Wertschöpfungsnetzwerke
Jörg Becker · Ralf Knackstedt · Daniel Pfeiffer (Herausgeber)
Wertschöpfungsnetzwerke
Konzepte für das Netzwerkmanagement und Potenziale aktueller Informationstechnologien
Physica-Verlag Ein Unternehmen von Springer
Prof. Dr. Jörg Becker Dr. Ralf Knackstedt Dr. Daniel Pfeiffer Westfälische Wilhelms-Universität Münster European Research Center for Information Systems (ERCIS) Leonardo-Campus 3 48149 Münster
[email protected] [email protected] [email protected] ISBN 978-3-7908-2055-3
e-ISBN 978-3-7908-2056-0
DOI 10.1007/978-3-7908-2056-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. c 2008 Physica-Verlag Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Herstellung: le-tex publishing services oHG, Leipzig Einbandgestaltung: WMX Design GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de
Vorwort
Wertschöpfungsnetzwerke bestehen aus rechtlich selbständigen, wirtschaftlich jedoch zumeist abhängigen Unternehmen, die über verhältnismäßig stabile und kooperative Beziehungen miteinander verbunden sind. Ihre Organisationsform lässt sich daher zwischen Hierarchie und Markt einordnen. Die kooperative Zusammenarbeit ermöglicht es Unternehmen, ihre Prozesse über Wertschöpfungsstufen hinweg effizienter aufeinander abzustimmen. Außerdem eröffnen Kooperationen die Möglichkeit, das angebotene Leistungsspektrum zu erweitern. Die Risikoteilung zwischen den Partnern, die Ressourcenbündelung und die Konzentration auf Kernkompetenzen sowie die Realisierung von Skaleneffekten sind weitere der häufig genannten Potenziale von Wertschöpfungsnetzwerken. Um die Potenziale von Wertschöpfungsnetzwerken erschließen zu können, sind geeignete betriebswirtschaftliche Konzepte zum Aufbau, zur Pflege und ggf. zum Abbau der kooperativen Unternehmensbeziehungen notwendig. Neben den Managementkonzepten fungiert insbesondere Informationstechnologie als wesentlicher „Enabler“ und „Implementer“ von Wertschöpfungsnetzwerken. Konzepte für das Netzwerkmanagement und die Potenziale aktueller Informationstechnologien für die Realisierung von Wertschöpfungsnetzwerken bilden daher die beiden Schwerpunkte der Beiträge dieses Bandes. Im ersten Teil beschreiben JÖRG BECKER, DANIEL BEVERUNGEN und RALF KNACKSTEDT wie intersektorale Wertschöpfungsnetzwerke zwischen Produzenten und Dienstleistern kooperieren, um ihren Kunden komplette, aus Sach- und Dienstleistungen zusammengesetzte Lösungen anbieten zu können. MARIO C. SPECK und MATTHIAS RINSCHEDE diskutieren die Herausforderungen der Bildung neuartiger Wertschöpfungsnetzwerke im Mobilfunkmarkt. Einen Überblick über die speziellen Aufgaben, die Controllingsysteme beim Management von Wertschöpfungsnetzwerken leisten müssen, geben MARION STEVEN und INGA POLLMEIER. HERWIG WINKLER, HUBERT B. SCHEMITSCH und BERND KALUZA nutzen die Principal-Agent-Theorie, um Handlungsempfehlungen für die Gestaltung der Unternehmensbeziehungen in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken abzuleiten. Ein Verfahren für die systematische Auswahl geeigneter Partnerunternehmen für den Aufbau strategischer Wertschöpfungsnetzwerke stellen HERWIG WINKLER, MICHAEL SLAMANIG und BERND KALUZA vor. CHRISTOPH SIEPERMANN und JAN VOCKEROTH diskutieren alternative Gestaltungsansätze für Balanced Scorecards, die ein kennzahlenbasiertes Monitoring von Wertschöpfungsnetzwerken unterstützen. ERIC SUCKY und INES HÖNSCHEIDT zeigen am Beispiel des Distributionsnetzwerkes eines Automobilzulieferers, wie sich Netzwerkkonfigurationen dynamisch optimieren lassen. Mit Verbundgruppen des Handels betrachten
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Vorwort
HOLGER NOHR, ALEXANDER W. ROOS und ANNIKA VÖHRINGER ein spezielles Anwendungsfeld des Managements der Unternehmensbeziehungen in Netzwerken. Im zweiten Teil analysierten JAN W. SCHEMM, CHRISTINE LEGNER und HUBERT ÖSTERLE die Potenziale aktueller Ansätze zur globalen Synchronisation von Stammdaten zwischen Industrie und Handel. JÖRG BECKER, AXEL WINKELMANN, DANIEL BEVERUNGEN und CHRISTIAN JANIESCH stellen eine informationstechnische Plattform speziell für das Management der Stammdaten elektronischer Verkaufsförderungsaktionen vor. Mit dem H2-Toolset beschreiben JÖRG BECKER und STEPHAN KRAMER ein Softwarewerkzeug, mit dem sich Varianten von Protokollen zum elektronischen Datenaustausch bilden und verwalten lassen. RALF KNACKSTEDT und OLIVER MÜLLER zeigen, wie sich das Paradigma serviceorientierter Architekturen für die Gestaltung der Informationssysteme von ProduzentenDienstleister-Netzwerken nutzen lässt. Dem Einsatz serviceorientierter Architekturen im Multi-Channel-Retailing widmen sich OLIVER THOMAS, KATRINA LEYKING, CLEMENS HILDEBRANDT, MICHAEL FELLMANN und MARC GRÄßLE. Die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Einführung von RFID-Systemen wird durch das von LEV VILKOW und BURKHARD WEIß vorgestellte Wirkungsmodell unterstützt. Die Potenziale aktueller Web 2.0-Technologien für den Aufbau sozialer Netzwerke untersucht PETRA CYGANSKI. Die meisten Beiträge dieses Bandes wurden in den Jahren 2006 oder 2007 zu den wissenschaftlichen Tracks der Tagungsreihe Handelsinformationssysteme (HIS) (www.his-tagung.de) eingereicht, durch das Programmkomitee der Tagung begutachtet und für die Tagungspräsentation sowie für die Veröffentlichung im Tagungsband ausgewählt. Im Inhaltsverzeichnis sind diese Beiträge mit den Zusätzen „HIS 2006“ bzw. „HIS 2007“ gekennzeichnet. Diese Beiträge nahmen auch am Wettbewerb um den Best Paper Award teil, für dessen Auslobung sowohl die Ergebnisse der Begutachtung der schriftlichen Einreichungen als auch die Beurteilung durch das Tagungspublikum herangezogen wurde. Wir nutzen die Gelegenheit, um JAN W. SCHEMM, CHRISTINE LEGNER und HUBERT ÖSTERLE nochmals ganz herzlich zum Gewinn des Preises der HIS 2006 zu gratulieren. Im Jahr 2007 wurde der Preis geteilt, da die beiden besten Arbeiten im Gesamtergebnis gleichauf lagen. Zum Gewinn des Best Paper Awards des Jahres 2007 gratulieren wir auch OLIVER THOMAS, KATRINA LEYKING, CLEMENS HILDEBRANDT, MICHAEL FELLMANN und MARC GRÄßLE sowie HERWIG WINKLER, MICHAEL SLAMANIG und BERND KALUZA nochmals ganz herzlich. Die aus der Tagungsreihe hervorgegangenen Beiträge wurden für diesen Band durch Arbeiten des European Research Center for Information Systems (ERCIS) (www.ercis.de) der Westfälischen Wilhelms-Universität ergänzt. Diese Beiträge sind im Inhaltsverzeichnis mit dem Zusatz „ERCIS“ markiert. Allen Autoren danken wir aufs Herzlichste für ihre Beträge, ohne die dieser Band nicht zustande gekommen wäre. Für die Begutachtung der zu den wissenschaftli-
Vorwort
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chen Tracks der HIS 2006 und 2007 eingereichten Beiträge danken wir ganz herzlich PROF. DR. DR. H. C. KLAUS BACKHAUS (Universität Münster), PROF. DR. DR. H. C. HANS ROBERT HANSEN (Wirtschaftsuniversität Wien), PROF. DR.-ING. HERBERT KOPFER (Universität Bremen), PROF. DR. HELMUT KRCMAR (Technische Universität München), PROF. HOLGER NOHR (Hochschule der Medien Stuttgart), PROF. DR. HUBERT ÖSTERLE (Universität St. Gallen), PROF. DR. ULRICH W. THONEMANN (Universität zu Köln), PROF. DR. DR. H. C. WOLFGANG UHR (Technische Universität Dresden). Unser Dank gilt auch allen, die sich in den letzten Jahren als Referenten, Sponsoren, Organisatoren und Helfer um die Tagungsreihe Handelsinformationssysteme verdient gemacht haben. Dass die Tagung 2007 nun seit elf Jahren erfolgreich ausgerichtet wurde, ist ihrer engagierten Arbeit und den zahlreichen interessierten und sich an den Diskussionen lebendig beteiligenden Teilnehmern der Tagung zu verdanken. Von diesem Erfolg angespornt werden wir die Tagungsreihe und den in sie integrierten wissenschaftlichen Track auch im Jahr 2008 fortsetzen. MATTHIAS BEDARFF hat die redaktionelle Überarbeitung des Bandes mit großem Engagement und hoher Zuverlässigkeit unterstützt, wofür ihm abschließend unser ganz besonderer Dank gilt. Münster, im Frühjahr 2008
Jörg Becker Ralf Knackstedt Daniel Pfeiffer
Inhaltsverzeichnis
Teil 1: Konzepte für das Netzwerkmanagement ............................ 1 Wertschöpfungsnetzwerke von Produzenten und Dienstleistern als Option zur Organisation der Erstellung hybrider Leistungsbündel Jörg Becker, Daniel Beverungen, Ralf Knackstedt (ERCIS) ......................... 3 1 Von Einzelleistungen zu hybriden Leistungsbündeln mittels Wertschöpfungsnetzwerken? .............................................................................3 2 Empirische Erkenntnisse zur Bedeutung hybrider Leistungsbündel..................4 3 Systematisierung hybrider Leistungsbündel ......................................................9 3.1 Hybridität von Leistungsbündeln ..............................................................9 3.2 Weitere Dimensionen zur Typisierung hybrider Leistungsbündel ..........18 4 Organisationsformen der Erbringung hybrider Leistungsbündel.....................22 4.1 Wertschöpfungsnetzwerke als Option der Organisationsform ................22 4.2 Ausgewählte Einflussfaktoren der Wahl der Organisationsform ............24 5 Zusammenfassung und Ausblick .....................................................................27 Literaturverzeichnis...............................................................................................28
Entstehung neuer Supply-Networks im Mobilfunkmarkt Mario C. Speck, Matthias Rinschede (HIS 2006) .................................... 33 1 Wandel der Märkte im Mobilfunk ...................................................................33 2 Wertschöpfungskette in der Mobilfunkbranche...............................................35 3 Kooperationsformen und Supply-Networks im Mobilfunkmarkt ....................38 4 Supply-Networks als Herausforderung im Mobilfunkmarkt ...........................41 4.1 Herausforderungen für Netz- und Dienstanbieter....................................41
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4.2 Herausforderungen für MVNE (Großhandelsfunktion) ..........................42 4.3 Herausforderungen für Vertriebsorganisationen .....................................44 5 Aktueller Handlungsbedarf..............................................................................45 Literaturverzeichnis...............................................................................................47
Aufgaben von Controllingsystemen zur Koordination von Supply Chains Marion Steven, Inga Pollmeier (HIS 2007) ...........................................49 1 Einleitung ........................................................................................................49 2 Unternehmensnetzwerke und Supply Chains ..................................................50 3 Notwendigkeit und Ausgestaltung eines Controlling in der Supply Chain .....52 3.1 Die institutionale Dimension des Supply Chain Controlling ..................53 3.2 Die instrumentale Dimension des Supply Chain Controlling..................54 3.3 Die funktionale Dimension des Supply Chain Controlling .....................54 4 Strategisches Controlling im Lebenszyklus der Supply Chain ........................55 4.1 4.2 4.3 4.4
Die Initiierung der Kooperation ..............................................................57 Die Betriebsphase....................................................................................58 Die Modifikation des Netzwerks.............................................................59 Die Auflösung der Kooperation ..............................................................60
5 Zusammenfassung und Ausblick .....................................................................61 Literaturverzeichnis...............................................................................................63
Principal-Agent-Probleme in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken – Problemidentifikation und Lösungsansätze Herwig Winkler, Hubert B. Schemitsch, Bernd Kaluza (HIS 2007)...............65 1 Einleitung ........................................................................................................65 2 Grundzüge projektorientierter Wertschöpfungsnetzwerke ..............................66 2.1 Besondere Merkmale von projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken ....................................................................66 2.2 Unterscheidung von projektorientierten und programmorientierten Wertschöpfungsnetzwerken ....................................................................68
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2.3 Phasen der Auftragsplanung und -abwicklung in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken ....................................................................70 3 Untersuchung von Principal-Agent-Problemen in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken.............................................................................72 3.1 Grundlagen der Principal-Agent-Theorie................................................72 3.2 Untersuchung von Principal-Agent-Problemen bei der Konfiguration des projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerkes.........75 3.3 Untersuchung von Principal-Agent-Problemen bei der Auftragsabwicklung in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken ....................................................................76 4 Vermeidung von Principal-Agent-Problemen in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken.............................................................................77 4.1 Ansätze zur Lösung von Principal-Agent-Problemen bei der Partnerauswahl ........................................................................................77 4.2 Anreize und Kontrollen zur Verhaltenssteuerung der Wertschöpfungspartner bei der Auftragsabwicklung ..............................78 5 Fazit .................................................................................................................81 Literaturverzeichnis...............................................................................................83
Bewertung, Auswahl und Entwicklung relevanter Partnerunternehmen bei der Bildung strategischer Wertschöpfungsnetzwerke Herwig Winkler, Michael Slamanig, Bernd Kaluza (HIS 2007) ................... 87 1 Problemstellung ...............................................................................................87 2 Merkmale und Lebenszyklusphasen strategischer Wertschöpfungsnetzwerke...............................................................................88 2.1 Besondere Merkmale von strategischen Wertschöpfungsnetzwerken.....88 2.2 Phasen im Lebenszyklus eines strategischen Wertschöpfungsnetzwerkes.....................................................................90 3 Entwicklung einer Methodik zur Partnerbewertung und -auswahl bei der Bildung strategischer Wertschöpfungsnetzwerke ............................................93 3.1 Identifikation relevanter Geschäftsbeziehungen innerhalb des Wertschöpfungsnetzwerkes.....................................................................93 3.2 Untersuchung der Geschäftsbeziehungen mit ABC- und RSUAnalysen..................................................................................................93
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3.3 Klassifizierung der Partnerunternehmen mit Hilfe einer Kooperationsmatrix.................................................................................96 3.4 Empfohlene Vorgehensweise zur Bestimmung des Kooperationsprofils ausgewählter Partner ..............................................98 4 Alternative Pfade für die Partnerentwicklung in strategischen Wertschöpfungsnetzwerken...........................................................................102 5 Fazit ...............................................................................................................104 Literaturverzeichnis.............................................................................................106
Gestaltungsansätze einer Netzwerk-Balanced Scorecard Christoph Siepermann, Jan Vockeroth (HIS 2006) ................................109 1 Problemstellung .............................................................................................109 2 Systematisierung der Gestaltungsansätze ......................................................110 3 Gestaltungsansätze für die Unternehmensebene............................................112 4 Gestaltungsansätze für die unternehmensübergreifende Ebene .....................114 5 Gestaltungsansätze für zwei und mehr Ebenen..............................................115 6 Gestaltungsansätze ohne eindeutige Zuordnung zu einer Ebene ...................119 7 Zusammenfassung und Gegenüberstellung der Ansätze ...............................120 8 Gestaltungsempfehlungen für eine Netzwerk-BSC .......................................128 Literaturverzeichnis.............................................................................................131
Dynamische Konfiguration von Logistiknetzwerken Eric Sucky, Ines Hönscheidt (HIS 2006) ............................................133 1 Konfiguration von Wertschöpfungsnetzwerken ............................................133 2 Ein dynamischer Planungsansatz zur Bewertung und Auswahl von Konfigurationsstrategien................................................................................137 2.1 Identifizierung und Bewertung alternativer Konfigurationsstrategien aus strategischer Perspektive.................................................................137 2.2 Bewertung alternativer Konfigurationsstrategien aus taktischer Perspektive ............................................................................................139
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2.3 Ein dynamischer Ansatz der hierarchischen Planung zur Auswahl von Konfigurationsstrategien ................................................................141 3 Rekonfiguration des Distributionsnetzwerks eines Zulieferers der Automobilindustrie ........................................................................................143 3.1 Ausgangskonfiguration des Distributionsnetzwerks .............................144 3.2 Relevante Konfigurationsalternativen ...................................................145 3.3 Auswahl der Konfigurationsstrategie ....................................................147 4 Zusammenfassung .........................................................................................150 Literaturverzeichnis.............................................................................................151
Relationship Management von Verbundgruppen Holger Nohr, Alexander W. Roos, Annika Vöhringer (HIS 2006) .............. 153 1 Einleitung.......................................................................................................153 2 Verbundgruppen ............................................................................................154 3 Herausforderungen und Strategien ................................................................155 4 Relationship Management von Verbundgruppen...........................................156 4.1 Partner Relationship Management ........................................................157 4.2 Customer Relationship Management.....................................................159 5 Referenzprozesse für das Relationship Management von Verbundgruppen..161 5.1 Prozessmanagement ..............................................................................161 5.2 Referenzprozesse...................................................................................162 5.3 Referenzprozesse für CRM/PRM in Verbundgruppen..........................163 6 Fazit und Empfehlungen................................................................................167 Literaturverzeichnis.............................................................................................168
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Teil 2: Potenziale aktueller Informationstechnologien..............171 Global Data Synchronization – Lösungsansatz für das überbetriebliche Produktstammdatenmanagement zwischen Konsumgüterindustrie und Handel? Jan W. Schemm, Christine Legner, Hubert Österle (HIS 2006)..................173 1 Einleitung ......................................................................................................173 2 Kooperation zwischen Industrie und Handel.................................................174 3 Produktstammdatenmanagement als Basis elektronischer Kooperation........174 4 Lösungsansätze für das elektronische Stammdatenmanagement zwischen Industrie und Handel .....................................................................................176 4.1 Austauschformen: bilateral vs. multilateral...........................................176 4.2 Das Konzept der globalen Stammdatensynchronisation .......................177 5 Überbetriebliches Produktstammdatenmanagement in der Praxis: Eine Bestandsaufnahme .........................................................................................179 5.1 Ausgangssituation .................................................................................179 5.2 Überbetriebliche Stammdatenprozesse: mehrstufige Interaktion ..........179 5.3 Systemarchitektur: Datenaustausch per Spreadsheet ............................181 6 Global Data Synchronization: Bewertung des Lösungsansatzes ...................183 6.1 Standardisierungsgrad und Anschlussfähigkeit als Bewertungsgrundlage............................................................................183 6.2 Gestaltungsebene: Daten und Funktionen .............................................183 6.2.1 Standardisierungsgrad................................................................183 6.2.2 Anschlussfähigkeit.....................................................................184 6.3 Gestaltungsebene: Prozesse im Stammdatenmanagement ....................186 6.3.1 Standardisierungsgrad................................................................186 6.3.2 Anschlussfähigkeit.....................................................................186 6.4 Gestaltungsebene: Geschäftsstandards..................................................187 6.4.1 Standardisierungsgrad................................................................187 6.4.2 Anschlussfähigkeit.....................................................................187 7 Zusammenfassung und Ausblick ...................................................................188 Literaturverzeichnis.............................................................................................190
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Stammdatenkonzept für elektronische Verkaufsförderungsaktionen im Wertschöpfungsdreieck Hersteller, Händler und Kunde Jörg Becker, Axel Winkelmann, Daniel Beverungen, Christian Janiesch (ERCIS) ................................................................................. 193 1 Verkaufsförderungen im Handel....................................................................193 2 Stammdatenmanagement für Promotions ......................................................194 2.1 Clearingvarianten zur Promotionabwicklung ........................................194 2.2 State-of-the-Art des Einsatzes von Stammdatenpools für vollautomatische Promotions ......................................................................197 3 Integrierte Stammdaten- und Aktionsverwaltung ..........................................199 3.1 Motivation einer integrierten Stammdatenverwaltung ..........................199 3.2 Entwicklung eines hierarchischen Stammdatenkonzeptes für Artikelstammdaten ................................................................................199 3.2.1 Metamodell einer hierarchischen Artikelstammdatenverwaltung ...................................................199 3.2.2 Modell ........................................................................................201 3.3 Umsetzung des Konzeptes als Promotionplattform...............................202 4 Abgrenzung des entwickelten Konzeptes vom couponseitigen USCodierungs-Konzept ......................................................................................204 5 Zusammenfassung und Ausblick ...................................................................205 Literaturverzeichnis.............................................................................................207
Variantenmanagement von EDI-Protokollen mit dem H2-Toolset Jörg Becker, Stephan Kramer (ERCIS) ............................................. 209 1 Potenziale und Herausforderungen beim Austausch von Geschäftsdokumenten in Wertschöpfungsketten ...........................................209 2 Evolutionäre Entwicklung von EDI-Standards..............................................211 2.1 Traditionelle Ansätze ............................................................................211 2.2 Aktuelle Ansätze ...................................................................................213 2.3 Ansätze der nächsten Generation ..........................................................216 3 Konfiguration elektronischer Geschäftsdokumente auf Basis von CCTS .....224
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4 Fazit ...............................................................................................................230 Literaturverzeichnis.............................................................................................231
Serviceorientierte Informationssystemarchitekturen zur Integration von Produktion und Dienstleistung am Beispiel des WEEE-Recycling Ralf Knackstedt, Oliver Müller (ERCIS) ...........................................235 1 Wandlungsfähigkeit der Integration von Produktion und Dienstleistung......235 2 Modulare Informationssystemarchitekturen zur flexiblen Integration von Produktion und Dienstleistung ......................................................................238 3 Entwurf einer serviceorientierten Architektur am Beispiel des WEEERecycling.......................................................................................................241 3.1 3.2 3.3 3.4
Einführung in das Szenario ...................................................................241 Darstellung beteiligter Material- und Informationsflüsse......................242 Identifikation und Spezifikation geeigneter Services............................244 Entwurf der serviceorientierten Informationssystemarchitektur ...........248
4 Zusammenfassung und Ausblick ...................................................................249 Literaturverzeichnis.............................................................................................251
Serviceorientierte Architekturen für das MultiChannel-Management Oliver Thomas, Katrina Leyking, Clemens Hildebrandt, Michael Fellmann, Marc Gräßle (HIS 2007)...............................................................253 1 Einleitung ......................................................................................................253 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5
Von Wertschöpfungsketten zu Wertschöpfungsnetzen .........................253 Multi-Channel-Management im Handel................................................253 IT-Support für das Multi-Channel-Management...................................254 Existierende Ansätze .............................................................................255 Konkretisierung der Zielsetzung ...........................................................256
2 Konzeption ....................................................................................................256 3 Modellbasierte Gestaltung serviceorientierter Architekturen ........................258 3.1 Anwendungsszenario ............................................................................258 3.2 Beschreibung der Geschäftsprozesse mit EPK-Modellen .....................259 3.3 Konfiguration der EPK-Modelle in BPMN-Modelle ............................261
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3.4 Generierung des BPEL-Prozessmodells aus dem BPMN-Modell.........265 4 Konklusion und Ausblick ..............................................................................268 Literaturverzeichnis.............................................................................................271
Prozessorientierte Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen anhand eines ReferenzWirkungsmodells Lev Vilkov, Burkhard Weiß (ERCIS) ............................................... 275 1 Problematik der Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen.................275 1.1 RFID-Systeme als Hoffnungsträger des Supply Chain Managements ..275 1.2 Motivation und Probleme der Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFIDSystemen ...............................................................................................276 1.3 Zielsetzung der Entwicklung eines RFID-ReferenzWirkungsmodells als Beitrag zur RFIDWirtschaftlichkeitsbetrachtung..............................................................277 2 Aufbau eines RFID-Referenz-Wirkungsmodells...........................................278 2.1 Funktionalitäten von RFID-Systemen ...................................................278 2.2 RFID-relevante Kernprozesse und Prozessobjekte des Supply Chain Managements ........................................................................................278 2.3 Organisatorische Rollen im Rahmen des Supply Chain Managements als Sichten auf RFID-relevante Prozesse .......................282 2.4 Typisierung der für die Wirtschaftlichkeitsanalyse relevanten RFIDWirkungen.............................................................................................283 2.5 RFID-Referenz-Wirkungsmodell ..........................................................294 3 Zukünftige Weiterentwicklungspotentiale des RFID-ReferenzWirkungsmodells ...........................................................................................298 4 Vorteile und Grenzen des entwickelten RFID-Referenz-Wirkungsmodells ..299 Literaturverzeichnis.............................................................................................301
Soziale Netzwerke im Web 2.0 – Chancen, Risiken und Veränderungen für Organisationen Petra Cyganski (HIS 2007) ........................................................... 305 1 Einleitung.......................................................................................................305 2 Die Idee sozialer Netzwerke und Umsetzung im Web 2.0 ............................306
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3 Potentiale virtueller sozialer Netzwerke für Organisationen .........................308 3.1 Die Kundenebene (B2C, C2B)..............................................................309 3.2 Die Geschäftsebene (B2B, E2E) ...........................................................310 4 Grenzen der Nutzung virtueller sozialer Netzwerke für Organisationen.......313 5 Operative Nutzung virtueller sozialer Netzwerke für Organisationen...........314 5.1 Organisatorische Änderungen ...............................................................314 5.2 Personelle Änderungen .........................................................................316 5.3 Kulturelle Änderungen..........................................................................317 6 Fallbeispiel Wirtschaftsforum Neuwied ........................................................317 7 Fazit ...............................................................................................................321 Literaturverzeichnis.............................................................................................322
Autorenverzeichnis...........................................................325
Teil 1: Konzepte für das Netzwerkmanagement
Wertschöpfungsnetzwerke von Produzenten und Dienstleistern als Option zur Organisation der Erstellung hybrider Leistungsbündel Jörg Becker, Daniel Beverungen, Ralf Knackstedt 1
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Von Einzelleistungen zu hybriden Leistungsbündeln mittels Wertschöpfungsnetzwerken?
Sachgüter werden zunehmend als Massenware (engl. commodity) angesehen, die in ähnlicher Qualität von verschiedenen Unternehmen bereitgestellt werden können, die im internationalen Wettbewerb stehen. Um aus dem dadurch bedingten Preiskampf auszubrechen, bietet sich die Integration von Dienstleistungen in das Leistungsportfolio von Unternehmen, die bisher hauptsächlich Sachleistungen angeboten haben, an. Die das physische Produktspektrum ergänzende Vermarktung von Dienstleistungen eröffnet neben einem Verkauf zu höheren Margen (vgl. Wise, Baumgartner 1999) vielfältige andere Nutzenpotentiale (vgl. Quinn, Baruch, Paquette 1988), wie z. B. den Aufbau einer längerfristigen und intensiveren Kundenbindung (vgl. Sturts, Griffis 2005), die Steigerung der Leistungsfähigkeit des Produktes und seine flexiblere Anpassung an Kundenbedürfnisse (vgl. Howells 2003). Dabei kann sich auch das bisher verfolgte Geschäftsmodell des Sachleistungserstellers gravierend wandeln. Betreibermodelle sehen etwa vor, dass der Kunde nicht mehr die Sachleistung selbst, sondern deren Einsetzbarkeit bzw. das Ergebnis ihres Einsatzes erwirbt (vgl. Freiling 2003; Meier, Werding 2004). In den USA sind in führenden produzierenden Unternehmen bereits 50 % des Um-
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Dieser Beitrag wurde ermöglicht durch die Förderung der BMBF Projekte „FlexNet“ (Flexible Informationssystemarchitekturen für hybride Wertschöpfungsnetzwerke; Förderkennzeichen 01FD0629) im Rahmen des Förderprogramms „Innovationen mit Dienstleistungen“ und „ServPay“ (Zahlungsbereitschaften für Geschäftsmodelle produktbegleitender Dienstleistungen; Förderkennzeichen 02PG1010) im Rahmen des Förderprogramms „Forschung für die Produktion von morgen“. Wir danken an dieser Stelle den Projektträgern Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und Forschungszentrum Karlsruhe, Abteilung Produktions- und Fertigungstechnologien (PTKA-PFT), für die Unterstützung.
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Jörg Becker, Daniel Beverungen, Ralf Knackstedt
satzes und 60 % der Margen auf die Vermarktung von Dienstleistungen zurück zu führen (vgl. Allmendinger, Lombreglia 2005). In allen Phasen des Produktlebenszyklus einer Sachleistung finden sich Dienstleistungen, die sich mit der Sachleistung kombiniert anbieten lassen. Im Extremfall kann eine angebotene Kombination von Sach- und Dienstleistungen den gesamten Lebenszyklus einer oder mehrerer Sachleistungen abdecken. Pre-Sales-Dienstleistungen (z. B. Beratung, Fabrikplanung oder Finanzierung) sind in der Vornutzungsphase dem Betrieb des Sachgutes vorgelagert und dienen der Herstellung eines betriebsfähigen Zustandes. Während der Betriebsphase des Sachgutes zielen Dienstleistungen auf die Erhaltung der Betriebsfähigkeit des Sachgutes (z. B. Wartung, Instandhaltung) sowie den Betrieb des Sachgutes selbst ab (z. B. Bedienung durch ausgebildetes Personal, Anpassung von CNC-Programmen, Entsorgung verbrauchter Materialien, etc.). Schließlich sind in der Nachnutzungsphase des Sachgutes z. B. eine Demontage, der Wiederverkauf oder die Entsorgung von Komponenten auszuführen. Dieser Beitrag möchte zu der Diskussion anregen, ob die Entwicklung weg von Einzelleistungen hin zu hybriden Leistungsbündeln, die Sach- und Dienstleistungen miteinander kombinieren, die Bildung von Wertschöpfungsnetzwerken zwischen Produzenten und Dienstleistern forcieren wird. Hierzu wird zunächst ein Überblick über vorhandene empirische Erkenntnisse zur Bedeutung hybrider Leistungsbündel gegeben (Abschnitt 2). Die Sichtung verschiedener Studien zeigt, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Integration von Sach- und Dienstleistungen durch eine sehr uneinheitliche Begriffsverwendung geprägt ist. Um einen Beitrag zur Vereinheitlichung zu leisten, geben wir einen integrierten Überblick über verschiedene Ansätze zur Typisierung hybrider Leistungsbündel (Abschnitt 3). Für die so abgegrenzten hybriden Leistungsbündel wird schließlich untersucht, inwieweit Wertschöpfungsnetzwerke zwischen Produzenten und Dienstleistern eine adäquate Organisationsform zu ihrer Erbringung darstellen (Abschnitt 4). Der Beitrag endet mit einer Zusammenfassung seiner wesentlichen Aussagen und dem Aufzeigen weiteren Forschungsbedarfs (Abschnitt 5).
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Empirische Erkenntnisse zur Bedeutung hybrider Leistungsbündel
In vielen Veröffentlichungen wird der wirtschaftliche Nutzen der Integration von Sach- und Dienstleistungen eher vermutet als empirisch belegt, was auf einen Mangel an einschlägigen Studien zurückgeführt werden kann (vgl. Homburg, Garbe 1996, S. 255). Insbesondere im Rahmen der Forschungsförderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wurden allerdings in jüngerer Vergangenheit einige empirische Untersuchungen durchgeführt, die Aufschlüsse über die Bedeutung hybrider Leistungsbündel gewähren. Die empirischen
Wertschöpfungsnetzwerke von Produzenten und Dienstleistern
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Erhebungen unterscheiden sich sowohl hinsichtlich ihrer methodischen Ausrichtung als auch hinsichtlich ihres Untersuchungsobjekts (vgl. Tab. 1). Während VDMA und ZVEI (1998; 2002), sowie BACKHAUS/FROHS/WEDDELING (2007) und LAY/KIRNER/JÄGER (2007) allein produktbegleitende Dienstleistungen untersuchen, spricht LAY (2007) zusätzlich von industriellen Serviceleistungen bzw. industriellen Dienstleistungen. MERCER (2003) sowie STURM/BADING/SCHUBERT (2007) betrachten schließlich allgemein Lösungen aus Sachleistungs- und Dienstleistungskomponenten, die individuell für den Kunden bereitgestellt werden. Daher sind die Ergebnisse der einzelnen Studien nicht ohne Weiteres miteinander vergleichbar. Im Folgenden behalten wir daher die in den jeweiligen Studien verwendeten Begriffe bei und widmen uns erst im anschließenden Abschnitt 3 explizit der Systematisierung dieser Begriffsvielfalt. Auswertung zweier VDMA/ZVEI Studien der Jahre 1998 und 2001 durch STILLE (2003) In Deutschland betrug der Umsatzanteil produktbegleitender Dienstleistungen im Jahre 2000 im Maschinenbau 18,5 %, in der Elektroindustrie 22,5 % (nach 9,6 % bzw. 16,8 % im Jahr 1997). Dienstleistungen wurden dem Kunden dabei jedoch nur teilweise als eigenständige Leistungen berechnet (45 % der gesamten Dienstleistungsumsätze im Maschinenbau, 55 % der gesamten Dienstleistungsumsätze in der Elektroindustrie). Besonders selten ist dies bei Planungs-, Beratungs-, Projektierungs-, Zertifizierungs- und Dokumentationsdienstleistungen der Fall. Bezüglich der Fremdvergabe von produktbegleitenden Dienstleistungen an externe Dienstleister wurde eine rückläufige Outsourcing-Quote sowohl im Maschinenbau (29 % in 1997 auf 15 % in 2000) als auch in der Elektroindustrie (32 % in 1997 auf 31 % in 2000) festgestellt. Eine mögliche Interpretation könnte das zur Dienstleistungserstellung zunehmend notwendige Produkt-Know-how sein (vgl. Stille 2003, S. 199). Studie von MERCER MANAGEMENT CONSULTING (2003) Die Hälfte des Wachstums in Unternehmen des Maschinenbaus kam in den Jahren 1998 bis 2003 aus dem Servicegeschäft. Während im deutschen Maschinenbau das Maschinengeschäft durchschnittlich eine Umsatzrendite von 2,3 % erzielt, werden im Bereich der Dienstleistungen mehr als 10 % Umsatzrendite erreicht, wobei der Anteil bei einzelnen Dienstleistungen durchaus noch höher sein kann. Die durch Dienstleistungen zu erzielenden Margen bewegen sich dabei durchschnittlich zwischen 8 und 18 %. Das Ertragspotential von Dienstleistungen wird jedoch nur ca. zu 25 % ausgeschöpft. Dienstleistungen bleiben hauptsächlich auf das Kerngeschäft ausgerichtet (Entwicklung, Produktion und Verkauf von Maschinen). Die Entwicklung innovativer Leistungsbündel ist seltener. Dies ist hauptsächlich auf das Primat der Sachleistung im Maschinenbau zurückzuführen (vgl. Mercer 2003).
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Jörg Becker, Daniel Beverungen, Ralf Knackstedt
Untersuchung
Untersuchungsobjekt
Befragte Unternehmen
Art der Befragung
VDMA (1998);
Produktbegleitende
Maschinen- und Anla-
Koordinierte
VDMA (2002);
Dienstleistungen,
genbau (1998: n=450,
Befragung mit
ZVEI (1998);
insb. Umsatzanteil
2001: n=350) und der
Fragebögen
ZVEI (2002) in
am Gesamtumsatz
Elektroindustrie (1998:
STILLE (2003)
n=200, 2001: n=150)
MERCER
Industrielle Dienst-
(2003)
leistungen
Maschinenbau (n=200)
Umfrage
(„Servicegeschäft“) STURM/
„Lösungen“, beste-
Mittelständische Unter-
Fragebogen: jeweils
BADING/
hend aus Produkten
nehmen des Verarbei-
2 oder 4 Antwortal-
SCHUBERT
und Dienstleistungen
tenden Gewerbes in
ternativen, z. B.
(2007)
(hybride
Baden-Württemberg
wichtig/nicht wichtig
Leistungsbündel)
(n=99)
bzw. nicht wichtig/ weniger wichtig/ wichtig/sehr wichtig
BACKHAUS/
Produktbegleitende
FROHS/
Dienstleistungen
Maschinenbau (n=100)
Telefonische Befragung anhand
WEDDELING
eines Fragebogens
(2007) LAY (2007)
Konzepte für die
Verschiedene Branchen
Zugesendeter
Erbringung produkt-
der Investitionsgüterin-
Fragebogen an ca.
begleitender Dienst-
dustrie, mit Schwerpunkt
10.000 Unterneh-
leistung / industrieller
auf Maschinenbau
men
Serviceleistungen /
(29 %) und Hersteller
industrieller Dienst-
von Metallerzeugnissen
leistungen in
(26 %) (n=1442)
Auslandsmärkten LAY/KIRNER/
Produktbegleitende
Verarbeitendes Gewer-
Versand von Frage-
JÄGER (2007)
Dienstleistungen im
be (n=1663): Abdeckung
bögen an 13.426
Investitionsgüterbe-
des Maschinenbaus
Unternehmen
reich insgesamt,
(22 %), der Metallverar-
Service-Innovation in
beitenden Industrie
Industriefirmen
(20 %), Elektroindustrie (19 %)
Tab. 1: Empirische Studien
Studie von BACKHAUS/FROHS/WEDDELING (2007) BACKHAUS/FROHS/WEDDELING berechnen anhand einer strukturierten Telefonbefragung von 100 Maschinenbauunternehmen für den Anteil produktbegleitender
Wertschöpfungsnetzwerke von Produzenten und Dienstleistern
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Dienstleistungen am Unternehmensumsatz einen Mittelwert von 23,3 % (vgl. Backhaus, Frohs, Weddeling 2007). Zu beachten ist hier allerdings eine hohe Varianz der Antworten. Bzgl. des derzeitigen Angebots produktbegleitender Dienstleistungen werden von den befragten Unternehmen hauptsächlich objektgerichtete Dienstleistungen (z. B. Montage, Wartung oder „Service“ allgemein) genannt (vgl. Kersten, Zink, Kern 2006, S. 197). Differenzierungsmöglichkeiten gegenüber dem Wettbewerb durch innovative Dienstleistungen werden jedoch kaum genutzt. Es wird festgestellt, dass es vielen Unternehmen schwer fällt, das eigene Dienstleistungsangebot überhaupt systematisch zu beschreiben. 22 % der befragten Unternehmen sehen produktbegleitende Dienstleistungen als wirtschaftlicher an als Sachgüter, 38 % beurteilen die Wirtschaftlichkeit als vergleichbar, während 28 % die Sachleistung für profitabler halten. Sach- und Dienstleistungen werden am Markt hauptsächlich als Bündel vertrieben (41,6 %). Etwa insgesamt 55 % der Dienstleistungen könnten potentiell von einem externen Anbieter erbracht werden, was für die Zukunft stärker werdende Interdependenzen (Konkurrenz oder Kooperation) zwischen Unternehmen erwarten lässt. Studie von STURM/BADING/SCHUBERT (2007) Nach eine Befragung von 99 Unternehmen des Maschinenbaus (hauptsächlich Einzel- und Serienfertiger) durch STURM/BADING/SCHUBERT (2007) wird Leistungsbündeln aus Sach- und Dienstleistungen eine hohe (38,1 %) bis sehr hohe (59,8 %) Bedeutung für den Unternehmenserfolg beigemessen. Der Anteil von Dienstleistungen am Gesamterfolg (niedrig: 46,4 %, hoch: 43,3 %) soll in Zukunft weiter ausgebaut werden (78,4 %). Individuelle Lösungen werden dabei durch den Kunden sehr stark nachgefragt (89,8 %) und werden als gute Möglichkeit zur Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb (57 %) und zur Kundenbindung (sehr wichtig: 53,1 %, wichtig: 43,9 %) gesehen. Folglich wollen 94,9 % der Unternehmen mit hybriden Produkten wachsen. Dabei spielt die Vernetzung mit Kooperationspartnern eine wichtige (50 %) bis sehr wichtige (21,9 %) Rolle. Momentan werden Dienstleistungen innerhalb hybrider Leistungsbündel jedoch nur zu 10,1 % durch externe Kooperationspartner und zu 6,1 % durch eigene, ausgelagerte Dienstleister erbracht. Eine integrierte Entwicklung der Sach- und Dienstleistungen halten 73,7 %, eine integrierte Auftragsabwicklung 92,9 % der befragten Untenehmen für wichtig. Studie von LAY (2007) LAY führt in seiner Studie eine Befragung von 1.442 Unternehmen der Investitionsgüterindustrie zur Ermittlung von Internationalisierungsstrategien von Dienstleistungen durch. 60,6 % der befragten Unternehmen erbringen produktbegleitende Dienstleistungen von eigenen Standorten aus, 38 % (vor allem große Unternehmen, die sich als Technologie- oder Flexibilitätsführer in ihrem Marktsegment sehen) betreiben eigene Serviceniederlassungen im Ausland und 25,6 % kooperie-
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Jörg Becker, Daniel Beverungen, Ralf Knackstedt
ren mit ausländischen Servicegesellschaften. Aus seiner Untersuchung folgert LAY, dass industrielle Dienstleistungen im Ausland sehr häufig von der Investitionsgüterindustrie selbst erbracht – und nicht fremdvergeben – werden. Es konnte jedoch kein Zusammenhang zwischen der Art der Dienstleistung und der Markteintrittsform im Ausland festgestellt werden. Studie von LAY/KIRNER/JÄGER (2007) LAY/KIRNER/JÄGER untersuchen die Dienstleistungsinnovation bei Industriefirmen auf Basis einer Stichprobe von 1.663 Unternehmen. 35 % der befragten Unternehmen machen Umsätze mit innovativen Dienstleistungen, die in den vergangenen drei Jahren eingeführt wurden. Führend sind hier Unternehmen im Maschinenbau, der Elektroindustrie und der Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik; Dienstleistungen werden hauptsächlich begleitend zu komplexen Sachleistungen – und damit von Unternehmen, die sich als Technologieführer begreifen – angeboten. Ein direkter Zusammenhang zwischen Sachleistungs- und Dienstleistungsinnovation konnte in der Studie allerdings nicht nachgewiesen werden. Im Vordergrund stehen Planungs-, Beratungs- und Projektierungs- und Dokumentationsdienstleistungen (80-90 % Anbieterquote), gefolgt von Montagen, Inbetriebnahmen, Schulungen, Wartungen und Reparaturen (60-70 %). Finanzierungsdienstleistungen oder Betreibermodelle bieten jedoch lediglich 10-20 % der Unternehmen an. Insgesamt wird mit diesen Leistungen durchschnittlich ca. 17 % des Umsatzes erzielt. Umsätze von Dienstleistungen sind dabei hauptsächlich auf innovative Dienstleistungen zurückzuführen (54 %), was die hohe Dynamik des Industriesektors unterstreicht. Bemerkenswert ist, dass die Rendite von Dienstleistungen durchaus kontrovers bewertet wird: Während 33 % (Unternehmen mit Serviceinnovationen) bzw. 20 % (Unternehmen ohne Serviceinnovationen) Renditen von Dienstleistungen als höher einschätzen als die Renditen der Sachleistungen, halten 46 % bzw. 59 % der Unternehmen die Renditen im Produktgeschäft für höher. Insgesamt bekräftigen die Studien, dass für Sachleistungshersteller das Angebot von Dienstleistungen an Bedeutung gewinnt bzw. gewonnen hat. Zugleich zeigen sie, dass eine Begriffsvielfalt vorliegt, die ein einheitliches Verfolgen dieser Entwicklung erschwert. Bevor daher die Potenziale der zunehmenden Bedeutung der Integration von Sach- und Dienstleistungen für die Bildung von Wertschöpfungsnetzwerken zwischen Produzenten und Dienstleistern diskutiert werden, werden im Folgenden hybride Leistungsbündel systematisiert.
Wertschöpfungsnetzwerke von Produzenten und Dienstleistern
3
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Systematisierung hybrider Leistungsbündel
3.1 Hybridität von Leistungsbündeln Für die mit Sachleistungen kombinierten Dienstleistungen wird eine Vielzahl von Begriffen vorgeschlagen. Insbesondere auch durch entsprechend bezeichnete Ausschreibungen des BMBF findet der Begriff „hybrides Leistungsbündel“ derzeit in Deutschland zunehmend Verwendung und wird daher im Folgenden ausführlich diskutiert. Der Begriff hybrid leitet sich vom lateinischen Wort hybris ab. Während auf den alltäglichen Sprachgebrauch zurückzuführende Definitionen vor allem auf die Zusammensetzung aus Teilen zweierlei Herkunft abstellen, leitet VOM BROCKE (2007) aus einer systemtheoretischen Perspektive drei konstituierende Merkmale hybrider Systeme ab (vgl. Tab. 2). Da im letzteren Fall mit den konstituierenden Merkmalen Heterogenität, Koexistenz und Konkurrenz ein differenzierter Anforderungskatalog für hybride Systeme zur Verfügung steht, wird im Folgenden dieser Definitionsansatz gewählt, um die Charakterisierung von aus Sachgütern und Dienstleistungen bestehenden Leistungsbündeln als hybrid näher zu untersuchen. Quelle
Definition
DUDEN (1990, S. 321) DTV (2006, S. 567)
„gemischt, von zweierlei Herkunft, aus Verschiedenem zusammengesetzt; durch Kreuzung, Mischung entstanden“ „von zweierlei Herkunft, gemischt, zwitterhaft (Biologie), aus Verschiedenem Zusammengesetzt (Sprachwissenschaft)“
KLUGE (2002, S. 429)
Hybrides „durch Kreuzung entstandenes Wesen […] Adjektiv: hybrid“
VOM BROCKE (2007, S. 44)
Hybrider Sachverhalt: kann als zielgerichtetes System beschrieben werden, dessen Systemzweck nach spezifischen Regeln durch alternative Teilsysteme auf unterschiedliche Art erfüllt wird
Tab. 2: Überblick über Definitionen des Hybriditätsbegriffes
Die Diskussion der Leistungsbündel als hybride Systeme wird in Anlehnung an die in der Informatik verbreitete Unterscheidung zwischen Typ- und Instanzebene bzw. Schema- und Ausprägungsebene differenziert (vgl. Abb. 1). Diese Ebenen korrespondieren in unserer Verwendung mit den für Dienstleistungen vorgeschlagenen Sichten Potenzial, Prozess und Ergebnis. Auf Typebene wird das hybride Leistungsbündel als vom Anbieter bereitgestelltes Potenzial zur Leistungserbringung aufgefasst. Um Aufträge erfüllen zu können, muss der Anbieter sowohl Ressourcen vorhalten als auch die Prozessschemata entwerfen, mittels derer er konkrete Aufträge erfüllen will. Die Prozessschemata müssen auf die Leistungsergebnisse abgestimmt sein, die den Kunden angeboten werden. Auf Instanzebene
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werden die definierten Prozessschemata für einzelne Aufträge konkret ausgeprägt. Um dem Kunden ein konkretes Leistungsergebnis bereitzustellen, werden die Prozessschemata auftragsspezifisch ausgeführt und dabei die vorgehaltenen Ressourcen eingesetzt und ggf. verbraucht.
Abb. 1: Merkmale hybrider Leistungsbündel
Die Anwendung der konstitutiven Merkmale hybrider Systeme Heterogenität, Konkurrenz und Koexistenz auf Leistungsbündel aus Sach- und Dienstleistungen
Wertschöpfungsnetzwerke von Produzenten und Dienstleistern
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auf Typ- und Instanzebene zeigt, dass die Erfüllung dieser Merkmale teilweise problematisch ist. Heterogenität Hybride Systeme kombinieren Teilsysteme unterschiedlicher Art. Bezogen auf hybride Leistungsbündel bezieht sich diese Artverschiedenheit auf die Kombination verschiedener Sach- und Dienstleistungen zu Leistungsbündeln. HILKE (1989) und ENGELHARDT/KLEINALTENKAMP/RECKENFELDERBÄUMER (1993) weisen in viel beachteten Beiträgen darauf hin, dass in Leistungsbündeln kombinierte Sachund Dienstleistungen nicht mehr trennscharf voneinander unterscheidbar sind. Dabei betrachten sie Leistungsbündel aus einer Marketingperspektive als Absatzobjekte, die Kunden als ganzheitliche Problemlösung angeboten werden. Kunden integrierte Problemlösungen anbieten zu können stellt eines der viel genannten Motive des Angebots hybrider Leistungsbündel dar. Hieraus kann gefolgert werden, dass es aus Kundensicht gar nicht wünschenswert bzw. anzustreben ist, dass sich im bereitgestellten hybriden Leistungsbündel einzelne Teilsysteme in Form einzelner Sach- und Dienstleistungen voneinander abgrenzen lassen. Die Forderung nach Heterogenität hybrider Leistungsbündel wird daher aus Kundensicht sowohl auf Typ- als auch auf Instanzebene verworfen. Auf Typebene fehlt es dem Kunden in der Regel an Einsicht in die Ressourcen und Prozessschemata des Anbieters, um unterscheiden zu können, zur Erbringung welcher Sachund Dienstleistungen der Anbieter Potenziale vorhält. Auf Instanzenebene beurteilt ein Kunde ein Leistungsbündel in der Regel anhand dessen Eigenschaften (z. B. Preis, Zuverlässigkeit oder Sicherheit) ohne über seine interne Struktur Kenntnis erlangen zu wollen (vgl. Botta 2007). Aus Anbietersicht kann dagegen davon ausgegangen werden, dass die Unterscheidbarkeit einzelner Sach- und Dienstleistungen eines Leistungsbündels durchaus gegeben ist. Auf Typebene lässt sich diese Unterscheidbarkeit methodisch motivieren. Einzelne Sachleistungen werden im Rahmen des Product Engineering mit Hilfe von Modellen konstruiert. Die Modellbildung liefert Merkmale und Merkmalsausprägungen, mittels derer sich einzelne Sachleistungen voneinander unterscheiden lassen. Unter dem Begriff Service Engineering hat sich eine Disziplin etabliert, die es sich zum Ziel setzt, das für die Konstruktion von Sachleistungen übliche ingenieurswissenschaftliche Vorgehen auf den Entwurf von Dienstleistungen zu übertragen. Der Entwurf der Dienstleistungsprozesse erfolgt dabei ebenfalls modellgestützt, was zu deren Abgrenzbarkeit über Merkmale und Merkmalsausprägungen ebenfalls beiträgt. Für die Gestaltung hybrider Sach- und Dienstleistungsbündel ist die Integration des Product und Service Engineering zu einem Product Service Systems Engineering zu fordern (vgl. Tan, McAloone, Andreasen 2006; McAloone 2006). Dabei sind für die Gestaltung der Sach- und Dienstleistungskomponenten des hybriden Leistungsbündels die Prinzipien, Methoden und Werkzeuge des Product bzw. des Service Engineerings einzusetzen
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Jörg Becker, Daniel Beverungen, Ralf Knackstedt
und aufeinander abzustimmen, so dass ein in sich konsistentes Ergebnis erzielt wird. Aufgrund des zumindest teilweise spezialisierten Prinzipien-, Methodenund Werkzeugeinsatzes und der Arbeitsteilung bei der Entwicklung hybrider Leistungsbündel kann davon ausgegangen werden, dass – im Gegensatz zur Kundensicht – aus Anbietersicht die Unterscheidung von Sach- und Dienstleistungen sinnvoll ist. Die Abgrenzung von Sach- und Dienstleistungen gegeneinander wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Den Vorzug vor einer Negativdefinition und Enumeration erhalten dabei häufig Definitionsansätze, die verschiedene konstituierende Merkmale als typisch für Sach- bzw. Dienstleistungen herausstellen (vgl. Scheer, Grieble, Klein 2006, S. 23 f.; Benkenstein, Güthoff 1996). Dienstleistungen zeichnen sich demnach gegenüber Sachleistungen durch ihre Immaterialität, Kundenintegration in den Prozess der Leistungserstellung, Heterogenität bei jeder kundenspezifischen Ausführung, Gleichzeitigkeit von Erstellung und Konsum und der Vergänglichkeit (Nichtlagerbarkeit) aus (vgl. Fitzsimmons, Fitzsimmons 2001, S. 25 ff.) (vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Sachleistung vs. Dienstleistung (in Anlehnung an Schroeder 2000)
Auch wenn die Abgrenzungsschärfe dieser Merkmale einzeln durchaus kritisch gesehen werden kann, ist insgesamt davon auszugehen, dass sich aus Anbietersicht jeweils Merkmale und deren Ausprägungen finden lassen, mittels derer sich hybride Leistungsbündel in verschiedene Sachleistungsbestandteile, in verschiedene Dienstleistungsbestandteile oder in verschiedene Sach- und Dienstleistungsbestandteile auf Typebene unterscheiden lassen. Mit der Unterscheidung heterogener Teilsysteme auf Typebene ist auch die Heterogenität auf Instanzebene gegeben, da die Unterscheidungskriterien der Typebene für die Unterscheidung der jeweiligen Schemaausprägungen herangezogen werden können.
Wertschöpfungsnetzwerke von Produzenten und Dienstleistern
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Konkurrenz Es muss sich mindestens ein Zweck des hybriden Systems identifizieren lassen, um dessen Erfüllung mehrere heterogene Teilsysteme gemeinsam konkurrieren. Die Zwecke eines Leistungsbündels bestehen in der Erbringung bestimmter Kundennutzen. Sach- und Dienstleistungen stellen die heterogenen Teilsysteme eines hybriden Leistungsbündels dar, die diese Zwecke realisieren. Konkurrenz bedeutet, dass sich Sach- und Dienstleistungen hinsichtlich der Realisierung eines bestimmten Systemzwecks gegeneinander substituieren lassen. Die Substituierbarkeit von Sach- und Dienstleistungen kann allerdings keineswegs als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Die Konkurrenz der Teilsysteme hybrider Leistungsbündel kann sich genauso wie die Heterogenität hybrider Leistungsbündel zwischen Sachleistungen, zwischen Dienstleistungen oder zwischen Sach- und Dienstleistungen ergeben. Gegeneinander substituierbare Sachleistungen liegen z. B. vor, wenn eine bestimmte Produktfunktion oder -eigenschaft durch alternative Module realisiert werden kann. Der Antrieb eines Fahrzeugs kann z. B. mittels eines Benzin oder Strom verbrauchenden Motors realisiert werden. Die Datenspeicherungs- und -auswertungsfunktion eines OLAP-Systems kann z. B. einem relationalen oder sogenannten multidimensional Ansatz gemäß erfolgen. Prinzipiell kann ein einzelner Zweck auch durch mehr als zwei alternative Sachleistungen erfüllt werden, um das Kriterium der Konkurrenz zu erfüllen. Gerade bei neuartigen Produkteigenschaften und -funktionen wird allerdings häufig auch eine einzelne Alternative zur Sachleistung fehlen, so dass die Voraussetzung für Konkurrenz nicht gegeben ist. Desgleichen gilt für die Substituierbarkeit von Dienstleistungen untereinander. Für die Erbringung des gewünschten Ergebnisses einer angebotenen Dienstleistung kann der Anbieter unterschiedliche Prozesse vorsehen bzw. verfolgen. Die Entwicklung einer Software kann z. B. nach einer Top-down- oder Bottom-up-Vorgehensweise erfolgen. Die logistische Bereitstellung von Gütern für unterschiedliche Kunden bzw. Regionen kann über ein Zentrallager abgewickelt werden, oder über eine dezentralisierte Distributionsstruktur mit mehreren kleineren Lägern. Auch Sach- und Dienstleistungen sind teilweise gegeneinander substituierbar (vgl. Meier, Kortmann 2006, S. 111). Um einem Kunden die Leistung eines Sachgutes mit einer bestimmten angestrebten Zuverlässigkeit zur Verfügung zu stellen, kann der Anbieter z. B. ein Sachgut mit technischen Erweiterungen anbieten, dass einen besonders wartungsarmen Betrieb ermöglicht. Alternativ kann er dieses Sachgut aber auch ohne die technischen Erweiterungen bereitstellen und dieses mit einer regelmäßigen Wartungsdienstleistung kombinieren, welche die Einsatzfähigkeit des Sachguts präventiv absichert. Zwecke von Leistungsbündeln können aber nicht zwangsläufig durch materielle oder immaterielle Teilsysteme erbracht werden. Beispielsweise erfordert der Transport und die Inbetriebnahme einer Fräse vielfältige Dienstleistungen, die durch physische Eigenschaften der Maschine nicht zu kompensieren sind (z. B. Logistikdienstleistungen).
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Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Konkurrenz zwischen den Teilsystemen eines Leistungsbündels nicht per se vorausgesetzt werden kann und stattdessen im Einzelfall genau geprüft werden muss, ob diese Voraussetzung gegeben ist. Substituierbarkeit von Sach- und Dienstleistungen auf Typebene überträgt sich dabei auf die Instanzebene. Für die Instanzen von Sach- und Dienstleistungen, die auf Typebene als substituierbar charakterisiert werden, gilt, dass für die jeweilige Instanz jeweils mindestens eine alternative Instanz realisiert werden könnte, die den gleichen Zweck erfüllt. Wichtig ist festzustellen, dass die Substituierbarkeit jeweils relativ zu diesem Zweck zu formulieren ist. Koexistenz Die letzte Anforderung an hybride Systeme besteht darin, dass die heterogenen, um die Erfüllung eines Zwecks konkurrierenden Systeme im hybriden System erhalten bleiben. Hybride Systeme zeichnen sich somit dadurch aus, dass sie für einzelne Zwecke redundante Teilsysteme vorhalten, die diese Zwecke erfüllen können und so gewählt werden kann, welches der Teilsysteme zum Einsatz kommen soll, um den jeweiligen Zweck zu erreichen. Dem Vorteil einer durch die Auswahlmöglichkeiten erhöhten Flexibilität stehen dabei die Kosten der Aufrechterhaltung koexistierender Teilsysteme und Kosten zum Wechsel der Teilsysteme gegenüber (vgl. vom Brocke 2007). Die Diskussion, ob Leistungsbündel die Anforderung der Koexistenz erfüllen können, lässt sich wiederum auf Typ- und Instanzebene führen. Auf Typebene bedeutet die Koexistenz, dass der Anbieter eines hybriden Leistungsbündels Prozessschemata und Ressourcen vorhält, die ihm die Erbringung substituierbarer Leistungen ermöglicht. Die substituierbaren Leistungen konkurrieren dabei um die Erbringung des gleichen Zwecks eines Leistungsbündels, das sich im Angebotsspektrum des Anbieters befindet. Für das bereits angeführte Beispiel, dass eine Wartungsdienstleistung und eine technische Sachleistungserweiterung hinsichtlich des Zwecks der Sicherstellung einer bestimmten Verfügbarkeit gegenseitig substituierbar sind, bedeutet dies, dass der Anbieter sowohl das Potenzial zur Erbringung der Wartungsdienstleistung als auch zur Auslieferung der technischen Sachleistungserweiterung vorhalten müsste. Kriterien für die Auswahl zwischen beiden Alternativen könnten für ihn der explizite Wunsch des Kunden oder eigene ökonomische Abwägungen darstellen. Je nach Standort des Kunden variieren z. B. die Kosten für den Vororteinsatz von Wartungspersonal, so dass gegebenenfalls die technische Sachleistungserweiterung die kostengünstigere Alternative darstellen könnte. Voraussetzung für das Vorliegen dieser Hybriditätsbedingung ist also einerseits, dass um die Zweckerfüllung untereinander konkurrierende Sachleistungen, Dienstleistungen bzw. Sach- und Dienstleistungen denkbar sind (Konkurrenz), und andererseits, dass der Anbieter sich entscheidet, die Voraussetzungen zu schaffen, um diese Substitutionsfähigkeit auch nutzen zu können (Koexistenz auf Potenzialebene).
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Die Erfüllung der Hybriditätseigenschaften auf Typebene ist Voraussetzung, um die Koexistenz auch auf Instanzebene zu realisieren. Allerdings ist die Koexistenz auf Instanzebene nicht zwangsläufig erfüllt, wenn sie auf Typebene erfüllt ist. Die Koexistenz auf Instanzebene hängt insbesondere von der Vertragsgestaltung bzw. vom Geschäftsmodell ab. Auf Typebene kann ein Anbieter beispielsweise die Voraussetzung geschaffen haben, eine Wartungsdienstleistung und eine diese substituierende technische Sachleistungserweiterung alternativ anzubieten. Auftragsindividuell kann er den Beitrag eines der redundanten Teilsysteme auswählen, um den gleichen Zweck beim Kunden zu realisieren. Bei der auftragsspezifischen Instanziierung kann nun einerseits festgelegt werden, dass dem Kunden die geforderte Verfügbarkeit entweder über die Wartungsdienstleistung oder über die technische Sachleistungserweiterung sichergestellt wird. Die exklusive Auswahl wird z. B. getroffen, wenn der Kunde nicht wünscht, dass Wartungspersonal des Anbieters Zugang zu seinem Gelände erhält. Die vertraglichen Regelungen zwischen Anbieter und Kunden können somit eine spätere Nutzung der Substituierbarkeit unmöglich machen. Mit der auftragsspezifischen Bereitstellung des Leistungsbündels können somit die Wahlmöglichkeit und damit die Eigenschaft der Koexistenz, die auf Typebene noch bestand, verloren gehen. Ein Beispiel für ein Sach- und Dienstleistungsbündel, bei dem die Eigenschaft der Koexistenz auch auf Instanzebene erhalten bleibt, bietet die Landwirtschaft. Ein Angebot dienstleistender Landmaschinenhersteller kann hier darin bestehen, dass sie die Ernten auf den Feldern eines landwirtschaftlichen Betriebes ergebnisverantwortlich übernehmen. Der Kunde erteilt dabei dem Landmaschinenhersteller dabei jederzeitiges Zugangsrecht zu seinen Feldern. Mit welchen Maschinen und mit wie viel Personal der Hersteller die Ernte vornimmt, bleibt diesen vollständig selbst überlassen. Damit hat der Landmaschinenhersteller die Möglichkeit je nach Auftragslage eine teure, sehr stark automatisierte Maschine mit wenig Erntepersonal einzusetzen oder aber eine günstigere dafür aber weniger stark automatisierte Maschine mit mehr Erntepersonal einzusetzen. Im Rahmen der auftragsspezifischen Instanziierung entscheidet der Landmaschinenhersteller damit über die gesamte Vertragslaufzeit zu den jeweiligen Erntezeiten je nach Art und Standort der Felder über den jeweiligen Beitrag der konkurrierenden Sach- und Dienstleistung, womit die Voraussetzung der Koexistenz auch auf Instanzebene gegeben ist. Ableitung von Begriffsabgrenzungen Im Ergebnis zeigt die Diskussion der Hybriditätseigenschaften, dass der Begriff „hybrides Leistungsbündel“ durchaus unterschiedlich abgrenzbar ist. Um die verschiedenen Abstufungen zu explizieren, stellen wir eine mehrstufige Systematisierung vor (vgl. Abb. 3).
