Marcus Damm Schemapädagogik
Marcus Damm
Schemapädagogik Möglichkeiten und Methoden der Schematherapie im Praxisfeld Erziehung
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. . 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Kea S. Brahms VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17147-0
Inhalt
Vorwort von Eckhard Roediger ............................................................................ 7 Vorwort des Autors .............................................................................................. 9 Einleitung............................................................................................................ 15 1.
Grundlagen der Schematherapie (ST) ......................................................... 29 1.1 Entwicklung ......................................................................................................... 30 1.2 Schemamodell ..................................................................................................... 31 1.3 Maladaptive Schemata und Schemabewältigung ........................................... 33 1.3.1 Domäne 1: Abgetrenntheit und Ablehnung............................................ 36 1.3.2 Domäne 2: Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung ................ 42 1.3.3 Domäne 3: Beeinträchtigung im Umgang mit Begrenzungen .............. 46 1.3.4 Domäne 4: Übertriebene Außenwirkung und Fremdbezogenheit .............................................................................. 49 1.3.5 Domäne 5: Übertriebene Wachsamkeit und Gehemmtheit................... 54 1.4 Schemamodi – Modell der Teilpersönlichkeiten............................................. 59 1.5 Neurowissenschaftliche und bindungstheoretische Fundierung ................. 68 1.6 Klärungsorientierte Psychotherapie (KOP) ..................................................... 74 1.7 Kognitive Therapie (KT) .................................................................................... 76
2.
Praxis der Schematherapie .......................................................................... 79 2.1 Schemaidentifikation .......................................................................................... 80 2.2 Schemaklärung .................................................................................................... 80 2.3 Schema-Aktivierung und -bearbeitung............................................................ 81 2.4 Beziehungsgestaltung ......................................................................................... 85 2.5 Ziele ...................................................................................................................... 85 2.6 Neue Anwendungsfelder ................................................................................... 86
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3.
Von der Schematherapie zur Schemapädagogik ......................................... 87 3.1 Charakteristiken, Möglichkeiten, Grenzen ...................................................... 87 3.2 Ziele ...................................................................................................................... 89 3.3 Schemapädagogische Schlüsselkompetenzen ................................................. 89 3.3.1 Diagnostische und konfrontative Fähigkeiten ........................................ 90 3.3.2 Beziehungen komplementär gestalten können ....................................... 96 3.3.3 Um die eigenen Schemata und Schemamodi wissen und sie berücksichtigen ........................................................................................... 98 3.3.4 Schemapädagogische Methodenkompetenz ......................................... 101
4.
Schemapädagogik im Praxisfeld Erziehung .............................................. 105 4.1 Krippe ................................................................................................................. 107 4.2 Kindergarten ...................................................................................................... 118 4.3 Hort ..................................................................................................................... 129 4.4 Heimerziehung .................................................................................................. 145 4.5 Offene Kinder- und Jugendarbeit ................................................................... 158 4.6 Kinder- und Jugendpsychiatrie ....................................................................... 172
5.
Ausblick .................................................................................................... 185
Weiterführende Literatur .................................................................................. 187 Kontakte ............................................................................................................ 189 Literatur ............................................................................................................ 191
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Vorwort von Eckhard Roediger
Nachdem der Autor kürzlich bereits ein Buch über die Einsatzmöglichkeiten schemabasierter Konzepte im psychosozialen Bereich vorgelegt hat, folgt nun dieses Buch mit Anwendungsbeschreibungen im Kinder- und Jugendalter. Dies ist durchaus folgerichtig, fußt doch die Schematherapie unter anderem auf den Ergebnissen der Bindungsforschung und dem modernen Verständnis des „Sozialen Gehirns“, denen zufolge die frühen Beziehungserfahrungen sich in bleibenden neuronalen Mustern „einbrennen“. Die Schematherapie versteht sich ja als eine Instanz der „Nachbeelterung“. Warum also nicht gleich bei der „Beelterung“ ansetzen?! Denn natürlich macht es Sinn, diese sich bildenden Strukturen nicht erst im Erwachsenenalter in einer Psychotherapie zu beeinflussen, wenn „das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“ und die Menschen in ihren „Lebensfallen“ drinsitzen, sondern möglichst früh oder sogar präventiv mit dem Modell der Schematherapie kontextangepasst zu intervenieren. Das vorliegende Buch setzt dieses Vorhaben überzeugend um: Es stellt zunächst gut verständlich die wichtigsten schemabasierten Konzepte vergleichend dar, um daraus für jedes wichtige pädagogische Arbeitsfeld altersangepasste Vorgehensweisen abzuleiten. Der Autor übersetzt damit gekonnt das Vorgehen in einer Psychotherapie mit Erwachsenen auf den Umgang mit Kindern bzw. Jugendlichen. Ebenso wie in einer Psychotherapie ist es auch im Umgang mit schwierigen Kindern und Jugendlichen ein ebenso banaler wie zentraler Schritt, das gezeigte störende (bzw. dysfunktionale) Verhalten als einen „suboptimalen“ Bewältigungsversuch hintergründiger innerer Anspannungszustände zu verstehen, auf die (noch) nicht anders reagiert werden kann. Die Betroffenen versuchen, die aktuellen Probleme mit den Lösungen anzugehen, die früher einmal erfolgreich waren. Dadurch ist aber eine Weiterentwicklung erschwert oder gar blockiert. Gelingt es den Betreuern, an diesen vordergründigen Verhaltensmustern vorbei einen Zugang zu dem „Verletzbaren Kind“ im Hintergrund zu bekommen, ist wieder eine konstruktive Beziehungsaufnahme möglich und der Weg zu neuen, besseren Lösungen frei.
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Der Autor geht in dem Buch in den sehr anschaulichen Fallbeispielen auch immer wieder darauf ein, wie das Verhalten der Kinder und Jugendlichen die eigenen Schemata der Pädagogen auslöst und dadurch diese noch leichter in ein „Beziehungsspiel“ verstrickt. Es ist eine der Stärken dieses Buches, den Pädagogen beim Lesen (ohne erhobenen Zeigefinger) einen Zugang zu ihren eigenen „blinden Flecken“ zu ermöglichen, die einen Ausstieg aus diesen „Spielen“ erleichtern. Dies führt nicht nur zu besseren Ergebnissen bei der Erziehung der Kinder und Jugendlichen, sondern auch zu mehr Berufs- (und damit Lebens)-Zufriedenheit der Pädagogen. So ist zu hoffen, dass mit diesem Buch allen Beteiligten geholfen ist! Frankfurt am Main, im April 2010 Dr. med. Eckhard Roediger Neurologe, Psychiater und Arzt für Psychotherapeutische Medizin, Ausbildungen in tiefenpsychologischer und Verhaltenstherapie. Leiter des Frankfurter Instituts für Schematherapie (IST-P), Sekretär der Internationalen Gesellschaft für Schematherapie. Bekannt sind seine Veröffentlichungen zur Schematherapie: Was ist Schematherapie? (bei Junfermann), Praxis der Schematherapie (Schattauer) und Fortschritte der Schematherapie (Hogrefe).
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Vorwort des Autors
Dieses Buch beinhaltet die Grundlagen des Schemapädagogik-Ansatzes sowie dessen Potenzial für sozialpädagogische Arbeitsfelder (unter anderem Krippe, Kindergarten, Hort, Heim, offene Kinder- und Jugendarbeit, Kinder- und Jugendpsychiatrie). Da dieses Konzept noch sehr neu ist, möchte ich im Folgenden einige Sätze zur Entstehung und zu allgemeinen Charakteristiken anmerken. Im Sommer 2009 begann unter der Federführung meines geschätzten Freundes und Kollegen Marc-Guido Ebert in Speyer die Lehrer-Weiterbildung „Berufsförderpädagogik“, und zwar am IFB (Institut für schulische Fortbildung und schulpsychologische Beratung Rheinland Pfalz). Das Angebot stieß auf reges Interesse. Es meldeten sich mehr als 30 Lehrerinnen1 und Lehrer aus ganz Rheinland-Pfalz an. Ich war damals im Dozenten-Team vertreten und übernahm unter anderem das Thema: „Schwierige Schüler – und wie man mit ihnen klarkommt“. Seit Jahren beschäftige ich mich mit den zwischenmenschlichen Aspekten des Lehrerberufs. Verschiedene psychologische Themen des schulischen Zusammenlebens wurden entsprechend in diesem Rahmen besprochen. Es ging unter anderem um Psychospiele im Klassenraum, unterschwellige Wahrnehmungsprozesse aufseiten des Lehrers und der Schüler, um Gruppendynamik, Persönlichkeitspsychologie und um Mobbing. Darüber hinaus plante ich – nicht ohne Grund – auch ein Seminar ein, in dem die Grundlagen der sogenannten schemaorientierten Psychotherapien thematisiert wurden. Dies erscheint nun auf den ersten Blick sehr untypisch. Man könnte ja vorauseilend einwenden (und das taten auch einige Lehrer): Was hat denn Psychotherapie mit Pädagogischer Psychologie, genauer gesagt, mit Unterricht
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In diesem Buch wird die geschlechtsspezifische Anrede (auch im Falle von anderen Berufsbezeichnungen) abwechselnd gebraucht, selbstverständlich ohne diskriminierende Absicht.
