Sibylle Peters/Kai Reinhardt/Holger Seidel Wissen verlagern
Sibylle Peters/Kai Reinhardt/Holger Seidel
Wissen verlag...
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Sibylle Peters/Kai Reinhardt/Holger Seidel Wissen verlagern
Sibylle Peters/Kai Reinhardt/Holger Seidel
Wissen verlagern Risiken und Potenziale von Standortverlagerungen
GABLER
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uber abrufbar.
Eine Forschungsstudie im Auftrag der Hans-Bockler-Stiftung, Dusseldorf
1. Auflage Juli 2006 Alle Rechte vorbehalten © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Ulrike M. Vetter Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auRerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. In diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften. Umschlaggestaltung: Nina Faber de.sign, Wiesbaden Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm & Adam, Heusenstamm Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN-10 3-8349-0327-2 ISBN-13 978-3-8349-0327-3
Tagtaglich erreichen uns Nachrichten von Unternehmen, die die Entscheidung treffen, Standorte und Arbeitplatze ins Ausland zu verlagem. Obwohl diese Entwicklungen nicht neu sind, sind sie derzeit emotionaler Sprengsatz in einer Diskussion iiber zunehmend dissonante Strukturen des etablierten Wohlfahrtsstaates und der Zukunft des Produktionsstandortes Deutschland. Leider lassen die oft emotional und kontrovers gefiihrten Debatten wenig Raum fiir eine analytische Betrachtung der Vielschichtigkeit des Phanomens Standortverlagerung. Eine wichtige Facette in diesem Kontext ist die Beantwortung der Frage nach der Bedeutung des Faktors Mensch. Das Ihnen vorliegende Buch strebt an, die Diskussion von Standortentscheidungen unter der Einbeziehung des Produktionsfaktors Wissen zu beobachten. Das Phanomen Standortverlagerung wird im Kontext der Globalisierung und der Zunahme der Bedeutung von Wissen und Bildung in ihren Beziehungen diskutiert. Insofern konnen Facetten der gegenwartigen Globalisierung in okonomischen Modellen sowie praktische Beispiele aktueller Standortverlagerungen Standortentscheidungen als dominant okonomische und betriebswirtschaftliche Strategien aufzeigen. Nur werm es zukiinftig gelingt, die Wissens- und Human-Ressourcen der Belegschaft an einem Standort qualitativ und quantitativ auszuweisen und in Vergleichsszenarien neben betriebswirtschaftlich orientierten Entscheidungsmodellen zu sehen, konnen Verlagerungsentscheidungen im Kontext einer Informations- und Wissensgesellschaft bewertet werden. Der Aufbau des Buches orientiert sich konsequent am Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis strategischer Untemehmensfiihrung. In Kapitel 2 wird das Spektrum von Globalisierung und Wissensgesellschaft in Beziehung zu Standortentscheidungen diskutiert. In Kapitel 3 werden etablierte okonomische Ansatze zu Standortentscheidung im Kontext des Einbezugs von Wissen als essentieller okonomischer Faktor diskutiert. Kapitel 4 verweist auf wichtiges Hintergrundwissen zum Wissensbegriff und dessen Verbindung zum Kontext von Standortbewertungen und Verlagerungsentscheidungen. In Kapitel 5 werden sowohl konventionelle als auch innovative Bewertungs- und Messverfahren von Standortentscheidungen dahingehend untersucht, inwieweit sie den Faktor Wissen in StandortverlagerungsEntscheidungen aufgreifen. In Kapitel 6 wird eine Systematik zum Wissenstandort-Monitor entwickelt, um anhand zahlreicher Fallbeispiele von Unternehmen einen differenzierten Uberblick iiber die Unternehmenspraxis
Vorwort
zu geben. Den Abschluss bilden zentrale Thesen zum Umgang mit dem Faktor Wissen im Rahmen internationaler Standortentscheidungen. Die Grundlage und Idee zum vorliegenden Buch entstand in einem von der Hans-Bockler-Stiftung finanzierten Projekt. An der Entwicklung dieses Buches waren weitere Forschungs- und Entwicklungsaufgaben involviert. Zu der Realisierung des Buches verhalf u. a. Frau Ulrike M. Vetter vom GablerVerlag, wofiir wir uns bedanken. Aber auch Freunden und befreundeten Kollegen haben wir zu danken, die sich in unterschiedlichen Kontexten mit uns auf Diskussionen iiber die Globalisierung im Zusammenhang mit noch ungewissen Entwicklungen der Ressource Wissen und der internationalen Wissensarbeit einliefien und gemeinsam spekulativ Szenarien entwarfen. Unser Dank gilt dabei insbesondere Hans-Georg Schnauffer und Mark Staiger (Fraunhofer Institut flir Fabrikbetrieb und -automatisierung, Magdeburg). Ebenso danken mdchten wir Mirko Steckel (Otto- von Guericke- Universitat, Magdeburg), der uns bei der Erstellung und Umsetzung des Manuskriptes aktiv unterstiitzte. Wir wiinschen alien Lesem eine ebenso spannende wie kritische Lekture und freuen uns iiber zahlreiche Leserpost.
Magdeburg Berlin Frankfurt
Sibylle Peters
VI
Mai 2006
Kai Reinhardt
Flolger Seidel
Vorwort 1
V
Einleitung
1
1.1
Ziel des Buches
1
1.2
Aufbau des Buches
5
2
Globalisierung und Wissensgesellschaft
7
2.1
Vom Wesen der Globalisierung
7
2.2
Der Aufbruch in die und Anzeichen der Wissensgesellschaft
9
2.3
Die okonomische Globalisierung
14
2.4
Die Globalisierung als Netzwerkbildung
17|
2.5
Die Globalisierung der Arbeit
22
2.6
Die Globalisierung des Wissens
26
2.7
Standort „Deutschland'' in Gefahr?
30
3
Triebkrafte globaler Standortentscheidungen
35
3.1
Standort, Standortfaktoren und Standortverlagerung
35
3.2
Standortverlagerungen aus volkswirtschaftlicher Sicht
43
3.2.1 Theorie komparativer Kostenvorteile
45
3.2.2 Heckscher-Ohlin-Modell/Leontief-Paradoxon
47
3.2.3 Theorie der technologischen Liicke
49
3.3
Standortverlagerungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht
50
3.3.1 Lebenszyklus-Modell
50
3.3.2 Produktionsfaktoren-Systeme
51
3.3.3 Markteintrittsstrategien von Unternehmen
56
3.3.4 Direktinvestitions-Entscheidungen
60
3.3.5 Resiimee aus der Wissensperspektive
63
3.4
Aktueller Stand bei Standortverlagerungen
66
VII
Inhaltsverzeichnis
3.4.1 Wohin verlagern Unternehmen?
66
3.4.2 Wie grofi sind verlagernde Unternehmen?
69
3.4.3 In welchen Branchen wird verlagert?
70
3.4.4 Was wird verlagert?
73
3.4.5 Warum verlagern Unternehmen?
76
3.5
Das Phanomen der Riickverlagerung
81
3.6
Schlussfolgerungen fur die Praxis
87
4
Der Faktor Wissen im Fokus
93
4.1
Das Wissensunternehmen
95
4.2
Der Wissensbegriff
98
4.3
Wertschopfungsfaktor Wissen
101
4.4
Wissen als intellektuelles Kapital
103
4.5
Wissen managen
110
5
Standortentscheidungen messen und bewerten
115
5.1
Grundlagen der Wissensmessung
117
5.2
Konventionelle Bewertungsverfahren
127
5.3
Wissensbasierte Bewertungsansatze
133
5.3.1 Deduktiv-summarische Ansatze
134
5.3.2 Induktiv-analytische Ansatze
136
5.3.3 Misch- und Hybridformen
141
5.3.4 Das Konzept der Wissensbilanz
144
5.4 6
Einschatzung wissensbasierter Ansatze Praxis wissensbasierter Standortverlagerungen
152 157
6.1
Der Wissensstandort-Monitor
159
6.2
Auslandsverlagerung
163
6.2.1 Auslandsverlagerung und Wissensaufbau
163
6.2.2 Auslandsverlagerungen und Wissenserhalt
167
6.2.3 Auslandsverlagerungen und Wissensverlust
171
6.3
Vlli
Standortverbleib
175
Inhaltsverzeichnis
6.3.1 Standortverbleib und Wissensaufbau
175
6.3.2 Standortverbleib und Wissenserhalt
179
6.3.3 Standortverbleib und Wissensverlust
183
6.4
Riickverlagerung
187
6.4.1 Riickverlagerung und Wissensaufbau
187
6.4.2 Riickverlagerung und Wissenserhalt
191
6.4.3 Riickverlagerung und Wissensverlust
193
6.5 7
Uberblick und Zusammenfassung Thesen und Ausblick
196 199
7.1
Zentrale Thesen: Wissen und Standortverlagerungen
199
7.2
Ausblick
205
Literatur
212
Die Autoren
229
IX
1.1
Ziel des Buches
Internationale Standortverlagerungen gehoren in einer globalisierten Welt zum wirtschaftlichen Alltag und bilden zugleich den Ausgangspunkt fiir heftige Kontroversen in Politik und Offentlichkeit. Zuriickzufiihren ist dies auf den isolierten Fokus, mit dem Standortentscheidungen stets betrachtet werden. Standortverlagerungen an sich sind Teil der aktuellen Globalisierungsprozesse und entsprechenden Entwicklungen; jedoch wird die Problematik vorwiegend in Zirkeln betriebswirtschaftlicher Argumente und Entscheidungsfragen diskutiert und bewertet.
Kontroverse Standpunkte in Politik und Gesellschaft
Dieses Buch zeigt auf, dass die Verlagerung von Standorten von weitaus mehr als „nur'' von betriebswirtschaftlichen Faktoren bestimmt wird. Die Autoren analysieren den Zusammenhang zwischen Faktoren und Entscheidungen betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit und Effizienz mit Aspekten der Qualifizierung, den Potenzialen von Mitarbeitern, ja Fragen von Bildung, Wissen und Erfahrungen sowie den Umgang mit der Qualitat der Mitarbeiter als immaterielle Ressourcen. Dieser qualitativ immanente Aspekt wird derzeit in der Diskussion innerhalb des Themas ignoriert und vor allem unterschatzt. In diesem Buch belegen wir anhand der wissenschaftlichen Diskussion sowie zahlreicher Praxisbeispiele, dass Wissensressourcen bei Globalisierungsentscheidungen zuklinftig eine weitaus grojSere Rolle spielen werden, als dies in den derzeitigen Diskussionen zum Vorschein kommt und man es sich gegenwartig vorzustellen vermag. Insofern widmet sich dieses Buch dem Stand in Theorie und Praxis beziiglich der Fragestellung:
Mehr als nut betriehswirtschaftliche Modelle
Wfe werden die tatsdchlichen Wissens- und Fdhigkeitsbestdnde der Mitarbeiter im Rahmen von Standorthewertungen beriicksichtigt und in Entscheidungen der Standortverlagerung ins Ausland mit einbezogen?
Leitfrage
Die Schlichtheit der Fragestellung verweist auf einen Zusammenhang in Entscheidungsprozessen von internationalen Standortentscheidungen, der gegenwartig gleichfalls nicht beriicksichtigt ist, obwohl es gewissermafien auf der Hand zu liegen scheint, okonomische Entscheidungen und gesellschaftspolitische Entwicklungen einander in Beziehung zu setzen. Lokale
Verdnderte Rahmenbedingungen fUr Entscheidungen
Einleitung
Standortvorteile geraten bei weltweiten Investitionsentscheidungen immer starker in den Hintergrund. Junge und aufstrebende Wirtschaftsnationen bieten deutschen Investoren zahlreiche strukturelle Kostenvorteile sowie giinstigere arbeitsmarkt-, standortbezogene und finanzpolitische Rahmenbedingungen. Unter diesen Pramissen geraten Qualitat und Potenzial der Mitarbeiter vor Ort aus dem Blickfeld. Untemehmen entscheiden sich zunehmend aufgrund kurzfristiger Kostenvorteile fiir eine Verlagerung ins Ausland. Einbezug von Wissen und Kompetenz in Bewertungen
Die Kriterien, anhand derer Investitionsentscheidungen fiir auslandische Standorte getroffen werden, erscheinen zunehmend diskussionswiirdig, da sie den komplexen Anforderungen und Aspekten einer Wissensgesellschaft nicht mehr gerecht werden. Gegenwartig werden Entscheidungen fast ausschliefilich aufgrund finanzieller und struktureller Analysemodelle getroffen, die die perspektivischen Momente einer Wissensbewertung und beurteilung zu wenig beriicksichtigen. Nur marginal wird die Qualitat lokaler Wissensressourcen einer Bewertung unterzogen. Somit wird nicht transparent, welche mittelfristigen Aufwande, Kosten und Zeitbedarfe eine Standortverlagerung nach sich zieht, d. h., die Folgewirkungen bleiben wegen mangelnder Beriicksichtigung intransparent. Zu befiirchten ist, dass aufgrund mangelnder Beriicksichtigung personengebundenen Mitarbeiterwissens zu schnell und zu viel verlagert wird. Das geht mit einem massiven Arbeitsplatzverlust in Deutschland einher und gefahrdet den langfristigen Untemehmenserfolg, ohne sozialpolitische Folgekosten hier diskutieren zu woUen.
Wissen als expliziter Faktor von Verlagerungsentscheidungen
Ziel des Buches ist es aufzuzeigen, welche Bedeutung die Wissensressourcen von Mitarbeitern im Rahmen von Standortbewertungen und -verlagerungen haben und inwieweit Wissensressourcen ein immanenter Faktor fiir den nachhaltigen Erfolg bzw. Misserfolg fiir Standortverlagerungen sind. Gezielt haben wir dazu aktuelle betriebswirtschaftliche Ansatze in ihrer Vielfalt und Differenz aufgearbeitet, die in der Literatur und in der Praxis als state of the art gehandelt werden und damit die entscheidenden Komponenten darstellen, wovon sich Standortentscheidungsdebatten zu leiten haben. In aller Ausdifferenzierung und Besonderheit lassen sie sich leiten von pragmatisch orientierten Fragestellungen, mit der Zielorientierung, was zu tun sei, um eine Standortverlagerung zu ermoglichen. Erst nach dem Aufzeigen dieser Differenz und ihrem inharenten normativen Charakter in der Fragestellung wird die Perspektive des Themas erweitert. Dieses erfolgt dadurch, dass neuere Kriterien am Beispiel des Wissens als analytischer Rahmen an den Gegenstand der Standortverlagerung herangetragen werden, um dadurch Entscheidungen von Standortverlagerungen in gesellschaftlicher Beziehungsabhangigkeit sehen zu konnen. Die Aufarbeitung der Modelle zur Bewertung von Wissen dient der Erweiterung der Diskussion zur Standort-
Ziel des Buches
verlagerung und kann aus einer vollig anderen und neuen Perspektive die Prozess- und Entwicklungsdynamik der aktuellen okonomisch orientierten Diskussion transparent machen. Dariiber hinaus markieren die Schnittstellen aktuelle arbeitsmarkt- und qualifikationspolitische Schwerpunkte, die in den aktuellen Standortentscheidungsdebatten bisher „blinde Flecken" sind. Um sich den Auswirkungen der Globalisierung speziell unter dem Gesichtspunkt von Verlagerungsentscheidungen im untemehmerischen Umfeld zu nahem, stellt sich die Frage nach den Triebkraften und Ursachen. Die Literatur bietet zu den Motiven, die Untemehmen zu Standortentscheidungen bewegen, zahlreiche Erklarungsansatze. Dennoch muss, wenn man sich dem Thema der Standortverlagerung aus einer Wissensperspektive nahert, dariiber nachgedacht werden, inwieweit konventionelle Erklarungsmuster die neuen Rahmenbedingungen einer globalen Wirtschafts- und Standortpolitik antizipieren. Die Beobachtungen in der Praxis lassen den nahe liegenden Schluss zu, dass der Grofiteil aller Verlagerungen derzeit auf rein betriebswirtschaftlichen Motiven und Entscheidungen fufit. Um die Motive verstehen zu kormen, bedarf es eines genaueren Blickes auf die Grundlagen und Hintergriinde der internationalen Standortwahl sowie auf die Mechanismen, die Unternehmen zur Internationalisierung bewegen. Besonders folgende Fragen standen bei der Erstellung des Buches im Vordergrund: •
Werden Kriterien zur Bewertung von Wissensressourcen werden bereits verwendet und wenn ja welche?
B Wie werden immaterielle Werte wie z. B. Wissen, Qualitat, Erfahrungen und Fahigkeiten bei einer Standortverlagerung gesehen und bewertet? B Welche Erfahrungen liegen hinsichtlich der Beriicksichtigung und Einbindung der Wissensressourcen der Mitarbeiter bei Standortverlagerungen vor? M Welche unternehmensiibergreifend giiltigen Indikatoren hinsichtlich der Wissensressourcen werden im Rahmen einer Standortverlagerung herangezogen? •
Welche Rahmenbedingungen gelten bei einer Standortverlagerung, hinsichtlich der Bewertung von Wissensressourcen?
M Welche besonderen Anforderungen fiir die Bewertung der Wissensressourcen leiten sich aus diesen Rahmenbedingungen ab? •
Welcher Bedarf lasst sich fiir die Bewertung von Wissensressourcen im Prozess der Standortverlagerung ableiten?
Zentrale Fragestellungen
Einleituns
Dominanz betriehswirtschaftlicher Aspekte einddmmen
Es kann aufgezeigt werden, dass erheblicher Klarungsbedarf insbesondere in der Frage besteht, wie Humanressourcen ganzheitlich und ihrem tatsachlichen Wert angemessen in Bewertungs- und Entscheidungsprozesse der Standortverlagerung integriert werden konnen. Diese Fragestellung ist eine interdisziplinare. Aus heutiger Sicht spielt in Theorie und Praxis einer Standort-Entscheidungssituation die klassische Betriebswirtschaftslehre die dominante RoUe. Hier stehen Bewertungs- und Bemessungsfragen im Vordergrund, die im Rahmen der Kostenrechnung sowie des Controllings wissenschaftlich beschrieben sind, was zu tun sei, um eine Standortverlagerung entscheidungsorientiert durchzufiihren. Infolge der Entwicklungen und der Steigerung des Wissens als Grofie in intemationalen Austauschprozessen, kommt der Betrachtung von Wissen, der Kompetenzen und der Fahigkeiten der Mitarbeiter und damit des intellektuellen Kapitals, zunehmend grdfiere Bedeutung zu. Dieses zuriickgekoppelt an betriebswirtschaftliche Positionen von Standortentscheidungen, zeigt fiir die zukiinftige Globalisierungsentwicklung die Grenzen innerhalb gesellschaftspolitischer Entwicklungen auf. D. h., erst in der Verkniipfung mit dem Faktor Wissen konnen Strategien und Entscheidungen nunmehr im Kontext gesamtgesellschaftspolitischer Wahmehmung des intellektuellen Kapitals gesehen und dadurch ein Bewusstsein fur die Problemkonstellation transparent und somit fiir nachhaltige Strategien geoffnet werden. Dazu ist es erforderlich, den Ertrag der wissensorientierten Bildungswissenschaften nunmehr mit okonomischen Modellen zu koppeln.
Unzureichende interdisziplindre Perspektiven
Unter Globalisierungsperspektiven besteht der Bedarf in erster Linie darin, Standortverlagerungen und Wissensbewertungen vemetzt zu betrachten und auf Basis der jeweiligen Diskussion innerhalb dieser Forschungsbereiche Losungskorridore lokal und regional aufzuzeigen. Im Sinne des state of the art werden Fragen zu intemationalen Standortverlagerungen gegenwartig eher unabhangig von Aspekten der Ressource Wissen gesehen und entschieden. Dies kann als Ausgangshypothese vertreten werden, wenngleich zur Zeit hier neue Perspektivenverschrankungen Einzug in die pragmatisch orientierten okonomischen Positionen gewinnen. Es kann aufgezeigt werden, dass derzeit folglich noch wenig verlassliche Kriterien existieren, die in ein vergleichbares Verhaltnis okonomische, betriebswirtschaftliche und bildungssoziologische Beobachtungsperspektiven in Austausch- und Abhangigkeitsbeziehungen zu setzen, vermogen.
Inhalt des Buches
Im Kern befasst sich das Buch mit folgenden Themen: •
Auswahl und Eignung von Wissensbewertungsansatzen im Rahmen von Standortverlagerungen
•
Erarbeitung von Leitlinien fiir eine Einbeziehung von Bewertungsansatzen in Standortentscheidungen
Aufbau des Buches
M Gegeniiberstellung erfolgreicher und nicht-erfolgreicher Praxisbeispiele zur Wissensbewertung bzgl. Standortverlagerungen in einem Monitoring-System Das Anliegen ist, aus der Literatur zu analysieren, wie Standortverlagerungen aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive sich mit der Perspektive des (Wissens-)Potenzials der Mitarbeiter bei Verlagerungsentscheidungen verbinden und damit Entscheidungen in neue aufeinander bezogene Perspektiven zusammengeftihrt werden konnen. Das kann in mehreren operativen Schritten erfolgen, mit dem Ziel, einen Kriterienkatalog - Wissensmonitor fiir zukunftsorientierte Standortentscheidungen zu entwickeln.
1.2 Aufbau des Buches Der pragmatische sowie normative Charakter der betriebsv^irtschaftlichen Positionen beziiglich von Standortentscheidungen zeigt die Stringenz und Geschlossenheit der Modelle auf, wobei hier gerade Fragen der Offenheit, Anschluss- sowie Integrationsfahigkeit der Wissensbewertung von Humanressourcen in diesem Kontext interessieren. Aus diesem Grunde wird die Standortentscheidung aus theoretischer und praktischer Perspektive der Verlagerung ausdrticklich getrennt, um das Problem differenziert zu bearbeiten. In Kapitel 2 bis 3 widmet sich das Buch den Themen der Globalisierung und Wissensgesellschaft als Eckpfeiler von Standortbewertungsentscheidungen. Kapitel 4 und 5 kontrastiert pragmatische Standortentscheidungen mit Wissensansatzen in Bezug auf den betriebswirtschaftlichen Kontext. Die Globalisierung stellt unternehmensbezogene Standortentscheidungen in steigend komplexe Herausforderungen, die weitgehend mit klassischen betriebswirtschaftlichen Ansatzen bearbeitet und entsprechend der Dynamik des Gegenstandes erweitert werden. Wesentliche Motoren der Dynamik sind Ansatze der Wissensbewertung in einem offenen und weiten Sinne. Mittels einer Literaturrecherche werden Ansatze der Wissensbewertung, Kompetenzmessung, Bewertung von immateriellen Ressourcen sowie okonomischen Bewertung auf Eignung und Transferierbarkeit hinsichtlich Standortverlagerungsentscheidungen gepriift, bewertet und in Relationen zueinander gesehen und gesetzt. Das ermoglicht es, einen Katalog exemplarisch zu erarbeiten, der betriebswirtschaftliche Kriterien sowie wissens- und humankapitalorientierte Kriterien jeweils aufeinander bezieht und damit die gegenseitige Beachtung und Beziehung bzw. Unterlassung zueinander skizzieren kann.
Kapitel 2 his 4: Globalisierung und Wissensgesellschaft
Einleituns
Kapitel 5 und 6: Fallbeispiele fur Standortverlagerungen
Wissensstandortmonitor
Des Weiteren wird im Kapitel 6 anhand zahlreicher Praxisfalle das Thema Wissensbezug und Standorttransfer reflektiert. Wir zeigen, in welchen konkreten Situationen es aus der Wissensperspektive von Vorteil sein kann, eine Verlagerungsentscheidung in veranderten Dimensionen und Beziigen zu treffen. Damit wird deutlich, welche Entscheidungsgrundlagen sowie davon abhangige Folgen erfolgreiche und weniger erfolgreiche Verlagerungsentscheidungen haben. Erst in dieser sich aufeinander bewegenden Bezogenheit der unterschiedlichen Perspektiven wird die Thematik der Standortentscheidungen in ihrer betrieblichen und gesellschaftspolitischen Verzahnung und Abhangigkeit deutlich, d. h. die pragmatisch orientierte betriebswirtschaftliche Position erfahrt eine Perspektivenerweiterung, die eine zunehmende Differenzierung angesichts der Globalisierung gebietet. Zum Abschluss des Buches entwickeln wir auf der Basis des Zusammenspiels von Globalisierung und Wissensbewertung am Gegenstand von Standortverlagerungen einen spezifischen Wissensstandort- Monitor, um die durch Recherche und Aufbereitung aktueller Fallbeispiele aus Print- und Online-Medien gewonnenen Daten sowie globaler Entwicklungserfordernisse abbilden und entsprechend aufbereiten zu konnen. Darin konnen die wechselseitigen Kriterien fiir Entscheidungen wie Entscheidungsunterlassungen aufgezeigt werden. Die entwickelte Ubersicht kann von Untemehmen als praktisches Wissenswerkzeug bei anstehenden Diskursen iiber Standortentscheidungen mehrdimensional im Sinne eines Kriterienkatalogs genutzt werden und kann damit fiir alternative Entwicklungsrichtungen den Weg ebnen.
2.1
Vom Wesen der Globallsierung
Die Bestrebungen von Unternehmern, international tatig zu werden und lokale wie nationale Handelsgrenzen zu iiberschreiten, sind keine Entwicklung der Neuzeit. Schon vor Jahrhunderten war der intemationale Austausch von Giitem ein Kennzeichen prosperierender Handelsnationen. Bereits die Bestrebungen europaischer Kolonialisierungen basierten auf den Motiven, international Handelsimperien zu errichten. Die Folgen waren ein weltweiter Austausch von Waren und Giitern. Auch die Hanse, als Beispiel deutscher Internationalisierungsbestrebungen, erlangte bereits im 14. Jahrhundert eine fiir heutige Zeiten erstaunlich raumliche Ausdehnung ihrer Handelsaktivitaten und beachtliche Einflussnahme auf intemationale Bereiche. Die Beispiele historischer Handelsbestrebungen sind unerschopflich. Die Autoren wie Edelmayer et al. verweisen in diesem Zusammenhang auf die Geschichte internationaler Aufienhandelsbestrebungen [Edelmayer et al. 2001].
Historische Bedeutung globaler Bestrebungen
Auch wenn heute Globalisierungsbestrebungen nicht mit Hilfe von Krieg Integration und und Eroberung durchgefiihrt werden, sondern vielmehr durch komplexe | Vemetzung und subtile wirtschaftliche Entscheidungen und Einflussnahmen, so sind die Motive dennoch ahnlich: das Erzielen eines Gewinns durch regionale Ausdehnung in neue geographische Raume als Grundbestreben unternehmerischen Handelns. Aufgrund dieser Motivation dehnen Unternehmen ihre Aktivitaten auf andere Lander aus. Beispiele gibt es zur Geniige: Containerschiffe bewegen tausende Tonnen Konsumgiiter rund um den Erdball; intemationale Finanzzentren sorgen fiir die Kapitalausstattung internationaler Anlage- und Investitionsgeschafte; multinationale Grofikonzeme erwirtschaften in hunderten Landern gleichzeitig ihre Gewinne. Durch eine immer liberaler werdende Politik einzelner Nationen erfahrt die Welt die integralen Voraussetzungen fiir eine Verzahnung internationaler Handelsaktivitaten zwischen den Nationen. Die Integration und Vemetzung auf Basis von Handelsaktivitaten der Volkswirtschaften untereinander ist der Kern der Globa-
Globalisierung und Wissenssesellschaft
lisierung. Diese hat mittlerweile die gesamte Wirtschaftswelt erfasst und nachhaltig gepragt [Caves et al. 2002]. Untemehmen in der Verlagerungsfalle
Angesichts einer globalisierten Welt geraten immer mehr Untemehmen unter einen anhaltend starker werdenden internationalen Wettbewerbsdruck. Deutschland ist durch seine Exportabhangigkeit eines der Lander, die am starksten in das globale Wirtschaftsnetz eingebunden sind. So stark, dass der globale Wettbewerb und ein globales Agieren nicht mehr ausschliefilich Grofiunternehmen und Konzerne, sondem zunehmend auch kleine und mittlere Untemehmen beriihrt [Lay 2001]. Die fast tagliche Wahrnehmung neuer Verlagerungen deutscher Untemehmen in so genannte Niedriglohnlander ist von Unternehmensseite oft gepaart mit Aussagen zu „Standortnachteilen" - wie zu hohen Lohnkosten oder einem unflexiblen Arbeitsmarkt. Es besteht der Verdacht, dass viele Untemehmen allein unter reinen Kostengesichtspunkten ihre Verlagerungsentscheidung fallen und eine Betrachtung anderer relevanter Faktoren wie beispielsweise Potenziale des heimischen Standortes vemachlassigen oder nur zu einem ungeniigenden Mafie in die Verlagerungsentscheidung einbinden. Untemehmen, die sich diesem Kreislauf ergeben und auf einen starker werdenden Wettbewerbsdruck mit der Verlagerung ihrer Kapazitaten an andere Standorte reagieren anstatt sich auf die organischen Vorteile bereits bestehender Markte und Produkte zu konzentrieren, geraten schnell in eine Art „Verlagerungsfalle". Die Folge sind zumeist unreflektierte und unsystematische Verlagerungsentscheidungen, die nicht zuletzt aufgrund der unzureichenden Folgen- und Risikoanalyse scheitem, wie wir im Laufe des Buches noch aufzeigen werden. Auf zwei immanent wirkende Prozesse soil im Folgenden eingegangen werden, da sie sich in vielen Punkten gegenseitig beeinflussen und damit das Verhaltnis von Gesellschaft und Okonomie infolge der Globalisierung unter veranderten Pramissen thematisieren.
Prozess der Globalisierung
Zum einen ist das der Prozess der Globalisierung mit seinen weit reichenden Herausforderungen und Konsequenzen fiir die heutigen Okonomien. Zum anderen voUzieht sich auf alien Ebenen ein Strukturwandel, welcher auf einer Bedeutungszunahme der Wissensintensitat basiert. Diese neue Wissensintensitat macht, ohne dass sie zum Gegenstand betriebswirtschaftlicher Entscheidungsprozesse werden muss, dennoch nicht Halt vor Standortentscheidungen, weil davon die internationale Arbeitsteilung betroffen ist. Das lasst sich daran verdeutlichen, dass in der Vergangenheit Untemehmen ihre Wettbewerbsvorteile in erster Linie aufgrund von Transaktionskostenvorteilen oder durch bearbeitete Produkt-Markt-Kombinationen generiert haben. Zunehmend werden seit einigen Jahren neben den bekannten Faktoren wissenstheoretische Uberlegungen aufgegriffen, die den Diskurs zur Erklarung erfolgsgenerierender Eigenschaften von Untemehmen beeinflussen. 8
DerAufbruch in die und Anzeichen der Wissenssesellschaft
Diese sukzessive Erweiterung und Wahrnehmung verkoppelter und verschrankter okonomischer und gesellschaftspolitischer Prozesse stellt den gesellschaftsokonomischen Rahmen und lasst die so genannte Wissensgesellschaft entstehen. Sie zeigt als Ergebnis einer langer wahrenden Entwicklung einen langfristigen Paradigmenwechsel an, der dazu fuhrt, dass durch die fortschreitende Tertiarisierung und Wissensintensivierung der Produkte und Dienstleistungen, die menschlichen Fahigkeiten, Wissen, Erfahrungen und Kompetenzen als Wettbewerbsfaktor eine Aufwertung erhalten. Es geht um die Transparenz des intellektuellen Wissens und allgemein um die Nachhaltigkeit der Nutzung immaterieller Ressourcen [Moldaschl 2005].
2.2
Rahmenhedingungen der Wissensgesellschaft
Der Aufbruch in die und Anzeichen der Wissensgesellschaft
Die Wissensgesellschaft,^ welche seit einigen Jahren in vielen Kontexten vor dem Hintergrund gegenwartiger und kiinftiger gesellschaftlicher Veranderungsprozesse diskutiert wird, ist eines der prominentesten Themen unserer Zeit und bildet den gesellschaftstheoretischen Rahmen fiir vielfaltige Diskurse. Deshalb kann sie fiir diesen Kontext zur Erganzung betriebswirtschaftlicher Uberlegungen von Standortfragen herangezogen werden. Die Wissensgesellschaft der postindustriellen Welt basiert im Gegensatz zur Industriegesellschaft auf einer neuen Form der Organisation, Nutzung und Verarbeitung von Wissen. Unter der Perspektive der Wissensgesellschaft werden die Verflechtungen des Wissenschaftssystems mit anderen - 5konomischen und gesellschaftspolitischen - Funktionssystemen der Gesellschaft thematisiert, indem angenommen wird, dass sich die Leistungen des Wissenschaftssystems fiir jeweils eigene Zwecke nutzen lassen [Willke 2001]. Es geht um einen Transfer und Export von Wissen in andere Systeme und allgemein um die Durchdringung aller okonomischen wie sozialen Bereiche mit wissenschaftlichem Wissen.
Wissenshasierte Organisationsformen und Verarbeitungsprozesse
1 In seinem Werk The Age of Discontinuity (1969) entwickelte Drucker erstmals das Konzept einer „Wissensgesellschaft", welches er in seinen spateren Werken, unter anderem The New Realities (1989) und Post-Capitalistic Society (1993), immer wieder thematisiert und aktualisiert. Drucker betrachtet die Wissensgesellschaft eher aus einer Managementperspektive. Der Kernpunkt seines Denkansatzes ist, dass die moderne Gesellschaft auf den Ressourcen Information und Wissen basiert.
Globalisieruns und Wissenssesellschaft
Definition
Wissensgesellschaft Von einer Wissensgesellschaft oder wissensbasierten Gesellschaft lasst sich sprechen, wenn die Strukturen und Prozesse der materiellen und symbolischen Reproduktion einer Gesellschaft so von wissensabhangigen Operationen durchdrungen sind, dass Informationsverarbeitung, symbolische Analysen und Expertensysteme gegenuber anderen Faktoren der Reproduktion vorrangig werden.
Anderungder Arheits- und Produktionsformen
Die fiir die entwickelte Gesellschaft dann relevante Form der Arbeit wird Wissensarbeit. Wahrend herkommliche, „einfache'', maschinelle Formen der Arbeit weiterhin bestehen bleiben bzw. durch hohere Automatisierungsformen kompensiert werden, dominieren wissensintensive Arbeiten die Wertschopfungsleistung gesellschaftlichen Handelns. Entwicklungen dieser Art finden hauptsachlich in so genannten Industriegesellschaften statt, in denen Wissen und Qualifikation einen Vorteil gegeniiber anderen Nationen darstellt. Kommt es im Rahmen von Globalisierungsprozessen zu intemationaler Arbeitsteilung, werden aus den Hochindustrienationen „einfache'' Formen der Arbeit auf andere Standorte - so genannte - Billiglohnlander, verlagert. Langfristig entstehen im Hochindustrieland dadurch Ungleichgewichte zwischen Produkten und ihrer Herstellung. Dies geschieht in der Weise, dass gegeniiber Produkten mit hohem Wertanteil an Arbeit und Material (traditionelle Produktion) zunehmend Produkte eine besondere Aufmerksamkeit gewinnen, deren Wert vorrangig aus der impliziten Expertise besteht, derin diese Expertise setzt sich aus Wissen zusammen, das auf bestimmte Entscheidungssituationen bezogen ist. Wissen wird eine zusatzliche Ressource neben konventionellen Produktionsfaktoren und bleibt demzufolge nicht ohne Wirkung auf die konventionellen Produktionsfaktoren. Wissen als Ressource betrachtet, nimmt Einfluss auf das bekannte fixierte Wissen, das durch bestandige Routinen seine Relevanz ausweist und nunmehr zur Disposition steht. Aus der Expertiseperspektive wird Wissen neu beobachtet und das Wissen ist von Interesse, das neben dem bekannten fixierten Wissen nunmehr symbolische und immaterielle Werte neben der gelaufigen materiellen Produktion als Wertschopfung beinhaltet. Es werden folglich fiir 5konomische Entwicklungen neben dem bekannten fixierten Wissen „Wissensanteile an Produkten und Dienstleistungen (...), die nicht innerhalb okonomischer Kriterien zu recherchieren sind, (...) zu entscheidenden Generatoren der Wertschopfung [Wieland 2001].
Intellektuelles Kapital aktivieren
Diese Prozesse zeigen an, dass die Wissensgesellschaft Formen des „intellektuellen Kapitals'' neben dem okonomischen Kapital benotigt bzw. sich durch \ die Hinzuziehung dieses Kapitals in der Wissensgesellschaft ausweist. Die Zuschreibung des intellektuellen Kapitals fiir den Unternehmenserfolg birgt
10
Der Aufbruch in die und Anzeichen der WissensgeseUschaft
jedoch die Notwendigkeit in sich, dass Unternehmen dieses Potenzial erkennen, damit umgehen, dass sie es auch hinsichtlich des nachhaltigen Geschaftserfolgs bewerten und erfassen konnen. Die Forderung nach einer Beriicksichtigung des Wissenspotenzials am deutschen Standort muss demnach auch eine Forderung nach geeigneten Ansatzen und Modellen zur Darstellung dieses Potenzials sein. Insofern konzentriert sich das Interesse auf die Beobachtungen spezifischer wissensbasierter Trends zur Standortverlagerung. Mit Hilfe dessen konnen fur Unternehmen Kriterien entwickelt werden, wie das intellektuelle Potenzial am heimischen Standort im Rahmen strategischer und differenzierter Standortentscheidungen beriicksichtigt und genutzt werden kann. Das setzt voraus, zunachst naher auf den Begriff und das Konstrukt Wissensgesellschaft einzugehen.
Differenzierte Standortentscheidungen aus Wissenssicht
Inwieweit die Wissensgesellschaft bereits existiert oder die Gesellschaft erst auf dem Wege zur Wissensgesellschaft ist [Willke 2001, 289; Hubig, 2000], wird im wissenschaftlichen Diskurs different gesehen. Evident ist jedoch, dass die Wissensgesellschaft sich ganzlich in Strukturen und Wertvorstellungen von denen der Industriegesellschaft unterscheidet. Die soziookonomischen Veranderungsprozesse des kollektiven Trends hin zu einer Wissensgesellschaft, werden innerhalb wissenschaftlicher Disziplinen vielfaltig diskutiert. Bereits seit einigen Jahrzehnten wird in verschiedenen Disziplinen, vor allem in der Soziologie, der Managementlehre und besonders in den Bereichen, die sich mit Organisationsforschung befassen, von einem neuen gesamtgesellschaftlichen Paradigmenwechsel gesprochen^. Nunmehr wird Wissen aufgewertet, indem dass Wissen neben Kapital und Arbeit zu einem konstitutiven Element und Mechanismus von modernen Gesellschaften wird.
Verdnderte Strukturen und Wertvorstellungen
Das Thema Wissensgesellschaft scheint deshalb so stark frequentiert zu werden, weil es die heutige und zukiinftige moderne Gesellschaft von vorhergehenden Gesellschaften in wesentlichen Punkten voneinander differenziert:
Unterschiede zu vorangegangenen Gesellschaftsformen
11 durch die gewachsene Bedeutung von Wissen als Ressource wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wertschopfung und Innovation, •
durch eine betrachtliche Ausdehnung offentlicher und privater Forschungsaktivitaten,
•
durch einen steigenden Anteil von hochqualifizierten Arbeitskraften als Wissensarbeiter,
2 Kuhn bezeichnet einen Paradigmenwechsel als dann vollzogen, wenn ein ausreichender Tell von Menschen ihre Art, die Welt zu betrachten, andert oder beginnt, Phanomene aus einer neuen gemeinsamen Perspektive zu betrachten [Kuhn, 1962, in: Sveiby, 1998,50]. 11
Globalisierung und Wissensseselischaft
Wissensbasierte Okonomien
•
durch einen betrachtlichen Anstieg des allgemeinen Bildungsniveaus und
•
durch eine enorme Zunahme der Zirkulation und Zuganglichkeit gespeicherten Wissens [Schulz-Schaeffer/Boschen 2003, 9].
I Kennzeichnend fiir die diversen Debatten, beziiglich einer verstarkten Be\ deutungszuschreibung von Wissen als Basis gesellschaftlicher und okonomischer Entwicklung ist, dass in Zukunft von wissensbasierten Okonomien auszugehen sein wird, in denen der Zeitfaktor u. a. zunehmend wichtiger werden wird. Das spiegelt sich wider im strategischen Programm des Europaischen Rates, Europa bis zum Jahr 2010 zum „wettbewerbsfahigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt"3 zu entwickeln. Die OECD4 spricht von ^wissensbasierten Okonomien'' als: „[...] economies which are directly based on the production, distribution and use of knowledge and information. This is reflected in the trend in OECD economies towards growth in high-technology investments, high-technology industries, more highly-skilled labour and associated productivity gains. [...]" [OECD 2005a, 7].
Wissen als das Kemelement moderner Gesellschaften
Das, was den Begriff der Wissensgesellschaft ausmacht, ist vielfaltig und in seiner Definition an Disziplinen, Forschungsinteressen etc. gebunden. Evident ist, dass Wissen als das Kemelement moderner Gesellschaften gesehen wird, das nicht mehr zuriickzudrangen ist bei aller gegenwartigen Offenheit, eine Wissensgesellschaft zu charakterisieren und von anderen Gesellschaftsformationen abzugrenzen. Betrachtet man die oft kontrovers gefiihrten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurse zu diesem Phanomen, wird deutlich, dass in den vergangenen Jahrzehnten neben dem Begriff der Wissensgesellschaft^ weitere, den Strukturwandel der modernen Gesellschaft beschreibende Theoriebegriffe, wie postindustrielle Gesellschaft^, Dienstleistungsgesellschaft, Informationsgesellschaft, Risikogesellschaft oder der von Castells gepragte Begriff Netzwerkgesellschaft, verwendet werden.
EntwicklungsDie Wissensgesellschaft hat in ihrer Fokussierung auf Wissen als immaterielzyklen der Wisle Ressource verschiedene Formen und Stadien der Ausdifferenzierung sensgesellschaft | durchlaufen, bevor der Begriff Wissensgesellschaft selbst zu einer verbindlichen Etikettierung geworden ist. Z. B. soziologische Betrachtungen als die
3 Europaischer Rat in Lissabon 23./24. Marz 2000 (http://ue.eu.int/ueDocs/ cms_Data/docs/pressData/en/ec/00100-r l.en0.htm) 4 Organization for Economic Co-operation and Development (OECD) ^ Die unterschiedlichen Gesellschaftsbegriffe lassen sich in einem idealtypischen Sinn auffassen, da sich eine Gesellschaft aus vielen komplexen Wechselwirkungen zusammensetzt. 6 Der Soziologe Bell entwickelt in seinem Werk The Coming of Post- industrial Society, welches 1973 veroffentlicht wurde, das Konzept einer „post-industriellen" Gesellschaft, die die traditionelle Industriegesellschaft ablest. 12
Der Aufbruch in die und Anzeichen der Wissensseselischaft
hier relevanten neben betriebswirtschaftlichen, konzentrieren sich folglich auf den Sachverhalt, dass das Wissen in der modemen Gesellschaft neue Handlungsmoglichkeiten schafft, in der Ereignisse oder Entwicklungen zunehmend „gemacht'' werden, die zuvor einfach „stattfanden'' [Stehr 2001, 10; 2003]. Folgende Grafik verdeutlicht, welche Fakten sich infolge von wissensbasierten Handlungen aus ihrem bisherigen Rahmen der Betrachtung und Anwendung in bekannter Routine verandem.
Abhildung2-1
Kernelemente der Wissensgesellschaft [Willke 2001]
Wissensgesellschaften entfalten in Verbindung mit okonomischen Strukturen innerhalb modemer Gesellschaften Wirkungen. Eine zentrale These, die hier aufgegriffen wird, ist „..., dass die Entstehung und Entwicklung von Wissensgesellschaften vorrangig mit grundlegenden Transformationen der okonomischen Struktur der modemen Gesellschaft verhunden ist'' [Stehr 2001].
13
Globalisierun^ und Wissenssesellschaft
2.3
Die okonomische Globalisierung
Verschiedene okonomische Modelle und Hypothesen versuchen den gesellschaftlichen Wandlungsprozess hin zur Wissensgesellschaft zu beschreiben. Theorieder I Ein relativ bekanntes Erklarungsmodell zur Beschreibung okonomischer langen Wellen | Veranderungen bildet die „Theorie der langen YJellen"'^, mit deren Hilfe versucht wird Konjunkturzyklen retrospektiv zu definieren. Danach befindet sich die menschliche Gesellschaft seit den 1970er Jahren in einer Phase, die durch den produktiven und geistigen Umgang mit Informationen und Wissen gepragt ist und so den technologischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel gestaltet. Auf der technisch-okonomischen Ebene hat sich demzufolge die Informations- und Kommunikationstechnologie - nach der Textil-, der Schwer-, der Chemie-, der Elektro- und Automobilindustrie - zur Leittechnologie entwickelt und ist als Prozess das bestimmende Strukturelement geworden.
Abbildung2-2
Die langen Wellen der Konjunktur und ihre Basisinnovationen [Nefiodow 1997] Dampfmaschine Eisenbahn Textilindustrie Massentransport
1815
Elektrischer Strom Auto (Stahl, Chemie, individuelle Massenproduktion) Mobilitat
1918
1873
Informationstechnik strukturierte Informationen
2002
1973
^AAA/^^/
1780er
1. Kondratieff
1840er
1890er
2. Kondratieff
3. Kondratieff
1940er
1980er
4. Kondratieff
5. Kondratieff
7 N. Kondratieff publizierte 1926 einen Artikel mit dem Titel „Die langen Wellen der Konjunktur'' und formulierte darin das Phanomen langer Wirtschaftszyklen. Die Ausloser langer Zyklen seit Ende des 18. Jahrhunderts sind jeweils technischwirtschaftliche Innovationen. Schumpeter bezeichnete den Effekt als KondratieffZyklen. Der von Nefiodow 1990 angefiigte, derzeitige fiinfte Zyklus, auf Information, Wissen und Okologie basierend, scheint nach Nefiodow (1997) mit 20 Jahren eine kiirzere Laufzeit zu haben als die bisherigen Zyklen. Der sechste Zyklus wird schliefilich durch die wissensfokussierte Dienstleistungsgesellschaft gepragt sein [Janig2004,4].