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Abb. 3: Abgrenzung von Hybriditätsbegriffen
Der Begriff Leistungsbündel wird allgemein verwendet um Aggregate zu bezeichnen, die aus mehreren Sachleistungen bzw. mehreren Dienstleistungen oder auch mehreren Sach- und Dienstleistungen zusammengesetzt sind. Die alltagssprachliche Verwendung des Begriffs „hybrid“ hebt allein hervor, dass ein hybrides System aus verschiedenem zusammengesetzt ist. In diesem Sinne ist die Charakterisierung von Leistungsbündeln mit dem Attribut „hybrid“ redundant, da ja bereits der Begriff „Bündel“ auf die Zusammensetzung aus mehreren Komponenten hinweist. Der Begriff hybrides Leistungsbündel wird derzeit allerdings häufig verwendet, um Leistungsbündel zu bezeichnen, die aus Dienst- und Sachleistungen zusammengesetzt sind. Leistungsbündel, die sich allein aus Dienstleistungen bzw. allein aus Sachleistungen zusammensetzen werden in diesem Sprachgebrauch von dem Begriff „hybrides Leistungsbündel“ nicht adressiert, so dass das zusätzliche Attribut durchaus eine Funktion aufweist. Allerdings ist fraglich, ob durch diese
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Charakterisierung viele Leistungsbündel tatsächlich ausgeschlossen werden. Es ist zu vermuten, dass der überwiegende Teil der Leistungsbündel sowohl einen Sachals auch einen Dienstleistungsanteil aufweist (vgl. Abb. 4). Sachleistungsanteil 100%
75%
50%
Dienstleistungsanteil 25%
0%
25%
50%
75%
100%
Selbstbedienungstankstelle Personalcomputer Büro-Kopierer Schnellrestaurant Gourmetrestaurant Autoreparatur Linienflug Haarschnitt
Abb. 4: Sach- und Dienstleistungsanteile von Leistungsbündeln (in Anlehnung an Fitzsimmons, Fitzsimmons 2001, S. 21)
Die verbreitete Verwendung des Begriffs „hybrides Leistungsbündel“ als Aggregation aus Sach- und Dienstleistungen erfüllt die Hybriditätseigenschaft der Heterogenität aus Anbietersicht. Die Heterogenität kann allerdings prinzipiell auch durch die Unterscheidung mehrerer Sachleistungen bzw. mehrerer Dienstleistungen erfüllt werden. Eine genauere, wenn auch umständlichere Bezeichnung wäre daher z. B. „hybrides Sach- und Dienstleistungsbündel“. „Hybrides Leistungsbündel“ könnte dann als Oberbegriff für „hybride Sach- und Dienstleistungsbündel“, „hybride Sachleistungsbündel“ und „hybride Dienstleistungsbündel“ fungieren. Die beiden letzteren setzen sich dabei ausschließlich aus Sachleistungen bzw. Dienstleistungen zusammen. Da mit der verbreiteten Begriffsverwendung lediglich eine der Hybriditätseigenschaften nach VOM BROCKE adressiert wird, kann von hybriden Leistungsbündeln im weitesten Sinne gesprochen werden. Eine engere Auslegung des Hybriditätsbegriffs liefert die zusätzliche Forderung nach Konkurrenz der heterogenen Leistungen auf Typ- und Instanzebene sowie nach Koexistenz auf Typebene. Die engste Abgrenzung erhält man, wenn zudem auch die Koexistenz auf Instanzebene gefordert wird.
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3.2 Weitere Dimensionen zur Typisierung hybrider Leistungsbündel Dem aktuellen Vorschlag für integrierte Sach- und Dienstleistungen den Begriff „hybrides Leistungsbündel“ zu verwenden, sind eine Vielzahl weitere Ansätze vorausgegangen, die zu einer erheblichen Begriffsvielfalt geführt haben. Die uneinheitliche Verwendung von Begriffen zur Beschreibung der Integration von Sach- und Dienstleistungen ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass der jeweilige Betrachtungsfokus im Zeitablauf einem Wandel unterworfen war. Historisch betrachtet rückten zunächst sogenannte objektgerichtete Dienstleistungen (z. B. der technische Kundendienst, Wartung oder Reparatur) in den Vordergrund der Betrachtung. Entsprechende Begrifflichkeiten prägen vor allem ältere Veröffentlichungen in diesem Themengebiet (vgl. Garbe 1998, S. 21). Unter den häufig erwähnten produktbegleitenden Dienstleistungen werden dabei Dienstleistungen verstanden, die stets zusätzlich zu einem Sachgut erbracht werden. Unter industriellen Dienstleistungen wurden immaterielle Leistungen zusammengefasst, die Industriegüterhersteller ihren Kunden zur Förderung des Absatzes ihrer Sachleistungen anbieten (vgl. Homburg, Garbe 1996, S. 255). Industrielle Dienstleistungen können dabei sowohl eigenständig vermarktbare Leistungen sein, als auch Komponenten eines (hybriden) Sach- und Dienstleistungsbündels darstellen; somit geht der Begriff über die Eigenschaften produktbegleitender Dienstleistungen hinaus. Als Anbieter einer industriellen Dienstleistung fungiert ein produzierendes Unternehmen oder ein von diesem beauftragter Dienstleister (vgl. Backhaus, Kleikamp 2001, S. 79). Zur Systematisierung der im Zeitablauf aufgekommenden Begriffe wird von HOMBURG/GARBE (1996) ein mehrstufiges Gliederungsschema für Dienstleistungen vorgeschlagen, dass durch weitere Autoren mehrfach ergänzt und ausdifferenziert wurde (vgl. Abb. 5). 2
2
Die Definition von GARBE (1998, S. 28) betrachtet die Begriffe „industrielle Dienstleistung“ und „rein investive Dienstleistung“ als nicht überschneidungsfrei, solange Dienstleistungen einen Produktbezug aufweisen. BACKHAUS/KLEIKAMP (2001, S. 79) weisen sogar explizit darauf hin, dass industrielle Dienstleistungen auch von Dienstleistern – in Ergänzung der Sachleistung eines Industriegüterherstellers – erbracht werden können.
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Abb. 5: Differenzierung des Dienstleistungsbegriffs (in Anlehnung an Spath, Demuß 2006, S. 468)
Aus einer Nachfragerperspektive wird in dieser Systematik zunächst die Nachfrage durch Konsumenten (konsumtive Dienstleistungen) und Unternehmen (investiven Dienstleistungen) unterschieden. Dienstleistungen, die von Dienstleistungsunternehmen erbracht werden (rein investive Dienstleistungen) werden dabei abgegrenzt von Dienstleistungen produzierender Unternehmen (industrielle Dienstleistungen). BACKHAUS und KLEIKAMP ergänzen die Unterscheidung industrieller Dienstleistungen in produktbegleitende Dienstleistungen und in Form von Betreibermodellen angebotenen Dienstleistungen (Performance ContractingLeistungen) (vgl. Backhaus, Kleikamp 2001, S. 78 ff.). Das Performance Contracting erster Ordnung umfasst dabei das zur Verfügung stellen einer Leistung (Leistungsgarantie), während das Performance Contracting zweiter Ordnung den vollständigen Betrieb des Produktes durch den Anbieter umfasst (Ergebnisgarantie) (vgl. zu innovativen Geschäftsmodellen Freiling 2003). SPATH/DEMUß (2006) ergänzen aus einer Anbieterperspektive eine Aufteilung produktbegleitender Dienstleistungen in gestaltende (z. B. Finanzierung, Modernisierung, Rücknahme), betreuende (z. B. Wartung, Schulung) und beratende (z. B. Prozess- und Konfigurationsberatung) Dienstleistungen. Der Systematisierungsansatz spiegelt den Umstand wider, dass die Integration von Sach- und Dienstleistungen derzeit vorrangig für investive Dienstleistungen betrachtet wird. Als Kunden von Sach- und Dienstleistungsbündeln werden dabei ausschließlich Unternehmen berücksichtigt. Aber auch Konsumenten stellen eine wichtige Abnehmergruppe von Sach- und Dienstleistungsbündeln dar, was man sich leicht am Beispiel der vielfältigen Dienstleistungen verdeutlichen kann, die z. B. gemeinsam mit dem Verkauf eines Mobilfunkgeräts angeboten werden. Neben der eigentlichen Telekommunikationsdienstleistung (mobile Telefonie, SMS, Internetzugang) werden z. B. die regelmäßige Bereitstellung aktuellen zielgrup-
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penspezifischen Contents, wie z. B. Sport- bzw. Wirtschaftsnachrichten, und die umweltgerechte Entsorgung des Geräts angeboten. Um hierbei spezifische Sachund Dienstleistungsbündel zu realisieren, ist eine abgestimmte Zusammenarbeit zwischen Sach- und Dienstleistungshersteller notwendig. Beispielsweise müssen gegebenenfalls die Software, die Hardware und die beigelegten Dokumente des Mobilfunkgeräts bei Auslieferung auf die angebotenen Dienstleistungen hin angepasst werden. Um diesem wiederum erweiterten Blickfeld Rechnung zu tragen, stellen wir als Systematisierungsbeitrag einen morphologischen Kasten für hybride Sach- und Dienstleistungsbündel vor (vgl. Abb. 6). Dabei werden hier bereits genannte Unterscheidungskriterien teilweise konsolidiert und teilweise erweitert. Die für hybride Sach- und Dienstleistungsbündel gültigen bzw. geforderten alternativen Kriterienausprägungen sind grau hinterlegt.
Abb. 6: Morphologischer Kasten zu hybriden Leistungsbündeln
Hybride Sach- und Dienstleistungsbündel müssen in unserem Abgrenzungsvorschlag zumindest hybrid im weitesten Sinne sein (vgl. Abschnitt 3.1). Zur Abgrenzung von hybriden Sachleistungsbündeln und hybriden Dienstleistungsbündeln wird gefordert, dass das Leistungsbündel mindestens eine Sachleistung und mindestens eine Dienstleistung enthält. Bei den engeren Hybriditätsbegriffen müssen sich die Konkurrenz und die Koexistenz auf Leistungsmengen beziehen, die Sach- und Dienstleistungen enthalten. Im Gegensatz zu den verbreiteten Systematisierungsansätzen können Nachfrager der hybriden Sach- und Dienstleis-
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tungsbündel sowohl Unternehmen, als auch Konsumenten und beispielsweise auch öffentliche Verwaltungen sein. Eine Einschränkung der Nachfrageseite ist nicht konstitutiv für unsere Begriffsauffassung. Als Anbieter kommen produzierende Dienstleister bzw. dienstleistende Produzenten genauso in Frage wie Dienstleister und Produzenten, die zur Herstellung des hybriden Sach- und Dienstleistungsbündels interagieren. Die Geschäftsmodelle zum Angebot hybrider Sachund Dienstleistungsbündel reichen vom klassischen Verkauf der Lösung bis hin zu leistungsorientierten Betreibermodellen (z. B. Performance Contracting (vgl. Freiling 2003)), bei denen Kunden die Leistung der Lösung (z. B. durch einen Mietpreis) oder das Ergebnis der Lösung (z. B. Preis pro gefertigtes Teil) kaufen. Der Lebenszyklus eines hybriden Leistungsbündels kann den gesamten Produktlebenszyklus des Sachgutes abdecken. Dienstleistungskomponenten können stark (z. B. Betrieb einer Anlage) oder weniger stark (z. B. Finanzierung) mit dem Sachgut integriert sein, je nachdem wie produktspezifisch z. B. das notwendige Wissen zur Erbringung der industriellen Dienstleistung ist (vgl. Kersten, Zink, Kern 2006, S. 192 f.). Je nachdem ist die Integration der Leistungserstellung in Kundenprozesse nicht erforderlich (z. B. Finanzierung), gering (z. B. Presse mit Schulung) oder hoch (z. B. Anlage mit Betreibermodell) (vgl. Kersten, Zink, Kern 2006, S. 194 f.). Als konstitutives Merkmal von Leistungsbündel wird häufig dessen kundenspezifische Ausprägung genannt. Da Dienstleistungen Bestandteil des Leistungsbündels sind, ist die Notwendigkeit einer gewissen kundenspezifischen Ausprägung des Leistungsbündels nicht von der Hand zu weisen. In Anbetracht des bereits beschriebenen Beispiels der um Dienstleistungen ergänzten Mobilfunkgeräte erscheint es allerdings auch bei Leistungsbündeln angemessen, zu differenzieren, ob diese eher als standardisierte Massenlösungen oder aber als Individuallösungen angeboten werden. Des Weiteren lassen sich die Leistungsbündel nach verschiedenen Komplexitätseigenschaften unterscheiden (vgl. hierzu ausführlich den Topologieansatz in Burianek et al. (2007), der hier nicht ausführlich wiedergegeben werden soll, sich aber in den morphologischen Kasten integrieren lässt). Die Optionen zur Institutionalisierung der Anbieterseite (produzierende Dienstleister, dienstleistende Produzenten, interagierende Dienstleister und Produzenten) lassen Raum für verschiedene Organisationsformen der Erstellung hybrider Sach- und Dienstleistungsbündel. Den idealtypischen Ausprägungen des Kriteriums Organisationsform Hierarchie, Kooperation und Markt widmen wir uns im folgenden Abschnitt ausführlich.
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Organisationsformen der Erbringung hybrider Leistungsbündel
4.1 Wertschöpfungsnetzwerke als Option der Organisationsform Die Neue Institutionenökonomik verfolgt das Ziel, die Wahl zwischen alternativen Organisationsformen zu erklären (vgl. Daniel 2007, S. 54). Im Theoriegebäude der Neuen Institutionenökonomik lassen sich Organisationsformen bzgl. ihrer Koordinationsform in einem Kontinuum zwischen den idealisierten Institutionen Markt und Hierarchie systematisieren (vgl. Schulte-Zurhausen 2002, S. 265; Daniel 2007, S. 53 f.; Reichwald, Piller 2006, S. 35). Während bei eher hierarchischen Organisationsformen Synergieeffekte, eine Reduktion von Unsicherheit im Bezug auf die Sicherung von Ressourcen und eine Vermeidung von opportunistischem Verhalten im Vordergrund steht, bestehen die Vorteile einer marknahen Organisationsform vor allem in der flexiblen Kombination von Produktionsfaktoren zu Marktpreisen (vgl. Schreyögg 2004, S. 202f.). Kooperative Organisationsformen lassen sich zwischen den Polen Markt und Hierarchie positionieren (vgl. Daniel 2007, S. 54). Erwartete Vorteile liegen in einer hohen Effizienz der Wertschöpfung und vor allem der flexibleren Kombination komplementärer Ressourcen (vgl. Haarländer, Krallmann 2006, S. 113-115; Reichwald, Piller 2006, S. 35), die andernfalls erst kostspielig in einem längerfristigen Prozess aufgebaut werden müssten. Entgegen stehen diesen Vorteilen vor allem höhere Transaktions- und Agenturkosten im Vergleich zu hierarchischen Organisationsformen. Im Folgenden werden die idealtypischen Organisationsformen der neuen Instititutionenökonomik dahingehend untersucht, ob sie geeignete Optionen zur Gestaltung der Erbringung hybrider Sach- und Dienstleistungsbündel darstellen (vgl. Abb. 7).
Abb. 7: Organisation der Erbringung hybrider Sach- und Dienstleistungsbündel
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Erbringung hybrider Leistungsbündel in der Hierarchie Im Rahmen einer Ausweitung des Leistungsportfolios können hybride Leistungsbündel insbesondere von produzierenden Unternehmen selbst angeboten werden (vgl. Abschnitt 2). Produzierende Unternehmenseinheiten stellen dabei Sachleistungen bereit, während dienstleistende Unternehmenseinheiten Dienstleistungen erbringen, die mit dem Produkt in Verbindung stehen (vgl. Abb. 7 (a)). Vor allem in frühen Formen der Dienstleistungsorientierung kann die Erbringung von Dienstleistungen auf der Ebene von Rollen oder Stellen innerhalb produzierender Abteilungen stattfinden, die Dienstleistungen zusätzlich zur angestammten Sachleistungserstellung erbringen. Mit zunehmender Wichtigkeit der Dienstleistungserbringung findet evtl. später die Institutionalisierung der Dienstleistungserstellung in einer Serviceabteilung oder einer eigenständigen Servicegesellschaft statt. Je nach der strategischen Ausrichtung des Unternehmens können bei der hybriden Leistungserstellung entweder die Sachleistungskomponenten (dienstleistender Produzent) oder die Dienstleistungskomponenten (produzierender Dienstleister) des hybriden Leistungsbündels im Vordergrund stehen (vgl. Schuh, Friedli, Gebauer 2004, S. 17 ff.; Spath, Demuß 2006). Erbringung hybrider Leistungsbündel in Wertschöpfungsnetzwerken Neben produzierenden Unternehmen kann die Erstellung des Sachgutes und der Dienstleistung als Komponenten eines Leistungsbündels durch eine Kooperation verschiedener Produzenten und Dienstleister in Wertschöpfungsnetzwerken vollzogen werden (vgl. Abb. 7 (b)). Die Erstellung industrieller Dienstleistungen durch Dienstleister erscheint aufgrund der zunehmenden Konzentration von Unternehmen auf ihre Kernkompetenzen und der darauf folgenden Ausgliederung dienstleistender Unternehmenseinheiten bzw. der Fremdvergabe von Dienstleistungen an andere Unternehmen zweckmäßig. Auch beim Anbieten von Betreibermodellen kommt einer Kooperation über Unternehmensgrenzen hinweg eine große Bedeutung zu (vgl. Freiling 2003). Wertschöpfungsnetzwerke eigenständiger Produzenten und Dienstleister zur Erstellung hybrider Leistungsbündel stellen organisationstheoretisch eine spezielle Ausprägung kooperativer Organisationskollektive dar. Durch die Herkunft der Unternehmen aus verschiedenen Industriesektoren und die Einbringung komplementärer Ressourcen, sowie eine direkte Interaktion zur Bereitstellung hybrider Leistungsbündel sind sie als „konjugate Organisationskollektive“ zu verstehen (vgl. die Systematisierung nach Astley, Fombrun 1983, S. 580 ff. und die Übersicht in Schreyögg 2003, S. 389 ff.). Dadurch bedingt liegt das Hauptaugenmerk der Kooperation auf der verzahnten Ausführung von Geschäftsprozessen (vgl. Astley, Fombrun 1983, S. 583). Da die Etablierung und Aufrechterhaltung von integrierten Geschäftsprozessen i. d. R. einen hohen Ressourcenaufwand erfordert,
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ist die Zusammenarbeit in konjugaten Organisationskollektiven somit häufig langfristig angelegt, um die Aufrechterhaltung des Arbeitsflusses zu garantieren (vgl. Astley, Fombrun 1983, S. 584) und um die Kosten der Abstimmung der Geschäftsprozesse mit niedrigeren Produktionskosten im laufenden Betrieb zu überkompensieren. Erbringung hybrider Leistungsbündel über den Markt Die Erbringung hybrider Leistungsbündel mittels marktlicher Transaktionen bedeutet den Zukauf einzelner Sach- und/oder Dienstleistungskomponenten, die fallweise mit eigenen Sach- und Dienstleistungen zu Leistungsbündeln kombiniert werden. Durch das Fehlen formalisierter Austauschbeziehungen kann eine jeweils geeignete Leistung fallbasiert am Markt bezogen werden. Es kann vermutet werden, dass sich eine marktliche Organisation der hybriden Wertschöpfung (vgl. Abb. 7 (c)) nur dann eignet, falls zur Leistungserstellung keine aufwändige Prozessintegration zwischen Produzenten und Dienstleistern notwendig ist. Dies wiederum setzt eine weitgehende Unabhängigkeit der Sachund Dienstleistungskomponenten voraus. Als Beispiele können die Finanzierung oder das Leasing einer Anlage herangezogen werden; diese Dienstleistungen sind vergleichsweise unabhängig von den technischen Gegebenheiten des Sachgutes, so dass die Auswahl eines geeigneten Dienstleisters nach fallspezifischen Entscheidungsfaktoren erfolgversprechend erscheint.
4.2 Ausgewählte Einflussfaktoren der Wahl der Organisationsform Die Wahl der Organisationsform für die Erbringung hybrider Sach- und Dienstleistungsbündel wird durch eine Vielzahl von Einflussfaktoren beeinflusst (vgl. Abb. 8). Um die Entscheidungssituation näher zu charakterisieren, werden im Folgenden ausgewählte Einflussfaktoren eingehend erörtert.
Abb. 8: Einflussfaktoren auf die Wahl der Organisationsform der Erbringung hybrider Sach- und Dienstleistungsbündel
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Strategische Einflussfaktoren Dem Paradigma „structure follows strategy“ (vgl. Chandler 1964, S. 14) folgend, sind für eine fundierte Entscheidung bzgl. einer geeigneten Organisationsform vor allem strategische Überlegungen, z. B. bzgl. der Schaffung neuer Märkte oder Produkte, interorganisationalem Lernen und/oder Machtgewinn durch die Bildung einer gemeinsamen Lobby (vgl. Schreyögg 2003, S. 400) maßgeblich. Für den Bereich industrieller Dienstleistungen fügt dem RÖSNER (1998) einen bei einer Fremdvergabe von Leistungen zu erwartenden Wissens- oder Kontrollverlust, Aspekte der Dienstleistungsqualität oder die Verfügbarkeit der zur Dienstleistungserbringung erforderlichen Ressourcen (vgl. Schewe, Kett 2007, S. 11 ff.; Engelhardt 1993, S. 385) hinzu. Eine Eigenerstellung industrieller Dienstleistungen erscheint folglich nur dann geeignet, falls die Dienstleistungsprozesse einwandfrei beherrscht werden und das dazu erforderliche Wissen im Unternehmen vorhanden ist oder aber mit vertretbarem Aufwand erstellt werden kann. Gleichzeitig sollten Kernaktivitäten stets vom produzierenden Unternehmen selbst erbracht werden (vgl. Rösner 1998, S. 210). Eine Eigenerstellung der Dienstleistung ist auch dann durchzuführen, wenn deren Angebot aus Kundensicht oder aus rechtlicher Sicht zwingend ist und die Leistung nicht von anderen Unternehmen angeboten werden kann. Auf der anderen Seite sollten Dienstleistungen nur dann an einen externen Dienstleister ausgelagert werden, falls von diesem ein ausreichend hohes Qualitätsniveau garantiert werden kann, die Leistung zeitgerecht bereitgestellt werden kann (vgl. Backhaus, Kleikamp 2001, S. 95) und die Fremdvergabe andererseits nicht die Wettbewerbsfähigkeit des produzierenden Unternehmens (auch in der Zukunft) beeinträchtigt (vgl. Rösner 1998, S. 98). Kosten als Einflussfaktoren Da die Entscheidung für eine geeignete Organisationsform der hybriden Wertschöpfung Elemente einer Make-or-Buy Entscheidung einschließt (vgl. hierzu auch Backaus, Kleikamp 2001, S. 93 ff.), ist die Argumentation einer Begründung von Sourcing-Entscheidungen sehr ähnlich. Als Einflussfaktoren der Auswahl einer geeigneten Organisationsform sind aus einer Kostenperspektive verschiedene Kostenarten bei einer Sourcing-Entscheidung zu berücksichtigen. Produktionskosten des betreffenden Gutes stellen den wichtigsten Ansatzpunkt zur Begründung von Sourcing-Entscheidungen dar (vgl. Ang, Straub 1998). Dies sind die Kosten der Unternehmen bei wertschöpfenden Aktivitäten des Leistungserstellungsprozesses. Der Trend zur Konzentration auf Kernkompetenzen folgt insbesondere niedrigeren Produktionskosten durch Arbeitsteilung, Spezialisierung und realisierte Skaleneffekte. Durch Outsourcing können ferner fixe in variable Kosten umgewandelt werden, was die Bereitstellung auch selten nachgefragter Leistungen rentabler macht (vgl. Backhaus, Kleikamp 2001, S. 96).
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Sourcing-Entscheidungen werden darüber hinaus durch die Transaktionskostentheorie innerhalb der Neuen Institutionenökonomik allgemein theoretisch fundiert (vgl Miranda, Kim 2006; Schreyögg 2003, S. 70 ff.). Unter Transaktionskosten werden dabei in der Regel Kosten der Anbahnung, des Abschlusses, der Abwicklung, der Überwachung und der Anpassung von Verträgen verstanden (vgl. Williamson 1975; Schreyögg 2003, S. 70 ff.). Transaktionen sind demnach durch die begrenzte Rationalität der Akteure, unvollkommene und asymmetrische Informationen, Unsicherheit und die Gefahr opportunistischen Verhaltens (vgl. Daniel 2007, S. 57) gekennzeichnet. Daher werden für die Gestaltung von adäquaten Kontrollmechanismen für die Zusammenarbeit vorvertragliche Maßnahmen nötig, für die zusätzliche Kosten (sog. Agenturkosten) anfallen (vgl. Daniel 2007, S. 6974). Es wird argumentiert, dass Transaktionskosten in hierarchischen Organisationsformen mit zunehmender Spezifität der dazu eingesetzten Ressourcen weniger stark steigen als in reinen Marktbeziehungen (vgl. Williamson 1975, S. 20 ff.). Bedingt wird dies u. a. durch eine geringere Unsicherheit bzw. eine bessere Beobachtbarkeit des Verhaltens der beteiligten Akteure im Vergleich zu marktnäheren Formen der Zusammenarbeit. Umgekehrt bieten sich Markttransaktionen bei Transaktionen geringer Spezifität aufgrund der zugrunde liegenden Kostenvorteile an (vgl. Abb. 9). Transaktionskosten
Markt
Kostenvorteile kooperativer Organisationsformen
Kooperation
Hierarchie
Spezifität der eingesetzten Ressourcen
Abb. 9: Organisationale Koordinationsformen aus Transaktionskostenperspektive
Kooperative Unternehmenskollektive eignen sich als Zwischenform zwischen Markt und Hierarchie besonders zur Durchführung von Transaktionen mittlerer Spezifität und bei einem mittleren Unsicherheitsniveau (vgl. Daniel 2007, S. 68). Einer empirischen Studie von REISS/PRÄUER (2001) zufolge erscheinen kooperative Organisationsformen (z. B. Wertschöpfungsnetzwerke) aus Transaktionskostenperspektive daher als die am besten geeignete Form der Zusammenarbeit für das Angebot hybrider Leistungsbündel (vgl. Haarländer, Krallmann 2006, S. 113116).
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Zusammenfassung und Ausblick
Aktuelle empirische Studien zeigen, dass Sachgüterhersteller vermehrt dazu übergehen, ihren Kunden aus Sach- und Dienstleistungen zusammengesetzte Komplettlösungen anzubieten. Zur Charakterisierung der hieraus resultierenden Produktangebote wird eine Vielzahl unterschiedlicher Begriffe verwendet. Der aktuell große Beachtung findende Begriff des hybriden Leistungsbündels hebt in seiner weitesten Interpretation hervor, dass hybride Leistungsbündel zumindest aus Anbietersicht unterscheidbare Sach- und Dienstleistungen kombinieren. In seiner engeren Interpretation kommt die Möglichkeit der Auswahl zwischen substituierbaren Sach- und Dienstleistungen hinzu. Die Verbreitung hybrider Leistungsbündel stellt einen wichtigen Trend dar, der die Entstehung von Wertschöpfungsnetzwerken unter Produzenten und Dienstleistern fördern kann. Diese positive Beeinflussung ist insbesondere dann zu erwarten, wenn Produzenten das Know-how zur Dienstleistungserstellung selbst nicht schnell und kostengünstig aufbauen können und die Leistungserbringung eine enge Integration von Produktions- und Dienstleistungsprozessen erfordern, die über eine marktliche Koordination allein nicht zu erreichen wäre. Relevante Einflussfaktoren, welche die Wahl kooperativer Wertschöpfungsnetzwerke als Organisationsform zur Erbringung hybrider Leistungsbündel beeinflussen, wurden in diesem Beitrag identifiziert. Weitere empirische und theoretische Forschungsarbeiten sollten dazu beitragen, diese Übersicht zu vervollständigen und die Wirkungsweise der Einflussfaktoren zu konkretisieren. Von besonderem Interesse ist dabei auch, welchen Einfluss die unterschiedlichen Formen der Hybridität der Leistungsbündel selbst auf die Wahl der Organisationsform haben. Die auftragsspezifische Auswahl der Leistungsbündelbestandteile stellt besondere Ansprüche an die Flexibilität der integrierten Produktions- und Dienstleistungsprozesse, da je nach Auswahlentscheidung nur einzelne Sach- und Dienstleistungen zur Erfüllung eines Auftrags einbezogen werden und sich diese Auswahlentscheidung ggf. im Lebenzyklus eines Auftrags sogar ändern kann. Werden solche Leistungsbündel von Wertschöpfungsnetzwerken erbracht, müssen auch diese die Flexibilität aufweisen, sich entsprechend dieser Anforderungen neu konfigurieren zu können. Diese Herausforderung betrifft dabei sämtliche Aspekte eines Wertschöpfungsnetzwerks – angefangen bei den kulturellen Bedingungen der Zusammenarbeit bis hin zur informationstechnischen Unterstützung der partnerübergreifenden Informationsflüsse. Es liegt daher nahe zu vermuten, dass die wissenschaftliche und praktische Auseinandersetzung mit der Gestaltung von Wertschöpfungsnetzwerken durch den Trend zur Integration von Sach- und Dienstleistungen zukünftig zahlreiche interessante Impulse erhalten wird.
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Entstehung neuer Supply-Networks im Mobilfunkmarkt Mario C. Speck, Matthias Rinschede
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Wandel der Märkte im Mobilfunk
Der Markt für mobile Telekommunikation zeigt in den letzten Jahren eine zunehmende Sättigung. So ist laut statistischem Bundesamt allein die Preisentwicklung für Mobilfunkleistungen seit 2003 rückläufig (vgl. Statistisches Bundesamt 2005). Der Markteintritt von Billiganbietern hat diese Entwicklung noch verstärkt. In der Folge kann man im Markt einen zunehmenden Verdrängungswettbewerb mit intensiviertem Preiskampf sowie der Ausweitung des Mobilfunkgeschäfts in die klassischen Märkte der Festnetzanbieter beobachten. Auf den sich ergebenden Margendruck haben die großen Anbieter von Mobilfunkleistungen bereits mit dem massiven Zukauf von Unternehmen und einer hiermit klar verbundenen Ausrichtung auf international orientierte Massenmärkte reagiert. Dies ermöglicht Margensteigerungen durch eine zunehmende Harmonisierung der Produkte und somit reduzierte Prozesskosten bspw. in der Produktentwicklung oder Abrechnung und Kundenbetreuung. Hiermit verbunden ist jedoch ebenfalls die Reduktion der Anzahl an Kundensegmenten, welche zeitgleich mit einer möglichst geringen Anzahl an unterschiedlichen Produkten bedient werden müssen, um die Komplexitätskosten niedrig zu halten. Aufgrund der Ausrichtung der großen Anbieter im Markt auf möglichst homogene Kundensegmente ergeben sich auch neue Chancen für Anbieter, die sich auf spezifische Kundensegmente fokussieren und hierfür maßgeschneiderte Angebotspaletten entwickeln. Hierbei sind sowohl Hochpreisstrategien mit entsprechenden Premium-Leistungspaketen sowie Discount-Angebote mit reduzierten Leistungsumfängen mögliche Strategien für neue Anbieter. Gelingt es, diese maßgeschneiderten Lösungen effizient am Markt zu platzieren, so können trotz der allgemeinen Marktentwicklung weiterhin hohe Renditen erzielt werden. Der Markteintritt ist somit für neue Anbieter grundsätzlich weiterhin als attraktiv zu bezeichnen, jedoch mit hohen Investitionskosten verbunden, wenn die Geschäftsmodelle auf einer eigenständigen Netzinfrastruktur des neuen Anbieters beruhen. Die Netzbetreiber erkennen diese Marktsituation zunehmend auch als Chance, die Auslastung der eigenen Netzinfrastruktur zu erhöhen und somit die Margen zu verbessern. Durch ihren internationalen Fokus sind jedoch die Netzbetreiber durch ihre auf Massenmärkte ausgerichteten Prozesse, Aufbauorganisationen und IT-
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Systeme häufig nur begrenzt in der Lage, diese entstehenden Chancen wirtschaftlich zu nutzen. Für die großen Netzbetreiber bietet es sich daher an, durch Kooperationen mit Unternehmen, die bereits Zugang zu den spezifischen Kundengruppen haben oder auf den Aufbau entsprechender Kundenbeziehungen spezialisiert sind, diese Märkte zumindest indirekt zu erschließen und hierüber die Wirtschaftlichkeit ihrer bestehenden Netzinfrastrukturen zu verbessern. Neue Geschäftsmodelle, die zusätzliche Vermarktungskanäle für die Netzbetreiber erschließen, haben sich im deutschen Markt mit den Independent Service Providern bereits sehr frühzeitig etabliert. Als Beispiele hierfür können etwa MOBILCOM, DEBITEL, TALKLINE oder auch DRILLISCH genannt werden, die bereits teilweise seit 1996 am Markt präsent sind. In Deutschland waren Ende 2005 18,5 Mio. (26 %) aller Mobilfunkteilnehmer Kunden der Independent Service Provider (vgl. Bundesnetzagentur 2006a), welche zwar keine eigenen Netzinfrastrukturen betreiben, jedoch weite Bereiche der Wertschöpfungskette, wie bspw. die Integration von Diensten, die Abrechnungs-, Auftragsabwicklungs- und Kundenbetreuungsprozesse eigenständig erbringen. Die Service Provider haben bislang ihren Kunden mit den Angeboten der Netzbetreiber weitgehend vergleichbare Produkte mit bspw. subventionierten Endgeräten, Post-Paid-Verträgen und teilweise eigenen Diensten angeboten. Die Markteintrittsbarrieren für Independent Service Provider sind wegen des Verzichts auf ein eigenes Funknetz zwar deutlich geringer als für Funknetzbetreiber, jedoch weiterhin als hoch zu bewerten. Der Aufbau einer eigenen Infrastruktur erfordert Zeit und erhebliche Investitionen, um bspw. Funknetze mehrere Netzbetreiber anzubinden, zeitgleich eigene Dienste, wie z. B. SMS-Dienste zu betreiben und die Abrechnung und Kundenbetreuung abzuwickeln. Für die Netzbetreiber bieten sich daher zusätzliche Kooperationsmodelle an, die es Mobilfunkanbietern ermöglichen, bei geringerem Zeit- und Investitionsbedarf zusätzliche Kundensegmente zumindest indirekt für den Netzbetreiber zu erschließen und so dessen Netzauslastung zu verbessern. Seit dem Start von TCHIBO MOBIL, einer Kooperation von O2 und TCHIBO, im Frühjahr 2005 nimmt die Anzahl an Mobilfunkanbietern in Deutschland deutlich zu. Im Geschäftsmodell von TCHIBO MOBIL übernimmt der klassische Netzwerkbetreiber einen Teil der Aufgaben der Service Provider wie bspw. die Auftragsabwicklung, die Abrechnung und die Kundenbetreuung. Die neuen Kooperationspartner der Netzbetreiber, aktuell vornehmlich im Niedrigpreissegment platzierte Discount-Anbieter, können daher mit minimalen Investitionen, jedoch unter einer eigenständigen Marke am Markt agieren. Hierdurch sind neue Preis- bzw. Tarifmodelle realisier- und neue Kundensegmente erreichbar. Beispiele für neuere Anbieter im Discount-Marktsegment sind etwa „BLAU.DE“ oder „SIMYO“. Eine Vielzahl der neuen Anbieter sind hierbei Tochterunternehmen der Netzbetreiber oder auch der Independent Service Provider. Zusätzlich treten jedoch auch neue, unabhängige Anbieter in den Markt ein. Beispiele für die neuen DiscountAnbieter sind etwa (vgl. hierzu auch Solon 2005):
Entstehung neuer Supply-Networks im Mobilfunkmarkt
•
SIMYO
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(PostPaid-Angebot; 90-%ige Tochter von E-PLUS)
• XTRA CLICK & GO (PrePaid-Angebot von T-MOBILE) •
DEBITEL-LIGHT
(PrePaid-Angebot von DEBITEL; E-PLUS Netz)
•
KLARMOBIL.DE
(PostPaid-Angebot von MOBILCOM; T-MOBILE Netz)
•
BLAU.DE
(unabhängig; E-PLUS Netz)
• VIVA (unabhängig; E-PLUS Netz) • ALDI-TALK (unabhängig; E-PLUS Netz) Die Anzahl der Geschäftsmodelle in der Mobilfunkbranche nimmt parallel zur Anzahl der Anbieter von Mobilfunkleistungen deutlich zu. Auch wenn aktuell die Anzahl der Kunden, welche von Discount-Anbietern bedient werden noch gering ist, so sind die Zuwachsraten dieses Marktsegmentes sehr hoch. Zusätzlich sind neue Anbieter, mit Angeboten im Premium-Segment zu erwarten. Hierdurch wird mittelfristig die Dominanz der klassischen Anbieter, welche vom Netzzugang bis zum Marketing und Vertrieb die gesamte Wertschöpfungskette der Mobilfunkbranche abdecken, abnehmen. Zeitgleich wird eine weitere Differenzierung der Leistungserbringung in der Wertschöpfungskette in der Mobilfunkbranche stattfinden. Die Mobilfunkbranche befindet sich daher in weiten Bereichen aktuell in einer Umbruchphase, in der die nächste Evolutionsstufe in der Entwicklung der Wertschöpfungskette erreicht werden wird. Hierdurch nimmt die Bedeutung der organisatorischen und IT-technischen Beherrschung des notwendigen SupplyNetworks deutlich zu. Fähigkeiten wie bspw. die schnelle Umsetzung neuer Dienste und Tarife von der technischen Realisierung bis zum Vertrieb oder die Integration neuer Marken in die Prozesse der Auftragsabwicklung und Abrechnung werden sich zunehmend als entscheidende Wettbewerbsvorteile herausstellen. Vor diesem Hintergrund ist es für die etablierten Mobilfunkanbieter sowie für neue Marktteilnehmer notwendig, sich im entstehenden ausdifferenzierten SupplyNetwork neu zu positionieren.
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Wertschöpfungskette in der Mobilfunkbranche
Die Wertschöpfungskette in der Mobilfunkbranche kann in drei Bereiche aufgeteilt werden, welche wiederum in neun relevante Hauptprozesse untergliedert werden können. Der Bereich Netz kann vereinfachend als die Summe aus der technischen Infrastruktur, also dem eigentlichen Netzwerk sowie den Diensten, welche auf dem jeweiligen Netz erbracht werden, definiert werden. Der Bereich Netz stellt somit
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die eigentliche Telekommunikationsleistung für den Kunden bereit und definiert die möglichen Netzwerkzugänge wie bspw. GSM, GPRS oder UMTS sowie die Dienste wie etwa Sprach-, IP-oder Kurznachrichten-Dienste. Der Betrieb der Netze umfasst sowohl die Funknetze 1 als auch das Core-Network 2 inkl. der Mobile Switching Center.
Abb. 1: Wertschöpfung und Kernkompetenzen im Mobilfunkmarkt (in Anlehnung an International Performance Research Institute 2006)
Die TK-Dienste unterliegen aktuell einer ebenso rasanten Entwicklung, wie die gesamte Wertschöpfungskette der Mobilfunkbranche. Die klassischen Dienste im Mobilfunk wie z. B. der Sprachdienst, der SMS- oder der MMS-Dienst werden durch neue Dienste wie Push-Mail-Dienste oder Location-based-Services 3 erweitert. Zusätzlich gewinnen durch die zunehmende Konvergenz der Netzwerke und steigende Bandbreiten auch im Segment der mobilen Kommunikation IP-basierteDienste, wie bspw. Voice-over-IP (vgl. Badach 2004), Web-Anwendungen und EMail zunehmend an Bedeutung. Multi-Mode-Endgeräte, welche die jeweils aktuell für den Nutzer kostengünstigste Verbindungsalternative z. B. über WLAN-, UMTS oder GPRS-Netzwerke automatisch und unterbrechungsfrei etablieren, stellen zusätzliche Anforderungen an die Netzbetreiber, da neue Netzübergreifende Techniken notwendig werden. Die klare Trennung zwischen Mobilfunk und Festnetz wird durch diese Entwicklung zunehmend aufgelöst. Innovative Produkte werden dem Kunden in naher Zukunft bspw. die Möglichkeit bieten, in einem lokalen Bereich per DECT-Funktelefon kabellos zu telefonieren und zeitgleich mit einem PC oder Laptop per WLAN im lokalen Bereich kabellos das Internet zu nutzen. Der Mobilfunkanbieter würde hierbei dem Kunden eine Um1
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Das reine Funknetz besteht im Wesentlichen aus Basisstation mit Sende- und Empfangseinheit und dem Base Station Controller (BSC) zur Abwicklung des Datenverkehrs zum Mobile Switching Center (MSC). Das Core-Network von GSM-Mobilfunknetzen besteht im Wesentlichen aus den MSCs, den Datenbanken, die für die Mobilitätsverwaltung der Teilnehmer verantwortlich sind und dem Authentification Center, das für die Teilnehmer- und Datensicherheit im Netz sorgt. Dienste, die abhängig von der Position des Mobilfunkendgerätes spezifische Informationen bereitstellen, wie z. B. touristische Informationen.
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setzungsbox zur Verfügung stellen, welche das UMTS-Netzwerk des Netzbetreibers für eine breitbandige Netzanbindung nutzt, um den Endkunden die lokalen Funktionen einer DECT-Basisstation und eines Internet-WLAN-Routers bereitzustellen. Entsprechende Produkte werden die Mobilfunkanbieter in Zukunft vermehrt anbieten, um neue und bislang unzugängliche Märkte zu erschließen. Kernkompetenz in den Bereichen Netz- und Dienstbereitstellung ist somit die Fähigkeit technische Innovationen zu implementieren, welche die Basisprodukte im Mobilfunk definieren und deren zuverlässige Leistungserbringung sicherstellen. Neben dieser technischen Kompetenz sind jedoch auch die Erweiterung des jeweiligen Netzgebietes durch Flächenakquisitionen sowie ein effizientes AssetManagement zur wirtschaftlichen Wartung und Instandhaltung der bestehenden Netzwerke Kernkompetenzen, die über den wirtschaftlichen Erfolg entscheiden. Durch die zunehmende Emanzipation der Dienste wie bspw. der Sprachdienste von der Basistechnologie, d. h. dem jeweiligen Zugang über bspw. GSM-, UMTSoder WLAN-Netzwerke nimmt die Relevanz der folgenden Stufe der Wertschöpfungskette, der Bündelung der einzelnen Netze und Dienste fortlaufend zu. In dieser zweiten Stufe in der Wertschöpfungskette werden Dienste und Zugangsmöglichkeiten der Basisnetze zu vermarktungsfähigen Produkten kombiniert. In diesem Bereich der Bündelung ist im Mobilfunkmarkt klar zu beobachten, dass der Begriff des Produktes im Gegensatz zu anderen Branchen inhaltlich nicht nur an der Leistung sondern zusätzlich zu großen Teilen an den Tarifen und somit den Preisberechnungsvorschriften festgemacht wird. Dies steht im Gegensatz zu vielen anderen Branchen, in denen das Produkt, wie z. B. ein Fernseher oder ein Waschmittel unabhängig von ihrem jeweiligen Preis vom Verbraucher am Markt wahrgenommen werden. Hierdurch gewinnt jedoch die kaufmännische Definition von Tarifen gegenüber der eigentlichen Leistung an Bedeutung. Schnelle Produktzyklen und eine hohe Anzahl an Produktinnovationen im Sinne der sinnvollen Bündelung der Basisdienste der unterschiedlichen Netz- und Dienstanbieter mit attraktiven Tarifen als Reaktion auf Marktveränderungen sind Kernkompetenzen, die im Bereich der Bündelung anzusiedeln sind. Ergänzt werden muss diese Kernkompetenz durch die Fähigkeit, die Massenprozesse der Auftragsabwicklung, Abrechnung sowie des Forderungsmanagements und der Kundenbetreuung effizient abzuwickeln. Als dritten Bereich in der Wertschöpfungskette kann die Marktbearbeitung im Sinne des Marketings und Vertriebs identifiziert werden. Diese muss die Kernkompetenzen besitzen, neue Kunden zu gewinnen, deren Wert zu maximieren und eine hohe Kundenbindung zu erzielen. Insbesondere in diesem Bereich der Wertschöpfungskette können neue Anbieter im Markt bei der Bearbeitung spezifischer Kundensegmente Vorteile gegenüber den etablierten Netzbetreibern und auch Service Providern erzielen, wenn es Ihnen gelingt, eine individualisierte Kundenansprache bei geringen Gemeinkosten zu realisieren.
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Kooperationsformen und Supply-Networks im Mobilfunkmarkt
Betrachtet man die Wertschöpfungskette der Mobilfunkbranche, so kann aktuell bereits eine Vielzahl an Kooperationsmodellen beobachtet werden, die sich anhand der unterschiedlichen Wertschöpfungstiefen grundsätzlich klassifizieren lassen (vgl. Stucky, Schiefer 2005).
Abb. 2: Beispiele für Kooperationsformen im Mobilfunkmarkt
Die Benennung der Kooperationsformen über die einzelnen Wertschöpfungsstufen ist hierbei in der Praxis noch nicht einheitlich. Die Bezeichnung des Mobile Virtual Network Operators (MVNO) wurde bspw. in der ursprünglichen Form für Unternehmen verwandt, die nur das reine Funknetz eines Netzbetreibers (MNO) nutzten, jedoch das Core-Network und alle weiteren Wertschöpfungsstufen bis zum Marketing und Vertrieb selbst betrieben. Diese Definition hat sich jedoch nicht durchgesetzt, da die Anbieter ohne eigenes Netz in den meisten Fällen auch auf den Aufbau eines eigenen Core-Networks verzichten. Der Begriff des MVNO wird daher in der Praxis inzwischen für alle Mobilfunkanbieter verwendet, die kein eigenes Funknetz betreiben, unabhängig davon, ob der MVNO die CoreNetwork Leistungen ebenfalls vom MNO bezieht und keine eigene Infrastruktur besitzt. Alle Anbieter im deutschen Markt, die nicht über eigene Funkmasten verfügen 4, können somit als MVNO bezeichnet werden. Beispiele hierfür sind etwa DEBITEL und MOBILCOM oder auch SIMYO und BASE. Der klassische Reseller ist der neueren Definition entsprechend somit prinzipiell ebenfalls ein MVNO. Er gibt jedoch die Vertragsbeziehung an vorgelagerten Wertschöpfungsstufen ab, und beschränkt sich so primär auf die Gewinnung von Neukunden. Behält die Vertriebsorganisation die Kundenbeziehung, indem sie eigenständig den Vertrag mit dem Endkunden eingeht, diesen abrechnet und die 4
Über ein eigenständiges GSM-Funknetz verfügen in Deutschland nur T-MOBILE, VOE-PLUS und O2.
DAFONE,
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Kundenbetreuung durchführt, so spricht man von einem Service Provider. Der Service Provider (auch SP-MNVO) kann dem Kunden jedoch nur tariflich angepasste Produkte des jeweiligen zugrunde liegenden Netzbetreibers anbieten, da er nicht über die notwendige technische Infrastruktur verfügt, um die Produkte um weitere Dienste zu erweitern. Verfügt der Service Provider über eigene Infrastrukturen zur Verbrauchsdatenabrechnung und Dienstintegration, wie z. B. einen eigenen SMS-Service, so spricht man von einem Enhanced Service Provider (ESPMVNO). Beispiel für ESP-MVNO Anbieter sind etwa DEBITEL und MOBILCOM. Erbringt der MVNO die TK-Leistungen auf Basis eines eigenständigen CoreNetworks und bedient sich nur des reinen Funknetzes eines MNO, so spricht man von einem Full-MVNO. Die klassischen Kooperationsformen stellen primär eine Kooperation eines oder mehrerer MNO mit einem MVNO dar. Der Leistungsübergang zwischen MNO und MVNO kann hierbei jedoch an unterschiedlichen Punkten innerhalb der Wertschöpfungskette erfolgen. Zieht man Parallelen zu anderen Branchen, wie z. B. der Lebensmittel- oder Textilbranche, so fällt auf, dass sich in diesen etablierten Branchen die Wertschöpfungskette durch die Entstehung von Großhandelsunternehmen in vielen Marktsegmenten deutlich in Hersteller, Großhändler und Einzelhändler dreigeteilt hat. Die Funktion des Herstellers ist hierbei von der Bündelungsfunktion des Großhändlers und der Marktbearbeitungsfunktion des Einzelhändlers getrennt. Durch diese Entkopplung der Wertschöpfungsstufen lassen sich in jeder Stufe Effizienzvorteile realisieren, welche entstehen, weil keine erzwungene Bindung zwischen den Wertschöpfungsstufen mehr besteht und somit Marktpreise den Leistungsaustausch bestimmen. Diese Beobachtung stützt die Hypothese, dass die bisher vorherrschenden Kooperationsformen von MNO und MVNO und somit nur zwei Unternehmen in der Wertschöpfungskette keine optimale Gesamtwirtschaftlichkeit ermöglicht. Die Hypothese geht hierbei davon aus, dass durch Bündelung der notwendigen Kernkompetenzen bei nur zwei Marktteilnehmern Effizienzvorteile in einzelnen Wertschöpfungsstufen verschenkt werden, da eine Kopplung entweder des Produktions- mit dem Bündelungsbereich oder eine Kopplung des Bündelungs- mit dem Marktbearbeitungsbereich vorliegt. Die Entkopplung der entsprechenden Stufen der Wertschöpfung würde zusätzliche Kooperationsmöglichkeiten bieten, die durch die entstehenden Marktmechanismen innerhalb der Wertschöpfung weiteres Optimierungspotential ermöglichen können. Das Geschäftsmodell des Mobile Virtual Network Enablers (MVNE) setzt diese Idee um, indem der MVNE nur den Bereich der Bündelung der Wertschöpfungskette abdeckt. Der MVNE hat somit die Funktion eines Großhändlers für TKLeistungen, da er TK-Produkte bei den Netzbetreibern einkauft, die Sortimentsfunktion über die Bündelung von technischen Produkten zu kaufmännischen Produkten wahrnimmt und einer Vertriebsorganisation ein vertriebsfähiges Produkt bereitstellt. Der MVNE betreibt keine eigene Endkundenmarke und erbringt somit nur Vorleistungen für externe Vertriebsorganisationen, welche sich des MVNE als
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Enabler bedienen, um Mobilfunkprodukte unter eigener Marke im Markt anzubieten. Hierdurch kann der MVNE eine Kundenanzahl erreichen und Kostensenkungspotentiale durch Skaleneffekte bei der Bearbeitung seiner Massenprozesse von der Auftragsabwicklung bis zur Kundenbetreuung realisieren. Weitere Potentiale ergeben sich für den MVNE potentiell auf der Einkaufsseite, da er die Mobilfunkleistungen bei unterschiedlichen Netzanbietern einkaufen kann und somit die Effizienzunterschiede dieser zu seinem Vorteil nutzen kann. Zusätzlich bestehen für den MVNE weitere Potentiale auf der Produktseite. Da er nicht auf die alleinige Nutzung der Produkte eines Netzbetreibers angewiesen ist, kann er, unterstützt durch die technisch getriebene zunehmende Konvergenz der Netze, zukünftig innovative Produktbundles definieren, die über einen einzelnen Netzbetreiber nicht zu beziehen wären. So wäre ein unabhängiger MVNE bspw. in der Lage seinen Kunden ein Mobilfunkprodukt anzubieten, das Zusatzdienste wie PushMail, Handy-TV und Homezone-Gespräche 5 beinhaltet, auch wenn das entsprechende Produkt nicht von einem Netzbetreiber in der Kombination dieser Dienste angeboten würde. Zunehmend wichtiger wird zusätzlich die Fähigkeit, die Leistung der Bündelungsstufe neuen Marktteilnehmern zur Verfügung zu stellen und diesen somit eine günstige Plattform für den Vertrieb von TK-Produkten anbieten zu können. Gerade hierdurch lassen sich in der aktuellen Marktsituation für einen MVNE neue Märkte erschließen. Als potenzielle Kunden eines MVNE kommen eine Vielzahl an regionalen TK-Anbietern, wie z. B. die NETCOLOGNE in Köln, die M-NET in München oder die CITYCOM in Münster in Frage, welche aktuell ihren Kunden keine Mobilfunkprodukte anbieten können, da die Kundenanzahl eine entsprechende Investition in den Einstieg als Service Provider nicht rechtfertigt. Über entsprechende Kooperationen mit einem MVNE, der die Stufe der Bündelung im Mobilfunkmarkt für diese Unternehmen erbringen könnte, wären jedoch ein Markteintritt und eine Bündelung mit Bestandsprodukten wirtschaftlich auch für kleinere TK-Gesellschaften realisierbar. Vor dem Hintergrund der Vorteile, die ein MVNE potenziell am Markt realisieren kann, scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich entsprechende Kooperationsmodelle im Markt etablieren. Das erste deutsche Unternehmen, welches als MVNE in 2005 tätig wurde, ist die VISTREAM GMBH, eine Tochter der MATERNA GMBH. Weitere Unternehmen stehen kurz vor dem Start ihrer Angebote. Eine vergleichbare Entwicklung hat im Marktsegment der Internet-Hosting-Produkte in der TK-Branche bereits stattgefunden. Entgegen der Anfangszeiten des Internets, in denen die einzelnen Anbieter von Internet-Hosts weitgehend sämtliche Wertschöpfungsstufen abdeckten, haben sich in diesem Bereich der Dienste bereits differenzierte Anbieterstrukturen gebildet, bei denen Application Service Provider
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Vergünstigte Gesprächsminuten oder Datenvolumina in einem beschränkten geografischen Raum.
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die Dienste von System Service Providern nutzen, welche wiederum für die eigentliche Netzanbindung auf die Leistungen von Festnetzanbietern zurückgreifen. Da sich der Markt für MVNOs und MVNEs aktuell erst formiert, ist bisher nicht klar erkennbar, welche Kooperationsformen am Markt erfolgreich sein werden. Welche der Kooperationsformen am Markt langfristig überlebensfähig sind, ist hierbei nicht zuletzt von der Fähigkeit zur Etablierung eines effizienten SupplyNetworks abhängig, welches entlang der Wertschöpfungskette die entstehenden Informations- und Warenströme zwischen den Wertschöpfungspartnern koordiniert.
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Supply-Networks als Herausforderung im Mobilfunkmarkt
Durch neue Kooperationsformen, die zunehmende Konvergenz der Netze und eine Vielzahl an neuen Marktteilnehmern, ergeben sich neue Herausforderungen für sämtliche Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette in der Mobilfunkbranche. Eine der Kernherausforderungen die sich für die beteiligten Unternehmen ergeben wird, stellt hierbei die Integration des entstehenden Supply-Networks in die Unternehmens- und IT-Strukturen dar. Hierbei können je Wertschöpfungsstufe folgende primäre Herausforderungen identifiziert werden:
4.1 Herausforderungen für Netz- und Dienstanbieter Die Netzbetreiber im Mobilfunkmarkt sind auf die sich ändernden Marktbedingungen aktuell bereits teilweise vorbereitet. Unternehmen wie E-PLUS sind durch Kooperationen, die mit eigenen Tochterunternehmen (z. B. SIMYO) oder Dritten (z. B. BASE) bereits bestehen, auf eine Verkürzung ihrer Wertschöpfungskette und Integration neuer Marken vorbereitet. Weitere neue Anforderungen bestehen jedoch in der Flexibilisierung der Produktintegration der eigenen Produkte in die nachgelagerten Wertschöpfungsstufen. Hierbei muss der Netzanbieter sowohl die Integration der Informationsflüsse (z. B. Aktivierungsdaten und Abrechnungsdaten) als auch die Integration der Warenflüsse gewährleisten, die durch die Bereitstellung von SIM-Karten im Mobilfunkbereich entstehen. Dies gilt insbesondere, wenn in der Wertschöpfungskette nachgelagerte Unternehmen als MVNE agieren und ihre Produktpalette z. B. um Festnetzprodukte erweitern. Hierdurch wird eine stärkere Integration der bisher weitgehend getrennten Produkte Mobilfunk und Festnetz erforderlich werden. Kurzfristig stehen die Netzbetreiber zusätzlich insbesondere vor der Herausforderung, dem Preisverfall bei den klassischen Commodity-Diensten Sprache und SMS, zu begegnen, welche durch IP-basierte Produkte wie Voice-over-IP und Instant Messaging zunehmend substituiert werden.
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Um nicht zu einem reinen Anbieter von IP-basierter Bandbreite zu degenerieren und somit vollständig austauschbar zu werden, besteht für die Netzanbieter zusätzlich die Herausforderung sich über technische Innovationen einen Vorsprung im Bereich der Dienste gegenüber konkurrierenden Dienstanbietern ohne eigene Netzinfrastruktur zu sichern. Hierbei müssen die technologischen Innovationen ein Differenzierungsmerkmal zu den konkurrierenden Anbietern bilden, um die Kundenbindung zu erhöhen bzw. die Neukundenakquisition zu unterstützen.
4.2 Herausforderungen für MVNE (Großhandelsfunktion) Das Aufgabenspektrum der Großhandelsfunktion umfasst grundsätzlich die Aufgaben der Produktentwicklung sowie die Abwicklung der Massenprozesse als Vorleistungen für die Vertriebsorganisationen. Hierbei ist aktuell noch nicht absehbar, ob ggf. einzelne Massenprozesse, wie z. B. die Abrechnung oder die Kundenbetreuung, von den Vertriebsorganisationen bei weiteren Anbietern im Markt eingekauft werden, die sich auf Abrechnungsleistungen spezialisiert haben oder ob der MVNE diese Leistung ebenfalls zukauft und auch hier als Händler dieser Dienstleistung am Markt agiert. Da aufgrund der hohen Investitionskosten in die Netzinfrastruktur der Markt nicht durch neue Marktteilnehmer auf Seiten der Netzanbieter getrieben wird, demgegenüber die Anzahl der Dienstanbieter inkl. der Contentanbieter allerdings bereits mittelfristig stark steigt, werden sich die Kernaufgaben der Großhandelsfunktion bzw. des MVNE darauf konzentrieren, die vorgegebenen technischen Produkte und Dienste zu Modulen zu kombinieren und diese zu marktfähigen Produkten bzw. Produktbundles zusammenzustellen. Führt der Großhandel zusätzlich zur Produktentwicklung die Massenprozesse von der Auftragsabwicklung bis zur Kundenbetreuung durch, so kann man von einem Full-Service-Produkt sprechen, welche den verschiedenen Vertriebsorganisationen angeboten werden kann.
Abb. 3: Beispielhafte Wertschöpfungskette im Kooperationsmodell eines MVNE
Die Größe des Gesamtmarktes für Telekommunikationsprodukte spricht auch langfristig für eine große Anzahl an Vertriebsorganisationen. Der MVNE muss daher in der Lage sein, neue Vertriebsorganisationen sehr kurzfristig mit seinen
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Produkten versorgen zu können und hierbei eine hohe Effizienz erreichen, damit sich auch die Anbindung kleiner Vertriebsorganisationen mit geringen Kundenanzahlen wirtschaftlich realisieren lässt. Daher liegt die primäre Herausforderung hierbei in der Flexibilisierung der Massenprozesse des MVNE und der unterstützenden IT-Systeme. Der MVNE wird als Großhändler die zentrale „Datendrehscheibe“ in der Wertschöpfungskette der Telekommunikation werden und muss hierbei das notwendige Supply-Network aufbauen, um eine hohe Prozesseffizienz zu erreichen. Die Komplexität der Aufgabe steigt hierbei zusätzlich, wenn der MVNE (vgl. Abb. 4) einzelne der unterstützenden Prozesse, wie z. B. die Abrechnungs- oder Forderungsmanagementprozesse an weitere Unternehmen ausgliedert.
Abb. 4: Primäre Informations- und Datenflüsse im Supply-Network im MVNEGeschäftsmodell
Der MVNE integriert hierbei die unterschiedlichen Netzanbieter im Mobilfunk sowie die Leistungen der Dienstanbieter. Zusätzlich ist er steuernd für die SIMKarten- und Endgerätelogistik und führt die Massenprozesse der Auftragsabwicklung, der Abrechnung, des Forderungsmanagements und der Kundenbetreuung aus bzw. koordiniert deren Ausführung bei Partnerunternehmen. Hierbei kann eine Vielzahl an Endgerätehersteller, Dienstanbietern und Vertriebsorganisationen eingebunden sein und das Supply-Network stark ausweiten. Durch den bestehenden Zugang der Vertriebsorganisationen zu den Kunden und dem bestehenden Cross-Selling-Potential ist außerdem mittelfristig zu erwarten, dass MVNEKooperationsmodelle auch auf Produkte des Festnetzbereichs der TK-Branche erweitert werden. Die Geschwindigkeit der Integration neuer Vertriebsorganisationen in ein bestehendes Supply-Network wird essentiell für den Geschäftserfolg des MVNE werden. Hierbei sind sowohl die Informationsströme zu beherrschen, wie auch die Logistik der Endgeräte und SIM-Karten an die jeweiligen Prozesse der einzelnen Vertriebsorganisation flexibel anzupassen. Der MVNE muss daher seine gesamten Prozesse so ausrichten, dass diese bereits auf die Abwicklung von unterschiedlichen Vertriebsorganisationen bzw. Marken ausgerichtet sind. Die Rechnungser-
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stellung mit wechselnden Firmenlogos, der Call-Center-Betrieb mit unterschiedlichen Marken oder die Auftragsabwicklung mit unterschiedlichen Eingangskanälen sind nur einige der Herausforderungen, die ein MVNE bei der Gestaltung seiner Prozesse berücksichtigen muss. MVNE-Modelle haben das Potential eine hervorragende Ausgangsposition im TK-Markt aufzubauen, die es ermöglicht, ihr Geschäftsmodell auf Datendienste im Festnetz auszuweiten. Insbesondere die Bedeutung von Produkten, die Breitband-Festnetzanschlüsse für die Datenkommunikation mit mobilen Sprachdiensten kombinieren, wird zunehmen. Voraussetzung hierfür wird allerdings sein, dass es den MVNE-Anbietern gelingt, eine entsprechende Marktposition gegenüber den Netzbetreibern kurzfristig aufzubauen.
4.3 Herausforderungen für Vertriebsorganisationen Aktuell kann bei Vertriebsorganisationen im Allgemeinen und Einzelhändlern im Speziellen ein starker Trend zu Cross-Selling beobachtet werden. Hierbei werden bestehende Kundenbeziehungen auch für die Vermarktung von TK-Dienstleistungen im Mobilfunk genutzt. Beispiele hierfür sind im anonymen Kundensegment die Unternehmen TCHIBO und ALDI sowie im diskreten Kundensegment bspw. das Energieversorgungsunternehmen E.ON WESTFALEN WESER. Denkbar sind jedoch auch weitreichendere Ansätze, die u. a. aus Kundenbindungsprogrammen – wie bspw. payback – oder auch aus der gezielten Nutzung von Branchen mit Massenkundengeschäft – wie bspw. Versicherungsunternehmen – resultieren könnten. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass darüber hinaus das Zusammenwachsen der Technologien neue Impulse für die Vertriebsorganisationen setzen wird. Ein potentielles Marktsegment der Zukunft könnten so bspw. große Wohnungsbaugesellschaften darstellen, die ihren Mietern neben Wasser, Wärme und Kabel TV auch Telekommunikationsdienstleistung im Rahmen des Mietverhältnisses automatisch zur Verfügung stellen. Dieser Ansatz dürfte insbesondere dann Erfolg versprechend sein, wenn Telekommunikationsdienste mit den Diensten der Gebäudeüberwachung und -steuerung verschmelzen und für Unternehmen des Gebäudemanagements flexibel über einen Netzanbieter (MNO oder MVNE) bezogen werden können. Als Konsequenz aus der stärkeren Marktsegmentierung sowie des Verschmelzens von Technologien entstehen zukünftig komplexere und damit erklärungsbedürftigere Produkte. In Folge wird eine adäquate Schulung der Vertriebsmitarbeiter zur fundamentalen Voraussetzung, um die zunehmend komplexen Produkte weiterhin in einem Massenmarkt verkaufen zu können. Für Vertriebsorganisationen, die an der Marktentwicklung im TK-Markt partizipieren wollen, liegen somit die primären Herausforderungen im Aufbau neuer TKProduktlinien und die vertriebliche Integration in bestehende Produktportfolios. Auch hierbei können erheblich Anpassungsbedarfe der Prozesse entstehen und
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eine hohe IT-technische Integration mit den anderen Unternehmen im SupplyNetwork erforderlich werden. Unternehmen, die bspw. bereits heute ihren Kunden eine regelmäßige Abrechnung zukommen lassen, wie z. B. im Bereich des Gebäudemanagements, könnten TK-Produkte gemeinsam mit den Bestandsprodukten auf einer Rechnung zusammenfassen und benötigen hierzu einen entsprechende IT-Unterstützung. Auch wenn den Vertriebsorganisationen durch im ersten Schritt sämtliche technischen Voraussetzungen für den Vertrieb der Mobilfunkprodukte durch den TKGroßhandel bereitgestellt werden, können zusätzliche Potentiale für den Vertrieb erst entstehen, wenn die entstehenden Kundenbeziehungen konsequent in einem CRM-Ansatz genutzt werden, um unter dem Dach einer erfolgreichen Marke weitere Produktlinien zu integrieren. Dies erfordert jedoch eine Integration der Prozesse über die TK-Produkte hinaus und ist daher nur durch die Integration der Prozesse des Großhandels mit den Vertriebsorganisationen realisierbar.
