen führe hingegen zur Mäßigung der Forderungen, Ziele und Politikinhalte. Unfreiwilligen, weitgehend homogenen Vereinigungen wird somit eine – zumal konstruktive – Rolle im demokratischen Prozess abgesprochen. Der Unterschied zwischen Identitätsgruppen, die in multikulturalistischen Debatten im Mittelpunkt stehen, und Interessengruppen, die vor allem Gegenstand pluralistischer Demokratietheorien sind, besteht darin, dass sich Menschen ersteren anschließen, da sie sich mit anderen identifizieren und nicht primär aus Selbstinteresse, während Interessengruppen gebildet werden, wenn man politische Interessen teilt, die instrumentell sind und häufig auf individuellem Interesse basieren (Gutmann 2003: 19). Neo-Pluralisten wie Gutmann tendieren jedoch dazu, beide Arten von Gruppen ähnlich zu behandeln, und sehen sie als gleichermaßen daran beteiligt an, ihre ‚Interessen’ in der Politik zu verhandeln und Kompromisse zu schließen. Es wird daher weiterhin ein Modell vorgeschlagen, das in erster Linie 130
Man könne sie höchstens aus rein pragmatischen Gründen tolerieren, denn die Intervention in das Leben von Menschen oder Gruppen sei ein gefährliches Unterfangen und sollte nicht leichtfertig unternommen werden. Moralische Universalisten müssten in der Politik keine Jakobiner sein, die gewaltsam ihre Überzeugung durchsetzen (Raz 1985: 424).
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die Interaktion zwischen Interessengruppen erleichtert unter der Annahme, dass Individuen die Kontrolle über ihre Gruppenzugehörigkeit haben – was jedoch in vielen Fällen unrealistisch ist. Betrachtet man alle Gruppen – religiöse, nationale etc. – als freiwillige Assoziationen, denen Menschen beitreten oder die sie verlassen können, wie sie wollen, kann man aus einer radikalen Form der Tolerierung heraus argumentieren, dass der Staat nichts gegenüber den internen Praktiken einer Gruppe tun sollte, selbst wenn diese unterdrückend oder diskriminierend seien (Kukathas 2003). Andere mahnen angesichts des Unterdrückungspotenzials innerhalb einer Gruppe an, dass der liberale Staat zumindest minimale Erziehungs- und Gesundheitsstandards in jeder Gruppe sichern müsste, damit Individuen die Gruppe auch verlassen können, wenn sie wollen (Spinner-Halev 2005). Durch das Recht auf „exit“ könne verhindert werden, dass allzu große Spannungen zwischen Individuen und Gruppen entstehen, und so könne garantiert werden, dass allen Individuen unabhängig von ihrer Religion oder Kultur grundlegende Rechte gewährt werden (vgl. Barry 2001: 146-149; Gutmann 2003; Spinner-Halev 2001, 2005). Diesen Ansätzen wird jedoch vorgeworfen, sie unterschätzten die Schwierigkeiten, die für Mitglieder illiberaler Gemeinschaften faktisch bestünden, sie zu verlassen, denn die psychologische Bindung an eine Gruppe, in der man groß geworden ist, ist zuweilen sehr intensiv (Weinstock 2005; Reitman 2005).131 „Exit“ kann so hohe Kosten für das betreffende Mitglied haben, dass es sich dagegen entscheidet, nicht unbedingt also aus freien Stücken. Konkret geht es hier auch um die Frage, ob Individuen, die Mitglieder einer Minderheit sind, ihre Gemeinschaften verlassen können, wenn beispielsweise öffentlich finanzierte Bildung fehlt oder für sie nicht zugänglich ist, einschließlich der Angebote zum Spracherwerb oder zur allgemeinen Akkulturation, Jobtraining, integrative „affirmative action“ Programme und effektive Garantien gegen diskriminatorische Behandlung in der öffentlichen und privaten Sphäre. Es geht auch darum, ob Ressourcen ebenso zugänglich sind für Frauen und Kinder, die häufig die verletzlichsten Minderheiten innerhalb von Minderheiten sind. Wird Freiwilligkeit vorausgesetzt, werden diejenigen Gruppen implizit marginalisiert, die diesem Standard nicht entsprechen. „Liberal democracy becomes a system of governance best designed for groups that are voluntary associations and for individuals with the wherewithal, that is the language skills, education, the financial and social resources, to exit their communities” (Eisenberg 2006: 77). Weder die Illusion von Freiwilligkeit noch das Recht auf „exit“ führen unbedingt weiter angesichts der Frage, wie die Spannungen zwischen Individuen und Gruppen 131
Aus dieser Perspektive bleibt jedoch unverständlich, weshalb nicht alle Individuen den Wunsch haben, religiös insular lebende, kulturell segregierte oder indigene Gemeinschaften zu verlassen und sich dem liberalen Mainstream anzuschließen, obwohl ihre Gemeinschaften einengend erscheinen.
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aufgelöst und wie Individuen wirklich die Alternative geboten werden kann, in ihrer Gemeinschaft zu bleiben oder nicht. Daher spricht einiges dafür, dass angesichts empirischer Problemlagen und der Vielgestalt demokratischer Antworten eine differenziertere Betrachtungsweise von Gruppen und ihren Vereinigungen, die über das Kriterium der Freiwilligkeit hinausgeht, vielversprechender ist. So wird Gleichheit im Bezug auf kulturelle Diversität von einigen auch so verstanden, dass Minderheitengruppen die Art von kultureller Unterstützung erhalten sollten, die Mehrheitsgruppen „for free“ genießen (Deveaux 2000; Kymlicka 1995; Parekh 2000; Young 1990). Da die Mehrheitskultur häufig genug implizite und explizite kulturelle Förderung durch den Staat erfährt – in den meisten Staaten gibt es eine dominante Landessprache, landesweite Feiertage und dergleichen – konzentrieren sich Multikulturalisten auf Minderheitengruppen. Die Logik zur Rechtfertigung der Unterstützung ihrer Praktiken beruht auf einer instrumentellen Sichtweise kultureller Gruppen, die respektiert werden sollten, um das liberale Ziel individueller Autonomie zu sichern. Dieses Argument lässt sich auf Rawls’ Einschätzung von Selbst-Respekt als Grundgut gründen, auf das alle Individuen Anspruch hätten, weshalb liberale Staaten die soziale Basis des Selbst-Respekts ihrer Mitglieder sichern müssten (1971, §67). Liberale Multikulturalisten nehmen dieses Argument auf und weisen darauf hin, dass der Selbst-Respekt von Menschen eng mit dem Respekt verbunden ist, der ihrer kulturellen Gruppe entgegengebracht wird. Will Kymlicka versucht auf dezidiert liberaler Grundlage, die Einführung von Gruppenrechten zum Schutz ethno-kultureller Kollektive zu rechtfertigen (1989, 1995). Er argumentiert, dass erst diese den Individuen einen Wahlhorizont bieten, vor dem sie ihre individuellen Wahlen treffen können. Wie es schon bei den Kommunitaristen erläutert wurde, verfügt das Individuum auch laut Kymlicka nur durch den Zugang zu einer gesellschaftlichen Kultur über einen Bereich sinnvoller Optionen (vgl. auch Raz 1994: 178). Um ein intelligentes Urteil über die eigene Lebensführung fällen zu können, brauche es ein Verständnis der kulturellen Überlieferungen, der Traditionen und Konventionen der gesellschaftlichen Kultur; dieses geteilte Vokabular der Sprache und Geschichte sei Voraussetzung dafür, soziale Praktiken überhaupt verstehen zu können (Kymlicka 1999: 34f). Unsere Kultur liefere uns „die Brille, durch die wir Erfahrungen als wertvoll erkennen“ (Dworkin 1985: 228). Kymlicka hält die Vorstellung einer rein staatsbürgerlichen, auf ausschließlich politischen Werten beruhenden Nation für einen Mythos. Aufgrund der „unvermeidlichen Verbindung zwischen Staat, Kultur und individueller Freiheit“ (Kymlicka 1999: 46) befürwortet er daher die Unterstützung nationalistischer Bewegungen mit dem Ziel der Selbstverwaltung, wenn sie ein Bemühen um individuelle Freiheit widerspiegeln, wie dies in westlichen Demokratien – Qué-
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béc und Katalonien sind vor allem seine Beispiele – überwiegend der Fall sei. Nicht-liberale Nationen sollten Liberale nicht aufzulösen versuchen, sondern sich um ihre Liberalisierung bemühen. Er nimmt an, „dass der Umfang, in dem eine nationalistische Bewegung liberal ist, größtenteils davon abhängt, ob sie in einem Land mit alteingeführten liberalen Institutionen entsteht. (...) Eine nationalistische Bewegung, die versuchen würde, einer Bevölkerung, die an die Vorteile liberaler Regierung gewöhnt ist, illiberale Praktiken aufzuzwingen, würde keine Unterstützung finden. (...) Nationalistische Bewegungen tendieren demnach dazu, sich nach der politischen Kultur ihres Umfeldes zu richten“(ebd. 44).
Für eine Politik der Anerkennung spreche, dass – auch wenn das Gefühl einer distinkten Nation in einem größeren Land durchaus potenziell destabilisierend sei – die Zurückweisung von Selbstregierungsrechten ebenfalls destabilisierend wirke, „since it encourages resentment and even secession“ (Kymlicka 1995: 192). Optimistische Stimmen sehen in gruppendifferenzierter Staatsbürgerschaft die Hoffnung, dass der plurale im Gegensatz zum liberalen Staat die Fähigkeit habe, „to offer an emotional identity with the whole to counterbalance the emotional loyalties to ethnic and religious communities, which should prevent the fragmentation of society into narrow, selfish communalism“ (Modood 1999: 88). Zum Schutz kultureller Minderheiten schlägt Kymlicka drei Arten gruppendifferenzierter Rechte vor: (1) Selbstregierungsrechte für nationale Minderheiten, wie indigene Völker, die eigene „societal cultures“ haben und unabhängige politische Strukturen aufrecht erhalten können; (2) polyethnische Rechte für ethnische Minderheiten, wie Einwanderer, die nicht Selbstregierung fordern, sondern ermächtigt werden sollten, ihr kulturelles Erbe zu bewahren mit Hilfe von Gesetzen, die sie von manchen bürgerlichen Pflichten befreien oder besonderen Bedürfnissen der Anhänger verschiedener Religionen oder Sprachen entgegen kommen; und (3) spezielle Repräsentationsrechte für Gruppen, deren Anzahl und Umstände besondere Vorkehrungen erfordern, damit sie Zugang zum politischen Prozess haben.132 Kymlicka und Norman (2000) halten die Ängste vor Spaltung durch Gruppenrechte oft für übersteigert, denn die Forderungen von Immigranten und be132 Ausdifferenzierter lassen sich nach Levy (1997) kulturelle Rechte wie folgt klassifizieren, in ihrem Ziel auf Gruppenerhalt ansteigend geordnet: Ausnahmen von Gesetzen, die die kulturellen Praktiken bestrafen oder behindern; Beihilfe bei Dingen, für die die Mehrheit (oder privilegierte Gruppe) keine Beihilfe braucht; Spezielle Repräsentation von Gruppen und ihren Mitgliedern in Regierungsinstitutionen; Symbolische Anerkennung des Wertes oder der Existenz verschiedener Gruppen im Staat (verschiedene Formen der Anerkennung in Symbolen, Institutionen und politischer Kultur); Selbstregierung für nationale Minderheiten und indigene Gemeinschaften; Inkorporierung traditioneller oder religiöser Rechtscodes innerhalb des dominanten Rechtssystems; Externe Regeln, die die Freiheit von Nicht-Mitgliedern einschränken, um die Kultur zu schützen; Interne Regeln für das Verhalten der Mitglieder, mit Ächtung und Exkommunikation sanktioniert.
Versuch eines liberalen Multikulturalismus
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nachteiligten Gruppen nach polyethnischen oder speziellen Repräsentationsrechten seien in erster Linie Forderungen nach voller Integration und voller Mitgliedschaft in der größeren Gesellschaft. Besonders die meisten für Einwanderer konzipierten multikulturalistischen Maßnahmen wirkten nicht marginalisierend, sondern integrativ.133 Religiöse Rechtscodes sind hingegen ein deutlich umstritteneres Thema und Selbstverwaltungsrechte sehen selbst Kymlicka und Norman (2000) als gefährlich für die soziale Einheit an, auch wenn ihre Zurückweisung oft Sezession bedeute. Grundsätzlich sei ein liberaler Staat in der Pflicht zu „external protections“, dürfe jedoch keine „internal restrictions“ auferlegen (Kymlicka 1995: Kapitel 3). Er müsse jeder multikulturellen Politik zwei unverhandelbare Grenzen setzen: „Der Multikulturalismus muss die Gleichheit zwischen den Gruppen und die Freiheit innerhalb der Gruppen respektieren. Das heißt, die Politik des Multikulturalismus darf keiner Gruppe zugestehen, eine andere Gruppe zu unterdrücken, und sie darf nicht zulassen, dass irgendeine Gruppe ihre eigenen Mitglieder unterdrückt, indem sie ihnen die bürgerlichen und politischen Grundrechte kürzt“ (Kymlicka 1999: 63).
Während diese Unterscheidung der Tatsache Rechnung tragen möchte, dass es auch innerhalb von Minderheiten in der Regel Minderheiten gibt, bietet sie wenig praktische Anleitung. Externe Schutzvorrichtungen für Minderheitengruppen sind für diese wertvoll, da sie ihnen erlauben, ihre eigenen Angelegenheiten zu organisieren, was die Interpretation und das Auferlegen von Traditionen und Praktiken gegenüber ihren Mitgliedern einschließt – zuweilen Praktiken, die einige Mitglieder unterdrücken und diskriminieren. Würde man Minderheiten verbieten, die Rechte ihrer Mitglieder intern zu beschränken, wären ihre Gemeinschaftsregeln und -praktiken der Mitgliedschaft, Selbstverwaltung und Beteiligung, Ehe und Scheidung, Eigentumsverteilung und Kindererziehung betroffen – alles Bereiche des sozialen Lebens, über die Minderheiten die Kontrolle und den Schutz vor äußeren Einflüssen der Praktiken der Mehrheit haben wollen (vgl. Eisenberg/ Spinner-Halev 2005: 5). Insgesamt haben Liberale gegenüber solchen Forderungen von Minderheiten weniger Bedenken, die sich auf die prinzipielle Gleichheit berufen, mehr jedoch, wenn es um die prinzipielle Verschiedenheit ihrer Angehörigen von der Aufnahme- oder Mehrheitsgesellschaft geht. Forderungen zum Diskriminie133
Hierunter fasst er konkret folgende Liste: gezielte Förderung bestimmter Gruppen, Änderung des Lehrplans für die Fächer Geschichte und Literatur, Berücksichtigung religiöser Feiertage in Schulen und Betrieben, Einschränkung von Kleidervorschriften, antirassistische Unterrichtseinheiten, Normen zur Vermeidung von Belästigung am Arbeitsplatz und in der Schule, öffentliche Finanzierung ethnischer Kulturfestivals und Forschungsprogramme, muttersprachliches Dienstleistungsangebot für Erwachsene, zweisprachiger Unterricht für Kinder (Kymlicka 1999: 61f, 69).
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rungsabbau klagen die Durchsetzung gleicher Rechte für alle Gesellschaftsmitglieder ein. Ihr Ziel ist letztlich die Ermöglichung gleicher Teilhabe in der politischen Gemeinschaft für jedes Individuum ungeachtet seiner Gruppenzugehörigkeit, somit die tatsächliche Umsetzung liberaler Freiheits- und Gleichheitsrechte für jeden. Dies umfasst zum einen Individualrechte mit dem Charakter von Abwehrrechten gegen Benachteiligungen (vgl. Sackmann 2004: 69).134 Zum anderen lassen sich auch Gruppenrechte in begrenztem Umfang rechtfertigen, die anerkennen, dass Mitglieder bestimmter Minderheiten aufgrund historischer oder gegenwärtiger Diskriminierung besonderer Förderung bedürfen. Positive Diskriminierungsmaßnahmen, „affirmative action“ Programme, sind ihrer Logik entsprechend jedoch zumeist zeitlich begrenzt gedacht. Die Durchsetzung von Gleichberechtigung wird oft als positiver Effekt der politischen Organisation von Minderheiten gesehen (vgl. Elwert 1982). Denn obwohl es sich bei diesen Rechten um individuelle Gleichheitsrechte handelt, ist ihre Durchsetzung oft nur in kollektivem Handeln möglich, da dieser Prozess meist mit hohen Kosten verbunden ist. Außerdem erhöht die kollektive Forderung nach Gleichberechtigung deren Legitimität. Anders ausgerichtet sind Forderungen nach dem Ausbau der ethnischen Enklave, also solche nach einer möglichst weitgehenden Bewahrung der ethnischen Gruppe mit dem Ziel, innerhalb der Gesellschaft einen Bereich zu schaffen, in dem die Regeln, Bräuche und Bewertungsmuster der eigenen Gemeinschaft gelten. Die „Verfassung“ der Mehrheitsgesellschaft wird um Elemente der „Verfassung“ der Enklave bzw. des Herkunftslandes erweitert, um kulturelle Eigenheiten zu bewahren. Solche Gruppenrechte zielen auf die Besserstellung der Angehörigen einer Minderheitengruppe durch die aktive Bewahrung dieser Gruppe ab.135 Ein klassisches Beispiel hierfür sind Sprachenrechte, da Farbenblindheit (bzw. –taubheit) im Bereich der Sprache auf Dauer zu Assimilation führt.136 Das Recht auf Erhalt einer Sprache setzt daher aktive staatliche Maß134
Das klassische Beispiel für den Abbau von Benachteiligungen durch die Schaffung von Individualrechten ist der amerikanische „Civil Rights Act“, der Diskriminierungen aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlechtszugehörigkeit, Religion oder nationaler Herkunft in den verschiedensten Bereichen verbietet (Glazer 1983: 260ff). Typische Beispiele für Gleichberechtigungsforderungen von Einwanderervereinigungen heute sind die nach Einführung eines Ausländerwahlrechts, nach Einbürgerungserleichterungen und Anti-Diskriminierungsgesetzen. 135 Das klassische Beispiel für den Abbau von Benachteiligungen durch die Schaffung von Individualrechten ist der amerikanische „Civil Rights Act“, der Diskriminierungen aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlechtszugehörigkeit, Religion oder nationaler Herkunft in den verschiedensten Bereichen verbietet (Glazer 1983: 260ff). Typische Beispiele für Gleichberechtigungsforderungen von Einwanderervereinigungen heute sind die nach Einführung eines Ausländerwahlrechts, nach Einbürgerungserleichterungen und Anti-Diskriminierungsgesetzen. 136 Ein anderes Beispiel ist die Freistellung der Kinder der Amish people in den USA von der allgemeinen Schulpflicht.
Kommunitaristischer Multikulturalismus
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nahmen voraus, etwa die Förderung von Schulen und das Angebot staatlicher Dienstleistungen in der Minderheitensprache. Diese sollen eine Anreizstruktur schaffen, die es für die Angehörigen einer Gruppe möglich und lohnend macht, die Minderheitensprache beizubehalten. Während hier Liberale besonders skeptisch und zurückhaltend sind, gehen stärker multikulturalistische Vorstellungen deutlich weiter. 5.2 Kommunitaristischer Multikulturalismus Vertreter eines pluralistischen Kommunitarismus – wie Taylor, Walzer, Etzioni und Barber – fordern gerade die Anerkennung von Differenzen und Besonderheiten auch auf subnationaler Ebene. Dies geschieht jedoch nicht vor dem Hintergrund eines gemeinschaftsskeptischen Dekonstruktivismus von Foucault bis Derrida, sondern mit der Orientierung an den Tugendidealen des klassischen Republikanismus. Während jedoch der klassische Republikanismus durch seine Betonung des Vorrangs der politischen Gemeinschaft vor allem anderen vom Prinzip eher differenz-feindlich ist, machen sich diese Kommunitaristen gerade zu Fürsprechern der verschiedenen ethnischen und kulturellen Gemeinschaften. Liberale Multikulturalisten werden kritisiert, da sie im Grunde doch für Homogenität plädierten, wenn sie kulturelle Diversität nur unterstützen solange es sich um liberale Kulturen handele (Deveaux 2000; Parekh 2000). Wie bereits erwähnt, negieren Kommunitaristen die Möglichkeit einer universellen Moralität, da sie immer mit lokalen Verständnissen und Bedeutungen verbunden sei (Walzer 1996: 125). Young (1990) betont, dass der Liberalismus trotz seiner universalistischen Vorgaben lediglich existierende Muster von Dominanz perpetuiere, auch wenn dies im Namen individueller Freiheit und Gerechtigkeit geschehe. Deveaux (2000) ist überzeugt, der Liberalismus müsse angesichts des existierenden, gruppenbasierten kulturellen Pluralismus in dreifacher Hinsicht erweitert werden: Erstens müsse sein Verständnis von Diversität neu überdacht werden und sich von einer individualistischen hin zu einer sozialen und kollektiven Konzeption wandeln (ebd. 32). Zweitens, eng verbunden mit erstens, dürfe der Liberalismus unter kulturellem Pluralismus nicht nur moralischen oder Wertepluralismus verstehen. Und drittens müsse der Wert von Diversität größere Anerkennung finden, Differenz sollte weniger als Problem oder Hindernis, sondern vielmehr als bereichernd angesehen werden (ebd. 110). Während also sowohl eine republikanische als auch liberale Gemeinschaft, die durch den Bezug auf eine mehr oder weniger traditionale bis universalistisch gedachte Kultur einen hohen Assimilationszwang auf Minderheiten ausüben würden, kritisiert werden, betont Charles Taylor (1993), dass die notwendige
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„Liebe des Besonderen” auch die Anerkennung des Wertes anderer Gemeinschaften beinhalten könne. Zur Wahrung von Selbstvertrauen und Selbstachtung plädiert er für das Recht jedes Individuums auf Anerkennung seiner Würde und Authentizität. Da es diese in sozialen bzw. kulturellen Zusammenhängen ausbildet, müsse allen Kulturen, die vielen Menschen über lange Zeit einen Bedeutungshorizont eröffnet haben, zumindest die Annahme der Gleichwertigkeit entgegengebracht und diese unter Umständen geschützt werden. Taylor baut zwar auf der Basis liberaler Grundrechte auf, doch geht für ihn Kymlickas Lösung gruppendifferenzierter Rechte nicht weit genug in der Anerkennung dessen, wieviel Gruppen ihren Mitgliedern bedeuten. Taylor sieht jenseits des instrumentellen Wertes kultureller Diversität auch einen intrinsischen Wert von Kulturen, ihre Präsenz bereichere uns alle, so dass Gemeinschaften gegebenenfalls nicht nur vor Einflüssen von außen zu schützen seien, sondern auch deren Überleben sollte für künftige Generationen gesichert werden. Neben den unterschiedslos geltenden Grundrechten sei daher ein breites Spektrum von Ansprüchen auf Gleichberechtigung und Sonderrechten zur Unterstützung der Ausdrucksmöglichkeiten von Gruppen gerechtfertigt. Bei diesen sei „die Wichtigkeit bestimmter Formen von Gleichbehandlung abzuwägen (...) gegen die Wichtigkeit des Überlebens einer Kultur“ (1993b: 62), wobei manchmal zugunsten des letzteren entschieden werden sollte. Unter bestimmten Umständen seien also grundrechtseinschränkende Statusgarantien für das Überleben bedrohter kultureller Lebensformen erlaubt und somit Politiken, die aktiv bestrebt sind, Angehörige dieser Gruppe zu erzeugen, indem sie beispielsweise dafür sorgen, dass im kanadischen Québéc auch kommende Generationen frankophon sind. Das Grundkonzept ist das einer mosaikartigen ‚Gemeinschaft von Gemeinschaften‘. Auch wenn diese Formulierung stark an die „social union of social unions“ von Rawls erinnert, was durchaus die Nähe beider Theoretiker zeigt, bleiben grundlegende Unterschiede bestehen. Taylor selbst (1993) betont den Unterschied beider Ansätze in der Frage, welche Würde des einzelnen anerkannt werden soll: die allen Menschen zu gleichen Teilen zukommende Würde, universalistisch und egalitär, oder die den Menschen als besondere Individuen zukommende Würde der Differenz oder Authentizität. Die umfassende Gemeinschaft ist daher bei Taylor stärker zu verstehen, die Notwendigkeit von Einheit ist ausgeprägter, so dass Rawls dem von ihm postulierten liberalen Nationalismus nicht in vollem Maße zustimmen würde. Ebenso ausgeprägter sind aber auch die Maßnahmen zur Anerkennung verschiedener Gruppen und ihrer kollektiven Würde und Authentizität. Individuelle und kollektive Ansprüche auf Authentizität geraten allerdings nicht selten in Konflikt miteinander. Unter welchen Bedingungen darf das Streben eines Individuums nach authentischer Selbstverwirklichung dem Kampf von
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Kollektiven untergeordnet werden? Die moralische Autonomie des einzelnen den Strategien kollektiver Identität unterzuordnen und bestimmte kollektive Lebensformen anderen vorzuziehen, ist politisch gefährlich. Wenn ein Gruppenrecht auf kulturelle Reproduktion anerkannt wird, in einer ethnisch pluralen Gesellschaft auch für mehrere Gruppen, muss eine Rechtfertigung dafür gegeben werden, bis zu welchem Ausmaß Gruppen Rechte verdienen oder welche Gruppen sich überhaupt als Rechtsinhaber qualifizieren. Wer soll letztlich Schiedsrichter sein über die Werte der alle Gruppen umfassenden Gemeinschaft? Wird die Existenz universeller Werte abgelehnt, besteht eine besondere Herausforderung darin, „gesellschaftliche Formationen zu entwickeln, die den bereichernden Besonderheiten autonomer Subkulturen und Gemeinschaften genügend Raum verschaffen und gleichzeitig deren Grundbestand an gemeinsamen Werten aufrechterhalten“ (Etzioni 1997: 256). Etzionis Lösungsvorschlag für die konkrete institutionelle Umsetzung liegt nicht weit entfernt von liberalen Vorstellungen. Der gemeinsame Rahmen hat als Kernstücke: Demokratie als Wert, Verbindlichkeit von Verfassung und Grundrechten, abgestufte Loyalitäten, Toleranz und nur eingeschränkte Identitätspolitiken (ebd.). Allerdings fügt er eine zusätzliche Idee hinzu: die zentrale Bedeutung gesellschaftsweiter moralischer Dialoge. Bei einem Aufeinandertreffen verschiedener Gemeinschaften komme es darauf an, übergreifende moralische Dialoge zu entwickeln (Megaloge), die der Abgleichung der Zielvorstellungen dienen sollen. Diese könnten und sollten nicht von den wirklichen Überzeugungen konkreter Menschen rein gehalten werden, müssten aber demokratischen Rahmenbedingungen entsprechen. Eine Kultur zu respektieren bedeute nicht die blinde Akzeptanz oder Unterstützung jeder kulturellen Praktik. Bei strittigen Fragen lehnen diese Multikulturalisten aber ab, dass der Staat lediglich seine Werte kulturellen Minderheiten aufoktroyiert und betonen stattdessen verschiedene Formen der Deliberation und des Dialogs zwischen Mehrheit und Minderheit oder unter den Mitgliedern der Minderheiten selbst. Kommunitaristisches Denken ist daher gemäßigt antiuniversalistisch und verfolgt in einer Art Stückwerk-Universalismus das Grundkonzept einer mosaikartigen Gemeinschaft von Gemeinschaften, die sich dank eines Grundbestands gemeinsamer Werte aufrechterhält, worin sie liberalen Vorstellungen sehr ähnelt. Jedoch können, ja sogar müssen kulturelle Differenzen in der Logik kommunitaristischer Pluralisten öffentlich und zur Grundlage kollektiver Deliberationen gemacht werden. Durch Beteiligung an solchen im besten Fall konsensorientierten Deliberationen lasse sich die verbindende Moral interpretieren und Solidarität trotz der Unterschiede stärken.137 Damit unterscheiden sich liberale und kommunitaristische Pluralisten nicht nur hinsichtlich 137
Vgl. Manifest von Amitai Etzioni (2007) „Vielfalt in der Einheit“ (“Diversity Within Unity”).
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der Rechtfertigung von Gruppenrechten, sondern auch hinsichtlich der Beachtung ihres Entstehungsprozesses. Da das Gemeinwohl am besten durch Einbindung, nicht Etatismus erreicht werden könne, plädiert Taylor trotz seiner Furcht vor Fragmentierungstendenzen für politische Dezentralisierung sowohl in institutioneller als auch territorialer Hinsicht. Denn eine Politik der demokratischen Ermächtigung müsse auf Subsidiarität, Föderalismus und Dezentralisierung setzen, auf die Unterstützung regionaler Autonomie und der Ausdrucksmöglichkeiten kleiner Gruppen und Gruppenunterschiede. Ebenso haben diese Theoretiker eine durchaus wohlwollende Haltung gegenüber Parteien (Taylor 2002: 25), zumindest in ihrer Funktion als Programm- und Volksparteien, weniger als personenzentrierte Wahlkampfmaschinen. Es handelt sich hier somit um eine repräsentations-freundlichere Variante des Kommunitarismus. Dezentralisierung könne aber nur dann ein Heilmittel gegen Fragmentierung sein, wenn es gelingt, dezentralisierte Partizipationsarenen an Identifikationsgemeinschaften anzuschließen oder solche Identifikationsmöglichkeiten durch Partizipation zu intensivieren (ebd.). Neben politischen Parteien, Betrieben und sozialen Institutionen (wie Schulen) kommen dafür vor allem Gemeinden in Betracht. Dezentralisierung im Sinne einer Verteilung öffentlicher Mittel an kleine soziale Gemeinschaften würde in vollständiger Konsequenz in einer Gruppenstruktur oder Korporatismus münden. Je mehr Freiheiten Korporationen statt Individuen zugebilligt werden, desto mehr werden existierende Gemeinschaften vor anderen Gruppen und vor staatlicher Einflussnahme geschützt. Zugleich wird aber auch die Gründung neuer Gruppen durch Individuen, die mit den vorherrschenden Gemeinschaftsformen unzufrieden sind, erheblich erschwert (vgl. Buchanan 1989: 862). Dass die meisten modernen Kommunitaristen kaum auf korporatistische Strukturen direkt Bezug nehmen, zeigt, wie sehr sie innerhalb der gegenwärtigen liberalen Gesellschaftsstruktur argumentieren (Reese-Schäfer 1997: 451). So sehr sie sich vom radikalen Liberalismus der individuellen Selbstbereicherung unterscheiden – „mit den modernen Wohlfahrtsstaatsliberalen herrscht letztlich weitgehende Übereinstimmung: Die Freiheits- und Verteilungsrechte bestehen gegenüber dem Staat, nicht gegenüber einzelnen Untergruppen. Er ist das, was John Dewey mit der ‚great community’ meinte. So wichtig kleinere Einheiten für das Zusammenleben und auch für das öffentliche Leben sein mögen und so sehr sie aus diesem Grunde auch Förderung verdienen: in allen zentralen Bereichen von Rechten muss auch nach der Vorstellung eigentlich aller Kommunitarier Gleichheit auf dem gegenwärtig erreichten Stand der Universalisierung, also mindestens auf nationalstaatlichem Niveau angestrebt werden.“ (ebd. 452)
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Sowohl liberale als auch kommunitaristische Vorstellungen von Multikulturalismus stehen in Übereinstimmung mit dem von Smooha und Van den Berghe als multikulturelle Demokratie bezeichneten Modell. Smooha (2001: 20) lokalisiert es zwischen dem republikanischen und dem gleich zu erläuternden konsoziativen Modell. Van den Berghe (2002) betont, dass multikulturelle Demokratie weniger assimilierend und ausschließend sei, sie versuche Raum für kulturelle Diversität zu schaffen, ohne diese zugleich zu offizialisieren, ohne Gruppenrechte notwendig zu institutionalisieren. Betrachtet man jedoch die konkreten Maßnahmen – legaler Schutz und öffentliche Finanzierung des Ausdrucks kultureller Besonderheiten, Föderalismus als Form der Selbstregierung bis hin zu gruppenbasierter politischer Repräsentation – wird der Übergang fließend. 5.3 Konsoziatives Modell von Multikulturalismus Die Steigerung kommunitaristischer Vorstellungen von Multikulturalismus ist weniger partizipatorisch orientiert. Dies gilt insbesondere für eine stark nach ethnischen Gemeinschaften organisierte Form von Demokratie, der von Lijphart für ethnisch gespaltene Länder empfohlenen „Consociational Democracy“, im Folgenden als konsoziative, Verhandlungs- oder Konkordanzdemokratie bezeichnet. Diese Form der Demokratie beinhaltet einen starken Multikulturalismus oder auch segmentierten Pluralismus, der sich in institutionellen Arrangements und Verhandlungen zwischen Eliten niederschlägt. Dabei unterscheidet sich dieser Ansatz am weitestgehenden von unitären oder assimilationistischen Vorstellungen demokratischer Gemeinschaft: „Its approach is not to abolish or weaken segmental cleavages but to recognize them explicitly and to turn the segments into constructive elements of stable democracy“ (Lijphart 1977: 42). Diese Demokratieform wurde zunächst in erster Linie auf der Grundlage der empirischen Frage nach den Ursachen der Stabilität der multi-religiösen Demokratie in den Niederlanden (Lijphart 1968) ausgearbeitet138, darüber hinaus aber auch empfohlen als normatives Modell, „that is of special importance to the plural societies of the Third World“ (Lijphart 1977: 3); es handelt sich also sowohl um ein empirisches als auch normatives Modell.
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Relativ zeitgleich zu Lijpharts erster Analyse der Niederlande als „consociational democracy“ (1968), führte Lehmbruch (1968) den parallelen Begriff der Konkordanzdemokratie ein – zunächst als Proporzdemokratie bezeichnet (1967) –, um die proportionalen Praktiken in der Schweiz und Österreich zu diskutieren. Während Lehmbruch die Bedeutung der historisch gewachsenen politischen Kultur für konkordanzdemokratische Koexistenz betont, hebt Lijphart besonders auf die geeigneten Verfassungsmechanismen ab.
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Konsoziative Demokratie lässt sich auf einer von Lijphart entwickelten Typologie verorten, die Demokratien auf einem Kontinuum von sehr majoritärer bis sehr konsensueller Natur ansiedelt.139 Die übergeordnete Frage ist: „Wer regiert?“ Für majoritäre Systeme lautet die Antwort „die Mehrheit des Volkes“, für konsensuelle Systeme hingegen „so viele wie möglich“ (Lijphart 1984: 4). Power-Sharing oder Machtteilung kann als weiter Oberbegriff konsensuell orientierter Modelle angesehen werden, der die zentrale Idee des Konzepts beinhaltet: politische Macht wird nicht wie in der klassischen Mehrheitsdemokratie, dem Westminster Modell, auf verschiedenen Ebenen des politischen Systems konzentriert, sondern durch unterschiedliche Mechanismen aufgeteilt. Kompromissbildung und Aushandlung als typische Verhaltensweisen der politischen Eliten stehen dabei den majoritären Prinzipien von Mehrheitsentscheidung und Wettbewerb gegenüber. Eine konsoziative Demokratie zeichnet sich durch eine spezifische Form der Machtteilung aus, die vor allem auf Lijpharts grundlegendes Buch „Democracy in Plural Societies“ (1977; vgl. auch 1994a; 1994b) zurückgeht. Diese Demokratieform kann durch vier Elemente definiert werden: „Primary characteristics (...) are the sharing of executive power and group autonomy“ (Lijphart 1995: 856). Machtteilung bedeutet die Partizipation der Repräsentanten aller signifikanten Gruppen an der politischen Entscheidungsfindung, besonders in der Exekutive, zumeist in Form großer Koalitionen. Gruppenautonomie wiederum gesteht diesen Gruppen die Selbstbestimmung ihrer internen Angelegenheiten, wie im Bereich von Bildung und Kultur, zu. Sind ethnische Gruppen geografisch konzentriert, empfehle sich eine föderalistische Struktur. „Secundary characteristics are proportionality and the minority veto“ (ebd.; vgl. auch 1977: 25). Proportionalität ist der Standard für politische Repräsentation, Beamtenernennungen und Verteilung öffentlicher Ressourcen. Zudem sorgt ein Minderheiten VetoRecht für einen zusätzlichen Schutz vitaler Minderheiteninteressen. Das oberste Ziel dieser vier Elemente ist, das Sicherheitsgefühl jeder Gruppe zu erhöhen, indem sie möglichst große Kontrolle über ihr eigenes Schicksal erhält, ohne die Sicherheit anderer Gruppen zu gefährden. Auch wenn dieser Demokratietyp teilweise durch eine Konstitution definiert ist (vgl. Lehmbruch 2003; Lijphart 1999: 303), ist sein hervortretendstes Merkmal die Bedeutung informeller Regeln für das Verhalten der Eliten: „a moderate attitude and a willingness to compromise are prerequisites for the formation of a grand coalition“ (Lijphart 1977: 31). Andere machtteilende, formale Strukturen wie Föderalismus unterstützen diese informellen Regeln. Damit soll politische Stabilität gesichert wer139 Zur Diskussion konsoziativer Demokratie im Rahmen verschiedener Einteilungen nach Demokratietypen vgl. Fuchs 1999a und Roller 2005: 97-101.
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den, also der Erhalt des Systems, der zivilen Ordnung, der Legitimität und Effektivität (ebd. 4). In bewusster Abgrenzung von der im anglo-sächsischen Raum vorherrschenden Mehrheitsdemokratie wird diese Demokratieform gerade für stark segmentierte Gesellschaften empfohlen. Die Rechtfertigung dreht sich jedoch weniger um normative Argumente wie Selbst-Respekt, Würde oder Authentizität der Individuen und Gruppen als vielmehr ganz grundlegend um Frieden und das Überleben demokratischer Strukturen. Macht sollte in pluralen Gesellschaften geteilt werden, da in majoritären Systemen die Möglichkeit eines dauerhaften politischen Ausschlusses bestimmter Gruppen, insbesondere von Minderheiten, besteht, der zu erhöhter Gruppenmobilisierung führt und Konflikte schürt. In der Tat kommt eine komparative Studie demokratischer Erfahrungen in 26 sich entwickelnden Staaten zu dem Schluss: „when ethnic leaders are allowed to share power, they generally act according to the rules of the game, but when the state responds to ethnic mobilization with exclusion and repression, violence fosters“ (Diamond/ Linz/ Lipset 1990: 29). Lijphart sieht allerdings selbst einige Probleme: konsoziative Demokratie sei nicht demokratisch genug und nur unzureichend fähig, eine stabile und effiziente Regierung zu bilden (Lijphart 1977: 47). Die große Koalition bringe sicher eine nur schwache bis hin zu fehlender Opposition in der Legislative mit sich. Dies sei jedoch angesichts eines segmentierten Pluralismus, bei dem es durch die Verknüpfung von gesellschaftlichen Cleavages und Parteien wenig Bewegung der Stimmen zwischen Parteien gebe, einer Situation vorzuziehen, in der ein oder mehrere Minderheitensegmente dauerhaft von der Regierungsbeteiligung ausgeschlossen seien (ebd. 48). Der Vorwurf, konsoziative Demokratie verwirkliche nicht die demokratische Dreiheit von Freiheit, Gleichheit und Solidarität liegt außerdem nahe. Das Segment, zu dem ein Individuum gehört, kann unterdrückend sein. Lijphart gibt dies offen zu und stellt klar: „First, consociational democracy is more concerned with the equal or proportional treatment of groups than with individual equality. Second, segmental isolation and autonomy may be obstacles to the achievement of societywide equality“ (ebd. 49). Separation möge zwar zu Ungleichheit tendieren, führe aber nicht unweigerlich dazu. Auch sieht er deutlich, dass Solidarität eine erstrebenswerte Form positiven Friedens sei, im Vergleich zu welcher der lediglich ‚negative’ Frieden konsoziativer Demokratie verblasse. Doch sollte friedliche Koexistenz nicht zu gering geschätzt werden, besonders wenn sie zunächst das einzig erreichbare Ziel ist. „(I)n a plural society democratic peaceful coexistence is vastly preferable both to nondemocratic peace and to an unstable democracy rent by segmental strife“ (ebd.).
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Die strukturelle Elitendominanz in konsoziativen Demokratien impliziert wiederum eine weitgehend passive und gleichgültige Rolle der Nichteliten. Lijphart weist jedoch darauf hin, dass konsoziative Demokratie durchaus kompatibel sei mit einem beträchtlichen Maß an Beteiligung in segmentiellen Organisationen durch die Mitglieder der Segmente (ebd. 50). Darüberhinaus können aber mehrere Merkmale konsoziativer Demokratie zu Unentschiedenheit und Ineffizienz führen, so dass politische Stabilität nur unzureichend gesichert werden kann. Durch die große Koalition ist die Entscheidungsfindung langsam. Das gegenseitige Vetorecht kann die Entscheidungsfindung komplett zum Stillstand bringen.140 Proportionalität als Einstellungskriterium geht außerdem auf Kosten administrativer Effizienz. Segmentielle Autonomie vervielfacht die Verwaltungskosten und ist somit eine teure Form der Regierung (ebd. 50f). Dem hält Lijphart überzeugt entgegen: „consociational democracy may appear slow and ponderous in the short run but has a greater chance to produce effective decisions over time, particularly if the leaders learn to apply the mutual veto with moderation“ (ebd. 51f). Eine letzte Gefahr liegt darin, dass in diesem Demokratiemodell die Regierung und das Regime übereinstimmen, so dass Unzufriedenheit mit der Performanz der Regierung schnell zur Abwendung vom Regime führen kann (ebd. 52). Lijphart verweist jedoch darauf, dass durch das proportionale Wahlrecht neue politische Parteien leicht Zugang zum politischen Prozess hätten, die möglicherweise gegen diese Art von Regime sind, aber nicht notwendigerweise antidemokratisch – was in den Niederlanden in den späten 1960er Jahren der Fall war, infolgedessen die konsoziative Natur dieser Demokratie abnahm. Hierin sieht Lijphart eine abschließende Antwort auf die Schwächen konsoziativer Demokratie: „when these weaknesses are felt to be increasingly onerous, and particularly when they are regarded as less and less necessary because a society has become less plural, it is not difficult to move from a consociational to a more competitive democratic regime“ (ebd. 52). Die Kritiker der konsoziativen Demokratie, unter denen Donald L. Horowitz der prominenteste ist, haben hier viel Angriffsfläche. Sie beziehen sich hauptsächlich auf die Nachteile der Machtteilung in der Exekutive. Die Abhängigkeit von der Kooperations- und Versöhnungsbereitschaft der Elite mache „consociationalism“ besonders in postkolonialen Staaten wenig effektiv (Horowitz 1985: 563f; 568f). Insgesamt sei der Ansatz im Hinblick auf die Motivation 140 Die größte Gefahr des Minderheitenvetos liege darin, dass es zur Tyrannei einer Minderheit führen könne. Allerdings sieht er diese Gefahr nicht als so groß an, da es sich erstens um ein gegenseitiges Vetorecht handle, zweitens verleihe dieses Recht ein Sicherheitsgefühl, das dessen Gebrauch weitgehend überflüssig mache, und drittens würde jedes Segment die Gefahr des totalen Stillstands sehen, wenn exzessiv von diesem Recht Gebrauch gemacht würde (Lijphart 1977: 37).
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der Akteure unangemessen, es fehlten Anreize zu moderatem Verhalten. Lijphart identifiziert ursprünglich „statemanship“ als Grund, weshalb Eliten ein Kartell über Gruppenlinien hinweg bildeten, um interethnische Differenzen beizulegen (Lijphart 1977: 53, 165). Mittlerweile spezifiziert er, das Motiv sei weniger Staatskönnen als vielmehr der Wunsch, in eine Koalition einzutreten (Lijphart 1999: 7f). Horowitz (1999) macht jedoch darauf aufmerksam, dass die Führer von Mehrheiten unterschiedliche Ziele und Motive haben als die von Minderheiten. Zudem stelle der zentrifugale Wettkampf um Gruppentreue eine enorme Beschränkung für Kompromisse über Gruppenlinien hinweg dar. Allgemein wird Konsens oder Konkordanz als Strukturprinzip einer Demokratie dann als geeignet angesehen, wenn Gesellschaften gerade erst zusammenwachsen, deren Gruppenbeziehungen noch primär von Misstrauen geprägt sind, aber auch wenn es sich um alte, saturierte Systeme mit geringem Steuerungsbedarf handelt (Abromeit 1993: 177). Da alle relevanten Gruppen – Regionen wie in föderalistischen Strukturen, Sozialpartner wie in korporatistischen Strukturen – in gesamtgesellschaftliche Entscheidungen miteinbezogen werden, enthält diese Regierungsform ein hohes Befriedigungspotenzial, aber auch hohe Entscheidungskosten. „Die Konkordanzdemokratie schafft Konsens – und nimmt sich Zeit dazu; sie baut auf Elitenkooperation – und erzeugt dabei Frustration an der Basis; sie verzichtet auf die einfache und rasche Problemlösung – und lässt daher so manches Problem ungelöst“ (ebd.). Faktisch gilt das Veto- und Mitentscheidungsrecht nur für bestimmte Gruppen. Daraus ergeben sich Abgrenzungsprobleme, zumal die Wichtigkeit der Segmente – wie auch immer gemessen, ob nach Umfang, Leistungsbeitrag, Drohpotenzial – stetem Wandel unterliegt. Jeder Abgrenzungsversuch führt unvermeidlich zu legitimatorischen Dilemmata, möchte man eine theoretisch nicht begründbare Hierarchie der Gruppeninteressen vermeiden.141 So findet natürlich auch in diesen Systemen eine Selektion der Interessen statt, schon allein dadurch, dass sie als Elitenkartell funktionieren und die Durchorganisierung der Gesellschaft voraussetzen. Für die Gesamtselektivität von Konkordanzsystemen gelten folgende Erwartungen: Erstens, da Parteienkonkurrenz hier keine Rolle spielt, wird die Selektivität durch das Verbändesystem bestimmt. Schwer organisierbare und Allgemeininteressen haben kaum Chancen. Je weniger es Ventile zu punktueller Interessenberücksichtigung gibt, desto mehr wird diese unter oligarchischer Verzerrung leiden. Maßgeblich sind dann primär die Interessen der Eliten selbst. Zweitens besteht eine deutliche Asymmetrie zwischen veränderungswilligen und 141
In der Schweiz wählte man aus diesem Dilemma einen geschickten Ausweg: Relevant ist jede Gruppe, die „referendumsfähig“, also in der Lage ist, eine Volksabstimmung herbeizuführen. Um Vetorechte zu erlangen, muss also ein Gesellschaftssegment präsent sein – organisiert und konfliktfähig (Abromeit 1993: 178).
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Status Quo-Gruppen; da im Allgemeinen nur die Unzufriedenen Veränderungen anstreben, werden Unterprivilegierte benachteiligt, die dem Veto veränderungsunwilliger Gruppen gegenüberstehen. Drittens gilt zumeist, dass Probleme, bei denen zentraler Regelungsbedarf besteht, vernachlässigt werden. Der hohe Zeitbedarf gesamtgesellschaftlicher Entscheidungsfindung wird als großer Nachteil angesehen. Die Konkordanz ist für Notfälle ungeeignet. Neben der Elitendominanz und dem intransparenten Charakter der Verhandlungen nennt auch Lijphart selbst das große Ausmaß politischen Immobilismus (Lijphart 1968: 111, 129, 131). Dieser kann zu moralisch unhaltbaren Stockungen führen, wenn ein ungerechter Status Quo aufrechterhalten wird (Bellamy/ Hollis 1999: 75; vgl. auch Bellamy 1999: 127). Allerdings ist zu beachten, dass das Konkordanzprinzip in erster Linie für die Ebene gesamtgesellschaftlicher Entscheidungen gilt. Im idealtypischen Fall finden die relevanten Interessenabgleichungsprozesse unterhalb dieser Ebene, also in den autonomen Segmenten. Dabei kann Gruppenautonomie – wie bereits als liberale Kritik an Multikulturalismus erwähnt – interne Restriktionen individueller Rechte mit sich bringen, vor allem des Rechts „to question and dissent from traditional practices“ (Kymlicka 1995: 154). In konsoziativen Demokratien werden auf unterer Ebene entstehende Asymmetrien zwischen segmentsinternen Mehr- und Minderheiten, zwischen Mächtigen und Benachteiligten, zentral häufig nicht korrigiert. Konkordanzsysteme und im Besonderen konsoziative Demokratien haben also schwerwiegende Probleme: das Kartellproblem der Kostenintensität und Bewegungsunfähigkeit sowie das Oligarchieproblem und das daraus erwachsende Legitimationsdefizit. Solche Systeme werden daher häufig als Übergangsstadien angesehen (Abromeit 1993: 180). Dies entspricht letztlich auch Lijpharts Einschätzung: Die ursprünglichen europäischen konsoziativen Demokratien – Österreich, Belgien, die Niederlande und die Schweiz– entfernten sich seit den 50er Jahren zunehmend von dieser Demokratieform nicht aufgrund eines Versagens konsoziativer Demokratie, „but because consociationalism by its very success has begun to make itself superfluous“ (Lijphart 1977: 2). Die Chancen der Persistenz wachsen, wenn neuen und benachteiligten Gruppen die Integration ins Elitenkartell erlaubt wird. Ebenso wichtig sind partizipatorische Ventile sowie eine (Selbst-)Organisation der Gesellschaft, die den zentralen Regelungsbedarf dauerhaft gering hält.142 Insgesamt werden in einer konsoziativen Demokratie die in der politischen Gemeinschaft zusammengeschlossenen subnationalen Gemeinschaften ethnischer oder religiöser Natur (wie im Fall der Niederlande) als abgegrenzte Kollektive betrachtet und behandelt, also als traditional bis primordial konstruierte 142
Als erfolgreiches stabiles Beispiel gilt immer wieder die Schweiz (z.B. Abromeit 1993: 183-198).
Konsoziatives Modell von Multikulturalismus
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Gemeinschaften, die durch interne Solidarität gekennzeichnet und staatsunabhängig organisiert sind. Das Problem jeder multikulturalistischen Argumentation zugunsten von Gruppenrechten, dass sie Kulturen und kollektive Identitäten künstlich einfrieren und zu bewahren suchen, trifft auf diese starke Form von Multikulturalismus besonders zu. Doch „cultures live and grow, change and sometimes wither away; they amalgate with other cultures. (...) To preserve a culture is often to take a ‘favored’ snapshot version of it and insist that this version must persist at all costs” (Waldron 1992: 109f). Darüber hinaus institutionalisiert das konsoziative Modell in besonderer Form die zwischen den Gemeinschaften herrschende Konkurrenz, in der Regel muss um jeden Kompromiss gerungen werden, der bisweilen nicht von langer Dauer ist, wenn er lediglich auf den Nutzenkalkülen von Repräsentanten der ethnischen Gemeinschaften ruht. Damit jedoch Kompromissfindung überhaupt zustande kommt, bedarf es der Kompromissbereitschaft, der Einsicht in die Notwendigkeit oder gar allgemeinen Konsensorientierung dieser Eliten. Aufgrund der starken Elitenorientierung dieses Demokratiemodells setzt es darüber hinaus deren Vermittlungsfähigkeit gegenüber ihrer Basis voraus, damit die eingegangenen Kompromisse auch eingehalten werden. Die staatlich gesicherte Kooperation und ihre institutionalisierten Kompromisse hängen somit von der Repräsentativität der ethnischen Eliten ab.143 In bewusst provozierender Anlehnung an multikulturalistische Ansätze versteht sich auf der äußersten politischen Rechten das Demokratieverständnis der „nouvelle droite“, deren Ideologen den Begriff des Ethnopluralismus vertreten (Gessenharter/ Fröchling 1998).144 Anders als die nationalsozialistischen Vorläufer der „Neuen Rechten“ distanziert sich beispielsweise de Benoist (2003) von rassistischen Argumenten und beruft sich stattdessen auf historisch gewachsene kulturelle Identitäten, die es angesichts zunehmender Globalisierungsprozesse zu erhalten gelte (vgl. Buchstein 2004: 54). Statt von Rasse spricht de Benoist von Völkern und Volksgemeinschaften. Mit der Parole „Vive la différence“ spricht er sich gegen Integration oder allgemein Vermischung von Menschen unterschiedlicher Herkunft aus. Individuen haben für ihn die Pflicht, verschieden zu sein, in dem Sinne, dass sie sich in völkischen Kollektiven zusammenschließen sollten. Mithilfe einer kulturalistischen Argumentation wird hier ein Demokratiemodell ethnischer Dominanz verteidigt. Dabei wird versucht – ähnlich wie in rechtspopulistischen Parteien in einigen europäischen Ländern –, linke und rechte 143
Damit ist Verhandlungsdemokratie weder kommunitaristisch noch pluralistisch: zum einen ist die direkte Beteiligung und starke Identifikation mit dem Ganzen nicht vorgesehen, zum anderen werden ethno-kulturelle Differenzen als solche und auf Dauer in Kollektivrechten und -repräsentationen institutionalisiert. 144 Dies findet im deutschen neonazistischen Milieu seit einigen Jahren zunehmend Gefolgschaft.
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Multi-ethnischer Demos
Ideen zu kombinieren. Die bestehende Form der liberalen Repräsentativdemokratie wird als Oligarchie kritisiert, sie sei nicht vom Volk legitimiert, weshalb weitreichende basis- und direktdemokratische Reformen gefordert werden, die nur in einer kulturell homogenen Gesellschaft realisiert werden könnten (de Benoist 1982; vgl. Buchstein 2004: 54). Generell ist es entscheidend, wem Gruppenrechte zugebilligt werden und wem nicht. Gibt es einen titularen „Besitzer“ des Staates, fordert dieser in der Tat häufig Staatsressourcen für die eigene kulturelle Reproduktion und legt die Bedingungen fest, zu denen die Bildung und Kultur von Minderheiten unterstützt wird. Werden Kollektivrechte nur dem ethnisch dominanten Teil der Bevölkerung, in der Regel der Mehrheit einer politischen Gemeinschaft zugesprochen, kann dies so weit gehen, dass Minderheiten von der politischen Macht oder sogar aus der physischen Nähe zur Mehrheit entfernt werden. Etwas moderater ist die Position, welche die Präsenz von Minderheiten und möglicherweise ihre politische Beteiligung akzeptiert, ihnen aber nur individuelle Rechte zuspricht und kollektive Rechte auf kulturelle Reproduktion für Mitglieder der Mehrheit reserviert. Werden demokratische Minimalbedingungen wie regelmäßige, freie Wahlen und die Wahrung der Menschenrechte eingehalten, bezeichnet Smooha (2001) dies als ethnische Demokratie. Dieses Modell von Demokratie kombiniert bürgerliche und politische Rechte für alle Bürger mit einer institutionalisierten Überlegenheit der ethnischen Mehrheitsgruppe.145 Diese kontrolliert den Staat und nutzt ihn um ihre Interessen zu verfolgen und ihren Mitgliedern einen begünstigten Status zu sichern. Den Angehörigen von Gruppen außerhalb des Zentrums werden zwar individuelle Rechte zugestanden, jedoch werden sie als Bürger zweiter Klasse behandelt und kontrolliert. Smooha betont, dass der demokratische Rahmen trotzdem nicht als Fassade angesehen werden muss, solange er gewährleistet, dass die Minderheit für ihre Rechte und die Verbesserung ihrer Situation kämpfen kann, ohne Repressionen fürchten zu müssen. Allerdings legt der Staat der Minderheit verschiedene Kontrollen und Restriktionen auf, um den Status Quo zu erhalten sowie Unruhen und Instabilität zu verhindern. Es handelt sich somit um eine qualitativ minderwertige Form von Demokratie, die allerdings durchaus stabil sein kann – besonders wenn die Minderheit nummerisch deutlich unterlegen, in mehrere Parteien gespalten und durch Einwanderung entstanden ist, sowie zugleich das internationa-
145 „The founding rule of this regime is an inherent contradiction between two principles – civil and political rights for all and structural subordination of the minority to the majority. ‚The democratic principle’ provides equality between all citizens and members of society, while ‚the ethnic principle’ establishes explicit ethnic inequality, preference and dominance“ (Smooha 2001: 24f).
Konsoziatives Modell von Multikulturalismus
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le System wohlwollend zuschaut (Smooha 2001: 36-38).146 Smooha ist überzeugt, dass das Modell ethnischer Demokratie besonders in Staaten zur Anwendung kommt, die versuchen, ihre geteilten Gesellschaften zu demokratisieren, ohne die strukturelle Dominanz der Mehrheit aufzugeben.147 Insgesamt bleibt die Spannung zwischen moralischem Universalismus und kultureller Differenz, zwischen der Forderung nach staatsbürgerlicher Gleichheit und der Anerkennung partikularer Authentizität und Würde von Kollektiven schwer zu lösen. Habermas unternimmt einen Versuch, indem er betont, dass in modernen Demokratien jede und jeder dreifache Anerkennung finden solle (1998: 638): 1. in ihrer Integrität als unvertretbare Individuen, 2. als Angehörige einer ethnischen oder kulturellen Gruppe und 3. als Bürgerin, d.h. als Mitglieder des politischen Gemeinwesens. In allen drei Anerkennungsdimensionen sollten die Staatsbürger gleichen Schutz und gleiche Achtung erfahren, was in Modellen ethnischer Dominanz beispielsweise deutlich nicht der Fall ist. Indem Habermas allen drei Dimensionen dieselbe Bedeutung zukommen lässt, macht er zumindest normativ den Brückenschlag zwischen Liberalen, die keine Notwendigkeit für oder sogar eine Gefahr in der öffentlichen Anerkennung der zweiten Dimension sehen, und Multikulturalisten, seien sie kommunitaristischer oder konsoziativer Couleur, die notfalls die individuelle Selbstbestimmung zugunsten des Überlebens einer kulturellen Gemeinschaft zurückstellen (Taylor 1993: 51f). Für die praktische Lösung nicht selten auftretender Konflikte zwischen diesen Dimensionen bietet er hingegen mit der normativen Forderung nach gleicher Anerkennung aller drei Dimensionen keine konkrete Orientierung. Streng Liberale versuchen damit umzugehen, indem sie betonen, universelle Moralität müsse gegenüber jeglichen Forderungen von Kulturen Vorrang haben. Liberale Multikulturalisten finden in den Prinzipien universeller Moralität eine Basis, um den Forderungen kultureller Gruppen gewisses Gewicht beizulegen. Multikulturalistische Kommunitaristen lehnen die Idee einer universellen Moralität ab und schlagen vor, das Maß gerechtfertigter Gruppenrechte durch Partizipation und Deliberation festzulegen. Weniger partizipatorisch orientiert ist ein deutlich stärkerer Multikulturalismus in Form von Gruppenrechten für alle relevanten Segmente in einer konsoziativen Demokratie institutionalisiert. Allgemein fällt es leichter, auf Universalismus zu verzichten, wenn weniger Gerechtigkeitsstandards im Mittelpunkt stehen, als vielmehr Frieden als oberste Tugend. Mit einem solchen Verzicht geraten allerdings grundlegend demokratische Ideale
146 Smoohas wichtigstes Beispiel ist Israel, dessen Form der Demokratie ihm als Vorlage zur Formulierung dieses Demokratiemodells diente. Andere Beispiele seien in kondensierter Form die Slowakei und Estland, sowie Nordirland (1921-72), Polen (1918-35) und Malaysia. 147 Manche Länder in Zentral-Osteuropa seien dieser Strategie sehr zugeneigt.