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zu tun? (Namentlich handelt es sich bei den Therapiekonzepten um die Kognitive Therapie, Klärungsorientierte Psychotherapie und Schematherapie.) Der Anlass für das Seminar war folgender: Diese teilweise noch sehr jungen Konzepte sind sehr innovativ, wissenschaftlich up to date, und sie beinhalten faszinierende Modelle zum Verständnis und zur Behandlung von dysfunktionalen Interaktionsmustern und Beziehungsstörungen. – Sie geben daher gleichzeitig, wenn auch nur zwischen den Zeilen, interessante, umfassende und kompetente Antworten auf die sogenannten Gretchenfragen, die sich erfahrungsgemäß jeder Lehrer einmal stellt. Sie lauten in etwa so:
Wie „ticken“ verhaltensauffällige Schüler? Wieso bringt mich Schüler X trotz meiner guten Vorsätze immer wieder auf die Palme? Was steckt hinter dem problematischen Verhalten von Schüler X? Wieso geraten manche Schüler (und Lehrer) immer wieder in dieselben nachteiligen Konfliktsituationen? Wie gehe ich bestenfalls mit „schwierigen“ Schülern um? Wieso erreiche ich manche Schüler trotz offensichtlich überzeugender Argumente nicht?
Nun wurden die schemaorientierten Psychotherapien ursprünglich konzipiert für die Veränderung von charakterologischen und verhaltensspezifischen Auffälligkeiten von Patienten. Außerdem geht es den betreffenden Therapeuten auch um die Behandlung von sogenannten Persönlichkeitsstörungen. In ausführlichen fachlichen Gesprächen mit der Lehrergruppe in Speyer ergab sich jedoch recht schnell die Erkenntnis, dass auch so mancher Schüler einige Kriterien eines kostenintensiven („schwierigen“) Persönlichkeitsstils offenbart, andere Heranwachsende sogar Kennzeichen einer Persönlichkeitsstörung. „Zähneknirschend“ kam man zu dem Schluss: Mit solchen Schülern müssen wir uns auseinandersetzen, ob wir wollen oder nicht! Daher wurde das Psychotherapie-Seminar ins Auge gefasst. In Bezug auf die Entstehungsgeschichte der Schemapädagogik, die viel mit der Weiterbildung in Speyer zu tun hat, heißt das: Es ging am Anfang der Weiterbildung zunächst um das Verständnis derjenigen innerpsychischen Prozesse, die Schüler sowohl im (häufig nicht immer störungsfreien) Alltagsunterricht als auch in prekären Situationen offenbaren. Recht zügig wurde aber auch klar, dass so manche Arbeitsweise, die im psychotherapeutischen Setting angewendet wird, auch im Schulalltag hilfreich im
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Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern sein könnte (wenn auch in vereinfachter Form). Dabei handelt es sich um leicht modifizierte Methoden, die schnell erlernbar und umsetzbar sind (siehe auch Kapitel 3.3.4). Noch in der ersten „Psychotherapie-Veranstaltung“ fasste die Gruppe den Entschluss, einige Arbeitsweisen einmal im Unterricht auszuprobieren. Einige Wochen später erhielt ich per E-Mail schon die ersten Rückmeldungen, die durchweg sehr positiv ausfielen. Hieraus entstand die Idee, eine SchemaPädagogik zu entwerfen. Aus den schemaorientierten Psychotherapien wurde auf diesem Weg eine Schemapädagogik für den Unterricht. Der ausgearbeitete Transfer in den Schulalltag liegt noch nicht in schriftlicher Form vor, aber ein entsprechendes Manuskript ist gerade in Vorbereitung (siehe auch die weiterführende Literatur am Ende dieses Buches). Was ist Schemapädagogik? Schemapädagogik ist ein Ansatz, der in sozialpädagogischen und psychosozialen Arbeitsfeldern praktiziert werden kann, um vor allem Zu-Erziehende/Klienten ganzheitlich zu fördern. Die wissenschaftlichen Grundlagen stellen neben den schemaorientierten Psychotherapien vor allem die Neurobiologie, Motivationspsychologie und die Bindungstheorie dar. Im Rahmen dieses Konzepts wird davon ausgegangen, dass psychosoziale Probleme von Klienten/Zu-Erziehenden hauptsächlich durch nachteilige innerpsychische Muster (Schemata) verursacht werden. Diese Muster haben einen ganz persönlichen biografischen Hintergrund. Interessanterweise sind sie dem Betreffenden in der Regel nicht bewusst, da Schemata überwiegend in denjenigen Hirnregionen neuronal verortet sind, die für emotionale Prozesse verantwortlich sind, im sogenannten impliziten Gedächtnis. Dieser (zwangsläufig) hohe affektive Anteil geht gewöhnlich zulasten des kognitiven, besonders dann, wenn Schemata aktiviert werden und den Betreffenden zu irrationalen Denk- und Verhaltensweisen motivieren. Irrationale Schemata entstanden in Auseinandersetzung mit der sozialen Umwelt, weshalb sie auch nicht infrage gestellt werden. Man hält sie für sinnvoll und real. In zwischenmenschlichen Situationen, in denen Schemata ausgelöst werden, kommt es automatisch zu bestimmten Gedanken, Affekten, Emotionen und Körperempfindungen. Dies verhindert eine objektive Einschätzung der konkreten Situation, es kommt zu Wahrnehmungsfehlern.
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Der Betreffende meint dann, die Umstände oder die Mitmenschen seien an seinen unliebsamen Emotionen schuld, weshalb er sich aus seiner Sicht „nur“ wehrt und etwa andere angreift. Er sieht nicht, dass „die Anderen“ lediglich sein in der Kindheit oder Jugend entstandenes negatives, weil irrationales Muster auslösen. So kommt es etwa zu dem leidigen Phänomen, dass bestimmte „harmlose“ Kommentare des professionellen Helfers seitens des Zu-Erziehenden intuitiv als Bedrohung wahrgenommen werden, gegen die er sich wie automatisch verteidigt. Der Pädagoge hat in einem solchen Fall durch seine Bemerkung lediglich ein dysfunktionales Muster ausgelöst. An diesen und anderen innerpsychischen Dilemmata setzt die Schemapädagogik an. Schemapädagogen realisieren eine spezielle (komplementäre) Beziehungsgestaltung, um Vertrauen, Solidarität und Sympathie aufzubauen (Beziehungskredit). Erst dann können gewöhnlich die kostenverursachenden Persönlichkeitsfacetten (Schemamodi) gemeinsam thematisiert werden. Dadurch entwickelt der Zu-Erziehende schrittweise ein Problembewusstsein, das vorher nur rudimentär vorhanden war, wenn überhaupt (ohne dieses Bewusstsein sind Verhaltensänderungen sehr unwahrscheinlich). Der junge Mensch erkennt irgendwann, dass sein ganz bestimmter innerpsychischer Persönlichkeits-Teil in typischen Situationen sein Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Er lernt, in zukünftigen schemaauslösenden Konstellationen eine bewusste Kontrolle auszuüben und so den Verhaltensautomatismus, dem er bisher ausgeliefert war, zu durchbrechen. Auf diese Weise sollen dysfunktionale Muster verändert werden. Schemapädagogik hilft dabei, irrationale Selbst- und Beziehungsschemata von ZuErziehenden abzubauen. Der erste Beitrag zur Schemapädagogik (DAMM 2010a), der bereits Anfang 2010 erschienen ist, beinhaltet die Grundlagen und den Transfer des Ansatzes in psychosoziale Arbeitsfelder (Schulsozialarbeit, Paarberatung, Sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehungsberatung, Strafvollzug, Bewährungshilfe, Streetwork).