14
Die okonomische Giobalisierung
Um auf die sich im historischen Zeitablauf veranderten gesellschaftsokono- I Drei-Sektorenmischen Voraussetzungen hinzuweisen, wird, neben der Darstellungs- und | Theorie Erklarungsweise der „langen Wellen'', die Entwicklung zu einer Wissensgesellschaft oft mittels der so genannten „Drei-Sektoren-Theorie'' beschrieben. Deutlich erkennbar wird dieser Entwicklungsprozess anhand der Struktur der gesellschaftlichen Arbeitsteilung als Verlagerung der Arbeit von dem primaren Sektor zum tertiaren Sektor mit einer v511ig veranderten Form von Arbeit. Die „Drei-Sektoren-Theorie'' geht davon aus, dass sich der Schwerpunkt der okonomischen Aktivitat vom primaren auf den sekundaren und anschliefiend auf den tertiaren Sektor verlagert (vgl. Abb. 2-1). Immer mehr Erwerbstatige sind im Gegensatz zur manuellen Produktionsarbeit in wissensbasierten Dienstleistungsberufen beschaftigt. Und dieser Anteil steigt offensichtlich standig, wie internationale Statistiken aufweisen. Schatzungen zufolge liegt dieser Anteil bereits bei ca. 70 Prozent aller Erwerbstatigen, deren Arbeitsplatze durch diese Technologien gepragt sind [Riirup/Sesselmeier 2001, 250]. Die Verschiebungen von industrieller Fertigungsarbeit zur Dienstleistungs- I Problem der arbeit verschieben den Fokus innerhalb der „Drei-Sektoren-Theorie'' auf den Abgrenzung Dienstleistungssektor. Mit dem Begriff der Dienstleistungsgesellschaft wird industrieller damit jedoch noch nicht auf die strukturelle Veranderung durch Wissen als Fertigungsarbeit neue Ressource verwiesen. Gleichwohl verschieben sich in der Dienstleisvon Wissenstungsarbeit die Faktoren Arbeit und Kapital zugunsten von Wissen, da | arbeit Dienstleistungsarbeit bereits hinreichend zur Erhohung des Anteils wissensbasierter Tatigkeiten beitragt. Das wissensbasierte Tatigkeiten zunehmen werden, ist eine hypothetische Annahme, die sich angesichts der gegenwartigen Praktiken von Untemehmensverlagerungen nicht ohne weiteres erklart. Folglich werden bisherige Vorgehensweisen weniger als ein wechselseitiger Prozess wahrgenommen. Demzufolge liegt die Tendenz nahe, bisherige Praktiken auch fiir Veranderungsprozesse heranzuziehen und konventionelle Produktionsfaktoren fiir Veranderungsprozesse nicht zu hinterfragen sondern als giiltig anzusehen. Hier genau liegen Gefahren wie Grafil sie nennt, bzw. entstehen Unklarheiten, die dann infolge ihrer monokausalen Betrachtung zu Unklarheiten fiihren. Derm eine Vielzahl an Arbeitsprozessen sind nicht mehr eindeutig als materielle Fertigung oder als reine Dienstleistung zu klassifizieren. So kann beispielsweise die Flerstellung eines materiellen Endproduktes einen erheblichen Anteil von Dienstleistungen enthalten, so dass die klare Unterscheidung der Okonomie in Sektoren nur noch bedingt giiltig ist. Vielmehr lasst sich der zukiinftige okonomische Trend dahingehend erkennen, dass eine wechselseitige Durchdringung stattfindet, namlich eine Industrialisierung der Dienstleistungsproduktion sowie eine gleichzeitige Tertiarisierung der Industrieproduktion [Grafil 2000, 112], wobei die Wissensstrome dieser Entwicklungen zunehmend Aufmerksamkeit erfahren.
15
Globalisieruns und Wissens^eseilschaft
Merkmale zur Abgrenzung
Ahbildung2-3
Pulic nennt drei wesentlichen Merkmale, die in der Dienstleistungsgesellschaft den Unterschied zur bisherigen Geschaftsabwicklung ausdriicken: [Pulic 1996,148 ff.] •
Es gibt keinen Warenmangel mehr
•
Die Struktur der Arbeit andert sich hin zu mehr intellektueller Arbeit
•
Es kommt zu einer Veranderung der Kostenstrukturen - von Produktionskosten zu anderen Kosten
Informatisierung der Arbeitswelt [Rurup/Sesselmeier 2001, 251] Prognose
Die Entwicklung des Informationsbereichs 1882-2010
\
n—\ Information (IV)
,,••" 50%
Produktion (II)
K0%
30%
y.*
20% Dienstleistung (III)
Landwirtschaft (I)
1882
Wissen als zentrale Produktivkraft
1895
1907
1925
1939
1950
1961
1970
1980
1991
2000
10%
2010
Zusammenfassend zeigt sich, dass der Begriff Wissensgesellschaft eine zunehmende wissensbasierte Verfasstheit modemer Gesellschaften verdeutlicht. In ihr ist Wissen zur zentralen Voraussetzung gesellschaftlicher Entwicklung und zur wichtigsten Produktivkraft geworden. Das betrifft vorwiegend wissenschaftliche und politisch-strategische Zirkel, Organisationen wie Unternehmen, Netzwerke etc. Insofem verandern sich moderne Gesellschaften innerhalb des gegenwartigen Strukturwandels dahingehend, dass eine immer weiter fortschreitende Internationalisierung des Marktgeschehens hin zu einem globalen Wettbewerb zu beobachten ist. Wissen wird dabei immer starker als Basis fiir die Wettbewerbsfahigkeit von Unterneh-
16
Die Globalisieruns als Netzwerkbildung
men, von ganzen Wirtschaftssystemen und nationalen Gesellschaften gesehen. Diese Ausfiihrungen stellen die Basis fiir die Diskussion zur Globalisierung, um aufzuzeigen, dass der Begriff Globalisierung von verschiedenen politischen, okonomischen und soziologischen Trends beeinflusst wird, und dass der Verlauf der Globalisierung die zentrale Voraussetzung fiir den Prozess der intemationalen Standortverlagerung darstellt. Es kommt darauf an, die Prozesse der okonomischen Globalisierung differenzierter zu betrachten und in den Vordergrund zu stellen um sie anschliefiend unter Kriterien von Wissen beobachten zu konnen.
2.4
Die Globalisierung als Netzwerkbildung
,, Globalisierung ist fiir unsere Volkswirtschaften das, was fiir die Physik das Gesetz der Schwerkraft ist. Man kann nichtfilr oder gegen das Gesetz der Schzverkraft sein - man muss damit leben" (Alain Mincfranz. Okonom). Dieses Zitat des Okonomen und Globalisierungsexperten Mine weist bereits darauf hin, dass Globalisierung in vielfaltigen Facetten und Formen auftritt und einen umfassenden und weit reichenden Prozess darstellt. Folgt man Giddens 1996, so lasst sich Globalisierung als Prozess unter Einbeziehung folgender Merkmale auffassen: zum einen verbindet sich damit eine konsequente rdumliche und zeitliche Ausdehnung der sozialen Beziehungen zwischen verschiedenen Orten und den jeweils spezifischen Handlungssituationen; zum Zweiten lasst ist Globalisierung als standige Intensivierung der sozialen Beziehungen zwischen verschiedenen Orten auffassen; Drittens bestehen komplexe Wechselwirkungen zwischen voneinander entfemten Orten. Die Begriffe Globalisierung, Intemationalisierung und Multinationalisierung werden haufig synonym verwendet, was zu ungenauen Auffassungen fiihren kann. Um den Zugang zu einzelnen Facetten zu prazisieren, wird eine Abgrenzung der Begrifflichkeiten in Tabelle 2-1 vorgenommen.
17
Globalisieruns und Wissensgesellschaft
Tabelle2-1
Standortverlagerung als Ergehnis von Glohalisierung
Abgrenzung zwischen Internationalisierung und Globalisierung [nach Willke 2000]
Die Globalisierung und Netzwerkbildung wirken gegenseitig verstarkend, wenngleich innerhalb verschiedener gesellschaftspolitischer Aspekte unterschiedliche Entwicklungen zu beobachten sind. Netzwerkbildungen sind insbesondere im Bereich von Politikentwicklungen nationaler und transnationaler Staaten anzutreffen, wobei es um die Regierungsfahigkeit - Governance - geht. Innerhalb des okonomischen Bereichs geht es zunehmend um Austauschbeziehungen zwischen selbststandigen Akteuren und gegenseitiger Ressourcenabhangigkeit. Die Standortverlagerung charakterisiert sich dabei immer starker als ein direktes Ergebnis von Globalisierung, aber auch als eine Triebkraft fur die okonomische Globalisierung selbst. Es handelt sich insgesamt in Verbindung mit dem Begriff Globalisierung um die Beschreibung realgeschichtlicher Entwicklungsprozesse grenziiberschreitender und damit intemationaler Vemetzungen sowie AUianzen. In diesen Beschreibungen werden jedoch noch nicht die Ursachen der damit verbundenen sozio-okonomischen Veranderungen benannt, noch verbinden sich damit Entwicklungen und bestimmte Auswirkungen in der Art, dass Globalisierung bestimmten Auffassungen iiber Entwicklungen zu folgen hatte. Der Globalisierungsprozess wird folglich nicht nur von einem wissen-
18
Die GlobaUsierung als Netzwerkbilduns
schaftlich- und offentlich-politischen Diskurs begleitet sondern auch von okonomisch verkiirzten Sichtweisen kommentiert. Kern der Auseinandersetzungen ist die Entwicklungsgeschwindigkeit der ungebrochenen Dominanz des Weltmarktes, der alle okonomischen und sozialpolitischen Prozesse umfasst oder auch von ihnen ausgeht. Netzwerke werden innerhalb dessen als ,Patentrezepf einer flexiblen, auf den Austausch komplexer und innovativer Leistungen spezialisierter Organisationen der Arbeit propagiert. Das Thema Standortverlagerung wird vorwiegend mit Staaten wie den USA, Japan, Frankreich und Deutschland verbunden. Gleichwohl wird der Gegenstand Globalisierung in der Offentlichkeit oft unter dem Impetus der so genannten global player, multinationalen Grofiuntemehmen, wie Siemens oder DaimlerChrysler betrachtet. Dabei geht es um Ziele wie Griindungen von Tochtergesellschaften in anderen Landern, Koordination von Wissensstrdmen, effiziente Verteilung von Investitionskosten zwischen global verteilten Regionen, Abnahme von Transportkosten, Suche nach billigen Arbeitskraften, Produktionsverlagerung etc. Mit zunehmender Ausdifferenzierung neuer Felder fiir die Ausweitung des Agierens von Unternehmen ist der vermeintliche Sachverhalt, dass Globalisierung und die einhergehenden Konsequenzen allein ein „Spielfeld der Grojlen" seien, schon seit geraumer Zeit nicht mehr zutreffend. Die hier vorgestellten Fallbeispiele verdeutlichen die multinational bzw. globale Ausrichtung heutiger unternehmerischer Tatigkeiten (siehe Kapitel 6).
Die zukunftige Bedeutung der Globalisierung fiir mittelstdndische Unternehmen [Bassen et al 2001 417]
Ahbildung2-4
19
Globatisieruns und Wissensgesellschaft
Globule Bestrebungen von KMUs
Durch die Verscharfung des intemationalen Wettbewerbs, das Auftreten neuer Konkurrenten^, vor allem aus den sich okonomisch schnell entwickelnden Landern Osteuropas und Asiens, sind auch kleine - und mittelstandische Unternehmen (KMU), von den gleichen Zwangen und Fragestellungen wie die Grofiuntemehmen betroffen. Eine Befragung deutscher mittelstandischer Unternehmen hat gezeigt, dass durch die Branchen hinweg dem Globalisierungsprozess zukiinftig eine grofie RoUe zugeschrieben wird [Bassen et al. 2001, Behr, v. 2002].
Differenzierter Verdnderungsprozess
Globalisierung lasst sich zweifelsfrei in ihrer Form nicht als ein einheitlich ablaufender Prozess auffassen, sie ist vielmehr dadurch gepragt, dass sich die enormen Veranderungsprozesse auf verschiedenen Feldern vollziehen, die jedoch in ihren Bedingungen und Auswirkungen miteinander verschmelzen. Diese gegenwartigen Erscheinungsformen der Globalisierung dokumentieren die vielfaltigen gesellschaftlichen Entwicklungen und die Schwierigkeiten ihrer Betrachtung. Die Gruppe von Lissabon^ nimmt diese Vielfalt strategisch auf und antizipiert, welche gesellschaftspolitischen Felder von der Globalisierung aktiv wie passiv betroffen sein werden, bzw. in welchen Gestaltungsfeldern Nationalstaaten global agieren werden, oder wo das globale Agieren Auswirkungen auf die nationalen Gesellschaftsformationen wie auf die Weltgesellschaft haben wird [Gruppe von Lissabon 1997]. Demnach fiillen Netzwerke zunehmend den Raum zwischen Markt und Staat. Weitreichende Netzwerkbildungen durch die Globalisierung haben innerhalb der Finanzmarkte stattgefunden. Unter Netzwerkaspekten ist insbesondere auch die politische und okonomische Bedeutung von Regionen innerhalb von Globalisierungsprozessen deutlich geworden, wenngleich die okonomische Dominanz gegeben ist. Die folgende Tabelle 2-2 verweist auf die Netzwerkbildung innerhalb der einzelnen Kategorien, insbesondere die innerhalb der Globalisierung von Technologien, wodurch der Schwerpunkt auf die okonomische Globalisierung gelenkt wird.
P Die Schnelligkeit mit der sich neue Konkurrenten auf den Weltmarkten etablieren zeigt sich besonders am Beispiel Chinas, welches in einem Zeitraum von fast zwanzig Jahren den Sprung von einem riickstandigen Entwicklungsland, zu einem der wichtigsten Industriestaaten der Gegenwart geschafft hat. Der OECD nach wird China in wenigen Jahren zur grofiten Exportnation der Welt werden. |9 Die Gruppe von Lissabon besteht aus namhaften Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen so wie politischen und okonomischen Praktikem und wurde 1992 gegriindet. Ziel ist die Erarbeitung eines Manifests, um die durch die Globalisierung entstandenen sozialen, okologischen und okonomischen Probleme losen zu konnen. 20
Die Globalisierung als Netzwerkbildung
Ebenen und Elemente von Globalisierung [Gruppe von Lissabon 1997]
Tabelle 2-2
Die Zuweisungen von Globalisierungsentwicklungen auf die verschiedenen Funktionsebenen von Globalisierung durch die Gruppe von Lissabon zeigt das allgemeine Bemiihen auf, Funktionen auseinander zu dividieren, um die jeweils unterschiedlichen Wirkungs- und Fiandlungslogiken fiir Analysen und Gestaltungsperspektiven aufzuweisen. Es wird das Bemiihen sichtbar, die Unterscheidung zwischen der politischen, der okonomischen, der okologischen, der sozialen sowie der kulturellen Ebene deutlich voneinander abzuheben. Dies wird umso bedeutender, um Gestaltungs- und Entwicklungsaspekte von Akteuren in den Blick zu nehmen und damit Globalisierung nicht nur als „stattgefundene'' Entwicklung zu kommentieren. Aber nicht nur innerhalb der Kategorien entstehen neue Strukturen, sondern auch die Vernetzung insgesamt ist ein nicht aufzuhaltender weltweiter Prozess mit unterschiedlichen Gewichtungen, d. h. Chancen und Risiken. Da diese Prozesse sich oft in ihrer Entwicklung kaum antizipieren lassen, gibt zum Teil erst der Blick aus der Retrospektive Anlass, iiber die im Zuge der Globa-
21
Globalisieruns und Wissenssesellschaft
lisierung entstehende Netzwerkbildung aus nationaler Perspektive, z. B. Standortbewertungsfaktoren, diese Prozesse sorgfaltig aufzubereiten. Fur den weiteren Verlauf wird auf einzelne Kriterien wiederholt zuriickgegriffen, da sie als ein Teil von Strategien der Veranderung offentlicher Wahrnehmung anzusehen sind.
2.5 Triebkrdfte der Globalisierung
Die Globalisierung der Arbeit
Die Globalisierung betrifft die Faktoren Arbeit und Wissen in besonderem Mafie, die aufier von okonomischen auch von politischen Entwicklungen beeinflusst werden. Die Enquete-Kommission hat eine Ubersicht geschaffen, die Einflussfaktoren auflistet, die entscheidend fiir die weltweiten Globalisierungstendenzen sind [Enquete 2002, S.51]: •
der Abbau von ZoUen und anderen Handelsbarrieren iiber die acht GATT-RundeniO;
•
der Starke Anstieg auslandischer Direktinvestitionen;
•
die Liberalisierung der Markte und die wachsende Zuriickdrangung des offentlichen Sektors;
•
die Bildung regionaler Wirtschaftsblocke z. B. EU oder NAFTA (North American Free Trade Agreement);
•
abnehmende Transportkosten;
M das Ende des Systemwettbewerbs zwischen Ost und West; •
die Verbilligung der Kommunikation und rasante Zunahme der kommerziellen Nutzung des Internets
Es besteht aber eine relative Eindeutigkeit darin, dass die Haupttriebkrafte der Globalisierung im Bereich der „Technologie-Globalisierung'' und der „ffnanz-Glohalisierung" liegen, welche sich gegenseitig verstarken und die Richtung des Globalisierungsprozesses vorgeben [Wolmuth 2003]. IntemationalisieTung der Arbeit
Der folgenreichste Prozess, der mit der Internationalisierung und Globalisierung einhergeht und direkt mit dem Prozess der Standort- und Produktionsverlagerung verbunden ist, ist die internationale Arbeitsteilung, d. h. die Arbeit ist nicht mehr gleichmafiig in einem geografischen Raum verteilt. Die Ausweitung der internationalen Arbeitsteilung lasst sich zunachst als eine 10 General Agreement on Tariffs and Trade (dt: Allgemeines ZoU- und Handelsabkommen). 22
Die Globalisieruns der Arbeit
zentrale Grundlage unserer modernen Okonomien auffassen und stellt fiir Koopmann/Franzmeyer (2003, 13) den „Kern der Glohalisierung" dar. Nach Gottwald/Hemmer lasst sich bei der Globalisierung volkswirtschaftlich zwischen der Produktionsseite und der Konsumseite unterscheiden. Auf der Produktionsseite vollzieht sich der Prozess der weltweiten Arbeitsteilung dahingehend, dass mehrstufige Produktionsprozesse auf verschiedene Standorte aufgesplittert werden [Gottwald/Hemmer 1998, 1]. Im Kontext zur Globalisierung hat dieser Prozess zum Ergebnis, dass die Arbeitsteilungll, welche vormals im nationalen Rahmen stattfand, immer starker von internationaler Arbeitsteilung abgelost wird. Diese Ausweitung begrlindet sich in erster Linie in einer durch die Globalisierung hervorgerufenen Offnung der Markte und damit einer verstarkten Integration der Entwicklungslander mit ihren komparativen Kostenvorteilen, vor allem im Bereich arbeitsintensiver Giiter. Die Internationale Arbeitsteilung lasst sich volkswirtschaftlich mit der Theorie komparativer Kostenvortelle erklaren, auf die an anderer Stelle eingegangen wird.
VJeltweite Arbeitsteilung
Die Intensivierung des globalen Wettbewerbs hat den Prozess des ^Global Sourcing'' entstehen lassen. Global Sourcing lasst sich als Zunahme internationaler Arbeitsteilung dahin gehend verstehen, dass beispielsweise deutsche Unternehmen von auslandischen Zulieferern Produktkomponenten zur Endmontage einkaufen, welche bisher in der heimischen Industrie erstellt wurden [Schneck 1999, 140]. Walter weist darauf hin, dass Giiter nicht mehr ausschliefilich in der nationalen Produktion hergestellt werden, um dann exportiert zu werden, sondern im Herstellungsprozess bereits „transnationale Ketten'' durchlaufen werden [Walter 2000, 15]. Wie global die Arbeitsteilung bereits aufgestellt ist, wird an einem Beispiel erkennbar. So sind beispielsweise im Produktentstehungsprozess der elektrischen Zahnbiirste „Sonicare Elite 7000'' von Philips, die Produktions- und Zulieferorte einzelner Arbeitsschritte und Produktteile weltweit aufgegliedert. Internationalisierung und Kostendruck sind Triebkrafte daflir, dass die einzelnen Glieder der Wertschopfungskette, die einem Produkt innewohnt, unter lohnkostensensibler und qualitativer Betrachtung, an dem Ort auf der Welt bearbeitet werden kdnnen, der durch Spezialisierung den kostenoptimalen Teil hinsichtlich des Gesamtprodukts liefern kann.
Global Sourcing
1^ In den Sozialtheorien des 18. und 19. Jahrhunderts kommt dem Konzept der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in der Analyse gesellschaftlicher Wandlungsprozesse eine zentrale RoUe zu. Erste Ansatze zur Reflexion und begrifflichen Bearbeitung der Arbeitsteilung stammen von Adam Ferguson und Adam Smith. Weitere klassische Ansatze zu einer theoretischen Erfassung der Arbeitsteilung sind von Emile Durkheim, welcher Arbeitsteilung als Basis fiir die „organische Solidaritat'' hochentwickelter Gesellschaften erklarte, und von Karl Marx („Das Kapital"), entwickelt worden. 23
Globalisieruns und Wissenssesellschaft
Tabelle2-3
Effekte in Schwellen- und EntwicklungsIdndem
„Produktionspuzzle" der elektrischen Zahnbiirste „Sonicare Elite 7000" von Philips (erstellt auf Grundlage Spiegel 26/2005,109)
Die beschriebene Offnung der internationalen Markte fiihrt dazu, dass die Schwellen- und Entwicklungslander mit ihren komparativen Vorteilen wie beispielsweise Produktions- und Lohnkosten in den Prozess der internationalen Arbeitsteilung eingebunden werden. Bezogen auf die gegenwartige Situation zunehmender internationaler Arbeitsteilung wiirde dies nicht unbedingt bedeuten, dass sich die Lander gegenseitig Marktanteile und Exportvolumen streitig machen, sondern dass die Ausweitung internationalen Handels gegenseitige positive Entwicklungen antreiben konnen. Gerade fiir Deutschland als fiihrende globale Exportnation und mit einer gleichzeitigen schwachen Binnennachfrage wirkt sich der starke Aufienhandel mit den Schwellenlandern Osteuropas oder China aufierst positiv aus [Hartel/Jungnickel et al. 1996; Siebert 2001]. In dieser idealtypischen Sichtweise scheinen sich fiir alle Beteiligten der internationalen Arbeitsteilung positive Ergebnisse zu ergeben (ob die Entwicklungslander generell okonomisch von der internationalen Arbeitsteilung profitieren, bleibt weiteren Analysen iiberlassen). In der Realitat konnen damit auch erhebliche Problemlagen verbunden sein, wie beispielsweise ein Blick auf den deutschen Arbeitsmarkt verdeutlicht. Da vor allem einfache manuelle Tatigkeiten aus Hochlohnstandorten wie Deutschland verlagert werden, sind besonders Arbeitskrafte im Bereich der Massenfertigung mit niedriger Qualifizierung von einer potenziellen Freisetzung an Arbeitsplatzen betroffen. Aber auch wissensintensive Arbeitsprozesse wie Bilanz- und Lohnkostenberechnungen werden in Lander ausgelagert, wo hochqualifizierte Arbeit zu niedrigeren Lohnen eingekauft werden kann. Inwieweit die Prozesse der Globalisierung
24
Die Globalisierung der Arbeit
fiir das seit Jahren hohe Niveau der Arbeitslosigkeit in Deutschland mit verantwortlich sind, ist jedoch in weiten Kreisen des wissenschaftlichen Diskurses umstritten. Schatzungen zufolge seien von 1991 bis 2001 ca. „nur" 90.000 Arbeitsplatze durch Standortverlagerungen verloren gegangen, das ware jedoch im Vergleich zu den durch Rationalisierung abgebauten Arbeitsplatzen, nur ein geringer Anteil. Gleichwohl: Im Vordergrund der Verlagerungen stehen so genannte einfache Arbeitsplatze. Mit dem Abbau der zwischenstaatlichen Handelsschranken, der weltweit mobilen Einsetzbarkeit des Produktionsfaktors Kapital sowie der Nutzung modemer Kommunikationstechnologien ist es m5glich geworden, in Staaten zu produzieren, die einem Unternehmen anscheinend die besten Kostenvorteile bieten. Dies gilt nicht nur fiir Endprodukte, sondern auch fiir nahezu jedes Einzelteil, aus denen das Endprodukt besteht [Schubert/Klein 2003]. Danach bewirkt die Internationale Arbeitsteilung volkswirtschaftlich betrachtet bessere Ergebnisse als eine im nationalen Rahmen stattfindende Arbeitsteilung [Koopmann/Franzmeyer 2003]. Unter einem anderen Gesichtspunkt kann die internationale Arbeitsteilung mit der Konsequenz der Standortverlagerung von Unternehmen auch negative Auswirkungen in den Industrielandern haben. Vor allem die Konkurrenz durch Niedriglohnlander erhoht den Druck auf gering qualifizierte Arbeitskrafte, die als erste von Verlagerungsprozessen betroffen und freigesetzt wurden. Dies ist ein Ergebnis des globalen Uberangebots niedrig qualifizierter Arbeitskrafte. Es lasst sich demnach feststellen, dass der Drang zur steigenden Optimierung der einzelnen Prozesse der Wertschopfungskette den Wandel von der nationalen zu einer internationalen Arbeitsteilung vorangetrieben hat. Mit ansteigender internationaler Arbeitsteilung verscharfen sich die Probleme auf den nationalen Arbeitsmarkten, denn mit der Zunahme der Bedeutung des Humankapitals reduziert sich in gleichem Mafie die Bedeutung der gering qualifizierten Arbeit. Aufgrund des Produktivitatsanstiegs der industriellen Massenherstellung und der gleichzeitig immer effizienter werdenden Zerlegung der Arbeitsprozesse, vor allem im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung, wird sich die Standortgebundenheit einfacher Bereiche der industriellen Massenfertigung immer weiter verringern. Die Globalisierung fiihrt vereinfacht gesagt dazu, dass fiir bestimmte Produktarten die ganze Welt als Produktionsstandort in Frage kommt. Da sich industrielle Arbeitsprozesse durch die internationale Arbeitsteilung soweit zerlegen lassen, dass sie am jeweils kostenglinstigsten Ort produziert werden konnen, hat dies direkte Auswirkungen auf den Prozess der Standort- und Produktionsverlagerung sowie sozialpolitische Folgen. Daneben ist im Zuge des Strukturwandels und der Globalisierung auch der „Charakter" der industriellen Arbeitsteilung selbst Veranderungen unterzogen.
25
Starkerer Druck auflndustriestandorte
Globalisieruns und Wissenssesellschaft
2.6
Die Globalisierung des Wissens
Entstehung globaler Wissensstrukturen
Die Globalisierung mit ihren Kemprozessen, der Globalisierung der Markte und der Flexibilisierung der Arbeitsteilung in Verbindung mit der Globalisierung von Finanzen und Kapitalbesitz losen Effekte aus und werden gleichzeitig durch bestimmte Entwicklungen ausgelost. Die Globalisierung von Technologien und der damit verbundenen Forschung und Entwicklung sowie die Globalisierung von Lebensformen, Konsummustern und des Kulturlebens bewirken ebenfalls die Entstehung globaler Wissensstrukturen [Gruppe von Lissabon 1997]. Um den Zusammenhang von der Globalisierung der Arbeit und der des Wissens herausstellen zu konnen, werden Aspekte des Wissens im Kontext von Globalisierung betont.
Die grenzenlose Untemehmung
AUe Prozesse und Voraussetzungen fiir die Globalisierung folgen einer jeweils eigenen Logik [Immerfall/Franz 1997, 86]. Unabdingbar ist, dass der okonomische und gesellschaftliche Strukturwandel und die Globalisierungsprozesse parallel ablaufen, miteinander verzahnt und deshalb in einem gemeinsamen Kontext zu sehen sind. In diesen Prozessen wird der Ressource Wissen eine herausragende Bedeutung zugeschrieben. Die Auswirkungen der beschriebenen Prozesse lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass sich zum einen traditionelle soziale und gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen aufweichen und zum anderen die „Wirtschaftsstrukturen und Arbeitsformen des industriellen Zeitalters ihre Funktions- und Wirkungsfahigkeit'' verlieren [Janig 2004, 477]. Mit tief greifenden Veranderungen der Wettbewerbsbedingungeni2, also den gesellschaftlichen und technologischen Wandel, den Untemehmen aufnehmen und verarbeiten miissen, beginnen aus der Perspektive der grenzenlosen Untemehmung, „...klassische Grenzen (...) zu verschwimmen, sich nach innen wie nach aufien zu verandern, teilweise auch aufzulosen" [Picot 2003, 2].
12 Nach Porter wird der Wettbewerb einer Branche im Wesentlichen von fiinf Kraften bestimmt: neue Wettbewerber, Verhandlungsmacht der Kdufer und Zulieferer, Konkurrenz der vorhandenen Wettbewerber und alternative Produkte oder Dienstleistungen (Porter 2004, 47 ff.). Nach Schelbert-Syfrig et al. (1982, 13) ist ein einzelnes Untemehmen international wettbewerbsfahig, wenn es ihm gelingt, sein Giiterangebot unter Konkurrenzbedingungen nicht nur auf den heimischen Markten sondern auch im Ausland am Markt abzusetzen und dabei langfristig hohe Realeinkommen zu erzielen [Schelbert- Syfrig et al. 1982,13 in: Fernau 1997, 8]. 26
Die Globalisierung des Wissens
Abhildung2-5
Neue Herausforderungen fiir Unternehmen [in Anlehnung an Picot 2003]
Veranderung der Wettbewerbssituation
Innovationspotentiale der luK - Technologie
Wertewandel in Arbeitswelt und Gesellschaft
• Einstellung zur Umwelt,
Internationalisierung der Markte,
neue Produkte, Prozessinnovation,
• Altersstruktur der Arbeitnehmer,
Innovationsdynamik,
neue Formen der Arbeits-
• Kauferverhalten,
Kaufermarkte,
organisation und Arbeitsteilung, neue Unternehnnensformen
Globalisierung der Ressourcenbeschaffung,
• Qualitatsanspruch an den Arbeitsplatz
Demografische Entwicklung, Ressourcenverknappung Herausforderung fiir die Unternehmen Unternehmen und Markte Auflosung von Hierarchien Symbiosen und Kooperation Elektronische Markte Virtuelle Unternehmen
Soziokulturelle Prozesse, von der Lissabonner Gruppe (1997) als Globalisierung von Wahrnehmung und Bewusstsein bezeichnet, sowie die wachsende Bedeutung der Wissensbasierung von Produkten und Dienstleistungen, wirken sich selbstverstandlich direkt auf die Qualitat des internationalen Standortwettbewerbs aus. Die Zunahme der Mobilitat unter Beachtung von Faktoren wie Technik und Kapital bewirkt eine Verbilligung und Vereinfachung, so dass es heute Unternehmen leichter fallt, ihre Standorte zu wechseln und den Standort zu wahlen, der die giinstigsten Standortfaktoren bereithalt. Des Weiteren ist eine Akzentverschiebung der Bedeutung von Produktionsfaktoren zur Produkt- und Dienstleistungserstellung zu konstatieren. Diese Verschiebung beinhaltet einen Bedeutungsverlust traditioneller Faktoren wie Arbeit, Kapital und Boden und die gleichzeitige Bedeutungszunahme des Produktionsfaktors Wissen als intellektuelles bzw. immaterielles Kapital. Insbesondere als Wettbewerbsfaktor hat Wissen an Bedeutung gewonnen, indem eine ungleiche Verteilung von Wissen und Informationen Unternehmen einen Vorsprung bietet, ihre Ideen friiher als die Konkurrenz in Produkte und Dienstleistungen umzusetzen. Folgende drei wissensbasierte Wettbewerbsvorteile haben Unternehmen: •
Mehr oder wertvolleres Wissen als andere Unternehmen zu besitzen. 27
Akzentverschiebung bei Produktionsfaktoren
Globalisierung und Wissenssesellschaft
•
das Wissen effizienter (d. h. schneller und billiger) im Gegensatz zu anderen Unternehmen zu mehren oder
•
das Wissen effizienter nutzen [Oelsnitz, v. d./Hahmann 2003, 33].
Der Strukturwandel, die Wissensintensivierung der Produktion und die dynamischen Angleichungsprozesse zwischen den Industrie- und den Schwellenlandern, werden langfristig dazu fiihren, dass das Humankapital, verstanden als die Fahigkeiten und das Wissen der Menschen und dem entsprechenden Ausbildungsstand der Arbeitskrafte, im Standortwettbewerb, fiir eine positive wirtschaftliche Entwicklung bestimmend sein werden. Gegenwartig weisen zahlreiche Standortverlagerungen darauf hin, dass aufierst ungleichzeitige Entwicklungen zu beobachten sind. Globalisierung des Wissens
Westliche Unternehmen nutzen vor allem bei arbeitsintensiven, kaum automatisierten Produktionsprozessen die geringen Lohn- und Produktionskosten so genannter Niedriglohnlander um die eigene Kostenstruktur zu optimieren und Arbeitskrafte auf den gering qualifizierten Arbeitsmarkt freizusetzen.i3 Durch die schnelle globale Verbreitung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, man kann auch von einer „Globalisierung des Wissens'' [Probst et al. 1999] sprechen, ist die Moglichkeit entstanden, dass viele Produkte oder Produktvarianten unter gleichen oder ahnlichen Bedingungen, an verschiedenen Orten auf der Welt hergestellt werden konnen, ohne an bestimmte nationale Standorte gebunden zu sein. 14 Das hat zur Folge, dass mit der Entwicklung der Schwellenlander, vor allem Asiens und Osteuropas, neue Konkurrenten auf dem Feld bestimmter Produktionssektoren entstanden sind. Die langfristige Verteidigung nationaler Wettbewerbsvorteile ist, aufgrund eines spezifischen Wissensvorsprungs, kaum noch moglich. Folglich wandelt sich die Ordnung der Arbeit mit zunehmender Bedeutung wissensintensiver Arbeit bei gleichzeitigem Verlust wissensarmer Arbeit [Baethge et al. 2005], d. h. wissensarme Arbeit zu verlagern wird eher wie ein „Normalfair' betrachtet. Das erfordert am heimischen Standort, dass z. B. Erfahrungen als Teil von Wissen und Ausdruck der Qualitat von Arbeit nicht mehr der informellen Organisation von Arbeit iiberlassen bleiben. Der Druck besteht dahingehend, dass diese moglichst schnell in explizites Wissen umgewandelt werden, um als „wissensarmes" - zerlegtes und transpa-
13 Aufgrund der internationalen Arbeitsteilung und der Produktionsverlagerung vom heimischen zu einem billig produzierenden Standort, entstehen nach Haubl so genannte „Hyhridprodukte", bei welchen Erzeugungsland und Markenherkunft nicht mehr iibereinstimmen [Haubl 1995, S.77]. 14 Franzmeyer spricht davon, dass die globalen Dateniibertragungsnetze es erleichtern, Technologien („Blaupausen") in andere Lander zu iibertragen [Franzmeyer 1999, S.18]. Dokumentierbares und damit leicht iibertragbares Wissen ist demnach fiir einen Wettbewerb, der sich an standigen Innovationen orientieren muss, kaum geeignet um langfristig Know-how-Vorspriinge zu erhalten. 28
Die Globalisierung dies Wissens
rentes Wissen nunmehr auf neue Standorte verlagert werden. Aber auch die Wissensarbeit, d. h., die eigentliche wissensintensive hoch qualifizierte Arbeit, ist von Standortverlagerung betroffen. Dieses gilt im Besonderen fiir den Dienstleistungssektor. Fiir wesentlich niedrigere Kosten arbeiten Finanz-, Buchhaltungs- und Informatikspezialisten an anderen Standorten in Osteuropa und Asien an hochqualifizierten, arbeitsteilig zerlegbaren Aufgaben, deren Wissen sich eindeutig fixieren lasst und dadurch problemlos outgesourct werden kann. Der Schwerpunkt der Wissensarbeit, die sich nach gegenwartigen Einschatzungen von repetitiver Arbeit und gegebenem fixiertem Wissen unterscheidet, liegt auf Kommunikation, Koordination und Kooperation [Wilkesmann 2005]. Die Anwendung dieses Wissens ist in hohem Mafie auf Interaktion und Kommunikation dieser Tatigkeiten angewiesen, denn sonst kann das Wissen nicht in konkreten Tatigkeiten transformiert werden. Gegenwartig ist nicht bekannt inwieweit diese Form von Wissensarbeit von Standortverlagerungen betroffen ist. Die internationale Arbeitsteilung folgt Gesetzmafiigkeiten aufgrund komparativer Vorteile und der Spezialisierung von Produkten und diese Prozesse sind ohne politische Steuerungen umunkehrbar. Aufgrund der Lohnkosten, der hohen Qualifizierung der Arbeitnehmer und der guten Infrastruktur liegt dieser Vorteil bei Deutschland und den anderen Industrielandern, d. h. nicht mehr nur allein bei hochqualifizierter Arbeit auf der Basis von bekanntem „fixiertem'' Wissen, sind Standortverlagerungen vor allem im Bereich forschungsintensiver Erzeugnisse ausgenommen. Dieses ist das Zukunftsfeld der globalen Wissensgesellschaft, jedoch ist das immer weniger ein ausschliefilicher Vorteil der entwickelten Industrienationen, was sich vor allem an den Offshoring-Prozessen der IT-Dienstleistungen nach Indien und China und dem schnellen Aufholprozess dieser Lander zeigt. Die Globalisierung des Wissens ist ebenso wie die Internationalisierung der Arbeitsteilung Offnungen und Flexibilisierungen ausgesetzt, deren Folgen noch nicht abzusehen sind. Lebensformen und Lebensstile andern sich z. B. nicht nur fiir Arbeitskrafte des niedrig qualifizierten Arbeitsmarktes, auch hoch qualifizierte Arbeitskrafte mit hoher Mobilitatsbereitschaft sind davon betroffen, bzw. entwickeln neue aktive Arbeitsformen, die zukiinftig starker im Kontext demografischer Entwicklungen veranderte Effekte zeigen [Moldaschl 2005, Vofi/Pongratz 2002]. Der Zusammenhang von Standortverlagerungen, Wissensarbeit und Strategie demografischer Politik wie z. B. die Vereinbarkeit von Familie und Beruf etc. ist ein Feld der Globalisierung, das weiteren Analysen und Forschungen iiberlassen bleibt und nicht nur den StrategieRahmen der Gruppe von Lissabon unterliegt. Innerhalb der Bearbeitung der Dichotomie von Standortverlagerung und Globalisierung der Arbeit bleiben diese Aspekte jedoch unberiicksichtigt.
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Globalisieruns und Wissenssesellschaft
2.7 Standort „Deutschland" in Gefahr? DerKampfum Produktionsfaktoren
Der intemationale Wettbewerb beherrscht den offentlichen Diskurs mehr und mehr und auch die Wettbewerbsfahigkeit des Standortes Deutschland erfahrt zunehmend Aufmerksamkeit. Die Standortverlagerung beziehungsweise Produktionsverlagerung in so genannte Niedriglohnlander steht im Fokus der offentlichen und wirtschaftspolitischen Diskussion. Die Globalisierung der Markte und Marktstrategien sowie die von Finanzen und Kapitaltransfer bieten vielen Unternehmen erhebliche Chancen bei vermeintlich risikolosen Strategien, den heimischen Standort zu verlassen, um dort zu investieren beziehungsweise sich anzusiedeln, wo die moglicherweise besten Umfeldbedingungen herrschen. Diese Situation hat zur Folge, dass Staaten zunehmend, hinsichtlich ihrer Attraktivitat fiir Unternehmen und den Rahmenbedingungen, die sie bieten konnen, in einem globalen „Konkurrenzkampf' stehen. Die Konkurrenz konzentriert sich gegeniiber immobiler Produktionsfaktoren, wie Boden und einfache Arbeit auf die Attrahierung mobiler Produktionsfaktoren, wie Kapital und qualifizierte Arbeit [van Sunhim 1999, in: Niebuhr/Stiller 2002, 233].
Der Mythos vom Abstieg
Die Diskussion iiber die Wettbewerbsfahigkeit des Standortes Deutschland ist infolge der anhaltend schwachen Wachstumsdynamik und der Reformierung der Sozial- und Bildungssysteme taglich prasent. In dieser Diskussion wird von den Medien der „Mythos vom Abstieg'' [Blume/Storn 2005] aufrechterhalten und verfehlt selbstredend seine Wirkung nicht. Besonders durch die in Deutschland derzeitig herrschende Situation, dass einerseits eine Rekordarbeitslosigkeit von iiber fiinf Millionen Menschen herrscht, einheimische Unternehmen immer weniger Kapital in die Schaffung neuer Arbeitsplatze investieren und auf der anderen Seite in den letzten Jahren fast 2,5 Millionen Arbeitsplatze von deutschen Unternehmen im Ausland geschaffen wurden [Sinn 2003, 22 ff.], wird „die Standortdebatte durch zunehmende Jobverluste angeheizf' [FTD 2004-1 la]. So wird diskutiert, wiirden die Arbeitsplatze hier erhalten bleiben, hatten wir entsprechend weniger Arbeitslose. Diese vereinfachten Vergleichsformen verzerren aller Voraussicht nach die Situation erheblich. Dafiir typisch ist z. B.: ,,/e mehr der globule Wettbewerb die Unternehmen unter Kostensenkungs- und Renditedruck setzt, zu Rationalisierung, Outsourcing und Produktionsverlagerung ins billigere Ausland zwingt, und die Arbeitslosenzahl hochtreibt, umso heftiger entbrennt in Deutschland ein neuer Kulturkampf [WiWo 2005-12 a].
Proteste gegen Outsourcing
Dieser so genannte „Kulturkampf' ist in seiner Vehemenz nicht nur am Standort Deutschland zu beobachten. Andere westliche Industrienationen sind von ahnlichen Diskussionen betroffen, z. B. Frankreich. So entwickelt
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Standort „Deutschland" in Gefahr?
sich in den USA eine heftige Debatte im Zuge des „Offshoring''i5^ der Verlagerung von Arbeitsplatzen ins Ausland - und des ^Outsourcing", der Ausgliederung von Untemehmensbereiche an andere Unternehmen. Man spricht immer haufiger von einer Tendenz des „Exporting America'' - „einer Art globaler Intrige, die dazu fiihrt, dass hoch dotierte Jobs an gut ausgebildete, aber billigere Arbeiter in Indien und anderen Schwellenlandern vergeben werden'' [Karmarkar 2004, 23].16 Auch in Frankreich wird der Prozess der Verlagerung von Arbeitsplatzen von der Offentlichkeit als eines der wichtigsten Probleme des Landes wahrgenommen, so dass die Regierung 2003 eine Milliarde Euro fiir den „Kampf gegen das ^Outsourcing" zu Verfiigung stellte [FTD 2004-lla]. Als Griinde fiir die Auseinandersetzung beziiglich des propagierten „Niedergangs" des Wirtschaftsstandortes Deutschland werden vor allem die sinkende Wettbewerbsfahigkeit, der Reformbedarf unseres Sozial- und Bildungssystems, der starre Arbeitsmarkt, Tarifregelungen, Arbeits- und Gesundheitsschutz etc. angefiihrt: „Um diese vermeintlichen Probleme dreht sich seit Jahren fast die gesamte okonomische Debatte" [Blume/Storn 2005]. Miiller/Kornmeier kritisieren, dass die so genannte Standortdiskussion „weniger Teil eines rationalen wissenschaftlichen Diskurses ist, als vielmehr Gegenstand einer haufig offentlich-populistisch und deshalb zumeist Interessen geleiteten Debatte" [Miiller/Kornmeier 2000, 1] - mit Druck auf den Staat und Sozialpartner. Uniibersehbar ist, das offensichtlich diese Diskussion aus dem Unternehmerlager aufgeheizt und mit einseitigen Politikvorschlagen zur Entlastung des Faktors Kapital verkniipft wird [Heise et al. 2000, 337].
Diskurs zum globalen Deutschland
Die Ambivalenz der Standortdebatte wird dahingehend deutlich, dass gerade das Thema der Wettbewerbsfahigkeit unter divergierenden Perspektiven gefiihrt wird: auf der einen Seite wird immer wieder die RoUe Deutschlands als „Exportweltmeister" hervorgehoben. Nachdem in den ersten sechs Monaten des Jahres 2005 Waren im Wert von 382,3 Milliarden Euro ausgefuhrt wurden - ein neues Rekordergebnis seit 55 Jahren titulierte der Spiegel: „Made in Germany gefragt wie nie".^^ Auf der anderen Seite sehen Experten wie Sinn die Gefahr, dass sich „Deutschland von einem Industriestandort zu
Exportweltmeister Oder BasarOkonomie?