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Multi-ethnischer Demos
der Freiheit und Gleichheit zunehmend unter Druck, wie die Probleme konsoziativer Demokratie deutlich machen. Was gemeinhin als multikulturelle Demokratie bezeichnet wird, also demokratische Systeme, in denen ethno-kulturelle Gruppen Ausgangspunkt oder Ziel politischer Entscheidungen sind, können demnach ganz unterschiedlich fundiert sein. Es bestehen unterschiedliche Schwerpunkte, da sich die einen an der universellen Menschenwürde und Vernunft (Kymlicka) orientieren, die anderen die ganz spezifische, unersetzbare Authentizität als Mitglied einer subnationalen Gemeinschaft im Blick haben (Taylor) und wieder andere die Sicherheitsansprüche subnationaler Gemeinschaften als Kollektive (Lijphart). Ethnische Demokratie hingegen billigt das Recht auf Authentizität als Kollektiv nur der dominanten ethnischen Gemeinschaft zu. Das folgende Kapitel kondensiert diese normativen Diskussionen auf ihre Bedeutung für das reale Verhältnis von Demos und Ethnos, umgesetzt in dem jeweils implementierten Staatsbürgerschaftsregime, das in einem weiten Sinne verstanden wird. Hieraus ergeben sich unterschiedliche Modelle demokratischer Gemeinschaft im Hinblick auf ethnische Differenz, die als Referenzmodelle für die spätere Betrachtung empirischer Dynamiken zur Entstehung oder Gefährdung tatsächlicher demokratischer Gemeinschaften dienen, was somit wiederum Rückschlüsse auf die normative Fundierung erlauben soll.
Zweidimensionales Feld zur Verortung der Modelle
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6 Verhältnis von Demos und Ethnos: Modelle demokratischer Gemeinschaft im Hinblick auf ethnische Differenz Verhältnis von Demos und Ethnos 6.1 Zweidimensionales Feld zur Verortung der Modelle Vor dem Hintergrund der erörterten Diskussionen wird deutlich, dass die formalen Zugangskriterien zur politischen Gemeinschaft, wie sie im Staatsangehörigkeitsrecht festgelegt sind, nur zu einem Teil bestimmen, wer vollwertiges Mitglied dieser Gemeinschaft ist. Ein umfassendes Verständnis von Staatsbürgerschaft und damit der politischen Gemeinschaft beinhaltet auch die Pflichten und Rechte der Staatsbürger, die nicht unbedingt in Gesetzesform festgeschrieben und stark vom jeweiligen Verständnis der Demokratie sowie der Legitimität von Multikulturalismus beeinflusst sind. Beide Dimensionen zusammen bestimmen das Verhältnis vom Demos zum Ethnos und damit das Maß und die Form der Einbeziehung oder Ausgrenzung im Hinblick auf ethnische Verschiedenheit. Einige Forschungsarbeiten legen ein solch umfassendes Verständnis von Staatsbürgerschaft zugrunde und unterscheiden verschiedene Regime zum einen nach den Kriterien des formalen Zugangs, ethno-kulturell (ius sanguini) oder zivil-territorial (ius soli), und zum anderen nach den damit verbundenen kulturellen Verpflichtungen, die von der Anerkennung kulturellen Pluralismus bis Assimilation reichen (Castles 1995; Kleger/ D’Amato 1995, Smith/ Blanc 1996). Dies betrifft die Art und Weise, wie die Nation als Ganzes vorgestellt wird, entweder als zusammengesetzte Entität durch die Vereinigung von Individuen oder, in unitären Begriffen, als Kollektiv. Aus der Kombination dieser Dimensionen ergeben sich nach Greenfeld drei idealtypische Staatsbürgerschaftskonzepte: das kollektivistisch-ethnische, das kollektivistisch-zivile und das individualistischzivile.148 Die Komponenten eines individualistisch-zivilen Nationalismus einerseits und eines kollektivistisch-ethnischen Nationalismus andererseits verstärkten sich jeweils gegenseitig, sie festigten die liberalen Tendenzen des ersten und die autoritären des zweiten (ebd. 51f). Mit diesen Konzepten ist jeweils ein bestimmter institutioneller und diskursiver Kontext politischen Wettstreits über die Beziehungen zwischen ethnischen Gruppen und das Verhältnis zu Einwanderern verbunden. Das erste Nationsver148 Diesen Staatsbürgerschaftstypen entspricht Castles’ (1995) Einteilung in ethnokulturellexklusives, zivil-assimilationistisches und multikulturell-pluralistisches Nationsverständnis.
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Verhältnis von Demos und Ethnos
ständnis, ethnisch exklusiv im Sinne eines Ausschlussmodells, gewährt Migranten und ethnischen Minderheiten keinen vollwertigen Zugang zur politischen Gemeinschaft, oder macht ihn durch hohe institutionelle und kulturelle Barrieren gegen eine Naturalisierung zumindest sehr schwer. Deutschland ist hierfür das typische Beispiel, aber auch Österreich, die Schweiz und Israel. Der zweite Regimetyp, das Assimilationsmodell, ist assimilationistisch oder republikanisch und wird durch Frankreich oder den alten Schmelztiegel-Ansatz der USA verkörpert. Hier ist der Zugang zur Staatsbürgerschaft leicht, u.a. durch ius soli Aneignung bei Geburt, doch wird von Minderheiten ein hohes Maß an Assimilation in der öffentlichen Sphäre erwartet, kulturelle Unterschiede werden nur wenig oder nicht anerkannt.149 Das dritte, multikulturalistische oder pluralistische Regime schließt normalerweise die gegenwärtigen USA sowie Kanada, Australien und in Europa Großbritannien und die Niederlande ein. Hier ist der Zugang zur Staatsbürgerschaft leicht und ethnischen Minderheiten werden Rechte zur Aufrechterhaltung ihrer kulturellen Differenz zugestanden. Die Diskussion um Multikulturalismus machte jedoch deutlich, dass die Anerkennung ethnischer Differenz enorm große Unterschiede zulässt. Auch in analytischer Hinsicht hat diese dreifache Typologie zwei Nachteile. Wenn es tatsächlich zwei Dimensionen der Staatsbürgerschaft gibt, bekommt man vier, nicht drei Modelle (vgl. Koopmans/ Kriesi 1997; Koopmans/ Statham 1999, 2000). Zweitens wurde ein statischer Typologie-Ansatz gegenüber Staatsbürgerschaft zu Recht kritisiert für seine Tendenz, sowohl die dynamischen Aspekte des Integrationsprozesses zu verdecken als auch die wichtigen Unterschiede innerhalb von Staaten, einerseits zwischen Integrationsansätzen von verschiedenen politischen Akteuren und andererseits zwischen den Ansätzen, die auf verschiedene Minderheitenkategorien angewandt werden (Joppke 1996). Koopmans und Statham schlagen vor, diesen Problemen zu begegnen, indem sie Staatsbürgerschaft nicht als statische Kategorien typologischer Modelle oder Regime fassen, sondern als konzeptionellen und politischen Raum, in dem verschiedene Akteure und Politiken lokalisiert und Entwicklungen über die Zeit nachgezeichnet werden können (2000: 20f). Die Umrisse ihres konzeptionellen Raums stellen wiederum die formelle und die kulturelle Dimension von Staatsbürgerschaft dar.150 Diese Dimensionen lassen sich im Bezug auf die Vorstellung demokratischer Gemeinschaft nur leicht verändert nochmals spezifizieren, um diese in einem ähnlichen konzeptionellen und politischen Feld verorten zu können. 149
Die Rolle des Staates ist dabei „to create conditions favorable to individual adaption and transferal of majority culture and values, through the insistence on use of dominant language and attendance at normal schools for migrant children“ (Castles 1995: 298). 150 Ähnlich kombinieren Kriesi et al. (1995: 37) formelle institutionelle und politisch-kulturelle Dimensionen in ihrer Analyse neuer sozialer Bewegungen.
Zweidimensionales Feld zur Verortung der Modelle
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Wie die Diskussion verschiedener normativer Demokratiemodelle gezeigt hat, ist zur inhaltlichen Bestimmung politischer Gemeinschaft insbesondere das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit der Individuen und Ansprüchen der Gemeinschaft zentral. Je nach Demokratietheorie ergibt sich ein anderes Ethos der zugrundeliegenden Gemeinschaft hinsichtlich der ethischen Werte über die individuelle Lebensgestaltung und das Verhältnis zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft, die sich auf einem Kontinuum mit den Polen Individualismus und Gemeinschaft verorten lassen.151 Hinsichtlich unserer Fragestellung nach der Möglichkeit demokratischer Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz beziehen sich die zentralen Dimensionen jedoch vor allem auf das Verhältnis von politischer zu kultureller Gemeinschaft. In der Debatte zwischen Liberalen, Republikanern und Kommunitaristen ging es in dieser Hinsicht um folgende Streitpunkte: Wie umfassend wird die politische Gemeinschaft verstanden, als ausschließlich politische Vereinigung oder auch darüber hinaus? Ist ein substanziell gefülltes Gemeinwohl Grundlage der politischen Gemeinschaft? Stimmt dieses mit der Definition von Gemeinwohl einer ethno-kulturellen Gemeinschaft überein? Damit waren unterschiedliche Forderungen an das Maß der Identifikation mit der politischen Gemeinschaft verbunden. Es blieb jedoch offen, ob diese beiden Elemente automatisch miteinander verbunden sind. Republikanische und kommunitaristische Theorien behaupten, dass sich die Mitglieder einer politischen Gemeinschaft umso mehr mit ihr identifizieren, je umfassender, kulturell bestimmter sie ist. Liberale hingegen vertreten die Ansicht, dass man sich auch mit einer minimal, rein politisch definierten Gemeinschaft stark identifizieren kann.152 Dies kann als offene empirische Frage stehen bleiben, weshalb sich die erste Dimension unseres Feldes auf die Frage konzentriert, ob politische und kulturelle Gemeinschaft eine Einheit bilden oder unabhängig voneinander sind, ob es sich also um ein kulturell monistisches oder plurales Verständnis der politischen Gemeinschaft handelt. Die Diskussion um Gruppenrechte und Multikulturalismus bezieht sich auf die zweite Dimension, welche die Frage behandelt, wer als vollwertiges Mitglied in der politischen Gemeinschaft angesehen wird, das Individuum als Mitglied einer ethnischen Gemeinschaft oder unabhängig davon ausschließlich als Mitglied der politischen Gemeinschaft, die ihrerseits mit einem bestimmten Territo151 Fuchs (1999a: 6) teilt dieses Kontinuum in zwei Dimensionen, wobei sich die erste Dimension aus der Frage ergibt, wer hauptsächlich für die eigene Lebensgestaltung verantwortlich ist, das Individuum oder der Staat (als Institutionalisierung von Gemeinschaft); und die zweite Dimension aus der Frage, welches Verhältnis zwischen den Individuen herrschen soll, durch Leistung bestimmte Konkurrenz oder kooperativer und solidarischer Umgang miteinander. Hieraus bildet er eine Vier-FelderTafel, der er libertäre, liberale, republikanische und sozialistische Demokratie zuordnet. 152 In der Geschichte erfuhren individualistische Nationen ebenso intensiven nationalen Patriotismus wie kollektivistische Nationen (Greenfeld 99: 49).
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Verhältnis von Demos und Ethnos
rium verbunden ist. Es handelt sich also um entweder universalistischterritoriale, traditionale oder primordiale Kriterien des Zugangs. Dies betrifft auch direkt die Frage, wer als legitimer Rechtsträger anerkannt wird, wie das Verhältnis der politischen Gemeinschaft zu subnationalen, ethnischen Identitäten gestaltet ist und wer letztlich für die Aufrechterhaltung kultureller Gemeinschaften zuständig ist, das Individuum oder der Staat (als Institutionalisierung der politischen Gemeinschaft). Kulturelle Gemeinschaften können offiziell, institutionell oder symbolisch, anerkannt werden oder nicht. Versteht man somit das Verhältnis von Demos und Ethnos als zweidimensionales Feld, reicht das Kontinuum auf der vertikalen Achse von Konzeptionen demokratischer Gemeinschaft, die ethno-kulturelle Gruppen als Basis der Konstituierung der politischen Gemeinschaft ansehen bis hin zu denjenigen, die in universalistischer Manier das Individuum als Grundeinheit der politischen Gemeinschaft ansehen. Im ersten Fall entsprechen sich Demos und Ethnos, im zweiten wird eine solche Übereinstimmung nicht gefordert. Dies ist eng mit der Konzeption der Staatsbürgerschaft verbunden, individualistische Ansätze sind nur mit einem zivil-territorialen Zugangsrecht vereinbar, während ethnisch codierte politische Gemeinschaften dies in der Regel in einem ius sanguini auch institutionell festlegen (vgl. Koopmans/ Statham 2000: 21).153 Das Kontinuum auf der horizontalen Achse reicht von Konzeptionen politischer Gemeinschaft, die auf der Konformität mit einem einzigen kulturellen Modell bestehen bis hin zu kulturell pluralistischen Konzeptionen, die kulturelle Heterogenität aufrechterhalten wollen oder sie sogar fördern. Das Ausmaß kultureller Verpflichtungen, welche die politische Gemeinschaft ihren Bürgern abverlangt, ist von ihrer imaginierten und realen Positionierung zwischen kulturellem Monismus und kulturellem Pluralismus abhängig. Die vier Ecken dieses zweidimensionalen Feldes zur Verortung demokratischer Gemeinschaften (Schaubild 1) werden vom republikanischen Modell (Demos entspricht nicht Ethnos, ist aber kulturell monistisch), ethnischen Modell (Demos entspricht Ethnos, daher kulturell monistisch), konsoziativen Modell (Demos entspricht Ethnoi, da hiervon mehrere/ kulturell plural) und liberalen Modell (Demos entspricht nicht Ethnos und kulturell plural) eingenommen; kommunitaristische Vorstellungen besetzen aufgrund ihrer Betonung subnationaler Gemeinschaften bei gleichzeitig vergleichsweise starker Homogenisierung eine Mittelposition.
153 Diese Extreme kommen selten in der Realität vor. Kaum ein Nationalstaat schließt die Möglichkeit der Naturalisierung für diejenigen, die nicht zur eigenen ethno-kulturellen Gruppe gehören, völlig aus (auch wenn Israel oder bis vor kurzem Estland diesem Extrem nahekamen), und jede zivile Nation gesteht Staatsbürgerschaft auf der Basis von Abstammung oder kultureller Zugehörigkeit zusätzlich zum territorialen Prinzip zu.
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Die Modelle demokratischer Gemeinschaft sind charakterisiert durch unterschiedlichen Umgang mit ethnischer Differenz. In Reinform sind dies erstens Exklusion durch Unterdrückung (ethnisch), zweitens Kompromiss durch Segregation (konsoziativ), drittens Fusion durch Assimilation (republikanisch) sowie viertens Konsens durch Abstraktion von ethnischen Differenzen (liberal). Von links oben nach links unten fällt der durch das jeweilige Demokratiemodell legitimierte Assimilationsdruck von Seiten der politischen Gemeinschaft auf ethnische Gemeinschaften und von rechts oben nach rechts unten verringern sich legitime Anerkennungsforderungen von Seiten ethnischer Gemeinschaften gegenüber der politischen Gemeinschaft. Dies bringt Unterscheidungen in anderer Hinsicht mit sich, insbesondere institutionelle Konsequenzen. Werden Kollektive wie ethnische Gemeinschaften als Rechtsträger anerkannt, werden Gruppenrechte implementiert, im monistischen Modell nur für die dominante oder Mehrheitsgruppe, im pluralen Modell für mehrere Gruppen, was in Korporatismus und Verhandlungsdemokratie mündet. Das republikanische und liberale Modell hingegen akzeptieren nur Individualrechte, wobei ersteres durch die monistische Vorstellung der politischen Gemeinschaft zu Zentralismus und wenig eingeschränkter Mehrheitsdemokratie neigt. Abbildung 1:
Zweidimensionales Feld zur Verortung demokratischer Gemeinschaften im Bezug auf den Umgang mit ethnischer Differenz Vorstellung der politischen Gemeinschaft Kulturell monistisch
Kulturell plural
Kollektiv Ethnische (primordial) demokratische Gemeinschaft (Exklusion)
Rechtssubjekt: ethnische Gemeinschaft oder Individuum? (traditional) (Code der Identitätskonstruktion) (universal) Individuum
Konsoziative demokratische Gemeinschaft (Segregation) Kommunitaristische demokratische Gemeinschaft (Fusion)
Republikanische demokratische Gemeinschaft (Assimilation)
Liberale demokratische Gemeinschaft (Abstraktion)
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Verhältnis von Demos und Ethnos
Als kollektive Identitäten sind diese verschiedenen demokratischen Gemeinschaften unterschiedlich codiert. Einem universalistischen Code entsprechen eine republikanische Gemeinschaft, bei der subnationale Identitäten in eine inklusive, also jedem prinzipiell zugängliche Ordnung allerdings genau definierter Inhalte eingebettet sind, was ihren universalistischen Anspruch schmälert, sowie eine liberale Gemeinschaft im Sinne einer abstrakten Ordnung auf der Grundlage des ethisch kleinsten gemeinsamen Nenners sich überschneidender Identitäten, des überlappenden Konsenses. Diese Codierung kollektiver Identität stützt insbesondere öffentliche Diskurse, in denen sich in republikanischen Gemeinschaften noch mehr als in liberalen das vernünftige Gemeinwohl, die volonté générale, im Unterschied zur bloßen Mehrheitsmeinung als Summe der Einzelwillen, der volonté des tous, konstituiert. Reflexion ist damit zwar nicht mehr Privileg einer Elite, aber doch an eine institutionelle Arena und ihre Diskursregeln gebunden, die das Zentrum der Gemeinschaft bilden, wobei Liberale die Institutionen und Republikaner den Diskurs mehr betonen. Konsequenz daraus ist ein relativ starker vernunftorientierter Staat und eine staatliche Verteilung von Mitteln nach Gerechtigkeitsprinzipien (liberal) oder nach veränderbaren, in öffentlichen Diskursen ermittelten Prioritäten (republikanisch). Beide universalistischen Varianten sind realiter nicht frei von traditionalen Elementen; je mehr sich diese auf nur eine Kultur beziehen wie im Republikanismus, desto eher entspricht dies kulturellem Monismus. Ein primordialer Code der politischen Gemeinschaft bedeutet hingegen die öffentliche Anerkennung ethnischer Gemeinschaften. Gilt diese Anerkennung nur einem Ethnos, wird ethnische Verschiedenheit unterdrückt oder ausgeschlossen. Die demokratische Gemeinschaft ist als Entsprechung von Demos und Ethnos konzipiert und Gemeinschaftsbildung vorpolitisch über Abstammung gedacht. Im Gegensatz zu dieser monistischen Variante kann ein primordialer Zugang zur politischen Gemeinschaft auch plural gedacht werden. Sind zwar primordial codierte Gemeinschaften die Grundlage der politischen Gemeinschaft, doch werden derer mehrere anerkannt, sind wie im konsoziativen Modell immer wieder neu ausgehandelte Kompromisse zur Konfliktvermeidung von sich weitgehend ausschließenden kollektiven Identitäten die Grundlage demokratischer Gemeinschaft. Die umfassende politische Gemeinschaft wird eher traditional codiert im Sinne von lockeren Verbindungen unterschiedlicher Kulturen und Regionen wie in Staatenbünden mit schwachen Kontrollstrukturen, die durch lokale und kulturelle Vielfalt ethnischer Gruppen und religiöser Minderheiten geprägt sind. Die Heterogenität der Gewohnheitsrechte und Privilegien war auch der rechtliche Bezugsrahmen in traditionalen Reichen und Herrschaftsverbänden, wobei zwischen einer großen und mehreren kleinen Traditionen unterschieden wurde, so dass trotz allem eine gewisse Gemeinschaftsbildung möglich war,
Zweidimensionales Feld zur Verortung der Modelle
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vorrangig mithilfe der Person des Herrschers, der die Einheit der Gemeinschaft und die Kontinuität der Tradition repräsentierte (Giesen 1999: 50f). Diese Einheit wird in konsoziativen Demokratien durch den Kompromiss der Vertreter verschiedener Gemeinschaften sichergestellt, zwischen denen zwar Konkurrenz herrscht, doch ohne deren Kompromissbereitschaft die Gemeinschaft implodiert. Das Mehrheitsprinzip ist stark eingeschränkt durch das Recht der ethnischen Gemeinschaften auf kollektive Selbstbestimmung; in dem Nebeneinander verschiedener Lebenswelten fällt die Durchsetzung des Mehrheitswillens und allgemein Vergemeinschaftung nicht selten schwer. Das (pluralistische) kommunitaristische Modell demokratischer Gemeinschaft vereint verschiedene Elemente: die politische Gemeinschaft besteht aus primordial bis traditional gedachten Gemeinschaften, wobei Einheit durch eine Horizontverschmelzung der an sich getrennten Identitäten aufgrund eines weitreichenden Willens zur politischen Arbeitsteilung auch unter der Bevölkerung entsteht. Je nach Zusammensetzung der Grundgesamtheit und Ergebnis der Horizontverschmelzung ist die sich ergebende politische Gemeinschaft faktisch mehr oder weniger monistisch: je weniger umfassend der resultierende Konsens desto universalistischer ist er in Richtung eines überlappenden Konsenses liberaler Couleur; je umfassender er ausfällt desto traditionaler bis hin zu primordialer ist seine Codierung. Dies gilt besonders, wenn Gemeinschaftsbildung durch den Rückgriff auf traditionale oder gar primordiale Elemente bewusst forciert wird, also mehr Gemeinsamkeiten zur Konstruktion der kollektiven Identität herangezogen werden, was sie immer weniger mit anderen kompatibel macht. Damit unterscheiden sich die Modelle auch in der Art, wie die Entstehung von Gemeinschaft konzipiert wird. Während das ethnische Modell eine vorbewusste, vor allem vorpolitische – eben „ursprüngliche“ – Gemeinschaftsbildung zugrundelegt, spielen politische Faktoren in den anderen Modellen eine größere Rolle. Insbesondere wird politische Beteiligung in republikanischen und kommunitaristischen Theorien als Norm angesehen, aus der heraus idealerweise eine Gemeinschaft aktiver Bürger entsteht, wobei zumindest die dargestellten pluralistischen Kommunitaristen das homogen-zentralistische republikanische Bild einer politischen Gemeinschaft ablehnen bei gleichzeitiger Betonung direkter Beteiligungsformen. Den Ausschluss ethno-kultureller Unterschiede aus der Öffentlichkeit teilen republikanisches und liberales Modell, doch unterscheiden sie sich wiederum in der Einschätzung aktiver Beteiligung der Bürger. In liberalen und konsoziativen Demokratien ist Beteiligung keine unbedingte Norm, Integration erfolgt mehr über Repräsentation und die Gewährung von Rechten, es handelt sich um Gemeinschaften von individuellen respektive kollektiven Rechtsträgern. Da sich die Rechtsträger so deutlich unterscheiden, ist unter den pluralen Formen politischer Gemeinschaft auch das Verhältnis der kulturellen
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Verhältnis von Demos und Ethnos
Gemeinschaften zueinander unterschiedlich: Das liberale Modell geht davon aus, dass die individuellen Rechtsträger aus moralischer Einsicht in das liberale Legitimitätsprinzip Gemeinschaft bilden und von vorpolitischen Differenzen abstrahieren. Gemeinschaft entsteht somit aus dem Zusammenschluss von Individuen, denen gegenseitige Anerkennung als gleiche Rechtsträger auf der Grundlage gemeinsamer Grundrechte gebührt. In (idealisierten) kommunitaristischen Vorstellungen sind subnationale Gemeinschaften darüber hinausgehend solidarisch verbunden durch gegenseitige, aus übergreifenden Deliberationen gespeiste Anerkennung ihrer jeweiligen Besonderheit, während sie im konsoziativen Modell dauerhaft in Konkurrenz zueinander stehen, so dass in einer dezentralen Struktur bei indirekten Beteiligungsformen Kompromisse das einzig mögliche Ziel sind, die durch Eliten ausgehandelt werden und Gemeinschaft auf Zeit stiften. Die normativen Debatten enthalten somit bestimmte Erwartungen an die Bedeutung von Gemeinschaft und Identifikation. Die liberale Tradition versteht die alles überspannende politische Gemeinschaft trotz kultureller Unterschiede in der vorpolitischen Sphäre als grundsätzlich (universalistisch-) individualistisch. Das Gemeinschaftselement auf beiden Ebenen, sowohl der nationalen als auch der subnationalen Ebene wird wenig betont. Republikaner hingegen streben nach einer starken Identifikation mit einer (traditional-)monistisch gedachten politischen Gemeinschaft, die daher mit verschiedenen vorpolitischen Vergemeinschaftungen weniger vereinbar ist als liberale Vorstellungen. Die von pluralistischen Kommunitaristen weiterentwickelte republikanische Tradition versteht die alles überspannende politische Gemeinschaft als ein Kollektiv, das aus mehreren Kollektiven besteht, die zwar Macht und Schutz erhalten, sich aber untereinander auf eine Basis gemeinsamer Rechte und Pflichten verständigen. In dieser Vorstellung ist das Gemeinschaftselement auf beiden Ebenen stark. Bei konsoziativen Demokratien wiederum besteht das Gemeinschaftselement auf nationaler Ebene lediglich in dem stets neu auszuhandelnden Elitenkompromiss. Die fehlende Betonung partizipatorischer Elemente und einer umfassenden Identifikation teilen sie mit Liberalen, die primordiale Definition der ethnischen Gemeinschaften und ihre große Bedeutung mit dem ethnischen Modell. Hier wurden weder die Einzelheiten der Debatten noch die Plausibilität der normativen Argumente an sich erörtert, sondern deren Realitätsbehauptungen aufgezeigt. Tabelle 5 gibt einen zusammenfassenden Überblick über die unterschiedlichen Vorstellungen demokratischer Gemeinschaft anhand der herausgearbeiteten Kriterien. Auf diese Vorstellungen beziehen sich politische Akteure und Politikinhalte und es lassen sich Entwicklungen über die Zeit nachzeichnen. Die Stabilität des spezifischen Modells demokratischer Gemeinschaft und die Uniformität, in der sich politische Autoritäten, Parteien, Gruppen und Policies darauf beziehen, müssen empirisch untersucht werden.
Zwei demokratische Gemeinschaften trotz ethnischer Differenz
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Tabelle 5: Modelle demokratischer Gemeinschaft in multi-ethnischem Kontext Gemeinschaftstyp
Primäres Ziel
Liberal
Gerechtigkeit
Republikanisch
Volkssouveränität
AuthenKomtizität, munitaristisch Gemeinschaft
Konsoziativ
Frieden, Koexistenz
Ethnisch
Gemeinschaft
Code der Identi- Grundlage des tätskonstruktiGemeinschaftson gefühls (Inhalt der pol. Gem.) Universalistisch „überlappender – IndividualisKonsens”, tisch Zusammenschluss (individuelle von RechtspersoAutonomie und nen durch Vertrag Chancengleichheit) Universalistisch – Kommunitär
Patriotismus, Gemeinschaft von Bürgern durch (nationale kollek- Gesellschaftsvertive Autonomie) trag
Konstruktionsmethode
Institutionelle Konsequenzen
Abstraktion von ethischen Inhalten, Einverständnis in politische Gerechtigkeitsprinzipien aus moralischen Gründen, Integration Einigung auf substanzielles Gemeinwohl durch aktive Beteiligung tugendhafter Bürger, Assimilation Anerkennung des Besonderen kultureller Gemeinschaften, Horizontverschmelzung, Fusion
Individuelle Rechte, keine Gruppenrechte, Neutraler Staat
Traditional – Kommunitär (subnationale kollektive Autonomie auf breiter geteilter Basis)
Patriotismus gegenüber einer Einheit in Vielfalt,
Traditional bis Primordial – Ausgehandelt (subnationale kollektive Autonomie bei geringer geteilter Basis) Primordial – Kommunitär (ethnische Selbstbestimmung)
Professionalisierung der Verhandlungen, Einverständnis in ausgehandelte Zusammenschluss Kompromisse, von GemeinSegregation schaften
Gemeinschaft von Gemeinschaften Loyalität gegenüber bi-/multinationalem Staat,
Ethnischer Nationalismus, Gemeinschaft von ethnisch Gleichen
Individuelle Rechte, keine Gruppenrechte, nicht neutraler Staat Gruppenrechte, nicht neutraler Staat
Gruppenrechte, proportionale Verteilung der Ressourcen, kollektive Autonomie, Machtteilung, Veto-Rechte Anerkennung der Gruppenrechte dominanten ethninur für domischen Gemeinschaft, nante Gruppe, Exklusion/ Unternicht neutraler drückung Staat
6.2 Zwei demokratische Gemeinschaften trotz ethnischer Differenz Die Gegenüberstellung verschiedener demokratischer Gemeinschaften macht deutlich, dass es letztlich zwei gegensätzliche, langfristige Ziele gibt, die Regierungen im Umgang mit ethnischen Unterschieden verfolgen: entweder die Gesellschaft soll depluralisiert werden, also immer homogener werden, wie es das
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Verhältnis von Demos und Ethnos
ethnische und zu einem geringeren Maß das republikanische Modell anstreben, oder die existierenden Muster von Pluralismus werden als kontinuierliche Realität akzeptiert, zugleich wird jedoch ihre politische Bedeutung entweder durch Abstraktion verringert wie im liberalen Modell oder legitimiert, aufrechterhalten und sogar gefördert wie im konsoziativen Modell. Wenn auch um einiges differenzfreundlicher als radikal-demokratische Republikaner, streben pluralistische Kommunitaristen dennoch mithilfe einer Horizontverschmelzung die Bildung einer Gemeinschaft an, bei der sowohl Ausmaß als auch Inhalt – nämlich nicht nur gegenseitige Toleranz, sondern gerade Wertschätzung des Anderen – noch immer sehr anspruchsvoll sind. Eine solche Gemeinschaftsvorstellung ist nur begrenzt mit Differenz vereinbar. Darüber hinaus ist es eine wohl begründete Frage, wie realistisch ein solcher Vorschlag ist, gerade wenn Angehörige unterschiedlicher ethno-kultureller Gruppen einander in Unverständnis gegenüber stehen. Somit beanspruchen normativ zwei Demokratiemodelle für sich, ethnische Differenz besonders inkorporieren zu können: das liberale und das konsoziative Modell154. Beide sind auch empirisch am ehesten auffindbar, weshalb ihre Merkmale nachfolgend exemplarisch im Detail ausdifferenziert werden. Sowohl das liberale als auch das konsoziative Modell beruhen (im Gegensatz zum republikanischen und kommunitaristischen Modell) vor allem auf repräsentativen Strukturen, doch finden sich große Unterschiede, die heruntergebrochen auf die einzelnen Ebenen der Demokratie, wie sie in Kapitel 3.2 eingeführt wurden, Folgendes bedeuten: -
Kulturebene: Während die Unterstützung von Demokratie als Wert und die Ablehnung von Autokratie Voraussetzung jeder demokratischen Gemeinschaft ist, kann die gegenseitige Anerkennung als Freie und Gleiche auf verschiedenen Grundlagen ruhen: auf der Abstraktion von ethnischen Unterschieden oder gerade auf ihrer Betonung und Akzeptanz.
-
Strukturebene: Die demokratischen Normen, auf denen die Unterstützung und Kritik der implementierten Demokratie beruhen sollte, können der öffentlichen Anerkennung ethnischer Gruppen als kollektive politische Akteure einen mehr oder weniger großen Wert beimessen.
Diese Merkmale unterschiedlich entworfener demokratischer Gemeinschaften auf Kultur- und Strukturebene wurden in den normativen Debatten eingehend herausgearbeitet. Aufgrund der Steuerungshierarchie von der Kultur- über die Struktur- bis zur Prozessebene bringen diese normativen Setzungen unterschied-
154
Hanf bezeichnet diese Modelle als „synkretistischen Nationalismus“ und betont, dass sich „in allen Fällen, in denen es zur Koexistenz von Gemeinschaften gekommen ist, Staatsideologien der synkretistischen Art“ finden (Hanf 1990: 52, Hervorhebung im Original).
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liche Erwartungen an das Verhalten der Akteure, der einzelnen Autoritäten, Bürger und Gruppen mit sich. -
Prozessebene: Gewaltlosigkeit und Gesetzeskonformität sind die Grundlage jeder demokratischen Gemeinschaft. Doch können gerade politische Handlungen weiter differenziert werden, ob sie individualistisch verstanden oder durch eine Gruppe vermittelt werden, ob also politische Beteiligung mehr oder weniger ethnisch spezifisch und kollektiv ist.
Während Tabelle 3 in Kapitel 3.2 demokratische Gemeinschaft allgemein definierte, verdeutlicht die folgende Tabelle in der Gegenüberstellung liberaler und konsoziativer demokratischer Gemeinschaft deren spezifische Merkmale auf den drei Ebenen der Demokratie. Tabelle 6: Gegenüberstellung der operationalen Definitionen liberaler und konsoziativer demokratischer Gemeinschaft nach Systemebenen Systemebene Kultur
Struktur
Prozess
Liberale demokratische Gemeinschaft Je stärker andere Bürger als frei und gleich durch die Abstraktion von ethnokulturellen Merkmalen anerkannt werden,
Konsoziative demokratische Gemeinschaft Je stärker andere Bürger als frei und gleich aufgrund eines ausgehandelten Kompromisses ansonsten getrennter ethnischer Gruppen anerkannt werden, Je stärker die Unterstützung oder Kritik Je stärker die Unterstützung oder Kritik der Demokratie im eigenen Land auf der Demokratie im eigenen Land auf demokratischen Normen basiert, die demokratischen Normen basiert, die neutrale Strukturen, also weder die öffent- multikulturalistische Strukturen, also die liche Anerkennung einer noch mehrerer öffentliche Anerkennung ethnischer ethnischer Gruppen bevorzugen, Gruppen bevorzugen, Je individueller die politische Beteiligung, Je ethnisch kollektiver die politische Beteiligung, desto eher entspricht eine gesellschaftliche desto eher entspricht eine gesellschaftliGemeinschaft einer liberalen demokrache Gemeinschaft einer konsoziativen tischen Gemeinschaft. demokratischen Gemeinschaft.
Die Erwartungen an ethnisch neutrales oder spezifisches Verhalten auf der Prozessebene erstrecken sich auf politische Autoritäten, aber auch auf die politische Beteiligung der Bürger in Wahlen, Parteien sowie, versteht man politische Beteiligung allgemein als gesellschaftliches Engagement, in Vereinigungen. Bisher wurden die sich aus den Modellen ergebenden Vorstellungen über die Zivilgesellschaft in einem multi-ethnischen Land nur wenig erwähnt. Zivilgesellschaft erfuhr im Zuge der Kommunitarismusdebatte verstärkte Beachtung, wobei im Allgemeinen anerkannt wird, dass sie zumindest als Hintergrundkultur (Rawls) starken Einfluss auf die Politik nimmt. Ob eine aktive, lebendige Zivilgesell-
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Verhältnis von Demos und Ethnos
schaft als gemeinschaftsfördernd angesehen wird, ist besonders in einem multiethnischen Kontext vom Standpunkt abhängig: Aus liberaler Sicht sind Vereinigungen, die in erster Linie auf Gruppenunterschieden wie Religion, Sprache, Ethnizität oder Rasse aufbauen, sehr umstritten. Entsprechend der Forderung nach Neutralität im öffentlichen Raum wird davon ausgegangen, dass die Organisation ethnischer Gemeinschaften und Identitäten zum Aufkommen von Parallelgesellschaften oder ethnischen Ghettos führe und somit zu einer verstärkten Fragmentierung und Entsolidarisierung der Bevölkerung. Stattdessen sollen ethnisch heterogene Vereinigungen, die sich um gemeinsame Interessen und Ziele bilden, den nötigen Sozialkitt liefern. Denn innerhalb solcher Vereinigungen lernten die Mitglieder, mit Differenz umzugehen und trans-ethnische Bindungen einzugehen. Aus konsoziativer Sicht kann hingegen die erfolgreiche Integration verschiedener ethnischer Gruppen in den politischen Prozess nur auf der Basis von selbstbewussten Subkulturen mit einem starken Identitätssinn erfolgen. Politische Integration, vor allem von Minderheiten und Migranten sei über einen Umweg zu erreichen, nämlich wenn sie zunächst in ihre eigene ethnische Gemeinschaft integriert seien und diese dann wiederum kollektiv mit anderen zusammenarbeitet. Somit unterscheiden sich die Modelle – neben den gemeinsamen, für jedes demokratische System notwendigen Merkmalen – in darüber hinausgehenden Werten, Institutionen und Verhalten. Diese Merkmale eines demokratischen Systems nach liberalen und konsoziativen Vorstellungen sowie die entsprechenden Einstellungsobjekte einer demokratischen Gemeinschaft auf den verschiedenen Ebenen der Demokratie konkretisiert Tabelle 7. Die Modelle demokratischer Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz codieren die umfassende kollektive Identität unterschiedlich und bestimmen folglich jeweils andere Grenzen und Gemeinsamkeiten als Referenzobjekte für die Identifikation der Bürger. Sie deuten unterschiedliche Elemente der sozialen Realität als für eine demokratische Gemeinschaft relevant und erheben sie zu Bezugspunkten der Handlungsorientierung. Ob sie letztlich die Realität beschreiben können, hängt von ihrer Umsetzung ab: „Die Deutungskraft einer Realitätskonstruktion ist davon abhängig, dass sie als Deutungsmittel aktiviert wird und für die Realitätswahrnehmung sinnvolle, sozial akzeptierte Deutungen anbietet. Nicht die Realitätskonstruktionen als solche sind schon ausreichend für die Realitätswahrnehmung, sie müssen von Eliten aktiviert und für Nichteliten plausibel sein“ (Lepsius 1990: 245).
Zwei demokratische Gemeinschaften trotz ethnischer Differenz
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Tabelle 7: Die drei Ebenen der Demokratie mit entsprechenden Merkmalen des demokratischen Systems und der demokratischen Gemeinschaft nach liberalem und konsoziativem Modell Kulturebene
Strukturebene
Prozessebene
Liberales Modell Konsoziatives Modell Liberales Modell Konsoziatives Modell Liberales Modell
Demokratisches System Liberaler Grundkonsens Multikulturalistischer Kompromiss Neutrale Institutionen Multikulturalistische Institutionen
Unterstützung multikulturalistischer Institutionen
x
Gewaltloser politischer Prozess Gesetzeskonformer politischer Prozess
x
Ethnisch neutraler politischer Prozess
x
x x
Konsoziatives Modell
Demokratische Gemeinschaft Kollektive Identität als Zusammenschluss von Individuen (überlappender Konsens) Kollektive Identität als Zusammenschluss von Gemeinschaften (Kompromissbereitschaft) Unterstützung neutraler Institutionen
x
Gewaltverzicht von Autoritäten und Bevölkerung Gesetzeskonformität von Autoritäten und Bevölkerung
¾ Ethnisch neutrales Handeln politischer Autoritäten ¾ Ethnisch neutrale Parteien ¾ Ethnisch neutrale Vereinigungen x Gewaltloser politischer Prozess x Gesetzeskonformer politischer Prozess
Ethnisch neutrales politisches Handeln von Autoritäten und Bevölkerung ¾ Unterstützung ethnisch neutraler Autoritäten ¾ Parteiwahl ethnisch unabhängig ¾ Engagement in ethnisch neutralen/ heterogenen Vereinigungen x Gewaltverzicht von Autoritäten und Bevölkerung x Gesetzeskonformität von Autoritäten und Bevölkerung
x
x
Ethnisch bestimmter politischer Prozess
¾ ethnisch spezifische politische Autoritäten ¾ Ethnisch spezifische Parteien ¾ Ethnisch spezifische Vereinigungen
Ethnisch bestimmtes politisches Handeln von Autoritäten und Bevölkerung ¾ Unterstützung politischer Autoritäten je nach Ethnizität ¾ Parteiwahl je nach Ethnizität ¾ Engagement in ethnischen Vereinigungen
Für die tatsächliche Entstehung und Persistenz einer demokratischen Gemeinschaft wurden vier Bedingungen festgehalten: Auf der Grundlage der legalen Definition einer politischen Gemeinschaft durch das Staatsbürgerschaftsregime und den mit ihm verbundenen Rechten und Pflichten bedarf es erstens der kogni-
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tiven Wahrnehmung dieser gemeinsamen politischen Gemeinschaft und der subjektiven Selbst-Zuschreibung, der Gemeinsamkeit dieser Rechte und Pflichten durch die Bürger (kognitive Dimension); zweitens ist die Identifikation der Bürger mit dem je spezifisch codierten Demos als kollektiver Identität, mit seinen Grenzziehungen und Gemeinsamkeiten in Form der Rechte und Pflichten sowie mit den Mitbürgern als ihre konkreten (Mit-)Träger notwendig (affektive Dimension) und drittens ist die Umsetzung dieser Konzeption durch die Staatsbürger, letztlich die Art ihrer Beteiligung in der politischen Gemeinschaft zentral (Verhaltens-Dimension). Eine absolute Übereinstimmung von Werten (Kultur), Institutionen (Struktur) und Handlungen (Prozess) ist sicher selten der Fall. Ein gewisses Maß an Auseinanderfallen zwischen diesen Ebenen der Steuerungshierarchie ist eher als Normalzustand anzusehen. Dabei können bestehende Diskrepanzen als Motor für Veränderungen angesehen werden. Sind diese sehr groß und bedrohen die Persistenz des Systems als Ganzes, werden sie in der Regel als problematisch beurteilt, was allerdings stark vom Standpunkt hinsichtlich des Systems abhängt, das man als wünschenswert erachtet. Die Vorstellung einer Steuerungshierarchie legt jedoch gewisse Entwicklungspfade nahe: Entspricht die implementierte Struktur nicht den Werten, so sind die Institutionen leichter zu ändern als die Wertorientierungen. Entsprechen die Prozesse nicht den institutionell geregelten Vorgaben, so passen sich jene leichter an als diese. Abzulesen ist die Umsetzung an den Dimensionen und Akteursebenen politischer Gemeinschaftsbildung, wie sie in Kapitel 3.1 in Tabelle 2 veranschaulicht wurden. Die Vorstellungen über die Form demokratischer Gemeinschaft können auseinander fallen, zum einen durch fehlende Übereinstimmung von Werten, Institutionen und Prozessen, zum anderen durch fehlende Einheitlichkeit der Ausrichtung einer Akteursebene, wie wenn Unterschiede zwischen institutionellen Strukturen desselben politischen Systems bestehen (Makroebene) oder in der Ausrichtung verschiedener Vereinigungen und Gruppierungen (Mesoebene). Auf der Ebene der Individuen sind besonders folgende Möglichkeiten wichtig: 1) Es besteht eine demokratische Gemeinschaft unter politischen Autoritäten, aber nicht in der Bevölkerung oder vice versa: Das Auseinanderfallen der Orientierungen von Autoritäten und Bevölkerung wird häufig in der Unterscheidung von Eliten- und Massenkultur gefasst (vgl. z.B. Weiner (1965) über Indien). In der klassischen politischen Kulturforschung wurde Eliten besonders in jungen oder nicht konsolidierten Demokratien tendenziell ein demokratischer Vorsprung zugestanden.155 155
Dem ist allerdings nicht leichtfertig zuzustimmen, denn die in vielen afrikanischen Ländern heute weit verbreitete Korruption gerade unter den politischen Führungseliten ist ein deutliches Zeichen für deren undemokratisches Verhalten.
Zwei demokratische Gemeinschaften trotz ethnischer Differenz
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2) Es besteht eine liberale demokratische Gemeinschaft unter den politischen Autoritäten, aber eine konsoziative (oder andere) demokratische Gemeinschaft unter der Bevölkerung oder vice versa: Keine Ausprägung der Unterformen demokratischer Gemeinschaft ist an sich als mehr oder weniger demokratisch zu beurteilen; das Auseinanderfallen der Einstellungen der Autoritäten und der Bevölkerung in dieser Hinsicht ist jedoch als problematisch oder zumindest als Hinweis für notwendig anstehende Veränderungen anzusehen. Neben diesen Formen des Auseinanderfallens der Vorstellungen über demokratische Gemeinschaft auf der Ebene der Individuen sind jene zwischen Makro-, Meso- und Mikroebene besonders dann relevant, wenn man nach den Einflussfaktoren auf die Entstehung und Persistenz einer demokratischen Gemeinschaft und damit nach der Persistenz eines demokratischen Systems fragt. Denn letztlich handeln Individuen und halten Strukturen aufrecht oder verändern sie; doch denken, fühlen und handeln sie wiederum nicht in neutralem Raum, sondern werden ihrerseits von Institutionen und Gruppen beeinflusst (vgl. auch Göhler 1997a, 2004). Identifikation mit den Objekten der drei Systemebenen – Kultur, Struktur und Prozess – ist dabei immer in unterschiedlicher Intensität vorhanden. Das bestehende Veränderungspotenzial steht nun in Zusammenhang damit, ob inhaltliche Unterschiede oder solche der Intensität bestimmten Mustern folgen. 1) Unterscheidet sich die Makroebene, verkörpert in den übergreifenden Institutionen der politischen Gemeinschaft, in ihren Werten, Regeln und Handeln von der Mikroebene, also von den Werten, Verhaltensnormen und Handlungen der Bürger, ist der Veränderungsdruck besonders stark. Dies betrifft einerseits die Frage nach der Einführung oder Persistenz einer demokratischen Gemeinschaft an sich und andererseits die Frage nach der Form von demokratischer Gemeinschaft. 2) Darüber hinaus kann die Übereinstimmung oder Differenz in Werten, Regeln und Handeln zwischen der Makro- und der Mesoebene, also Gruppen und kollektiven Akteuren unterhalb der Regimeebene, großen Einfluss auf die Stabilität des Systems haben. Dies allerdings ist nur dann zu erwarten, wenn wiederum Meso- und Mikroebene, also die Gruppen und ihre Mitglieder, eng miteinander verbunden sind, wenn also Gruppen als bedeutend angesehen und unterstützt werden. Das Konfliktpotenzial ethnischer Differenz und die Gefahr der Implosion demokratischer Gemeinschaft durch solche Unterschiede ist wiederum dann am größten, wenn diese Formen des Auseinanderfallens mit ethnischer Zugehörigkeit Hand in Hand gehen. Dies betrifft letztlich die Frage, inwiefern die normativ fundierten Modelle in der Realität mit einer ethnische Differenzen umfassenden Gemeinschaftsdefinition mit entsprechendem Gemeinschaftsgefühl und -handeln
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Verhältnis von Demos und Ethnos
in Verbindung stehen. Eine systematische empirische Untersuchung könnte nun untersuchen, inwiefern in einem oder mehreren Ländern zunächst überhaupt eine demokratische Gemeinschaft besteht, die den minimalen Kriterien entspricht, und welchem Modell sie sich hinsichtlich des Umgangs mit ethnischer Differenz zuordnen lässt. Dies würde, wie aufgezeigt, Wertorientierungen auf der Kulturebene, Unterstützung auf der Strukturebene und Handlungsorientierungen auf der Prozessebene umfassen und hierbei jeweils kognitive, emotionale und verhaltensrelevante Aspekte integrieren. Interessiert darüber hinaus die wahrscheinliche Entwicklung, die eine solche Gemeinschaft nehmen wird, also ihre Persistenz, müsste verglichen werden, ob die implementierte Struktur in einem Land mit dem Modell demokratischer Gemeinschaft in den Orientierungen der Bürger übereinstimmt oder möglicherweise – da Institutionen leichter zu ändern sind als Überzeugungen – angepasst werden sollte, um letztlich die demokratische Regierungsform als solche nicht zu gefährden. Dies wäre mit Sicherheit ein interessantes Forschungsprojekt. Ein umfassender empirischer Vergleich der Umsetzung und Persistenz solcher Modelle, ihrer Vorzüge, internen Spannungen und Entwicklungsdynamiken liegt bisher nicht vor, kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch auch nicht geleistet werden. Möglich ist, auf der Grundlage der empirischen Forschungsliteratur eine solche Untersuchung vorzubereiten. Mein Beitrag hier ist daher empirisch bescheidener, zugleich aber auch dynamischer, indem den Modellen innewohnende Spannungen und verschiedene Einflüsse betrachtet und empirisch fundierte Hypothesen aufgestellt werden. Denn was in dieser in erster Linie konzeptionellen Arbeit über die verschiedenen Merkmale der Modelle (Teil B) hinaus interessiert und durch die Betonung der amorphen und prozesshaften Eigenart von Gemeinschaft (Teil A) schon angelegt ist, ist die Frage, inwiefern die von den Modellen legitimierten politischen und sozialen Institutionen die Orientierungen und das Verhalten der Bürger gegenüber ethnischer Differenz beeinflussen, so dass diese dem einen oder anderen Modell demokratischer Gemeinschaft zuzuordnen sind oder einer solchen Gemeinschaft an sich widersprechen. Da kollektive Identifikation stetig aktualisiert werden muss, ist in ihrer Analyse eine Prozessorientierung angebracht. Affektive Bindung an die Gemeinschaft kann durch Gemeinschaftserlebnisse erfolgreicher Integration gestärkt werden, was sowohl in funktionaler Hinsicht, wie dem Erleben bewältigter Herausforderungen dank eines funktionierenden demokratischen Prozesses, als auch normativer Hinsicht, wie dem Bewusstsein um gemeinsame Werte in einer demokratischen Kultur, erfolgen kann. Daher sind bei der Untersuchung demokratischer Gemeinschaft politische Institutionen der Inklusion und Repräsentation des politischen Systems ebenso relevant wie intermediäre Strukturen sozialer Interaktionen, die zwischen den Bürgern und dem politischen System vermitteln.
Zwei demokratische Gemeinschaften trotz ethnischer Differenz
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C. Umsetzung der Inklusion in die demokratische Gemeinschaft: Institutionen, Partizipationsmuster und Identifikation Umsetzung der Inklusion in die demokratische Gemeinschaft
Die involvierten Parteien in den durch ethnische Differenz ausgelösten sogenannten Identitätskonflikten sind einerseits der Staat und andererseits ethnische Gruppen. Der folgende, empirisch orientierte Teil enthält daher eine zweifache Schwerpunktsetzung. Die ausdifferenzierten Merkmale der verschiedenen Modelle demokratischer Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz legitimieren jeweils bestimmte institutionelle Arrangements, konkret verschiedene Formen demokratischer Strukturen und Staatsbürgerschaftsmodelle sowie bestimmtes Partizipationsverhalten im Hinblick auf ethnische Spaltungen. Daher werden zum einen die legale Dimension, also die unterschiedliche Ausgestaltung institutioneller Arrangements je nach Demokratiemodell, und zum anderen die Art der Beteiligung ethnischer Gruppen jeweils im Hinblick auf deren Einfluss auf die Identifikation mit der demokratischen Gemeinschaft durch die Bürger untersucht. Am erfolgversprechendsten erscheint mir hierfür der aus der sozialen Bewegungsforschung stammende Ansatz der politischen Gelegenheitsstrukturen einerseits und andererseits eine sozialpsychologische Betrachtung der Gegebenheiten der Gruppen wie Identität und Mobilisierungsmuster, wofür ich ein Verständnis von Sozialkapital heranziehe, das dessen Netzwerkcharakter hervorhebt. Eine einseitige Betrachtungsweise könnte deren wechselseitige Einflussnahme kaum erfassen. Mit dem Ziel, empirisch fundierte Hypothesen hinsichtlich ihres Einflusses zu entwickeln, greife ich ohne Anspruch auf Vollständigkeit exemplarisch auf empirische Studien zurück. Auch wenn das Untersuchungsdesign der Studien nicht völlig dem hier entwickelten analytischen Rahmen entspricht, geben sie nichtsdestotrotz interessante Einblicke in empirische Zusammenhänge, die Persistenz demokratischer Gemeinschaften im Allgemeinen und spezifischer Formen demokratischer Gemeinschaft im Speziellen betreffend.
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Operationalisierung
7 Operationalisierung Operationalisierung Wie in den vorangegangenen Kapiteln aufgezeigt, entsteht Gemeinschaft durch kollektive Identifikation mit den Grenzen und Gemeinsamkeiten der Gemeinschaft, also durch deren kognitiven und emotionalen Vollzug bzw. Relevanz. Darüber hinaus stiftet kollektive Identifikation Gemeinschaft, wenn sie auch handlungsrelevant ist, zu Handeln im Sinne der Gemeinschaft motiviert. Aus dieser Vielschichtigkeit des Konzepts der Gemeinschaft ergeben sich auch unterschiedliche Möglichkeiten, die Existenz einer solchen zu ermitteln. Auf einer ersten Ebene können möglichst objektive Grenzen und Gemeinsamkeiten, die das Individuum mit bestimmten anderen verbinden, ermittelt werden. Denn als notwendiger, wenn auch noch nicht hinreichender Indikator einer Gemeinschaft wurde deren kognitive Präsenz festgehalten. Konkret könnte man in Bevölkerungsumfragen die Übereinstimmung in den Orientierungen der Bürger hinsichtlich der Grenzdefinition eines Staates und damit der Bestimmung, wer Mitglied der politischen Gemeinschaft ist und wer nicht, oder das Vorhandensein gemeinsamer politischer Werte innerhalb dieser Grenzen untersuchen (vgl. Fuchs/ Klingemann 2000). Eine solche Erhebung gibt Informationen über das Potenzial zur Gemeinschaftsbildung, die erst als gegeben angesehen werden kann, wenn das Teilen dieser Orientierungen auch bewusst und emotional relevant ist. Dabei wird jedoch in der Regel eine Vorauswahl getroffen, welche Gemeinsamkeiten erhoben werden, wodurch möglicherweise relevante Bezugsobjekte für kollektive Identifikation übersehen werden. Außerdem besteht bei der Suche nach objektiven Merkmalen einer Gemeinschaft die Gefahr, kollektive Identitäten essentialistisch zu interpretieren mit wenig Sensibilität für dynamische Entwicklungen. Abgesehen davon sind hierbei Interpretation und Gewichtung problematisch: werden beispielsweise kulturelle Merkmale genannt, die einen anderen Personenkreis umfassen, als genannte politische Merkmale, gibt eine solche Erhebung möglichst objektiver Gemeinsamkeiten keinen Aufschluss darüber, welche Gemeinschaft tatsächlich auch emotional relevant ist und Handlungen anleitet, also im Konfliktfall als letztlich entscheidend angesehen wird. Behält man die Gefahr voreiliger, essentialistischer Schlüsse im Auge, soll dieser Herangehensweise nicht grundsätzlich die Legitimität abgesprochen werden; sie wird jedoch in dieser Arbeit nicht weiter verfolgt. Eine zweite Ebene betrifft die subjektive Identifikation mit solchen Merkmalen, also die Frage danach, womit sich das Individuum emotional verbunden fühlt. Diese Herangehensweise wählen beispielsweise Untersuchungen über die
Operationalisierung
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Vereinbarkeit von Bindung an politische Gemeinschaften auf verschiedenen Ebenen. So kommen Studien zu nationaler und europäischer Identität häufig zu dem Ergebnis, dass Identifikation mit beiden Ebenen parallel besteht (Duchesne/ Frognier 1995; Marks/ Hooghe 2003). Fragt man jedoch nur, ob man sich als Deutscher und/oder Europäer fühlt, weiß man noch nicht, womit diese Klassifikation inhaltlich gefüllt wird. Die Antworten sind möglicherweise wenig vergleichbar, wenn „Deutschsein“ für die eine etwas völlig anderes bedeutet als für die andere. Doch ist das Verhältnis von in unserem Zusammenhang nationaler und subnationaler Identität so grundlegend, dass ihm in Kapitel 8.1 empirisch nachgegangen wird. Indikatoren auf der dritten Ebene, derjenigen der tatsächlichen Handlungen, sind gemeinschaftsfördernde oder -schädigende Handlungen. Die Wahl unter verschiedenen Handlungsoptionen ist natürlich nicht nur Ausdruck der Identifikation mit Kollektiven, sondern vielfältigen Einflussfaktoren unterworfen. Rationale Erwägungen, aber auch individuelle Wertüberzeugungen sind ebenso relevant. Besonders in der neueren Forschung wird jedoch immer wieder betont, wie sehr sowohl Rationalität als auch Wertorientierung von der Identifikation mit Gemeinschaften beeinflusst werden. Vermeintlich rationale Entscheidungen werden nach den neuesten Ergebnissen der Hirnforschung als grundlegend emotional gesteuert angesehen, Verstand und Vernunft seien immer in Emotionen eingebettet (Roth 1996; 2003). Handeln im Sinne der Gemeinschaft kann daher als – wenn auch wieder nicht ausreichender – Indikator für die Existenz einer Gemeinschaft angesehen werden. Im Gegensatz dazu kann wiederum Handeln, das einem definierten Kollektiv schadet oder es zerstört, als Zeichen für den Willen der Handelnden, die Gemeinschaft anderer aufzubrechen oder, wenn es in großem Umfang erfolgt, als Zeichen für die Nichtexistenz einer Gemeinschaft gedeutet werden, was im Kontext einer Nation mit Entfremdungs- oder Sezessionstendenzen einhergeht. In unserem Zusammenhang betreffen diese Handlungen vor allem die Wahl zwischen politischer Beteiligung und gewaltlosem Protest einerseits und dem gewaltsamen Austrag politischer Konflikte andererseits. Friedliche und gemeinschaftsorientierte politische Beteiligung kann im Rückschluss wiederum als Zeichen der Identifikation mit der politischen Gemeinschaft interpretiert werden. Wie die Wahl zwischen friedlicher und gewaltsamer Beteiligung entlang von ethnischen Konfliktlinien in Demokratien weltweit ausfällt, zeigt Kapitel 8.2. Weder Identifikation mit der Nation und möglicherweise deren Kompatibilität mit Identifikation auf unterschiedlichen Ebenen – mit der ethnischen und zugleich umfassenden politischen Gemeinschaft – noch gewaltloser Umgang miteinander begründen schon eine demokratische Gemeinschaft; sie sind lediglich ein Zeichen für den zunächst regimeunabhängigen Zusammenhalt der politi-
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Operationalisierung
schen Gemeinschaft. Gewaltfreie Konfliktlösung ist jedoch die grundlegendste Bedingung einer durch gegenseitige Anerkennung als Freie und politisch Gleiche gekennzeichneten demokratischen Gemeinschaft. Die Implosion einer solchen Gemeinschaft in Form von gewaltsam ausgetragenen ethnischen Konflikten ist somit die Negativfolie, vor deren Hintergrund positivere Bilder demokratischer Gemeinschaft entworfen werden können, um dem zentralen Charakteristikum des Verhältnisses zwischen den Bürgern einer solchen Gemeinschaft, der gegenseitigen Anerkennung gerade auch angesichts von Andersartigkeit (Habermas 1992) Substanz zu verleihen. Diese Anerkennung besteht in einer minimalen Form, folgt man der vorherrschenden Meinung in der politischen Theorie (Galston 1991), zunächst aus Toleranz, also aus der Bereitschaft, auch gegenteilige oder ungeliebte Meinungen sowie die Individuen und Gruppen, die sie vertreten, anzuerkennen und als gleichberechtigte Teilnehmer am demokratischen Prozess zu betrachten. Toleranz ist somit eine grundlegende Einstellung, die der Kulturebene zugeordnet werden kann, aber auch ein Verhalten, das Mitglieder ungeliebter Gruppen als Gleiche behandelt (vgl. Mutz 2001) und somit auf der Prozessebene zu verorten ist. Zu tolerieren bedeutet in dieser Hinsicht in unvoreingenommener Weise zu handeln, auch wenn man ein Individuum oder eine Gruppe persönlich nicht mag. Einem solchen Handeln und einer toleranten Einstellung wirken daher Vorurteile entgegen, die in der Sozialpsychologie eingehend erforscht wurden (Tajfel 1978; Sniderman et al. 2000). Vorurteil ist eine negative Einstellung gegenüber Mitgliedern einer Gruppe, die auf wahrgenommenen Gruppenmerkmalen basiert. Toleranz bedeutet nicht, dass Vorurteile nicht vorhanden sind; Vorurteilsfreiheit ist daher zumeist ein anspruchsvollerer Bewertungsstandard für die Beziehung zwischen Gruppen, da deren Mitglieder erst gar nicht aufgrund von vorher getroffenen Bewertungen abgelehnt und somit auch nicht nur toleriert werden. Die Verringerung von Vorurteilen jeglicher Art gegenüber einer Gruppe macht es wahrscheinlicher, dass ihre Mitglieder als Gleiche behandelt und somit toleriert werden. Im Umkehrschluss verringern starke Vorurteile die Wahrscheinlichkeit von Toleranz oder erhöhen die Anstrengung zu tolerieren beträchtlich. Für Demokratie als Regierungsform ist besonders politische Toleranz von Bedeutung. Diese wird als Bereitschaft definiert, ungeliebten Gruppen gleiche Bürgerrechte zuzugestehen (Gibson 2007). Dieser minimale Standard an Toleranz ist häufig in Gesetzen festgehalten und in soziale Normen übergegangen. Denn Demokratie bedarf der freien und offenen Debatte politischer Differenzen, und eine solche Debatte kann nur stattfinden, wo politische Toleranz vorherrscht. Sie ermöglicht, dass alle politischen Ideen (und die Gruppen, die diese vertreten) denselben Zugang zum Marktplatz der Ideen haben wie die Ideen, die das System dominieren (ebd. 4). Es handelt sich somit um Erwartungen, die man an den
Operationalisierung
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Staat und öffentliche Debatten stellt. Politische Intoleranz ist demokratieschädigend, nicht nur weil sie repressive Gesetzgebung inspiriert und unterstützt, sondern auch weil sie zu einem Klima der Konformität beitragen kann, das den Ausdruck von Minderheiten-Standpunkten sanktioniert, also politische Freiheit durch kulturelle Normen beeinflusst, die politischen Widerspruch entmutigen (ebd. 15, 22). Jenseits dessen, was legal notwendig ist, besteht eine große Bandbreite an anspruchsvollerer sozialer Toleranz, welche die Ausweitung des gleichen sozialen Status auf ungeliebte Gruppen beinhaltet. Häufig werden in dieser Hinsicht Fragen wie die Akzeptanz interethnischer Ehen, besonders eines nahen Verwandten wie des Sohnes oder der Tochter, untersucht. Soziale Toleranz und Vorurteile sind deutlich stärker miteinander verbunden. Je größer die Vorurteile desto weniger Raum bleibt für soziale Toleranz – und vice versa. Politische und soziale Toleranz wiederum stehen in keinem linearen Verhältnis zueinander. Man kann sich leicht eine Bürgerin vorstellen, die den Schutz der Rechte einer benachteiligten politischen Minderheit verteidigt, zugleich jedoch nur unwillig ihre Tochter einem Mitglied dieser Gruppe zur Frau gibt. Es ist nicht eindeutig geklärt, wie viel soziale Toleranz eine demokratische Gemeinschaft braucht. Über Toleranz und Vorurteilsfreiheit hinaus geht Vertrauen, das eine Form von Anerkennung im Sinne eines affektiv positiv aufgeladenen Glaubens an die Vertrauenswürdigkeit des anderen ist. Es gibt viele Definitionen von Vertrauen, da es mehrere Ebenen und Aspekte beinhaltet, doch gibt es einige Gemeinsamkeiten zwischen ihnen (vgl. Levi 2001). Grundlegend ist, dass es sich um eine positive Vorhersage von Verhalten handelt, um eine Einschätzung, dass man sich auf eine andere Person in einer bestimmten Hinsicht verlassen kann. Vertrauen kann auf spezifische oder allgemeine Themen bezogen sein ebenso wie auf spezifische Individuen, Eigen- oder Fremdgruppen oder Menschen im Allgemeinen. Vertrauen ist mit Toleranz und Vorurteil eng verbunden, doch findet sich in der Literatur wenig über die direkte Beziehung zwischen Vertrauen und Toleranz oder Vorurteil, möglicherweise da die Beziehung schwer aufzulösen ist. Einerseits erscheinen Toleranz und Vorurteilsminderung vorgelagert, denn zu vertrauen ist in der Regel schwerer und riskanter als zu tolerieren. Man kann leichter jemanden tolerieren, ohne ihm zu vertrauen, als jemandem vertrauen, ohne ihn zu tolerieren. Toleranz erlaubt Kontakt und Kooperation, die wiederum Vorurteile, Angst und Verdächtigungen über die Zeit reduzieren und zu einer vertrauensvollen Beziehung führen können. Andererseits kann ein sehr grundlegendes Maß an Vertrauen, nämlich dass man bei einem Zusammentreffen nicht getötet wird, als notwendige Vorbedingung eines ersten Kontaktes angesehen werden, der wiederum notwendig ist, Toleranz zu bilden und Vorurteile zu reduzieren. Jede Beziehung hängt daher von der relativen Stärke der betreffenden Form von Ver-
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Operationalisierung
trauen und Toleranz oder Vorurteil ab. Sicher besteht schon ein gewisses Maß an interethnischem Vertrauen bevor Vorurteile so gering sind, dass interethnische Ehen toleriert werden. Andererseits kann man nicht vollkommen vorurteilsfrei sein, wenn man einer Gruppe mehr als einer anderen vertraut. Während somit einige konzeptuelle und empirische Unterscheidungen zwischen Vertrauen und Toleranz/ Vorurteil bestehen, kann man weder das eine noch das andere grundsätzlich als Ursache ansehen. Beides sind jedoch deutliche Indikatoren des Einschlusses des Tolerierten oder Vertrauten in eine bestimmte Kategorie, zu der man sich selbst als zugehörig betrachtet; sie sind somit verschiedene Zeichen von Vergemeinschaftung, die je nach zugrunde liegendem Gemeinschaftskonzept unterschiedlich ausgeprägt sein sollen. Während Toleranz im liberalen Modell, wie aufgezeigt, besonders betont wird, ist Vertrauen im republikanischen Modell aufgrund seiner stärkeren Gemeinschaftsorientierung vergleichsweise wichtiger. Besonders soziale Toleranz ist in einem kulturell weitgehend monistischen Verständnis politischer Gemeinschaft kaum vorgesehen, am wenigsten im ethnischen Modell. Allgemein ist Vertrauen zwischen den Bürgern wiederum nicht die Grundlage des konsoziativen Modells, doch wird, wie beim liberalen, die vermittelnde Funktion von Institutionen und Eliten betont, denen die Bürger also zumindest vertrauen sollten. Diese normativen Modelle bleiben nicht im luftleeren Raum, sondern zeitigen Konsequenzen für die institutionelle Umsetzung der Idee der Demokratie und der Vorstellung, auf welchen Mitgliedschaftskriterien die politische Gemeinschaft beruht. Hat diese unterschiedliche institutionelle Rahmensetzung Einfluss auf die Entstehung und Persistenz einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz? Und was ist hierbei der Beitrag der ethnischen Gruppen selbst, welche die politische Gemeinschaft umfasst? Wie beeinflussen somit letztlich die von den Modellen legitimierten politischen und sozialen Institutionen die Orientierungen und das Verhalten der Bürger gegenüber ethnisch verschiedenen Mitbürgern? Dieser Teil der Arbeit versucht erste Antworten auf diese Fragen zu geben, indem exemplarisch empirische Studien zur Veranschaulichung der Zusammenhänge herangezogen werden. Das folgende Schaubild gibt einen Überblick über die interessierenden Zusammenhänge.