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Danksagung
Zunächst geht mein Dank an meine Frau, die mir während der Arbeit an diesem Buch in allen Lebenslagen den Rücken freigehalten hat und eine hohe Frustrationstoleranz bewies, wenn ich mal wieder für einige Stunden im Arbeitszimmer verschwand und den Laptop bearbeitete (was in den letzten Monaten häufiger der Fall war). Ebenfalls geht mein Dank an Marc-Guido Ebert; hätte er mir nicht die Möglichkeit gegeben, an der Weiterbildung „Berufsförderpädagogik“ als Dozent mitzuwirken, gäbe es heute aller Wahrscheinlichkeit nach gar kein Konzept mit dem Namen Schemapädagogik. Simon Zimmer, Schüler der Klasse Höhere Berufsfachschule 08h an der Berufsschule Wirtschaft 2 in Ludwigshafen, hat sich intensiv mit der leidigen Aufgabe des Korrektorats befasst und mich sehr unterstützt. Vielen Dank auch hierfür, Simon. Dasselbe gilt für Manuel Eschenbaum, sozusagen mein „personal corrector“ seit vielen Jahren. Letztlich möchte ich mich noch bei den Lehrerinnen und Lehrern bedanken, die an der erwähnten Weiterbildung 2009/2010 teilnahmen und noch immer mitwirken. Die zahlreichen konstruktiven Gespräche, Feedbacks und schemapädagogischen Feldversuche waren sehr inspirierend und haben die Konzeption der Schemapädagogik maßgeblich beeinflusst. Noch eine kleine Bemerkung zum Schluss: Die in Erscheinung tretenden Fallbeispiele aus den sozialpädagogischen Arbeitsfeldern, die schemapädagogische Elemente beinhalten, basieren auf verschiedenen Erlebnissen von Schülerinnen und Schüler der Fachschule für Erzieher und höheren Berufsfachschule für Sozialassistenz 09b, die ich als Klassenlehrer im Schuljahreszeitraum 2009/10 bis 2011/12 betreue. So gesehen können die Erfahrungen als „schemapädagogische Feldversuche“ bezeichnet werden.
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Die professionellen Helfer und Zu-Erziehenden wurden äußerlich zwecks Wahrung ihrer Anonymität verändert. Worms, im April 2010 Marcus Damm
Kontakt: Institut für Schemapädagogik Dr. Marcus Damm Höhenstr. 56 67547 Worms Internet: www.schemapädagogik.de E-Mail:
[email protected] 14
www.marcus-damm.de
Einleitung
Zu den Arbeitsmethoden von Sozialarbeitern, Erziehern, Diplom- und Sozialpädagogen2 gehören seit jeher auch solche Interventionen, die ursprünglich aus der Psychologie stammen. Das ist kein Zufall. Schließlich hat sich die Erziehungswissenschaft häufig auf die sogenannten Nachbardisziplinen bezogen, wozu die Psychologie ja unter anderem gehört. Als besonders fruchtbar in Hinsicht auf die theoretischen und praktischen Aspekte der sozialpädagogischen Ausbildung und Praxis haben sich dabei folgende Psychologie-Grundlagenfächer erwiesen: Entwicklungspsychologie, Sozialpsychologie, Lernpsychologie, Psychoanalyse, Tiefenpsychologie, Kognitive Psychologie und Klinische Psychologie. Steigen Sozialpädagogen dann „praktisch“ in den Beruf ein, entweder in Form eines Praktikums oder einer Festanstellung, wissen sie gewöhnlich Bescheid über die Entwicklung des Kindes/Jugendlichen in verschiedenen Bereichen, auch über die Grundlagen des Lernens sowie über Projekt-, Team- und Elternarbeit, Beobachtung, Wahrnehmung usw. Natürlich sind die erwähnten Inhalte, die an Fachschulen beziehungsweise in Lehrveranstaltungen an Hochschulen vermittelt werden, didaktisch reduziert beziehungsweise werden den Anforderungen der sozialpädagogischen Arbeitsfelder angepasst. Sieht man sich einmal unvoreingenommen die entsprechenden Lehrpläne der verschiedenen Bundesländer an, fällt schnell auf, dass neuere psychotherapeutische Ansätze und Arbeitsweisen im Allgemeinen wenig bis gar keine Berücksichtigung finden. Die Erziehungswissenschaft „hinkt“ diesbezüglich ein bisschen hinterher. Das war schon immer so.
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Im Folgenden werden diese Bezeichnungen der Einfachheit halber synonym verwendet. Das Buch richtet sich ja grundsätzlich an alle Angehörige der helfenden Berufe.
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Schemaorientierte Psychotherapien sind im Praxisfeld Erziehung in der Regel unbekannt Das bis hierhin Gesagte trifft vor allem auf die hier dargestellten Konzepte Kognitive Therapie, Klärungsorientierte Psychotherapie und Schematherapie zu. In sozialpädagogischen Arbeitsfeldern sind sie und ihre theoretischen und praktischen Grundlagen in der Regel gänzlich unbekannt. Der Begriff Schema taucht zugegebenermaßen schon in der Ausbildung auf, und zwar im Rahmen der sogenannten kognitiven Entwicklung des Kindes (PIAGET 1976). Er wird jedoch überwiegend mit gedanklichen (eben kognitiven) Prozessen beim Heranwachsenden in Verbindung gebracht. – Es geht im Ansatz von PIAGET insbesondere darum, wie das Kind sich schrittweise kognitiv entwickelt und sich die Umwelt aneignet. In den schemaorientierten Psychotherapien wird dieser Begriff etwas anders verstanden, und zwar als ein zentrales innerpsychisches Muster, das im Falle einer Aktivierung verschiedene mentale Ebenen gleichzeitig beeinflusst. Schemata haben aus dieser Perspektive schwerpunktmäßig einen unmittelbaren Bezug zum Umgang des Betreffenden mit sich selbst und anderen. Entsprechend spielen Selbst- und Beziehungsschemata und ihre psychosozialen Auswirkungen eine große Rolle. Im aktivierten Zustand provozieren solche innerpsychischen Muster entsprechend
bestimmte Gedanken, Affekte, Handlungsimpulse und schließlich können sie auch Handlungen selbst auslösen.
Aktiviert werden nachteilige Schemata von Zu-Erziehenden, und das ist Schemapädagogen stets bewusst, „nur“ durch äußere Einflüsse (Situationen, Mitmenschen usw.). Schemapädagogik fördert die Professionalisierung in sozialpädagogischen Arbeitsfeldern Neurobiologische (ROTH 2007) und motivationspsychologische (HECKHAUSEN & HECKHAUSEN 2006) Befunde lassen (leider) darauf schließen, dass nachteilige, irrationale Selbst- („Ich bin ein Loser“) und Beziehungsschemata („Die Anderen wollen mir schaden“) vom Betreffenden als „ultimative Wahrheiten“ aufgefasst werden und nicht – was sie eigentlich sind – als antrainierte inner-
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psychische Muster. Dieser naturgemäße Irrtum hat ebenfalls wieder neurobiologische Ursachen; darauf wird noch eingegangen. Es kann auch im Praxisfeld Erziehung sehr sinnvoll sein, Verhaltensauffälligkeiten von Heranwachsenden einmal vor dem Hintergrund des Schemamodells zu interpretieren. Auf der anderen Seite ergeben sich aus den theoretischen Konzeptionen und praktischen Arbeitsweisen der schemaorientierten Psychotherapien auch Anregungen für eine „Schema-Pädagogik“, die parallel zum „Alltagsbetrieb“, aber auch schwerpunktmäßig praktiziert werden kann, etwa in Form eines Projekts zur Förderung der Sozial- und Personalkompetenz der Zu-Erziehenden (siehe unten). Einige therapeutische Vorgehensweisen können tatsächlich leicht modifiziert von Erziehern übernommen werden. Die Arbeit etwa mit dem sogenannten Schemamodus-Modell (Theorie der Persönlichkeitsfacetten) ist schnell erlern- und umsetzbar. Es ist dabei hilfreich, aufseiten des Zu-Erziehenden ein Problembewusstsein für etwaige kostenverursachende Verhaltensweisen zu entwickeln. Praktiker wissen, dass ein entsprechendes Problembewusstsein gewöhnlich fehlt (siehe auch Kapitel 1.5). Schwerwiegende (unlösbare?) Probleme im Praxisfeld Erziehung In diesem Buch wird es konkret um solche schemapädagogischen Arbeitsweisen gehen. Auf der anderen Seite soll gezeigt werden: Schemapädagogik leistet einen professionellen Beitrag zum Verständnis und zur Lösung der wohl größten Probleme im Praxisfeld Erziehung. Auf diese soll nun kurz eingegangen werden. Problem 1: Externale Kausalattribuierung Wer mit verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen arbeitet, der wird erfahrungsgemäß häufig mit einer geradezu klassischen Wahrnehmungsverzerrung konfrontiert. Sie hat den Namen „externale Kausalattribuierung“ (RHEINBERG 2002). Infolge dieses innerpsychischen Prozesses projizieren Betreffende die Verantwortung für eigene(!) Vergehen jedweder Art automatisch und in strenger Gesetzmäßigkeit auf „die Anderen“, „die Umstände“ usw. Es fehlt in solchen Situationen Selbsteinsicht in die Motive, die das eigene Verhalten ausgelöst haben. Das irrationale Fazit lautet entsprechend: Man selbst hat so und nicht anders geradezu handeln müssen, es gab gar keine Alternative. Bei delinquenten Jugend-