15 Beim so genannten Offshoring werden vornehmlich IT-basierte Dienstleistungen von Unternehmen, iiber grofie Distanzen in Niedriglohnlander verlagert. So dass Buchhaltungen und Kontenfiihrungen nachts in Asien bearbeitet werden und morgens in Europa als Daten vorhanden sind. 16 Das „Offshoring'' von Aktivitaten des IT-Bereichs ist vor allem in den USA und Grofibritannien stark ausgepragt. Forrester Research schatzt, dass bis 2015 allein in den USA 3,3 Millionen Arbeitsplatze verlagert werden; Deloite Consulting geht davon aus, dass allein im Bereich der Finanzdienstleistungen bis 2008 weltweit 2 Millionen Jobs verlagert werden [BMWA 2003, 3]. 17 (http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,369009,00.html am 9.08.2005). 31
Globalisieruns und Wissenssesellschaft
einer „Basar-6konomie wandelt", indem immer mehr Wertschopfungsanteile in Niedriglohnlander verlagert werden und somit die exportierten Giiter nur noch eine geringe inlandische Vorleistung enthalten [Sinn 2003,72].18 Es lassen sich Argumente finden, die dagegen halten und Standortverlagerungen als natiirlichen Prozess innerhalb des globalen Wettbewerbs sehen: „Durch das Offshoring werden die sattsam bekannten Fehlentwicklungen aufunserem Arheitsmarkt blofigelegt. Viele der verlagerten Arbeitsplatze sind hier zu Lande schlicht und einfach nicht mehr rentabel gewesen'' [Donges, WiWo 2005b]. Angst vor dem Ungewissen
Diese Aussage geht demnach von dem Standpunkt aus, dass es sich bei den verlagerten Arbeitsplatzen in erster Linie um Arbeitsplatze handelt, die im Niedriglohnsektor angesiedelt sind. Die hier fast schon beliebig ausgewahlten Beispiele skizzieren, wie emotional die Diskussionen gefiihrt werden, und dass die Standortdebatte einen nationalen volkswirtschaftlichen Kern mit erheblicher Wirkung auf die Lebensweisen der Gesamtbevolkerung sowie der nachfolgenden Generationen hat [Baethge et al. 2005]. Da diese Prozesse nicht ohne weiteres nationalen Regelungen unterliegen, bzw. mogliche Regulierungen nationale Staaten und weltstaatliche Gesichtspunkte betreffen [Gruppe von Lissabon 1997], entsteht infolge der partikularen RoUe aller Beteiligten sowie nicht aktiv beteiligten Regierungen und Parlamenten eine allgemeine „Hilflosigkeit" als individuelles Gefiihl des „Ausgeliefertseins''. Dieser Prozess wahrt, solange keine nennenswerten Bemtihungen und Versuche der politischen Steuerung diskutiert werden, um eine neue Generation von Regeln und Institutionen fiir globale Steuerungen und Abkommen zu schaffen. Diese Probleme, die aber auch politische Demographiefragen betreffen, sind Zielmarkierungen der Gruppe von Lissabon, jedoch aber noch ohne nennenswerte Effekte. Infolgedessen stellt der Prozess der Standortverlagerung von Unternehmen als gesamtgesellschaftlich wirkendes Phanomen einen fiir die Offentlichkeit hochsensiblen Vorgang dar. Wobei die Angst ohne global wirkende Regulierungen auf den Bereich des beruflich-fachlichen Arbeitsmarktes antizipiert wird, dass dieser infolge einer ungehinderten Globalisierung nationalstaatlich flexibilisiert wird. Diese Angst scheint, wenn man die Ergebnisse einer Studie der Boston Consulting Group (BCG) betrachtet, wonach die Verlagerung von Fertigungskapazitaten in Niedriglohnlander in den nachsten zehn Jahren die industrielle 18 Beispielhaft wird hier darauf verwiesen, mit welcher Heftigkeit und Vehemenz der offentliche Diskurs gefiihrt wird, wobei mehrere Aufierungen des Prasidenten der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) Ludwig Georg Braun zitiert werden. Dieser hatte Unternehmen geraten, ihre Chancen beziiglich der EUOsterweiterung zu nutzen, und eine mogliche Verlagerung von Arbeitsplatzen zu priifen. Die Reaktionen von Seiten der Politik vielen sehr scharf aus, so bezeichnete SPD Generalsekretar Benneter, Braun als „vaterlandslos'' und Bundeskanzler Gerhard Schrdder sah den Aufruf zur Standortverlagerung als „unpatriotisch" an [FAZ 2004-10a,ll].
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Standort „Deutschland" in Gefahr?
Basis in Deutschland um rund zwei Millionen Arbeitsplatze verringern wird [BCG 2004], nachvoUziehbar zu sein. Bei alien vorherrschenden pessimistischen offentlichen Diskussionen und der Annahme bei ungehemmter Globalisierung wiirden die individuellen Lebensweisen betrachtlich eingeschrankt, antizipieren Telle wissenschaftlicher Expertisen andere mogliche Szenarien der Globalisierung. Diese konnten z. B. so aussehen: Ein zunehmendes Auslandsengagement deutscher Unternehmen kann auch den Anstieg der Wettbewerbsfahigkeit und den Erhalt produktiver deutscher Arbeitsplatze fordern. Die Okonomen Navaretti und Venables stiitzen das Argument, dass Direktinvestitionen vor allem in Niedriglohnlandern, den heimischen Standort aufwerten konnen. Multinationale Firmen sind im Schnitt deutlich produktiver als rein nationale Unternehmen. Sie haben mehr Zugang zu neuen Ideen, Design-Philosophien und Kundenwiinschen [Fischermann/Lamparter 2005]. Der Prozess der Einflussnahme erfordert eine gesteigerte Wahrnehmung und ein Bewusstsein soziokultureller Prozesse auf voraussichtlich hochst differentielle Weise. Eine dieser Moglichkeiten bietet die Beobachtungsperspektive der „Wissensbrille'', welche besagen will, dass die Argumente und Entwicklungsprozesse von Standortverlagerungen zu einseitig innerhalb der dominanten Leitdisziplin der Betriebswirtschaftslehre verbleiben und dadurch die Diskussionen eher „anheizen" als zu einem an Nachhaltigkeit orientierten Umgang mit Standortverlagerungen beitragen zu konnen. Optionen im Sinne von Nachhaltigkeit bieten Diskussionsforen in diversen interdisziplinar organisierten Kontexten. Im Folgenden soil die Relevanz der Ressource Wissen auf betriebswirtschaftliche Entscheidungsprozesse bezogen werden.
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Um sich den Auswirkungen der Globalisierung speziell unter dem Gesichtspunkt von Verlagerungsentscheidungen im unternehmerischen Umfeld zu nahern, stellt sich die Frage nach den Triebkraften und Ursachen. Die Literatur bietet zu den Motiven, die Untemehmen zu Standortentscheidungen bewegen, zahlreiche Erklarungsansatze. Dennoch muss, wenn man sich dem Thema der Standortverlagerung aus einer Wissensperspektive nahert, dariiber nachgedacht werden, inwieweit konventionelle Erklarungsmuster die neuen Rahmenbedingungen einer globalen Wirtschafts- und Standortpolitik antizipieren. Die Beobachtungen in der Praxis lassen den nahe liegenden Schluss zu, dass der Grofiteil aller Verlagerungen derzeit auf rein betriebswirtschaftlichen Motiven und Entscheidungen fufit. Um die Motive verstehen zu konnen, bedarf es eines genaueren Blickes auf die Grundlagen und Hintergriinde internationaler Standortwahl sowie den Mechanismen, die Untemehmen zur Internationalisierung bewegen.
3.1 Standort, Standortfaktoren und Standortverlagerung Engelmann, Hummel, Karl Dungs, Sanitartechnik Eisenberg, Vaillant, Viega, Viessmann - das, was sich wie die Mitgliederliste der ortlichen Handwerkskammern liefit, ist in Wirklichkeit ein kleiner Auszug deutscher Unternehmensreprasentanzen in China.l^ Diese Liste liefie sich endlos weiterfiihren, wiirde man alle deutschen Dependancen an auslandischen Standorten erfassen woUen. Es wird also deutlich, dass Internationale Standortentscheidungen schon langst zum Unternehmensalltag in Deutschland gehoren und das „Schreckgespenst'' der Verlagerung auf eine reine Medienlegende reduziert werden kann. Wenn also zum AUtag des unternehmerischen Handelns die Selektion neuer Standorte und der Transfer von wertschopfenden Leistungen gehoren, muss als Erstes geklart werden, was ein Standort im betriebswirtschaftlichen Sinne darstellt, welche RoUe in diesem Zusammenhang
19 http://www.german-pavillon.com
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Tnebkrdfte s^obaler Standortentscheidungen
Standortfaktoren spielen und wie neue Standorte in der unternehmerischen Entscheidungsfindung ausgewahlt werden. Frage nach dent optimalen Standort
Betriehliche Standortwahl
Seit etwa 150 Jahren sind im Rahmen der wirtschaftswissenschaftlichen Standorttheorie hinsichtlich der Frage nach dem optimalen Standort eine Vielzahl an Theorieansatzen unterschiedlicher Typologien entwickelt worden^o. Die traditionelle Standorttheorie versucht zum einen zu erklaren, aufgrund welcher okonomischen Determinanten Unternehmen eine Ansiedlungsentscheidung hinsichtlich bestimmter Standorte oder Regionen treffen. Zum anderen geht es um die Frage, welchen Einfluss der Standort des Unternehmens, hinsichtlich Kosten, Ertragen, Gewinn oder der Innovationsfahigkeit, auf den Betriebserfolg hat [Maier/Todtling 1995, 21]. Vor dem Hintergrund, dass Standort- und Produktionsverlagerungen von Unternehmen mittlerweile ein alltaglicher Trend der wirtschaftlichen Entwicklung geworden sind, stellt sich nicht nur bei der Verlagerung, sondern bereits bei der Griindung eines Unternehmens die Frage nach den Qualitaten bestimmter Standorte. Die Frage der Standortwahpi eines heutzutage zunehmend international agierenden Unternehmens, bei dessen Griindung oder Verlagerung, dient also formal der Bestimmung des optimalen Ortes fiir dessen okonomische Tatigkeit bzw. „bedeutet fiir die Betriebswirtschaft das Problem der optimalen raumlichen Einordnung in die Gesamtwirtschaft" [Flintner 1960, in: Ernst et al. 1995,116] - unter der Berlicksichtigung einer steigenden Internationalisierung der okonomischen Tatigkeiten zahlt es damit „zu den bedeutendsten und weitreichendsten Entscheidungsbereichen, mit denen eine Multinational Unternehmung (MNU) konfrontiert wird'' [SchoUhammer 1989, Sp. 1959, in: Schulte 2002, 33]. In der Betriebswirtschaftslehre wird diese Fragestellung unter der Begrifflichkeit der betrieblichen Standortwahl zusammengefasst. Da in diesem Rahmen Wissens-Bewertungsprozesse im 20 Eine Systematisierung verschiedener standorttheoretischer Erklarungsrichtungen wurde von Meyer-Lindemann entworfen: 1. Standortwirkungslehre, um technische, okonomische und soziale Auswirkungen von Standorten zu betrachten. 2. Standortentwicklungslehre, um die Ausbildung von Standortstrukturen im zeitlichen Verlauf zu analysieren. 3. Standortgestaltungslehre, um Fragen hinsichtlich der makropolitischen Gestaltungsmoglichkeiten der Standortverteilung zu beantworten. 4. Standortbestimmungslehre, um sich mit den Griinden fiir eine Standortentscheidung auseinanderzusetzen. 21 Hinsichtlich der geographischen Ausbreitung lassen sich folgende Standortkategorien bilden: Lokaler Standort; Regionaler Standort; Nationaler Standort; Internationaler Standort (das Unternehmen produziert vorwiegend im Inland und exportiert die Produkte auch in andere Lander); Multinationaler Standort (die multinationale Unternehmung ist hinsichtlich der Leistungserstellung und Leistungsverwertung nicht begrenzt und besitzt in mehreren Landern Standorte von Tochtergesellschaften.) [Thommen/Achleitner 2000, 90].
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Standort, Standortfaktoren und Standortveriaseruns
Vordergrund stehen, die vor dem Hintergrund einer geplanten oder moglichen Standortverlagemng eines Unternehmens ablaufen, konzentriert sich das Interesse auf das theoretisch bestehende Entscheidungsproblem der betrieblichen Standortwahl, wie es sich in der Betriebswirtschaftslehre darstellt.22 In einer relativ engen Auslegung wird in der betriebswirtschaftlichen I Standort als Grundlagenliteratur der Standortbegriff als „Ort der betrieblichen Leislokale Unterhingserstellung eines Unternehmens" verstanden beziehungsweise als „dernehmensjenige Ort innerhalb eines Wirtschaftsraumes, an dem sich seine Verwal- | konzentration tungs- und Fertigungsstatten, seine Lager und andere Baulichkeiten befinden'' [Peters et al. 2000, 56]. Ebenso Thommen und Achleitner verstehen unter einem Standort den geografischen Ort, an dem das Unternehmen seine Produktionsfaktoren einsetzt. In diesen Erklarungsansatzen findet sich die am popularste Auffassung zum Unternehmensstandort wieder: die ortliche Konzentration betrieblicher, zum Unternehmensbetrieb gehorender Produktions-, Fertigungs- und Verwaltungsanlagen. Zwar kann man die meisten aller bekannten Unternehmensbetriebe zu diesem Feld hinzuzahlen, da jedes Unternehmen in irgendeiner Form betriebliche Raume sein Eigen nennt. Doch muss in Zeiten verteilter Wertschopfung und Arbeitsteilung die Definition weiter gefasst werden, als rein auf eine lokale Ausdehnung fokussiert. Die „klassische Untemehmung'', die dieser Erklarung gerecht wird, findet sich zumeist noch bei kleinen, mittelstandischen Betrieben, die stark in den regionalen Wirtschaftsbetrieb eingebunden sind und deren wirtschaftlicher Spielraum ebenso von deren Grenzen bestimmt wird. Als Beispiel seien hier z. B. lokale Handwerksbetriebe, inhabergefiihrte Fachgeschafte oder Fachbetriebe, wie Friseurladen o. a. angefuhrt. Jedoch gerat man mit dieser Erklarung schnell an die Grenzen unternehmerischen Handelns, sobald man den Standort auf eine Internationale Unternehmung bezieht, wie es in der Realitat bereits bei der Mehrzahl aller Unternehmen der Fall ist. Corsten liefert uns mit seinem Erklarungsansatz zum Standort eine weitaus I Standort als plausiblere, auf die heutigen Rahmenbedingungen abgestimmte und weiter komplexes gefasste Definition zum Standortbegriff. Demnach stellen Standorte im AllParametergemeinen langfristige Rahmenbedingungen dar, unter denen das okonomi- | konstrukt sche Prinzip einer Gewinnmaximierung verfolgt wird. Jeder Standort wird von einem bestimmten Set von Parametern determiniert, deren Gesamtheit wiederum einer bestimmten rechtlichen Grundlage (Rechtsform, Rechtsmantel) zugesprochen wird. Die auf den Standort abgestimmten und fixierten Handlungsparameter bestimmen wiederum die Moglichkeiten und Limitationen betrieblichen Strebens sowie das vereinbarte Sachziel der Un22 Fragen zur betriebswirtschaftlichen Standortforschung gehen zuriick bis ins 19. Jahrhundert, auf eine Bearbeitung wird hier jedoch verzichtet
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Thebkrafte globaier Standortentscheidunsen
ternehmung. Als Ergebnis daraus bleibt fiir den Moment festzuhalten, dass vor der Auswahl eines Standortes vielfaltige Dispositionen vorgenommen werden miissen, die alle Eventualitaten eines internationalen, globalen Wirtschaftens in einen betrieblichen Rahmen „giel5en". Dazu gehoren u. a. die Festlegung der geographischen Ausdehnung, Moglichkeiten verteilter Gewinnerwirtschaftung unter verschiedenen steuerlichen Rahmenbedingungen, der dem betrieblichen Ziel entsprechenden Arbeitsteilung an verschiedenen Orten, der Einbeziehung nationaler oder internationaler Investorenund Interessengruppen usw. Gleichzeitig muss bedacht werden, dass jeder einzeln festzulegende Parameter wiederum von verschiedenen Variablen beeinflusst wird, die ihrerseits vom Gewinnstreben bestimmt werden [Corsten 2000, 889]. Zum Beispiel erweist es sich fiir auslandische Unternehmen als schwierig, in den meisten asiatischen Landem eigene Standorte zu griinden. Zwar sind die Rechtsform und Investoren (Parameter) fiir derartige Unternehmungen rasch gefunden. Doch umso schneller werden die Unternehmen mit behordlichen Auflagen, den so genannten „ local content'' Vorschriften, konfrontiert (Variablen), die wiederum andere einzubeziehende Faktoren nach sich ziehen, wie z. B. die zwingend erforderliche Rekrutierung inlandischer Mitarbeiter, bestimmte Restriktionen bei der internationalen Gewinnverteilung, der Fuhrung des Unternehmens durch inlandische Krafte usw. So gesehen ist die Wahl eines Standortes unter den Bedingungen eines global vernetzten Marktes nicht mehr nur in Hinblick auf den rein lokalen Standort zu beurteilen. Das Problem der Standortwahl erweist sich als weitaus komplexer. Einflussfaktoren aufden Standort
Zusammenfassend lasst sich sagen, dass Unternehmen hinsichtlich des Standortes mit hauptsachlich drei Problemen konfrontiert sind [Thommen/Achleitner 2001, 90]: •
Grad der internationalen Ausrichtung des Unternehmens: d. h., welchen Grad der internationalen Integration das Unternehmen verfolgt bzw. der eigentliche Unternehmenszweck erforderlich macht. Sicherlich sind national agierende Logistikunternehmen mit weitaus weniger rechtlichen Problemen konfrontiert, als z. B. ein internationaler Logistik-Konzern, wie DHL. Die Internationale Ausdehnung eines Unternehmens determiniert demnach den Komplexitatsgrad der Wertschopfungskette und deren organisatorischen Folgen, die in eine Standortwahl mit einbezogen werden miissen.
•
Zentralisierung oder Dezentralisierung der Unternehmenstdtigkeiten, d. h. durch welche Organisationsform die Untemehmensaktivitaten am effizientesten und kostengiinstigsten abgewickelt werden konnen. Eine komplexe Matrixorganisation, wie die meisten Grofikonzerne aufweisen, erfordert weitaus vielschichtigere Steuerungs- und Transferprozesse als die Organisation eines zentral geftihrten mittelstandischen Untemeh-
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Standort, Standortfaktoren und Standortvedageruns
mens mit einfachen Exportaktivitaten. Dieser Parameter muss vor Auswahl eines Standortes bedacht und gepriift werden. W Standortanalyse als Bestimmung des konkreten Standortes, d. h. die Priifung eines jeden in Frage kommenden Standortes hinsichtlich dessen Auswirkungen auf die eigentlichen Untemehmensaktivitaten. Komplexe unternehmerische Ziele fordem von einem Standort ebenso komplexe Bedingungen. So kann z. B. ein internationales E-Commerce Unternehmen nur dort tatig werden, wo geniigend Breitband-Internettechnologien bereits existieren sowie geniigend qualifizierte Mitarbeiter fiir zukiinftiges Wachstum rekrutiert werden konnen. Bei einer Standortwahl ist eine Analyse aller in Frage kommenden Parameter notwendig, um den Standort nachhaltig erhalten zu konnen und die Investitionen in einer Regellaufzeit amortisierbar zu machen. Wie eben schon angerissen, sind bei der Standortwahl je nach spezifischer Ausrichtung des Untemehmens, Determinanten von Bedeutung, welche die Standortentscheidung beeinflussen. Diese Faktoren werden als so genannte Standortfaktoren bezeichnet. Auch hier finden sich in der Literatur zahlreiche Erklarungsansatze, die mehr oder minder auf die komplexen Anforderungen eines globalen Wettbewerbs zutreffen. So versuchte Weber aufzuzeigen, dass sich die Wahl eines Unternehmensstandortes aus dem Zusammenspiel von Standortfaktoren erklaren lasst. Der „Standortfaktor ist einer seiner Art nach scharf abgegrenzter Vorteil, der fiir eine wirtschaftliche Tatigkeit dann eintritt, wenn sie sich an einem bestimmten Ort oder auch generell an Platzen bestimmter Art vollzieht" [Weber 1909,16 in: Goette 1994, 53]. In Webers Aussage manifestiert sich der Vorteil fiir ein Unternehmen nach seiner Entscheidung fiir einen bestimmten Standort ausschliefilich als Kostenvorteil gegeniiber anderen lokalen Standorten. Weber geht davon aus, dass die Herstellung eines bestimmten industriellen Produkts kostengiinstiger als an einem anderen Standort durchzufiihren ist. Diese Aussage lasst sich wiederum eher einer „klassischen'' Betriebspolitik zuordnen. Nur schwer konnen damit die Einflussparameter einer internationalen Standortpolitik im Rahmen einer Wissens- und Informationsgesellschaft erklart werden, da hierbei sowohl der Betriebszweck als auch die Unternehmensorganisation und interne Transferprozesse komplizierter sind und sich nicht mehr nur auf eine Unternehmensniederlassung beschranken. Das Spektrum betrieblicher Arbeit erweist sich in der heutigen Zeit als zu komplex, als dass ein global abgestimmtes Gesamtfaktorensystem auf lokalen Kostenvorteilen basieren kann. Einen weitaus besseren Ansatz liefert Zapfel. Demzufolge sind Standortfaktoren „alle Standorteigenschaften, die bei einigen oder alien potenziellen Standorten unterschiedlich ausgepragt sind und deren Auspragungen sich auf die der Standortentscheidung zugrunde gelegten Zielgrofien auswirken'' [Zapfel 2000, 146]. Nach dieser Erklarung determiniert das auf den
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Begriffdes Standortfaktors
Thebkrdfte globaler Standortentscheidungen
gesamten Unternehmenszweck und die Rahmenbedingungen abgestimmte Standortfaktorensystem mafigeblich den Erfolg bzw. Misserfolg eines Unternehmens. Zum einen bestimmen die Standort-Parameter - z. B. der Zugang zu Kunden oder Lieferanten - den Gewinn des Unternehmens [Maier/Todtling 1995,22]. Sind die Kosten fiir die nachtragliche Kompensation suboptimal gewahlter Faktoren zu hoch, mindert dies den Profit des Unternehmens. Am Beispiel des neu gegriindeten Flughafens Frankfurt Hahn lasst sich dies kurz belegen: zwar ist der Flughafen durch so genannte „low cost carrier'', d. h. giinstige Fluganbieter aus Kundensicht sehr attraktiv. Doch erschwert die ungiinstige Flughafenanbindung (Standortparameter) die permanente Auslastung des Flughafens was in Folge zu hoheren Kundenausfalien und damit zu Gewinneinbufien fiihrt (Anm.: obwohl der Name Frankfurt Hahn die Nahe zur gleichnamigen Stadt suggeriert, befindet sich der Flughafen ca. 100 km von Frankfurt entfernt, was den Transfer von Passagieren erschwert). Fine weitere Grofie, die durch die Auswahl eines Standortfaktors vorbestimmt wird, ist die raumliche Verfiigbarkeit, die Qualitat oder der Preis des Faktors. Am Beispiel des eingesetzten Arbeitskraftemangels in der deutschen IT-Industrie lasst sich dies belegen. Firmen, die in Deutschland vor einigen Jahren hochqualifizierte Arbeitskrafte rekrutieren wollten, gerieten schnell an die Limitationen des Arbeitsmarktes (Qualitatsaspekt). Aus anderen Landern mussten IT-Experten rekrutiert werden, was sowohl einen zeitlichen Verzug (Verfiigbarkeitsaspekt) als auch finanzielle Nachteile (Preisaspekt) aufgrund hoherer Personalkosten bedeutete. Zusammenspiel von Standortfaktoren
Im Hinblick auf eine Internationale Standortpolitik wird die Selektion und Analyse von Standort-Faktorensystemen zu einem kritischen Punkt fiir die Nachhaltigkeit eines Unternehmens. Ist das Produktionsfaktorensystem von Anfang an falsch oder suboptimal konfiguriert, kann es sich negativ auf den Unternehmenszweck, d. h. die Gewinnmaximierung, auswirken. In diesem Fall kann es zu Standortverlagerungen kommen.
Gefahr veranderter Standortdispositionen
Wie bereits angefiihrt, gehort die Wahl des Standortes neben der Wahl der Rechtsform und der Entscheidung iiber die Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten zu den konstitutiven Entscheidungen23, die bei der Standortwahl eine Rolle spielen. Eine Analyse dieser Parameter ist notig, da sich jeder Standort von den Faktoren eines anderen Standorts unter geographischen, okonomischen, sozialen oder politischen Gesichtspunkten unterscheidet und jedes Unternehmen unterschiedliche Voraussetzungen benotigt, um optimal agieren zu konnen. Der Ablauf der Standortentscheidung stellt sich als ein umfassender und schwierig zu generierender Prozess dar. In eine Standortentscheidung miissen eine Fiille von Variablen einbezogen 23 Konstitutive Entscheidungen sind grundlegende und weit reichende Entscheidungen, die den langfristigen Rahmen fiir alle betrieblichen Folgeentscheidungen festlegen [Vahs/Schafer-Kunz 2002, 44]. 40
Standort, Standortfaktoren und Standortveriaseruns
werden, um die Nachhaltigkeit eines Standortes zu beurteilen. Die Herausforderung fur das Unternehmen besteht darin, die vielen verschiedenen Informationen, die fur die Standortwahl zu beriicksichtigen sind, mit der Anzahl der in Frage kommenden Standorte entsprechend zusammenzufiigen und mit anderen Entscheidungen des Unternehmens abzustimmen [Maier/Todtling 1995, 25]. Jede Standortentscheidung wird demnach unter der unter Annahme einer bestimmten okonomischen Lebensdauer des Standortes getroffen. Verandern sich die Variablen des Standortes im Sinne einer Veranderung des Produktionsfaktorensystems, ist dies immer mit hohen Kosten verbunden und erweist sich als ein immanentes Risiko fiir das Unternehmen. So konnen sich z. B. politische oder rechtliche Rahmenbedingungen zum Nachteil des Unternehmens wahrend der Tatigkeit an einem Standort auswirken. Haben diese Anderungen eine Beeintrachtigung des unternehmerischen Zwecks zur Folge, muss iiber einen Standortwechsel nachgedacht werden. Doch wie lasst sich nun der Begriff Standortverlagerung definieren? Innerhalb der traditionellen wissenschaftlichen Standorttheorie wird bereits seit geraumer Zeit, jedoch unter nationaler Perspektive, die Umstrukturierung von Unternehmen durch die Schliefiung von Betriebsstatten und dem anschliefienden Aufbau an einem neuen Ort, unter dem Begriff Standortverlagerung behandelt. In der offentlichen Diskussion werden die Begrifflichkeiten der Standort- und der Produktionsverlagerung oft synonym genutzt, um teilweise unterschiedliche Prozesse zu erfassen. Vielfach wird der aus der angelsachsischen Literatur stammende Ausdruck „Ojfshoring'' verwendet, welcher das Auslagern von Dienstleistungsfunktionen, wie beispielsweise Hotlines und Buchhaltungsabteilungen, in Niedriglohnlander bezeichnet. Obwohl solche Auslagerungsprozesse eher unter die Bezeichnung Outsourcing fallen, wird der Ausdruck Offshoring im wirtschaftspolitischen Diskurs, auch in Deutschland zur Bezeichnung allgemeiner Produktionsverlagerungen von Unternehmen verwendet.
Begriff der Standortverlagerung
Salzer beschreibt die Standortverlagerung^^ als „die Stilllegung des bisherigen und die Konstituierung eines neuen Standortes'' [Salzer 1985 70, in: Hardock 2000, 11]. Diese sehr reduzierte Sichtweise wird von Hardock kritisiert, da in diesem Begriffsverstandnis ausschliefilich eine Totalverlagerung betrachtet wird. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle auf eine andere Sichtweise verwiesen, die den funktionalen, betrieblichen Aspekt einbezieht, anstatt die Verlagerung der gesamten Entitat eines Unternehmens zu fokussieren. Erweiternd zu der o. g. Definition sind ebenso solche Produktionsverlagerungen mit einzubeziehen, bei denen die Verlagerung einzelner Pro-
Unterschiedliche Bezugspunkte hei Verlagerungsentscheidungen
24 Standortverlagerungen konnen nach Totalverlagerungen, Partialverlagerungen, Nahund Fernverlagerungen sowie inter- und intraregionalen Verlagerungen unterschieden werden [Salmen 2001]. 41
Triebkrdfte globaler Standortentscheidunsen
duktionsteile beziehungsweise bestimmter betrieblicher Grundfunktionen vorgenommen wird [Hardock 2000, 11 ff.]. Dieser Definition schliefit sich auch Salmen an, der unter dem Begriff Standortverlagerung im AUgemeinen „die Aufgabe einer betrieblichen Funktion am alten und deren Errichtung an einem neuen Standorf' versteht [Salmen 2001, 16] .25 Einen eher produktionsorientierten Ansatz liefert Hardock, indem er Produktionsverlagerungen mit den komplexen Beziehungen zwischen dem Produktionsstandort und dem Absatzmarkt erklart. Demzufolge ist Produktionsverlagerung die Aufnahme oder Ausweitung der Fertigung im Ausland zum Reimport der Erzeugnisse ins Stammland, zur Substitution bisheriger Exporte aus dem Stammland ins jeweilige Standortland bzw. in Drittlander oder zur Belieferung von Abnehmern aus dem Stammland, die ihrerseits im Ausland produzieren" [Hardock 2000, 17]. Ahnlich argumentiert Deuster, der Internationale Standortverlagerung als „die teilweise oder ganzliche Auflosung eines oder mehrerer funktionaler Bestandteile eines Unternehmens an dessen inlandischen Standort und deren identische oder ahnliche Ubertragung auf einen auslandischen Standort, wobei die ausgeiibte Funktion des Bestandteils erhalten bleibt" versteht [Deuster 1996, 5 in: Hardock 2000,14]. Es zeigt sich, dass die Nutzung des Begriffs Standortverlagerung nicht per se bedeuten muss, dass der gesamte Betrieb am heimischen Standort geschlossen wird, um ihn an einem auslandischen Standort neu zu errichten.26 Vor allem im Hinblick auf die sich permanent verandernden okonomischen Rahmenbedingungen muss, wenn von Standortverlagerungen die Rede ist, der Begriff viel weiter als bisher verstanden werden. Als Kritik an den rein institutionellen und funktional begrenzten Verlagerungsaktivitaten lasst sich anmerken, dass die aus der Pramisse der Informations- und Wissensgesellschaft heraus entstandenen neuen Betriebs- und Unternehmensformen in keines der konventionellen Schemen passen. Wenn z. B. von „Virtuellen Untemehmen" die Rede ist, stellt sich an dieser Stelle die Frage nach der Kategorisierung derartiger Wirtschaftsformen im Kontext der Verlagerung. Aus diesem Grund mochten wir diesem Buch eine alternative Definition der Standortverlagerung zugrunde legen, die sowohl klassische Verlagerungsaspekte als auch Verlagerungsentscheidungen im Rahmen einer Wissensund Informationsokonomie mit einbezieht:
25 Die Ausgliederung von Teilen der Fertigung aus dem Heimatstandort kann nach Schulte vier Bereiche der Produktion betreffen: Produktteile, vorgelagerte Wertschopfungsstufen, Produkte oder Produktgruppen, nachgelagerte Wertschopfungsstufen [Schulte 2002, 99]. 26 Unter einer dynamischen, zeitraumbezogenen Perspektive, kann Produktionsverlagerung auch bedeuten, dass es lediglich einen Kapazitatszuwachs im Ausland gibt, ohne gleichzeitig Ressourcen am heimatlichen Standort abzubauen [Deuster 1996, in: Hardock 2000,14]. 42
Standortverla^erunsen aus volkswirtschafWcher Sicht
Von einer Standortverlagerung ist dann die Rede, wenn sich der fokale Ort untemehmerischer Leistungserbringung aufgrund einer veranderten Standortfaktorensystematik andert und ein partieller oder vollstandiger Transfer betrieblicher Produktions- und Wissenskapazitaten vom angestammten an einen altemativen Standort, der die zur Wissens- und Wertschopfung notwenigen Voraussetzungen bietet, voUzogen wird.
Definition: Standortverlagerung
Standortverlagerungen sind ein Zeichen dafiir, dass sich die Vorteile unterschiedlicher Standorte, wie beispielsweise das Qualifikationsniveau, die Lohn- und Steuerstruktur oder auch die politischen Rahmenbedingungen, verandert haben und der jeweilige Standort fiir ein Unternehmen an Attraktivitat gewinnt oder verliert. In diese Verlagerungsperspektive wird sowohl der klassische Transfer und Riicktransfer von betrieblichen Kapazitaten einbezogen als auch die Verlagerung von Teilen wissensintensiver Wertschopfung an einen alternativen Standort. Nachdem die grundlegenden Eigenschaften betrieblicher Standortpolitik einer Klarung unterzogen wurden, ist es nun wichtig, die Frage zu stellen, ob Wissen und Kompetenz tatsachlich eine Relevanz fiir Standortverlagerungen hat. Wichtig ist dabei zu verstehen, ob Wissen liberhaupt einen Einfluss auf Verlagerungsentscheidungen hat oder nicht. Im Folgenden werden die gangigsten Erklarungsversuche aus Volks- und Betriebswirtschaft kurz skizziert, um einen Zusammenhang zu Wissen und den Kompetenzen herauszuarbeiten. Damit kann aufgezeigt werden, welchen Einfluss der Wissensfaktor in den einzelnen Modellen hat und ob diese Modelle fiir die heutige Wirtschaftsrealitat noch eine Bedeutung besitzen.
3.2 Standortverlagerungen aus volkswirtschaftlicher Sicht Wenn die Motive von Standortverlagerungen einer naheren Betrachtung unterzogen werden, muss als erstes die makrookonomische Sichtweise beleuchtet werden, da volkswirtschaftliche Theorien eine gute Ausgangsbasis zu Motiven fiir Internationalisierungsbestrebungen und den damit verbundenen Standortentscheidungen bieten. Generell kdnnen fiir eine Globalisierung der Wirtschaft und damit eine starkere Einbindung nationaler Wirtschaften in einen internationalen Rahmen drei ursachliche Motivationen identifiziert werden [Krol et al. 2005].
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Makropolitische Einflussfaktoren
Thebkrafte slobaler Standortentscheidunsen
Technische Ursachen
Institutionelle Motive
Markttheoretische Ursachen
•
Zu den technischen Ursachen der Globalisierung gehoren vor allem die Entwicklungen der Transport- und Kommunikationstechnologien, die die Transportkosten von Giitern, Produktionsfaktoren und Informationen drastisch gesenkt haben. Besonders pragend fiir die zunehmende Globalisierung ist der Kostenverfall bei Informations- und Kommunikationstechnologien. Einerseits bewirken sinkende Informationskosten und gesteigerte Informationskapazitaten einen Abbau von Informationsasymmetrien. Andererseits ermoglichen sie eine grofiere Anzahl weltweiter Transaktionen zu niedrigeren Kosten, was den Handel produktiver und die Erschliefiung neuer Markte kostengiinstiger macht.
•
Zu den instituHonellen Ursachen der Globalisierung gehort vor allem der Abbau tarifarer und nicht-tarifarer Handelshemmnisse. So senkten z. B. die Industrielander ihre Zollsatze in der Zeit zwischen 1980 und 1999 durchschnittlich von 9,8 auf 3,7 Prozent. Aber auch fiir die, in den Welthandel eingebundenen Entwicklungslander, lasst sich seit den 1980er Jahren ein Abbau der ZoUtarife von durchschnittlich 27,6 Prozent auf 10,6 Prozent verzeichnen. Der Abbau nicht-tarifarer Handelshemmnisse wurde vor allem durch die Errichtung zahlreicher Freihandelszonen (z. B EU, NAFTA, Mercosur) katalysiert. Ebenso wichtig fur einen internationalen Warenverkehr waren die in diesem Zusammenhang erreichte Konvertibilitat von Wahrungen, die Abschaffung von Devisenbewirtschaftung und -kontrolle sowie ein freier Kapitalverkehr zwischen den Landern.
•
Gleichwohl kann neben institutionellen Veranderungen auf die markttheoretischen Veranderungen verwiesen werden. Diese basieren auf der Uberzeugung, dass internationaler Handel die Wohlfahrt einer Gesellschaft erhoht. Gesellschaften werden dazu angeregt, sich international zu spezialisieren. Die Folge ist eine international Arbeitsteilung, die einen immer starkeren Preis- und Innovationswettbewerb nach sich zieht. Somit werden Untemehmen in die Lage versetzt, durch Ausdehnung auf auslandische Markte so genannte economies of scale (Produktionskostenvorteile) und economies of scope (Synergievorteile) zu erzielen.
Diese Einflussfaktoren dienen als systematische Erklarung dafiir, dass Untemehmen in ihrer Entscheidung, international zu handeln und zu agieren, zunehmend motiviert werden. Je nach Untemehmenszweck konnen dafiir verschiedenste Beweggriinde identifiziert werden. Im Folgenden werden die Motive auf Basis der gelaufigsten volkswirtschaftlichen Erklarungsansatze fiir Internationalisierungsbestrebungen untermauert und zum Verstandnis skizziert.
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Standortverlagerungen
aus volkswirtschaftlkher
Sicht
3.2.1 Theorie komparativer Kostenvorteile Einen Erklamngsansatz fiir Internationalisierungsbestrebungen von Unternehmen liefert der in der Volkswirtschaftslehre verwendete Ansatz komparativer Kostenvorteile. Nach dieser Theorie basiert der international Handel auf so genannten komparativen Kostenvorteilen, die die Vorteilhaftigkeit des Handels zwischen zwei Landern anhand der relativen Kosten fiir die Giiterproduktion zueinander aufgrund einer Spezialisierung der Lander erklart [Siebert 1998, 67]. Die optimale Arbeitsteilung beziehungsweise Spezialisierung ist dann erreicht, wenn die Grenzrate der Transformation, also das Verhaltnis der Grenzproduktivitaten der Faktoren zur Herstellung des Gutes zwischen den Untemehmen der Volkswirtschaften, iibereinstimmen. Die unterschiedlichen Grenzraten der Transformation werden durch Produktionsunterschiede zwischen Landern identischer Faktorausstattung oder durch Internationale Unterschiede in den Faktorproportionen verursacht [Donges/Freytag 2001,127]. Danach ist der Handel zwischen zwei Landern immer dann vorteilhaft, wenn bei beiden Handelspartnern unterschiedliche Produktionskostenstrukturen existieren. Kann ein Land ein bestimmtes Produkt (oder Dienstleistung) giinstiger produzieren als ein anderes Land, wird es dieses Produkt (oder Dienstleistung) produzieren und ins Ausland exportieren. Der komparative Standortvorteil ergibt sich somit aus den niedrigeren Produktionskosten des Landes gegeniiber dem Ausland. In diesem Fall kommt es zu einer Spezialisierung im Land auf ein bestimmtes Gut, das es relativ giinstiger herstellen kann. Die internationale Arbeitsteilung ist selbst fiir die Lander von Vorteil, die alle Giiter nur zu hoheren Kosten erzeugen konnen. Sie spezialisieren sich dann auf die Produktion der Giiter, die sie relativ (komparativ) am giinstigsten herstellen konnen.
Vorteilhaftigkeit der relativen Kosten zwischen Landern
Musikalischer Kostenvorteil
Beispiel
Am folgenden Beispiel soil der Vorteil komparativer Kosten deutlich gemacht werden: Gerhardt Meier ist ein sehr erfolgreicher Musiker und baut zugleich fur sein Leben gern Instrumente. Seit Jahresbeginn hat er eine Anstellung an einem beruhmten Sinfonieorchester gefunden. Diese Arbeit bringt ihm wesentlich mehr Geld ein, als Auftrage aus dem Instrumentenbau. Fiir ihn ergibt sich jedoch ein zeitliches Problem bei der Abwicklung seiner offenen Auftrage im Instrumentenbau. Er beschliefit, Frank John einzustellen, der ein begnadeter Instrumentenbauer ist, jedoch ein weniger erfolgreicher Musiker. Obwohl Hans Meier einen absoluten Kostenvorteil in beiden Berufen gegenuber Frank John hat, lohnt es sich fur ihn, Frank John als Instrumentenbauer einzustellen. Betrachtet man den Standpunkt von Frank John: Er hat als Instrumentenbauer einen komparativen Kostenvorteil gegenuber der Tatigkeit als Musiker. Er ist seinem neuen Chef also am geringsten als Instrumentenbauer unterlegen. Nun spezialisieren sich beide auf ihre monetar gesehen lukrativsten Fahigkeiten und Ziehen so den meisten Profit daraus.
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Tnebkrafte siobaler
Beziehungen zwischen industrialisierten und niedrig industrialisierten Ldndem
Standortentscheidunsen
In der Realitat zeigen sich komparative Kostenvorteile vor allem in Handelsbeziehungen zwischen industrialisierten und niedrig industrialisierten Landem. Ein hoch industrialisiertes Land hat dann einen komparativen Kostenvorteil, wenn wissensintensive Giiter relativ giinstiger hergestellt werden konnen als in einem anderen Land. Voraussetzung ist, dass entsprechende Rahmenbedingungen (Bildungsniveau, qualifizierte Arbeitskrafte, Technologien, F&E) dafiir bestehen, die ein anderes Land nur unter erheblichem Aufwand und Kosten bereitstellen konnte. Im Niedriglohnland konnen hingegen relativ gesehen standardisierte und arbeitsintensive Giiter giinstiger hergestellt werden als im Industrieland, da dort flir arbeitsintensive Giiter eine bessere Kostenstruktur existiert (Lohnkosten, Grundstuckskosten etc.). Lohnintensive Produkte, die weniger dem Einsatz von Wissen und Innovation verpflichtet sind, konnen auf dieser Erklarungsbasis fast immer giinstiger in einem Niedriglohnland produziert werden. Die Arbeitsteilung aufiert sich in Folge darin, dass die Produktion von Giitern und Dienstleistungen in zunehmendem Mafie in intemationalen Produktionsnetzwerken stattfindet, also bestimmte Stationen der Produktion in verschiedenen Orten vollzogen werden. Navaretti und Venables verdeutlichen diesen Prozess am Beispiel des Herstellungsprozesses eines „amerikanischen'' Autos: ,,30% of the cafs value goes to Korea for assembly, 17,5 % to Japan for components and andvanced technology, 7,5 % to Germany for design, 4 % to Taiwan and Singapore for minor parts, 2,5 % to the UK for advertising and marketing services and 1 % to Ireland and Barbados for data processing. Only 37 % of the production value is generated in the United States'' (WTO 1998, in: Navaretti/Venables 2004, 14].
Wissensbezug
Unter Wissensgesichtspunkten liefert diese Theorie ein erstes Indiz dafiir, dass wissensintensive Produkte relativ kostengiinstiger an einem Standort mit hoher Wissens- und Innovationskonzentration produziert werden konnen. Hochindustrienationen, wie Deutschland, werden sich aufgrund ihrer Rahmenbedingungen immer auf die wissensintensive Innovierung von Produkten resp. Markten konzentrieren. Dies erfordert hoch qualifizierte Arbeitskrafte und entsprechende politische, rechtliche und soziale Rahmenbedingungen, die zum Erhalt und der Weiterentwicklung von Wissen gegeben sein miissen. Hingegen konnen arbeitsintensive Produkte danach immer giinstiger im Niedriglohnland produziert werden. Sofern Unternehmen eine Standortentscheidung treffen, gilt es abzuwagen, welche Kostenvorteile ein bestimmtes Land fiir die zu verlagemden Wertschopfungsteile bietet. Jedoch sei an dieser Stelle bereits angemerkt, dass dieses Erklarungsmodell lediglich unter der Pramisse konstanter Wertschopfungsverteilung plausibel erscheint. Sofern in Landern mit komparativ giinstigen Kostenstrukturen ebenbiirtige Wissensdienstleistungen wie in einem Hochindustrieland angeboten werden konnen (z. B. durch den Aufbau entsprechender Qualifikati46
Standortverlagerungen aus volkswirtschafWcher Skht
onsstrukturen) ist dieses Modell in dieser Form nicht mehr ganzlich anwendbar. So existieren bereits heute in Indien und China entsprechende Rahmenbedingungen, die den Transfer wissensintensiver Dienstleistungen, wie die Verlagerung von Office-Kapazitaten oder den Transfer von ITDienstleistungen ermoglichen. Wie lasst sich also ein derartiger Zusammenhang erklaren?
3.2.2 Heckscher-Ohlin-Modell/Leontief-Paradoxon Eine Erweiterung des Modells komparativer Kostenvorteile liefert das Heckscher-Ohlin-Modell, mit dem versucht wird, Kostenvorteile zwischen Landern aufgrund unterschiedlicher Produktivitat der Faktoren Arbeit und Kapital zu erklaren. Kostenvorteile entstehen jeweils aufgrund unterschiedlicher Ausstattung mit diesen Produktionsfaktoren in verschiedenen Landern. Volkswirtschaften mit relativ viel Kapital werden sich demnach auf die Produktion kapitalintensiver Giiter spezialisieren. Staaten mit relativ viel Arbeitskraft werden sich auf die Herstellung arbeitsintensiver Produkte konzentrieren.
Kostenvorteile aufgrund Faktorenproduktivitdt
Unter Standortgesichtspunkten ist dieser Ansatz interessant, da die Vorteilhaftigkeit eines Standortes sich auf Basis der Faktorenausstattung untersuchen lasst. Hat ein auslandischer Standort z. B. Kostenvorteile aufgrund einer hohen Verfiigbarkeit an giinstigen Arbeitskraften, wird ein Unternehmen Kapazitaten an diesen Standort verlagern, wenn arbeitsintensive Produkte dort giinstiger gefertigt werden konnen. Verandern sich die Faktorenvorteile zugunsten des Heimatstandortes, kann es zu einer Riickverlagerung kommen. Dies kann eventuell dann vorkommen, wenn die Produktion von arbeitsintensiven auf wissensintensive Giiter umgestellt wird. Auf die Kritik der Reduktion des Modells auf den Einbezug von Arbeit und Kapital als einzige Produktionsfaktoren wurde mit der Entwicklung eines neuen Erklarungsmodells - dem Leontief-Paradoxon - reagiert. Es wird argumentiert, dass bei Einbezug der Faktoren Wissen und Humankapital eine Internationale Wertschopfungsteilung mit konventionellen Theorien nicht mehr unbedingt erklarbar ist. Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts wurde von Leontief anhand empirischer Analysen nachgewiesen, dass es zu einer Umkehr der Theorie kommt, sobald der Faktor Wissen einbezogen wird. Am Beispiel der USA konnte nachgewiesen werden, dass anstatt arbeitsintensive Giiter zu importieren, diese von den USA verstarkt exportiert wurden und werden. Diese Umkehr der Faktorentheorie wurde unter dem Begriff des Leontief-Paradoxon bekannt. Eine Erklarung liefert der Wissensbezug: In einer Bewertung von nationalen Produktionsfaktoren-Systemen ist das Humankapital von entscheidender Bedeutung [Krugman/Obstfeld 2000]. Am Bei-
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LeontiefParadoxon
Triebkrafte slobaler Standortentscheidun^en
spiel der USA konnte aufgezeigt werden, dass unterschiedliche Qualitaten von Arbeit und Kapital existieren, die im Heckscher-Ohlin-Modell unberiicksichtigt blieben, Zwar wurden in den USA arbeitsintensive anstatt wissensintensive Giiter hergestellt, doch waren fiir deren Produktion hoch qualifizierte Arbeitskrafte notig. Fiir die (kapitalintensiven) importierten Giiter war zwar viel Kapital, aber wenig Wissen iiber dessen Einsatz notwendig. Wissensbezug
Die Erkenntnis aus dem Leontief-Paradoxon lasst den Schluss zu, dass die konventionelle Faktoren-Produktivitats-Theorie fiir Internationale Standortverlagerungsentscheidungen ohne eine Bewertung des am Standort verfiigbaren Wissens nicht valide ist, da das an einem Standort verfiigbare Wissen und die Qualifikation der Mitarbeiter der Schliissel fiir den optimalen Einsatz der Produktionsfaktoren sind. Eine Standortentscheidung kann demnach nicht nur auf Basis primarer Produktionsfaktoren, wie Arbeit und Kapital getroffen werden, sondern der optimale Einsatz aller Produktionsfaktoren hangt in hohem Mafie vom verfiigbaren Mitarbeiterwissen ab. Aus diesem Grund lassen sich nur schwer Schlussfolgerungen auf die Vorteilhaftigkeit eines Standortes allein auf Basis der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital Ziehen. Untemehmen widmen sich aufgrund dieser und ahnlicher Erkenntnisse verstarkt dem Einbezug von Wissen in diverse Entscheidungsprozesse. Als Resultat finden sich im heutigen Wirtschaftsleben viele Steuerungs- und ControUing-Instrumente, die den Faktor Wissen implizit als auch explizit mit einbeziehen. Zum Beispiel wird durch die Balanced Scorecard versucht, eine Unternehmensbewertung aus Wissensperspektive zu ermoglichen. Mit Skill Management oder Kompetenzmanagement wird von Unternehmen der Versuch unternommen, die Fahigkeiten der Mitarbeiter wissensbasiert steuerbar zu machen.27 Durch intelligente Wissenstransfermethoden, wie Collaborative Engineering, Wissensnetzwerken, Promotoren-Ansatzen^S usw. wird versucht, wissensintensive Steuerungsprozesse zu etablieren. Doch existieren neben den operativen Instrumenten und anwendungsorientierten Erklarungsversuchen wenige Ansatze, die den Faktor Wissen aus volkswirtschaftlicher Sicht untersuchen. Speziell in diesem Zusammenhang werden Modelle vermisst, die Internationale Standortverlagerungen aus einer Wissensperspektive untersuchen.