Operationalisierung Abbildung 2:
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Einflussfaktoren auf demokratische Gemeinschaft trotz thnischer Differenz
Institutioneller Einfluss
Aspekte demokratischer Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz
Gruppenbasierter Einfluss
Friedlicher Austrag ethnischer Konflikte
Institutionen der politischen Gemeinschaft - Demokratieform - Staatsbürgerschaftsregime
Politische Beteiligung Identifikation mit polit. Gemeinschaft
Sozialkapital ethnischer Gruppen, besonders ihrer Vereinigungen
Unterstützung der Demokratie
- Inhalt - Struktur
Toleranz
Die mit den normativen Modellen verbundenen Erwartungen spielen schon bei der nun folgenden der Darstellung der Identifikation mit der politischen Gemeinschaft eine Rolle, ihrem Verhältnis zu subnationalen Identifikationen und dem Auftreten ethnischer Konflikte in Demokratien, was zunächst den weitgehend regimeunabhängigen Zusammenhalt der politischen Gemeinschaft veranschaulicht. Noch deutlicher werden die Unterschiede, wenn es um verschiedene Einflussfaktoren auf Konflikte, Identifikation und demokratierelevante Einstellungen wie Toleranz geht, also in der Analyse des institutionellen (9) und gruppenbasierten Einflusses (10) auf die Bildung demokratischer Gemeinschaften.
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Identifikation mit der politischen Gemeinschaft
8 Identifikation mit der politischen Gemeinschaft
8.1 Nationale und subnationale Identität 8.1.1 Kompatibilität im Vergleich Ein Individuum identifiziert sich in der Regel in unterschiedlichem Ausmaß mit verschiedenen Kollektiven, so dass eine Vielzahl an kollektiven Identitäten besteht, wiederum in unterschiedlichem Verhältnis zueinander, wie in Kapitel I erörtert. Die in unserem Zusammenhang interessierende Beziehung ist die zwischen der Bindung an das eigene Land oder an die Nation als Ganzes einerseits und an eine bestimmte ethnische Gruppe andererseits. Die auch in politischen Debatten häufig umstrittene Frage lautet, ob es möglich ist, eine starke Loyalität gegenüber und Identifikation mit der eigenen ethnischen Gemeinschaft zu empfinden und zugleich geteilte nationale Werte und ein Gefühl gemeinsamer nationaler Identifikation aufrechtzuerhalten. Häufig wird unterstellt, gerade auch von Kritikern multikulturalistischer Maßnahmen, dass sich eine starke Bindung an eine subnationale Identität und eine starke Bindung an das umfassende Land gegenseitig ausschließen.156 „Is ethnic separatism the inevitable consequence of pursuing policies that allow for a reflowering of subnational ethnic identities, as in Quebec, or are there ways of having both a strong sense of attachment to one’s own ethnic group while fostering loyalty to the larger state, as some variants of pluralist theory suggest?“ (Dowley/ Silver 2000: 358) Die Bindung an das eigene Land wird verschiedentlich gemessen. In der Regel wird gefragt, ob man zu einer bestimmten Nationalität gehört, sich mit ihr identifiziert oder sich selbst als zugehörig betrachtet, im Vergleich zu subnationalen Ebenen in Form eines Rankings der Identifikation (so im European Value Survey, im World Value Survey und im Eurobarometer bis 1979). Umfragen des „International Social Survey Programme“ benutzen eine Frage nach dem Ausmaß der Nähe zur Nation mit einer Rating Skala und der Eurobarometer seit 1982 wiederum eine Rating Skala der Identifikation (vgl. für einen Überblick Tabelle 1 Sinnott 2005: 213). Bei einem Vergleich der verschiedenen Maße anhand ihrer Korrelation mit verschiedenen verwandten Konzepten, kommt 156
Als Beispiel wird bisweilen die Sowjetunion herangezogen, wo nationale Republiken, denen ein gewisses Maß an territorialer und oft linguistischer Autonomie unter dem Sowjetregime zugestanden worden war, letztlich den existierenden polyethnischen Staat herausforderten und auflösten.
Nationale und subnationale Identität
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Sinnott (2005) zu dem Ergebnis, dass ein Rating der Identifikation die valideste Form der Messung nationaler Bindung sei. Hierbei handelt es sich jedoch noch in erster Linie um eine kognitive Operation, um die Zuordnung des Selbst zu einer bestimmten Kategorie, der Nationalität. Stärker emotional ausgerichtet sind Fragen nach Nationalstolz, Patriotismus und Nationalismus. Diese sind eng miteinander verbundene Konzepte. Patriotismus ist die Liebe zum eigenen Land, während Nationalismus eine besondere Art starker nationaler Hingabe impliziert, die das eigene Land über andere stellt. Nationalstolz wiederum ist zunächst lediglich der positive Affekt, den Bürger gegenüber dem Land empfinden, mit dem sie sich identifizieren. Stolz bedeutet sowohl Bewunderung als auch Anteil – das Gefühl, dass man auf irgendeine Art und Weise Anteil an dem Erreichten oder einer bewundernswerten Eigenschaft hat (Evans/ Kelley 2002: 303). Es wird häufig zwischen allgemeinem und spezifischem Nationalstolz unterschieden, wobei sich letzterer auf nationale Erfolge in bestimmten Bereichen wie Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Sport, Kunst und Literatur bezieht. Nationalstolz koexistiert mit Patriotismus und ist eine Vorbedingung von Nationalismus, doch geht dieser über Nationalstolz hinaus; stolz auf sein Land zu sein, bedeutet noch nicht, nationalistisch zu sein (vgl. Smith/ Jarkko 1998). Trotz ihrer praktischen und theoretischen Relevanz sind Länder übergreifende, empirische Studien zu Natur, Ausmaß und Einfluss des Verhältnisses von Identifikationen auf verschiedenen Ebenen politischer Gemeinschaft selten. Während der Kompatibilität von nationaler und supra-nationaler, vor allem europäischer Identität mittlerweile verstärkt Aufmerksamkeit zuteil wird (vgl. Duchesne/ Frognier 1995; Marks/ Hooghe 2003), finden sich jedoch auch zur Beziehung zwischen nationaler und subnationaler Identität ein paar aufschlussreiche Vergleiche. Nationalstolz ist in der Tat zumeist größer unter Mitgliedern der dominanten kulturellen Gruppe und geringer unter Minderheitengruppen (Dowley/ Silver 2000; Smith/ Jarkko 1998; Smith/ Kim 2006: 132). Dies gilt selbst für bereichsspezifischen Nationalstolz: In der Umfrage des ISSP zu nationaler Identität von 1995, die 22 Industrieländer – zumeist etablierte Demokratien – umfasste157, ist der Stolz auf bestimmte nationale Erfolge in 18 Ländern größer unter der Mehrheitsgruppe, allerdings ist der Unterschied nur in der Hälfte der Länder signifikant (Smith/ Jarkko 1998). Einwanderer waren genauso stolz wie Einheimische auf die Wissenschaft und Technologie des Aufnahmelandes, hingegen etwas weniger stolz auf Kunst, Literatur und Sport (Evans/ Kelley 2002: 323, 325). Beim generellen Nationalstolz ist das Muster deutlicher: in 20 der 22 Länder ist 157
Bulgarien, Deutschland (in Ost und West unterteilt), Großbritannien, Irland, Italien, Japan, Kanada, Lettland, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Philippinen, Polen, Russland, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn, USA.
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er in der dominanten Gruppe größer und in 15 Fällen ist dieser Unterschied statistisch signifikant. Außerdem äußern Mitglieder von Minderheitengruppen häufiger keine Meinung. Dieses Muster blieb über die Jahre konstant. In der ISSP Umfrage zu nationaler Identität von 2003/04 drückt in 13 von 28 Ländern die Mehrheitsgruppe signifikant mehr generellen Nationalstolz als die Minderheit aus und in weiteren 12 Ländern bestanden ähnliche, wenn auch nicht signifikante Unterschiede (Smith/ Kim 06: 132). Bereichsspezifischer Stolz zeigte wiederum einen ähnlichen, allerdings geringeren Zusammenhang. Statistisch signifikante Unterschiede ergaben sich in 12 Ländern, wobei in 10 Ländern die Mehrheitsgruppe mehr Stolz auf nationale Errungenschaften kundtat. Trotz des generell niedrigeren Nationalstolzes unter ethnischen Minderheiten findet man 1995/96 nicht alle erwarteten Unterschiede. So ist der Stolz auf Großbritannien in Wales größer als im Rest des Landes und auch in Schottland sind die Werte nur wenig niedriger als im Durchschnitt. Ebenso unterscheiden sich die Katalanen trotz der starken Autonomiebewegung und linguistischen Unterschiedlichkeit Kataloniens weder im Stolz auf spezifische Erfolge noch im generellen Stolz auf Spanien. Weitere Ausnahmen zum generellen Muster sind Slowenien und Neuseeland. Genereller Nationalstolz ist unter Nicht-Slowenen (eine heterogene Mischung aus Kroaten, Serben, Bosnier, Ungarn und anderen) signifikant höher. In Neuseeland ist dieser zwar unter der europäischen Mehrheit größer als unter den Bewohnern verschiedener kleiner asiatischer und pazifischer Inselgruppen, aber geringer als der Nationalstolz der indigenen Maori (Smith/ Jarkko 1998).158 Das trotzdem weit verbreitete Muster größeren Nationalstolzes in der Mehrheitsgruppe wird in der Regel damit erklärt, dass sich deren Mitglieder nummerisch mehr und stärker mit der Nation identifizieren. Doch in welchem Verhältnis stehen Nationalstolz und Bindung an das Land allgemein? Evans und Kelley argumentieren „that pride in a nation’s achievements may increase people’s feelings of attachment to the nation – that achievements can lead to pride and pride to affection” (Evans/ Kelley 2002: 326f). Eine alternative Erklärung unterstellt den entgegengesetzten kausalen Zusammenhang: dass die Bindung an die eigene Nation dazu führt, dass man eine zu optimistische Sicht auf das Erreichte in Wissenschaft, Wirtschaft, Literatur und Sport hat und daher falschen Stolz in diese entwickelt. Wahrscheinlich bestehen Einflüsse in beiden Richtungen, doch können Evans und Kelley zeigen, dass Stolz in verschiedenen Bereichen die emotionale Bindung an die Nation verstärkt, wobei die entscheidenden Bereiche zwischen den Ländern variieren (ebd. 327). Warum sind aber ethnische Minderheiten weniger stolz auf nationale Errungenschaften? Entweder fehlt es 158 2003/04 bilden wiederum die Maori in Neuseeland eine Ausnahme sowie die Moslems in den Philippinen und die Honam in der südwestlichen Region von Korea (Smith/ Kim 06: 132).
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an Bewunderung oder, noch wahrscheinlicher, an dem Gefühl, an dem Erreichten Anteil zu haben. Wie dieses Anteilhaben erhöht werden kann, darüber streiten sich besonders individualistisch orientierte Liberale und gruppenorientierte Multikulturalisten, deren empfohlene Maßnahmen je nach Standpunkt als integrierend oder spaltend interpretiert werden. Grundlegend unterscheidet sich dabei vor allem die Einschätzung des Einflusses der Stärke subnationaler Identitäten, wie auch in der Ausdifferenzierung der verschiedenen Formen demokratischer Gemeinschaft herausgestellt: während Liberale einen Trade-Off zwischen ethnischer und nationaler Identitäten erwarten, halten Multikulturalisten nationale Identität auf der Grundlage starker subnationaler Identitäten für möglich, wenn nicht gar wünschenswert. Die wenigen empirischen Arbeiten, welche die Behauptungen von Multikulturalisten oder Liberalen gegeneinander abwägen, konzentrieren sich weitgehend auf die Beziehungen zwischen Rassen oder ethnischen Gruppen in den USA. De la Garza und seine Kollegen (1996) untersuchten die Beziehung zwischen der Bindung von mexikanisch-stämmigen Amerikanern an die eigene ethnische Gruppe und an die USA als Ganzes. Ausgangspunkt ist die verbreitete Ansicht, mexikanisch stämmige Immigranten seien weniger bereit als andere Immigrantengruppen, sich in die amerikanische Polity einzugliedern, weshalb sie eine Herausforderung für den amerikanischen Melting Pot darstellten. Diese fehlende Bereitschaft bestehe, da sie ihre ethnischen Bindungen nicht aufgeben wollten. De la Garza et al. messen deren Eingliederung durch das Ausmaß, in dem Immigranten patriotische Gefühle gegenüber den USA ausdrückten, sowie das Ausmaß, in dem sie Werte individueller Selbständigkeit im privaten Sektor hoch hielten. Als überraschendes Ergebnis stellt sich heraus: „ethnicity does not systematically affect patriotism, but when it does, it is positive rather than negative“ (de la Garza et al. 1996: 346). Eine starke Bindung an die eigene ethnische Gruppe behindert also in diesem Fall keineswegs die Herausbildung patriotischer Gefühle gegenüber den USA, sondern eher im Gegenteil. Eine etwas differenziertere und verschiedene Gruppen vergleichende Herangehensweise verfolgen Sidanius und seine Kollegen (1997). Hinsichtlich der Beziehung zwischen Bindung an die eigene ethnische Gruppe und das umfassende Land unterscheiden sie drei Perspektiven: die Melting Pot Perspektive, die pluralistische Perspektive und die Gruppendominanz-Perspektive. Aus Sicht der Melting Pot Perspektive sollte keine ethnische Gruppe weniger patriotisch (oder weniger an das umfassende Land gebunden) sein als eine andere Gruppe, aber als Individuen sollte das Maß an Bindung an das Land in einer inversen Beziehung zum Maß an Bindung an die ethnische Gruppe stehen. Identitäten und Bindungen stünden in einem Wettstreit in dem Prozess, in dem sich Individuen zunehmend an dominante Werte akkulturieren. Dies entspricht somit einer indivi-
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dualistisch liberalen, stärker aber noch assimilationistisch republikanischen Sichtweise. Die pluralistische oder multikulturalistische Perspektive hingegen argumentiert, dass die Beziehung zwischen der Bindung an das Land und an die eigene ethnische Gruppe entweder positiv oder nicht existent sei. In diesem Modell ist es möglich, eine starke Identifikation mit der ethnischen Gruppe aufrechtzuerhalten und sich trotzdem auch stark an das umfassende Ganze gebunden zu fühlen. Das Gruppendominanzmodell wiederum argumentiert, dass die meisten multiethnischen Staaten das Ergebnis der Eroberung einer oder mehrerer Gruppen durch eine andere ist (ebd. 105), so dass ein ethnisches Modell politischer Gemeinschaft vorherrscht. Daher müsste das Maß an Bindung an das Land als Ganzes unter der dominanten ethnischen Gruppe höher sein und schwächer unter denjenigen Gruppen, die historisch dieser Gruppe untergeordnet waren, wie Afro-Amerikaner und ‚Native Americans’ im amerikanischen Kontext. Von diesen Gruppen könne daher erwartet werden, umso weniger patriotisch gegenüber dem Land als Ganzes zu sein, je stärker sie sich an ihre eigene Ethnie gebunden fühlen. Sidanius und seine Kollegen (1997) untersuchen diese drei Hypothesen an Studenten, die vier unterschiedlichen ethnischen Gruppen angehören (Weiße, Schwarze, Latinos und Asiaten). Unter Gleichhaltung von sozialer Klassenzugehörigkeit und Bildungsniveau finden sie signifikante und deutliche Unterschiede zwischen den Patriotismus- und Nationalismus-Skalen für Weiße und AfroAmerikaner (ebd. 114). Im Widerspruch sowohl zur pluralistischen als auch zur Melting Pot Perspektive sind Afro-Amerikaner signifikant weniger patriotisch als Weiße. Dies steht darüber hinaus mit der Gruppenbindung in Zusammenhang: je positiver Afro-Amerikaner gegenüber ihrer eigenen Gruppe eingestellt sind, desto weniger patriotisch fühlen sie sich gegenüber dem Land, was somit der Gruppendominanzperspektive entspricht (ebd.: 127). Als die Autoren ihre Analyse auf den „US National Election Survey“ von 1992 ausdehnten, fanden sie, analog zu de la Garza et al. (1996), dass der Patriotismus von Latinos im Gegensatz zu den Ergebnissen der Afro-Amerikaner in positivem Zusammenhang mit ihrer Verbundenheit mit der eigenen Ethnie steht. Die Ergebnisse für die Latinos unterstützen damit die pluralistische Perspektive. Diese gruppenspezifischen Unterschiede im Zusammenhang zwischen subnationaler Gruppenbindung und Patriotismus sprechen dafür, dass es auf die vergangene und gegenwärtige Art der Inkorporation einer ethnischen Gruppe in die politische Gemeinschaft ankommt, so dass nicht unbedingt ein Modell politischer Gemeinschaft auf alle Gruppen gleichermaßen zutrifft. Bei den AfroAmerikanern handelt es sich um eine unfreiwillig eingewanderte Minderheit, die lange unterdrückt wurde und erst durch eine verlustreiche und lange währende Bürgerrechtsbewegung gleichwertige Rechte erhielt, so dass sich die politische
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Gemeinschaft zumindest im Gedächtnis, wenn nicht auch in der täglichen Erfahrung als ethnisch durch Weiße dominiert darstellt mit entsprechenden Konsequenzen für ein sich ausschließendes Verhältnis zwischen ethnischer und politischer Identifikation für Afro-Amerikaner. Hingegen sind Latinos eine freiwillig eingewanderte ethnische Minderheit oder, besser gesagt, mehrere solche Minderheiten, die nicht denselben Hürden ausgesetzt waren, so dass eine starke Bindung sowohl an die ethnische als auch politische Gemeinschaft möglich ist. Weder ein positiver noch ein negativer Zusammenhang zwischen Gruppenbindung und Patriotismus, wie es die assimilationistische Melting Pot Perspektive nahe legt, scheint jedoch nur selten zu bestehen. Dowley und Silver (2000) untersuchen ihrerseits diese Modelle anhand anderer Datensätze159 und vergleichen verschiedene Länder, soweit Daten zu ethnischen Minderheiten erfasst wurden. Dies erlaubte einen Vergleich der USA, Kanada, Spanien, Lettland und Bulgarien. Bindung an das Land oder Patriotismus wird in den ISSP Daten durch eine zehn Items umfassende Frage gemessen, die den Stolz auf spezifische Erfolge des Landes erhebt160; Bindung an die ethnische Gruppe wird durch die Frage erhoben, wie nah man sich seiner ethnischen Gruppe fühlt. Die Ergebnisse decken sich mit Sidanius’ Studie, dass Weiße mehr Patriotismus ausdrücken als Afro-Amerikaner und Latinos. Das Maß an Patriotismus sagt jedoch noch nichts über das Verhältnis von ethnischer Bindung zur Bindung an die größere politische Einheit aus. In der multiplen Regressionsanalyse über den Einfluss der Bindung an die ethnische Gruppe bleibt auch bei Kontrolle demographischer Merkmale die Übereinstimmung mit Sidanius’ (1997) Ergebnissen, die für Afro-Amerikaner das Gruppendominanzmodell unterstützen: „for Blacks, a historically oppressed group, strong attachment to one’s ethnic community is likely to be negatively correlated with attachment to the larger national community“ (Dowley/ Silver 2000: 362f). Für Latinos trifft wiederum eher das pluralistische Modell zu: bei dieser freiwillig eingewanderten Gruppe bedeutet Bindung an andere Latinos nicht unbedingt Entfremdung von der nationalen Gemeinschaft. Dieses Ergebnis wird zwar durch die Analyse der World Value Survey Daten wieder eingeschränkt, in denen auch für Latinos eine negative Beziehung zwischen Bindung an die eigene ethnische Gemeinschaft und nationalem Stolz deutlich zutage tritt, doch wurde Nationalstolz hier als pauschale Frage erhoben, was den Unterschied teilweise zu erklären vermag.161 159
Das International Social Survey Programme unternahm Umfragen in 23 Ländern in der “National Identity 1995” Studie. Darüber hinaus nutzen die Autoren den 1990er World Value Survey. 160 Die Art und Weise, wie Demokratie funktioniert; politische Erfolge in der Welt; das Sozialsystem; ökonomische, wissenschaftliche und sportliche Erfolge; Erfolge in Kunst und Literatur; das Militär; die Geschichte; die faire und gleiche Behandlung aller Gruppen in der Gesellschaft. 161 Tabelle 3 (Dowley/ Silver 2000: 365) gibt einen Überblick über die Ergebnisse der vier untersuchten Datensätze.
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Im Ländervergleich werden interessante Unterschiede deutlich. Verglichen werden die erst kürzlich demokratisierten Länder Lettland und Bulgarien sowie die zwei älteren Demokratien Kanada und Spanien.162 Anhand des World Value Survey wird wiederum deutlich, dass generell Mitglieder ethnischer Minderheiten in diesen Ländern deutlich weniger patriotisch sind als Mitglieder der dominanten Gruppe. Dieser Unterschied ist um einiges größer als in den USA und tritt besonders zwischen Türken und Bulgaren in Bulgarien und zwischen Basken und Spaniern in Spanien hervor. Der Einfluss der Gruppenbindung unterscheidet sich jedoch von Land zu Land. Die Erwartung, dass Mitglieder von Minderheitengruppen, die stark mit ihrer ethnischen Gemeinschaft verbunden sind, weniger patriotisch sind, stimmt nur in den USA für die Afro-Amerikaner und, wenn auch weniger, für Latinos – sonst nirgendwo. „Turks, Roma, Francophones, Basques, and Catalons who express that they feel very close to their ethnie are slightly more patriotic to the larger state than those of their group that are not especially attached to the group“ (Dowley/ Silver 2000: 368, Hervorhebung im Original). Dies trifft jedoch besonders auf die Mehrheitsgruppen zu, bei denen mehr Bindung an ihre dominante Ethnie in allen vier Ländern zu mehr Patriotismus gegenüber dem Staat als Ganzes zu führen scheint. Insgesamt sehen die Autoren daher die Notwendigkeit, zwischen verschiedenen Typen subnationaler Gruppen zu unterscheiden und mahnen vor allem weiteren Forschungsbedarf an: „(R)esearch on the question of the relationship between attachment to particular ethnic identities and its impact on subsequent national attachments seems pressing. We encourage the designers of multicountry surveys of national pride or political culture in diverse societies to pay greater attention to the potential differences among ethnic groups in order to make this kind of research possible and more effective” (ebd. 370).
8.1.2 Verschiedene Arten der Identifikation Neben der Notwendigkeit differenzierter Daten bedarf es auch einer ausgeprägten Sensibilität hinsichtlich der Konzeptualisierung der emotionalen Aspekte von Identifikation mit der umfassenden politischen Gemeinschaft. Die tatsächliche Form der Identifikation des Individuums mit der jeweiligen Gemeinschaft ist wichtig und bestimmt über die Anziehungskraft von Ethnizität, Nationalismus und Patriotismus. Wenn man die subjektiven Bindungen des Individuums betrachtet, kann man die verschiedenen Muster nationaler oder ethnischer Identifi162
Innerhalb Lettlands wird zwischen Letten und Russen unterschieden, in Bulgarien zwischen Bulgaren, Türken und Roma, in Kanada zwischen Anglophonen und Frankophonen und in Spanien zwischen Spaniern, Katalanen und Basken.
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kation besser erkennen, als wenn man nur das Phänomen nationale oder ethnische Identität als Ganzes untersucht (Davis 1999: 26). So korrelieren genereller und bereichsspezifischer Nationalstolz nur mäßig miteinander163, was sich durch die konzeptionellen Unterschiede erklären lässt: die Skala des bereichsspezifischen Nationalstolzes ist national orientiert, ohne ein notwendigerweise hegemones Verständnis, während die generelle, „agree-disagree“ Skala von Nationalstolz die eigene Nation über andere Länder stellt (Smith/ Kim 2006: 128). Genereller Nationalstolz kommt somit der Bedeutung von Nationalismus nahe, weshalb es auch nicht erstaunt, dass besonders dieses Maß im Gegensatz zu bereichsspezifischem Nationalstolz mit bestimmten anderen Einstellungen in Zusammenhang steht, nämlich mit einem „more restrictive sense of what makes someone a ‘true’ member of a nationality: opposition to internationalism and globalization, and negative views on immigration and immigrants“ (ebd. 134). Die Notwendigkeit konzeptioneller Differenzierung tritt daher besonders deutlich zutage, wenn die Verbindung zwischen Nationalstolz und Feindschaft gegenüber Einwanderern zum Gegenstand der Analyse wird. De Figueiredo und Elkins (2003) untersuchen diese Verbindung mit Hilfe von sechs Umfragen164 in über 50 Ländern. Versteht man unter Nationalstolz die Summe einer breiten Varianz an Äußerungen von Stolz auf die eigene Nation, steht dieser in einer zu vernachlässigenden positiven Beziehung mit gegen Einwanderer gerichteten Einstellungen (ebd. 175). Misst man Nationalstolz hingegen als zweidimensionales Konzept, mit Patriotismus und Nationalismus als einzelne Dimensionen, ergibt sich ein anderes Bild des Zusammenhangs mit Fremdenfeindlichkeit. Hierbei lehnen sich De Figueiredo und Elkins an Viroli an, der festhält: „love of country can be generous, compassionate, and intelligent, but it can also be exclusive, deaf, and blind“ (Viroli 1995: 6). Patriotismus wird als Bindung an die Nation, ihre Institutionen und grundlegenden Prinzipien verstanden, während sich Nationalismus auf die Überzeugung nationaler Überlegenheit und Dominanz bezieht (de Figueiredo/ Elkins 2003: 175). Der zentrale Unterschied zwischen diesen Dimensionen liegt in ihrem Referenzpunkt: Während sich Patriotismus auf sich selbst bezieht, sind nationalistische Gefühle inhärent und fast ausschließlich herabwertend vergleichend (ebd. 178). Darüber hinaus bestünden Unterschiede im Inhalt: Patriotismus beziehe sich häufig auf Überzeugungen hinsichtlich des sozialen Systems und der Werte des eigenen Landes, während Nationalismus häufig dann ausgedrückt werde, wenn es um das Verfolgen natio163 In den Umfragen zur nationalen Identität des International Social Survey Programme von 1995/96 korrelieren beide Skalen mit einem Wert von r=.399, in der Wiederholung von 2003/04 mit .336 (Smith/ Kim 2006: 128). 164 Die Umfrage von 1995 des International Social Survey Program, die Wellen von 1981, 1990-91 und 1995-7 des World Value Survey und die 1994 und 1996 General Social Surveys.
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naler Interessen in der internationalen Arena geht. Daher ließen diese beiden Dimensionen von Nationalstolz unterschiedliche Konsequenzen für Einstellungen und Verhalten gegenüber Außenseitern erwarten, wobei jedoch besonders unklar sei, ob Patrioten ebenso wie Nationalisten negative Gefühle gegenüber Fremden äußern. Die zweidimensionale Messung von Nationalstolz ergibt eindeutige Ergebnisse (ebd. 176-180): Die Beziehung zwischen Nationalismus und Vorurteil ist stark positiv (mit einer Korrelation zwischen 0.35 bis 0.50), während Patriotismus invers mit Vorurteilen in Beziehung steht, wenn auch nur moderat (zwischen –0.23 bis –0.08). Diese Ergebnisse erklären die Ambivalenz unter Forschern hinsichtlich der Frage nach dem Verhältnis zwischen Stolz und Vorurteil. Wenn unter Stolz Gefühle der Gruppenüberlegenheit gemeint sind, ist Stolz eindeutig mit negativen Einstellungen gegenüber Fremdgruppen verbunden. Patrioten hingegen „are no more likely to disparage immigrants than are nonpatriots“ (ebd. 180). Die Beziehung zwischen Nationalstolz und Vorurteilen wird durch andere psychologische und ökologische Einflüsse beeinflusst.165 Dabei scheint der Effekt ökonomischer Unsicherheit einen geringen Einfluss auf Einstellungen gegenüber Einwanderern zu haben, wenn andere Faktoren mitberücksichtigt werden (ebd. 185f). Vor allem autoritäre Persönlichkeit und persönliche Frustration scheinen direkt mit Vorurteilen verbunden zu sein. Da sich autoritäre Charaktereigenschaften jedoch nur unter bestimmten Umständen in Intoleranz oder Fremdenfeindlichkeit äußern, nämlich insbesondere wenn eine Bedrohung wahrgenommen wird (vgl. Feldman/ Stenner 1997), vermuten De Figueiredo und Elkins, dass Nationalismus oder Patriotismus autoritäre Impulse gegenüber Einwanderern aktivieren oder ausrichten können (de Figueiredo und Elkins 2003: 181). Während die von einem autoritären Charakter verursachte Aggression zunächst nicht zielgerichtet ist, kann die Gegenwart von Nationalstolz besonders in Form von Nationalismus die Chancen erhöhen, dass solche Aggressionen gegen Einwanderer gerichtet werden.166 Die Autoren schließen: „the average nationalist is hostile toward immigrants. However, the average patriot is no more antagonistic to immigrants than is the average citizen. That is, those who express feelings of national superiority tend to derogate immigrants but those who express admiration for their country’s principles and values tend to appreciate outsiders as much as anyone else“ (ebd. 186, Hervorhebung im Original). 165
Annahmen hierzu finden sich in Sozialer Dominanz Theorie (Sidanius et al. 1997; Sidanius/ Pratto 1999), realistischer Konflikttheorie (Campbell 1965; Bobo/ Kluegel 1993), persönlicher Frustrationstheorie (Dollard et al. 1939) und der Theorie autoritären Charakters (Adorno et al. 1950). 166 Die Ergebnisse bestätigen die allgemeinen Befunde der Literatur zur Einwanderungspolitik, dass Feindseligkeit gegen Einwanderer nicht von einer direkten und spezifischen Bedrohung herrührt, die Einwanderer darstellen, sondern eher vom allgemeinen Ausmaß an Unzufriedenheit des Individuums (de Figueiredo und Elkins 2003: 186).
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Es gibt also eine empirisch nachgewiesene positive, tolerante Art von Nationalstolz; Gefühle nationaler Überlegenheit sind hingegen mit der Abwertung von Einwanderern verbunden. Dass Patrioten dazu tendieren, gegenüber nicht Einheimischen tolerant und großzügig zu sein, erstaunt angesichts der Tatsache, dass sowohl Patrioten als auch Nationalisten eine tiefe Achtung vor ihrer Nation empfinden. Patriotismus ist keine Art von Weltstolz oder internationalistischem Geist, sondern eine monogame Liebe zur Nation. „What is intriguing is that such exclusive group loyalty does not come at the expense of tolerance“ (ebd. 187). Ebenso wie die Unterscheidungen zwischen generellem und bereichsspezifischem Nationalstolz und zwischen Nationalismus und Patriotismus allgemein lässt sich auch Patriotismus verschieden verstehen. Schatz und seine Kollegen (1999) unterscheiden „blinden“ und „konstruktiven“ Patriotismus. Blinder Patriotismus wird als eine Bindung an das Land definiert, die durch unhinterfragte positive Bewertung, ergebene Treue und Intoleranz gegenüber Kritik charakterisiert ist. Konstruktiver Patriotismus hingegen wird als eine Bindung an das Land verstanden, die sich durch die Unterstützung von Hinterfragung und Kritik an aktuellen Gruppenpraktiken auszeichnet, die auf einen positiven Wandel abzielt (kritische Loyalität). Es handelt sich somit um zwei qualitativ unterschiedliche Dimensionen von positiver Identifikation mit und affektiver Bindung an das eigene Land, welche die Multidimensionalität patriotischer Einstellungen verdeutlichen und von denen man erwarten kann, dass sie mit unterschiedlichen kognitiven und verhaltensmäßigen Indikatoren verbunden sind. In der Tat können die Autoren anhand zweier Untersuchungen an College Studenten nachweisen, dass blinder Patriotismus positiv mit politischem Disengagement, Nationalismus sowie Wahrnehmungen einer Bedrohung von außen, der Bedeutung symbolischen Verhaltens und selektiver Wahrnehmung pro-nationaler Informationen verbunden ist. Im Gegensatz dazu ist konstruktiver Patriotismus mit verschiedenen Indikatoren von politischer Involviertheit verbunden, darunter mit politischer Effektivität, Interesse, Wissen und Verhalten. Diese Unterscheidungen sind für die Analyse und Interpretation des Verhältnisses von subnationalen und nationalen Identitäten sehr wichtig. Sie beinhalten Unterschiede in der Art und Weise, in der sich Individuen auf ihr Land beziehen. Die empirischen Ergebnisse legen nahe, dass im Allgemeinen die Beziehung zwischen der Bindung an die Eigengruppe und der Diskriminierung zwischen Gruppen durch die Art und Weise mediiert wird, in der sich Individuen mit der Eigengruppe identifizieren und sie bewerten. Diese Studien unterstreichen empirisch, dass verschiedene Formen von nationaler Identität, Nationalstolz und Patriotismus unterschiedlich gut mit ethno-kultureller Vielfalt vereinbar sind.
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Vergleichbare Unterschiede stellen sich auch heraus, wenn man auch hinsichtlich der Identifikation mit ethnischen Gruppen feiner differenziert. Denn auch die Komponenten der Identifikation mit einer ethnischen Gruppe können unterschiedliche Auswirkungen auf die Beziehung zu anderen ethnischen Gruppen und auf Toleranz haben.167 Dies könnte erklären, weshalb die Ergebnisse der wenigen Studien zum Zusammenhang zwischen Gruppenidentität und Toleranz nicht eindeutig sind oder einander widersprechen. Einzelne empirische Studien zeigen, dass starke Eigengruppenidentitäten eine signifikante Rolle in Toleranzurteilen spielen, andere kommen zu gegenteiligen Ergebnissen. So finden Davis und Brown (2002: 247), dass die Unterstützung eines Überzeugungssystems schwarzen Nationalismus’ zwar mit Antipathie gegenüber Weißen verbunden ist, dass aber eine stärkere schwarze soziale Identität allgemein mit positiveren Einstellungen gegenüber Weißen einhergeht. Dies liefert somit keinen eindeutigen Beweis dafür, dass schwarze Gruppenidentifikation in den USA an sich zu Antipathie gegenüber Weißen führt. Sniderman und Piazza (2002) berichten vergleichbare Ergebnisse für Schwarze in Chicago. Auch hier sind starke afroamerikanische Gruppenidentitäten nicht mit Intoleranz verbunden.168 Die Autoren finden jedoch eine moderate Beziehung zwischen Afrozentrismus und schwarzem Antisemitismus; lediglich eine mit Afrozentrismus verbundene Form rassischer Identifikation führt somit zur Intoleranz gegenüber anderen. In einem anderen Kontext, in Italien, finden Paul Sniderman und seine Kollegen (2000), dass Eigengruppenidentitäten zwar durchaus Toleranzurteile gegenüber Einwanderern und ethnischen Minderheiten beeinflussen. Vorgelagert jedoch beeinflussten Persönlichkeitsmerkmale die individuelle Bereitschaft, sich und andere überhaupt zunächst in Eigen- und Fremdgruppen zu kategorisieren. Ein interessantes, ethnisch stark gespaltenes Länderbeispiel ist in diesem Zusammenhang Südafrika. Es eignet sich besonders zur Erhebung eines möglichen Zusammenhangs von Gruppenidentität und Intoleranz zwischen Gruppen, da hier Gruppenidentitäten und Differenzen nicht nur über lange Zeit hin sozial konstruiert und manipuliert wurden, sondern auch in Gesetzen des ApartheidStaates kodifiziert wurden. Die Apartheid lieferte ideologische, wissenschaftliche und religiöse Rechtfertigungen für die Unterscheidung und Hierarchie zwi167 Ansonsten werden als Prädiktoren von Intoleranz Selbstachtung und soziales Lernen (Sniderman 1975) betont sowie Bedrohungswahrnehmungen, demokratische Werte, psychologische Unsicherheit (Sullivan/ Piereson/ Marcus 1982) und autoritäre Persönlichkeitsmerkmale (Stenner 2005). Weitgehende Übereinstimmung herrscht darin, dass eine Art von „closedmindedness“ oder „psychological rigidity“ sowie Bedrohungswahrnehmungen der Gruppe zu Intoleranz beitragen (Gibson 2007: 15). 168 „We can find no connection of any consequence between black Americans’ readiness to be prejudiced against Jews and their feeling a sense of solidarity with fellow blacks, desire to build up black pride and self-respect, or aspiration to increase black Americans’ measure of economic autonomy“ (Sniderman/ Piazza 2002: 162).
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schen den Gruppen, was die Identifikation mit der Eigengruppe und Herabwertung von Fremdgruppen forcierte. Man würde daher als Erbe der Apartheid starke Eigengruppenidentitäten der Südafrikaner erwarten, verbunden mit einem beträchtlichen Maß an Feindschaft, Vorurteilen und Intoleranz zwischen den Gruppen (Gibson 2006: 666). Gibson (2006) untersucht diese These anhand einer Bevölkerungsumfrage unter Südafrikanern und findet, dass die meisten Aspekte von Gruppenidentität nicht mit politischer Intoleranz gegenüber Angehörigen anderer Rassen einhergingen. Deren wichtigste Treibkraft sei die Wahrnehmung, dass politische Gegner eine Bedrohung nicht für das Individuum, sondern für die Eigengruppe darstellen. Wie solche Wahrnehmungen entstehen, ist eine noch weitgehend ungelöste Frage. Die Rolle von Eliten und ihren Anstrengungen, latente Gruppenbindungen im Dienste von Gruppenkonflikten zu mobilisieren, ist nicht zu unterschätzen. Es gibt jedoch wenig Forschung zur Frage individueller Unterschiede in der Responsivität gegenüber Identitätsrahmen, wie sie in der Politik von Eliten und anderen angeboten werden. Gibson vermutet, dass gewisse Elemente von Identität die Entwicklung von “collateral attitudes and beliefs” (ebd. 705) stimulieren, die mit Bedrohungswahrnehmungen und Schuldzuweisungen in Zusammenhang stehen. Dies deckt sich mit dem Ergebnis von Gibson und Gouws (2000), dass Gruppenmitgliedschaft allein keine, hingegen Einstellungen gegenüber Gruppensolidarität und psychische Vorteile von Gruppenmitgliedschaft nachhaltige Konsequenzen für Gruppenantipathie, Bedrohungswahrnehmungen und politische Intoleranz zeitigen: „it is not identity per se, but the collateral attitudes that sometimes arise from identities that are consequential for democratic values“ (ebd. 291). Wer mehr an die Notwendigkeit von Gruppensolidarität glaubt und wer mehr psychische Vorteile von seiner Gruppenzugehörigkeit erhält, fühlt sich eher bedroht durch seine politischen Gegner, was sich wiederum direkt in mehr politische Intoleranz übersetzt. Nicht starke Gruppenidentitäten an sich, sondern die sie begleitenden Einstellungen seien als Herausforderung für die Konsolidierung der Demokratie in Südafrika anzusehen. Betrachtet man nur die Stärke der Gruppenidentität fühlten sich diejenigen, die sich stark mit ihrer Gruppe identifizierten, sogar mehr an die Nation gebunden, als die mit geringerer Gruppenidentität, unabhängig von der jeweiligen Gruppenzugehörigkeit (Gibson 2006: 705). Er sieht daher in der nationalen Identität eine Brücke, durch die Südafrikaner jeder Rasse gewisse Gemeinsamkeiten wahrnehmen könnten, ohne ihre Gruppenidentität aufgeben zu müssen. In Kapitel 1.4 wurde schon darauf eingegangen, dass Eigengruppenidentität als solche konzeptionell zunächst unabhängig von Einstellungen und Verhalten gegenüber Mitgliedern von Fremdgruppen sind (Brewer 1999: 432). Auch die empirische Forschung bisher zeigt, dass Gruppenidentität an sich Toleranz nicht
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direkt entgegenwirkt. Es wurde außerdem deutlich, dass unter bestimmten Umständen starke ethnische Identitäten durchaus mit einem politischen Gemeinschaftssinn in multi-ethnischen Demokratien vereinbar sind, dass sie sich neutral zueinander verhalten oder sogar in einem gegenseitig verstärkenden Verhältnis zueinander stehen können. Dies schließt nicht die Existenz von ethnischen Konflikten aus, welche die politische Gemeinschaft herausfordern, doch solange ein übergreifendes Gemeinschaftsgefühl bestehen bleibt, ist deren gewaltsamer Austrag unwahrscheinlich. Stehen starke Gruppenbindung und Bindung an die übergreifende politische Gemeinschaft jedoch in einer negativen, sich gegenseitig ausschließenden Beziehung zueinander, erhöht sich die Chance gewaltsamer ethnischer Konflikte. Dem Auftreten dieses Phänomens und somit der Implosion demokratischer Gemeinschaft widmet sich das folgende Kapitel. 8.2 Ethnische Konflikte in Demokratien Werden politische Konflikte gewaltsam ausgetragen, ist eine grundlegende Bedingung demokratischer Gemeinschaft nicht gegeben: die gegenseitige Anerkennung der Würde des Einzelnen und in besonderer Weise der Freiheit und Gleichheit des Anderen. Gewaltfreier Umgang miteinander wurde daher als eine der minimal notwendigen, wenn auch nicht hinreichenden Bedingungen einer demokratischen Gemeinschaft allgemein festgehalten. Ethnische Konflikte, die gewaltsam ausgetragen werden, können hingegen als deutliches Zeichen fehlender Identifikation mit einer gerade ethnische Differenzen umfassenden demokratischen Gemeinschaft angesehen werden. Eine solche Handlungsorientierung ist einerseits von den zugrundeliegenden Einstellungen geleitet, andererseits aber auch von den Gelegenheitsstrukturen und kontextuellen Gegebenheiten beeinflusst. Dieser Kontext politischer Handlungen wird wiederum durch die Institutionen und Fähigkeiten des Staates wesentlich bestimmt. Politische Systeme prägen die Anreiz- und Gelegenheitsstrukturen, auf deren Grundlage sich Individuen und Gruppen zwischen Loyalität, „voice“ oder „exit“ entscheiden. Wenn sich ethnische Gruppen als solche konstituieren und kollektive Forderungen stellen, sich also für „voice“ entscheiden, beeinflussen Offenheit und Ressourcen des Staates die Forderungen und strategischen Wahlen der Gruppen zwischen Protest oder Rebellion (Gurr 1993: Kap. 5). Der Regierungsform der Demokratie wird aufgrund ihrer Prinzipien der Volkssouveränität und gegenseitigen Anerkennung als Freie und Gleiche in der Regel eine besondere Fähigkeit zur Akkomodierung ethnischer Unterschiede und damit letztlich zur Herstellung von Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz zugesprochen. Weit verbreitete politische Gewalt wird hingegen als Zeichen des
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Versagens demokratischer Prozesse angesehen (Powell 1982: 9). Wenn solche Unruhen bestehen, bedeutet dies nicht automatisch deren Verantwortlichkeit für das Versagen. Der Zusammenbruch demokratischer Ordnung kann auch Politikversagen des Regimes allgemein, Verhandlungsunwilligkeit von sowohl Politikern als auch Minderheiten oder die Anstrengungen einer Minderheit, demokratische Werte zu unterminieren, reflektieren. Doch kann man mit Powell festhalten: „democracies that are able to avoid such disorder, while still remaining competitive and free democratic systems, are better performers than those that are dominated by violence or that restrict freedom in the name of order“ (ebd.). Tatsächlich kommen weltweite Untersuchungen über ethnische Konflikte zu dem Befund, dass demokratische Systeme deutlich weniger gewaltsame ethnische Konflikte aufweisen als nicht demokratische (Gurr 1993; 2000; Powell 1982; Stavenhagen 1986). Haben ethnische Gemeinschaften Beschwerden, sei es aufgrund von Diskriminierung oder einer allgemeinen Präferenz für eine andere Gestaltung von Politik, und stellen Forderungen, ist es in Demokratien bei weitem wahrscheinlicher, dass sie zu Formen des Protests greifen und nicht zu gewaltsamen Strategien. Alte und neue Demokratien haben weniger ethnische Kriege und weniger große Rebellionen als transitorische und autokratische Regime169: „empirical comparisons made in the Minorities at Risk study show that national and minority peoples in contemporary industrial democracies face few political barriers to participation and are more likely to use the tactics of protest than of rebellion“ (Gurr 2000: 84). Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Verteilung ethnopolitischen Protests und Rebellion nach Regimetyp für den Zeitraum zwischen 1985 und 1998.
169 Alte Demokratien (27 Länder) sind nach Gurr (2000) Länder mit demokratischen Institutionen, die vor 1980 etabliert wurden. Neue Demokratien (33 Länder) sind Länder mit weitgehend demokratischen Institutionen, die zwischen 1980 und 1994 etabliert wurden und seither nicht zu autokratischer Herrschaft zurückgekehrt sind. Transitorische Regime (32 Länder) sind Länder, deren Regime eine Mischung aus autokratischen und demokratischen Mustern aufweisen oder deren Demokratisierungsversuch in einer zeitweiligen oder andauernden Rückkehr zu autokratischer Herrschaft endete. Autokratien (26 Länder) sind Länder mit konsistent autokratischen Institutionen.
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Identifikation mit der politischen Gemeinschaft
Tabelle 8: Muster ethnopolitischen Protests und Rebellion nach politischem Regimetyp (1985-1998) Regimetyp* Zahl ethnopolitischer Gruppen
Protest Gruppen mit größeren Kampagnen**
Durchschnittliches jährliches Ausmaß
Rebellion Gruppen mit ethnischen Kriegen***
Durchschnittliches jährliches Ausmaß
Alte Demo59 22 1,86 11 0,83 kratien (n=27) Neue Demo68 22 1,63 12 0,63 kratien (n=33) Transitorische 80 16 1,15 32 0,89 Regime (n=32) Autokratien 67 16 1,05 31 1,57 (n=26) * Regimetypen und zugehörige Länder werden in Appendix A (S. 289-294) definiert. ** Zahl von Gruppen mit Protestwerten von 4 oder mehr (ein Wert von 4 bedeutet Protestaktivität mit 10000 bis 100000 Beteiligten, vgl. Tabelle 2.2 S. 31 für Codierung von Protest und Rebellion) *** Zahl von Gruppen mit Rebellionswerten von 4 oder mehr (ein Wert von 4 bedeutet GuerillaKrieg in kleinem Ausmaß) Quelle: Gurr 2000: 155
Den negativen Zusammenhang zwischen Demokratie und Rebellion erklärt Gurr (1993: Kap. 5, 2000: Kap. 3) damit, dass rationale Überlegungen in Demokratien Protest einer Rebellion vorziehen, da politische Führer relativ responsiv gegenüber den Interessen politisierter ethnischer Gruppen sind, besonders wenn diese eine große Wählerschaft mobilisieren können und Verbündete für anhaltende Protestkampagnen finden. Etablierte Demokratien bieten substanzielle Gelegenheiten für ethnische Mobilisierung und ebenso potenzielle Gewinne, allerdings vor allem für kohäsive Gruppen, die auf weitgehend gewaltlose Taktiken zurückgreifen. Gewaltsamer Protest und Terrorismus hingegen tragen das Risiko eines „Backlash“ und des Verlusts öffentlicher Unterstützung in sich. Die Institutionalisierung von Demokratie erleichtere gewaltlosen Protest, erschwere aber zugleich ethnische Rebellion (Gurr 2000: 86). Indien, die größte Demokratie der Welt, scheint diesem Trend zu widersprechen. Am Ende der 1990er Jahre zählten Gurr und seine Mitarbeiter dort sieben ethnopolitische Rebellionen, mehr als in allen westlichen und lateinamerikanischen Demokratien zusammen. Gurr vermutet den Grund hierfür in der relativen Schwäche der indischen Zentralregierung kombiniert mit der Bindung an demokratische Normen. Diese Kombination mache es schwer, Rebellionen in periphären Regionen, wie in Kashmir, einzudämmen und sie bewog die indischen Regierungen wiederholt, ethnische Forderungen zu akkomodieren.170 170 So willigte die Zentralregierung unter Nehru Mitte der 1950er Jahre nach langanhaltendem politischen Konflikt ein, linguistische Grenzen zum Prinzip des Föderalismus in Indien zu machen.