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Aktueller Handlungsbedarf
Durch die aktuellen Entwicklungen im Mobilfunkmarkt entstehen für viele Unternehmen in der sich neu formierenden Wertschöpfungskette lukrative Chancen. Zur Nutzung dieser Chancen müssen die Unternehmen hierbei ihre bisherigen Geschäftsfelder häufig jedoch deutlich erweitern oder gänzlich neue Geschäftsfelder besetzen. Hierbei ist von entscheidender Bedeutung für den langfristigen Erfolg, die eigenen Kernkompetenzen mit den erforderlichen Kompetenzen für eine erfolgreiche Marktbearbeitung abzugleichen. Unternehmen, welche eine Neupositionierung in einem der entstehenden Märkte anstreben, können über einen Drei-Punkte-Plan die relevanten Maßnahmen definieren. Dieser Drei-Punkte-Plan sollte mindestens folgende primären Einzelschritte umfassen: Punkt 1: Definition der Zielposition in der Wertschöpfungskette Aus Sicht eines Unternehmens, das eine Neupositionierung innerhalb des entstehenden Mobilfunk-Supply-Networks anstrebt, ist die Attraktivität der neuen Märkte mindestens nach Marktwachstum, Marktvolumen und Markteintrittsbarrieren zu bewerten. Hierbei sollten wegen der schnellen technischen Innovationszyklen der TK-Branche Szenarien erarbeitet werden, welche die unternehmensindividuellen Erwartungen an die entstehenden Teilmärkte, Chancen und Risiken ausweisen und die Sensitivität in Bezug auf getroffene Annahmen explizieren.
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Punkt 2: Identifikation der bestehenden Kernkompetenzen in Bezug auf die Wertschöpfungskette Die Fähigkeit des eigenen Unternehmens in den als attraktiven identifizierten Teilmärkten erfolgreich agieren zu können ist grundlegend für den Geschäftserfolg. Daher sollten die vorhandenen Kompetenzen erhoben und mit den erforderlichen Kompetenzen in den neu entstehenden Wertschöpfungsstufen der Mobilfunkbranche verglichen werden (vgl. hierzu Abb. 1). Hierbei sollten zeitgleich Chancen identifiziert werden, um bspw. auch neue Geschäftsfelder zu besetzen, in welchen bereits vorhandene Kernkompetenzen des Unternehmens eingesetzt werden können. Ein Beispiel hierfür könnten etwa Netzdienste und Vertriebsaufgaben sein, die durch ein Facility-Management Unternehmen erbracht werden. Hierbei könnten durch den Aufbau von lokalen WLAN-Zugangsnetzen und einer Kooperation mit einem MVNE, den Mietern von Gewerbe- oder Wohnflächen TKDienste wie Breitbandzugang oder Voice-over-IP-Dienste über die bereitgestellten WLAN-Netze angeboten werden. Das Facility-Management Unternehmen könnte hierzu die Kernkompetenz der Verwaltung der Gebäudetechnik sowie die Vertriebskompetenz einbringen und die restlichen Aufgaben der Wertschöpfungskette durch einen MVNE erbringen lassen. Punkt 3: Entwurf der Geschäftsmodelle und Erstellung von Business-Cases Ausgehend von der identifizierten Zielposition, den Chancen und Risiken sowie den bestehenden Kernkompetenzen sollten die angestrebten Geschäftsmodelle entworfen werden und auf den Szenarien basierende Business-Cases erstellt werden, um die Vorteilhaftigkeit Geschäftsmodelle unter Einbezug der Chancen und Risiken zu bewerten. Der Drei-Punkte-Plan zielt hierbei auf eine objektive Bewertung der aktuell vorhandenen Kernkompetenzen in Bezug auf die Nutzung in neuen Geschäftsfeldern als Netzanbieter, Vertriebsorganisation oder MVNE. Die Schließung von Knowhow Lücken sowie der fokussierte und zeitnahe Aufbau der entsprechenden Geschäftsprozesse, Ressourcen und Organisationen sind entscheidend für den Markterfolg. Dies gilt insbesondere, da die Einstiegsbarrieren in den Markt für TKVertriebsorganisationen und MVNEs als vergleichsweise niedrig angesehen werden müssen und so innerhalb kürzester Zeit auch in diesem noch lukrativen Markt mit einem erheblich verstärktem Wettbewerb zu rechnen ist, da im Markt für MVNEs durch Skaleneffekte ein First-Mover-Advantage entstehen wird.
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Literaturverzeichnis Badach A. (2004): Voice over IP – Die Technik. München. Bundesnetzagentur (2006a): Abbildung Endkundenanteile. In: Marktbeobachtungen Mobilfunkdienste, Mobilfunkdienste – Marktanteile. http://www.bundesnetzagentur.de. Bundesnetzagentur (2006b): Jahresbericht 2005. http://www.bundesnetzagentur.de. Geiger P. (2005): Mobilfunk Deutschland 2010. http://www.solon.de. Häckelmann H., Petzold H. J., Strahringer S. (2000): Kommunikationssysteme. Berlin et al. International Performance Research Institute (2006): Branchenprozessmodell über die nicht-infrastrukturbasierten Betriebs-, Miet- und Gemeinkosten in der Telekommunikation. http://www.bundesnetzagentur.de. Schiller J. H. (2000): Mobilkommunikation. München. Statistisches Bundesamt (2006): Preisindex für Telekommunikationsdienstleistungen. Preise, Verbraucherpreise, Mai 2006. http://www.destatis.de. Stucky W., Schiefer G. (2005): Perspektiven des Mobile Business – Wissenschaft und Praxis im Dialog. Wiesbaden.
Aufgaben von Controllingsystemen zur Koordination von Supply Chains Marion Steven, Inga Pollmeier
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Einleitung
Supply Chains sind komplexe Netzwerke, in denen sich Unternehmen verschiedener Wertschöpfungsstufen zusammenschließen, um durch die Optimierung der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit die individuelle Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Während dem Management von Supply Chains in Theorie und Praxis eine große Aufmerksamkeit zuteil wird, bleibt das Controlling dieser Unternehmensnetzwerke bislang weitgehend unbeachtet, obwohl das Management der Supply Chain grundsätzlich auch durch das Controlling unterstützt werden kann (vgl. Otto 2002, S. 15; Arnold et al. 2005, S. 45 ff.). Das Controlling hat die Führung der Supply Chain durch die Bereitstellung entscheidungsrelevanter Informationen zu unterstützen und ermöglicht mit dem Einsatz von Instrumenten zur Steuerung der Supply Chain eine Verbesserung des Supply Chain ManagementErfolgs (vgl. Weber, Bacher, Groll 2003, S. 7 f.). Die Supply Chain durchläuft als langfristig angelegtes Unternehmensnetzwerk verschiedene Lebensphasen, weshalb das Controlling die Supply Chain-Führung bei der Bewältigung der in den einzelnen Lebensphasen spezifischen strategischen und operativen Managementaufgaben zu unterstützen hat. Da die Literatur einem alle Lebensphasen umfassenden Controlling in der Supply Chain bislang kaum Beachtung schenkt, will dieser Beitrag die Ausgestaltung eines Supply Chainspezifischen strategischen Controllingsystems zur Unterstützung der Supply Chain-Führung darstellen. Im zweiten Abschnitt werden zunächst Supply Chains und ihr Lebenszyklus dargestellt, bevor im dritten Abschnitt die Elemente eines Supply Chain Controllingsystems aufgezeigt werden. Die strategischen Controllingaufgaben werden im vierten Abschnitt schließlich auf die einzelnen Lebensphasen der Supply Chain übertragen, so dass die Ausgestaltung eines lebenszyklus- und damit aufgabenspezifischen strategischen Controlling in der Supply Chain dargestellt wird. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Aussagen und einem Ausblick auf weiteren Forschungsbedarf.
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Unternehmensnetzwerke und Supply Chains
Um der mit der zunehmenden Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung einhergehenden Verstärkung des Wettbewerbs- und Kostendrucks begegnen zu können, konzentrieren sich die Unternehmen zunehmend auf ihre Kernkompetenzen und lagern andere Wertschöpfungsaktivitäten auf spezialisierte Anbieter aus, was eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit Unternehmen auf vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen zur Folge hat. Eine spezielle Form zwischenbetrieblicher Kooperationen stellen Unternehmensnetzwerke dar (vgl. Hess 2002, S. 9). „Ein Unternehmensnetzwerk liegt vor, wenn zwischen mehreren rechtlich selbstständigen und formal weitgehend unabhängigen Unternehmen eine koordinierte, kooperative Zusammenarbeit stattfindet“ (Hippe 1997, S. 39). Das Unternehmensnetzwerk ist Ergebnis einer die Unternehmensgrenzen übergreifenden Differenzierung und Integration ökonomischer Aktivitäten und besteht aus mindestens zwei rechtlich und wirtschaftlich selbstständigen, vertraglich in die Kooperation integrierten Unternehmen, die man als Netzwerkunternehmen bezeichnet (vgl. Sydow 1992, S. 79). Diejenigen Unternehmensnetzwerke, in denen sich Unternehmen verschiedener Wertschöpfungsstufen – Zulieferer, Hersteller, Händler und Dienstleister – längerfristig zusammenschließen, werden als Supply Chains bezeichnet. Kennzeichnend für eine Supply Chain ist die Eingliederung der Unternehmen in einen Wertschöpfungsverbund, bei dem die Beschaffungs-, Produktions- und Absatzaktivitäten mit denen vor- (upstream) und nachgelagerter (downstream) Unternehmen verbunden werden. Supply Chains finden sich beispielsweise in der Automobilindustrie und im Handel und beinhalten im Idealfall alle Wertschöpfungsstufen von der „source of supply“ bis zum „point of consumption“ (vgl. Busch, Dangelmaier 2004, S. 4). Ziel des Zusammenschlusses ist es, den durch Schwankungen der Endproduktnachfrage ausgelösten Bullwhip-Effekt zu bewältigen und damit unternehmensübergreifende Erfolgspotenziale zur Steigerung der individuellen Wettbewerbsfähigkeit zu nutzen. Dazu ist nicht nur eine Abstimmung der unternehmensübergreifenden Austauschbeziehungen, sondern auch eine Optimierung der intra- und interorganisationalen Material- und Informationsflüsse erforderlich, was Aufgabe des Supply Chain Management 1 ist. Zusammenfassend sind Supply Chains als ein „network of connected and interdependent organizations mutually and cooperatively working together to control, manage and improve the flow of materials
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Unter Supply Chain Management ist „[…] die Planung, Steuerung und Kontrolle des gesamten Material- und Dienstleistungsflusses, einschließlich der damit verbundenen Informations- und Geldflüsse, innerhalb eines Netzwerks von Unternehmungen und deren Bereiche [zu] verstehen, die im Rahmen von aufeinander folgenden Stufen der Wertschöpfungskette an der Entwicklung, Erstellung und Verwertung von Sachgütern und/oder Dienstleistungen partnerschaftlich zusammenarbeiten, um Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen zu erreichen.“ (Hahn 2002, S. 472)
Aufgaben von Controllingsystemen zur Koordination von Supply Chains
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and information from suppliers to end users“ (Christopher 1992, S. 19) zu verstehen. Die Zusammenarbeit in der Supply Chain ist langfristig, aber nicht zeitlich unbefristet angelegt. Daher können mit der Initiierungs-, Betriebs-, Modifikations- und Auflösungsphase verschiedene Lebenszyklusphasen des Unternehmensnetzwerks unterschieden werden. Der zeitliche Ablauf des Lebenszyklus der Supply Chain ist in Abb. 1 dargestellt. In Abhängigkeit von den einzelnen Lebenszyklusphasen lassen sich zudem spezifische Aufgaben für das Netzwerkmanagement differenzieren. In hierarchischen Supply Chains wird das Management des Unternehmensnetzwerks von einem dominanten, fokalen Unternehmen (z. B. dem Automobilhersteller) übernommen, das für die Gestaltung des Netzwerks und die zentrale Koordination der beteiligten Unternehmen zuständig ist. 2 Initiierung der Kooperation
Modifikation des Netzwerks
Betriebsphase
Auflösung des Netzwerks
Abb. 1: Lebenszyklusphasen der Supply Chain
Der Lebenszyklus der Supply Chain beginnt mit der Initiierung der Kooperation. In der Initiierungsphase gründet das fokale Unternehmen nicht nur das Unternehmensnetzwerk, sondern nimmt auch die Selektion geeigneter Netzwerkunternehmen, die Festlegung und Abstimmung der Supply Chain-Ziele und -Strategien sowie die Verteilung der Aufgaben und Verantwortungsbereiche unter den einzelnen Netzwerkunternehmen vor. In der anschließenden Betriebsphase hat das Netzwerkmanagement die zur gemeinsamen Leistungserstellung erforderlichen unternehmensübergreifenden Material- und Informationsflüsse derart zu gestalten und zu optimieren, dass sie zur Umsetzung der festgelegten Strategien führen. Da die Supply Chain als dynamisches System ständigen Änderungen in der Ausge-
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Neben hierarchischen werden in der Literatur auch heterarchische Supply Chains, für die eine partnerschaftliche und gleichberechtigte Zusammenarbeit von Unternehmen auf der gleichen Wertschöpfungsstufe charakteristisch ist, untersucht (vgl. Busch, Dangelmaier 2004, S. 9 ff.).
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staltung der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit und der Zusammensetzung des Unternehmensnetzwerks unterliegt, ist im Rahmen der Modifikationsphase eine permanente, den Leistungserstellungsprozess begleitende Beobachtung der netzwerkinternen und -externen Entwicklungen sowie der Netzwerkmitglieder und deren Leistungsbeitrag zum Netzwerkerfolg erforderlich. Sofern das fokale Unternehmen den Netzwerkerfolg gefährdende Entwicklungen feststellt, sind eine Umstrukturierung der Leistungserstellungsprozesse, eine Umverteilung der Aufgaben und Verantwortungsbereiche unter den Netzwerkunternehmen und/oder eine Neuaufnahme in bzw. ein Ausschluss einzelner Netzwerkmitglieder aus der Supply Chain zu veranlassen. Der Lebenszyklus der Supply Chain endet mit Ablauf der in der Initiierungsphase (z. B. in einem Rahmenvertrag) vereinbarten Dauer der Zusammenarbeit und impliziert eine vollständige Auflösung des Unternehmensnetzwerks. Das Netzwerkmanagement hat dabei die Entnetzung finanzieller, materieller und immaterieller Verbindungen zwischen den Supply Chain-Unternehmen vorzunehmen. Neben der planmäßigen (Komplett-)Auflösung der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit kann durch den vorzeitigen und nicht vorgesehenen Austritt einzelner Netzwerkunternehmen (der etwas durch Konkurs begründet sein kann) eine Teilauflösung der Supply Chain erfolgen. Wenn es den verbleibenden Netzwerkunternehmen nicht gelingt, die in der Kooperation entstandene Lücke (z. B. in Form von fehlenden Investitionen) zu schließen, wird dadurch nicht nur die Stabilität, sondern auch die Existenz des gesamten Netzwerks gefährdet. Um diesem Risiko vorzubeugen, hat das Netzwerkmanagement zudem in allen Lebenszyklusphasen der Supply Chain nicht nur das Verhalten der Netzwerkunternehmen zu beobachten und zu analysieren, sondern auch permanent Anreize zu schaffen, die den Verbleib in der Supply Chain honorieren und den frühzeitigen Austritt aus dem Netzwerk sanktionieren.
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Notwendigkeit und Ausgestaltung eines Controlling in der Supply Chain
Mit den vielfältigen, vom fokalen Unternehmen in den verschiedenen Lebenszyklusphasen der Supply Chain zu übernehmenden Aufgaben des Netzwerkmanagements geht die Notwendigkeit einher, die Führung der Supply Chain durch ein Controlling zu unterstützen. Der Bedarf an Führungsunterstützung wird dabei einerseits durch die Charakteristika einer Supply Chain – Dynamik, Intransparenz und Komplexität – verstärkt (vgl. Stölzle 2002, S. 287). Andererseits verlangt die Vielzahl in der Praxis bestehender ungelöster Probleme bezüglich des Managements von interorganisationalen Wertschöpfungsketten nach einem entsprechenden Controlling und der Unterstützung durch geeignete Instrumente, um den Supply Chain Management-Erfolg verbessern zu können. (vgl. Weber, Bacher, Groll 2003, S. 7 f.)
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Dass das Controlling auch im Kontext der Supply Chain eine Führungsunterstützungsfunktion wahrnehmen kann, setzt sich in der aktuellen Diskussion um das Controlling zunehmend durch, wie OTTO verdeutlicht: „Wenn Controlling „Management“ unterstützen kann, dann kann es grundsätzlich auch das Management der Supply Chain unterstützen“ (Otto 2002, S. 15). Da das traditionelle Controlling aufgrund seiner unternehmensbezogenen Ausrichtung jedoch nicht die unternehmensübergreifende Dimension des Supply Chain Management abbilden kann, hat sich für das Controlling im Kontext der Supply Chain in Wissenschaft und Praxis der Begriff des Supply Chain Controlling herausgebildet. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Supply Chain Controlling wird durch die Heterogenität der zugrunde liegenden Begriffe Controlling und Supply Chain Management erschwert, so dass sich bislang kein allgemein anerkanntes Begriffsverständnis des Supply Chain Controlling herausbilden konnte. 3 Für die Ausgestaltung des Controlling in der Supply Chain sind die Komponenten der zugrunde liegenden Controllingkonzeption 4 festzulegen. Neben der spezifischen Problemstellung und den Zielen des Controlling beinhaltet die Controllingkonzeption das Controllingsystem, das die institutionale, die instrumentale und die funktionale Ausgestaltung des Controlling konkretisiert. Um die Führung des Unternehmensnetzwerks unterstützen zu können, ist das Controllingsystem der Supply Chain folgendermaßen auszugestalten.
3.1 Die institutionale Dimension des Supply Chain Controlling Bevor die Controllingaufgaben mit dafür geeigneten Instrumenten realisiert werden können, ist die Controllingorganisation festzulegen. Obwohl sich bei der Ausgestaltung des Supply Chain Controlling mit der Unternehmens- und der Supply Chain-Ebene zwei Handlungsebenen für das Controlling ergeben, ist die Führungsunterstützungsfunktion des Supply Chain Controlling nur auf die Supply Chain-Ebene auszurichten. Das Controlling auf der Ebene jedes einzelnen Unternehmens ist dennoch nicht zu vernachlässigen, da es nicht nur die jeweilige Unternehmensführung unterstützt, sondern auch als Basis des Supply Chain Controlling dient. Zudem müssen die unternehmensinternen Prozesse zwingend geplant, gesteuert und kontrolliert werden, um überhaupt unternehmensübergreifende Abstimmungen realisieren und optimieren zu können. Weiter umfasst die Supply 3
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Vielmehr sind unterschiedliche Formen des Supply Chain Controlling entstanden, weil in Theorie und Praxis je nach Auffassung des Supply Chain Management verschiedene Schwerpunkte des Controlling thematisiert werden (vgl. Otto, Stölzle 2003, S. 12 f.; Westhaus, Seuring 2005, S. 41; Winkler 2005, S. 104). Eine Controllingkonzeption legt die theoretischen Rahmenbedingungen des Controlling fest und stellt „ein[en] gedankliche[n] Entwurf zur zielorientierten Lösung einer spezifischen Problemstellung des Controlling“ (Friedl 2003, S. 5) dar.
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Chain per definitionem alle Unternehmen von der „source of supply“ bis zum „point of consumption“ (vgl. Handfield, Nichols 1999, S. 2; Buscher 1999, S. 449). Ein solches Unternehmensnetzwerk ist jedoch zu komplex, um alle Netzwerkunternehmen explizit in das Controlling auf Supply Chain-Ebene integrieren zu können, weshalb zunächst die in das Supply Chain Controlling zu integrierenden Unternehmen zu selektieren sind, bevor die Ausgestaltung des Controlling auf Supply Chain-Ebene erfolgen kann.
3.2 Die instrumentale Dimension des Supply Chain Controlling Controllinginstrumente, zu denen im Allgemeinen Methoden und Modelle gezählt werden, haben das Controlling bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen (vgl. Friedl 2003, S. 123). Damit der Einsatz von Controllinginstrumenten in einem Unternehmensnetzwerk zielführend ist, müssen die ausgewählten Instrumente verständlich, einfach zu verwenden, vergangenheits- und zukunftsorientiert sowie quantitativ und qualitativ ausgerichtet sein. Weiter ist zu beachten, dass aus dem traditionellen Controlling bekannte Instrumente aufgrund ihrer intraorganisationalen Ausrichtung nicht ohne Anpassung bzw. Weiterentwicklung im unternehmensübergreifend ausgerichteten Supply Chain Controlling eingesetzt werden können. Neben diesen Anforderungen ist bei der Auswahl geeigneter Controllinginstrumente der von der Netzwerkführung geäußerte Bedarf an speziellen Führungsinformationen zu berücksichtigen. Das Supply Chain Controlling kann die Supply Chain-Führung insbesondere dadurch unterstützen, dass es sich auf Kosten, Logistik, Beziehung und Wissen als zentrale Objekte des Controlling konzentriert, da diese interdependenten Größen von großer Bedeutung für die Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit der Supply Chain und der Qualität der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit sind.
3.3 Die funktionale Dimension des Supply Chain Controlling Zu den Controllingaufgaben werden generell all jene Aktivitäten gezählt, die im Hinblick auf die Realisierung der Controllingziele eingesetzt werden. Sie lassen sich hinsichtlich der verfolgten Unternehmensziele in strategische und operative Controllingaufgaben unterteilen (vgl. Horváth 1998, S. 144). Im Supply ChainKontext ist vor allem das strategische Controlling von Bedeutung, da eine aufgabenspezifische Unterstützung der Supply Chain-Führung in den einzelnen Lebensphasen des Unternehmensnetzwerks zur Schaffung und Erhaltung von Erfolgspotenzialen und damit zur Sicherstellung des langfristigen Erfolgs und der Wettbewerbsfähigkeit der Supply Chain beiträgt. Im operativen Controlling bieten sich keine Möglichkeiten zur Gestaltung des langfristigen Supply Chain-Erfolgs,
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da es „nur“ die Sicherstellung des kurzfristigen Erfolgs und der Liquidität unterstützt und vor allem auf Unternehmensebene stattfindet, um die Wirtschaftlichkeit der unternehmensinternen Prozesse sicherzustellen. Die unternehmensübergreifende Abstimmung der Wertschöpfungsprozesse ist Aufgabe des strategischen Controlling. Obwohl somit im Folgenden die strategischen Controllingaufgaben im Vordergrund stehen, darf das strategische Controlling aufgrund der engen Verzahnung und der bestehenden Interdependenzen niemals ohne ein operatives Controlling erfolgen. Denn mit den strategischen Entscheidungen werden einerseits die Rahmenbedingungen und Zielsetzungen für die operativen Maßnahmen festgelegt, andererseits setzt die Realisierung strategischer Maßnahmen auch das Erreichen operativer Zielgrößen, wie z. B. Gewinn und Liquidität, voraus (vgl. Langguth 1994, S. 26 f.). Nach dem Umfang des strategischen Controlling sind die Koordination, die Informationsversorgung sowie die strategische Planung, Steuerung und Kontrolle als strategische Controllingaufgaben zu unterscheiden. Die Hauptaufgabe des strategischen Controlling liegt dabei in der Koordination und umfasst die Abstimmung der Informationsversorgung mit der strategischen Planung, Steuerung und Kontrolle, die Anpassung von strategischem und operativem Controlling und die Koordination des gesamten strategischen Führungssystems. Daneben kommt dem strategischen Controlling mit der Informationsversorgungsfunktion die Aufgabe zu, führungsrelevante Informationen bedarfsorientiert und mit dem entsprechenden Genauigkeitsgrad bereitzustellen sowie Informationsbedarf, Informationsnachfrage und Informationsangebot abzustimmen. Im Rahmen der strategischen Planung hat das strategische Controlling darüber hinaus Informationen sowie Methoden und Instrumente für die strategische Planung bereitzustellen. Mit der strategischen Kontrolle übernimmt das strategische Controlling weiterhin sowohl die Koordination von strategischer Planung und Kontrolle als auch den Aufbau strategischer Kontrollsysteme und die Bereitstellung zugehöriger Kontrollinformationen. Im Rahmen der strategischen Steuerung gilt es schließlich, die Implementierung und Umsetzung der geplanten Strategien sicherzustellen und eventuell notwendige Plananpassungen durchzuführen (vgl. Langguth 1994, S. 63 f.; Hieronimus 2006, S. 34 ff.).
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Strategisches Controlling im Lebenszyklus der Supply Chain
Da die Supply Chain ein Unternehmensnetzwerk ist, das verschiedene Lebensphasen durchläuft, kann die Effizienz und Effektivität der Führungsunterstützung durch das Controlling erhöht werden, indem die verschiedenen strategischen Controllingaufgaben den einzelnen Lebenszyklusphasen der Supply Chain zugeordnet
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werden (vgl. Abb. 2). Durch die Zuordnung der strategischen Aufgaben Planung, Steuerung, Kontrolle, Koordination und Informationsversorgung zu den einzelnen Lebenszyklusphasen der Supply Chain wird eine aufgabenspezifische Unterstützung der Supply Chain-Führung in den einzelnen Lebensphasen des Unternehmensnetzwerks möglich. Das Zusammenspiel der einzelnen strategischen Controllingaufgaben wird dabei anhand des durch die gestrichelten Linien dargestellten Austauschs von Controllinginformationen, die in den jeweiligen Lebenszyklusphasen generiert werden, verdeutlicht. Auflösung der Kooperation Initiierung der Kooperation Vorbereitung der Leistungserstellung
Strategische Planung
Koordination Informationsversorgung
Strategische Kontrolle
Modifikation des Netzwerks Kontrolle der Leistungserstellung
Strategische Steuerung
Betriebsphase Durchführung der Leistungserstellung
Entnetzung und Ausgestaltung von Anreizsystemen
Abb. 2: Aufgaben des strategischen Supply Chain Controlling in den einzelnen Lebenszyklusphasen
Die Koordinationsfunktion, die die Koordination der Führungsteilsysteme und des strategischen und operativen Controlling beinhaltet, stellt im Rahmen des strategischen Supply Chain Controlling genauso wie die Informationsversorgungsfunktion eine grundlegende Controllingaufgabe dar, die die Supply Chain-Führung in allen Lebenszyklusphasen des Unternehmensnetzwerks unterstützen muss. Mithilfe der strategischen Planung kann die Supply Chain-Führung daneben durch die Bereitstellung entsprechender Methoden, Instrumente und Informationen beim Aufbau des Unternehmensnetzwerks unterstützt werden, weshalb diese Controllingfunktion im Rahmen der Initiierung der Kooperation zu erfolgen hat. In der Betriebsphase, in der die gemeinsame Leistungserstellung durchzuführen ist, kann die Führungsunterstützungsfunktion des Controlling durch die strategische Steuerung erfolgen, indem die Umsetzung der Strategien in operative Maßnahmen unterstützt wird. Die strategische Kontrolle entlastet das Netzwerkmanagement schließlich im Rahmen der Modifikationsphase, indem die Vorgaben aus der stra-
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tegischen Planung mit den Ergebnissen der Leistungserstellung verglichen und hinsichtlich erforderlicher Änderungen untersucht werden. Neben der Unterstützung in den aktiven Lebensphasen des Supply ChainLebenszyklus kommt dem Controlling auch in der Auflösungsphase eine gleichermaßen wichtige Bedeutung zu. Denn zum einen gilt es, die Supply ChainFührung im Rahmen einer Komplettauflösung bei der Planung, Steuerung und Kontrolle der Entnetzung zu unterstützen. Zum anderen kann vor allem die Koordinations- und Informationsversorgungsfunktion dazu beitragen, eine nicht vorgesehene Teilauflösung des Unternehmensnetzwerks zu verhindern. Da die Gefahr einer unplanmäßigen Auflösung des Unternehmensnetzwerks prinzipiell jederzeit gegeben ist, hat das Supply Chain Controlling die Supply Chain-Führung während des gesamten Lebenszyklus bei der Sicherung der Existenz des Unternehmensnetzwerks zu unterstützen. In wie weit das Controlling die Supply Chain-Führung bei der Bewältigung der strategischen Managementaufgaben in den einzelnen Lebenszyklusphasen unterstützen kann, wird im Folgenden herausgearbeitet.
4.1 Die Initiierung der Kooperation Die Initiierungsphase ist die Phase im Lebenszyklus der Supply Chain, in der alle für die gemeinsame Leistungserstellung notwendigen Entscheidungen und Maßnahmen zu treffen sind. Sie beginnt mit der Entscheidung, ein unternehmensübergreifendes Netzwerk zu gründen und endet mit der Durchführung aller für den Aufbau der Betriebsbereitschaft erforderlichen Maßnahmen. Wesentliche von der Supply Chain-Führung wahrzunehmende Managementaufgaben sind dabei die Selektion der Kooperationspartner, die Formulierung der Supply Chain-Ziele und -Strategien sowie der Abschluss der Netzwerkverträge. Im Rahmen der Suche, Bewertung und Auswahl geeigneter Netzwerkunternehmen kann das Supply Chain Controlling die Supply Chain-Führung bei der Auswahlentscheidung mit fundierten Informationen und einer Empfehlung zur Aufnahme oder Ablehnung eines Unternehmens unterstützen. Dazu hat das Supply Chain Controlling den Selektionsprozess nicht nur zu planen und zu koordinieren, sondern auch entscheidungsrelevante Informationen bereitzustellen, geeignete Bewertungsmethoden auszuwählen und die erforderlichen Bewertungen durchzuführen. Nach der Auswahl geeigneter Kooperationspartner obliegt der Supply ChainFührung die Bildung einheitlicher Supply Chain-Ziele, da die Netzwerkunternehmen sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich selbstständig sind und damit jeweils individuelle Unternehmensziele sowie eigennutzorientierte Kooperationsziele verfolgen. Der Zielbildungsprozess entspricht einem Supply Chain-internen Willensbildungsprozess, in dem die verschiedenen unternehmensindividuellen Kooperationsziele auf Netzwerkebene zu konsensfähigen und widerspruchsfreien SC-
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Zielen zusammengefasst werden. Hierbei hat das Supply Chain Controlling neben der Sammlung, Auswertung und Dokumentation erforderlicher Informationen den Zielbildungsprozess zu gestalten, zu koordinieren und methodisch zu unterstützen. Um die Supply Chain-Ziele erreichen zu können, ist mit Hilfe der strategischen Planung 5 eine Supply Chain-Strategie zu bestimmen, mit der die zur Erreichung der Supply Chain-Ziele erforderliche Ausrichtung, Struktur und Zusammensetzung der Supply Chain festgelegt werden (vgl. Staudt 1992, S. 51). Zur Unterstützung der Supply Chain-Führung ist vor allem die Bereitstellung relevanter Informationen erforderlich, weshalb das Supply Chain Controlling insbesondere die Erfassung, Aufbereitung, Strukturierung und Verdichtung von Informationen zur Aufgabe hat. Schließlich hat das Supply Chain Controlling den Prozess der Vertragsgestaltung durch die Beschaffung und Bereitstellung entscheidungsrelevanter Informationen zu unterstützen, die zum Vertragsabschluss notwendigen Verhandlungen zu planen und zu koordinieren sowie geeignete Methoden und Instrumente zur Unterstützung der Supply Chain-Führung bereitzustellen.
4.2 Die Betriebsphase In der Betriebsphase gilt es, die zur Erreichung der Supply Chain-Ziele geplanten Strategien in operative Maßnahmen umzusetzen. Ein geeignetes Controllinginstrument, das im Rahmen der strategischen Steuerung zur Unterstützung der Supply Chain-Führung eingesetzt werden kann, ist die Balanced Scorecard, ein in den 1990er Jahren von KAPLAN/NORTON entwickeltes Kennzahlensystem. Die Balanced Scorecard beinhaltet eine strukturierte und ausgewogene Zusammenstellung von sowohl finanziellen und nicht-finanziellen als auch unternehmensextern und intern orientierten Kennzahlen aus den Bereichen Finanzen, Prozesse, Kunden sowie Lernen/Entwicklung, die über Ursache-Wirkungs-Beziehungen miteinander verbunden sind (vgl. Kaplan, Norton 1997). Als zentrales Informations- und Kommunikationsinstrument eignet sich die Balanced Scorecard generell auch zur Unterstützung der Implementierung der Supply Chain-Strategien. Der Einsatz im Supply Chain-Kontext erfordert allerdings eine Anpassung an die Besonderheiten eines unternehmensübergreifenden Netzwerks. Neben Supply Chain-spezifischen und unternehmensübergreifend ausgerichteten Kennzahlen sind hierbei vor allem beziehungsspezifische Aspekte in das Controlling zu integrieren (vgl. Weber, Bacher, Groll 2003, S. 22 f.). Unter Berücksichtigung der zentralen Controllingobjekte des Supply Chain Controlling ist die Supply Chain Balanced Scorecard folgendermaßen auszugestalten: Die finanzielle Perspektive untersucht den Beitrag der Supply Chain-Strategie zur 5
Zum strategischen Planungsprozess siehe etwa Welge, Al-Laham 2001, S. 95 ff. und Götze, Rudolph 1994, S. 4 f.
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Ergebnisverbesserung und dient als Endziel für die anderen, über UrsacheWirkungs-Beziehungen mit den finanziellen Zielen verbundenen Perspektiven. Daneben untersucht die Supply Chain-Prozess-Perspektive alle für die unternehmensübergreifende Prozessoptimierung wesentlichen Prozesse, wohingegen die Kundenperspektive all jene Ziele abbildet, die aus den Kundenanforderungen an das Supply Chain-Produkt abgeleitet werden. Weil ein effizientes Wissensmanagement die Wettbewerbsfähigkeit der Supply Chain steigert, wird die Lern- und Entwicklungsperspektive zu einer Wissensperspektive erweitert, die die Steuerung der Wissensgenerierung und -verteilung des im Unternehmensnetzwerk vorhandenen Wissens untersucht. Darüber hinaus wird die traditionelle Balanced Scorecard um die Kooperationsperspektive erweitert, um anhand der Berücksichtigung beziehungsrelevanter Faktoren die Qualität und Intensität der Zusammenarbeit in der Supply Chain beurteilen zu können.
4.3 Die Modifikation des Netzwerks In der Modifikationsphase hat das Supply Chain Controlling die Supply ChainFührung bei der Beurteilung der Kooperationsleistung zu unterstützen. Die Führungsunterstützung ist durch den Einsatz der strategischen Kontrolle sicherzustellen, die neben der strategischen Planung und der strategischen Steuerung einen unverzichtbaren Bestandteil des strategischen Controlling darstellt. 6 Die Durchführung strategischer Kontrollen ist Aufgabe des strategischen Controlling und dient im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses der Sicherung bzw. dem Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit der Supply Chain (vgl. Langguth 1994, S. 139). Die strategische Kontrolle orientiert sich dabei nicht an Abweichungsanalysen von kurz- und mittelfristigen Zielgrößen (feedbackorientierte operative Kontrolle), sondern beurteilt die Stärken und Schwächen der Supply Chain im Sinne einer Feedforward-Kontrolle, um notwendige Strategieanpassungen und Umstrukturierungsmaßnahmen frühzeitig erkennen zu können (vgl. Nuber 1995, S. 63 ff.). Objekte der parallel zum Leistungserstellungsprozess verlaufenden Kontrolle sind nicht nur die Supply Chain-Strategien, sondern auch die Leistungserstellungsprozesse und das Netzwerk als solches. Während die Kontrolle der gemeinsamen Leistungserstellung die interorganisationalen Material- und Informationsflüsse auf strategischer Ebene auf Probleme hin untersucht, werden mit der Kontrolle des Netzwerks die im Rahmen der Initiierungsphase getroffenen Entscheidungen zur Auswahl der Netzwerkunternehmen sowie zur Organisation der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit auf ihre weitere Gültigkeit hin überprüft. Sofern Probleme erkannt werden, sind Änderungen durch Rückkopplungen zur Betriebs- oder Initiierungsphase zu initiieren. Störungen im Leistungs6
Planung und Kontrolle stehen dabei in einem wechselseitigen Zusammenhang, wie WILD veranschaulicht: „Planung ohne Kontrolle ist daher sinnlos, Kontrolle ohne Planung unmöglich.“ (Wild 1982, S. 44)
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erstellungsprozess können entweder durch operative Änderungen im Rahmen der Betriebsphase (z. B. durch die Anpassung von Losgrößen bei zu hohen Lagerbeständen) oder durch strukturelle Änderungen im Rahmen der Konfiguration der Supply Chain (z. B. durch das Bereitstellen weiterer entscheidungsrelevanter Informationen) behoben werden. Grundlegende Entscheidungen über den strategischen Kurs und die Ausgestaltung der Supply Chain sind hingegen durch eine Rückkopplung zur Initiierungsphase anzupassen. Um die vielfältigen Aufgaben der strategischen Kontrolle wahrnehmen zu können, bedarf es unterschiedlicher Kontrollarten. STEINMANN/SCHREYÖGG unterscheiden mit dem Drei-Stufen-Modell der strategischen Kontrolle die drei Kontrollarten strategische Überwachung, Prämissenkontrolle und strategische Durchführungskontrolle, die an verschiedenen Selektionsstufen im strategischen Planungsprozess ansetzen, um mit jeweils unterschiedlicher inhaltlicher Ausrichtung Bedrohungen der Supply Chain identifizieren zu können. Während die strategische Überwachung als eine Art „strategisches Radar“ eine ungerichtete kontinuierliche Beobachtung der externen und internen Supply Chain-Umwelt vornimmt, dient die Prämissenkontrolle dazu, die im Rahmen der strategischen Planung getroffenen Annahmen permanent und parallel zur Strategieformulierung und -implementierung auf ihre Richtigkeit und weitere Gültigkeit hin zu überprüfen, da ein strategischer Plan nur solange gültig bleibt, wie sich die zugrunde gelegten Prämissen nicht ändern. Mit der strategischen Durchführungskontrolle wird schließlich während der Strategieumsetzung untersucht, ob auf der Grundlage der festgestellten Wirkungen der bereits ergriffenen Maßnahmen die Supply Chain-Strategie noch realisiert und die getroffenen Entscheidungen zur Ausgestaltung der Supply Chain beibehalten werden können. 7
4.4 Die Auflösung der Kooperation Die Auflösungsphase umfasst sowohl eine Komplett- als auch Teilauflösung der Supply Chain. Während die Komplettauflösung als planmäßige Beendigung der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit und die Modalitäten der Entnetzung bereits im Rahmen der Planung und vertraglichen Gestaltung der Kooperation zu regeln sind, stellt die Teilauflösung des Unternehmensnetzwerks und die durch sie verursachte Gefährdung der Stabilität der Kooperation eine zentrale Problemstellung dar, bei der die Supply Chain-Führung lebensphasenübergreifend durch das Controlling zu unterstützen ist. Das Ausscheiden einzelner Netzwerkunternehmen kann die Supply ChainFührung im Wesentlichen nur dadurch verhindern, dass sie den Netzwerkunternehmen genügend Anreize schafft, in der Supply Chain zu bleiben. Denn als 7
Zum strategischen Kontrollprozess siehe Schreyögg, Steinmann 1987, S. 96 f. und Langguth 1994, S. 140 ff.
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rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Unternehmen sind die Supply ChainPartner geneigt, eigennutzorientiert zu handeln, um durch einen vorzeitigen Austritt aus dem Netzwerk den individuellen monetären sowie nicht-monetären Nutzen zu maximieren. Die Ausgestaltung der sowohl positiven (z. B. in Form von Belohnungen) als auch negativen Anreize (z. B. als Strafzahlungen) erfordert daher eine Analyse der Motive und der Verhaltensweisen der Supply ChainPartner. Mit der Prinzipal-Agent-Theorie, der Entscheidungstheorie und der Spieltheorie gibt es in der Betriebswirtschaftslehre drei Ansätze, mit denen die Ursachen und Auswirkungen eigennutzorientierten Verhaltens untersucht und damit Ansatzpunkte für die Ausgestaltung von Anreizsystemen aufgezeigt werden können. Eine Prinzipal-Agenten-Beziehung stellt eine Vertragsbeziehung dar, in der der Auftraggeber als Prinzipal eine bestimmte Aufgabe an den Auftragnehmer delegiert, die dieser als Agent gegen einen Entlohnungsanspruch im Sinne des Prinzipals zu erfüllen hat. Da diese Auftragnehmer-Auftraggeber-Beziehung durch unterschiedliche Risikoneigungen der Vertragspartner sowie Interessenkonflikte und Informationsasymmetrien zwischen Prinzipal und Agent gekennzeichnet ist, untersucht die Prinzipal-Agent-Theorie als ein Teilgebiet der Neuen Institutionenökonomik, wie die Verträge auszugestalten sind und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die durch Informationsasymmetrien hervorgerufenen Effizienzverluste zu vermeiden (vgl. Jost 2001a). Im Supply Chain-Kontext ermöglicht es die Prinzipal-Agent-Theorie somit, diejenigen Anreiz- und Kontrollmöglichkeiten des fokalen Unternehmens (Prinzipal) herauszuarbeiten, mit denen ein Netzwerkunternehmen (Agent) von einer Nicht-Erfüllung seiner vertraglich vereinbarten Aufgaben innerhalb der Supply Chain abgehalten werden kann. Daneben ist mithilfe Entscheidungstheorie zu untersuchen, wie und warum die Netzwerkunternehmen die Entscheidung zum Austritt aus der Supply Chain treffen. Auf Basis der Spieltheorie lassen sich schließlich interaktive Entscheidungssituationen analysieren, deren Ausgang von den interdependenten Aktionen der eigennutzorientierten Entscheidungsträger determiniert wird. Dabei werden die dem Spiel zugrunde liegende logische Struktur, der strategische Konflikt und sich ergebende Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Im Supply Chain-Kontext kann damit vor allem das Verhalten der Netzwerkunternehmen simuliert werden, um Lösungsalternativen zur Überwindung strategischer Konflikte ableiten zu können (vgl. Jost 2001b; Bamberg, Coenenberg 2006).
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Zusammenfassung und Ausblick
Zur Steigerung der individuellen Wettbewerbsfähigkeit schließen sich Unternehmen verschiedener Wertschöpfungsstufen langfristig in Supply Chains zusammen. Da die Supply Chain-Führung in den verschiedenen Lebensphasen der Kooperation vielfältige Aufgaben zu bewältigen hat, ist das Netzwerkmanagement durch
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das Controlling – für das sich im Supply Chain-Kontext der Begriff des Supply Chain Controlling herausgebildet hat – zu unterstützen. Bei der Ausgestaltung des Controllingsystems sind neben der Festlegung der Controllingorganisation die Controllingaufgaben und die die Aufgabenerfüllung unterstützenden Controllinginstrumente auszuwählen. Mit Hilfe der strategischen Controllingaufgaben – Koordination, Informationsversorgung, strategische Planung, strategische Steuerung und strategische Kontrolle – wurde in diesem Beitrag gezeigt, wie das Supply Chain Controlling die Supply Chain-Führung über den gesamten Lebenszyklus der Kooperation bei der Bewältigung der jeweiligen Managementaufgaben in den einzelnen Lebenszyklusphasen unterstützen kann, um den langfristigen Erfolg und die Wettbewerbsfähigkeit der Supply Chain sicherzustellen. Für die Auswahl der zur Unterstützung der aufgezeigten Controllingaufgaben geeigneten Controllinginstrumente besteht genauso wie für die Konkretisierung der institutionellen Verankerung des Controlling in der Supply Chain weiterer Forschungsbedarf. Dabei bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass die Supply Chain ein dynamisches Netzwerk ist, dessen rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Akteure in einem unternehmensübergreifenden Controlling zu integrieren sind.
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Principal-Agent-Probleme in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken – Problemidentifikation und Lösungsansätze Herwig Winkler, Hubert B. Schemitsch, Bernd Kaluza
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Einleitung
Unternehmen des Anlagen-, Sondermaschinen-, Schiffs- sowie Flugzeugbaus planen ihre Wertschöpfungsprozesse auf der Basis vorliegender Kundenaufträge (vgl. z. B. Nedeß et al. 2002, S. 138). Aufgrund der individuellen Anforderungen ist es für diese Unternehmen erforderlich, ihre unternehmensinternen und -externen Prozesse projektorientiert zu planen, zu organisieren, zu kontrollieren und zu steuern (vgl. Zäpfel 1996, S. 861 ff.; Hahn 2000, S. 14). Eine umfassende Detailplanung der notwendigen Wertschöpfungsprozesse ist jedoch wegen der hohen Unsicherheit und der schlechten Informationsbasis kaum möglich (vgl. Tempelmeier 1999, S. 70). Die Kundenaufträge sind über ein spezielles Projektmanagement zu realisieren, bei dem vier Phasen unterschieden werden. In der ersten Phase erfolgt die konzeptionelle Entwicklung der zu erbringenden Leistung. In der zweiten Phase ist die Auswahl der zur Auftragsdurchführung erforderlichen Partner vorzunehmen. Anschließend erfolgt in Phase drei die Spezifizierung der Wertschöpfungsprozesse und die Auftragsvergabe an die Partner. Die konkrete Projektabwicklung erfolgt in Phase vier. Dabei stellt insbesondere die auftragsspezifische Partnersuche sowie die Auftragsdurchführung und -koordination eine große Herausforderung für das Projektmanagement dar. Bei der Partnersuche kann der Fall auftreten, dass Unternehmen ausgewählt werden, die zur Erbringung der erforderlichen Leistung schlecht geeignet sind. Bei der Auftragsdurchführung und -koordination ist zu befürchten, dass von den Partnern häufig Eigeninteressen verfolgt werden, welche die Wertschöpfungsprozesse negativ beeinflussen. Dies kann insbesondere in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken zu schwer kompensierbaren Terminverzögerungen und zu Kostenüberschreitungen führen (vgl. Winkler et al. 2006, S. 229). Anlässe für eine unzweckmäßige Partnerwahl sowie Gründe für opportunistisches Verhalten bei der auftragsbezogenen Zusammenarbeit werden in der Principal-Agent-Theorie dargestellt. Der Erfolg bei der Zusammenarbeit in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken ist zu verbessern, wenn es durch
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Herwig Winkler, Hubert B. Schemitsch, Bernd Kaluza
das Vermeiden von Principal-Agent-Problemen gelingt, geeignete Partner auszuwählen und deren Verhalten bei der Auftragsabwicklung mit speziellen Anreizen und/oder Kontrollen zielorientiert zu beeinflussen. Im diesem Beitrag werden zunächst besondere Merkmale projektorientierter Wertschöpfungsnetzwerke vorgestellt. Weiters wird ein zweckmäßiges 4-PhasenProjektmanagement entwickelt. Im nächsten Schritt werden aufbauend auf den Aktivitäten im Projektmanagement verschiedene Principal-Agent-Probleme identifiziert. Anschließend stellen wir ausgewählte Kontroll- und Anreizmöglichkeiten als Lösungsansätze für diese Probleme vor.
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Grundzüge projektorientierter Wertschöpfungsnetzwerke
2.1 Besondere Merkmale von projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken Wir definieren Wertschöpfung als den bewerteten Output eines Unternehmens abzüglich der durch andere Unternehmen erbrachten bewerteten Vorleistungen. Bei der arbeitsteiligen Abwicklung eines Projektes durch mehrere Unternehmen sind verschiedene unternehmensübergreifende Wertschöpfungsprozesse notwendig. Die Summe der in einem Projekt enthaltenen Wertschöpfungspartner und -prozesse ergeben die Wertschöpfungsstrukturen. Die erforderlichen Wertschöpfungsstrukturen sind durch die Bildung von Wertschöpfungsnetzwerken (WN) besonders gut zu gestalten und zu lenken. Das Wertschöpfungsmanagement hat dabei sämtliche die Wertschöpfung betreffenden unternehmensübergreifenden Aktivitäten zu planen, zu organisieren, zu steuern sowie zu kontrollieren. Das Wertschöpfungsmanagement muss daher die Logistik-, Beschaffungs-, Produktions- und Vertriebsaktivitäten ganzheitlich betrachten (vgl. Schönsleben 2007, S. 9). Ein WN ist eine spezifische Form von Unternehmenszusammenschlüssen, die sich durch eine besondere Zielsetzung und Organisation auszeichnet. Es steht dabei eine enge Zusammenarbeit auf freiwilliger Basis zur Verbesserung der Wertschöpfungsprozesse im Vordergrund. Von den beteiligten Unternehmen wird insbesondere eine Konzentration auf Kernkompetenzen und eine enge Zusammenarbeit mit ausgewählten Partnern angestrebt, um Ressourcenkomplementaritäten zu erzielen. Für den Daten- und Informationsaustausch der Partner werden häufig moderne Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK) sowie Netzwerksysteme, z. B. das Internet, eingesetzt. Weiters sind im gesamten WN geeignete Logistikkonzepte und -systeme erforderlich, um eine effektive und effiziente Materialbereitstellung zu gewährleisten (vgl. Winkler 2005, S. 40 f.).
Principal-Agent-Probleme in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken
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Die Bildung eines WN wird häufig von einem fokalen Unternehmen initiiert. Dieses fokale Unternehmen kann z. B. ein bedeutendes Industrieunternehmen sein, das aufgrund seines großen Einflusses die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit bestimmt. Zur Bildung des WN sind zunächst vom fokalen Unternehmen für die Wertschöpfung bedeutende Lieferanten und Kunden auszuwählen. Die Partnerbewertung und -auswahl spielt eine zentrale Rolle für den späteren Erfolg des WN (vgl. den Beitrag von WINKLER/SLAMANIG/KALUZA in diesem Band). In bilateralen (z. T. informellen) Gesprächen zwischen dem fokalen Unternehmen und den potentiellen Partnern sind grundsätzliche Interessen für eine enge Zusammenarbeit abzustimmen. Anschließend wird konkret über eine Kooperation und Netzwerkbildung verhandelt. In der Initiierungsphase des WN werden die zu erbringenden Leistungen vom fokalen Unternehmen an die beteiligten Partner verteilt und die Geschäftsbeziehungen entsprechend der vorliegenden Anforderung gestaltet. Es werden auch Möglichkeiten geprüft, Geschäftsbeziehungen zu Partnern zu überwachen, die zwar nicht Teil des WN sind, denen allerdings eine besondere Bedeutung für die Wertschöpfung zukommt. Im WN wird eine zielorientierte Gestaltung der Logistik-, Beschaffungs-, Produktions- sowie Distributionsprozesse vorgenommen. Es sind daher grundsätzlich längerfristige Geschäftsbeziehungen aufzubauen, um das Risiko für die Teilnehmer besser einschätzen zu können und so eine höhere Stabilität der Zusammenarbeit zu gewährleisten. Ein WN wird immer supply-chain-spezifisch konfiguriert, d. h. je nach den vorliegenden Anforderungen werden die Geschäftsbeziehungen starr oder flexibel gestaltet (vgl. Winkler 2005, S. 42). In starren Supply Chains liegt der Schwerpunkt aufgrund einer gut planbaren Nachfrage z. B. im Aufbau einer kostenminimalen Auftragsabwicklung. Flexible Supply Chains sind dadurch gekennzeichnet, dass hier die Nachfrage nur schwer planbar ist. Im WN ist deshalb ein hohes Flexibilitätspotential aufzubauen, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Für die teilnehmenden Unternehmen hat dabei insbesondere die proaktive Komponente der Flexibilität eine große Bedeutung, damit sie nicht nur anpassungsfähig, sondern auch beweglich und änderungsfähig sind (vgl. dazu ausführlich Kaluza 1993, S. 1173 ff.; Kaluza 1995, S. 1 ff.). Je nach Art der Auftragsabwicklung werden verschiedene Typen von WN, z. B. vertikale, horizontale oder laterale WN, gebildet. Die drei Typen unterscheiden sich primär durch den vorhandenen Komplexitätsgrad. Der Komplexitätsgrad wird insbesondere von der Anzahl und Art der Geschäftsbeziehungen, dem auftragsspezifischen Entwicklungsaufwand sowie dem Teileumfang determiniert. Vertikale WN sind durch eine geringe Komplexität charakterisiert und sind beispielsweise im Werkzeugbau anzutreffen. Der Kunde tritt in diesen Netzwerken direkt mit dem fokalen Unternehmen in Kontakt, welches seinerseits die zur Auftragserfüllung benötigten Modullieferanten einbezieht. Vertikal/horizontale WN weisen einen mittleren Komplexitätsgrad auf, der vor allem auf die große Arbeitsteilung zurückzuführen ist. Als Beispiel dafür ist die Schiffbaubranche zu nennen, wo die Projektplanung aufgrund der hohen Komplexität nicht mehr von einem Unter-
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Planungsrichtung
Materialflussrichtung
nehmen alleine zu bewältigen ist. In diesem Fall werden vom fokalen Unternehmen zusätzliche Kapazitäten zur Projektplanung in das WN integriert. Vertikal/horizontal/laterale WN werden gebildet, indem Unternehmen in den Wertschöpfungsprozess integriert werden, die ursprünglich in anderen Branchen tätig sind. So werden z. B. im Rahmen der Passivhausherstellung Kunden sowohl über Architekten, als auch über das fokale Unternehmen akquiriert. In diesem Fall liegt eine besonders hohe Komplexität vor. Die nachfolgende Abb. 1 gibt einen Überblick über die drei zu unterscheidenden WN-Typen, welche im Rahmen eines zugrunde liegenden Forschungsprojektes erhoben wurden. Kunde
Kunde
V
V
Entwicklung/ Konstruktion
Entwicklung/ Konstruktion
Entwicklung/ Konstruktion
H
Fokales UN
Modullieferant
Komponenten
Modullieferant
Komponenten
Modullieferant
Komponenten
Modullieferant
Komponenten
H … Horizontal
Komponenten
Modullieferant
Komponenten
Entwicklung/ Konstruktion
Fokales UN
LogistikDL Modullieferant
Komponenten
Modullieferant
Komponenten
Typ 2: Vertikal/Horizontales Wertschöpfungsnetzwerk
V
L
Entwicklung/ Konstruktion
Fokales UN
Typ 1: Vertikales Wertschöpfungsnetzwerk
V … Vertikal
Kunde Entwicklung/ Konstruktion
Modullieferant H
Modullieferant
Komponenten
Modullieferant
Komponenten
Modullieferant
Komponenten
Komponenten
Typ 3: Vertikal/Horizontal/Laterales Wertschöpfungsnetzwerk
L … Lateral Wertschöpfungsprozess
Quelle: Verfasser
Abb. 1: Klassifizierung verschiedener projektorientierter Wertschöpfungsnetzwerktypen
2.2 Unterscheidung von projektorientierten und programmorientierten Wertschöpfungsnetzwerken Bei projektorientierten WN handelt es sich um strategische Netzwerke mit einem hohen, nicht notwendigerweise kapitalbezogenen Integrationsgrad der Netzwerkmitglieder. Die Zusammenarbeit der Unternehmen kann dabei kurzfristig im Rahmen eines Projektes oder je nach Geschäftsbeziehung langfristig im Rahmen von aufeinander folgenden Projekten erfolgen. Projektorientierte WN stellen daher ein nach außen homogenes und nach innen heterogenes System dar, welches sich aus der projektbezogenen Kombination der einzelnen an der Wertschöpfung beteiligten Unternehmen ergibt. Projektorientierte WN unterscheiden sich von programmorientierten WN insbesondere durch das Leistungsprogramm, die Art der Nachfrageunsicherheit, die Wiederholfrequenz von Aufträgen, die Produktionsumgebung sowie die zeitliche Abgrenzung der Zusammenarbeit. Das Leistungsprogramm projektorientierter WN wird durch konkret vorliegende Kundenaufträge determiniert, die jeweils auftragsspezifische Besonderheiten aufweisen. Im Gegensatz dazu wird in pro-
Principal-Agent-Probleme in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken
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grammorientierten WN das Leistungsprogramm für den anonymen Markt mit Absatzprognosen und/oder allgemeinen Erwartungen über die Absatzmöglichkeiten geplant (vgl. Zäpfel 2001a, S. 94 f.). Aufgrund der prognosegetriebenen Planung sind für programmorientierte WN mengenmäßige Absatzschwankungen zu erwarten, welche häufig durch Ausgleichsläger in der Supply Chain kompensiert werden (vgl. Wildemann 1997, S. 125). Für projektorientierte WN ist die nachgefragte Menge zeitlich kaum vorausplanbar, da die Projekte erst nach dem Vorliegen der Kundenaufträge durchzuführen sind. Daraus ergibt sich eine Nachfrageunsicherheit sowohl der Art als auch der Menge nach (vgl. Winkler et al. 2006, S. 229). Die Wiederholfrequenz von gleichartigen Aufträgen ist in programmorientierten WN tendenziell hoch, wogegen in projektorientierten WN kaum Auftragswiederholungen auftreten (vgl. Schönsleben 2007, S. 193). Dementsprechend durchläuft jeder Kundenauftrag zuerst den Bereich Entwicklung & Konstruktion, was einer Engineer-to-Order Produktionsumgebung entspricht. Zur erfolgreichen Bearbeitung von Projekten sind in diesem Fall neben den langfristigen Wertschöpfungspartnern auch temporär Unternehmen in das WN einzubinden. Diese Unternehmen haben durch ihre spezifischen Ressourcen Spezialaufgaben im Rahmen des Projektes zu erfüllen und werden anschließend wieder aus dem WN ausgeschieden. Die nachfolgende Abb. 2 zeigt die Unterschiede zwischen projektorientierten und programmorientierten WN anhand der beschriebenen Merkmale. Programmorientierte Wertschöpfungsnetzwerke
Projektorientierte Wertschöpfungsnetzwerke Kundenaufträge
Leistungsprogramm
Produktionsprogramm
Art- und Mengenmäßige Bedarfsschwankungen
Art der Nachfrageunsicherheit
Mengenmäßige Bedarfsschwankungen
Keine Auftragswiederholung
Wiederholfrequenz
Häufige Auftragswiederholung
Engineer-to-order
Produktionsumgebung
Make-to-Stock
Mix aus kurzfristiger und langfristiger Zusammenarbeit
Zeitliche Abgrenzung
Langfristige Zusammenarbeit
Abb. 2: Ausprägungen charakteristischer Merkmale zur Unterscheidung von Wertschöpfungsnetzwerken
Die zuvor beschriebenen Merkmale erfordern in projektorientierten WN eine intensive Koordination bei der Auftragsabwicklung. So sind für jeden Kundenauftrag je nach dem nachgefragten Leistungsprofil projektspezifische Partner einzubinden und die einzelnen Leistungen der Partnerunternehmen während der Projektdauer zu koordinieren. Die Koordinationsaufgaben im Rahmen von programmorientierten WN beschränken sich dagegen auf eine Abstimmung der Beschaffungs-, Produktions- und Distributionspläne.
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2.3 Phasen der Auftragsplanung und -abwicklung in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken Die Auftragsabwicklung in projektorientierten WN kann in vier idealtypische Phasen eingeteilt werden (vgl. Winkler et al. 2006, S. 239 ff.; vgl. dazu auch die ähnliche Vorgangsweise bei Steven 2004, S. 301 ff.). Phase 1 umfasst die konzeptionelle Entwicklung des Projektes in Zusammenarbeit mit dem Kunden. Dabei wird ein Auftrag, ausgehend vom Pflichtenheft des Kunden, in verschiedene Leistungsbündel, wir bezeichnen diese als Module, zerlegt. Die einzelnen Module werden dabei durch Leistungsparameter, wie Größe, Gewicht, Anschlussleistung, Schnittstellengestaltung sowie andere technische Parameter spezifiziert. Dazu ist die technische Machbarkeit gemeinsam mit dem Kunden zu bestimmen, wozu gegebenenfalls auch das Know-how potentieller Auftragspartner notwendig ist. Zur Leistungskonfiguration sind z. B. elektronische Teilekataloge potentieller Partner sowie WebCAD-Lösungen zu verwenden. Dem gemeinsamen WebCAD-System sind sowohl die bereits vorliegenden CAD-Daten der Standardbauteile als auch fertigungstechnische Möglichkeiten und Restriktionen bei den Partnern zu übergeben. Anhand der Zerlegung des Gesamtauftrages in Module ist in einem weiteren Schritt ein Gesamtplan mit einer groben Abschätzung der Kosten und Termine für die einzelnen Module zu erstellen. Dieser Gesamtplan ermöglicht die Darstellung der technischen und organisatorischen Strukturen, die zur Herstellung der geforderten Leistung notwendig sind. Im Rahmen dieser Phase ist auch die Projektverantwortung festzulegen. Für diese Aufgabe ist der Einsatz eines Projektmanagers oder eines Fourth-Party-Logistics-Providers zu prüfen. In Phase 2 erfolgt die Suche nach geeigneten Projektpartnern. Je nach Art und Umfang der zuvor spezifizierten Module sind Unternehmen zu suchen, welche eine geeignete Qualifikation zur Realisierung des Projektes aufweisen. Die identifizierten Unternehmen sind anschließend zu bewerten und anhand der Beurteilung auszuwählen. Dazu sind entsprechende Anforderungsprofile zu erstellen, die die notwendigen Kapazitäten, das benötigte Know-how und die erforderliche Flexibilität der Unternehmen berücksichtigen. Als Ergebnis dieser Analyse werden so genannte „1st- und 2nd-Class“-Partner bestimmt. 1st-Class-Partner sind Unternehmen, welche die Anforderungen vollständig erfüllen und bereits eine positive Reputation aufgrund abgeschlossener Projekte vorzuweisen haben. Als 2nd-ClassPartner werden solche Unternehmen bezeichnet, die als Projektpartner in Frage kommen, wenn die präferierten Unternehmen, z. B. aufgrund von Kapazitätsrestriktionen, nicht an der Auftragsbearbeitung teilnehmen können. In der Phase 3 werden die einzelnen Module verbindlich an die Wertschöpfungspartner vergeben. Dazu müssen die Module vollständig spezifiziert sein, damit die involvierten Unternehmen Angebote ausarbeiten können. Dazu werden auch PDM/EDM-Systeme eingesetzt, mit denen die Beziehungen zwischen der Pro-
Principal-Agent-Probleme in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken
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duktstruktur und der Dokumentenstruktur teilautomatisiert elektronisch abzubilden sind. Die Produktstruktur wird mit Stücklisten dargestellt, in denen auch festgelegt wird, welcher Partner welchen Teil der Leistung zu realisieren hat. Es sind somit die strukturellen Zusammenhänge von Modulen, Komponenten, Teilen und Partnern in einem Erzeugnis hierarchisch dargestellt. Die Dokumentenstruktur wiederum verknüpft die verschiedenen Dokumenttypen mit der Produktstruktur. Die zuvor als 1st-Class-Partner eingestuften Unternehmen überprüfen in der Phase 3, ob das zu beschaffende Modul inklusive der notwendigen Entwicklungs- und Konstruktionsaufgaben bis zum geplanten Zeitpunkt hergestellt werden kann. Wenn das jeweils ausgewählte Unternehmen in der Lage ist, die zur Erfüllung des Auftrages benötigten Ressourcen bereitzustellen, wird der Auftrag an dieses Unternehmen vergeben. Andernfalls wird dasselbe Prozedere mit den 2nd-ClassPartnern durchgeführt, bis ein entsprechender Auftragspartner gefunden wird. Als Ergebnis steht am Ende dieser Phase fest, welche Unternehmen die jeweiligen Module des Kundenauftrages produzieren. Die Auftragsabwicklung erfolgt in der Phase 4. Dazu muss das zur Auftragsabwicklung notwendige WN unter Berücksichtigung der geplanten Kosten und Termine vollständig determiniert sein. Für ein adäquates Auftragsmonitoring sind entsprechende Kennzahlen, wie der Auftragsfortschritt oder etwaige Kostenabweichungen, zu definieren. Zur Darstellung dieser Zielgrößen bietet sich der Einsatz von kombinierten Termin-Kosten-Instrumenten an, mit denen beide Zielgrößen simultan abzubilden sind. Ein Beispiel dafür ist das Termin-KostenBarometer, mit dem die aktuelle Termin- und Kostensituation des Gesamtprojektes sowie der einzelnen Module zum jeweiligen Stichtag auf einer Prozentskala dargestellt werden (vgl. Strebel 2003, S. 260 f.). Bei der Auftragsvergabe an die Wertschöpfungspartner sind dazu Meilensteine zu definieren, die in weiterer Folge zu überwachen sind. Dazu sind beispielsweise Termine und Kosten für die Beendigung der Detailkonstruktion, der Fertigung oder der Montage festzulegen. Durch den Einsatz geeigneter IuK-Technologien ist es möglich, die Ergebnisse der Meilensteinüberwachung transparent abzubilden. Hier bietet sich der Einsatz einer Internetplattform an, die von der projektverantwortlichen Instanz betrieben wird (vgl. Bogaschewsky 2002, S. 37 f.). Die beteiligten Projektpartner geben ihre Projektdaten in diese Internetplattform ein, um dem Projektmanager einen zentralen Überblick über die relevanten Projektparameter zu bieten. Bei Abweichungen der spezifizierten Kosten und/oder Termine kann der Projektmanager so frühzeitig steuernd eingreifen und Korrekturmaßnahmen, wie die Bereitstellung additiver Ressourcen oder Veränderungen der Prozesszeiten anderer Partner, einleiten. Weiters ist auf diesem Wege die Verschiebung einzelner Teilaufträge bei Bedarf zu überprüfen, um eine möglichst kostenoptimale Auftragabwicklung zu realisieren. Diese Variante des Prozessmonitoring ist preiswert zu realisieren, da die beteiligten Unternehmen nur über einen Internetanschluss verfügen müssen (vgl. Blecker 2003, S. 37). Die nachfolgende Abb. 3 gibt einen Überblick über die in den einzelnen Phasen durchzuführenden Aufgaben.