27 North/Reinhardt 2005 28 PetersA^engler, 2004, 2005
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Standortverla^erunsen aus volkswirtschafWcher Sicht
3.2.3 Theorie der technologischen Liicke Ein volkswirtschaftliches Konzept, das eine plausible Erklarung ftir den internationalen Wettkampf von Nationen und Unternehmen liefert, stets kostengiinstige Standorte zu suchen und diese mit eigener Produktion zu besetzen, liefert das Modell der technologischen Liicke [Krugman/Obstfeld 2000]. Danach entstehen internationale Handelsbeziehungen dann, wenn ein Land einen technologischen Vorteil gegeniiber einem anderen Land besitzt. Wurde z. B. in einem Land eine technologische Innovation entwickelt, sind andere Lander bestrebt, diese Innovation fiir sich einzunehmen. Aufgrund dieser Imitationsbestrebungen ist der technologische Vorteil fiir das Ursprungsland nur von begrenzter Dauer und dadurch zeitlich limitiert. Die Dauer dieses zeitlichen Vorsprungs wird als die technologische Liicke bezeichnet.
Technologische Vorteile im Vergleich zwischen Ldndem
In der Praxis zeigt sich diese Theorie am Beispiel der Imitationsbestrebungen asiatischer Lander seit Beginn der 1980er Jahre: Industrienationen gerieten damals zunehmend unter den Druck asiatischer Raubkopien hochtechnologischer Produkte (z. B. HiFi, TV, Automobil). Immer mehr wurde aus diesem Grund die Produktion nach Asien verlagert, da dort zu giinstigeren Preisen produziert werden konnte. Durch die Imitationsbestrebungen in Asien verloren die Hochtechnologie-Nationen ihren technologischen Vorsprung gegeniiber Niedriglohnlandern. Als Folge kehrten sich die Handelsstrome um und Hochtechnologie-Nationen traten nun als Exporteur am Markt auf.
Imitationsbestrebungen als Ausgleich zwischen technologischen LUcken
Unter dem Gesichtspunkt von Standortentscheidungen ist zu beriicksichtigen, wie hoch die Innovationsfahigkeit eines Standortes ist. Da das Bildungs- und Qualifikationsniveau der Mitarbeiter iiber den potenziell zu erreichenden technologischen Vorsprung entscheidet, gilt es abzuwagen, inwieweit der Standort dafiir geeignet ist. Unternehmen, die wissensintensive Leistungen anbieten, benotigen einen Standort, an dem ein hoher Wissensvorsprung langfristig gewahrleistet ist. Hingegen werden die Unternehmen in ein Niedriglohnland verlagern, die bereits entweder einen saturierten Markt bedienen oder deren Produkte keine wissensintensiven Leistungen erfordern (z. B. standardisierte Fertigung).
Beriicksichtigung der Innovationsfahigkeit eines Standortes
Die Theorie der technologischen Liicke liefert einen evidenten Erklarungsansatz dafiir, dass Standortentscheidungen tatsachlich unter der Pramisse der Verfiigbarkeit hoch qualifizierter Mitarbeiter getroffen werden, da diese das Potenzial eines Standortes hinsichtlich eines nachhaltigen technologischen und innovatorischen Vorteils widerspiegeln. Die Qualitat der Mitarbeiterkompetenzen eines Standortes ist demnach der Treiber fiir Innovationen und der Garant fiir das Erreichen eines technologischen Vorsprungs. Da Mitarbeiterwissen ein relativ immobiler Faktor ist, ist es nur unter erhebli-
Wissensbezug
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Thebkrdfte slobaler Standortentscheidunsen
chem Kosteneinsatz fiir ein Untemehmen moglich, ahnliche Voraussetzungen in der Wissensqualitat zu schaffen. Bestehen bereits am heimatlichen Standort Innovationsvorteile, sei es im Prozess, in Strukturen, Produkten Oder Technologien, so impliziert dies immer einen bereits vorhandenen grofien Wissensvorsprung.
3.3 Standortverlagerungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht Neben volkswirtschaftlichen Erklarungsansatzen ist es notwendig, aus betriebspolitischer Sicht (Mikropolitik) die Globalisierungsbestrebungen von Untemehmen zu analysieren. Aus dieser Sicht heraus lassen sich verschiedene betriebswirtschaftliche Internationalisierungsmodelle, Theorien der Direktinvestition und multinationaler Unternehmungen sowie die allgemeine Standorttheorie, hinsichtlich unternehmerischer Standortentscheidungen, identifizieren [Hardock 2000].
3.3.1 Lebenszyklus-Modell Phasen des betrieblichen Lebenszyklus
Mit dem aus der Betriebswirtschaftslehre bekannten Konzept des Lebenszyklus [Vernon 1966] lassen sich Indizien fiir die Bedeutung von Wissen im Kontext internationaler Standortverlagerungen finden. Dieses Modell geht davon aus, dass Produkte bzw. ganze Industriezweige und Markte im zeitlichen Verlauf verschiedene Entwicklungsstufen durchlaufen. Daraus ergibt sich ein vorhersagbarer Lebenszyklus, der durch eine stetig sich voUziehende Standardisierung gekennzeichnet ist. Je nach Standardisierungsgrad lassen sich die Phasen in Innovations-, Expansions- und Standardisierungsphase unterteilen. Mit wachsendem Lebenszyklus verliert der Faktor Wissen fiir den urspriinglichen Standort an Bedeutung, was zu einer Verschiebung der Produktionsstatten fiihrt. Industrielander haben bei der Entwicklung und Markteinfiihrung neuer Produkte gegeniiber Entwicklungslandem/Niedriglohnlandern einen Vorteil. Einerseits kdnnen durch permanente Innovierung der Produktionsverfahren die Produkte sehr schnell an Marktveranderungen und verandertes Kundenverhalten angepasst werden. Andererseits konnen die aufgrund hoch qualifizierter und lohnintensiver Fertigung entstehenden Produktionskosten durch eine hohe Nachfrage und geringe Preissensitivitat am Markt kompensiert werden. In einer spateren Phase gewinnen zunehmend Niedriglohnlander einen Standortvorteil. Durch Automatisierung der Produktion konnen Giiter dort giinstiger gefertigt werden.
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Standortverlaserunsen aus bethebswirtschaftlicher Skht
Zudem sind wissensintensive Tatigkeiten nicht mehr notwendig, was zu einer standardisierten Produktion im Ausland fiihren kann. Trotz sinkender Marktpreise kdnnen Kostenvorteile aufrechterhalten werden, da die Produktionskapazitaten in kostengiinstigere Lander verlagert werden. Auch dieses Modell liefert einen Erklarungsansatz zur Differenzierung zwischen wissensintensiven und arbeitsintensiven Standorten. Je weiter die Entwicklung eines Produktes oder Marktes vorangeschritten ist, umso mehr nimmt die Bedeutung des Faktors Wissen ab und die Wahrscheinlichkeit eines Standortwechsels zu. Doch kann sich diese Entwicklung entgegen dem klassischen Lebenszyklusmodell unter Wissensgesichtspunkten wieder umkehren. So kann es - bei sich veranderten Marktbedingungen - zu einer Riickverlagerung der Produktion aus Niedriglohnlandern in die Industrielander kommen, wenn Innovation und Kundennahe als Standortfaktor an Bedeutung zunehmen. Dies ware z. B. dann der Fall, wenn Standardprodukte kundenindividuell gefertigt werden, wobei der Produktionsprozess an Wissensintensitat gewinnt [Filler 1998].
Wissensbezug
3.3.2 Produktionsfaktoren-Systeme Die Vorteilhaftigkeit einzelner Standorte wird vornehmlich anhand von I Erweiterung urn Produktionsfaktoren, volkswirtschaftlich auch Inputfaktoren genannt, vorgeden dispositiven nommen. Produktionsfaktoren sind dabei alle Giiter und Dienstleistungen, | Faktor die zur Erzeugung eines bestimmten Outputs (Produkte, Leistungen) eingesetzt werden. Volkswirtschaftlich wird dabei zwischen den Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden unterschieden. In der Betriebswirtschaftslehre werden diese Faktoren unter dem Begriff der „Elementarfaktoren'' subsumiert und um einen vierten Faktor, den dispositiven Faktor, erweitert. Der dispositive Faktor spiegelt den planerischen und kompetenten Einsatz aller weiteren Faktoren im Unternehmen wider. In der Unternehmensbewertung wird der dispositive Faktor iiblicherweise als „Goodwiir' oder „immaterielles Vermogen bilanziert, u. a. in Form von Patenten, Mitarbeiter-Knowhow, Lizenzen usw. Das Wirken eines Unternehmens basiert auf dem Prinzip, die vorhandenen Optimale KomProduktionsfaktoren eines Standortes wirtschaftlich so zu kombinieren und hination der deren Einsatz soweit zu minimieren, dass ein hochstmoglicher Output z. B. Produktionsbei der Giiterproduktion erreicht wird. Die Wahl eines Standortes hangt | faktoren demnach entscheidend von den vorhandenen Produktionsfaktoren und der Leistung des Unternehmens ab, den Einsatz der Produktionsfaktoren optimal zu steuern. Fiir eine Standortanalyse muss der unternehmensindividuelle Bedarf der Faktoren abgestimmt werden.
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Triebkrafte globaler Standortentscheidungen
Standortfaktoren Die Literatur offeriert eine erhebliche Anzahl verschiedener Systematiken nach Weber von Standortfaktoren sowie umfangreicher Standortfaktorenkataloge. Als Beispiel sei an dieser Stelle Webers statisches, geschlossenes Modell angefiihrt, welches rein auf der Optimierung von Kostenfaktoren basiert29. Die Optimierung bezieht sich dabei auf:
Ahbildung3-1
•
den Geltungsumfang der Standortfaktoren,
•
generelle Standortfaktoren (mehr oder weniger fiir jeden Industriezweig von Bedeutung),
•
spezielle Standortfaktoren (nur fiir bestimmte Industriezweige von Bedeutung,
•
raumliche Wirkung der Standortfaktoren,
•
Art und Beschaffenheit der Standortfaktoren,
•
naturlich-technische Standortfaktoren und
•
gesellschaftlich-kulturelle Standortfaktoren [Stremme 2000,108].
Kategorien grundsatzlich relevanter Standortfaktoren [vereinfacht nach Lay et al. 2001 8)
29 Die Standorttheorie nach Weber stellt als die entscheidenden Determinanten der Standortwahl, Transport- und Arbeitskosten sowie Agglomerationsvorteile und -nachteile ins Zentrum der Betrachtung. 52
Standortverlagerunsen aus bethebswirtschaftlicher Skht
Eine Erweiterung des Ansatzes von Weber wird durch Behrens vollzogen, welcher eine eigene Systematik der Standortfaktoren entwickelt, die bis heute in der Standorttheorie von Bedeutung ist. Behrens verfolgt das Ziel, „grundlegende Aussagen im Sinne einer betriebswirtschaftlichen und zugleich empirisch-realistischen Standortanalyse zu entwickeln" [Behrens 1971, 33 in: Goette 1994, 57]. Die Systematik der Standortfaktoren nach Behrens versucht die wichtigsten Entscheidungsfaktoren der Standortwahl zu erfassen. Dabei unterteilt er in Standortfaktoren, die den Giitereinsatz und den Absatz der erstellten Leistungen betreffen. Die Determinanten welche fiir die Standortwahl mafigebend sind, stellen sich jedoch fiir verschiedene Wirtschaftszweige unterschiedlich dar und lassen sich immer weiter ausdifferenzieren. Zu beachten ist, dass die Standortfaktorensystematiken nach Weber und Behrens sich allein auf eine nationale Standortwahl beziehen. Standort- und Produktionsverlagerungen, die im Hinblick einer internationalen Ausrichtung von Unternehmen stattfinden, lassen sich damit theoretisch nicht beurteilen.
Standortfaktoren nach Behrens
Eine dem Namen nach, spezifische allgemeingiiltige Internationale Standortlehre existiert bisher nicht [Goette 1994, 67], jedoch greift eine Vielzahl an betriebswirtschaftlichen Publikationen die Bewertung von Standortfaktoren einzelner Lander und Regionen bei der internationalen Standortwahl auf. Diese versuchen, auf theoretischer Weise die Griinde zu erfassen, warum sich Unternehmen international orientieren und welche Faktoren sie in ihrer Entscheidung fiir einen neuen Standort beeinflussen. Bekannte Ansatze fiir eine Internationale Standorttheorie sind zum Beispiel der Ansatz von Tesch^O und insbesondere die Theorie des „nationalen Diamanten'' von Porter^i, welche vor allem im Hinblick auf die Potenzialanalyse des heimatlichen
Bewertung Iandesspezifischer Standortfaktoren
30 Tesch verbindet Theorien des internationalen Handels und der Auslandsinvestitionen mit nationalen standorttheoretischen Ansatzen. Der standortbedingte Wettbewerbsvorteil ist danach der Kernpunkt einer internationalen Standortentscheidung. „Die unternehmensindividuelle Vorteilhaftigkeit eines Standorts, seine Standortqualitat, ergibt sich aus den Standortbedingungen des Landes und den produkt-, verfahrens- und unternehmensspezifischen Standortanforderungen des Unternehmens" [Hummel 1997]. ^^ Auf theoretischer Sichtweise unterstiitzt besonders der Ansatz von Porter die Hypothese, dass der Fokus vor einer Internationalisierungsentscheidung vor allem auf der Analyse des Potenzials des heimatlichen Standortes gerichtet sein soUte. Die Unternehmen miissen in der Lage sein, die jeweiligen spezifischen nationalen Gegebenheiten in die strategischen Uberlegungen einfliefien zu lassen. Porter hat die Standortbedingungen in vier Determinanten eingeteilt: Faktorbedingungen, Nachfragebedingungen, verwandte und zuliefernde Branchen sowie Firmenstrategie, Struktur, Wettbewerb. Unternehmen treffen ihre Standortentscheidungen unter diesem Gesichtspunkt eher hinsichtlich der Gesamtproduktivitat und in geringerem Mafie unter Kostengesichtspunkten. Nach Porter „wird ein stetiger Produktivitatszuwachs eines Landes weniger durch eine konkurrenzfahige Volkswirtschaft allgemein, derm durch innovative Unternehmen und Branchen generiert'' [Kinkel 2003]. 53
Triebkrdfte globaler Standortentscheidunsen
Standortes interessant erscheint. Das zentrale und neue Argument der Betrachtung Porters ist, „...dass Standortentscheidungen nicht vorrangig nach Kostengesichtspunkten, sondem nach Uberlegungen zur Steigerung der Gesamtproduktivitat getroffen werden. Die Vorteile des heimischen Standortes sind fiir die Wettbewerbsfahigkeit von Untemehmen oftmals relevanter als mogliche Skaleneffekte einer globalen Prasenz" [Kinkel/Lay 2004, 418]. Infolge der Vielzahl nationaler und internationaler standorttheoretischer Ansatze mit ihren teilweise komplexen Standortfaktorensystematiken lasst sich festhalten, dass nationale Standorttheorien in erster Linie die Qualitaten des Heimatstandortes bewerten, wogegen international Standortansatze, Determinanten und Faktoren zur Bewertung eines alternativen Auslandsstandortes bereitstellen. Phasendes StandortEntscheidungsprozesses
Die Zusammenfiihrung national und international ausgerichteter Ansatze lasst die Moglichkeit zu, die einzelnen oft begrenzten Erklarungen so zu kombinieren, dass obwohl jede Standortanalyse eines Unternehmens unternehmensspezifische Anforderungen stellt, eine relativ umfassende theoretische Erklarung des Phanomens der Standortverlagerung vorgenommen werden kann. Hummel (1997, 157) unterscheidet den Standortentscheidungsprozess in Phasen: •
die Phase der Diagnose,
•
der Informationsanalyse,
•
der Alternativenvorauswahl,
•
der Alternativenbewertung und
•
der Entscheidung.
Der Kernpunkt einer Standortentscheidung ins Ausland besteht betriebswirtschaftlich gesehen, in einer Bewertung der jeweiligen Umfeldbedingungen des potenziellen Standortes, wie der Marktsituation oder der Betriebsstatte selbst.
54
Standortverlaserunsen aus betriebswirtschaftlicher Sicht
Abbildung 3-2
Phasen und Struktur des internationalen Standortentscheidungsprozesses [Goette 1994, 310]
Konzeptphase
Zielformuiierung Wachstumsziel oder Rationalisierungsziel (absatz-Zmarktorientiert) (kostenorientiert) Festlegung der strategischen Rolle (Funktion innerhalb der Standortstruktur)!
Grobplanunqsphase
Landerauswahl Landervorauswahl (ca. 190 Lander) Makroanalyse (ca. 10-30 Lander) Mikroanalyse (ca. 3-5 Lander) Alleingang
| | Kooperation | | Akquisition
|
TT^
Wahl der Region Feinplanungsphase
f
t
Wahl der Kommune
1
r
Wahl des Grundstuckes bzw. des Unternehmens |
Entscheidunqsphase
I
I Endgiiltige Standortentscheidung |
In der klassischen Standortfaktorenanalyse wird auf den Einbezug von Wissen und Kompetenz in das Bewertungssystem bisher nur marginal eingegangen. In der Literatur finden sich jedoch innovative Ansatze, die einem ganzheitlichen Bewertungsansatz eines Standortes unter Wissensgesichtspunkten gerecht werden. Ein Beispiel fiir eine Standortanalyse mit Wissensbezug ist der Ansatz einer „dynamischen Bewertung'' des Fraunhofer ISI aus dem Projekt BESTAND [Kinkel 2004]. Mit dieser Form der Bewertung wird die klassische Klassifizierung einer Standortanalyse in Markt- und Produktionsfaktoren um die qualitativen Faktoren „Performance'' und „Netzwerkbedarf" erweitert. Uber das Indikatorenset Performance wird sichergestellt, dass ein Unternehmen am neuen Standort optimale Voraussetzungen zur Erreichung seiner urspriinglichen Kernkompetenz wieder findet. Mit dieser Systematik wird der Versuch gestartet, quantitative und qualitative Standortfaktoren, wie Innovationsfahigkeit, Qualitat, Prozess-Know-how usw., fiir einen Standort innerhalb einer Systematik zu bestimmen. Die Abbildung 3-3 gibt einen Uberblick iiber die Systematik.
55
Innovative Bewertungsansatze
Thebkrdfte siobaler Standortentscheidungen
Abhildung3-3
Standortfaktorensystematik nach BESTAND [Kinkel 2004]
Abschliefiend lasst sich festhalten, dass die Standortfaktorenanalyse den Unternehmen die Moglichkeit liefert, liber verschiedene systematische Bewertungsansatze, Wissen und Kompetenz als ein zentrales Element zur Bewertung eines auslandischen Standortes einbeziehen zu konnen. Zwar sind diese Bewertungsansatze, wie sich im Laufe des Buches noch zeigen wird, bisher nicht stark verbreitet, jedoch besteht fiir Unternehmen, die sich mit aktuellen Verlagerungen auseinandersetzen, die Moglichkeit, auf Modelle zuriickzugreifen, die bereits dem Faktor Wissen und Kompetenz einen grofien Stellenwert einraumen.
3.3.3 Markteintrittsstrategien von Unternehmen Entscheidung uher Engagement am neuen Standort
Wenn Unternehmen beschliefien, in einem anderen Land aktiv zu werden, muss eine Entscheidung iiber die Einstiegsart in diesen neuen Markt getroffen werden. Diese Entscheidung ist davon abhangig, wie tief die Verzahnung des Unternehmens mit dem auslandischen Markt sein soil. Je starker die Internationalisierungsbestrebungen eines Unternehmens sind, desto hoher wird (in Abhangigkeit von den Marktbedingungen) der Grad der lokalen Involvierung sein. Die Betriebswirtschaftslehre, insbesondere das 56
Standortverlaserunsen aus betriebswirtschafWcher Skht
strategische Marketing, unterscheidet hierbei die folgenden Stufen von Markteintrittsstrategien [Kottler/Bliemell995].
Grad des Eintritts in Auslandsmdrkte [angelehnt an Kottler/Bliemel 1995]
Abbildung3-4
Der normale Weg, in einen Auslandsmarkt einzutreten ist der Export. Von aktivem oder direktem Export ist dann die Rede, wenn das Unternehmen entscheidet, seinen Export auf bestimmte Markte auszudehnen, die Giiter aber weiterhin im Stammland produziert werden. Export bringt die geringsten Veranderungen fiir die Produktions- und Organisationsstruktur mit sich. Das Wissen und die Wissensressourcen verbleiben im Ursprungsland des Unternehmens. Es finden keine physischen Wissensabwanderungen an den neuen Standort statt - abgesehen von den im Produkt selbst vorhandenen Innovationen.
Direkter Export
Beim indirekten Export werden die Verkaufe im Ausland nicht iiber das Unternehmen selbst, sondern durch unabhangig operierende Handelspartner gesteuert. Im Stammunternehmen selbst muss kein zusatzliches Auslandsgeschaft oder Exportabteilungen aufgebaut werden, sondern der Handelspartner ist vollstandig selbst fiir die Abwicklung der Exportgeschafte zustandig. Auch hier gibt es keine direkten Bewegungen von Wissensressourcen von einem Standort zum anderen. Allerdings wird fiir das Stammunternehmen wertvolles Vertriebswissen bei extemen Partnern aufgebaut. Bei einem spateren tieferen Engagement am neuen Standort ist dieses Wissen nur sehr kostenintensiv wieder aufzubauen.
Indirekter Export
Durch Erstellung von Eizenzen kann, ebenfalls ohne finanziellen Aufwand, ein Internationales Geschaft aufgebaut werden. Der Lizenzgeber schliefit mit dem Lizenznehmer im Auslandsmarkt eine Vereinbarung ab und raumt diesem das Nutzungsrecht fiir ein Fertigungsverfahren, Warenzeichen, Patent o. a. gegen Zahlung einer Lizenzgebiihr ein. Die Vorteile hinsichtlich eines Wissenstransfers liegen ganz klar beim Lizenznehmer. Zwar umgeht der Lizenzgeber das finanzielle Risiko, doch gibt er sein Wissen iiber Ferti-
Lizenzvereinbarung
57
Tnebkrafte globaler Standortentscheidungen
gungsverfahren, Produkt-Know-how o. a. in fremde Hande. Hinsichtlich physischer Verlagerung von Arbeitsplatzen sind die Gefahren allerdings sehr gering, da der Lizenzgeber keine neuen Arbeitsplatze schaffen muss. Franchising
Ahnlich wie bei der Lizenzierung verhalt es sich beim Franchising. Im Gegensatz zur vollstandigen Abgabe von Lizenzen bewahrt sich der Franchising-Geber allerdings hier die komplette Kontrolle von zentralen Funktionen vor, insbesondere Marketing, Produktqualitaten, Preise etc. Diese zentralen Funktionen werden dem Franchising-Nehmer iiber die Vereinbarungen im Franchising-Vertrag zur Verfiigung gestellt. Das Stammuntemehmen gewinnt somit viel Know-how iiber den Auslandsmarkt, ohne direkt involviert zu sein. Auch hier besteht eine geringe Gefahr der Abwanderung von Arbeitsplatzen ins Ausland.
Joint Venture
Beim Joint Venture schliefit sich das Stammuntemehmen mit Partnern im Ausland zusammen, um dort ein Unternehmen zu betreiben, dessen Eigentum, Leitung und Kontrolle von den Partnern geteilt werden. Die Motive der Grundung eines Joint Ventures sind vielfaltig. Sie bestehen z. B. im Mangel finanzieller Mittel oder fehlendem Managementpersonal beim auslandischen Partner oder haben ihre Ursachen in so genannten local content Vorschriften. In vielen Landern dienen local content Vorschriften der Protektion inlandischer Unternehmen. Das auslandische Unternehmen darf z. B. nur dann im Land tatig werden, wenn ein bestimmter Prozentsatz lokaler Mitarbeiter eingestellt wird oder ein inlandisches Unternehmen die Mehrheit besitzt. Der Vorteil besteht fiir Unternehmen im direkten Zugang zum Know-how des Auslandsmarktes iiber die Beteiligung eines lokalen Partners. Bei einem Joint Venture kann es zu direkten Arbeitsplatzverlagerungen kommen, da wichtige Positionen mit Managem und Fachexperten des Stammlandes besetzt werden. Zum einen dient dies einem schnellen Wissenstransfer ins Ausland. Zum anderen gehen dabei evtl. bei Erweiterung der Joint Venture Aktivitaten Arbeitsplatze im Stammland verloren. Im Gegenzug gewinnt das Unternehmen durch „Expatriates" wertvoUes Wissen iiber einen auslandischen Markt und sichert dieses Know-how fiir spatere Aktivitaten im Ausland.
Auslandsniederlassung
Auslandsniederlassungen sind eine Investitionsform, die sich auf untemehmenseigene Vertriebs-, Marketing oder Supportfunktionen beschrankt. Oftmals erfordem Kunden vor Ort eine direktere Form der Kundenbetreuung. Uber eine Investition z. B. in ein eigenes Vertriebsnetz, kann sich das Unternehmen direkter auslandische Kunden bedienen und schneller auf deren Wiinsche und Bediirfnisse reagieren. Hat das Unternehmen geniigend Markterfahrung vor Ort gesammelt, kann sich das Unternehmen fiir eine Ausweitung auf die Investition in einen Produktionsbetrieb entscheiden. Sofem das Land entsprechende Produktionsfaktoren und Arbeitskrafte bietet, kann dabei entweder ein neuer Produktionsstandort errichtet oder bereits 58
Standortverlaserungen aus bethebswirtschafWcher Skht
bestehende Produktionsanlagen eines anderen Unternehmens ubernommen werden. Die Vorteile liegen in einem intensiveren Marktengagement, auf Kundenwiinsche kann nicht nur reagiert, sondern es konnen nun Produkte direkt fiir den Markt entwickelt und vertrieben werden. Das Tochterunternehmen kann als intensivste Form eines Auslandsengagements betrachtet werden. Hier wird ein kompletter Standort nach dem Vorbild des Stammunternehmens in einem anderen Land errichtet. Festhalten lasst sich, dass bereits die Wahl des Integrationsgrades eines Unternehmens in einen neuen Markt direkte Auswirkungen auf den Wissensbestand des lokalen Standortes sowie den Aufbau neuen Wissens am auslandischen Standort haben wird. Je intensiver die Internationalisierungsform gewahlt wird, desto starker sind die Auswirkungen der internationalen Vernetzung von Wissen und Kompetenz. Zwei Aspekte sind in diesem Zusammenhang entscheidend: zum einen Wissensexport und zum anderen Wissensimport. Bei der Involvierung in einen anderen Markt, kommt es zu Wissensexporten an den neuen Standort. Lose internationale Verbindungen, wie sie bei direktem und indirektem Export der Fall sind, konnen nachteilig fiir das Unternehmen ausfallen. Wertvolle Innovationen werden in Form von Produkten, Lizenzen oder Dienstleistungen an einem anderen Standort von meist dritten Personen vertrieben, ohne dass das Unternehmen nachhaltig Wissen aufbauen kann oder sichert. Vielmehr gewinnt - aus volkswirtschaftlicher Perspektive betrachtet - der neue Standort neues Wissen. Die Wahrscheinlichkeit von Produktimitationen und damit einem permanenten Wissenstransfer nimmt zu. In Folge sinkt die Abhangigkeit des neuen Standortes vom urspriinglichen Exporteur. Neue, findige Geschaftsleute werden versuchen, das Produkt in Eigenregie am Standort zu produzieren und zu vertreiben.
Wissensexport zum neuen Standort
Aber auch der Aspekt des Wissensimports ist wichtig, in diese Betrachtungsweise einzubeziehen. Gerade „hohere'' Formen des Auslandsengagements bieten Unternehmen die Moglichkeit, bei geringem Kostenaufwand wichtiges Wissen iiber den Standort zu gewinnen und damit Wissen an den urspriinglichen Standort zu importieren. So stellt Franchising fiir Unternehmer eine gute Moglichkeit dar, Markt- und Kundenkenntnisse am Standort zu gewinnen, die wiederum fiir die Entwicklung von Produktadaptionen und -variationen verwendet werden konnen. Ebenfalls konnen lokale Manager, die grol^e Erfahrung am Standort besitzen, von der Unternehmenszentrale rekrutiert und somit fiir die zielgerichtete Erschliel^ung weiterer Markte eingesetzt werden.
Wissensimport vom neuen Standort
Der Umstand, dass je starker das Engagement am neuen Standort ist, die Wissensintegration steigt, zeigt sich vor allem bei alien Formen eines Aus-
59
Triebkrdfte s^obaler Standortentscheidunsen
landsengagements mit Kapitalbeteiligung. Diese Formen werden insgesamt unter dem Konzept der Direktinvestitionen subsumiert. Auf diese Form der Auslandsbeteiligungen gehen wir im nachsten Abschnitt genauer ein.
3.3.4 Direktinvestitions-Entscheidungen Direktinvestitionen als Indikator fiir Globalisierung
Als wichtigster Indikator und Triebkraft fiir die Globalisierung der Produktion wird allgemein das Ausmafi auslandischer Direktinvestitionen^^ benannt [Immerfall/Franz 1998; Hartel/Jungnickel et al. 1996; Lichtblau 2004]. Aus diesem Grund werden Direktinvestitionen verstarkt zur Bestimmung makrookonomischer Verlagerungsbewegungen (Verlagerungen ins Ausland, Riickverlagerungen) herangezogen. Tatsachlich lasst sich anhand dieses Indikators eine zunehmende weltwirtschaftliche Verflechtung am Anstieg der globalen Warenexporte und der Direktinvestitionen erkennen. Wahrend sich die Weltproduktion und der Welthandel im Zeitraum von 1982-2000 in etwa verdreifacht haben, sind in der gleichen Zeit die global getatigten Direktinvestitionen um das Dreifiigfache gestiegen.
Definition und Begnffshestimmung
Unter Direktinvestitionen werden generell alle Kapitalanlagen eines inlandischen Investors im Ausland verstanden. Dabei kann der Investor entweder das Ziel verfolgen, die Geschafte eines anderen Unternehmens fiir seine Zwecke zu beeinflussen, indem sich die Eigentumsverhaltnisse zugunsten des Investors andern (Joint Venture, Ubernahme etc.). Hierbei muss nicht zwingend eine reale Investition vorgenommen werden oder ein neuer Arbeitsplatz entstehen [Renz 2005]. Andererseits kann der Investor das Ziel verfolgen, ein neues Untemehmen im Ausland zu griinden, um einen neuen Geschaftsbetrieb aufzubauen (Produktionsbetrieb, Tochterunternehmen etc.). Nicht zwingend ist beim Aufbau eines Geschaftsbetriebes der Kapazitatstransfer zwischen Heimat- und Gastland erforderlich.
OLI-Modell von Dunning
Zur Erklarung von globalen bzw. multinationalen Direktinvestitionen wird hauptsachlich das von Dunning entwickelte OLI-Modell herangezogen [Wortmann 2003]. Das Modell liefert eine Erklarung fiir die Vorteilhaftigkeit fiir globale bzw. multinationale Bestrebungen von Unternehmen unter drei Bedingungen. Ist eine der Bedingungen nicht erfiillt, kommt es zu keiner Direktinvestition. Liegen dariiber hinaus zusatzliche Vorteile am auslandi-
32 Die Direktinvestition ist als ein Vorgang zu bezeichnen, „welcher mit der Absicht durchgefiihrt wird, materielle und immaterielle Vermogensgegenstande dauerhaft im Ausland zu investieren, um einen unmittelbaren Einfluss auf die Geschaftstatigkeit des Kapital nehmenden Unternehmens zu gewinnen oder um einem Unternehmen, an dem der Investor bereits mafigeblich beteiligt ist, neue Mittel zuzufiihren [Deutsche Bundesbank 1965, 19 und § 55 Abs.l der Verordnung zur Durchfiihrung des Aufienwirtschaftsgesetzes, in: Hummel 1997, 29]. 60
Standortverlagerungen aus betriebswirtschaftlicher Skht
schen Standort vor, sollte eine Direktinvestition durchgefiihrt warden [Renz 2005].
Bedingungen des OLI- Modells
Tabelle3-1
Das OLI- Modell liefert einige Anhaltspunkte zur Erklarung von Verlagerungsentscheidungen von Unternehmen. Erst wenn ein lokaler Standortvorteil im Ausland vorliegt (location-specific-advantage) und am neuen Standort der Aufbau des eigenen wettbewerbsspezifischen Vorteils (ownershipspecific-advantage) giinstiger ist als die Ubertragung des Vorteils iiber Lizenzen o. a. an Dritte, wird ein Unternehmen iiberlegen, eine Standortverlagerung vorzunehmen. Dabei existieren unterschiedliche Formen von Verlagerungen, die dadurch initiiert werden konnen.
Bedingungen fiir Verlagerungsentscheidungen
Werden Standortkapazitaten vom heimischen Standort ins Ausland verlagert, so spricht man von einer internationalen Standortverlagerung. Geht ein spezifischer Standortvorteil am auslandischen Standort verloren und entscheidet sich das Unternehmen fiir eine Verlagerung des auslandischen Standortes an einen anderen auslandischen Standort, so spricht man von einer transnationalen Standortverlagerung. Wird aufgrund des Verlustes eines Standortvorteils das auslandische Geschaft wieder zuriick in das Ursprungsland verlagert, so spricht man von einer Ruckverlagerung. Dabei werden Funktionsbereiche des Unternehmens aus dem Ausland - zumindest zeitweise - in das Land zuriickverlagert, in dem das Unternehmen seinen Stammsitz hat [Renz 2005]. Dabei entscheiden sich Unternehmen auf Basis negativer Ergebnisse oder Erfahrungen wahrend des Auslandsengagements fiir eine erneute Standortentscheidung, die dann zugunsten des heimischen
Formen der Standortverlagerung
61
Triebkrdfte slobaler Standortentscheidunsen
Standortes ausfallt [Schulte 2002]. Die folgende Abbildung gibt einen Uberblick iiber verschiedene Verlagerungsformen.
Abhildung 3-5
Fortnen internationaler Verlagerungen
Kritik an Dunnings Modell
Immer mehr wird in der Literatur die These vertreten, dass fiir bestimmte Internationalisierungsbestrebungen Dunnings Modell keine Giiltigkeit mehr besitzt, da sich die Rahmenbedingungen fiir die Durchfiihrung von Direktinvestitionen im internationalen Handel andem. Die Schwierigkeiten mit der klassischen Direktinvestitionstheorie konnen allerdings auch daher rtihren, dass diese von einem internen Unternehmenswachstum im Ausland als Normalfall ausgeht und fiir externes Wachshim durch Ubernahmen und Fusionen tatsachlich kein schliissiges Erklarungsmodell liefert [Wortmann 2003]. Tatsachlich folgen klassische Standortverlagerungen anderen Regeln als die rein finanziellen Beteiligungen von Unternehmen am internationalen Markt. So spielen konventionelle Standortfaktoren bei Unternehmensiibernahmen im Rahmen von „Mergers and Acquisitions" eine eher untergeordnete RoUe. Im Zuge des M&A-Wettlaufs in der jtingsten Vergangenheit
62
Standortvertaserungen aus betriebswirtschaftlicher Sicht
konnte folglich festgestellt werden, dass viele Ubernahmen an fehlenden Integrationspotenzialen scheiterten, die aufgrund einer unzureichenden Bewertung der qualitativen Faktoren im Vorfeld der Ubemahme nicht beriicksichtigt wurden. Entscheidend dabei war vor allem der Faktor Mitarbeiter. Hauptsachlich werden von den Unternehmen nach einer gescheiterten Integration Faktoren wie Kultur, Management, Wertvorstellungen usw. angebracht, die naher betrachtet auf den Faktor Mitarbeiter und Wissen zuriickgefiihrt werden konnen. Organisches Unternehmenswachstum verbunden mit einer eingehenden Analyse der Standortbedingungen weil^t im Gegensatz zu finanzpolitischen Manovern eine grofiere Wahrscheinlich auf, dass der neue Standort auf Dauer in das bisherige Unternehmenskonstrukt integriert werden wird. Jedoch sei angemerkt, dass es bei alien Direktinvestitionsformen zu einem Arbeitsplatzexport in das auslandische Werk bzw. einer Riickverlagerung von Arbeitsplatzen an den Stammsitz des Unternehmens kommt. Je nach Investitionsstrategie werden dabei entweder neue Arbeitsplatze vor Ort geschaffen oder bereits bestehende Arbeitsplatze iibernommen. Abhangig von der Intemationalisierungsstrategie des Unternehmens besteht die Moglichkeit, Arbeitsplatze im Stammwerk abzubauen und diese an den Auslandsstandort zu verlagern oder beide Standorte werden parallel betrieben.
Aspekt des Arheitsplatzexports
Als Fazit aus Wissensperspektive lasst sich sagen, dass das Dunning'sche Modell den Faktor Wissen zwar implizit einbezieht - dann, wenn z. B. vom „location-specific advantage" die Rede ist. Eine explizite Bezugnahme innerhalb des Erklarungsansatzes auf den Faktor Wissen ist aber nicht gegeben. Folglich kann bei Anwendung dieses Erklarungsansatzes keine valide Aussage getroffen werden, ob Unternehmen aufgrund unterschiedlicher Wissensstrukturen einen bestimmten Standort bevorzugen. Dieser Mangel des Einbezuges von Wissen liefie sich dadurch kompensieren, in die OLISystematik einen weiteren Indikator aufzunehmen, der sich explizit der Bewertung von Wissen und Kompetenz widmet. Die Liicke konnte durch Erweiterung des Modells um einen „knowledge-specific advantage'' erweitert und den Rahmenbedingungen einer Wissens- und Informationsgesellschaft angepasst werden.
Wissensperspektive
3.3.5 Resumee aus der Wissensperspektive Analysiert man die Modelle, die in Volks- und Betriebswirtschaftslehre zum Thema Standortverlagerungen Anwendung finden hinsichtlich des Einbezugs von Wissen als ein relevanter, okonomischer Faktor, stellt man sehr schnell fest, dass diesem bisher wenig Aufmerksamkeit zuteil wird. Vielmehr basieren die meisten Theorien auf einem konventionellen, okonomi-
63
Fehlender Faktor Wissen
Triebkrafte globaler Standortentscheidungen
schen resp. betrieblichen Verstandnis aus der Zeit industrieller Fertigung. Wissen als schopferischer und unbedingter „enabler" okonomischen Handelns ist daher selten in etablierten Erklarungsmodellen finden. Neue Modellefur eine postindustrielle Gesellschaft
Tahelle3-2
Der Grund dafiir ist, dass die meisten okonomischen und betrieblichen Erklarungsmodelle fiir international Handelsbestrebungen ihre Wurzeln in der Zeit industrieller Fertigung haben und deshalb ein rein industrielles Wirtschaftsbild propagieren, ohne auf die Notwendigkeiten der heutigen Wissens- und Informationsgesellschaft Bezug zu nehmen. Das veranderte Bild der post-industriellen Gesellschaft, besser bekannt unter dem Schlagwort der „Wissensgesellschaft", darf jedoch nicht ignoriert werden. Die folgende Tabelle gibt abschliefiend einen Uberblick iiber die in diesem Kapitel analysierten Modelle.
Volks- und Betriebswirtschaftliche Erklarungsansatze aus der Wissensperspektive
64
Standortverla^erunsen aus betriebswirtschafWcher Skht
Abschliefiend sei noch erwahnt, dass neben diesen Erklarungsansatzen weitaus mehr theoretische Modelle zu Internationalisierungsbestrebungen existieren, jedoch zeigt sich, dass insgesamt die wichtigsten Modelle und herkommlichen Ansatze zu Standortverlagerungen nur marginal den Faktor Wissen beriicksichtigen. Fiir die Erklarung von okonomischen Vorgangen in
65
Thebkrdfte ^iobaler Standortentscheidungen
einer post-industriellen Wirtschaft miissen neue interpretatorische Ansatze gefunden werden, die dem Wissen eine zentrale Bedeutung einraumen.
3.4 Aktueller Stand bei Standortverlagerungen Starke Tendenz zu Verlagerungen ins Ausland
Dass das Thema der Standortverlagerungen nicht nur eine breite theoretische, sondem eine praktische Evidenz aufweist, wird anhand der derzeitigen Tendenzen deutlich. So konnte in einer gesamtdeutschen Umfrage des DIHK festgestellt werden, dass innerhalb der nachsten drei Jahre 24 Prozent von 7000 befragten Industrieunternehmen aufgrund von Standortnachteilen in Deutschland, Auslandsinvestitionen in Form von Produktionsverlagerungen planen [DIHK 2003]. Doch ist das Phanomen langst nicht nur ein Zukunftsthema: nach einer Untersuchung des Fraunhofer ISI haben zwischen 2001 und 2003 beinahe 25 Prozent aller Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes Teile ihrer Produktion ins Ausland verlagert. Damit haben die Intemationalisierungsbestrebungen deutscher Unternehmen in den letzten Jahren ihren Hohepunkt erreicht. Ein Ende ist jedoch nicht in Sicht.
3.4.1 Wohin verlagern Unternehmen? Zielregion: Niedriglohnlander
Betrachtet man die Ergebnisse verschiedener Studien hinsichtlich der Zielregionen fiir Verlagerungen, ist es wenig iiberraschend, dass vor allem die so genannten Niedriglohnlander in Mittel- und Osteuropa sowie China^s, in den letzten Jahren zu den Hauptzielregionen westeuropaischer Unternehmen geworden sind. Vereinzelt werden als Zielregionen fiir Teile der Produktionsverlagerung auch Nord- und Siidamerika genannt. Die Ergebnisse der PA-Consulting Group (50 Prozent Osteuropa, 27 Prozent China) und die Ergebnisse der Fraunhofer ISI-Umfrage bestatigen fiir deutsche Unternehmen den Trend der Verlagerung in diese Regionen. Fiir ca. 45 Prozent der verlagernden und investierenden Unternehmen waren die neuen EU-Lander relevant, danach waren mit etwa 30 Prozent Asien und Westeuropa Hauptziele fiir Auslandverlagerungen. Inzwischen suchen Unternehmen, die bereits Produktionsverlagerungen in MOE- Lander vorgenommen haben.
p3 Die Produktionsstandorte in China werden mit zunehmender Betriebsgrofie fiir Unternehmen interessant. Bei der DIHK- Friihjahrsbefragung 2005 gaben 60 % der im Ausland tatigen grofien Industrieunternehmen an, im laufenden Jahr Investitionen in China vorzunehmen. 66
AktueUer Stand bei Standortverlaserunsen
andere kostengiinstige Standorte, beispielsweise in der Ukraine oder Russland[FHGISI2004].
Verlagerungen nach Regionen [nach FHGISI2004]
Abhildung 3-6
Diese Tendenz wird ebenfalls durch den von der UN-Konferenz fiir Handel und Entwicklung veroffentlichte „World Investment Report 2005" untermauert. Nach einem drastischen Riickgang der Direktinvestitionen in den Vorjahren wird derzeit eine Zunahme weltweiter Direktinvestitionen verzeichnet. Dabei kam es vor allem zu einem Kapitalfluss von Industrienationen in Richtung Entwicklungslander, was mit einer zunehmenden Verlagerung von Produktionskapazitaten in Zusammenhang steht. Vor allem Asien zog in 2004 ca. 46 Prozent mehr Geld von Investoren fiir Neugriindungen oder Firmeniibernahmen an, als im Vorjahr. Hingegen kam es zu einem Riickgang der Direktinvestitionen in den Industrielandern. Wahrend die Direktinvestitionen in den Industrienationen sich 2004 um 14 Prozent auf 380 MilHarden Dollar verringerten, gab es in den Entwicklungslandern einen Zuwachs auf 233 Milliarden Dollar [UNCTAD 2005].