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lichen ist dieser Mechanismus extrem auffällig (LAUBENTHAL 2008). Er kann sehr skurrile Blüten treiben. Wer zum Beispiel im Strafvollzug tätig ist, der kennt entsprechende aufschlussreiche „Erkenntnisse“, etwa:
„Ich habe das Auto ja nur geknackt, weil der Besitzer die Schlüssel hat stecken lassen“, „Wenn der Arsch mich nicht so dumm angeguckt hätte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, ihn zusammenzuschlagen“, „Der Typ war selbst schuld am Überfall, er hatte viel zu viel Geld dabei!“
Nun ist aber die externale Kausalattribuierung wohl oder übel nicht nur bei „schwierigen“ Kindern und Jugendlichen sehr verbreitet, sondern auch bei den „normalen“. Dieser Wahrnehmungsfehler dient sicherlich dazu, das Selbstwertgefühl (vorauseilend) zu stabilisieren; in dieser Hinsicht unterstützt er den Betreffenden dabei, mit seinen Verhaltensverfehlungen innerpsychisch zurechtzukommen. Trotz allem: Die externale Kausalattribuierung stellt ein großes Hinder- und Ärgernis im Arbeitsfeld Erziehung dar, da sie geradezu unempfänglich ist für jedwede pädagogische Intervention (sie ist eigentlich Zielobjekt des Psychotherapeuten). Die meisten Praktiker werden dieser These sicher zustimmen. Oft sind Zu-Erziehende mit dieser Wahrnehmungsverzerrung geradezu „beratungsresistent“: „Ich hab doch gar nix gemacht!“ Schemapädagogen arbeiten gezielt an der Reduzierung der externalen Kausalattribuierung. Dass dieses Unternehmen ein sehr schwieriges und vor allem langwieriges sein kann, weiß jeder, der in einem Helferberuf arbeitet. Um das Projekt Selbsteinsicht erfolgreich zu gestalten, ist aus schemapädagogischer Perspektive neben dem allgemeinen Beziehungsaufbau (mittels Empathie, Kongruenz, Akzeptanz) auch eine sogenannte komplementäre Beziehungsgestaltung vonnöten (siehe Kapitel 3.3.2). Durch die entsprechende Anpassung an die Motivebene des ZuErziehenden baut der Schemapädagoge rasch(er) Sympathie, Solidarität und somit Vertrauen auf, was erfahrungsgemäß alleine schon Reduzierung der externalen Kausalattribuierung beiträgt. Der Pädagoge „erreicht“ den Heranwachsenden eher. Auf sogenannte Tests und Psychospiele (siehe unten) reagiert der Helfer professionell, das heißt, er lässt sich nicht von seinem Ziel, der Herstellung von
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Beziehungskredit, durch unbewusste Manipulationen vonseiten des ZuErziehenden abbringen (siehe Kapitel 3.3.2). Ist erst einmal genug „Beziehungskredit“ (SACHSE 2006b) vorhanden, wird der Zu-Erziehende mit seinen kostenverursachenden Persönlichkeitsanteilen (Schemamodi) konfrontiert, und zwar zunächst in einer humorvollen beziehungsweise tolerant-väterlichen Art. Für den irrationalen Persönlichkeitsanteil wird gemeinsam ein Arbeitsbegriff gefunden, mit dem der Zu-Erziehende kognitiv etwas anfangen kann. Mit diesem Begriff (etwa „der Agro-Max“) setzt sich sowohl der Helfer als auch der Zu-Erziehende bei entsprechendem Anlass auseinander („Na, hat Dich der AgroMax gestern wieder in die Bredouille gebracht?“). Der Zu-Erziehende lernt dadurch schrittweise seine persönlichen „Macken“ kennen und kann sie schrittweise kontrollieren. Die zuvor praktizierte komplementäre Beziehungsgestaltung motiviert ihn dazu. Durch solche speziellen schemaorientierten Arbeitsweisen (siehe auch Kapitel 3.3.4) wird die externale Kausalattribuierung aktiv modifiziert. Problem 2: Psychospiele Viele Praktiker wissen, ebenfalls aus eigener Erfahrung, dass Zu-Erziehende dann und wann bestimmte fadenscheinige, aber durchaus effiziente Strategien einsetzen, mit denen sie verschiedenartige Ziele verfolgen. Der Psychiater ERIC BERNE (1964/2005) spricht in diesem Zusammenhang von „Spielen“, RAINER SACHSE (2001), ebenfalls Psychotherapeut, arbeitet mit dem Begriff „Interaktionsspiele“. Wir verwenden im Folgenden den Begriff „Psychospiele“, womit vor allem der manipulierende Charakter dieser speziellen Kommunikation verdeutlicht werden soll. Tatsächlich geht es den Betreffenden „Spielern“ aus tiefenpsychologischer Perspektive darum, Grundbedürfnisse zu befriedigen, wie etwa Anerkennung und Wahrgenommen-Werden. Wie noch zu zeigen sein wird, haben die betreffenden Heranwachsenden solche Strategien im Laufe ihrer Kindheit und Jugend erlernt. Genauer gesagt, sie haben sie erlernen müssen, da der „direkte Weg“, das heißt die verbale Anmeldung des jeweiligen Bedürfnisses, nicht zur Befriedigung desselben geführt hat, aus welchen Gründen auch immer. Womöglich wurden auch verschiedene Bedürfnisse in früher Kindheit frustriert – was ebenfalls zur Ausprägung von Psychospielen führen kann. Im psychotherapeutischen Verfahren Transaktionsanalyse (BERNE 1964/2005) werden solche Strategien besonders fokussiert. Aber auch im Rahmen der
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Klärungsorientierten Psychotherapie, die unten noch dargestellt wird (siehe auch Kapitel 1.7), findet dies statt. Manche Zu-Erziehende sind mithilfe von Psychospielen imstande, den professionellen Helfer in vorhersehbare Kommunikationsschleifen zu verwickeln, die stets denselben Ausgang haben (SACHSE 2001): Der Spieler „gewinnt“, der Helfer verliert. Da Psychospiele ebenfalls das pädagogische Wirken erfolgreich sabotieren können, werden auch sie im Rahmen der Schemapädagogik besonders berücksichtigt – gerade auch in Arbeitsfeldern, wo die Heranwachsenden aufgrund ihres Alters noch nicht die kognitiven Potenziale aufweisen, um das Schemamodi-Modell zu verstehen. Das heißt vor allem in der Krippe und im Kindergarten. Man darf sich als Praktiker durchaus bewusst machen: Setzt man nicht an den Psychospielen des Zu-Erziehenden an, kann man davon ausgehen, dass Betreffende sie auch noch später hinaus praktizieren und somit viel dazu beitragen, dass die jeweiligen sozialen Systeme, denen sie angehören, davon in Mitleidenschaft gezogen werden (etwa in der Schule, in der Ausbildung usw.). Problem 3: Gegenübertragung Bekanntermaßen ist auch der professionelle Helfer im Berufsalltag nicht frei von Wahrnehmungsbeeinträchtigungen. Nicht ohne Grund wird das Thema „Wahrnehmung und Beurteilungsfehler“ in mindestens einem Lernfeld/Semester der Erzieher-/Sozialarbeiter-Ausbildung berücksichtigt. Mit dem Begriff Gegenübertragung, der aus der Psychoanalyse stammt, wird eine Form der Übertragung verstanden, bei der der professionelle Helfer seine eigenen Gefühle, Erwartungen und Wünsche auf den Zu-Erziehenden richtet. Dies ist dem Kommunikator gewöhnlich nicht bewusst. Es ist offenkundig, dass der Umgang mit bestimmten Heranwachsenden automatisch Emotionen und Affekte seitens des Sozialpädagogen aktiviert, die im Zusammenhang mit seinem eigenen biografischen Hintergrund stehen. Entsprechend schadet Selbstkenntnis in dieser Hinsicht nicht. Man sollte schon wissen, welche Situationen und sonstigen „Reize“ einen auf 180 bringen – und vor allem: warum sie es überhaupt fertigbringen. Leider, so muss man sagen, wird dieses Thema aber nicht schwerpunktmäßig in der Ausbildung thematisiert. Schemapädagogen wissen entsprechend um die 18 irrationalen Schemata, die JEFFREY E. YOUNG und Mitarbeiter (2008) im Umgang mit Klienten kennengelernt und beschrieben haben (Kapitel 1.3ff.). Mittels dieser Kenntnis lassen sich irrationale Gegenübertragungsphänomene reduzieren. Dies trägt zu