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Abb. 3: 4-Phasen-Projektmanagement in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken
Die Logistikprozesse für die notwendigen zwischenbetrieblichen Transport-, Umschlags- und Lagerungsaktivitäten werden am Ende der Phase 3 definiert. In diesem Stadium steht bereits fest, welche Auftragsteile zu welchen Zeitpunkten zu bearbeiten sind. Für diese Aufgabe ist der Einsatz von Logistik-Providern zu empfehlen, die neben den erforderlichen Transport-, Umschlags- und Lagerungsaufgaben auch Montage- oder Planungsaufgaben übernehmen können. Speziell die Endmontage von einzelnen Modulen kann an geographisch günstigen Orten in dafür konzipierten Montageplätzen erfolgen, um kostenoptimale Logistikprozesse zu ermöglichen. Dazu kann das speziell geschulte Montagepersonal durch Inhousing beim Logistikdienstleister eingesetzt werden, um das benötigte Know-how am jeweiligen Montageort projektbezogen zu bündeln.
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Untersuchung von Principal-AgentProblemen in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken
3.1 Grundlagen der Principal-Agent-Theorie Die Principal-Agent (P/A)-Theorie befasst sich mit arbeitsteiligen AuftraggeberAuftragnehmer Beziehungen. Die aufgrund der hohen Arbeitsteilung entstehenden
Principal-Agent-Probleme in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken
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P/A-Beziehungen sind dadurch charakterisiert, dass ein Auftraggeber (Principal) und ein Auftragnehmer (Agent) in einer durch unvollkommene Informationen und Unsicherheit gekennzeichneten Umwelt interagieren (vgl. Mensch 1999, S. 687). Bei der Ausführung eines Auftrages trifft der Agent Entscheidungen, die nicht nur sein eigenes Nutzenniveau, sondern auch das des Principals beeinflussen (vgl. Feldmann 1995, S. 48). Aufgrund der intransparenten Zusammenarbeit ist von einer Situation auszugehen, die durch asymmetrische Informationsverteilung, unterschiedliche Zielverfolgung, differierende Risikoeinstellung und individuelle Nutzenmaximierung bestimmt ist (vgl. Picot, Neuburger 1995, S. 15). Bei P/ABeziehungen werden drei verschiedene Formen von Informationsasymmetrien unterschieden, wobei sich jede Form durch einen arteigenen Informationsvorteil des Agenten auszeichnet. Zudem ist damit eine spezifische Form der Verhaltensunsicherheit verbunden. Es treten folgende drei Informationsasymmetrien auf (vgl. Spremann 1990, S. 566; Breid 1995, S. 823 ff. und für einen zusammenfassenden Überblick Abb. 4): • hidden characteristics (adverse selection) • hidden action/hidden information (moral hazard) • hidden intention (hold up) Als hidden characteristics wird die Situation vor Vertragsabschluss bezeichnet, in der es dem Principal unmöglich ist, zu erkennen, ob der Agent über die notwendigen Kompetenzen zur Zielerfüllung verfügt (vgl. Picot, Neuburger 1995, S. 16 f.). Es besteht hier die Möglichkeit, dass der Agent bewusst falsche Tatsachen vorspiegelt, um einen Vertragsabschluss zu erzielen. Für den Principal wird die falsche Wahl des Partners jedoch erst nach Vertragsabschluss erkennbar. Bei dieser Art der Informationsasymmetrie besteht daher die Gefahr der „adverse selection“, also der Auswahl eines unerwünschten Vertragspartners (vgl. Dietl 1993, S. 137 f.). Hidden action/hidden information liegen dann vor, wenn der Principal das Verhalten des Agenten aufgrund mangelnder Fachkenntnisse nicht richtig beurteilen kann. Der Principal ist zwar in der Lage die Ergebnisse des Handelns des Agenten zu beobachten. Da er jedoch nicht weiß, wie das Ergebnis entstanden ist, kann er folglich das Anstrengungsniveau des Agenten nicht bewerten (vgl. Spremann 1990, S. 571). Weiters werden die Ergebnisse auch von bestimmten Umwelteinwirkungen beeinflusst. Aufgrund der mangelnden Transparenz ist es für den Principal deshalb nicht feststellbar, ob bestimmte Ergebnisse der Leistung des Agenten oder den Umwelteinflüssen zuzuschreiben sind. Aufgrund des Informationsnachteils des Principals besteht für den Agenten die Möglichkeit, die Situation für sich zum Nachteil des Principals auszunützen. Anders als im Fall der hidden characteristics ist hier für den Agenten die Wahrscheinlichkeit aufgedeckt zu werden eher gering (vgl. Dietl 1993, S. 139). Die hier auftretende Verhaltensunsicherheit wird als Problem des „moral hazard“ bezeichnet (vgl. Schwager 1997, S. 543).
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Der Fall der hidden intention tritt auf, wenn dem Principal ex ante nicht bekannt ist, welche Einstellungen und Motive der Agent hat. Zudem ist ihm nicht bekannt, wie sich der Agent im Laufe der Auftragsbeziehung verhalten wird. Bei den zu treffenden Objekt-Entscheidungen verfügt der Agent auch hier immer über bessere Informationen als der Principal (vgl. Mensch 1999, S. 687). Im Unterschied zum Fall der hidden action/hidden information bleiben dem Principal die Handlungen des Agenten jedoch nicht verborgen. Der Principal kann aber nicht beurteilen, ob ein besseres Ergebnis aufgrund eines anderen Entscheidungsverhaltens des Agenten zu erreichen ist (vgl. Dreyer 2000, S. 63). Problematisch wird der Fall der hidden intention dann, wenn der Principal aufgrund von irreversiblen Investitionen in ein Abhängigkeitsverhältnis gerät und er ex post nicht mehr in der Lage ist, den Agenten zu einem interessenskonformen Verhalten zu bewegen (vgl. Alchian, Woodward 1987, S. 114). Diese Art der Verhaltensunsicherheit wird aufgrund des ex post Charakters als hold up bezeichnet (vgl. Breid 1995, S. 825). Abb. 4 gibt einen zusammenfassenden Überblick über den Gegenstand der P/ATheorie. Informationsasymmetrie Unterscheidungskriterium
Hidden characteristics
Informationsproblem des Principals
Qualitätseigenschaften der Leistung des Vertragspartners unbekannt
Problemursache oder wesentliche Einflussgröße
Verbergbarkeit von Eigenschaften
Verhaltensspielraum des Agent
Hidden action/ Hidden information
Hidden intention
Anstrengungen des Vertragspartners nicht beobachtbar bzw. nicht beurteilbar Ressourcenplastizität; Überwachungsmöglichkeiten und -kosten
Absichten des Vertragspartners unbekannt
vor Vertragsabschluss
nach Vertragsabschluss
nach Vertragsabschluss
Beispiel
Kreditgeber und Kreditnehmer; Einstellung von Personal
Patient und Arzt; Leistungsverhalten von Personal
Fischer und Konservenfabrik; Verweilabsicht von Personal
Problem
Adverse selection
Moral hazard
Hold up
Art der Problembewältigung
Beseitigung der Informationsasymmetrie durch Signalling/ Sreening
Möglichkeiten zur Problembegrenzung (beispielhaft)
Interessen- Interessenangleichung angleichung
Self selection
Bilanzen, differenZeugnisse, zierte Gütesiegel Kooperationsverträge
Reputation des Vertragspartners
Ergebnisbeteiligung des Vertragspartners (z.B. Prämiensystem oder Kapitalbeteiligung)
Ressourcenabhängigkeit, -einmaligkeit und -entziehbarkeit
Reduzierung Interessenangleichung der Informationsasymmetrie (Monitoring)
z.B. durch Sicherheiten ( z.B. PlanungsLeistungsgarantien Bürgschaften, und Kontroll- Gegengeschäfte) systeme, Berichtwesen etc.
Abb. 4: Gegenstandsbereiche der Principal-Agent-Theorie (in Anlehnung an Picot et al. 1991, S. 91)
Bei den im Schrifttum zur Lösung der P/A-Probleme vorgeschlagenen Konzepten ist zwischen Lösungsansätzen vor Vertragsabschluß und Lösungsansätzen nach Vertragsabschluß zu unterscheiden (vgl. Dreyer 2000, S. 66 ff.). Die zuvor beschriebenen vier Phasen des Projektmanagement sind analog dazu einzuteilen. Die Tätigkeiten in den Phasen eins bis drei liegen vor dem Vertragsabschluss. Die
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Aktivitäten der Phase vier werden erst nach Vertragsabschluss durchgeführt. Nachfolgend werden die vier Phasen des Projektmanagement hinsichtlich auftretender P/A-Probleme untersucht.
3.2 Untersuchung von Principal-Agent-Problemen bei der Konfiguration des projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerkes Bei der Konfiguration des projektorientierten WN treten primär die Fälle der hidden characteristics (adverse selection) und hidden intention (hold up) als P/AProbleme auf. In der Phase 1 des Projektmanagement, bei der konzeptionellen Entwicklung des Projektes, ist zunächst ein Fall zu untersuchen, bei dem das fokale Unternehmen den Agenten und z. B. ein Planungs- oder Architektenbüro den Principal darstellt. Diese Konstellation tritt im projektorientierten WN des Typs 3 auf, wenn der Kundenauftrag über ein externes Planungsbüro initiiert wird. Dabei nimmt das fokale Unternehmen u. U. nur deshalb am Projekt teil, weil es einen Kontakt zu diesem Kunden aufbauen will. In diesem Fall führt das fokale Unternehmen das Projekt nach den Spezifikationen des Planungsbüros durch. Dabei ist es denkbar, dass Defizite in der vom Planungsbüro durchgeführten Projektplanung vorliegen und diese dem fokalen Unternehmen auch bereits bekannt sind. Die Verantwortung an den daraus resultierenden Problemen, z. B. Verzögerungen oder Qualitätsmängel, wird folglich dem Planungsbüro zugeschrieben. Zu einem späteren Zeitpunkt wird angestrebt, einen Folgeauftrag direkt von diesem Kunden, ohne die Einbindung des Planungsbüros, zu erhalten. Hier liegt also der Fall der hidden intention aufgrund der arglistigen Täuschungsabsicht vor. Bei allen weiteren Projektschritten innerhalb der vier Phasen nimmt das fokale Unternehmen die Rolle als Principal ein (vgl. u. a. Göx et al. 2002, S. 66; Stölzle 1999, S. 51 f.). In den Projektphasen 1 bis 3 sind nur die Fälle der hidden characteristics und der hidden intention zu unterscheiden. Für den Fall der hidden intention sind die folgenden Beispiele anzuführen. Bei der Festlegung des Pflichtenhefts in Zusammenarbeit mit dem Kunden sowie weiteren potentiellen Wertschöpfungspartnern sind die Kompetenzen und Motive der Partner nicht vollständig bekannt. So ist es denkbar, dass sich ein Partnerunternehmen nur deshalb am Projekt beteiligt, um bestehende Auslastungsdefizite zu beseitigen. Tatsächlich besitzt es jedoch nicht die technischen Möglichkeiten zur Projektbearbeitung. Weiters ist zu befürchten, dass bei der technischen Spezifikation einzelner Modullieferanten Zusagen zur Erbringung von Kundenwünschen erfolgen, obwohl diese speziellen Leistungsmerkmale nicht realisierbar sind. Darüber hinaus könnten Partner behaupten, dass bestimmte Leistungen technisch nicht realisierbar sind, obwohl andere Unternehmen mit einer entsprechenden technologischen Ausstattung diese Leistungen sehr wohl erbringen könnten. Aufgrund der hohen Spezifität der tech-
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nischen Leistungen ist das fokale Unternehmen nicht in der Lage, den Wahrheitsgehalt der Aussage zu überprüfen und vergibt den Auftrag. Bei der Grobabschätzung der Kosten und Termine einzelner Teilleistungen ist es wahrscheinlich, dass Partnerunternehmen bewusst falsche Informationen angeben. Nicht einhaltbare Kosten- und Terminschätzungen werden deshalb angeführt, weil der Auftrag eigentlich nur als Füllarbeit zur Auslastung der Kapazitäten durchgeführt werden soll. Andererseits werden auch teilweise zu hohe Kosten oder zu lange Bearbeitungszeiten angesetzt, um damit einen unverhältnismäßig hohen Projektertrag zu realisieren. In der zweiten Projektphase erfolgt die Partnerauswahl. Dabei ist zu beachten, dass die Projektpartner, darunter auch Logistikprovider, ein falsches Qualifikationsniveau vorspiegeln und/oder falsche Kosten- und Termininformationen weitergeben, um einen Auftrag bei der Projektdurchführung zu erhalten. In dieser Situation treten als P/A-Probleme insbesondere hidden characteristics auf. Bei der Auftragsvergabe in der Projektphase 3 ist die Produkt- und Dokumentenstruktur zur Durchführung des Auftrages zu erstellen. Die Produkt- und Dokumentenstruktur basiert auf den in den Vorphasen erfolgten Grobplanungen potentieller Modullieferanten. Dabei ist anzunehmen, dass teilweise falsche und/oder verzerrte Informationen vorliegen, z. B. sind entweder zu viele oder zu wenig Teile in den Stücklisten enthalten, Bearbeitungszeiten werden in Arbeitsplänen zu kurz oder zu lang angegeben oder die Qualität der Materialien wird bewusst zu hoch oder zu niedrig spezifiziert. Bei der Abstimmung zur Durchführung des Auftrages mit 1stund 2nd-Class-Partnern kann der Fall eintreten, dass diese die Modulbearbeitung einschließlich der notwendigen Entwicklungsleistungen zusagen, um den Auftrag zu erhalten, obwohl die erforderlichen Ressourcen nicht vorhanden sind. Weiters besteht die Gefahr der Einbindung von Subunternehmen bei einzelnen Partnern, die nicht das erforderliche Qualifikationsniveau aufweisen.
3.3 Untersuchung von Principal-Agent-Problemen bei der Auftragsabwicklung in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken Die Auftragsabwicklung erfolgt in der vierten Projektphase. Es liegt ein vollständig bestimmtes projektbezogenes WN mit allen notwendigen Prozessschritten vor. Die Qualität des projektorientierten WN wird durch die in den ersten drei Projektphasen auftretenden P/A-Probleme bestimmt. Das bedeutet, dass aufgrund der hidden characteristics und hidden intention in vielen Bereichen nur suboptimale Ergebnisse erzielbar sind (vgl. Kaluza et al. 2003, S. 49). Zusätzlich zu den bereits vorliegenden Problemen kann bei der Durchführung der Projektabwicklung der Fall der hidden action auftreten (vgl. dazu Dreyer 2000, S. 66 ff.; Cezanne, Mayer 1998, S. 1352).
Principal-Agent-Probleme in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken
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Im Rahmen des Auftragsmonitoring ist es möglich, dass falsche Leistungsindikatoren, z. B. eingehaltene Termine anstatt von Qualitätskennzahlen, ein geschöntes Bild des Projektstatus zeigen, obwohl erhebliche Leistungsdefizite vorliegen. Dieser Fall tritt dann auf, wenn die Partnerunternehmen falsche Daten angeben, wodurch die Projektsituation nicht realistisch abgebildet wird und Probleme erst verspätet erkannt werden. Weiters liegt häufig das Problem vor, dass bei der Definition der zur Prüfung des zeitlichen Ablaufes notwendigen Meilensteine opportunistisch handelnde Partnerunternehmen ihre Konstruktions-, Fertigungs-, Montagetermine zu ihren Gunsten möglichst ausdehnen, um die definierten Leistungen ohne besondere Anstrengungen erbringen zu können (vgl. Zimmermann et al. 2006, S. 47). Daraus folgt, dass bei der Überwachung projektrelevanter Termine und Kosten z. B. durch den Einsatz von Internetplattformen, aufgrund der falschen Informationen keine effektive Projektüberwachung möglich ist. Dies führt wiederum dazu, dass verantwortliche Personen erst verspätet über Planabweichungen informiert werden, wodurch die Einleitung von Korrekturmaßnahmen aufgrund des eingeschränkten zeitlichen Handlungsspielraums erheblich erschwert und verzögert wird. Besonders schwierig gestaltet sich die Leistungsüberprüfung von Logistikprovidern, da diese sehr vielen internen und externen Einflussfaktoren unterliegt. Beispielsweise sind verspätete Teilleistungen von Partnerunternehmen, Lieferschwierigkeiten von einzelnen Lieferanten oder unvorhergesehene Verkehrsprobleme als potentielle Einflussfaktoren anzuführen. Bei gleichzeitigem Auftreten mehrerer Einflussfaktoren ist ex post nur mehr schwer feststellbar, worauf Abweichungen bei den zu erbringenden Leistungen zurückzuführen sind (vgl. Kaluza et al. 2003, S. 30; Gudehus 2007, S. 1019).
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Vermeidung von Principal-Agent-Problemen in projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken
4.1 Ansätze zur Lösung von Principal-Agent-Problemen bei der Partnerauswahl Damit eine Fehlauswahl (adverse selection) von Projektpartnern verhindert wird, schlagen wir vor, umfassende Bewertungsaufgaben durchzuführen. In der Literatur werden dabei die Maßnahmen des signaling, screening und self selection vorgeschlagen (vgl. u. a. Picot et al. 2001, S. 49 f.; Küpper 2001, S. 48 ff.). Beim signaling versucht der Agent, dem Principal Informationen über seine Einstellung, seine Charaktereigenschaften und seine Leistungen zu signalisieren indem er beispielsweise Referenzprojekte oder Zertifikate vorlegt. Er will damit zeigen, dass er
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bestimmte Vereinbarungen erfüllen kann. Schlechte Vertragspartner werden hier möglichst wenig Zusagen machen oder nur sehr unpräzise Regelungen akzeptieren. Beim screening (Informationsbeschaffung) wird ein umgekehrter Weg eingeschlagen. Der Principal verschafft sich hier mit Hilfe zusätzlicher Informationen ein realistisches Bild über die Eigenschaften und Leistungen des Agenten. Damit sind sowohl fachspezifische als auch kooperationsspezifische Fähigkeiten festzustellen. Zudem wird vom Principal angestrebt, mit Hilfe des Einsatzes von „self selection“ das Auftreten der adverse selection zu verhindern. Dem Agenten werden dabei unterschiedliche Vertragsvarianten vorgelegt. Je nach dem gewählten Vertrag ist auf die Eigenschaften des Agenten (Selbsteinschätzung) zu schließen (vgl. dazu die Fallstudie bei Hempelmann 2001, S. 1354 ff.). Beispielsweise kann zwischen anspruchsvollen, riskanten Verträgen mit hohen Prämien oder anspruchslosen, wenig riskanten Verträgen mit niedrigen Prämien gewählt werden. Die Wahl der ersten Variante lässt auf einen qualifizierten Vertragspartner schließen. Diese Vorgangsweise ist z. B. für die Vorauswahl von potentiellen Kooperationspartnern geeignet. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Durchführung dieser Methoden zeitaufwendig ist und hohe Kosten verursacht (vgl. Göbel 2002, S. 126). Daher ist von Fall zu Fall abzuwägen, ob die anfallenden Kosten den Informationsgewinn rechtfertigen. Es kann unter Kostengesichtspunkten auch sinnvoll sein, bewusst die Nachteile, die beim Treffen einer Entscheidung unter unvollständigen Informationen entstehen, in Kauf zu nehmen (vgl. Spremann 1990, S. 568).
4.2 Anreize und Kontrollen zur Verhaltenssteuerung der Wertschöpfungspartner bei der Auftragsabwicklung Zur Vermeidung von hidden action/hidden information (moral hazard) sind bestimmte Informations- und Kontrollsysteme für ein Monitoring durch den Principal einzurichten. Kontrollsysteme unterstützen die Projektplanung, begleiten die Projektabwicklung und zeigen Kosten- und Terminabweichungen auf. Mit Hilfe der Entwicklung geeigneter Kontrollsysteme sollen die Handlungen der Partner durch das fokale Unternehmen transparent und beurteilbar werden. Für den Fall, dass es für bestimmte Unternehmen im Rahmen des Projektmanagement nicht möglich ist, das opportunistische Verhalten der Partner mit Hilfe von Kontrollsystemen aufzudecken, schlagen wir vor geeignete Anreizsysteme zu installieren (vgl. Laux 1999, S. 25 ff.). Beispielsweise ist das auftretende Problem der hidden intention bei der Initiierung des Kundenauftrags über ein Planungsbüro im projektorientierten WN durch entsprechende Anreize vom Planungsbüro, das die Rolle des Principals einnimmt, zu lösen. Dazu ist durch eine monetäre Beteiligung der Partnerunternehmen am Projekterfolg sicherzustellen, dass sich die Partner zielkonform verhalten. Die Höhe des monetären Anreizes bestimmt, ob der
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Agent durch opportunistisches Verhalten einen bedeutenden Mehrwert für sich generieren kann. Eine weitere Möglichkeit zur Anreizbildung ist die Zusicherung von Folgeprojekten sowie die Aussicht auf Know-how-Transfer bei positiver Auftragsabwicklung. Damit ist eine loyale Grundhaltung des Partnerunternehmens sicherzustellen, womit opportunistisches Verhalten zu minimieren ist. Weitere geeignete Anreizsysteme für projektorientierte WN sind z. B. Prämiensysteme, die an die Qualität oder Liefergenauigkeit gekoppelt sind. Allerdings ist zu beachten, dass über die Steuerung mit Anreizen auch Zielkonflikte entstehen können, wenn die Anreize an falsche Bezugsgrößen gebunden werden. Werden z. B. Anreize für zeitgenaue Liefertermine geboten, kann eine schlechtere Qualität produziert werden oder aufgrund des Termindrucks treten Störungen im Betriebsablauf ein. Es sind deshalb solche Größen zu suchen, die zu einer positiven Korrelation zwischen den Projektzielen und den Zielen der Partner führen. Besondere Schwierigkeiten bei der Leistungsbeurteilung ergeben sich für das projektverantwortliche Unternehmen dann, wenn zwischen der Leistung des Partners und den externen Einflüssen, die mitunter einen besonders starken positiven oder negativen Einfluss auf die Leistung haben können, nicht klar zu trennen ist. Zur Lösung dieses Problems schlagen wir besonders drei Maßnahmen vor (vgl. Kaluza et al. 2003, S. 55): • Bei niedrigen Überwachungskosten sind entsprechende Kontrollsysteme einzusetzen, die die Handlungen der Partner transparent machen. • In Situationen in denen hohe Überwachungskosten anfallen, sind Anreizsysteme zu schaffen oder • die Partner sind an den Folgen ihres Handelns zu beteiligen. Ein besonderer Anreiz zur Leistungssteigerung stellt die Beteiligung der Wertschöpfungspartner am Eigentum und/oder an den Ergebnissen des fokalen Unternehmens dar (vgl. dazu z. B. Hart, Moore 1988, S. 755 ff.; Grossmann, Hart 1986, S. 691 ff.). Damit ist eine Interessensangleichung der beteiligten Partner verbunden, da sich das hierarchische Potential verringert. Die ausführenden Unternehmen sind dabei in die Entscheidungsfindung und -umsetzung einzubinden. Zur Umsetzung dieser Anreizform schlagen wir die Bildung eines zentralen Netzwerkgremiums vor (vgl. Baumgarten, Thoms 2002, S. 41; Zäpfel 2001b, S. 13). Das Gremium hat als Lenkungs- und Koordinationsorgan die Koordination im WN zu erleichtern und zu vereinheitlichen. Das projektorientierte WN-Gremium wird aus Verantwortungsträgern des fokalen Unternehmens und bedeutenden Wertschöpfungspartnern gebildet (vgl. hierzu die Ausführungen bei Lenz, Schmidt 1999, S. 125 ff.). Dieses Steuerungsgremium legt die langfristigen Ziele fest, plant die Inhalte der WN-Strategie und beschließt die notwendigen Umsetzungsmaßnahmen gemeinsam. Zudem kontrolliert es die Implementierung der WN-Strategie in den einzelnen Unternehmen und überprüft den Zielerreichungs-
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grad der umgesetzten Maßnahmen. Für die Bewältigung dieser Aufgaben ist ein WN-spezifisches Führungssystem erforderlich, das aus einem Ziel-, einem Planungs-/Kontroll-, einem Informations- und einem Organisationssystem besteht. (vgl. dazu ausführlich Küpper 2001, S. 14 ff. und die dort zitierte Literatur) Aufbau und Abstimmung der Führungsteilsysteme sowie die Entwicklung spezifischer Führungsinstrumente sind dabei von einem speziellen Supply Chain Controlling zu unterstützen. Es ist hier besonders hervorzuheben, dass die im projektorientierten WN auftretenden P/A-Probleme aus einer anderen Sicht betrachtet werden. Dabei wird aufgrund der intensiven Zusammenarbeit Verantwortung an die Agenten delegiert. Somit steht hier nicht mehr das fokale Unternehmen und seine Machtstellung im Mittelpunkt der Betrachtungen, sondern es tritt ein institutionalisiertes projektorientiertes WN an seine Stelle (vgl. Kaluza et al. 2003, S. 58). Das projektorientierte WN-Gremium übernimmt nun die Rolle des Principals. Dabei ist zu beachten, dass bei der Zusammenarbeit im WN-Gremium neue zusätzliche P/A-Probleme entstehen können. Die Bildung eines projektorientierten Gremiums wird in der nachfolgenden Abb. 5 dargestellt. PRINCIPAL Gremium
Fokales Unternehmen
Projektorientiertes Wertschöpfungsnetzwerk
AGENTEN
Projektbezogene Auswahl Kompetenter Partner
Kompetenznetz
Quelle: Verfasser
Abb. 5: Bildung eines Gremiums zur Koordination von projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerken
Nach Bildung des projektorientierten WN ergibt sich als eine wesentliche Verhaltensunsicherheit das Problem der hidden intention. Die Wertschöpfungspartner haben zwar in der Entstehungs- und Leistungsphase die Grundsätze der Zusammenarbeit akzeptiert, es ist jedoch nicht gesichert, dass sich alle Teilnehmer daran halten werden. Dieses Problem ist auch durch die Bildung eines Netzwerkgremiums nicht lösbar. Auftretende hold-up Probleme sind durch Vertrauen sowie ge-
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meinsame Investitionen zu vermeiden. In jenen Fällen, in denen z. B. gemeinsame Investitionen getätigt werden oder Know-how aufgebaut wird, entstehen switching costs, die anfallen, wenn ein Partnerwechsel durchzuführen ist. In dieser Situation wird das fokale Unternehmen von einzelnen Partnern abhängig. Die Abhängigkeit ist je nach Plastizität der Ressourcen des Partners höher oder niedriger. In einem WN kann dieser Fall bei Investitionen in gemeinsame Informationssysteme oder beim Aufbau von Ressourcenpools eintreten. Damit keine einseitigen Abhängigkeitsverhältnisse entstehen, sind die Investitionsausgaben auf alle Partner zu verteilen. Dadurch entstehen aufgrund der neuen Besitzverhältnisse wechselseitige Abhängigkeiten, die durch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu beherrschen sind. Häufig sind jedoch die Investitionsausgaben nicht auf alle Unternehmen gleich zu verteilen, da Unternehmen über unterschiedliche Finanzierungsmöglichkeiten verfügen. Zudem ist die Nutzungsintensität der geschaffenen Ressourcen unterschiedlich. Dazu sind auch geeignete Methoden für die Bestimmung der Refinanzierung, z. B. durch die Preisgestaltung für die Geschäftsbeziehung, zu entwickeln.
5
Fazit
Ziel des vorliegenden Beitrages war es, die in einem projektorientierten Wertschöpfungsnetzwerk auftretenden Principal-Agent-Probleme zu identifizieren und Lösungsansätze dafür zu entwickeln. Zu diesem Zweck haben wir ein geeignetes Projektmanagement entwickelt. In diesem 4-Phasen-Projektmanagement werden die Schritte der Projektplanung und -abwicklung festgelegt. Die Projektplanung besteht dabei aus der konzeptionellen Entwicklung, der Partnerauswahl und der Auftragsvergabe. Bei der Projektabwicklung ist eine entsprechende Kontrolle und Steuerung der Wertschöpfungsprozesse sowie eine Verhaltensbeeinflussung der Wertschöpfungspartner zwingend notwendig. Dies ist damit zu begründen, dass in den verschiedenen Teilbereichen des vorgestellten 4-Phasen-Projektmanagement teilweise bedeutende Principal-Agent-Probleme auftreten. In den Phasen eins bis drei sind dies vor allem hidden characteristics und hidden intention. Im Verlauf der Phase vier ist außerdem das Problem der hidden action zu beachten. Darauf aufbauend wurden geeignete Lösungsansätze, für die einzelnen Principal-AgentProbleme entwickelt. Beispielsweise sind zur Vermeidung von hidden characteristics die Instrumente des screening, signaling und self selection zu nutzen. Hidden intention und hidden action sind z. B. mit einer Beteiligung der Partner am Projekterfolg sowie der Zusicherung von Folgeprojekten oder einem in Aussicht gestellten Know-how-Transfer aufzulösen. Einen besonders viel versprechenden Ansatz für die Auflösung von PrincipalAgent-Problemen stellt die Bildung eines Gremiums zur Koordination und Steuerung der Wertschöpfungsprozesse dar. Dieses Gremium übernimmt die Funktion des Principals wodurch das hierarchische Potential zwischen fokalem Unterneh-
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men und den Wertschöpfungspartnern reduziert wird. Durch die Beteiligung an den Entscheidungsprozessen sowie der Ziel- und Strategiefindung entstehen für die Partnerunternehmen Anreize, sich nicht opportunistisch zu verhalten. Es ist davon auszugehen, dass sich die beteiligten Unternehmen jedenfalls rationaler verhalten werden, wodurch sich der Gesamterfolg des projektorientierten WN verbessert.
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Bewertung, Auswahl und Entwicklung relevanter Partnerunternehmen bei der Bildung strategischer Wertschöpfungsnetzwerke Herwig Winkler, Michael Slamanig, Bernd Kaluza
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Problemstellung
Aktuell werden in vielen Branchen verschiedene Wertschöpfungsnetzwerke (WN) gebildet, bei denen eine am Kundennutzen und an Wirtschaftlichkeitskriterien orientierte Zusammenarbeit im Mittelpunkt steht. Die Original Equipment Manufacturer (OEM) nehmen in solchen WN eine zentrale Position ein. Dies liegt daran, dass die verteilten Wertschöpfungsprozesse häufig bei den OEMs zusammenlaufen und bei ihnen eine Komplettierung der Gesamtleistung erfolgt. Aufgrund der großen Markt- und Machtstellung initiieren, gestalten und steuern OEMs häufig WN. Zur Bildung eines WN sind in einem ersten Schritt vom fokalen Unternehmen die strategisch relevanten Wertschöpfungspartner (WP) auszuwählen. Dies betrifft sowohl Lieferanten, Kunden sowie zusätzliche am Wertschöpfungsprozess beteiligte Unternehmen, z. B. F&E-Partner, Logistikdienstleister oder Absatzorganisationen. Durch Auswahl der relevanten WP werden die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit festgelegt sowie die Grundlage zur strategischen Gestaltung des WN geschaffen. Die Partnerbewertung und -auswahl ist für den Erfolg eines WN besonders bedeutend. Zur Bewertung und Auswahl strategisch relevanter WP ist eine methodisch fundierte Vorgehensweise zwingend erforderlich, da die getroffenen Auswahlentscheidungen häufig nicht oder nur mit großem Aufwand rückgängig zu machen sind. Ziel dieses Beitrags ist es, ein analytisch-methodisches Konzept für die Bewertung und Auswahl geeigneter WP vorzustellen. Durch fundierte Analysen der bestehenden Geschäfts- und Kooperationsbeziehungen zwischen dem OEM und den WP ist die notwendige Transparenz innerhalb des WN herzustellen. Auf Basis der Analyseergebnisse sind die WP zu klassifizieren und anschließend in einer Kooperationsmatrix zu positionieren. Durch die Ermittlung des leistungs- und kooperationsbezogenen Status quo ist eine Ableitung strategischer Anforderungen zur Entwicklung der WP möglich. Ziel der Partnerentwicklung ist es, den Nutzen für jeden einzelnen Partner zu steigern sowie die Effektivität des WN zu erhöhen. Auf
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Grundlage der Analyseergebnisse sind zudem Überlegungen anzustellen, wie der Netzwerknutzen durch die Substitution bestehender oder durch die Aufnahme neuer Wertschöpfungspartner zu erhöhen ist. Das in diesem Beitrag vorgestellte Konzept wurde innerhalb eines Forschungsprojekts in Zusammenarbeit mit einem international tätigen Elektronikhersteller entwickelt und bereits erfolgreich getestet.
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Merkmale und Lebenszyklusphasen strategischer Wertschöpfungsnetzwerke
2.1 Besondere Merkmale von strategischen Wertschöpfungsnetzwerken In Wertschöpfungsnetzwerken verfolgen die teilnehmenden Unternehmen das Ziel, jene Wertschöpfungsaktivitäten zu optimieren, die die Grundlage der eigenen Wettbewerbsvorteile darstellen (vgl. Powell 1988, S. 228 ff.). Teile der Wertschöpfung, die keine hohe wettbewerbsstrategische Relevanz besitzen, werden daher häufig von anderen Unternehmen bezogen und/oder in Kooperation mit anderen Unternehmen erbracht. Dazu werden von den Unternehmen strategische Make-or-Buy-Überlegungen angestellt. Ziel dieser Überlegungen ist es, die Aufgaben innerhalb des Netzwerkes unter ökonomischen Gesichtspunkten optimal zu verteilen (vgl. Sydow 1993, S. 79). Zudem sollen die bestehenden Beziehungen im gesamten WN verbessert werden. Damit entsteht die Notwendigkeit einer umfassenden zielorientierten strategischen und operativen Planung, Organisation, Steuerung und Kontrolle des gesamten dislozierten Wertschöpfungsprozesses (vgl. Winkler 2006b, S. 237). Bei der bisherigen Umsetzung von WN in der unternehmerischen Praxis ist jedoch zu kritisieren, dass mit den WP häufig nur eine Abstimmung und Harmonisierung von Teilprozessen sowie eine Teilintegration der Informations- und Logistiksysteme erfolgt (vgl. Winkler 2005, S. 23). Eine stärkere strategische Gestaltung des WN mit dem Ziel der Erreichung eines Netzwerkoptimums wird häufig nicht vorgenommen. Zur strategischen Gestaltung von WN schlagen wir vor, sich auf einige relevante Geschäftsbeziehungen zu konzentrieren. Dies ist deshalb sinnvoll, da nicht alle WP in gleichem Ausmaß zum Erfolg des Netzwerkes beitragen und für den OEM somit eine unterschiedliche strategische Relevanz besitzen. Das strategische WN setzt sich somit aus einem ausgewählten Mitgliederkreis zusammen, in den nur bestimmte WP einbezogen werden. Zusätzlich sind jedoch auch ausgewählte Geschäftsbeziehungen zu Partnern zu überwachen, die zwar nicht Teil des strategi-
Bewertung, Auswahl und Entwicklung relevanter Partnerunternehmen
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schen WN sind, denen allerdings eine besondere Bedeutung für die Wertschöpfung zukommt. Abb. 1 zeigt die mögliche Struktur eines strategischen WN. Innerhalb des gepunkteten Bereichs befinden sich das fokale Unternehmen und die vom fokalen Unternehmen ausgewählten WP. Initial Suppliers
Tier 3 Suppliers
Tier 2 Suppliers
Tier 1 Suppliers
Tier 1 Customers
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Tier 3 Customers
End Customers
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Tier 2 Customers
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Gestaltete und optimierte Beziehungen
Strategisches Wertschöpfungsnetzwerk 1
Fokales Unternehmen im Wertschöpfungsnetzwerk
Überwachte und gesteuerte Beziehungen Sonstige Beziehungen
Wertschöpfungspartner
Abb. 1: Struktur eines strategischen Wertschöpfungsnetzwerkes (in Anlehnung an Winkler 2005, S. 42)
Durch die zielgerichtete Integration ausgewählter Partner mit spezifischen Kernkompetenzen entsteht ein neues Supersystem, das zielorientiert zu führen ist. Die einzelnen Geschäftsbeziehungen innerhalb des strategischen WN sind dabei keineswegs statisch und unterliegen einer begrenzten Dauerhaftigkeit. Damit das Risiko für die Teilnehmer besser einschätzbar ist und eine höhere Stabilität der Zusammenarbeit gewährleistet ist, sind grundsätzlich langfristige Geschäftsbeziehungen aufzubauen (vgl. Baumgarten, Darkow 1999, S. 147). Aufgrund der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen WP, besitzen diese die Freiheit, das WN jederzeit zu verlassen. Damit wird deutlich, dass die Zusammenarbeit keinem Zwang unterliegt, sondern vielmehr der Erkenntnis, dass eine kooperative Zusammenarbeit im Rahmen eines strategischen WN für alle nutzbringend sein muss. Neben dem freiwilligen Austritt von Netzwerkpartnern ist auch die Möglichkeit zur Substitution und Neuaufnahme von Partnern vorzusehen. Ein Partnerwechsel ist z. B. dann notwendig, wenn einzelne Partner durch ihr opportunistisches Verhalten versuchen, anderen gegenüber Vorteile aus der engen Zusammenarbeit zu erzielen und somit das Wohl des eigenen Unternehmens vor jenes des Netzwerkes stellen. Zusätzliche Partnerunternehmen sind dann aufzunehmen, wenn durch die Aufnahme eine Optimierung der Wertschöpfung sowie eine Steigerung des Netzwerknutzens zu erwarten sind.
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2.2 Phasen im Lebenszyklus eines strategischen Wertschöpfungsnetzwerkes Strategische WN entstehen in der Regel evolutionär, da sich die Unternehmensumwelten im Zeitablauf verändern und neue organisatorische Konzepte zur Beherrschung der veränderten Rahmenbedingungen benötigt werden (vgl. Miles, Snow 1986, S. 1 ff.). Die betroffenen Unternehmen erkennen in dieser Situation, dass ein Problemlösungsweg darin besteht, gemeinsam mit den WP neue Strategien zu entwickeln (vgl. Wildemann 1999, S. 223 ff.). Die Entstehung von WN ist somit häufig auf gezielte Managemententscheidungen zurückzuführen, die aufbauend auf der bereits bestehenden operativen Zusammenarbeit eine stärkere strategische Abstimmung zwischen den bestehenden WP zum Ziel haben (vgl. Winkler 2005, S. 64). Damit ist einem strategischen WN ein idealtypischer Lebenszyklus zuzuordnen, der in die drei Phasen Initiierung, Betrieb und Modifikation/Beendigung einzuteilen ist. Die einzelnen Lebenszyklusphasen sind dabei nicht exakt voneinander abzugrenzen sondern gehen vielmehr fließend ineinander (vgl. Scholz 2003, S. 474 ff.). Dies ist darauf zurückzuführen, dass in der Regel bereits Geschäftsbeziehungen zwischen den einzelnen WP bestehen und einzelne Unternehmen während dem Lebenszyklus austreten und/oder neu hinzukommen. Abb. 2 zeigt die idealtypischen Phasen eines strategischen WN.
Abb. 2: Idealtypische Phasen im Lebenszyklus eines strategischen Wertschöpfungsnetzwerkes
Während der Initiierungsphase erfolgt zunächst eine Partnersuche und -selektion (vgl. Arnold, Eßig 2003, S. 669 ff.). Die Auswahl geeigneter Partner hat dabei sorgfältig zu erfolgen, da im Rahmen eines WN in der Regel eine längerfristige
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kooperative Zusammenarbeit mit den Partnerunternehmen angestrebt wird. Zudem ist der zukünftige Erfolg des WN in verstärktem Maße von der Auswahl der richtigen Partner abhängig. Die getroffenen Auswahlentscheidungen sind auch häufig nicht oder nur mit großem Aufwand rückgängig zu machen. Neben der Auswahl geeigneter WP wird in der Initiierungsphase der angestrebte Integrationsgrad grob festgelegt sowie die jeweilige Koordinationsform fixiert (vgl. Baumgarten, Darkow 1999, S. 148). Diese Phase ist als Konfigurationsphase des Netzwerkes anzusehen, da die wesentlichen Stärken und Schwächen der Mitglieder sowie die Chancen und Gefahren der Zusammenarbeit erhoben werden. Aufbauend auf den Ergebnissen dieser Analysen ist anschließend eine gemeinsame strategische Planung durchzuführen. Dabei ist es auch notwendig, gemeinsame Sach- und Formalziele zu bestimmen, sowie geeignete Planung-, Steuerungs- und Koordinationssysteme festzulegen (vgl. Kraege 1997, S. 97). Wesentlich sind hier Vereinbarungen über die Verteilung des Nutzens und der Risiken. Durch die gemeinsame strategische Planung wird insbesondere die strategische Entwicklungslücke aufgezeigt, indem die gegenwärtige Ist-Situation mit einer angestrebten Soll-Situation verglichen wird (vgl. Winkler 2005, S. 66). Damit zeigt sich, welche Ressourcen und Fähigkeiten in Zukunft erforderlich sein werden und welche Prozessveränderungen notwendig sind. Diese Erkenntnisse dienen dazu, einerseits die vorhandenen Ressourcen weiterzuentwickeln und/oder neue Partner in die Kooperation aufzunehmen sowie Reorganisationsprojekte zu starten (vgl. Kaufmann 1993, S. 33 f.). Das Ergebnis der gemeinsamen strategischen Planung sind Netzwerkstrategien, welche abhängig von den mit der Kooperation verbundenen Chancen und Risiken die Wege zur Erreichung der zuvor vereinbarten Netzwerkziele beschreiben. Darauf aufbauend sind konkrete Maßnahmen für die einzelnen WP festzulegen. Der gemeinsame strategische Planungsprozess ist deshalb besonders wichtig, da die einzelnen Unternehmen den „strategischen Fit“ zwischen den verfolgten Unternehmensstrategien und der im Rahmen des WN verfolgten Strategie überprüfen müssen (vgl. Winkler 2006a, S. 62 ff.). Es zeigt sich hier, ob durch die Intensivierung der Zusammenarbeit eine Stärkung der jeweiligen Wettbewerbsposition erfolgt oder nicht. Wenn in diesem Stadium der Zusammenarbeit kein strategischer Fit erzielt wird, scheiden Unternehmen als potentielle Partner für das strategische WN aus. Eine operative Zusammenarbeit mit strategisch weniger bedeutsamen Unternehmen ist jedoch weiterhin möglich. Die Phase der Partnerbewertung und -auswahl wird mit der Unterzeichnung der Kooperationsverträge abgeschlossen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Anreize und Sanktionsmöglichkeiten in den Kooperationsvertrag aufzunehmen sind. Weiters sind Regelungen über die Auflösung der Kooperation vorzusehen (vgl. Winkler 2005, S. 66). In der Betriebsphase erfolgen die Realisierung der Kooperationsvereinbarungen und die Umsetzung der festgelegten Netzwerkstrategien. Hierbei ist zwischen strategischen und operativen Maßnahmen zu unterscheiden. Während strategische Maßnahmen die Rahmenbedingungen für die kooperative Zusammenarbeit festle-
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gen, betreffen operative Maßnahmen die Leistungserstellungsprozesse. Die strategischen Maßnahmen führen insbesondere zu ressourcen-, prozess- und produktbezogenen Anpassungen, während die operativen Maßnahmen eine Harmonisierung der Wertschöpfungsprozesse zum Ziel haben. Für die Implementierung der Kooperation ist es erforderlich, dass zwischen den beteiligten Unternehmen eine Aufgabenteilung und eine zeitliche Abstimmung der Aktivitäten vorgenommen werden. Dadurch sind die beteiligten WP in der Lage, sich optimal auf die zukünftigen Leistungsanforderungen vorzubereiten und ihre Kapazitäten zu planen. Im Zuge der Betriebsphase wird darüber hinaus eine kontinuierliche Verbesserung der Strukturen und Prozesse angestrebt (vgl. Winkler 2005, S. 68). Ziel dieser kontinuierlichen Verbesserung ist es, das WN ständig weiterzuentwickeln und so den Netzwerkerfolg nachhaltig zu steigern. Als Ausgangspunkt dafür dient die Performance des WN und der einzelnen Unternehmen, die ständig zu überprüfen ist. Dazu sind auch geeignete Kriterien zur Beurteilung der Performance zu definieren, wobei neben monetären Größen vor allem auch nichtmonetäre Größen zu berücksichtigen sind (vgl. Winkler 2005, S. 68). In der Modifikations-/Beendigungsphase werden einzelne oder die gesamten kooperativen Geschäftsbeziehungen aufgelöst. Aus der Sicht des einzelnen Unternehmens handelt es sich daher um eine Beendigungsphase. Aus der Sicht des gesamten WN liegt eine Modifikation vor, in der Anpassungsmaßnahmen durchgeführt werden, um die Zusammenarbeit nicht zu gefährden. So werden im Zeitablauf einige Unternehmen aus dem WN ausscheiden, während andere Unternehmen neu hinzukommen. Der Grund dafür liegt häufig in einer Änderung der netzwerkrelevanten Ziele, oder es sind geänderte Rahmenbedingungen zur Zielerreichung zu schaffen. Dabei kann zwischen einem freiwilligen und einem zwangsläufigen Ausscheiden unterschieden werden. Unternehmen scheiden freiwillig aus dem WN aus, wenn für sie ein geringer Nutzen aus der Zusammenarbeit resultiert oder permanente Konfliktsituationen vorliegen (vgl. Belzer 1993, S. 210). Ein zwangsläufiges Ausscheiden erfolgt dann, wenn erkannt wird, dass das Kooperationsprofil eines bestimmten Unternehmens nicht mehr in das WN passt. Ausschlusskriterien müssen jedenfalls bereits im Stadium der Kooperationsvereinbarung berücksichtigt werden (vgl. Liebhart 2002, S. 322). Einen weiteren Grund für die zwangsläufige Beendigung einer Wertschöpfungspartnerschaft liegt in der Entscheidung des OEMs begründet, gewisse Wertschöpfungsanteile in Zukunft an andere Partner zu vergeben oder nicht mehr fremd zu beziehen, sondern zukünftig selbst zu erstellen. Wenn einzelne Unternehmen aus dem WN ausscheiden, ist insbesondere auf eine missbräuchliche Verwendung von erlangten Wettbewerbskompetenzen zu achten. Dazu sind im Vorfeld der Kooperation geeignete Regelungen vorzusehen.
Bewertung, Auswahl und Entwicklung relevanter Partnerunternehmen
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Entwicklung einer Methodik zur Partnerbewertung und -auswahl bei der Bildung strategischer Wertschöpfungsnetzwerke
Bei der Auswahl geeigneter Partnerunternehmen für die Bildung eines strategischen WN müssen Zulieferer, Dienstleister und Absatzorganisationen analysiert und bewertet werden. Dabei sind neben den Kompetenzprofilen der Unternehmen auch die Arten der angestrebten Geschäftsbeziehungen zu berücksichtigen. Als potentielle WP kommen Entwicklungspartner, Teilefertiger, Produktionsspezialisten, Systemlieferanten, Logistikdienstleister sowie Absatzorganisationen in Frage. Jene Unternehmen, bei denen ähnliche Probleme vorliegen, die kompatible Strukturen und Kulturen aufweisen und über komplementäre Ressourcen verfügen, gelten als besonders aussichtsreiche Kandidaten für eine enge Zusammenarbeit.
3.1 Identifikation relevanter Geschäftsbeziehungen innerhalb des Wertschöpfungsnetzwerkes Zur Auswahl geeigneter Netzwerkpartner sind in einem ersten Schritt strategische Analysen zur Bestimmung des Status Quo erforderlich (vgl. Winkler 2005, S. 211). Diese Analysen sollen i. d. R. ausgehend vom fokalen Unternehmen erfolgen. Ziel ist es, die wesentlichen Geschäftsbeziehungen rund um das fokale Unternehmen zu untersuchen. Dies betrifft sowohl die physischen Beziehungen des Material- und Güterflusses, als auch die damit verbundenen Informations- und Geldflüsse. Durch die Analyse der Geschäftsbeziehungen wird die notwendige Transparenz innerhalb der bestehenden Netzwerkstrukturen geschaffen. Darüber hinaus lassen sich kritische Bereiche, Engpässe und fehleranfällige Beziehungen innerhalb des Netzwerkes identifizieren (vgl. Höbig, Klein 2000, S. 41). Auf Basis der bestehenden Netzwerkbeziehung sind in einem ersten Schritt jene Unternehmen zu analysieren und zu bewerten, mit denen bereits über einen bestimmten Zeitraum Geschäftsbeziehungen bestehen. Die Leistungsfähigkeit dieser Unternehmen ist aufgrund der bereits gemachten Erfahrungen gut einschätzbar.
3.2 Untersuchung der Geschäftsbeziehungen mit ABCund RSU-Analysen In einem ersten Schritt sind die bestehenden Geschäftsbeziehungen zwischen dem fokalen Unternehmen und den jeweiligen Partnerunternehmen nach objektiven wirtschaftlichen Kriterien wie der Intensität und Kontinuität der materiellen Austauschbeziehungen zu analysieren. Dieser erste Analyseschritt verfolgt das Ziel, jene Partner zu identifizieren, die gegenwärtig in großem Umfang zur Wertschöp-
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fungsgestaltung beitragen und mit denen auch in Zukunft eine umfassende Zusammenarbeit angestrebt und/oder bereits vereinbart ist. Es handelt sich somit um jene Partnerunternehmen, die aufgrund ihres Wertschöpfungsbeitrags eine strategische Schlüsselposition für das fokale Unternehmen einnehmen. Zur Ermittlung dieser strategisch relevanten Partnerunternehmen sind die einzelnen Unternehmen nach ihrem Wertschöpfungsbeitrag und somit nach ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für den OEM zu klassifizieren. Als zweckmäßige Klassifizierungskriterien schlagen wir dabei die Intensität, das Volumen und die Kontinuität der physischen und monetären Austauschbeziehungen zwischen dem OEM und den jeweiligen Partnerunternehmen vor. Bezugswerte und -mengen, Absatzvolumina, Umsätze, Warenbewegungen, Zugriffshäufigkeiten etc. sind ihrer Ausprägung nach zu bestimmen, um die vorliegenden Geschäftsbeziehungen möglichst realitätsnah abzubilden. Zur Ermittlung brauchbarer Ergebnisse sind dabei möglichst nachvollziehbare Verfahren einzusetzen. Wir schlagen vor, sowohl beschaffungs- als auch absatzseitig auf das klassische Instrument der ABC-Analyse zurückzugreifen. Die ABC-Analyse stellt eine einfache und zweckdienliche Methode zur Klassifizierung von Gütern und/oder gesamten Unternehmen dar. Mit Hilfe der ABCAnalyse werden Warenbewegungen, Umsätze, Bestell- und Lieferhäufigkeiten etc. einer bestimmten Zeitperiode erfasst. Die zugrunde liegenden Beschaffungsobjekte, Dienstleistungen, Absatzprodukte etc. werden anschließend entsprechend den Ausprägungen der zugrunde liegenden Bewertungsgrößen den drei Werteklassen A, B und C zugeordnet und somit absteigend sortiert. Grundvoraussetzung für die Anwendung der ABC-Analyse ist das Vorhandensein einer umfassenden Datenbasis. Von Bedeutung sind dabei vor allem Daten aus den Bereichen des Rechnungswesens, der Beschaffung, der Produktion, des Absatzes sowie der Logistik. Im Falle des Vorliegens eines ERP-Systems sind die benötigten Daten mit relativ geringem Aufwand auf Basis häufig vordefinierter Auswertungen bereitzustellen. Wir empfehlen ABC-Analysen sowohl vergangenheitsorientiert, auf Grundlage von Vergangenheitsdaten, als auch zukunftsgerichtet, für einen repräsentativen Planungszeitraum, basierend auf Forecastdaten durchzuführen. Durch diese Vorgehensweise werden jene Unternehmen ermittelt, mit denen bereits längerfristig Geschäftsbeziehungen bestehen und die auch in Zukunft wesentlich zur Wertschöpfungsgestaltung des fokalen Unternehmens beitragen. Absatzseitig ist der realisierte sowie der zu erwartende Umsatz mit dem jeweiligen Partner als Maßgröße heranzuziehen. Beschaffungsseitig stellen das vergangene sowie in Zukunft geplante Beschaffungsvolumen und dessen Beschaffungswert pro Lieferant eine repräsentative Größe dar. Die Daten zur Analyse der zukünftigen Geschäftsbeziehungen sind den jeweiligen Planungssystemen des OEM zu entnehmen. Der Prozess der Datengewinnung und -analyse wird auch hier durch das Vorhandensein eines ERP-Systems erheblich vereinfacht. Grundsätzlich sind in einem WN stetige und unstetige Geschäftsbeziehungen zu unterscheiden. Eine stetige Geschäftsbeziehung betrifft z. B. die regelmäßige Versorgung des OEM mit Bauteilen desselben WP. Unstetigkeiten innerhalb der
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Geschäftsbeziehungen zwischen dem OEM und den WP werden vor allem bei auftragsorientierten Netzwerkstrukturen und im C-Teile-Bereich im Falle häufiger Lieferantenwechsel zu beobachten sein. Auch die Einbindung eines Entwicklungspartners stellt beispielsweise eine unstetige Geschäftsbeziehung dar, da diese in der Regel nur über den projektbezogenen Zeitraum der Produktneuentwicklung besteht. Unstetigkeiten innerhalb der Geschäftsbeziehungen zwischen dem OEM und den einzelnen WP sind durch Gegenüberstellung der Leistungsvolumina aus der Analyse der Vergangenheitsdaten und den Forecastdaten ersichtlich. Als zweckmäßiges Instrument zur Ermittlung der Stetigkeit oder Unstetigkeit der Geschäftsbeziehungen zu den einzelnen WP empfehlen wir die RSU (XYZ)Analyse heranzuziehen. Mit Hilfe der RSU-Analyse wird die Regelmäßigkeit bei der Beschaffung von Bezugsobjekten und/oder Dienstleistungen sowie dem Absatz von Produkten und/oder Dienstleistungen festgestellt. Ähnlich wie bei der ABC-Analyse sind die analysierten Beschaffungsobjekte, Dienstleistungen, Absatzprodukte etc. einer der drei Werteklassen, hier R, S und U, zuzuordnen. R steht dabei für einen konstanten Bezug und/oder Absatz von Gütern und/oder Dienstleistungen, wobei Schwankungen eher selten auftreten. S kennzeichnet einen Bezug und/oder Absatz, der stärkeren Schwankungen unterliegt, während U völlig unregelmäßig beschaffte und/oder abgesetzte Güter und/oder Dienstleistungen bezeichnet. Die Buchstaben R, S und U dienen somit als Indikator für die Stetigkeit oder Unstetigkeit der Geschäftsbeziehungen zu den einzelnen WP. Im Falle des Vorliegens von Unstetigkeiten innerhalb der Geschäftsbeziehungen sind Detailanalysen vorzunehmen, mit denen die Ursachen für Abweichungen festzustellen sind. Dazu hat eine detaillierte Betrachtung der Geschäftsentwicklung mit dem jeweiligen WP zu erfolgen. Diese Detailanalysen sind durch Befragungen von Managern aus den Bereichen Einkauf, Verkauf und Logistik und Key Account Managern des OEMs sowie der einzelnen Partnerunternehmen zu fundieren. Durch diese Befragungen ist die Art der bisherigen Zusammenarbeit sowie die beabsichtigte strategische Entwicklung der Partnerschaft besser abzuschätzen. Als Ergebnis dieser Analysen gehen jene Lieferanten, Absatzorganisationen und andere WP hervor, die sowohl in der Vergangenheit einen kontinuierlich hohen Anteil an der Wertschöpfung eingenommen haben als auch in Zukunft einnehmen werden. Dies betrifft im Regelfall jene WP, denen im Rahmen der ABC-Analyse die Werteklasse A zugewiesen wurde. Je höher der Wertschöpfungsanteil und je höher die Werthaltigkeit der Transaktionsgüter, desto größer ist die strategische Bedeutung des jeweiligen Unternehmens, welches sie liefert bzw. abnimmt. Jedoch sind auch WP der Werteklasse B oder C in die Betrachtung zu integrieren, sofern diese eine besondere strategische Bedeutung für die Wertschöpfungsgestaltung einnehmen. Hierbei kann es sich beispielsweise um Lieferanten handeln, die kritische Teile liefern, für die keine Substitute vorhanden sind. Andere Netzwerkpartner, wie Dienstleister und/oder Entwicklungspartner, sind anhand ihrer strategischen Bedeutung für den OEM gesondert zu beurteilen. Hierzu sind beispielsweise Leistungsbenchmarks einzusetzen. Dadurch sollen die von bestehenden WP
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bezogenen Leistungen, wie die Konstruktionsleistung eines Entwicklungspartners, mit vergleichbaren Leistungen alternativer Anbieter anhand ausgewählter Vergleichskriterien gebenchmarkt werden. Für Geschäftsbeziehungen mit CLieferanten ist eine partnerschaftliche Zusammenarbeit im Sinne einer Kooperation zumeist nicht anzustreben und daher unzweckmäßig.
3.3 Klassifizierung der Partnerunternehmen mit Hilfe einer Kooperationsmatrix Trotz fundierter Analysen der Geschäftsbeziehungen zwischen dem OEM und einzelnen Partnerunternehmen ist eine endgültige Auswahl der strategisch relevanten WP zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu treffen. Eine Auswahl der Partner über rein wirtschaftliche Kriterien, wie die Menge und Werthaltigkeit der Transaktionsgüter, ist unzureichend. Die bei der Analyse der Geschäftsbeziehungen vorgenommene Klassifizierung der Partnerunternehmen ist jedoch eine notwendige Voraussetzung, um die Anzahl der in Frage kommenden Unternehmen und somit die Komplexität innerhalb des WN zu reduzieren. Neben einer überwiegend auf leistungsbezogenen Kriterien basierenden Erstauswahl ist es notwendig, die Art und den Umfang der gegenwärtigen Kooperationsbeziehungen zu den potentiellen WP zu beurteilen und zu bewerten. Dazu ist ebenfalls eine methodische Vorgehensweise erforderlich, mit deren Hilfe eine systematische Beurteilung und Bewertung des gegenwärtigen Kooperationsprofils der einzelnen vorselektierten WP möglich ist. In einem ersten Schritt ist zu definieren, was in dem angestrebten strategischen WN konkret unter Kooperation verstanden wird. Ein einheitliches Begriffsverständnis zwischen allen Netzwerkpartnern dient als Voraussetzung, um in einem weiteren Schritt zu beurteilen, mit welchen der über wirtschaftliche Kriterien vorselektierten Unternehmen bereits eine Kooperation besteht und wie diese ausgeprägt ist. Wir definieren Kooperation als freiwillige (also jederzeit einseitig kündbare), explizit vereinbarte, zielgerichtete, aktive, partnerschaftliche und in der Regel langfristige Zusammenarbeit zweier oder mehrerer rechtlich unabhängiger Akteure (vgl. Wohlgemuth 2002, S. 11 ff.). Das Vorherrschen oder Zustandekommen einer Kooperation ist von zwei zentralen Dimensionen abhängig. Dabei handelt es sich um die Kooperationsbereitschaft (Wollen) sowie um die Kooperationsfähigkeit (Können) (vgl. Wojda et al. 2006, S. 33; Schwinger, Wäscher 2006, S. 391). Beide Größen stellen bedeutende Erfolgsdeterminanten für die partnerschaftliche Zusammenarbeit im WN dar. Zur Bestimmung der Kooperationsbereitschaft ist zu erheben, inwieweit der jeweilige Partner bereit ist, die Zusammenarbeit über das vereinbarte Leistungs-/Auftragsziel hinweg zu intensivieren und mit entsprechendem Engagement im WN mitzuwirken (vgl. Wojda et al. 2006, S. 34). Hierbei ist auch der Wille der Führungsverantwortlichen des jeweiligen Unternehmens zur Kooperation einzuschät-
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zen. Darunter fallen beispielsweise die Bereitschaft gemeinsame Investitionen zu tätigen, eine gemeinsame Zielbildung durchzuführen, gemeinsam Strategien zu entwickeln und umzusetzen sowie eine Risikoteilung vorzunehmen. Anhaltspunkte hierfür liefern z. B. Erfahrungen aus früheren Kooperationsaktivitäten mit dem jeweiligen Partner. Auf Lieferantenseite stellen beispielsweise die Lieferflexibilität und die Lieferbereitschaft wesentliche Kriterien zur Beurteilung der Kooperationsbereitschaft dar. Die Frage lautet hier, inwieweit ein Lieferant bereit ist, im Falle von Kapazitätsengpässen oder Zusatzaufträgen zu liefern und somit das Netzwerkunternehmen gegenüber Abnehmern außerhalb des Netzwerks zu bevorzugen. Ein Kriterium zur Bewertung der Kooperationsbereitschaft auf der Absatzseite ist z. B. die Bereitschaft der jeweiligen Absatzorganisation, Waren und/oder Dienstleistungen eines Unternehmens über den bereits vereinbarten Zeitraum hinweg zu vertreiben. Eine Beurteilung der Kooperationsbereitschaft der Abnehmer ist z. B. von den jeweiligen Kundenbetreuern des OEM vorzunehmen, welche den Kunden aufgrund bisheriger Erfahrungen am ehesten einschätzen können. Es sind geeignete Kriterienkataloge zur Verfügung zu stellen, die eine möglichst objektive Bewertung der Kooperationsbereitschaft der einzelnen WP ermöglichen. Unter dem Begriff der Kooperationsfähigkeit lassen sich alle technischen, personellen, organisatorischen und kulturellen Voraussetzungen eines Unternehmens subsumieren, welche zur Bildung und Durchführung einer Kooperation notwendig sind (vgl. Schwinger, Wäscher 2006, S. 391). Die Kooperationsfähigkeit ist ein Maß für die Ressourcenstärke, die Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie das Knowhow des spezifischen Partners hinsichtlich der jeweiligen Wertschöpfungsaktivitäten, die er im Rahmen der Kooperation zu erfüllen hat (vgl. Brouthers et al. 1995, S. 19). Zur Bewertung der Kooperationsfähigkeit ist ebenfalls ein adäquates Scoring-System in Form von Kriterienkatalogen zu entwickeln. Zur Erreichung eines möglichst umfassenden Bildes des jeweiligen WP sollten die Kriterienkataloge mehrdimensional angelegt sein (vgl. Wohlgemuth 2002, S. 261). Das Niveau an Kooperationsbereitschaft und Kooperationsfähigkeit ist entweder quantitativ zu ermitteln oder mit Hilfe einer Bewertungsskala qualitativ abzuschätzen. Durch Ermittlung der vorhandenen Ausprägung der beiden Größen für die einzelnen WP lässt sich der jeweilige Partnertyp ermitteln. Zur Einordnung und besseren Veranschaulichung der einzelnen Partnertypen haben wir eine 4Felder-Matrix entwickelt. Die Position des jeweiligen WP im Kooperationsportfolio ergibt sich aus der Summe der Punktezahlen der einzelnen bewerteten und gewichteten Kriterien, die den beiden Dimensionen zugrunde liegen. Die in diesem Portfolio dargestellten Kreise stellen die einzelnen WP dar. Der Durchmesser der Kreise gibt beispielsweise deren Anteil am Gesamtbeschaffungs- bzw. -absatzwert einer Periode an. In der nachfolgenden Abb. 3 ist ein Kooperationsportfolio mit vier beispielhaft positionierten Partnerunternehmen dargestellt.