Weltweite Zunahme von Direktinvestitionen
67
Triebkrafte slobaler Standortentscheidunsen
Abbildung 3-7
Ahfluss mobilen Kapitals in Schwellen- und Entwicklungslander
Tabelle 3-3
Direktinvestitionen nach Liindergruppen 1980-2004 (in Mrd. Dollar) [UNCTAD 2005]
Damit wird ca. ein Drittel des weltweit verfiigbaren mobilen Kapitals in Schwellen- und Entwicklungslander investiert. Die fiinf grofiten Empfangerlander waren 2004 China, Hongkong, Brasilien, Mexiko und Singapur. Zwar fiihrt die USA unangefochten mit 96 Milliarden Dollar Direktinvestitionen die Liste der Empfangerstaaten an, doch sind mittlerweile sieben der zehn grofiten Empfangerstaaten bereits Entwicklungs- und Schwellenlander.
Zielregionen von Betrieben, die zwischen 2001 und 2003 Teile der Produktion ins Ausland verlagert haben in Prozent [FHGISI2004, 14]
68
Aktueller Stand bei Standortverlaserunsen
In Mittel- und Osteuropa kam es ebenfalls zu einer Zunahme, in den westlichen EU-Landern dagegen zu einem Riickgang von 40 Prozent, was aber z. T. auf kapitalstrukturelle Wirkungen zuriickzufuhren ist [FAZ 2005-09a]. Auffallig ist, dass gerade die kleinen und mittelstandischen Unternehmen vor allem in die neuen EU-Beitrittslander verlagert haben, deren Anteil liegt bei fast 50 Prozent der Verlagerungen und ist damit fast doppelt so hoch als die nachstplatzierte Region Osteuropa (GUS-Staaten). Bei den Grofiunternehmen spielen Verlagerungen nach Asien, Westeuropa und die EU-Beitrittslander eine nahezu gleiche Rolle [FHG ISI2004].
3.4.2 Wie groB sind verlagemde Unternehmen? Auf die Fragestellung, ob die Unternehmensgrofie Einfluss auf bereits getatigte beziehungsweise geplante Verlagerungen hat, ist zu konstatieren, dass es auch hinsichtlich der Unternehmensgrofie Unterschiede bei den Verlagerungsaktivitaten gibt. So plante nach der DIHK Umfrage 2003 jedes sechste Kleinunternehmen (1-19 Beschaftigte) eine Verlagerung, wogegen bei Unternehmen mit mehr als 1000 Beschaftigten jeder Dritte zukiinftig verlagern mochte (Tabelle 3-4). Die ISI-Befragung kommt hinsichtlich bereits getatigter Verlagerungen im Zeitraum 2001-2003 zu ahnlichen Ergebnissen. Bei den kleineren Betrieben bis 99 Mitarbeitern hat in diesem Zeitraum etwa ein Sechstel der Unternehmen Verlagerungen vorgenommen, bei mittelgrofien Betrieben bis 499 Mitarbeitern betrug der Anteil bereits ein Drittel, bei den befragten Grofibetrieben mit mehr als 500 Beschaftigten gaben fast 60 Prozent der Betriebe an, in diesem Zeitraum Produktionsverlagerungen ins Ausland getatigt zu haben [FHG ISI 2004].
Geplante Produktionsverlagerung nach Unternehmensgroflenklassen [DIHK 2003]
Verstarkt setzen auch mittelstandische Unternehmen auf Verlagerungen ins Ausland. Jedoch steigt die Bereitschaft zur Verlagerung erst mit zunehmender Unternehmensgrofie an. Wahrend der Anteil von verlagerungsmotivier69
Grofie Unternehmen verlagern mehr
Tabelle 3-4
Thebkrafte slobaler Standortentscheidun^en
ten Unternehmen sich bei Betrieben mit bis zu 200 Beschaftigen immer noch unter 20 Prozent bewegt, ist der Wille zur Verlagerung bei Unternehmen mit 200 bis iiber 1000 Beschaftigten bei ca. einem Drittel gegeben [DIHK 2003]. Kleine und mittlere Betriebe ziehen somit eine Verlagerung seltener in Betracht als grofiere Unternehmen, da ein solcher Schritt die Kapazitaten iiberschreiten konnte und die zu erwartenden Vorteile, durch etwaige Synergieund Einspareffekte, geringer ausfallen diirften. Relativ gesehen verlagern Unternehmen unter 100 Mitarbeitern deutlich weniger als mittlere und gro6e Unternehmen. AUerdings kann man auf Basis absoluter Werte erkennen, dass es bei der in Deutschland grofien Anzahl von KMU in jeder Grofienklasse zu signifikanten Verschiebungen von Kapazitaten ins Ausland kommen wird [FHG ISI2004].
3.4.3 In welchen Branchen wird verlagert? Neben Unterschieden bezogen auf die Unternehmensgrofie, lassen sich auch branchenspezifische Verlagerungstendenzen erkennen. Dieser Punkt ist vor allem deshalb interessant, weil sich daraus Schliisse ziehen lassen, welche Untemehmensbereiche tendenziell eher von Verlagerung betroffen sein werden und welche Tatigkeiten von der Verlagerung betroffen sind. Der Branchenfokus ist insgesamt eine offentliche Wahmehmungsgrofie, auf die mehrfach zuriickgegriffen wird. Bereits heute planen 24 Prozent aller Industrieuntemehmen aufgrund von Standortnachteilen in Deutschland, ihre Produktion in den nachsten Jahren ins Ausland zu verlagern. Damit plant fast jedes zweite Unternehmen der Bekleidungsbranche, vier von zehn Elektronikgerateherstellern und mehr als ein Drittel der Unternehmen der Automobilbranche sowie der Elektrotechnik, eine teilweise Verlagerung ihrer Produktionsstatten ins Ausland [DIHK 2003] .Vor dem Hintergrund einer bereits erfolgten Verlagerung haben laut Fraunhofer ISI-Studie die befragten Unternehmen der Elektronikbranche und des Fahrzeugbaus zu mehr als einem Drittel und damit iiberdurchschnittlich Produktionsverlagerungen vorgenommen. Die chemische- und die metallverarbeitende Industrie haben mit 22 bzw. 16 Prozent dagegen zu einem geringerem Ausmafi verlagert [FHG ISI 2004].
70
Aktueller
Stand bei
Standortverlaserunsen
Geplante (Teil-)Produktionsverlagerungen nach Industriezweigen [DIHK 2003] Tahelle 3'5
Der Blick in die Branchen
Beispiel
Versicherungsbranche: In einer aktuellen Studie [Capgemini 2005] wurden Manager von Versicherungsuntemehmen zu aktuellen Trends der Industrialisierung befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass ca. 18 Prozent der Unternehmen eine Notwendigkeit in der Verlagerung kompletter Telle des Standardgeschafts sowie der Verwaltung an kostengunstigere Standorte sehen. Uber 60 Prozent der Befragten erwarten aufgrund der Verlagerung eine Kostenreduktion. Die Einsparungen erfolgen durch den Zukauf von
71
Triebkrdfte slobaler
Standortentscheidungen
Leistungen von Drittanbietern, wahrend das Management der Prozesse - also die wissensintensiven Aufgaben - am Standort verbleiben. Betroffen davon sind zumeist niedrig qualifizierte Tatigkeiten, wie der Betrieb von IT-Kapazitaten (76 Prozent), Service- und Support-Prozesse (76 Prozent) oder standardisierte Vertragsbetreuung (49 Prozent). Niedrige Arbeitskosten am bisherigen Standort zahlen zu den wichtigsten Rahmenbedingungen (61 Prozent). Kaum eine Bedeutung scheint das Vorhandensein geeigneter und qualifizierter Arbeitskrafte am Standort zu haben. Zur Auslagerung von Geschaftsprozessen kommen insbesondere die Niedriglohnlander in Osteuropa (61 Prozent) in Frage. Alle Befragten rechnen durch die Verlagerung von Geschaftsteilen mit Konsequenzen fur die Beschaftigten. Etwa jeder Zweite sagt aus, dass rund fiinf Prozent der Mitarbeiter in den nachsten zwei Jahren von Verlagerungsmaftnahmen betroffen sein wird. Insgesamt lasst der Mittelwert von zehn Prozent auf eine in den nachsten Jahren tendenziell eher moderat ausfallende Verlagerung von Geschaftsprozessen in der Versicherungsbranche schliefien [FAZ 2005-10a; Capgemini 2005], Chemiebranche: Trotz anhaltender konjunktureller Belebung und einem profitablen Auslandsgeschaft, ist die Chemiebranche von einem anhaltenden Arbeitsplatzabbau betroffen. Das Belspiel Hessen, als einer der wichtigsten Chemiestandorte, zeigt mit aller Deutlichkeit den Trend in der Industrie: Nach Angaben des Statistischen Landesamtes Hessen ist die Zahl der Beschaftigten seit Jahresbeginn 2005 bis Oktober um 4,2 Prozent auf ca. 60 000 gesunken. Der Arbeitgeberverband nennt hingegen ein Minus von ca. drei Prozent. Laut Angaben aus der Industrie zwingt der ungebrochen Starke Wettbewerb die Unternehmen dazu, uber alternative Produktionsstandorte nachzudenken. Knapp eIn Drittel der hessischen Chemiefirmen hat bereits Stellen ins Ausland verlagert, vor allem nach Osteuropa und China. Die genaue Anzahl der Firmen, die Arbeitsplatze verlagern werden, konnte vom Verband nicht genannt werden. Jedoch sind weitere Verlagerungen in naher Zukunft geplant [FAZ 2005-11b]. Einzelhandelsbranche: Der deutsche Einzelhandel verstarkte in den letzten Jahren sehr intensiv sein Engagement im Ausland. Im Jahr 2001 beschaftigte der deutsche Einzelhandel bereits 309 000 Personen im Ausland, davon 197 000 in Europa - der welt uberwiegende Tell im Lebensmitteleinzelhandel. Aldi machte bereits 2000 41 Prozent seiner Umsatze im Ausland, LidI 30 Prozent. Auslandische Unternehmen waren im deutschen Einzelhandel lange Zeit nur schwach vertreten. Ende der 1990er Jahre hat sich dies durch Ubernahmen auslandischer Konzerne, z. B. Wertkauf durch WalMart und Spar durch ITM-lntermarche grundlegend geandert. Die Grunde der Internationalisierung lassen sich mit dem anhaltenden Wettbewerbsdruck erklaren, der die Unternehmen zwingt, sich regional auszudehnen. Durch Internationales Wachstum konnen Synergieeffekte bei Einkauf und Vertrieb erzielt werden, z. B. durch Erhohung der Einkaufsvolumina und damit der Steigerung der Verhandlungsmacht gegenuber Herstellern, die niedrige Einkaufspreise ermoglicht (z. B. europaische Einkaufskooperation AMS, Eurogroup, EMD). Medizinbranche: Der Gesundheitsmarkt ist einer der wichtigsten Teilmarkte Deutschlands. Das Gesundheitswesen beschaftlgt ca. 4,2 Millionen Menschen und damit knapp zehn Prozent der Gesamtbeschaftigten. Die medizintechnische Industrie zahit zu den innovativsten Branchen in Deutschland. Fast sieben Prozent des Umsatzes werden fur Forschung und Entwicklung ausgegeben. Im vergangenen Jahr konnte die deutsche Medizintechnikindustrie ihren Gesamtumsatz um rund acht Prozent auf 13,6 Milliarden Euro steigern. Getragen wird dieses Ergebnis allerdings ausschlieftlich durch Zuwachse im Ausland, wo ein Plus von 15,8 Prozent und damit ein Umsatz von
72
Aktueller Stand bei Standortverlagerunsen
7,9 Milliarden Euro erzielt werden konnte. Nach ersten Prognosen wird sich an dieser Gesamtsituation auch im laufenden Jahr nichts andern. Bei einem anhaltend rucklaufigen Inlandsumsatz wird alleine das Auslandsgeschaft fur ein insgesamt positives Branchenergebnis sorgen. Das Inlandsgeschaft wird voraussichtlich erneut rucklaufig mit einem Minus von drei Prozent abschlieRen. Trotzdem kann die Branche noch einen Beschaftigungszuwachs urn ein Prozent auf rund 88 800 Mitarbeiter im Jahr 2005 erwarten. Wie lange solche positiven Wirtschafts- und Arbeitsmarktbeitrage allerdings noch in Deutschland geleistet werden konnen, ist unsicher. Die internationale Wettbewerbsfahigkeit und die hohe Innovationskraft der Branche stehen klar im Gegensatz zur schwachen Entwicklung des Inlandsmarktes. Ein massiver Preisverfall im Hilfsmittelbereich, Billigimporte aus Asien oder eine deutliche Investitionszuruckhaltung fuhren zunehmend zu einer Schwachung des Marktes. Halt in Deutschland diese Investitionszuruckhaltung an, werden Unternehmen moglicherweise zunehmend ihre Produktion in andere Lander verlagern, in denen noch Wachstum zu erwarten ist [FAZ 2005-11c].
3.4.4 Was wird verlagert? Im Zuge der zunehmenden Internationalisierung verlagern Unternehmen
Verlagerung
verstarkt komplette Telle der Wertschopfung. Plante Mitte der 1990er Jahre
kompletter Telle
noch jedes fiinfte Unternehmen hauptsachlich lohnintensive Fertigungsteile
der Wert-
in kostengiinstige mittel- und osteuropaische (MOE) Lander zu verlagern,
schopfung
Ziehen heute Unternehmen auch die Verlagerung wissens- und kapitalintensiver Wertschopfungsbereiche wie Verwaltung, Vertrieb bis hin zur Unternehmensfiihrung ins Ausland, in Betracht.
Geplante versus realisierte (Teil-)Produktionsverlagerungen von Unternehmen ins Ausland^^ [DIHK 2003]
^4 Anteil der verlagerungsbereiten Unternehmen in Prozent (jeweils Planung bzw. Realisierung flir drei Folgejahre) 73
Tabelle 3-6
Thebkrdfte globaler Standortentscheidungen
Tendenz zu wissensintensiven Verlagerungen
AbhildungS-S
Die angespannte Ertragssituation in Deutschland hat viele Unternehmen dazu veranlasst, iiber wissensintensive Verlagerungen nachzudenken. Dazu zahlen insbesondere der Aufbau lokaler Vertriebs- bzw. Servicestrukturen. Jedes dritte Unternehmen beabsichtigt einen Aufbau von Vertriebskapazitaten und Kundendienst, um auslandische Markte besser zu erschliefien. Der Grund ist, dass sich viele hochkomplexe Produkte nur mit einem modernen Vertriebssystem verkaufen lassen. Von der Erstberatung iiber die Finanzierung bis hin zur Ersatzbeschaffung miissen dem Kunden eine kompetente und umfassende Herstellerbetreuung geboten werden [DIHK 2003]. Dieses Ergebnis wird von der Untersuchung zu Verlagerungen in die „emerging markets" bestatigt. Etwa die Halfte aller befragten Unternehmen verlagert neben der Produktion auch wissensintensive Tatigkeiten ins Ausland: So verlagern mehr als 70 Prozent Vertrieb und Marketing, fast 60 Prozent bauen ein lokales Controlling auf, iiber 50 Prozent richten vor Ort Personalabteilungen ein. Etwa die Halfte der Unternehmen dezentralisiert den Einkauf. Dies gilt vor allem in Teilen Asiens (60 Prozent) sowie in Siidamerika (56 Prozent): Beide Regionen sind fiir deutsche Unternehmen nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch bei der Beschaffung interessant. Am wenigsten ausgepragt ist die Bereitschaft, Forschung und Entwicklung ins Ausland zu transferieren: Erst ein Viertel der befragten Firmen unterhalt F&E- Kapazitaten in Asien, Osteuropa oder Siidamerika [Caspers 2004].
Verlagerungen nach KomplexMt der Produkte [FHGISI2004]
74
Aktueller Stand bei Standortverlaserunsen
AUgemein gilt festzuhalten, dass sich das Interesse darauf konzentriert, vor allem einfache und arbeitsintensive Tatigkeiten mit geringer Wertschopfung in Niedriglohnlander zu verlagern und die kapitalintensive, komplexe Produktion mit einem hohen Wertschopfungsanteil eher in Deutschland, beziehungsweise Westeuropa zu belassen. Firmen mit Produkten in der mittleren Komplexitatsklasse weisen demnach einen hoheren Verlagerungsanteil als Untemehmen mit sehr einfachen und sehr komplexen Erzeugnissen auf. Im Bereich der Stuckgut produzierenden Industrie lasst sich hinsichtlich der Komplexitat der Produkte und der Entscheidung zwischen in- und auslandischer Fertigung ein U-formiger Zusammenhang feststellen. Die Ergebnisse lassen sich dahingehend interpretieren, dass sehr einfache Produkte zum grofien Teil durch einen hohen Automatisierungsgrad hergestellt werden konnen, dies erfordert eine kapitalintensive Produktion, die relativ unabhangig von Arbeitskosten am Standort Deutschland effizient erfolgen kann. Im Bereich der komplexen Erzeugnisse stellt sich ein anderes Bild dar. Die Herstellung komplexer hoch qualitativer Produkte lasst sich nur gering automatisieren, es sind gut ausgebildete und qualifizierte Arbeitskrafte no tig. Die Produkte im mittleren Komplexitatssegment sind dagegen oft lohnintensive Standardprodukte innerhalb stagnierender Markte, deren Produktion unter Kostenbetrachtung in Niedriglohnlander oft giinstiger erfolgen kann [FHG ISI 2004]. Das betrifft den klassischen Facharbeitermarkt. Hier kommt folglich das Qualifikationspotenzial der Mitarbeiter ins Spiel, wenn auch nicht als theoretische, so jedoch als empirische Grofie. Es kann deshalb darauf geschlossen werden, dass eine Wissens- und Kompetenzbewertung zwar nicht erfolgt, aber Produktentwicklungen mit hoher Komplexitat, Kundenspezifitat etc., die wissensbasierte Tatigkeiten ausmachen, eher ein Produktivitatspotenzial im Inland darstellen. Das sind jedoch Sekundareffekte aus Untersuchungen, nicht primare Fragestellungen, die in Diskussionen von Standortdebatten aktive Einflussvariablen sind. Abschliefiend lasst sich sagen, dass Unternehmensverlagerungen auf Basis von Kostenaspekten vorgenommen werden. }e grofier die Unternehmen, desto intensiver erfolgt die Auseinandersetzung mit Verlagerungsentscheidungen. Erwartet werden neben einer Kostenentlastung oftmals „Fuhlungsvorteile'' auf den Absatzmarkten. Das so gewonnene Wissen kann bei entsprechenden Rahmenbedingungen in die Produktion am heimischen Standort einflieiSen, was den Unternehmen gegeniiber Mitkonkurrenten im Wettbewerb Vorteile verschafft.
75
Derzeitige Verlagerung arheitsintensiver Tatigkeiten
Triebkrafte globaler Standortentscheidunsen
Tabelle 3-7
Alternativen zur Produktion in Niedriglohnldndern [Dreher/Kinkel 2000, 43]
3.4.5 Warum verlagem Unternehmen? Das gangige Argument ist, dass es Unternehmen lieber vorziehen wiirden, am heimischen Markt zu fertigen, aber aufgrund der Entwicklungen in ihrem unternehmerischen Umfeld seien sie dazu gezwungen, sich neuen Herausforderungen am internationalen Markt zu stellen. Z. B. konnte der eigene heimische Markt von aufien durch global operierende Unternehmen angegriffen werden, die bessere Produkte zu niedrigeren Preisen anbieten. Das Unternehmen konnte sich veranlasst sehen, diese Wettbewerber anzugreifen und in deren Heimatmarkte einzusteigen. Das Unternehmen konnte Auslandsmarkte ausfindig machen, die attraktiver sind als der eigene Inlandsmarkt. Es bediirfe einen grofieren Kundenstamm, um bei grofierem Volumen wirtschaftlicher arbeiten zu konnen. Dies konnte die Abhangigkeit vom heimischen Markt auflosen. Heimische Kunden konnten selbst in das Auslandsgeschaft einsteigen, wobei das Unternehmen vor der Entscheidung stehen wiirde, seinen Kunden zu folgen oder nicht [Kottler/Bliemel 1995]. Die GriAnde, warum Unternehmen international aktiv werden, sind also so vielfaltig, wie die Unternehmenspraxis selbst. In der folgenden Ubersicht sind einige mogliche Verlagerungsgriinde exemplarisch aufgefiihrt.
76
Aktueller Stand bei Standortverlaserunsen
Verlagerungsgriinde von Unternehmen [angelehnt an www.standorte-hewerten.de]
11
Tabelle 3-8
Thebkrdfte globaler Standortentscheidunsen
Zu hohe Arheitskostenund Steuerlast
I Bei alien zurtickliegend aufgefuhrten Argumentationsstrukturen lassen sich laut DIHK alle Hauptmotive auf zwei Basisargumente reduzieren, die je\ weils einzeln oder gekoppelt auftreten. Aus diesem Grund wird beiden Argumentationsstrangen Arbeitskosten sowie die Steuerlast am Standort, hier eine besondere Aufmerksamkeit zuteil. Arbeitskosten werden von ca. der Halfte aller Untemehmen als Hauptmotiv genannt. Vor allem Lohnzusatzkosten belasten in Deutschland viele Industrieunternehmen, die dadurch im internationalen Wettbewerb nicht mehr wettbewerbsfahig bleiben. Ca. 38 Prozent aller Untemehmen geben an, dass Steuern und Abgaben ein Grund fiir Verlagerungsentscheidungen sind. Trotz Abbau der Abgabenlast bei kapitalintensiver Fertigung hat die Untemehmenssteuerreform des Jahres 2000 vor allem bei Betrieben in der Rechtsform der Personengesellschaft keine nachhaltigen Effekte ausgelost. Davon ausgenommen sind Kapitalgesellschaften, die durch Steuerreformen der letzten Jahre erheblich entlastet wurden [DIHK 2003]. Zu ahnlichen Ergebnissen gelangte das Fraunhofer Institut fiir Systemtechnik und Innovationsforschung [FHG ISI 2004]. Der wichtigste Grund fiir Produktionsverlagerungen ins Ausland sind auch hier die Kosten, inbegriffen die Personalkosten. Gerade bei grofien Untemehmen gilt der Faktor der Arbeitskosten als ein Haupttreiber fiir Verlagerungen. In kleinen und mittelgrofien Untemehmen bis 200 Beschaftigten gilt dagegen die Steuerbelastung als ein Hauptmotiv. Je kleiner das Untemehmen, desto grofier die Bestrebungen zur Standortverlagerung aufgmnd von Steuern und Abgaben. Dies begriindet sich darin, dass fiir kleine und mittelgrofie Untemehmen die Steuerlast von weitaus grofierer Bedeutung ist als fiir Grofiunternehmen. Diese Veranderung der Motive zeichnet sich seit 1997 bei so genannten Absatzmotiven und Kapazitatsmotiven ab. Dieser Faktor hat sich gegeniiber den Kostenmotiven durchgesetzt. Das heifit, dass die erste kostenzentrierte
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Aktueller Stand bei Standortvedaserungen
Verlagerungswelle hingegen abgeschlossen ist. Die Diskussion der Steuerbelastung zeigt sich deutlich differenzierter. Innerhalb dieser Ausdifferenzierung wird ein so genannter dritter Grund Markthasierte immer wichtiger, namlich das Interesse an zusatzlichem Wachstum. Der Trend Verlagerungszur Verschiebung in den Beweggriinden spiegelt sich in den Ergebnissen motive einer Umfrage wider, in der deutsche Unternehmen speziell zu ihren Markteintrittsstrategien in die so genannten „emerging markets" (Osteuropa, Asien, Siidamerika) befragt wurden [Caspers 2004]. Vorrangiges Ziel deutscher Unternehmen in diese Auslandsmarkte zu investieren ist es, zusatzliches Wachstum zu schaffen (88 Prozent). 78 Prozent der befragten Firmen geben an, neue Absatzpotenziale ausschopfen zu wollen, den Aufbau einer fruhen Marktprdsenz (71 Prozent) sowie hohere Rentabilitdt (70 Prozent). Die Unternehmen bevorzugen daher Lander mit dynamischen Wachstumsmarkten wie Polen, Tschechien oder China. Lediglich 40 Prozent der Unternehmen siedeln sich aufgrund niedriger Produktionskosten in Osteuropa, Asien oder Siidamerika an. Kostenvorteile spielen somit jedoch bei der Internationalisierung eine immer geringere RoUe. Dariiber hinaus schatzen die Unternehmen hohes volkswirtschaftliches Wachstum (73 Prozent) sowie eine kaufkrdftige Nachfrage (73 Prozent).
Motive zur Standortverlagerung [FHGISI2004]
Abbildung3-9
79
Thebkrdfte slobaler Standortentscheidunsen
Wissen und Kompetenz sind kein entscheidendes Motiv
Wenn man diese Argumente jeweils nochmals einzeln und ihre Verwobenheit miteinander betrachtet, zeigt sich, dass die Verfugbarkeit qualifizierten Personals bisher kein entscheidendes Motiv flir Unternehmensverlagerungen war. Daraus kann gleichwohl nicht der Schluss abgeleitet werden, dass, wenn Unternehmen zu Motiven der Standortverlagerung befragt werden, sie nicht intern darliber nachgedacht haben. Die Befragungs- und Erhebungsinstrumente lassen jedoch hinsichtlich des Personals und der Qualifizierungen keine genauen Beobachtungen zu. Diese Differenz muss analytisch gezogen werden, well unter Wissensaspekten entscheidend ist, ob erste Riickschlusse auf eine Auseinandersetzung der Unternehmen mit dem Produktionsfaktor „Humankapitar' wahrgenommen werden. Des Weiteren bleibt auch offen, inwieweit die lokalen Wissensressourcen bei Verlagerungsentscheidungen eine Rolle spielen. Fiir lediglich zw51f Prozent der Unternehmen [FHG ISI 2004] war der Faktor Mitarbeiterqualifikation bei Standortverlagerungen ausschlaggebend. Bei Internationalisierungen in die „emerging markets" lag das Motiv der Verfugbarkeit spezifischen Knowhows ebenfalls mit nur 38 Prozent aller Antworten auf den hinteren Platzen [Gaspers 2004]. Bin ganz anderes Bild zeichnet sich dagegen bei den Motiven flir Riickverlagerungen ab. Bei Entscheidungen deutscher Unternehmen, den Standort wieder ins Ursprungsland riickzuverlagern, dominieren auf den obersten Platzen Qualitatsaspekte, zu hohe Personalkosten sowie die Verfugbarkeit qualifizierten Personals [FHG ISI 2004]. Diese Zahlen lassen voraussichtlich den Schluss zu, dass Unternehmen den Wissensfaktor bei Entscheidungen zu Standortverlagerungen vernachlassigen und erst im Laufe der Auslandstatigkeit die Ausmafie des Mangels an Wissen und Kompetenz ersichtlich werden. Ein Beispiel dafur ware eine Befragung von ca. 500 kleinen und mittelstandischen Unternehmen hinsichtlich einer potenziellen Standort- und Produktionsverlagerung. Die meist auf spezialisierte und gute Fachkrafte angewiesenen KMU tendieren mit 90 Prozent dazu, dass qualifizierte Arbeitskrafte und damit das Wissenspotenzial der Mitarbeiter der wichtigste Faktor bei der Auswahl von Standorten ist (90 Prozent). Das Lohnniveau spielt mit 67 Prozent zwar eine zentrale, jedoch keine entscheidende Rolle bei der Standortwahl [Prognos 2005]. Abschliefiend lasst sich sagen, dass Unternehmen Standortentscheidungen nur in begrenztem Umfang unter Beriicksichtigung von Wissen und Kompetenz treffen. Dominierend sind vor allem finanzielle Motive. Diese Tendenz ist jedoch riicklaufig: je kleiner das Unternehmen ist, desto hoher fallt der Faktor Wissen ins Gewicht. Im Gegensatz dazu verlagern Unternehmen vor allem aufgrund wissensbezogener Motive Standorte in das Ursprungsland zuriick. Dies ist ein Indiz dafiir, dass retrospektiv betrachtet vor allem grofie Unternehmen oftmals zu schnell und ohne die Beachtung der Wissensperspektive verlagert haben.
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Das Phdnomen der Ruckverlageruns
3.5 Das Phanomen der Ruckverlagerung In der aktuellen Literatur zu Internationalisierungsstrategien [Kinkel 2004, Mangelnde AnaLay et al. 2001; Schulte 2002] vor allem von klein- und mittelstandischen lyse neuer StandUnternehmen (KMU) wird immer wieder darauf verwiesen, dass die meis- | orte ten Unternehmen oft nur eine ungenaue Analyse des Potenzials des eigenen Standortes im Vergleich zur Bewertung eines potenziell neuen Standortes durchfiihren. Ein Hauptgrund, sich mit der Art und Weise der Planung einer Standortverlagerung zu befassen, und auf einer griindlicheren Bewertung des heimischen Standortes zu pladieren, ist darin zu sehen, dass es seit einigen Jahren Hinweise gibt, dass Internationalisierungsaktivitaten in Form von Verlagerungsprozessen nicht zum erwarteten Erfolg gefiihrt haben bzw. neue strategische Entscheidungen getroffen wurden, und als Konsequenz, eine Re-Konzentration einzelner, zuvor verlagerter Produktionsbereiche, bis hin zur ganzlichen Aufgabe des auslandischen Standortes vorgenommen wurde. Deshalb besteht das Interesse, ob das Thema der Ruckverlagerung in der Standortdiskussion beachtet wird und ob sich aus dem Prozess der Ruckverlagerung Riickschliisse hinsichtlich eines Uberdenkens der Standortbewertung und der Rolle einer Bewertung des intellektuellen Kapitals Ziehen lassen. Von Interesse sind zudem die Griinde, warum Unternehmen an den angeblich unattraktiven „Hochlohn-Standort" Deutschland zuriickkehren. Trotz der aus den statistischen Erhebungen weiterhin ungebrochenen Verlagerungstendenz deutscher Unternehmen, sind Standortverlagerungen nicht als irreversible Prozesse anzusehen. Der Prozess der Riickverlagerung lasst sich, wie die Auslandsverlagerung, als ein Internationalisierungsweg von Unternehmen auffassen. Ein aufgebauter Auslandsstandort wird nach einer Phase der Auslandsproduktion ganz oder teilweise aufgegeben, um anschliefiend die Kapazitaten der Produktion am Heimatstandort zu rekonzentrieren. Riickverlagerungen lassen sich deshalb nur im Hinblick auf die im Vorfeld stattgefundenen Verlagerungen diskutieren [Schulte 2002]. Kinkel et. al (2002) sprechen, nachdem im Jahre 2001 erstmals ein Rlickgang der Verlagerungsaktivitaten zu beobachten war, davon, dass „die Welle weiterhin zunehmender Produktionsverlagerungen ins Ausland gebrochen scheint". Die Welt am Sonntag verkiindete beinahe euphorisch, dass im Zeitraum zwischen 2001 und 2003, 1200 Unternehmen ihre Produktion nach Deutschland zurtickverlagert haben [Welt am Sonntag 2005-03a]. Die Tendenz einer Ruckverlagerung „enttauschter" Unternehmen ist fiir Kinkel, ein Argument der Vertreter der Pro-Deutschland-Position, welche in der offentlichen Diskussion um den Produktionsstandort Deutschland, dessen bestehenden Starken hervorheben [Kinkel 2004]. Diese Argumentationsweise
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Ruckverlagerung -Ahgrenzung und Definition
Thebkrafte slobaler Standortentscheidunsen
lasst sich jedoch nicht ohne weiteres iibemehmen, derm wie HirschKreinsen/Schulte treffend formulieren: „Ungekldrt ist, oh damit generell von einer neuen Wertschdtzung inldndischer Produktionsstandorte bei vielen Unternehmensleitungen gesprochen werden kann, solange die Ursachen der Ruckkehr nicht erfasst sind." [Hirsch-Kreinsen/Schulte 2000] Fehlende Systematisierung von Riickverlagerungen
Das „V\idnomen der RiXckverlagerung" ist ein Thema, welches im Kontext der wissenschaftlichen Diskussion kaum systematisch betrachtet wurde, was schliefilich auch an den wenigen vorhandenen Veroffentlichungen und empirischen Erhebungen hinsichtlich dieser Form der Standortentscheidung zu erkennen ist. Es lassen sich leider aus jiingster Zeit nur wenige praktische Beispiele von Untemehmen finden, um dadurch etwas iiber die Motive und Hintergriinde der Ruckkehr an den heimischen Standort zu erfahren. In nichtwissenschaftlichen Printmedien erscheinen zumeist willkiirlich ausgewahlte Beispiele, welche meistens sehr oberflachlich den Sachverhalt und vor allem Motive der Riickverlagerung beschreiben.
Ruckverlagerungstendenzen deutscher Unternehmen
Einen ausfiihrlichen quantitativen Beitrag fiir einen weiteren Erkenntniszuwachs hinsichtlich des Phanomens der Riickverlagerung wird durch die Ergebnisse der ISI- Studie [FHG ISI 2004], einer Befragung deutscher Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes, geliefert.35 Dabei wurde neben der Erhebung zu Produktionsverlagerungen auch die Thematik der Riickverlagerung beriicksichtigt. Von Bedeutung ist, dass dabei branchen-, grofien,und marktspezifische Momente sowie auch die Motive einer Riickverlagerung betrachtet werden. Bezogen auf friihere Erhebungen wurde in der Studie festgestellt, dass etwa vier Prozent der befragten Untemehmen im Zeitraum zwischen 2001 und 2003 zuvor verlagerte Produktionsbereiche oder Betriebsstatten wieder an den Heimatstandort zuriickverlagert haben. Es ergibt sich daraus im Durchschnitt das Verhaltnis, dass auf jeden Riickverlagerer zwischen flinf und sechs verlagerte Untemehmen fallen. Damit ist der Anteil der riickverlagernden Betriebe, zunachst einmal als gering einzustufen. Des Weiteren hat sich herausgestellt, dass mit zunehmender Untemehmensgrofie der Anteil der Untemehmen, welche zuriickverlagem, steigt (so lag das Verhaltnis von Verlagerer und Riickverlagerer bei Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitern bei 10 zu 1, bei Untemehmen mit mehr als 500 Mitarbeitem dagegen bei 3, 5 zu 1) (FHG ISI 2004, 27).
35 Das vom Fraunhofer ISI gefiihrte Projekt „Leitfaden: Globalisierung erfolgreich meistern'' [Lay et al. 2001], versucht vor dem Hintergrund gescheiterter Internationalisierungsstrategien vor allem klein und mittelstandischer Untemehmen anhand von Fallbeispielen Hinweise und Hilfestellung fiir eine erfolgreiche internationale Tatigkeit zu geben. Der Prozess der Riickverlagerung spielt jedoch nur eine marginale Rolle.
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Das Phdnomen der Ruckverlaseruns
In der Studie wird daraus der Riickschluss gezogen, dass fiir Kleinbetriebe die Verlagerung oft unumkehrbar sei, wogegen grofiere Betriebe zum grojSen Teil vor dem Hintergrund des Outsourcing Produktionsbereiche ins Ausland verlagert haben und bei sich andernden Wettbewerbsbedingungen eher in der Lage sind, diese wieder an den Heimatstandort zuriickzuverlagem [FHG ISI 2004]. Neben einer Differenzierung der Riickverlagerungstendenz nach der Unternehmensgrofie, ist danach zu fragen, ob innerhalb bestimmter Branchen und Industriezweige Ungleichgewichte bei Riickverlagerungen zu beobachten sind. Eine Betrachtung des Verhaltnisses von Riickverlagerung und Verlagerung von Unternehmen bestimmter Sektoren, kommt zu einem Ergebnis, welches in der folgenden Abbildung graphisch dargestellt ist.36
Sektorspezifisches Verhalten bei Verlagerungen und Ruckverlagerungen (Grofle des Kreises: Beschdftigungsanteil innerhalb der Kernbranchen des Verarbeitenden Gewerbes) in: FHG ISI 2004, 29
36 Die ISI-Studie unterscheidet sektorspezifische Verhaltensweisen: Fiir Hersteller der Elektrizitatserzeugung und -verteilung, ist ein relativ hoher Stellenwert der Verlagerung aber ein geringer Trend zur Riickverlagerung festzustellen; ein zweiter Typ ist die Automobilindustrie, diese stellt sich als flexibel dar, mit einem iiberdurchschnittlichen Anteil an der Verlagerung aber auch bei der Riickverlagerung; ein dritter Verlagerungstyp wird durch die chemische Industrie charakterisiert, dort ist eine geringe Verlagerungstendenz zu erkennen, jedoch die relativ hochste Riickverlagerungsquote; die Hersteller von Metallerzeugnissen reprasentieren einen vierten Typ, mit einem geringen Anteil an der Verlagerung aber auch an der Tendenz zur Riickverlagerung [FHG ISI 2004, 29 ff.j. 83
Ahbildung3-10
Triebkrafte slobaler Standortentscheidunsen
Branchen- Das spezifische Verhalten von Untemehmen unterschiedlicher Sektoren, bezogene Riick- zeigt unter Berlicksichtigung der erhobenen Daten, dass vor allem die Herverlagerungen steller von Metallerzeugnissen als eher Standort verbunden gelten. Ihre Verlagerungstendenz ist mit 15-20 Prozent im Vergleich zu anderen Sektoren als gering einzustufen (vgl. Tabelle 3-5). Das hat z. B. seine Griinde darin, dass in der metallverarbeitenden Industrie eine hohe Standardisierung, gekoppelt mit einer hohen Qualifizierung, durch Automatisierung vorgenommen wird. Eine Verlagerung aus rein kostenorientierten Griinden ist deshalb von untergeordnetem Interesse. Auch die Chemische Industrie scheint den Standort Deutschland gegeniiber dem Ausland zu schatzen, dort sind 35-40 Prozent der verlagerten Bereiche im Zeitraum 2001-2003 wieder an den deutschen Standort zurlickgekehrt. Neben dem sektorspezifischen Verhalten sind jedoch vor allem die Motive interessant, die Unternehmen dazu veranlassen, ihre Standortentscheidung riickgangig zu machen. In Tabelle 3-9 werden die von der FHG ISI-Studie erhobenen wichtigsten Griinde, die bei der Entscheidung zur Riickverlagerung eine Rolle gespielt haben, dargestellt.
Tabelle3-9
Ruckverlagerungsgriinde bei Betrieben die ihre Produktion 2001-2003 nach Deutschland zuriickgeholt haben [in Anlehnung an FHG ISI2004, 30]
Als bedeutendste Griinde fiir die Heimkehr nennt die mangelnde Qualitat, die Kosten der Produktionsfaktoren, Flexibilitat und Lieferfahigkeit, gestiegene Koordinations- und Kommunikationskosten im Ausland sowie die
84
Das Phdnomen der Ruckverlageruns
Nahe zu Grofikunden.37 Dieses Ergebnis deckt sich im Allgemeinen auch mit den Griinden, der in den Printmedien vorgestellten Unternehmensbeispiele, welche ihre Produktion zuriickverlagert haben.^^ Wurde ausfiihrlich beschrieben, dass in der ersten Verlagerungswelle kosten- und abgabenorientierte Elemente zentral waren, so zeigt sich bei einer exemplarischen Auswahl von Riickverlagerungsgriinden, dass dieses zentrale Argument durch eine Reihe weiterer Faktoren iiberboten wird. Bezogen auf die Argumentationslinie, dass dem Humankapital des Unternehmens die entscheidende Werttreiberfunktion zugeschrieben werden kann, ist der Sachverhalt interessant, dass mangelnde Qualitdt als Hauptgrund der Riickverlagerung, sowie die unzureichende Verfiigbarkeit qualifizierten Personals, immerhin von einem Drittel der Unternehmen beanstandet, miteinander in Beziehung gesetzt werden. Eine weitere wissenschaftliche Analyse aus dem Bereich der Produktionsverlagerung, jedoch mit Fokus auf den Riickverlagerungsprozess, wurde empirisch von Schulte (2002) durchgefiihrt. Schulte analysiert sehr umfassend zehn kleine und mittlere Unternehmen des produzierenden Gewerbes, welche ihre Standortentscheidungen revidierten und kommt zu interessanten Ergebnissen und Schlussfolgerungen.39 Das Besondere ist, dass durch diese Studie die Motivationen und Entscheidungsprozesse von Unternehmen, welche eine Riickverlagerung voUzogen haben, umfassend betrachtet werden.
Mangelnde Qualitdt wissensbasierter Rahmenhedingungen
Zunachst liefien sich vier Hauptmotive unterscheiden, welche die Unternehmen dazu veranlasst haben. Telle ihrer Produktion zu verlagern:
Hauptmotive der urspriinglichen Verlagerung
•
Kostenreduktion: Je lohn- oder arbeitsintensiver die Produktion, desto bedeutender ist das Kostenmotiv bei der Verlagerung.
•
Markterschliefiung: Je exportorientierter das Unternehmen agiert, desto grofier ist das Motiv der Erschliefiung neuer Markte
37 Vor allem bei kleineren Unternehmen bis 100 Mitarbeitern, waren die mangelnde Qualitat und das Fehlen qualifizierten Personals von grofierer Bedeutung fiir die Riickverlagerung als bei grofieren Unternehmen [FHG ISI2004, 33]. 38 Die Betrachtung der Herkunftslander aus denen riickverlagert wurde, wird durch westeuropaische Standorte dominiert. Asien und Osteuropa sind nachrangig einzustufen. Demnach ist kein Trend festzustellen, dass beispielsweise Verlagerungen in Niedriglohnlander verstarkt riickgangig gemacht werden. 39 Interessant ist auch die Erfahrung, die Schulte in ihrem Untersuchungsfeld antraf. Die Schwierigkeit war nach eigenen Angaben, „...dass einen Zugang zu diesen Unternehmen zu erhalten, aufgrund des Negativimages von Riickverlagerungen als „Scheitern" an Internationalisierung und Missmanagement, aufierst diffizil isf' [Schulte 2002, 124]. Diese Erkenntnis scheint auf einen der Griinde zu verweisen, warum es so wenig wissenschaftlich fundierte Beispiele hinsichtlich der Riickverlagerung von Unternehmen gibt.
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Thebkrdfte globaler Standortentscheidunsen
•
FoUow-the-Customer: Je grofier die Abhangigkeit vom Hauptkunden, desto groiSer ist Druck, diesem ins Ausland zu folgen.
•
Wissenserschliefiung: Je spezieller das Wissensfeld, in dem das Unternehmen agiert, desto grofier ist die Motivation am neuen Standort, wertvoUes Wissens zu erschliefien. [Schulte 2002,133 ff.]
Auch in dieser Befragung bestatigte sich eindeutig die Dominanz des Ziels der Kostenreduktion bei der Internationalisierungsentscheidung der Unternehmen. Schulte beschreibt dies mit einem „eindeutigen Tunnelblick der KMU auf die Kostenkomponenten'', wodurch oft ausschliefilich Arbeitskosten im In- und Ausland miteinander verglichen wurden, um entscheidungsrelevant zu werden [Schulte 2002, S.152]. Die von Schulte befragten Unternehmen verlagerten jedoch keine komplexen und wissensintensiven Telle oder Produkte. Hauptmotive zur Riickverlagerung
Fehlende systematische Grundlage fur Riickverlagerung
Worin bestanden schliefilich die Griinde fiir die Riickkehr nach Deutschland? Auch in diesem Fall war das Kostenmotiv dominant: •
Kostenreduktion der Auslandsproduktion
•
Verringerung der Koordinations- und Managementleistungen, um den ungehinderten Wissensabfluss zu verhindern
•
Konzentration auf bekannte und beherrschbare Absatzmarkte.
Retrospektiv zeigt sich ein Argument, das prosektiv bei Standortverlagerungen gar nicht im Blick war, namlich, dass die Standortentscheidung bei alien befragten Riickverlagerern nur wenig systematisch oder ganzheitlich getroffen wurde.40 Die Mehrheit der Unternehmen gab sogar an, die Standortentscheidung eher „aus dem Bauch'' gefiihrt zu haben [Schulte 2002]. Das wiirde die beiden Basisargumente - Kosten und Steuem - in ihrer redundanten Wiederholung der Griinde erklaren. Fine ganzheitliche Entscheidung beinhaltet unter anderem auch die Betrachtung des heimischen Potenzials sowie eine umfassende Analyse des wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Umfeldes im Ausland. Schulte kommt zu dem Ergebnis, dass die Riickverlagerung von Unternehmen insgesamt als „Scheitern an Internationalisierung" zu sehen ist (im Durchschnitt dauerte das Auslandengagement der befragten Unternehmen knapp vier Jahre). Erwahnenswert ist auch das Faktum, dass die untersuchten Unternehmen nach ihrer Riickkehr vor dem Hintergrund der erlebten Probleme im Ausland, die heimischen Standortfaktoren stark aufgewertet haben. Eine neue Wertschatzung erhielten vor allem das Produktivitatsniveau des deutschen Standortes, das Ausbildungs- und Qualifikationspotenzial der regionalen Arbeitskrafte sowie die Kooperations- und 40 Die Mehrheit der untersuchten Unternehmen gab an, dass sie den Zufall iiber Ziellander und Betriebsstatten entscheiden liefien. 86
Schlussfoiserunsen fur die Praxis
Vernetzungsmoglichkeiten in der heimischen Region. Ein Unternehmensvertreter formulierte die neue Wahrnehmung so: „Etwas, das immer selbstverstandlich und jederzeit verfiigbar war, wird oft nicht geniigend wertgeschatzt!" [Schulte 2002, 206]. Als Fazit lasst sich sagen, dass Riickverlagerungen demnach wahrscheinlich sind, wenn ...
Fazit fur die Praxis
ii Unternehmen die Verlagerungsentscheidung nicht systematisch und ganzheitlich getroffen haben, •
Unternehmen die erforderlichen Koordinationsleistungen einer internationalen Produktion nicht erbringen konnten (z. B. Kostenentwicklung, organisatorische Komplexitat, hoher Managementaufwand) und
•
wenn sich Unternehmen nicht mit dem neuen unternehmerischen Umfeld umfassend auseinandersetzen [Schulte 2002,113].