Ethnische Konflikte in Demokratien
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Wenn also die Anwendung von Gewalt realen Gewinn in Form von regionaler Autonomie und Zugang zu Ressourcen verspricht, begünstigen die politischen Gelegenheiten eher Rebellen. Den nach wie vor auftretenden Gewaltausbrüchen zwischen ethnischen Gemeinschaften in Indien und ihrer Besonderheit werde ich mich in Kapitel 9.2 widmen. Im globalen Vergleich bleibt jedoch der Befund bestehen, dass es in Demokratien weniger Rebellionen gibt, allerdings mehr Protest. Dies hängt sicher, wie Gurr erklärt, einerseits mit den offeneren Gelegenheitsstrukturen und größeren Ausdrucksmöglichkeiten in Demokratien zusammen, zeigt aber darüber hinaus, dass es offensichtlich Grund gibt, kollektive Forderungen entlang ethnischer Trennlinien zu stellen. Neben der Art des Austrags ethnischer Konflikte sind die Ursachen und Inhalte solcher Konflikte zentral. Es kann plausibel unterstellt werden, wie dies dem „Minorities at Risk“-Projekt (Gurr 1993, 2000) zugrunde liegt, dass kollektive Benachteiligungen die grundlegende Ursache ethnopolitischer Handlungen sind. Diskriminatorische Behandlung widerspricht demokratischen Normen und trägt dazu bei, Gruppengrenzen zu definieren und die Bedeutung der Gruppenidentität zu erhöhen. Das Ansteigen von Beschwerden über ungleiche Behandlung und der Wunsch, Vorteile zu gewinnen, seien die wichtigsten Anreize für kollektives Handeln. Kulturelle Restriktionen fordern die Gruppenidentität heraus, tragen zu Gruppenressentiments und Widerstand gegen bevorteilte Gruppen bei und helfen, Vorurteile zwischen Gruppen und interethnischen Konflikt aufrechtzuerhalten (Gurr 2000: 164). Diskriminierung erhöht insgesamt die Gefahr der Entfremdung von der politischen Gemeinschaft. Wiederum ist ein Vergleich des Ausmaßes von Diskriminierung und Restriktionen gegen Minderheiten in verschiedenen Regimetypen aufschlussreich (Tabelle 9). Tabelle 9: Politischer Regimetyp und ethnische Diskriminierung (1990-1998) Regimetyp Alte Demokratien (n=27) Neue Demokratien (n=33) Transitorische Regime (n=32) Autokratien (n=26)
Zahl ethno- Diskriminierung* politischer Ökonomische Politische Gruppen 60 2,03 1,92
Restriktionen** Politische Kulturelle 1,82
1,02
68
1,77
2,13
2,24
1,99
80
1,06
1,64
2,03
1,47
68 1,99 2,74 4,20 2,60 * Durchschnittliche Werte einer fünf Kategorien umfassenden Skala des Minorities Projekts, S. 110 und 114 beschrieben. ** Durchschnittliche Werte der Indikatoren politischer und kultureller Restriktionen des Minorities Projekts, S. 114 und 118 beschrieben. Quelle: Gurr 2000: 166
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Identifikation mit der politischen Gemeinschaft
Im Allgemeinen sehen sich Minderheiten in alten, schon lang etablierten Demokratien wenigen kulturellen und politischen Restriktionen ausgesetzt im Vergleich mit Gruppen, die in anderen Regimen leben, doch treffen sie auf ein relativ hohes Maß an ökonomischer Diskriminierung und ein Mittelmaß an politischer Diskriminierung. Als Erklärung für diese Abweichungen von demokratischen Normen der Gleichheit von Status und Chancen nennt Gurr einerseits, dass alle „sichtbaren Minderheiten“ und indigenen Völker in den älteren Demokratien ökonomisch benachteiligt sind aufgrund historischer Diskriminierung und, im Fall neuer Immigrantengruppen, durch gegenwärtige Diskriminierung, die jeweils sehr resistent gegenüber Veränderungen sind. Zweitens sehen sich manche Immigrantengruppen in europäischen Gesellschaften substanziellen Hindernissen für den Erhalt voller Staatsbürgerschaft ausgesetzt – Hindernisse, die per definitionem politische Diskriminierung darstellen (Gurr 2000: 165). In neuen Demokratien finden sich mehr Beschränkungen politischer und besonders kultureller Aktivitäten von Minderheiten. Ökonomische Diskriminierung ist etwas weniger ausgeprägt als in alten Demokratien, da viele neue Demokratien postkommunistische Staaten mit ehemals sozialistischer Planwirtschaft sind. Politische Diskriminierung und Restriktionen sind in den neuen Demokratien etwas größer als in den alten, da nach Gurrs Analyse viele der neuen Demokraten auch Nationalisten sind, die demokratischen Institutionen nicht genug vertrauen, um von Restriktionen gegenüber Gruppen abzusehen, die als potenzielle oder offene Gefahr für die Staatssicherheit angesehen werden – wie Russen in den baltischen Staaten, Ungarn in Rumänien (bis 1997), Kurden in der Türkei. Solche Restriktionen sind Zeichen eines ethnischen Modells politischer Gemeinschaft. Die teilweise oder gescheiterten Demokratien oder transitorischen Regime haben unerwartetermaßen das geringste Ausmaß ökonomischer und politischer Diskriminierung von allen Regimetypen und sind relativ wenig restriktiv gegenüber den politischen und kulturellen Handlungen von Minderheiten. Als Erklärung bietet sich Horowitz’ (1985) Beobachtung an, dass eine große Anzahl transitorischer Regime in „unranked“ pluralen Gesellschaften existiere, also in Gesellschaften, in denen ethnische Beziehungen nicht deutlich mit ökonomischen oder politischen Trennlinien zusammenfallen. Darüber hinaus kann die institutionelle Instabilität vieler dieser Regime die Entwicklung oder Aufrechterhaltung konsistenter Politiken politischer und kultureller Restriktionen verhindert haben (Gurr 2000: 167). Autokratien zeigen das erwartete Muster an hoher Diskriminierung und deutlichen Restriktionen gegenüber Minderheiten. Der auffälligste Befund des Vergleichs unterschiedlicher Regimetypen ist allerdings, dass der Unterschied im Ausmaß an Diskriminierung bei weitem nicht so groß ist, wie man es hätte erwarten können. Insbesondere das ungefähr gleich große Ausmaß ökonomischer Diskriminierung in alten Demokratien und
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Autokratien zeigt, dass ethnische Unterschiede bisweilen auch in einer Demokratie Benachteiligungen mit sich bringen. Diskriminierung bereitet wiederum einen fruchtbaren Boden für die Entfremdung von der politischen Gemeinschaft bis hin zur Degradation ethnischer Konflikte in gewaltsame Formen. Die letzten 25 Jahre zeigen, dass demokratische Eliten überzeugt werden müssen, Autonomie für Gruppen auszuweiten; dies gelingt, wenn ethnische Eliten genügend politische Ressourcen aufbringen. „The practice of democratic accommodation under pressure is evident in the ways democratic governments process all kinds of ethnopolitical demands“ (Gurr 2000: 84, Hervorhebung im Original). Wenn es also nicht Demokratie an sich ist, die Benachteiligungen und ethnische Konflikte vermeidet und automatisch eine demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz hervorbringt, sind es spezifische Demokratiemodelle, die ethnische Differenz besser integrieren können? Auch hier, am Ende der Betrachtung gewaltsam ausgetragener ethnischer Konflikte und ihrer Ursachen, sind wir wie bei der Darstellung des Verhältnisses zwischen nationaler und subnationaler Identität wiederum auf die normativen Diskussionen des zweiten Teils der Arbeit verwiesen, auf deren Grundlage unterschiedliche Modelle demokratischer Gemeinschaft je nach Art der Grenzziehung und Bestimmung von Gemeinsamkeiten differenziert wurden. Dem empirischen Einfluss ihrer institutionellen sowie sozialen Komponenten auf eine demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz widmen sich daher die nächsten zwei Kapitel. Dabei wird untersucht, in welchem empirischen Zusammenhang die Modelle demokratischer Gemeinschaft mit deren Entstehung und Persistenz stehen. Es werden nicht alle in der Forschung identifizierten Einflussfaktoren auf Identifikation und gewaltsame ethnische Konflikte berücksichtigt, sondern in erster Linie diejenigen, die in den normativen Modellen demokratischer Gemeinschaft unterschiedlich entworfen wurden. Aufgrund dieser Vorentscheidung werden Faktoren auf individueller Ebene, die Identifikation mit unterschiedlichen Referenzobjekten durchaus beeinflussen – wie Bildungsgrad, sozio-ökonomischer Wohlstand, ideologischer Standpunkt – weitgehend unbeachtet gelassen. Vielmehr steht in diesem Teil der Arbeit die Frage im Vordergrund, wie die in den Demokratiemodellen spezifizierten Merkmale des institutionellen und sozialen Kontextes solche Prozesse beeinflussen; es geht daher einerseits um die Institutionen der Strukturebene und andererseits um die Beteiligung der Bürger auf der Prozessebene. Die Untersuchung des empirischen Zusammenhangs zwischen den Modellen und tatsächlichen Identifikationsprozessen kann angesichts des Umfangs eines solchen Unterfangens und aufgrund fehlender Daten an dieser Stelle nicht umfassend geschehen. Sie erfolgt notgedrungen selektiv auf der Grundlage bestehender empirischer Studien, so dass eine systematische Untersuchung vorbereitet wird.
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Institutioneller Einfluss
9 Institutioneller Einfluss
Wie der „neue Institutionalismus“ nahelegt (Lijphart 1999; March/ Olsen 1989), hat die Organisation des politischen Lebens wichtige Konsequenzen für die Politik und besonders für die Beziehungen zwischen Gruppen. Institutionen prägen den politischen Konflikt, indem sie Gelegenheiten und Anreize für Eliten bieten, Bürger zu mobilisieren; darüber hinaus helfen sie, die Natur des politischen Diskurses zu strukturieren. Trotz der vielfältigen und oft unscharfen Verwendung des Begriffs „Institution“ kann man ein gemeinsames Element der meisten Definitionen herausfiltern. Dieses besteht in dauerhaften Regeln für das Verhalten von Akteuren in Handlungssituationen (Fuchs 1999b: 162; vgl. auch Göhler 1994: 22; Parsons 1969: 126). Institutionen können somit allgemein definiert werden als „auf Dauer gestellte Regel-Komplexe, die das Handeln von Individuen so steuern, dass regelmäßige Interaktionsmuster entstehen, und eine soziale Ordnung konstituieren“ (Fuchs 1999b: 162).171 Die zentrale ordnungsstiftende Funktion besteht für politische Systeme darin, kollektiv bindende Entscheidungen herzustellen und durchzusetzen. Politische Institutionen sind hierfür zentral als „Komplexe von rechtlich kodifizierten Handlungs-Regeln (generalisierten Verhaltenserwartungen), die eine strategisch bedeutsame Funktion im Rahmen der allgemeinen Funktion des politischen Systems erfüllen“ (Fuchs 1999b: 164).172 Die hier interessierenden politischen Institutionen sind diejenigen, welche die verschiedenen Modelle demokratischer Gemeinschaft voneinander unterscheiden. Die Annäherung an empirische Zusammenhänge erfolgt in mehreren Schritten: im folgenden Kapitel werden Studien aufgezeigt, die den Einfluss institutioneller Arrangements auf die Verhaltens-Dimension untersuchen und damit zeigen, ob im Kontext der Umsetzung des einen Modells demokratischer Gemeinschaft mehr gewaltsame ethnische Konflikte auftreten als im anderen. Dies umfasst verschiedene Elemente institutioneller Umsetzung der Modelle, 171 Eine breitere Definition, wie die von Göhler (1994, 1997), inkorporiert darüber hinaus Organisationsstrukturen oder normative, kulturelle oder symbolische Elemente, die Akteure beeinflussen können. Die symbolische Präsenz des Wertebezugs ermögliche erst eine folgenreiche WerteOrientierung der Individuen und trage so zur Stabilisierung von sozialen Beziehungen bei. 172 Die symbolische Dimension einschließend lautet Göhlers Definition: „Politische Institutionen sind Regelsysteme der Herstellung und Durchführung verbindlicher, gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen und Instanzen der symbolischen Darstellung von Orientierungsleistungen einer Gesellschaft. Als solche sind sie sowohl festgelegter Rahmen als auch geronnene Muster des Handlungsraums Politik“ (Göhler 1997: 26).
Demokratieform
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einerseits die mehrere Indikatoren beinhaltende Unterscheidung zwischen konsensuellen und majoritären Arrangements, die sowohl formelle als auch informelle Merkmale beinhalten (vgl. Roller 2005: 101-107), andererseits feinere Unterscheidungen zwischen einzelnen Indikatoren dieser Einteilung, zwischen proportionalem und majoritärem Wahlrecht, parlamentarischem und präsidentiellem sowie unitärem und föderalem System. Diese Systemmerkmale werden auch als relevant dafür angesehen, inwiefern die Verlierer in demokratischen Wahlen das Wahlergebnis anerkennen und das System trotz ihrer unterlegenen Position unterstützen. Das Ausmaß der Systemunterstützung durch Wahlverlierer ist essenziell für das vorhandene Protestpotenzial, das im Extremfall zu gewaltsam ausgetragenen Konflikten führt. Unterstützung trotz Niederlage kann als Indikator diffuser Regimeunterstützung betrachtet werden, was wiederum eng mit der Identifikation mit der spezifischen Form demokratischer Gemeinschaft verbunden ist. Neben diesen Fragen der Ausgestaltung demokratischer Institutionen wurde die Bestimmung dessen als zentral erörtert, wer sich in diesen Institutionen beteiligen darf, implementiert durch das jeweilige Staatsbürgerschaftsregime in seinen formellen Zugangskriterien und informellen Bestimmungen kultureller Rechte. Daher wird dessen Einfluss auf die Identifikation mit der politischen Gemeinschaft untersucht, indem ich mich von zwei Seiten annähere: einmal geht es um das Verhältnis ethnischer Mehrheiten gegenüber ethnischen Minderheiten, abgelesen am Ausmaß toleranter Einstellungen der ethnischen Mehrheit; das andere Mal geht es um die Identifikation mit der politischen Gemeinschaft ethnischer Minderheiten, abgelesen an der Art von Forderungen, die sie an die politische Gemeinschaft stellen. Erst die Betrachtung der institutionellen Ausformung der Demokratie kombiniert mit dem implementierten Staatsbürgerschaftsregime ermöglicht eine Einschätzung des institutionellen Einflusses der aufgezeigten Modelle demokratischer Gemeinschaft auf deren Entstehung und Persistenz durch Gemeinschaftsgefühl und Gemeinschaftshandeln der Bürger. 9.1 Demokratieform 9.1.1 Varianz ethnischer Konflikte Wie wirken die normativen Rahmen und die durch sie inspirierten legalen Setzungen auf die Verhaltensdimension und somit letztlich auf eine demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz? Wenn das Ausmaß an Demokratie nur gering mit der Varianz ethnischen Konflikts zusammenhängt, wie steht es mit
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Institutioneller Einfluss
bestimmten demokratischen Institutionen? Sind bestimmte institutionelle Arrangements besser fähig, ethnische Konflikte zu akkomodieren als andere? Arthur W. Lewis (1965) war einer der ersten, der der zentralen Rolle politischer Institutionen in pluralen Gesellschaften Aufmerksamkeit schenkte. Seiner Meinung nach ist das anglo-amerikanische Wahlsystem des „first-past-the-post“ ein sicherer Weg, die Idee der Demokratie in pluralen Gesellschaften – seine Beispiele sind die westafrikanischen Staaten – zu vernichten. Er betont, es sei notwendig, die Macht zu teilen, was durch angemessene politische Institutionen machbar sei. So sei ein Mehrparteiensystem angemessener als ein Einparteiensystem und das Wahlsystem sollte proportional sein sollte. Ein solches würde allen signifikanten ethnischen Gruppen helfen, in zentralen politischen Institutionen repräsentiert zu werden, während Mehrheitswahlsysteme dazu tendierten, Minderheitengruppen auszuschließen oder zu unfairen Disproportionalitäten in der Repräsentation und Macht verschiedener ethnischer Gruppen zu führen. In diesem Geist argumentiert auch Arend Lijphart. Auch er untersucht die Chancen von Demokratie in pluralen Gesellschaften und präsentiert die Idee der „Consociational Democracy“. Er weist darauf hin, dass verschiedene plurale Gesellschaften in Europa – Österreich, Belgien, die Niederlande und die Schweiz – dank konsoziativer Methoden stabile Demokratien wurden, weshalb er dieselben Methoden auch nicht-westlichen pluralen Gesellschaften empfiehlt. Diese empirische und normative Demokratieform stand bereits Pate für den Entwurf des am stärksten multikulturalistisch orientierten Modells demokratischer Gemeinschaft, weshalb hier nur noch einmal kurz ihre wichtigsten Merkmale erwähnt seien. Die vier Charakteristika konsoziativer Demokratie sind (1) eine große Koalition als Regierung, (2) ein gegenseitiges Veto-Recht, (3) Proportionalität als wichtigstes Maß politischer Repräsentation und (4) ein hohes Maß an Autonomie für jedes Segment, seine internen Angelegenheiten zu organisieren, z.B. durch Föderalismus, wenn die Segmente territorial konzentriert sind. So könnte die Gefahr gewaltsamer Konflikte in pluralen Gesellschaften verringert werden, denn es sei besser, politische Strukturen den Bedürfnissen einer pluralen Gesellschaft anzupassen als erfolglos die Ausmerzung primordialer Loyalitäten zu versuchen (vgl. Lijphart 1994b, 1995). In der Tat macht Lijphart konsoziative Elemente in den verschiedensten Ländern als stabilisierend aus (Lijphart 1968 zu den Niederlanden, 1977 zu Malaysia und Libanon, 1991 zu Südafrika, 1996 zu Indien). In einem größer angelegten Vergleich untersucht er 36 Demokratien, die 1996 seit mindestens 19 Jahren kontinuierlich demokratisch waren (Lijphart 1999). Hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Heterogenität bezeichnet er neun als plural173, neun als semi173 Indien, Spanien, Kanada, Belgien, Schweiz, Israel, Papua Neu-Guinea, Trinidad und Tobago, Mauritius.
Demokratieform
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plural174 und 18 als nicht plural175. Dabei bezieht er sich nicht nur auf die Zahl und relative Größe ethnischer Gruppen im jeweiligen Land, wie dies häufig getan wird, sondern er schließt auch Erwägungen ein, die erstens ebenso religiöse Spaltungslinien betrachten, zweitens wichtige Spaltungen innerhalb von Gruppen, wie z.B. zwischen orthodoxen und nicht praktizierenden Juden, drittens die Tiefe der Spaltung und viertens organisatorische Unterschiede, ob mehr oder weniger separate Parallelgesellschaften bestehen oder nicht (ebd. 57f). Lijphart bewertet diese Vorgehensweise wie folgt: „It is obviously a more subjective and much rougher measure than one based exclusively on the number and sizes of ethnic groups, but it is also a more valid and meaningful measure” (ebd. 58). Seine Klassifizierung reflektiert die Situation in der Mitte der 90er Jahre, gilt aber über eine relativ lange Zeitspanne. Nichtplural bedeutet noch nicht homogen, da auch diese Länder zumeist religiös gespalten sind und mindestens eine oder mehrere kleine Minderheiten haben. Lijphart (1999) untersucht unter anderem, ob die von ihm als Konsensdemokratien klassifizierten Länder weniger Gewalt vorweisen, gemessen durch die Zahl von Aufständen und Toten durch politische Gewalt. Die einfachen bivariaten Beziehungen zeigen, dass Konsensdemokratie tatsächlich signifikant mit weniger Gewalt verbunden ist176. Dieses Ergebnis wird jedoch abgeschwächt, wenn Kontrollen eingeführt und zwei Außenseiter177 entfernt werden. Gewalt kommt häufiger in pluralen, bevölkerungsreichen und weniger entwickelten Ländern vor. Wird das Ausmaß gesellschaftlichen Pluralismus, Bevölkerungsgröße und Entwicklungsniveau kontrolliert, verringert sich die Signifikanz der Beziehung zwischen Konsensdemokratie und Gewalt deutlich; zurück bleibt nur eine leicht bessere Performanz (ebd. 271). Besonders aber aufgrund ihrer besseren Repräsentativität kommt Lijphart insgesamt zu dem Schluss, konsensuelle Demokratien seien „kinder and gentler“. Nach Powell (1982) sprechen hingegen verschiedene Argumente sowohl majoritären und präsidentiellen als auch konsensuellen parlamentarischen Systemen besondere Fähigkeiten zu, Gewalt einzudämmen. Während die einen entschieden gegen Gewalt vorgehen können, sind die anderen so eingerichtet, dass sie unzufriedenen Bürgern besseren Zugang zum politischen System gewähren und somit eher den Druck unterdrückter Beschwerden abfangen. Die Ergebnisse 174
USA, Deutschland, Frankreich, Italien, Kolumbien, Niederlande, Österreich, Finnland, Luxemburg. Japan, Großbritannien, Venezuela, Australien, Griechenland, Portugal, Schweden, Dänemark, Norwegen, Neuseeland, Irland, Costa Rica, Jamaica, Botswana, Malta, Bahamas, Island, Barbados. 176 Vgl. Tabelle 15.1 (Lijphart 1999: 266f). 177 Großbritannien ist in der Zeit von 1948 bis 1982 ein extremer Außenseiter aufgrund des Nordirland-Problems; Jamaica ist ein extremer Außenseiter von 1963 bis 1982 aufgrund der umfassenden Gewalt, die mit der Wahl 1980 einherging (Lijphart 1999: 271). 175
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seines Vergleichs von 26 Demokratien in zwei Zeitperioden (1958-1967 und 1967-1976) lassen allerdings wiederum parlamentarisch-konsensuelle (oder, wie er sie nennt, repräsentative) Systeme in einem besseren Licht erscheinen: Während schon Aufstände (pro Kopf) in präsidentiellen Systemen am häufigsten sind, ist besonders die Anzahl der Toten durch politische Gewalt mit den konstitutionellen Arrangements verbunden: am meisten gab es in präsidentiellen, am wenigsten in repräsentativen Systemen. Dieses Muster wird in beiden Zeitperioden sehr deutlich. Powell betont: „Given the frequently expressed doubts about the general stability of representational systems (...) the broad cross-system finding that representational systems had the least average violence is worth emphasizing“ (ebd. 64). Die Ablehnung von Mehrheitsdemokratie wird häufig damit erklärt, dass in ethnisch pluralen Demokratien ethnische Themen Wahlkampagnen dominierten und die Wählerschaft derart spalteten, dass Mehrheitsdemokratie häufig in der permanenten Kontrolle des politischen Prozesses durch die größte (oder kriegerischste) ethnische Gruppe und der dauerhaften Exklusion ethnischer Gruppen in der Minderheit ende (Rabushka/ Shepsle 1972; Sisk 1996: 32). Diese antimajoritäre Sichtweise fasst Brendan O’Leary folgendermaßen zusammen: „Democracy is understood in two ways: consensually, the rule of as many as possible; or as majoritarian, the rule of the current largest number. Where majorities change frequently these rival understandings may not matter much, but where there are peoples with different ethnic allegiances, elections may become censuses, and majoritarian democracy an engine of domination and stored grievance – as it was in Northern Ireland for fifty years; and as it was in the Republic of Serbia when it included Kosovo” (BBC Radio, April 2000, zitiert in Grofman/ Stockwell 2001: 9).
Während das Konzept der konsensuellen Demokratie verschiedene Institutionen in sich bündelt, lässt sich deren Einfluss auf ethnische Konflikte auch einzeln untersuchen. Konsoziative Demokratien sind in der Regel durch Parlamentarismus gekennzeichnet, durch den die Bildung großer Koalitionen besser möglich ist als in präsidentiellen Systemen. Juan J. Linz (1994) untersuchte die relativen Verdienste von Präsidentialismus und Parlamentarismus. Er kommt zu dem Schluss, dass für multiethnische Gesellschaften Präsidentialismus weniger geeignet sei als Parlamentarismus, da letzterer Kooperation und Machtteilung voraussetze, während ersterer dazu tendiere, Politik zu polarisieren, die exekutive Macht in den Händen einer Gruppe zu konzentrieren und andere Gruppen auszuschließen. Dies habe in ethnisch gespaltenen Gesellschaften besonders unglückliche Konsequenzen, da hier Mehrheits- und Minderheitengruppen mehr oder weniger fix und dauerhaft seien. Doch wie wirksam ist parlamentarische Repräsentation tatsächlich, um ethnische Konflikte abzumildern? Parlamentarische Repräsentation stellt noch keine
Demokratieform
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Garantie dafür dar, dass diejenigen außerhalb der Regierung Zugang zu Entscheidungsträgern haben oder Regierungspolitik blockieren können, die gegen ihre Minderheiteninteressen verstoßen. Die Beteiligung an der Legislative durch Sitze im Parlament kann wenig Bedeutung haben, wenn die Exekutive den politischen Prozess auf allen Ebenen dominiert. Mit Powells Worten: „(S)eats in the legislature are not enough. In contrast to the large literature on the measurement and explanation of legislative representation, there has been little systematic and comparative work on effective representation in policy making” (2000: 97, Hervorhebung im Original). Dies untersuchen Sonia Alonso und Rubén Ruiz (2005) anhand der neuen Demokratien in Osteuropa und der früheren Sowjetunion178 im Zeitraum von 1990 bis 2000. Als wichtigste unabhängige Variable dient die Anzahl der Sitze im Parlament, über die eine ethnische Minderheit verfügt, und als abhängige Variablen ethnischer Protest und ethnische Unruhen, wie sie im „Minorities at Risk“-Index verzeichnet sind.179 Das Regierungssystem – parlamentarisch versus präsidentiell – wird als Ersatzindikator benutzt für das Ausmaß des Einflusses, den parlamentarische Parteien auf politische Entscheidungen haben. In der Tat ergibt die Regressionsanalyse, dass der positive Effekt parlamentarischer Repräsentation auf ethnische Konflikte in jenen Legislativen stärker ist, in denen die ethnische Gruppe einen wirkungsvollen Einfluss auf politische Entscheidungen hat und daher weniger extra-institutionelle Handlungsstrategien wählen muss. Mit dem Anstieg der Anzahl an Sitzen im Parlament reduziert sich wie erwartet das Ausmaß ethnischen Protests.180 Diese wenn auch nur schwach nachzuweisende moderierende Wirkung gilt sowohl in parlamentarischen als auch präsidentiellen Regierungssystemen, wobei dieser positive Einfluss von Repräsentation auf Konflikt in parlamentarischen Systemen größer ist (ebd. 12). Das tatsächliche Verhältnis zwischen dem Präsidenten und der Legislative variiert in den postkommunistischen (semi)präsidentiellen Systemen je nach politischer Konstellation, was teilweise die unterschiedliche Häufigkeit von Rebellionen in Ländern erklärt, die institutionell ähnlich sind. Die Repräsentation in nationalen Parlamenten hat allerdings keine positive Wirkung auf gewaltsame Unabhängigkeitskonflikte. Wenn die Forderungen einer ethnischen Minderheit zu radikal sind, stellt parlamentarische Repräsenta178 Albanien, Bulgarien, Kroatien, Tschechische Republik, Estland, Georgien, Ungarn, Lettland, Litauen, Mazedonien, Moldawien, Rumänien, Russland, Slowakei, Ukraine, Yugoslawien. 179 Protest möchte durch Aktionen und Mobilisierungen die Regierung zwingen, Beschwerden der Minderheit beizulegen; Unruhen oder Rebellion zielen darauf ab, den Status Quo durch Gewalt zu verändern (Gurr 1993: 93). 180 Für einen Überblick über die durchschnittlichen Sitzanteile und die Protest- und Rebellion Scores in den einzelnen Ländern vgl. Annex 1 (Alonso/Ruiz 2005: 22); zu Regressionsergebnissen vgl. Tabelle 2 (ebd. 13).
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tion offensichtlich kein adäquates Mittel mehr dar. Dabei ist zu beachten, dass zuweilen interne Gruppendynamiken wie die Spaltung in Moderate und Radikale das Ergebnis verändern. Repräsentation im Parlament kann einen Teil einer Gruppe kooptieren, aber möglicherweise nicht die Gruppe als Ganzes wie bei den Albanern in Mazedonien. Die Aussichten auf Abschwächung ethnischer Unruhen durch parlamentarische Repräsentation hängt daher zu einem großen Teil von den politischen Dynamiken innerhalb der Gruppe ab (ebd. 18f). Zusammenfassend stellen Alonso und Ruiz fest, dass parlamentarische Repräsentation unter bestimmten Umständen effektiver ist, ethnische Konflikte abzuschwächen, nämlich wenn die ethnische Gruppe moderat in ihren Forderungen und Handlungsstrategien ist, mit einer Stimme spricht und die Legislative Minderheitengruppen effektiven Einfluss über Politikinhalte bietet (2005: 19f). Letzteres hängt zu einem großen Teil von der internen Organisation der legislativen Versammlung ab, von den Rechten, die einzelnen Legislatoren und parlamentarischen Parteien zugestanden werden. Darüber hinaus muss man die politische Stärke der Exekutive beachten. Repräsentation im Parlament kann in verschiedenen Perioden mehr oder weniger effektiv sein, je nach dem, ob die Regierung auf einer Mehrheit oder einer Minderheit beruht, eine Koalitions- oder Einparteienregierung ist. Die formelle Einteilung politischer Systeme in parlamentarische versus präsidentielle Systeme scheint daher zu grob, um eindeutige Zusammenhänge nachweisen zu können. Dieser Tatsache ist sich auch Lijphart bewusst, der Mehrheitsdemokratie nicht von vornherein mit Präsidentialismus gleichsetzt, sondern als durch eine Dominanz der Exekutive geprägt betrachtet, während sich Konsensdemokratie durch ein Gleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative auszeichnet (Lijphart 1999: 3f). Diese Überlegungen zum Einfluss von Institutionen auf ethnische Konflikte fasst Vanhanen (1999) in einer Forschungshypothese zusammen. Sie besagt, dass die Systeme mit Parlamentarismus, proportionaler Repräsentation und Konsensdemokratie weniger ethnische Konflikte aufweisen, als man es vom Ausmaß ihrer ethnischen Heterogenität hätte erwarten können, im Gegensatz zu solchen mit Präsidentialismus, majoritärem Wahlsystem und Mehrheitsdemokratie. Er vereinfacht hierbei die Unterscheidung zwischen Konsens- und Mehrheitsdemokratie, indem er lediglich Präsidentialismus und Parlamentarismus sowie die Art des Wahlsystems als Kriterien benutzt. Demokratische Systeme mit Parlamentarismus und proportionalem Wahlsystem werden somit als Konsensdemokratien klassifiziert, während Mehrheitsdemokratie durch Präsidentialismus und Mehrheitswahlrecht gekennzeichnet ist. Es gibt natürlich zahlreiche Länder mit präsidentieller Regierungsform und proportionalem Wahlrecht sowie solche mit parlamentarischen Regierungen und Mehrheitswahlrecht, die als intermediäre Systeme eingestuft werden (ebd. 43f). Vanhanen untersucht diese Hypothese anhand
Demokratieform
199
von 65 Ländern, die ethnisch geteilt sind (ethnische Heterogenität höher als 10) und von 1993 bis 1996 ein Mindestmaß an Demokratie aufwiesen (ebd. 197). Ist nun weniger ethnischer Konflikt in Konsensdemokratien zu verzeichnen? Tabelle 10: Mehr bzw. weniger Konflikt je nach politischen Institutionen in 65 ethnisch geteilten Demokratien (1993 bis 1996) Kontrastierende Institutionen Regierungssystem Präsidentiell Parlamentarisch Wahlsystem Plural/ Mehrheit Proportional Demokratietyp Majoritär Intermediär Konsensus
Mehr ethnische Konflikte N %
Weniger ethnische Konflikte N %
15 11
46,9 33,3
17 22
53,1 66,7
10 16
34,5 44,4
19 20
65,5 55,6
7 11 8
63,6 28,9 50,0
4 27 8
36,4 71,1 50,0
Insgesamt 26 Quelle: nach Vanhanen 1999: 74
40,0
39
60,0
Die empirischen Befunde zeigen, dass Präsidentialismus an sich keinen negativen Einfluss auf ethnische Konflikte hat. In parlamentarischen Systemen hingegen gibt es deutlich weniger ethnische Konflikte als erwartet. Dasselbe gilt aber erstaunlicherweise auch für Mehrheitswahlrecht, während proportionales Wahlrecht für sich genommen wiederum kaum einen Unterschied macht. Vanhanen sieht den einzig signifikanten Unterschied zwischen konsensuellem und majoritärem Demokratietyp: letzterer geht mit deutlich mehr ethnischem Konflikt als erwartet einher. Da die Klassifikation als majoritäre Demokratie präsidentielles System sowie majoritäres Wahlsystem beinhaltet, scheint erst die Kombination dieser Institutionen einen signifikanten Unterschied zu machen. Dasselbe gilt jedoch wiederum nicht für Konsensdemokratien. Am meisten weicht die Anzahl ethnischer Konflikte vom erwarteten Ausmaß in intermediären Systemen ab, eine ausgewogene Kombination verschiedener Institutionen scheint also besonders befriedend. Insgesamt sind diese Ergebnisse daher nicht so eindeutig, als dass man empirisch fundiert argumentieren könnte, es mache für das Ausmaß an ethnischem Konflikt – wenn man wie Vanhanen gewaltsame und institutionalisierte Formen ethnischen Konflikts zusammennimmt – einen Unterschied, ob ein System eine präsidentielle oder parlamentarische Regierung hat, ob das Wahlsystem auf dem Mehrheits- oder Proportionalitätsprinzip beruht, oder ob das demokratische Sys-
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tem insgesamt majoritär oder konsensuell ist. Es wurde auch schon erwähnt, dass die Korrelation zwischen dem Maß an Demokratie und dem Ausmaß ethnischen Konflikts nur leicht negativ ist. Vanhanen schließt daraus: „It may be that formal institutional arrangements are less important than general characteristics of the country’s political system from the perspective of ethnic equality and reciprocity“ (1999: 217). Diese Vermutung verfolgt Vanhanen weiter, indem er ethnische Hegemonien – Länder, in denen die Institutionen zugunsten einer oder mehrerer ethnischer Gruppen voreingenommen sind und andere diskriminieren – von ethnisch nicht hegemonen Ländern unterscheidet. Die relevanten institutionellen Arrangements betreffen die konstitutionelle Position ethnischer Gruppen, politische Rechte, Staatsbürgerschaft, Wahlsystem und institutionalisierten Ausschluss bestimmter ethnischer Gruppen von den zentralen politischen Institutionen (ebd. 220f). Sein Konzept stimmt somit mit einem ethnischen Modell politischer Gemeinschaft überein. Zu erwarten ist, dass es in ethnischen Hegemonien zu deutlich mehr ethnischem Konflikt kommt, während ethnisch nicht hegemone Systeme weniger Konflikt vorweisen. Diese Hypothese wird durch die Ergebnisse für die 78 Länder, die von seiner Theorie ethnischer Vetternwirtschaft abweichen, klar gestützt: Mehr ethnische Konflikte sind mehr als doppelt so häufig in der Kategorie ethnischer Hegemonien (48,7%) wie in ethnisch nicht-hegemonen Systemen (20,5%), während weniger Konflikte in diesen dreimal häufiger sind (49,0%) als in ethnischen Hegemonien (16,3%) (ebd. 221). Bei vergleichbarem Ausmaß ethnischer Heterogenität ist somit das Ausmaß ethnischer Konflikte in ethnischen Hegemonien deutlich größer als in Ländern ohne solche institutionellen Ungleichheiten181. Wie stellen sich speziell Demokratien in dieser Hinsicht dar? Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Demokratien, die mehr bzw. weniger ethnischen Konflikt aufweisen, als von Vanhanen erwartet – sortiert nach Konflikt- und Demokratietypen sowie der Einteilung nach ethnischer Hegemonie oder ethnisch nicht hegemonem System.
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Von den 30 am meisten von Vanhanens Theorie ethnischer Vetternwirtschaft abweichenden Ländern haben 19 Länder mehr Konflikt als erwartet, wovon 13, also 68,4 Prozent, institutionelle Ungleichheiten vorweisen. Elf davon haben weniger Konflikt als erwartet, wovon nur zwei (18,2 Prozent) institutionelle Ungleichheiten haben (Tabelle 8.1). Unter 48 weiteren sehr geteilten Ländern (Tabelle 8.2) haben 19 mehr Konflikt als erwartet, davon 12 mit institutionellen Ungleichheiten (63,2 Prozent), und 29 weniger, davon wiederum nur 12 mit institutionellen Ungleichheiten (41,4 Prozent).
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Tabelle 11: Ethnisch stark geteilte Länder nach Konflikttyp, Demokratietyp sowie ethnische Hegemonie mit mehr bzw. weniger Konflikt182 Mehr Konflikt als erwartet: Konflikttyp Gewaltsamer InstitutionaliKonflikt sierter Konflikt Schweiz 5 40 Gabon 20 40 Senegal 30 20 Israel 40 80 Türkei 40 20 Yugoslawien 40 60 Mexiko 20 30 Bolivien 20 60 Brasilien 20 40 Georgien 60 20 Kroatien 100 40 Peru 40 40 Sri Lanka 80 40 Belgien 10 60 Libanon 40 80 Kenia 40 60 Pakistan 40 40 Russland 40 20 Weniger Konflikt als erwartet: Litauen 10 20 Kamerun 20 40 Kongo 20 40 Benin 10 40 Kanada 10 40 Madagaskar 0 20 Mauritius 0 60 Trinidad&Tobago 10 60 Zentralafrik. Rep. 5 40 Lettland 10 60 Ecuador 20 40 Estland 10 60 Mazedonien 20 40 USA 20 20 Albanien 10 10 Indien 40 60 Malaysia 10 80 Nepal 5 40 Neuseeland 10 20 Panama 5 20 182
Demokratietyp Konsensuell oder Ethnische Majoritär Hegemonie Konsensuell Nein Majoritär Nein Intermediär Nein Konsensuell Ja Konsensuell Ja Konsensuell Ja Majoritär Ja Intermediär Ja Intermediär Ja Intermediär Ja Intermediär Ja Intermediär Ja Intermediär Ja Konsensuell Intermediär Konsensuell Intermediär Majoritär Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär Konsensuell Majoritär Majoritär Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär Konsensuell Intermediär Intermediär Majoritär Majoritär Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär
Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Nein Ja Ja Ja Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär Intermediär
Zusammengestellt aus Appendix C, D und Tabelle 8.3 (Vanhanen 1999: 218-220).
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Achtzehn Demokratien weisen mehr Konflikt als erwartet auf, wovon drei für den Untersuchungszeitraum als ethnisch nicht hegemone Länder klassifiziert sind und zehn als ethnische Hegemonien (fünf sind intermediär).183 Belgien und die Schweiz befinden sich in dieser Gruppe, obwohl sie ethnisch nicht hegemon sind, da sie konstitutionell weitgehende Gleichheit der ethnischen Gruppen außer für neuere Immigrantengruppen sichern. Das relativ hohe Maß an ethnischem Konflikt ist institutionalisierten Formen geschuldet. Die größte Gruppe bilden unter den Demokratien mit mehr Konflikt jedoch die ethnischen Hegemonien. In Yugoslawien sind die Serben und Montenegriner ethnisch hegemone Gruppen gegenüber den Albanern, Ungarn und anderen Minderheitengruppen. Mexiko ist eine ethnische Hegemonie der Weißen und Mestizen, die indianische Bevölkerung ist häufig von zentralen politischen Institutionen ausgeschlossen. Israel ist trotz seines demokratischen Systems eine ethnische Hegemonie der jüdischen Mehrheit gegenüber der arabischen Minderheit. In der Türkei sind Türken eine hegemone ethnische Gruppe gegenüber der kurdischen Minderheit. Unter den zwanzig Demokratien, die weniger Konflikt als erwartet verzeichnen, befinden sich neun nicht hegemone Länder und nur drei ethnische Hegemonien (acht intermediäre).184 Estland und Lettland widersprechen der Hypothese. Sie sind ethnische Hegemonien, da die meisten Mitglieder ihrer großen russischen Minderheiten keine Staatsbürgerschaft haben und verzeichnen trotzdem weniger ethnischen Konflikt. Die größte Gruppe stellen hier jedoch die ethnisch nicht hegemonen Länder. Im Gegensatz zu den baltischen Nachbarn haben in Litauen seit dem Staatsbürgerschaftsrecht von 1989 die meisten Menschen in der Republik das Recht zu wählen, litauische Bürger zu werden oder nicht. Darüber hinaus garantiert die Verfassung von 1992 ethnischen Gemeinschaften das Recht, kulturelle Angelegenheiten intern zu verwalten. In Kanada diskriminieren die politischen Institutionen die französisch-sprachige und indianische Minderheit strukturell nicht, auch wenn Sezessionsbestrebungen in Québéc nicht vollständig verschwunden sind. In vielen afrikanischen Ländern mit weniger ethnischem Konflikt als erwartet hat es keine ethnische Gruppe geschafft, ihre Dominanz auf Dauer zu festigen. Insgesamt zielen solche institutionalistischen Erklärungsversuche darauf ab, die Varianz im Aufkommen ethnischer Konflikte in Zusammenhang mit der Form politischer Institutionen zu setzen. Die empirischen Befunde zeigen, dass Institutionen durchaus Einfluss auf das Management ethnischer Konflikte haben, wenn auch vielleicht in geringerem Maße, als man das hätte erwarten können, 183
In dieser Gruppe von Demokratien finden sich sechs konsensuelle, drei majoritäre und neun intermediäre Systeme (vgl. auch zum Folgenden Vanhanen 1999: 222f). 184 Hier handelt es sich um zwei konsensuelle Demokratien, vier majoritäre und 14 intermediäre Systeme (vgl. auch zum Folgenden 1999: 224-228).
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besonders wenn die gängigen Einteilungskriterien institutioneller Arrangements verwendet werden. Vanhanen kommt zu der Schlussfolgerung, dass es keine offensichtlichen Mittel gibt, ethnische Konflikte zu akkomodieren. Bei seiner Untersuchung muss man jedoch zweierlei beachten: Erstens vereinfacht er Lijpharts Einteilung in Konsens- und Mehrheitsdemokratie stark, indem er nur Regierungs- und Wahlsystem als Kriterien verwendet. Zweitens nimmt er gewaltsame und institutionalisierte Formen ethnischen Konflikts zusammen – ein Vorgehen, das essenzielle Informationen verloren gehen lässt. Denn gerade der Unterschied zwischen gewaltsamen und institutionalisierten Formen des Konfliktaustrags ist grundlegend und scheidet undemokratisches von demokratischem Verhalten. Darüber hinaus fasst er verschiedene Aspekte institutionalisierten ethnischen Konflikts zusammen, indem er dessen Ausmaß sowohl durch die Existenz ethnischer Parteien und anderer ethnischer Organisationen als auch durch signifikante ethnische Ungleichheiten in Regierungsinstitutionen und persistente Formen ethnischer Diskriminierung misst (Vanhanen 1999: 35). Diese verschiedenen Kriterien sollen sich zwar ergänzen, werden aber auch alternativ verwendet. Die Einschätzungen mancher Länder beruhen also in erster Linie auf der Bedeutung ethnischer Parteien, während in anderen Ländern institutionalisierte ethnische Ungleichheiten zu einem hohen Grad ethnischen Konflikts beitragen (ebd. 37). Damit wird eine Untersuchung des Ausmaßes ethnischen Konflikts in ethnischen Hegemonien leicht tautologisch. Eine systematische vergleichende Studie, die ethnische Organisationsformen und Institutionen einerseits sowie institutionalisierte ethnische Ungleichheiten andererseits auseinander halten würde, käme möglicherweise zu aufschlussreicheren Ergebnissen. Der Schwerpunkt dieses Kapitels lag auf gewaltsam ausgetragenen ethnischen Konflikten als Zeichen der Implosion demokratischer Gemeinschaft. Verschiedene Entwicklungen sind hierfür im Vorfeld relevant, welche die Einstellungen der Bürger beeinflussen und ein solches Verhalten nahe legen oder eben nicht. Sozioökonomische Entwicklungen und mögliche Steigerungen des Wettbewerbs um knappe Ressourcen zwischen ethnischen Gruppen werden wiederum vernachlässigt, da der Fokus dieser Arbeit auf dem demokratischen Prozess liegt. Gerade hierbei ist ein zentrales Muster, dass demokratische Wahlen immer Verlierer und Gewinner hervorbringen. Unterstützen auch die Verlierer das demokratische Regime und halten seine Werte hoch trotz ihrer Niederlage oder ist ihre Frustration so groß, dass sie ihm die Legitimität entziehen und sich von der demokratischen Gemeinschaft abwenden?
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9.1.2 Varianz der Zustimmung von Wahlverlierern Die normativen Rahmen und legalen Setzungen beeinflussen natürlich nicht nur potenziell das Verhalten, sondern in besonderem Maße die Einstellungen der Bürger, was der kognitiven Dimension einer umfassenden demokratischen Gemeinschaft zuzuordnen ist. Die Literatur zu ethnischen Konflikten zog die Aufmerksamkeit darauf, dass plurale Gesellschaften häufig Konflikte und Instabilität aufweisen aufgrund der Schwierigkeiten, ein politisches System aufzubauen, das von allen Parteien als legitim betrachtet wird (vgl. Horowitz 1985). Hieraus lässt sich das Argument ableiten, ethnische Homogenität erhöhe die Legitimität eines Staates, da es für diesen einfacher ist, bestimmte Werte zu verkörpern und damit seine Legitimität zu erhöhen. Sucht der Staat Übereinstimmung mit den zugrunde liegenden kulturellen Werten, scheint dies einfacher, wenn diese Werte weitgehend homogen sind, und schwerer, wenn sie sich von einer Vielfalt ethnischer Identitäten ableiten (Svrakov 1979). Allerdings wird dieses Argument durch empirische Analysen entkräftet. Bei einem globalen Vergleich 72 Länder stellt sich ethnische Homogenität nicht als signifikanter Einfluss auf das Ausmaß der Legitimität des Staates heraus (Gilley 2006a: 53). Dies mag in einzelnen Fällen der Fall sein, nicht jedoch generell, während andere Faktoren zusammen bis zu zwei Drittel der Varianz im Ausmaß der Legitimität über Staaten hinweg erklären. Soziales Vertrauen und soziales Kapital sind unter den wichtigsten Variablen, die starke Verbindungen mit Legitimität haben (ebd. 55). Ansonsten findet Gilley sieben relevante Variablen, die sich den drei wichtigsten Einflüssen auf Legitimität zuordnen lassen: Governance, Rechte und Wohlfahrt (ebd. 57-59). Seine Schlussfolgerung ist: „the better that states do in providing quality governance, democratic rights, and welfare gains, the more they will be able to enjoy the support of their citizens“ (ebd. 61). Neben diesem sehr allgemeinen, langfristigen Befund, der keinen Grund für eine grundsätzlich pessimistische Einschätzung der Chancen auf ein stabiles demokratisches Regime in ethnisch heterogenen Gesellschaften liefert, stellt sich doch die Frage, ob bestimmte politische Institutionen die Unterstützung der Demokratie und demokratische Legitimität speziell in multi-ethnischen Ländern besser fördern als andere. Diese Frage wird von verschiedenen Autoren untersucht. Lijphart wurde bereits erwähnt, der konsensuellen gegenüber majoritären Systemen aufgrund ihrer besseren Konfliktfähigkeit, vor allem aber besseren Repräsentativität auch von Minderheiten bessere Leistungen bescheinigt (Lijphart 1984, 1999). Powells (2000) Vergleich majoritärer und proportionaler Demokratieformen untersucht die politischen Konsequenzen verschiedener institutioneller Designs hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Regierung, Zurechenbarkeit und Kontrolle durch die Bürger. Er argumentiert, dass die sich widerstrei-
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tenden Visionen (und Manifestationen) demokratischer Regierungsform normalerweise einen „Tradeoff“ zwischen Zurechenbarkeit und Responsivität beinhalten: majoritäre Systeme bieten den Bürgern bessere Möglichkeiten, von Politikern Rechenschaft zu verlangen und sie zur Verantwortung zu ziehen, während proportionale Systeme in der Regel die Politikinteressen der meisten Bürger besser repräsentieren. Ähnlich unterscheidet Colomer (2001) zwischen politischen Systemen, deren politische Institutionen der Regel des „single-winner“ folgen und jenen, die mehrere Gewinner regieren lassen. Seiner Meinung nach seien „multiple winner rules“ sozial effizienter, da dies Institutionen seien, welche die Interessen von großen Gruppen hinsichtlich vieler Themenbereiche befriedigen könnten (ebd. 2). Ganz anders argumentieren Pluralisten, die konsensuellen Systemen mehr politische Immobilität zuschreiben, die den Status Quo allzu sehr fördere. Nur wenn die Möglichkeit gegeben sei, das nächste Mal zu den Gewinnern zu gehören – „wait till next year“ (Miller 1983: 742) –, wenn also neue Koalitionen um Themen gebildet werden können, die das nächste Mal gewinnen lassen, könnten Verlierer ein politisches System unterstützen. Allerdings gibt es viele institutionelle Designs, nicht nur Konsensdemokratie, die Immobilität der Politikinhalte hervorbringen können, wie Tsebelis (2003) mit Hilfe seines Veto-Spieler-Ansatzes demonstriert. Zusammengenommen unterstreichen diese Forschungen zu demokratischen Institutionen, dass Bürger demokratische Politik unterschiedlich erfahren je nach System, in dem sie leben. Besonders wenn es um den Zugang zu und die Beteiligung am politischen Prozess geht, sowie um die Übersetzung ihrer Präferenzen in Politikergebnisse, ist es wichtig zu bedenken, dass die Institutionen von manchen Ländern mehr Gelegenheiten sowohl für Gewinner als auch Verlierer des demokratischen Wettbewerbs bieten, in der politischen Arena repräsentiert zu sein und ihre präferierten Politikinhalte umzusetzen. Allgemein ist es plausibel anzunehmen, dass Verlierer weniger geneigt sind, einem politischen System Legitimität zuzusprechen, das ein Ergebnis hervorgebracht hat, gegen das sie sich aktiv eingesetzt haben. Anderson und seine Kollegen (2005) zeigen, dass allgemein zwischen Wahlgewinnern und –verlierern deutliche Unterschiede in ihren Ansichten über das politische System bestehen: politisch in der Mehrheit zu sein übersetzt sich in der Regel in positivere Einstellungen gegenüber der Regierung, während Verlierer dazu tendieren, signifikant negativere Einstellungen gegenüber dem politischen System zu haben: „We find that there commonly exists a gap in winners’ and losers’ sense of whether elections are fair, their evaluations of the performance of the political system as well as feelings about whether government is responsive. Moreover, losing elections has the potential to diminish people’s support for democratic principles overall, while at the same time heightening their propensity to engage in political protest“ (ebd. 183).
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Somit hat Gewinnen und Verlieren sowohl unmittelbare als auch dauerhafte Effekte. Diese bleiben während eines Wahlzyklus’ bestehen, da Verlierer auch zwischen Wahlen durchgehend weniger zufrieden sind als Gewinner. Die Zustimmung der Verlierer ist jedoch wichtig für die Aufrechterhaltung jedes politischen Systems und prägt die Dynamik der Politik in vielfältiger Weise. Um zu verstehen, wie demokratische Systeme funktionieren, ist es daher wichtig zu untersuchen, wann Verlierer ihre Niederlage akzeptieren. Individuelle Prädispositionen, wie Parteizugehörigkeit und ideologischer Extremismus, fungieren zwar als Mediatoren des Gewinner-Verlierer-Effektes, aber nicht unter allen Umständen. Verlieren bedeutet nicht immer und überall dasselbe, manche Verlierer in bestimmten Kontexten übersetzen ihre Niederlage in deutlich negativere Einstellungen gegenüber der Regierung als andere (ebd. 183). Bürger bilden ihre Meinungen über Politik vor allem im Kontext eines bestimmten Systems, dessen institutionelle Struktur den Ausdruck von Präferenzen beeinflusst, die Wahlmöglichkeiten definiert und Gelegenheiten bietet, im politischen Prozess gehört zu werden. Politische Institutionen spielen daher potenziell eine Rolle darin, ob Verlierer das Wahlergebnis akzeptieren und dem politischen System Legitimität zusprechen oder nicht. Politische Systeme unterscheiden sich in der Machtausübung und besonders im Ausmaß, zu dem die unterlegene Minderheit zwischen Wahlen in den Entscheidungsprozess einbezogen wird. Folglich kann man erwarten, dass die negativen Folgen des Verlierens umso mehr abgeschwächt werden, je inklusiver die politischen Institutionen eines Landes sind, und dementsprechend dass der Einfluss der Gewinner umso größer ist und dass sie umso eher ihren Willen gegenüber der Minderheit durchsetzen können, je majoritärer die Institutionen sind (ebd. 123). Empirisch wird diese These untermauert. In einer Studie elf europäischer Demokratien, die Daten über Einstellungen gegenüber der Regierung und Lijpharts Kategorisierung von Ländern in konsensuell und majoritär kombiniert, fanden Anderson und Guillory (1997), dass Verlierer in stärker konsensuell orientierten Systemen mit der Art, wie Demokratie funktioniert, zufriedener sind als Verlierer in stärker majoritären Systemen. Entsprechend äußern Gewinner in majoritären Systemen mehr Zufriedenheit als Gewinner in konsensuelleren Systemen. In dieser Studie werden die Institutionen allerdings recht allgemein konzeptualisiert und gemessen. Ein Vergleich von konsensuellen und majoritären Systemen untersucht nicht zwei Dimensionen einer spezifischen Institution, sondern stellt einen Vergleich über verschiedene Kombinationen von institutionellen Mustern dar. Diese Pakete institutioneller Muster können auch aufgelöst werden, um den Effekt einzelner Institutionen zu untersuchen, was Anderson und seine Kollegen (2005) tun. Sie untersuchen Föderalismus, die Zahl der Parteien an der Macht sowie das Wahlsystem in den 15 Mitgliedstaaten der Europä-
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ischen Union von 1999185. In der Tat scheinen die verschiedenen Institutionen einer konsensuellen Demokratie auch für sich allein genommen einen Einfluss zu haben, der getrennt oder addiert werden kann. Das Wahlsystem zeigt deutliche Effekte: mehr Proportionalität hilft den Einfluss des Verlierens zu vermindern. „(L)osers in more disproportional systems are more prone to say that the election was unfair, and they are also more inclined to think that the political system does not care about ordinary citizens. Moreover, these negative assessments seem to nurture dissatisfaction with the functioning of democracy“ (ebd. 148f). Ein proportionales Wahlsystem mindert die negativen Konsequenzen des Verlierens einerseits direkt, indem die Stimme der einzelnen Bürgerin mehr zählt, und andererseits indirekt, indem Mehrparteienkoalitionen ermutigt werden. Denn die Reaktionen von Verlierern sind unter Einparteienregierungen am größten. Allerdings können zu viele Parteien in der Koalitionsregierung – die Autoren schätzen ab einer Anzahl von fünf – die Zufriedenheit mit dem politischen System auch verringern (ebd. 132; vgl. Tabelle 7.2 S. 133). In föderalen Systemen wiederum ist der Einfluss des Verlierens nur halb so groß wie in unitären Systemen. Föderalismus gewährt Verlierern effektiven Einfluss und hilft dadurch dabei, dass sie positiver gegenüber dem System eingestellt sind, dass sie zufriedener mit der Performanz der Demokratie sind und die politischen Institutionen mehr schätzen (ebd. 133). Die Vielzahl der Ebenen verändert das Ergebnis. Gehören Verlierer auf der nationalen Ebene zu den Gewinnern auf der Ebene der Provinz, übersetzt sich dies in positivere Bewertungen des politischen Systems. Mitreden zu können und Macht zu teilen erhöht die Zustimmung der Verlierer, selbst wenn sie auf nationaler Ebene in der Opposition sind. Bei genauerer Untersuchung des Falls Kanada gilt dies allerdings nicht für die Provinz Québéc. Anderson et al. schließen daraus: „there are clear limits to the palliative effect of federalism when political divisions are extreme“ (ebd. 136). Insgesamt zeigen Anderson und seine Kollegen „that responses to losing are mediated by institutions and, further, that specific institutions, and not just combinations of institutions, help to shape the response of losers. Losers express less negative views about the political system than winners when electoral rules are more proportional, when the political system has a greater number of veto players, and when power is shared within the political system. Thus, the size of the winner-loser gap depends on whether institutions are exclusive or inclusive“ (ebd. 139).
Diese Ergebnisse unterstreichen, dass verschiedene Formen demokratischer Organisation Konsequenzen für die Unterstützung der Demokratie als Regie185 Zur Unterscheidung zwischen Verlierern und Gewinnern betrachten die Autoren die Wahlabsicht der Befragten (ebd. 120-140). Sie verwenden hier den Eurobarometer 52 von 1999.
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rungsform zeitigen.186 Der Effekt von Institutionen variiert je nach dem, ob Bürger zu den Gewinnern oder Verlierern gehören. Es ist daher wichtig, nicht nur den direkten aggregierten Effekt von Institutionen auf das Verhalten aller Bürger zu untersuchen, sondern auch deren Effekte auf besonders wichtige Subgruppen innerhalb der Wählerschaft (ebd. 140). Auch wenn ein Unterschied in den Einstellungen der Verlierer und Gewinner besteht, scheinen insgesamt die Verlierer in den meisten Demokratien187 nicht von dieser Regierungsform entfremdet zu sein. Die Mehrheit der Verlierer ist mit dem Funktionieren der Demokratie in ihrem Land zufrieden und glaubt, dass die letzten Wahlen fair waren und das politische System responsiv ist.188 Das Maß an Demokratie und die Länge der Erfahrung mit dem demokratischen Prozess beeinflussen die Bewertungen des politischen Systems von Verlierern. Der „winner-loser gap“ ist deutlicher in neu demokratisierten und sich demokratisierenden Systemen. Vor allem aber unterminiert wiederholtes Verlieren die Unterstützung des politischen Systems durch die Verlierer: „while losing once does not immediately serve to undercut losers’ attitudes toward government, losing twice starts a process that leads to a gradual erosion of support for a system that consistently fails to make them winners“ (ebd. 184). Lange Perioden ohne Machtwechsel führen nach und nach zu weniger positiven Ansichten über das politische System unter den Verlierern und können fruchtbaren Boden für den Wunsch nach umfassenden Veränderungen des politischen Systems sein. Ein beträchtlicher „winner-loser gap“ erschwert den demokratischen Prozess, denn besonders unzufriedene Verlierer haben weniger Grund, die Regeln einzuhalten. Systeme können besonders instabil werden, wenn eine signifikante Minderheit dauerhaft vom politischen Prozess ausgeschlossen ist. Es mag insgesamt nicht so wichtig sein, dass zu viele Menschen zu viele Dinge von ihren Regierungen wollen, sondern ob jeder und jede zumindest ab und an gehört wird und einen Platz am Entscheidungstisch erhält. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Minderheiten trotz ihres Minderheitenstatus stärker dazu tendieren, mit der Art, wie Demokratie funktioniert, zufrieden zu sein, wenn es Mechanismen gibt, die prozedurale Gerechtigkeit im demokratischen Prozess sichern und Gelegenheiten bieten, auf Regierungsentscheidungen Einfluss zu nehmen. 186 Dies steht in einer Linie mit anderer Forschung zur Unterstützung der Regierung, die wichtige und systematische Konsequenzen verschiedener Demokratieformen hinsichtlich ihrer Performanz deutlich machen, einschließlich des Einflusses auf Politikergebnisse (Crepaz 1996; Lijphart 1994a; Roller 2005), Kabinettstabilität und Konflikt (Powell 1982) oder die Kongruenz der Politikpräferenzen von Eliten und Bürgern (Huber/ Powell 1994), um nur einige Beispiele zu nennen. 187 Hier verwenden die Autoren den Datensatz der “Comparative Study of Electoral Systems”, der 32 Länder zwischen 1996 und 2001 untersucht. 188 Besonders positiv sind die Bewertungen der Verlierer auf allen drei Dimensionen in Dänemark, den Niederlanden und Norwegen, am wenigsten positiv in Japan (ebd. 144).
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Dies ist besonders dann von herausragender Bedeutung, wenn Wahlen in multi-ethnischen Demokratien zu einer Art Zensus werden und stets dieselben ethnischen Gruppen in der Mehr- bzw. Minderheit sind, so dass sich Gewinnen und Verlieren gerade nicht abwechseln. Empirische Studien, welche die Verringerung der Identifikation mit der politischen Gemeinschaft weniger von Individuen als vielmehr von ganzen ethnischen Gruppen durch wiederholtes Verlieren aufzeigen, würden diese wohl fundierte Annahme unterlegen, finden sich bisher jedoch noch nicht in vergleichender Perspektive. Aufgrund dieser Gefahr beruhen Hoffnungen auf Demokratie in stark gespaltenen Gesellschaften zumeist auf dem Glauben „that institutional design is the key to avoiding disaster, with constitutional engineering, particularly of electoral systems, treated as an important level“ (Grofman/ Stockwell 2001: 8). Die aufgezeigten empirischen Zusammenhänge unterstützen für den Kontext starker ethnischer Spaltungen konsoziative Ansätze als besondere Form konsensueller Demokratie. Diese Untersuchung zeigte deutlich, dass die Unterstützung des Regimes und damit indirekt die Identifikation mit der spezifischen Form demokratischer Gemeinschaft vor allem mit langfristigen Folgen des Erfolgs der eigenen Beteiligung am demokratischen Prozess zusammenhängt. Hierbei ging es jedoch ausschließlich um Gewinnen und Verlieren in Wahlen. Andere Formen der politischen Beteiligung sowie andere Gruppen, denen nur beschränkt Beteiligungskanäle offen stehen, wurden nicht berücksichtigt. Hierin liegt interessantes Potenzial für weitere Studien zum Einfluss verschiedener Formen demokratischer Institutionen. Doch werden die politischen Gelegenheitsmuster nicht nur von der implementierten Form der Demokratie beeinflusst, sondern auch von dem vorherrschenden Staatsbürgerschaftsregime, das zunächst bestimmt, wer legitimes Mitglied der politischen Gemeinschaft und zur Beteiligung am demokratischen Prozess überhaupt berechtigt ist. Dessen Einfluss auf Mehrheiten und Minderheiten widmen sich die nächsten zwei Unterkapitel mit jeweils anderer Schwerpunktsetzung: Zum einen wird für die Mehrheitsbevölkerung die für eine umfassende politische Gemeinschaft grundlegende Orientierung der Toleranz unter die Lupe genommen, zum anderen wird die Bereitschaft ethnischer Minderheiten zur Identifikation mit der politischen Gemeinschaft untersucht.