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Abb. 3: Kooperationsportfolio zur Partnerklassifizierung
Damit bei einer großen Anzahl an WP nicht die Übersicht verloren geht, sind sowohl für die Lieferanten- und Absatzseite, als auch für alle zusätzlich beteiligten Unternehmen separate Portfolios anzulegen.
3.4 Empfohlene Vorgehensweise zur Bestimmung des Kooperationsprofils ausgewählter Partner Sowohl für die Kooperationsbereitschaft, als auch für die Kooperationsfähigkeit sind Kriterienkataloge zu erstellen. Darin sind die relevanten Kriterien zur Bewertung der beiden Dimensionen anzuführen. Neben objektiv messbaren Kriterien sind auch qualitative Bewertungskriterien heranzuziehen (vgl. Wojda et al. 2006, S. 33 ff.). Dies ist notwendig, da beide Dimensionen wesentlich durch qualitative Faktoren bestimmt werden. So sind ein gutes Vertrauensverhältnis und Offenheit zwischen den Partnern eine Grundvoraussetzung für eine intensive und partnerschaftliche Zusammenarbeit. Messbare Faktoren zur objektiven Beurteilung des vorhandenen Niveaus an Vertrauen und Offenheit sind jedoch nur schwer abzuleiten. Zur Ermittlung der Bewertungskriterien empfehlen wir Workshops mit Vertretern aus dem fokalen Unternehmen und Vertretern der ausgewählten Partnerunternehmen durchzuführen. Die einzelnen Vertreter sollen dabei aus jenen Funktionsbereichen der betroffenen Unternehmen stammen, die direkt von einer Intensivierung der Zusammenarbeit betroffen sind. Ziel dieser Workshops ist es, eine kollektive Kriterienfindung und -bildung zu erreichen. Eine gemeinsame Erarbeitung und Abstimmung der Kriterien ist deshalb wichtig, da die Kriterien zur Positionie-
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rung der Unternehmen in der Kooperationsmatrix und später zur laufenden Beurteilung des Grads an Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit des jeweiligen Partners heranzuziehen sind. Aufgrund der häufig weltweiten Ausdehnung von WN, wird es selten möglich sein, Vertreter aller relevanten WP für einen Workshop zu versammeln. In diesem Falle schlagen wir vor, die Kriterien mit Hilfe von Fragebögen zu erheben, abzustimmen und zu gewichten. Der OEM hat hierzu bereits im Vorfeld Kriterienkataloge durch interne Workshops zu erstellen. Diese Kriterienkataloge repräsentieren die für den OEM relevanten Kriterien und bilden die Grundlage der Fragebögen. Die vorgegebenen Kriterienkataloge sind von den jeweiligen Partnerunternehmen auf Basis der eigenen Vorstellungen abzustimmen. Obwohl diese Vorgehensweise aufgrund des erhöhten Koordinationsbedarfs mit einem zeitlichen und personellen Mehraufwand verbunden ist, stellt sie dennoch eine relativ einfache und zweckdienliche Alternative zur Durchführung von gemeinsamen Workshops dar. Partner, mit denen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine Kooperation besteht, eine Intensivierung der Zusammenarbeit aber als viel versprechend angesehen wird, sind mit Hilfe der vom OEM erstellten Kriterienkataloge hinsichtlich ihrer Eignung zur Aufnahme in das strategische WN zu beurteilen. Eine Beurteilung mit diesen Kriterienkatalogen liefert entscheidungsrelevante Informationen zur Eignung neuer Partner für das strategische WN. Erfolgt die Aufnahme eines neuen Partners in das strategische WN, sind die Beurteilungskriterien mit diesem abzustimmen und gegebenenfalls anzupassen. Dies ist z. B. dann notwendig, wenn der Partner Kooperationsziele verfolgt, die von den bisherigen abweichen. Eine Anpassung der Kriterienkataloge ist auch ohne die Aufnahme neuer Partner von Zeit zu Zeit erforderlich, da sich die Kriterien aufgrund veränderter Rahmenbedingungen und Anforderung an die jeweiligen Kooperationsbeziehungen im Zeitablauf ändern. Nachdem die Bewertungskriterien identifiziert und in Kriterienkatalogen zusammengefasst sind, ist eine Gewichtung derselben vorzunehmen. Dies ist notwendig, da nicht alle Kriterien in gleichem Ausmaße Auswirkung auf die Ausprägung der jeweiligen Dimension haben. Die Gewichtung der Kriterien hat, wie auch schon zuvor die Kriterienidentifikation, im Kollektiv zu erfolgen. Tab. 1 und 2 geben einen Überblick über ausgewählte Kriterien, die zur Beurteilung der Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft von WP zweckmäßig heranzuziehen sind.
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Kriterien
Bezeichnung
K1
Behindern sprachliche, kulturelle und/oder fachliche Barrieren der Kommunika-
Kommunikationsfähigkeit tion die Zusammenarbeit?
Kooperationserfahrung/-routine K2
Verfügt das Partnerunternehmen über gewisse Standards/Routinen der Zusammenarbeit? Hat das Partnerunternehmen Erfahrung mit Kooperationen?
Systeme zum Datenaustausch/Informationssysteme K3
Benutzt das Partnerunternehmen Standards hinsichtlich des Datenaustausches sowie der Informationssysteme (Internet, Electronic Data Interchange (EDI), etc.)?
Flexibilität K4
Besitzt das Partnerunternehmen die Fähigkeit, sich rasch auf geänderte Anforderungen und Gegebenheiten einzustellen?
Finanzielle Ressourcenausstattung des Kooperationspartners K5
Verfügt das Partnerunternehmen über ausreichende finanzielle Ressourcen, beispielsweise für die Tätigung von kooperationsbezogenen Investitionen?
K6
…
Tab. 1: Ausgewählte Kriterien zur Beurteilung der Kooperationsfähigkeit von Wertschöpfungspartnern Kriterien
Bezeichnung Positive Grundeinstellung/Interesse des Management zur Kooperation
K1
Hat das Partnerunternehmen gegenüber Kooperationen eine positive Grundeinstellung? Besteht auch das Interesse zu kooperieren?
Bereitschaft zur Risikoteilung K2
Ist das Partnerunternehmen bereit, etwaige negative Auswirkungen der Kooperation (personeller Mehraufwand, erhöhte Transaktionskosten etc.) in Kauf zu nehmen? Ist das Partnerunternehmen bereit, Risiken zu teilen?
Bereitschaft zur Tätigung gemeinsamer Investitionen K3
Ist das Partnerunternehmen bereit, Investitionen zur Verbesserung der Kooperationsbeziehung zu tätigen (z. B. für moderne IuK-Technologien)?
Vertrauen K4
Stellt das Unternehmen einen vertrauenswürdigen Partner dar (z. B. hinsichtlich dem Umgang mit sensiblen Unternehmensdaten)? Bestehen konkrete Motive zum Missbrauch der Kooperation?
Kommunikationsbereitschaft K5
Ist das Partnerunternehmen zu einer offenen und vertrauenswürdigen Kommunikation bereit? Besteht im Partnerunternehmen die Bereitschaft zum offenen Daten- und Informationsaustausch?
K6
…
Tab. 2: Ausgewählte Kriterien zur Beurteilung der Kooperationsbereitschaft von Wertschöpfungspartnern
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Anhand der zuvor identifizierten und gewichteten Kriterien ist in einem weiteren Schritt eine jeweils bilaterale Beurteilung des vorliegenden Kooperationsniveaus zwischen dem OEM und seinen WP vorzunehmen. Auch hierzu bietet sich eine auf Fragebögen gestützte Vorgehensweise an. Jedes Partnerunternehmen ist dabei vom OEM separat zu beurteilen, während umgekehrt jedes Partnerunternehmen eine Beurteilung des OEM vorzunehmen hat. Durch Auswertung der Bewertungen sind die einzelnen Unternehmen innerhalb der Kooperationsmatrix zu positionieren. Die jeweilige Position im Kooperationsportfolio ergibt sich aus der Summe der Punktezahlen der einzelnen bewerteten und gewichteten Kriterien. Die Ergebnisse der Bewertungen sind den Partnerunternehmen zugänglich zu machen und auch ihre Position innerhalb der vom OEM Gesamtheit aller Wertschöpfungspartner 1. Analyse der Geschäftsbeziehungen Analyse der Intensität, des Volumens und der Kontinuität der Austauschbeziehungen (Geschäftsvergangenheit und zukünftige Geschäftsentwicklung) Beschaffungsseite Absatzseite Vergangenheit Zukunft Vergangenheit Zukunft Periodenbeschaffungswert pro Lieferant Benötigte Informationen: • Einstandspreise auf Produktebene • Periodenbezugsmengen
Geplanter Periodenbeschaffungswert pro Lieferant Benötigte Informationen: • Einstandspreise auf Produktebene • geplante Periodenbezugsmengen
Klassifizierung der beschaffungsseitigen Wertschöpfungspartner über ABC-Analyse
Periodenumsatz pro Unternehmen Benötigte Informationen: • Verkaufspreise auf Produktebene • Absatzzahlen
Erwarteter/ geplanter Periodenumsatz pro Unternehmen Benötigte Informationen: • Verkaufspreise auf Produktebene • geplante Absatzzahlen
Klassifizierung der absatzseitigen Wertschöpfungspartner über ABC-Analyse
Individuelle Bewertung der Geschäftsbeziehungen zusätzlicher Wertschöpfungspartner wie Dienstleister (z.B. über Leistungsbenchmarks)
Klassifizierung der Geschäftsbeziehung über RSU-Analysen 2. Vorselektion strategisch relevanter Wertschöpfungspartner
3. Analyse der Kooperationsprofile der vorselektierten Wertschöpfungspartner Beschaffungsseite • Bewertung der Wertschöpfungspartner über Kriterienkataloge • Positionierung der Wertschöpfungspartner in Kooperationsportfolio
Absatzseite • Bewertung der Wertschöpfungspartner über Kriterienkataloge • Positionierung der Wertschöpfungspartner in Kooperationsportfolio
Bewertung der Kooperationsprofile zusätzlicher Wertschöpfungspartner (z.B. Dienstleister) und Positionierung in Kooperationsportfolio 4. Auswahl strategisch relevanter Wertschöpfungspartner
5. Ableitung von adäquaten Strategien zur Partnerentwicklung
Abb. 4: Methodische Vorgehensweise bei der Beurteilung und Auswahl strategisch relevanter Wertschöpfungspartner
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erstellten Portfolios muss von den Partnerunternehmen zu jedem Zeitpunkt eingesehen werden können. Mit der Erhebung der Ist-Situation wird die Grundlage zur Ableitung von Zielen und Maßnahmen zur Entwicklung und Verbesserung der Zusammenarbeit in Richtung Nutzenoptimum aller Partner und des gesamten WN geschaffen. Die durch die Offenlegung der Ergebnisse erzeugte Transparenz ermöglicht es den Partnerunternehmen, die von ihnen gesetzten Maßnahmen zur Verbesserung der Kooperationsbeziehungen zum OEM hinsichtlich ihrer Wirkung zu beurteilen. Umgekehrt ist der OEM durch die Ergebnisse aus der Bewertung seines eigenen Ist-Kooperationsprofils durch seine Partnerunternehmen in der Lage, Maßnahmen für die eigene kooperationsspezifische Entwicklung abzuleiten. Die Partnerentwicklung bei strategischen WN wird im nachfolgenden Abschnitt behandelt. Abb. 4 fasst die Vorgehensweise bei der Beurteilung und Auswahl strategisch relevanter WP zusammen.
4
Alternative Pfade für die Partnerentwicklung in strategischen Wertschöpfungsnetzwerken
Die Position im Kooperationsportfolio, die dem Ist-Kooperationsprofil des jeweiligen WP entspricht, ist der Ausgangspunkt für Maßnahmen zur strategischen Entwicklung und Befähigung der WP. Das Ziel der Partnerentwicklung ist die Erreichung einer für das WN optimalen Kooperationsbeziehung zwischen dem OEM und jedem einzelnen WP. Eine optimale Kooperationsbeziehung entspricht in unserem Kooperationsportfolio dem rechten oberen Quadranten IV. In diesem Quadranten ist sowohl eine hohe Kooperationsbereitschaft des Partners vorhanden, als auch eine hohe Kooperationsfähigkeit gegeben. Zur Erreichung des optimalen Kooperationsniveaus haben sich nicht nur die einzelnen WP aus Sicht des OEM zu entwickeln. Auch der OEM hat zielgerichtete Maßnahmen zu setzen, um sich analog den Vorstellungen seiner strategisch relevanten Partner zu verändern. Es wird eine Verbesserung der gesamten Wertschöpfungsgestaltung innerhalb des WN angestrebt. Voraussetzung für die Ableitung von Maßnahmen zur Partnerentwicklung ist die Festlegung von strategischen Zielen auf Netzwerkebene. Es genügt nicht, lediglich die einzelnen Unternehmenszielsysteme aufeinander abzustimmen. Aufgrund der realisierbaren Synergieeffekte ist es erforderlich, neue Ziele zu planen um damit effektivere und effizientere Wege der gemeinsamen Wertschöpfungsgestaltung zu schaffen (vgl. Winkler 2006b, S. 240 f.). Die nachstehende Abb. 5 zeigt mögliche Entwicklungspfade anhand beispielhaft positionierten WP.
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Abb. 5: Entwicklungspfade innerhalb des Kooperationsportfolios
Wie aus Abb. 5 ersichtlich ist, besitzt Unternehmen A sowohl eine geringe Kooperationsfähigkeit als auch eine geringe Kooperationsbereitschaft. Unternehmen A verfügt somit weder über die notwendigen Voraussetzungen zur Kooperation, noch besteht die konkrete Absicht, die Zusammenarbeit zu intensivieren. Aufgrund des hohen Anteils am Gesamtbeschaffungs- bzw. -absatzwert (ersichtlich aus der Größe des Kreises) dieses Partners ist durch die Partnerentwicklung eine Steigerung des Kooperationsnutzens zu erwarten. Eine Entwicklung des Unternehmens A in den rechten oberen Quadranten (grau schraffiert) ist nur möglich, wenn in einem ersten Schritt die erforderliche Bereitschaft zur Kooperation aufgebaut wird (Entwicklungspfad 1). Die Herstellung der Bereitschaft für eine intensive Zusammenarbeit wird insbesondere bei Partnern mit großer Machtposition und unabhängiger Marktstellung Probleme aufwerfen. Eine Substitution dieser Partner ist aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit und mangelnder Ersatzprodukte und/oder -dienstleistungen häufig nicht möglich. Auch die mit einem Wechsel verbundenen, zumeist sehr hohen Wechselkosten, sprechen häufig für eine Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen. In diesem besonderen Falle ist die Interessensfrage des Partners an einer Kooperation zu klären und eine adäquate Kooperationsbeziehung herzustellen. Bei einem WP, wie dem Unternehmen B, der bereits konkrete Kooperationsmotive und -absichten, wie den Zugang zu spezifischem Know-how oder eine ImageSteigerung hat, ist die Kooperationsfähigkeit kontinuierlich auszubauen (Entwicklungspfad 3). Gleiches gilt für Unternehmen, die sich von der Ausgangsposition im Quadranten I durch Erhöhung der Kooperationsbereitschaft bereits in den Quadranten II entwickelt haben. Eine Erhöhung der Kooperationsfähigkeit erfordert eine Weiterentwicklung und/oder Erweiterung der vorhandenen Ressourcen
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durch z. B. gemeinsame Investitionen. Ein Beispiel für das Unternehmen B ist ein Klein- oder Mittelunternehmen, das nicht über die notwendige Finanzkraft verfügt, die erforderlich wäre, um die eigene Position zu verbessern. Eine Aufrechterhaltung und/oder Intensivierung der Kooperationsbeziehung ist aus Sicht des OEMs jedoch aufgrund des hohen Innovationsgrades der Produkte und/oder Dienstleistungen dieses Unternehmens erstrebenswert. In jedem Falle ist zuerst die Bereitschaft zur Kooperation sicherzustellen. Ist beim WP die notwendige Intention zur Gründung oder Aufrechterhaltung einer Kooperation nicht vorhanden, sind jegliche Bestrebungen zur Steigerung der Kooperationsfähigkeit, wie das Tätigen von gemeinsamen Investitionen, nutzlos und stellen allenfalls sunk costs dar. Die Kooperationsbereitschaft ist durch das Schaffen von Anreizen z. B. den Zugang zu spezifischem Know-how und Ressourcen sowie der Verbesserung des Images zu erhöhen. Dazu ist ein geeignetes Anreizsystem in Form eines Cost- and Benefit-Sharing-Modells zu entwickeln, mit dessen Hilfe bereits im Vorfeld die Kosten und der Nutzen des Aufbaus oder der Intensivierung von Kooperationsbeziehungen im Rahmen eines WN abzuschätzen sind. Bei einem Unternehmen, wie dem Unternehmen C, das bereits über die notwendigen Voraussetzungen für eine Kooperation verfügt, ist ebenfalls die Kooperationsbereitschaft herzustellen (Entwicklungspfad 2). Die zuvor ausgeführten Erläuterungen zur Erhöhung der Kooperationsbereitschaft gelten hier analog. Unternehmen die sich mit ihrem Kooperationsprofil im rechten oberen Quadranten befinden (Unternehmen D), verfügen bereits über ein hohes Maß an Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft. In diesem Falle ist davon auszugehen, dass bereits eine optimale Kooperationsbeziehung vorherrscht. Die Anforderungen an die beiden Dimensionen sind jedoch keineswegs statisch, sondern ändern sich im Zeitablauf. Aus diesem Grunde ist die Bewertung des Kooperationsprofils der einzelnen WP in definierten Zeitabständen zu wiederholen. Dies gilt nicht nur für die eben beschriebene Analyse der Kooperationsbeziehungen, sondern auch für die zuvor erläuterte Analyse der Geschäftsbeziehungen. Auch ist hier die getroffene Partnervorauswahl regelmäßig zu überprüfen und in konstanten Zeitabständen oder bei Bedarf zu wiederholen, da sich sowohl die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit als auch die Geschäftsbeziehungen im Zeitablauf verändern können. Es ist anzunehmen, dass eine solche Situation vermehrt bei Auftragsfertigern eintreten wird.
5
Fazit
Durch die Konzentration auf Kernkompetenzen und der damit verbundenen zunehmenden Arbeitsteilung, der Globalisierung, dem Einsatz moderner IuKTechnologien, kürzeren Innovations- und Produktlebenszyklen sowie der hohen Wettbewerbsintensität wird die Bildung strategischer WN zunehmend bedeutsa-
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mer. Innerhalb dieser WN nehmen Original Equipment Manufacturer (OEMs) häufig eine zentrale Position ein. Dies liegt daran, dass die dislozierten Wertschöpfungsprozesse bei den OEMs zusammenlaufen und dort eine Komplettierung der Gesamtleistung erfolgt. Viele OEMs haben erkannt, dass die bislang üblichen Mechanismen der zwischenbetrieblichen Koordination in komplexen WN tendenziell an Bedeutung verlieren. Vielmehr besteht die Forderung, den gesamten Wertschöpfungsprozess gemeinsam mit den WP zu gestalten, um so die Zusammenarbeit und den Erfolg zu verbessern. Für die Bildung eines strategischen WN sind dazu in einem ersten Schritt die strategisch relevanten WP vom OEM auszuwählen. Die Auswahl geeigneter WP stellt eine zentrale Aufgabe für eine Verbesserung der Wertschöpfungserzielung dar und bestimmt somit den zukünftigen Erfolg des WN besonders stark. Wir haben in diesem Beitrag ein praktikables Konzept für die Bewertung und Auswahl strategischer WP vorgestellt. Durch fundierte Analysen der bestehenden Geschäftsbeziehungen zwischen dem fokalen Unternehmen und seinen an der Wertschöpfungsgestaltung beteiligten Partnerunternehmen, wird die notwendige Transparenz innerhalb des WN geschaffen. Als Analyseinstrumente sind dazu die ABC- sowie die RSU-Analyse einzusetzen. Mit Hilfe dieser Analysen sind die bestehenden WP anhand der Intensität, der Volumina und der Kontinuität ihrer physischen und monetären Austauschbeziehungen durch den OEM zu klassifizieren. Die getroffene Klassifizierung erlaubt eine Erstauswahl der relevanten WP nach leistungsbezogenen Gesichtspunkten. In einem weiteren Schritt sind die gegenwärtigen Kooperationsprofile der WP zu ermitteln. Dazu sind die Kooperationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft zu beurteilen. Nach der Bewertung der beiden Dimensionen werden die einzelnen Unternehmen innerhalb eines Kooperationsportfolios positioniert. Aus der Position der WP innerhalb dieses Kooperationsportfolios sind Ziele zur strategischen Entwicklung der einzelnen Partnerunternehmen abzuleiten. Aufgabe der Partnerentwicklung ist es, die Zusammenarbeit innerhalb des strategischen WN kontinuierlich zu verbessern. Damit soll das Nutzenoptimum für jeden einzelnen Partner und ein Gesamtoptimum für das WN erreicht werden. Wir haben in unserem Beitrag eine stufenweise Bewertungsmethodik vorgestellt sowie Handlungsempfehlungen für die einzelnen Bewertungsschritte aufgezeigt. Damit gelingt es, das schwierige Problem der Auswahl von Partnern zur Bildung von WN erfolgreich zu lösen.
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Gestaltungsansätze einer NetzwerkBalanced Scorecard Christoph Siepermann, Jan Vockeroth
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Problemstellung
Vor dem Hintergrund verschärfter Wettbewerbsbedingungen durch Globalisierung, steigende Kundenanforderungen, kürzere Produktlebenszyklen und zunehmende Umfelddynamik wird seit einiger Zeit die unternehmensübergreifende Gestaltung der Geschäftsprozesse und die systematische Koordination der gesamten Wertschöpfungskette vom Rohstofflieferanten bis zum Endkunden unter dem Begriff Supply Chain Management bzw. Supply Network Management intensiv diskutiert. Ein erfolgreiches Supply Chain- bzw. Netzwerkmanagement setzt seinerseits die Unterstützung durch ein wirkungsvolles Controlling voraus (vgl. z. B. Weber, Bacher, Groll 2003, S. 307). Als Controlling-Instrument wird in diesem Zusammenhang insbesondere die Balanced Scorecard (BSC) aufgrund ihrer einfachen und übersichtlichen Struktur sowie ihres hohen Bekanntheitsgrades und Implementierungsstandes in den Unternehmen als geeignet angesehen (vgl. Weber, Bacher, Groll 2002, S. 133). Das Controlling von Supply Chains bzw. Unternehmensnetzwerken stellt jedoch im Vergleich zum klassischen Unternehmenscontrolling erhöhte Anforderungen an die eingesetzten Instrumente (vgl. Schweier 2000, S. 141; Weber, Bacher, Groll 2002, S. 13), die insbesondere aus der erhöhten Dynamik, Intransparenz und Komplexität von Netzwerken im Vergleich zu einzelnen Unternehmen resultieren (vgl. Stölzle, Heusler, Karrer 2001, S. 75 ff.) und daher eine Anpassung an die spezifischen Belange des Controlling von Unternehmensnetzwerken erforderlich machen. Diese Erkenntnis hat zur Entwicklung einer Vielzahl unterschiedlichster Ansätze zum Einsatz der BSC in Netzwerken, darunter insbesondere in Supply Chains im Sinne vertikaler Kooperationen entlang der Wertschöpfungskette, geführt, die im Folgenden systematisiert und einander gegenüber gestellt werden sollen. Mögliche, für die einzelnen Perspektiven vorgeschlagene Kennzahlen werden nach Perspektiven geordnet tabellarisch zusammengestellt. Abschließend werden aus den gewonnen Erkenntnissen einige Gestaltungsempfehlungen für den Entwurf einer Netzwerk-BSC abgeleitet.
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2
Systematisierung der Gestaltungsansätze
Die in der Literatur vorgestellten Gestaltungsansätze einer Netzwerk-BSC unterscheiden sich zum einen dahingehend, ob eine BSC für • das gesamte Netzwerk, • ein einzelnes Netzwerk-Unternehmen oder • alle beide Ebenen im Sinne einer Kaskade von BSC, die darüber hinaus noch weitere Ebenen unterhalb der Gesamtunternehmensebene enthalten kann (vgl. Abb. 1), entwickelt wird. Zum anderen können die in der Literatur unterbreiteten Vorschläge nach der Art der vorgenommenen Modifikationen unterschieden werden (vgl. Bacher 2004, S. 245): • Einerseits lassen sich Autoren auffinden, welche die traditionelle BSC mit den vier klassischen Perspektiven übernehmen und diese durch unternehmensübergreifende Kennzahlen erweitern (inhaltliche Modifikation). • Andererseits existieren Vorschläge, welche darüber hinaus neue, für das Management von Unternehmensnetzwerken spezifische Perspektiven in die BSC aufnehmen, um so den spezifischen Anforderungen des unternehmensübergreifenden Kontexts besser Rechnung tragen zu können (inhaltliche und strukturelle Modifikation). Dabei handelt es sich insbesondere um die Integration gesonderter Lieferanten- und/oder Kooperationsperspektiven. Innerhalb dieser Gruppe kann weiter zwischen solchen Ansätzen differenziert werden, die le-
NetzwerkBSC
Interorganisationale Ebene
Unternehmens-BSC
Unternehmensteilbereichs-BSC (z.B. Geschäftsbereichs-BSC, Funktionsbereichs-BSC)
Intraorganisationale Ebene
Mitarbeiter-BSC
Abb. 1: BSC-Ebenen in einem Unternehmensnetzwerk (in Anlehnung an Zimmermann 2003, S. 146)
Gestaltungsansätze einer Netzwerk-Balanced Scorecard
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diglich einzelne Perspektiven hinzufügen, umgestalten oder eliminieren (partielle strukturelle Modifikation) und solchen, in denen sich die klassischen Perspektiven überhaupt nicht mehr wiederfinden (vollständige strukturelle Modifikation). Stellt man beide Systematisierungskriterien in einer Matrix gegenüber, so lassen sich die in der Literatur vorgeschlagenen Gestaltungsansätze darin wie in Tab. 1 dargestellt einordnen. Die meisten der dort aufgeführten Ansätze sind dabei auf das Management von Supply Chains, also vertikaler Kooperationen entlang der Wertschöpfungskette fokussiert. Lediglich die Vorschläge von LANGE/SCHAEFER/ DALDRUP, SCHWEIER und BORNHEIM/STÜLLENBERG schließen darüber hinaus Inhaltliche Modifikation
Inhaltliche und partielle strukturelle Modifikation
Unternehmensebene
• WERNER (2000, S. 14 ff.; 2002, S. 269 ff.) • MAYER (2002, S. 250 ff.)
• STÖLZLE/HEUSLER/ KARRER (2001, S. 80 ff.), STÖLZLE/KARRER (2002, S. 74 ff.) • BORNHEIM/STÜLLENBERG (2002) • JEHLE/STÜLLENBERG/ SCHULZE IM HOVE (2002, S. 21 ff.)
Unternehmensübergreifende Ebene
• BREWER/SPEH (2000; 2001)
• ACKERMANN (2003, S. 299 ff.) • PAMPEL (2002, S. 714 ff.) • SCHWEIER (2000, S. 145)
Beide Ebenen (Kaskade)
• HANDFIELD/ • WEBER/BACHER/ GROLL NICHOLS (1999, (2002, S. 137ff.; 2003, S. 317 ff.) S. 63 f.) • LANGE/SCHAEFER/ • ERDMANN (2003, S. 177 ff.) DALDRUP (2001, • RICHERT (2006, S. 77 ff.) S. 81 ff.) • ZIMMERMANN (2003, S. 123 ff.)
Keine (eindeutige) Zuordnung
• KUMMER (2001, S. 86)
• JEHLE (2005, S. 90 ff.)
Inhaltliche und vollständige strukturelle Modifikation
• OTTO (2002, S. 376 ff.)
• DREWS (2001, S. 159 ff.)
Tab. 1: Gestaltungsansätze einer SC- bzw. Netzwerk-BSC im Überblick
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Christoph Siepermann, Jan Vockeroth
auch horizontale Kooperationen mit ein und beziehen sich damit auf Unternehmensnetzwerke allgemein, wobei sich die Ausführungen von SCHWEIER und BORNHEIM/STÜLLENBERG wiederum auf logistische Netzwerke beschränken. JEHLE/STÜLLENBERG/SCHULZE IM HOVE grenzen zwar Supply Chains von Logistiknetzwerken ab (vgl. Jehle, Stüllenberg, Schulze im Hove 2002, S. 19), benutzen aber die Begriffe Supply Chain und Netzwerk in ihren weiteren Ausführungen offenbar synonym, so dass keine eindeutige Aussage über den Anwendungskontext des Konzepts getroffen werden kann. Einen Sonderfall stellen die Ansätze von PAMPEL und DREWS dar. Sie betrachten ausschließlich bilaterale Kooperationen und damit lediglich einen Ausschnitt einer Supply Chain bzw. eines Unternehmensnetzwerks. Während die von PAMPEL für die Kooperation zwischen Abnehmer und Zulieferer vorgeschlagene BSC für die gemeinsame Nutzung durch beide Kooperationspartner konzipiert und daher in Tab. 1 der unternehmensübergreifenden Ebene zuzuordnen ist, kann das von DREWS auf Basis der BSC entwickelte Kooperationskennzahlensystem sowohl von den Kooperationsunternehmen getrennt als auch gemeinsam genutzt werden und lässt sich daher nicht eindeutig in die durch die beiden o. a. Unterscheidungskriterien aufgespannte Matrix von Tab. 1 einordnen. Ebenso lassen die Ausführungen von KUMMER und JEHLE keine eindeutige Zuordnung ihrer Konzepte zu einer der genannten Ebenen zu. Im Folgenden werden die Gestaltungsansätze im Einzelnen vorgestellt. Im Vordergrund steht dabei die Perspektivenwahl.
3
Gestaltungsansätze für die Unternehmensebene
Der älteste Ansatz zur Integration Supply Chain-spezifischer Aspekte in eine unternehmensbezogene BSC stammt von WERNER. Kern des Vorschlags ist eine Erweiterung der Kundenperspektive um Lieferantenaspekte und deren Umbenennung in Marktperspektive, was allerdings in der Literatur noch nicht als grundlegende strukturelle Änderung angesehen wird (vgl. Weber, Bacher, Groll 2002, S. 136). Das Fehlen unternehmensübergreifender Kennzahlen lässt die Eignung des Konzepts zur Unterstützung des Supply Chain Management jedoch fraglich erscheinen (vgl. Richert 2006, S. 69). Ebenfalls nicht als strukturelle Änderung anzusehen ist die Umbenennung der Lern- und Entwicklungsperspektive in Potenzialperspektive in dem von MAYER auf Basis seiner Beratungserfahrungen konstruierten Praxisbeispiel, mit Hilfe dessen er die Eignung der BSC zur Steuerung von Wertschöpfungsketten durch Integration geeigneter unternehmensübergreifender Kennzahlen in eine ansonsten unternehmensbezogene BSC demonstriert.
Gestaltungsansätze einer Netzwerk-Balanced Scorecard
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Sehr wohl als strukturelle Modifikation anzusehen ist hingegen die von STÖLZLE/ HEUSLER/KARRER erstmals vorgeschlagene Implementierung einer separaten Lieferantenperspektive. Hintergrund des Vorschlags ist die Überlegung, dass das einzelne Unternehmen in der Supply Chain nicht nur seine internen Prozesse auf die Zufriedenheit des Kunden auszurichten hat, sondern auch die Vorleistungen seiner Lieferanten und Vorlieferanten berücksichtigen sollte. Die Einrichtung einer einzigen Marktperspektive zur Erfassung von kunden- und lieferantenspezifischen Kennzahlen, wie sie von WERNER vorgeschlagen wird, erachten die Autoren aufgrund der zum Teil sehr heterogenen Ziele der Unternehmen bezüglich ihrer Kunden und Lieferanten als nicht zielführend. Ferner führen sie als weitere Begründung für die Integration einer Lieferantenperspektive an, dass es aus Gründen der Komplexitätsreduktion angebracht erscheint, die Interessen der Stakeholder stromabwärts und stromaufwärts getrennt zu berücksichtigen. Darüber hinaus lassen sich Komplexität und Intransparenz durch die separate Darstellung und durch eine nachvollziehbare grafische Aufbereitung der Ursache-WirkungsBeziehungen verringern. Weiterhin führen STÖLZLE/HEUSLER/KARRER an, dass in den meisten Unternehmen Einkauf bzw. Beschaffung und Vertrieb organisatorisch voneinander getrennt sind. Eine BSC, die separate Kunden- und Lieferantenziele beinhaltet, ermöglicht eine den unterschiedlichen Anforderungen genügende Leistungsbeurteilung und erleichtert die Verknüpfung der Kennzahlen mit den entsprechenden Anreizsystemen. Konkrete Messgrößen für die Lieferantenperspektive werden jedoch nicht genannt. Die Einführung der Lieferantenperspektive bezieht sich auf die Ebene des einzelnen Kettenglieds. In Bezug auf die Ausgestaltung einer über alle Akteure integrierten BSC halten die Autoren eine Beschränkung auf die Finanz-, Prozess- sowie Lern- und Entwicklungsperspektive für denkbar; die zur Steuerung der jeweiligen Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen notwendigen Lieferanten- und Kundenperspektiven sollen auf der Ebene der einzelnen Akteure verbleiben. Weitergehende Hinweise zur Gestaltung einer solchen akteursübergreifenden Scorecard werden allerdings nicht gegeben, weshalb der Vorschlag hier auch nicht zu den mehrere Ebenen umfassenden Konzepten gezählt wird. BORNHEIM/STÜLLENBERG bewerten den Vorschlag der Integration einer Lieferantenperspektive, wie ihn STÖLZLE/HEUSLER/KARRER gemacht haben, als durchaus richtigen Ansatz, der jedoch den Untersuchungsgegenstand auf die Kooperationen mit Lieferanten und damit die Anwendbarkeit der BSC einengt. Um neben Kooperationen mit Lieferanten z. B. auch Distributionskooperationen abbilden zu können, schlagen die Autoren die Ergänzung der klassischen Perspektiven um eine Kooperationsperspektive mit erfolgskritischen Kennzahlen zur Kooperation vor. Dadurch soll der Einfluss der kooperationsbezogenen Kennzahlen auf die Kennzahlen der übrigen Perspektiven direkt sichtbar gemacht werden, so dass die Kooperationsfähigkeit des Netzwerks unmittelbar deutlich wird. Die von den Autoren vorgenommene Umbenennung der Lern- und Entwicklungsperspektive in Innovationsperspektive hat keine materiellen Auswirkungen.
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Ebenfalls eine separate Kooperationsperspektive beinhaltet der Ansatz von JEHLE/ STÜLLENBERG/SCHULZE IM HOVE. Im Gegensatz zu BORNHEIM/STÜLLENBERG nehmen die Autoren darüber hinaus jedoch noch weitere strukturelle Modifikationen vor, indem sie zum Einen die Kundenperspektive um die Betrachtung der Konkurrenzverhältnisse erweitern und in Marktperspektive umbenennen und zum Anderen die Lern- und Entwicklungsperspektive durch die zusätzliche Berücksichtigung der ergebnisrelevanten strategischen Potenzialfaktoren zu einer Ressourcenperspektive ausbauen. Die so definierten Perspektiven korrespondieren mit den fünf wichtigsten Zielen des Supply Chain Controlling nach der Umfrage von GÖPFERT/NEHER (vgl. Göpfert, Neher 2002, S. 40): Die Finanzperspektive unterstützt das Ziel der Kostensenkung und die Ressourcenperspektive den Abbau von Material- und Warenbeständen in der Supply Chain; die Kooperationsperspektive trägt zur Abmilderung des Bullwhip-Effekts durch Synchronisation von Angebot und Nachfrage bei; die Verkürzung der Durchlaufzeit wird durch die Prozessperspektive und die Verbesserung der Liefertermintreue durch die Marktperspektive abgedeckt.
4
Gestaltungsansätze für die unternehmensübergreifende Ebene
Unternehmensübergreifende Kosten- und Leistungskennzahlen für eine Supply Chain-weite BSC wurden erstmals von BREWER/SPEH erarbeitet. Das von den Autoren entworfene Supply Chain BSC Framework basiert dabei auf den vier klassischen Perspektiven und ist somit als rein inhaltliche Modifikation der klassischen BSC anzusehen. Eine strukturelle Modifikation beinhaltet dagegen der Vorschlag von ACKERMANN. Der Autor übernimmt die von STÖLZLE/HEUSLER/KARRER erarbeitete Struktur der BSC, wendet sie aber auf eine über alle Supply Chain Partner integrierte BSC an. Die Lieferantenperspektive bildet dann die Beziehungen zu den Lieferanten außerhalb der Supply Chain-Kooperation ab und die Kundenperspektive beschränkt sich auf die Abbildung der Endkundenbeziehungen. Innerhalb der Perspektiven sollen möglichst unternehmensübergreifende Kennzahlen Verwendung finden. Die angegebenen Beispiele sind den Überlegungen von BREWER/ SPEH und STÖLZLE/HEUSLER/KARRER entnommen. Auch Pampel verwendet in seiner BSC für die Kooperation zwischen Abnehmer und Zulieferer eine Zuliefererperspektive, jedoch nicht als zusätzliche Perspektive, sondern an Stelle der Prozessperspektive. Die vorgeschlagene BSC ist von Zulieferer und Abnehmer gemeinsam zu entwickeln und zu implementieren und daher der unternehmensübergreifenden Ebene zuzuordnen. Die akteursübergreifende Balanced Scoecard von SCHWEIER sieht die Ergänzung der vier klassischen Perspektiven durch eine Kooperationsperspektive vor. Sie soll
Gestaltungsansätze einer Netzwerk-Balanced Scorecard
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dem Management zur Zielerreichung netz- bzw. kooperationsbezogene Kennzahlen in verdichteter Form zur Verfügung stellen und so Aufschluss über die Art und Qualität der Zusammenarbeit der beteiligten Unternehmen geben. Auf diese Weise sollen bestehende und entstehende Konflikte rechtzeitig transparent gemacht werden können. Dem Vorschlag von OTTO liegt schließlich eine auf der Netzwerktheorie basierende Unterteilung eines Unternehmensnetzwerks in die Partialnetze Güternetzwerk, Datennetzwerk, soziales Netzwerk und institutionales Netzwerk zugrunde. Für jedes dieser Partialnetze sieht der Autor eine eigene Perspektive vor. Die Ziele und Kennzahlen des Güternetzes stellen in Analogie zur Finanzperspektive der klassischen BSC die Endpunkte der Ursache-Wirkungs-Beziehungen dar, da mit dem Güternetz der Kundennutzen und damit auch der Gewinn erzielt wird. Die Erreichung der Ziele der anderen drei Partialnetze soll die Leistungsfähigkeit des Güternetzes sicherstellen. Konkrete Kennzahlen für die einzelnen Perspektiven nennt OTTO nicht.
5
Gestaltungsansätze für zwei und mehr Ebenen
Die ältesten Überlegungen zum Einsatz eines ganzen Systems von BSC zur Steuerung von Supply Chains stammen von HANDFIELD/NICHOLS. Sie schlagen eine aus vier Ebenen bestehende Kaskade von Scorecards vor, an deren Spitze eine Supply Chain BSC steht, gefolgt von Unternehmens-, Funktionsbereichs- und Team- bzw. Mitarbeiter-Scorecards auf den darunter liegenden Ebenen, wobei die einzelnen BSCs jeweils die vier klassischen Perspektiven umfassen. Weitergehende Ausgestaltungsvorschläge der einzelnen BSCs und ihrer Perspektiven werden nicht unterbreitet. Die Autoren führen zwar mögliche Kennzahlen zur Performance-Messung an, diese folgen aber nicht der BSC-Systematik. LANGE/SCHAEFER/DALDRUP entwickeln auf Basis der traditionellen BSC eine Netzwerk-BSC für ein Altautoentsorgungsnetzwerk, welche in Beziehung zu den von den jeweiligen Partnern intern verwendeten BSC steht und durch die Verwendung unternehmensübergreifender Kennzahlen unternehmensübergreifende Sachverhalte abbildet, ohne dabei eine strukturelle Änderung durchzuführen. Ebenso hält ZIMMERMANN die vier Perspektiven der klassischen BSC grundsätzlich zur Steuerung von Supply Chains für geeignet und ausreichend, schließt aber in Abhängigkeit von den spezifischen Anforderungen einer Wertschöpfungskette strukturelle Modifikationen der traditionellen BSC nicht aus. In seiner Arbeit präsentiert der Autor zwei konkrete Anwendungsbeispiele einer unternehmensübergreifenden, Supply Chain-bezogenen BSC mit den vier klassischen Perspektiven, die jeweils über die Akteursebene bis auf die Ebene der einzelnen Mitarbeiter heruntergebrochen werden können (vgl. hierzu auch Kohl, Zimmermann 2001,
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Zimmermann 2002; Zimmermann, von Flotow, Seuring 2003). Im Gegensatz zur Fallstudie von LANGE/SCHAEFER/DALDRUP, die mit Automobilzulieferer, -hersteller und Altauto-Entsorgungsunternehmen drei Wertschöpfungsstufen in die Betrachtung einbezieht, wird in den von ZIMMERMANN präsentierten Anwendungsfällen jeweils nur die Kooperation zwischen zwei Unternehmen aufeinander folgender Wertschöpfungsstufen abgebildet. Ein sehr detailliertes System von aufeinander abgestimmten BSCs stellen WEBER/ BACHER/GROLL vor. Im Mittelpunkt der Supply Chain-bezogenen Scorecard steht die Abbildung kooperationsbezogener Sachverhalte, für die zwei verschiedene Perspektiven vorgeschlagen werden, welche die Autoren mit „Kooperationsintensität“ und „Kooperationsqualität“ bezeichnen. Die Perspektive der Kooperationsintensität hat dabei die Aufgabe, die „harten“ Faktoren der Kooperation abzubilden. Diese Perspektive ist notwendig, um einerseits die Art und Weise und andererseits die Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen den Supply ChainPartnern zu verfolgen. Auf der Ebene der Kooperationsqualität hingegen sollen die „weichen“ Faktoren der Kooperation Berücksichtigung finden, da sie einen zentralen Einfluss auf den Erfolg der Beziehung haben. Durch sie soll erfasst werden, wie gut die Kooperation zwischen den Partnern funktioniert. Darüber hinaus enthält die vorgeschlagene BSC noch eine Finanz- und eine Prozessperspektive. Die finanzielle Perspektive soll zeigen, ob die Implementierung der Supply Chain-Strategie zur Ergebnisverbesserung beiträgt. Ferner können die Kennzahlen der Finanzperspektive Aufschluss über die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kooperation geben. Die Prozessperspektive hat die Aufgabe, diejenigen Prozesse abzubilden, die vornehmlich von Bedeutung sind, um die Ziele der finanziellen Perspektive zu erreichen. Hierzu wird die Betrachtung der Prozesse auf die gesamte Wertschöpfungskette erweitert. Eine Kunden-, Lern- und Entwicklungsperspektive sowie eine Lieferantenperspektive, wie sie von STÖLZLE/ HEUSLER/KARRER gefordert wird, finden in der Supply Chain BSC von WEBER/ BACHER/GROLL keine Berücksichtigung. Die Integration der Kundenperspektive im Sinne von Endkundenperspektive wird für nicht erforderlich gehalten, da nur das letzte Kettenglied eine Schnittstelle zum Endkunden besitzt und die Kundenbeziehung kontrolliert. Die Kundenperspektive sollte daher bei dem Unternehmen mit unmittelbarem Endkundenkontakt in der unternehmensinternen BSC Berücksichtigung finden. Ähnliches gilt für die Lern- und Entwicklungsperspektive. Eine Verbesserung in den Bereichen der Qualifizierung von Mitarbeitern, der Leistungsfähigkeit des Informationssystems sowie der Motivation und der Zielerreichung von Mitarbeitern ist in den einzelnen Unternehmen umzusetzen und sollte daher Aufnahme in die unternehmensinternen BSC finden. Das Fehlen einer Lieferantenperspektive wird damit begründet, dass Lieferantenbeziehungen innerhalb der Supply Chain in der Prozessperspektive unternehmensübergreifend abgebildet werden sollten. Inhaltlich verwenden WEBER/BACHER/GROLL ausschließlich unternehmensübergreifende Kennzahlen.
Gestaltungsansätze einer Netzwerk-Balanced Scorecard
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Die so beschriebene Supply Chain BSC baut auf einem von WEBER entwickelten System von Logistik-BSCs auf, das aus je einer BSC für die Beschaffungs-, Produktions-, Distributions- und Gesamtlogistik besteht (vgl. Abb. 2). Damit setzt die Supply Chain BSC im Modell von WEBER/BACHER/GROLL nicht auf den gesamtunternehmensbezogenen Scorecards der Akteure, sondern auf deren LogistikBSCs, d. h. auf Teilbereichs-Scorecards auf. Die Scorecards für die logistischen Teilbereiche bestehen jeweils aus einer Finanz-, Prozess-, Kunden- und Lieferantenperspektive. Die Verbindung zwischen den drei Logistik-TeilbereichsScorecards ergibt sich daraus, dass die Kundenperspektive eines vorgelagerten logistischen Teilbereichs die Belange des jeweils nachgelagerten Teilbereichs und die Lieferantenperspektive eines nachgelagerten Teilbereichs die Belange des jeweils vorgelagerten Bereichs abbildet. Auf die Integration einer Lern- und Entwicklungsperspektive wird auf dieser Ebene im Sinne einer Komplexitätsreduktion verzichtet, zumal sich hier keine nennenswerten Unterschiede zwischen den einzelnen logistischen Teilbereichen feststellen lassen. Ihre Berücksichtigung erfolgt daher erst auf der Ebene der Gesamtlogistik. Die Scorecard für die Gesamtlogistik enthält neben Finanz- und Lern- und Entwicklungsperspektive eine Koordinationsstruktur- und eine Koordinationsprozessperspektive zur Abbildung der Leistungsfähigkeit der Logistik bei der Koordination der betrieblichen Wertschöpfungsprozesse als Kernaufgabe der Logistik, wobei die Koordinationsstrukturperspektive den Koordinationserfolg über strukturelle Maßnahmen (z. B. explizite Berücksichtigung logistischer Belange bei der Produktentwicklung und -gestaltung) und die Koordinationsprozessperspektive das Ausmaß laufender Koordinationsaktivitäten misst. Da Lieferantenaspekte mit der Lieferantenperspektive der Beschaffungslogistik-BSC und die Kundenbeziehungen mit der Kundenperspektive der Distributionslogistik-BSC vollständig abgedeckt sind, kann auf diese Perspektiven auf der Ebene der Gesamtlogistik (wiederum vor dem Hintergrund der Komplexitätsreduktion) verzichtet werden (vgl. Weber 2002, S. 301 ff.). Ein noch weiter differenziertes Ebenenmodell als der Ansatz von WEBER/ BACHER/GROLL beinhaltet der Vorschlag von ERDMANN. Der Autor führt zwischen der Supply Chain- und der Unternehmensebene noch eine Supply Chain Segmentebene ein, innerhalb derer er ein Wertschöpfungs-, ein Distributions-, ein Service- und Reparatur- sowie ein Recyclingsegment unterscheidet. Unterhalb der Unternehmensebene sind noch eine Funktions- und eine Arbeitsplatzebene angesiedelt, die jedoch nicht mehr im Einzelnen betrachtet werden. Für alle Ebenen bzw. Segmente werden Scorecards mit den Perspektiven Finanzen, Kunden, Interne Geschäftsprozesse, Lernen und Wachstum sowie Kooperation entwickelt, wobei bei den Scorecards der endverbraucherfernen Segmente Wertschöpfung und Recycling nach Auffassung des Autors ggf. auf die Einrichtung der Kundenperspektive verzichtet werden kann.
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Abb. 2: System aufeinander aufbauender BSC nach WEBER/BACHER/GROLL (in Anlehnung an Weber, Bacher, Groll 2002, S. 137)
Das von RICHERT entwickelte Modell einer Supply Chain BSC ist dem Vorschlag von ERDMANN sehr ähnlich. Es sieht ebenfalls die Ergänzung der traditionellen
Gestaltungsansätze einer Netzwerk-Balanced Scorecard
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BSC-Perspektiven um eine Kooperationsperspektive vor, die im Gegensatz zur Kundenperspektive, die die Endkundenbeziehung abdeckt, die Kunden-Lieferanten-Beziehungen auf den vorgelagerten Wertschöpfungsstufen beinhaltet. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht in der vorgesehenen Kaskadierung, die allerdings sowohl hinsichtlich der zu betrachtenden Ebenen als auch in Bezug auf die Perspektiven auf den der Supply Chain-BSC untergeordneten Ebenen deutlich weniger ausführlich dargestellt wird als bei ERDMANN.
6
Gestaltungsansätze ohne eindeutige Zuordnung zu einer Ebene
Keine eindeutige Aussage über die vorgesehene(n) Anwendungesebene(n) der entwickelten BSC lassen die Ausführungen von KUMMER und JEHLE zu. KUMMER schlägt die Übernahme der klassischen BSC-Perspektiven vor, um so eine zielgerichtete Steuerung von Supply Chains zu ermöglichen. Weitergehende Ausgestaltungsvorschläge, z. B. bezüglich der Integration unternehmensübergreifender Kennzahlen, macht der Autor nicht. Die von JEHLE entwickelte wertorientierte Supply Chain BSC soll insbesondere die Operationalisierung und Umsetzung eines wertorientierten Supply Chain Managements auf der Grundlage eines modifizierten Shareholder Value-Ansatzes unterstützen. Finanz- und Prozessperspektive werden aus der traditionellen BSC übernommen und mit dem Zusatz SC für Supply Chain versehen; Kunden- sowie Lern- und Entwicklungsperspektive werden gegen eine SC-Struktur- und SCBeziehungsperspektive ausgetauscht. Die Auswahl der Perspektiven orientiert sich an den vom Autor herausgearbeiteten strategischen Erfolgsfaktoren einer Supply Chain. Die Wertorientierung schlägt sich insbesondere in der Auswahl der Kennzahlen für die Finanzperspektive (Discounted Cash Flow, Economic Value Added und Market Value Added) nieder. Einen Sonderfall stellt der Ansatz von DREWS dar. Der Autor entwickelt auf Basis der BSC ein Kooperationskennzahlensystem, das sowohl von den Kooperationsunternehmen getrennt als auch gemeinsam genutzt werden kann. Dabei werden die Finanz- und Kundenperspektive zur Kooperationserfolgsperspektive und die Prozess- sowie die Lern- und Entwicklungsperspektive zur Kooperationsaktivitätsperspektive zusammengefasst. Die Kooperationserfolgsperspektive bildet den Kooperationserfolg aus Sicht der Anteilseigner und Kunden ab und repräsentiert somit die externe Ausrichtung. Sie hat in erster Linie outputbezogene Größen (sog. Zielvariablen) zum Inhalt. Die Kooperationsaktivitätsperspektive bezieht sich auf die Ressourcen und Aktivitäten zur Gestaltung und Lenkung des Kooperationssystems und beinhaltet primär intern ausgerichtete, inputbezogene Größen (sog. Entscheidungsvariablen). Um ein ausgewogenes System zu erhalten, sollten beide Perspektiven kurz- und langfristige sowie vergangenheits- und zukunftsbe-
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zogene Kennzahlen zur Messung der Ziel- bzw. Entscheidungsvariablen integrieren. Bei der Festlegung der Kennzahlen sollten jeweils auch Variablen des Kooperationspartners einbezogen werden.
7
Zusammenfassung und Gegenüberstellung der Ansätze
Tab. 2 fasst die von den einzelnen Autoren vorgeschlagenen Perspektiven sowie die in den Modellen vorgesehenen Anwendungsebenen der BSC noch einmal zusammen. Die Tab. 3-9 zeigen die für die einzelnen Perspektiven vorgeschlagenen Kennzahlen. Dabei zeigt sich zum Einen, dass auf Unternehmens- und Supply Chain-Ebene zum großen Teil dieselben Kennzahlen Verwendung finden. Zum Anderen werden die teilweise fließenden Grenzen zwischen den Perspektiven deutlich, was aus der Verwendung der gleichen Kennzahlen in verschiedenen Perspektiven ersichtlich wird. Abb. 3 gibt schließlich einen Überblick über die Relevanz der unterschiedlichen Perspektiven einer Supply Chain- bzw. NetzwerkBSC aus Sicht der Unternehmenspraxis. 85%
Prozesse
81%
Finanzen
63%
Qualität der Kooperation
59%
Endkunde
48%
Intensität Kooperation
41%
Lieferanten
Lernen und Entwicklung
22%
Abb. 3: Relevanz der vorgeschlagenen Perspektiven aus Sicht der Praxis (Bacher 2004, S. 254)
Autoren Art der Modifikation
Ebene(n)
Unternehmensebene
X X X X X
Unternehmensübergreifende Ebene
Inhaltliche Modifikation
X X X X X X
( X )
Beide und ggf. weitere Ebenen (Kaskade)
X X X X
X X X X X X
Inhaltliche und vollständige strukturelle Modifikation
X X X
X X X X X X X X X X X X
X X X X X X X
Lern- und Entwicklungsperspektive
X X X X
Lieferantenperspektive X
X X X
X
X X X
X X X X X X X X
X X X X
X
X
X X X
X X X
X X X X
Strukturperspektive Kooperations-/Beziehungsperspektive
X
X X X X X X X X
X X X X
Prozess Perspektive
Ressourcenperspektive
X
X
Kundenperspektive
Marktperspektive
X X X X X X X
X X
Inhaltliche und partielle strukturelle Modifikation
Finanzperspektive
Perspektiven
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WERNER MAYER STÖLZLE/HEUSLER/KARRER BORNHEIM/STÜLLENBERG JEHLE/STÜLLENBERG/SCHULZE IM HOVE BREWER/SPEH ACKERMANN PAMPEL SCHWEIER OTTO HANDFIELD/NICHOLS LANGE/SCHAEFER/DALDRUP ZIMMERMANN WEBER/BACHER/GROLL ERDMANN RICHERT KUMMER JEHLE DREWS
Gestaltungsansätze einer Netzwerk-Balanced Scorecard
X X X
X
X X
Kooperationsintensitätsperspektive
X
Kooperationsqualitätsperspektive
X
X
Kooperationserfolgsperspektive
X
Kooperationsaktivitätsperspektive
X
Güternetzperspektive
X
Datennetzperspektive
X
Soziale Netzperspektive
X
Institutionale Netzperspektive
X
Tab. 2: Überblick über die Gestaltungsansätze einer SC- bzw. Netzwerk-BSC
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Christoph Siepermann, Jan Vockeroth
Finanzperspektive
Perspektive
Unternehmensübergreifende Ebene • Betriebsergebnis • Asset Turns • Cash-Flow • Bestandsreichweite/ Zahlungsziel (Quotient) • Cash-to-Cash Cycle Time (Debitorentage + Lagerreich• Cash Flow weite – Kreditorentage) • Cash-to-Cash-Cycle Time • Deckungsbeitrag (Debitorentage + Lagerreichweite – Kreditorentage) • Economic Value Added (EVA) • Eigen-/Gesamtkapitalrentabilität • Customer growth and profitability • Forderungsumschlagszeit • Days Sales Outstanding • Kapitalbindung • Discounted Cash Flow (DCF) • Lagerreichweite • Economic Value Added (EVA) • Lagerumschlagshäufigkeit • Forderungsumschlagszeit • Liquide Mittel • Gesamtkapitalrentablität • Logistikkosten (absolut, • Herstellkosten anteilig) • Kapitalbindung • Nutz- und Leerkosten • Kooperationsbezogene • Ordentliches Ergebnis Prozesskosten • Return on Assets (ROA) • Liquide Mittel • Return on Capital Employed • Logistikkosten pro Einheit (ROCE) • Market Value Added (MVA) • Return on Investment (ROI) • Marktanteil • Umsatzanteil A/B/C-Artikel • Nutzkosten, Leerkosten • Umsatzanteil A/B/C-Kunden • Ordentliches Ergebnis • Umsatzrentabilität • Produktlebenszykluskosten • Umsatzwachstum • Profit margin by supply chain partner • Return on Assets (ROA) • Return on Capital Employed (ROCE) • Return on Investment (ROI) • Return on Supply Chain Assets • Shareholder Value • Supply Chain Finance Cost • Supply Chain Gross Margin • Total Supply Chain Management Cost • Umsatz, -rentabilität, -wachstum Unternehmensebene
Tab. 3: Vorgeschlagene Kennzahlen für die Finanzperspektive
Gestaltungsansätze einer Netzwerk-Balanced Scorecard
Kundenperspektive
Perspektive
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Unternehmensübergreifende Ebene • Anzahl (realisierter) Neukunden • Absatzvolumenentwicklung je Periode • Anzahl Reklamationen • Customer Value Ratio • Customer perception of flexible • Deckungsbeitrag pro Kunde response • Kundenfluktuation • Customer Value Ratio • Kundenrentablität • Delivery Performance to Customer Request Date • Kundentreue • Kundenakquisition • Kundenzufriedenheitsindex • Kundenfluktuation • Liefertermintreue • Kundenrentabilität • Marktanteil (relativ, absolut) • Kundentreue • Quote Angebote/Anfragen • Kundenzufriedenheitsindex • Reklamationsquote • Liefer-/Qualitätsausfälle in Parts • Servicegrad per Million • Stammkundenanteil • Marktanteil (relativ, absolut) • Standard Lead Time • Number of customer contact • Time-to-Market points • Umsatzanteil Neukunden • Reklamationsquote • Relative customer order response time • Umsatzanteil Neukunden Unternehmensebene
Tab. 4: Vorgeschlagene Kennzahlen für die Kundenperspektive
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Prozessperspektive
Perspektive
Unternehmensübergreifende Ebene • Anteil Auftragsfertigung • Anteil EDI-Bestellungen • Anteil Verschwendung • Auftragsabwicklungsdauer • Auftragsabwicklungsdauer • Auftragsabwicklungszuverlässigkeit • Auftragsabwicklungszuverlässigkeit • Cash-to-Cash Cycle Time • Ausschuss-/Nachbearbeitungs- • Dienstleistungsqualität quote • Fehlbestände • Cash-to-Cash Cycle Time • Freezing Point in Prozent der • Durchlaufzeit gesamten DLZ • Kapazitätsauslastung • Kapazitätsauslastung • Kosteneinsparung „intern“ • Kundenzufriedenheit • Lagerbestand • Lagerbestand • Lagerreichweite • Lagerreichweite • Lagerumschlagshäufigkeit • Lagerumschlagshäufigkeit • Lieferbereitschaftsgrad • Lieferservice • Lieferservice • Monatliche Absatzmenge an Fertiggütern • Materialverfügbarkeit • Produkt-/Dienstleistungsqualität • Number of choices/average response time • Prognosequalität • Order Fulfillment Lead Time • Prozesseffizienzgrad • On-Time-Delivery • Prozesskosten • Percent of supply chain target • Prozessqualität costs achieved • Recyclingquote • Planned Material Lead Time • Ressourceneffizienz • Produktqualität • Rüstzeit und -kosten • Prognosequalität/-genauigkeit • Supply Chain Cycle Time • Recyclingquote • Tatsächlicher Einführungster• Reklamationsquote für Liefemin – Geplanter Einführungsrungen/Rechnungen termin von Neuprodukten • Supply Chain Durchlaufzeit • Wertschöpfungsgrad der • Supply Chain Cost of OwnerDurchlaufzeit ship • Supply Chain Cycle Efficiency • Time-to-Market • Warenverfügbarkeit • Wertschöpfungsgrad der Durchlaufzeit Unternehmensebene
Tab. 5: Vorgeschlagene Kennzahlen für die Prozessperspektive
Gestaltungsansätze einer Netzwerk-Balanced Scorecard
Lern- und Entwicklungsperspektive
Perspektive
Unternehmensebene • Anzahl gemeinsamer Datensätze • Anzahl geschulter Mitarbeiter • Anzahl Verbesserungsvorschläge • Arbeitssicherheit • Innovationsquote • Klima der Zusammenarbeit • Know-how-Zuwachs • Konfliktquote • Krankenstand • Mitarbeiterfluktuation • Mitarbeiterschulung • Mitarbeitertreue • Mitarbeiterzufriedenheitsindex • Product Finalization Point • Qualifikationsbreite • Verbesserungsvorschläge pro Mitarbeiter und Jahr • Weiterbildungsquote
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Unternehmensübergreifende Ebene • Anteil gemeinsamer Datensätze • Anzahl gemeinsamer Datensätze • Anzahl Konfliktfälle • Anzahl Kostenmanagementprojekte • Anzahl Mitarbeiter mit Visionswissen • Anzahl neuer Produkte • Anzahl Produkt- und Prozessverbesserungsvorschläge pro Jahr • Durchschnittliche Entwicklungszeiten • Innovationsquote • Krankenstand • Mitarbeiterfluktuation • Mitarbeitertreue • Mitarbeiterzufriedenheit • Performance trajectories of competing technologies • Product category commitment ratio • Product Finalization Point • Reifegrad • Weiterbildungsquote
Tab. 6: Vorgeschlagene Kennzahlen für die Lern- und Entwicklungsperspektive
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Kooperations-/Beziehungsperspektive
Perspektive
Unternehmensebene • Anteil Lieferanten mit Prognose-Anbindung an der Gesamtanzahl Lieferanten mit geplanten Teilen • Anzahl (realisierter) Innovationen je Kooperationspartner • Anzahl Schnittstellen pro Partner • Anzahl Transaktionen pro Partner • Informationsaustauschquote • Informationsverfügbarkeitsgrad der Bedarfe in der Supply Chain • Kooperationsstabilitätsgrad • Kosteneinsparung „extern“ • Lieferservice • Mitarbeiteraustauschquote • Netzwerkzugehörigkeitsdauer • Number of Single-Order-Codes • Prognosegenauigkeit • Prozesskompetenz • Ressourcenteilungsgrad • Unternehmenszufriedenheit • Verflechtungsquote • Vertrauensrate
Unternehmensübergreifende Ebene • Anteil gemeinsamer Datensätze • Anzahl und Bedeutung der Konflikte • Anzahl und Bedeutung der Schnittstellenprobleme • Anzahl von Partnerwechseln in einer Periode • Dezentraler Koordinationsanteil • Fluktuationsrate • Grad des Vertrauens • Grad komplementärer Ziele • Höhe der Sicherheitsbestände auf den einzelnen Stufen der Supply Chain • Informationsaustauschquote • Interne Auskunftsbereitschaft (über Kapazitäten, Bestände, Termine und Angebote für eine Leistung) • Kompatibilitätsgrad • Management Decision Timeframe Ratio • Mitarbeiteraustauschquote • Netzwerkzugehörigkeitsdauer • Partner Ratio • Product Category Commitment Ratio • Redundanzquote • Ressourcenteilungsgrad • Unternehmenszufriedenheit • Verflechtungsquote • Vertrauensrate • Zufriedenheits-/ Vertrauensindex
Tab. 7: Vorgeschlagene Kennzahlen für kooperationsbezogene Perspektiven (Teil 1)
Gestaltungsansätze einer Netzwerk-Balanced Scorecard
Unternehmensebene
Kooperationsintensitätsperspektive
Perspektive
Kooperationsqualitätsperspektive Kooperationserfolgsperspektive Kooperationsaktivitätsperspektive
Unternehmensübergreifende Ebene • Anzahl und Häufigkeit ausgetauschter Datensätze • Anzahl der notwendigen Abstimmungssitzungen • Indizes für Vertrauen und Zufriedenheit • Anzahl unkooperativ gelöster Konflikte in der Supply Chain
• Unternehmenswert • Marktanteil oder ausgewählte Kostengrößen • Durchschnittliche Lieferzeit • Reklamationsquote • Produktivität von Aktivitäten • Kooperationserfahrung pro Mitarbeiter • Umfang des gemeinsamen Geschäfts • Index zur Beziehungsqualität gemäß Mitarbeiterbefragung • Entwicklungs-/Implementierungszeiten für Innovationen • Höhe von Erfahrungskurveneffekten
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• Unternehmenswert • Marktanteil oder ausgewählte Kostengrößen • Durchschnittliche Lieferzeit • Reklamationsquote • Produktivität von Aktivitäten • Kooperationserfahrung pro Mitarbeiter • Umfang des gemeinsamen Geschäfts • Index zur Beziehungsqualität gemäß Mitarbeiterbefragung • Entwicklungs-/Implementierungszeiten für Innovationen • Höhe von Erfahrungskurveneffekten
Tab. 8: Vorgeschlagene Kennzahlen für kooperationsbezogene Perspektiven (Teil 2)
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Christoph Siepermann, Jan Vockeroth
Unternehmensebene
Strukturperspektive
Ressourcenperspektive
Marktperspektive
Lieferantenperspektive
Perspektive
Unternehmensübergreifende Ebene • Auftragsvolumen • Auftragsprognosesicherheit • Anzahl Entwicklungsprojekte mit Lieferanten
• Fehllieferungs- und Verzugsquote • Kundenzufriedenheitsindex • Lieferantenzufriedenheitsindex • Relativer Marktanteil • Mitarbeiterfluktuation • Ressourcenauslastungsgrad • Verfügbarkeitsgrad von IuKSystemen • Servicegrad • Transaktionskosten
Tab. 9: Vorgeschlagene Kennzahlen für sonstige Perspektiven
8
Gestaltungsempfehlungen für eine NetzwerkBSC
Wie die in Abb. 3 wiedergegebene Umfrage zeigt, besitzt neben prozessbezogenen und finanziellen Aspekten insbesondere die Abbildung von beziehungsrelevanten Faktoren einen hohen Stellenwert. Damit ergibt sich als Anforderung an eine Netzwerk-BSC die Integration einer separaten Kooperationsperspektive und somit die Notwendigkeit einer strukturellen Modifikation der klassischen BSC. Obwohl die Kooperationsqualitätsperspektive deutlich wichtiger eingeschätzt wird als die Kooperationsintensitätsperspektive, sollte bei der Gestaltung einer Netzwerk-BSC der Aspekt der Kooperationsintensität dennoch nicht vernachlässigt werden, da vor dem Hintergrund der mit der Abbildung des „weichen“ Faktors Kooperationsqualität verbundenen Messprobleme valide Aussagen zum Stand der Kooperation nur durch Einbeziehung „harter“ Fakten zur Kooperationsintensität möglich erscheinen. Aus dieser Aussage lässt sich allerdings keine Notwendigkeit zur Einführung zweier getrennter Perspektiven zur Abbildung von Kooperationsaspekten ableiten. Die von WEBER/BACHER/GROLL vorgenommene Trennung erscheint ganz im Gegenteil etwas künstlich und übertrieben, wie auch die von den Autoren selbst präsentierte Fallstudie zeigt, in der aus Praktikabilitätsgründen beide Kooperationsaspekte in einer Perspektive vereinigt wurden (vgl. Weber, Bacher, Groll 2003, S. 324). Außerdem enthält auch die Prozessperspektive gleichermaßen
Gestaltungsansätze einer Netzwerk-Balanced Scorecard
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„harte“ und „weiche“ Faktoren (vgl. zu diesem Argument auch Richert 2006, S. 69). Auch wenn die Endkundenperspektive erst an vierter Stelle genannt wird, sollte sie zumindest im Kontext vertikaler Unternehmensnetzwerke vor dem Hintergrund der herausragenden Bedeutung der Endkundenorientierung im Konzept des Supply Chain Management auf jeden Fall in einer Netzwerk-BSC Berücksichtigung finden, und zwar nicht nur in der BSC des Unternehmens mit unmittelbarem Endkundenkontakt, wie es der Vorschlag von WEBER/BACHER/GROLL vorsieht (vgl. zu dieser Einschätzung auch Richert 2006, S. 69), sondern auf akteursübergreifender Ebene. Schließlich sollte bei der Gestaltung einer Netzwerk-BSC eine strikte Trennung zwischen der Netzwerkebene und der Ebene der einzelnen Akteure (Unternehmensebene) erfolgen. Dabei sollte die Netzwerk-BSC ausschließlich unternehmensübergreifende Ziele und Messgrößen enthalten, während unternehmensbezogene Ziele und Kennzahlen in die Scorecards der einzelnen Netzwerkunternehmen zu integrieren sind. Alle drei Anforderungen gleichzeitig werden lediglich von den von ERDMANN und RICHERT vorgestellten Ansätzen erfüllt, wobei das Modell von ERDMANN aufgrund seiner theoretischen Fundierung und Detailliertheit dem von RICHERT vorzuziehen ist. Um die Kompatibilität zwischen der unternehmensübergreifenden BSC und den BSCs der einzelnen Akteure sicherzustellen, ist eine einheitliche Definition der Messgrößen innerhalb des Unternehmensverbundes erforderlich. Die unternehmensbezogenen BSCs sind über Ursache-Wirkungs-Ketten untereinander und mit der akteursübergreifenden BSC zu verknüpfen. Im Idealfall ergeben sich die unternehmensübergreifenden Kennzahlen als Verdichtung der Kennzahlen der einzelnen Akteure. Diese Verdichtungen sind je nach Kennzahlentyp und Perspektive unterschiedlich zu gestalten. Kennzahlen, die eine Aussage zur Zufriedenheit innerhalb der Kooperation machen, dürfen z. B. nicht durch eine Durchschnittsbildung geglättet werden, um Ausreißer nicht aus dem Blickfeld zu verlieren. Für Kennzahlen wie Durchlaufzeiten wiederum kann eine additive Verknüpfung sinnvoll sein. Für detailliertere Analysen sind hier neben der Summe auch Einzelwerte anzugeben (vgl. Bacher 2004, S. 256). Auf Akteursebene können die unternehmensbezogenen Scorecards weiter auf untergeordnete Ebenen bis hin zum einzelnen Mitarbeiter heruntergebrochen werden. Dabei stehen folgende Möglichkeiten zur Verfügung (vgl. Horváth & Partners 2004): • Entwicklung eigenständiger Scorecards für die untergeordneten Ebenen, die zur Unternehmens-Scorecard kompatibel sind, indem die Ziele und Kennzahlen der untergeordneten Scorecards eine Treiberfunktion für die übergeordneten Scorecards übernehmen;
130
Christoph Siepermann, Jan Vockeroth
• Auswahl für die jeweilige untergeordnete Ebene relevanter strategischer Ziele der unternehmensbezogenen Scorecard und ggf. Ergänzung um zusätzliche Ziele ohne direkten Bezug zur Gesamt-Scorecard, aber wiederum mit Treiberfunktion; • Übertragung der unternehmensbezogenen Scorecard mit allen Zielen und angepassten Zielwerten auf die untergeordneten Ebenen.