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einer effizienteren und ressourcenschonenderen Arbeit mit den Zu-Erziehenden bei. Ebenfalls sind sich Schemapädagogien ihrer eigenen Schemamodi und deren Auswirkungen in Hinsicht auf die damit einhergehenden Affekte und Kognitionen im Berufsalltag bewusst (Kapitel 1.5). Durch Achtsamkeit werden entsprechende Aktivierungen erkannt, eingeordnet und bei Bedarf unterdrückt, damit das Verhältnis zum Zu-Erziehenden nicht in Mitleidenschaft gezogen wird. Problem 4: Wiederholungszwang Ein populäres Phänomen im Arbeitsfeld Erziehung ist auch der sogenannte Wiederholungszwang – wiederum ein Begriff, der ursprünglich von der Psychoanalyse thematisiert wurde. So zeigt die Erfahrung, dass manche Heranwachsende immer wieder in dieselben schwierigen (Einbahnstraßen-)Situationen geraten, obwohl sie das „eigentlich gar nicht wollen“. Doch anscheinend treibt „es“ sie immer irgendwie wieder dorthin. Fragt man Betreffende konkret, wieso es sich aus ihrer Sicht so verhält, wird häufig wieder die Wahrnehmungsverzerrung namens externale Kausalattribuierung aktiviert, die meistens eng mit dem Wiederholungszwang verknüpft ist: „Weil die Anderen …“ Auf diesem Weg kommt man nur schwer weiter. Und das hat auch seinen neurobiologischen Grund (siehe unten). Vor dem Hintergrund des Schemamodells erschließt sich jedoch schnell ein anderer Zusammenhang. Hierzu noch ein kurzer Exkurs zum Modell: Schemata entstehen häufig in den ersten Lebensjahren. Sie sind kognitive und affektive Abbildungen von frühen Beziehungserfahrungen. Schemata sind psychisch verinnerlicht und neuronal „eingebrannt“ und fungieren als aktive Wahrnehmungsfilter, die Umweltreize kategorisieren. Ferner animieren sie Betreffende dazu, dass sie in Situationen, die ihnen „bekannt“ sind, immer wieder gleichartig denken, fühlen und agieren. ROEDIGER (2009a, 6) sagt entsprechend: „Schemata machen den Menschen geneigt, im Sinne der früheren Beziehungserfahrungen zu handeln.“ Dieser Mechanismus zeigt sich zum Beispiel dann, wenn Zu-Erziehende trotz wechselnder Umstände, Zeiten und Bezugspersonen immer wieder zu denselben kognitiven irrationalen Schlussfolgerungen kommen, die mit sich selbst oder anderen zu tun haben. So gibt es im Praxisfeld Erziehung in so gut wie jeder betreuten Gruppe meistens einen Zu-Erziehenden, der auf bestimmte „Schlüsselreize“ immer wieder gleich reagiert, und zwar im Sinne seines Schemas. Selbst neuartige
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Wahrnehmungen werden im Falle einer Schema-Aktivierung auf die bekannten Muster bezogen und entsprechend schemaspezifisch interpretiert – sehr zur Verwunderung des Sozialpädagogen. Betreffende, die etwa das Schema Negatives hervorheben aufweisen (Kapitel 1.3.5), haben an allen Ideen und Vorschlägen der Fachkraft etwas auszusetzen. Nichts scheint ihnen gerecht zu werden. Sie fokussieren außerdem ausschließlich die negativen Aspekte des Zusammenlebens. Das heißt, sie finden immer das obligatorische „Haar in der Suppe“. Um zu verhindern, dass Zu-Erziehende stets in ihren Interpretations-und Verhaltens-Teufelskreisen gefangen bleiben – und davon ist auszugehen –, kann bereits die Aufklärung über den Zusammenhang zwischen der prägenden Vergangenheit und der davon beeinflussten Gegenwart zur Reduzierung des Wiederholungszwangs beitragen, wenn auch erfahrungsgemäß nur in geringem Umfang. Das dauert natürlich auch seine Zeit und erfordert eine hohe Frustrationstoleranz. Immerhin hat man es mit tief eingesenkten innerpsychischen Strukturen zu tun, die sich über Jahre hinweg entwickelt „und neuronal niedergeschlagen“ haben. Auf der anderen Seite bietet sich auch die Arbeit mit dem SchemamodusModell an, um automatisierte Verhaltensweisen zu verändern, die in bestimmten Situationen ansonsten immer wieder ausgelöst werden (siehe Kapitel 3.3.4). Problem 5: Zu-Erziehende haben nicht nur ein „Ich“ Das Menschenbild der Humanistischen Psychologie ist in sozialpädagogischen Arbeitsfeldern in der Regel die Ausgangslage von Theorie und Praxis. Dieses Menschenbild ist vor allem mit dem Namen CARL ROGERS (1972/1999) verbunden, dem Begründer der Gesprächspsychotherapie. Demnach kann der Mensch seine Wirklichkeit bewusst erleben, Entscheidungen frei wählen, sich wandeln. Zwar wird davon ausgegangen, dass auch irrationale und zerstörerische Kräfte im Menschen vorhanden sind, aber im Vordergrund steht das naturgegebene Bestreben nach der Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit (und das Streben nach Selbstverwirklichung). Zur Förderung eines positiven Selbstkonzepts werden daher – auch im sozialpädagogischen Alltag – vor allem Empathie, Kongruenz und Akzeptanz seitens des professionellen Helfers hoch geschätzt beziehungsweise als Verhaltensvariablen empfohlen. Dadurch soll der Zu-Erziehende schrittweise seine eigenen Potenziale erkennen und selbst fördern.
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Im Rahmen der Schemapädagogik wird von diesem Menschenbild ausgegangen, neuere hirnwissenschaftliche Befunde werden außerdem berücksichtigt (siehe unten). Insbesondere werden die irrationalen psychischen Kräfte, die in uns am Werke sind, fokussiert, genauer gesagt, vor dem Hintergrund des SchemamodusModells kategorisiert und gezielt modifiziert. Sie bilden somit konkrete Ausgangspunkte für pädagogische Interventionen. Diese schemapädagogische Sicht der Dinge ist neu. Die negativen, kostenintensiven Persönlichkeitsfacetten des Zu-Erziehenden bewusst erfassen und mit ihnen arbeiten – dies ist aufgrund von jüngeren neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zur Konstitution des „Ich“, die psychoanalytische und tiefenpsychologische Theorien stützen (KANDEL 2006), geradezu erforderlich (siehe unten). Nach ROTH (2001) verfügt der Mensch nicht bloß über ein einziges „Selbst-Bewusstsein“. Er offenbart vielmehr diverse IchZustände, die mit sich selbst in Widerspruch stehen können (vergleiche SIEFER & WEBER 2008). Unsere Psyche besteht, darauf deuten die Arbeiten verschiedener Wissenschaftler hin (siehe auch HÜTHER 2009; SPITZER 2009), aus mehreren IchFacetten – und unser Gefühl, ein einziges Selbstbewusstsein zu haben, ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein Trugschluss. Alleine schon unsere Gefühlswelt ist unglaublich vielfältig, ebenso auch die Welt der Wünsche, Gedanken, Vorstellungen und Erinnerungen. Dies sind Hinweise auf unser mannigfaltiges Innenleben (SOLMS & TORNBULL 2007). Im Alltag eines jeden Menschen wechseln sich strenggenommen verschiedene Ich-Zustände miteinander ab. Die Ursache hierfür liegt in der Vielschichtigkeit des menschlichen Gehirns, welches verschiedene Bewusstseinszustände produziert – oft in Abhängigkeit zur gerade erlebten Situation. Weitere Beispiele: Es gibt Zeiten, da verhalten wir uns wie „vernünftige Erwachsene“. Aber es gibt auch Momente, gute wie schlechte, da fühlen wir „wie Kinder“. Solche Ich-Zustände, die immer einen biografischen Bezug haben, werden schon seit geraumer Zeit in verschiedenen Psychotherapien thematisiert – nicht aber im Praxisfeld Erziehung. Noch einmal: Das „Ich“ ist offensichtlich dynamisch, innerlich widersprüchlich, eigentlich ein Ich-Bündel. Daher sagt auch GERHARD ROTH (2007, 72): „Wir sind nicht ein Ich, sondern mehrere Ich-Zustände, die sich aufeinander beziehen.“ Diese „Ausgangslage“ und die daraus resultierenden Anforderungen an das Praxisfeld Erziehung, nämlich die Förderung einer „Balance zwischen den
