Axiomatische Mengenlehre 1
Heike Mildenberger
Skript zu der im Wintersemester 2005/2006 in Wien gehaltenen dreist¨ und...
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Axiomatische Mengenlehre 1
Heike Mildenberger
Skript zu der im Wintersemester 2005/2006 in Wien gehaltenen dreist¨ undigen Vorlesung Axiomatische Mengenlehre 1“ ” Inhalt Kapitel 1. Die Axiome von ZFC Relationen, Funktionen, lineare Ordnungen 1. Wohlordnungen
1 4 5
Kapitel 2. Transfinite Induktion, Ordinalzahlen, Peano-Axiome 1. Addition, Multiplikation und Exponentiation auf den Ordinalzahlen 2. Transfinite Induktion und Rekursion Fortsetzung der Ordinalzahlarithmetik Das Lemma von Zorn, Versionen des Auswahlaxioms
9 12 12 13 16
Kapitel 3. Kardinalzahlen, einfache Kardinalzahlarithmetik Die kardinalen Operationen ⊕ und ⊗ Kardinale Exponentiation
19 21 25
Kapitel 4. Clubs und station¨are Mengen. S¨atze von Fodor, Solovay und von Silver Der Satz von Silver
29 31
Kapitel 5. Fundierung, von Neumann Hierarchie, Mostowski-Kollaps Induktion und Rekursion u ¨ ber fundierte mengen¨ahnliche Relationen
35 38
Kapitel 6. Das Universum L der konstruktiblen Mengen 1. Definierbarkeit 2. Die L´evy-Hierarchie 3. Absolutheit 4. Das Universum der konstruktiblen Mengen
41 41 41 44 46
Literaturverzeichnis
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KAPITEL 1
Die Axiome von ZFC Literatur: B¨ ucher: [19] [21], [10], [9], [15], [16]. Skripte: [26], [2], [29], Originalartikel: [1, 3, 4, 6, 5, 8, 11, 13, 12, 17, 18, 20, 22, 24, 25, 27, 28, 30] ZFC: Zermelo, Fraenkel, und Choice. Duden: Axiom: als absolut richtig anerkannter Grundsatz, g¨ ultige Wahrheit, die keines Beweises bedarf. Axiom 0: Existenz (Ex). Es gibt eine Menge. ∃x(x = x). Axiom 1: Extensionalit¨at (Ext). Mengen, die dieselben Elemente enthalten, sind gleich. ∀x∀y(∀z(z ∈ x ↔ z ∈ y) → y = x). Axiom 2: Fundierung (Fund). Die ∈-Relation ist fundiert, d.h., jede nicht leere Menge hat ein ∈-minimales Element, ∀x(∃y ∈ x → ∃y ∈ x(¬∃z(z ∈ y ∧ z ∈ x))) Axiom 3: Aussonderungsschema (Comprehension) (Aus). F¨ ur alle ϕ ∈ L(∈) mit fr(ϕ) ⊆ {x, z, w1 , w2 , . . . , wn } gilt folgendes ∀z∀w1 . . . ∀wn ∃y∀x(x ∈ y ↔ x ∈ z ∧ ϕ). Axiom 4: Paarmengenaxiom (Pairing) (Paar) ∀x∀y∃z(x ∈ z ∧ y ∈ z). Axiom 5: Vereinigungsmengenaxiom (Union) (Verein) ∀F ∃A∀Y ∀x(x ∈ Y ∧ Y ∈ F → x ∈ A). Axiom 6: Ersetzungsschema (Replacement) (Ers). F¨ ur alle ϕ ∈ L(∈) mit fr(ϕ) ⊆ {x, y, A, w1 , w2 , . . . , wn } gilt folgendes ∀A∀w1 . . . ∀wn (∀x ∈ A∃!yϕ → ∃Y ∀x ∈ A∃y ∈ Y ϕ). Sei x eine Menge. Nach (Aus) gibt es ∅ = {z ∈ x | z 6= z}. Axiom 7: Unendlichkeitsaxiom (Infinity) (Inf) ∃x(∅ ∈ x ∧ ∀y ∈ x(y ∪ {y} ∈ x)). Sei x ⊆ y eine Abk¨ urzung f¨ ur ∀z ∈ x(z ∈ y). Axiom 8: Potenzmengenaxiom (Pot) powerset ∀x∃y∀z(z ⊆ x → z ∈ y). Axiom 9: Auswahlaxiom (Axiom of Choice) ∀A∃R(hA, Ri ist eine Wohlordnung). Zur Definition von Wohlordnungen kommen wir in Sektion 1 dieses Kapitels. 1
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1. DIE AXIOME VON ZFC
Teilsysteme. Etliche Folgerungen k¨onnen schon aus Teilsystemen von ZFC bewiesen werden. Wichtige modelltheoretische Techniken werden f¨ ur Teilsysteme von ZFC angewandt. Daher kennzeichnen wir: ZFC: Axiome 0 – 9 ZF: Axiome 0 – 8 ZF− Axiome 0,1,3 – 8. Also ohne Fundierung. ZF− – P: Axiome 0,1,3 – 7. Ohne Fundierung und ohne Potenzmenge. ZF – P: Axiome 0– 7. Mit Fundierung ohne Potenzmenge. Und ZFC− , ZFC− – P, ZFC – P sind nat¨ urlich entsprechend definiert. Wiederholung. Die Sprache der ersten Stufe mit dem zweistelligen Pr¨adikatssymbol ∈, L(∈): Symbole ∧, ∨, →, ↔, ¬, ∃, ∀, (, ), ∈, =, vi , i ∈ N. Atomare Formeln vi = vj , vi ∈ vj . Wenn ϕ und ψ Formeln sind, dann auch (ϕ) ∧ (ψ), (ϕ) ∨ (ψ), usf., ¬(ϕ), ∃vi (ϕ), ∀vi (ϕ). Zur Definition for fr(ϕ), der Menge der freien Variablen in ϕ: fr(vi = / ∈ vj ) = {vi , vj }, fr((ϕ) ∗ (ψ)) = fr(ϕ) ∪ fr(ψ) f¨ ur jeden Boole’schen Operator ∗, fr(∃vi ϕ) = fr(ϕ) \ {vi }. Konvention: Wir schreiben statt ∀x(x ∈ y → ϕ) kurz ∀x ∈ y ϕ und statt ∃x(x ∈ y ∧ ϕ) nur ∃x ∈ y ϕ. Wir schreiben ∃!xϕ als Abk¨ urzung f¨ ur “es gibt genau ein x so dass ϕ”, ∃xϕ ∧ ∀y(ϕ( xy ) → y = x) Bemerkungen. Das Existenzaxiom wird manchmal auch aus der (klassischen) Logik (der Sprache der ersten Stufe) hergeleitet: x = x is allgemeing¨ ultig, und daraus wird ∃xx = x abgeleitet. Leere Strukturen sind also niemals Gegenstand der Betrachtungen. Das Existenzaxiom kann auch aus dem Unendlichkeitsaxiom hergeleitet werden. Das Axiomensystem ist also nicht minimal gew¨ahlt. Das Extensionalit¨ atsaxiom sagt, dass die Reihenfolge der Elemente in einer Menge und das eventuelle mehrfache Auff¨ uhren dasselben Elements keine Rolle ¨ spielen. Statt der Implikation kann auch die Aquivalenz geschrieben werden, da die R¨ uckrichtung aus den Schlussregeln der Logik erster Stufe u ¨ ber die Gleichheit folgt. Alle unsere Variablen laufen u ¨ ber Mengen. Wir gestatten in ZFC keine Variablennamen, die u ¨ ber Klassen rangieren. Alle Klassen werden definierbare Klassen des Typs {x | ϕ} mit (Mengen-)Parametern in ϕ sein. Sp¨ater werden wir jedoch auch einige Klassen schreiben, und dies soll als Abk¨ urzung f¨ ur Definitionen aufgefasst werden. Eine andere M¨ oglichkeit ist das Axiomensysten NBG, das durch von Neumann, Bernays und G¨ odel aufgestellt wurde und das wie ZFC aussieht, nur dass die Schemata von Ers und Aus durch Klassenvariablen ersetzt werden. Dies ist eine konservative Erweiterung von ZFC: Aus NBG lassen sich die gleichen Folgerungen u ¨ ber Mengen ziehen wie aus ZFC. Im Abschnitt u ¨ ber transfinite Induktion und transfinite Rekursion werden die gerade eben gemachten kryptischen Bemerkungen n¨ aher erl¨ autert. Die Russell’sche Antinomie. Das Frege’sche Komprehensionsschema (das nicht zu ZFC geh¨ ort) sagt: Zu jedem ϕ mit y 6∈ fr(ϕ): ∃y∀x(x ∈ y ↔ ϕ)
1. DIE AXIOME VON ZFC
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Dieses Schema, angewandt auf die Formel ϕ(x) = x 6= x, f¨ uhrt zu einem Widerspruch, der Russell’schen Antinomie: Sei y, so dass ∀x(x ∈ y ↔ x 6∈ x). Dann ist y ∈ y gwd y 6∈ y. Widerspruch. Das Aussonderungsaxiom gestattet die Bildung der Russell’schen Klasse nicht. Man betrachte die Aussage ∃y∀x(x ∈ y ↔ x ∈ z ∧ x 6∈ x), f¨ ur eine Menge z. Dann ist y 6∈ y nach der Fundierheit, und y = z 6∈ z, und es gibt also keinen Widerspruch. Dass es diesen einen Widerspruch in ZFC nicht gibt, garantiert nat¨ urlich nicht, dass es nicht einen anderen Widerspruch gibt. Leider kann die Widerspuchsfreiheit von ZFC nicht garantiert werden, schlimmer noch, nach dem G¨odel’schen Unvollst¨ andigkeitssatz kann die Widerspruchsfreiheit von ZFC mit den Mitteln von ZFC nicht gezeigt werden. Satz 1.1. Es gibt keine Menge, die alle Mengen enth¨alt ¬∃x∀z(z ∈ x). Beweis. Sonst sei ∀z(z ∈ x) Dann ist {z ∈ x | z 6∈ z} = u eine Menge und es gibt wieder den Russell’schen Widerspruch u ∈ u ↔ u 6∈ u. Definition 1.2. Eine Zusammenfassung von Mengen heißt Klasse. Eine Klasse, die keine Menge ist, heißt echte Klasse. Eine unechte Klasse ist eine Menge. Wir schreiben V = {x | x Menge } f¨ ur die Allklasse. Wir schreiben fettgedruckte Buchstaben und andere Symbole (wie