3.6
Schlussfolgerungen flir die Praxis
Die vorliegenden Darstellungen haben deutlich gezeigt, dass es keinesfalls einfach ist, eindeutige Aussagen zum Phanomen der Standort- bzw. Produktionsverlagerung zu machen oder spezifische Bewertungen vorzunehmen. Die Betrachtung der Ergebnisse verschiedener Studien und Erhebungen ermoglicht zwar eine Einschatzung der realen Verlagerungstatigkeiten oder des Volumens der Produktionsbereiche, wichtiger ist jedoch, dass sich aus der Betrachtung der unterschiedlichen Erhebungen ahnliche und damit vielleicht vergleichbare Trends ablesen lassen, die im Folgenden noch einmal in komprimierter Form aufgefiihrt werden. Unternehmen nutzen Standortverlagerungen als ein Instrumentarium, um sich den durch die Globalisierungsprozesse veranderten Rahmenbedingungen anzupassen. Griinde werden vor allem in einem gestiegenen internationalen Wettbewerbsdruck gesehen, der viele Unternehmen dazu bewegt, sich zu internationalisieren und Produktkapazitaten im Ausland aufzubauen. Vor dem Hintergrund der dargestellten Ergebnisse und Tendenzen, stellt die Standortverlagerung in Niedriglohnlander, als eine Form des Auslandsengagements, eine der haufigsten Strategien dar, um auf die sich wandelnden Bedingungen zu reagieren. Die Betrachtung verschiedener Studien hat ergeben, dass die Mehrheit der Unternehmen ihre Verlagerungsentscheidung fiir richtig befindet. Zunachst lasst sich jedoch konstatieren, dass es „die" Verlagerung nicht gibt, sondern eine hohe Differenziertheit infrage kommender Faktoren konstatiert werden muss.
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Instrumentarium des Globalisierungsprozesses
Tnebkrdfte s^obaler Standortentscheidun^en
Unterschiedliche Verlagerungsgriinde
Es ist deutlich geworden, dass die Verlagerung von Unternehmen unter Einbeziehung verschiedener Komponenten betrachtet werden miissen. Hinsichtlich dieser Komponenten lassen sich verschiedene Motivationen charakterisieren. So spielt die Grofie des Unternehmens, dessen Branche und die Art der Bereiche, welche ausgelagert werden soUen, sowie insgesamt die Wettbewerbsstrategie des Unternehmens eine dominante Rolle bei der Verlagerungsentscheidung. Die Gesamtbetrachtung zeigt, dass neben Grofiunternehmen, die traditionell starker auf auslandischen Markten vertreten sind, in zunehmendem Mafie kleine und mittelstandische Unternehmen Auslandsinvestitionen in Form von Produktionsverlagerungen und Neugriindungen vornehmen. Bemerkenswert ist, dass gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen, welche ja die uberwaltigende Mehrheit der deutschen Unternehmen reprasentieren, das Kostenmotiv bei der Verlagerung viel ausgepragter ist, als bei den Grofiunternehmen. Der Blick auf die Ziellander der Verlagerungstatigkeiten zeigt, dass Osteuropa, speziell die neuen EU- Beitrittslander (z. B. Polen, Tschechien, Ungarn), sowie China als Zielstandorte praferiert werden.
Unterschiede nach Branchen
Es kann festgestellt werden, dass nicht alle Unternehmensbranchen in gleichem Mafie von Verlagerungen betroffen sind. Das Verlagerungsrisiko hangt signifikant von der Branche und dem Produkt ab. Branchen, die massiv von Verlagerungen betroffen sind, sind z. B. die Bekleidungsindustrie, die Mobelindustrie und Unterhaltungselektronik. Branchen, in denen die Produktion nicht der entscheidende Kostenfaktor ist oder die sehr standortabhangig sind, sind dagegen nur gering von Verlagerungen betroffen. So ist beispielsweise in Deutschland die Automobilindustrie nicht unbedingt mit Maschinenbauunternehmen oder der chemischen Industrie zu vergleichen, welche einen geringeren Antrieb haben, Bereiche aus Deutschland zu verlagern. Die in der Ernst & Young Studie gestellte Frage, nach der zukiinftigen Perspektive der Kernkompetenzen im Automobilbau, hat fiir Deutschland und Westeuropa keinen positiven Ausblick ergeben. Die Mehrzahl der Unternehmen geht davon aus, dass die Teilefertigung, als auch die Endmontage in erheblichem Ausmafi verlagert werden und langfristig nicht mehr in Westeuropa stattfinden. Hochklassige Bereiche wie Marketing, Engineering und Design werden dagegen in Westeuropa in ihrer Bedeutung steigen. Westeuropa wurde jedoch von keinem der befragten Unternehmensvertreter als Standort der Zukunft genannt [Ernst & Young 2004]. Das steht entgegen zur Initiative der Gruppe von Lissabon, Europa zum wettbewerbfahigsten Standort der Welt zu entwickeln.
Kosten als wichtigster Verlagerungsgrund
Mit Blick auf die Hauptmotive zur Verlagerung kann klar herausgestellt werden, dass insgesamt die Kostenkriterien einen zentralen Stellenwert bei der Bewertung des heimischen Standortes besitzen und der dominante Faktor fiir eine Verlagerungsentscheidung sind. Da die Lohnkosten einen Teil
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Schlussfolgerunsen fur die Praxis
der Produktionskosten darstellen, wird also auch aufgrund der Personalkostensenkung ins Ausland verlagert, was die Vermutung aufkommen lasst, dass die Mehrheit der Unternehmen, Mitarbeiter in erster Linie unter Kostengesichtspunkten und weniger als den spezifischen Wertschopfungsfaktor der Unternehmung betrachten. Unter Aspekten von wissensintensiven Tatigkeiten zeigt sich bei den Forschungs- und Entwicklungstatigkeiten, dass gegenwartig Deutschland und Westeuropa von den Unternehmen aufgrund der hohen Qualitat der Produkte, dem Qualifikationsniveau der Fachkrafte und der Infrastruktur, als Standort immer noch sehr geschatzt werden. Oft sehen Unternehmen diese Faktoren, die zunachst bei Entscheidungen der Standortverlagerung keine Rolle spielten, aber auch erst nach ihrer Riickkehr, wie empirische Erhebungen zeigen. Es sollte aber zu denken geben, dass in einigen Studien deutlich wurde, dass ein grofier Anteil der Unternehmen durchaus bereit ist, zukiinftig Bereiche der Forschung und Entwicklung in kostenglinstigere Lander zu verlagem, also prospektiv mit Fragen der Standortverlagerung beschaftigt sind, jedoch ohne konkrete Zielprojektionen. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Unternehmen bereit, nicht mehr ausschliefilich arbeitsintensive Bereiche mit eher gering qualifizierten Tatigkeiten, sondern bereits wissensintensive Bereiche, einer genauen Priifung zu unterziehen. Die Verlagerung wissensintensiver Unternehmensbereiche wie Forschung und Entwicklung Oder Verwaltung, ist selbstverstandlich daran gekoppelt, inwieweit es Unternehmen gelingt, in Niedriglohnlandern das dazu notige hoch- qualifizierte Personal zu finden und zu rekrutieren sowie auch die notigen Rahmenbedingungen zur Entfaltung des intellektuellen Potenzials zu schaffen. Die Vielzahl sehr gut ausgebildeter Ingenieure in Osteuropa und China sowie IT- Spezialisten in Indien, weist jedoch darauf hin, dass dieses Potenzial zu einem gewissen Teil in den so genannten Niedriglohnlandern bereits vorhanden ist und sich der Standort Deutschland vielleicht schon sehr bald in einer Phase befinden wird, in der es verstarkt zu Verlagerungen hochqualifizierter Arbeit kommen wird. In seiner Studie zu den nationalen Wettbewerbsvorteilen betonte Porter (1991) die grofie Relevanz von Wissen und Know-how flir den deutschen Standort. Er stellte fest, dass deutsche Arbeiter auf „Spezialgebieten nicht nur besser ausgebildet sind als ihre Kollegen in den meisten anderen Landern, sondern auch eine bessere theoretische Grundlage besitzen, auf der sie sich weiterbilden konnen" [Porter 1991, 392, in: Pawlowsky 1995, 437]. Die Frage, die an diesem Punkt gestellt werden kann, konnte lauten: Gelingt es Deutschland auch in Zukunft, die Starken in Bildung und Qualifikation seiner Fachkrafte gegeniiber den globalen Konkurrenten zu behaupten? Es kann folglich festgehalten werden, dass gegenwartig die Wahrscheinlichkeit einer Verlagerung steigt. 89
Bewertung des Wissenspotenzials neuer Standortfaktor
Triebkrdfte slobaler Standortentscheidungen
Abhildung3-ll
•
je grofier das Unternehmen ist,
•
je geringer die Wertschopfung der Produktions- und Arbeitsprozesse ist,
•
bei einer eher mittleren Produktkomplexitat,
•
bei standardisierbaren und lohnintensiven Produkten.
Kriterien zur Verlagerung [BCG 2004a, 27]
Seben Schlusselkriterien konnen Unternehmen helfen zu entscheiden, welche Rodukte in Niedrigkostenlander (NKL) verlagert und welche am heimischen Standort verbleiben sollten.
Verbesserung der Wettbewerbsfahigkeit durch Erstellung am heimischen Standort
Verlagerung in NKL niedrig
niedrig
niedrig
Arbeitsintensitat
Wachstum der Nachfrage in der Heimat
GroBeder NKLMarkte
niedrig Bitwicklungsgrad der Zuliefer industrie in den NKL
niedrig
hoch
hoch
Grad der Standardislerung
Wissensintensitat
logistische Anforderungen
hoch
hoch
hoch
hoch
niedrig
niedrig
Umkehr der Wie am Phanomen der Riickverlagerung deutlich wurde, werden in Zeiten Verlagerungs- der Globalisierung, Standortentscheidungen nicht mehr ausschliefilich fiir entscheidungen ein Zeitfenster von Jahrzehnten getroffen; die Standortverlagerung wird von vielen Unternehmen durchaus nicht als unumkehrbare Entscheidung gesehen. Wie gering teilweise die Lebensdauer bestimmter Standorte geworden ist, zeigt sich am Beispiel des Automobilzulieferers Leoni. 1994 verlagerte Leoni Teile seiner Produktion nach Ungarn, aufgrund des steigenden Kostendrucks ist mittlerweile die Produktion im Niedriglohnland Ungarn zu
90
Schlussfolserungen fur die Praxis
teuer, so dass mittlerweile ein Grofiteil der Produktion aus Ungarn in Kosten gtinstigere Standorte wie Rumanien und die Ukraine weiterverlagert wurde [Stelzer 2005, 24]. Auch im Spiegel wurde thematisiert, dass ehemalige Billigstandorte wie Polen und Ungarn, fur viele Untemehmen bereits zu teuer geworden sind: „Die Kara wane der Globalisierung zieht immer weiter gen Osten" [Spiegel 20/2005,122]. Wie bereits angemerkt, stellt sich das aussagefahige Material zu Riickverlagerungsprozessen aufierst diirftig dar. Wesentliche Erkenntnisse zur Standortbewertung und der Vernachlassigung des heimischen Potenzials lassen sich vor allem aus den empirischen Untersuchungen der Fraunhofer Gesellschaft Jnnovationen in der Produktion 2003" [ISI 2004] und der Studie „Das Phdnomen der RUckverlagerung" von Schulte (2002) Ziehen. Obwohl der Anteil an Riickverlagerungen im Verhaltnis zu den Verlagerungen relativ schwach ausgebildet ist, bzw. die Angaben variieren in den Kernbranchen des verarbeitenden Gewerbes zwischen 4 bis 5 Prozent im Zeitraum 2001-2003 [Kinkel et. al 2004], ist die Dunkelziffer wahrscheinlich hoher, da viele Unternehmen „sehr defensiv" [Schulte 2002, 234] mit dieser Entscheidung umgehen und eine Riickverlagerung aus Imagegriinden verschweigen. Volkswirtschaftlich ware es von grofiem Nutzen, wenn vor allem die Griinde, die zur Riickverlagerung gefiihrt haben, dffentlich diskutiert wiirden. Des Weiteren ist festzuhalten, dass die Standortverlagerung ins Ausland, demnach bei weitem nicht immer erfolgreich verlauft, geschweige denn ein Garant flir einen langfristigen Erfolg ist. Die Kernerkenntnis, die sich hinsichtlich der Thematik Riickverlagerung ergibt, scheint dahingehend zu verlaufen, dass je ungenauer die Standortentscheidung vor dem Hintergrund der damit verbundenen Wettbewerbsund Internationalisierungsstrategie, systematisch und ganzheitlich betrachtet wird, desto hoher ist die Wahrscheinlichkeit einer Riickverlagerung. Diese Aussage lasst sich nachvollziehbar so begriinden, dass, wenn bestimmte Anforderungen und Bedingungen des neuen Standortes nicht ausreichend analysiert und mit dem Zustand des Heimatstandortes verglichen werden, das Risiko steigt, dass die Verlagerung nicht die gewiinschten Effekte fiir den Geschaftserfolg erbringen. Schmierl erkennt in den beobachtbaren Riickverlagerungen einen Hinweis auf einen Phasenwechsel in den Internationalisierungsstrategien von Unternehmen. Diese Phase kann als reflexive Internationalisierung bezeichnet werden und zeichnet sich dadurch aus, dass viele Unternehmen bekannt gewordene und selbst gemachte Internationalisierungserfahrungen auf eine Art und Weise antizipieren, dass „Verlagerungsentscheidungen grundsatzlich in ihrer Notwendigkeit hinterfragt werden'' [Schmierl 2000,159].
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Thebkrafte globaler Standortentscheidunsen
Notwendigkeit einer wissenshasierten Analyse
Es besteht demnach insgesamt durchaus die Notwendigkeit einer genaueren Analyse der Standortentscheidung. Mit der langfristig wohl nicht ausbleibenden Tendenz, dass nach den eher gering qualifizierten Tatigkeiten der Massenfertigung, zukiinftig auch wissensintensive Bereiche zur Disposition stehen, wird es fiir Unternehmen immer interessanter, die Entstehung ihrer jeweiligen Wertschopfungsprozesse zu erfassen und zu bewerten und eventuell mit anderen Standortfaktoren zu vergleichen.
92
Die Ausfiihrungen hinsichtlich des okonomischen und gesellschaftlichen Strukturwandels auf dem Weg zu einer Wissensgesellschaft sowie den Auswirkungen der okonomischen Globalisierung haben gezeigt, dass die Intelligenz, mit der Produkte und Dienstleistungen erstellt und entwickelt werden, der kritische Erfolgsfaktor der Zukunft sein wird. Der Grund fiir diese Bedeutungsverschiebung liegt vor allem in der Art und Weise heutiger Wertgenerierung: Um mit konventioneller Produktionsarbeit einen Wert zu schaffen, ist Kapital die Voraussetzung; um mit intellektueller Arbeit Wert zu schaffen, ist dagegen Wissen notwendig [Pulic 1996, 147]. Die Intelligenz der Mitarbeiter als Basis okonomischer Wertschopfung ist also „entmaterialisiert''. Sie ist an die Mitarbeiter eines Unternehmens gebunden, in ihnen sozusagen inharent. Der Mensch mit seinen Fahigkeiten und Erfahrungen ist der Ausloser fiir Wertschopfung, er ist also die wertvoUe Komponente, die ein Unternehmen im Konkurrenzkampf einbringen kann. Wenn noch in Zeiten der industriellen Produktion Wettbewerbsvorteile durch den Zugang eines Unternehmens zu materiellen Produktionsfaktoren erreicht wurden, so sind diese Vorteile in Zeiten vernetzter, weltweiter Produktionen mit marginalen Transport- und Kommunikationskosten der ubiquitaren Verfiigbarkeit materieller Produktionsfaktoren gewichen. Der einzig zu erlangende unikale Vorteil eines Unternehmens gegeniiber der Konkurrenz besteht ausschliefilich im Zugang und der Nutzung von Wissens- und Kompetenzbestanden den Mitarbeitern.
Bedeutungsverschiebung der Produktionsfaktoren
Es ist offensichtlich, dass die Betrachtung des Unternehmens aus der Wissensperspektive eine neue Form von Unternehmensfiihrung erfordert, die sich von traditionellen Managementphilosophien klar unterscheidet. Angesichts der zentralen Stellung des Menschen im Unternehmen ist es ferner notig, dass es auch unter wirtschaftsethischen Griinden zu einer Veranderung des Menschenbildes kommen muss, welches in Zeiten der Industriegesellschaft durch den Taylorismus und Fordismus oder durch spatere Managementphilosophien wie dem Lean Management, nachhaltig gepragt wurde und die den Mitarbeiter als Auszufiihrenden, Rationalisierungs- und Kostenfaktor betrachtet.
Neue Sichtweisen und Managementformen
Man muss jedoch konstatieren, dass in den vergangenen Jahren das Interesse an der Rolle und Funktion der Mitarbeiter, hinsichtlich ihrer Bedeutung fiir den Erfolg einer Okonomie beziehungsweise eines Unternehmens, deutlich gestiegen ist. Treffend hat dies beispielsweise das „4. Ethikforum der
Okonomische Bedeutung des Faktors Mitarbeiter
93
Der Faktor Wissen im Fokus
Regio Bodensee" beschrieben. Dort beschaftigte man sich unter anderem mit dem Thema „ Human Capital und Werte - Die Renaissance des menschlichen Faktors". Diese Formulierung weist darauf hin, dass die in einigen Fuhrungskreisen immer noch bestehende Annahme des „Scientific Management'' ( ^ Mitarbeiter seien ersetzbar und beliebig austauschbar), zunehmend durch die Erkenntnis revidiert wird, dass Mitarbeiter im wahrsten Sinne wertvoU sind [Wucknitz 2002, S.2]. Verbreitung in Wissenschaft und Praxis
Einen Beitrag zur allgemeinen Verstandnisbildung und Aufklarung im Umgang mit dem Faktor Wissen konnte in den letzten Jahren speziell der Forschungsbereich der Organisationsforschung leisten, da zahlreiche Modelle und Erklarungsansatze fiir den prozessualen und instrumentalen Umgang mit Wissen entwickelt wurden. Aber auch die Untemehmenspraxis profitierte zunehmend von der Adaption der empirischen Erkenntnisse, indem zunehmend Instrumente und Werkzeuge fiir den Praktiker entwickelt wurden, mit denen das Benennen und die Steuerung des Wissensbestandes ermoglicht wird. Das Wissensmanagement als eigenstandige, interdisziplinar ausgerichtete Managementdisziplin halt damit Einzug in Fiihrungsetagen. Das bezieht sich selbstverstandlich vorwiegend auf grofie Unternehmen und in geringerem Mafie auf kleine und mittlere Unternehmen. Jedoch geht mit der stetigen Verbreitung von Steuerungsmechanismen von Wissen auch eine standig steigende Unsicherheit einher, was iiberhaupt unter Wissen zu verstehen ist, geschweige derm, ob es iiberhaupt moglich ist, Wissen zu messen und zu bewerten. Der transdisziplinare Diskurs wird zunehmend differenziert und es wird deutlich, dass Theorie und Praxis bereits vielfaltige Griinde und Argumente geliefert haben, sich mit dem essentiellen Faktor Wissen und den durch Wissensprozesse ausgelosten Wirkungen auseinanderzusetzen. In den folgenden Ausfiihrungen dieses Kapitels mochten wir die Bedeutung des Faktors Wissen und des Mitarbeiter s als Wissenstragers und somit als „wertvollen" Teil des Unternehmens hervorheben sowie eine inhaltliche Annaherung an das schwierige Phanomen Wissen vornehmen. Ein fundiertes Verstandnis des Phanomens Wissen ist die notwendige Basis, um Standortverlagerungen im Kontext wissensbezogener Wirkungsweisen und Prozesse verstehen zu konnen.
94
Das Wissensunternehmen
4.1
Das Wissensunternehmen
Das Bild, welches seit der Industriegesellschaft iiber Organisationen^i vorherrscht, bezieht sich vor allem auf dingliche, reale Werte wie Maschinen, Gebaude, Techniken, Rohstoffe und Menschen, sowie deren optimalen Einsatz im Produktionsprozess. War in dieser Interpretation ein Unternehmen lediglich auf die Erschaffung, also die Produktion von materiellen Waren und Giitem, reduziert, so gilt das Unternehmen nach heutiger Auffassung als integrale und zentrale Wirtschaftsorganisation innerhalb der Wissensgesellschaft mit dem Ziel, Wissen zu entwickeln und dieses produktiv einzusetzen. Heidenreich geht sogar soweit, dass er die gesamte Wissensgesellschaft auf eine Gesellschaft lernender Wirtschaftsorganisationen reduziert was durchaus zur Diskussion zu stellen ware, da eine Gesellschaftsform nicht ausschliefilich auf das Agieren okonomischer Akteure zu beschranken ist [Heidenreich 2003,109]. Das skizziert, welche Stellung die Schaffung und die Nutzung von Wissen im okonomischen Kontext mittlerweile eingenommen hat.
Von der Industrie- zur Wissensgesellschaft
In der Literatur wird die neue Art Unternehmen zumeist als Wissensunternehmen bezeichnet. Nach North zeichnet sich ein Wissensunternehmen durch die Fahigkeit aus „Wissen marktorientiert aufzubauen, abzusichem und optimal zur Generierung von Geschaftserfolgen zu nutzen'' [North 1999, 25]. Belegt wird die tatsachliche Existenz von Wissensunternehmen oftmals anhand von Beispielen aus der Software-, Beratungs- oder Werbebranche (u. a. Sveiby 1998), die sich ausschliefilich auf die Produktion rein immaterielle Vermogenswerte konzentrierte. Dabei konnte der Eindruck entstehen, dass allein der Dienstleistungsbereich reelle Wissensunternehmen hervorbringt. Die Realitat sieht jedoch vielschichtiger aus: Mittlerweile nimmt die Wissensintensivierung von Produkten und Prozessen in fast alien Unternehmensbranchen, einschliejSlich dem produzierenden Gewerbe, standig zu. Kaum ein Unternehmen bleibt in der heutigen Zeit auf Dauer marktfahig, ohne dass die Nutzung und Erzeugung hoch spezialisierten und aktuellen Wissens im Vordergrund steht [BMWA 2004, S.44].
Das Wissensunternehmen
41 Der Begriff Organisation soil als Oberbegriff verstanden werden unter dem auch ein Unternehmen bzw. eine Wirtschaftsorganisation subsumiert wird. Nach Argyris/Schon gibt es drei wesentliche konstitutive Merkmale, die jeder Organisation zugrunde liegen miissen, damit sie iiberhaupt als solche bezeichnet werden kann. Diese Merkmale sind: a) die Individuen als Organisationsmitglieder, folgen bestimmten sozialen Regeln, b) die Regeln haben einen politischen Charakter und machen die Organisation zu einer politischen Einheit, c) die Regeln haben auch einen instrumentalistischen Charakter (eine Verbindung von Arbeitsteilung und Hierarchie) damit Aufgaben und Probleme der Organisation bearbeitet und gelost werden konnen [Argyris/Schon 1978, in: Geifiler 1994, 78]. 95
Der Faktor Wissen im Fokus
Charakteristika des WissenS' untemehmens
I Das Wissensunternehmen - auch als wissensintensive Organisation oder wissensbasiertes System bezeichnet - kann somit von klassischen industriell \ gepragten Organisationen klar abgegrenzt werden. Giildenberg charakterisiert wissensbasierte Systeme dahingehend, als dass sie B durch arbeitsteilig produzierende Organisationen realisiert werden konnen. Die Organisation als wissensbasiertes System wird durch das individuelle Wissen der Mitarbeiter, das kollektive Wissen einzelner Arbeitsgruppen und das organisationale Wissen in ihrer Produktivitat entscheidend beeinflusst. B in der Lage sind, eine bestimmte Art von qualitativ hochwertigen Informationen bereitzustellen, die es ihnen ermoglichen, eine system-interne Intelligenz aufzubauen und •
das Wissen ihrer Subsysteme integrieren, um damit eine effektive Informationsverarbeitung zu sichem und schlussendlich die Wissensproduktivitat des gesamten wissensbasierten Systems zu erhohen [Giildenberg 1997,173].
Wissen als Inputund OutputFaktor
Unternehmen als wissensbasierte Organisationsform, lassen sich als Systeme verstehen, in denen Wissen „produziert, akquiriert, getestet und angewendet sowie transformiert und transferiert wird'' [Haun 2002, 109]. Unternehmen als Wissensproduzenten nutzen den Doppelcharakter der Ressource Wissen. So kann Wissen selbst Gegenstand betrieblicher Leistungserstellung sein und gleichzeitig auch die Voraussetzung dafiir sein, Informationen und Wissen zu verarbeiten [Pawlowsky 1995]. Dies verdeutlicht noch einmal den wissensbasierten Input-Output-Charakter, der dem Wissensunternehmen im Gegensatz zu Industrieunternehmen zugesprochen werden kann. Auszuschliefien ist dabei jedoch nicht, dass materielle Produkte der Output eines Wissensunternehmens sind. Vielmehr wird innerhalb betrieblicher Leistungsprozesse der inharente Anteil des Wissens in den Produkten an sich erhoht. Betrachtet man z. B. die Wertschopfungskette eines Maschinenbauunternehmens, so stellen der eigentliche Bau und die Montage der Anlage nur noch einen kleinen Teil in der Wertschopfungskette dar. Der weitaus grofiere Anteil wird durch die Erbringung von wissensintensiven Dienstleistungen - von der Beratung, iiber die Finanzierung der Anlage, der Rekrutierung und Schulung von Mitabeitern bis hin zur Vermarktungsstrategie der Endprodukte - erwirtschaftet.
Wissenshezogene Prinzipien
I Die Zuschreibung einer zentralen RoUe des Wissens fiir die Unternehmen, | zieht folglich die Auffassung nach sich, dass Wertschopfungsprozesse weniger auf physische Grofien - z. B. in Form von Maschinen, Rohstoffen und einfacher menschlicher Handarbeit beruhen - sondern auf wissensbezogenen Prinzipien basieren, wie:
96
Das Wissensunternehmen
•
die Ideengenerierung und -fokussierung,
•
die Erbringung von Kreativitatsleistungen,
•
der Anreicherung von Image und Marke,
M der Problemlosungsfahigkeit der Mitarbeiter, •
dem Erkennen von Kundenbediirfnissen,
n
der Geschwindigkeit der Forschungs- und Entwicklungsprozesse und
M einer kontinuierlichen Lernfahigkeit. Diese Prinzipien stellen mittlerweile die entscheidenden Erfolgsfaktoren eines Unternehmens dar [Haun 2002]. Die Diskussion hinsichtlich des Produktionsfaktors Wissen und seiner Gebundenheit an die Mitarbeiter und inneren Strukturen des Unternehmens, setzt das Grundverstandnis voraus, ein Unternehmen als Wissensorganisation bzw. als ein wissensbasiertes System aufzufassen. Eine Organisation stellt demnach die Summe der geistigen Prozesse ihrer Organisationsmitglieder dar [Schiippel 1995, 190]. Geht man von der Argumentation aus, dass das individuelle Wissen der Mitglieder einer Organisation und das durch Interaktion miteinander entstehende kollektive Wissen, ein immer wichtigerer Faktor fiir einen langfristigen Erfolg eines Unternehmens ist, ist auch verstarkt dariiber nachzudenken, wodurch sich eine solche wissensbasierte Organisation auszeichnet.
Lemendes Unternehmen als Summe geistiger Prozesse
Willke geht von einem lernorientierten Standpunkt aus, demnach entsteht eine organisational Wissensbasis „wenn ein Unternehmen als System lernf' [Wilke 2001, 41].42 Es lasst sich zusammenfassend festhalten, dass das Unternehmen mit seinen organisationalen Strukturen den elementaren Rahmen darstellt, damit Wissen iiberhaupt wertschopfend genutzt werden kann.
Die lemende Organisation
42 Diese populate Vorstellungsweise bezieht sich auf das Managementmodell der lernenden Organisation, welche davon ausgeht, dass ein Wissensbasiertes System durch individuelle, kollektive und organisationale Lernprozesse generiert wird. Von lernenden Unternehmen zu sprechen ist nur dann von einer tieferen Bedeutung, wenn es sich um selbstorganisierte Entwicklungsprozesse des Unternehmens handelt. 97
Der Faktor Wissen im Fokus
4.2
Der Wissensbegriff
Nachdem auf die veranderte Auffassung des Unternehmens als okonomische Leistungseinheit eingegangen wurde, soil der Faktor Wissen in den Fokus gestellt werden. Wissensbegriff in der Diskussion
Fine Analyse des aktuellen Diskussions- und Forschungsstandes zum Thema „Wissen'' zeigt, dass das Thema zum einen ein breit angelegtes, transdisziplinares Feld ist, das folglich ein eher verschwommenes Bild hinsichtlich dessen liefert, was unter Wissen verstanden werden kann. Der Bedeutung des Wissens als eine zentrale Grofie wird zwar in verschiedenen Disziplinen Rechnung getragen. Die hat jedoch bisher nicht zu einer allgemeingiiltigen Bestimmung, geschweige zu einer einheitlichen Definition gefiihrt. Der Sprachgebrauch des Wortes Wissen wird auf vielfaltige Weise voUzogen und ist gekennzeichnet durch die jeweiligen Sachverhalte und Funktionsbestimmungen. Um nicht in ein Bedeutungs- und Begriffs-Wirrwarr zu geraten, welche der vielen Definitionen, denn nun die einzig wahre sei, muss gesagt werden, dass die Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Wissen historischer und disziplinarer Verstandigungstraditionen entspringt. Es ist demnach zu konstatieren, dass der Begriff Wissen, was auch immer damit verbunden wird, sich durch seine Vielschichtigkeit charakterisiert. Eine Definition erfolgt deshalb nicht, da dies in anderen Publikationen ausreichend dargelegt wurde und nicht Schwerpunkt dieses Buches ist.^^
Differenzierung der Funktionszveisen des Wissens
Eine zentrale Leitunterscheidung lasst sich zwischen „expliziten'' und „impliziten" Wissen als auch zwischen „individuellen'' und „kollektiven" Wissen vornehmen. Innerhalb dieser dichotomischen Gegeniiberstellung der Wissensarbeiten geht es bei alien Wissensarten um die Dimension der Verfiigbarkeit von Wissen, also der Form, Zeit und Ort des Wissens [North 1999, 48].
Implizites Wissen
•
Der Begriff des impliziten Wissens lasst sich auf den von Polanyi (1966) gepragten Ursprungsbegriff „tacit knowledge'' zuriickfiihren, das das schwer formalisierbare und kommunizierbare bzw. teilbare Wissen bezeichnet, das in den Kopfen einzelner Personen gespeichert ist (auch unter dem Begriff „embodied knowledge" bekannt). Unter der Perspektive des impliziten Wissens steht das Individuum als Wissenstrager im Mittelpunkt. Subjektivitat, Erfahrungen und Intuition sind dabei tief in der individuellen Personlichkeit gespeichert. Implizites Wissen wird unter anderem durch die Sozialisation des Menschen seit dem Kindesalter aufgebaut. Eine Besonderheit impliziten Wissens besteht hinsichtlich des
43 Eine ausfiihrliche Darstellung verschiedener Denkrichtungen hinsichtlich des Wissensbegriffs, findet sich beispielsweise bei Neumann (2000) sowie Nonaka/Takeuchi (1997). 98
Der Wissensbegriff
Erwerbs und der Ubertragung, dass dieses und insbesondere die Wertebene „nur iiber emotional dissonante, Erfahrungsbegrundete Verfahren von Individuen interiorisiert, von koUektiven Subjekten erhandelt werden kann" [Erpenbeck 2004, 70]. •
Explizites Wissen lasst sich dagegen als beschreibbares, kodifiziertes, fixiertes Wissen auffassen, welches unter anderem in Systemen, Strukturen, Dokumentationen und Datenbanken gespeichert ist und dementsprechend mit Mitteln der Informations- und Kommunikationstechnologie aufgenommen, iibertragen und gespeichert werden kann. Explizites Sach- und Methodenwissen lasst sich mittels Informationsweitergabe individuell aneignen und auch an andere Subjekte auch als fixiertes Wissen weitergeben.
Explizites Wissen
Eine weitere Unterscheidung von Wissensformen, ist zwischen individuellem und koUektivem Wissen moglich. Die anhaltende wissenschaftliche Diskussion hinsichtlich der Wissensbasierung von Organisationen setzt eine Sichtweise von Organisationen als soziale Einheiten voraus. Diese Perspektive griindet auf der Annahme, dass neben Individuen auch soziale Systeme Wissen in verschiedenen Formen und Ebenen erzeugen, speichern und entwickeln konnen. Uber die so genannte organisationale Wissensbasis ist eine Differenzierung zwischen individuellem und kollektivem Wissen moglich. Bezogen auf das Verstandnis, dass es sich bei Unternehmen um wissensbasierte Systeme handelt, lasst sich sagen, dass die Potenziale der einzelnen Individuen, die dem Unternehmen zuganglich und von Nutzen sind, in Kooperation und Kommunikation der Individuen miteinander, zu kollektivem Wissen werden, was schlieJSlich die organisationale Wissensbasis darstellt. Schiippel nahert sich der Unterschiedung zwischen individuellem und kollektivem Wissen wie folgt: [Schiippel 1996, 63] •
Individuelles Wissen ist eine „in Oberflachen- und Tiefenwissen" unterscheidbare „Kategorie menschlicher Kognition'', die „mit alien anderen Bereichen der Psyche'' vernetzt ist, es ist „Basis des individuellen Handlungs vermogens" und neues Wissen ist an alten Bestand riickgebunden.
Individuelles Wissen
•
Kollektives Wissen ist eine „ in Oberflachen- und Tiefenwissen" zu unterscheidende und in mehreren „Wissensformen" auftretende „verdichtete Reprasentation der Realitat", die in „kollektiven Speicher- und Transformationsmedien" institutionalisiert und Basis des kollektiven Handlungsvermdgens ist.
Kollektives Wissen
Individuelles Wissen bzw. die individuelle Wissensbasis ist also streng genommen kognitiv an das einzelne Individuum gekniipft und muss nicht kollektiv oder organisational gespeichert oder zusammengefasst sein. Auch
99
Der Faktor Wissen im Fokus
das implizite, also das unsichtbare nicht verbalisierte Wissen, ist aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften innerhalb des Individuums lokalisiert. Differenzierung der semantischen Grundlagen des Wissens
Ein weiterer wichtiger Schritt bei der differenzierten Annaherung an den Wissensbegriff kann iiber die Klarung der Termini Daten, Informationen und Wissen erfolgen. Oftmals werden diese Begriffe nur unscharf voneinander abgegrenzt und deshalb synonym verwendet, jedoch unterscheidet sich deren Semantik deutlich voneinander.
Von der Information zum Ylissen
Erst durch die Anreicherung einer Information mit einem bestimmten Bedeutungskontext kann Wissen aufgebaut werden. Somit wird ein Unternehmen im betrieblichen Ablauf mit einer einfachen Information ohne deren Interpretation und Verwendung in einem konkreten Handlungsrahmen keinen Wert aus dieser Information generieren konnen. Erst wenn Informationen - durch die Interpretation durch Personen - zu Wissen veredelt werden, entsteht das Potenzial zum Handeln [Kluge, et al. 2003,13]. Eine Pressemittelung eines Unternehmens, die die Ubernahme des grofiten Konkurrenten bekannt gibt, ist als reine Information wertlos, solange diese nicht in einem bestimmten Kontext mit anderen Informationen verkniipft wird. Wird diese Information z. B. von einer Analystin eines Wertpapierfonds dahingehend interpretiert, dass das Unternehmen aufgrund der Ubernahme im nachsten Quartal in die Verlustzone geraten wird und der schnelle Verkauf der Unternehmensanteile vorteilhaft ware, wiirde aus einer Information wichtiges Wissen gewonnen. Um mit Luhmann zu sprechen, kann Wissen folglich als Grammatik angesehen werden, mit der es Systemen (z. B. Menschen, Unternehmen) gelingt, Daten, Informationen auszuwerten und/oder neu zu kombinieren [Luhmann 1997, 124, in: Fuchs/Renzl 2004, 528].
Vom Wissen zur Kompetenz
Der Begriff Wissen grenzt sich zudem grundlegend vom Kompetenzbegriff ab. Kompetenzen konkretisieren sich immer erst im Moment der praktischen Wissensanwendung in einem konkreten Handlungsbezug und werden am erzielten Ergebnis der Handlungen messbar. Somit kann anhand der Fahigkeit, Wissen zweckorientiert in Handlungen umzusetzen, der Novize vom Experten unterschieden werden. Im Unternehmenskontext bedeutet das, dass so genannte Kernkompetenzen einer Organisation die Fahigkeit eines Unternehmens darstellen, Anderungen in der Umwelt eines Unternehmens schneller zu adaptieren, als dies die Konkurrenz kann. In dieser Sichtweise reprasentieren Kernkompetenzen die Grundlage der Wettbewerbsfahigkeit eines Unternehmens. Um die Handlungsfahigkeit eines Unternehmens zu verbessern, wird in vielen Unternehmen verstarkt ein Kompetenzmanagement als eigenstandige Managementdisziplin eingefiihrt. North und Reinhardt beschreiben Kompetenz als eine Relation zwischen den an eine Person oder Gruppe herangetragenen oder selbst gestalteten Anforderungen und ihren Fahigkeiten bzw. Potenzialen, diesen Anforderungen gerecht zu wer100
Wertschopfungsfaktor Wissen
den [Reinhardt/North 2003]. Kompetenzen kann man also als personliche Voraussetzungen und Selbstorganisationspotenziale verstehen, die das Individuum auf der Basis von Wissen und Fahigkeiten, in Interaktion mit seiner Umwelt erlernt und die dann als Tatigkeit zum Ausdruck kommen.
4.3 Wertschdpfungsfaktor Wissen Neben der Differenzierung des Wissensbegriffes in funktionale als auch semantische Notationen gilt es, den sachlichen Stellenwert des Wissensbegriffes im Zusammenhang mit der RoUe als Wertschopfungsfaktor zu klaren. Es ist inzwischen unbestritten, dass dem Produktions- und Wertschopfungsfaktor „Wissen'' ein entscheidender und strategischer Wettbewerbsvorteil zugesprochen werden kann. Mittlerweile kann man von einem globalen Wettbewerb um die KontroUe, Anwendung und Entwicklung von Wissen sprechen. Es geht darum, wer die kliigsten Kopfe, die besten Ideen und Modelle an sich binden und moglichst schnell diese Erkenntnisse in Geschaftsprozesse implementieren kann. Unter einer wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive wird Wissen allgemein als Produktionsfaktor aufgefasst und in vielen Veroffentlichungen als vierter Produktionsfaktor neben den Produktionsfaktoren Boden, Arbeit und Kapital gestellt (vgl. Kapitel 3). Fiir das Unternehmen bedeutet dies, dass Wissen die klassischen Faktoren Arbeit und Kapital nicht mehr nur dispositiv erganzt, sondern eine eigenstandige Bedeutung zukommt [Schlippel 1996].
\\fissen als strategischer Wetthewerhsvorteil
Wissen unterscheidet sich gegeniiber materiellen Produktionsfaktoren in wesentlichen Dingen. Die Besonderheit, die dem Faktor Wissen zugeschrieben werden kann, liegt darin, dass er im Gegensatz zu anderen Ressourcen veralten kann, dass also heutige Erkenntnisse in der sich schneller und komplexer verandernden Welt einer geringen Halbwertzeit unterliegen. Selbstverstandlich spielte Wissen schon immer als Wettbewerbsfaktor fiir Unternehmen eine grofie Rolle, neu ist jedoch die zunehmende Rolle als primarer Fiauptbestandteil von Giitern und Dienstleistungen und der damit verbundenen Notwendigkeit fiir Unternehmen, sich mit dem Umgang mit Wissen auseinanderzusetzen. Unter der Verwendung des aus der betriebswirtschaftlichen Denkrichtung kommenden Ressourcenbegriffs, lassen sich nach Pulic (1993) zwischen den traditionellen Produktionsfaktoren und der Ressource „Wissen'' spezifische Unterschiede erkennen:
Wissen aus Ressourcensicht
•
Wissen ist eine unerschopfliche Ressource;
•
der Verbrauch von Wissen vemichtet nicht ihre Inhalte;
101
Der Faktor Wissen im Fokus
B Wissen vertragt gleichzeitig viele Konsumenten; •
der Wissenswert verandert sich durch Anwendung nicht;
•
der Einsatzwert von Wissen vergrofiert sich durch seine Anwendung;
•
durch Wissensnutzung wird wenig Energie verbraucht;
•
die Anwendung von Wissen schadet der Umwelt nicht;
S
die Fahigkeit des Menschen stellt die einzige Einschrankung von Wissensanwendung dar" [Pulic 1993, 96 ff. in: Reinhardt 1998,148].44
Die Sichtweise des Wissens als relevanter Produktions- und Wertschopfungsfaktor liefert noch einmal deutliche Argumente fiir die gestiegene Bedeutung des Wissens innerhalb betrieblicher Ablaufe, jedoch fehlt der Bezug zur Abbildung und Erfassung des Wissens als explizites Element betrieblichen Handelns. Gerade im Sinne einer Standortentscheidung miissen jedoch Wege gefunden werden, die den Wissensbegriff von einer eher abstrakt gepragten Ebene auf eine operationalisierbare Ebene transportieren. Operationalisierung des Wissenshegriffes
Das fehlende Bindeglied liefert die in den letzten Jahren popular gewordene Betrachtung des Wissenshegriffes aus einer traditionell „finanziellen'' Perspektive durch Verwendung des Begriffes Jntellektuelles KapitaV. Diese Begrifflichkeit stellt die deutsche Ubersetzung des im angloamerikanischen Raum standardisierten Begriffs Intellectual Capital dar. Daneben sind auch die Bezeichnung Wissenskapital (u. a. Edvinsson 2000, Heyse/Erpenbeck 2004), Wissensvermogen oder der aus dem Rechnungswesen stammende Begriff immaterielle Vermbgenswerte^^ verbreitet. Da das „intellektuelle Kapital'' ein Wegbereiter hinsichtlich der Operationalisierung des Wissens im Kontext der Standortentscheidung ist, werden zunachst die Grundlagen einer Deutung des Wissenshegriffes aufgegriffen.
44 Die allgemeine Nutzung des Wissensbegriffs im Kontext eines ressourcenorientierten Begriffsverstandnisses ist im wissenschaftlichen Diskurs nicht unumstrit ten. So besteht beispielsweise Uneinigkeit dariiber, ob Wissen sich ahnlich wie herkommliche Produktionsfaktoren analysieren, bilanzieren und managen lasst [Probst et al., 1997, 30]. 45 In der englischsprachigen Literatur werden immaterielle (Vermogens-) Werte mit Intangible Assets iibersetzt. Daneben werden in der Literatur synonym Begriffe wie „immaterielle Vermogensgegenstande", „immaterielle Giiter", ^immaterielle Ressourcen" verwendet. Es muss jedoch eindeutig darauf hingewiesen werden, dass die immateriellen Werte des Unternehmens nicht generell Wissensbestande darstellen bzw. synonym fiir den Wissensbegriff gebraucht werden sollten. So sind beispielsweise Rechte die ein Unternehmen besitzt, nicht als dessen Wissensbestand zu verstehen. 102
Wissen als inteilektuelies Kapital
A A Wissen als inteilektuelies Kapital Was lasst sich nun unter intellektuellem Kapital verstehen? Nach einer relativ formalen Auffassung werden das intellektuelle Kapital bzw. die immateriellen Werte eines Unternehmens als Differenz zwischen dem Marktwert eines borsennotierten Unternehmens und dem Buchwert verstanden. In der englischsprachigen Literatur werden immaterielle (Vermogens-) Werte mit Intangible Assets iibersetzt. Jedoch ist der Kapitalbegriff eines traditionellen Unternehmens nicht mit der des Wissensunternehmens vergleichbar. Es kann sogar sein, dass ein Wissensunternehmen kaum liber nennenswerte Vermogenswerte im traditionellen Sinn verfiigen. Die Kapitalstruktur einer Wissensorganisation kann sich in so hohem Mafi von der eines Industrieunternehmens unterscheiden, dass sie keinerlei materiellen Giiter, sondern lediglich Formen immaterieller Giiter (Wissen der Mitarbeiter o. a.) das Kapital eines Unternehmens darstellen.
Begriffdes intellektuellen Kapitals
Aufgrund moglicher Kursschwankungen und der Komplexitat, die dem intellektuellen Kapital innewohnt, ist diese Einschatzung nicht geeignet, prazisiere Aussagen iiber den Bereich des intellektuellen Kapitals zu machen. Die Unklarheit, was alles unter dem Oberbegriff der immateriellen Werte zu verstehen ist, hat zu einer Reihe von Ansatzen gefiihrt, die das Ziel haben, den Bereich der immateriellen Werte zu strukturieren.
Ansatze zur Kategorisierung immaterieller Werte [Haller/Dietrich 2001, in: Schafer/Lindenmayer 2004, 12]
103
Ahbildung4-1
Der Faktor Wissen im Fokus
Begriffdes intellektuellen Kapitals
Reinhardt offeriert eine synthetische Arbeitsdefinition: „Wissenskapital beinhaltet das Wissen alter Organisationsmitglieder und die Fdhigkeit des Unterneh| mens, dieses Wissen fUr die nachhaltige Befriedigung der Kundenerwartungen einzusetzen - es beinhaltet somit alle Wertschopfungskomponenten, die durch die Maschen klassischer Rechnungslegungs- und Buchfiihrungsvorschriften fallen und somit - bislang unsichtbar sind." [Reinhardt 1998, 152]. Haun hebt den einzigartigen Charakter der Ressource Wissen im Untemehmen hervor: „Unter intellektuellem Kapital wird die schutzbedUrftige Summe alien Wissens verstanden, die einer Organisation einen Wettbewerbsvorteil verschaffen kann/' [Haun 2002, 12]. Als zentrales Merkmal werden dem intellektuellen Kapital die zukiinftigen Verdienstmoglichkeiten zugeschrieben, was bedeutet, dass nicht retrospektiv die entstandenen Kosten sondem das kiinftige Ertragspotenzial im Zentrum der Betrachtung steht. Intellektuelles Kapital basiert darauf, „im Voraus zu denken und statt kurzfristige Gewinne zu realisieren, zu Werterhaltung und Wertsteigerung zu gelangen" [Edvinsson 2005, 365]. Wie eingangs dargestellt, wurde deutlich, dass allgemein die Annahme besteht, dass sich der Wert eines Unternehmens aus dem in der Bilanz abgebildeten Vermogen, worunter das Finanz- und das physische Kapital fallen, und einem nicht fass- und bestimmbaren Wert des intellektuellen Kapitals zusammensetzt. Die folgende Grafik verdeutlicht die Komponenten des intellektuellen Kapitals innerhalb der Kapitalstruktur eines Unternehmens.