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9.2 Staatsbürgerschaftsregime 9.2.1 Varianz in der Toleranz gegenüber ethnischen Minderheiten Nach wie vor geht es um den Einfluss der normativen Rahmen und ihnen entsprechenden Institutionen auf eine umfassende demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz. Bisher wurden die für das jeweilige Demokratieverständnis relevanten Institutionen betrachtet. Doch gehen die Modelle demokratischer Gemeinschaft darüber hinaus, da die Grenzziehung der Gemeinschaft, vor allem verkörpert im Nationenverständnis und dem davon geleiteten Staatsbürgerschaftsregime, ebenso entscheidende normative und legale Setzungen beinhalten. Gesetze zur Erlangung der Staatsbürgerschaft sowie Regierungspolitik verkörpern kulturelle Traditionen in Bezug darauf, wer legitimes Mitglied des Nationalstaates ist, und beinhalten die legale Institutionalisierung des vorherrschenden Verständnisses über ihre Rechte und Pflichten. Die Festlegung der Grenzen und Gemeinsamkeiten der politischen Gemeinschaft definiert offiziell ein bestimmtes Verhältnis zwischen den Bürgern und zwischen Gruppen, so dass man vermuten kann, dass diese Kontextbedingungen in den Einstellungsmustern der Bürger reflektiert werden.189 Wie erläutert ist eine zentrale Einstellung mit unmittelbarer Demokratie- und Verhaltensrelevanz Toleranz, in unserem Zusammenhang insbesondere die Toleranz der Mehrheitsbevölkerung gegenüber ethnischen Minderheiten eines Landes. Sullivan und seine Kollegen drücken den vermuteten Zusammenhang zwischen Kontext und Einstellungen folgendermaßen aus: „we are certain that regime level differences, and differences in historical and political traditions, are important in understanding political culture and attitudes generally and attitudes of tolerance and intolerance specifically“ (Sullivan et al. 1985: 207). Wie beeinflussen Staatsbürgerschaftsregime individuelle Toleranzurteile? Man kann nur schwer einen klaren kausalen Pfad von Institutionen zu individuellen Einstellungen und Verhalten beweisen, doch wird häufig von einem generellen Lernprozess ausgegangen, besonders in der politischen Kulturforschung (Almond/ Verba 1963). Individuen lernen die in Institutionen enthaltenen Werte durch Sozialisierungsprozesse in der Familie, dem Bildungssystem und am Arbeitsplatz. Darüber hinaus dienen Politikinhalte in vielerlei Hinsicht als Ausgangspunkt öffentlicher Diskurse. Politische Parteien und Eliten beziehen Position und Toleranzfragen werden in den Medien behandelt. Auch vor dem Hintergrund der besonders von der Sozialpsychologie inspirierten Diskussion des ers189
In der politischen Realität wurde das Interesse an Staatsbürgerschaft durch das Erstarken nationalistischer und fremdenfeindlicher Bewegungen weltweit wiederbelebt (Hobsbawm 1990; Greenfeld 1992; Calhoun 1997).
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ten Teils dieser Arbeit erscheint es somit plausibel, dass man zum vollständigen Verständnis der Natur von Toleranzurteilen auch den Kontext der Beziehungen zwischen Gruppen verstehen muss. Man kann daher mit Weldon erwarten, „that the salience of ethnic difference, and as a consequence tolerance for ethnic minorities, partially depends on the degree to which a dominant ethnic tradition or culture is institutionalized in the laws, rules, norms, and policies of a state“ (Weldon 2006: 333). Weldon (2006) untersucht diese Hypothese empirisch in den 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union von 1997 mithilfe von Daten des Eurobarometers. Er analysiert den unabhängigen Einfluss unterschiedlicher Staatsbürgerschaftsregime auf Toleranzurteile sowie, in einem integrierten Regressionsmodell, die Frage, wie diese und andere länderspezifische Kontrollvariablen den Einfluss von Faktoren auf der individuellen Ebene mediieren, die bisher als ausschlaggebend für das Ausmaß an Toleranz gegenüber ethnischen Minderheiten betrachtet wurden. Über Brubakers (1992) Einteilung in ethnische und zivile Vorstellungen der Nation hinaus folgt Weldon in seiner Unterscheidung von Staatsbürgerschaftsregimen neuerer Literatur (vgl. Castles 1995; Kleger/ d’Amato 1995; Safran 1997) und unterteilt sie, in Greenfelds (1999) Terminologie, in kollektivistisch-ethnischen, kollektivistisch-zivilen und individualistischzivilen Regimetyp. Der erste Regimetyp beinhaltet die zentralen Merkmale des in dieser Arbeit als ethnisch bezeichneten Modells demokratischer Gemeinschaft. Staatsbürgerschaft ist in dieser Perspektive eine Reflektion der ethnischen Identität, nicht nur Mitgliedschaft in einer politischen Gemeinschaft. Auch im kollektivistisch-zivilen Typ, der weitgehend dem republikanischen Modell entspricht, wird der Nationalstaat als kollektive Entität angesehen, allerdings als eine durch politische und säkulare Inhalte bestimmte. Auch wenn Ethnizität und kulturelle Unterschiede dadurch aus der öffentlichen Sphäre herausgehalten werden sollen, sind sie doch in gewissem Maße Basis von Assimilationserwartungen der Mehrheitsbevölkerung gegenüber ethnischen Minderheiten. Der individualistisch-zivile Regimetyp schließlich erinnert auf den ersten Blick deutlich an das liberale Modell mit seiner Ausrichtung auf das Individuum. Greenfeld (1999), Weldon (2006) und andere verstehen darunter aber besonders zivilen Pluralismus im Sinne einer Akzeptanz ethnischer und kultureller Unterschiede. Angesichts der Diskussion darum, wie schwer Liberalismus mit Gruppenrechten vereinbar ist, zeigt dies eine gewisse Ambivalenz dieses Regimetyps, da er explizit multikulturalistische Elemente enthält: „the state explicitly protects the right to ethnic difference and expression, and it may even take an active role in supporting minority traditions“ (Weldon 06: 335). Dieser Regimetyp ist somit zwischen dem liberalen und dem konsoziativen Modell anzusiedeln. Trotz der
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nur unvollständigen Übereinstimmung der Typologie mit den Modellen dieser Arbeit sind die Ergebnisse von Weldons Untersuchung aufschlussreich. Weldon unterscheidet der relevanten Literatur folgend zwischen politischer und sozialer Toleranz: während sich politische Toleranz auf grundlegende politische Freiheiten, wie Rede- und Versammlungsfreiheit, Religions- und Gewissensfreiheit sowie aktives und passives Wahlrecht bezieht, ist soziale Toleranz auf den Inhalt dieses Ausdrucks grundlegender Freiheiten gerichtet, auf das Recht kulturelle Unterschiede auszudrücken, und deren tatsächliche Akzeptanz durch die Mehrheitsbevölkerung. Dies wird durch die Akzeptanz von Angehörigen ethnischer Minderheiten als Nachbarn, Vorgesetzte oder Schwiegersohn bzw. -tochter erhoben sowie durch die Einstellung, sie müssten ihre eigene Kultur aufgeben oder seien so anders, dass sie nie voll akzeptierte Gesellschaftsmitglieder werden könnten. Weldon erwartet, dass (1) kollektivistisch-ethnische Länder ein relativ geringes Ausmaß an politischer und sozialer Toleranz gegenüber ethnischen Minderheiten haben; (2) kollektivistisch-zivile Länder hingegen ein hohes Maß politischer, aber ein geringes Maß sozialer Toleranz gegenüber ethnischen Minderheiten aufweisen, letztlich aber (3) individualistisch-zivile Länder das höchste Maß sowohl politischer als auch sozialer Toleranz zeigen (ebd. 335). Weldon kommt zunächst zu dem auffallenden Ergebnis eines recht geringen Ausmaßes an Toleranz in ganz Europa, wobei politische Toleranz noch leicht über sozialer Toleranz liegt. Insgesamt nur 40 Prozent der Befragten waren bereit, alle fünf politischen Freiheiten ethnischen Minderheiten zuzugestehen und nur 12 Prozent zeigten ein hohes Maß sozialer Toleranz in allen fünf Fragen hierzu. Die Unterschiede zwischen den Staatsbürgerschaftsregimen190 zeigen ein interessantes Bild (vgl. Tabelle 2, S. 338). Die kollektivistisch-ethnischen Länder weisen wie erwartet das niedrigste Maß an Toleranz auf (durchschnittliche Indexmaße: soziale Toleranz 50,1 und politische Toleranz 70,1), gefolgt von den kollektivistisch-zivilen (53,2 und 78,4) sowie den individualistisch-zivilen Ländern (63 und 85,4). Die Ergebnisse entsprechen den Hypothesen zur sozialen Toleranz. Politische Toleranz ist in kollektivistisch-zivilen Ländern noch deutlich geringer als in individualistisch-zivilen, so dass diese Toleranzform gleichmäßig über die drei Regimetypen anzusteigen scheint. Beide Dimensionen des 190
Die Einteilung der Länder erfolgt auf der Grundlage der Forschungsliteratur (Castles 1995; Kleger/ d’Amato 1995, Greenfeld 1999; Safran 1997), der Einteilung formaler Bedingungen für eine Naturalisierung in Weil (2001) sowie detaillierten Fallstudien des European Migration Centers (http: www.emz-berlin.de/projekte_e/IntPol.htm). Als kollektivistisch-ethnische Regime werden Belgien, West- und Ostdeutschland, Österreich und Luxemburg klassifiziert; als kollektivistisch-zivile Regime Frankreich, Griechenland, Portugal und Dänemark; und als individualistisch-zivile Regime Irland, Großbritannien, Italien, Spanien, die Niederlande, Finnland und Schweden (vgl. für die Klassifizierung der Länder im einzelnen Weldon 06: 346f, Appendix).
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Regimetyps (legale (ethnisch versus zivil) und kulturelle (kollektivistisch versus individualistisch) Dimension) haben einen ähnlich starken, jeweils signifikanten Einfluss auf politische Toleranz. „This is noteworthy, because it suggests that multicultural social policies may have an added effect of further enhancing political tolerance“ (ebd. 337, Hervorhebung im Original). Gerade dieses Ergebnis lässt es umso dringender erscheinen, liberale Regime von stärker multikulturalistischen, besonders konsoziativen Regimen mit starken Gruppenrechten zu unterscheiden. Die Vermutung eines stetigen Anstiegs politischer Toleranz durch multikulturalistische soziale Politik würde nahe legen, dass sie in konsoziativen Regimen am höchsten wäre. Dagegen spricht jedoch, dass solche Maßnahmen erstens zumeist hart umkämpft sind, was die politische Bedeutung ethnischer Unterschiede erhöht und die Meinungen polarisiert, und dass sie zweitens zu einer Art Sättigungseffekt führen können, wenn die Mehrheitsbevölkerung der Ansicht ist, die Grenzen der multikulturellen Gesellschaft seien erreicht, wie es seit der Jahrhundertwende in den bisher stark multikulturalistischen Niederlanden der Fall ist. Aufschluss über die jeweilige Verteilung politischer und sozialer Toleranz in liberalen und konsoziativen Regimen könnte hier ein ähnlich wie Weldons Analyse angelegter empirischer Vergleich geben. Weldon untersucht zur Kontrolle der Ergebnisse alternative individuelle Faktoren wie demographische Merkmale (Bildung, ökonomischer Status, Alter), psychologische Dispositionen (autoritärer Charakter, geringe Selbstachtung, starke nationale Eigengruppenidentität und Bedrohungswahrnehmung) und politische Orientierungen (links-rechts Unterscheidung, Zufriedenheit mit dem demokratischen Prozess, materialistische oder postmaterialistische Wertorientierung). Ebenso bezieht er alternative Faktoren auf der Makro-Ebene in die Analyse mit ein, wie den Zustand der Wirtschaft sowie die Rolle politischer Akteure und Diskurse, insbesondere den Wahlerfolg rechtsextremer Parteien. Auf individueller Ebene sind Bedrohungswahrnehmungen und Stärke der nationalen Identität die einflussreichsten Faktoren. Die Überzeugung, dass ethnische Minderheiten eine Bedrohung für die einheimische Kultur darstellen, verringert politische Toleranz um 18 Punkte. Diejenigen mit starker nationaler Identität haben um 10 Punkte geringere Toleranz als diejenigen, die sich mit Europa als Ganzem identifizieren. Außerdem sind diejenigen, die ein autoritäres System präferieren, ebenso weniger tolerant wie Konservative und jene, die mit dem demokratischen Prozess unzufrieden sind.191 Der Vergleich zwischen den Ländern bringt jedoch zutage, dass der Einfluss von Identität, Ideologie und demokratischer Zufriedenheit signifikant von Land zu Land variiert (Weldon 2006: 343). Betrachtet man 191
Auf der Makro-Ebene reduziert der Erfolg rechtsextremer Parteien Toleranz signifikant, während beim Wirtschaftswachstum kein signifikanter Effekt zu beobachten ist.
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deren Interaktionseffekte mit den Makro-Faktoren, werden die Zusammenhänge noch deutlicher. Die legale Dimension des Regimetyps hat einen stark mediierenden Effekt auf die Variable nationale versus europäische Identität. Die Unterscheidung zwischen ethnischem und zivilem Staatsbürgerschaftsregime erklärt mehr als 80 Prozent des Effekts nationaler Identität auf politische Toleranz: eine starke Identifikation mit dem Nationalstaat verringert politische Toleranz in einem ethnischen Regime stark, in einem zivilen kaum. „Thus, it appears that certain institutional cues provide a mechanism by which ingroup identity translates into the political rejection of outgroups. In ethnic regimes, the rules themselves may send signals indicating that ingroup identification is synonymous with outgroup rejection, but in civic regimes, the rules provide no such connection“ (ebd. 344).192
Ebenso steigt der Einfluss der rechts-links-Orientierung, wenn Faktoren auf Länderebene und besonders die legale Dimension des Staatsbürgerschaftsregimes hinzugenommen werden. Der Einfluss der Ideologie auf politische Toleranz ist in ethnischen Regimen 45 Prozent stärker, so dass hier Konservative ethnische Minderheiten deutlich stärker ablehnen. Selbst der starke Einfluss der Zufriedenheit mit dem demokratischen Prozess wird durch die legale Dimension des Regimetyps mediiert. In ethnischen Regimen sind die Unzufriedenen deutlich weniger tolerant (15 Punkte) als die Zufriedenen, während dieser Unterschied in zivilen Regimen geringer (6 Punkte) ist; je nach Regime sind also Einheimische mehr oder weniger bereit, bei Unzufriedenheit mit dem demokratischen Prozess ethnische Minderheiten und Immigranten auszusondern. Der institutionelle Kontext des Staatsbürgerschaftsregimes, besonders seine legale Dimension, bestimmt somit weitgehend, ob starke Eigengruppenidentitäten, Ideologie und Zufriedenheit mit dem demokratischen Prozess zu Intoleranz gegenüber ethnischen Minderheiten führen oder nicht. Auf soziale Toleranz haben die Faktoren auf individueller Ebene mehr Einfluss. Herausragend ist hier der Einfluss von Bedrohungswahrnehmungen, die soziale Toleranz deutlich stärker noch als politische Toleranz verringern. Die einzige Variable auf Länderebene mit signifikantem unabhängigem Einfluss auf soziale Toleranz ist die kulturelle Dimension des Regimetyps (kollektivistisch versus individualistisch): je kollektivistischer das Regime, desto weniger soziale Toleranz unter den Bürgern. Auch hier hat die legale Dimension einen Interaktionseffekt mit nationaler Identität, was bedeutet, dass sich starke nationale Identität in kollektivistisch-ethnischen Ländern sowohl in politische als auch soziale Toleranz gegenüber ethnischen Minderheiten übersetzt (Weldon 2006: 345). 192 Das allgemeine Maß an Unterstützung rechtsextremer Parteien hat ebenso einen signifikanten Einfluss auf nationale Identität in derselben Richtung.
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Die Gesetze zur Erlangung der Staatsbürgerschaft und zur Regelung des Ausdrucks ethnischer Unterschiede beeinflussen somit politische und soziale Toleranz gegenüber Minderheiten sowohl direkt als auch indirekt, indem sie Faktoren auf individueller Ebene mediieren. Beide Dimensionen des Staatsbürgerschaftsregimes, legale und kulturelle, haben damit einen deutlichen Einfluss auf die Existenz einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz. Da diese Dimensionen mit denen der Modelle demokratischer Gemeinschaft dieser Arbeit weitgehend übereinstimmen, kann man dementsprechende Schlussfolgerungen ziehen. Das ethnische Modell ist mit wenig politischer und sozialer Toleranz ethnischer Unterschiede verbunden, von demokratischer Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz kann also in einem so codierten Regime auch in der Realität kaum gesprochen werden. Das republikanische Modell ist zwar mit etwas mehr politischer Toleranz verbunden, aber nach wie vor mit wenig sozialer Toleranz, so dass auch hier kaum von einer Identifikation mit der demokratischen Gemeinschaft über bestehende und andauernde ethnische Unterschiede hinweg ausgegangen werden kann. Eine tatsächliche demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz hat aufgrund hoher Toleranzwerte sowohl in politischer als auch sozialer Hinsicht am ehesten Chancen in zivilen, pluralen Regimen. Hierzu können sowohl das individualistisch orientierte liberale als auch das mit Gruppenrechten explizit verbundene konsoziative Modell gezählt werden. Welchem dieser beiden jedoch ein stärkerer Zusammenhang mit Toleranz zukommt, bleibt empirisch noch herauszufinden. 9.2.2 Varianz der Selbstidentifikation ethnischer Minderheiten Eine andere Perspektive hinsichtlich der Frage, wie die institutionellen Rahmensetzungen auf ein umfassendes Gemeinschaftsgefühl trotz ethnischer Differenz wirken, wird dann eingenommen, wenn man nicht die Mehrheitsbevölkerung und ihre Einstellungen betrachtet, sondern die Mitglieder von ethnischen Minderheiten, alt eingesessene oder eingewanderte. Deren Identifikation mit der politischen Gemeinschaft soll nun im Mittelpunkt stehen. Deutlich wird diese Identifikation an den Orientierungen selbst, aber auch an der Art von Beteiligung und an der Art von Forderungen, die an die politische Gemeinschaft gestellt werden und kollektive Identitäten ausdrücken. „Ob sich Einwanderer aus Bangladesh als Einwanderer, Bangladeshis, Muslime, Asiaten oder Schwarze identifizieren, ist ein politisches Resultat, das uns wichtige Informationen über die Art der Beziehung zwischen Einwanderer und dem Nationalstaat bieten kann“ (Koopmans/ Statham 2001: 136). Dabei können die Staatsbürgerschaftsregime als politische Gelegenheitsstrukturen verstanden werden (McAdam 1982; Tar-
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row 1994; Kriesi et al. 1995), welche die Mobilisierung ethnischer Minderheiten prägen, indem sie manche Arten von Forderungen erleichtern und andere erschweren. Die darin enthaltene These lautet, dass die Forderungen von Migranten und Minderheiten stark beeinflusst werden durch Gelegenheiten und Beschränkungen für die Intervention in der Öffentlichkeit, die durch Institutionen, Rechte und Diskurse festgelegt werden. Diese sind ihrerseits wiederum bestimmt durch das jeweilige Staatsbürgerschaftsregime und die mit ihm verbundenen spezifisch nationalen Formen der Eingliederung ethnischer Minderheiten in die politische Gemeinschaft. Es gibt bisher wenig systematische und vergleichende Forschung, die untersucht, wie sich nationale politische Rahmenbedingungen auf die kollektiven Handlungen und Forderungen von Migranten und ethnischen Minderheiten auswirken. Eine vergleichende empirische Studie politischer Mobilisierung ist Irelands (1994) Untersuchung über Formen des politischen Aktivismus von Migranten in Frankreich und der Schweiz (vgl. auch die Beiträge in Koopmans/ Statham 2000). Ireland stellt in seinem Ländervergleich und der genaueren Analyse von jeweils zwei Städten bis zum Jahr 1992 fest, dass die gleichen ethnischen Gruppen in beiden Ländern auf unterschiedliche Weise mobilisieren. „Each institutional context has produced its own evolving pattern of participatory forms and demands, and, consequently, different types and levels of impact“ (Ireland 1994: 245). Durch ihre organisatorische Unterstützung, Gleichgültigkeit oder offene Feindseligkeit hatten die Institutionen des Aufnahmelandes einen klaren, intervenierenden Effekt auf die unterschiedliche politische Beteiligung der Einwanderer: „whatever their national origin or the mix of nationalities present, immigrants in both France and Switzerland developed participatory forms that reflected the political opportunity structures they faced“ (ebd. 248). Ethnische Herkunft oder soziale Klasse seien daher schlechtere Erklärungsfaktoren als institutionelle Kanalisierung, also die Art und Weise, in der unterschiedliche nationale Möglichkeiten der Beteiligung den politischen Aktivismus von Migranten prägen. Dies wird ebenso deutlich in einer Studie von Koopmans und Statham (2001), die den Einfluss von Staatsbürgerschaftsregimen auf die Forderungen von Einwanderern und ethnischen Minderheiten in Großbritannien und Deutschland im Zeitraum von 1990 bis 1995 untersuchen. Dieser Vergleich ist aufschlussreich, da große Unterschiede zwischen den beiden Ländern hinsichtlich der politischen Strategie zur Integration von Minderheiten bestehen, in denen sich die beiden unterschiedlichen Staatsbürgerschaftstraditionen widerspiegeln. In Deutschland spielen Einwanderer und ihre Organisationen aufgrund ihres überwiegenden Ausschlusses von der formalen Staatsbürgerschaft im politischen Prozess eine marginale Rolle. Abgesehen von den schwachen Ausländerbeiräten
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auf lokaler Ebene verfügen Ausländer in Deutschland weder über institutionalisierte Zugangskanäle zum politischen Prozess noch gibt es eine offizielle Minderheiten- oder Gleichberechtigungspolitik. In Großbritannien dagegen wird die Organisation und politische Partizipation von Einwanderern vom Staat unterstützt. Dort ist eine staatlich geförderte „race relations“ Industrie entstanden, unterstützt durch die Anti-Diskriminierungsgesetzgebung und die Autorität der „Commission for Racial Equality“ sowie lokaler Gremien, die über die Umsetzung der Gleichbehandlung insbesondere auf dem Arbeitsmarkt berichten und beraten (Solomos 1993; Joppke 1996). In Deutschland ist Zugang zur und Beteiligung in der politischen Gemeinschaft für ausländische Migranten durch symbolische und formelle Schranken erschwert, da lange Zeit ein ethnisches Verständnis der politischen Gemeinschaft vorherrschte, das erst durch die Neuregelung des Staatsbürgerrechts im Jahr 2000 zumindest formal in Ansätzen geändert wurde. Im Gegensatz dazu bietet Großbritannien einen wesentlich einfacheren Zugang zur Staatsbürgerschaft und zusätzlich eine begrenzte, aber dennoch beträchtliche Anerkennung kultureller Eigenheiten, was dem liberalen Modell demokratischer Gemeinschaft mit multikulturalistischen Elementen entspricht. Koopmans und Statham finden in der Tat große Unterschiede in den Organisationsformen und Forderungen ethnischer Minderheiten193 zwischen Großbritannien und Deutschland: Während Einwanderer in Großbritannien auf der Basis ihrer „rassischen“ und kulturellen Verschiedenheit von der Mehrheitsgesellschaft mobilisieren, beziehen sich die Identitäten von Minderheiten in Deutschland auf nationale und ethnische Kategorien ihrer Heimatländer. Die Identifikation ethnischer Minderheiten mit nationalen oder ethnischen Kategorien beträgt in Deutschland 83 Prozent, in Großbritannien hingegen nur 19 Prozent.194 Insgesamt spielen die Forderungen und Ansichten ethnischer Minderheiten im öffentlichen Diskurs über Migration und ethnische Beziehungen in Großbritannien eine wichtigere Rolle als in Deutschland.195 Die Autoren fanden in Deutschland 193
Koopmans und Statham unterscheiden vier Typen kollektiver Identitäten von Einwanderern und ethnischen Minderheiten: nach Status (jenseits ethnischer und kultureller Unterschiede auf der Basis eines gemeinsamen Status als Einwanderer, Minderheiten, Ausländer, Asylsuchende oder Aussiedler), Rasse, Religion und nationaler oder ethnischer Gruppe. Diese Identifikationstypen überschneiden sich und konkurrieren in erheblichem Maße miteinander (ebd. 136f). 194 Als zweiten Indikator für kollektive Identitäten führen die Autoren den Namen der Organisation, die die jeweilige Forderung vorgebracht hatte, auf. Namen von Organisationen sind ein wichtiges Mittel der Selbstdarstellung von Gruppen. Mit diesem Indikator ändert sich am Ergebnis nichts, nationale Herkunft wird als Basis für kollektive Identitäten in Deutschland sogar noch bedeutsamer (86 Prozent) und rassische oder religiöse Identifikationen bleiben extrem marginal. 195 Ethnische Minderheiten selbst stellten 21 Prozent aller Forderungen zu diesem Thema, mehr als die nationale Regierung (14 Prozent) oder Parlamentsmitglieder (13 Prozent). In Deutschland waren nur sieben Prozent der Forderungen von Minderheiten selbst, ihr Einfluss in einer Debatte, in der es um sie geht, ist deutlich geringer als derjenige von Minderheiten in Großbritannien (ebd. 144).
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wenig Druck seitens der ethnischen Minderheiten zur Anerkennung kultureller Identitäten und besonderer Gruppenrechte. Die Mehrzahl der Forderungen in Deutschland bezieht sich auf die politische Situation im Heimatland der Migranten (41,5 gegenüber 4,2 Prozent in Großbritannien). In Großbritannien sind solche Forderungen nebensächlich, denn die Minderheiten konzentrieren sich dort in erster Linie auf ihre Rechte und ihre Integration in die britische Gesellschaft, die Forderungen britischer Migranten beziehen sich zu 95,5 Prozent auf nationale Behörden des Aufenthaltslandes (im Vergleich zu 73,3 Prozent in Deutschland) (ebd. 142f). Im deutschen Kontext sind insgesamt heimatbezogene Organisationen, Adressaten und Forderungen viel wichtiger. Sofern sich Migranten in Deutschland auf ihre Situation in ihrem Wohnland beziehen, sind ihre Forderungen überwiegend defensiv und richten sich gegen offene Fremdenfeindlichkeit und rassistische Gewalt. Solche Forderungen fehlen zwar auch in Großbritannien nicht, es findet sich dort aber zusätzlich eine beträchtliche Zahl proaktiver Forderungen nach der Erweiterung von Minderheitenrechten. Vor allem die muslimische Gemeinschaft stellt solche Forderungen. Das Fehlen einer bedeutsamen Zahl solcher Forderungen in Deutschland mit einer ebenfalls großen muslimischen Bevölkerung zeige, „dass Forderungen nach multikulturellen Rechten nicht notwendigerweise die Folge der Präsenz einer zahlreichen Bevölkerung von nicht-europäischen, kulturell verschiedenen Migranten sind, sondern von der Verfügbarkeit politischer Gelegenheiten abhängig, die solche Forderungen legitimieren und ermutigen“ (ebd. 150).
Das nationale Staatsbürgerschaftsregime habe entscheidende Auswirkungen auf die Identitäten, Organisationsformen und Inhalte von Forderungen ethnischer Minderheiten. Insgesamt spiegelten „(d)ie Muster von Minderheitenforderungen (…) in einem hohen Maße wider, wie der Nationalstaat in beiden Ländern jeweils die Beziehung zwischen ethnischen Minderheiten und der politischen Gemeinschaft definiert“ (ebd. 150). Allerdings zeigt das Beispiel Großbritannien auch, dass kulturelle Unterschiede bisweilen stärker sein können als staatliche Definitionen. Die rassische Bezeichnung „asiatisch“ ist zwar die offiziell geförderte Identität für Migranten vom indischen Subkontinent, aber die muslimische Identität von Einwanderern aus Pakistan und Bangladesh besitzt einen deutlich stärkeren Einfluss auf deren Selbstidentifikation. Den Möglichkeiten nationaler Integrationsformen, die Identität der Migranten nach staatlichen Vorstellungen zu prägen, sind offensichtlich Grenzen gesetzt (ebd. 140). Diese Ergebnisse werden durch eine zwischen Orten und Ländern vergleichende Analyse der Beteiligung von Migranten und ethnischen Minderheiten in öffentlichen Debatten und ihrer Mobilisierung in Form von Forderungen im Aufenthaltsland gestützt (Koopmans 2004). Die Analyse beruht sowohl auf Medieninhaltsanalysedaten für Deutschland, die Niederlande und Großbritannien als
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auch auf Indikatoren wie Naturalisierungsraten und die relative Stärke konservativer Parteien. In einer ersten Analyserunde werden 16 deutsche Regionen und Städte verglichen. Es treten deutliche Unterschiede zwischen den Orten hervor, die mit den Erwartungen des politischen Gelegenheitsmodells übereinstimmen. Die Ergebnisse legen eine starke und positive Beziehung offen zwischen der Inklusivität lokaler Inkorporationsregime und dem Ausmaß, zu dem Einwanderer proaktiv an öffentlichen Debatten teilnehmen, die sie betreffen. Die politischen Orientierungen richten sich dort am meisten an den Herkunftsländern aus, wo Einwanderern nur wenige Zugangskanäle zum Entscheidungsfindungsprozess offenstehen und ihnen wenig Legitimität im öffentlichen Raum zugebilligt wird.196 In einem zweiten Schritt wird diese Analyse auf die Niederlande und Großbritannien ausgeweitet, wobei sich herausstellt, dass das Ausmaß der Unterschiede zwischen den Ländern deutlich größer ist als die lokale Varianz innerhalb der einzelnen Länder.197 Damit widersprechen die Ergebnisse der Ansicht, der Nationalstaat sei weitgehend irrelevant für die Inkorporation ethnischer Minderheiten; stattdessen entscheidend seien postnationale oder lokale Kontexte. Die lokale politische Gemeinschaft der Stadt oder Kommune ist sicher der Ort, an dem wichtige Dinge passieren, die das Leben, die soziale Position und die unmittelbare Zukunft der Bürger direkt betreffen.198 So interessant lokale Unterschiede sind, der Rahmen ihrer Gelegenheitsstrukturen wird in erster Linie durch nationale Politik und Gesetzgebung vorgegeben. Nicht umsonst ist Multikulturalismus „essentially a critique of the nation-state, and many of the issues it raises – involving the symbols and institutions of nationhood – can, by their very nature, only be addressed at the level of the state” (Crowley 2001: 253). Die Sprache politischer Rechtfertigung ist in Westeuropa vorherrschend staatszentriert: „Political career structures, modes of political organisation, relations between politics and the media, all these features continue to shape a predominantly national and state-centred political field. The ‘local field’ is one of its modes of expression, not an autonomous alternative to it” (ebd. 257).
196 Auch Sackmann (2004: 200-209) zeigt in ihrer Analyse Unterschiede in den Integrationsansätzen zwischen Kommunen innerhalb desselben Staates, nämlich in den Städten La Courneuve und Roubaix in Frankreich sowie Rotterdam und Utrecht in den Niederlanden. 197 Diese Ergebnisse werden ebenfalls von der Studie von Rath et al. (2001) unterstützt. Die Autoren finden deutliche Unterschiede in der Institutionalisierung des Islam in den Niederlanden, Belgien und Großbritannien, die den institutionellen Arrangements und Traditionen öffentlicher Akzeptanz von Religionen in den jeweiligen Gesellschaften und den entsprechenden Unterschieden der Interaktion zugeschrieben werden können. 198 Im Englischen ist der Bezug zwischen Staatsbürgerschaft (citizenship) und Stadt (city) schon etymologisch deutlich.
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Die Inklusion von Einwanderern und ethnischen Minderheiten in formelle und informelle Kanäle politischer Beteiligung ist ein Teil ihrer Integration im Sinne des Prozesses, zu einem akzeptierten Teil der Gesellschaft zu werden (Penninx/ Martiniello 2004: 141). Friedliche politische Beteiligung ist ein Zeichen der Akzeptanz demokratischer Spielregeln, dem normativ minimalen Anspruch an eine demokratische Gemeinschaft. Interesse an der Politik im Aufenthaltsland sowie proaktives, nicht nur defensives Engagement zu seiner Veränderung können darüber hinaus als Zeichen der Identifikation mit der demokratischen Gemeinschaft interpretiert werden. Die empirischen Studien machen deutlich, dass solche Orientierungen und Handlungen ethnischer Minderheiten durch eine inklusive, liberale sowie stärker multikulturalistische Rahmensetzung auf lokaler und mehr noch nationaler Ebene gefördert werden, nicht jedoch durch exklusiven Umgang wie in ethnischen Modellen. Allerdings sind auch in diesen Studien die Grenzen zwischen individualistisch liberalen und stärker multikulturalistisch orientierten Modellen nicht deutlich, so dass deren jeweilige Vor- und Nachteile wiederum nicht angemessen bewertet werden können. Auch hier bleibt somit die Schlussfolgerung, dass mehr und differenziertere empirische Vergleich noch ausstehen. 9.3 Fazit Die aufgezeigten empirischen Studien zum Verhältnis von nationaler und subnationaler Identität machten deutlich, dass eine starke Identifikation mit Gemeinschaft auf beiden Ebenen gleichzeitig möglich ist, allerdings je nach Haltung der politischen Gemeinschaft gegenüber der jeweiligen subnationalen Gemeinschaften und je nach Verständnis politischer Identifikation. Patrioten sind toleranter gegenüber ethnischen Minderheiten als Nationalisten, und während sich Minderheiten weniger mit der politischen Gemeinschaft identifizieren als Mehrheiten, ist ihr bereichsspezifischer Nationalstolz deutlich größer als der allgemeine. Diese Differenzierungen legten nahe, den Kontext solcher Identifikationsprozesse und ihrer Negation in Form von gewaltsamen Konflikten näher zu betrachten. In der Tat erwiesen sich Demokratien in einem weltweiten Vergleich verschiedener Regimeformen als besser fähig, ethnische Konflikte durch friedliche Proteste statt gewaltsamer Rebellionen auszutragen, auch wenn sie ein erstaunliches, demokratischen Gleichheitsnormen widersprechendes Maß an Diskriminierung gegenüber ethnischen Minderheiten aufweisen. Sowohl in der Konfliktregelungsfähigkeit als auch hinsichtlich der Systemunterstützung durch ethnische Minderheiten fanden sich Unterschiede zwischen verschiedenen Demokratieformen, die konsoziative Ansätze unterstützen. Hier ist der Unterschied in der Sys-
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temunterstützung zwischen Gewinnern und Verlierern deutlich geringer und vor allem die Gefahr kleiner, als Minderheit wiederholt zu den Verlierern zu gehören und sich deshalb vom System abzuwenden. Die Vorteile des konsoziativen Modells kommen jedoch erst dann voll zum Tragen und erhöhen die Zufriedenheit von Minderheiten mit dem System, wenn diese einigermaßen geeint sind und mit einer Stimme sprechen. Werden gruppeninterne Minderheiten nicht in die Machtteilung einbezogen oder sind diese nicht zur Machtteilung bereit, wie es häufig bei radikalisierten Abspaltungen der Fall ist, gefährdet dies den Erfolg jeder noch so umsichtigen Gestaltung der Institutionen.199 Konsoziative Demokratie beinhaltet als bestimmte Form konsensueller Demokratie, bei der die Machtteilung entlang von ethnischen Spaltungslinien verläuft, sowohl formelle Mechanismen, wie ein proportionales Wahlsystem, als auch informelle Faktoren, wie Koalitionsbildung und einen bestimmten Verhaltenskodex der Eliten. Formelle Unterscheidungen weder zwischen Präsidentialismus und Parlamentarismus noch zwischen majoritärem und proportionalem Wahlrecht sind ausreichend, um die tatsächliche Machtteilung zwischen allen relevanten Gruppen zu erfassen, so dass sich diese Formalia auch nicht eindeutig auf Konflikt- und Identifikationsprozesse auswirken.200 Dass formelle Kriterien nicht ausreichen, sondern informelle Mechanismen des Ein- oder Ausschlusses und die faktische Machtverteilung mitberücksichtigt werden müssen, zeigt das Ergebnis, dass es in ethnischen Hegemonien zu deutlich mehr gewaltsam ausgetragenen ethnischen Konflikten kommt als in nicht hegemonen Systemen. Von herausragender Bedeutung ist für diese Einteilung das implementierte Staatsbürgerschaftsregime, wobei parallel zu den Ergebnissen zur Demokratieform hier der Einbezug sowohl der legalen als auch kulturellen Dimension interessante Ergebnisse erbrachte. Beide Dimensionen beeinflussen deutlich die Bereitschaft der Mehrheitsbevölkerung, ethnische Minderheiten sowohl in politischer als auch sozialer Hinsicht zu tolerieren. Das Staatsbürgerschaftsregime mediiert sogar beträchtlich relevante individuelle Einflussfaktoren auf Toleranz. Ebenso beeinflusst es die kollektiven Identifikationen, Forderungen und Handlungen ethnischer Minderheiten selbst, indem es Gelegenheiten zur Verfügung stellt und definiert, welche Forderungen als legitim betrachtet werden. Während das ethnische Modell demokratischer Gemeinschaft – Machtkonzentration der Mehrheit (kollektivistisches Nationsverständnis) bei ethnischer 199
Der Irak ist ein Beispiel, wo Bemühungen nicht nur durch die Spaltungen zwischen ethnischen Gruppen, sondern auch durch gruppeninterne Feindschaften bisher im Keim erstickt werden. 200 Andere Machtverteilungen, insbesondere in sozio-ökonomischer Hinsicht, spielen eine ebenso große Rolle, die in den Modellen nicht mitgedacht werden. Malaysia ist ein Beispiel für die politische Dominanz der Malayen, zu der vor allem die ökonomische Vormachtstellung der chinesischen Minderheit ein Gegengewicht darstellt.
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Institutioneller Einfluss
Definition der Mitgliedschaft – bei jedem der betrachteten Aspekte einer umfassenden demokratischen Gemeinschaft (Austragungsform ethnischer Konflikte, Zustimmung der Verlierer, Toleranz der Mehrheit und Identifikation von Minderheiten) schlecht abschnitt und ein wirklich republikanisches Modell – Machtkonzentration (kollektivistisch) bei inklusiver Definition der Mitgliedschaft – kaum auffindbar ist, zeigt die Empirie, dass in der Tat das liberale und stärker multikulturalistisch bis hin zu konsoziative Modell als normative und institutionelle Rahmen das Potenzial einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz am meisten fördern. Allerdings werden in den bisherigen Studien die normativen und institutionellen Unterschiede zwischen liberalem und konsoziativem Modell nicht ausreichend berücksichtigt, so dass wir von einer empirisch fundierten Bewertung der jeweiligen Leistungsfähigkeit in der tatsächlichen Förderung einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz im direkten Vergleich noch nicht profitieren können. Hier besteht vielversprechender Forschungsbedarf. Abgesehen von der Forschungslücke eines Länder übergreifenden, am besten globalen Vergleichs institutionalistischer Erklärungen mit ausreichend feinen Unterscheidungen verschiedener Demokratie- und Konflikttypen sowie formaler und informeller Mechanismen muss man auch beachten, dass ethnische Konflikte, besonders in ihrer gewaltsamen Form, stark regional und lokal konzentrierte Phänomene sind. Politische Institutionen setzen den breiteren Rahmen für politisches Handeln, legen manche Strategien nahe und eröffnen Möglichkeiten – welche Strategien und Möglichkeiten von politischen Parteien und Autoritäten jedoch letztlich gewählt werden, variiert ebenso wie das soziale Umfeld von Ort zu Ort. Die Hinwendung zu tatsächlichen Prozessen und Strukturen sozialen Lebens ist unumgänglich, da angenommen werden kann, dass die Relevanz kollektiver Identitäten für das Individuum eng mit persönlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen verbunden ist. Die aufgezeigten Studien vor allem in Form von nationalen Vergleichen lieferten anschauliche Belege dafür, dass Unterschiede in der Integration ethnischer Differenz verkörpert durch Einwanderer und ethnische Minderheiten mit unterschiedlichen normativen und institutionellen Rahmen verbunden sind. Die umfassende Gesellschaft mit ihren institutionellen Strukturen und Reaktionen auf Neuankömmlinge und Minderheiten hat großen Einfluss auf das Ergebnis dieses Prozesses als die Minderheiten selbst. Penninx und Martiniello warnen auf der Grundlage der Ergebnisse verschiedener lokaler und nationaler Vergleiche, dass Integrationspolicies – politisch von der Gesellschaft (häufig durch Mehrheitsbeschluss) bestimmt – das inhärente Risiko von Einseitigkeit in sich trügen, „of putting an overemphasis on the expectations and demands of society (or its dominant elements) and too little emphasis on immigrants’ opportunities for
Fazit
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participation or on negotiation and agreement with immigrant groups themselves“ (Penninx/ Martiniello 2004: 142). Einwanderer und ethnische Minderheiten sind jedoch nicht nur passive Objekte, sondern mehr oder weniger aktive Akteure, die ihren Teil zu Integrations- und Identifikationsprozessen beitragen und mit Institutionen interagieren. Eine andere Kategorie von vergleichenden Studien untersucht daher Integrationsprozesse von verschiedenen Gruppen im selben institutionellen Kontext einer Nation oder Stadt.201 Den entscheidenden Unterschieden zwischen Gruppen, ihrer Organisiertheit und Verbundenheit sowie letztlich deren Einfluss auf Identifikation mit der politischen Gemeinschaft und damit auf die Existenz und Persistenz bestimmter Modelle demokratischer Gemeinschaft sind die nächsten Kapitel gewidmet.
201
So zeigen Vermeulen und Penninx (2000), dass sich Molukkaner, Surinamesen, Antillen, Südeuropäer, Türken und Marokkaner in den Niederlanden trotz gleicher institutioneller Rahmenbedingungen in der Geschwindigkeit ihrer Integration und in den Pfaden, denen sie in der Regel folgen, deutlich unterscheiden.
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Gruppenbasierter Einfluss
10 Gruppenbasierter Einfluss
Die in Institutionen enthaltenen Vorstellungen über die demokratische Gemeinschaft haben offensichtlich einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Identifikation mit dieser Gemeinschaft. Dabei übernehmen Institutionen sowohl kulturelle Funktionen im Sinne einer Sozialisation der Bürger in geteilte Normen als auch stellen sie den Rahmen für Wahlentscheidungen rationaler Individuen; sie sind daher sowohl für eine kulturalistische Herangehensweise als auch für Ansätze rationaler Wahl wichtig. Allerdings sind die Organisationsstrukturen des politischen Systems, die politischen Rahmenbedingungen nur eine Seite der Medaille. Die gruppeninternen Bedingungen wie aktuelle Bedeutung der ethnischen Identität, Kohäsion und Netzwerke unter den Gruppenmitgliedern sowie Mobilisierungsmuster haben ebenfalls potenziell erheblichen Einfluss auf die Identifikation mit der politischen Gemeinschaft, indem sie ebenso Sozialisationsund Gelegenheitsstrukturen zur Verfügung stellen. Die Zusammenhänge zwischen Netzwerken und Orientierungen wie Normen und Vertrauen sind Teil der Forschung über Sozialkapital, das sowohl politischen als auch ethnischen Gemeinschaften zugeschrieben werden kann. 10.1 Sozialkapital politischer und ethnischer Gemeinschaften 10.1.1 Sozialkapital und Demokratie Sozialkapital ist ein umstrittenes Konzept, da es häufig nicht klar definiert verwendet wird. Für manche Autoren ist es lediglich ein eleganter Begriff, um die Aufmerksamkeit auf mögliche Vorteile von Gesellschaftlichkeit zu ziehen, was vergleichbar ist “with a nuanced understanding of the pros and cons of groups and communities“ (Portes/ Landolt 1996: 21). Die meisten Arbeiten zum Sozialkapital folgen jedoch der Konzeptualisierung von James Coleman (1988; 1991) und Robert Putnam (1993; 2000), indem sie Sozialkapital so verstehen, dass es sich auf Aspekte der Sozialstruktur beziehe, die bestimmte Handlungen vor allem durch Sozialisation der Akteure in kooperatives Verhalten vereinfachten. Besonders einflussreich ist Putnams Unterscheidung zwischen drei Komponenten von Sozialkapital – Netzwerke, Normen und Vertrauen –, die dabei helfen, kollektive Handlungsprobleme zu lösen (1993: 36). Viele neuere Definitionen und Anwendungen des Konzepts distanzieren sich allerdings von Putnams ur-
Sozialkapital politischer und ethnischer Gemeinschaften
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sprünglicher Annahme, dass die verschiedenen Komponenten von Sozialkapital eng miteinander verbunden sind. Die Existenz einer starken Beziehung zwischen sozialen Netzwerken, Normen und Vertrauen wird zumeist nicht mehr von vornherein angenommen, sondern empirisch untersucht (vgl. Gabriel et al. 2002). Außerdem werden verschiedene Dimensionen der drei Komponenten von Sozialkapital in Betracht gezogen sowie ihre Verbindungen zu anderen Phänomenen. Zum Streit um das Konzept des Sozialkapitals trägt vor allem dessen Anwendung auf zwei unterschiedlichen Ebenen bei: Sozialkapital auf individueller Ebene kann als „resources embedded in a social structure which are accessed and/or mobilized in purposive actions“ (Lin 2001: 12) verstanden werden. Entscheidend für dieses Beziehungskapital sind Größe und Ressourcen des Netzwerkes eines Individuums sowie die Natur der Verbindungen. Auf der Gruppenebene bedeutet es die Fähigkeit, kollektive Ziele durch Zusammenarbeit, Zusammenlegung von Ressourcen und Reduzierung von Transaktionskosten zu erreichen, so dass es sich hier um Systemkapital handelt. Auf beiden Ebenen kann man Struktur und Inhalt auseinanderhalten: strukturelles Element ist das Netzwerk von einem Akteur oder von einer Gruppe von Akteuren und ihr Inhalt ist auf individueller Ebene interpersonales und generalisiertes Vertrauen sowie die Internalisierung von Normen und auf kollektiver Ebene deren kollektive Manifestation in Form von Loyalität und verwandten Konzepten wie das gesellschaftsweite Ausmaß an pro-sozialen Einstellungen wie Vertrauen, Gegenseitigkeit und Toleranz, die für Demokratie als notwendig betrachtet werden. Hier wird die Relevanz für den Zusammenhang dieser Arbeit deutlich: diese prosozialen und demokratischen Normen und Orientierungen zeichnen eine demokratische Gemeinschaft aus, in der sich die Mitglieder gegenseitig als Freie und politisch Gleiche betrachten. Inwiefern sie vom strukturellen Element der Verbindungen zwischen Menschen und Gruppen beeinflusst werden, ist Teil der Forschung über Sozialkapital. Tabelle 12: Vielschichtigkeit von Sozialkapital
Strukturelle Elemente
SOZIALKAPITAL ALS INDIVIDUELLE RESSOURCE: BEZIEHUNGSKAPITAL
SOZIALKAPITAL ALS KOLLEKTIVGUT: SYSTEMKAPITAL
Beziehungen, persönliche Netzwerke
Verteilung von Netzwerkstrukturen
Interpersonales und generalisiertes Vertrauen Internalisierung pro-sozialer Normen und Einstellungen wie Vertrauen, Gegenseitigkeit und Toleranz Quelle: in Anlehnung an Gabriel et al. 2002: 29. Inhaltliche Elemente
Gesellschaftsweites generalisiertes Vertrauen Gesellschaftsweites Ausmaß an prosozialen Einstellungen wie Vertrauen, Gegenseitigkeit und Toleranz; Loyalität
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Gruppenbasierter Einfluss
In der politikwissenschaftlichen Forschung werden weniger Netzwerke zwischen Individuen und Gruppen untersucht als vielmehr zivilgesellschaftliche Vereinigungen als strukturelles Element von Sozialkapital. Dabei werden informelle Netzwerke und die in ihnen enthaltene Norm und Praxis der Kooperation als Grundlage der Bildung formeller Organisationen wie Vereinigungen und politische Parteien, welche die Präferenzen der Individuen aggregieren, angesehen (vgl. Putnam 1993). Diese dienen als Mediatoren zwischen der Sozialstruktur und dem politischen Regime; sie übersetzen soziale Trennlinien in den politischen Prozess und haben wiederum Einfluss auf das Selbstverständnis und die interne Struktur einer Gruppe. Da Sich-Vereinigen inhärent mit der Disposition zu kooperieren verbunden ist, wird von Vereinigungen erwartet, dass sie Reziprozität, Anerkennung und Vertrauen fördern. Hierauf beruht der große Stellenwert für den Zusammenhalt moderner Gesellschaften, welcher der Ressource Sozialkapital zugeschrieben wird. Auf den Sozialtheorien von Toqueville und Mill aufbauend seien die Ursprünge von Vertrauen in den Netzwerken freiwilliger Organisationen der Zivilgesellschaft zu finden. Vertrauen wiederum wird als notwendige Bedingung für soziale Integration, ökonomische Effektivität und demokratische Stabilität angesehen (Coleman 1988: 306; Putnam 1993, 2000; Fukuyama 1995). Zugrunde liegt eine sozialpsychologische Vorstellung über die Wurzeln effizienten Regierens und sozialer Institutionen, die auf der Sozialisation von Individuen in kooperatives Verhalten aufbaut. Durch ziviles Engagement lernten Menschen, anderen zu vertrauen, auch wenn sie sie nicht kennen. Zusätzlich entwickelten sie Selbstachtung und politische Fähigkeiten sowie Einstellungen, die für eine Beteiligung in der politischen Arena notwendig sind. Wie in Teil B erläutert, wird dies von Kommunitaristen besonders betont, in Anlehnung an die republikanische Grundidee der Notwendigkeit politischer Beteiligung: Zivilgesellschaftliche Beteiligung unterstütze die Herausbildung bürgerlicher Tugenden wie Toleranz, Gegenseitigkeit und Vertrauen und stärke so insgesamt die demokratische Gemeinschaft. Während Modernisierungstheorien die Unterstützung demokratischer Werte durch individuelle Merkmale wie Bildung und sozio-ökonomische Ressourcenausstattung erklären (Inglehart 1990, 2000; Inglehart/ Baker 2000; Welzel 2002) und andere die Charakteristika politischer Institutionen und ihre Performanz betonen (Norris 1999a), findet sich die empirische Perspektive zum Zusammenhang von Vereinigungen und Demokratie in der politischen Kulturforschung wieder. Almond und Verba (1963: 208ff) stellen in den beiden traditionsreichen Demokratien USA und Großbritannien, die sich durch ein funktionsfähiges System intermediärer Organisationen auszeichneten, ein deutlich größeres interpersonales Vertrauen fest als in den posttotalitären Gesellschaften Deutschlands und Italiens, in denen der Bestand und die Funktionsfähigkeit des bürgerlichen Ver-
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einigungssystems durch die zuvor bestehenden totalitären Strukturen erheblich beeinträchtigt wurden. Der Zusammenhang zwischen Alter des demokratischen Systems und dem Ausmaß generalisierten Vertrauens unter den Bürgern in 43 Gesellschaften wurde jüngst wieder bestätigt (Inglehart 1997). Ebenso findet sich empirisch ein Zusammenhang zwischen Demokratie und Sozialkapital in seiner umfassenden Form, sowohl strukturelle als auch inhaltliche Elemente vereinigend (vgl. Paxton 2002; Skocpol et al. 1999; Clemens 1999). Putnam (1993) stieß mit seinem viel beachteten Vergleich italienischer Regionen, in denen mehr Sozialkapital zu einem besseren Funktionieren der demokratischen Strukturen führt, weitere Forschung zu diesem Zusammenhang an. So untersucht Pamela Paxton (2002) weltweit Sozialkapital als aggregiertes Muster von Ländern und versteht darunter formale Vereinigungen zwischen Individuen, die reziprok, vertrauensvoll und positiv affektiv sind. Sie vergleicht Daten des World Value Survey über 48 Länder und Informationen über 101 Länder anhand des Yearbook on International Nongovernmental Organisations und findet in der Tat einen positiven Zusammenhang zwischen Sozialkapital und der Bildung und Aufrechterhaltung gesunder demokratischer Institutionen202 (ebd. 256). Sie betont jedoch, dass diese Beziehung reziprok sei, da Demokratie die zwei Komponenten von Sozialkapital – Vereinigungen und Vertrauen – signifikant beeinflusse, wie schon Almond und Verba zeigten, das Verhältnis also nicht nur in der entgegengesetzten Richtung verläuft, wie es die Sozialkapitalhypothese zumeist betont. Wichtig ist darüber hinaus das Ausmaß des Vertrauens in einer Gesellschaft insgesamt.203 Besteht wenig Vertrauen, hat ein Anstieg an Vereinsmitgliedschaften einen negativen Einfluss auf Demokratie. Nur in einem allgemeinen Klima von gegenseitigem Vertrauen, wenn also mindestens 50 Prozent der Bevölkerung generell vertraut, führen mehr Vereinigungen zu mehr Demokratie: Vereinigungen in einem Klima von Misstrauen sind potenziell schädlich für Demokratie (Paxton 1999). Dies bestätigen Rose und Weller (2003), die für Russland zeigen, dass weder Vertrauen noch Vereinsmitgliedschaft mit mehr Unterstützung demokratischer Werte verbunden sind. Netzwerke können auch die Unterstützung undemokratischer Regierungsformen verstärken. Man kann daraus folgern: „context matters both for social capital and support for democratic values“ (ebd. 215, 202
Im Sinne einer allgemeinen Messung liberaler Demokratie (vgl. Bollen 1998). Insoweit die Determinanten generalisierten Vertrauens bisher ausfindig gemacht wurden, stimmen sie weitgehend mit den Determinanten von Toleranz überein und schließen Bildung, ökonomische Sicherheit, Rassenzugehörigkeit, Alter und Geschlecht ein – wobei jedoch Alter und Zugehörigkeit zu einer Minderheitenrasse auf Vertrauen entgegengesetzt wirken wie auf Toleranz (Patterson 1999). Die Größe der Gemeinschaft beeinflusst ebenfalls das Ausmaß des Vertrauens (Putnam 2000: 138). Darüber hinaus findet Putnam, dass Fernsehkonsum einen negativen, Zeitunglesen einen positiven Effekt auf generalisiertes Vertrauen haben(ebd. 34, 53, 218-220). 203
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Hervorhebung im Original; vgl. auch Newton/ Norris 2000; Mishler/ Rose 2001). Für unseren Zusammenhang stellt sich daher im Besonderen die Frage, ob die Annahmen und Ergebnisse über den Zusammenhang zwischen Vereinigungen und Demokratie auch auf multikulturelle Gesellschaften und ethnische Gemeinschaften übertragen werden können. Haben starke ethnische Organisationen204 und Subkulturen auch einen positiven Effekt auf die politische Integration ihrer Mitglieder in die größere politische Gemeinschaft? Oder bleiben das in ethnischen Gemeinschaften produzierte Sozialkapital und damit verbundenes Vertrauen und Solidarität begrenzt auf die eigene ethnische Gruppe und sind daher eher schädlich für die Integration in die breitere Gesellschaft? Die Ergebnisse von Dowley und Silver (2003), die den Zusammenhang von Sozialkapital auf der individuellen Ebene, Ethnizität und Unterstützung der Demokratie in 20 post-kommunistischen Staaten205 untersuchen, untermauern die Bedeutung des Kontexts. Die allgemein verwendeten Indikatoren von Sozialkapital – Interesse an Politik, Mitgliedschaft in freiwilligen Vereinigungen und interpersonales Vertrauen – sind insgesamt nur schwach mit dem Ausmaß an Demokratisierung in diesen Ländern verbunden. Die Autoren finden hier keinen positiven Zusammenhang zwischen aggregierten Maßen an Sozialkapital und Demokratisierung, weder wenn das Maß der Demokratisierung extern bestimmt wird noch wenn es auf umfragebasierten Antworten zum Maß des Vertrauens in und Zufriedenheit mit Demokratie beruht (ebd. 116).206 Dabei ist interpersonales Vertrauen konsistent positiv mit Unterstützung der Demokratie, der Regimeinstitutionen und der Regimeperformanz verbunden (ebd. 114). Interesse an Politik und organisatorische Mitgliedschaft sind hingegen die zwei Sozialkapitalsindikatoren, die in einem multi-ethnischen Kontext unterschiedlich wirken. Politische Mobilisierung ist unter denjenigen besonders zu erwarten, die mit der neu etablierten Ordnung weniger zufrieden sind. Die Autoren finden, dass Interesse an Politik bei titularen Nationalitäten zwar positiv mit Unterstützung der Institutionen und Demokratie korreliert, ein solch erhöhtes politisches Interesse aber für Russen im nahen Ausland und andere Minderhei204 Unter ethnischen Organisationen verstehe ich solche, deren Mitglieder größtenteils oder ausschließlich Angehörige einer ethnischen Gemeinschaft sind oder die sich größtenteils oder ausschließlich für die Interessen oder das Wohl einer ethnischen Gemeinschaft einsetzen. 205 Polen, Ungarn, Slowenien, Kroatien, Rumänien, Tschechoslowakei, Bulgarien, Mazedonien, Yugoslawien, Bosnien-Herzegowina, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Russland, Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Estland, Lettland und Litauen. 206 Um die 55 Prozent der ethnischen Gruppen in der Minderheit (16 der 29 Minderheitengruppen) vertrauen dem legalen System weniger als die Mehrheitsbevölkerung, während nur 45 Prozent dem nationalen Parlament weniger vertrauen als die Mehrheit. Aber 63 Prozent der Minderheitengruppen sind weniger zufrieden mit der Performanz des Regimes, und 60 Prozent drücken weniger Unterstützung demokratischer Prinzipien aus (ebd. 105).
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tengruppen negativ mit der Unterstützung demokratischer Prinzipien verbunden ist. „Hence, high levels of explicitly political interest among ethnic minorities do not represent social capital in the making, but perhaps political mobilisation against democratic development“ (ebd. 113). Auch für organisatorische Mitgliedschaft ist das Muster je nach Gruppe verschieden. Für die titularen ethnischen Gruppen scheint diese so zu wirken, wie es die Sozialkapitalstheorie vorhersagt: Beteiligung an freiwilligen Organisationen ist mit mehr Vertrauen in neue Institutionen und mehr Unterstützung des Regimes sowie demokratischer Ideale verbunden (wenn auch nicht signifikant). Für Russen im nahen Ausland hingegen ist Partizipation in freiwilligen Organisationen nicht mit mehr Unterstützung demokratischer Institutionen verbunden. Unter anderen ethnischen Minderheiten in der Region ist organisatorische Beteiligung zwar positiv und signifikant mit größerem Vertrauen in das legale System und mit mehr Zufriedenheit mit der Politik der Regierung verbunden, aber mit weniger Unterstützung der Demokratie als ideale Regierungsform (ebd. 113). Insgesamt erhöht somit verstärkte politische Beteiligung und soziales Engagement von Mitgliedern der Mehrheitsbevölkerung deren Unterstützung der Demokratie, der Regierung und der Regimeinstitutionen, während die mobilisierteren Mitglieder ethnischer Minderheiten Demokratie weniger unterstützen als die passiveren Mitglieder. Der Einfluss von Sozialkapital auf der individuellen Ebene unterscheidet sich demnach in den untersuchten, ethnisch pluralen und post-kommunistischen Transitionsstaaten je nach dem, ob ein Individuum der titularen oder einer ethnischen Gruppe in der Minderheit angehört.207 Die gängigen Komponenten von Sozialkapital können in bestimmten Kontexten ganz anders funktionieren: „In particular, high levels of interest in politics and high rates of participation in voluntary organisations in ethnically plural societies, especially but perhaps not uniquely in countries undergoing significant political transformations, might signal the ethnic polarisation of society and a consequent threat to democratic institutions, democratic values, and liberal notions of civil and political rights“ (ebd.).