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einzelnen Ich-Zuständen“, sind allen bisherigen Pädagogik-Ansätzen fremd. Auch im Situationsansatz, der gerade sehr weit verbreitet ist, finden sich keine entsprechenden Ausführungen: Man geht entsprechend von Zu-Erziehenden aus, die ein Ich-Bewusstsein haben. Strenggenommen ist dies ein veraltetes Menschenbild. Alleine schon das Anerkennen einer „innerpsychischen Vielfalt“ mag schon, wenn eingefordert, vorauseilend die meisten Pädagogen abschrecken. Das ist verständlich – läuft doch der genannte neurowissenschaftliche Befund unserem „gesunden Menschenverstand“ zuwider. Doch aller etwaiger Bedenken zum Trotz, lässt es sich mit einem neurowissenschaftlich-fundierten Modell, das die „innere Vielfalt“ bewusst und transparent macht, erfahrungsgemäß auch im Praxisfeld Erziehung gut arbeiten (DAMM 2010b). Schemapädagogik beinhaltet entsprechende Arbeitsmethoden zur Diagnostik von widersprüchlichen Persönlichkeitsfacetten. Denn: Bei einer SchemaAktivierung tritt immer auch ein sogenannter Schemamodus in Erscheinung, das heißt: eine Persönlichkeitsfacette. Sie steht dann im Vordergrund des Erlebens des Zu-Erziehenden, bestimmt sein Denken, seine Emotionen und sein Verhalten (gleichzeitig); oder, wie SACHSE et al. (2009) sagen, seinen state of mind. Außenstehende erkennen in solchen Situationen häufig den Betreffenden „als Person“ nicht wieder („Hat er wieder seine 5 Minuten?“). Er ist in einem Zustand, der im Alltag weniger häufig auftaucht, aber der eben auch zu ihm gehört. Solange dieser bestimmte Schemamodus für ihn nicht greifbar beziehungsweise nicht kognitiv präsent ist, bleibt er nach ROEDIGER 2009a in ähnlichen Schemamodus-auslösenden Situationen unter dessen Einfluss. Nach solchen „Situationen des Austickens“ erscheinen Zu-Erziehende dann wieder „normal“, also so wie immer. Man kann mit ihnen reden, sie erscheinen reflektiert, selbstkritisch usw. Aber auch das ist „nur“ ein Ich-Zustand unter vielen. (Im Rahmen der Schemapädagogik wird er Modus des Gesunden Erwachsenden genannt.) Aber dieser Ich-Zustand ist der wertvollste, wie wir später noch sehen werden. Sobald es zur Aktivierung von irrationalen Schemata und Schemamodi kommt, stößt der professionelle Helfer eventuell an seine Grenzen. Er kann dann dominant auftreten und den Anderen zur Vernunft bringen wollen („So ein Auftreten dulde ich nicht! Ändere Dein Verhalten!“). Oder aber er wartet ab, bis der Heranwachsende wieder „von seinem Trip runterkommt“. Beide Möglichkeiten „kratzen“ gewöhnlich nicht mal am irrationalen Schemamodus. Der Ich-Zustand, der während solcher „5-Minuten-Situationen“ dominant ist, wird ebenfalls im
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Rahmen der traditionellen Pädagogik nicht konkret als latent existente IchFacette begriffen (was er vor dem Hintergrund des Schemamodells ja eigentlich ist), sondern etwa bloß als „Verstoß gegen die Regeln“ – der aus dieser Perspektive wieder von einer Person begangen wurde. Entsprechend kommt es zu „klärenden Gesprächen“, Stuhlkreisen oder Ähnlichem – was zwar den Zu-Erziehenden (als Person) miteinbezieht, aber die Persönlichkeitsfacette, die für den Ausraster (aus schemapädagogischer Perspektive) tatsächlich verantwortlich war, wahrscheinlich gar nicht tangiert. Sie steht daher zukünftig „auf Abruf“ bereit, könnte man sagen. Entsprechend kommt es erfahrungsgemäß immer wieder zu solchen Ausrastern, obwohl der Zu-Erziehende sein Fehlverhalten abseits seiner „fünf Minuten“ durchaus einsieht. Schemapädagogen bringen im Gegensatz zu den traditionell vorgehenden Erziehern das Ausrasten und andere problematische Interaktionsmuster (Mobbing, Verweigern, aggressives Verhalten) mit dem vorliegenden Schemamodus-Modell in Verbindung. Gemeinsam wird dann mit dem Zu-Erziehenden seine entsprechende Persönlichkeitsfacette konkret thematisiert und mithilfe verschiedener Methoden bearbeitet, etwa mit dem sogenannten Schemamodus-Memo. Gleichzeitig wird so auch wiederum die externale Kausalattribuierung reduziert (siehe Kapitel 3.3.4). Problem 6: Empathie, Kongruenz und Akzeptanz reichen zwar aus, um Beziehungen aufzubauen – aber ohne Konfrontation findet keine Veränderung statt Wer das Schemamodus-Modell im sozialpädagogischen Alltag berücksichtigt, der weiß, dass die Effizienz von Empathie, Kongruenz und Akzeptanz begrenzt ist. – Den verschiedenen nachteiligen Persönlichkeitsfacetten, die sich über Jahre hinweg manifestiert haben, kommt man dadurch nicht bei. Erfahrungsgemäß lässt sich durch die humanistischen Grundhaltungen ohne Zweifel Beziehungskredit aufbauen. Aber ob sich dadurch ein positives Selbstkonzept aufseiten des Zu-Erziehenden herstellen lässt, wie Vertreter der Humanistischen Psychologie propagieren (etwa ROGERS 1972/1999; ROSENBERG 2010), ist zweifelhaft. Es gibt aufseiten der Zu-Erziehenden nach meinen Erfahrungen einige Ausnahmen, die nicht durch Empathie, Kongruenz und Akzeptanz dahingehend gefördert werden können, etwa manche gewaltbereite Kinder und Jugendliche. Vielleicht erreicht man mithilfe von Empathie, Kongruenz und Akzeptanz immerhin, dass sie im Umgang mit dem Erzieher weniger „schwierig“ sind. Doch weniger „Glück“ haben erfahrungsgemäß dann die anderen Heranwachsenden, die beispielsweise mit dem Betreffenden in einer
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Gruppe sind. Das Problem, die Gewaltbereitschaft, wird in so einem Fall nur „verlagert“. Daher muss der professionelle Helfer den Zu-Erziehenden mit seinen kostenintensiven Schemamodi konfrontieren. Letzterer hat nämlich strenggenommen wenig bis gar kein Bewusstsein von ihnen, selbst wenn sie erwiesenermaßen fast täglich aktiviert werden und sein Verhalten als Person steuern. Eine entsprechende Konfrontation gelingt nur unter bestimmten Voraussetzungen. Zunächst muss (a) ausreichend Beziehungskredit vorhanden sein, außerdem (b) sollte der Schemamodus spielerisch-humorvoll thematisiert werden. Der Zu-Erziehende spricht irgendwann mit dem Helfer über seine spezielle Persönlichkeitsfacette so, als würde man über einen Dritten sprechen: „Na, beschreib mal den Agro-Max in Dir!“ Dies sorgt dafür, dass der sonst aktivierte Wiederstand („Ich hab doch gar nix gemacht!“) umgangen wird. Nachdem beim Heranwachsenden ein Problembewusstsein entstanden ist, kann man gezielt an der Reduktion beziehungsweise an der Kontrolle des jeweiligen Schemamodus arbeiten. Gleichzeitig werden auch Ressourcen beim Heranwachsenden erkannt und gefördert. Schemapädagogik ist nicht, um einem Missverständnis vorzubeugen, in erster Linie defizitorientiert. Aufbau des Buchs In Kapitel 1 werden zunächst die Grundlagen der Schematherapie dargestellt, die, wie oben schon erwähnt, im Praxisfeld Erziehung in der Regel nicht bekannt sind. Die Schemapädagogik impliziert viele theoretische Ausgangspunkte und praktische Arbeitsweisen der Schematherapie. Sehr positiv ist an diesem therapeutischen Ansatz, dass er sich auf aktuelle Erkenntnisse der Neurobiologie beruft und unter anderem psychodynamische, transaktionsanalytische und gestaltpsychologische Elemente beinhaltet. Außerdem werden die grundlegenden 18 Schemata beschrieben, die infolge einer Aktivierung das Verhältnis des Betreffenden zu sich selbst und anderen stark in Mitleidenschaft ziehen. Das Schemamodus-Modell ist ebenso in diesem Kapitel zu finden wie auch die wissenschaftlichen Fundierungen der Schematherapie (Neurobiologie und Bindungsforschung). Eine kurze Darstellung der beiden anderen schemaorientierten Psychotherapien – Kognitive Therapie und Klärungsorientierte Psychotherapie – ist am Schluss des Kapitels platziert. Schemapädagogik beruft sich auch auf die eben genannten Konzepte, schwerpunktmäßig auf die Klärungsorientierte Psychotherapie. Kapitel 2 beinhaltet das praktische Vorgehen von Schematherapeuten im ambulanten Setting. Skizziert wird der Ablauf einer entsprechenden Intervention.