Abhildung4-2
Modell zur Einordnung des intellektuellen Kapitals [Scholz 2004, 24] Unternehmerische Kapitalressourcen = Unternehmenswert
Finanzielles Kapital Liquide Mitte, Forderungen Finanzanlagen
Physisches Kapital
Humankapital
Gebaude Maschinen Hardware
Wissen/lntellekt Fahigkeiten Kreativitat
V
^
J
V Bilanzvermogen
Organisationales Kapital Sturkturkapital Prozesskapital Markenimage Geistiges Eigentum
;
*^
J
V
^ +
Humankapital
V^
-••
Sonstiges immaterielles Vermogen
V Intellektuelles Kapital
104
Beziehungs kapital
_y
Wissen als inteilektueUes Kapitai
Die gegenwartig am meisten verwendete Kategorisierung intellektuellen Kapitals geht auf Sveiby zuriick. Diese wurde ebenfalls unter anderem durch die ersten Formen von Wissensbilanzen und von Edvinsson/Briining (2000) aufgegriffen. Diese sprechen von den drei unsichtbaren Werten des Wissenskapitals: •
Humankapital,
•
Strukturkapital und
•
Kunden- und Beziehungskapital.
Komponenten intellektuellen Kapitals
Man kann sagen, dass diese drei Komponenten miteinander agieren und damit das intellektuelle Kapitai eines Untemehmens erzeugen. So generieren die individuellen Fahigkeiten und Erfahrungen der Mitarbeiter die strukturellen Ressourcen des Unternehmens wie Patente oder eine Unternehmenskultur. Dadurch bildet sich eine Art Multiplikator-Effekt heraus, welcher Auswirkungen auf die zukiinftigen Ertragsmoglichkeiten des Unternehmens besitzt. Aus dem Zusammenspiel zwischen dem Humanund Strukturkapital entsteht letztendlich Wertschopfung. Das Strukturkapital kann man allgemein als den infrastrukturellen Rahmen auffassen, der eine Entfaltung des Humankapitals ermoglicht. Nach SaintOnges ist „Humankapital das, was Strukturkapital aufbaut, aber je besser ihr Strukturkapital ist, desto besser ist wahrscheinlich auch ihr Humankapital'' [zitiert in: Edvinsson/Briinig 2000, 29]. In der Literatur hat sich die simple, von Edvinsson gepragte Feststellung etabliert, dass das Strukturkapital alles das ist, was im Unternehmen verbleibt, wenn der Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz verlasst. Was kann man sich nun darunter vorstellen? Unter dem Strukturkapital sind die Bereiche des Unternehmens zu verstehen, die unter Auslassung der Mitarbeiter, eine Organisation ausmachen. Darunter fallen sowohl interne Ablaufe und Strukturen, als auch Datenbanken, das Firmenimage oder Patente. Bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass dies eine Vielzahl an komplexen und heterogenen Faktoren umfasst. Einige Autoren unterteilen daher das Strukturkapital in drei weitere Kapitalarten: Organisations-, Innovations- und Prozesskapital [Edvinsson/Briinig 2000, Bukh et al. 2000, Reinhardt 1998]. Das Organisationskapital ist der Bereich des intellektuellen Kapitals, welcher relativ einfach zu betrachten und sichtbar zu machen ist. Es stehen vor allem Strukturen, sowie Investitionen des Unternehmens in Systeme oder Hilfsmittel, sowie die Vision und Unternehmensphilosophie im Fokus der Betrachtung. Eine mafigebliche Bedeutung hinsichtlich des zukiinftigen Geschafterfolgs kommt dem Innovationskapital zu. Es bezieht sich auf die Fahigkeit, immaterielle Werte und individuelle sowie organisationale „Intelligenz" so zu nutzen und zu gestalten, dass neue Produkte und Dienstleistungen generiert und auf dem Markt angeboten werden konnen. Das Unternehmen muss sich demnach die Frage stellen. 105
Strukturkapital
Der Faktor Wissen im Fokus
welche Infrastruktur vorhanden sein muss, damit motivierte und leistungsfahige Menschen sich produktiv einsetzen und entfalten konnen. Verglichen mit den anderen Bereichen des intellektuellen Kapitals ist das Strukturkapital am stabilsten, was jedoch zur Folge hat, dass mogliche Entwicklungsprozesse auch langere Zeitraume beanspruchen, so dass getatigte Investitionen einen perspektivisch langfristigen Renditecharakter haben [Bomemann/ Leitner 2004]. Kunden- und Beziehungskapital
Die Komponente des Kunden- und Beziehungspotenzials beschreibt vor allem die Beziehungen zu den Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern und was ebenfalls von erheblicher Bedeutung ist, die Einbettung in Netzwerke sowie die strategischen Partnerschaften und Kooperationen am Standort. Reinhardt fasst die Beziehungen, die das Unternehmen nach aufien unterhalt, in seinem Wissenskapital-Modell als einen Bereich des Strukturkapitals auf. Er kommt zu der Feststellung, dass gerade die langfristigen Kundenbeziehungen, loyale und zuverlassige Lieferanten und Partner, aber auch die Unterstiitzung z. B. von Lieferanten nicht ohne weiteres zu ersetzen seien, bzw. wenn, konnen sie nur kostspielig neu gewonnen werden [Reinhardt 1998, 156]. Auch fiir Sveiby wird der Wert des immateriellen Vermogens in erster Linie davon bestimmt, wie das Unternehmen mit den Problemen seiner Kunden umgeht. Die damit verbundenen Beziehungen und das Image des Untemehmens konnen im Zeitverlauf Anderungen ausgesetzt sein [Sveiby 1998, 29]. Die permanente Herstellung von Kundenzufriedenheit und die Anpassung an Kundenbediirfnisse sind die Faktoren, an denen sich Unternehmen orientieren miissen, damit eine Behauptung am Markt langfristig moglich ist. In der Produktion zeigt sich die Entmaterialisierung und Intensivierung von Dienstleistungen vor allem darin, dass die Kunden immer weniger Einzelprodukte sondern integrierte Komplettlosungen verlangen. Diese so genannten hybriden Produkte^^ stellen eine Kombination aus Sachgiitern und Dienstleistung dar. An diesem Punkt erhalten die Beziehungen zu extemen Unternehmen und Netzwerken eine starkere Rolle, denn aufgrund der Spezialisierung der Unternehmen und einer Konzentration auf die Kernkompetenzen, sind viele Betriebe nicht mehr in der Lage, eine breite Leistungsbiindelung anzubieten, so dass Komplettangebote immer haufiger von Untemehmensverbiinden prasentiert werden [Ganz/Herrmann 2000, 113].
r^ Bei hybriden Produkten geht es vor allem um die Frage wozu der Kunde das Produkt benotigt, wie er es einsetzt und was sein grundlegendes Bediirfnis ist. „In diesem Zusammenhang erlangt die Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen eine umfassende Bedeutung und dient dazu eine langfristige Partnerschaft aufzubauen und zu pflegen" [Korell/Ganz 2000, S.154]. 106
Wissen als inteUektuelles Kapital
Das Kapital menschlichen Wissens stellt die entscheidende intellektuelle An- I Hutnankapitaltriebskraft des Unternehmens dar. Die Behauptung vieler Vorstande und Der wertvolle Untemehmensfiihrungen, dass die Mitarbeiter das wichtigste Kapital des | Mitarbeiter Unternehmens sind, gehort seit einigen Jahren wohl zu den meist propagierten Aufierungen hinsichtlich der Einschatzung der Mitarbeiter und ihrer Bedeutung fiir die Geschaftstatigkeit und den Unternehmenswert. Im Zusammenhang mit dieser Unternehmensphilosophie wird oft von den Humanressourcen bzw. dem Hutnankapital gesprochen. Diese Art der Betrachtungsweise bzw. der Formulierung ist jedoch auch der Kritik von Teilen der Offentlichkeit und Experten ausgesetzt. So wurde beispielsweise das Wort Humankapital im Jahre 2004 in Deutschland zum Unwort des Jahres gekiirt, mit der Begriindung, dass ein Begriff aus der okonomischen Fachsprache den Menschen nur als Produktionsfaktor wahrnimmt. Die Kritik an der Auffassung des Menschen als Produktionsmittel, lasst sich bis Kant wieder finden: „Der Mensch kann von keinem Menschen (weder von anderen noch so gar von sich selbst) blofi als Mittel... gebraucht werden und darin besteht eben seine Wiirde ..., dadurch er sich iiber alle ... Sachen erhebf' [Kant, 1797/1956, 600 ff. in: Heid 2004, 18]. Auch Moldaschl stellt sich die Frage, ob man im Zusammenhang mit Menschen und deren Fahigkeiten, von Kapital oder Ressourcen sprechen sollte: „Tragen wir damit nicht zur wachsenden Hegemonie okonomischer Handlungsbegriindungen und betriebswirtschaftlicher Denkfiguren in nahezu alien Feldern des gesellschaftlichen Lebens bei?'' [Moldaschl 2005, 55]. Drucker, einer der renommiertesten Managementexperten unserer Zeit, kritisiert ebenfalls die oft leichtfertig gemachten Aufierungen vieler Unternehmen iiber die Bedeutung ihrer Mitarbeiter: „Heute behaupten alle Unternehmen routinemafiig: Unsere Mitarbeiter sind unser grofites Kapital. Doch nur wenige praktizieren, was sie propagieren - geschweige derm, dass sie wirklich daran glauben'' [Drucker 1992, in: Friedman et al. 1999, 3]. Fiir Scholz et al. steht trotz aller Wertschatzung fiir den Mitarbeiter, allein der Erfolg des Unternehmens im Vordergrund. Sie sprechen von einer „Arbeitswelt ohne Stammplatzgarantie" in der es durch verscharftem Wettbewerbsdruck und einer absoluten Effizienzorientierung, weder fiir Unternehmen noch deren Mitarbeitern eine Sicherheitsgarantie gibt. Auch wenn der Mitarbeiter als wichtigster Erfolgsfaktor propagiert wird, „...zahlen fiir Unternehmen an erster Stelle nicht mehr Loyalitat und friihere Leistung, sondern standige Motivation und Leistung, die sich unmittelbar in Markterfolg iibersetzen lassen'' [Scholz et al. 2004, 18]. Es fallt auf, das zwar die herausragende Bedeutung der Mitarbeiter fiir ein Frage nach dent Unternehmen allgemein anerkannt und nach aufien vertreten wird, wozu Wert der Mitauch der wissenschaftliche Diskurs, gerade im Hinblick auf die Strategie des | arheiter Wissensmanagements, in den vergangenen Jahren beigetragen hat, sich jedoch die Realitat innerhalb der Unternehmen noch oft anders darstellt. 107
Der Faktor Wissen im Fokus
Friedman et. al, Berater der Consultingfirma Arthur Andersen, vertreten jedoch die Auffassung, dass das Problem nicht darin besteht, dass die Unternehmensleitungen ihre Mitarbeiter nicht wtirdigen, sondern das die Problematik vielmehr darin liegt, dass Mess- und Bewertungsmethoden zur Wertermittlung des Human Capitals nicht bekannt sind oder nicht angewendet werden [Friedman et. al 1999, 4]. Die Kernfrage, die sich hinsichtlich des Themas Humankapital stellen lasst, bringt folgendes Zitat zum Ausdruck: „Wir sind es gewohnt, im Zusammenhang mit Mitarbeitern an Gehalter, also Lohnkosten zu denken. Doch wie hoch ist ihr tatsachlicher Wert? Wie wertvoU ist eine Tatigkeit tatsachlich?'' [Stewart 1998, 91]. Es scheint demnach fiir Unternehmen in einer Zeit, in der traditionelle Vermogenswerte ihre Wettbewerbs entscheidende Bedeutung fur das Unternehmen verlieren, immer wichtiger zu werden, die weitaus wertvoUeren Mitarbeiter, als den entscheidenden Faktor des Untemehmens zu bewerten. Dazu ist neben der Entwicklung geeigneter Bewertungs- und Messinstrumente auch ein Wertewandel der Unternehmenspolitik n5tig, der es erlaubt, den Menschen zwar als Kapital zu sehen, aber nicht unter der Pramisse eines beliebigen Produktionsfaktors, sondern als einzigartigen Wettbewerbsvorteil, in den es sich unter okonomischer Betrachtung, lohnt zu investieren. Willke umschreibt es folgendermafien: „Die Macht des Kapitals wird abgelost durch die Macht des Know-how" [Willke 1998, 574]. Inhaltliche und kompositorische Begriffskldrung
Es erscheint angemessen, in diesem Kontext auf den Begriff Humankapital selbst noch einmal einzugehen. In der okonomischen Theorie stellt das Humankapital einen zentralen Produktionsfaktor des Unternehmens dar. Das Humankapital^^ reprasentiert weiterhin einen Teilbereich der immateriellen Werte eines Unternehmens. Historisch gesehen ist die Begrifflichkeit Humankapital relativ neu. Eine Betrachtung der Bestandteile aus denen sich der Begriff zusammensetzt, ermdglicht eine erste Annaherung an dessen Bedeutung. Das Wort Human leitet sich ab vom lateinischen Wort humanus, was soviel wie menschlich bedeutet. Der Kapitalbegriff ist hinsichtlich seiner heutigen Bedeutungszuschreibung einem historisch langen Entwicklungsprozess unterworfen gewesen und lasst sich unter mehreren Perspektiven betrachten.48 Vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, ist Kapital nichts weiter als das auf der Passivseite der Bilanz ausgewiesene Gesamtvermogen des Unternehmens. In der Volkswirtschaft ist Kapital einer der Produktionsfaktoren neben Boden und Arbeit. Der bekannte Soziologe 47 Synonym verwendet werden auch die Begriffe Humanvermogen, Humanressoucen, Humanpotenzial, oftmals werden die englischen Begriffe human capital, human ressources oder human assets verwendet. Eine genaue inhaltliche Deckungsgleichheit der Begriffe liegt allerdings nicht vor. Im Rahmen der weiteren Ausfiihrungen wird jedoch der Begriff Humankapital den englischen Bezeichnungen vorgezogen. ^^ Eine ausfiihrliche Beschreibung zur Entwicklung des Kapitalbegriffs findet sich bei Friedmann et al. 1999,7 ff. 108
Wissen ais intellektuelles Kapital
Bourdieu hingegen differenziert unter soziologischer Betrachtungsweise zwischen okonomischem, kulturellem^^, und sozialem Kapital. „Kapital ist akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Material oder in verinnerlichter, inkorporierter Form [...] Dem Kapital wohnt eine Uberlebenstendenz inne; es kann ebenso Profite produzieren wie sich selbst reproduzieren oder in verinnerlichter, inkorporierter Form auch wachsen [Bourdieu 1992, 49 ff., in: Baumgart 1997]. Die Spezifik des verinnerlichten, inkorporierten Kapitals wie es Bourdieu auffasst, lasst sich verstehen als personengebundener Besitz jedes einzelnen, welcher sich nicht einfach iibertragen und monetar ausdriicken lasst. Unter Nutzung dieses Begriffsverstandnisses von Kapital wird, zwar unter anderer Bezeichnung, auf die Besonderheit der menschlichen Komponente mit seiner Werte generierenden Wirkung hingewiesen. Vor diesem Hintergrund einer individualistischen Auffassung des Kapitals wird die Bedeutungserlauterung des Begriffs Human Kapital erleichtert. Der Begriff des Humankapitals beziehungsweise Human Capital geht in erster Linie auf die Arbeiten der amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreistrager Theodore Schultz und Gary S. Becker zuriick, welche die Grundlagen der modernen makrookonomischen Humankapital-Theorie bereitet haben. Schultz der auch als „Vater des Begriffs Human Capital'' bezeichnet wird, umschreibt den Begriff Human Capital wie folgt: „Consider all human abilities to be either innate or acquired. Every person is born with a particular set of genes, which determines his innate ability. Attributes of acquiered population quality, which are valuable and can be augmented by appropriate investment, will be treated as human capital'' [Schultz 1978,1981 in: Wucknitz 2002, 2]. Wieland (2001) identifiziert fiinf zentrale Eigenschaften, die den Begriff des Humankapitals vor allem im personalokonomischen Bereich des Unternehmens, von etablierten Auffassungen, wie das Personalmanagement oder das Human Resource Management, unterscheidet. Wahrend die beiden genannten Konzepte, eine Auffassung des Mitarbeiters als Ressource oder Produktionsfaktor konzipieren, betrachtet der Begriff Humankapital den Mitarbeiter unter anderer Perspektive: •
Die Mitarbeiter werden als ein Biindel von Kompetenzen definiert, welches sie dem Unternehmen freiwillig zur Verfiigung stellen.
•
Der Mitarbeiter stellt nicht nur seine fachlichen Kompetenzen zur Verfiigung sondern er nutzt seine gesamte Verhaltensdimension.
49 Nach Bourdieu kann kulturelles Kapital in drei Formen existieren: „1- in verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand, in Form von dauerhaften Dispositionen des Organismus, 2. in objektiviertem Zustand, in Form von kulturellen Gutem, Bildern, Biichern, Lexika, Instrumenten oder Maschinen, 3. in institutionalisiertem Zustand [Bourdieu 1992, in: Baumgart 218]. Ein anderer theoretischer Entwurf, welcher einen individualistischen Kapitalbegriff betont, ist die Sozialtheorie von Coleman (1990). 109
Eigenschaften des Humankapitals
Der Faktor Wissen im Fokus
M Die Mitarbeiter stellen einen immateriellen Vermogenswert des Unternehmens dar. Umso mehr die Wertschopfung auf Wissen basiert, desto bedeutender ist der Anteil des Humankapitals. •
Im Gegensatz zu anderen Kapitalarten bleibt der Mitarbeiter Eigentiimer seiner Kompetenzen.
•
Kompetenzen lassen sich unterscheiden in imitierbare und nichtimitierbare.
Hutnankapital I Fasst man die unterschiedlichen Definitionen und zugeschriebenen Eigenals Basis schaften des Humankapitals zusammen, so kann man sagen, dass unter innovatorischen Humankapital als bedeutsamen Bereich der immateriellen Werte, vor allem Handelns \ die Kombination aus individuellem Wissen, intellektuellen Fahigkeiten und Kreativitat zu verstehen ist. Unter diesen Voraussetzungen und den passenden organisationalen Rahmenbedingungen, besteht eine Basis fiir die Erhohung der Innovationsfahigkeit des Untemehmens. Vor allem das Vorhandensein des spezifischen individuellen Wissens auf der einen Seite und dessen Umwandlung in ein koUektives und auch organisationales Wissen andererseits, konnen als Voraussetzungen fiir das „Neue" oder das „anders sein" des Unternehmens gegeniiber anderen gelten. Gerade im Hinblick auf die in dieser Arbeit thematisierten Prozesse der Standortverlagerung und der Standortbewertung, sind die nicht-imitierbaren Ressourcen, der entscheidende Wettbewerbsvorteil, den ein Untemehmen oder ein Standort gegeniiber seinen Mitbewerbem erreichen kann.-
4.5 Wissen managen Integration in I Mit den Prozessen der okonomischen Globalisierung, dem Strukturwandel organisatorische zur Wissensgesellschaft und den damit einhergehenden Konsequenzen Steuerungs- wurde bereits eine Kette von Auslosern beschrieben, welche der RoUe des prozesse | Wissens eine besondere Stellung im Rahmen der Untemehmenstatigkeit zuschreiben. Da Wissenswirkungen von Menschen ausgehen, impliziert dies eine Einbeziehung des Mitarbeiters in die organisatorischen Steuerungsprozesse, um mit dem Mitarbeiterwissen als basale Grofie umgehen zu konnen. Das Ziel eines nachhaltigen Unternehmenserfolges, in einer durch Konkurrenz- und Innovationsdruck gepragten Umwelt, ist zukiinftig in erster Linie iiber den Weg einer strukturierten und organisierten Nutzung und Steuerung des Wissens im Unternehmen zu erreichen. So ist amerikanischen Studien zu entnehmen, dass nur etwa 20 Prozent der Wissensressourcen eines Unternehmens auch tatsachlich genutzt werden [Wucknitz 2002, 12]. Zwar lasst sich dariiber diskutieren, wie valide eine solche Zahl ist. Dennoch lie-
110
Wissen managen
fern derartige Aussagen Indizien dafiir, dass heutige Managementprozesse noch nicht ausreichend auf wissensbasierte Wertschopfungsprozesse ausgerichtet sind und sich immer noch an der Administration traditioneller Wirtschaftstatigkeiten industrieller Produktionsprozesse orientieren. Gleichwohl muss iiber neue Fiihrungs- und Steuerungsformen nachgedacht werden, die den neuen Anforderungen wissensbasierter Wertschopfung gerecht werden. Ein reformierter Umgang mit dem Aktivposten Wissen wird im betriebswirtschaftlichen Kontext im AUgemeinen unter dem Begriff des Wissensmanagements zusammengefasst. Das Wissensmanagement bildet als Schlagwort quasi den Rahmen fiir eine gezielte und optimierte Anwendung des Wissens innerhalb von Geschaftsprozessen eines Untemehmens. Das Thema an sich ist seit Beginn der neunziger Jahre verstarkt in das Blickfeld von Forschung und Praxis geriickt und stellt als noch junge Disziplin und aufgrund des Fehlens einer, fiir Unternehmen einheitlich anwendbaren Systematik, eine der am meisten diskutierten Managementmethoden unserer Zeit dar. Die Komplexitat, Vielfalt und Abhangigkeit vom Standpunkt der jeweiligen Disziplin, wie es bereits hinsichtlich des Definitionsversuchs von Wissen deutlich wurde, lasst sich bei einer Annaherung zum Begriff Wissensmanagement in ahnlicher Weise wieder finden. Dieser Umstand macht es wiederum schwierig, den „gemeinsamen Nenner'' des Wissensmanagements eindeutig zu definieren. In der Praxis reichen die Anwendungsfelder von einer rein technokratisch gepragten Sicht, z. B. IT-System, die den Informationsaustausch verbessern, bis hin zu einer rein humanorientierten Sicht auf Wissensmanagement, bei der personelle Prozesse den Wissensaustausch zwischen den Akteuren eines Unternehmens sicherstellen.
Wissensmanagement als neue Disziplin
Die zentrale Motivation fiir ein Management des Wissens lasst sich, Bezug nehmend auf die sich andernden Rahmenbedingungen, aus der einfachen Fragestellung ableiten, welche Konsequenzen sich fiir die Organisation ergeben, wenn traditionelle Faktoren wie manuelle Arbeit, Kapital und Rohstoffe fiir eine okonomische Wertschopfung an Bedeutung verlieren und systematisiertes Wissen das Schicksal der Organisation bestimmen. Aus Sicht der Managementlehre^o wird Wissensmanagement als „das Bestreben einer Organisation, bestehendes Wissen zu nutzen, neues Wissen zu schaffen und
Zentrale Motivation
50 Aufgrund der Nutzung des Managementbegriffs in verschiedenen Theorieansatzen, traditionellerweise vor allem in der Betriebswirtschaftslehre, existiert keine einheitliche deutsche Ubersetzung. Der Begriff Management wird in der angloamerikanischen Literatur in zwei Bedeutungsvarianten verwendet: Management im funktionalen Sinn, damit werden Prozesse wie Planung, Organisation, Fiihrung, Kontrolle beschrieben, welche in arbeitsteiligen Organisationen notwendig sind. Management im institutionalen Sinn - bezieht sich auf die Beschreibung der Rollen und Tatigkeiten von Personen, die Managementaufgaben wahrnehmen [Staehle 1990,14]. Management nimmt somit von seiner Bedeutung her, eine Querschnittsfunktion im Unternehmen ein. 111
Der Faktor Wissen im Fokus
dieses Wissen in der ganzen Organisation so zu verteilen, dass es jederzeit am richtigen Ort, zum richtigen Zeitpunkt, im richtigen Format und im ausreichenden Umfang zur Verfiigung steht, um es in Produkten, Dienstleistungen, Prozessen, Systemen und Strukturen zu verkorpern" verstanden [Haun 2002, 42]. Bezieht man sich also auf die Funktion des Managements, welches sich traditionellerweise mit dem effizienten Einsatz der Unternehmensressourcen beschaftigt, lasst sich Wissensmanagement als eine Disziplin zur effizienten Steuerung der Ressource Wissen, auffassen. Wissensmanagement umfasst damit samtliche Instrumente, Verfahren und Mafinahmen, um das in einem Unternehmen vorhandene Wissen transparent zu machen und dariiber hinaus einen Mehrwert des vorhandenen Wissens zu schaffen, dieses also weiterzuentwickeln [Bodrow/Bergmann 2004]. Praktische Relevanz
Eine neue Denkrichtung
Noch Mitte der neunziger Jahre ist allgemein beklagt worden, dass trotz der Bedeutungszunahme von Wissen in Unternehmen, dem Thema Wissensmanagement bisher „der grofie Durchbruch versagt geblieben ist, es hat sich noch nicht zum Mussprogramm entwickelt, welches jedes Unternehmen implementiert, das auf sich half' [Schneider 1996, 24]. Inzwischen lasst sich die Situation wohl so umschreiben, dass entsprechend des transdisiziplinaren Ansatzes unzahlige Verfahren, modulare Programme, Instrumente und Methoden existieren, deren Einsatzbereich eher pragmatisch ausgewahlt wird. Strategien oder untemehmensweite Visionen, die in diese Richtung abzielen, lassen sich jedoch schwer ausmachen. Wahrend vor allem auf wissensbasierte Leistungen ausgerichtete Organisationen (z. B. Beratungsunternehmen, Forschungsinstitute) genligend Beispiele fiir die Implementierung von Wissensmanagementmethoden und Instrumenten bieten, hat sich die Einstellung bei der Mehrheit der kleinen- und mittelstandischen Betrieben wohl noch nicht mit gleicher Intensitat herausgebildet. „Meistens fehlt es im Unternehmen zunachst an der Fahigkeit iiber eigenes Wissen und Unwissen zu reflektieren, welche als Grundlage fiir kompetenzorientierte Strategien verwendet werden muss" [Probst et al. 1997, Schnauffer, u.a. 2004]. Jedoch im Hinblick darauf, dass Unternehmen immer starker das im Unternehmen vorhandene wissensbasierte Potenzial nutzen und erhalten miissen, aber auch um langfristige strategische Entwicklungen abschatzen und Veranderungen des organisatorischen Ablaufs vornehmen zu kdnnen, ist eine Auseinandersetzung mit dem Thema Wissensmanagement unabdingbar.^i Unter dem Label des Wissensmanagements entwickelt sich auf vielfaltige Weise eine Denkrichtung, die versucht, Rahmenbedingungen zu schaffen. ^1 Zentrale Modelle der Wissensentwicklung sind das von Nonaka/Takeuchi sowie die „Bausteine des Wissensmanagements" von Probst, u. a.. Beide Modelle haben in klassischer Weise als „state of the art" in der Wissensmanagementliteratur Einzug gehalten. 112
Wissen managen
um mit der Ressource Wissen in Organisationen produktiv und strategisch umzugehen. Ziel ist es, den Nutzen unternehmensspezifischen Wissens zu identifizieren, es so zu transformieren, dass Produkte und Dienstleistungen entstehen, durch die man sich von Mitbewerbern differenzieren kann. Zwei zentrale Modelle der Wissensentwicklung, die als grundlegend fiir die Richtung einer wissensorientierten Unternehmensfiihrung angesehen werden konnen, sind zum einen das Modell der Wissensentwicklung nach Nonaka/Takeuchi und zum anderen die „Bausteine des Wfissensmanagements" von Probst et al. Der zentrale Ausgangspunkt des Modells von Nonaka/Takeuchi liegt in der Differenziertheit, wie Untemehmen organisationales Wissen erzeugen bzw. unterschiedliche Wissensbestande miteinander verkniipfen. Die Spezifik dieses Ansatzes liegt in der Trennung zwischen explizitem und implizitem, individuellem und organisationalem Wissen. Der Prozess der organisationalen Wissenserzeugung vollzieht sich demnach nichtlinear und interaktiv in zwei Dimensionen, was zu der so genannten „Spirale'' der Wissensschaffung fiihrt. Die Spirale entsteht zum einen durch die permanenten Wechselwirkungen und Umwandlungen zwischen impliziten und expliziten Wissen. Zum anderen vollzieht sich der Transfer auf der individuellen, koUektiven und organisationalen Ebene sowie im Interaktionsprozess zwischen Unternehmen [Nonaka/Takeuchi 1997, 68 ff.]. Den Kern des Spiralmodells beschreiben vier Formen der Wissensumwandlung, welche sich jeweils aus einer unterschiedlichen Artikulation des individuellen Wissens im Unternehmen ergeben. ^2 Das von Probst, Raub und Romhardt gemeinsam mit der „Geneva Knowledge Group" entwickelte Konzept zur systematischen Betrachtung der Kernprozesse und Hauptproblemfelder des Wissensmanagements, lasst sich als Wissensmanagement-Kreislauf auffassen, bei dem einzelne Kernprozesse, welche Interventionsfelder des Umgangs mit Wissen darstellen, mehr
52 Sozialisation (von implizit zu implizit): Hierbei findet ein Erfahrungsaustausch zwischen Menschen statt. Implizites Wissen lasst sich beispielsweise durch Erfahrungen oder Nachahmungen von jemandem anderen erwerben (z. B. MeisterLehrling Beziehung). Externalisierung (von implizit zu explizit): Unter diesem Prozess lasst sich die Artikulation impliziten Wissens verstehen und ist die wohl haufigste Form der Weitergabe von Wissen. Ausdrucksformen sind vor allem Dialoge, Workshops wo es zu einem kollektiven Austausch von Wissen kommt. Kombination (von explizit zu explizit): Bei diesem Prozess kommt es durch die Neuzusammenstellung bereits explizit vorhandener Informationen, beispielsweise durch Verdichtung, Sortieren und Klassifizieren, zur Schaffung neuen Wissens. Internalisierung (von explizit zu implizit): Bei diesem Prozess wird explizites Wissen in die mentalen Grundeinstellungen von Individuen und Organisationen iiberfiihrt. Individuen iibernehmen das iibermittelte Wissen und fiigen dieses der eigenen bereits vorhandenen Wissensbasis an.
113
Wissensmanagement-Modell von Nonaka/Takeuchi
Der Faktor Wissen im Fokus
oder weniger miteinander verkniipft sind.53 Ziel ist die Einbindung einzelner Interventionen in einen konzeptionellen Rahmen. Von besonderem Interesse ist der Baustein Wissensbewertung, dessen Bezeichnung zu Missverstandnissen fiihren kann. Es ist zu konstatieren, dass der Prozess der Wissensbewertung in diesem Modell, in erster Linie die Fragestellung meint, inwieweit im Rahmen des Wissensmanagementprozesses, die gestellten Wissensziele erreicht worden sind oder nicht. Wissensbewertung kann in diesem Modell in zwei Phasen unteteilt werden. Zunachst versucht die Messung, Veranderungen der organisatorischen Wissensbasis sichtbar zu machen, damit anschliefiend anhand der Wissensziele eine Interpretation dieser Veranderung erfolgen kann [Probst et al. 1999, 324]. Um den Erfolg des Wissensmanagements messbar zu machen, ist das Unmogliche notig: die Kontextgebundene Ressource Wissen muss objektivierbar gemessen werden, d. h., es geht darum: ^You can't manage, what you can't measure!''. Es sind zuverlassige Methoden zur Messung und Bewertung von Wissen dazu erforderlich als eine wichtige Voraussetzung fiir ein effektives Wissensmanagement. Es drangt sich die Frage auf, inwieweit Unternehmen Instrumente zu Verfiigung stehen, die den Wert ihrer Wissensressourcen ermittelbar werden lassen und wie wichtig die Wissensmessung und -bewertung fiir das zukiinftige untemehmerische Handeln ist.
53 Wissensziele: Abstimmung von langfristigen Untemehmenszielen mit der Schaffung einer Wissensbewussten Untemehmenskultur; Wissensidentifikation: Schaffung von Transparenz hinsichtlich intemen und externen Wissens; Wissenserwerb: Klarung der Frage, inwieweit das Unternehmen auf extemes Wissen zuriickgreifen kann; Wissensentwicklung: Als ein zentraler Kembereich des Wissensmanagements geht es hierbei um die Generierung neuen Wissens z. B. neue Fahigkeiten, Ideen, bessere Produkte; Wissensverteilung: Es geht um den allgemeinen Umgang des Unternehmens mit neuem Wissen. Unternehmen stehen vor dem Problem: „Wissen auf die richtigen Mitarbeiter zu verteilen, beziehungsweise organisationales Wissen an die Stelle zu bringen, wo es gerade dringend gebraucht wird" [Probst et al. 1999, 224]; Wissensnutzung: Schaffung von Rahmenbedingungen welche den produktiven Einsatz organisationalen Wissens fordert und die Bereitschaft zur Wissensnutzung auf individueller und kollektiver Ebene unterstiitzt; Wissensbewahrung: Umgang mit dem Problem, wie langfristig notwendige gegeniiber nicht mehr benotigten Wissensbestanden selektiert und fiir das Unternehmen gehalten werden konnen; Wissensbewertung: Nutzung von Methoden und Instrumenten fiir ein Controlling der normativen, strategischen und operativen Wissensziele.
114
Jede Standortverlagerung geht einher mit der Priifung und Bewertung aller I Auswahl geeignemit dem am neuen Standort in Verbindung stehenden Einflussfaktoren. ter BewertungsSteht ein Untemehmen vor der Entscheidung, eine Verlagerung zu initiieren, verfahren miissen adaquate Bewertungsverfahren gewahlt werden, mit denen eine sichere Einschatzung der Potenziale und Risiken des neuen Standortes gewahrleistet wird. Der Entscheidung fur oder gegen einen Standort in Form der Wahl oder der Abkehr con einem neuen oder zusatzlichen Betriebstandortes, geht i. d. R. eine Standortanalyse voran [Schulte 2002]. Die Standortanalyse als Basis fiir eine Standortentscheidung, gibt im Idealfall den Entscheidern Aufschluss dariiber, welchen Einfluss der neue Standort auf die zukiinftigen Kosten- und Erlosstrome des Unternehmens hat. Aufgrund der sich dynamisch andernden Umfeldbedingungen, gestaltet sich jedoch eine Prognose hinsichtlich der Hohe und zeitlichen Verteilung kiinftiger Zahlungsstrome immer schwieriger [Kinkel 2004a]. Hinsichtlich des untemehmerischen Bediirfnisses, bei einer Standortanalyse eine optimale Entscheidungsbasis erlangen zu wollen und aufgrund vieler beobachtbarer Riickverlagerungen, muss der Verdacht geaufiert werden, dass die meisten Unternehmen ihre Standortentscheidung nur ungeniigend fundieren. Welche Methoden und Verfahren sind also fiir eine zuverlassige Standortanalyse geeignet? Inwieweit wird bei diesen Verfahren Bezug auf den Faktor Wissen und Kompetenz genommen, dem in Hinblick auf die Nachhaltigkeit des Standortes eine erhebliche Bedeutung zukommt? Zunachst stellt sich die Frage, welche Anforderungen typischerweise eine Bewertungsmethode erflillen sollte, damit mit validen Ergebnissen zu rechnen ist. Nach Vahs/Schafer-Kuhns lassen sich drei allgemeine Anforderungen identifizieren, die an Entscheidungsmodelle der Standortwahl gestellt werden: B Die Anforderungen an den Standort und dessen Beschaffenheit miissen iveitgehend Uhereinstimmen. D. h. ein Unternehmen, das eine bestimmte infrastrukturelle Ausstattung zur Auslibung der Geschaftstatigkeit benotigt, (z. B. Gebaude, Strafien, Intemetanbindung) kann nur dort einen Standort wahlen, wo diese grundlegenden Voraussetzungen existieren.
115
Anforderungen an Bewertungsverfahren
Standortentscheidungen messen und bewerten
•
Der in Frage kommende Standort muss Rationalisierungsejfekte ermoglichen. D. h, der neue Standort sollte fiir die Bearbeitung von Teilen der Wertschopfungskette besser geeignet sein, als die bisher vorhandenen Standorte. So wird ein Untemehmen, das Standorte in einem Hochlohnland hat moglichst Standorte wahlen, die von den Personalkosten her gesehen gunstiger sind, jedoch die gleiche Output-Qualitat gewahrleisten.
•
Es muss ein Entwicklungspotenzial erkennbar sein. D. h. die Voraussetzungen, die der Standort momentan bietet, soUten nicht das Maximalpotenzial des Standortes (z. B. Absatzpotenzial, Kostenpotenzial, Mitarbeiterpotenzial) darstellen. Eroffnet ein Maschinenbauunternehmen ein neues Werk in einer chinesischen Provinzstadt, muss es davon ausgehen konnen, dass auch in den nachsten zehn Jahren geniigend qualifizierte Arbeitnehmer in der Region angesiedelt sind [Vahs/Schafer- Kuhns 2002, 58].
Erweiterung um I Priift man traditionell angewandte Bewertungsverfahren hinsichtlich ihrer wissensbasierte Validitat zu den eben genannten Anforderungen, kann festgestellt werden, Anforderungen dass die meisten Verfahren diesen entsprechen. Jedoch ist auch hier wieder die Kritik anzubringen, dass die o. g. Anforderungen zwar den Rahmenbedingungen einer industriell gepragten Standortverlagerung entsprechen. Doch wird auch hier wenig Bezug auf eine wissensbasierte Standortverlagerung genommen. Wir mochten aus diesem Grund den hier aufgefiihrten Anforderungen drei weitere Punkte, speziell in Hinblick auf den Wissensbezug, hinzufugen: •
Der Standort hat eine konstruktive Wirkung auf die betriebliche Wissensbilanz. D. h. Wissen geht durch die Wahl des neuen Standortes nicht verloren, sondem wird im Gegenteil langfristig gesichert und erweitert. Das Gegenteil - also die destruktive Wirkung - tritt z. B. dann ein, wenn Unternehmen Standorte in einem Hochindustrieland mit qualifizierten Mitarbeitern abbauen, um am neuen Standort weniger qualifizierte Mitarbeiter einzustellen. Die Folge sind Verluste bei Innovation und Leistungsfahigkeit.
•
Der Standort muss Moglichkeiten zur komplementaren Erweiterung des betrieblichen Wissensbestandes bieten. D. h. bereits an etablierten Standorten verfiigbares Wissen sollte nicht neu aufgebaut werden miissen. Vielmehr muss der Standort Moglichkeiten einer Diversifikation der Wissensbasis bieten, d. h. neue Kompetenz- und Wissensfelder dadurch erschlossen werden. Dies umfasst vor allem die Rekrutierung neuer, qualifizierter Mitarbeiter, schliefit aber nicht den Transfer vorhandenen Wissens, z. B. in Form von Mitarbeiterwechsel, an einen neuen Standort aus.
•
Der neue Standort bietet interdependente Wissenspotenziale. D. h. am Standort miissen Moglichkeiten existieren, die Wissensbasis permanent zu er-
116
Grundlasen der Wissensmessuns
weitem - sei es durch Zugang zu neuem Kunden- und Marktwissen, der Kooperation mit neuen Zulieferfirmen, die bestimmte Technologien anbieten oder die Integration in lokale Stakeholder-Netzwerke, wie sie gern von grofien Konzemen genutzt werden (z. B. politisches Engagement, okologische Aktivitaten usw.). In diesem Sinne werden im Folgenden etablierte und traditionelle Verfahren der Standortbewertung skizziert. Diese werden im weiteren Verlauf durch neue, innovative Bewertungsverfahren erganzt, die im Sinne einer Wissensstrategie von Unternehmen angewendet werden konnen, um einen zukunftsfahigen und nachhaltigen Umgang mit dem Faktor Wissen anzustreben.
5.1
Grundlagen der Wissensmessung
Das Thema Wissensbewertung [Scholz 2004] hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen und auf verschiedenen Seiten und Ebenen das Interesse geweckt, sich damit auseinander zusetzen. Das zeigt sich zuletzt nicht nur an der Uneinigkeit dariiber, was man unter Wissen iiberhaupt verstehen kann, geschweige, ob es iiberhaupt moglich ist Wissen zu messen und zu bewerten. Theorie und Praxis haben bisher vielfaltige Griinde und Argumente geliefert, sich mit der Bewertung von Wissen oder mit den durch Wissensprozesse ausgelosten Wirkungen, auseinanderzusetzen. Dies wird unter anderem deutlich an den Bestrebungen zur Anderung der internationalen und nationalen Rechnungslegungsstandards oder auch an Unternehmensinitiativen wie von Skandia, bis hin zu ersten internationalen Versuchen, so genannte Wissensbilanzen zu standardisieren. Es geht also im weitesten Sinne darum, Verbindungen und Wechselwirkungen der immer starker wissenszentrierten Wertschopfung zu erkennen, die es ermoglichen, Beziehungen zwischen dem unternehmerischen Erfolg und seinen Ursachen unter neuer Perspektive herzustellen. Das Gebiet Wissensbewertung lasst sich als ein Handlungsfeld des Wissensmanagements verstehen, durch welches die Wirtschaftlichkeit die Zweckmafiigkeit und die Verwendbarkeit von Wissen thematisiert werden. Dadurch wird eine intellektuelle Grundlage geschaffen, damit Unternehmen ihre wissensbezogenen Aktivitaten und Werttreiber identifizieren und erfassen, so dass Vision und Strategie des Unternehmens auf Ursache-WirkungsZusammenhangen ausgerichtet werden konnen. Die Diskussion, sich mit der Erfassung und Bewertung des Wissens zu beschaftigen, nimmt ihren Ausgangspunkt in der zunehmenden Erkenntnis, dass die traditionellen physischen Faktoren an Gewicht verlieren und immaterielle Unternehmens117
V^rissenshewertung als Nukleus intellektueller Wertschopfung
Standortentscheidunsen messen und bewerten
bestandteile anscheinend an Einfluss gewinnen. Die Wissensbewertung entstammt gegenwartig vor allem Griinden, zum einen aus dem Grund der Evaluierung mentaktivitdten und zum anderen aus der zunehmenden len Berichtswesen [Reinhardt 1998,150].
Notwendigkeit der aus zwei zentralen von WissensmanageKritik am traditionel-
Evaluierung von Wissensmanagementaktivitaten
Seit Beginn der 1990er Jahre zeichnet sich in Untemehmen und in der Forschung ein wachsendes Interesse ab, bilanztechnisch „den wahren Wert einer Organisation'' [Edvinsson/Briinig 2000, 33] zu erfassen und abzubilden. Der Grund leitet sich nach Zawacki-Richter vor allem daraus ab, dass „Finanzbilanzen immer weniger in der Lage sind, die Werte abzubilden, die wirklich zum Untemehmenserfolg beitragen" [Zawacki-Richter 2004, 3]. Beinahe klassisch wird dazu in der Literatur, das Beispiel der MarktwertBuchwert-Liicke borsengelisteter Untemehmen genannt, um die steigende Notwendigkeit der Erfassung der immateriellen Ressource Wissen zu untermauern. Es wird davon ausgegangen, dass der Marktwert eines Unternehmens zunehmend iiber das immaterielle Vermogen bestimmt wird und in geringerem Mafie iiber den Buchwert, dem in der Bilanz abgebildeten materiellen Vermogen, das bei Standortverlagerungen die dominante Rolle spielt. So lasst sich seit Beginn der achtziger Jahre der Trend einer steigenden Diskrepanz zwischen Buchwert und Borsenwert insbesondere wissensintensiver Untemehmen, wie Microsoft oder SAP beobachten, deren Aktien teilweise mit dem zehnfachen ihres ausgewiesenen Eigenkapitals taxiert werden [North 1999, 20].
Kritik am traditionellen Berichtswesen
Vor allem bei Untemehmen wissensintensiver Branchen wie der Informationstechnologie, der Elektronikindustrie oder der Beratung wird deutlich, dass eine Untemehmensbewertung mit traditionellen bilanztechnischen Methoden, nicht mehr in der Lage ist, den eigentlichen Wert solcher Unternehmen darzustellen. Das traditionelle Rechnungswesen, wie es bis heute allgemein vorherrscht, ist kostenorientiert und dient dazu, Kapitalstrome zu erfassen und zu kontrollieren. Die Aufwendungen, die notig sind, ein Gut zu erwerben, werden einerseits als Kosten bilanziert, stellen jedoch gleichermafien den Marktwert dieses Gutes dar. Immaterielle Giiter wie beispielsweise geistiges Vermogen in Form von Wissen konnen nach diesen Prinzipien des Rechnungswesens nicht bilanziert werden, da sich keine direkte Beziehung zwischen dem gegenwartigen Marktwert und seinen Entstehungskosten nachweisen lasst. Die Suche nach neuen Bewertungsansatzen lasst sich in letzter Zeit vor allem an der Einfiihrung neuer Bilanzierungsstandards fur immaterielle Vermogenswerte festmachen. Nicht allein Firmen, sondern verstarkt der Internationale Kapitalmarkt sind darin interessiert, Instrumentarien und Ansatze zu entwickeln, die es ermoglichen, vor allem wissensbasierte Firmen ihrem Wert nach einfacher und konkreter zu bewerten.