Da die politische Gemeinschaft als oberste Ebene eines multidimensionalen Schemas politischer Unterstützung angesehen wird (vgl. Norris 1999b), kann man mit Dowley und Silver zweierlei annehmen: entweder hat Sozialkapital den erwarteten positiven Einfluss auf einigen dieser Ebenen, aber nicht auf anderen, möglicherweise also auf der Ebene der Unterstützung der Performanz des Re207 Allerdings sind die nicht-russischen Minderheiten insgesamt positiver gegenüber der Regierungsperformanz und Demokratie eingestellt, denn sicher bedeuteten die postkommunistischen Entwicklungen und der Demokratisierungsprozess der letzten zehn Jahre für Russen im nahen Ausland einen Verlust an Status als Gruppe. Für viele andere Minderheiten hingegen eröffneten sie neue Möglichkeiten, ihr kulturelles Leben zu entfalten oder politisch eine gewisse Unabhängigkeit zu erlangen.
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gimes, aber nicht auf der Ebene der politischen Gemeinschaft; oder nationale Einheit gemessen als allgemeine Unterstützung der politischen Gemeinschaft durch alle relevanten subnationalen Gruppen ist eine notwendige Vorbedingung dafür, dass Sozialkapital und Demokratisierung verbunden sind (Dowley/ Silver 2003: 102f). Die Autoren schließen aus ihren Ergebnissen, dass die Sozialkapitalstheorie nicht leicht von etablierten Demokratien auf ethnisch heterogene Gesellschaften in der Transitionsphase übertragen werden kann, da diese sowohl das Potenzial zur Befreiung von Minderheiten als auch zu ihrer Unterdrückung mit sich bringt, um die Grenzen des Staates oder die neu erworbene dominante Position zu sichern (ebd. 117). Für ethnisch plurale Gesellschaften ist Demokratisierung schwerer, wenn die ethnischen Gruppen in der Mehrheit kein inklusives Nationsbildungsprojekt verfolgen, oder wenn aufgrund einer Geschichte geprägt von Ungerechtigkeit gegenüber Minderheitengruppen diese in Zeiten von Unsicherheit auf eine Art mobilisieren, welche die nationale Einheit gefährdet. Wiederum wird also der Kontext in seiner Bedeutung dafür betont, ob ethnische Heterogenität den Zusammenhalt einer Gesellschaft beeinflusst und in welcher Richtung hierbei der Einfluss von Sozialkapital verläuft. So verwundert es kaum, dass Johnston und Soroka (2001) in einem ganz anderen Land, nämlich in Kanada, Zusammenhänge zeigen, die im Gegensatz zu den dargestellten Ergebnissen in post-kommunistischen Staaten stehen. Die Ergebnisse ihrer empirischen Untersuchung regionaler und ethnischer Unterschiede anhand von World Value Survey Daten sind eindeutig: „diversity is not obviously the enemy of social capital“ (ebd. 40). Sozialkapital hat hier auch unter den ethnischen Minderheiten die erwarteten Effekte, bürgerschaftliches Engagement und Vertrauen gehen bei allen Gruppen Hand in Hand. Zwar bestünden Unterschiede im Sozialkapital zwischen den ethnischen Gruppen, doch ließen sich diese weder auf eine lange zurückliegende Einwanderung noch auf die kulturelle Distanz von den traditionellen ‚Kern’-Ethnien Kanadas zurückführen. Die Gruppe mit dem größten Anteil an neuen Zuwanderern sei zwar am wenigsten beteiligt und vertraue anderen am wenigsten. Die Gruppe mit dem zweitgrößten Anteil an neuen Zuwanderern jedoch vertraue und beteilige sich am meisten (ebd. 38f). Zunehmende Diversität in einer Provinz führe ihrerseits auch nicht zum Rückzug der älteren Gruppen. Die ethnisch heterogensten Provinzen seien nicht die unzivilsten Orte, eher das Gegenteil scheint der Fall. Johnston und Soroka schließen: „The context that matters in the Canadian case is not the ethnic diversity of a province so much as the history of the whole country. (...) It is very relevant that one Canadian in four belongs to a national minority with a deeply equivocal relationship to the overarching political nationality. And it matters that Canada’s multicultural policy seems to have facilitated, not inhibited participation in the country’s political life“ (ebd. 41).
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Allgemein findet Integration nicht nur auf individueller, sondern auch auf kollektiver Ebene statt. Für multikulturelle Gesellschaften scheint besonders zu gelten, was es in jeder Zivilgesellschaft zu bedenken gilt: nicht alle Vereinigungen sind gut für Demokratie, nicht jede Art hat die erwarteten positiven Einflüsse auf die Entwicklung von gemeinschaftsförderndem Sozialkapital (vgl. Levi 1996; Stolle/ Welzel 2000; Olson 1982; Putnam 2000; Warren 2001a). Das Sozialkapital einer Gruppe in Form von Vereinigungen und Vertrauen ist für diese unstrittig positiv, kann jedoch positiv oder negativ mit Sozialkapital auf der umfassenden Ebene politischer Gemeinschaft verbunden sein. Milizen, religiöse Fundamentalisten oder ethnisch separatistische Gruppen können intern viel Sozialkapital aufweisen, Spaltungen in der umfassenden Gesellschaft jedoch verschärfen. Besonders Strukturen, die lediglich nahe Bindungen basierend auf Klientelismus und Hierarchie fördern, wie die Mafia, sind weder demokratie- noch gemeinschaftsfördernd. Ethnische Organisationen sind allgemein Ausdruck mobilisierter Ressourcen und Ambitionen ethnischer Gruppen. Sie können entweder akzeptierter Teil der Zivilgesellschaft sein und helfen, Integrationspolitiken zu entwickeln und zu implementieren, so dass sie zur Integration ihrer Mitglieder in die Gesellschaft beitragen – oder sie isolieren sich oder werden von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen, so dass ihnen keine fördernde Wirkung auf die Entstehung einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz zukommen kann. Woran erkennt man „wes Geistes Kind“ Vereinigungen sind? 10.1.2 Verschiedene Arten von Vereinigungen In der Regel werden Unterscheidungen hinsichtlich des Inhalts von Vereinigungen gemacht, wie die Kriterien oder die Ziele, um die sie sich vereinigen. Hierbei haben solche Vereinigungen den schlechtesten Ruf, die in erster Linie auf kulturellen Unterschieden wie Religion, Sprache und Ethnizität basieren. Ihre Ausschließlichkeit fragmentiere die Gesellschaft und verhindere pro-soziale oder pro-demokratische Effekte. Andererseits muss man jedoch auch beachten, dass sie gerade aufgrund ihres bindenden Charakters Individuen einen Sinn für Handlungsfähigkeit, Solidarität und Effektivität vermitteln können, insbesondere wenn die betreffende Gruppe von der dominanten Kultur marginalisiert wird. Eine wichtige Unterscheidung gerade unter ethnischen Vereinigungen ist zwischen denjenigen, die sich für Gleichstellung und umfassende Integration in die Mehrheitsgesellschaft bemühen, und solchen, die um den Ausbau der ethnischen Enklave, also um Sonderrechte zur Aufrechterhaltung ihrer kulturellen Eigenheiten kämpfen. Unstrittig negativ für gesamtgesellschaftliche Integration und die Existenz einer politischen Gemeinschaft sind Vereinigungen, die die Auflösung
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des politischen Systems insgesamt oder die Spaltung der Gemeinschaft anstreben. Abgesehen von diesen Fällen müssen jedoch auch ethnische Vereinigungen, die um kulturelle Eigenheiten strukturiert sind, nicht automatisch als spaltend eingeschätzt werden. Eine interessante Studie untersucht empirisch, welche Vereinigungen in der Tat den Zusammenhalt einer politischen Gemeinschaft durch mehr Sozialkapital fördern. Stolle und Rochon (1998) analysieren zwei Charakteristika von Vereinigungen: ihre Ziele und die Diversität der Mitglieder. Auf der Grundlage von sechs Bevölkerungsumfragen in drei Ländern – Schweden, Deutschland und den USA – betrachten sie die Mitgliedschaft in 43 verschiedenen Typen von Organisationen, die sie in sieben Kategorien gruppieren und Vereinssektoren nennen, nämlich Vereinigungen, die sich in erster Linie mit politischen oder ökonomischen Angelegenheiten beschäftigen, mit Gruppenrechten, kulturellen oder Gemeinschaftsthemen, mit privaten Interessen oder sozialer Freizeitgestaltung.208 Unter Sozialkapital fassen sie verschiedene Indikatoren, die sie vier Dimensionen zuordnen. Zunächst untersuchen sie den Effekt von Vereinsmitgliedschaft auf Beteiligung und Engagement, konkret auf politische Handlungen, Engagement in Gemeinschaftsangelegenheiten, Interesse an Politik und politische Effektivität. Zweitens schließen sie Indikatoren generalisierten Vertrauens und Gegenseitigkeit ein, drittens Vertrauen in öffentliche Vertreter und Institutionen und zuletzt allgemeinere Orientierungen wie Toleranz, die Einstellung gegenüber Trittbrettfahren und Optimismus, sowie die Bereitschaft, seinen Teil zu kollektiven Unternehmungen beizutragen und Zuversicht in die Kontinuität von sozialen und politischen Beziehungen zu haben. Es stellt sich heraus, dass die Mitgliedschaft in allen Arten von Vereinigungen am stärksten mit politischen Handlungen verbunden ist und am wenigsten mit allgemeinen Einstellungen wie Optimismus, Toleranz und derjenigen gegenüber Trittbrettfahren. Am wahrscheinlichsten haben kulturelle Organisationen – also Vereinigungen zur Bewahrung traditioneller, regionaler, nationaler oder ethnischer Kultur, sowie Kirchengruppen, Literatur-, Musik- und Kunstgesellschaften 208
Konkret fassen sie unter den einzelnen Sektoren zu politischen Vereinigungen: politische Clubs, politische Parteien, internationale Clubs, Friedens- und Umweltorganisationen, Dritte Welt und Menschenrechtsgruppen; zu ökonomischen Vereinigungen: Gewerkschaften, Arbeitgebervereine, Berufsvereinigungen, Landwirtschaftsvereine, Verbrauchergruppen, Kooperativen, Aktionärsvereine; zu Gruppenrechten: Pensionäre, Vertriebene, Veteranen, Einwanderer, Behinderte, Tierrechtsgruppen, Frauengruppen; zu kulturellen Vereinigungen: Vereinigungen zur Bewahrung traditioneller, regionaler, nationaler oder ethnischer Kultur; Kirchengruppen, Literatur, Musik und Kunstgesellschaften; zu Gemeinschaftsgruppen: lokale Aktionsgruppen, Anwohnervereine, Dienstleistungs- und Wohlfahrtsorganisationen, Gesundheitsgruppen, Elternvereine, freiwillige Verteidigungsvereine; zu privaten Interessen: Sport, Outdoor, Jugend, Hobby und Auto; zu sozialen oder Freizeitgruppen: Bruder- und Schwesternschaften, soziale Gruppen, Heimatorganisationen (vgl. Fn. 6 S. 57).
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– Mitglieder mit viel Sozialkapital. Mitgliedschaft in Organisationen zu Gruppenrechten und sozialen oder Freizeitvereinigungen hingegen ist am wenigsten mit den verschiedenen Indikatoren von Sozialkapital verbunden. Ihre Studie zeige, so die Autoren, dass der Enthusiasmus im Bezug auf den Einfluss von Vereinsmitgliedschaft auf Sozialkapital dahingehend spezifiziert werden sollte, über welche Art von Gruppen und welche Aspekte von Sozialkapital man spricht. Denn erstens sind verschiedene Facetten von Sozialkapital in unterschiedlichem Ausmaß mit Vereinsmitgliedschaft verbunden (ebd. 61). Vor allem politische Aktivitäten gehen mit der Mitgliedschaft in freiwilligen Vereinigungen aller Art Hand in Hand. Auch generalisiertes Vertrauen und Gegenseitigkeit ist verbunden mit Mitgliedschaft in den meisten Vereinigungen, nicht jedoch Toleranz. Zweitens finden sich verschiedene Typen von Sozialkapital in verschiedenen Vereinssektoren. Mitglieder von kommunalen Vereinigungen und persönlichen Interessengruppen äußern ebenso wie Mitglieder kultureller Vereinigungen viel generalisiertes Vertrauen und Gegenseitigkeit. Zusätzlich zu den Mitgliedern kultureller Vereine haben auch diejenigen von persönlichen Interessengruppen und ökonomischen Vereinigungen besonders viel politisches Vertrauen und das Gefühl von Effektivität. Politische Vereinigungen haben die politisch aktivste Mitgliedschaft, sind aber am wenigsten wahrscheinlich mit generalisiertem und politischem Vertrauen, Effektivität, Toleranz, Optimismus und der Ablehnung von Trittbrettfahren verbunden. Allerdings besteht eine erstaunliche Varianz zwischen den Ländern im Hinblick auf die Vereinstypen, die am meisten Sozialkapital produzieren: Kirchenvereine in den USA und Deutschland, Wohlfahrts- und Sozialarbeitsvereine in den USA, Sportclubs in Deutschland und Gewerkschaften und Dritte-WeltVereine in Schweden „are the greatest associational stars in the social capital firmament“ (ebd.). Dies deutet stark darauf hin, dass eine Klassifizierung der Vereinigungen nach ihrem Ziel nicht hinreichend ist, um ihren Einfluss auf gemeinschaftsrelevante Einstellungen und Verhalten Länder übergreifend zu erfassen.209 Dieselbe Art von Vereinigung zeitigt je nach Kontext unterschiedliche Konsequenzen, hier wirken deutlich länderspezifische Einflüsse. Weniger kontingent als Ziel oder Inhalt einer Vereinigung sind strukturelle Merkmale wie das der Diversität. Insbesondere Tocqueville (1987 (1835): 522) hob die Bedeutung ziviler Vereinigungen als „schools of association“ hervor, die den Bürgern helfen, die 209 Im Zeitvergleich ist dies bisweilen auch innerhalb desselben Landes der Fall: Wuthnow (1999) zeigt, dass sich die ehemals vorherrschenden protestantischen Vereinigungen in den USA deutlich von den evangelikalen von heute unterscheiden; während erstere Brücken zu allgemein gesellschaftlichen Angelegenheiten gebildet hatten, konzentrieren zweitere die Energie ihrer Anhänger auf Aktivitäten innerhalb der Gemeinde.
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Interessen der anderen zu verstehen und Empathie zu entwickeln, um letztlich öffentliche Probleme durch Zusammenarbeit zu lösen. Er begründet diese positive Eigenschaft damit, dass in Vereinigungen Vorurteile reduziert sowie Freundschaften und Vertrauen entwickelt würden. In einer weitgehend homogenen Vereinigung ist dieser Lerneffekt jedoch vermutlich gering. Wie erwähnt, kann gruppeninternes Sozialkapital sowohl demokratieschädigend sein als auch durch die Verschärfung von Spaltungslinien die politische Gemeinschaft gefährden – Gefahren, vor denen besonders Liberale warnen, weshalb sie auf die Integrationskraft heterogener Vereinigungen bauen. Werden innerhalb von Vereinigungen soziale Grenzen überschritten, besteht die Erwartung, dass die Mitglieder durch den Kontakt mit diversen anderen mehr Toleranz und andere pro-soziale Orientierungen wie generalisiertes Vertrauen entwickeln. Im Gegensatz dazu könnten isolierte Vereinigungen nach innen gerichtetes Vertrauen und Verhalten intensivieren, den Kontakt mit und die Offenheit gegenüber neuen Ideen verringern und existierende soziale Spaltungen verstärken (Paxton 2002: 259). Die normativen Erwartungen an heterogene Vereinigungen, Einstellungen dahingehend zu beeinflussen, dass in Demokratien erfolgreich und friedlich mit Diversität umgegangen wird, werden durch empirische Ergebnisse getragen. Sozialpsychologen forschten hierzu seit den 1940er Jahren und zeigten, dass Kontakt zwischen Gruppen unter bestimmten Bedingungen in der Tat zur Reduktion von Vorurteilen führt. Allport (1954) spezifizierte vier solche Bedingungen: (1) gleicher Gruppenstatus in der Situation, (2) gemeinsame Ziele, (3) Kooperation zwischen den Gruppen, und (4) Unterstützung durch Autoritäten, Gesetze oder Gewohnheiten, die den Kontakt akzeptabel machen. Viele Arbeiten bestätigen diese Bedingungen empirisch in Feld- und Laboruntersuchungen für Kontakt zwischen verschiedenen Gruppen, darunter ethnische Gruppen, in verschiedenen Gesellschaften (vgl. für einen Überblick Brown 1996; Pettigrew 1998). Positive Effekte können auch eintreten, wenn einige dieser Bedingungen fehlen, jede einzelne erleichtert die Reduktion von Vorurteilen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die Effekte von Kontakt zwischen Gruppen über das Individuum hinausgehen, wenn also ein Generalisierungsprozess von der interpersonalen Erfahrung auf die allgemeinen Einstellungen gegenüber Fremdgruppen eintritt (vgl. Pettigrew 1997).211 Konkret wirken mindestens zwei Mechanismen, durch die Kontakt mit gegensätzlichen Sichtweisen zu politischer Toleranz führt. Erstens bringen solche Interaktionen Informationen mit sich und Menschen lernen, dass ihre Normen, Gewohnheiten und Lebensstile nicht die einzige Art und Weise sind, mit der sozialen Welt umzugehen (ebd. 211
Wright und seine Kollegen (1997) zeigen, dass schon das Kennen von jemandem, der einen Freund einer Fremdgruppe hat, mit positiveren Einstellungen gegenüber dieser Fremdgruppe verbunden ist, also ein „extended contact effect“ vorliegt.
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174). Ein größeres Bewusstsein für die Existenz und Legitimität gegensätzlicher Sichtweisen motiviert dazu, die bürgerlichen Freiheiten auch Andersdenkender zu schützen. Diese Verbindung wird durch Theoretiker wie Mead (1934) und Piaget (1932) unterstützt, welche die Bedeutung der Fähigkeit zu Perspektivenwechsel herausstellen und der Unterordnung der eigenen Perspektive unter gesellschaftliche Ziele – worum es sich letztlich bei politischer Toleranz handelt. Zusätzlich zu diesem kognitiven Mechanismus wird ein affektiver betont. Man könne von der persönlichen Kontakterfahrung lernen, dass diejenigen, die anders sind als wir, nicht unbedingt schlecht sind (Stouffer 1955). Hier kommt es also auf die Qualität persönlicher Beziehungen an. Es sei wichtig, dass sich enge Beziehungen mit diesen anderen entwickelten, die dann wiederum Vorurteilen und politischer Intoleranz entgegenwirkten. Kausal wirken somit das Lernen über die Fremdgruppe, Verhaltensänderungen als Antwort auf neue Normen, die Bildung von affektiven Bindungen sowie die Neubildung der Eigengruppe (je nach veränderten Einstellungen oder Verhalten).211 Die Bildung affektiver Bindungen, die Herausforderung von Stereotypen und Veränderung von Einstellungen gegenüber Fremdgruppen benötigt wiederholtes Zusammentreffen unter den genannten Bedingungen (vgl. Pettigrew 1998). Wieviel Zeit hierfür notwendig ist, ist allerdings unklar. Die Betonung struktureller Merkmale von Vereinigungen wie die der Diversität deckt sich darüber hinaus mit den Einsichten sozialer Netzwerkanalysen (vgl. Mitchell 1969). So ist zwar Kooperationsbereitschaft Teil jeder Vereinigung, doch hängt das Ausmaß und die Tiefe dieser Disposition von der spezifischen Beziehung ab, von ihrer Stärke und Position im Netzwerk. Insbesondere Unterstützung ist ein relationales Phänomen.212 Empirische soziologische Studien fanden, dass es weniger die substanziellen individuellen Merkmale von einzelnen Personen sind, die den stärksten Einfluss auf ihre Werte ausüben, sondern eher formale Charakteristika ihrer Netzwerke. Homogene persönliche Netzwerke förderten durch nach innen gerichtete Interaktionen das Teilen von Erfahrungen, Einstellungen und Werten innerhalb einer Gruppe. Heterogene Netzwerke wirkten derart spaltenden Tendenzen entgegen, förderten Beziehungen zwischen Gruppen und trügen somit zur Integration unterschiedlicher Gruppen und der Gesellschaft insgesamt bei (Fischer 1982; Hooghe 2001).213 211
Mutz (2002) findet diese Mechanismen bei Kontakt mit gegensätzlichen politischen Sichtweisen. „With the partial exception of emotional support, the delivery of support is not based on who you know but on how you know them“ (Wellman/Wortley 1990: 581, Hervorhebung im Original). 213 Blau, Blum und Schwartz (1982: 58) fanden, dass Heterogenität des persönlichen Netzwerkes hinsichtlich nationalen Ursprungs, Muttersprache, Geburtsregion, Industrie und Beschäftigung die Heiratsrate zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen erhöht. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn es keine starken Ungleichheiten gibt, die die Gruppengrenzen konsolidieren und Beziehungen zwischen den Gruppen verhindern, wie es zwischen Rassen in ihrer Studie der Fall war. 212
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Während es zur Kontakthypothese und zu Netzwerken reichlich empirische Studien gibt, sind solche über ethnische Trennlinien überbrückende Vereinigungen als explizite Kontaktsituationen zwischen ethnischen Gruppen rar. Dabei kann man multi-ethnische Vereinigungen als ideale Kontaktsituationen betrachten, um die Beziehungen zwischen ethnischen Gruppen zu verbessern, denn sie bieten in der Regel die von Allport definierten positiven Kontaktbedingungen, wie gleicher Status, gemeinsame Ziele und Kooperation, und ermöglichen Pettigrews Mechanismen zur Vorurteilsreduzierung wie wiederholte Interaktion.214 Um die Erwartungen empirisch zu überprüfen müssen somit intern heterogene Vereinigungen von homogenen unterschieden werden. Eine traditionelle Art und Weise solche Vereinigungen zu unterscheiden ist es, ihre interne soziale Zusammensetzung zu betrachten (Blau 1977; Blau/ Schwartz 1984). Dieser Herangehensweise folgt auch Putnam (2000: 22) mit seiner Unterscheidung zwischen „bonding“ und „bridging social capital“. Unter bindendem Sozialkapital versteht er Netzwerke zwischen Personen, die sozial ähnlich sind (Menschen wie du), während sich überbrückendes Sozialkapital auf Netzwerke bezieht, die sozial heterogen sind (Menschen nicht wie du). Er erwähnt die potenzielle „dark side“ von bindendem Sozialkapital von Gruppen wie dem Kukluxklan, unterstreicht jedoch ebenso, dass bindende Gruppen auch vorteilhafte Effekte haben können, besonders um benachteiligte oder unterdrückte Gruppen zu ermächtigen, und dass sie nicht unbedingt den Beziehungen zwischen Gruppen schaden. Doch obwohl er zeigt, dass sein umfassendes Maß an Sozialkapital mit „tolerance for racial integration, gender equality and civil liberties“ (2000: 356) auf der Ebene des Staates verbunden ist (vgl. auch Putnam 1995: 665), untersucht er nicht eingehend, ob ethnische Trennlinien überbrückende Vereinigungen empirisch mit weniger Vorurteilen verbunden ist. Wiederum Stolle und Rochon (1998) untersuchen genauer die Hypothese, dass Vereinigungen, deren Mitglieder soziale Kategorien überbrücken, generalisiertes Vertrauen und andere Komponenten von Sozialkapital besser fördern als homogene Vereinigungen. Sie erfassen sieben Dimensionen sozialer Spaltungen unter Vereinsmitgliedern: Bildung, Beschäftigung (oder Berufsprestige), Religion (oder Kirchenbesuch), Parteimitgliedschaft (oder links-rechts-Ideologie), Alter und Geschlecht. Zusätzlich maßen sie in den USA die Repräsentativität der Mitglieder hinsichtlich der Rassenzugehörigkeit und in Deutschland und Schweden diejenige von Einwanderern. Die Ergebnisse zeigen, dass zwischen Diversi214
Warren (2001b) betont diese Dynamiken in seiner Beschreibung einer multi-ethnischen ökumenischen Vereinigung, die auf einer gemeinsamen christlichen Identität und verbundenen Ritualen beruhte und in der durch wiederholte Interaktionen und eine starke Führung, die Zuhören und Sensibilität unter den Mitgliedern förderte, Vertrauen gebildet und letztlich die Beziehung zwischen den Rassen verbessert wurde.
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tät des Vereinssektors215 und dem Ausmaß, zu dem Mitglieder generalisiertes Vertrauen und Reziprozität in der Gemeinschaft vorweisen, ein Zusammenhang besteht (Stolle/ Rochon 1998: 8), was für unseren Zusammenhang bedeutet, dass die am wenigsten diversen Vereinigungen am wenigsten wahrscheinlich Mitglieder mit einem umfassenden politischen Gemeinschaftsgefühl haben. Allerdings untersuchen die Autoren Diversität eines Vereinssektors allgemein, nicht in der spezifischen Vereinigung, der ein Befragter angehört, was potenziell einen ökologischen Fehlschluss mit sich bringt. Die einzelnen Vereinigungen eines Sektors könnten intern homogen sein und nur im Zusammenschluss heterogen, so dass das gesteigerte generalisierte Vertrauen nichts mit der internen Diversität der Vereinigung zu tun haben könnte. Der Schwerpunkt der Autoren liegt zudem auf sozio-ökonomischer Diversität und sie zeigen Zusammenhänge, untersuchen nicht Kausalität. Diese könnte in der anderen Richtung funktionieren: dass diejenigen, die mehr vertrauen, wahrscheinlicher gemischten Vereinigungen beitreten. Zu etwas detaillierteren Ergebnissen kommt Stolle in einer späteren Studie (2001). Sie untersucht ebenfalls in Deutschland, Schweden und den USA den Einfluss von Diversität216 der Vereinsmitglieder auf die Entwicklung generalisierten Vertrauens. Ihre Ergebnisse zeigen, dass Diversität insgesamt zwar keinen Unterschied macht, eine der Komponenten aber, nämlich der Anteil an Ausländern oder die Vielfalt der Rassenzugehörigkeit, in allen drei Ländern signifikant mit generalisiertem Vertrauen verbunden ist (ebd. 128). Eine größere interne ethnische Diversität der Vereinigung ist mit erhöhtem generalisierten Vertrauen der Mitglieder verbunden. Stolle weist allerdings ebenso darauf hin, dass hier in der Tat eine Selbstselektion besteht: Menschen mit mehr generalisiertem Vertrauen suchen sich heterogenere Gruppen aus, während jene mit weniger Vertrauen weniger heterogenen Gruppen beitreten. Diese Selbstselektion wird daran deutlich, dass sich das Maß an Vertrauen über die Zeit nicht ändert (Schaubild 9.2, S. 130), die Erfahrung der Mitgliedschaft beeinflusst somit kaum die Bereitschaft zu vertrauen. Hemmer (2003) untersucht detaillierter, inwiefern multi-ethnische Vereinigungen stärker als andere zur Reduzierung von Vorurteilen und zur Steigerung von Vertrauen zwischen ethnischen Gruppen beitragen. Er untersucht die Daten des Social Capital Benchmark Survey von 2000 in den USA und findet in der Tat starke Korrelationen zwischen Indikatoren ethnisch überbrückenden Sozial215 Die meisten Vereinstypen haben überproportional viele besser gebildete und beschäftigte Mitglieder. Es gibt interessante Unterschiede zwischen ähnlichen Vereinstypen je nach Land. Gewerkschaften sind in der Regel sehr divers in ihrer Mitgliedschaft, besonders jedoch in Schweden, wo ein großer Teil der Arbeiterschaft organisiert ist. Aus denselben Gründen sind Kirchengruppen in den USA besonders divers, hingegen nicht in Deutschland oder Schweden. 216 Diversität im Hinblick auf Bildung, professionellen Status, Einkommen, Alter, Geschlecht, Anteil an Ausländern in Deutschland und Schweden bzw. Diversität der Rassenzugehörigkeit in den USA.
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kapitals und geringeren Vorurteilen (ebd. 29). Zu diesen Indikatoren gehören Freundschaft mit und Besuche von Mitgliedern einer anderen Rasse, die jeweils Vorurteile über gemischte Ehen verringern. Auch die Diversität einer Vereinigung hinsichtlich der Rassenzugehörigkeit ist signifikant mit weniger Vorurteilen verbunden, wobei ein ausgewogenes Verhältnis innerhalb der Vereinigung einen noch stärkeren Einfluss aufzeigt. Der Zusammenhang zwischen Diversität einer Vereinigung und der Reduzierung von Vorurteilen hat eine U-Form: er steigt mit zunehmender Diversität, fällt jedoch wieder bei zu stark ausgeprägter Diversität. Diese Ergebnisse halten auch einer multivariaten Analyse stand. Während kein Indikator generellen Sozialkapitals die relativen Vorurteile zwischen Rassen signifikant beeinflusst, wenn man die herkömmlichen Prädiktoren von Vorurteil wie Alter und Bildung kontrolliert, beeinflussen Indikatoren überbrückenden Sozialkapitals diese weiterhin signifikant (ebd. 32). Besonders ein ausgewogenes Verhältnis verschiedener Rassen in einer Vereinigung sagt deutlich geringere Vorurteile voraus. Sehen sich die Mitglieder einer Vereinigung einer beträchtlichen Zahl von Mitgliedern anderer Rassen gegenüber, hilft dies dabei, ihre Vorurteile durch die Bildung von Freundschaften zwischen ihnen, aber auch unabhängig davon zu reduzieren. Die Bildung von Vertrauen zwischen Mitgliedern verschiedener Rassen hingegen scheint die stärkere Bindung in Form von Freundschaft zu benötigen, Mitgliedschaft in einer ausbalancierten multi-ethnischen Vereinigung ist hierfür nicht ausreichend. Neben der internen Zusammensetzung von Vereinigungen lassen auch ihre Verbindungen zu anderen Vereinigungen und zur sie umgebenden Gesellschaft Diversität in die Erfahrung der Mitglieder einfließen, so dass sich homogene Vereinigungen in die umfassende Gesellschaft integrieren. Diese Form der Diversität untersucht Pamela Paxton (2002) in ihrer Analyse des Einflusses von bindendem und überbrückendem Sozialkapital auf demokratische Einstellungen anhand von Daten des World Value Survey. Sie unterscheidet solche Vereinigungen, die mit anderen über multiple Mitgliedschaften ihrer Mitglieder verbunden sind, von denen, die isoliert sind.217 Ihr Ergebnis ist eindeutig: “certain types of associations do better in promoting democracy. When associations were broken into two types using the WVS, connected associations had a strong positive influence on democracy, while isolated associations had a strong negative influence on democracy” (ebd. 272). Der Schlüssel zur Analyse des Einflusses von Sozialkapital auf individuelle Einstellungen wie generalisiertes Vertrauen und demokratische Überzeugungen besteht offensichtlich darin, Informationen über die Merkmale von Vereinigun217
Paxton identifiziert drei Arten von Vereinigungen, die weniger verbunden sind als andere: Gewerkschaften, Sportvereinigungen und religiöse Assoziationen. Dies stimmt mit dem Ergebnis des American Citizen Participation Survey von Verba, Schlozman, Brady und Nie (1995) überein.
Strukturelle Diversität des Vereinigungslebens
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gen mit Daten über individuelle Mitglieder zu kombinieren. Es bleibt zwar schwer, angesichts der häufigen Kurzlebigkeit von Vereinsmitgliedschaft im Laufe eines Lebens Beziehungen zu bestimmten Mitgliedschaftserfahrungen herauszufiltern, besonders im Vergleich zu anderen mächtigen Einflüssen auf Einstellungen wie Sozialisation in der Familie und sozialen Interaktionen in anderen Lebensbereichen wie am Arbeitsplatz. Doch zeigen diese Studien, dass besonders Diversität des Vereinigungslebens, sei es innerhalb von Vereinigungen oder durch multiple Mitgliedschaften, die Existenz und Persistenz einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz beeinflusst. Dieser empirische Zusammenhang bestätigt somit die normativen Erwartungen des liberalen Modells, während homogene, isolierte Vereinigungen keinen positiven Einfluss auf die demokratische Gemeinschaft haben. Gewisse Verbindungen in der Zivilgesellschaft scheinen notwendig, damit auch eine multikulturalistische bis konsoziative demokratische Gemeinschaft Bestand hat. Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich eine eingehendere Betrachtung beider Formen der Diversität und ihre Veranschaulichung an beispielhaften Vergleichen in den nächsten Kapiteln. Allerdings sind vergleichbare Daten konkret zur Struktur der Zivilgesellschaft in verschiedenen Ländern kaum vorhaben, so dass noch keine quantitativen, Länder übergreifenden Studien zur Verfügung stehen. Auch wenn die Verallgemeinerbarkeit der Aussagen etwas abnimmt, lohnt es sich trotzdem, von den Höhen nationaler Vergleiche herabzusteigen und genauer das Vereinigungsleben verschiedener Städte zu betrachten. Denn häufig liefert gerade der lokale Kontext die fehlenden Erklärungsfaktoren dafür, weshalb der Einzelfall sich unversöhnlich gegenüberstehender ethnischer Differenz von einem friedlichen, umfassenden Miteinander abweicht. 10.2 Strukturelle Diversität des Vereinigungslebens 10.2.1 Varianz ethnischer Konflikte Trotz vergleichbarer ethnischer Diversität schaffen es einige Orte – Regionen, Nationen, Städte oder Dörfer – friedlich zu bleiben, während andere kontinuierlich Gewalt zwischen ethnischen Gruppen erleben. Ein Überblick über Unruhen zwischen Hindus und Moslems in Indien macht dies deutlich und zeigt zwischen 1950 und 1993 zwei Trends: Erstens kommen solche Unruhen nur selten in Dörfern vor. Das ländliche Indien, wo zwei Drittel aller Inder noch immer leben,
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Gruppenbasierter Einfluss
wies nur 4 Prozent der Toten durch interkommunale218 Gewalt auf. Gewalt zwischen Hindus und Moslems ist vor allem ein urbanes Phänomen. Zweitens sind auch unter den Städten Indiens solche Unruhen stark lokal konzentriert. Allein in acht Städten – Ahmedabad, Bombay, Aligarh, Hyderabad, Meerut, Baroda, Calcutta und Delhi – kam es zu 45,5 Prozent aller Toten aufgrund von interkommunaler Gewalt, obwohl diese Städte als Gruppe nur 18 Prozent der urbanen und nur 5 Prozent der Gesamtbevölkerung Indiens umfassen (Varshney 2002: 6f). Bricht Gewalt zwischen ethnischen Gruppen aus, findet man in der Regel interethnische ökonomische Rivalität, polarisierte Parteipolitik und segregierte Nachbarschaften. Interessant ist daher vor allem ein Vergleich von Fällen, bei dem ähnliche ökonomische und parteipolitische Bedingungen sowie demographische Verteilungen bestehen und trotzdem sehr unterschiedliches politisches Verhalten zu beobachten ist mit je unterschiedlichem Ergebnis, Frieden oder Gewalt.219 Diesen Ansatz verfolgt Varshney (2002). Er untersucht drei friedliche und drei gewalterfahrene indische Städte, wobei er jeweils einen Unruheherd und eine friedliche Stadt zu drei Paaren zusammenfasst (Aligarh und Calicut, Hyderabad und Lucknow, Ahmedabad und Surat). Zur Vergleichbarkeit der Städte wurden solche gewählt, die ähnliche Anteile an hinduistischer und moslemischer Bevölkerung aufweisen.220 Demographischer Anteil wurde als minimale Kontrolle gewählt, da die Größe der Gemeinschaft sowohl im politischen Diskurs als auch in Theorien über politisches Verhalten als signifikant angesehen wird221 (vgl. auch Vanhanen 1999). Trotz der ähnlichen demographischen Bedingungen lassen sich jedoch sehr unterschiedliche Formen politischen Verhaltens in den ausgewählten Städten beobachten. Calicut und Aligarh (Südindien) Zwischen 1990 und 1993 führte die hindunationalistische Agitation und die Zerstörung der Babri Moschee in Ayodhya zu den schlimmsten Gewaltausbrüchen zwischen Hindus und Moslems seit der Teilung des Landes 1947. In allen Städten der Studie gab es Gerüchte, Spannungen und kleinere Auseinandersetzungen 218
In diesem Abschnitt werden die für Beziehungen zwischen Religionsgemeinschaften in Indien gebräuchlichen Adjektive „kommunal“ und „interkommunal“ benutzt, die mit „ethnisch“ und „interethnisch“ gleichzusetzen sind. 219 Dies entspricht der von King, Keohane und Verba (1993) geforderten Varianz der Fälle. 220 Darüber hinaus hat das zweite Paar vorherige moslemische Herrschaft und kulturelle Ähnlichkeiten gemeinsam. Das dritte Paar ist das ähnlichste, bei dem beide Städte zusätzlich im selben Staat, Gujarat, sind. Alle sechs Städte haben mehr als 500 000 Einwohner, die größte, Hyderabad, ist sogar eine Metropole von 4,2 Millionen. 221 Rudolph und Rudolph (1987: 195) argumentieren, dass Moslems in Städten, in denen sie die Mehrheit stellen, typischerweise konfessionelle Parteien favorisieren und zentristische Parteien nur dann, wenn ihr Anteil an der Wählerschaft klein ist, so dass sie die Sicherheit einer mächtigen Mainstream-Partei suchten.
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zwischen den beiden Religionsgemeinschaften. Doch waren die Reaktionen in Calicut und Aligarh sehr unterschiedlich. In Calicut traten zwar kommunale Spannungen auf, doch alle politischen Parteien, einschließlich der Muslim League und der hindunationalistischen BJP, unterstützten die Anstrengungen der lokalen Verwaltung, Recht und Ordnung aufrecht zu erhalten. Friedenskommittees auf Stadtebene, die mit der Beteiligung politischer Autoritäten gebildet wurden, waren die zentralen Werkzeuge zum Management der Spannungen; zudem entstanden Friedenskommittees auf nachbarschaftlicher Ebene. Diese Kommittees und die Presse entlarvten in Calicut Gerüchte als falsch, die in vielen Städten in Indien sonst oft zu Unruhen führen (Varshney 2002: 124). Im Gegensatz dazu versank Aligarh in Gewalt. Anders als die Presse in Calicut, wo Gerüchte aufgedeckt wurden, druckten lokale Zeitungen in Aligarh offensichtlich Falschmeldungen, um die Leidenschaften anzustacheln. Recht und Ordnung brachen zusammen, Kriminelle, die in Tötungshandlungen verwickelt waren, wurden nicht gefasst. Sie wurden von Politikern geschützt und hatten gute Verbindungen zu Journalisten – moslemische Kriminelle mit der Presse in Urdu und hinduistische Gangs mit der Hindi-Presse. Effektive Friedenskommittees konnten auf Stadtebene nicht gebildet werden, da es schwer war, BJP und moslemische Politiker zusammenzubringen. Die wenigen Kommittees, die gebildet wurden, waren intrareligiös, nicht interreligiös. Sie wurden auf der Ebene der Nachbarschaft gegründet, um die Glaubensbrüder vor möglichen Angriffen durch die andere Gemeinschaft zu schützen. Sie erhöhten damit letztlich die Wahrnehmung von Gefahr und verhärteten die Teilnehmenden zusätzlich. Dabei existiert auch in Calicut Kommunalismus, doch bedeutet er dort wie im ganzen Bundesstaat Kerala eher die Sorge um die eigene Gemeinschaft, nicht den Hass auf die andere Gemeinschaft. Die Muslim League ist in Calicut durchaus eine mächtige politische Partei. Ausschließlich von Moslems unterstützt gewann sie mehrfach Wahlen, wodurch sie erhebliche materielle und symbolische Vorteile für die moslemische Gemeinschaft durchsetzen konnte. Doch wenn kommunale Spannungen aufkommen, werden diese von der Muslim League besänftigt statt weiter entfacht (ebd. 125). Was Calicut und Aligarh am meisten voneinander unterscheidet, sind Ausmaß und Form des bürgerlichen Engagements. In einem weiten Verständnis reicht dieses von alltäglichen Formen sozialen Lebens über informelle Zusammenkünfte bis hin zu formalen Vereinigungen. Schon in den alltäglichen Formen sozialen Lebens finden sich deutliche Unterschiede. Fast 83 Prozent der Hindus und Moslems in Calicut essen oft miteinander in sozialen Örtlichkeiten, nur 54 Prozent tun dies in Aligarh. Rund 90 Prozent der Hindu und Moslem Familien in Calicut berichten, dass ihre Kinder zusammen spielen, in Aligarh nur 42 Prozent. Fast 84 Prozent der Hindus und Moslems in Calicut besuchen einander regelmä-
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Gruppenbasierter Einfluss
ßig, in Aligarh nur 60 Prozent und dies zudem nicht oft.222 Die Unterschiede treten noch deutlicher zu Tage im Hinblick auf organisierte Formen bürgerlichen Engagements. Wie Toquevilles Amerika ist Calicut ein Ort von „joiners“: „Associations of all kinds – business, labor, professional, social, theater, film, sports, art, reading – abound“ (ebd. 127). Es existieren auch religiöse Organisationen, wie in Aligarh; anders jedoch als dort gibt es ein hohes Maß interreligiöser Interaktion in anderen Organisationen. Nach Varshneys Ansicht könnte nur eine größere politische Umstrukturierung die Situation ändern, wie das Ausbreiten einer Ideologie der unteren Kasten, die zumindest niederkastige Hindus und Moslems sowohl bei Wahlen als auch im zivilen Leben zusammenbringen könnte (ebd. 166f). Dies war in Calicut im Zuge der nationalen Befreiungsbewegung der 1920er Jahre geschehen. Bürgerliches Engagement, das Hindus und Moslems verbindet, entstand als Nebenprodukt einer Neudefinition der vorherrschenden Cleavage in der Politik. Nicht Hindu-Moslem, sondern intra-Hindu Themen dominierten die Politik. „The presence of inter-communal engagement, such a remarkable feature of Kerala’s life today, was politically constructed“ (ebd. 167). Hyderabad und Lucknow (Nordindien) Auch in Lucknow, nur 80 Meilen von Ayodhya entfernt, wo im Dezember 1992 die Babri-Moschee zerstört worden war, wurden symbolisch aufgeladene und als Sakrileg empfundene Provokationen von Aufhetzern verübt, um Unruhen anzuzetteln. Ereignisse dieser Art wurden in Hyderabad seit den 1970er Jahren wiederholt in das große Narrativ eines Hindu-Moslem Antagonismus verwoben und von Politikern als Gelegenheit genutzt, provokative Reden zu halten, die letztlich Gewalt anstachelten. In Lucknow war die Distriktverwaltung fähig, die Schuldigen dieser Vorkommnisse schnell zu fassen und ihrer eigenen Gemeinschaft, den Friedenskommittees und der Presse vorzuführen. Die „trouble-maker“ in Hyderabad wurden hingegen selten gefasst. Dieselben Provokationen führten somit in beiden Städten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wie bei den anderen Paaren der Studie liegt auch bei diesen Städten der Unterschied weder darin, dass religiöse Identitäten im einen Fall anund im anderen abwesend sind noch in der Erfahrung von Spannungen, provozierenden Gerüchten und kleineren Auseinandersetzungen an sich. Was beide Städte deutlich voneinander unterscheidet sind wiederum die jeweils bestehenden lokalen Netzwerke interkommunalen Engagements. Moslems und Hindus sind in Lucknow in ihren täglichen ökonomischen Beziehungen so verbunden, 222
Würde man nur die Nachbarschaften in Aligarh in den Blick nehmen, in denen es zu Gewalt kam, wären die Angaben über diese Interaktionen noch deutlich geringer. Die friedlichen Nachbarschaften haben ein vergleichsweise integrierteres Alltagsleben.
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dass zu Zeiten von Spannungen Friedenskommittees zwischen den Religionsgemeinschaften lediglich eine Ausweitung der bestehenden lokalen Netzwerke des Engagements darstellen. Auch wenn die ökonomischen Verbindungen vor allem vertikaler Natur sind – Hindus sind überwiegend Händler und Unternehmer und Moslems Arbeiter – ist ihre Beziehung durch gegenseitige ökonomische Abhängigkeit geprägt (ebd. 175-180). Durch die täglichen ökonomischen Interaktionen entwickelte sich ein Reservoir sozialer Vertrautheit (ebd. 179). Routinierte Interaktionen erleichtern den Kontakt zwischen beiden Gemeinschaften und Gerüchte werden durch ausgeprägte Kommunikation entlarvt; dies hilft der lokalen Verwaltung, Frieden zu sichern. Das Vertrauen und die Netzwerke sänftigen außerdem das Verhalten der Hindunationalisten, die durchaus auch in Lucknow Wähler gewonnen haben; die ökonomischen Verbindungen beschränken deren politische Strategie (ebd. 202). Friedenskommittees auf Stadtebene in Hyderabad sind hingegen ineffektiv. Die meisten Hindus und Moslems treffen sich nicht in sozialen oder ökonomischen Zusammenhängen, in denen wechselseitige Beziehungen aufgebaut werden könnten. Beide Religionsgemeinschaft leben stark getrennt, interkommunale Verbindungen gibt es nur auf der Elitenebene (ebd. 173). Ohne politische Unterstützung von oben und ohne Netzwerke von unten, können selbst eine kompetente Polizei und zivile Verwalter bei aufkommenden Unruhen nur hilflos zusehen. Friedenskommittees, so sie gebildet werden, bestehen aus wenigen engagierten Bürgern oder, von oben durch die lokale Verwaltung angeordnet, aus Politikern, die selbst polarisieren. Außerdem wird im Vergleich dieser Städte wiederum ein Element deutlich, das schon im vorherigen Vergleich zutage trat: Spaltungen innerhalb einer Gruppe tragen zum Frieden zwischen den Gruppen bei. Während in Calicut die Hindus entlang von Kastengrenzen stark geteilt sind, ist der Schiiten-Sunniten Konflikt in Lucknow das funktionale Äquivalent dazu (ebd.). Das vorbritische Lucknow war von schiitischen Prinzen regiert, die Allianzen mit der hinduistischen Gemeinschaft eingingen, nicht jedoch mit den Sunniten, von denen sie eine lange Geschichte von Auseinandersetzungen um Doktrinen trennte. Diesen intra-moslemischen Konflikt gab es auch in Hyderbad, doch als in den 1930er Jahren Massenpolitik aufkam, blockierte der moslemische Prinz in der letzten Dekade seiner Regentschaft (1937-48) das Aufkommen bürgerlicher Organisationen mit der Forderung nach Volkssouveränität, welche die zivile Integration von Hindus und Moslems hätten fördern können. Stattdessen stützte er sich auf eine kommunale Moslem-Partei und deren kulturelle Organisationen, so dass Politik folglich eine kommunale und häufig gewaltsame Form annahm. Diese politischen Spaltungen werden durch die weitgehend nur intrakommunalen ökonomischen Verbindungen nicht entkräftet.
244 Abbildung 3:
Gruppenbasierter Einfluss Politik, ziviles Leben und kommunale Gewalt in Calicut und Aligarh, Hyderabad und Lucknow Calicut Vorheriges Bestehen einer intra-Hindu Kastenspaltung in der Politik Lucknow Vorheriges Bestehen intramoslemischer Spaltungen in der Politik
Zivile Verbindungen zwischen Hindus und Moslems Bürgerliche Verbindungen zwischen Hindus und Moslems
Zivile Struktur beschränkt kommunale Polarisierung und Gewalt
Nationale Massenpolitik 1920er und 1930er Jahre Aligarh Vorheriges Bestehen einer Hindu-Moslem Spaltung in der Politik Hyderabad Verbot durch den Prinzen von interkommunalen Massenorganisationen
Keine zivilen Verbindungen zwischen Hindus und Moslems Elitenintegration zwischen Hindus und Moslems Hindu-Moslem Integration auf Bevölkerungsebene unterminiert
Zivile Struktur fördert kommunale Polarisierung und Gewalt
Quelle: nach Varshney 2002: 122 und 124
Ahmedabad und Surat (Westindien) Varshney untermalt sein Argument neben diesen Vergleichen verschiedener friedlicher und gewalterfahrener Städte auch durch einen Vergleich zweier Städte über die Zeit hinweg. Bei Ahmedabad und Surat handelt es sich um zwei Städte im selben Bundesstaat im Westen Indiens, Gujarat, in denen lange Zeit keine kommunalen Unruhen zu verzeichnen waren, was sich jedoch in Ahmedabad 1969 und in Surat 1992 änderte. Den Wandel kann Varshney am Niedergang der zivilen Strukturen in beiden Städten festmachen. Ahmedabad und Surat wiesen während der Nationalbewegung ein großes Ausmaß bürgerlicher Aktivitäten auf (ebd. 221). Das interkommunale bürgerliche Leben in den Städten Gujarats223 beruhte auf vier großen organisatorischen Pfeilern: erstens auf der Kongresspartei, die in der Zeit vor der Unabhängigkeit in Gujarat am stärksten war; zweitens auf einer großen Bandbreite an sozialen und Bildungseinrichtungen auf freiwilliger Basis, die das zweite Ziel Gandhis, die soziale Transformation Indiens, voranbringen sollten; drittens auf Berufsver223 Gujarat war als Heimatstaat von Gandhi stark von ihm beeinflusst, nach seiner Rückkehr aus Südafrika lebte er über zwanzig Jahre in Ahmedabad.
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einigungen, die einer lebhaften Tradition von Zünften in Gujarat geschuldet war; und viertens auf Gewerkschaften und Kooperativen. Diese zivile Struktur verhinderte, dass in Ahmedabad oder Surat während der Teilung 1947 oder anderen exogenen Ereignissen kommunale Unruhen gewaltsam ausgetragen wurden. Allerdings erfuhren die organisatorischen Pfeiler des zivilen Lebens beider Städte einen Niedergang. Die Kongresspartei wurde nach der Unabhängigkeit zunehmend zu einer Patron-Klient-Maschine, die „vote banks“ mehr durch Versprechungen als durch Ideologie zu mobilisieren suchte, und verlor den Charakter einer basisorientierten Organisation, auch wenn sie dank charismatischer Führer noch Wahlen gewinnen konnte (ebd. 268).224 Damit ging ein Niedergang ziviler Aktivitäten in Gandhis Sinn einher sowie die Suche von immer mehr Organisationen Gandhischen Ursprungs nach finanzieller Sicherheit durch Regierungspatronage, wodurch sie ebenfalls ihre Wurzeln in der Bevölkerung untergruben. Der Platz dieser Institutionen wurde vor allem von drei Arten ziviler Einrichtungen eingenommen: sozialer Organisationen der Hindunationalisten, die auch auf politischer Ebene der Kongresspartei Stimmen abwarben; Wohlfahrtsorganisationen von Schwarzhändlern, die das Alkoholverbot in Gujarat unterminierten und ihre Machtbasis durch solche Organisationen ausbauten225; und neue entwicklungsorientierte NGOs, die auf ländliche Entwicklung, weniger auf städtischen Frieden spezialisiert sind. Zuletzt wirkte sich das Monopol, das die starke Gewerkschaft in Gujarat in der Repräsentation der Arbeiter innehatte, desaströs auf ihre Lebendigkeit und Verwurzelung aus, die bürokratisierten oberen und mittleren Etagen der Organisation verloren zunehmend den Kontakt zur Basis (ebd. 273). Da die zwei wichtigsten massenbasierten Organisationen, die Kongresspartei und die Gewerkschaft, ihre zivile Lebendigkeit in Ahmedabad verloren hatten, konnten 1969 Unruhen nicht verhindert werden. Zu diesem Zeitpunkt war der organisatorische Niedergang der Kongresspartei und der Berufsvereinigungen in Surat noch nicht so weit fortgeschritten, so dass sie ausreichten, eine Stadt in Surats Größe friedlich zu halten (ebd. 277). Während die Berufsvereinigungen auf der Ebene geschäftlicher Verbindungen in Surat zunahmen, kollabierte die Gewerkschaft zunehmend. Die Geschäftsverbindungen konnten 1992 nur noch den Frieden in der Altstadt von Surat sichern, während die Slums in Gewalt versanken. Hieraus schließt Varshney: 224 Besonders die Macht zentralisierende Strategie Indira Gandhis untergrub die Tradition interner Wahlen für Parteiposten und stützte sich neben ihrem Charisma auf Parteiführer auf Bundesstaatenebene, die ihr direkt unterstanden. 225 „This ‘new civicness’ has dangerous consequences for peace. The voluntary organizations sponsored by boot-leggers, rag-rag groups built for friends and dependents, have a mercenary character. (...) If the interests of bootleggers require violence or rioting, these organizations do not try to prevent it” (Varshney 2002: 247).
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Gruppenbasierter Einfluss „although all integrated civic organizations have a role to play, the mass-level organizations are a much more powerful bulwark against violence than are elite associations. Integrated Rotary and Lions Clubs can be helpful, but their capacities are not the same as those of trade unions, traders associations, small business associations, and cadre-based political parties (or mass-level film and reading clubs as in southern India)” (ebd. 277).
Für alle Städte des Vergleichs gibt Varshney zu bedenken, dass zwar die Rolle interkommunaler bürgerlicher Netzwerke für Frieden zunächst ausschlaggebend war. Historisch betrachtet wurde der Raum für diese Netzwerke jedoch durch Formen der Massenpolitik eröffnet, die in den 1920er Jahren in ganz Indien aufkamen. Ein Großteil der indischen zivilen Struktur bildete sich während der Befreiungsbewegung gegen die Briten. Diese Dekade war ein transformativer Moment, da zum ersten Mal in Indien Massenpolitik unter Mahatma Gandhis Führerschaft aufkam. Zuvor war Politik eine reine Elitenangelegenheit.226 Gandhi war jedoch nicht nur an der politischen Unabhängigkeit von den Briten interessiert, sondern ebenso an der sozialen Transformation Indiens.227 Die größte Organisation war natürlich die Kongresspartei, die die Bewegung politisch führte. Das Ziel sozialer Transformation förderte jedoch eine zweite Art von freiwilligen Organisationen, die sich mit sozialen Projekten wie Bildung, Frauenfragen, Wohlfahrt der Stammesangehörigen und Unberührbaren sowie mit Projekten zum autarken Wirtschaften beschäftigten. Die entstehende zivile Ordnung war nicht überall dieselbe. Die Bewegung hatte größeren Erfolg darin, eine Hindu-Moslem Einheit zu fördern, in Städten, in denen noch keine inter-kommunale Spaltungslinie in der lokalen Politik aufgekommen war. Indiens Städte wählten seit den 1880er Jahren ihre lokalen Regierungen. Wurden in der jeweiligen lokalen Politik andere Spaltungen – wie die zwischen Kasten unter den Hindus oder zwischen Schiiten und Sunniten unter den Moslems – betont, war es für die Kongresspartei und Gandhis Sozialarbeiter einfacher, Hindus und Moslems im lokalen zivilen Leben zusammenzubringen. Hatte sich hingegen die Hindu-Moslem Spaltung schon als die dominante Achse lokaler Politik herausgebildet, konnte die Nationalbewegung nicht gleich erfolgreich integrierte Organisationen gründen (ebd. 17). Kurz, die Rolle interkommunaler ziviler Netzwerke war in unmittelbarer Hinsicht entscheidend für Frieden. In historischer Rückschau jedoch wurde ihnen der Raum zur Bildung durch den 226
Gandhi erlangte 1920 die Kontrolle über die Unabhängigkeitsbewegung und revolutionierte sie langsam, indem er argumentierte, dass die Briten Indien die Unabhängigkeit nicht gewähren würden, solange nicht die Massen in der nationalen Bewegung involviert seien. 227 Er hatte drei primäre Ziele: die Einheit von Hindus und Moslems, die Abschaffung der Unberührbarkeit und „swadeshi“ (Eigenständigkeit). Weitere Ziele wurden hinzugefügt wie die Förderung von Frauen, Stammesangehörigen, Arbeitswohlfahrt und Prohibition.
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politischen Kontext gegeben. Es macht daher Sinn, zwischen naheliegenden und tieferliegenden Ursachen zu unterscheiden. Für den indischen Fall heißt dies: „In the long run a transformative shift in national politics laid down India’s associational civic order. In the short-to-medium run, however, the civic structures put in place by the national movement have in turn been a constraint on the behavior of politicians, for they acquired a life and logic of their own. (…) Given the thrust of the national movement, the civic constraint on politics was especially serious if building or destroying bridges between Hindus and Muslims was the object of politicians’ strategies. The historical lines of causation run from mass movement to civic order to violence or peace” (ebd. 18).
Zusammenfassend erklärten hier lokale Netzwerke zivilen Engagements zwischen ethnischen Gemeinschaften den Unterschied zwischen kommunalem Frieden und Gewalt.228 Wo solche Netzwerke existieren, werden Spannungen und Konflikte reguliert und gemanagt; wo solche Netzwerke fehlen, führen kommunale Identitäten leicht zu endemischer Gewalt. Diese Netzwerke lassen sich in zwei Formen unterteilen: formales Engagements in Organisationen und alltägliche Formen ohne Organisation. Beide Formen des Engagements fördern, wenn sie interkommunal sind, Frieden, doch die Fähigkeit der organisierten Formen, exogenen Schocks der nationalen Ebene standzuhalten, ist bedeutend höher; sie stellen eine Art institutionalisiertes Friedenssystem dar. Eine multi-ethnische Gesellschaft mit wenigen Verbindungen über ethnische Grenzen hinweg ist hingegen sehr verletzlich gegenüber Unruhen und Gewalt zwischen ethnischen Gruppen. Ausschließlich intra-kommunales Engagement birgt die Gefahr eines „institutionalized riot system“ (Brass 1991). Abbildung 4:
Zusammenhang von zivilem Leben und interethnischer Gewalt
¾Wenn das zivile Leben interethnisch und organisiert ist, kann es exogene Schocks und Gerüchte, interethnische Spannungen besser aushalten. ¾Wenn es interethnisch und informell ist, ist dies nur zu einem begrenzten Grad der Fall. ¾Wenn jedoch Engagement ausschließlich intraethnisch ist, können schon kleine Gerüchte den Frieden ernsthaft gefährden. Quelle: nach Varshney 2002
Hierbei geht es um Wahrscheinlichkeitsaussagen, keine Gesetze. Außerdem bezieht sich das Argument auf die verbreitetere Form von Gewalt zwischen ethnischen Gruppen, auf Unruhen, nicht auf Pogrome oder Bürgerkriege. Varshney 228 Auch wenn nach Unruhen regelmäßig eine bessere Polizei und lokale Verwaltung gefordert werden, so ist es doch auffallend, dass beide ihre „law and order“-Funktion im Kontext einer friedlichen Stadt besser ausführen, unabhängig vom Ausmaß ihrer Voreingenommenheit oder Professionalität. Hinsichtlich interethnischer Unruhen ist ein kommunal integrierter Ort schlicht besser überwacht und verwaltet.