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In Kapitel 3 werden die Grundlagen der Schemapädagogik beschrieben. Sie stellt eine Weiterentwicklung der genannten schemaorientierten Psychotherapien dar. Die grundlegenden Charakteristiken, Möglichkeiten und Grenzen des Ansatzes werden ausgeführt, ebenso auch schemapädagogische Schlüsselkompetenzen. Kapitel 4 beschreibt den Transfer von schematherapeutischen und -pädagogischen Elementen in verschiedene sozialpädagogische Arbeitsfelder. Im Fokus stehen: Krippe, Kindergarten, Hort, Heim. Außerdem geht es um offene Kinderund Jugendarbeit (am Beispiel Jugendzentrum) sowie um schemapädagogische Arbeitsweisen eines Erziehers im Arbeitsfeld Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ein Resümee ist am Schluss platziert (Kapitel 5).
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1. Grundlagen der Schematherapie (ST)
Die Schematherapie wurde von dem US-amerikanischen Psychotherapeuten JEFFREY E. YOUNG entwickelt (YOUNG et al. 2008). Dieser integrative Ansatz ist recht jung und wird zur sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie gezählt. Das heißt, das Konzept bezieht – im Gegensatz zu Therapien, die zur ersten oder zweiten Welle gezählt werden – mehrere Ebenen des Psychischen in seine theoretische und praktische Konzeption mit ein. Schematherapie geht entsprechend auf Kognitionen (Gedanken), Affekte und die damit verbundenen Körperreaktionen ein. Noch in den 1960er Jahren berief sich die gängige Psychotherapie (Verhaltenstherapie) im Gegensatz zur Psychoanalyse auf den Behaviorismus. Abweichendes Verhalten etwa wurde als Endprodukt von Lernprozessen aufgefasst. Entsprechend setzten die therapeutischen Vorgehensweisen an der Veränderung des Verhaltens an. Diese (reduktionistische) Sicht wurde durch die sogenannte kognitive Wende erweitert. Dies geschah in den 1970er Jahren. Nunmehr wurde auch die gedankliche (kognitive) Ebene der Klienten in die Therapie miteinbezogen. Die beiden Konzepte verschmolzen größtenteils zur sogenannten Kognitiven Verhaltenstherapie, die auch heute noch sehr häufig angewendet wird, etwa bei Depression, Angst- und Persönlichkeitsstörungen. Schematherapie ist eine Erweiterung der Kognitiven Verhaltenstherapie und ist hilfreich insbesondere bei der Behandlung von charakterologischen Problemen und auch Persönlichkeitsstörungen. Zur dritten Welle der Verhaltenstherapie wird sie deshalb gezählt, weil sie insbesondere auch die emotionale/affektive Ebene des Klienten berücksichtigt und mithilfe spezieller Methoden bearbeitet. Schematherapie ist ein in sich stimmiges Konzept, das Elemente der Kognitiven Verhaltenstherapie, Gestalttherapie, Tiefenpsychologie sowie erlebnisbasierte Methoden enthält. Im Zentrum der Therapie steht die Bearbeitung von irrationalen Mustern, die den Umgang des Klienten mit sich selbst und anderen stark beeinträchtigen. Solche Muster werden mit dem Begriff Schema etikettiert. Die Grundannahme lautet: Psychische Störungsbilder werden ausgelöst und aufrechterhalten durch
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in der Kindheit und/oder Jugend entstandene innerpsychische Strukturen (Schemata).
1.1 Entwicklung Schematherapie stellt, wie oben schon erwähnt, eine Erweiterung der Kognitiven Verhaltenstherapie dar. Wie kam es zur Modifizierung des klassischen Konzepts? YOUNG machte in seiner Praxis die Erfahrung, dass die Behandlung von Persönlichkeitsstörungen mittels der Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie nicht immer erfolgreich war.3 Er arbeitete mit Klienten zusammen, die bereits in der ersten Therapiestunde trotz ihrer Motivation zur Zusammenarbeit ein Verhalten zeigten, das als charakterologisch schwierig eingestuft werden kann. Manche Klienten waren beispielsweise extrem misstrauisch, andere schnell überfordert. Die „Chemie“ zwischen Therapeut und Klient stimmte in manchen Fällen „vorauseilend“ einfach nicht. Es kam schnell zu Beziehungsstörungen, die auf der unbewussten Ebene emotional die Zusammenarbeit negativ beeinträchtigten. YOUNG suchte nach neuen Möglichkeiten. Die Arbeit mit den Emotionen rückte ins Zentrum seiner Arbeit, ebenso die frühkindlichen Erfahrungen des Klienten und die Auswirkungen, die sie auf die Gegenwart haben. Er beobachtete über die Zeit 18 verschiedene maladaptive (kann übersetzt werden mit „schlechte“) innerpsychische Muster (Schemata), die bei Bedarf in der Therapie thematisiert werden (siehe unten). Mit dem Schemamodell lassen sich innerpsychische Widersprüche auf der kognitiven und affektiven Ebene gut abbilden. Dadurch werden sie für den Klienten „greifbar“. Neben der Vermittlung von Selbsteinsicht kommen auch Methoden aus der Kognitiven Verhaltenstherapie zum Einsatz. Bekanntermaßen reicht Einsicht alleine nicht aus, um die Dinge zu ändern.
3
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Zu den Methoden gehören: Nachteilige Überzeugungen (Kognitionen) des Klienten berichtigen, Wahrnehmungsfehler aufzeigen, Rollenspiele, Verhaltensexperimente, Hausaufgaben (siehe auch Kapitel 2.3).
1.2 Schemamodell JEAN PIAGET (1976) prägte maßgeblich den Schemabegriff. Er führte ihn auch in die Psychologie ein. Unter einem Schema wird ganz allgemein eine innerpsychische Struktur verstanden, die die Wahrnehmung und Informationsverarbeitung organisiert. Ein entsprechendes „kognitives Grundgerüst“ hilft dem Menschen, das Erlebte, die Wirklichkeit zu erklären; es wird der Realität und dem Erleben automatisch als Wahrnehmungsfilter „auferlegt“. Vorurteile und Schemata haben viele Gemeinsamkeiten. Wenn Menschen aufeinandertreffen, kommt es häufig zur Auslösung von Vorurteilen. Beim sogenannten ersten Eindruck werden bestimmte Voreingenommenheiten aktiviert, die häufig „nur“ auf eigenen Vorerfahrungen beruhen. Vorurteile sind also – wie auch Schemata – selektive Wahrnehmungsfilter. Ähnlich verhält es sich mit dem Schema-Begriff vor dem Hintergrund der Schematherapie. Wird ein solches kognitives und emotionales Muster (Unterschied zu PIAGET) durch die Umstände, die Mitmenschen usw. aktiviert, ist der Betreffende auch dazu geneigt, sich selbst beziehungsweise die Mitmenschen im Sinne seines Musters wahrzunehmen. Da solche Schemata immer einen biografischen Bezug haben, sagen beispielsweise Zu-Erziehende, die sich viel zu häufig über „die Anderen“ beklagen, meistens auch etwas über sich selbst aus, genauer gesagt, über ihre eigenen Schemata. – Nämlich dass sie schon sehr lange zwischenmenschliche Begegnungen tendenziell als nachteilig einschätzen. Zu einer solchen Einschätzung kam es wahrscheinlich aufgrund von spezifischen Erfahrungen mit den engsten Bezugspersonen. Schemata sind „subjektive Wahrheiten“. Und man gibt leider selten die Wahrnehmung auf, die man gewohnt ist, auch wenn es sich um eine nachteilige handelt. So gesehen haben Schemata immer auch Auswirkungen auf das Zusammenleben, und somit sind sie auch relevant im Praxisfeld Erziehung, wo selbstredend viele Menschen mit nachteiligen Schemata aufeinandertreffen. Ein Schema wird im Rahmen der Schematherapie nicht direkt gemessen (das ist unmöglich). Es wird durch die Analyse der Lebensgeschichte sowie durch die Beobachtung der Strategien zur Alltagsbewältigung des Klienten erschlossen (ARNTZ & VAN GENDEREN 2010).
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In der Schematherapie werden, wie oben schon erwähnt, 18 maladaptive4 Schemata unterschieden. Sie stehen im Zusammenhang mit charakterologischen Auffälligkeiten beziehungsweise mit sogenannten Persönlichkeitsstörungen. Nach Young et al. (2008, 36) handelt „es sich bei einem maladaptiven Schema um:
ein weitgestecktes, umfassendes Thema oder Muster, das aus Erinnerungen, Emotionen, Kognitionen und Körperempfindungen besteht, die sich auf den Betreffenden selbst und seine Kontakte zu anderen Menschen beziehen, ein Muster, das in der Kindheit oder Adoleszenz entstanden ist, im Laufe des weiteren Lebens stärker ausgeprägt wurde und stark dysfunktional ist.“
In Tabelle 1 sind die oben erwähnten 18 maladaptiven Schemata aufgelistet. Darüber hinaus werden auch die Domänen (Gruppen) genannt, in denen verschiedene Muster zusammengefasst werden. Letztlich werden auch die mit den Schemata zusammenhängenden (meist frustrierten) Grundbedürfnisse erwähnt (nach ROEDIGER 2009b, 32): Tabelle 1:
Maladaptive Schemata nach ROEDIGER (2009a)
Nr.