Gestaltungsansätze einer Netzwerk-Balanced Scorecard
131
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132
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Dynamische Konfiguration von Logistiknetzwerken Eric Sucky, Ines Hönscheidt
1
Konfiguration von Wertschöpfungsnetzwerken
Supply Chains als unternehmensübergreifende Wertschöpfungssysteme lassen sich über ihre Systemelemente sowie deren Beziehungen charakterisieren. 1 Die physische Ebene einer Supply Chain lässt sich als Netzwerk darstellen, in dem Knoten die Standorte repräsentieren (z. B. Produktions-, Lager-, Umschlag- und Distributionsstandorte), an denen stationäre Wertschöpfungsprozesse durchgeführt werden können (Systemelemente). 2 Pfeile zwischen den Knoten repräsentieren (potenzielle) raumüberbrückende Wertschöpfungsprozesse, z. B. Transportprozesse (Beziehungen der Systemelemente). Die Anzahl der Standorte (Knoten), die Anzahl der Verbindungen (Pfeile) sowie die Orientierung der Pfeile determinieren die Struktur der Supply Chain. In Abb. 1 ist beispielhaft die physische Ebene einer Supply Chain dargestellt. Auf institutioneller Ebene umfasst eine Supply Chain eine Vielzahl autonomer Akteure, die für bestimmte Systemelemente (Standorte) und/oder Systembeziehungen (Transport- und Informationsverbindungen) auf der physischen Ebene der Supply Chain (planungs-)verantwortlich sind. In Logistiknetzwerken werden ausschließlich logistische Wertschöpfungsprozesse realisiert. Ein Logistiknetzwerk ist somit ein Sub-Netzwerk eines Wertschöpfungsnetzwerks (vgl. Isermann 1998, S. 46; Kaupp 2002, S. 35-36). Die Knoten dieses Sub-Netzwerks repräsentieren die Ressourcenstandorte, an denen stationäre Logistikprozesse realisiert werden (z. B. Lager- und Umschlagorte). Pfeile repräsentieren potenzielle Transportverbindungen innerhalb des Logistiknetzwerks. Die Menge der Standorte, an denen – bezüglich der Prozessart und der Positionierung im logistischen Leistungsprozess – gleichartige Logistikprozesse realisiert werden, bilden eine logistische Wertschöpfungsstufe. Logistiknetzwerke besitzen oftmals
1 2
Wertschöpfung ist der Wert, den ein Wertschöpfungsprozess den Vorleistungen hinzufügt (vgl. Weber 1993, S. 4660). Die Menge der Standorte, an denen gleichartige, ortsgebundene Wertschöpfungsprozesse realisiert werden, bilden dann eine Wertschöpfungsstufe.
134
Eric Sucky, Ines Hönscheidt
1. Stufe
2. Stufe
: Produktionsstandorte
3. Stufe
4. Stufe
: Lagerstandorte
5. Stufe
6. Stufe
: Kundenstandorte / -regionen
Abb. 1: Physische Ebene der Supply Chain
eine baumartige Netzwerkstruktur, d. h. die Pfeile münden entweder konzentrisch in einer Senke oder starten vor ihrer Auffächerung in einer Quelle (vgl. Bretzke 2006, S. 325). Während Distributionsnetzwerke eine divergierende Struktur aufweisen, sind Beschaffungsnetzwerke durch eine konvergierende Struktur gekennzeichnet (vgl. Abb. 2).
Konvergierende Struktur (Beschaffung)
Divergierende Struktur (Distribution)
Abb. 2: Strukturen in Logistiknetzwerken
Die folgende Abbildung zeigt die Transportverbindungen sowie die Logistikobjekte im Beschaffungsnetzwerk für den Spielball des FIFA WORLD CUP 2006 (vgl. Michler 2006, S. 2-3). In den Standorten erfolgen hauptsächlich Prozesse der industriellen Produktion (vgl. Abb. 3). Die Gestaltung des Logistiknetzwerks ist Aufgabe des strategischen Logistikmanagements (vgl. Fleischmann 2002, S. 9-10; Bretzke 1997, S. 626). Dabei ist insbesondere von Interesse, welche Struktur das Logistiknetzwerk aufweisen soll, welche logistischen Prozesse an welchen Standorten durchzuführen sind und zwischen welchen Standorten welche Güterflüsse (Art und Quantität) durch welche Transportprozesse realisiert werden können. Die Gestaltungsaufgabe umfasst
Dynamische Konfiguration von Logistiknetzwerken
135
Japan
Granulat Südkorea Leverkusen
Kautschuk
Indien
Uffenheim
Folie Farbe
(Distributionszentrum)
Indien Blase
Vietnam Garn Thailand
„adidas+TeamgeistTM“
Bälle
Abb. 3: Logistiknetzwerk als Subnetzwerk der Supply Chain
daher sowohl die Strukturkonfiguration (Entscheidungen über Anzahl und Lokalisierung der Logistikstandorte sowie bezüglich potenzieller Verbindungen zwischen den Standorten) als auch die Ressourcenkonfiguration (Entscheidungen über vorzuhaltende Lager-, Umschlag-, Kommissionier- und Transportkapazitäten sowie über die einzusetzenden Prozesstechnologien). Aus einer institutionellen Perspektive besteht die Gestaltungsaufgabe vor allem in der Auswahl der in das Netzwerk zu integrierenden Wertschöpfungspartner und in der Festlegung ihrer langfristig zu erbringenden Leistungen (logistische Wertschöpfungstiefe). In der Praxis lässt sich eine Vielzahl von Aktivitäten beobachten, die ein Redesign von Logistiknetzwerken zum Ziel haben. So hat das Unternehmen TCHIBO das Logistiknetzwerk für Non Food Produkte vollständig umgestaltet. Bisher wurden die in Süd-Ost-Asien erzeugten Waren per Schiff durch mehrere Reeder zu mehreren Empfangshäfen in Europa transportiert und von dort über Zwischen- und Vorratsläger zu Verteilzentren transportiert. Hier wurde einerseits eine tiefgreifende Reduzierung der eingebundenen Reeder und Empfangshäfen realisiert. Andererseits wurde ein von der BLG LOGISTICS GROUP betriebenes Hochregallager als zentrale Drehscheibe der Warenflüsse in das Logistiknetzwerk integriert (vgl. Abb. 4). Gestaltungsaktivitäten können auch auf einzelne Verbindungen oder Standorte beschränkt sein. Als Beispiel soll hier die Realisierung einer Konfigurationsalternative dienen, die sich auf eine Verbindung innerhalb des Logistiknetzwerks von FORD bezieht. Die im Produktionsstandort Köln erzeugten Neuwagen, die für die Märkte in Spanien, Italien, Griechenland und Türkei bestimmt sind, werden vom Hafen Antwerpen aus mit Hochseeschiffen transportiert (vgl. Debus 2006, S. 54). Der Vorlauf, d. h. der Transport von Köln nach Antwerpen, erfolgte mit LKW oder Bahn. Nach einer Rekonfiguration dieser Transportverbindung erfolgt dieser Vorlauf nun per Binnenschiff.
136
Eric Sucky, Ines Hönscheidt
Lieferant 1
Lieferant 2
Lieferant n
Reederei 1
Reederei 2
Reederei n
Reederei „main shipper“
Empfangshafen 1
Empfangshafen 2
Empfangshafen n
Empfangshafen „main port of destination“
Zwischenlager 1
Zwischenlager 2
Zwischenlager n
Vorratslager 1
Vorratslager 2
Vorratslager n
VZ 1
VZ 2
VZ 2
VZ 2
Logistik-Struktur alt
VZ n
Lieferant 1
Lieferant 2
Lieferant n
Zentrales Hochregallager Bremen
Regionale VZ
Logistik-Struktur neu
VZ: Verteilzentrum
Abb. 4: Strukturveränderung eines Logistiknetzwerks (in Anlehnung an Tchibo 2004)
Bei der (Re-)Konfiguration von Logistiknetzwerken werden längerfristig bindende Entscheidungen getroffen, die im Zeitverlauf nur begrenzt reversibel sind: „Companies can not be completely footlose, able to close plants [...] and open them elsewhere at little cost.“ (De Meza, Van der Ploeg 1987, S. 344). Ein Logistiknetzwerk kann daher nicht beliebig (re-)konfiguriert werden. Dies betrifft ebenfalls die Entscheidungen aus institutioneller Perspektive. So werden z. B. im Rahmen der Kontraktlogistik leistungsspezifische, kundenindividuelle Ressourcen zur Leistungserstellung aufgebaut, deren Kapazitäten und Technologien im Zeitverlauf nur bedingt veränderbar sind. Konfigurationsentscheidungen zu einem Zeitpunkt determinieren die zur Disposition stehenden Entscheidungen über die (Re-)Konfiguration des Logistiknetzwerks zu späteren Zeitpunkten. Es sind daher nicht isolierte Konfigurationsentscheidungen zu treffen. Vielmehr sind umfassende Konfigurationsstrategien, d. h. zeitlich interdependente Entscheidungsfolgen, unter Beachtung der zukünftigen Nachfrage nach Logistikleistungen, zu entwickeln und zu bewerten. Bei der Bewertung alternativer Konfigurationsstrategien sind Investitionskosten zur Aktivierung neuer Standorte sowie Standortschließungskosten zu beachten. Des Weiteren sind Kosten der Aktivierung von Logistikdienstleistern, Anpassungskosten (z. B. für Kapazitätserweiterungen) und Wechselkosten (switching costs) oder Kosten der Elimination von Logistikdienstleistern zu berücksichtigen.
Dynamische Konfiguration von Logistiknetzwerken
137
Konfigurationsentscheidungen verändern sowohl die Struktur des Logistiknetzwerks (Strukturkonfiguration) als auch das generelle logistische Leistungspotenzial (Ressourcenkonfiguration). Über die Nutzung des durch eine Konfigurationsentscheidung gestalteten Logistiknetzwerks und des geschaffenen generellen logistischen Leistungspotenzials wird im Rahmen des taktischen Logistikmanagements disponiert. Unter Service- und Kostenkriterien (Sach- und Formalziele) sind mittelfristige Transport-, Lager- und Umschlagquantitäten zu bestimmen. Zur Bewertung alternativer Konfigurationsstrategien sind daher auch die (antizipierten) Prozesskosten der Nutzung des generellen logistischen Leistungspotenzials heranzuziehen. Diese umfassende Bewertung alternativer Strategien unterstützt nachhaltig die zielgerichtete Strategiewahl, denn: „The cost to implement the least-cost alternative may outweigh the savings it generates.“ (Tompkins, Harmelink 1992, S. 13). Im Folgenden wird ein dynamischer Planungsansatz zur Unterstützung von (Re)Konfigurationsentscheidungen entwickelt. Unter Beachtung der oben angeführten intertemporalen Interdependenzen unterstützt dieser Planungsansatz die Bestimmung einer optimalen Folge von Entscheidungen, d. h. die Ermittlung einer optimalen, dynamischen (Re-)Konfigurationsstrategie. Schließlich wird gezeigt, dass dieser Planungsansatz für praxisrelevante Problemstellungen einsetzbar ist. Es wird die zielgerichtete (Re-)Konfiguration des europäischen Distributionsnetzwerks eines weltweit führenden Automobilzulieferers unterstützt.
2
Ein dynamischer Planungsansatz zur Bewertung und Auswahl von Konfigurationsstrategien
2.1 Identifizierung und Bewertung alternativer Konfigurationsstrategien aus strategischer Perspektive Auf der Basis der Ansätze von POMPER (1976), HUCHZERMEIER/COHEN (1996) und PIBERNIK (2001a; 2001b) wird ein dynamischer Ansatz der hierarchischen Planung entwickelt, der die Identifizierung und Bewertung von Strategien zur (Re-)Konfiguration von Logistiknetzwerken unterstützt. 3 Auf der hierarchisch übergeordneten Top-Ebene des Planungsansatzes werden zunächst alternative Strategien zur dynamischen Konfiguration des Logistiknetz3
Für einen Überblick zu bestehenden Planungsansätzen der Konfiguration von Supply Chains bzw. Logistiknetzwerken vgl. Freiwald 2005, S. 39-57.
138
Eric Sucky, Ines Hönscheidt
werks modelliert und bewertet. Unabhängig davon, ob die entsprechenden Logistikleistungen selbst erstellt werden oder von einem auszuwählenden Logistikdienstleister übernommen werden, ist eine dynamische (Re-) Konfigurationsstrategie dadurch gekennzeichnet, dass sowohl Logistikstandorte als auch Transportverbindungen im Zeitverlauf eröffnet, geschlossen oder modifiziert (z. B. hinsichtlich der Kapazität oder der eingesetzten Prozesstechnologie) werden können. Die relevanten Kosten aus strategischer Perspektive umfassen sowohl die Investitionskosten des Aufbaus neuer Standorte und Verbindungen als auch die Kosten von Anpassungsmaßnahmen (z. B. Investitionskosten für Kapazitätserweiterungen). Daneben sind Desinvestitionskosten im Rahmen von Standort- und Verbindungsschließungen zu berücksichtigen. 4 Werden bestimmte Logistikleistungen fremdbezogen, sind hierfür die Kosten der Auswahl und Integration von Logistikdienstleistern sowie potenzielle Wechselkosten (switching costs) zu berücksichtigen. Der Planungszeitraum umfasst mehrere Jahre und wird in t=1,...,T Sub-Perioden (z. B. ein Jahr) unterteilt. In jeder Periode t lässt sich ein (vektorwertiger) Zustand st des Logistiknetzwerks bestimmen. Der Zustand st beschreibt u. a. die Anzahl der aktivierten Logistikstandorte, die verfügbaren Kapazitäten sowie die potenziellen Transportverbindungen zwischen den Standorten. Ausgehend vom Zustand st-1 des Logistiknetzwerks in Periode t-1 kann die Alternativenmenge At(st-1) zur Konfiguration des Netzwerks identifiziert werden. Jede Alternative ait∈At(st-1), i∈{1,...,I}, repräsentiert eine spezifische Kombination von Logistikstandorten, deren Kapazitäten und potenziellen Verbindungen. Der Entscheidungsträger wählt genau eine Alternative ait∈At(st-1) aus. Der Zustand st des Logistiknetzwerks in Periode t wird durch den Zustand st-1 und die in Periode t ausgewählte Alternative bestimmt: st=f(st-1,ait). Ausgehend vom erreichten Zustand st kann in Periode t+1 das Logistiknetzwerk durch die Wahl einer Alternative ait+1∈At(st) rekonfiguriert werden. Eine Folge von Konfigurationsentscheidungen bildet dann die Konfigurationsstrategie a =(ai1,...,aiT). Abb. 5 zeigt beispielhaft die Identifizierung alternativer Strategien zur Konfiguration eines Logistiknetzwerks. In diesem Beispiel wird ein Unternehmen betrachtet, das über M (m=1,...,M) Produktionsstandorte (Quellen) verfügt, an denen Produkte für N (n=1,...,N) Kundenstandorte bzw. -regionen (Senken) erzeugt werden. Im Ausgangszustand werden die N Kundenstandorte direkt beliefert. Zukünftig soll die Versorgung der Kunden über ein oder mehrere Lager erfolgen: Die Produkte werden von den M Produktionsstandorten zu den Lagerstandorten transportiert, dort gelagert, kommissioniert und umgeschlagen. Das Unternehmen hat hierzu J (j=1,...,J) potenzielle Lagerstandorte identifiziert. Die N Kundenstandorte werden dann aus den aktivierten Lagerstandorten J’ beliefert. 4
Es wird explizit berücksichtigt, dass einmal eröffnete Standorte im Zeitverlauf auch wieder aufgegeben werden können. Zu einem Ansatz, der das Schließen von eröffneten Standorten verbietet (vgl. Hinojosa et al. 2000, S. 275).
Dynamische Konfiguration von Logistiknetzwerken
139
Jede Alternative ait∈At(st-1) einer Strategie kann nun mit den durch sie induzierten Investitions-, Erweiterungs- und Anpassungskosten bewertet werden: K t (ait). Unter Verwendung des Kalkulationszinsfußes π wird die Zeitpräferenz des Entscheidungsträgers berücksichtigt, sodass sich der Barwert der strategischen Kosten einer Konfigurationsstrategie ergibt mit: T
K (a ) =
∑ (1 + π )
− (t −1)
⋅ K t (a it ) .
(1)
t =1
...
Alternative a11(s0)
Logistiknetzwerk – Ausgangszustand s0
...
Alternative a21(s0)
...
Alternative a31(s0)
...
...
Alternative aI1(s0)
... ... ...
Abb. 5: Alternative Konfigurationsstrategien
Durch die Wahl einer Strategie a =(ai1,...,aiT) wird das generelle logistische Leistungspotenzial für den Zeitraum [1,T] determiniert. Insbesondere wird die Menge J ' ⊆ {1,2,..., J } , der in einer Periode t potenziell nutzbaren Logistikstandorte, deren Kapazitäten sowie die potenziellen Güterflüsse festgelegt. Über die Nutzung des generellen logistischen Leistungspotenzials wird im Rahmen der taktischen Logistikplanung disponiert.
2.2 Bewertung alternativer Konfigurationsstrategien aus taktischer Perspektive Unter Service- und Kostenkriterien sind Transport-, Lager- und Umschlagquantitäten festzulegen. Hierbei wird jede Periode t∈{1,...,T} der Top-Ebene in Ω SubPerioden (τ=1,...,Ω) auf der Basis-Ebene zerlegt. Umfasst eine Periode t der TopEbene z. B. ein Jahr, so werden auf Basis-Ebene beispielsweise 12 Monate betrachtet. Die durch eine Alternative ait∈ a induzierten standortspezifischen Kapa-
140
Eric Sucky, Ines Hönscheidt
zitäten sowie die Lager- und Transportkosten bilden den Modellinput (Top-DownEinfluss). Für jede Alternative ait einer Strategie a =(ai1,..., aiT) ist ein Planungsmodell zu formulieren und zu lösen. Die ermittelten taktischen Kosten stellen dann die Bewertung von Konfigurationsstrategien aus taktischer Sicht dar (Bottom-Up-Einfluss). Im Beispiel (vgl. Abb. 5) kann zur simultanen Ermittlung der Produktions-, Transport- und Lagerquantitäten der Sub-Perioden τ=1,...,Ω einer Periode t∈{1,...,T}, d. h. zur Bewertung einer Alternative ait∈ a , ein spezielles, dynamisches Umladeproblem modelliert und gelöst werden. Folgende Notation liegt dem Planungsmodell zu Grunde: m=1,...,M
Produktionsstandorte
n=1,...,N
Kundenstandorte/-regionen
j’=1,...,J’
Aktivierte Lagerstandorte
cpm
Produktionskosten je Mengeneinheit in m [€/ME]
capm, capj’
Kapazität von m bzw. j’ in τ [ME]
csm,j’, csj’,n, csm,n
Transportkosten von m nach j’, von j’ nach n und von m nach n (Direktlieferung) [€/ME]
chj’
Kosten je genutzter Lagereinheit in j’ [€/ME]
dn,τ
Nachfrage in n in τ [ME]
ym,τ
Produktionsmenge in m in τ [ME]
xm,j’,τ, xj’,n,τ, xm,n,τ
Transportmenge in τ von m nach j’, von j’ nach n und von m nach n (Direktlieferung) [ME]
invj’,τ
Lagerquantität in j’ in τ [ME]
min K t (a it ) = ⎡M ⎛ ⎢ ⎜ cp m ⋅ y m,τ + ⎢ ⎜ τ =1 ⎣ m =1 ⎝ Ω
∑∑
⎛ ⎜ ch j ' ⋅ inv j ',τ + ⎜ j '=1 ⎝ J'
+
∑
J'
∑
N
cs m, j ' ⋅ x m, j ',τ +
j '=1
m, n
n =1
N
∑ cs
∑ cs
j ', n
n =1
⎞ ⋅ x m, n,τ ⎟ ⎟ ⎠
(2)
⎞⎤ ⋅ x j ',n,τ ⎟⎥ ⎟⎥ ⎠⎦
u. d. N. J'
y m,τ =
∑ j '=1
N
x m, j ',τ +
∑x n =1
m , n ,τ
∀m, j ' , τ
(3)
Dynamische Konfiguration von Logistiknetzwerken
y m,τ ≤ cap m ∀m,τ
(4)
inv j ',τ ≤ cap j ' ∀j ' , τ
(5)
M
inv j ',τ = inv j ',τ −1 +
∑
N
x m, j ',τ −
m =1
J'
∑
141
∑x
M
x j ', n,τ +
j '=1
∑x
j ', n ,τ
∀j ' , τ
(6)
n =1
m , n ,τ
= d n ,τ
∀n,τ
(7)
m =1
ym,τ , xm,j’,τ , xm,n,τ , xj’,n,τ , invj’,τ ≥0 ∀m, n, j ' , τ
(8)
Es wird das Formalziel verfolgt, die gesamten relevanten Kosten zu minimieren, bei Befriedigung der Periodennachfrage in den Senken (Sachziel). Der Zielfunktionswert von (2) ergibt sich als Summe der Produktionskosten und den Transportkosten von den Produktionsstandorten zu den Lagerstandorten bzw. zu den Kunden (1. Term) sowie der Lagerkosten und den Transportkosten von den Lagerstandorten zu den Kundenstandorten (2. Term). Durch die Restriktionen (3) wird sichergestellt, dass die Produktionsmengen in ein Lager bzw. direkt zu einem Kundenstandort transportiert werden. Die Bedingungen (4) und (5) sind die Kapazitätsrestriktionen der Produktions- bzw. Lagerstandorte. Die Restriktionen (6) sind Lagerbilanzgleichungen. Die Restriktionen (7) stellen sicher, dass die Nachfrage erfüllt wird (Sachziel). Die Bedingungen (8) geben die Definitionsbereiche der Entscheidungsvariablen an. Die Bewertung einer Strategie aus taktischer Sicht ergibt sich, wenn das Planungsmodell (2) – (8) für alle Alternativen ait∈ a dieser Strategie a =(ai1,..., aiT) formuliert und gelöst wird. T
K (a ) =
∑ (1 + π )
− (t −1)
⋅ K t (a it )
(9)
t =1
2.3 Ein dynamischer Ansatz der hierarchischen Planung zur Auswahl von Konfigurationsstrategien Alternative Strategien können nun sowohl aus strategischer als auch aus taktischer Perspektive bewertet werden (vgl. Abb. 6). Die kostenmäßige Bewertung einer Strategie a =(ai1,...,aiT) ergibt sich mit:
142
Eric Sucky, Ines Hönscheidt T
K (a ) = K (a ) + K (a ) =
∑ (1 + π )
− (t −1)
t =1
K1 (a11 )
Alternative a11(s0)
K1 (a11 )
⎛ ⎞ ⋅ ⎜⎜ K t (a it ) + K t (a it ) ⎟⎟ ⎝ ⎠
(10)
... ...
K 2 (a12 )
K 2 (a12 )
K 2 (a 22 )
K 2 (a 22 )
a12(s1)
s0
K1 (a 21 )
Alternative a21(s0)
...
K1 (a 21 )
...
a22(s1)
K1 (a I1 )
K1 (a I1 )
Alternative aI1(s0)
... ...
Abb. 6: Bewertung von Konfigurationsstrategien
Zur Auswahl der optimalen, d. h. die gesamten relevanten Kosten (10) minimierenden, Strategie kann ein dynamischer Ansatz formuliert werden. T
min K =
∑ (1 + π )
− (t −1)
t =1
⎛ ⎞ ⋅ ⎜⎜ K t (a it ) + K t (a it ) ⎟⎟ ⎝ ⎠
(11)
u. d. N. a it ∈ At (s t −1 ) st = f (st −1, ait )
∀t ∀t
(12) (13)
Die Lösung des Planungsmodells (11) bis (13), d. h. die optimale (Re-) Konfigurationsstrategie (ai1,...,aiT)*, lässt sich unter Einsatz der Dynamischen Optimierung ermitteln (vgl. Bellman 1957; Schneeweiß 1974). 5 Zunächst werden rekursiv bedingt optimale Teilstrategien ermittelt. In der ersten Iteration wird
5
Der Planungsansatz lässt sich zunächst für deterministische Analysen einsetzen. Der Ansatz ist jedoch problemadäquat erweiterbar, sodass auch unsichere, dynamische Ausprägungen der Einflussgrößen (z. B. der Nachfrage) berücksichtigt werden (vgl. z. B. Sucky 2006).
Dynamische Konfiguration von Logistiknetzwerken
143
ausgehend von jedem möglichen Zustand sT-1 die bedingt optimale (d. h. kostenminimale) Alternative aiT* zur Erreichung des Zustands sT bestimmt. Im nächsten Schritt wird, ausgehend von jedem zulässigen Zustand sT-2, die bedingt optimale Strategie (aiT-1,aiT)* zur Erreichung des Zustands sT ermittelt. Hierbei werden die Ergebnisse (Zielwerte für aiT*) der ersten Iteration herangezogen. Dieses Vorgehen setzt sich so lange fort, bis die optimale Strategie (ai1,...,aiT)* ermittelt ist.
3
Rekonfiguration des Distributionsnetzwerks eines Zulieferers der Automobilindustrie
Im Folgenden wird die Anwendung dieses dynamischen Planungsansatzes an dem Praxisfall der Rekonfiguration des Logistiknetzwerks (bzw. Distributionsnetzwerks) eines Zulieferers der Automobilindustrie dargestellt. Das betrachtete Zulieferunternehmen ist einer der weltweit führenden Original Equipment Manufacturer (OEM) der Automobilindustrie. Ein wichtiges Geschäftsfeld des Unternehmens bilden Systemlösungen aus den Bereichen Elektronik, Klimatisierung und Interieur für den so genannten Aftermarket. Neben dem herstellergebundenen Aftermarket, d. h. Originalersatzteile – Original Equipment Spares (OES) – für Automobilproduzenten und deren Vertragspartner, erfolgt eine Versorgung des herstellerunabhängigen Independent Aftermarket (Großhändler und Reparaturbetriebe) mit Ersatzteilen in Erstausrüsterqualität. Während die Versorgung des herstellergebundenen Aftermarket über das bestehende Distributionsnetzwerk des OEM-Markts erfolgt, existiert für den Europäischen Independent Aftermarket, aufgrund der differierenden Kundenstruktur, ein spezifisches Distributionsnetzwerk. 6 Die weitere Analyse fokussiert auf die Distribution der Produktgruppe Beleuchtung, bestehend aus 90 Produkten (z. B. Front- und Heckleuchten), im Bereich des Europäischen Independent Aftermarket (vgl. Abb. 7). 7
Abb. 7: Produkte der Produktgruppe Beleuchtung
6 7
Die Auslieferung in Europa erfolgt innerhalb von 12 bis 72 Stunden. In der Produktgruppe Beleuchtung besteht eine große Marktpräferenz für Originalteile. Aufgrund der Innovationsgeschwindigkeit (z. B. Aktive Frontlicht-Systeme) ist der Anteil an Nicht-Ident-Teilen gering. Auch beschränkt das Geschmackmustergesetz die Konkurrenz (Designschutz für sichtbare Ersatzteile).
144
Eric Sucky, Ines Hönscheidt
3.1 Ausgangskonfiguration des Distributionsnetzwerks Als Quelle des Logistiknetzwerks dient eine Produktionsstätte in Ost-Europa. Die Nachfrage des Europäischen Independent Aftermarket wird hierbei aus der laufenden Produktion für den OEM-Markt befriedigt. Als Distributionszentrum fungiert ein Lagerstandort in Nordwest-Europa, der von einem Logistikdienstleister betrieben wird. Auf der Basis einer Order-up-to-level Lagerpolitik werden in diesem Lager Bestellungen und damit Produktionsaufträge für die Produktionsstätte ausgelöst. Zur Versorgung des Lagerstandorts werden die Produkte als Bulkware (unverpackt) im Produktionsstandort bereitgestellt und in das Lager transportiert. Das Lager bildet den Break-Bulk-Punkt, sodass neben den Teilprozessen Lagereingang, Lagerhaltung und Lagerausgang auch die Vereinzelung, d. h. die Zusammenstellung und Verpackung der in Bulks eingetroffenen Produkte zu Verkaufseinheiten und die kundenauftragsbezogene Kommissionierung, in diesem Lagerstandort erfolgt. Sämtliche Kunden in West-Europa werden aus dem Lagerstandort versorgt. 8 Abb. 8 zeigt – in Anlehnung an die reale räumliche Struktur – die Ausgangskonfiguration des betrachteten Distributionsnetzwerks, wobei die Kunden zu Kundenregionen aggregiert wurden (der rechte Teil der Abbildung zeigt eine vereinfachte Darstellung der Netzwerk-Struktur). Produktionsstandorte Lagerstandorte Kundenregionen
...
Abb. 8: Ausgangszustand des Distributionsnetzwerks (a1t)
Die Ausgangskonfiguration bildet die erste Konfigurationsalternative (Unterlassungsalternative), die im Falle der Vorteilhaftigkeit beibehalten werden kann. Diese Konfigurationsalternative wird im Weiteren mit a1t bezeichnet. Die relevanten Kosten auf der Top-Ebene bilden die Kosten der Reservierung für vorzuhaltende Lager- und Transportkapazitäten. Zur Bewertung der Alternative auf der
8
Der aktivierte Logistikdienstleister führt (auch zukünftig) alle Transporte durch.
Dynamische Konfiguration von Logistiknetzwerken
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Basis-Ebene wurde das Planungsmodell (2) – (8) gemäß der realen Planungssituation modifiziert. Zur Bestimmung der Ausprägungen der relevanten Planungsparameter wurden für die einzelnen Prozesse die relevanten Kostensätze ermittelt. Den weiteren Modellinput bildeten, neben den relevanten Kapazitäten, die realen Nachfragedaten eines Referenzzeitraums von 6 Monaten. Auf der Basis dieser Daten wurde der Verlauf der Kundennachfrage für 3 Jahre geschätzt. Es ergab sich folgende zeitliche Hierarchie: Jede Periode t∈{1,...,T}, mit T=6, der TopEbene wurde in Ω Sub-Perioden (τ=1,...,Ω) auf der Basis-Ebene zerlegt, wobei eine Periode t der Top-Ebene ein ½ Jahr umfasst, während auf der Basis-Ebene jeweils 6 Monate betrachtet wurden (Ω=6).
3.2 Relevante Konfigurationsalternativen Im Rahmen von Experteninterviews hat das Unternehmen gemeinsam mit dem bestehenden Logistikdienstleister zwei potenzielle Rekonfigurationsalternativen für das betrachtete Distributionsnetzwerk identifiziert. Für beide Alternativen wurden die zur Bewertung notwendigen Kostenparameter in einer umfangreichen Analyse ermittelt. Produktionsstandorte Lagerstandorte Kundenregionen
...
Abb. 9: Konfigurationsalternative I des Distributionsnetzwerks (a2t)
Die erste Alternative (mit a2t bezeichnet) ist durch eine geringfügige räumlichgeographische Modifikation gekennzeichnet: In Werksnähe wird ein unternehmenseigenes Lager eingerichtet (vgl. Abb. 9). Die Kosten für die Aktivierung des neuen Lagerstandortes sind, aufgrund bereits vorhandener, nicht genutzter Lagerflächen, sehr gering. Mit dieser Konfigurationsalternative geht jedoch eine weitgehende Veränderung der relevanten Prozesse einher. Die Zusammenstellung und Verpackung der Produkte zu Verkaufseinheiten (Vereinzelung) erfolgt bei der Alternative a2t in der Produktionsstätte (Break-Bulk-Punkt). In dem neu einzurichtenden
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Eric Sucky, Ines Hönscheidt
Werkslager erfolgt die Lagerung artikelreiner Paletten. Da in der Produktionsstätte bereits die Vereinzelung der Produkte sowohl für den OEM-Markt als auch für den herstellergebundenen Aftermarket erfolgt und für diesen Prozess freie Kapazitäten identifiziert werden konnten, wird von einem geringeren Kostensatz ausgegangen. Andererseits kommt es transportseitig zu einer Kostenerhöhung, da die Transportkosten je Stück bei Bulkware-Transporten in der Ausgangskonfiguration günstiger sind als beim Transport von vereinzelten Produkten im Rahmen der Alternative a2t. Zur Ermittlung der Transportkosten wurden die ca. 900 Kunden bestimmten Absatzgebieten zugeordnet. Die Transportkosten wurden in Abhängigkeit von den Entfernungen von einem Lager zu dem jeweiligen Nachfrageschwerpunkt eines Absatzgebietes erfasst. Produktionsstandorte Lagerstandorte Kundenregionen
...
Abb. 10: Konfigurationsalternative II des Distributionsnetzwerks (a3t)
Die zweite durch das Unternehmen identifizierte Rekonfigurationsalternative, die in Abb. 10 dargestellt ist, sieht ebenfalls das Werkslager vor, in dem artikelreine Paletten gelagert werden sollen. Die Zusammenstellung und Verpackung der Produkte zu Verkaufseinheiten erfolgt bei der zweiten Rekonfigurationalternative a3t ebenfalls in der Produktionsstätte (Break-Bulk-Punkt). In dem neu einzurichtenden Werkslager erfolgt die Lagerung artikelreiner Paletten. Darüber hinaus sieht die Alternative a3t ein weiteres Distributionszentrum in Süd-Europa vor. Hierfür soll ein bestehender Lagerstandort des bereits in das Distributionsnetzwerk integrierten Logistikdienstleisters genutzt werden. Die Kosten zur Aktivierung des neuen Lagerstandorts auf der Top-Ebene resultieren aus Reservierungskosten für entsprechende Lagerkapazitäten (unabhängig von der tatsächlichen Nutzung) sowie der EDV-technischen Anbindung.
Dynamische Konfiguration von Logistiknetzwerken
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3.3 Auswahl der Konfigurationsstrategie Bei der Auswahl der zu realisierenden Konfigurationsstrategie ist, neben der kostenmäßigen Bewertung, folgende Vorgabe des Automobilzulieferers zu beachten. Im gesamten Planungszeitraum darf es nicht zu Desinvestitionen kommen, d. h. die Schließung einmal eröffneter Standorte wird ausgeschlossen. 9 Diese Vorgabe resultierte vor allem aus Vertragsverhandlungen mit dem Logistikdienstleister, der eine bestimmte Mindestvertragszeit in Verbindung mit hohen Konventionalstrafen im Fall eines vorzeitigen Vertragsabbruchs fordert. Für den betrachten Planungszeitraum von T=6 Perioden (d. h. 3 Jahre) ergeben sich 28 alternative Konfigurationsstrategien, für die auf der Basis-Ebene 83 Planungsmodelle formuliert und gelöst werden müssen (vgl. Abb. 11). Während auf der Top-Ebene für die Konfigurationsalternativen I und II aufgrund der notwendigen Investitionen ein Kostenanstieg gegenüber der Ausgangssituation resultiert, können auf der Basis-Ebene, d. h. im Rahmen der Nutzung des generellen logistischen Leistungspotenzials, signifikante Kosteneinsparpotenziale realisiert werden. ...
a 12 s 1 ( a 11 ) a 22
...
a 32
...
...
a 11
s0
... a 21
...
a 22
s 1 ( a 21 )
... ...
a 32 s 1 ( a 31 )
a 32
...
...
a 31 Abb. 11: Alternative Konfigurationsstrategien
9
Auch HINOJOSA et al. (2000) präsentieren einen Planungsansatz, der das Schließen von eröffneten Standorten explizit verbietet.
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Im Vergleich zur Ausgangssituation konnte für die Konfigurationsalternative I (vgl. Abb. 9) auf der Basis-Ebene eine Kostenersparnis von durchschnittlich 9,1 % pro Periode (½ Jahr) ermittelt werden. Für die Konfigurationsalternative II (vgl. Abb. 10) konnte eine Kostenersparnis im Vergleich zur Ausgangssituation a1t von durchschnittlich 9,5 % pro Periode (½ Jahr) ermittelt werden. Auch gegenüber der Konfigurationsalternative I ergibt sich daher eine geringe Kostenersparnis. Für den Verlauf der Kundennachfrage im Planungszeitraum wurde durch das Unternehmen ein leichter Anstieg im Zeitverlauf prognostiziert. Durch die steigende Nachfrage und den daraus resultierenden Bündelungspotenzialen verstärken sich die aus der Konfigurationsalternative II resultierenden Einsparpotenziale im Zeitverlauf. Zur Bestimmung der optimalen Konfigurationsstrategie wurde das problemadäquat formulierte Planungsmodell (11) bis (13) mit Hilfe der Dynamischen Optimierung gelöst. Das T-periodige Planungsproblem lässt sich in T Teilprobleme zerlegen. Durch sukzessives Lösen der Teilprobleme wird die optimale Konfigurationsstrategie bestimmt. Hierfür kann die Bellman’sche Funktionalgleichungsmethode herangezogen werden, die auf dem von Bellmann entwickelten Optimalitätsprinzip basiert (vgl. Bellmann, 1957, S. 83): Es gibt eine optimale (Teil)Strategie (aib,...,aiT)*, die nur vom Zustand sb-1 (1 portType="DeleteSalesOrder" operation=DeleteSalesOrder inputVariable=SalesOrderRequest <sequence> […] portType="SelectShippingType" operation=SelectShippingType inputVariable=ShippingTypes outputVariable=SelectedShippingType <switch> portType="ExpressScheduling" operation=ScheduleExpressShipping_in inputVariable=ScheduleExpressShippingRequest_synch outputVariable=ExpressScheduleConfirmation_synch <while> CreditCardData = 0 and SelectedPaymentMethod = CreditCard <sequence> portType="SelectPaymentMethod" operation=SelectPaymentMethod inputVariable=PaymentMethods outputVariable=SelectedPaymentMethod <switch> <sequence> portType="CreditCardDataChecking" operation=CustomerHistoryChecking inputVariable=SelectedPaymentMethod outputVariable=CreditCardData <switch> portType="CreditCardPayment" operation=PrepareCreditCardpayment inputVariable=SalesOrderRequest> portType="CreditCardPayment" operation=CancelCreditCardpayment inputVariable=SalesOrderRequest portType="CustomerInformation" operation=InformCustomer inputvariable=FailedCreditCard
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portType="CashOnDelivery" operation=PrepareCashOnDelivery inputVariable=SelectedPaymentMethod portType="CashOnDelivery" operation=CancelCashOnDelivery inputVariable=SalesOrderRequest portType="DebitTransfer" operation=PrepareDebitTransfer inputVariable= SelectedPaymentMethod portType="DebitTransfer" operation=CancelDebitTransfer inputVariable=SalesOrderRequest portType="ConfirmSalesOrder" operation=ConfirmSalesOrder inputVariable=SalesOrderRequest outputVariable=Confirmation
Abb. 5: BPEL-Prozess der Auftragsbearbeitung (Ausschnitt)
Das While-Konstrukt erlaubt die Rückführung des Kontrollflusses im Falle einer negativen Gültigkeitsprüfung der Kreditkarte welche eine Änderung der Zahlungsart verlangt (vgl. Abb. 5). Mit Hilfe der Schleifenbedingung wird durch Abfrage der Variablen CreditCardData und SelectedPaymentMethod sichergestellt, dass der Kunde solange aufgefordert wird eine alternative Zahlungsart anzugeben, bis die Gültigkeitsprüfung der Kreditkarte entweder positiv ist oder eine Zahlungsbereitschaft per Nachnahme oder per Bankeinzug signalisiert wurde. Innerhalb der While-Schleife stellt ein Switch-Konstrukt das Äquivalent zum exklusiven Gateway der BPMN dar. Es spaltet den Kontrollfluss jeweils in drei Alternativen, die in Abhängigkeit zu dem Ergebnis der jeweiligen vorangehenden Auftragsprüfung stehen. Dieses wird von dem vorangehenden Serviceaufruf in der Variable SelectedPaymentMethod zurückgegeben. In Abhängigkeit davon wird dann die Vorbereitung der jeweiligen Zahlungsart angestoßen.
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Oliver Thomas, Katrina Leyking, Clemens Hildebrandt, Michael Fellmann, Marc Gräßle
<wsdl:definitions> […] <wsdl:message name="ScheduleExpressShippingRequest_sync"> <wsdl:part element="p1:ScheduleExpressShippingRequest_sync" name=" ScheduleExpressShippingRequest_sync" /> <wsdl:message name="ExpressScheduleConfirmation_synch"> <wsdl:part element="p2:ExpressScheduleConfirmation_sync" name="ExpressScheduleConfirmation_sync" /> <wsdl:message name="StandardMessageFault"> <wsdl:part element="p2:StandardMessageFault" name="StandardMessageFault" /> <wsdl:portType name="ScheduleExpressShippingRequest_In"> <wsdl:operation name="ScheduleExpressShipping_In"> <wsdl:input message="ScheduleExpressShippingRequest_sync" /> <wsdl:output message="ExpressScheduleConfirmation_synch" /> <wsdl:fault message="StandardMessageFault" /> […]
Abb. 6: Servicebeschreibung in WSDL (Ausschnitt)
Der im BPMN-Modell dargestellte Transaktionsbereich wird in BPEL durch die Umschließung der betroffenen Aktivitäten mit den Konstrukten <scope> und spezifiziert. Die entsprechenden Kompensationsaktivitäten werden den zugehörigen Serviceaufrufen wie z. B. „Nachnahme vorbereiten“ als definiert. Ähnlich verhält es sich mit der Abbruchfehlerbehandlung, die von dem initial angegebenen übernommen wird. Um den Transformationsprozess mit einem praktischen Servicebeispiel zu unterlegen, wurde der Service ScheduleExpressShipping, welcher den bereits im BPMN-Modell erläuterten Nachrichtenfluss zum Logistikpartner unterstützen soll, ausgewählt. Die WSDL-Beschreibung dieses Services erfolgt in Abb. 6 und umfasst neben der Definition der benötigten XML-basierten Nachrichten (messages) die Zusammensetzung des Services aus Porttype und Operation. Letztere definiert sich über die Input- und Outputmessages sowie eine default message.
4
Konklusion und Ausblick
Grundsätzlich stehen Wertschöpfungsnetzwerke anderen Herausforderungen gegenüber als Handelsunternehmen, die keine oder nur wenige Prozesse auslagern. Geschäftsarchitekturen, hier verstanden als der Gesamtzusammenhang der Leistungsverflechtungen in einem Wertschöpfungsnetzwerk (vgl. Winter 2003), bestehen meist aus heterogenen Anwendungssystemen. Ein Grund hierfür ist einerseits die Bevorzugung einzelner Best-of-Breed-Strategien gegenüber einer konsistenten Gesamtarchitektur, ein weiterer Grund ist andererseits die Vernachlässigung einer Gesamtsicht durch Fokussierung auf Projektziele oder einzelne Fachbereiche
Serviceorientierte Architekturen für das Multi-Channel-Management
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sowie durch die Verlagerung von Verantwortlichkeiten auf Bereiche, welche die strategischen Ziele eines Unternehmens außer Acht lassen (vgl. Hafner, Winter 2005). Mit wachsender Anzahl der Partner und zunehmenden Koordinationsanforderungen verstärkt sich der Bedarf nach einer Architektur, mittels derer man diese Systeme flexibel miteinander koppeln kann. Durch das Beispiel wurde erstens deutlich, dass diese flexible Einbindung zusätzlicher Leistungen und Partner im Online-Handel mittels einer SOA gewährleistet werden kann. Die bereits genannte Wiederverwendung von Diensten ermöglicht darüber hinaus eine effizientere Gestaltung der Gesamtarchitektur, da sie sich im Netzwerk nutzen und zu neuen Anwendungen zusammenfügen lassen. Aktivitäten der Netzwerkunternehmen beschränken sich zweitens seit der zunehmenden Akzeptanz des Internets als Absatzweg allerdings nicht mehr nur auf einen Distributionskanal (Single-Channel-Distribution). Handelsunternehmen verfolgen durch die Nutzung der drei Hauptkanäle, stationärer Handel, Versandhandel und Online-Handel, zunehmend multiple Distributionsstrategien (multichannel distribution). Diese Mehrkanalstrategien können in verschiedenen Konstellationen auftreten (vgl. Schramm-Klein 2003): „Clicks and Mortar“ bezeichnet die Kombination von stationären Geschäften mit einem Internet-Shop, „Clicks and Sheets“ steht für die Nutzung des traditionellen Versandhandels mit einem Internet-Shop und „Clicks, Bricks and Sheets“ bezeichnet schließlich die Verbindung aller drei Kanäle. Jeder der einzelnen Vertriebskanäle sowie jede der genannten Vertriebskonstellationen können darüber hinaus mit verschiedenen Kommunikationskanälen verknüpft sein. So kann beispielsweise ein Versandhandelsprozess sowohl durch Printwerbung als auch durch TV-Werbung ausgelöst werden. Die weitere Kundenauftragabwicklung erfolgt meist durch eine Anbindung an ein Callcenter, durch welches der Kunde seine Bestellung aufgeben kann. In diesem Multi-Channel-Retailing wird das Wiederverwendungspotenzial von flexibel gekoppelten Diensten auf der Basis einer serviceorientierten Architektur besonders deutlich, da die Services im Gegensatz zur Single-Channel-Distribution nicht nur innerhalb der Wertschöpfungskette mehrfach genutzt werden können, sondern auch über mehrere Kanäle hinweg. Der Einsatz eines Dienstes kann insbesondere bei einem Unternehmen veranschaulicht werden, das komplexere, aus mehreren Bauteilen bestehende Produkte vertreibt. Bei einer Bestellung von Ersatzteilen stellt dann ein Dienst eine Brücke zwischen zwei verschiedenen eingesetzten Systemen wie ein onlinebasiertes Händlerinformationssystem zur Ersatzteilbestellung und einen CAD-gestützten Ersatzteilkatalog her. Der Dienst soll dabei unabhängig vom für die Beanspruchung der Garantieleistung gewählten Absatzkanal zur Verfügung stehen. Abb. 7 verdeutlicht diesen Fall. Der Prozess der Garantieabwicklung greift dabei auf einen Dienst zu, ganz gleich ob er durch Mitarbeiter aus dem Versand-, dem Online-Handel oder dem stationären Handel durchgeführt wird.
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Oliver Thomas, Katrina Leyking, Clemens Hildebrandt, Michael Fellmann, Marc Gräßle
Abb. 7: Wiederverwendung von Diensten bei unterschiedlichen Vertriebskanälen
Bei der Anwendung des Ordnungsrahmens zur modellbasierten Gestaltung serviceorientierter Architekturen zeigte sich, dass bei den Übergängen vom Informations- zum Anwendungsmodell (Konfiguration) und vom Anwendungs- zum Ausführungsmodell (Konvertierung) eine Wiederverwendung von Modellinhalten erfolgt. Diese Wiederverwendung entspricht im übertragenen Sinne der Ableitung von Varianten aus den jeweils gegebenen Modellen. Für den entsprechenden Adaptionsvorgang stehen im Arbeitsgebiet der Referenzmodellierung spezielle Referenzmodellierungstechniken (Konfiguration, Aggregation, Spezialisierung, Instanziierung und Analogiekonstruktion) bereit (vgl. vom Brocke 2003). Einen zukünftigen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten sehen die Autoren daher in der Systematisierung der Übergänge zwischen EPK- und BPMN-Modell sowie BPMN- und BPEL-Modell durch die Nutzung dieser Techniken.
Serviceorientierte Architekturen für das Multi-Channel-Management
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Prozessorientierte Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFIDSystemen anhand eines ReferenzWirkungsmodells Lev Vilkov, Burkhard Weiß
1
Problematik der Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen
1.1 RFID-Systeme als Hoffnungsträger des Supply Chain Managements Laut einer Untersuchung der Venture Development Corporation, die die geschätzte Entwicklung des globalen Marktes für RFID-Systeme im Zeitraum von 2000 bis 2005 getrennt nach unterschiedlichen Anwendungsbereichen 1 analysiert hat, weist der Einsatz von RFID-Systemen in den Bereichen Supply Chain Management (SCM) und Logistik die stärkste Wachstumsdynamik auf. Eine steigende Anzahl an Firmen, die sich aktiv mit der Entwicklung und Vermarktung von RFID-Systemen befassen, zeigt, dass die erwarteten Potenziale der RFIDbasierten Objektidentifikation eine große Marktnische entstehen lassen. Lag der weltweite Umsatz für RFID-Systeme im Jahre 2000 noch bei etwa 900 Millionen US$, wird er im Jahr 2005 bereits auf 2,65 Milliarden US$ geschätzt. Der RFIDMarkt gehört damit zu dem am schnellsten wachsenden Teil der Funkindustrie, Handys mit eingeschlossen (vgl. Finkenzeller 2006, S. 1 f.). Geprägt durch diese rasante Entwicklung, liegt auch der Fokus aktueller betriebswirtschaftlicher Forschung auf dem Gebiet der RFID-Systeme und deren Wirtschaftlichkeitsanalyse. Untersuchungen zeigen, dass viele RFID-Projekte trotz erwarteter Potenziale sich betriebswirtschaftlich im Nachhinein als nicht rentabel erwiesen haben (vgl. Gaughan, D’Aquila 2005; Deska 2005; Wilson, Vesset
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Untersucht wurden RFID-Anwendungen in den Bereichen: Zutrittskontrolle, Asset Management, Supply Chain Management, Logistik/Transport, Point of Sale, Verfolgung von Mietgegenständen, Erhebung von Mautgebühren, Wegfahrsperre, Gepäckhandhabung, Tieridentifikation und Real Time-Positionierungssysteme.
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Lev Vilkov, Burkhard Weiß
2004). Aus Unternehmenssicht ist es daher wichtig im Vorhinein zu verstehen, welchen konkreten Beitrag ein RFID-System vor dem Hintergrund der unternehmensspezifischen Prozesse leisten kann und wie dieser sich nutzentechnisch manifestiert.
1.2 Motivation und Probleme der Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen Die Schwierigkeit der Wirtschaftlichkeitsanalyse von Informationssystemen besteht darin, dass eine Investition in Informationstechnologie nicht dem betriebswirtschaftlichen Standardfall entspricht (vgl. Becker, Schütte 2004, S. 188) und es somit bspw. keinen klar abgegrenzten Wirkungs- und Gestaltungsbereich gibt. Weist die zu beurteilende Investition ferner eine strategische Dimension auf, so handelt es sich um eine schlecht strukturierte Entscheidungssituation, die durch sogenannte „Defekte“ gekennzeichnet ist (vgl. Farbey, Land, Targett 1999, S. 195). Die entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre unterscheidet zwischen vier Arten von Defekten:
• Der Wirkungsdefekt ist der schwerwiegendste Defekt. Beim Wirkungsdefekt mangelt es an einem Wirkungszusammenhang zwischen den Handlungsalternativen, den für die Beurteilung als relevant definierten Merkmalen und den Erfüllungsgraden bzw. den Ergebnissen der einzelnen Alternativen (vgl. zum Folgenden Adam 1996, S. 10 ff.; Rieper 1992, S. 60 ff.). • Ein Bewertungsdefekt liegt vor, wenn für die relevanten Merkmale keine der Zielfunktion entsprechende Bewertung möglich ist. • Ein Zielsetzungsdefekt liegt vor, wenn für das Entscheidungsproblem keine eindimensionale Zielfunktion vorliegt und/oder das Ausmaß der angestrebten Zielgröße nicht festliegt. • Ein Lösungsdefekt liegt vor, wenn zwar sämtliche Daten vorliegen jedoch kein effizientes Lösungsverfahren zur Bestimmung der optimalen Alternative vorhanden ist. Betrachtet man ein RFID-System als eine Ausprägung eines Informationssystems handelt es sich bei der Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen definitionsgemäß um eine schlecht strukturierte Entscheidungssituation, die in der Regel zumindest durch die Wirkungs- und Bewertungsdefekte gekennzeichnet ist:
• Wirkungsdefekt: Es ist nicht eindeutig klar, welche betriebswirtschaftlichen Bereiche bzw. Geschäftsprozesse von der Einführung eines RFID-Systems betroffen sind. Nicht offensichtlich ist ebenfalls, auf welche Weise der Einsatz eines RFID-Systems die Abwicklung unternehmensinterner und -übergreifender Geschäftsprozesse beeinflusst. Verstärkt wird der Wirkungsdefekt
Prozessorientierte Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen
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durch die mangelnde Transparenz über die Alternativen der zukünftigen Prozessgestaltung und der Technologienutzung.
• Bewertungsdefekt: Es ist schwer die lokalisierten Wirkungen von RFIDSystemen in ihrer Höhe bzw. Stärke unmittelbar einer quantitativen bzw. einer monetären Bewertung zu unterziehen. Der Bewertungsdefekt ist besonders dann ausgeprägt, wenn eine Investition in ein RFID-System strategische Dimensionen mit einem langfristigen Charakter beinhaltet. Wie die Unternehmensumfragen von AMR Research (vgl. Gaughan, D’Aquila 2005) und IDC (vgl. Wilson, Vesset 2004) zeigen, treten die skizzierten Wirkungs- und Bewertungsdefekte vor allem im Zusammenhang mit der Nutzenanalyse von RFID-Systemen auf. Um diesen Wirkungs- und Bewertungsdefekten entgegenzuwirken, bedarf es offensichtlich einer systematischen und transparenten Strukturierung der Entscheidungssituation. Ein Beitrag der Wirtschaftsinformatik kann hinsichtlich der Verringerung der strukturellen Defektivität bei der Nutzenbewertung von RFID-Systemen geleistet werden. Dabei können die Methoden der Wirtschaftsinformatik insbesondere für die notwendige Vorstrukturierung des Entscheidungsproblems, in einer für die Nutzen- bzw. Wirtschaftlichkeitsanalyse geeigneten Form, herangezogen werden.
1.3 Zielsetzung der Entwicklung eines RFID-ReferenzWirkungsmodells als Beitrag zur RFIDWirtschaftlichkeitsbetrachtung Ausgehend von der geschilderten Problemstellung besteht das Ziel der vorliegenden Arbeit in der Vorstellung eines Referenz-Wirkungsmodells für RFIDSysteme, anhand dessen Wirtschafltlichkeitsanalysen durchgeführt werden können. Das Referenz-Wirkungsmodell ist dabei als generischer Wissensspeicher referenzieller RFID-Wirkungen zu sehen und soll als Modell die Strukturierung und Bewertung des RFID-Nutzens unterstützen. So sollen Wirkungs- und Bewertungsdefekte des Entscheidungsproblems „RFID-Nutzenanalyse“ verringert werden und auch die Qualität der Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen insgesamt verbessert werden.