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betont zwei Mechanismen, wie die Zivilgesellschaft Einfluss auf interethnische Gewalt nimmt: 1. Interethnische zivile Netzwerke ermöglichen Frieden, indem sie die Kommunikation zwischen Gruppen fördern. Routiniertes Engagement erlaubt es, in Zeiten von Spannung effektive Friedenskommittees aus Mitgliedern verschiedener Gruppen zu bilden. Diese bewachen Nachbarschaften, unterbinden Gerüchte, liefern der Lokalverwaltung Informationen und halten die Kommunikation aufrecht (ebd. 9). 2. Formales Engagement ist stabiler als informelle Formen der Interaktion, Organisationen, die den ökonomischen, kulturellen und sozialen Bedürfnissen der betreffenden Gruppen dienen, können interethnischen Frieden effektiver sichern. Informelles Engagement reicht in Dörfern aus, um Frieden zu wahren, doch reduziert Größe die Effektivität alltäglicher Interaktion. Formale Vereinigungen sind daher wichtig, wenn die Intimität eines Dorfes unmöglich ist. Sie beschränken lokale Politiker in ihrem strategischen Verhalten (ebd. 10). Kann man solche Verbindungen zwischen Bürgern fördern? Die besondere Fähigkeit der indischen Unabhängigkeitsbewegung hierzu lag in ihrer Ideologie, die für sozialen und politischen Wandel nicht auf staatlicher Politik aufbaute, sondern auf der Beteiligung und den Fähigkeiten der Bürger. Hängt also Vereinigungsleben von historisch transformativen politischen Bewegungen ab? In einigen Teilen Südindiens, aber auch im nördlichen Bundesstaat Bihar hatte schon eine viel kleinere Bewegung, die darauf abzielte, die Kastenungerechtigkeit innerhalb der Hindu-Gesellschaft zu beenden, deutlich positiven Einfluss auf Hindu-Moslem Beziehungen. Für die USA betont Skocpol (1999), dass nationale Mobilisierungen für größere Kriege die Amerikaner dazu brachten, freiwillige Vereinigungen zu gründen und ihnen beizutreten. Neben Bewegungen, die auf Wahlpolitik abzielen, können somit bisweilen auch nichtelektorale zivile Interventionen sowie Initiativen der lokalen Verwaltung derart positiven Einfluss haben. „Smaller acts of human agency thus matter“ (Varshney 2002: 290). Das Beispiel Indien macht auf besondere Weise deutlich, dass Netzwerke und Vertrauen keine exklusive Angelegenheit formaler Vereinigungen sind. Indien hat mit 13 Prozent Vereinsmitgliedschaft im Vergleich zu anderen Ländern mit Abstand das geringste Maß an solchem Engagement (vgl. Chhibber 1999: 17).229 Viele Inder haben aber große informelle Netzwerke (vgl. Blomkvist 2001: 80). Diese häufig traditionelle Form von Netzwerken fördert jedoch nicht automatisch Demokratie. Blomkvist (2001) sucht nach Formen des Kastenwesens, die möglicherweise diese Funktion übernehmen. In der Tat zeigt sich, dass 229
Zum Vergleich zu dieser geringen Zahl sind in Island bis zu 90 Prozent, in Schweden 85 und in den Niederlanden 84 Prozent der Bürger in Vereinigungen organisiert.
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Vertrauen in die eigene Kaste einen signifikanten Einfluss auf politische Beteiligung hat – konkret auf Wählen, Beteiligung an Kampagnen, Kontaktieren von Repräsentanten – sowie auf die Wahrnehmung der Responsivität der Regierung (ebd. 84, Tab. 6.6). Allerdings weist dieses auf Kastenzugehörigkeit basierende Vertrauen einen negativen Zusammenhang mit genereller Unterstützung von Demokratie auf. Segmentiertes Sozialkapital erhöht somit die Beteiligung, nicht unbedingt jedoch über die Gruppe hinausgehendes Vertrauen und Netzwerke. Daher nimmt auch Blomkvist an, „intra-segmental social capital needs intersegmental social capital to produce beneficial macro-outcomes“ (ebd.).230 Varshneys Vergleich verschiedener indischer Städte zeigt eindrücklich, dass ein ethnisch gemischtes Vereinigungsleben den friedlichen Austrag ethnischer Konflikte fördert. Dies steht im Zusammenhang damit, dass ethnisch gemischte Vereinigungen Vorurteile reduzieren und Vertrauen zwischen ethnischen Gruppen fördern, was für die USA bereits gezeigt wurde (vgl. Hemmer 2003). Gemischte Vereinigungen werden insbesondere von liberalen Demokratietheorien als wichtig erachtet, so dass man Engagement in solchen Vereinigungen der Prozessebene einer liberalen demokratischen Gemeinschaft zuordnen kann, das deren Persistenz fördert. Für eine solche Gesellschaftsstruktur sind daher liberale, nicht konsoziative Strukturen angemessener. So betont auch Varshney: Welche Institutionen ethnische Konflikte besser vermieden, hänge stark mit den Formen bürgerlichen Engagements in einem multi-ethnischen Land ab. Der Versuch, mehr konsoziative Elemente in einem politischen System einzuführen, dessen zugrundeliegende Gesellschaft in vielen Bereichen bürgerlichen Lebens integriert ist, könne zu mehr, nicht weniger Gewalt führen. „Consociationalism may have a better chance of success if a society is not simply multiethnic but also highly segregated in its civic life“ (Varshney 2002: 286).231 Wie steht es jedoch um ein ethnisch segregiertes Vereinigungsleben? Ist dies automatisch negativ für eine umfassende politische Gemeinschaft? In segregierten Kontexten schlagen Fearon und Laitin (1996) zur Friedenssicherung „self-policing“, also intra-ethnische Überwachung, vor. Sie weisen darauf hin, dass intra-ethnische Organisationen in dieser Hinsicht durchaus positive Funktionen für die Stabilität einer politischen Gemeinschaft haben können. Der Über230 Blomkvist macht aber auch darauf aufmerksam, dass selbst wenn Kastenorganisationen Stammesloyalitäten verstärken, sie bisweilen die einzige Möglichkeit zur Mobilisierung und zu Widerstand für die Armen darstellen und über diesen Umweg letztlich Demokratie im Sinne von Freiheit und Gleichheit befördern. 231 Dies widerspricht Lijpharts Argument, Indiens kommunaler Friede zwischen 1950 und Mitte der 1960er Jahre beruhe auf konsoziativen Elementen, während die zunehmende Gewalt seit dieser Zeit eine Folge der Liberalisierung der indischen Demokratie sei (Lijphart 1996). Lijphart ignoriert die Periode der indischen Demokratie vor 1947, als das System in der Tat konsoziativer war, es aber auch mehr Gewalt gab (vgl. Wilkinson 2000).
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Gruppenbasierter Einfluss
blick über den Zusammenhang von Sozialkapital und Demokratie sowie über den Einfluss verschiedener Arten von Vereinigungen legt jedoch nahe, dass intra-ethnisches Sozialkapital nur dann einen positiven Einfluss auf die umfassende politische Gemeinschaft hat, wenn eine Verbindung zwischen den ethnischen Gruppen zumindest auf der Ebene der Eliten und denjenigen, die den Vereinigungen vorstehen, besteht. Diese Form interethnischer Brücken wird im nächsten Kapitel näher behandelt, wobei wir uns vom indischen Subkontinent nach Europa begeben. Auch steht nun nicht mehr der gewaltsame Austrag von Konflikten zwischen lang ansässigen, im behandelten Fall religiösen, Gemeinschaften im Mittelpunkt, sondern verschiedene Formen friedlicher politischer Beteiligung von Einwanderern sowie deren Orientierungen gegenüber dem Aufnahmeland als Zeichen einer bestehenden oder fehlenden demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz. 10.2.2
Varianz politischer Beteiligung und Orientierungen ethnischer Minderheiten
Unter welchen Bedingungen können intra-ethnische Vereinigungen einen Beitrag zur Integration von Einwanderern und ethnischen Minderheiten leisten? Nur für bestimmte Zeit, in einer Übergangsphase, nur für bestimmte Gruppen oder vielleicht nur über bestimmte Organisationen, die sich explizit auf die Integration in die demokratische Gemeinschaft konzentrieren? Oder ist schon die Tatsache, dass sich überhaupt ethnische Organisationen bilden, gut für Demokratie? Diesen Standpunkt formulieren Fennema und Tillie provokativ: „to have undemocratic organisations is better for the democratic process then to have no organisations at all“ (1999: 723). Die folgenden Studien untersuchen die empirische Seite der häufig normativ aufgeladenen Furcht, ethnische Selbstorganisation stelle eine Gefahr für die Integration ethnischer Gruppen in die Gesellschaft dar. Eine der wenigen Pionierarbeiten zu diesem Thema ist eine Studie zur „Selbstorganisation ethnischer Minderheiten“ in Berlin (Fijalkowski/ Gillmeister 1997). Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass die ethnische Sozialkapitalbildung weder eindeutig selbstausgrenzend ist noch ausschließlich inklusiv in die Mehrheitsgesellschaft wirkt, sondern dass sie im Situierungsprozess von Zuwanderern vor allem eine Ressource von vielen darstellt. Im Falle hoher Assimilationswilligkeit und konsensual-komplementärer Binnenverhältnisse beginne sich nach einer anfänglichen ethnischen Mobilisierungsphase eine integrative Orientierung durchzusetzen. Ist das Gegenteil der Fall, dominieren also geringe Assimilationswilligkeit und antagonistische Binnenverhältnisse die Gruppe, so orientierten sich die Vereine an ethnotraditionalen und/oder exilpolitischen Zielvor-
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stellungen (Fijalkowski 2001: 179). Übertragen auf die Begriffe der Sozialkapitalforschung könnte man also resümieren, dass ethnisches Sozialkapital immer dann sozial integrierend wirkt, wenn die Gruppen eine große Anpassungsmotivation mitbringen und intern weitgehend homogen und interessenkonvergent strukturiert sind. Die in Gruppen vorherrschenden Normen und Orientierungen sind sicher nicht zu unterschätzen, doch beinhaltet dies eine recht statische und weitgehend einseitige Sichtweise auf Integrationsprozesse. Woher kommt eine solche Anpassungsmotivation und welche internen und externen Dynamiken wirken? Ebenfalls in Berlin untersuchen Berger, Galonska und Koopmans (2004) die Frage, ob und in welchem Maße das individuelle politische Partizipationsniveau232 von Zuwanderern mit der Beteiligung in ethnischen und nicht-ethnischen Organisationen erklärt werden kann, ob man eine „Integration durch die Hintertür“ beobachten kann. Die Untersuchung stützt sich auf eine Bevölkerungsumfrage von 2001, in der Personen aus vier Herkunftsregionen befragt wurden: Türken, Italiener und Zuwanderer aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion sowie, als Kontrollgruppe, autochthone Deutsche. Die vier Gruppen unterscheiden sich in Bezug auf ihren rechtlichen Status und ihre kulturellen Traditionen am Aufenthaltsort, unterliegen somit unterschiedlichen Gelegenheitsstrukturen (Berger et al. 2004: 254). Die Sozialkapitalhypothese, wonach Mitgliedschaft in freiwilligen Organisationen politische Partizipation befördert, bestätigt sich für politische Aktivitäten von Zuwanderern voll, für ihr politisches Interesse nur teilweise. Mitgliedschaft in ethnischen Organisationen speziell beeinflusst politische Aktivitäten positiv, politisches Interesse jedoch eher negativ mit gewissen Unterschieden zwischen den ethnischen Gruppen.233 Wer sich in ethnischen Organisationen engagiert, ist somit meist eher an der Politik in seinem Herkunfts- und weniger an der in seinem Aufenthaltsland interessiert. Die ethnische Zivilgesellschaft unterstützt somit zwar deutschlandbezogene politische Aktivitäten, möglicherweise in erster Linie durch Mobilisierung zu Migrationsthemen, nicht aber das Interesse an deutscher Politik allgemein.234 Während diese Daten zeigen, dass ethnische und nicht-ethnische politische Partizipation, sowohl in Form von allgemeinem Interesse als auch von konkreten Aktivitäten, sich gegen232 Politische Partizipation wird über die Beteiligung an unterschiedlichen politischen Aktivitäten und anhand der Gespräche über Politik gemessen, im Sinne einer breiten Auffassung von politischer Beteiligung (vgl. Verba 1996). 233 Zugehörigkeit zu deutschen Organisationen hat bei Türken und Italienern einen signifikant positiven, die zu ethnischen Organisationen einen eher negativen Effekt auf das politische Interesse an Berlin und Deutschland, mit entsprechend entgegengesetztem Einfluss auf das Interesse an der Politik im Herkunftsland (ebd. 265). 234 Auch Jacobs und Tillie (2004) finden, dass die Mitgliedschaft in ethnischen Organisationen in Belgien, Dänemark, Deutschland und den Niederlanden einen signifikanten Einfluss auf die politische Beteiligung von Migranten hat.
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seitig nicht ausschließen, untermauern sie die spezifischeren Argumente der Sozialkapitalthese für Zuwanderer und ethnische Vereinigungen nicht eindeutig. Optimistisch betrachtet könnte die Funktion ethnischer Organisationen aber auch darin bestehen, „dass sie insbesondere solche Migranten, die ausgesprochen wenig Interesse an der Politik in ihrem Aufenthaltsland zeigen, zu erreichen und diese für deutsche Themen zu mobilisieren und langfristig vielleicht sogar zu interessieren vermögen“ (ebd. 270). Zum Vergleich kann ein ähnlicher Test der Sozialkapitalhypothese über Vereinigungen ethnischer Minderheiten in Dänemark herangezogen werden (Togeby 2004). Hier wurden Umfragedaten unter Einwanderern der zweiten Generation von drei ethnischen Gruppen – Ex-Yugoslawen, Türken und Pakistanis – analysiert mit dem Ergebnis, dass der Einfluss intra-ethnischer organisatorischer Beteiligung von ethnischer Gruppe zu ethnischer Gruppe variiert und von einer abhängigen Variablen zur anderen. Beteiligung in ethnischen Organisationen hatte einen sehr starken Einfluss auf informelle politische Beteiligung unter den Pakistanis, nicht jedoch auf deren formelle Partizipation (Wählen). Unter den Türken bestand ein schwächerer, aber noch signifikanter Einfluss sowohl auf formelle als auch informelle Partizipation, jedoch ließ sich kein Einfluss auf irgendeine Form der Beteiligung unter ex-Yugoslawen ausmachen. Letztlich hatten ethnische Organisationen keine Signifikanz für die Bildung von sozialem Vertrauen in allen drei Gruppen. Insgesamt gab es also deutliche Zeichen politischer Mobilisierung unter einigen ethnischen Gruppen, wenig Hinweise jedoch auf die Bildung von Sozialkapital in einem umfassenden, die politische Gemeinschaft zusammenhaltenden Sinn. Mit politischem Interesse und politischen, formellen und informellen Aktivitäten wurden separate Elemente politischer Integration untersucht, für welche die zugrundeliegenden Sozialkapitalmechanismen sicher unterschiedlich funktionieren. Besonders auffallend ist jedoch, dass intra-ethnisches Sozialkapital je nach Gruppe und Formalisierungsgrad in einem unterschiedlichen Verhältnis zur politischen Integration in die umfassende politische Gemeinschaft steht. Der Einfluss ethnischer Organisationen kann somit kaum vollständig eingeschätzt werden, ohne die Aggregatebene der Organisiertheit einer ethnischen Gruppe insgesamt zu berücksichtigen. Diesen Ansatz verfolgen Studien zu ethnischen Vereinigungen, die im Besonderen den Netzwerkcharakter ethnischer Gemeinschaften und ihrer Organisationsstrukturen in den Blick nehmen. In der Tat kommen Fennema und Tillie (1999, 2001) zu eindeutigeren Ergebnissen. Sie finden in ihrer Untersuchung des bürgerschaftlichen Engagements von Migranten in Amsterdam, dass die ethnische Gruppe mit dem höchsten Partizipationsgrad und größten politischen Vertrauen zugleich auch über das dichteste Organisationsnetz in ihrer Gemeinschaft
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verfügte. Dabei ist es nicht die Anzahl individueller Vereinsmitgliedschaften allein, sondern vor allem das Ausmaß der Integration auf der Gruppenebene, ausgedrückt in der Dichte des Netzwerks ethnischer Organisationen, das einen positiven Effekt auf das Maß politischen Vertrauens von Einwanderern in die umfassende politische Gemeinschaft hat. Mitglieder einer ethnischen Gemeinschaft, die intern gut organisiert ist und eine ethnische Elite hat, die ihrerseits gut in die lokale politische Elite integriert ist, tendieren außerdem dazu, sich mehr an lokaler Politik zu beteiligen als Mitglieder einer nur schwach organisierten ethnischen Gemeinschaft, selbst wenn diese individuell mehr Verbindungen außerhalb ihrer ethnischen Gemeinschaft haben als die ersteren. In dieser Stadt kommt stark vernetzten ethnischen Organisationen offenbar eine Brückenfunktion zu, welche die politische Integration von Migranten fördert. Unter bestimmten Bedingungen scheinen ethnische Vereinigungen somit eher zum guten Funktionieren einer Demokratie beizutragen als es zu behindern. Ihre Befunde führen sie zu einem weitergehenden Argument: je ziviler eine ethnische Gemeinschaft ist, desto eher integrieren sich ihre Mitglieder in die Aufnahmegesellschaft (Fennema und Tillie i.E.). Eine zivile ethnische Gemeinschaft zeichne sich durch vier interdependente Merkmale aus: Sozialkapital von Migranten auf der individuellen Ebene, Sozialkapital auf der Gruppenebene, Integration der ethnischen Elite in die Gastgesellschaft sowie Zirkulation und Diffusion von ethnischen Massenmedien (vgl. auch Fennema 2004). In der Tat kommen Fennema und Tillie (i.E.) anhand von anschaulichen Daten zu dem Ergebnis, dass diese Zivilität zur verstärkten Integration der Mitglieder solcher Gemeinschaften in die Aufnahmegesellschaft führt. Eine etwas detailliertere Betrachtung ihrer Vorgehensweise, die weitgehend einer Netzwerkanalyse entspricht, ist lohnenswert. Das Sozialkapital einer ethnischen Gemeinschaft auf der Gruppenebene wird durch die organisatorische Dichte einer ethnischen Gruppe, also die Menge an ethnischen Organisationen235 pro ethnischem Einwohner, gemessen sowie durch die institutionelle Komplettheit, die sich auf die Diversität der ethnischen Organisationen bezieht, also wie viele der für die Mitglieder der Gruppe notwendigen Dienstleistungen und kollektiven Güter von oder durch ethnische Organisationen erbracht werden (ebd. 6f). Das Netzwerk ethnischer Organisationen kann durch die Verbindungen über ineinandergreifende Direktorate236 und sich 235
Unter ethnischen Organisationen verstehen sie „non-profit“ Organisationen mit einer formellen Struktur, ausgedrückt in einem Aufsichtsrat und mit der Aufgabe, Dienstleistungen und kollektive Güter für eine ethnische Gruppe zu bieten. 236 Ineinandergreifende Direktorate werden durch Mitglieder gebildet, die gleichzeitig dem Aufsichtsrat mehrerer ethnischer Organisationen angehören. Diese „contribute both to the cohesion of the ethnic elite and to the horizontal communication among ethnic organisations“ (ebd.).
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überlappende Mitgliedschaften beschrieben werden. Die Kohäsion des Netzwerks wird durch die Chance ausgedrückt, zu der zwei zufällig ausgewählte ethnische Organisationen verbunden sind. Zur Veranschaulichung lässt sich die politische Integration und Organisiertheit der Türken, Marokkaner und Surinamesen in Amsterdam im Jahr 2002 darstellen. Betrachtet man die politische Beteiligung dieser ethnischen Gruppen237, beteiligen sich nur 3 Prozent der Türken an keiner politischen Aktivität, während dies bei 12 Prozent der Surinamesen der Fall ist. Türken beteiligen sich insgesamt am meisten, gefolgt von den Marokkanern und zuletzt den Surinamesen. Auch die Wahlbeteiligung ist unter den Türken am höchsten. Betrachtet man jedoch Indikatoren individuellen Sozialkapitals, sind die Zahlen der Mitgliedschaft in freiwilligen Organisationen unter den Surinamesen am höchsten, gefolgt von den Marokkanern und zuletzt den Türken. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man das Sozialkapital auf Gruppenebene betrachtet. Türken und Surinamesen sind zwar hinsichtlich der organisatorischen Dichte gleich gut organisiert, wenn man jedoch die Verbindungen unter den Organisationen mitberücksichtigt, wird deutlich, dass die Türken besser organisiert sind. Es gibt deutlich weniger Organisationen, die vom Rest völlig isoliert sind (38,2 gegenüber 44,7 Prozent bei den Marokkanern und 55,0 Prozent bei den Surinamesen) und es gibt mehr Verbindungen pro Organisation (1,16 gegenüber 0,45 bei den Surinamesen), verschiedene politische und religiöse Gruppen sind untereinander verbunden in einem Netzwerk horizontaler Verbindungen. Hieraus kann man schließen, dass die Türken eine stärker integrierte ethnische Gemeinschaft haben als die Marokkaner und diese wiederum eine stärkere als die Surinamesen (ebd. 8f). Darüber hinaus haben in vier näher untersuchten, großen Städten in den Niederlanden die türkischen Eliten deutlich mehr holländische Ratgeber als die marokkanischen und surinamesischen. Die Eliten der Türken, der organisatorisch am stärksten integrierten ethnischen Gemeinschaft, sind somit auch am besten in die holländische Elitenstruktur integriert (ebd. 9). Fennema und Tillie erklären daher die hohe politische Integration der Türken mit Hilfe der großen Verbundenheit des türkischen organisatorischen Netzwerkes und der guten Integration der türkischen Führer in die holländische Elitenstruktur. Sie zeigen, dass in einer sozial heterogenen Migrantengemeinschaft
237 Einwanderer haben nach fünf Jahren legalem Aufenthalt das Wahlrecht in kommunalen Wahlen, alle Formen politischer Beteiligung stehen ihnen somit lokal offen. Die Autoren untersuchen die Anzahl des Besuchs von nachbarschaftlichen Treffen, aktives Lobbying in Bezug auf kommunale Themen, Beteiligung an Gemeinderäten sowie die Wahrscheinlichkeit der Beteiligung an kommunalen Wahlen und eines Besuchs öffentlicher Treffen (ebd. 12).
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starke, d.h. häufige und nahe, intra-ethnische Verbindungen238 den sozial niedriger Gestellten Zugang zu Netzwerken schwacher Verbindungen geben, die von den Höhergestellten der Gemeinschaft unterhalten werden, so dass sie mehr soziales Kapital haben als ohne ihr ethnisches Netzwerk.239 Dies ist besonders dann der Fall, wenn die Elite einer ethnischen Gemeinschaft gut mit der zivilen Elite der Mainstream-Zivilgesellschaft verbunden ist (ebd. 5). In einem solchen Fall besitzt die ethnische Gemeinschaft sowohl bindendes als auch überbrückendes Sozialkapital, auch wenn es so scheint, als hätte die Basis nur „bonding ties“. Dies entspricht Lijpharts Modell der konsoziativen Demokratie, in der das repräsentative Element stark betont wird. Fennema und Tillie zeigen hier Bedingungen auf für dessen Funktionieren sowie weitere Implikationen für die Integration einer multi-ethnischen Gesellschaft. Sind die Eliten einer ethnischen Gemeinschaft in das politische System integriert, kann soziales Vertrauen innerhalb der Gemeinschaft in Vertrauen in lokale politische Institutionen übergehen, was sowohl von unten nach oben als auch umgekehrt funktionieren kann. „Bottom up“ wird politisches Vertrauen gefördert, wenn die Mitglieder der ethnischen Gemeinschaft ihre ethnischen Führer kontrollieren können. Fennema und Tillie nehmen daher an: „The higher the level of participation of the members of an ethnic group in the ethnic associations and the higher the trust of the rank and file in the directors of these associations the higher the quality of multicultural democracy“ (ebd. 10). Der empirische Test dieser Annahme steht noch aus. „Top down“ wird politisches Vertrauen erhöht, wenn die Eliten es schaffen, ihr Vertrauen in und ihr Commitment gegenüber den politischen Institutionen durch das Netzwerk ineinandergreifender ethnischer Vereinigungen zu verbreiten. Dies tun sie sicherlich nur, wenn sie die politischen Institutionen als effizient und fair ansehen. Die Unterstützung ethnischer Eliten gegenüber den politischen Institutionen wird daher sicher auch durch die Offenheit der Regierung gegenüber Forderungen von ethnischen Gruppen beeinflusst. Gute Regierungsführung bildet allgemein politisches Vertrauen unter Bürgern (Levi 1998, Rothstein 1998) und dies gilt für ethnische Minderheiten in besonderem Maße. Vertrauensbildung erfolgt jedoch häufig über bestimmte Kommunikations- und Vermittlungskanäle wie Eliten. Diese Annahmen und Ergebnisse deuten auf einen Interaktionseffekt zwischen individuellem Sozialkapital in Form von individuellen Netzwerken und 238
Häufigkeit bezieht sich auf die Anzahl der Male, die ein Akteur in einem Netzwerk mit anderen interagiert; Nähe bezieht sich darauf, wie nah ein Akteur allen anderen Akteuren im Netzwerk ist; ein Akteur ist zentral, wenn er schnell mit allen anderen interagieren kann. 239 Schon Granovetter (1973) hatte darauf hingewiesen, dass starke Bindungen in der Regel Menschen innerhalb eines Netzwerkes verbinden, und schwache Bindungen eher das Potenzial haben, Netzwerke miteinander zu verbinden.
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dem Sozialkapital der Gruppe im Sinne des Ausmaßes ziviler Gemeinschaft hin. Ausgangspunkt für die Variation im Ausmaß politischer Integration von Einwanderern sind ihre individuellen Netzwerke, die sie sich durch eigene Mitgliedschaften in verbundenen oder isolierten Organisationen. Zusätzliche Indikatoren individuellen Sozialkapitals sind das soziale Netzwerk der Bürgerin und das Sozialkapital der Organisation, reflektiert in ihrer Verbundenheit oder der Dichte des organisatorischen Netzwerks der ethnischen Gemeinschaft. Intern bindendes Sozialkapital ist also umso integrierender und letztlich demokratieförderlicher, je stärker es extern mit der weiteren politischen Gemeinschaft verbunden ist. Diese Ergebnisse stimmen mit denen von Pamela Paxton überein, die unterstreichen, dass mit anderen verbundene Vereinigungen Demokratie fördern, während isolierte Vereinigungen einen stark negativen Einfluss auf Demokratie haben (Paxton 2002: 272). Machen Integrationspolitiken einen Unterschied für die Entwicklung ethnischer Organisationen und die Beziehung zwischen ihnen? Fennema und Tillie (2004) vergleichen Einwandererorganisationen in Amsterdam, Liège und Zürich. Ihre These lautet auch hier: je diverser die Organisationen der Einwanderer und je dichter das Netzwerk zwischen solchen Organisationen, desto besser funktioniert multikulturelle Demokratie. Ob solche Qualitäten wie Diversität und Verbundenheit tatsächlich entstehen, wird ihrer Analyse zufolge von der Gelegenheitsstruktur der Aufnahmegesellschaft konditioniert. Während es in Zürich keine gruppenspezifischen Maßnahmen gibt (vgl. Mahnig 2004), wählte Liège durchaus einen gruppenorientierten Politikansatz gegenüber Einwanderergruppen. Die Organisationsstruktur der Italiener in Zürich und Liège sieht in der Tat unterschiedlich aus: in Liège sind sie im Gegensatz zu Zürich in mehr Organisationen organisiert (2.7 versus 0.56 Organisationen pro 1000 italienischen Einwohnern), die ihrerseits vielfältigere Aktivitäten unternehmen (Fennema/ Tillie 2004: 104). Der Einfluss der politischen Gelegenheitsstruktur lässt sich auch anhand der veränderten Politik in Amsterdam zeigen, die sich seit 1999 von einem gruppenorientierten Ansatz zu einem eher problemorientierten Ansatz entwickelt hat. Dem bisherigen Ansatz zur Integration ethnischer Minderheiten wurde zur Last gelegt, zu einer unerwarteten Benachteiligung ethnischer Minderheiten in der Arbeitswelt und im Bildungssystem bis in die zweite Generation hinein zu führen. Das „Diversity Policy Memorandum“ von 1999 empfahl daher, Politikinhalte mehr auf individuelle Unterschiede in der Bevölkerung zuzuschneiden, und unterstrich den Bedarf an integrierten Dienstleistungen, die nicht die Segregation der ethnischen Minderheiten perpetuieren. Ethnische Räte wurden durch ein einzelnes, nicht-ethnisches Beratungsorgan ersetzt und die Unterstützung von ethno-kulturellem Bewusstsein auf Integrationsaktivitäten verlagert (Alexander
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2004: 80). Dieser Wandel hat nach Fennema und Tillie die Struktur der türkischen Gemeinschaft deutlich beeinflusst. Tatsächlich hat sich die größte Komponente des türkischen Netzwerkes zwischen 1996 und 2000 bzw. 2002 desintegriert (Fennema/ Tillie 2004: 100f, Schaubilder). Die Kluster wurden weniger kohäsiv.240 Darüber hinaus ist ein deutlicher Abfall in der Wahlbeteiligung bei Stadtwahlen in Amsterdam zu verzeichnen: während 1994 67 Prozent der Türken wählten, waren es 1998 nur 39 Prozent und 2002 nur noch 30. „In short, the local government’s political neglect of Turkish civic community seems to have been answered by a neglect of local politics by the Turkish ethnic community” (Fennema/ Tillie 2004: 102). Auf ihrer empirischen Analysen halten Fennema und Tillie fest: Je stärker das Augenmerk auf Einwanderergruppen und auf gruppenspezifischen Maßnahmen, desto mehr Einwandererorganisationen gibt es, desto institutionell kompletter ist die Gemeinschaft organisiert und desto stärker ist ihre Verbundenheit. Aufgrund ihrer Untersuchungen bewerten Fennema und Tillie multikulturalistische Politik sehr positiv: “Minorities policies do matter, and they are likely to benefit social cohesion in multicultural cities” (ebd. 105). Während die Entstehung wie auch der Einfluss von Sozialkapital allgemein stark vom jeweiligen lokalen Kontext geprägt wird (Hooghe/ Stolle 1993), scheint dies im Bezug auf ethnische Vereinigungen besonders zu gelten. Sowohl die Charakteristika der ethnischen Gemeinschaft als auch die politische Gelegenheitsstruktur helfen, die organisatorischen Aktivitäten ethnischer Minderheiten zu erklären. Doch kann man eher eine bauchige als lineare Natur der Beziehungen annehmen: Zu viel und zu wenig Wettbewerb von Seiten der Regierung und anderen führt zu reduzierter organisatorischer Aktivität. Zu kleine und zu große Gemeinschaften wiederum haben Probleme, Organisationen aufrechtzuerhalten (vgl. die Artikel in Schrover/ Vermeulen 2005). Auch wenn sich insgesamt die Einflüsse auf ethnische Sozialkapitalsbildung nach individueller, organisatorischer und institutioneller Ebene sicher unterscheiden, so sind sie doch deutlich miteinander verbunden: “Institutional arrangements determine to a strong degree the opportunities and scope for action of organisations, and they may also exert significant influence on how immigrant organisations develop and orient themselves (...). Institutions and organisations together, in their turn, create the structure of opportunities and limitations for individuals. Conversely, individuals may mobilise to change the landscape of organisations, and may potentially contribute to significant alterations in general institutional arrangements” (Penninx/ Martiniello 2004: 143f). 240 Im Vergleich zum Netzwerk der Organisationen im Jahr 1996 gibt es in den Jahren 2000 und 2002 mehr isolierte Organisationen und weniger Netzwerkdichte (von .69 zu .50 und .48). Zwar etablierten sich mehr neue türkische Organisationen, diese allerdings außerhalb der bisherigen Strukturen, was in einer größeren Fragmentierung der türkischen Gemeinschaft resultiert.
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Ethnisches Sozialkapital kann somit unter bestimmten Bedingungen tatsächlich integrativ wirken. Da intra-ethnische Vereinigungen eine konsoziative demokratische Gemeinschaft auszeichnen, machten diese Studien deutlich, unter welchen Umständen eine solche Gemeinschaft trotz fehlender Heterogenität innerhalb von zivilen Vereinigungen, wie sie vom liberalen Modell für Integration betont werden, möglich und persistent ist: je stärker die ethnischen Gemeinschaften intern organisiert und je mehr ihre Eliten in die Machtstruktur integriert sind. Fehlen diese Merkmale ethnischen Sozialkapitals, hat es keinen positiven Einfluss auf die Integration ethnischer Minderheiten in die umfassende Gemeinschaft; Entfremdung oder Abspaltung sind dann eher zu erwarten. 10.3 Fazit Die aufgezeigten Studien zum Sozialkapital ganzer politischer Gemeinschaften und einzelner ethnischer Gemeinschaften veranschaulichen, dass sich Individuen und Gruppen sehr unterschiedlich orientieren und verhalten, je nach ihrer Position und ihren Verbindungen innerhalb und zwischen Netzwerken. Man sollte dem „Dualismus“ zwischen Gruppen und Akteuren Rechnung tragen – der Tatsache “that the nature of groups is determined by intersection of the actors within them (i.e., by the ties of their members to one another as well as to other groups and individuals), while the nature of actors is determined by the intersection of groups “within” them (i.e., by their own various group affiliations…)” (Emirbayer/ Goodwin 1994, 1417f). Für eine demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz kommt es vor allem auf die Intersektion ethnischer Gruppen an, ob es Brücken zwischen ihnen gibt, die einen umfassenden Gemeinschaftssinn vermitteln. Die spezifische Form des Vereinigungslebens, das selbst als ein Netzwerk gefasst werden, das durch seine spezifischen Bindungen charakterisiert ist, rahmt die Interaktionen innerhalb und zwischen ethnischen Gemeinschaften in der vorpolitischen Sphäre und beeinflusst die Orientierungen und Handlungen ihrer Mitglieder hinsichtlich der umfassenden politischen Gemeinschaft. Starke intraethnische ohne zumindest schwache inter-ethnische Bindungen können zu einer gespaltenen Gesellschaft führen, während überbrückende Bindungen individuelle Orientierungen und Handlungen so beeinflussen, dass ein umfassendes Gemeinschaftsgefühl gefördert wird.241 Verschiedene Formen der Brückenbildung zwi-
241
Schon Simmel (1908) interessierte sich für „cross-cutting social circles“. Burt (2000) untersucht seinerseits diese Idee, indem er strukturelle Löcher und Brückenpositionen in den Blick nimmt, allerdings zur Untersuchung ökonomischer Vorteile.
Fazit
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schen ethnischen Gemeinschaften in der Zivilgesellschaft wurden aufgezeigt, von denen positive Effekte ausgehen: Am weitesten anerkannt sind die innerhalb ethnisch heterogener Vereinigungen bestehenden Brücken, deren positiver Einfluss bestätigt wurde. Mitglieder verschiedener ethnischer Gemeinschaften schließen sich in einer Vereinigung um gemeinsame Ziele zusammen und bilden in diesem Sinne eine neue Gemeinschaft. Die sonst „Anderen“ sind Teil der Eigengruppe, so dass, folgt man sozialer Identitäts-Theorie, Gemeinsamkeiten betont und Unterschiede vernachlässigt werden.242 Durch die Erfahrung von Diversität innerhalb heterogener Vereinigungen lernen die Mitglieder, mit Differenz umzugehen, und bilden transethnische Bindungen um gemeinsame Interessen und Ziele aus. Die wiederholte Interaktion unter solch idealen Kontaktbedingungen kann zur Entwicklung von inter-ethnischen Freundschaften und durch eine Generalisierung der Erfahrung zu mehr Toleranz und Vertrauen gegenüber anderen ethnischen Gemeinschaften insgesamt führen. Dabei hat besonders eine ausgewogene Zusammensetzung der Vereinigung aus Mitgliedern verschiedener ethnischer Gruppen – also keine zu geringe Beteiligung, aber auch keine Dominanz einer Gruppe – einen positiven Einfluss auf die Verringerung von Vorurteilen zwischen ethnischen Gruppen, auf die Entwicklung von Vertrauen zwischen ihnen, auf die friedliche Beilegung ethnischer Konflikte sowie die Unterstützung von Demokratie. Ethnisch homogene Vereinigungen hingegen haben einen ambivalenten Einfluss auf die verschiedenen Dimensionen demokratischer Gemeinschaft. Während sie die Bereitschaft zu politischer Beteiligung erhöhen, gilt dies nicht für Interesse an der Politik in der umfassenden politischen Gemeinschaft oder generell für einen positiven Einfluss auf pro-soziale und pro-demokratische Einstellungen. Das Bestehen homogener Vereinigungen an sich bedeutet jedoch noch nicht, dass es keine Brücken zwischen den ethnischen Gemeinschaften gibt. Diese können entweder individuell gebildet werden, indem Mitglieder zugleich einer ethnisch homogenen und einer ethnisch heterogenen Vereinigung angehören. Da Individuen ein starkes Interesse daran haben, intrapersonale Konflikte zu lösen, und auf Dauer schlecht sich widersprechenden Normen folgen können, tragen solche multiplen Mitgliedschaften konflikthegendes Potenzial in sich. Mitglieder verschiedener Vereinigungen können als Informanten und Vermittler dienen. Über den Einfluss auf das Individuum hinaus, streut dieses seine Erfahrungen auch in sein übriges Netzwerk (Verwandte, Freunde, Bekannte). Je näher ihm diese Personen stehen, desto stärker ist der Einfluss seiner Erfahrungen. Die Erfahrung mit Diversität kann aber auch durch die Kooperation ethnisch homogener Vereinigungen mit anderen homogenen oder heterogenen Ver242 Auch Homans (1950) betonte, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Dimension von Homophilie, eine Gemeinsamkeit zu finden, steige, je mehr Zeit Individuen miteinander verbringen.
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einigungen vermittelt werden. Sicher sind dies nur schwache Verbindungen in der Regel zwischen den Eliten der beteiligten Vereinigungen, dank der jedoch die Mitglieder mehr Sozialkapital haben als es scheint, wenn man nur die interne Struktur der Vereinigung betrachtet. Dies ist besonders dann zu erwarten, wenn großes Vertrauen zwischen Mitgliedern und Eliten herrscht, indem erstere die Eliten durch starke intra-ethnische, bestenfalls demokratische Organisiertheit kontrollieren können und die Eliten eine enge Verbindung zur Basis halten. Die Eliten selbst können wiederum ihre Integrationserfahrung besser weitergeben, je höher ihr Ansehen und ihre Repräsentativität innerhalb der Gruppe und damit je größer ihr Einfluss auf die Orientierungen der Mitglieder ist. Sind homogene Vereinigungen untereinander und mit der weiteren Gesellschaft zumindest über ihre Eliten verbunden, lassen sich in der Tat neben einer erhöhten politischen Beteiligung positive Einflüsse auf Demokratie insgesamt ausmachen. Die genauen Mechanismen der Vermittlung zwischen der Integration der Eliten und ihrer Organisationsbasis, also die detaillierten Einflüsse auf Orientierungen, kognitive sowie emotionale Identifikationsprozesse der Individuen sind jedoch noch besonders wenig erforscht. Die Überlegungen zur internen und externen Struktur von Vereinigungen lassen sich in einer vier Felder Tabelle formalisieren, bei der eine Dimension das Maß der ethnischen Homogenität der Mitglieder einer Vereinigung und die andere das Maß der externen Verbundenheit der Vereinigung selbst umfasst. Abbildung 5:
Interne und externe Struktur von Vereinigungen Grad der internen ethnischen Homogenität der Mitglieder Hoch Hoch
Grad der externen Verbundenheit der Vereinigung Niedrig
Niedrig
(1)
(3)
(2)
(4)
Szenario 1 und 2, ethnisch homogene Vereinigungen, sind dort wahrscheinlicher, wo Ethnizität eine große Rolle im gesellschaftlichen Leben spielt und eine wichtige soziale Spaltungslinie darstellt; angesichts ihres intern bindenden Charakters sind ihre Effekte umstritten und besonders interessant. Wenn Vereinigungen ethnisch homogen, aber verbunden sind, bieten sie die Gelegenheit für die Entstehung von Brücken (1). Wenn hingegen die Vereinigungen ethnisch homogen und weder über ihre Mitglieder noch ihre Eliten verbunden sind (2), besteht ein hohes Potenzial der Fragmentierung und kaum eine Chance, den Umgang mit
Fazit
261
Diversität zu lernen, da dies weder intern noch extern gefördert wird. Szenario 3 und 4 postulieren intern heterogene Vereinigungen, so dass ihre externe Verbundenheit (3) für die Erfahrung von Diversität und als Brückenfunktion nicht von Bedeutung ist. Als Fazit in normativer Hinsicht müssen die vom liberalen und konsoziativen Modell einer demokratischen Gemeinschaft postulierten Erwartungen an den Einfluss ethnisch geprägten Engagements ausdifferenziert werden. Während einerseits eine universalistisch, individualistisch codierte liberale demokratische Gemeinschaft ethnische Vereinigungen ablehnt und andererseits eine primordial bis traditional codierte, gruppenzentrierte konsoziative Demokratie geradezu auf ihnen aufbaut, sind für die Identifikation mit der demokratischen Gemeinschaft je nach Kontext andere Faktoren mitzuberücksichtigen: Da der liberale Grundkonsens von seiner Legitimität abhängt, um Gemeinschaft zu stiften, sind subnationale identitäre Vergemeinschaftsprozesse dann nicht als negativ anzusehen, wenn sie zur Interessenvertretung benachteiligter, von der dominanten Kultur marginalisierter Gruppen beitragen, selbst wenn dies kurz- oder mittelfristig kontraproduktive Effekte für die Gemeinschaft hat. Gruppenformierungsprozesse unter ethnischen Minderheiten sind die Voraussetzung dafür, dass ihre Organisationen als Interessenvertretungen auftreten können, denn zunächst handelt es sich um heterogene Bevölkerungskategorien, keine Gruppen, die per se Wertvorstellungen und Interessen teilen. Besteht gemeinsames Beschwerdepotenzial, muss dieses von den Mitgliedern solcher Kategorien erst als solches entdeckt und formuliert werden. „Geschützte Enklaven des Widerstands“ (Rosenblum 1998) – pathetisch formuliert – helfen benachteiligten Gruppen, ihre Selbstachtung zu stärken sowie ihre Interessen und Positionen zu definieren. Erst kollektiv haben sie in der Regel Erfolg im Kampf gegen Diskriminierung. Da Gerechtigkeit letztlich postuliertes Ziel des liberalen Grundkonsenses ist, sind diese Auseinandersetzungen besonders wichtig, wenn kulturelle und sozio-ökonomische Spaltungslinien zusammenfallen. Je stärker dabei solche Kämpfe um Anerkennung in die Öffentlichkeit getragen werden, desto größer ist auch die Chance, sie über die allgemeine Perspektive des Dritten zu zivilisieren (vgl. Giesen 99: 126). Konsoziativ wird die politische Integration über den Umweg der ethnischen Gemeinschaft nur dann erreicht, wenn zumindest die Eliten der ethnischen Vereinigungen in die Mehrheitsgesellschaft integriert sind. Damit diese Integration jedoch vermittelt werden kann, müssen die von den ethnischen Eliten formulierten Anliegen für ihre Gemeinschaft als Kollektiv repräsentativ sein, d.h. tatsächlich eine kollektive Identität und soziale Kohäsion in der ethnischen Gemeinschaft vorhanden sein. Unausweichlich auftretende Konflikte um Anerkennung müssen hierfür innerhalb dieser ausgetragen werden (vgl. Eisenberg/ SpinnerHalev 2005), das Ausmaß der internen Demokratie ist daher entscheidend. Die
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nötige Rückbindung der Eliten an ihre Basis ist eher gewährleistet, je besser diese organisiert ist, so dass die Repräsentanten verantwortlich gehalten und für geänderte Anliegen sensibilisiert werden können. Zugang zum Netzwerk ihrer schwachen Verbindungen zu anderen Gemeinschaften können diese nur dann bieten und somit als Brücken auch für ihre Basis dienen, wenn beide stark verbunden sind. Bleiben hingegen intra-ethnische Verständigungs- und Organisationsprozesse dauerhaft unverbunden mit anderen Vereinigungen oder mit der Mehrheitsgesellschaft, steigt das Konfliktpotenzial beträchtlich. Wenn Engagement ausschließlich intra-ethnisch und unverbunden ist, bleiben eventuell bestehende Vorurteile und Misstrauen virulent und können schon kleine Gerüchte den Frieden ernsthaft gefährden. In einer multi-ethnischen Gesellschaft mit wenigen Verbindungen über ethnische Grenzen hinweg wird kaum übergreifendes Gemeinschaftsgefühl gefördert, was den psychologischen Boden bereitet für mögliche Instrumentalisierungen ethnischer Loyalitäten gegen die politische Gemeinschaft, für ein Aufhetzen der Gruppen gegeneinander und letztlich für den gewaltsamen Austrag ethnischer Konflikte – kurz, eine demokratische Gemeinschaft ist nicht existent oder in Gefahr zu implodieren. Somit betreffen die zusätzlichen Differenzierungen, die sich für die Formulierung von Erwartungen empfehlen, einerseits die Machtverhältnisse zwischen ethnischen Gemeinschaften und hier insbesondere der Zusammenhang von Anerkennung und Umverteilung, und andererseits das Ausmaß der Organisiertheit und die Stärke der Verbindungen zwischen Elite und Basis dieser Gemeinschaften – es handelt sich also um relationale Aspekte zwischen und innerhalb ethnischer Gemeinschaften. Tabelle 13: Einfluss ethnischer Vereinigungen auf den Zusammenhalt einer demokratischen Gemeinschaft Bewertung des Einflusses
Ergänzende Differenzierungen
Liberale Demokratie
Fragmentierung und Entsolidarisierung der Bevölkerung
Je nach Machtverhältnissen zwischen Ethnien und Ausmaß der öffentlichen Auseinandersetzung zur (Wieder-) Herstellung von Gerechtigkeit
Konsoziative Demokratie
Selbstbewusstsein der Subkulturen ermöglicht erst deren Integration
Je nach internen Machtverhältnissen, Grad der Organisiertheit und Stärke der Verbindungen zur Elite sowie deren Kooperationsbereitschaft und Integration in die umfassende politische Gemeinschaft
Zusammenfassung der Ergebnisse
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11 Zusammenfassung der Ergebnisse 11.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Das Ausmaß des Zusammenhalts einer politischen Gemeinschaft ist zunächst weitgehend regimeunabhängig. Bei der Bestandsaufnahme zur Kompatibilität nationaler und subnationaler Identität im Vergleich zeigte sich, dass Nationalstolz in der Tat zumeist größer ist unter Mitgliedern dominanter kultureller Gruppen und geringer unter Minderheitengruppen. Dabei hat die Stärke der subnationalen Identität einen variierenden Einfluss je nach Gruppenzugehörigkeit. Während unter manchen Minderheitengruppen eine positive Beziehung zwischen der Bindung an die eigene ethnische Gruppe und die politische Gemeinschaft als Ganzes deutlich wurde, fand sich bei anderen eine negative Beziehung. Diese gruppenspezifischen Unterschiede lassen sich zum einen auf die vergangene und gegenwärtige Art der Inkorporation einer ethnischen Gruppe in die politische Gemeinschaft zurückführen, ein Modell politischer Gemeinschaft trifft nicht unbedingt auf alle Gruppen innerhalb derselben Nation gleichermaßen zu. Zum anderen erwies sich als relevant, wie Identifikation auf den verschiedenen Ebenen konzeptualisiert wird. Fremdgruppen wie ethnische Minderheiten oder Einwanderer werden anders wahrgenommen, wenn auf der Ebene der politischen Gemeinschaft eine positive, tolerante Art nationaler Identität (wie bei konstruktivem Patriotismus) vorherrscht, als wenn Gefühle nationaler Überlegenheit (wie bei generellem Nationalismus) dominieren. Außerdem ist Kompatibilität zwischen ethnischer und nationaler Identität eher möglich, wenn es statt um generellen um bereichsspezifischen Nationalstolz geht. Auf der Ebene der ethnischen Gemeinschaft hat Gruppenidentität allein keinen nachhaltigen Einfluss auf Gruppenantipathie, Bedrohungswahrnehmungen und politische Intoleranz, Einstellungen hinsichtlich der Gruppensolidarität und psychische Vorteile von Gruppenmitgliedschaft allerdings durchaus. Die empirischen Studien zeigten somit, dass die Beziehung zwischen nationaler und subnationaler Identität durch die Art und Weise mediiert wird, in der sich Individuen mit der Eigengruppe identifizieren. Sie unterstreichen empirisch normative Behauptungen: verschiedene Formen politischer Gemeinschaft sind in der Tat unterschiedlich gut mit ethno-kultureller Vielfalt und starken ethnischen Identitäten vereinbar. Eine solche Kompatibilität wird insbesondere in Demokratien erwartet aufgrund der Betonung gegenseitiger Anerkennung als Freie und politisch Gleiche, woraus sich gewaltfreier Umgang miteinander als minimal notwendige Bedingung einer demokratischen Gemeinschaft ergab. Auch wenn weltweite Untersuchungen ethnischer Konflikte in der Tat zu dem Befund kommen, dass demokra-
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Zusammenfassung der Ergebnisse
tische Systeme deutlich weniger gewaltsame ethnische Konflikte aufweisen als nicht demokratische, bleibt doch zu betonen, dass der Unterschied des Ausmaßes an demokratischen Gleichheitsnormen widersprechender Diskriminierung gegenüber Minderheiten beachtlich ist. Es gibt also in Demokratien durchaus Beschwerdepotenzial, das zur Implosion der Gemeinschaft aufgrund ethnischer Spaltungen führen kann. Die eigentlich interessierende Frage lautete daher, ob sich Unterschiede in den Chancen zur Entwicklung einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz finden je nach zugrunde liegendem normativen Modell. Da diese in Teil B hergeleiteten Modelle jeweils bestimmte institutionelle Arrangements sowie bestimmtes Partizipationsverhalten im Hinblick auf ethnische Spaltungen legitimieren, wurden zum einen die unterschiedlichen Institutionen je nach Demokratieform und Staatsbürgerschaftsregime und zum anderen die Art der Beteiligung ethnischer Gruppen betrachtet. Allgemein zeigen die Ergebnisse zum Einfluss verschiedener Demokratieformen, dass es weniger zu gewaltsamen ethnischen Konflikten kommt und Minderheiten mit der Demokratie zufriedener sind, wenn es Mechanismen gibt, die prozedurale Gerechtigkeit im demokratischen Prozess sichern, ihnen also trotz ihres Minderheitenstatus Gelegenheiten bieten, auf Regierungsentscheidungen Einfluss zu nehmen. Mehrere Ländervergleiche kommen daher zu dem Ergebnis, dass konsoziativen Demokratien im Vergleich zu anderen Demokratieformen der Vorzug gewährt werden sollte. Hier würden ethnische Konflikte besser gemanagt, der Unterschied in der Systemunterstützung zwischen Gewinnern und Verlierern sei deutlich geringer und die Gefahr kleiner, als Minderheit wiederholt zu den Verlierern zu gehören und sich deshalb vom System abzuwenden. Die Vorteile des konsoziativen Modells, besonders seine größere Repräsentativität, kommen jedoch erst dann voll zum Tragen, wenn erstens nicht nur formal, sondern effektiv Einfluss auf die Entscheidungsfindung gewährt wird und wenn zweitens die Minderheiten selbst einigermaßen geeint sind, radikalisierte Abspaltungen nicht jede Einbeziehung verweigern. Dieser Verweis auf effektiven Einfluss erinnert daran, dass konsoziative Demokratie sowohl formelle Mechanismen, wie ein proportionales Wahlsystem, beinhaltet als auch informelle Faktoren, wie Koalitionsbildung und einen bestimmten Verhaltenskodex der Eliten. Denn formelle Unterscheidungen zwischen Präsidentialismus und Parlamentarismus oder zwischen majoritärem und proportionalem Wahlrecht reichen nicht, um die tatsächliche Machtteilung und auch informelle Mechanismen des Ein- oder Ausschlusses von Gruppen zu erfassen, sie bestimmen nur zu einem Teil, ob ein politisches System Gleichheit zwischen ethnischen Gruppen gewährleistet. Diese Formalia zeigten daher deutlich weniger Einfluss auf Konflikt- und Identifikationsprozesse als der Einbezug sowohl formeller als auch informeller Institutionen. Ethnische Hegemonien ha-
Zusammenfassung der Ergebnisse
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ben am wenigsten Potenzial für eine demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz. Hierauf hat neben der Demokratieform auch das Staatsbürgerschaftsregime großen Einfluss, das zunächst bestimmt, wer legitimes Mitglied der politischen Gemeinschaft und zur Beteiligung am demokratischen Prozess überhaupt berechtigt ist und welche Art der Beteiligung erwartet wird. Hier erbrachte der Einbezug sowohl der legalen als auch kulturellen Dimension der Gesetze zur Erlangung der Staatsbürgerschaft und zur Regelung des Ausdrucks ethnischer Unterschiede interessante empirische Ergebnisse. Beide Dimensionen beeinflussen deutlich die Bereitschaft der Mehrheitsbevölkerung, ethnische Minderheiten sowohl in politischer als auch sozialer Hinsicht zu tolerieren. Einheimische in kollektivistisch-ethnischen Ländern sind deutlich weniger tolerant als diejenigen in inklusiveren Regimen, wobei das Ausmaß an Toleranz in individualistischzivilen Ländern dasjenige in kollektivistisch-zivilen noch deutlich übersteigt. Darüber hinaus mediieren diese Gesetze die Erklärungskraft Toleranz beeinflussender, individueller Faktoren wie nationale Identität, Ideologie und Zufriedenheit mit der Demokratie. Für die Unterscheidung verschiedener Modelle demokratischer Gemeinschaft bedeuten diese Ergebnisse, dass das ethnische Modell mit wenig politischer und sozialer Toleranz ethnischer Unterschiede verbunden ist, von demokratischer Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz also auch empirisch kaum gesprochen werden kann. Das republikanische Modell ist zwar wahrscheinlich mit mehr politischer Toleranz verbunden, aber nach wie vor mit wenig sozialer Toleranz. Tatsächliche demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz hat aufgrund hoher Werte sowohl politischer als auch sozialer Toleranz in der Realität am ehesten Chancen in zivilen, plural verstandenen Regimen. Hierzu können sowohl das individualistisch orientierte liberale als auch das mit Gruppenrechten explizit verbundene konsoziative Modell gezählt werden. Welchem dieser beiden ein stärkerer Zusammenhang mit Toleranz zukommt, ist empirisch nicht geklärt. Das Staatsbürgerschaftsregime beeinflusst ebenso kollektive Identifikationen und Handlungen ethnischer Minderheiten. Friedliche politische Beteiligung, wie Interesse an der Politik im Aufenthaltsland sowie proaktives, nicht nur defensives Engagement zu seiner Veränderung, wurden als Zeichen der Akzeptanz demokratischer Spielregeln und der Identifikation mit der demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Verschiedenheit interpretiert. Vergleichende Forschungen bestätigen, dass die Form institutioneller Kanalisierung die Art der Mobilisierung erklärt: Interesse und Engagement ethnischer Minderheiten werden durch eine inklusive, liberale sowie stärker multikulturalistische Rahmensetzung auf lokaler und mehr noch nationaler Ebene gefördert, nicht jedoch durch exklusiven Umgang wie in ethnischen Modellen. Allerdings sind auch in diesen
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Zusammenfassung der Ergebnisse
Studien die Grenzen zwischen individualistisch liberalen und stärker multikulturalistisch orientierten Modellen nicht deutlich, so dass deren jeweilige Vor- und Nachteile wiederum nicht angemessen bewertet werden können. Auch hier bleibt somit die Schlussfolgerung, dass mehr und differenziertere empirische Vergleiche noch ausstehen. Die aufgezeigten Studien vor allem in Form von nationalen Vergleichen lieferten anschauliche Belege dafür, dass Unterschiede in der Integration ethnischer Differenz, verkörpert durch Einwanderer und ethnische Minderheiten, mit unterschiedlichen institutionellen Rahmen verbunden sind. Die normativen Modelle implizieren jedoch auch ein bestimmtes Partizipationsverhalten und Verhältnis zwischen Gruppen. Dieses ist ebenso wichtig zu betrachten wie die Institutionen, da die ethnischen Gruppen selbst als mehr oder weniger aktive Akteure zur Gemeinschaftsbildung beitragen. Gruppeninterne Bedingungen wie aktuelle Bedeutung der ethnischen Identität, Kohäsion und Netzwerke unter den Gruppenmitgliedern sowie Mobilisierungsmuster beeinflussen die Identifikation mit der politischen Gemeinschaft und damit die Existenz und Persistenz bestimmter Modelle demokratischer Gemeinschaft, indem sie wie Institutionen Sozialisations- und Gelegenheitsstrukturen zur Verfügung stellen und letztlich Handlungsentscheidungen anleiten. In der Tat findet sich ein reziproker Zusammenhang zwischen Vereinigungen und Demokratie; dies allerdings nur in einem allgemeinen Klima von Vertrauen, was besonders in einem multikulturellen Kontext nicht vorausgesetzt werden kann. Interpersonales Vertrauen ist konsistent positiv mit der Unterstützung der Demokratie, der Regimeinstitutionen und -performanz verbunden. Erhöhtes Interesse an Politik korreliert hingegen bei titularen Nationalitäten positiv mit der Unterstützung der Institutionen und Demokratie, bei Minderheitengruppen negativ. Dasselbe gilt für den Einfluss von Mitgliedschaft in Vereinigungen. Insgesamt erhöht verstärkte politische Beteiligung und soziales Engagement von Mitgliedern der Mehrheitsbevölkerung deren Unterstützung der Demokratie, der Regierung und der Regimeinstitutionen, während in der Regel die mobilisierteren Mitglieder ethnischer Minderheiten Demokratie weniger unterstützen als die passiveren Mitglieder. Hierbei handelt es sich allerdings um eine grobe und allgemeine Bewertung zivilen Engagements. Zur detaillierteren Einschätzung des Einflusses speziell von Vereinigungen ist es interessant, dass verschiedene Facetten von Sozialkapital in unterschiedlichem Ausmaß mit Vereinsmitgliedschaft verbunden sind: Vor allem politische Aktivitäten gehen mit Mitgliedschaft in freiwilligen Vereinigungen aller Art Hand in Hand. Auch generalisiertes Vertrauen und Gegenseitigkeit ist verbunden mit Mitgliedschaft in den meisten Vereinigungen, nicht jedoch Toleranz. Allerdings besteht eine erstaunliche Varianz zwischen Ländern
Zusammenfassung der Ergebnisse
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im Hinblick auf die Typen von Vereinigungen, die am meisten Sozialkapital produzieren. Als vielsagenderer Indikator stellte sich daher die Diversität einer Vereinigung heraus, ihre interne Homo- oder Heterogenität. Empirisch zeigt sich Länder übergreifend ein Zusammenhang zwischen der Diversität des Vereinssektors und dem Ausmaß, zu dem Mitglieder generalisiertes Vertrauen aufweisen und sich an Gemeinschaftsaufgaben beteiligen. Auf einzelne Vereinigungen heruntergebrochen, bleibt dieser Zusammenhang bestehen: Überbrückendes Sozialkapital in Form von multi-ethnischen Vereinigungen trägt stärker als andere Arten von Sozialkapital zur Reduzierung von Vorurteilen und zur Steigerung von Vertrauen zwischen ethnischen Gruppen bei, wobei ein ausgewogenes Verhältnis innerhalb der Vereinigung einen stärkeren Einfluss hat. Ebenso haben Vereinigungen, die mit anderen über multiple Mitgliedschaften ihrer Mitglieder verbunden sind, im Gegensatz zu denen, die isoliert sind, einen positiven Einfluss auf demokratische Einstellungen allgemein. Intern heterogene oder durch multiple Mitgliedschaften verbundene Vereinigungen zeitigen einen positiven Einfluss auf die Existenz und Persistenz einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz. Dieser empirische Zusammenhang bestätigte somit die normativen Erwartungen des liberalen Modells, während homogene und zugleich isolierte Vereinigungen keinen positiven Einfluss auf eine demokratische Gemeinschaft haben. Untermalt wurde der Zusammenhang zwischen Diversität des zivilen Lebens und mehr demokratischer Gemeinschaft durch den Vergleich verschiedener indischer Städte. Ausmaß und Form des bürgerlichen Engagements beschränken oder fördern dort interethnische Polarisierung und Gewalt. Wo inter-ethnische zivile Netzwerke existieren, werden Spannungen und Konflikte weitgehend friedlich geregelt; wo solche Netzwerke fehlen, gehen ethnische Identitäten häufig mit Gewalt zwischen ethnischen Gruppen einher. Dabei fördern sowohl formales Engagement in Organisationen als auch alltägliche, nicht organisierte Formen inter-ethnischen Engagements Frieden, doch die Fähigkeit von Organisationen, exogenen Schocks standzuhalten, stellte sich als bedeutend höher heraus. Ein ethnisch gemischtes Vereinigungsleben kann als Handeln auf der Prozessebene einer liberalen demokratischen Gemeinschaft zugeordnet werden. Für eine solche Gesellschaftsstruktur sind daher liberale, nicht konsoziative Strukturen angemessener. Doch auch ein ethnisch segregiertes Vereinigungsleben kann unter bestimmten Bedingungen gemeinschaftsfördernd wirken – in diesem Fall dem konsoziativen Modell folgend. Dies konnte an verschiedenen Formen friedlicher politischer Beteiligung speziell von Migranten sowie deren Orientierungen gegenüber dem Aufenthaltsland in ausgewählten europäischen Städten gezeigt werden. Intra-ethnisches Sozialkapital ist immer dann sozial integrierend, wenn die Gruppen eine große Anpassungsmotivation mitbringen und intern weitge-
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Zusammenfassung der Ergebnisse
hend interessen-konvergent strukturiert sind. Mitgliedschaft in ethnischen Organisationen speziell beeinflusst politische Aktivitäten positiv, politisches Interesse jedoch eher negativ, wobei Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen bestehen. Es stellte sich heraus, dass der Einfluss ethnischer Organisationen vollständiger eingeschätzt werden kann, wenn die Aggregatebene der Organisiertheit einer ethnischen Gruppe mitberücksichtigt wird. Studien zur Organisationsstruktur ethnischer Gemeinschaften zeigten, dass nicht die Anzahl individueller Vereinsmitgliedschaften allein, sondern vor allem das Ausmaß der Integration auf der Gruppenebene, ausgedrückt in der Dichte des Netzwerks ethnischer Organisationen, einen positiven Effekt auf das Maß politischen Vertrauens von Einwanderern in die umfassende politische Gemeinschaft hat. Mitglieder einer ethnischen Gemeinschaft, die intern gut organisiert ist und deren Elite ihrerseits gut in die lokale politische Elite integriert ist, tendieren dazu, sich mehr an lokaler Politik zu beteiligen als Mitglieder einer nur schwach organisierten ethnischen Gemeinschaft, selbst wenn diese individuell mehr Verbindungen außerhalb ihrer ethnischen Gemeinschaft haben als die ersteren. Für die Analyse des Einflusses von Sozialkapital auf individuelle Einstellungen wie generalisiertes Vertrauen und demokratische Überzeugungen bedarf es somit der Kombination von individuellem und kollektivem Sozialkapital, also von Daten über individuelle Mitglieder mit Informationen über die Merkmale von Vereinigungen. Ausgangspunkt sind individuelle Mitgliedschaften in verbundenen oder isolierten Organisationen, zusätzliche Indikatoren sind das soziale Netzwerk der Migrantin und das Sozialkapital der Organisation, reflektiert in ihrer Verbundenheit oder der Dichte des organisatorischen Netzwerks der ethnischen Gemeinschaft. Intern bindendes Sozialkapital ist also umso integrierender und letztlich demokratieförderlicher, je stärker es extern mit der weiteren politischen Gemeinschaft verbunden ist. Da intra-ethnische Vereinigungen eine konsoziative demokratische Gemeinschaft auszeichnen, zeigten die Studien, unter welchen Umständen eine solche Gemeinschaft trotz fehlender Heterogenität, wie sie vom liberalen Modell betont wird, möglich und persistent ist: je stärker die ethnischen Gemeinschaften intern organisiert und je mehr ihre Eliten in die Machtstruktur integriert sind. Fehlen diese Merkmale ethnischen Sozialkapitals, hat es keinen positiven Einfluss auf die Entstehung einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz; Entfremdung oder Abspaltung sind dann eher zu erwarten. Die Ergebnisse der aufgezeigten Studien zum institutionellen und gruppenbasierten Einfluss auf die Entstehung oder Persistenz demokratischer Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz sind im folgenden Schaubild vereinfacht als Überblick zusammengefasst.