118
Grundlasen der Wissensmessung
Probst et al. (1999) nahern sich dem Bereich der Wissensbewertung mit einer I Professionalisiegrundlegenden Frage, die sich Unternehmen stellen sollten, um etwas iiber rung der Bewerdie Bedeutung der Mitarbeiter und deren intellektuellen Know-how fiir das | tungsmethoden Unternehmen zu erfahren: „Kdnnen Sie aus Ihrer Bilanz ahlesen, wie sich Ihre Wissensbasis innerhalb des letzten Jahres verdndert hat? Oder welche Experten und Talente das Unternehmen verloren oder gewonnen, welche Produktinnovationen auf gutem VSlege zu sein scheinen oder wie sich die Verankerung zentraler Kompetenzfelder ausgewirkt hat?'' [Probst etal. 1999, 321]. Konnen Sie diese Frage fiir Ihr Unternehmen beantworten? Wenn nein, dann ist dies ein Indiz dafiir, dass in Ihrem Unternehmen keine geeigneten Instrumente vorhanden sind, die eine Bewertung des Wissens zulassen. Probst et al. weisen auf die Problematik hin, dass die Instrumente und Techniken zur Messung und Bewertung der klassischen Produktionsfaktoren zwar kontinuierlich verbessert wurden, jedoch eine Professionalisierung von Instrumentarien im Bereich der Wissensressourcen kaum zu erkennen ist [Probst et al.l999, 22]. Edvinsson erkennt unter der Perspektive einer Erfolgskontrolle des Wissensmanagements die Schwierigkeit in der Messung und Bewertung von Wissen und der Entwicklung einer zuklinftigen Systematik, da Wissensmanager sich nicht wie Finanzmanager auf ein Instrumentarium an Indikatoren und Messverfahren stiitzen k5nnen. Eine neu zu entwickelnde Metrik wird von einem hohen Individualisierungsgrad gepragt sein und Unscharfen zulassen miissen, bzw. neue Problemlosungen konnen nicht mit alten Methoden begegnet werden [Edvinsson/Briinig 2000, 15]. Wissen in Organisationen zu messen eroffnet eine der zentralen Herausfor- I Prohleme in der derungen, hinsichtlich der gegenwartigen Postulierung, dass Wissen zur | Praxis entscheidenden Ressource geworden ist, kann jedoch nicht von einer Objektivitat wie andere Messverfahren ausgehen. Roehl und Romhardt haben die Problematik der Wissensmessung treffend formuliert: „Der Ausspruch Wissen exakt messen zu konnen, gaukelt dort Objektivitat vor, wo nur Unscharfe sein kann. Erste Ansatze eines qualitativen Wissenscontrollings zeigen allerdings, dass Organisationen in der Lage sein konnen, Wissensbilanz in Form einer Positionierung mit Unscharfen zu ziehen" [Roehl/Romhardt 1997, in North et al. 1998, 158]. Zentrale Probleme, die bei der Messung von Wissen entstehen, sind: •
Wichtiges wird nicht gemessen: Das immaterielle Vermogen des Unternehmens wird nicht und wenn, nur ungeniigend gemessen. Der Grund liegt in erster Linie darin, dass das wettbewerbskritische Wissen nicht identifiziert und damit bekannt gemacht wird.
119
Standortentscheidungen messen und bewerten
•
Es wird das Falsche gemessen: Traditionell an Finanzbilanzen gewohnt, liegt die Konzentration vor allem bei finanziellen Indikatoren, welche jedoch keine Aussagen liber Ursache- Wirkungs- Zusammenhangen sowie die Entwicklung der Wissensressourcen im Unternehmen ermoglichen. So werden oft individuelle Fahigkeiten bewertet, jedoch nicht wie sie sich auf das koUektive Beziehungswissen auswirken.
i i Es wird mit demfalschen Maflstab gemessen: Buchhalterisch stellen materielle und immaterielle Vermogenswerte unterschiedliche Bewertungsgrofien dar, so dass Investitionen in Maschinen anders beurteilt werden als beispielsweise Investitionen in Weiterbildung oder Forschungsprogramme. Ebenfalls kritisch zu sehen ist der zumeist fehlende Bezug der organisationalen Wissensbasis zu Marktpotenzialen und anderen Wettbewerbern sowie der zu geringe Betrachtungszeitraum getatigter Investitionen in die Wissensbasis [North et al. 1998,158 ff.]. Die Frage stellt sich also an dieser Stelle, welche Methoden iiberhaupt fiir eine Messung und Bewertung geeignet sind und welche Methoden die hohen Anforderungen an die Messung intellektuellen Kapitals erfiillen? Entwicklungsphasen der Messung
Die Absicht und das Bestreben einer Wertermittlung und Bewertung des intellektuellen Kapitals, um so eine realistischere Einschatzung des gesamten Vermdgenswertes des Unternehmens vomehmen zu konnen, ist in unterschiedlichen Ansatzen, seit fast vierzig Jahren in Forschung und Praxis beobachtbar. Generell lassen sich bis in die neunziger Jahre zwei Stadien identifizieren, in denen in erster Linie Fragen der Personalbewertung mit Prozessen der Unternehmensfiihrung verkniipft wurden. Jede Entwicklungsphase kennzeichnet sich verstandlicherweise nach ihrer zeitlichen Lage, ihrer inhaltlichen Ausrichtung und den verwendeten Modellen [Wucknitz 2002], die im Folgenden kurz skizziert werden.
Wertzentrierte Phase
•
Wertzentrierte Phase: Die erste Phase, welche Mitte der sechziger Jahre begann, zeichnete sich liber das Verstandnis des PersonalcontroUings aus. Im Mittelpunkt eines personalwirtschaftlich orientierten Interesses stand dabei die Wertermittlung der Mitarbeiter als ein Humanvermdgen. Die Zielstellung besteht in der Ermittlung einer einzigen Kennzahl, welche den Wert des Personals quantitativ auf eine moglichst genaue Art und Weise widerspiegelt. Darunter fallen Ansatze des Human Resource Management wie die Humanvermogensrechnung sowie die Humankapitaltheorie.
Kapitalzentrierte Phase
•
Kapitalzentrierte Phase: Das zweite Stadium hinsichtlich des Entwicklungsprozesses der Erfassung der Wissensbasis lasst sich seit Ende der achtziger Jahre bis heute andauernd, mit der so genannten Intellectual Capital Bewegung, die ihren Ursprung vor allem in Nordamerika und Skandinavien hatte, umschreiben. Der Ausgangspunkt flir das steigende
120
Grundlasen der Wissensmessung
Interesse am intellektuellen Kapital, bestand in der zunehmenden Erkenntnis, dass der Buchwert eines borsennotierten Unternehmens immer weniger iiber dessert eigentlichen Wert, den Marktwert aussagen kann. Grund dafiir ist, dass durch die immateriellen Werte des Unternehmens, auch als das intellektuelle Kapital bezeichnet, ein hoher Anteil am Unternehmenswert generiert wird, dieser Anteil jedoch nicht bilanztechnisch erfassbar ist. Wissen wird bei den entwickelten Verfahren unter dem Gesichtspunkt seines Wertes beziehungsweise seines Wertschopfungspotenzials betrachtet - intellektuelles Kapital ist Ausdruck von Wissen, das in Wert transformiert werden kann [North 1999]. Neben der Bewertung des intellektuellen Kapitals zielen die Modelle der Intellectual Capital Bewegung in Form der Balanced Scorecard, welche von Kaplan & Norton zu Beginn der neunziger Jahre als Strategieinstrument entwickelt wurde, auch auf die Steuerung des Unternehmens ab. Wucknitz schreibt den Methoden der Intellectual Capital Bewegung hinsichtlich einer spezifischen Bewertung des Humankapitals eine grofie Bedeutung zu [Wucknitz 2002, 8]. Humanzentrierte Phase: Die dritte Phase, Ende der neunziger Jahre beginnend, wird durch die Begrifflichkeit Humankapital gepragt. Vom Grundgedanken der klassischen Humanvermogensrechnung abgeleitet, wird mit dem Konzept des Humankapitals versucht, eine Bewertung der Mitarbeiter, mit der finanziellen Erfolgsrechnung des Unternehmens zu verbinden, qualitative und quantitative Messgrofien in der Ermittlung des Mitarbeiterwertes zu kombinieren um dadurch eine strategische Steuerung der Mitarbeiter im Rahmen der langfristigen Unternehmensentwicklung zu erreichen [Wucknitz 2002, 9]. Inhaltlich ist die Humankapital-Philosophie mit der sich langsam durchsetzenden Abkehr vom konventionellen Begriff Human Resources verbunden, welcher die Annahme suggeriert, dass Mitarbeiter als verfiigbares Mittel gesehen werden, das beliebig gebraucht wird und bei Bedarf in Anspruch genommen werden kann [Friedmann et al. 1999, 4].
Humanzentrierte Phase
Es zeigt sich, dass eine Annahrung an Fragen zur Ermittlung des intellektuellen Kapitals in Phasen stattgefunden hat. Warum aber entwickelt sich das Verhalten von Unternehmen hinsichtlich der Messung und Bewertung der Wissensbestande genau in diese Richtung? Zum einen sind dies Stromungen des innerbetrieblichen PersonalcontroUings, welches das Interesse hat, den Erfolg von Investitionen in die Mitarbeiter zu messen, um daran die Steuerung der Personalarbeit zu orientieren. Mit der Humankapitalphilosophie und der spezifischen Nutzung der Begrifflichkeit des Humankapitals wird dazu beigetragen, die werttreibende Bedeutung der Mitarbeiter fur die Unternehmen zu in den Vordergrund zu stellen. Ein zweiter Grund liegt wie bereits erwahnt im Bedarf der Unternehmen, ihre immateriellen Vermo-
Wandel der Sichtweisen und Anforderungen
•
121
Standortentscheidungen messen und bewerten
genswerte einzuschatzen, da die Ausweisung der materiellen Werte in der Bilanz nicht mehr die alleinige Basis sein kann, um den Gesamtwert des Untemehmens zu analysieren. Und schliefilich zum Dritten, entstand mit dem Aufkommen des Wissensmanagements zunehmend der Bedarf, Ergebnisse und den Erfolg gesteuerter Wissensprozesse im Untemehmen zu messen und zu bewerten. Seit der Veroffentlichung des ersten Intellectual Capital Statements 1994 durch das schwedische Versicherungsunternehmen Skandia wurden eine Reihe von untemehmensbezogenen Methoden und Ansatzen mit dem Ziel einer Wissensmessung oder Wissensbilanzierung entwickelt, deren Anwendung zu einer Kontrolle und Steuerung intellektuellen Kapitals beitragen soll.54 Wissensbewertung und Standortverlagerung
Mit den zunehmenden Strukturbruchen und okonomischen Wandlungsprozessen sind Unternehmen in immer kiirzeren Zeitraumen zu Reaktionen gezwungen, die auf unterschiedliche Art und Weise erfolgen kdnnen. Die Standort- bzw. Produktionsverlagerung stellt eine solche Form dar. Standortverlagerungen werden trotz vielfaltiger und auch nachvollziehbarer Motivationen, immer noch in erster Linie unter Kostengesichtspunkten in Orientierung an harten Standortfaktoren getroffen. Gleichzeitig haben die Ausfuhrungen zum Phanomen der Riickverlagerung, eine Problematik angesprochen, die wahrscheinlich auf viele Unternehmen zutrifft, namlich, dass die Standortentscheidung nicht ganzheitlich oder nur unzureichend systematisiert wird. Dies erhoht jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmensengagement im Ausland ein Misserfolg, und die damit verbundene Zielsetzung nicht erreicht werden. Des Weiteren haben sich im Rahmen der traditionellen Standortlehre, bei den traditionell angewandten Standortbewertungsinstrumenten, Schwachstellen identifizieren lassen, die auf eine ganzheitliche Betrachtung und dynamische Umfeldbedingungen wenig ausgerichtet sind. Mit der Problematik der Wissensbewertung ist auf den Bedarf vieler Unternehmen nach prazisieren Informationen hinsichtlich des Einflusses des intellektuellen Kapitals auf die Wertschopfungsprozesse, aufmerksam gemacht worden. Es sollte unter ganzheitlicher und systematischer Standortbewertung, die Beriicksichtigung des strategischen intellektuellen Kapitals am heimischen Standort unabdingbar sein. Edvinsson hat mit der „Longitude Perspektive", der lateralen Dimension des Unternehmens, einen Ausdruck fiir eine neue Sichtweise auf das Unternehmen gepragt, in deren Kern es darum geht, unter der Wissensperspektive die Fahigkeit zu besitzen, „Kontexte zu begreifen und in richtige Relationen zu setzen" [Edvinsson 2005, 365]. Die laterale Dimension umfasst die immateriellen Vermogenswerte des Untemehmens und stellt die „Opportunitatskosten" des unerschdpften Potenzials dar (ebd.). Die Sichtweise der „Longitude Perspekti-
54 Eine sehr ausfiihrliche Darstellung und Analyse bestehender Bewertungsansatze lasst sich bei Scholz et al. (2004) finden. 122
Grundlagen der Wissensmessung
ve" kann als Begriindung dienen, warum bei der Standortbewertung im Rahmen einer geplanten Produktionsverlagerung, das heimische Wissenspotenzial in die Bewertung einbezogen werden soUte. Untemehmen benotigen eine Systematik, die ihnen hilft die immateriellen Wechselwirkungen des Untemehmens so weit wie moglich zu erfassen und daraus gegebenenfalls Handlungsoptionen abzuleiten. „Die Evaluation des ausgeschopften Potenzials zu Hause hietet die Chance, wahrzunehmen, was man hat, bevor es an einem ausldndischen Standort vermisst wird." [Jung-Erceg 2004,158]. Diese Feststellung verweist auf die Frage, weshalb iiberhaupt die Bewertung des deutschen Standortes in den internationalen Standortentscheidungsprozess einbezogen werden sollte. Es muss angemerkt werden, dass bei vielen Untemehmen die Standortfrage ein Kern der strategischen Uberlegungen ist, es jedoch oftmals nicht um eine Totalverlagerung des Betriebes geht, sondern eher eine Antwort auf die Frage gesucht wird, wo man welchen Bereich des Wertschopfungsprozesses ansiedelt [Lubach et al. 2004, 166]. Bei einem Vergleich des heimischen Standortes mit einem potenziellen auslandischen Standort wird in der Kegel der gewachsene Ist-Zustand des deutschen Standortes als Referenzmafistab genutzt. Die optimiert geplanten Alternativstandorte stehen dabei dem deutschen Standort mit dessen unausgeschopften Potenzial gegeniiber. Inwieweit jedoch die Ausschopfung des internen Potenzials des heimischen Standortes, ein eventuell besseres Resultat als das angestrebte Auslandsengagement ergeben wiirde, bleibt unter dieser Vorgehensweise zumeist unberiicksichtigt [Kinkel 2004c, 7]. Es sollte im Interesse jedes Unternehmens sein, neben relativ offensichtlichen Faktoren und Komponenten wie beispielsweise einer technischen Leistungsoptimierung von Maschinen oder einer Veranderung der Fertigungstiefe, auch Bereiche zu betrachten, die als schwer greifbar einzustufen sind, jedoch Einfluss auf den unternehmerischen Erfolg besitzen. Nur wenn ein Untemehmen erkennt, wodurch es erfolgreich ist, was seine Werttreiber sind, kann es Mafinahmen dazu optimieren. Einen sehr aufschlussreichen und wertvollen Beitrag, der die Argumentation unterstiitzt, dass Untemehmen bei einer Standortentscheidung das Wissen des heimischen Standortes in ihre Bewertung einfliefien lassen sollten, wurde mit der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Wissen und Standort von Untemehmen von Hunecke (2003) geliefert. Diese Untersuchung gewinnt vor allem deshalb an Bedeutung, wenn sie vor Augen halt, dass bislang konkrete Zusammenhange zwischen Wissen und Standort eines Unternehmens, kaum wissenschaftlich durchleuchtet und geklart wurden. Die der Untersuchung zugrunde liegende Forschungshypothese, postuliert eine
123
Optimierungspotenziale am deutschen Standort
Zusammenhange zwischen Wissen und Standort
Standortentscheidungen messen und bewerten
hohe Standortgebundenheit von Wissen.55 Damit soil die allgemein vertretene Auffassung der Ubiquitat der Ressource Wissen, also einer generellen und beliebigen Verfiigbarkeit als Wirtschaftsgut, relativiert werden. Hunecke untersucht den Zusammenhang zwischen Standort und Wissen aus einer raumwissenschaftlichen Perspektive, wobei im Mittelpunkt der Analyse die Herausarbeitung der historischen und soziokulturellen Kontextgebundenheit von Wissen steht. Wichtige Ergebnisse der Befragungen sind: •
Dem Einfluss der standortspezifischen Untemehmensgeschichte auf das Wissen eines Unternehmens wurde von 85 Prozent der befragten Unternehmen eine „sehr wichtige'' bzw. „wichtige" Bedeutung zugeschrieben,
•
etwa 75 Prozent der Unternehmen hielt es fur unwahrscheinlich den Geschaftserfolg an einem beliebig anderen Standort zu wiederholen,
•
iiber 75 Prozent schatzten die Bedeutung des Unternehmensstandortes aufgrund der regionalen Verflechtungen und dem regionalen Milieu, als entscheidendem Wettbewerbsvorteil, als wichtig ein,
M iiber 75 Prozent der Unternehmen gaben an, dass spiirbare Impulse fiir Innovationen im regionalen Umfeld vorhanden sind.56 Hunecke kommt bei der Auswertung der Befragungen zu dem Ergebnis, dass das Wissen eines Unternehmens, durch folgende drei Determinanten mafigeblich beeinflusst wird: •
„seinen standortspezifischen Kontext, der sich in der standortspezifischen Untemehmensgeschichte manifestiert,
•
die Einbindung des Unternehmens in einen raumlichen und soziokulturellen Kontext, welcher durch das standortspezifische regionale Milieu reprasentiert wird,
•
die Funktion eines standortspezifischen System-de-codings"^'^. [Hunecke 2003,132]
p5 Die Untersuchung basiert auf Befragungen von 28 deutschen, schwerpunktmafiig kleinen- und mittleren Unternehmen, wovon 70 Prozent dem Dienstleistungssektor angehoren, was weitgehend dem Anteil der deutschen Unternehmen im tertiaren Sektor entspricht. Circa 35 Prozent der Unternehmen gehoren wissensintensiven Branchen an - bei den iibrigen Unternehmen ist das Wissen primar integrierter Bestandteil von Produkten und Dienstleistungen [Hunecke 2003, 87 ff.]. P^ Es wurden besonders die Beziehungen zu regionalen Forschungseinrichtungen und Hochschulen betont. Y^ Dieses resultiert aus dem Zusammenspiel von Untemehmensgeschichte und regionalem Milieu und versieht das spezifische Wissen eines Unternehmens mit einem Code. Es existieren keine empirischen Untersuchungen iiber den „Gewinn" der Einbindung von Hochschulabsolventen als Praktikanten oder Formen der Berufseintritte durch Mentoringprogramme. Gleichwohl ist auch nicht zu unterschatzen, in wel124
Grundlasen der Wissensmessuns
Die Komplexitat der Verbindung zwischen dem „Wissen'' eines Unternehmens und der Spezifik seines Standortes wurde unter anderem am Fallbeispiel des Landmaschinenherstellers John Deere Werke Mannheim, Teil eines international tatigen Grofiunternehmens, anhand der drei zentralen Determinanten, deutlich untersucht. Die folgende Tabelle stellt die Ergebnisdarstellung am Beispiel der John Deere Werke Mannheim dan Die elementare Erkenntnis, die sich aus der Untersuchung ableiten lasst, besteht darin, dass sich anscheinend jeder Standort durch seine einmalige standortspezifische Entwicklungsgeschichte und durch eine standortspezifische und milieubezogene Einmaligkeit der Ressource Wissen auszeichnet. Auch dadurch wird es offensichtlich, wie vielschichtig und schwierig es ist, Aussagen iiber ein so komplexes System wie ein Unternehmen hinsichtlich seiner Wissensbasis zu machen. Die Entscheidungstrager sollten sich deshalb deutlich klar machen, dass ein Unternehmen wie ein organisches System zu verstehen ist, das aus formalen und informellen, sich gegenseitig beeinflussenden, Komponenten besteht. Zusatzlich befindet es sich in einem Netzwerk interner und externer Interaktionspartner, was letztendlich nichts anderes ist, als eine wissensorientierte Integration.
Einzigartigkeit eines Standortes
Auch Hirsch-Kreinsen und Schulte kommen aufgrund von Unternehmensgesprachen zu der Erkenntnis, dass die Bindungskraft regionaler und lokaler Faktoren vor allem in Netzwerken fiir kleine und mittlere Unternehmen nicht zu unterschatzen sei. Besonders gewachsene Wissensbestande, die Qualifikation und Erfahrung der Arbeitskrafte, die Nahe zu den Absatzmarkten sowie die Beziehungen zu externen Partnern wie Ausbildungs- und Qualifizierungseinrichtungen, eine grofie Rolle [Hirsch-Kreinsen/Schulte 2000, 20 f.]. Vor dem Hintergrund der oft vertretenen Auffassung, dass der Produktionsfaktor Wissen in ahnlicher Weise beliebig vorhanden ist wie Arbeit, Boden und Kapital und dementsprechend Standorte ihren Vorteil allein aus niedrigen Kosten generieren, haben die Ergebnisse Huneckes gezeigt, dass auch befragte Unternehmen aus dem IT-Dienstleistungsbereich durchaus den spezifischen Einfluss des heimatlichen Standortes fiir den Untemehmenserfolg konstatiert haben. So spricht man seit einigen Jahren in den Managementwissenschaften vom Standortparadoxon, wonach trotz der Zunahme virtueller Arbeits- und Kooperationsmoglichkeiten und der Mobilitat der Produktionsfaktoren der Standort weiterhin eine zentrale Wettbewerbsbedeutung hat [Hirsch-Kreinsen/Schulte 2000, S.13]. Es scheint, dass viele Unternehmen aufier Acht lassen, dass ein Grofiteil ihrer Wissenspotenziale vor allem innerhalb regionaler Netzwerke am heimischen Stand-
Bindungskraft regionaler und lokaler Faktoren
cher Weise know-how in die Unternehmen fliefit, iiber das formell nicht nachgedacht wird [Almendingen 2005, Peters u. a. 2004]. 125
Standortentscheidungen messen und bewerten
ort verborgen ist, diese aber auch durch eine spezifische Unternehmenskultur und die innere Einstellung der Mitarbeiter beeinflusst werden.58 Know-howVerlust am heimischen Standort
Eine weitere interessante Problematik hinsichtlich der Wissens- und Innovationskraft von Untemehmen wird von Marthilde von Behr (2000) angesprochen. V. Behr weifit auf mogliche Gefahren hin, die sich aufgrund des Trends der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung ergeben. Untemehmen konnen dabei in zwei unterschiedlichen Ausmafien der Produktion von Veranderungen betroffen sein, womit ein erheblicher Know-how-Verlust am heimischen Standort einhergehen kann. Dies ist umso wichtiger einzuschatzen, als das bei Verlagerungsprozessen die Fertigungstiefe am heimischen Standort verringert oder ganz aufgegeben wird. Durch die Neustrukturierung der Wertschopfungsketten und der damit folgenden Auflosung bisher eng verbundener Entwicklungs- und Produktionsketten, konnen hinsichtlich des Wissens am heimischen Standort, Verluste und systematische Liicken im Fertigungswissen entstehen. Aufgrund der raumlichen Distanz zu den im Ausland befindlichen Produktionsprozessen fehlen am heimischen Standort, beispielsweise Anstdfie zu Produkt- und Prozessinnovationen, die sich bisher durch den engen Kontakt zwischen Forschungs- und Entwicklungstatigkeiten Konstruktion und Produktion ergeben haben [Bolte 1999, 189 ff. in: Behr, v. 2000, 87]. Nach Hendry kann es, neben einem Know-how-Verlust zum Verlust langfristiger Lernfahigkeit, informeller Anpassung und langfristiger Anpassungsfahigkeit kommen [Hendry 1995, in: Beer 1997, 127]. Behr, v. sieht die Herausforderung darin, dass Methoden und Wege gefunden werden miissen, „... wie bei der neuen internationalen Arbeitsteilung wettbewerbsrelevante und nicht intendierte Verluste beim Fertigungswissen zu identifizieren und zu vermeiden sind'' [Behr, v. 2000, 88]. Daraus ergibt sich die Konsequenz einer strategischeren Standortplanung, Untemehmen miissen grundlegende Informationen iiber die Wissensstrome innerhalb der Produkterstellung und Entwicklung generieren, um bei der Auslagerung von Teilprozessen eine Zerstorung wichtiger Know-how- Ketten zu verhindern. Festgehalten werden kann also generell, dass mit Hilfe des Wissensmanagements die Mitarbeiter mit ihren individuellen Voraussetzungen, subsumiert unter der Begrifflichkeit Humankapital, einen zentralen Werttreiber des Untemehmens darstellen. Die Komplexitat, in der Wissen vorkommen kann und die ihm innewohnt, hat zur Folge, dass es nicht ohne weiteres genutzt und systematisiert werden kann, wie etwa traditionelle materielle Produktionsfaktoren.
^8 Standortbindungen von Untemehmen aufgrund regionaler Netzwerke und Kooperationen, werden bei Schamp (2000) thematisiert. 126
Konventionelle Bewertungsverfahren
5.2 Konventionelle Bewertungsverfahren Das generelle Hauptziel des Einsatzes von Standortbewertungsverfahren besteht allgemein in der Schaffung einer strukturierten Informationsgrundlage fiir eine Betrachtung unterschiedlicher Standortalternativen. Dabei lassen sich bei den konventionellen Bewertungsverfahren, die bei der Durchfiihrung aktueller Standortverlagerungsentscheidungen weit verbreitet sind, vor allem qualitative und quantitative Verfahren unterscheiden.
Systematik gdngiger Bewertungsverfahren
Uberblick iiber gcingige Standortbewertungsverfahren
TabelleS-l
[Kinkel/Buhmann
2004]
Bei der Standortanalyse konnen Standortalternativen auch anhand quantifizierbarer Standortfaktoren beurteilt werden. Die dabei bevorzugten analytischen Verfahren, wie beispielsweise die Investitionsrechnung, sind durch die Anwendung mathematischer Methoden charakterisiert. Im Zentrum dieser Verfahren stehen quantitative Standortkriterien, die monetar zu erfassen sind. Nach Stremme sollten methodisch eher die dynamischen Verfahren59 bevorzugt werden, da diese im Gegensatz zu den statischen Investitionsrechenverfahren^o^ die zeitliche Struktur der mit der Standortalternative verbundenen Zahlungsstrome berlicksichtigen [Stremme 2000, 248]. Als Conclusio lasst sich festhalten, dass die analytischen Verfahren nicht als alleiniges Verfahren angewendet werden sollten, da sie nichtquantifizierbare 59 Dynamische Investitionsrechenverfahren sind dadurch charakterisiert, dass sie alle Nutzungsperioden in die Berechnung einfliefien lassen. Es sind dabei jedoch zuverlassige Vorhersagen der Zahlungsstrome im Planungszeitraum notig. 60 Statische Investitionsrechenverfahren zeichnen sich dadurch aus, dass sie den zeitlichen Aspekt beim Anfall der Ein- und Auszahlungsstrome unberiicksichtigt lassen.
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Quantitative Bewertungsverfahren
Standortentscheidunsen messen und bewerten
Standortfaktoren, zum Beispiel die so genannten „weichen Faktoren", wie das Qualifizierungsniveau der Mitarbeiter oder die Einbindung des Unternehmens in regionale Netzwerke, vemachlassigen. Quantitative Bezvertungsvetfahren
Die in der betrieblichen Praxis oft angewendeten qualitativen Verfahren, zeichnen sich dadurch aus, dass eine Vielzahl moglicher Standortalternativen analysiert und verglichen werden kdnnen. Mittels der Definition von Ausschlusskriterien lasst sich die Anzahl der Standortaltemativen reduzieren, um so in komplexen Situationen den Suchaufwand zu verringem. Bewahrte Ausschlusskriterien sind beispielsweise die politische, wirtschaftliche und rechtliche Stabilitat. Im Gegensatz zu den analytischen Optimierungsverfahren wird keine unbedingte optimale Losung angestrebt, stattdessen soil eher nach einer „guten, zufriedenstellenden Losung" gesucht werden [Stremme 2000, 249]. Aufgrund der Vielzahl bestehender Beurteilungsverfahren qualitativer Standortfaktoren, soUen die drei bekanntesten Verfahren kurz umrissen werden.
Country-Ratings Bewertung landesspezifischer Risiken
Die Country-Rating-Verfahren sind zu den so genannten Scoring-Verfahren zu zahlen und werden insbesondere vor dem Hintergrund internationaler Standortentscheidungen eingesetzt. Sie werden zu einem Grofiteil von kommerziell Instituten und Unternehmen angeboten und sollen als Unterstiitzung dienen, um eventuelle wirtschaftliche und politische Risiken potenzieller Auslandsstandorte unter zu Hilfenahme von Punktbewertungsverfahren abzubilden [Hummel 1997,253]. Landerrisiken lassen sich als Risiken verstehen, die „im wirtschaftlichen Verkehr mit dem Ausland auftreten konnen und ohne konkreten Projektbezug sind" [Backhaus 1990, in: Kinkel/Buhmann 2004, 34]. Country-Ratings liegen zumeist in Form eindimensionaler Zahlenwerte vor, welche auf qualitativen und quantitativen Daten basieren und stellen als Risikoklassifizierungen einzelner Lander, wahrend des Standortentscheidungsprozesses, eine Moglichkeit zur Vor- und Grobauswahl dar. Als einer der bekanntesten Country-Ratings gilt der BeriIndex (Business Environment Risk Information), welcher von Haner (1972) entwickelt wurde und als Informationssystem, auf der Grundlage von 31 qualitativen und neun quantitativen Kriterien, Prognosen fiir eine Auswahl von Landem liefert.
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Konventionelle Bewertunssverfahren
Checklisten-Verfahren Das Checklisten-Verfahren stellt in der betrieblichen Praxis eine etablierte Methode dar, um in Frage kommende Standorte systematisch zu iiberpriifen. Das Verfahren geht zuriick auf den Ansatz des „StandortfaktorenKatalogs'', welcher bereits 1968 durch das Osterreichische Institut fiir Raumplanung erarbeitet worden ist. Grundlegendes Ziel ist eine moglichst hohe tibereinstimmung von Standortanforderungen und Standortfaktoren zu erreichen [Stremme 2000, 250].
Standort-Nutzwert-Analyse Die Nutzwertanalyse, die auf den Arbeiten Zangenmeisters (1976) basiert, ist ein systemisches heuristisches Verfahren, welches die Standortfaktoren mit Punkten („Scores'') bewertet. Sie ist die in der Praxis am haufigsten angewendete Verfahrensweise und wird besonders dann herangezogen, wenn keine exakte analytische Modellbildung m5glich ist. Zangemeister beschreibt die Verfahrensweise der Methode folgendermajSen:
Scoring der Standortfaktoren
„Nutzwertanalyse ist die Analyse einer Menge komplexer Handlungsalternativen mit dem Zweck, die Elemente dieser Menge entsprechend den Prdferenzen des Entscheidungstrdgers beziiglich eines multidimensionalen Zielsystems zu ordnen. Die Ahbildung dieser Ordnung erfolgt durch die Angabe der Nutzwerte (Gesamtwerte) der Alternativen" [Zangenmeister 1976, 45 in: Goette 1994, 30]). Die Nutzwertanalyse umfasst fiinf Verfahrensschritte, die im Folgenden kurz angerissen werden: [Blohm/Liider 1988, 175 in: Goette 1994, 303 und Hummel 1997, 244].
Fiinf Verfahrensschritte der Scoring-Methode
B Zielkriterienbestimmung Ermittlung der entscheidungsrelevanten Standortkriterien, •
Zielkriteriengewichtung: Beurteilung der einzelnen Kriterien,
•
Teilnutzenbestimmung: Operationalisierung der Standortfaktoren mittels Skalierung,
•
Nutzwertmittlung: Zusammenfassung der Teilnutzenwerte,
•
Beurteilung der Vorteilhaftigkeit: Vergleich der ermittelten Nutzwerte mit den Anforderungen des Beurteilers.
•
Der Vorteil der Nutzwertanalyse besteht darin, dass neben quantitativen auch qualitative Faktoren bewertet werden und dass das Entscheidungsverfahren, durch die konkrete Angabe von Kriterien und der anschliefienden Bewertung der Standortalternativen, nachvoUziehbar ist. Kritisch
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Vorteile der Nutzwertanalyse
Standortentscheidunsen messen und bewerten
an dieser Vorgehensweise ist jedoch, dass in der subjektiven Gewichtung der Kriterien, ein relativ grofier Spielraum bei der Einschatzung relevanter Standortalternativen besteht, der eine erschwert [Vahs/Schafer-Kuhns 2002, 63]. Des Weiteren entstehen Unklarheiten dariiber, welche Faktoren iiberhaupt in eine Nutzwertanalyse mit welcher Gewichtung einbezogen werden soUten. Auch Goette rat dazu, auf eine ausschliefiliche Verwendung der Nutzwertanalyse zur Mikroanalyse von Standorten zu verzichten, da die Nutzwertanalyse keine in sich geschlossene Entscheidungsrechnung, sondern eher einen Rahmen fiir eine systematische Aufbereitung von Entscheidungsinformationen, darstellt [Goette 1994, 306].
Tabelle5-2
Beispiel einer Nutzwertanalyse fur eine Standortwahl [Steiner 1989, S.118 in: Goette 1994, 306]
Fiir die folgende Einschatzung konventioneller Verfahren seien an dieser Stelle noch einmal die wichtigsten Ablaufmuster einer Standortentscheidung zusammengefasst:
pl Bewertungsskala fiir die Teilnutzen: sehr gut 9 gut 6 befriedigend 3 ungiinstig 0 130
Konventionelle Bewertunssverfahren
Ahlauf traditioneller Bewertungsverfahren
M Erstellung einer Systematik mit Standortanforderungen, •
Erstellung einer Rangfolge der Standortfaktoren
•
Festlegung des Suchraumes,
•
Beurteilung der Standortaltemativen hinsichtlich der Standortfaktoren,
II Vergleich der Anforderungen mit den Standortbedingungen durch Scoringmodelle, Nutzwertanalysen oder Profilmethoden.
Einschatzung konventioneller Verfahren Bei Analyse traditioneller Bewertungsverfahren hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit in dynamischen Unternehmensumwelten, sind zahlreiche Mangel festzustellen, die in Folge zu einer grofien Schwache im Umgang mit komplexen Entscheidungssituationen fiihren konnen. Generell lasst sich sagen, dass traditionelle Verfahren nicht die Moglichkeiten der Erfassung und Einschatzung komplexer Interdependenzen zwischen einzelnen Standortfaktoren bieten. Vielmehr werden statische Zustande in Form isolierter qualitativer oder quantitativer Einzelvariablen erfasst, die insgesamt das Faktorenset darstellen. Jedoch wird der komplexe Prozess einer Standortentscheidung neben der Spezifik jedes Unternehmens zusatzlich durch dynamische Veranderungsprozesse der Untemehmensumwelt beeinflusst. Diese Umstande finden jedoch in den bestehenden Standortbewertungsverfahren nur ungeniigend Beachtung. Pull kritisiert vor dem Hintergrund ebenfalls die Nicht-Berlicksichtigung kontextspezifischer Faktoren in etablierten Bewertungsmodellen: „Lehrbuchdarstellungen zur Standortwahl als konstitutive Entscheidung enthalten typischerweise eine Auswahl von Standortfaktorenkatalogen, die sukzessive hintereinander abgearbeitet werden, sowie „Modelle der Standortwahl, wobei jedoch ... keinerlei Hinweise darauf gegeben werden, unter welchen Bedingungen welches Verfahren das angemessene ist.'' [Pull 2003, 850]. Es zeigt sich, dass bei der Eignung zur Erfassung komplexer Zustande Unterschiede zwischen den und qualitativen Verfahren bestehen. Wahrend Investitionsrechnungen ungeeignet sind, Einschatzungen iiber klinftige Zahlungsstrome zuzulassen, und somit keine Aussagen liber dynamische Entwicklungen von Bewertungsgr56en ermoglichen, spricht gegen die Nutzung von Nutzwertanalysen als Hauptinstrument, die ledigliche Bewertung eines „hohen aggregierten und dimensionslosen Gesamtpunktwertes, der kaum in Bezug zu wirtschaftlichen Kenngrofien gesetzt werden kann." [Kinkel 2004a, 7].
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Mangel in der Ahbildung dynamischer Zustande
Standortentscheidungen messen und bewerten
Fehlende Antizipierung komplexer Zustdnde
Ein weiterer zentraler Nachteil beziiglich der sich schnell wandelnden Standortfaktoren, liegt in der ungeniigenden Antizipierung der Wissensund Kompetenzfaktoren des potenziellen Standortes. Die derzeitigen Vorgehensweisen der Bewertungsmethoden orientieren sich eher an berechenbaren, planbaren Komponenten eines Standortes, wie sie typischerweise aus der Industriegesellschaft bekannt sind. Und offenbar retrospektiv bewahrt, weiterhin als giiltig betrachtet werden. Jedoch finden die Abhangigkeiten zwischen betrieblichen Kenngrofien als Ergebnis des Einsatzes von Wissen und Kompetenz eine Beriicksichtigung. So kann z. B. nicht erfasst werden, inwieweit Innovationspotenziale eines Standortes sich auf die Produktpolitik oder die Personalstamme auswirken wird. Ahnliches gilt fiir die Beziehungen zwischen verfiigbaren und benotigten Wissensbestanden. Je komplexer die Rahmenbedingungen werden, in denen ein Untemehmen agiert, desto schneller geraten heutige Bewertungsansatze an ihre Grenzen der Projektion bestimmter Unternehmenszustande. Zum einen ist diese Schwache auf die Verwendung klassischer betriebswirtschaftlicher Kenngrofien bei den quantitativen Methoden zuriickzufiihren. Kosten- und Investitionsgrdfien zeigen keine Sensibilitat bei sich verandemden Einflussfaktoren des Wissens- und Kompetenzfeldes eines Unternehmens. Ob ein Unternehmen also hochinnovativ agiert oder lediglich arbeitsintensive, nicht-qualifizierte Wertschopfung betreibt, fiihrt letztendlich nicht zu einer Veranderung der Messgrofien. Ein weiterer Punkt ist der generelle Mangel einer bemessbaren Grundlage zur Erfassung wissensbezogener Faktoren. Lediglich die Anwendung quantitativer Methoden lasst eine subjektive, deskriptive Erfassung von wissensbezogenen Zustanden zu. Bei den qualitativen Methoden ist die Erfassung ganzlich unmoglich.
Anpassung zukilnftiger Planungsinstrumente
Jedoch miissen Untemehmensplaner fiir die Zukunft mit einer steigenden Anzahl komplexer und damit schwer greif- und bestimmbarer Faktoren rechnen. Es stellt sich also die Frage, ob die verfiigbaren Instrumentarien in der Wissensgesellschaft, die sich eben nicht mehr in erster Linie nur auf die reine betriebswirtschaftliche Bewertung einzelner Standorte konzentrieren, wo harte Fakten nach eher idealtypischen Mustem abgearbeitet werden konnen, sondern wo es um wissensbasierte und sehr spezifische Produktionsfaktoren in Verbindung mit Kommunikation und Interaktionen geht, noch aussagekraftige Ergebnisse zulassen. Das Betrachtungsfeld zukiinftiger Standortbewertungen wird also viel breiter und komplexer werden. Das impliziert die Entwicklung und Anwendung feinerer und starker auf die individuelle Situation und Struktur der Unternehmen ausgerichteter Methoden, die innerhalb der betriebswirtschaftlichen Diskussion bisher nicht Eingang gefunden haben und bei denen der Standortfaktor „Wissen'' theoretisch keine Rolle spielt.
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Wissensbasierte Bewertungsansdtze
5.3 Wissensbasierte Bewertungsansatze Die Moglichkeit, eine eindeutige Systematik fiir die zahlreich vorhandenen Schwierigkeiten Modelle und Ansatze zur Wissensbewertung zu finden, ist aufierst schwiein der Systematirig. Es ist zunehmend ein interdisziplinar besetztes Forschungsfeld, welches sierung bestehenviele Moglichkeiten einer Systematisierung bestehender Bewertungsansatze | der Ansatze bietet. Seit Beginn der neunziger Jahre sind die statischen Modelle, die sich allein aus Finanzkennzahlen zusammengesetzt haben, durch Modelle erganzt worden, welche Komponenten des intellektuellen Kapitals in die Betrachtung einbeziehen. So differenzieren beispielsweise Mertins/Alwert zwischen Strukturansdtzen, I monetdren Gesamtbewertungen und Steuerungsansdtzen [Mertins/Alwert 2003]. Mit Strukturansdtzen werden diejenigen Konzepte bezeichnet, die auf Edvinsson und Sveiby zuriickgehen. Hauptmerkmal ist, die Differenzierung zwischen Human-, Struktur- und Beziehungskapital. Ziel dieser Konzepte | ist es, die immateriellen Werte einer Organisation im Anhang zur herkommlichen Bilanz darzustellen. Monetdre Gesamtbewertungen zielen auf die Erfassung des gesamten immateriellen Vermogens der Organisation ab. Die Marktwert-Buchwert-Relation, Tobin^s q und der Calculated Intangible Value (CIV) sind dabei zu den bekanntesten Bewertungsmethoden zu zahlen. Als Steuerungsansdtze werden diejenigen Instrumente bezeichnet, die, wie bereits der Name andeutet, versuchen, strategische Ziele des Unternehmens unter Beriicksichtigung immaterieller Faktoren, transparent und operationalisierbar zu machen. Die bekanntesten Beispiele zu den Steuerungsansatzen, sind die Balanced Scorecard (BSC) sowie als neuere Konzepte, die in verschiedenen Bereichen entwickelten Wissensbilanzmodelle [Mertins/Alwert 2003, 578 ff.].
Differenzierung nach strukturellen^ monetdren undsteuemden Ansdtzen
Bomemann/Leitner sprechen im Wesentlichen von zwei Varianten: Monetdre Bewertungsverfahren, welche in erster Linie darauf abzielen, bestimmte immaterielle Vermogensbestande finanziell zu bewerten; Nicht-monetdre Bewertungsverfahren, welche mit Hilfe von vorwiegend nichtmonetaren Indikatoren versuchen, relevante immaterielle Faktoren zu erfassen [Borne- | mann/Leitner 2004, 340 ff.]. Sveiby klassifiziert die bestehenden Bewertungsverfahren fiir intellektuelles Kapital in vier Gruppen: Marktkapitalisierungsmethoden (z. B. Marktwert-Buchwert Relation, Tobins'q); Return on Asset-basierte Methoden (z. B. Calculated Intangible Value (CIV)); Direkte Bewertungsmethoden (z. B. Intellectual Asset Valuation Methode); Scorecard Methoden (z. B. Skandia Navigator) [Stoi 2003,179].
Differenzierung nach monetdren und nichtmonetdren Ansdtzen
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Standortentscheidunsen messen und bewerten
Differenzierung nach deduktivsummarischen und induktivanalytischen Ansdtzen
Gegenwartig besteht hinsichtlich der Messung der organisationalen Wissensbasis beziehungsweise der immateriellen Vermdgenswerte, in Anlehnung an North et al. (1998), die Moglichkeit zwischen zwei grundlegenden Herangehensweisen zu unterscheiden - zum einen in deduktiv-summarische und zum anderen in induktiv-analytische Ansatze. Femer sind in der Literatur und Praxis, je nach Ziel und Strukturierung der Herangehensweise, weitere Klassifizierungen der Ansatze, sowie Misch- und Hyhridformen, anzutreffen. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels wird der Systematisierung nach North gefolgt und diese um weitere hybride Ansatze erganzt.
5.3.1 Deduktiv-summarische Ansatze Differenz zwischen dent Markt- und Buchwert
Die Entwicklung deduktiv-summarischer Ansatze zielt im Kern auf die Bezifferung der „Marktwert-Buchwert-Liicke'' borsennotierter Unternehmen, mittels Indikatoren. Die Bezeichnung deduktiv summarisch wird bei diesen Verfahren deshalb verwendet, weil sie „...zwar eine gedankliche, nicht jedoch eine faktische Ableitung der Einzelwerte aus dem Gesamtwert des immateriellen Vermogens voUziehen und deshalb eine Aufteilung des Gesamtwertes auf Einzelwerte nicht stattfindet" [Persch 2003, 88 in: Schafer/Lindenmayer 2004, 59]. Die deduktiv abgeleiteten Indikatoren charakterisieren sich dadurch, dass unter weitgehender Nutzung der Daten aus der Bilanz und des Borsenkurses, das immaterielle Vermdgen als Differenz zwischen dem Markt- und Buchwert aufgefasst und in monetarer Form bewertet wird.
Monetdre Erf assung intellektuellen Kapitals
Die Bedeutung der Differenz von Markt- und Buchwert wird im Ergebnis jedoch gar nicht oder nur teilweise erklart. Das zeigt sich vor allem daran, dass zwar das intellektuelle Kapital in seinem Wert monetar erfasst wird, jedoch Aussagen iiber die einzelnen Faktoren, wie beispielsweise die RoUe des Humankapitals, nicht spezifisch ableitbar sind. Ein weiterer Schwachpunkt besteht darin, dass diese Methoden von ihrem Grundgedanken her, in erster Linie auf borsennotierte Unternehmen ausgerichtet sind. Im Hinblick einer Wissensbetrachtung des Unternehmens, besteht die Problematik, dass der B5rsenkurs, von dem sich der Marktwert ableitet, Schwankungen ausgesetzt sein kann, was dazu fiihren kann, dass sich der Marktwert des Unternehmens verringert. Die Abnahme des Marktwertes wiirde unter dieser Betrachtungsweise bedeuten, dass sich ebenfalls die Wissensbasis des Unternehmens verringern wiirde. Dieser Zusammenhang ist jedoch zu vemeinen. Des Weiteren existiert die Moglichkeit, dass interne Faktoren und aufiere Einfliisse den Untemehmenswert beeinflussen und deshalb nur ungenaue, nicht die Realitat abbildende Kennzahlen, zur Messung und Bewertung des intellektuellen Kapitals herangezogen werden.
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Wissensbasierte Bewertungsansdtze
Als die bekanntesten Vertreter der deduktiv-summarischen Ansatze seien die folgenden genannt:
Marktwert-Buchwert-Relation Dieses Konzept versucht auf eine relativ einfache Art und Weise, den Wert des immateriellen Vermogens zu bestimmen. Das intellektuelle Kapital wird iiber die Differenz zwischen Markt- und Buchwert errechnet. Der Gesamtwert des Untemehmens ergibt sich am Aktienmarkt (Marktwert = Preis pro Aktie X Gesamtzahl der Aktien). Der Buchwert, der Teil jeder Bilanz ist, bezeichnet den Restwert von den Vermdgenswerten eines Untemehmens und stellt den Wert dar, der nach alien Abzugen, Abschreibungen oder Zuschreibungen entsprechend den Bewertungsvorschriften iibrig bleibt [Stewart 1998, 219 ff.].
MarktwertBuchwertRelation
Tobins'q Dieser Ansatz, welcher urspriinglich nicht als Berechnungsverfahren fiir das intellektuelle Kapital entwickelt wurde, vergleicht den Marktwert eines Vermogenswertes mit seinen Wiederbeschaffungskosten. (Marktwert : Wiederbeschaffungskosten = q). Ist q