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Lev Vilkov, Burkhard Weiß
2
Aufbau eines RFID-ReferenzWirkungsmodells
2.1 Funktionalitäten von RFID-Systemen RFID-Systeme können, in Abhängigkeit von Ihren Funktionalitäten, grundsätzlich unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen, die im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsanalyse erfasst und bewertet werden müssen. Zunächst soll daher näher auf die Funktionalitäten von RFID-Systemen eingegangen werden. Als Funktionalität von RFID-Systemen wird in dieser Arbeit die Beschaffenheit bzw. Fähigkeit bezeichnet, eine bestimmte betriebliche Aufgabe oder Menge von Aufgaben zu lösen. Es wird unterschieden zwischen primären und sekundären Funktionalitäten. Primäre Funktionalitäten stellen die charakteristischen Merkmale von RFID-Systemen dar und unterscheiden sie damit von anderen Autoidentifikationsverfahren (Auto-ID). Vier allgemeine Funktionalitäten von RFIDSystemen, die in dieser Arbeit als primär verstanden werden, können wie folgt aufgezählt werden: Identifikation ohne Sichtverbindung, Identifikation mit hoher Geschwindigkeit, Sicherung von Objekten, Objektbegleitende Datenhaltung. Sekundäre Funktionalitäten basieren grundsätzlich auf den primären Funktionalitäten und erfordern zu ihrer Realisierung die Erfüllung weiterer Nebenbedingungen. Beispielsweise können RFID-Systeme einen automatischen Abgleich des Wareneingangs mit der Bestellung sicherstellen. Eine solche Funktionalität setzt allerdings die Anbindung z. B. an ein Warenwirtschaftssystem voraus. Erst in Kombination mit unterschiedlichen Prozessen und Nebenbedingungen tragen primäre Funktionalitäten zur Wertschöpfung im Unternehmen bei. Diese sekundären Funktionalitäten entsprechen faktisch den RFID-Wirkungen und sind Gegenstand des vorzustellenden Referenz-Wirkungsmodells.
2.2 RFID-relevante Kernprozesse und Prozessobjekte des Supply Chain Managements Prozesse sind das strukturgebende Element bei der fachkonzeptionellen Erfassung von RFID-Wirkungen und bilden deshalb auch den strukturellen Kern des vorzustellenden Referenz-Wirkungsmodells. Dabei wird davon ausgegangen, dass Prozesse in einer hierarchischen Beziehung zueinander stehen können und es wird somit von einer Referenz-Prozesshierarchie gesprochen. Die Referenz-Prozesshierarchie beinhaltet nur solche Prozesse, in denen aus Sicht der Autoren RFID-Wirkungen, d. h. Prozess-Verbesserungen bzw. -Verschlechterungen, auftreten können (RFID-relevante Prozesse). Diese selektive Erfassung grenzt das Entscheidungsproblem der Wirtschaftlichkeitsanalyse ab und reduziert
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somit seine Komplexität. An dieser Stelle ist zu betonen, dass die ReferenzProzesshierarchie lediglich eine Teilmenge der RFID-relevanten Prozesse darstellt. Die Begründung dafür liegt vor allem in der ausgeprägten Individualität vieler unterstützender Verwaltungsprozesse, die lediglich vor dem Hintergrund einer konkreten Unternehmenssituation problemadäquat untersucht werden können. Die Hierarchisierung der Prozesse erfolgt durchgehend über drei Ebenen (E1, E2 und E3), wobei in diesem Unterabschnitt lediglich auf die erste Ebene der Kernprozesse eingegangen werden soll. Versteht man Prozess als eine „inhaltlich abgeschlossene, zeitliche und sachlogische Folge von Aktivitäten, die zur Bearbeitung eines betriebswirtschaftlich relevanten Objektes“ (Rosemann 1996, S. 9; Becker, Kahn 2005, S. 6) (Prozessobjekt) notwendig sind, können Prozesse der Ebene 3 als einzelne Aktivitäten aufgefasst werden. Die primären Funktionalitäten von RFID-Systemen unterstützen unter Berücksichtigung der Nebenbedingungen der Wertschöpfung die Durchführung dieser Aktivitäten und tragen auf diese Weise zum Entstehen des RFID-Nutzens bei. Aus Perspektive der ARIS-Methode 2 stellt die Referenz-Prozesshierarchie die Funktionssicht auf die RFID-relevanten Prozesse dar. „Eine Funktion kennzeichnet jeweils einen Vorgang“ (Scheer 1994, S. 19), der zur Erledigung einer betriebswirtschaftlichen Aufgabe erforderlich ist (vgl. Becker, Schütte 2004, S. 103). Ein Vorgang ist ein zeitverbrauchendes Geschehen, das durch ein Startereignis ausgelöst und durch ein Endereignis abgeschlossen wird. Während der fachkonzeptionellen Modellierung von Funktionen werden sie in Teilfunktionen zerlegt. Die Zerlegung von Funktionen dient der Reduktion ihrer Komplexität und kann grundsätzlich nach unterschiedlichen Kriterien bzw. Prinzipien (zu den unterschiedlichen Zerlegungsprinzipien vgl. Kosiol 1976, S. 49) vorgenommen werden. Durch eine zusätzliche Strukturierung bzw. Hierarchisierung der Teilfunktionen 2
Die Architektur integrierter Informationssysteme (ARIS) ist ein umfassender Ansatz zur Sturkurierung und Modellierung betrieblicher Informationssysteme. Für die Modellierung betriebswirtschaftlich relevanter Sachverhalte stellt ARIS gleichzeitig eine Methode zur konzeptionellen Verringerung der Komplexität betrieblicher Abläufe bzw. Prozesse dar, um sie durch Informationssysteme in geeigneter Weise unterstützen zu können. Ermöglicht wird die Komplexitätsreduktion durch die Bildung von sogenannten Sichten auf Prozesse: Organisationssicht, Funktionssicht und Datensicht. Die Auswahl geeigneter Sichten auf Prozesse erfolgt vor dem Hintergrund einer konkreten Fragestellung. Für die Modellierung der Sichten können unterschiedliche Modellierungstechniken eingesetzt werden. Die ARIS-Methode schlägt für die Beschreibung der Organisationssicht Organigramme, für die Funktionssicht Funktionsdekompositionsdiagramme und für die Datensicht Entity-Relationship-Modelle vor. Die Integration der drei Beschreibungssichten findet mit Hilfe der Prozesssicht statt, die die unmittelbaren Zusammenhänge zwischen den Objekten der drei anderen Sichten offenbart. Die Visualisierung der Prozesssicht in ARIS erfolgt mit Hilfe von Ereignisgesteuerten Prozessketten (EPK) bzw. Vorgangskettendiagrammen (VKD) (vgl. Scheer 1998a; Scheer 1998b; Scheer 1999).
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kann die Funktionszerlegung konkretisiert und übersichtlich gestaltet werden. Zur graphischen Darstellung der strukturellen Funktionsbeziehungen werden in ARIS Funktionsdekompositionsdiagramme bzw. Funktionsbäume verwendet (vgl. Scheer 1994, S. 19 f.).
Kunde, extern/intern
Prozesse
Lieferant, extern/intern
Die Zerlegung von Prozessen in der Referenz-Prozesshierarchie folgt also dem Prinzip der Funktionsbäume. Da die Prozesszerlegung nach Verrichtungen stattfindet, hat die Reihenfolge der Teilfunktionen in der Referenz-Prozesshierarchie somit keinen zeitlichen Bezug.
Abb. 1: RFID-relevante Kernprozesse im Supply Chain Management (in Anlehnung an Vilkov 2007, S. 60)
Die Referenz-Prozesshierarchie (RPH) umfasst sieben Ebene-1-Prozesse. Sie werden in Abb. entsprechend dem Kundenbezug gruppiert. Die linke Seite enthält Prozesse, die tendenziell einen Bezug zum Produkt- bzw. Dienstleistungsanbieter aufweisen, und die rechte Seite solche mit Bezug zum Abnehmer einer Leistung. Neben den eigentlichen Prozessen sind jedoch für das Referenz-Wirkungsmodell weitere Überlegungen zum Wirkungsgegenstand der Prozesse und somit den Prozessobjekten relevant. Unter einem Prozessobjekt wird im Allgemeinen ein prozessprägendes Objekt verstanden, welches ein betriebswirtschaftlich relevantes Objekt darstellt und durch die Aktivitäten eines Prozesses konsequent bearbeitet wird, wobei in einem Prozess unter Umständen mehrere relevante Objekte gleichzeitig bearbeitet werden können (vgl. Becker, Schütte 2004, S. 107 f.; Rosemann 1996, S. 9). Wird beispielsweise im Prozess „Wareneingang“ eine Palette entgegengenommen sowie der begleitende Lieferschein mit der korrespondierenden Bestellung abgeglichen, handelt es sich um drei relevante Prozessobjekte: Palette, Lieferschein und Bestellung. Ob ein Objekt als prozessprägend aufgefasst wird, hängt vom inhaltlichen Fokus der Prozessbetrachtung ab. Prozessobjekte, die dieser Definition genügen, werden deshalb in dieser Arbeit als Prozessobjekte im weiten Sinne bezeichnet. Um bereits bei der Definition des Prozessobjektes dem Fokus des ReferenzWirkungsmodells Rechnung zu tragen, wird der allgemeine Prozessobjekt-Begriff eingegrenzt. Als ein Prozessobjekt im engen Sinne wird ein physischer Gegen-
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stand bezeichnet (im obigen Beispiel trifft dies auf die Palette zu), der mit einem RFID-Transponder ausgestattet ist bzw. ausgestattet werden kann. Dieser Gegenstand stellt aus Sicht der Lieferkette eine logistische Einheit bzw. Handelseinheit dar. Die Klassifizierung von Prozessobjekten i. e. S. erfolgt im ReferenzWirkungsmodell in Anlehnung an die ISO-Normen:
• Ebene 0: Produkt (vgl. ISO 17367); • Ebene 1: Produktverpackung (vgl. ISO 17366); • Ebene 2: Transporteinheit (vgl. ISO 17365), z. B. ein Papierkarton; • Ebene 3: Wieder verwendbare Transporteinheit (vgl. ISO 17364), z. B. eine Holzpalette, ein Gitterbox, ein Landungs- bzw. Werkstückträger oder ein Behälter; • Ebene 4: Frachtcontainer (vgl. ISO 17363), z. B. ein 20- oder 40-Fuß Seecontainer; • Ebene 5: Fahrzeug, z. B. ein LKW, ein Zug, ein Schiff oder ein Flugzeug. Diese Klassifizierung sieht gleichzeitig eine Hierarchisierung von Prozessobjekten i. e. S. in sechs Hierarchiestufen vor (Ebene 0 bis 5), die auch als Ebenen der logistischen Einheit (LE-Ebene) bezeichnet werden. Ebene 5 stellt die höchste Aggregationsstufe der logistischen Einheiten dar. Die Aggregation der logistischen Einheiten erfolgt durch die Zuordnung einer rangniedrigeren LE-Ebene zu einer beliebigen ranghöheren LE-Ebene. Beispielsweise können gleichartige Produkte ohne Verpackung auf Paletten und dann auf einen LKW geladen werden. In diesem Beispiel erfolgt die Zuordnung über die drei LE-Ebenen: 0 → 3 → 5. Der Forderung von RIEBEL nach einer problemadäquaten Bezugsobjekthierarchie (vgl. Riebel 1994, S. 765) begegnet die Prozessobjekt-Hierarchie insofern, da sie als Entscheidungshierarchie zur fachkonzeptionellen Beurteilung der technischen Realisierbarkeit von RFID-Wirkungen dient. Durch die Zuordnung von Prozessobjekten zu RFID-Wirkungen gibt das Referenz-Wirkungsmodell also Hinweise, auf welcher LE-Ebene es in dem betrachteten Prozess sinnvoll ist, Prozessobjekte mit Transpondern auszustatten. Eine solche Zuordnung hat zum Teil auch einen Empfehlungscharakter, indem es den Entscheidungsträgern hilft, geeignete RFIDImplementierungsszenarien zu definieren. Weiterhin erleichtert die Zuordnung von Prozessobjekten zu (formalisierten) RFID-Wirkungen ihre Interpretation innerhalb des Referenz-Wirkungsmodells.
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2.3 Organisatorische Rollen im Rahmen des Supply Chain Managements als Sichten auf RFID-relevante Prozesse Die Supply Chain als Gegenstand des Supply Chain Managements (SCM) umfasst die gesamte Lieferkette vom Rohmaterialproduzenten bis zum Verkauf des Produkts an den Konsumenten bzw. Endkunden. Da im Idealfall sämtliche Beteiligte der Supply Chain (Supply-Chain-Mitglieder) in logistische Überlegungen einzubeziehen sind, kann das Supply Chain Management als eine systematische Radikalisierung jeder Form der kooperativen Logistik aufgefasst werden (vgl. Schütte 2001, S. 447). Bereits eine grobe Analyse der Lieferketten in unterschiedlichen Branchen, d. h. einer Menge von Unternehmen, die gleichartige Produkte 3 herstellen oder ähnliche Dienstleistungen erbringen (vgl. EU-Rat 1994, Artikel 2.5), zeigt, dass jedem Unternehmen innerhalb einer Lieferkette unterschiedliche Aufgaben im Sinne der rationalen Arbeitsteilung (vgl. z. B. Gabler 1988, S. 325 f.; Corsten 2000, S. 72 f.) zukommen, z. B. Produktion, Transport, Lagerung oder Verkauf. Solche Aufgaben werden im Folgenden als Supply-Chain-Rollen bezeichnet. Obwohl die Prozessreichweite (vgl. Schütte 2001, S. 447) der Supply-Chain-Rollen in Abhängigkeit vom Grad der Arbeitsteilung in der jeweiligen Branche variieren kann, helfen Supply-Chain-Rollen dem Anwender des Referenz-Wirkungsmodells, den Umfang der für ihn relevanten Referenzprozesse einzugrenzen. Die Abgrenzung der Rollen schließt allerdings nicht aus, dass ein Supply-Chain-Mitglied gleichzeitig mehrere Supply-Chain-Rollen wahrnimmt. Das vorzustellende Referenz-Wirkungsmodell definiert folgende Supply-Chain-Rollen:
• Hersteller (HE): Als Hersteller wird ein Supply-Chain-Mitglied bezeichnet, dessen Aufgabenbereich primär die Produktion von Rohstoffen, halbfertigen und fertigen Erzeugnissen umfasst. Ein Zulieferer, der seine Rohstoffe und Erzeugnisse selber herstellt, ist somit auch ein Hersteller. • Zentrallager (ZL): Als Zentrallager wird ein Supply-Chain-Mitglied bezeichnet, dessen Aufgabenbereich primär die Zwischenlagerung von materiellen Wirtschaftsgütern umfasst, z. B. ein Großhändler. Logistische Distributionszentren, selbst wenn sie aus Sicht des betrachteten Unternehmens lediglich einen Unternehmensbereich repräsentieren, werden somit ebenfalls als Zentrallager aufgefasst.
3
Für eine Übersicht über gängige Standards zur Klassifizierung und Beschreibung von Produkten und Dienstleistungen, z. B. Global Product Classification (GPC) oder Standardwarenklassifikation (SWK), vgl. IW Consult, GS1 Germany 2005. Zu Grundlagen der Produktklassifizierung vgl. ZVEI 2006.
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• Händler (HR): Als Händler wird ein Supply-Chain-Mitglied bezeichnet, dessen Aufgabenbereich primär den Vertrieb von fertigen Erzeugnissen an die Endkunden bzw. Konsumenten umfasst, z. B. ein Einzelhändler. • Logistikdienstleister (LD): Als Logistikdienstleister wird ein Supply-ChainMitglied bezeichnet, dessen Aufgabenbereich primär die Beförderung von materiellen Wirtschaftsgütern umfasst, z. B. Spedition, Luftfrachtgesellschaft, Reederei. Selbst wenn ein Logistikdienstleister in die anderen Supply-ChainRollen indirekt involviert wird, z. B. in einen Produktionsprozess, wird er nur als ein Logistikdienstleister aufgefasst. Ein Hersteller oder ein Zentrallager dagegen, die ihre Erzeugnisse z. B. eigenständig ausliefern, können zusätzlich die Rolle eines Logistikdienstleisters übernehmen. • Sonstiger Dienstleister (SD): Als sonstiger Dienstleister wird ein SupplyChain-Mitglied bezeichnet, dessen Aufgabenbereich über die Aufgaben eines Logistikdienstleisters hinausgeht, z. B. Reinigung, Reparatur und Wartung, Aufarbeitung, Entsorgung. Übernimmt ein sonstiger Dienstleister z. B. die Beförderung des Wirtschaftsgutes, wird er gleichzeitig auch als ein Logistikdienstleister verstanden. • Endkunde (EK): Als Endkunde wird ein Supply-Chain-Mitglied bezeichnet, das als Endverbraucher eines Produktes und somit auch der gesamten Wertschöpfung, die mit diesem Produkt verbunden war, gilt. Für das Referenz-Wirkungsmodell hat die Abgrenzung von Supply-Chain-Rollen vor allem einen Empfehlungscharakter. Durch die Zuordnung einer Supply-ChainRolle zu einem Referenzprozess gibt das Referenz-Wirkungsmodell Hinweise über die Zweckmäßigkeit des RFID-Einsatzes an der definierten Stelle der Lieferkette. Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit richtet sich dabei auf die realisierbaren Potenziale von RFID-Systemen im typischen Geschäftsprozesskontext der betrachteten Supply-Chain-Rolle. Weiterhin dient die Supply-Chain-Rolle als Anpassungsmerkmal des Referenz-Wirkungsmodells. Es ist zu betonen, dass die Zuordnung von Supply-Chain-Rollen zu Referenzprozessen vor dem subjektiven Erfahrungshintergrund der Autoren stattgefunden hat und bisher anhand einer begrenzten Anzahl an Fallstudien evaluiert wurde. Die Zuordnung erhebt somit keinen Anspruch auf ihre Vollständigkeit und schließt eventuelle Abweichungen in Bezug auf die tatsächliche Einsetzbarkeit von RFIDSystemen nicht aus.
2.4 Typisierung der für die Wirtschaftlichkeitsanalyse relevanten RFID-Wirkungen Nach MOONEY, GURBAXANI und KRAEMER treten IT-Wirkungen sowohl auf der Ebene der operativen Prozesse als auch auf der Ebene der Managementprozesse
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im Allgemeinen in Form von drei IT-Wirkungseffekten auf (vgl. Mooney, Gurbaxani, Kraemer 1996, S. 74):
• Automatisierungseffekte entstehen dadurch, dass Informationstechnologie menschliche Arbeit ersetzt; • Informationseffekte entstehen durch die Fähigkeit von Informationssystemen, Informationen zu sammeln, zu speichern, zu verarbeiten und zu verbreiten; • Transformationseffekte leiten sich aus der Fähigkeit von Informationstechnologie ab, Prozessinnovationen und -veränderungen zu ermöglichen bzw. zu erleichtern. Allgemeine IT-Wirkungseffekte
RFID-Wirkungstypen Bearbeitungszeitreduktion (BEZ)
Ressourcenverbrauchreduktion (RVR) Automatisierungseffekt Schwundreduktion (SWR)
Fehlerreduktion (FER) Transformationseffekt
Informationseffekt
Prozessinformation (INF)
Kundenzufriedenheit (KND)
Abb. 2: RFID-Wirkungstypen 4: Spezialisierung der allgemeinen IT-Wirkungseffekten (in Anlehung an Vilkov 2007, S. 82)
Dank ihres abstrakten Charakters ist diese Klassifizierung der IT-Wirkungseffekte grundsätzlich für Interpretation aller denkbaren 5 IT-Wirkungen sowie im Speziellen für die Strukturierung der RFID-Wirkungen 6 hilfreich. Für die Entwicklung eines Referenz-Wirkungsmodells im Sinne der vorliegenden Arbeit ist diese Auf4
5
6
Die Zuordnung der RFID-Wirkungstypen zu den IT-Wirkungseffekten geht von typischen betrieblichen Zusammenhängen aus und vernachlässigt eventuelle Ausnahmen. Die graphische Darstellung der Überschneidungen ist rein symbolisch und drückt keinen Überschneidungsgrad aus. Den Autoren sind keine Beispiele von IT-Anwendungen bekannt, in denen eine Zuordnung zu mindestens einem der genannten Effekttypen durch sachlogische Argumente nicht begründet werden könnte. Um den Einfluss der RFID-Technologie auf Prozesseffizienz zu untersuchen, sowie RFID-Nutzenpotenziale zu beschreiben, hat z. B. TELLKAMP einen konzeptionellen Ordnungsrahmen entwickelt, welchem die drei genannten IT-Wirkungseffekte zugrunde liegen (vgl. Tellkamp 2006, S. 56 ff.).
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teilung jedoch zu generisch, weil sie keine unmittelbaren Rückschlüsse auf geeignete Bewertungsmöglichkeiten ziehen lässt. Eine spätere kennzahlenbasierte Formalisierung der RFID-Wirkungen, im Rahmen einer zu unterstützenden Wirtschaftlichkeitsanalyse, bedarf zudem einer zweckadäquaten Spezialisierung der allgemeinen IT-Wirkungseffekte. Demnach unterscheidet das ReferenzWirkungsmodell sechs RFID-Wirkungstypen. Um Aufschlüsse über die konzeptionelle Grundlage der entwickelten Typisierung zu geben, ordnet Abb. 2 die RFIDWirkungstypen den allgemeinen IT-Wirkungseffekten zu. Die Notwendigkeit der spezifischen Typisierung von RFID-Wirkungen kann vor allem dadurch begründet werden, dass die spätere Anwendung des ReferenzWirkungsmodells eine möglichst eindeutige Zuordnung der RFID-Wirkungen zu einzelnen RFID-Wirkungstypen und dadurch schließlich zu den Bewertungskennzahlen erfordert. Wegen der inneren Komplexität und wechselseitigen Anhängigkeiten der drei allgemeinen IT-Wirkungseffekte ist der Übergang vom Automatisierungs- bzw. Informationseffekt zum Transformationseffekt auch in Bezug auf die RFID-Technologie fließend. Diese sachlogischen Überschneidungen (vgl. Abb. 2) stellen eine zusätzliche Herausforderung für die Wahl der geeigneten RFID-Wirkungstypen dar. In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass sich durch die Spezialisierung der allgemeinen IT-Wirkungen ihr Überschneidungsgrad deutlich verringern lässt. Diese Annahme beruht auf der Tatsache, dass bei der Klassifizierung einer Menge von Artefakten 7, die Zuordnung eines Artefakts (RFID-Wirkung) zu einem Typ (RFID-Wirkungstyp) spätestens dann eindeutig und überschneidungsfrei ist, wenn die Anzahl der vorgesehenen Typen der Anzahl der Artefakte entspricht. 8 Da die Anzahl theoretisch denkbarer spezifischer RFID-Wirkungen unendlich ist, ist es grundsätzlich nicht möglich, eine endliche Anzahl an disjunkten RFID-Wirkungstypen zu definieren, die eine überschneidungsfreie Zuordnung der einzelnen RFID-Wirkungen sicherstellt. Deshalb besteht die Aufgabe darin, eine für den gewählten Prozessdetaillierungsgrad des Referenz-Wirkungsmodells optimale Typisierung der RFID-Wirkungen zu entwickeln, d. h. eine möglichst überschneidungsfreie Typisierung mit möglichst wenigen RFID-Wirkungstypen zu erreichen. Die Typisierung von solchen komplexen Artefakten kann im Rahmen der Modellkonstruktion deshalb als ein kreativer Prozess aufgefasst werden. Obwohl die relevanten Typisierungskriterien sich einer vollständigen Explizierung entziehen, kann die Semantik der einzelnen RFID-Wirkungstypen durch eine ausführliche Beschreibung erläutert werden.
7 8
Ein Artefakt ist „etwas von Menschenhand Geschaffenes; Kunstprodukt“ (vgl. Duden 2000; Hevner et al. 2004, S. 76). Das ist z. B. bei der Klassifikation nach einem Schlüsselattribut der Fall.
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RFID-Wirkungstyp „Bearbeitungszeitreduktion“ Ergebnisse zahlreicher Fallstudien 9 zeigen, dass Automatisierung manuell durchgeführter Prozessaktivitäten den Schwerpunkt der bisher realisierten RFIDNutzenpotentiale darstellt. Als Automatisierung bzw. Prozessautomatisierung wird im Folgenden die Übertragung betrieblicher Aufgaben vom Menschen auf RFIDAnwendungssysteme bezeichnet, wobei es sich sowohl um eine Vollautomatisierung als auch um eine Teilautomatisierung handeln kann (in Anlehnung an Mertens 2001, S. 4). Fasst man, ausgehend von den primären Funktionalitäten der RFID-Systeme und den RFID-relevanten Prozessen die theoretisch übertragbaren Aufgaben zusammen, stellt man fest, dass es sich dabei primär um die Datenerfassung und Datenbearbeitung handelt. Die betriebswirtschaftliche Begründung für die RFID-basierte Automatisierung liegt vor allem in der Vermeidung der manuellen Datenerfassung und -eingabe, die mit folgenden potenziellen Nachteilen behaftet sind: hoher Zeitaufwand, Fehleranfälligkeit, Verbrauch von Hilfsmitteln. Der RFID-Wirkungstyp „Bearbeitungszeitreduktion“ (BEZ-Wirkungen) bezieht sich auf den Zeitaufwand der manuellen Bearbeitung. 10 Der Aufwand, den es in diesen Zusammenhang durch die RFID-basierte Prozessautomatisierung zu vermeiden gilt, sind die Personalkosten der betroffenen Mitarbeiter. Im ReferenzWirkungsmodell wird davon ausgegangen, dass die Lohn- und Gehaltskosten in der Regel durch Automatisierung in der Regel gesenkt werden können. Diese Schlussfolgerung basiert auf folgenden Annahmen:
• Durch eine RFID-basierte Automatisierung werden bestimmte Mitarbeiter von ihren Routinetätigkeiten entlastet bzw. vollständig befreit. Zeit, die für die Ausführung der Routinetätigkeiten durch die menschlichen Aufgabenträger notwendig war, (Bearbeitungszeit) steht für andere Tätigkeiten zur Verfügung. • Die frei gewordenen menschlichen Ressourcen können innerhalb der Organisation anderweitig, wenn betriebswirtschaftlich sinnvoll, beschäftigt werden bzw. kurzfristig dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt werden. Da es sich bei Routinetätigkeiten der Datenerfassung und -eingabe häufig um Hilfskräfte bzw. um weniger spezialisierte Mitarbeiter handelt, ist eine flexible Umdisposition dieser menschlichen Ressourcen in der Regel möglich. Eine Entlastung der hochqualifizierten Mitarbeiter von Routinetätigkeiten und eine damit einhergehende Fokussierung auf wertschöpfende Tätigkeiten wird ebenfalls erreicht. 9 10
Vgl. z. B. Ergebnisse einer umfassenden Untersuchung im Handel (vgl. Tellkamp 2006, S. 47 ff.) bzw. in der Automobilindustrie (vgl. Fleisch et al. 2004). Fehleranfälligkeit wird im Rahmen des RFID-Wirkungstyps „Fehlerreduktion“ behandelt und Hilfsmittelverbrauch im Rahmen des RFID-Wirkungstyps „Ressourcenverbrauchreduktion“.
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• Für die Umdisposition der menschlichen Ressourcen ist es irrelevant, nach welchen Verfahren ihr Arbeitsentgelt berechnet wird. Die Vermeidung von Lohnkosten infolge der Bearbeitungszeitreduktion tritt bei jeder Lohnform (Zeitlohn, Akkordlohn oder Prämienlohn) 11 ein. Da Personalkosten vereinfachend ein Produkt aus [Lohn- und Gehaltskosten pro Prozessausführung] und [Anzahl der Prozessausführungen] in der betrachteten Periode sind, wird das mengenmäßige Potenzial der BEZ-Wirkungen (RFIDgetriebene Bearbeitungszeitreduktion) von zwei Faktoren der Ist- bzw. SollSituation (entsprechend mit bzw. ohne RFID) bestimmt: Häufigkeit der Prozessausführung, Einsparpotenzial pro Prozessausführung. Neben der Zeitintensität manueller Datenerfassung und -eingabe, hängt das Einsparpotenzial pro Prozessausführung vom Automatisierungsgrad der Ist-Prozesse ab. Da die Automatisierbarkeit von Prozessen mit Hilfe von RFID-Systemen ihre technisch bedingten Grenzen hat, nimmt das maximal realisierbare Einsparpotenzial der BEZ-Wirkungen mit dem zunehmenden Automatisierungsgrad der IstProzesse ab. Werden z. B. im Lager bereits durchgehend Barcode-Systeme oder automatische Lagersysteme eingesetzt, so verbleiben relativ wenige manuelle Tätigkeiten, deren Automatisierungsgrad durch den Einsatz von RFID-Systemen zusätzlich erhöht werden kann. Da viele Industrie- und Handelsunternehmen diverse Systeme zur Automatisierung logistischer Abläufe nutzen, greift eine ausschließliche Fokussierung auf die Bearbeitungszeitreduktion nicht selten zu kurz (vgl. Strassner, Fleisch 2005, S. 53; Beckenbauer, Fleisch, Strassner 2004, S. 49). RFID-Wirkungstyp „Fehlerreduktion“ Ein hoher Anteil an manueller Prozessausführung bindet nicht nur Personalressourcen, sondern ist auch fehleranfällig. Als Fehler wird hier eine Abweichung von einer optimalen oder normierten Prozessausführung bezeichnet, die unmittelbar auf eine fehlerhafte Datenerfassung oder -bearbeitung zurückgeführt werden kann. Der Aufwand, den es in diesem Zusammenhang durch die RFID-basierte Prozessautomatisierung zu vermeiden gilt, sind die Folgekosten der fehlerhaften Prozessausführung. Da die Fehleranzahl durch die Wahrscheinlichkeit der fehlerhaften Prozessausführungen bestimmt wird, wird der Erwartungswert der Folgekosten als Fehlerfolgekosten bezeichnet. Der RFID-Wirkungstyp „Fehlerreduktion“ fasst demnach RFID-Wirkungen zusammen, die die Fehlerfolgekosten vollständig oder teilweise vermeiden lassen. Kann die Fehlerursache durch den Einsatz von RFID-Systemen prinzipiell nicht beseitigt werden, ist dieser Fehler für das Referenz-Wirkungsmodell irrelevant. Bezüglich der Zuordnung einer RFID-Wirkung zum RFID-Wirkungstyp „Fehlerreduktion“ ist weiterhin zu berücksichtigen, dass nicht jeder Fehler Fehlerfolge11
Zu unterschiedlichen Lohnformen und entsprechenden Berechnungsverfahren vgl. Wöhe, Döring 1993, S. 280 ff.
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kosten verursacht. Der Grund dafür ist die Fehlertoleranz von Prozessen bzw. von Prozessnetzwerken (vgl. Strassner 2005, S. 116). Stellt ein Zulieferer beispielsweise seine Lieferung unsorgfältig zusammen, können die Fehlmengen unter Umständen durch die Sicherheitsbestände des Herstellers ausgeglichen und bei der nächsten Planlieferung wiederaufgefüllt werden. Werden bei einer fehlerhaften Bestellung z. B. Teile geliefert, die erst für die nächste Lieferung geplant wurden und lassen die vereinbarten Zahlungsfristen eine frühzeitige Kapitalbindung vermeiden, so entstehen keine Fehlerfolgekosten. Es ist anzunehmen, dass die Fehlertoleranz von Prozessen sich tendenziell mit der steigenden Komplexität von Supply-Chain-Netzen verringert. Die Komplexität eines Systems wird im Allgemeinen durch die Anzahl der Elemente und Beziehungen bestimmt, die zwischen diesen Elementen bestehen. 12 Je mehr Schnittstellen ein fehlerhafter Prozess zu anderen Prozessen innerhalb der Supply Chain also aufweist, desto geringer ist die Fehlertoleranz des Prozessnetzes. Der Grund dafür ist die höhere Fehlerwahrscheinlichkeit, die mit der steigenden Anzahl der Elemente und Beziehungen, d. h. mit der steigenden Anzahl an potenziellen Fehlerquellen, tendenziell zunimmt. Wird die Fehlertoleranz von Prozessen überschritten, kann nach FRÖHLING zwischen zwei Fehlerfolgekosten-Kategorien unterschieden werden, wobei im Vordergrund der Kategorisierung die Schwere der Fehlerfolgen aus Sicht des Unternehmens steht, das den Fehler zu verantworten hat (vgl. Fröhling 1994):
• Operative Fehlerfolgekosten: Als operative Fehlerfolgekosten werden in dieser Arbeit solche Kosten bezeichnet, die von der Fehleranzahl annähernd proportional abhängig sind (vgl. Bronner 1992). 13 Einen wesentlichen Teil der operativen Fehlerfolgekosten machen die Personalkosten aus, die durch den Zeitaufwand für eine nachträgliche Bearbeitung entstehen (vgl. z. B. Lampe, Strassner, Fleisch 2004). Neben den Personalkosten können für eine Nachbearbeitung oder eine erneute Prozessausführung auch Geld- und Sachmittel verbraucht werden. Operative Fehlerfolgekosten können sowohl in unabhängigen als auch in abhängigen Prozessen entstehen und sind in der Regel quantitativ messbar. • Strategische Fehlerfolgekosten: Als strategische Fehlerfolgekosten werden in dieser Arbeit solche Kosten bezeichnet, die eine ausgeprägt überproportionale Abhängigkeit von der Fehleranzahl aufweisen. 14 Die überproportionale Ab12
13 14
Beispielsweise KRALLMANN sieht Komplexität primär durch die Anzahl an Beziehungen und erst sekundär durch die Anzahl der Elemente bestimmt (vgl. Krallmann 1994, S. 9). In Anlehnung an die Darstellung der unterschiedlichen Fehlerfolgekostenpotenziale (vgl. Strassner 2005, S. 117). In Anlehnung an die Darstellung der unterschiedlichen Fehlerfolgekostenpotenziale (vgl. Strassner 2005, S. 117).
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hängigkeit entsteht dadurch, dass strategische Fehler hohe Kosten bzw. Schäden bei den nachgelagerten Supply-Chain-Gliedern verursachen. Als Folge führen Vertrauensverlust und Kosten in Form von Schadensersatzansprüchen zu negativen Auswirkungen auf den Wert des gesamten Unternehmens, welches die Fehler zu verantworten hat. Dabei kommt es weniger auf die Fehlerhäufigkeit als auf die Tatsache an, dass ein Fehler überhaupt erst aufgetreten ist. Strategische Fehlerfolgekosten entstehen ausschließlich in abhängigen Prozessen und sind nicht selten nur qualitativ messbar.
Abb. 3: Unterschied zwischen operativen und strategischen Fehlerfolgekosten (in Anlehung an Vilkov 2007, S. 85)
Im Referenz-Wirkungsmodell werden RFID-Wirkungen mit Bezug zu operativen Fehlerfolgekosten dem RFID-Wirkungstyp „Fehlerreduktion“ zugeordnet. Als operative Fehler werden entsprechend solche Abweichungen von einer optimalen oder normierten Prozessausführung bezeichnet, wo die Fehlerfolgekosten eine annähernd proportionale Abhängigkeit von der Fehleranzahl aufweisen. RFIDWirkungen mit Bezug zu strategischen Fehlerfolgekosten werden im ReferenzWirkungsmodell unter dem RFID-Wirkungstyp „Kundenzufriedenheit“ subsumiert.
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RFID-Wirkungstyp „Ressourcenverbrauchsreduktion“ Als Ressource wird im Zusammenhang mit der Typisierung von RFID-Wirkungen das materielle Vermögen eines Unternehmens bezeichnet, d. h. menschliche Ressourcen werden bei dieser Sichtweise der Unternehmensressourcen ausdrücklich ausgeschlossen. Der Ressourcenverbrauch verursacht demnach den Verbrauch von Geld- und Sachmitteln des betroffenen Unternehmens. Die RVR-Wirkungen tragen dazu bei, dass der Ressourcenverbrauch in dem relevanten Prozess (Prozesskosten) möglichst gering gehalten wird:
• Sachmittel: Materialkosten, vor allem Hilfs-, Betriebsstoffe und Verbrauchswerkzeuge; • Geldmittel: Kosten für Fremddienste und kalkulatorische Kosten, vor allem Kapitalbindung (z. B. für das Vorhalten von Sicherheitsbeständen), Lagerhaltung und Abschreibungen (z. B. für die Nutzung des Fuhrparks). Das folgende Beispiel soll den Charakter der RVR-Wirkung verdeutlichen. Betrachtet man einen Prozess der Kommissionierung ohne RFID-Unterstützung, so kann in diesem Prozess z. B. folgender Ressourcenverbrauch stattfinden:
• Verbrauchsmaterial für den Druck von Kommissionierlisten (Sachmittel), • Abschreibungen für einen Kommissionier-PC und -Drucker (Geldmittel), • Abschreibungen für mehrere Förderfahrzeuge (Geldmittel), • Kraftstoff für Förderfahrzeuge (Sachmittel). Durch ein RFID-System mit mobilen Handlesegeräten kann man gegebenenfalls auf den Druck von Kommissionierlisten komplett verzichten. Geht man auch noch davon aus, dass jeder Kommissionierer ein eigenes Förderfahrzeug bedient und durch eine elektronische Führung und automatische Datenerfassung effizienter arbeiten kann, so kann eventuell auch die Anzahl der Kommissionierer und entsprechend auch der Förderfahrzeuge reduziert werden. Obwohl Prozesskosten durch RVR-Wirkungen gesenkt werden können, ist zu erwarten, dass die absolute Höhe der RVR-Wirkungen häufig vergleichsweise gering ausfällt. RFID-Wirkungstyp „Schwundreduktion“ Als Schwund wird hier der monetäre Wert von Prozessobjekten (z. B. einer Handelsware oder einer wieder verwendbaren Transporteinheit) bezeichnet, der für das betroffene Unternehmen Kosten- bzw. Erlöswirksamkeit besitzt. Im ReferenzWirkungsmodell wird davon ausgegangen, dass Schwund durch den Einsatz von RFID-Systemen teilweise verringert werden kann. RFID-Wirkungen, die zur Schwundreduktion beitragen, werden dem RFID-Wirkungstyp „Schwundreduktion“ zugeordnet und im Folgenden als SWR-Wirkungen bezeichnet.
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Zu den Schwundursachen, denen mit dem Einsatz von RFID-Systemen entgegengewirkt werden kann, werden hier die folgenden gerechnet: Diebstahl durch Mitarbeiter oder Kunden, Verlust, Preisminderung durch verkürzte Mindesthaltbarkeit oder Beschädigung. RFID-Wirkungstyp „Prozessinformation“ Als Prozessinformation werden in dieser Arbeit elektronische Daten verstanden, die von RFID-Systemen erfasst, gespeichert, verarbeitet und weitergegeben werden können. Da es sich beim Einsatz von RFID-Systemen grundsätzlich um die Datenerfassung und -verarbeitung handelt, können bei der Beurteilung einer RFID-Wirkung missverständliche Überschneidungen mit den anderen, in diesem Abschnitt vorgestellten RFID-Wirkungstypen auftreten. Ausschlaggebend für eine klare Abgrenzung der INF-Wirkungen ist der hier angewendete Begriff der Prozessinformation, der seinen Schwerpunkt nicht auf der Art der Informationsgewinnung (manuell versus automatisch), sondern auf der Beschaffenheit der Information selbst hat. Prozessinformationen sind nach dieser Auffassung entweder verfügbar oder nicht verfügbar. Für den Fall der Verfügbarkeit kann weiterhin zwischen der Granulariät und Aktualität von Informationen unterschieden werden. Die Fehlerfreiheit, als Beschaffenheitsmerkmal wird hierbei nicht aufgegriffen, da diese bereits auf andere diskutierte RFID-Wirkungen (Fehlerreduktion und Kundenzufriedenheit) zurückzuführen ist. Eine RFID-Wirkung des RFID-Wirkungstyps „Prozessinformation“ gilt als zustande gekommen, wenn durch den Einsatz von RFID-Systemen die, für eine effiziente Prozessausführung notwendigen Prozessobjekt-Daten zur Verfügung gestellt werden und diese Daten feingranular und/oder 15 aktuell sind. Solche RFID-Wirkungen werden im Folgenden als INF-Wirkungen bezeichnet. Entscheidend für das Zustandekommen einer INF-Wirkung ist also die Tatsache, dass die durch ein RFID-System gewonnenen Prozessobjekt-Daten eine sinnvolle Anwendung finden, die zu einer effizienteren Prozessausführung beitragen. Als feingranular bzw. aktuell werden im Referenz-Wirkungsmodell folgende Prozessinformationen bezeichnet:
• Feingranular: Der Begriff „Informationsgranularität“ wird hier in seiner im ISManagement verbreiteten Bedeutung als Detaillierungsrad der Information verwendet. 16 Die mit Hilfe eines RFID-Systems gewonnenen Daten werden im Folgenden dann als feingranular bezeichnet, wenn der Detaillierungsgrad der
15 16
Ein inklusives ODER, d. h. „entweder feingranular oder aktuell“ bzw. „feingranular und aktuell“. Nach ÖSTERLE/BRENNER/HILBERS lässt sich der Trend zur zunehmenden Detaillierungsgrad in der betrieblichen Informationsverarbeitung durch den zunehmenden Datenbedarf zur Bewältigung komplexer Aufgaben begründen (vgl. Österle, Brenner, Hilbers 1991).
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Lev Vilkov, Burkhard Weiß
RFID-basierten Daten über die Erfassung des Typs eines Ebene-0Prozessobjektes hinausgeht.
• Aktuell: Unter dem Begriff „Informationsaktualität“ wird hier die Bedeutsamkeit der Information für die unmittelbare Gegenwart verstanden, d. h. Zeitnähe der Informationsgewinnung zum Zeitpunkt der Informationsverwendung. 17 Ausgehend von diesem Verständnis, werden die mit Hilfe eines RFID-Systems gewonnenen Daten im Folgenden dann als aktuell bezeichnet, wenn sie nicht unmittelbar zu Verzögerungen in der Ausführung von abhängigen Prozessen führen bzw. deren Durchlaufzeit negativ beeinträchtigen. Entscheidend ist dabei allerdings, dass diese Verzögerungen den kritischen Pfad 18 der Prozessabläufe zeitlich verlängern und deshalb als unerwünscht angesehen werden. In der Regel bedeutet die Wahrung der Datenaktualität, dass die Daten zeitnah (online) an die entsprechenden Anwendungssysteme (z. B. Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme, Warenwirtschaftssysteme) übermittelt werden müssen. In Bezug auf die Kosten- und Erlöswirksamkeit wird davon ausgegangen, dass INF-Wirkungen zum Teil Personalkosten reduzieren können und indirekt zu Umsatzerhöhungen beitragen. Personalkosten können vor allem durch die Verkürzung der Durchlaufzeit abhängiger Prozesse infolge besserer Informationsqualität reduziert werden. Die verbesserten Auswertungs- und Analysemöglichkeiten innerhalb der Supply Chain könnte Umsatzerhöhungen nach sich ziehen, z. B. durch Schließung von Graumärkten für Markenprodukte oder durch den Verkauf zusätzlicher Informationsleistungen wie das Online-Tracking. Umsatzerhöhungen, die auf die Steigerung der Kundenzufriedenheit zurückzuführen sind, werden dagegen unter dem RFID-Wirkungstyp „Kundenzufriedenheit“ subsumiert. RFID-Wirkungstyp „Kundenzufriedenheit“ Eine RFID-Wirkung des RFID-Wirkungstyps „Kundenzufriedenheit“ gilt als zustande gekommen, wenn durch den Einsatz von RFID-Systemen die Senkung des Erwartungswertes von strategischen Fehlern (strategische Fehlerfreiheit) und/oder die Einhaltung bzw. Verkürzung der vereinbarten Lieferzeiten (Termintreue) antizipiert werden kann. Solche RFID-Wirkungen werden im Folgenden als KND-Wirkungen bezeichnet. Wie bereits diskutiert wurde, werden als strategische Fehler solche Abweichungen von einer optimalen oder normierten Prozessausführung bezeichnet, deren Fehlerfolgekosten eine ausgeprägt überproportionale Abhängigkeit von der Fehleranzahl 17 18
In Anlehnung an die Definition des Begriffes Aktualität (vgl. Duden 2000). Der Begriff kritischer Pfad stammt aus der Netzplantechnik und bedeutet in Bezug auf Prozesse den Weg durch ein Prozessnetzwerk, mit dem alle Prozessabläufe verbunden sind, deren Bearbeitungszeit nicht verlängert werden kann, ohne die gesamte Durchlaufzeit des Prozessnetzwerks zu verlängern (vgl. Manalex 2006).
Prozessorientierte Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen
293
aufweisen (vgl. Abb. 3). Die strategische Fehlerfreiheit ist dementsprechend dann gegeben, wenn keine strategischen Fehler auftreten, die zum bedeutenden Verlust des Kundenvertrauens und des Unternehmenswertes bei bereits wenigen Fehlerereignissen führen können. Beispielsweise HENDRICKS und SINGHAL berichten in einer empirischen Studie, dass medienwirksame Störungen in der Supply Chain von börsennotierten Unternehmen zu einem Verlust von durchschnittlich 7,5 % ihres Börsenwertes zur Folge hatten. 19 Neben der strategischen Fehlerfreiheit stellt Termintreue das zweite relevante Merkmal der Kundenzufriedenheit dar, das im Referenz-Wirkungsmodell zum Ausdruck kommt. Als Termintreue wird im Folgenden eine pünktliche oder einvernehmlich vorzeitige Erfüllung vertraglicher Lieferverpflichtungen bezeichnet, die aus einem Kundenauftrag entstehen und zum Zeitpunkt der Vertragserfüllung 20 vom Kunden als zeitkritisch empfunden werden. Die Wichtigkeit der Termintreue in der kaufmännischen Praxis wird dadurch begründet, dass eine Versäumung des vereinbarten Liefertermins einen Schuldnerverzug (vgl. § 286 BGB; Gabler 1988, Band 5, S. 1409) mit den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen, z. B. Schadensersatzanspruch des Kunden, nach sich ziehen kann (vgl. §§ 280 ff. BGB). Zusammenfassende Übersicht der RFID-Wirkungstypen Abb. 4 stellt zusammenfassend die Merkmale der RFID-Wirkungstypen dar, die bei der Anwendung des Referenz-Wirkungsmodells, sowohl für die Interpretation der referenziellen RFID-Wirkungen, als auch für die Klassifikation der unternehmensspezifischen RFID-Wirkungen. angewendet werden sollen.
19
20
Vgl. Hendricks, Singhal 2003. Ein extremes Beispiel für strategische Fehler stellt der Rückruf von 20 Mio. Reifen durch den Automobilhersteller Ford und den Reifenhersteller Bridgestone/Firestone in den Jahren 2000 und 2001 dar. Ford beziffert die entstandenen Kosten auf mindestens 2,6 Mrd. US$. Der Kursrückgang der BridgestoneAktie von 24 auf 9 US$ sowie der Marktwertverlust von Ford um 4 Mrd. US$ wurden im Wesentlichen auf dieses Fehlerereignis zurückgeführt (vgl. Healey 2000). Im Jahr 2001 beendete Ford die 95-jährige Partnerschaft mit Bridgestone/Firestone. Der Reifenhersteller Michelin bezieht sich auf diesen Vorfall als Begründung für seine RFIDAktivitäten (vgl. Krazit 2004). Der Liefertermin wird nach § 271 BGB als Leistungszeit bezeichnet (vgl. auch Gabler 1988, Band 4, S. 132).
294
Lev Vilkov, Burkhard Weiß
Abb. 4: Übersicht der ausgewählten Klassifikationskriterien von RFID-Wirkungen (in Anlehnung an Vilkov 2007, S. 98)
2.5 RFID-Referenz-Wirkungsmodell Basierend auf den im Abschnitt 2.2 bis 2.4 erläuterten Konzepten soll im Folgenden das entwickelte Referenz-Wirkungsmodells vorgestellt werden. Kern des Modells bilden die vier bereits vorgestellten Sichtweisen bezogen auf Kernprozesse und Prozesshierarchien, Prozessobjekte, Supply-Chain-Rollen und den sechs vorgestellten RFID-Wirkungstypen.
Prozessorientierte Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen
295
Die sieben RFID-relevanten Kernprozesse eines Referenz-Unternehmens (Beschaffung, Produktion, Rücknahme, Transport, Kundendienst, Lieferung und Rückgabe) werden zunächst entsprechend der Ausführungen des Abschnitts 2.2 in Form eines H-Modells je nach Nähe zur Lieferantenseite bzw. -Kundenseite dargestellt (vgl. Abb. 5 und 6). Jeder Kernprozess wird zusätzlich in weitere Subprozesse bis zu zwei Ebenen tiefer aufgeschlüsselt. Auf der jeweils untersten Prozessebene erfolgt die Zuordnung einzelner Prozesse zu Supply-Chain-Rollen. Dadurch wird festgehalten welcher Prozess für welchen Unternehmenstyp aus Supply Chain Sicht für die RFID-Wirtschaftlichkeitsanalyse von Bedeutung ist. Ferner wird auf der untersten Prozessebene festgehalten welche der sechs RFIDrelevanten Prozessobjekte (Produkt, Produktverpackung, Transporteinheit, wieder verwendbare Transporteinheit, Frachtcontainer, Fahrzeug) in dem gegebenen Prozess typischerweise berücksichtigt werden müssen. Die RFID-Wirkungstypen werden ebenfalls auf unterster Prozessebene festgelegt und verdeutlichen somit die umfangreichen Wirkungen der Einführung von RFID-Lösungen in Unternehmen. Für die Nutzung des RFID-Referenz-Wirkungsmodells im Kontext der RFIDWirtschaftlichkeitsanalyse, bezogen auf ein konkretes Unternehmen, empfiehlt sich die Anpassung des vorgestellten Referenz-Wirkungsmodells. Die unternehmensspezifische Anpassung des Referenz-Wirkungsmodells kann dabei grundsätzlich auf zwei unterschiedlichen Wegen durchgeführt werden: merkmalsbasiert oder generisch. Diese zwei Anpassungsmechanismen können sowohl einzeln, als auch in Kombination angewendet werden. Im Idealfall wird zuerst eine einfach durchzuführende merkmalsbasierte und anschließend, falls notwendig, eine aufwändigere generische Anpassung des Referenz-Wirkungsmodells vorgenommen. Im Folgenden werden die Anpassungsmechanismen erläutert. Merkmalsbasierte Anpassung Die merkmalsbasierte Anpassung des Referenz-Wirkungsmodells erfolgt ausschließlich durch das Ausblenden der nicht-relevanten Modellteile. 21 Durch die Auswahl von definierten Anpassungsmerkmalsausprägungen, wie der SupplyChain-Rolle des Unternehmens und der aus RFID-Sicht zu betrachtenden Kernprozesse im Unternehmen, soll der Umfang der unternehmensspezifischen Entscheidungssituation grob eingegrenzt werden. Als Ergebnis der merkmalsbasierten Anpassung soll ein Wirkungsmodell entstehen, das ausgehend vom integrierten Anpassungsmechanismus des Referenz-Wirkungsmodells die unternehmensspezifischen RFID-Wirkungen bestmöglich repräsentiert. Bei der merkmalsbasierten
21
Aus Sicht der konfigurativen Referenzmodellierung nach DELFMANN bzw. KNACKentspricht die merkmalsbasierte Anpassung des Referenz-Wirkungsmodells dem Konfigurationsmechanismus „Elementselektion“ (vgl. Delfmann 2006, S. 111 ff.; Knackstedt 2006, S. 238 ff.).
STEDT
296
Lev Vilkov, Burkhard Weiß
Anpassung handelt es sich also stets um die Bildung einer Teilmenge des Referenz-Wirkungsmodells. Beschaffung (B) B1 Annahme B1.1 Bestimmung der Handhabung
HE ZL HR LD SD
E3
E4
E5
BEZ FER
E3
E4 (E5) BEZ
B2 Kontrolle B2.1 Quantitative Kontrolle
HE ZL HR LD SD
E0
E1
B2.2 Qualitative Kontrolle
HE ZL HR
E2 E2
BEZ FER
INF INF
B3 Eingangserfassung HE ZL HR LD HE ZL HR LD SD
B3.1 Abgleich mit Bestellung
E0
E1
E2 (E3)
BEZ FERRVR
INF
B3.2 Einbuchung
E0
E1
E2 (E3)
BEZ FERRVR
INF
B4a Einlagerung B4b Transfer B4c Umlagerung HE ZL HR LD
B4.1 Begleitdokumentenerstellung
E0
E1
E2
E3
BEZ FERRVRSWR
HE ZL HR LD
B4c.2 Ausgangsplatzerfassung
E0
E1
E2
E3
BEZ FER
HE ZL HR LD
B4.3 Bestimmungsplatzerfassung
E0
E1
E2 (E3)
BEZ FER
B5.1 Zählung
E0
E1
E2
BEZ FERRVR
B5.2 Platzerfassung
E0
E1
E2
BEZ FER
INF
FER
SWRINF
SWRINF
B5 Inventur HE ZL HR LD SD HE ZL HR LD SD
B5.3 Differenzenaufklärung
HE ZL HR LD SD
Lieferant intern / extern
BU Beschaffungsunterstützung HE ZL HR
BU.1 Lieferantenbewertung
HE ZL HR LD SD
BU.2 Zollabwicklung
HE ZL HR LD SD EK
BU.3 Rückverfolgung
INF E3
E4
E5
BEZ
INF INF
Produktion (P)
Transport (T) P1a Bereitstellung von Material
T1 Beladung
P1b Bereitstellung von Werkzeug HE
P1.1 Lagerauftragserstellung
HE HE HE
T1.1 Erfassung
HE ZL HR LD (E0)
(E3)
BEZ FERRVR
P1.2 Ausbuchung
E0
E3
BEZ FER
INF
P1.3 Einbuchung
E0
E3
BEZ FER
INF
P1.4 Bestimmungsplatzerfassung
T1.2 Handhabung
INF
E0
E3
BEZ FER
INF
P2.1 Bearbeitungsvorgangsauswahl
E0
E3
BEZ FER
INF
P2.2 Bearbeitungsvorgangsspezifik.
E0
E3
BEZ FER
INF
E0
E3
BEZ FER
INF
HE ZL HR LD
T2 Beförderung T3 Entladung T3.1 Erfassung
HE ZL HR LD
P2 Produktionssystemensteuerung HE HE
T3.2 Handhabung TU Transportunterstützung HE ZL HR LD SD EK
TU.1 Statusverfolgung
P3 Transportsteuerung P3.1 Wegsteuerung
HE
P3.2 Statusverfolgung
HE
INF
P4 Instandhaltung und -setzung HE
SD
HE
SD
P4.1 Auslesen der Daten/-historie
E0
P4.2 Fortschreiben der Historie
E0
RVR
INF INF
PU Produktionsunterstützung HE ZL HR LD SD
PU.1 Anwesenheitserfassung
HE
PU.2 Produktionsdatenanalyse
INF FER
Legende
INF
Supply Chain Rollen HE = Hersteller
Rücknahme (N)
ZL = Zulieferer
N1 Eingangserfassung
HR = Händler
HE ZL HR LD SD
N1.1 Bestimmung der Handhabung
E0
E3
BEZ FER
HE ZL HR LD SD
N1.2 Quantitative Kontrolle
E0 (E1) (E2) E3
BEZ FER
SWRINF
HE ZL HR LD SD
N1.3 Abgleich mit Lieferungsdaten
E0
E1
E2
BEZ FER
INF
HE ZL HR LD SD
N1.4 Einbuchung
E0
E1
E2
BEZ FERRVR
INF
BEZ FERRVR
E1
E2
LD = Logistikdienstleister
N2b Transfer
BER = Bearbeitungszeitreduktion
N2.1 Begleitdokumentenerstellung
E0
E1
E2
HE ZL HR LD SD
N2.2 Handhabung
E0
E1
E2
FER
HE ZL HR LD SD
N2.3 Bestimmungsplatzerfassung
E0
E1
E2
BEZ FER
FER = Fehlerreduktion RVR = Ressourcenverbrauchsreduktion INF
NU Rücknahmeunterstützung NU.1 Rücknahmeanalyse
HE ZL HR LD
NU.2 Zollabwicklung
EK = Endkunde
RFID-Wirkung
N2a Einlagerung HE ZL HR LD SD
HE ZL HR
SD = Sonstiger Dienstleister
SWR = Schwundreduktion INF = Prozessinformation
INF KND E0
E1
E2
E3
E4
KND = Kundenzufriedenheit
FER
Abb. 5: RFID-Referenz-Wirkungsmodell (linker Teil) (in Anlehung an Vilkov 2007, S. 141-171)
Prozessorientierte Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen
297
Kundendienst (K) K1 Wartung und Reparatur HE
SD
HE
SD
K1.1 Auslesen der Daten/-historie
E0
INF
K1.2 Fortschreiben der Historie
E0
INF
E0
INF
HE
K2.1 Bestimmung der Handhabung
SD
Lieferung (L) L1a Kommissionierung, einstufig (E0)
(E2) E3 (E4)
BEZFERRVRSWRINF
E2
E3
E4
FER
E2
E3
E4
FER
HE ZL HR LD HE ZL HR LD SD
(E2) E3 (E4) E2
E3
BEZ
E4
E0
E1
E2
BERFERRVR
KND
L1a.2 Bildung logistischer Einheiten
E0
E1
E2 (E3)
BERFERRVR
INF KND
L1b.1a Sammlung
HE ZL HR LD (E0)
L1a.1 Sammlung L1b Kommissionierung, zweistufig
RVRSWRINF FER
HR HE ZL
LD SD HR
INF
HE ZL
LD SD HR
(E0) (E1) (E2)
BERFERRVR
L1b.1b Bereitstellung im Verkaufsbereich
E0
E1
E2
BER
L1b.2a Umsortierung
E0
E1
E2
BERFER
L1b.2b Regalbefüllung
E0
E1
E2
BER
L1b.3a Bildung logistischer Einheiten
E0
E1
E2 (E3)
BERFERRVR
L1b.3b Regalentnahme
E1 (E1)
RVR
KND INF KND INF KND
RVRSWRINF INF KND
SWRINF
L2 Ausgangserfassung HE ZL
LD SD HR
HE ZL
LD SD HR
L2.1a Begleitdokumentenerstellung
E0
E1
L2.1b Kassenbonerstellung
E0
E1
L2.2a Ausbuchung
E1 (E1) (E2) (E3) (E4)
BERFERRVRSWRINF
L2.2b Checkout
E2 (E1) (E2)
BER
E2 (E3) (E4)
BERFER
INF KND
BER
INF
SWRINF KND
LU Lieferungsunterstützung LU.1 Lieferungsleistungbewertung
HE ZL HR LD SD
LU.2 Zollabwicklung
HE ZL HR LD
Prozessobjekt
HE ZL HR LD
EK
SWRINF KND (E0) (E1) (E2) (E3) (E4) (E5) BER
INF KND
LU.3 Statusverfolgung
INF
E0 = Produkt E1 = Produktverpackung
Rückgabe (G) G1a Auslagerung
E2 = Transporteinheit
G1b Transfer
E3 = Wieder verwendbare Transporteinheit E4 = Frachtcontainer
HE ZL HR
E5 = Fahrzeug
HE ZL HR
G1.1 Retourenauftragerstellung G1.2 Transferdurchführung
(E0) (E1) (E2) (E3) E3
FER
E0
E1
E2
G2.1 Umsortierung
E0
E1
E2
FER
G2.2 Bildung logistischer Einheiten
E0
E1
E2
FER
G3.1 Begleitdokumentenerstellung
E0
E1
E2
G3.2 Ausbuchung
E0
E1
E2
KND
FER
G2 Versandvorbereitung HE ZL HR LD HE ZL HR LD
G3 Ausgangserfassung HE ZL HR LD HE ZL HR LD
E3
FER FER
GU Rückgabeunterstützung HE ZL HR
GU.1 Rückgabeanalyse GU.2 Zollabwicklung
INF KND (E0) (E1) (E2) (E3) (E4) (E5)
FER
KND
Abb. 6: RFID-Referenz-Wirkungsmodell (rechter Teil) (in Anlehung an Vilkov 2007, S. 141-171)
Kunde intern / extern
K2 Entsorgung
298
Lev Vilkov, Burkhard Weiß
Generische Anpassung Es ist denkbar, dass individuelle Entscheidungssituationen der Unternehmen Besonderheiten aufweisen, die im Referenz-Wirkungsmodell nicht berücksichtigt sind. Mit Hilfe der generischen Anpassung wird dieser Tatsache Rechnung getragen. Die Generische Anpassung bietet den Modellnutzern im Gegensatz zur merkmalsbasierten Anpassung einen faktisch unbegrenzten Gestaltungsspielraum. Eine generische Anpassung kann grundsätzlich mit Hilfe der zwei folgenden generischen Anpassungsmechanismen durchgeführt werden: 22 Analogiebildung, freie Modifikation. Eine generische Anpassung kann im vorgestellten Referenz-Wirkungsmodell insbesondere die Referenz-Prozesse betreffen. Der fehlende Zeitbezug der Referenz-Prozesshierarchie (Funktionsbaum) bietet dabei einen entscheidenden Vorteil für die Anpassung des Referenz-Wirkungsmodells an unternehmensspezifische Prozesse, denn RFID-relevante Teile des Funktionsbaumes können flexibel ausgewählt und miteinander kombiniert werden. Aufgrund der hohen Gestaltungsfreiheit erfordert eine generische Anpassung jedoch stets ein tiefes fachkonzeptionelles und praktisches Verständnis der unternehmensspezifischen Entscheidungssituation.
3
Zukünftige Weiterentwicklungspotentiale des RFID-Referenz-Wirkungsmodells
Mit der Anpassung des Referenz-Wirkungsmodells an die unternehmensspezifische Situation kann eine Ausgangsbasis für eine prozessorientierte Wirtschaftlichkeitsanalyse einer RFID-Investition in Unternehmen geschaffen werden. Ein derartig unternehmensindividuell angepasstes Modell bedarf dann der weiteren Entwicklung spezieller Bewertungskennzahlen und Kennzahlenkategorien, bezogen auf die identifizierten RFID-Wirkungstypen. Durch die sachlogische Verknüpfung dieser Kennzahlen untereinander im Rahmen von möglichen Kennzahlenhierarchien, gibt es die Möglichkeit aggregierte Kennzahlen und Nutzenpotentiale aus dem abgeleiteten Modell extrahieren zu können. Einige Ansätze zur Überführung des Referenz-Wirkungsmodells in ein Referenz-Bewertungsmodell sollen daher kurz festgehalten werden. Zur Beurteilung der Fehlerfolgekostenreduktion, Ressourcenverbrauchsreduktion und kostenseitigen Auswirkungen der Bearbeitungszeitreduktion sind bspw. Prozesskostenkennzahlen denkbar. Mögliche Bearbeitungszeitreduktion können ferner über Prozessdauerkennzahlen ermittelt werden. Zur Beurteilung der 22
In Anlehnung an die Begriffe der generischen Referenzmodelladaption (vgl. Delfmann 2006, S. 178 ff.).
Prozessorientierte Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen
299
Schwundreduktion bieten sich hingegen prozessorientierte Schwundkostenkennzahlen an. Für die Bewertung der verbesserten Prozessinformationen durch verbesserte Informationsaktualität und -granularität werden nicht nur quantitative Kennzahlen, sondern auch qualitative Kennzahlen benötigt. Es zeigt sich, dass derartige Kennzahlengerüste für die Bewertung von RFIDInvestitionen unabdingbar sind und für die zukünftige Anwendung des ReferenzWirkungsmodells entsprechend detailliert und breitgefächert noch entwickelt werden müssen. Auch ist zu erwarten, dass nach Einsätzen des Referenzmodells in der Praxis, dieses entsprechend um Prozesse erweitert und geändert werden muss, um möglichst viele Unternehmen abdecken zu können und dem neuesten Stand der RFID-Technologie (und evtl. komplementärer Technologien), sowie neuen organisatorischen Erkenntnissen zu entsprechen.