Zusammenfassung der Ergebnisse Abbildung 6:
Ergebnisse der Studien
Aspekte demokratischer Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz
Institutioneller Einfluss
Ethnisch Liberal/ konsoziativ
Konsoziativ
Konsoziativ
Liberal/ konsoziativ Ethnisch
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í
Gruppenbasierter Einfluss
Friedlicher Austrag ethnischer Konflikte
+
Heterogene Vereinigungen
Politische Beteiligung Identifikation mit polit. Gemeinschaft
+
Homogene, verbundene Vereinigungen
+
Heterogene Vereinigungen
+
Heterogene Vereinigungen
+ +
+
+ í
Unterstützung der Demokratie Toleranz
Schlussfolgerungen
271
Schluss: Spannungen und Entwicklungstendenzen demokratischer Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz Schluss Schlussfolgerungen Das übergeordnete Ziel einer politischen Gemeinschaft ist die politische Arbeitsteilung, sei es zur Steigerung des individuellen Wohls durch Sicherung von Leben, Freiheit und Eigentum, sei es zur Steigerung des Gemeinwohls. Eine solche Gemeinschaft ist stabil, wenn sich die Mitglieder mit dem gemeinsamen Ziel identifizieren und konkurrierende Gruppenidentifikationen diesem nicht widersprechen. Dieses Ziel sowie die Mittel, es zu erreichen, sind stets Gegenstand politischer Auseinandersetzungen, Konflikte hierum sind der Kern von Politik überhaupt. In ethnisch pluralen Gesellschaften werden diese Konflikte häufig in ethnischen Kategorien definiert, wenn diese Grenzziehungen in der Bevölkerung auf Resonanz treffen und sich als kollektive Identitäten frei äußern können, wie es in Demokratien der Fall ist. Aufgrund vertrauter Grenzziehungen und Unterscheidungsmerkmale fällt die Mobilisierung von Individuen zu politischen Zwecken auf der Grundlage ethnischer Kategorien häufig leichter. Ethnisch definierte politische, soziale und ökonomische Konflikte tragen allerdings besonderes Spaltungspotenzial in sich. Da sich ethnische Gruppen in der Regel auf primordiale Codes der Gemeinschaftsbildung berufen, sich somit als besonders ursprünglich definieren, beanspruchen sie häufig den Vorrang vor anderen Identifikationen bis hin zu einer sozialen Repräsentation, die eine friedliche Koexistenz mit anderen Gemeinschaften ausschließt. Dauerhafter und schwer zu lösender Konflikt kann vermieden werden, solange die Mehrheit der Bürger und die unterschiedlichen Gemeinschaften der Wille zur politischen Arbeitsteilung eint, also ein übergeordnetes Ziel besteht. Bei durchgängigen Interessen- oder Zielkonflikten sowie einseitig oder beidseitig empfundenen Bedrohungsgefühlen hingegen ist die Spaltung einer umfassenden politischen Gemeinschaft entlang ethnischer Linien wahrscheinlich, von diskriminierenden Einstellungen wie Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit bis hin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen in Form von Krawallen, Unruhen bis Bürgerkrieg. Vor diesem Hintergrund lautete die grundlegende Fragestellung dieser Arbeit, durch was sich eine demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz auszeichnet und unter welchen Bedingungen sie entsteht oder bestehen bleibt.
272
Schluss
Dabei wurden vor allem die Konstruktionsweisen politischer Gemeinschaft im Hinblick auf ethnische Unterschiede genauer betrachtet, wie sie in normativen Diskussionen entworfen und institutionell umgesetzt werden. Sowohl diese Institutionen als auch soziale Strukturen wurden daraufhin untersucht, inwiefern sie die Existenz einer demokratischen Gemeinschaft allgemein und einer bestimmten Form demokratischer Gemeinschaft im Speziellen beeinflussen. Ausgangspunkt waren die verschiedenen Bezugsebenen des Volkes als dem Herrschaftsträger in einer Demokratie. Da sich dieser Begriff sowohl in politischer, kultureller als auch ethnischer Hinsicht auf Formen der Vergemeinschaftung bezieht, wurde nach einer einführenden Diskussion des umstrittenen Begriffs zunächst ein neutrales Konzept von Gemeinschaft erläutert, das sich durch die kognitive, emotionale und verhaltensprägende Identifikation der Mitglieder mit den durch verschiedene Codes vorgegebenen Grenzen und Gemeinsamkeiten auszeichnet und deren Persistenz mit der Intensität dieser Identifikation variiert. Ethnischen Gemeinschaften wird aufgrund ihrer primordialen Codierung ein besonders konfliktives Verhältnis zur Außenwelt nachgesagt, was in der Forschung zu ethnischen Konflikten sowohl durch sozialpsychologische Theorien über die Dynamik von Selbst- und Fremdkategorisierung und die Bedeutung sozialer Identitäten als auch durch realistische Konflikttheorien gestützt wird. Der Einfluss psychologischer und materieller Umstände wird jedoch durch soziale Repräsentationen mediiert, was hinsichtlich der Chancen einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz die Art der Konstruktion der umfassenden politischen Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellt. Die Konstruktion einer politischen Gemeinschaft ist geprägt vom Verständnis des Demos und der Nation, die in unterschiedlichem Ausmaß als deckungsgleich vorgestellt werden. Versteht man eine politische Gemeinschaft als durch den Willen ihrer Mitglieder zur politischen Arbeitsteilung ausgezeichnet, so wird deutlich, dass die spezifische Regierungsform der Demokratie, charakterisiert durch Volksherrschaft und die gegenseitige Anerkennung als Freie und politisch Gleiche, in besonderem Maße von der Unterstützung durch die Bürger abhängt. Die Existenz einer demokratischen Gemeinschaft im Sinne der kognitiven, emotionalen und verhaltensprägenden Identifikation der Bürger mit demokratischen Werten, Strukturen und Prozessen ist hierfür zentral, insbesondere im Hinblick auf die Legitimität des Regimes. Allerdings wird Demokratie ganz unterschiedlich verstanden, was in normativen Diskussionen der Demokratietheorie zum Ausdruck kommt. Ebenso vielfältig ist das Verständnis der zugrunde liegenden nationalen Gemeinschaft, wobei herkömmlich vor allem ein ethnisches und ein ziviles Verständnis voneinander abgegrenzt werden. Jedoch machten vor allem die Debatten um Multikulturalismus und verschiedene Formen der Anerkennung ethnischer und kultureller Differenzen ein dichotomes Verständnis obsolet.
Schlussfolgerungen
273
Im zweiten Teil der Arbeit wurde daher die inhaltliche Füllung des Begriffs des Demos im Verhältnis zu Ethnos und Nation je nach Art der Grenzziehung und Definition der Gemeinsamkeiten eingehender betrachtet. Hierfür wurden die zentralen normativen Positionen hinsichtlich des Ausmaßes demokratischer Gemeinschaft und jene hinsichtlich der Anerkennung ethnischer Differenz vor allem in Form von Gruppenrechten in den Blick genommen. In allen drei vorgestellten normativen Theorien, im Liberalismus, Republikanismus wie auch Kommunitarismus, ist allenfalls eine Minimalbedingung für Demokratie erfüllt, wenn sich alle relevanten Akteure formal an die ‚Spielregeln’ halten. Ein solch minimales Verständnis demokratischer Herrschaft, das lediglich ein prekäres Zusammenleben in Form eines modus vivendi ermöglicht, wird je nach Demokratietheorie unterschiedlich normativ aufgeladen, besonders hinsichtlich der Motivation zur demokratischen Arbeitsteilung, der kulturellen Bestandsvoraussetzungen und des nötigen Maßes an solidarischem Zusammenhalt. Auch wenn sich die Positionen mittlerweile angenähert haben, werden in einem abstraktuniversalistischen Liberalismus und einem eher traditional-kontextualistischen Kommunitarismus bei Inhalt, Umfang sowie dem postulierten Weg der Gemeinschaftsbildung andere Schwerpunkte gesetzt: Liberale betonen den Gesichtspunkt der Freiheitsbedingungen menschlicher Subjekte, während Kommunitaristen mehr die Bestandsvoraussetzungen einer demokratischen Politik selbst interessiert, da die Ausübung liberaler Freiheitsrechte nur gewährleistet sei, wenn sich die Subjekte in einer Gemeinschaft wechselseitiger Anerkennung eingebunden wissen. Der Fokus der Anerkennung liegt in einer liberalen Gemeinschaft auf dem rechtlich festgelegten Freiheitsspielraum des jeweils anderen. In einer kommunitaristischen Gemeinschaft hingegen soll der andere jeweils aufgrund seiner partikularen Eigenschaften geschätzt werden, so dass über Respekt und Toleranz hinaus Solidarität aus wechselseitiger Wertschätzung entsteht. Liberale Grundrechte seien nicht ausreichend für notwendige Identifikationsprozesse, für die zusätzlich ‚dichte‘ Werte der kulturellen Tradition als Referenzobjekte zur Verfügung stehen müssten. Inwieweit ein Gemeinschaftsgefühl auf der Grundlage solcher Werte besteht, bleibt letztlich eine empirische Frage. Gerade im Hinblick auf den Schutz oder gar die Förderung subnationaler Gemeinschaften ergeben sich jedoch je nach normativer Grundlegung unterschiedliche Konsequenzen für institutionelle Arrangements, was in erster Linie die Frage nach der Rechtfertigung von Gruppenrechten betrifft. Streng Liberale lehnen diese ab, andere hingegen versuchen sie auf dezidiert liberaler Grundlage zu rechtfertigen im Sinne der Ermöglichung individueller Freiheit. Stärker multikulturalistisch argumentieren pluralistische Kommunitaristen zur Anerkennung des Besonderen ethno-kultureller Gemeinschaften, so dass bisweilen individuelle Freiheit dem Überleben von Gemeinschaften unterzuordnen sei. Stark multikul-
274
Schluss
turalistische Vorstellungen sind institutionell am weitesten in konsoziativen Demokratien umgesetzt, in denen sich die subnationalen Gemeinschaften weitgehend selbst regieren und vorwiegend durch Elitenkompromisse zusammengehalten werden. Aus der Verbindung dieser normativen Debatten ergab sich zur Verortung verschiedener Modelle demokratischer Gemeinschaft ein durch zwei Dimensionen definiertes Feld, die das Verhältnis vom Demos zum Ethnos und damit das Maß und die Form der Einbeziehung oder Ausgrenzung ethnischer Verschiedenheit weitgehend bestimmen. Die sich ergebenden Modelle demokratischer Gemeinschaft sind somit charakterisiert durch unterschiedlichen Umgang mit ethnischer Differenz. In Reinform sind dies erstens Exklusion durch Unterdrückung (ethnisch), zweitens Kompromiss durch Segregation (konsoziativ), drittens Fusion durch Assimilation (republikanisch) sowie viertens Konsens durch Abstraktion von ethnischen Differenzen (liberal) – mit den Kommunitaristen in einer Mittelposition. Letztlich gibt es zwei gegensätzliche, langfristige Ziele im Umgang mit ethnischen Unterschieden: entweder soll die Gesellschaft immer homogener werden, wie es das ethnische und zu einem geringeren Maß das republikanische Modell anstreben, oder die existierenden Muster von Pluralismus werden als kontinuierliche Realität akzeptiert, zugleich wird jedoch ihre politische Bedeutung entweder durch Abstraktion verringert wie im liberalen Modell oder legitimiert, aufrechterhalten und sogar gefördert wie im konsoziativen Modell. Eine republikanische und eine ethnische demokratische Gemeinschaft teilen die Betonung einer starken, einheitlich nationalstaatlichen Gemeinschaft, die kulturell respektive ethnisch bestimmt ist und an die sich Individuen assimilieren müssen. Da ethnische Demokratie primordial codiert ist, ist es schwer, zumal für phänotypisch anders Aussehende, sich anzupassen und volles Mitglied der Gemeinschaft zu werden. Republikanismus hingegen betont unter den demokratischen Werten besonders die Pflicht zur politischen Beteiligung, was mit der Forderung nach vergleichsweise starker Identifikation und Solidarität verbunden ist, letztlich auf der Grundlage einer gemeinsam geteilten Vorstellung vom guten Leben. Mit (ethno-)kultureller Differenz ist dies nur insoweit vereinbar, solange diese im Privaten bleibt und nicht mit dem substanziell verstandenen Gemeinwohl in Konflikt tritt. Damit wird in der republikanischen Willensnation deutlich mehr Anpassung verlangt als im Liberalismus, die Grenze zwischen kultureller und ethnischer Assimilation ist faktisch bisweilen schwer aufrechtzuerhalten. Somit haben sowohl der primordiale Nationenbegriff als auch das Konzept der Willensnation Vorstellungen von Homogenität zur Voraussetzung, sie erachten die komplexe Gemeinschaft der Nation nur dann als funktionsfähig, wenn ihre Mitglieder durch ein mythisches Band – sei es die ethnische Gleichartigkeit oder der geistige Gleichklang – verbunden sind. Beide haben daher eine Tendenz zum
Schlussfolgerungen
275
Abbau pluralistischer Strukturen. Die Vorstellungen pluralistischer Kommunitaristen nehmen hier eine Mittelposition ein, da sie zwar den Wert subnationaler Gemeinschaften anerkennen, zugleich jedoch den umfassenden Zusammenhalt auf der Grundlage gegenseitiger Wertschätzung betonen. „Einheit in Vielfalt“ oder eine demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz kann daher letztlich auf grundlegende Unterschiede zugespitzt auf zwei Weisen konzipiert werden: entweder gedacht als Zusammenschluss von Individuen (liberales Modell) oder als Zusammenschluss von Gruppen (konsoziatives Modell), die sich gemeinsame Grenzen und Gemeinsamkeiten in einer politischen Gemeinschaft zuschreiben. Während das liberale Modell die Einsicht in Gerechtigkeitsprinzipien betont, beruht das konsoziative Modell vor allem auf der Vermittlung von Kompromissen durch kooperationsbereite Eliten. Das hervortretendste Merkmal in der institutionellen Abgrenzung beider Varianten ist das Ausmaß, in dem Gruppenrechte gewährt werden. Während eine liberale demokratische Gemeinschaft auf der gegenseitigen Anerkennung als freie und gleiche Individuen aufbaut und diese Anerkennung vor allem in Individualrechten umsetzt, betont eine konsoziative demokratische Gemeinschaft die gegenseitige Anerkennung als freie und gleiche Mitglieder unterschiedlicher Gruppen, was sich in ausgedehnten Gruppenrechten niederschlägt. Die Werte (Kultur), Institutionen (Struktur) und Handlungen (Prozess) einer demokratischen Gemeinschaft entsprechen selten vollständig den normativen Vorgaben dieser Modelle. Bestehende Diskrepanzen können als Katalysator für Veränderungen oder bei entsprechendem Ausmaß als Gefahr für die Persistenz der demokratischen Gemeinschaft und damit langfristig für das System als Ganzes angesehen werden. Über das Konflikt- und Spaltungspotenzial ethnischer Differenz entscheidet, ob inhaltliche Unterschiede oder solche der Intensität mit ethnischen Spaltungen zusammenfallen. Dies ist eine brisante empirische Frage. Ob je nach Modell unterschiedliche Dynamiken und Zusammenhänge zu erwarten sind, wurde daher im dritten Teil mit Hilfe ausgewählter empirischer Studien untersucht. Auch wenn ein umfassend systematischer empirischer Vergleich noch aussteht, der sämtliche Bedingungen einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz aufzeigen würde, machten die ausgewählten Studien bereits deutlich, dass sowohl die institutionelle Umsetzung der durch die normativen Theorien inspirierten Modelle einen großen Einfluss auf die tatsächliche Entstehung und Persistenz einer solchen Gemeinschaft über ethnische Spaltungslinien hinweg hat, als auch die jeweiligen zivilgesellschaftlichen Strukturen. Institutionelle Faktoren auf der Ebene der politischen Gemeinschaft sowie strukturelle Faktoren auf der Ebene ethnischer Gruppen beeinflussen die Bedeutung ethnischer Identitäten, die Entstehung ethnischer Konflikte und letztlich die Identifikation mit der umfassenden politischen Gemeinschaft.
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Schluss
Während das ethnische Modell demokratischer Gemeinschaft – Machtkonzentration der Mehrheit durch monistisches Nationsverständnis bei ethnischer Definition der Mitgliedschaft – bei jedem der betrachteten Aspekte einer umfassenden demokratischen Gemeinschaft (Austragungsform ethnischer Konflikte, Zustimmung der Verlierer, Toleranz der Mehrheit und Identifikation von Minderheiten) schlecht abschnitt und ein wirklich republikanisches Modell – Machtkonzentration der Mehrheit durch monistisches Nationsverständnis bei inklusiver Definition der Mitgliedschaft – sowie ein kommunitaristisches Modell kaum auffindbar waren, bestätigte die Empirie, dass in der Tat die normativen und institutionellen Rahmen liberaler und stärker multikulturalistischer bis hin zu konsoziativer Modelle am meisten Potenzial zur Entstehung einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz in sich tragen. Die institutionelle Umsetzung des liberalen und konsoziativen Modells erweist sich auch empirisch im Vergleich zu exklusiveren Codierungen politischer Gemeinschaft als besser fähig, mit ethnischen Konflikten umzugehen und Identifikation mit der politischen Gemeinschaft über ethnische Spaltungslinien hinweg zu fördern. Um das Beschwerdepotenzial möglichst gering zu halten und so die Chancen zur Entstehung oder Aufrechterhaltung einer demokratischen Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz zu erhöhen, ist für beide Modelle entscheidend, ob Selbst- und Fremdwahrnehmung übereinstimmen, ob sich also die Wahrnehmung der Mitglieder ethnischer Gemeinschaften und ihre Wahrnehmung durch den Staat entsprechen. Die pluralen Formen demokratischer Gemeinschaft unterstützen in unterschiedlichem Maß die Aufrechterhaltung von ethnischen Gruppengrenzen. Welche Form angemessen ist, hängt letztlich von der Resonanz für Gruppenanliegen einerseits in den Minderheitengruppen und andererseits in der Mehrheitsbevölkerung ab. Das liberale Modell ist angemessen, wenn die kollektiven Identitäten der verschiedenen ethnischen Gemeinschaften politisch nicht salient sind, also kein hervorgehobenes Merkmal im Gesamtkontext darstellen. Dies ist am ehesten der Fall, wenn die Gerechtigkeitsgrundsätze umfassend und für alle umgesetzt sind. Da dies jedoch in der Regel nicht der Fall ist, ist es notwendig, dass die Angehörigen untergeordneter Gruppen von der Möglichkeit sozialer Mobilität überzeugt sind, also davon, dass sie als Individuen ihre soziale Kategorie verlassen und individuell in der Ranghierarchie aufsteigen können. Dadurch wird die Entwicklung einer kollektiven Identität verhindert und Beschwerden werden in nichtkollektiven Begriffen gefasst. Wird ein solches Überzeugungssystem und die damit verbundenen Erwartungen jedoch dauerhaft enttäuscht, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Gruppengrenzen als statisch wahrgenommen werden. Beschwerden werden dann kollektiv wahrgenommen und kollektive Strategien gewählt, um diese zu beseitigen – entweder im Streben nach Gleichbehand-
Schlussfolgerungen
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lung im liberalen Rahmen oder nach einer Änderung der gesamten Konzeption der politischen Gemeinschaft von individualistisch hin zu gruppenzentriert. In universalistisch codierten liberalen Demokratien fällt die Identifikation mit der politischen Gemeinschaft somit insgesamt leichter, wenn die Identifikation mit der ethnischen Gruppe nicht stark ausgeprägt ist. Beschwerden sind zu erwarten, wenn sich erstens Kollektive durch die individuelle Konzeption politischer Gemeinschaft unter großem Assimilationsdruck fühlen und eine eigenständigere Entwicklung wünschen, und wenn zweitens kulturelle und sozio-ökonomische Spaltungslinien zusammenfallen. Sind die kollektiven Identitäten ethnischer Gemeinschaften politisch sehr salient, empfiehlt sich ein multikulturalistisches bis konsoziatives Modell. Da politische Konflikte hauptsächlich in ethnisch kollektiven Begriffen verstanden und ausgetragen werden, wird die Wahrnehmung kollektiver Beschwerden und Handlungen immer wieder bekräftigt und reproduziert und somit Gruppengrenzen verfestigt. Allein die Existenz salienter Gruppengrenzen induziert jedoch noch nicht tiefgreifenden Konflikt. Entscheidend für das Ausmaß an Konflikt sind der Deutungsrahmen der Gruppen und ihre Beziehungen zueinander. So kann eine andere Gruppe und ihre Andersartigkeit einmal als Bedrohung, das andere Mal als Bereicherung interpretiert und empfunden werden. Letzteres ist besonders dann der Fall, wenn gemeinsame Ziele verfolgt werden. Zur Bestimmung des Verhältnisses leisten neben der Vergangenheit der Gruppenbeziehungen und den bestehenden normativen Deutungsrahmen in der Kultur insbesondere die Eliten einen großen Beitrag. Die Identifikation mit einer konsoziativen demokratischen Gemeinschaft fällt somit insgesamt leichter, wenn die ethnische Identität stark empfunden wird bei gleichzeitig bestehendem Willen zur politischen Arbeitsteilung mit anderen Gruppen. Beschwerdepotenzial entsteht, wenn entweder die Eliten der etablierten Gruppen nicht repräsentativ sind – was interne Aushandlungsprozesse und den Status interner Minderheiten, besonders auch von Frauen betrifft – oder wenn neue Gruppen die gleiche offizielle Anerkennung fordern, beispielsweise neue Einwanderergruppen. In der Realität sind Mischformen oder Entwicklungen von einem Modell hin zum anderen nicht nur möglich, sondern sogar nicht unüblich. Die Dynamik der Konstruktion ethnischer und politischer Gemeinschaften kann durchaus Entwicklungen hervorbringen, in denen sich ein Staat, der bisher einem der dargestellten Modelle nahe stand, dem anderen annähert. Dies kann in beide Richtungen geschehen. Fordern ethnische Minderheiten in einer liberalen Demokratie verstärkt die Anerkennung ihrer kollektiven Identität durch bestimmte Gruppenrechte und wird darauf eingegangen, nimmt das politische System multikulturalistische Elemente auf, auch wenn es grundsätzlich auf Individualrechten aufbaut. Je mehr die liberale Gemeinschaft zur Herstellung von Chancengleichheit auf Gruppen-
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Schluss
rechte zurückgreift, desto mehr entwickelt sie sich zu einer multikulturalistischen Demokratie – mitsamt ihren eigenen Dynamiken. Maßnahmen mit dem Ziel der Gleichberechtigung von Mitgliedern subnationaler Gemeinschaften und jene zur Aufrechterhaltung solcher Gemeinschaften selbst ähneln sich in der realen Umsetzung und können daher zu im liberalen Modell nicht intendierten Folgen der Segregation führen. Eine umfassende Entwicklung zu einer konsoziativen Demokratie ist allerdings dann unwahrscheinlich, wenn es eine klare Mehrheit oder starke gruppeninterne Minderheiten gibt, die jeweils von einem liberalen Rahmen stärker profitieren. Lösen sich hingegen in einer konsoziativen demokratischen Gemeinschaft die Identifikation mit den ethnischen Gemeinschaften, ihre Organisiertheit und ihr Zusammenhalt immer mehr durch interne Pluralisierung oder Kritik auf, entfällt die Basis kollektiver Repräsentation und ethnisch neutrale Arrangements werden notwendiger und angemessener. So entwickelten sich die Niederlande zum Beispiel vom konsoziativen Modell in eine liberale Richtung, während klassisch liberale Staaten durch die Anerkennung ihrer Multikulturalität aufgrund von Einwanderung immer mehr einer „salad bowl“ ähneln. Diese Entwicklungsdynamiken, die Flexibilität im Umgang mit ethnokulturellen Unterschieden anmahnen, sind nicht zuletzt durch die spezifischen Gefahren verursacht, die beide Modelle in sich tragen und denen durch bestimmte Maßnahmen und Kräfte entgegen gewirkt werden muss, soll eine demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz Bestand haben. Wenn jegliche Gruppenrechte abgelehnt werden, wird es problematisch, die liberale Variante von einer kulturell homogenen republikanischen Herangehensweise abzugrenzen, denn in der faktischen Umsetzung verkörpert ein liberaler Staat eine dominante Kultur auch ohne offizielle Anerkennung derselben, wie an der Vorherrschaft der „White Anglo-Saxon Protestant“ Kultur der vielfach als Idealbeispiel eines inklusiven Schmelztiegels gepriesenen USA deutlich wird. Eine solche kulturelle Dominanz benachteiligt ohne zusätzliche Maßnahmen zumeist Minderheitengruppen durch ihre von der Mehrheitskultur abweichende Kultur. Die Abstraktion von jeglichen kulturellen Inhalten in der politischen, öffentlichen Sphäre ist häufig eine Illusion, die zwar als Leitlinie wichtig ist, deren kritische Hinterfragung jedoch erst wirkliche Neutralität ermöglicht. Wichtig ist daher eine wiederkehrende, öffentliche und möglichst gleichberechtigte Auseinandersetzung um die Konstruktion der politischen Gemeinschaft, um die Grenzziehung und Definition der relevanten Gemeinsamkeiten. Mögliche Schieflagen werden von Benachteiligten jedoch zumeist erst dann in diesen Abgleichungsprozess eingebracht, wenn sie sich zuvor ihrer Situation und Forderungen in einem kollektiven Selbstverständigungsprozess bewusst geworden sind, so dass sie ihnen Ausdruck verleihen können. Abgesehen von diesen eher exklusiven, im Idealfall vorübergehenden Gruppenbildungsprozessen sollten zivilgesellschaftli-
Schlussfolgerungen
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che Strukturen, die den Input für die notwendigen politischen Debatten geben und den sozio-kulturellen Hintergrund prägen, vor dem politische Positionen plausibel formuliert und vertreten werden können, in einer liberalen demokratischen Gemeinschaft möglichst heterogen sein, Vereinigungen intern aus Mitgliedern unterschiedlicher Gruppen bestehen, so dass hier gebildete Brücken zwischen ethnischen Gemeinschaften und die von ihnen ausgehenden konflikthegenden, toleranzfördernden und vertrauensbildenden Einflüsse die Salienz und damit das Konfliktpotenzial ethnischer Differenz insgesamt verringern. Die konsoziative Variante muss aufgrund ihrer Betonung von Elitenkompromissen und der Aufrechterhaltung von Gruppengrenzen durch Kollektivrechte um das Gemeinschaftselement stets besonders kämpfen. Die Grenzen und Gemeinsamkeiten subnationaler Gruppen sind immer präsent und dadurch potenziell dominant gegenüber denen der umfassenden politischen Gemeinschaft. Nicht selten erliegen ethnische Führer – „ethnic entrepreneurs“ – der Versuchung, langfristig friedliche Beziehungen kurzfristigen Vorteilen für sich oder ihre Anhänger zu opfern. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn die Eliten der ethnischen Gemeinschaften die einzigen Brücken zwischen diesen darstellen und sie allein der Dynamik auseinanderdriftender und sich misstrauender Gruppen entgegenwirken. Dies stellt hohe Anforderungen an den guten Willen der Eliten. Besonders in ressourcenarmen Staaten mit schwacher Tradition zivilgesellschaftlichen Engagements sind solche Regime eher instabil. Wenn sich die Machtbalance zwischen ethnischen Eliten ändert, fehlt dann häufig die Fähigkeit, die machtteilenden Formeln neu zu verhandeln. Insgesamt besteht bei diesen Institutionen daher die Gefahr des Immobilismus und der Aufrechterhaltung des Status Quo um jeden Preis, so dass die Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen besonders gesichert werden muss, sowohl auf der Ebene der politischen Gemeinschaft als auch auf derjenigen der ethnischen Gruppen. Hier sind intern demokratische Strukturen am vielversprechendsten, gerade auch um die Rückbindung an und Kontrolle der repräsentierenden Eliten durch ihre Basis zu gewährleisten. Als besonders Erfolg versprechend stellten sich in der bisherigen Forschung hierfür ethnische Vergemeinschaftungsformen heraus, die intern gut organisiert und miteinander vernetzt sind und deren Eliten in die umfassende Machtstruktur und Zivilgesellschaft integriert sind. Intra-ethnische Organisationsformen scheinen unter diesen Bedingungen dabei zu helfen, auch die einzelnen Bürger vermittelt über ihre Mitgliedschaft in der subnationalen Gruppe an die umfassende politische Gemeinschaft zu binden. Das Ausmaß interner Vernetzung wiederum ist auch durch die politischen Gelegenheitsstrukturen beeinflusst, vor allem aber von den Orientierungen und der Repräsentativität der Eliten der betreffenden Gruppen abhängig. Ohne intern demokratische Organisati-
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onsweisen ist der Gefahr der Essentialisierung und Festschreibung von Gruppengrenzen durch ihre Institutionalisierung schwer zu entkommen. Die aufgezeigten Studien zum Sozialkapital ganzer politischer Gemeinschaften und einzelner ethnischer Gemeinschaften veranschaulichten, dass es für eine demokratische Gemeinschaft trotz ethnischer Differenz vor allem auf Brücken zwischen ethnischen Gruppen ankommt, welche die konkrete oder vermittelte Erfahrung mit den „Anderen“ bieten und so einen umfassenden Gemeinschaftssinn fördern. Präferenzen und Interessen können durch einen solchen vorpolitischen Austausch so geformt werden, dass antagonistischen Positionen auf politischer Ebene entgegengewirkt wird. Dabei scheint inter-ethnischer Kontakt exogenen Einflüssen wie Gerüchten oder Manipulationsversuchen umso besser standzuhalten, je mehr er institutionalisiert ist. Die jeweilige Form des Vereinigungslebens, das selbst als ein Netzwerk gefasst werden kann, das durch seine spezifischen Bindungen und somit durch eine bestimmte interne und externe Struktur charakterisiert ist, rahmt die Interaktionen innerhalb und zwischen ethnischen Gemeinschaften in der vorpolitischen Sphäre und beeinflusst die Orientierungen und politischen Handlungen ihrer Mitglieder insbesondere hinsichtlich der umfassenden politischen Gemeinschaft. Starke intra-ethnische ohne zumindest schwache inter-ethnische Bindungen tragen deutliches Fragmentierungspotenzial in sich und können zu einer klumpenden und gespaltenen Gesellschaft führen, während „bridging social capital“ als Rohmaterial für ein umfassendes Gemeinschaftsgefühl angesehen werden kann. Formen der Brückenbildung zwischen ethnischen Gemeinschaften in der Zivilgesellschaft, umfassen für das liberale Modell ethnisch heterogene Vereinigungen, für beide Modelle ethnisch homogene Vereinigungen, wenn ihre Mitglieder individuell durch multiple Mitgliedschaften inter-ethnische Brücken bilden, sowie insbesondere für das konsoziative Modell homogene Vereinigungen, in denen die Erfahrung mit Diversität durch die Kooperation mit anderen homogenen oder heterogenen Vereinigungen vermittelt wird und deren Eliten in die umfassende politische Gemeinschaft integriert sind. Direkte oder vermittelte inter-ethnische Erlebnisse von Gemeinschaft geben der politischen Gemeinschaft mehr Realität als Zusammenschluss von Bürgern. Außerdem bilden innerhalb oder zwischen Vereinigungen gemeinsam bewältigte Aufgaben mit der Zeit eine gemeinsame Geschichte als Kristallisationspunkt für gemeinsame Identifikation. Dies wiederum kann als der emotional wichtige Vorrat an Referenzen dienen, die dem Demos Subjektivität und dem normativen Postulat gegenseitiger Anerkennung Substanz verleiht. Insgesamt ist zu bedenken, dass sich „(s)owohl Anerkennung als auch Missachtung (…) als konstitutiv für die Entstehung kollektiver Identitäten“ (Emcke 2000: 19) erweisen. Kollektive Identitäten sind als dynamisches, poröses, unabgeschlossenes Projekt zu verstehen, das abhängig ist von den Verständi-
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gungsprozessen innerhalb der Gruppe, aber auch zwischen kollektiven Identitäten. Damit die normativen Modelle einer „Einheit in Vielfalt“ und ihre institutionelle Implementierung in der politischen Struktur eines Landes auf Resonanz in der Bevölkerung stoßen, damit Selbst- und Fremdwahrnehmung übereinstimmen, so dass eine demokratische Gemeinschaft entsteht oder bestehen bleibt, bedarf es eines dynamischen Abgleichungsprozesses mit dem Ziel einer möglichst von jeder Bürgerin und jeder Gruppe als gerecht empfundenen Verteilung von Macht und Ressourcen, je nach Modell individuell oder kollektiv verstanden. Hierfür sind beide Modelle auf je unterschiedliche Weise auf die Rückbindung an die Bevölkerung, auf Engagement und Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger selbst angewiesen – vor allem auf mehr als von den zugrunde liegenden normativen Theorien angedacht. Das bisher Gesagte liefert eine empirische Fundierung für folgende Hypothesen: Das liberale Modell stellt durch die Notwendigkeit der Abstraktion hohe moralische Erwartungen sowohl an den Staat, seine Institutionen und Repräsentanten, als auch an jede einzelne Bürgerin; es wird erwartet, dass sie von ihren Interessen und eventuellem Besitzstand abstrahiert zum Wohle des moralischen Gesichtspunktes. Da dieser faktisch jedoch immer vor dem Hintergrund der eigenen Identität eingenommen wird, ist die Beachtung deren dialogischer Konstitution wichtig. Da Identität nie in Isolation gebildet, sondern durch Dialog mit sich selbst und anderen verhandelt wird, sind die Beziehungen zu anderen zentral. Hierzu tragen vorpolitische Erfahrungen einen großen Teil bei, weshalb für eine liberale demokratische Gemeinschaft gilt: Um Voreingenommenheit zugunsten von Eigengruppen entgegenzuwirken sowie Toleranz und generalisiertes Vertrauen zu fördern, bedarf es zivilgesellschaftlicher Strukturen vorwiegend ethnisch gemischter Vereinigungen mit einem intern möglichst ausgeglichenen Verhältnis. Aufgrund der Elitenzentriertheit des konsoziativen Modells ist es, damit eine Gemeinschaft bestehen bleibt, in besonderem Maße auf die Repräsentativität der Eliten und die Unterstützung der von ihnen ausgehandelten Kompromisse durch die Bürger sowie auf deren Vermittlung umfassender Gemeinschaftsorientierung gegenüber den Bürgern angewiesen. Dies scheint dann gesichert, wenn es viele, miteinander gut vernetzte ethnische Vereinigungen in der Zivilgesellschaft gibt, deren Eliten in die allgemeine Machtstruktur integriert sind. Dieses Modell ist – entgegen seinen zunächst minimal wirkenden normativen Ansprüchen – somit in besonderem Maße von der aktiven Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in ihren ethnischen Gemeinschaften abhängig, um die Vertreter zu kontrollieren und gegebenenfalls von geänderten Prioritäten zu überzeugen. Sonst steht und fällt die politische Gemeinschaft mit dem guten Willen der mit viel Macht ausgestatteten ethnischen Eliten, da nur über sie Brücken vermittelt werden.
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Faktisch sind jedoch häufig strukturelle Benachteiligungen vorhanden, die sich ungerecht für Minderheiten auswirken, und Mehrheiten wollen nur ungern ihren Besitzstand aufgeben. Dies gilt sowohl für die umfassende politische Gemeinschaft als auch für subnationale Vergemeinschaftungsformen. Liberale Institutionen müssen daher zur Sicherung ihrer eigenen Glaubwürdigkeit ihre Gemeinschaftsdefinition transparent machen und zur Diskussion stellen, soll ein Grundkonsens aufrecht erhalten werden, der alle von den demokratischen Entscheidungen auf einem nationalstaatlichen Territorium Betroffene einschließt. Zur Stabilisierung demokratischer Gemeinschaft durch die (Wieder-)Herstellung von Gerechtigkeit bedarf es speziell der Initiativen benachteiligter Minderheiten, besonders wenn kultureller Status und sozio-ökonomische Ressourcenausstattung Hand in Hand gehen. Nur eine öffentliche Auseinandersetzung über solche Unterschiede, nicht ihre Leugnung kann verhindern, dass universalindividualistische Neutralität in ethnische Hegemonie umschlägt. Ebenso bedarf es in konsoziativen demokratischen Gemeinschaften der Initiativen gruppeninterner Minderheiten oder neu hinzugekommener Gruppen, damit es bei den Gruppengrenzen und –inhalten nicht zu essentialistischen Verzerrungen und letztlich dauerhaft vermachteten Schieflagen kommt, welche die umfassende demokratische Gemeinschaft gefährden. Minderheiten in der politischen Gemeinschaft, aber auch in ethnischen Gemeinschaften fordern häufig bestehende Konzeptionen der Mitgliedschaft in der demokratischen Gemeinschaft heraus. Sie bringen das „Grenzproblem“ auf den Tisch: wer ist das „Volk“ oder die Einheit, die Demokratie praktiziert? Es wird gefordert, die vorherrschende Definition des „Volkes“ so zu erweitern, dass sie entweder einzelnen Individuen oder ganzen Gruppen gerechter wird. Das Ergebnis sind in der Regel erhitzte Debatten über Themen der Legitimität und Repräsentativität. Sind hierbei die Fronten schon sehr verhärtet, werden Kompromisse erst dann möglich, wenn neben den materiellen auch die symbolischen und ideologischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden – wenn alle Seiten den Eindruck gewinnen, nicht mehr in ihrer Existenz bedroht zu sein. „Das ist die Stunde synkretistischer nationaler Ideologien, weit entfernt von lupenreinem Jakobinismus und jeder Form exklusiver Gemeinschaftsideologie – die Stunde von Nationalkonzepten, die das Fortbestehen von Widersprüchen, Inkonsistenzen und Diversität akzeptieren – einer Vielfalt, in der niemand ein Monopol an Macht und Wohlstand in Anspruch nimmt“ (Hanf 1990 : 59, Hervorhebung im Original). Auch Chantal Mouffe ist überzeugt: „Our only choice is not one between an aggregate of individuals without common public concern and a premodern community organized around a single substantive idea of the common good. Envisaging the modern democratic political community outside of this dichotomy is the crucial challenge” (Mouffe 1992: 231).
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Ausblick Diversität kann nicht vermieden werden, wie schon Locke (1996(1689)) wusste. Die Weigerung, diese zu akzeptieren, ist seiner Meinung nach die Ursache von Konflikt, nicht die Diversität selbst. Zumindest in der theoretischen Diskussion ist ein Fortschritt zu beobachten: “The reality and value of difference and diversity, and their group origins, have been widely accepted in the theoretical realm” (Schlosberg 2006: 158). Dies brachte ein Bedürfnis nach mehr Flexibilität in der Politik mit sich. Während die resultierenden Ungewissheiten, Konflikte und endlos unfertige Arbeit unbefriedigend sein mögen, sind diese Unsicherheiten der Gegenstand täglicher, pragmatischer Politik. Angesichts der Komplexität des Zusammenhangs von ethno-kultureller Differenz, Anerkennung und demokratischer Freiheit und Gleichheit könnte man schließen, dass eine generelle Antwort auf die Frage nach der „Einheit in Vielfalt“ nicht gegeben werden kann, da die Besonderheiten des einzelnen Falles zu bedeutend sind. Robert Dahl hat sicher Recht, wenn er betont: „One conclusion seems inescapable: there are no general solutions to the problems of culturally divided countries. Every solution will need to be custom tailored to the features of each country” (Dahl 1998: 195). Die Suche nach angemessenen Lösungen im Umgang mit ethnischem und allgemein kulturellem Pluralismus bedarf dabei nach Asbjorn Eide, dem UN Berichterstatter für Minderheitenrechte, einer delikaten Mischung aus Gleichheit und Getrenntheit: „It seeks to combine efforts to ensure equal opportunity for everyone in the national society, with programs to allocate resources, power and space for separate groups. It requires tolerance and encouragement of ethnic political parties as part of the political system, in order that the different communal groups can participate in powersharing or at least have an impact on decision-making, and yet it also requires the existence of brokerage, of cross-ethnic or cross-religious alliances concerned with other issues than ethnicity or religion” (Eide 1994: 135).
Statt klarer Lösungen sind also Kompromisse anzustreben. So befürwortet Bellamy eine Politik häufig neu verhandelter Kompromisse als zentrales Muster demokratischer Prozesse, die von einer Vision der „non-domination, mutual acceptance and accommodation“ (1999: 138) geleitet sind. Solche Kompromisse können am ehesten ausgearbeitet werden, wenn eine ehrliche Einschätzung der Unterdrückung, Diskriminierung und bestehenden Exklusion einer oder mehrerer Gruppen möglich ist (Galeotti 1999: 50). Auch Carens (2000) empfiehlt „justice as evenhandedness“, eine Gerechtigkeit, welche die Besonderheiten jedes einzelnen Falles betrachtet anstatt nach Wegen zu suchen, von ihnen zu abstrahieren. Viele Faktoren sind jedes Mal von Bedeutung: die Geschichte, Größenverhältnisse, die relative Bedeutung der Forderungen etc. Eine pluralistische Politik, die
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sowohl durch politische Partizipation als auch soziale Gerechtigkeit inspiriert ist, würde Gruppen sicher einen gewissen politischen Status und manche Rechte zugestehen (Walzer 1998: 149), es würden also Elemente des konsoziativen Modells in liberalen Pluralismus eingeführt – nur bis zu welchem Grad? Ohne eine generelle Theorie haben wir keine Richtlinien, wie mit zukünftigen Fällen umgegangen werden soll, auch wenn der Kontext nicht ignoriert werden kann. Eine generelle Richtlinie für die Ausgangsfrage des Umgangs mit ethnischen Unterschieden in Demokratien wäre folgende: historisch unterdrückte Gruppen haben einen berechtigten Anspruch auf Anerkennung, gegebenenfalls auch auf Gruppenrechte. Diese Gruppen wurden nicht nur vom Staat ignoriert, sondern wurden oder werden durch ihn unterdrückt. Nicht ohne Grund bestehen die stärksten Forderungen nach multikulturalistischen Maßnahmen hinsichtlich indigener Völker. Das Argument zugunsten von unterdrückten Gruppen auf alle Gruppen auszudehnen, ist jedoch nicht notwendig. Außerdem besteht ein Problem dann, wenn Unterdrückung so weit definiert wird, dass der Großteil der Bevölkerung als unterdrückt bezeichnet werden kann.243 Auch bedarf es zur Bekämpfung der Diskriminierung von Gruppen nicht unbedingt gruppenzentrierter Maßnahmen. Ökonomische Unterdrückung und Diskriminierung können schon durch Anti-Diskriminierungsgesetze oder bessere Arbeitsbedingungen bekämpft werden. Hier entscheidet der Kontext, welche Art von Anerkennung und Rechte vernünftig, zu rechtfertigen und notwendig sind. Eine zweite Richtlinie könnte lauten: da Staaten kulturell nicht neutral sind, sollten sie aus Gründen der Fairness kulturelle Praktiken von Minderheitengruppen akkommodieren innerhalb der Beschränkungen einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft und zumutbarer Kosten. Hier besteht das Problem der potenziell zu hohen Zahl an Gruppen, die eine solche Akkommodierung fordern. Eine übliche Herangehensweise ist, zwischen nationalen Minderheiten mit einer historischen Beziehung zu einem Gebiet innerhalb des Nationalstaates und eingewanderten Gruppen zu unterscheiden und den ersteren mehr Unterstützung zukommen zu lassen (Kymlicka 1995). Doch auch neu zugewanderten Gruppen können Rechte zugesprochen werden, die die nationale Einheit nicht gefährden (Spinner-Halev 06: 558). Allgemein ethno-kulturellen Pluralismus anzuerkennen führt zu der Frage, wie Unterschiede kommuniziert werden und miteinander in Austausch treten (vgl. Schlosberg 2006: 149). Differenz schließt nicht aus, dass gewisse Annahmen geteilt werden, die für Kommunikation und ein gewisses Maß an gegenseitigem Verständnis ausreichen (Berlin 1969: 103). Nach Tully (1995: 25) schult 243 So sind für Iris Marion Young (1990) über 80 Prozent der us-amerikanischen Bevölkerung unterdrückt. Ihre Liste unterdrückter Gruppen schließt alte Menschen, Arme, Schwule, Lesben, Juden, Natives, asiatische und arabische Amerikaner, Schwarze, Hispanics, Frauen sowie physisch und psychisch Behinderte ein.
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man gerade durch die Beteiligung an interkulturellen Dialogen die für jede Gesellschaft wichtige Fähigkeit, Dinge und Situationen aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen und zu verstehen. Solch aktives Engagement und Intersubjektivität ist besonders notwendig, wenn sich Kulturen vermischen und sich Individuen in mehr als einer kulturellen Welt zugleich finden – moslemische Jugendliche in westlichen Schulen, anglo-amerikanische Studenten, die über indigene Kosmologien lernen, städtische Händler, die zunehmend mit neuen Einwanderern interagieren (und vice versa). Konflikt über Differenzen ist daher nicht nur zu vermeiden, sondern gegebenenfalls sogar als wertvoller und unverzichtbarer Teil sozialen und politischen Lebens willkommen zu heißen. „Such conflict is good for the body politic, and both groups and individuals within it” (Schlosberg 2006: 150). Der demokratische Prozess sollte gegenüber Differenzen offen sein und gleichzeitig darauf abzielen, über Unterschiede hinweg Verbindungen herzustellen. Die herausgearbeiteten Bedingungen für den Bestand demokratischer Gemeinschaften trotz ethnischer Differenz machen deutlich, dass Identifikation und Solidarität sowohl in liberalen als auch konsoziativen Modellen gefördert werden, wenn die Zivilgesellschaft entsprechend organisiert ist. Über Brücken können die vorhandenen Moralvorstellungen gemeinsam interpretiert und ein Bereich des allgemein Verbindlichen und Verbindenden herausgefiltert werden. Hierbei handelt es sich natürlich faktisch nie um eine machtfreie Deliberation, Einheimische fordern mehr Rechte als Zugewanderte, Reiche haben mehr Einfluss, besser Organisierte übertreffen wenig vernetzte. Doch kann durch direktes oder vermitteltes ziviles Engagement Solidarität mit der Gemeinschaft erlernt und die Interpretation selbst nachvollzogen und verinnerlicht werden. Dies setzt sicher höhere Anforderungen an das Wohlwollen, die Diskussionsbereitschaft und gedankliche Offenheit sowie überhaupt an den Partizipationswillen der Bürger und Vereinigungen als in den pluralen Modellen zunächst angedacht. Die Alternative ist jedoch eine Demokratie, die – als Quintessenz von gelegentlichem Wählen – nur auf existierende Präferenzen und Interessen zurückgreift und dadurch weniger angemessen mit den Bedürfnissen einer „Einheit in Vielfalt“ umgehen kann, der Entstehungsprozess von Identitäten und Interessen würde kaum berücksichtigt. Nur durch die mehr Zeit raubenden Prozeduren von Treffen, Diskutieren und Entscheiden kann man Unterdrückungserfahrungen und nötige Veränderungen ausfindig machen. Daher ist auch Seyla Benhabib davon überzeugt, dass das deliberative Modell von Demokratie die besten Aussichten biete, die Art von Institutionen einzurichten, die mit der zunehmenden Bedeutung kultureller Unterschiede in modernen Gesellschaften gebraucht werden. Der größte Vorteil dieser Theorie liege in „its vision of the interaction between liberal commitments to basic human, civil, and political rights, due processes of law
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and democratic political struggles in civil society” (Benhabib 2002: 114). Demokratie allein auf der Makro-Ebene kann keinen angemessenen Respekt und Anerkennung kultureller Minderheiten sichern; hierfür ist Demokratie auch auf der Mikro-Ebene der Gesellschaft notwendig (vgl. auch Deveaux 2000), denn die relevanten Differenzen sind sowohl sozial konstruiert als auch kollektiv. Zur Stärkung der Identifikation mit der politischen Gemeinschaft ist daher zu erwarten, dass solche Elemente, die besonders kommunitaristischen und deliberativen Demokratietheoretikern am Herz liegen, sowohl konsoziativen als auch liberalen demokratischen Gemeinschaften dienlich sind. Dies negiert nicht die zentrale Rolle von Institutionen „in making citizens agree, or in finding solutions to common problems“ (Deveaux 1999: 16), sondern unterstreicht: „the focus must be at both macro and micro levels, or both the state political realm and the cultural sub-political realm“ (Schlosberg 2006: 152). Flexible Politik bedeutet dabei die Entwicklung und Umsetzung politischer Maßnahmen, die immer wieder auf der Grundlage des Feedback der Betroffenen, neuer Erkenntnisse und demokratischer Diskurse überdacht werden. Der Staat sollte nicht durch Gruppensouveränität ersetzt werden; Staaten sind notwendig, zumindest für den Schutz individueller Rechte und der Autonomie von Gruppenkontexten, wenn nicht gar für die Förderung ihres spezifischen Wertes. Kultureller Pluralismus, der auf einem erweiterten Liberalismus und dem Respekt für Gruppen basiert, fordert eine geteilte Souveränität zwischen Gruppen und dem Staat (ebd. 157). Normativ ist weder das individualistisch liberale Modell dem gruppenzentrierten konsoziativen Modell überlegen noch umgekehrt, solange die demokratische Auseinandersetzung um Anerkennungs- und Umverteilungsfragen gewährleistet wird. Hierfür gilt sowohl für die Ebene der politischen als auch der ethnischen Gemeinschaft die kurze Schlussfolgerung: Vielfalt ist kein Grund für Diskursfeindlichkeit und weniger Demokratie, sondern gerade für mehr Offenheit und Demokratie! Die Betrachtung empirischer Beispiele politischer und sozialer Institutionen und ihres Beitrags zu Identifikationsprozessen verdeutlichte jedem Modell jeweils innewohnende Spannungen und Entwicklungsdynamiken. Um diese jedoch nicht nur in Hypothesenform festhalten zu können, bräuchte es umfassendere und zugleich feiner gegliederte empirische Studien. Für die weitergehende Forschung relevant ist das sicher nicht neue, aber doch wieder auf eindrückliche Weise deutlich gewordene Ergebnis der Analyse demokratischer Gemeinschaften, dass zwischen politisch-institutionellen und zivilgesellschaftlichen Strukturen ein Wechselverhältnis besteht im Hinblick auf das Gemeinschaftsdenken und –handeln der Mitglieder einer politischen Gemeinschaft. Wechselseitig beeinflussen sich auf der einen Seite die Gegebenheiten der Minderheiten, ob Gruppenbildungsprozesse stattfinden, Interessen formiert und Repräsentations- und
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Verhandlungseliten ausgebildet sind; und auf der anderen Seite die Gelegenheitsstrukturen der umfassenden Gesellschaft, welche Rahmen für Gruppenvertretungen (formelle und informelle Organisationsstrukturen) bestehen und welche Situation (Machtverhältnisse, potenzielle Bündnispartner in Institutionen) vorherrscht. Sowohl institutionelle als auch soziale Dynamiken sind eng mit einer stabilen demokratischen Gemeinschaft verbunden. Je nach Forschungsrichtung werden jedoch in der Regel verschiedene Aspekte demokratischer Prozesse und unterschiedliche Ursachen von Zusammenhängen und Veränderungen betont. Während institutionelle Ansätze unterschiedliche institutionelle Muster untersuchen, die Ressourcenverteilung hinsichtlich kollektiver und politischer Handlungen und die Beziehungen zwischen Eliten und Bürgern in der Gesellschaft und Politik, betonen kulturelle Ansätze, wie derjenige des Sozialkapitals, die Sozialisierung von Individuen in geteilte Normen und kooperative gesellschaftliche Handlungen. Forscher, die der Rational Choice Schule folgen, wiederum fragen nach den Effekten verschiedener Anreize individuellen Verhaltens für Demokratie und Gesellschaft. Die verschiedenen theoretischen Referenzrahmen widersprechen sich nicht notwendigerweise; sie stellen unterschiedliche Fragen und untersuchen verschiedene Mechanismen und haben jeweils Stärken und Schwächen, die einer gegenseitigen Befruchtung nicht im Weg stehen sollten. Die dringenden Fragen gerade in so aktuellen und umfassenden Gebieten wie der ethnischen Konfliktforschung und der empirischen Demokratieforschung sollten so behandelt werden, dass verschiedene und komplementäre Ideen und Forschungsansätze genutzt werden. Meine Zusammenstellung empirischer Zusammenhänge ist aus dieser Überzeugung heraus auch hinsichtlich der Methodologie bewusst eklektisch, die Studien umfassen verschiedene empirische Ansätze. Dabei wurde deutlich, dass institutionelle Erklärungsansätze für Integrationsprozesse Institutionen am sinnvollsten als politische Gelegenheitsstrukturen betrachten sollten, die Integrationsverläufe beeinflussen. Allerdings werden in der bisherigen Forschung die normativen und institutionellen Unterschiede zwischen liberalem und konsoziativem Modell häufig nicht ausreichend berücksichtigt. Erst eine differenzierte Betrachtung der individuenoder gruppenzentrierten institutionellen Ausformung der Demokratie kombiniert mit dem implementierten Staatsbürgerschaftsregime würde eine vollständigere Einschätzung des institutionellen Einflusses der aufgezeigten Modelle demokratischer Gemeinschaft auf deren Entstehung und Persistenz durch Gemeinschaftsgefühl und Gemeinschaftshandeln der Bürger ermöglichen. Für Entstehung und Stabilität einer demokratischen Gemeinschaft sind jedoch nicht nur politische Gelegenheitsstrukturen entscheidend, sondern auch die Gegebenheiten der Gruppen und die Akteure selbst. Dabei liegt jedoch bis heute der Schwerpunkt in Studien zu ethnischen Gruppen in der Regel auf kategoriel-
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len Gemeinsamkeiten und Zuschreibungen. Auch wenn in der Analyse ethnischer Gruppen immer wieder eine nicht primordiale, sondern konstruktivistische Sichtweise angemahnt wird, die sie als historische Produkte betrachtet, geht es in der Regel um Grenzbildung, weniger um Grenzüberschreitung, so dass das Potenzial von Verbindungen zur Gemeinschaftsbildung häufig übersehen wird. Weniger alternativ als komplementär ist daher eine relationale Sichtweise von Identifikation und Selbst-Verständnis, welche die soziale Welt in Begriffen des Ausmaßes und der Qualität von Verbindungen versteht. Dies wird deutlich an den tieferen Einblicken, die man gewinnt, wenn man ethnische Vereinigungen nicht isoliert, sondern als Netzwerk betrachtet und dessen Merkmale untersucht; dies wird ebenso deutlich an der insgesamt herausragenden Bedeutung von Brücken zwischen ethnischen Gemeinschaften in der Zivilgesellschaft. Empirisch wäre es daher viel versprechend und ein nächster Schritt der in dieser Arbeit geleisteten explorativen Betrachtung der Bestandsbedingungen einer demokratischen Gemeinschaft, einen systematischen, Länder übergreifenden Vergleich anzustellen, der zum einen ausreichend feine Unterscheidungen verschiedener Demokratie- und Konflikttypen sowie formaler und informeller Mechanismen des Ein- und Ausschlusses in Mitgliedschaftsmodellen beinhaltet, und zum anderen die interne und externe Struktur von Gruppen berücksichtigt.
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