4
Vorteile und Grenzen des entwickelten RFIDReferenz-Wirkungsmodells
Im vorliegenden Beitrag wurde ein Referenz-Wirkungsmodell als Ausgangspunkt zur Beurteilung von RFID-Investitionen vorgelegt. Dadurch wird die prozessorientierte Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen nicht nur systematisch unterstützt, sondern es lassen sich auch eine Reihe von weiteren Vorteilen des entwickelten RFID-Referenz-Wirkungsmodells festhalten:
• Die Methode der Adaption und Formalisierung des Referenz-Wirkungsmodells über Kennzahlen bietet Unterstützung sowohl für die Untersuchung des Nutzens als auch der Kosten und ermöglicht somit die Durchführung einer ganzheitlichen Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen. • Die Prozessorientierung erhöht die Transparenz der Nutzenanalyse. Im Hinblick auf die zu treffenden Investitionsentscheidungen fördert sie die Glaubhaftigkeit der Analyseergebnisse. • Das Konzept einer parallelen prozessorientierten Erfassung monetärer und nicht-monetärer RFID-Wirkungen offenbart ihre Wechselwirkungen. Der Aussagehalt nicht-monetärer Größen kann im Kontext der monetären Wirkungen somit besser eingeschätzt werden. • Die Prozessorientierung schafft nicht nur die Basis für einen internen Vergleich unterschiedlicher Implementierungsszenarien, sondern fördert auch die Anwendbarkeit des externen Prozess-Benchmarking. • Die während einer Nutzenanalyse entwickelten Prozesskennzahlensysteme können darüber hinaus als Grundlage für das spätere IT-Controlling des tatsächlich realisierten RFID-Nutzens dienen.
300
Lev Vilkov, Burkhard Weiß
• Die prozessorientierte Nutzenanalyse befindet sich im Einklang mit der Intention aktueller Entwicklungen auf dem Gebiet der serviceorientierten ITArchitekturen. Für eine nachhaltige Akzeptanz der Methode bestehen somit gute Voraussetzungen. Trotz dieser Vorteile lassen sind auch Grenzen des derzeitigen Stadiums des Referenz-Wirkungsmodells, im Rahmen der prozessorientierten Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen, festhalten:
• Die Durchführung einer prozessorientierten Wirtschaftlichkeitsanalyse erfordert eine detaillierte Analyse bzw. Modellierung RFID-relevanter Prozesse. Die Anwendbarkeit dieser Methode ist somit durch die Bereitschaft der Entscheidungsträger bedingt, den entsprechenden Aufwand zu akzeptieren. • Die Methode stellt relativ hohe Anforderungen an die methodische und fachliche Kompetenz ihrer Anwender. • Die Anwendbarkeit der Methode zur Wirtschaftlichkeitsanalyse vergleichbarer Auto-ID-Technologien, z. B. Barcode oder Data Matrix, ist wegen eines expliziten Fokus auf RFID-Wirkungen begrenzt.
Prozessorientierte Wirtschaftlichkeitsanalyse von RFID-Systemen
301
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Soziale Netzwerke im Web 2.0 – Chancen, Risiken und Veränderungen für Organisationen Petra Cyganski 1
1
Einleitung
Der im Jahr 2004 durch TIM O’REILLY (vgl. O’Reilly 2004) geprägte Begriff Web 2.0 ist derzeit in aller Munde. Web 2.0 steht für die Entwicklung neuer, interaktiver Dienste, die die Veränderung von der individuellen zur vernetzten Nutzung des Internets fördern. Damit einhergehend sind gesellschaftliche Veränderungen bezüglich des Informations- und Kommunikationsverhaltens der Nutzer hin zu partizipatorischem Verhalten zu beobachten. Nutzer sind nicht länger nur passive Konsumenten des Internets, sondern stellen als „Prosumer“ (vgl. Toffler 1990) aktiv Inhalte zur Verfügung und managen ihre Beziehungen und Kontakte online. In diesem Zusammenhang erlangen soziale Netzwerke durch Web 2.0 eine neue Qualität, da sie neuartige Formen der Beziehungspflege sowie der Informationsbeschaffung und Kommunikation bereitstellen. Viele dieser Anwendungen werden bislang vorwiegend im privaten Bereich und zu Unterhaltungszwecken genutzt. Das Beispiel von Business Communities wie OPENBC/XING zeigt jedoch, dass das Web 2.0 auch geschäftlich interessante Perspektiven eröffnet. Dies gilt nicht zuletzt im Hinblick auf die zwischenbetriebliche Zusammenarbeit, die den Kern von Kooperationen und Unternehmensnetzwerken bildet. In diesem Beitrag sollen die Rahmenbedingungen für netzwerkende Organisationen und ihre Mitarbeiter und somit die Einflüsse sozialer Netzwerke auf das kooperative Verhalten von Organisationen untersucht werden. Es soll dargelegt werden, welche Potentiale und Risiken die ökonomische Nutzung sozialer Netzwerke durch Organisationen hat und welche Änderungen in der Organisation mit der Nutzung einhergehen. Am Beispiel des Wirtschaftsforums Neuwied e. V. werden die Potentiale virtueller sozialer Netzwerke vorgestellt. Dazu werden zunächst in Abschnitt 2 die Grundlagen sozialer Netzwerke und deren Umsetzung durch das Web 2.0 im Überblick dargestellt. Anschließend werden in Abschnitt 3 1
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projektes InterWork (www.projektinterwork.de), einem interdisziplinären Forschungsprojekt der Universität KoblenzLandau und der FH Koblenz, RheinAhrCampus. Die Autorin dankt der Stiftung für Innovation Rheinland-Pfalz als Förderer des Projektes.
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aus strategischer Sicht die Chancen und Grenzen virtueller sozialer Netzwerke für die geschäftliche Nutzung aufgezeigt. Darauf aufbauend wird in Abschnitt 4 skizziert, welche Aspekte beim operativen Einsatz sozialer Netzwerke in Unternehmen zu beachten sind. Im Abschnitt 5 wird anhand des Praxisbeispiels Wirtschaftsforum Neuwied e. V. aufgezeigt, inwiefern ein virtuelles soziales Netzwerk einen Beitrag zur Vernetzung und Initiierung von Kooperationen in Netzwerken darstellen kann. Der Artikel schließt mit einem Ausblick in Abschnitt 6.
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Die Idee sozialer Netzwerke und Umsetzung im Web 2.0
Soziale Netzwerke bezeichnen abgegrenzte Mengen von Akteuren oder Akteursgruppen (Knoten) und die Beziehungen zwischen ihnen (Kanten). Dabei können die Verbindungen und sozialen Akteure durch unterschiedlichste soziale Einheiten repräsentiert sein. Akteure können z. B. Organisationen, politische Akteure, Familien oder Individuen sein (vgl. Hollstein 2006, S. 14). Verbindungen oder Relationen können nach HOLLSTEIN z. B. Interaktionen oder Beziehungen sein, die inhaltlich spezifiziert sind (z. B. über Macht, Informationsaustausch oder emotionale Nähe). Der Umfang und die Ausprägung sozialer Netzwerke sind äußerst vielfältig. BOMMES/TACKE (2006, S. 37) merken an, dass es keinen Bereich mehr in der Gesellschaft gibt, in dem soziale Netzwerke keine Rolle spielen. So lassen sich soziale Netzwerke in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und im Alltag beobachten. Durch die Entwicklungen des Web 2.0 sind neue Möglichkeiten entstanden, soziale Netzwerke zu bilden, auszuweiten bzw. auf eine virtuelle Ebene zu verlagern. Der Begriff Web 2.0 wird in der Literatur bislang uneinheitlich verwendet. Einerseits steht er für eine Reihe von Technologien (z. B. Ajax, Mashups und RSS). Auf der anderen Seite werden darunter eine Reihe von Anwendungen und damit einhergehende Verhaltensänderungen von Internetnutzern subsumiert. Die Nutzer sehen das Internet zunehmend als „Mitmach-Plattform“ und weniger ausschließlich als Informationsquelle zentraler Anbieter. Viele Internetdienste sind darauf ausgerichtet, dass Nutzer Inhalte generieren und diese mit bereits existenten Inhalten verknüpfen (vgl. Karla 2007, S. 31), d. h. sie erstellen den Content und Context selbst. Im Zuge dieser Entwicklungen haben sich neben solchen Web 2.0Angeboten wie Tagging, RSS-Feeds und Podcasts weitere Angebote etabliert, die Kooperationen zwischen den Mitgliedern fördern. Dazu zählen Weblogs, Wikis, Foto- und Videoportale, Social Bookmarking, Jams und Networking Plattformen.
• Unter Weblogs (kurz Blogs) werden Online-Journale bzw. Tagebücher einer Person oder einer Personengruppe verstanden, welche zu meist spezifischen Themengebieten geschrieben werden. Die Einträge werden in chronologisch umgekehrter Reihenfolge präsentiert und können von Besuchern der Seite kommentiert werden.
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• Wikis sind Content Mangement Systeme, in denen Benutzer Artikel lesen und schreiben sowie vorhandene Artikel überarbeiten können. Die Entwicklung der Artikel geschieht also durch die Benutzer selbst. Geänderte Artikel sind sofort sichtbar, ohne Freigabeprozesse durchlaufen zu müssen. Das bekannteste Wiki ist wohl die Online-Enzyklopädie WIKIPEDIA. • Auf Foto- und Videoportalen können die Nutzer ihre Fotos und Videos hochladen und somit allen Internetnutzern zugänglich machen. Meist ist es möglich, die Inhalte zu kommentieren, zu verlinken und zu verschlagworten sowie mit anderen Nutzern des Portals zu kommunizieren. Die bekanntesten Fotound Videoportale sind YOUTUBE, MYVIDEO und FLICKR. • Social Bookmarking bezeichnet das gemeinsame Indexieren von InternetLesezeichen. Die Lesezeichen können über Kategorien oder Schlagworte entsprechenden Themen zugeordnet werden. In verschiedenen Angeboten ist es möglich, Bookmarks zu kommentieren, zu bewerten und mit anderen Nutzern in Kontakt zu treten. Die bekanntesten Angebote sind DEL.ICIO.US, FURL und MISTER WONG. • Ein Jam bezeichnet ein Werkzeug des sozialen Networkings für temporäre unternehmensweite Brainstormings (vgl. Schütt 2007, S. 17). Nach SCHÜTT betreffen die Themen meist interne Verbesserungen, die Werte des Unternehmens, die Reflexion über die eigene Arbeit oder das Finden neuer Geschäftsideen. Ein Jam ermöglicht die Aufnahme eines Stimmungsbildes und die Weiterentwicklung des Unternehmens mit Hilfe der Mitarbeiter. • Virtuelle Communities stellen Kommunikationsplattformen zur Pflege und zum Aufbau persönlicher Kontakte dar. Sie haben verschiedene Zielgruppen wie z. B. Geschäftsleute (u. a. XING und LINKEDIN), Studenten (u. a. STUDIVZ), Singles (u. a. ILOVE, MEETIC) oder generelle Ausprägung (u. a. MYSPACE). Die skizzierten Varianten sozialer Netzwerke im virtuellen Raum zeigen verschiedene Ausprägungen in Bezug auf ihre Zugänglichkeit, soziale Kontrollmöglichkeiten, ihre Größe, Heterogenität der Mitglieder, das Maß an Mitgliederkontakten und die Stärke der Bindungen unter den Mitgliedern (vgl. Wellmann 2000). Die Bindungsstärke der Mitglieder beschreibt das Konstrukt aus sozialer Nähe, Freiwilligkeit, Multiplexität und Kontakthäufigkeit. Bereits GRANOVETTER (1973) unterschied die Bindungsstärke in „strong ties“ (starke Bindungen) und „weak ties“ (schwache Bindungen). Starke Bindungen bieten nach WELLMANN höhere soziale Unterstützung in Form von emotionaler Unterstützung, Waren und Dienstleistungen sowie Geselligkeit und Zusammenhörigkeitsgefühl. Der Wert schwacher Bindungen liegt vor allem darin, dass sie unterschiedliche Gesellschaftsbereiche verbinden (vgl. Wellmann 2000), sie über vergleichbare Betroffenheiten und Neigungen Bereitschaft zur Kommunikation über diese Themen erzeugen und demnach interessen- und präferenzgesteuerte Beziehungen darstellen (vgl. Doll-
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hausen, Wehner 2000, S. 83). Durch schwache Bindungen werden Brücken zu anderen sozialen Welten geschlagen. Dadurch ermöglichen sie den Zugang zu neuen Informationsquellen und anderen Ressourcen (vgl. Granovetter 1982; Granovetter 1995). Auffällig ist, dass virtuelle soziale Netzwerke vorwiegend durch schwache Bindungen („weak ties“) bestehen. Diese „weak ties“ unterstützen die Bildung von Netzwerken unterschiedlich sozialer und räumlich verteilter Gruppen, sowie den Informationsaustausch lose verbundener Gruppenmitglieder (vgl. Wellmann 2000). Darüber hinaus werden „weak ties“ bei Bedarf genutzt, um Beratung und Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Aufgrund erhöhter Reichweite bilden sich virtuelle Netzwerke mit bestimmten Interessen, welche sich im realen Leben z. B. aufgrund von räumlicher Entfernung oder der fehlenden kritischen Masse nicht hätten bilden können. Durch multiplexe Kommunikationsmöglichkeiten werden Nachrichten von einer Vielzahl an Mitgliedern wahrgenommen und gegebenenfalls sogar ein Kollektivbewusstsein und Zugehörigkeitsgefühl zum Netzwerk erzeugt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass virtuelle soziale Netzwerke durch ihr unterschiedliches Maß an Abgrenzung auch unterschiedliche Ausprägungen der sozialen Kontrolle besitzen. Bei geschlossenen Netzen gibt es in der Regel übergeordnete Instanzen, wie Administratoren etc., die die Aktionen der Mitglieder sanktionieren können. Bei offenen Netzwerken sind solche expliziten Hierarchien demgegenüber weniger verbreitet und z. T. auch nicht implementierbar. An die Stelle einer zentralen Instanz tritt in diesem Falle eine gegenseitige Kontrolle der Mitglieder, bei der durch Gewohnheitsrecht und Gruppenzwang Verhaltensnormen entstehen. So oder so geht Netzwerkbildung immer mit einer Dezentralisierung einher, wodurch die Kontrollmöglichkeiten des Einzelnen eher abnehmen (vgl. Wellmann, Hampton 1999, S. 7). Nachdem die Grundlagen sozialer Netzwerke und ihrer virtuellen Existenz erläutert wurden, soll nun aufgezeigt werden, welches Potential Organisationen aus virtuellen sozialen Netzwerken ziehen können, aber auch, welche Risiken mit der Nutzung einhergehen.
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Potentiale virtueller sozialer Netzwerke für Organisationen
Virtuelle soziale Netzwerke werden derzeit hauptsächlich im privaten Bereich genutzt, besitzen aber für Organisationen Potentiale, die sich ökonomisch nutzen lassen. In der Literatur findet sich eine Mischung aus verschiedenen Vorschlägen, welche Chancen die Nutzung sozialer Netzwerke für Organisationen bietet. Hierbei wird kaum zwischen den Ebenen der Nutzung unterschieden. KRASSER/FOERSTER (2007, S. 52) geben einen ersten Hinweis darauf, dass aufbauend auf die Electronic-Business-Typologie von HERMANNS/SAUTER (1999, S. 23) eine
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Unterscheidung in die Ebenen B2C (Business-to-Consumer), C2B (Consumer-toBusiness), B2B (Business-to-Business) und E2E (Employee-to-Employee) sinnvoll wäre. Die Kundenebene (B2C und C2B) und die Geschäftsebene (B2B und E2E) unterscheiden sich grundlegend in ihren Adressaten und bieten deshalb verschiedene Möglichkeiten und Potentiale der Nutzung (vgl. Abb. 1). Die Unterscheidung zwischen B2B und E2E ist nicht überschneidungsfrei, da Mitarbeiter einer Organisation sowohl die Rolle der Einzelperson als Mitarbeiter verkörpern, als auch die Organisation als solches repräsentieren können. Die Abgrenzung ist daher eher im persönlichen Nutzen zu sehen. Weiterhin sind mit der Betrachtung der unterschiedlichen Ebenen oft differierende Ausmaße der Ausschließlichkeit und der Reichweite verbunden, d. h. die Konsumentennetzwerke befinden sich in der Regel auf einer öffentlichen Plattform, wohingegen die Netzwerke der Geschäftsebene eher durch organisationsinterne Plattformen repräsentiert werden. Nachfrager der Leistung
Business / Employee
Anbieter der Leistung
Consumer
Consumer
Business/Employee
C2C z.B. Wikipedia, Studenten-Communities
B2C z.B. herkömmlicher Internetauftritt eines Unternehmens Private Nutzung
C2B z.B. Marktbeobachtung in Communities
B2B / E2E z.B. Business Networking Communities
Kundenebene
Geschäftsebene
Abb. 1: Markt- und Transaktionsbereiche virtueller sozialer Netzwerke im ökonomischen Kontext (in Anlehnung an Hermanns, Sauter 1999, S. 23)
3.1 Die Kundenebene (B2C, C2B) Die Kommunikationsplattformen sozialer Netzwerke stellen Intermediäre zwischen den Kunden und anbietenden Organisationen dar, indem sie eine Informationsplattform der Marktteilnehmer bereitstellen (vgl. Picot et al. 2003, S. 377). Das Problem der Erreichung der kritischen Masse wird über diese Plattformen ermöglicht, da sie die Aufmerksamkeit vieler Marktteilnehmer auf sich ziehen. Organisationen können ihre Kundenbasis über virtuelle soziale Netzwerke besser erreichen und Kundengruppen anhand ihres Medienverhaltens in den Netzwerken genauer analysieren. Durch das veränderte Nutzerverhalten im Internet haben sich Kommunikationsplattformen herausgebildet, in denen die Nutzer über Produkte und Dienstleistungen von Organisationen diskutieren und ihre Meinungen und Kommentare hinterlassen. Hierbei ist zu beobachten, dass durchaus konstruktive,
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innovative und lösungsorientierte Beiträge durch die Nutzer erzeugt werden. Organisationen können aufgrund der durch Informations- und Kommunikationstechnik erhöhten Markttransparenz (vgl. Picot et al. 2003, S. 71) diese Netzwerke als zusätzliche Informationskanäle der Marktbeobachtung nutzen, indem sie eine entsprechende Analyse und ein Monitoring der Inhalte durchführen. Durch den direkten Kundenkontakt können Verbesserungsvorschläge, Trends und innovative Entwicklungen schneller erkannt und verwirklicht werden. Die Weiterentwicklung der Produkte und Dienstleistungen kann sich somit stärker an den Kundenbedürfnissen orientieren. DRÜNER et al. (2007) sprechen gar davon, soziale Netzwerke als Marketinginstrument zu nutzen, indem das Kauferlebnis intensiviert und die Kundenbindung gestärkt werden sollen. Die Umsetzung dieses Vorschlags ist vorrangig nur über Werbung oder entsprechende verkaufsfördernde Maßnahmen auf den Plattformen umsetzbar, da die direkte Einflussnahme der Organisation auf das soziale Netzwerk eingeschränkt möglich ist. Des Weiteren ist bei der Entstehung virtueller sozialer Netzwerke zu beobachten, dass der Großteil von ihnen auf Initiative von Konsumenten entstanden ist (vgl. Drüner et al. 2007). Durch Organisationen entwickelte Netzwerke scheitern dagegen oft aufgrund der fehlenden kritischen Masse an Nutzern und der durch die Nutzer kritisierten fehlenden Glaubwürdigkeit. DRÜNER et al. (2007) ergänzen, dass die emotionale Bindung der Netzwerkmitglieder an eine Marke nur dann erfolgreich für eine Organisation eingesetzt werden kann, wenn es sich um seltene, limitierte und prestigeträchtige Produkte mit hoher emotionaler Aufladung handelt. Aus den beschriebenen Gründen scheint es bislang sinnvoll, externe virtuelle soziale Netzwerke zur Marktbeobachtung, Informationsbeschaffung, Produktentwicklung und -innovation sowie als Marketingplattform zu nutzen (vgl. Schütt 2007; Duchrow 1999).
3.2 Die Geschäftsebene (B2B, E2E) Auch auf der Geschäftsebene kann zwischen der Nutzung interner und externer Plattformen unterschieden werden, die jeweils unterschiedliche Zielgruppen, Gestaltungsmerkmale und Chancen aufweisen (vgl. Tab. 1). Interne Anwendungen Die Zielgruppe interner Plattformen sozialer Netzwerke sind die Mitarbeiter und das Management der Organisation sowie ggf. die Geschäftspartner wie z. B. Zulieferungsfirmen. Organisationsinterne Plattformen sind dadurch geprägt, dass sie einen hohen Grad der Abgrenzung, begrenzte Reichweite sowie meist höheren Grad sozialer Kontrolle aufzeigen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass u. a. auch interne Informationen über die Plattformen ausgetauscht werden.
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Interne Anwendung Zielgruppe Format Gestaltung
Chancen
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Externe Anwendung
Mitarbeiter, Management, Geschäftspartner
Mitarbeiter, Management, Geschäftspartner, unbekannte Geschäftsleute Blogs, Wikis, Business NetBusiness Networks, Wikis, works, Jams Blogs Geringe bis mittlere AbgrenHohe Abgrenzung, zung, hohe Reichweite, soziale begrenzte Reichweite, hohes Kontrolle über die Community Maß an sozialer Kontrolle Informationsversorgung, Wissensmanagement, fachlicher Austausch, Stärkung und Analyse der Unternehmenskultur, Verbesse- Wissensmanagement, Kooperationsanbahnung und rung der IuK-Strukturen, -unterstützung Kreativitätstechniken
Tab. 1: Beschreibungsmerkmale virtueller sozialer Netzwerke der Geschäftsebene
Als Chance bietet sich vor allem die Möglichkeit, über soziale Netzwerke Informations- und Kommunikationsstrukturen aufzubauen, welche der Verbreitung expliziten Wissens und dem Wissensmanagement dienen. Hierbei kann z. B. über Wikis und Blogs unter der Mitwirkung der Mitarbeiter und Geschäftspartner eine gemeinsame Wissens- und Informationsbasis entwickelt werden. Fachlicher Austausch wird forciert und aktuelle Projekte, Probleme, Themen aber auch KnowHow wird dokumentiert. Somit werden Lernkurven erzeugt, doppelt erarbeitete Lösungen vermieden und Projektgruppen können leichter zusammengestellt werden (vgl. Krasser, Foerster 2007, S. 53). Die durch gestiegene Kosten und die abnehmende Verfallszeit von Wissen bereits in den 90er Jahren empfohlene Einführung von Wissensmanagementsystemen wird durch die Entwicklungen des Web 2.0 nun umsetzbar. Generell ist eine Intensivierung der Informationsversorgung, der Zusammenarbeit als auch der internen Kommunikation und der Kommunikation mit Geschäftspartnern festzustellen. Die Unterstützung der Kooperation zwischen den Mitarbeitern und den Geschäftspartnern wird im Sinne eines Informationsmanagements (vgl. Krcmar 2005) durch interne Anwendungen gefördert. Insbesondere Jams, Wikis und Blogs bieten die Möglichkeit, die Kreativität der gesamten Mitarbeiterschaft zu vereinen und daraus neues, innovatives Potential zu schöpfen. Die Jams der Firma IBM führen regelmäßig zu einer Vielzahl von Vorschlägen neuer Geschäftsideen (vgl. Schütt 2007, S. 17). Auf sozialer Ebene argumentieren DRÜNER et al. (2007, S. 36) mit der Stärkung der Unternehmenskultur durch die Bildung einer kollektiven Identität und einem kollektiven Bewusstsein der Mitglieder des sozialen Netzwerks. Allerdings sollte hier darauf hingewiesen werden, dass besonders in Organisationen nicht ausschließlich die positiven Seiten der Unternehmenskultur diskutiert werden, sondern durchaus auch negative. Ebenso verhält es sich mit der von KRAS-
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SER/FOERSTER
(2007, S. 53) erläuterten Motivationssteigerung der Mitarbeiter durch die Nutzung virtueller sozialer Netzwerke. Dennoch ist es möglich, ein Stimmungsbild zu erfassen, welches außerhalb der virtuellen Netzwerke Handlungsbedarf erzeugen kann.
Abschließend ist als Chance interner sozialer Netzwerke im Geschäftsbereich der Controlling-Aspekt zu nennen. KRASSER/FOERSTER (2007, S. 53) argumentieren, dass Blogs erlauben, den Projektstatus und Auslastungsgrad zu identifizieren, Rückschlüsse auf Schulungsbedarf zu ziehen und somit als flankierendes Controlling-Instrument einsetzbar sind. Praktische Erkenntnisse und Umsetzbarkeit werden zukünftig zu prüfen sein. Externe Anwendungen Die Zielgruppe externer sozialer Netzwerke auf Geschäftsebene besteht einerseits aus den Führungskräften und Mitarbeitern der Organisation sowie aus externen, bekannten und unbekannten Geschäftsleuten. Es können öffentliche Plattformen wie OPENBC/XING oder auch öffentliche Wikis und Blogs zur Anwendung kommen, wobei letztere eine geringere Bedeutung aufweisen. Diese externen Anwendungen sozialer Netzwerke zeigen typischerweise eine geringe bis mittlere Abgrenzung, eine hohe Reichweite und eine durch die Community geprägte soziale Kontrolle auf. Externe Netzwerke werden ebenso wie interne zur Versorgung mit Informationen und Wissen verwendet. Darüber hinaus bietet sie durch ihre Eigenschaft der Intermediation die Möglichkeit der Kooperationsanbahnung und -unterstützung. Sie reduzieren die Transaktionskosten bei der Such- und Matchmakingfunktion (vgl. Schlichter et al. 2003; Wagner 2004). Besonders relevantes, bisher meist ungenutztes Potential zur Kooperationsanbahnung bietet sich durch die Aktivierung sozialen Kapitals der Mitarbeiter und ggf. Partner über virtuelle Business Networking Plattformen. Ein erheblicher Anteil an Kooperationen basiert auf persönlichen Kontakten der Mitarbeiter einer Organisation (vgl. Thomé et al. 2003, S. 45). „Unter sozialem Kapital versteht man einen Aspekt der Sozialstruktur, der individuellen oder korporativen Akteuren breitere Handlungsmöglichkeiten eröffnet, ihnen also z. B. unternehmerische Profite ermöglicht oder die Koordination ihrer Handlungsabsichten zu kollektiver Aktion erleichtert.“ (Jansen 2000, S. 37) Über existierende „strong“ und „weak ties“ können externe Kontakte der Mitarbeiter genutzt und so genannte strukturelle Löcher überwunden werden (vgl. Jansen 1999, S. 179). Hierbei sind vor allem die schwachen Verbindungen wertvoll, da sie neue Informationen und Normen liefern, große Distanzen in Netzwerken überbrücken können und für Mobilitäts-, Modernisierungs-, Innovations- und Diffusionsbeziehungen von Bedeutung sind (vgl. Jansen 2000, S. 39). Die Bildung sozialen Kapitals in Form von Weitergabe von Informationen verpflichtet den Informationsempfänger umso mehr, je wahrscheinlicher die weitergeleitete Information zum ökonomischen Erfolg führen kann (vgl. Schechler 2002, S. 242). Hier können
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Unternehmen mittels Business Networking das soziale Kapital ihrer Mitarbeiter nutzen, um ökonomischen Mehrwert daraus zu generieren. So können z. B. Expertennetzwerke entstehen, welche die Globalisierung des Unternehmenswissens unterstützen (vgl. Schütt 2007, S. 16) und Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse beschleunigen können. Die Networking Kontakte sind außerdem über die bereits vorhandenen „weak ties“ durch den Faktor Vertrauen angereichert (vgl. Teten, Allen 2005) und verfügen so über eine erhöhte Verbindlichkeit. Damit entfällt die in der Anbahnungsphase von Kooperationen typische Reziprozität von Vertrauen und der eigenen Vorleistung, da eine Vertrauensbasis bereits besteht.
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Grenzen der Nutzung virtueller sozialer Netzwerke für Organisationen
Neben den aufgezeigten Chancen bringt die Nutzung virtueller sozialer Netzwerke aber auch Risiken und Grenzen mit sich. Begrenzende Faktoren resultieren vorrangig aus dem personellen, organisatorischen und medientechnischen Bereich, wobei Überschneidungen und gegenseitige Abhängigkeiten bestehen. Ein personeller Aspekt ist die Beteiligung der Mitarbeiter. Virtuelle soziale Netzwerke leben davon, dass die Mitglieder aktiv Inhalte erzeugen, diese diskutieren und Beziehungen untereinander knüpfen. Das Metcalfesche Gesetz besagt, dass der Nutzen eines Kommunikationssystems quadratisch zur Anzahl seiner Nutzer steigt. Die Mitarbeiter und ggf. Geschäftspartner müssen demnach dazu bereit sein, ihr Wissen über computervermittelte Plattformen zu teilen, um die Plattform attraktiv zu machen. Hierbei ist es fraglich, ob die im Freizeitbereich festgestellte Bereitschaft zum Wissensaustausch und zur gegenseitigen Unterstützung in den beruflichen Bereich zu übernehmen ist, da ein gewisser Wettbewerb und Konkurrenzdenken innerhalb der Mitarbeiterschaft und zwischen den Geschäftspartnern verbreitet ist. Dazu wird vorwiegend der Informationsvorsprung aus informellen Netzwerken genutzt (vgl. Burt 2000) und nicht die in Konkurrenz stehende formelle Kommunikationsplattform der Organisation. Zusätzlich ist bei internen Netzwerken in kleineren Organisationen das Problem der kritischen Masse kaum lösbar. Im Gegensatz zum Metcalfeschen Gesetz steht außerdem die Erkenntnis, dass eine zu hohe Anzahl an Nachrichten einen Information Overload erzeugen kann, welcher die individuelle Kapazitätsgrenze der einzelnen Mitglieder übersteigt (vgl. Stegbauer 2001). Infolgedessen wird die Plattform gemieden. Ähnlich verhält es sich mit der Qualität der Beiträge – sind sie qualitativ minderwertig, werden die Mitglieder die Plattform auf Dauer nicht mehr nutzen (vgl. Zinke, Fogolin 2004). Eine typische Befürchtung des Managements ist, dass Mitarbeiter durch die Nutzung virtueller Networking Communities abgeworben werden können. Diese
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Angst ist teilweise begründet, da auf diesen Plattformen erfahrungsgemäß zahlreiche Head Hunter und Personalbeschaffer aktiv sind. Virtuelle Netzwerke sind dafür bekannt, dass sie Orte der „Meinungsmache“ und von Gerüchten sein können. Da sie im selben Zug kaum steuerbar und kontrollierbar sind, bergen sie das Risiko, negative Effekte auf das Arbeitsklima auszuüben. Diese Befürchtungen zeigen allerdings gewisse Parallelen zu der in den 90er Jahren geführte Diskussion über die eMail-Nutzung in Organisationen, welche sich im Nachhinein als überzogen herausgestellt hat. Nicht zuletzt bergen virtuelle soziale Netzwerke die Gefahr des ungewollten Wissensabflusses (vgl. Thomé et al. 2003, S. 45) sowie die Informationsverbreitung ungesicherten Wissens (z. B. in Wikis) (vgl. Krasser, Foerster 2007, S. 54). Damit gehen auch rechtliche Probleme einher, da die Inhalte kein gesichertes Wissen und keine allgemeingültigen Aussagen darstellen.
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Operative Nutzung virtueller sozialer Netzwerke für Organisationen
Da die Kundenebene derzeit lediglich zur Marketingplattform, Marktbeobachtung und -analyse dient, stellt sie im Gegensatz zur Geschäftsebene keine Möglichkeit dar, aktiv Kooperationen zu initiieren oder durchzuführen. Deshalb sollen die weiteren Ausführungen der Geschäftsebene dienen. Mit der Verwendung sozialer Netzwerke gehen Änderungsprozesse im organisatorischen, personellen und kulturellen Bereich einher. Diese werden im Folgenden aufgezeigt.
5.1 Organisatorische Änderungen Durch die Nutzung von virtuellen Netzwerken werden die Grenzen von Organisationen, Arbeitsgruppen und Gemeinschaften oft verwischt oder verschoben (vgl. Wellmann 2000, S. 147). Die zunehmende Selbstorganisation der Mitarbeiter und Teams unterstützt flachere Hierarchien. Flachere Organisation und Aufgabenintegration führen zu verstärkter Verlagerung von Verantwortung, Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu den Mitarbeitern (vgl. Picot et al. 2003, S. 466). Dezentrale Entscheidungen werden forciert, weshalb die Ausübung von Macht zunehmend über sozialen Einfluss möglich wird und weniger über das Rollenverständnis. Rollenmuster können sich durch erweiterten Handlungs- und Entscheidungsspielraum ändern. Dennoch muss den Mitarbeitern eine aufgabenbezogene Perspektive mit einem strukturellen Rahmen aufzeigt werden, damit sie in die Lage versetzt werden, sich trotz erweiterter Spielräume unter Berücksichtigung der Markt- und Ressourcensituation an den übergeordneten Unternehmenszielen zu orientieren (vgl. Frese 2002).
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Aus Sicht der organisationalen Wertkette nach PORTER (2000) können mittels virtueller sozialer Netzwerke in einer Vielzahl an Stufen Kooperationen genutzt werden (vgl. Abb. 2). Unternehmensinfrastruktur Personalwirtschaft Forschung und Entwicklung Beschaffung
Eingangs- Operationen Marketing logistik & Vertrieb
Ausgangslogistik
Kundendienst
Abb. 2: Kooperationsmöglichkeiten durch Business Networking in der Wertkette (in Anlehnung an Porter 2000, S. 66)
Über externe Business Networking Plattformen lassen sich vorrangig unterstützende Aktivitäten der Wertkette umsetzen. Dazu gehört die Forschung und Entwicklung sowie die Beschaffung. Weiterhin werden Business Networks im Bereich Personalbeschaffung, Vertrieb und generell in der Informationsversorgung genutzt. Dies ist oftmals auf die Offenheit der Plattformen und die leichte Zugänglichkeit von kommunizierten Inhalten zurückzuführen. Kooperationsanbahnungen lassen sich demgegenüber in allen Bereichen initiieren. Da Kooperationen häufig hierarchieübergreifend stattfinden, steigt der Koordinationsbedarf in der Organisation (vgl. Thomé et al. 2003, S. 45), etwa aufgrund entstandener Ressourceninterdependenzen, die abgestimmt werden müssen (vgl. Lang, Utikal 2002). Der Koordinationsbedarf wird dadurch erschwert, dass aufgrund der Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter die Kontrollmöglichkeiten des Managements eingeschränkt sind. BRETTEL/HEINEMANN (2003, S. 412) schlagen dazu vor, Vertrauen als Substitut von Kontrolle anzuwenden, um die Kontrollkosten abzubauen. Der höhere Grad an Zusammenarbeit bedingt die Schaffung von internen und ggf. auch externen Schnittstellen (vgl. Becker, Schütte 1996). Auf der Schaffung unternehmensübergreifender Schnittstellen begründet sich ein zunehmender Informationsbedarf der Mitarbeiter (vgl. Lang, Utikal 2002, S. 176). Der Informationsaustausch erfolgt oft schnell und unbürokratisch ohne die formale Beachtung der Hierarchien und fördert so deren Unschärfe (vgl. Schechler 2002, S. 197). Aufgrund zunehmender Kommunikation besteht vor allem beim Management die Gefahr des Information Overload (vgl. Stegbauer 2001, S. 171). Einhergehend mit verbesserter Information der Mitarbeiter steigt deren Bereitschaft und Einfluss auf
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Innovationen und den organisatorischen Wandel (vgl. Hansmann et al. 2002). Die Reorganisation erfolgt verstärkt durch den aufgrund der Kooperationsmöglichkeiten erzeugten Handlungsdruck (vgl. Bea, Göbel 1999, S. 419, 422), welcher von den Mitarbeitern an das Management herangetragen wird.
5.2 Personelle Änderungen Hinsichtlich der strategischen Entscheidung zur Einführung von Web 2.0 Konzepten in der Organisation ist auf personeller Ebene in erster Linie das Management, aber auch der Konsens der Mitarbeiter gefragt. Bei fehlendem Committment vor allem auf der Managementebene ist die erfolgreiche Umsetzung der Strategie gefährdet (vgl. Hansmann et al. 2002). Das Management und zugleich die Unternehmenskultur müssen dazu zukunftsbezogen und kreativ sein sowie innovative Organisationsentwicklungen unterstützen. Zwischenbetriebliche und zwischenmenschliche Kooperationen müssen als Chance und nicht als Verlust von Macht und Einfluss begriffen werden. Es kann gesagt werden, dass dem Management eine gewisse Vorreiterrolle zugeschrieben werden muss, um die Durchsetzung in der Mitarbeiterschaft zu forcieren. Der Mitarbeiter muss als wertvolle Ressource gesehen und in seiner Persönlichkeitsentfaltung unterstützt werden. Die Werte der Personalpolitik der Organisation müssen von daher durch Partizipation, Selbstbestimmung, Gemeinschaft und Vertrauen geprägt sein. Damit einhergehend ist ein Verständnis des Managements notwendig, welches sich von der Sicherung der Hierarchie und folglich der eigenen Macht löst. Dieses Verständnis ist allerdings in der Praxis eher selten anzutreffen und stellt somit eine besondere Herausforderung dar. Personell ergeben sich weiterhin Veränderungen in der Rolle der Mitarbeiter und der Führungskräfte sowie darauf aufbauend in den Anforderungen der Personalbeschaffung. PICOT et al. (2003) beschreiben die neue Rolle des Mitarbeiters als Teamworker und Beziehungsmanager, Innovator und Selbstentwickler, Fach- und Methodenspezialist sowie als Intrapreneur (Unternehmer im Unternehmen). Die Aufgabenbereiche des Mitarbeiters werden umfangreicher und komplexer und sein Entscheidungsspielraum und Verantwortungsbereich nimmt zu. Deshalb wird in diesem Zusammenhang auch von Employee Empowerment gesprochen. Aufgrund seiner innovativen Einstellung besitzt er ein erhöhtes Interesse an Fachthemen und seiner Weiterbildung. Dazu nutzt er neben dem intraorganisationalen Wissensmanagement auch neue Lernstrukturen in virtuellen sozialen Netzwerken. Der Mitarbeiter selbst reflektiert darüber, wie er seine Fähigkeiten, Kenntnisse und Beziehungen gewinnbringend in die Organisation einbringen kann. Durch zunehmende Interaktion mit Dritten, seien es Kunden oder (potentielle) Geschäftspartner, wird der Mitarbeiter zum Beziehungsmanager und Networker, der erhöhte Sozialkompetenz und Medienkompetenz bezüglich neuer Medien besitzen muss. Über kommunikatives und unternehmerisches Verhalten hinaus entwickelt
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der Mitarbeiter spezifische Fachkenntnisse sowie eine ausgeprägte Methodenkompetenz um seine neuen Aufgaben bewältigen zu können. Die neue Rolle des Managers beschreiben PICOT et al. (2003) als Networker, Visionär und Change Agent, Architekt und Designer und als Coach, Entwickler und Förderer. Sein Aufgabenbereich verschiebt sich vom operativen Geschäft hin zu strategischen Aufgaben und der Mitarbeiterführung. Der Manager führt und fördert Mitarbeiter und Teams, indem er Rahmenentscheidungen trifft, Orientierung gibt, Konflikte erkennt und Vertrauen schafft. Zur Wahrnehmung seiner neuen Rolle benötigt der Manager hohe Sozialkompetenz, Integrationsfähigkeit und kognitive Fähigkeiten. Im Rahmen des Networking übernimmt er „boundary spanning“ Aufgaben, d. h. er koordiniert und führt die dezentralen Netzwerkstrukturen, -teams und Mitarbeiter. Darüber hinaus agiert der Manager als strategischer Entscheider und Visionär, indem er durch Umweltbeobachtungen Kernkompetenzen und Kernprodukte der Organisation entwickelt und initiiert. Aufgrund der beschriebenen Rollenverschiebung von Mitarbeitern und Managern sowie der in Abschnitt 5.1 beschriebenen Potentiale durch soziales Kapital („weak ties“) ist es für die Organisation von zunehmender Bedeutung entsprechend qualifiziertes und vernetztes Personal zu aquirieren. Bereits heute nutzen Personalbeschaffer virtuelle Networking Plattformen, um sich über die sozialen Beziehungen potentieller Bewerber zu informieren (vgl. Hartl et al. 1998).
5.3 Kulturelle Änderungen Durch die ökonomische Nutzung virtueller sozialer Netzwerke kommt es zu Veränderungen in der Unternehmenskultur. Neue Kommunikations- und Arbeitsformen, Arbeitsstrukturen und Verhaltensweisen wirken sich auf das Selbstverständnis und die Transparenz des Unternehmens, die gesellschaftlichen Werte und Normen als auch die Unternehmens- und Führungsgrundsätze der Organisation aus (vgl. Bienert 2007, S. 13). Aber auch wenn aktives und offenes Verhalten gefördert wird, müssen die Unternehmensziele und die Organisationskultur den Rahmen für kooperatives Verhalten der Mitarbeiter und somit der Organisation selbst liefern. Die Interdependenz wird in letzter Instanz demnach von der Unternehmenskultur bestimmt.
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Fallbeispiel Wirtschaftsforum Neuwied
Das Wirtschaftsforum Neuwied e. V. ist ein regionales Netzwerk kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) im Norden von Rheinland-Pfalz (vgl. http://www. wirtschaftsforum-neuwied.de). Seit seiner Gründung im Jahre 2002 ist es zahlenmäßig wie räumlich stetig gewachsen und umfasst mittlerweile 81 Mitgliedsfirmen mit insgesamt über 6000 Beschäftigten. Die im Raum Neuwied ansässigen
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Unternehmen gehören vorrangig der Industrie bzw. der Dienstleitungsbranche an. Das Wirtschaftsforum Neuwied e. V. hat sich das Ziel gesetzt, die Kontakte der Mitgliedsunternehmen untereinander zu verstärken, um dadurch den Wissens- und Erfahrungsaustausch zu forcieren und gemeinsame geschäftliche Aktivitäten zu fördern. Bezüglich der Netzwerkziele zeigt sich eine Ausrichtung des Wirtschaftsforums auf die Kooperationsfelder „Voneinander Lernen“, „Gemeinsame Geschäftsaktivitäten“, „Gemeinsame Standortentwicklung/Standortmarketing“ und „Gemeinsames Erscheinungsbild“. Gemeinsame Geschäftsaktivitäten sind im Rahmen des gemeinsamen Einkaufs, des Kompetenztransfers insbesondere im Bereich Führung und Personal und über gemeinsam veranstaltete Messen umgesetzt. Im Rahmen des Forschungsprojektes InterWork der Universität Koblenz-Landau und der Fachhochschule Koblenz, RheinAhrCampus Remagen wird das Wirtschaftsforum Neuwied e. V. derzeit wissenschaftlich begleitet (http://www.pro jekt-interwork.de/). Das Netzwerk soll durch eine ganzheitliche Betrachtung, Analyse und Interventionsphase nachhaltig gestärkt werden, indem die Netzwerkstrukturen und die Zusammenarbeit der Mitgliedsunternehmen gefördert werden. Im Zuge einer empirischen Befragung im Wirtschaftsforum Neuwied e. V. wurde dabei festgestellt, dass die Mitgliedsunternehmen ein deutliches Kooperationspotential innerhalb des Netzwerks erkennen. Die Zahl der tatsächlichen Kooperationen zwischen den Mitgliedern bleibt jedoch deutlich dahinter zurück (vgl. Abb. 3). Somit werden die vorhandenen Kooperationspotentiale des Netzwerks nur unzureichend ausgenutzt. ich stimme zu ich stimme eher zu teils, teils
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Erkennung potentieller Kooperationspartner im WiFo
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ich stimme eher nicht zu ich stimme nicht zu
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Ablehnung
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Bereits gefundene Kooperationspartner im WiFo
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Zustimmung
Abb. 3: Erkanntes Kooperationspotential vs. umgesetzte Kooperationen im Wirtschaftsforum Neuwied e. V.
Die fehlende Umsetzung von Kooperationspotentialen wird hierbei durch verschiedene Faktoren begründet. Im Netzwerk besteht ein, wie in vielen Netzwerken zu beobachtendes, Informationsdefizit bezüglich der Kooperationsinteressen und Kooperationsmöglichkeiten. Im Wirtschaftsforum Neuwied e. V. wurde dieses
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Informationsdefizit durch ein rasches Wachstum des Netzwerks innerhalb des letzten Jahres weiter verschärft. Aufgrund der unzureichenden Informationen sind Kooperationen für die Unternehmen schlecht planbar und werden oft vielmehr spontan initiiert. Weiterhin ist die Bereitschaft zur Kooperation anfänglich durch eine Phase gekennzeichnet, in welcher die Organisationen gegenseitiges Vertrauen aufbauen müssen. Bedingt durch das starke Wachstum des Netzwerkes ist dieser Vertrauensaufbau sehr zeitaufwendig und Kooperationen werden nur in geringem Rahmen eingegangen. Da es sich beim Wirtschaftsforum Neuwied e. V. um ein KMU-Netzwerk handelt, zeigt die Praxis weiterhin, dass mittelstandstypische Defizite bezüglich des Kooperationsverhaltens existieren. Ein Großteil der Unternehmen hat bisher noch keine Kooperationserfahrung und verfügt lediglich in begrenztem Rahmen über Wissen bezüglich des Kooperationspotentials. Des Weiteren sind die Netzwerkstrukturen stark von einer Inhaberführung geprägt. D. h., die Mitgliedsunternehmen sind häufig lediglich durch den Inhaber vertreten, wobei der Netzwerkgedanke und die operativen Tätigkeiten des Netzwerks kaum an die Mitarbeiter weitergetragen bzw. delegiert werden. Hierbei wirken sich die zeitlichen Restriktionen der Netzwerkvertreter und deren Distanz zur operativen Tätigkeit des Unternehmens auf die geringe Entstehung kooperativer Zusammenschlüsse aus. Hierbei ist es notwendig, die Mitarbeiter der Unternehmen in das Netzwerk mit einzubeziehen, um eine Erhöhung der Kontakte im Netzwerk und die Initiierung von Kooperationen zwischen den Netzwerkunternehmen zu fördern. Die Implementierung eines virtuellen sozialen Netzwerks, z. B. in Form einer Business Community, bietet für das Wirtschaftsforum Neuwied e. V. eine Möglichkeit, die Vernetzung zu erhöhen, indem die Mitarbeiter der Mitgliedsunternehmen eingebunden werden und die Information und Kommunikation im Netzwerk zu beschleunigen. Weiterhin kann durch die offene Darstellung von Kompetenzen, Unterstützungsbedarfen und Unterstützungsangeboten Transparenz im Netzwerk geschaffen werden, welche einen Wissenstransfer und Kompetenzaufbau zur Generierung neuen, strategisch relevanten Wissens zwischen den Unternehmen intensiviert sowie die Schaffung gemeinsamer Leistungsangebote fokussiert. Aus den o. g. Gründen plant das Projektteam InterWork die organisations- und informationstechnische Implementierung einer Plattform, die die Potentiale virtueller sozialer Netzwerke im Wirtschaftsforum Neuwied e. V. realisiert. In Vorgesprächen mit den Mitgliedsunternehmen des Wirtschaftsforums Neuwied e. V. zeigten sich Bedenken bezüglich der in Abschnitt 5 beschriebenen Bereiche Organisation, Personal und Kultur (vgl. Tab. 2). Hierbei ist gemeinsam mit den Mitgliedsunternehmen eine Vorgehensweise zu entwickeln, welche die virtuelle Plattform sinnvoll in die existierenden Informations- und Kommunikationsstrukturen einbindet und einen Mehrwert schafft. Das virtuelle soziale Netzwerk soll vielmehr eine zeit- und ortsunabhängige Möglichkeit bieten, die Kontakte im Wirt-
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schaftsforum Neuwied e. V. zu halten und zusätzlich zu Veranstaltungen die Kontakte virtuell zu knüpfen und auszubauen. Organisation • Befürchtung vor hohem Koordinationsaufwand • Dezentralisierung von Verantwortung und Entscheidungen
Personal
Kultur
• Geringe Bereitschaft zur Einbindung der Mitarbeiter ins Netzwerk
• Widerspruch zum üblichen Managementverständnis in KMU
• Geringe Bereitschaft, Mitarbeitern mehr zu vertrauen • Risiko der Abwerbung von Mitarbeitern durch erhöhte Kontakte
• Angst vor zu hoher Transparenz • Angst vor offen angelegten Kommunikationsstrukturen
• Mangelnde IT-Kompetenz des Personals Tab. 2: Akzeptanzprobleme virtueller sozialer Netzwerke im Wirtschaftsforum Neuwied e. V.
Das bisherige Informations- und Kommunikationskonzept des Wirtschaftsforums Neuwied e. V. wird mittels des zu implementierenden virtuellen sozialen Netzwerkes erweitert (vgl. Abb. 4).
Abb. 4: Informations- und Kommunikationsebenen im Wirtschaftsforum Neuwied e. V.
Bisher waren die Kontakte der Mitglieder auf zwei Ebenen beschränkt – spontane Treffen und Informationsweitergabe sowie die gezielte Informationsversorgung und Kontakte auf Veranstaltungen des Wirtschaftsforums. Mittels des virtuellen sozialen Netzwerkes wird eine dritte Ebene geschaffen, auf der sich die Mitglieder ihre Kontakte orts- und zeitunabhängig verwalten können, die Informationsversorgung beschleunigt und die Kommunikationswege verkürzt werden. Darauf aufbauend ist mit einer Erhöhung der Kontaktdichte und der Kooperationen zu rechnen.
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Fazit
Soziale Netzwerke haben mit den Entwicklungen des Web 2.0 neue Anwendung gefunden. Derzeit werden sie allerdings hauptsächlich im privaten Umfeld genutzt. Aufgrund ihrer Rolle als Intermediär zwischen der Organisation und ihren Kunden, Geschäftspartnern bzw. potentiellen Kooperationspartnern bieten sich für Organisationen Potentiale, die aus virtuellen sozialen Netzwerken erschlossen werden können. So sind auf der Kundenebene (B2C, C2B) vorrangig Marktbeobachtungen, Marktanalysen und Werbemaßnahmen zu betreiben. Auf der Geschäftsebene unterstützen die Kommunikationsplattformen die Kooperation, den Informations- und Wissensaustausch zwischen Organisationen als auch zwischen Mitarbeitern. Insbesondere externe Business Networking Plattformen bieten neben Informations- und Wissensmanagement Potential, über soziales Kapital der Mitarbeiter Kooperationen zu initiieren und zu unterhalten. Trotz der hohen Potentiale von sozialen Netzwerken sind diesem Konzept Grenzen gesetzt. Diese lassen sich überwiegend auf der personellen Ebene wieder finden, so z. B. in der fraglichen Übertragbarkeit des Engagements in sozialen Netzwerken von der Freizeit auf die berufliche Tätigkeit. Bei der Umsetzung der Idee sozialer Netzwerke in Organisationen sind gravierende Veränderungen auf der organisatorischen Ebene, aber auch auf der personellen und kulturellen Ebene zu erwarten. Durch ausgeweitete Aufgabenbereiche, Handlungs- und Entscheidungsspielräume, Verantwortlichkeiten und verändertem Kommunikationsverhalten kommt es zum Abbau von Hierarchien. Dahingegen steigen der Koordinationsbedarf der Organisation und der Informationsbedarf der Mitarbeiter. Personelle und kulturelle Veränderungen zeichnen sich in einer Veränderung der Rolle des Mitarbeiters und des Managements und nicht zuletzt in einer offenen und innovativen Organisationskultur aus. Das Praxisbeispiel Wirtschaftsforum Neuwied e. V. zeigt, dass virtuelle soziale Netzwerke vor allem für KMU Chancen bieten, Kontakte zu knüpfen und Kooperationen zu initiieren. Dies bedeutet aber auch, dass eine stärkere Einbindung und ein größeres Vertrauen in die Mitarbeiter notwendig sind. Dies ist vor allem bei KMU ein hemmender Faktor, welcher überwunden werden muss, um die Potentiale virtueller sozialer Netzwerke in hohem Umfang nutzen zu können. Die Potentiale der Nutzung sozialer Netzwerke übersteigen in vielen Bereichen deren Risiko. Dennoch ist es fraglich, ob Organisationen nach den Erfahrungen mit dem Platzen der ersten „Internet Bubble“ in junge Technologien und Entwicklungen investieren werden. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie sich die ökonomische Landschaft durch Web 2.0 Technologien verändert. Eines steht heute allerdings schon fest: Der begrenzende Faktor ist nicht die Technik, sondern der Mensch.
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Autorenverzeichnis Prof. Dr. Jörg Becker Westfälische Wilhelms-Universität Münster European Research Center for Information Systems Leonardo-Campus 3, D-48149 Münster Tel.: +49 (0)251/83 38100, Fax: +49 (0)251/83 38109 E-Mail:
[email protected] http://www.wi.uni-muenster.de/is/organisation/becker
Daniel Beverungen Westfälische Wilhelms-Universität Münster European Research Center for Information Systems Leonardo-Campus 3, D-48149 Münster Tel.: +49 (0)251/83 38092, Fax: +49 (0)251/83 28068 E-Mail:
[email protected] http://www.wi.uni-muenster.de/is/organisation/mitarbeiter/beverungen
Petra Cyganski Universität Koblenz-Landau Institut für Management Universitätsstraße 1, D-56070 Koblenz Tel.: +49 (0)261/287 1593, Fax: +49 (0)261/287 100 1593 E-Mail:
[email protected] http://www.uni-koblenz.de/FB4/People/Person/cyganski http://www.projekt-interwork.de
Michael Fellmann Universität des Saarlandes Institut für Wirtschaftsinformatik, Geb. D3 2 Stuhlsatzenhausweg 3, D-66123 Saarbrücken Tel.: +49 (0) 681/302 3106, Fax: +49 (0) 681/302 3696 E-Mail:
[email protected] Marc Gräßle Universität des Saarlandes Institut für Wirtschaftsinformatik, Geb. D3 2 Stuhlsatzenhausweg 3, D-66123 Saarbrücken Tel.: +49 (0) 681/302 3106, Fax: +49 (0) 681/302 3696 E-Mail:
[email protected] 326
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Clemens Hildebrandt Universität des Saarlandes Institut für Wirtschaftsinformatik, Geb. D3 2 Stuhlsatzenhausweg 3, D-66123 Saarbrücken Tel.: +49 (0) 681/302 3106, Fax: +49 (0) 681/302 3696 E-Mail:
[email protected] Ines Hönscheidt Johann Wolfgang Goethe-Universität Seminar für Logistik und Verkehr Mertonstr. 17, D-60325 Frankfurt am Main Tel: +49 (0) 69/79823261, Fax: +49 (0) 69/79828414 E-Mail:
[email protected] http://www.logistik-frankfurt.de
Dr. Christian Janiesch Westfälische Wilhelms-Universität Münster European Research Center for Information Systems Leonardo-Campus 3, D-48149 Münster Tel.: +49 (0)251/83 38091, Fax: +49 (0)251/83 28073 E-Mail:
[email protected] http://www.wi.uni-muenster.de/is/organisation/mitarbeiter/janiesch
Univ.-Prof. Dr. Bernd Kaluza Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Abteilung Produktions-, Logistik- und Umweltmanagement Universitätsstraße 65-67, A-9020 Klagenfurt Tel.: +43 (0)463/2700 4071, Fax: +43 (0)463/2700 4097 E-Mail:
[email protected] http://www.uni-klu.ac.at/plum/inhalt/397.htm
Dr. Ralf Knackstedt Westfälische Wilhelms-Universität Münster European Research Center for Information Systems Leonardo-Campus 3, D-48149 Münster Tel.: +49 (0)251/83 38094, Fax: +49 (0)251/83 38109 E-Mail:
[email protected] http://www.wi.uni-muenster.de/is/organisation/mitarbeiter/knackstedt
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Stephan Kramer WHU – Otto Beisheim School of Management Zentrum für Controlling und Management Burgplatz 2, D-56179 Vallendar Tel.: +49 (0)261 6509-485, Fax: +49 (0)261 6509-479 E-Mail:
[email protected] http://www.whu.edu
Dr. Christine Legner Universität St. Gallen Institut für Wirtschaftsinformatik Müller-Friedberg-Str. 8, CH-9000 St. Gallen Tel: +41 (0)71/224 2782, Fax: +41 (0)71/224 2777 E-Mail:
[email protected] http://web.iwi.unisg.ch/org/iwi/iwi_web_2.nsf/wwwPubMemberGer/Legner Christine.htm
Katrina Leyking Universität des Saarlandes Institut für Wirtschaftsinformatik, Geb. D3 2 Stuhlsatzenhausweg 3, D-66123 Saarbrücken Tel.: +49 (0) 681/302 5389, Fax: +49 (0) 681/302 3696 E-Mail:
[email protected] http://www.iwi.uni-sb.de/mitarbeiter/leyking
Oliver Müller Westfälische Wilhelms-Universität Münster European Research Center for Information Systems Leonardo-Campus 3, D-48149 Münster Tel.: +49 (0)251/83 38064, Fax: +49 (0)251/83 28064 E-Mail:
[email protected] http://www.wi.uni-muenster.de/is/organisation/mitarbeiter/mueller
Prof. Holger Nohr Hochschule der Medien Stuttgart IAF, Business Intelligence & Knowledge Management Wolframstr. 32, D-70191 Stuttgart Tel.: +49 (0)711/25706 187, Fax: +49 (0)711/25706 300 E-Mail:
[email protected] http://www.iuk.hdm-stuttgart.de/nohr
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Prof. Dr. Hubert Österle Universität St. Gallen Institut für Wirtschaftsinformatik Müller-Friedberg-Str. 8, CH-9000 St. Gallen Tel: +41 (0)71/224 2420, Fax: +41 (0)71/224 2777 E-Mail:
[email protected] http://web.iwi.unisg.ch/org/iwi/iwi_web_2.nsf/wwwPubMemberGer/Oesterle Hubert.htm
Daniel Pfeiffer Westfälische Wilhelms-Universität Münster European Research Center for Information Systems Leonardo-Campus 3, D-48149 Münster Tel.: +49 (0)251/83 38079, Fax: +49 (0)251/83 28079 E-Mail:
[email protected] http://www.wi.uni-muenster.de/is/organisation/mitarbeiter/pfeiffer
Inga Pollmeier Ruhr-Universität Bochum Lehrstuhl für Produktionswirtschaft Universitätsstraße 150, D-44780 Bochum Tel.: +49 (0)234/32 25346, Fax.: +49 (0)234/32 14717 E-Mail:
[email protected] Dr. Matthias Rinschede CTG Corporate Transformation Group GmbH Lennéstraße 1, D-10785 Berlin Tel.: +49 (0)30/800 968 100, Fax: +49 (0)30/800 968 109
Prof. Dr. Alexander W. Roos Hochschule der Medien Stuttgart Studiengang Wirtschaftsinformatik Wolframstr. 32, D-70191 Stuttgart Tel.: +49 (0)711/8923 2004, Fax: +49 (0)711/8923 2011 E-Mail:
[email protected] http://www.iuk.hdm-stuttgart.de/roos
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Hubert B. Schemitsch Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Abteilung Produktions-, Logistik- und Umweltmanagement Universitätsstraße 65-67, A-9020 Klagenfurt Tel.: +43 (0)463/2700 4078, Fax: +43 (0)463/2700 4097 E-Mail:
[email protected] http://www.uni-klu.ac.at/plum/inhalt/427.htm
Jan W. Schemm Universität St. Gallen Institut für Wirtschaftsinformatik Müller-Friedberg-Str. 8, CH-9000 St. Gallen Tel: +41 (0)71/224 2787, Fax: +41 (0)71/224 2777 E-Mail:
[email protected] http://web.iwi.unisg.ch/org/iwi/iwi_web_2.nsf/wwwPubMemberGer/Schemm Jan.htm
Dr. Christoph Siepermann Universität Kassel Fachbereich 7 – Wirtschaftswissenschaften Fachgebiet Produktionswirtschaft und Logistik Nora-Platiel-Str. 4, D-34127 Kassel Tel.: +49 (0)561/804 3518, Fax: +49 (0)561/804 3027 E-Mail:
[email protected] http://www.ibwl.uni-kassel.de/vahrenkamp/Mitarbeiter/siepermann.html
Michael Slamanig Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Abteilung Produktions-, Logistik- und Umweltmanagement Universitätsstraße 65-67, A-9020 Klagenfurt Tel.: +43 (0)463/2700 4074, Fax: +43 (0)463/2700 4097 E-Mail:
[email protected] http://www.uni-klu.ac.at/plum/inhalt/431.htm
Dr. Mario C. Speck CTG Corporate Transformation Group GmbH Lennéstraße 1, D-10785 Berlin Tel.: +49 (0)30/800 968 100, Fax: +49 (0)30/800 968 109
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Autorenverzeichnis
Prof. Dr. Marion Steven Ruhr-Universität Bochum Lehrstuhl für Produktionswirtschaft Universitätsstraße 150, D-44780 Bochum Tel.: +49 (0)234/32 28010, Fax.: +49 (0)234/32 14717 E-Mail:
[email protected] Prof. Dr. Eric Sucky Otto-Friedrich-Universität Bamberg Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Produktion und Logistik Feldkirchenstr. 21, D-96045 Bamberg Tel.: +49 (0)951/863 2519, Fax: +49 (0)951/863 2520 E-Mail:
[email protected] http://www.uni-bamberg.de/sowi/logistik
Dr. Oliver Thomas Universität des Saarlandes Institut für Wirtschaftsinformatik, Geb. D3 2 Stuhlsatzenhausweg 3, D-66123 Saarbrücken Tel.: +49 (0) 681/302 5239, Fax: +49 (0) 681/302 4786 E-Mail:
[email protected] http://www.iwi.uni-sb.de/mitarbeiter/thomas
Dr. Lev Vilkov Westfälische Wilhelms-Universität Münster European Research Center for Information Systems Leonardo-Campus 3, D-48149 Münster Tel.: +49 (0)251/83 38071, Fax: +49 (0)251/83 28071 E-Mail:
[email protected] http://www.wi.uni-muenster.de/is/organisation/mitarbeiter/vilkov
Jan Vockeroth Universität Kassel Fachbereich 7 – Wirtschaftswissenschaften Fachgebiet Produktionswirtschaft und Logistik Nora-Platiel-Str. 4, D-34127 Kassel Tel.: +49 (0)561/804 3518, Fax: +49 (0)561/804 3027
Autorenverzeichnis
Annika Vöhringer Hochschule der Medien Stuttgart IAF, Business Intelligence & Knowledge Management Wolframstr. 32, D-70191 Stuttgart Tel.: +49 (0)711/25706 183, Fax: +49 (0)711/25706 306 E-Mail:
[email protected] Burkhard Weiß Westfälische Wilhelms-Universität Münster European Research Center for Information Systems Leonardo-Campus 3, D-48149 Münster Tel.: +49 (0)251/83 38089, Fax: +49 (0)251/83 28089 E-Mail:
[email protected] http://www.wi.uni-muenster.de/is/organisation/mitarbeiter/weiss
Dr. Axel Winkelmann Westfälische Wilhelms-Universität Münster European Research Center for Information Systems Leonardo-Campus 3, D-48149 Münster Tel.: +49 (0)251/83 38086, Fax: +49 (0)251/83 28086 E-Mail:
[email protected] http://www.wi.uni-muenster.de/is/organisation/mitarbeiter/winkelmann
Ass. Prof. Dr. Herwig Winkler Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Abteilung Produktions-, Logistik- und Umweltmanagement Universitätsstraße 65-67, A-9020 Klagenfurt Tel.: +43 (0)463/2700 4079, Fax: +43 (0)463/2700 4097 E-Mail:
[email protected] http://www.uni-klu.ac.at/plum/inhalt/413.htm
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