Schema
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Emotionale Vernachlässigung Verlassenheit/Instabilität Misstrauen/Missbrauch Soziale Isolation Unzulänglichkeit/Scham Erfolglosigkeit/Versagen Abhängigkeit/Inkompetenz Verletzbarkeit Verstrickung/ Unentwickeltes Selbst
4
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Domäne
Grundbedürfnis
Ablehnung und Abtrennung
Bindung
Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung
Kontrolle nach außen
Im Rahmen der Schematherapie werden die Auswirkungen, die neuronalen Niederschläge von negativen Beziehungserfahrungen als „frühe maladaptive Schemata“ bezeichnet.
Fortsetzung von Tabelle 1 Nr.
Schema
10.
Anspruchshaltung/Grandiosität Unzureichende Selbstkontrolle/Selbstdisziplin Unterwerfung/ Unterordnung Aufopferung Streben nach Zustimmung und Anerkennung Emotionale Gehemmtheit Überhöhte Standards Negatives hervorheben Bestrafungsneigung
11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18.
Domäne Beeinträchtigung im Umgang mit Begrenzungen
Grundbedürfnis Kontrolle nach innen
Fremdbezogenheit
Selbstwerterhöhung
Übertriebene Wachsamkeit und Gehemmtheit
Lust-/ Unlustvermeidung
1.3 Maladaptive Schemata und Schemabewältigung Die genannten maladaptiven Schemata haben laut Einschätzung von YOUNG et al. (2008) verschiedene Ursachen. Selten kann man einen direkten Kausalzusammenhang herstellen. Diverse Entwicklungen, Mechanismen beziehungsweise Erlebnisse im Kindes- und Jugendalter tragen zur Entwicklung von maladaptiven Schemata bei, etwa: 1. 2. 3.
4.
Permanentes Nichterfüllen von kindlichen Bedürfnissen seitens der Eltern oder sonstigen Bezugspersonen. Traumatisierungen, die der Heranwachsende erlebt beziehungsweise über sich ergehen lassen muss. Fixierung an ein bestimmtes Grundbedürfnis, die von den Eltern oder von Elternersatzpersonen inszeniert wird (etwa Überverwöhnung, Vernachlässigung oder Ähnliches). Selektive Internalisierung beziehungsweise Identifikation mit wichtigen Bezugspersonen (der Heranwachsende verinnerlicht mittels Modelllernen bestimmte Verhaltensweisen seiner Vorbilder).
Es ist wichtig zu erwähnen, dass maladaptive Schemata schädigende Muster mit kognitiven und affektiven Anteilen sind. Das heißt, sie weisen eine imposante
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Vielschichtigkeit auf, die der Betreffende selbst nicht durchschaut. Daher hilft auch beispielsweise kein logisches Argumentieren, wenn es bei einem ZuErziehenden zu einer Schema-Aktivierung kommt. Dadurch erreicht man ja nur die kognitive Ebene. Dieser Tatsache wird in der Schematherapie Rechnung getragen, indem sowohl kognitive als auch emotionale Methoden praktiziert werden. Leider, so muss man sagen, „schieben“ sich die eigentlich kindlichen Muster immer wieder von selbst in die Gegenwart (ROEDIGER 2009b, 12). Das hat neurobiologische Gründe. Das Gehirn greift aus ökonomischen Gründen – DenkAktionen, Achtsamkeit und Bewusstheit verbrauchen sehr viel Stoffwechselenergie – auf vorhandene Strukturen („neuronale Bahnungen“) zurück, die bereits früh ausgeprägt wurden (HÜTHER 2009). In bestimmten Belastungssituationen werden daher immer wieder bestimmte Schemata ausgelöst. Sie halten sich von selbst aufrecht, weil sie neuronal verankert sind. Dem Betreffenden ist in solchen Fällen nicht bewusst, dass sein eigenes Muster an den Problemen doch sehr beteiligt ist. Er demgegenüber schiebt die „Schuld“ auf die Mitmenschen, die Umstände usw. Es gilt die Faustformel: Je stärker ein Schema ausgeprägt ist, desto öfter macht der Betreffende dieselben (schlechten) Erfahrungen in der Gegenwart. Es kommt quasi immer wieder zur Re-Inszenierung von leidvollen Erfahrungen, die man in der Kindheit und/oder Jugend häufig erlebt hat. In der Psychoanalyse wird dieses Phänomen Wiederholungszwang (siehe oben) genannt. Schemabewältigung In der Schematherapie werden drei verschiedene Schema-Bewältigungsstile unterschieden. Diese angeborenen Tendenzen stellen für den Betreffenden Möglichkeiten dar, mit belastenden Schemata umzugehen. Entsprechende Verhaltensweisen sollen dazu dienen, die Auslösung des Schemas zu verhindern. Interessanterweise lassen sich die Bewältigungsreaktionen mit der Kenntnis der Schemata-Liste (siehe oben) recht schnell diagnostizieren. Schemapädagogen achten auf entsprechende auffällige Verhaltensmuster, die sich ähnlich sind und häufig auftreten. Gleichzeitig – und das ist ein wichtiger Ansatzpunkt für den professionellen Helfer – verweisen solche konstant auftretenden Verhaltensweisen auf ein spezifisches Grundbedürfnis des Heranwachsenden, das im Hintergrund aktiv ist (ebenfalls dem Zu-Erziehenden unbewusst). An diesem Grundbedürfnis kann der Helfer ansetzen, es schrittweise befriedigen, was zu einem raschen Aufbau von Beziehungskredit führt. Dieser Schritt ist die Grundlage von allem. Denn
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ohne Beziehungskredit lässt sich der Zu-Erziehende nicht auf konfrontative Methoden ein, die der Sozialpädagoge irgendwann einbringen muss, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen. Bei den Bewältigungsreaktionen handelt es sich um folgende Mechanismen:
Überkompensation, Vermeiden, Sich-Fügen.
Diese Reaktionen sind Varianten der biologisch angelegten Flucht-, Kampf- und Unterwerfungsmuster, die etwa auch bei Angst auftreten. Es hängt aller Wahrscheinlichkeit nach vom natürlich Temperament des Betreffenden ab, welche Bewältigungsreaktion meistens bevorzugt wird; aber auch die Situation, die Lebensphase und der aktuelle Kräftezustand haben Einfluss auf die Auswahl (ROEDIGER 2009b, 36). Berücksichtigt werden muss auch: Erfahrungsgemäß sind auch die SchemaBewältigungsmechanismen dem Betreffenden unbewusst. Schemaerduldung Im Falle der Schemaerduldung verhalten sich Betreffende so, als ob das zugrundeliegende Schema „wahr“ wäre. Das heißt, man nimmt sich selbst und die Umwelt entsprechend seiner frühen Prägung wahr. Dies ist sicherlich ein sehr nachteiliger Prozess. Heranwachsende mit dem Schema Misstrauen/Missbrauch etwa „geraten“ infolgedessen immer wieder an Menschen, die ihnen nicht gut tun, ihnen schaden, gelinde gesagt. Unbewusst suchen und finden sie stets „passende“ Beziehungspartner. So kommt es, dass unliebsame Erfahrungen „von damals“ immer wieder neu erlebt werden, obwohl Betreffende „das gar nicht verstehen“. Schemavermeidung Wenn Betreffende ein bestimmtes Schema vermeiden, richten sie ihren Alltag, ihren Freundes- und Bekanntenkreis so ein, sodass die Wahrscheinlichkeit einer Auslösung des innerpsychischen Musters auf ein Minimum reduziert wird. Meistens kommt es zum sozialen Rückzug, besonders übrigens beim Schema Misstrauen/Missbrauch der Fall. Eine andere Methode in diesem Zusammenhang ist die Ablenkung durch rauschauslösende Substanzen.
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Schemakompensation Manchmal verfallen Betroffene auch ins andere Extrem. Das heißt, sie tun genau das Gegenteil von dem, was das zugrundeliegende Schema beinhaltet. Das Muster wird nicht bloß verdrängt (wie bei der Schemavermeidung), sondern auf einem höheren Level aktiv „verarbeitet“. Wer etwa oft die Rückmeldung bekam, dass er wertlos und unwichtig sei (Schema Unzulänglichkeit/Scham), verarbeitet dieses Feedback eventuell überkompensierend, indem er plötzlich seine eigenen Fähigkeiten maßlos überschätzt; gleichzeitig kommt es dabei meistens zu einer übertriebenen Abwertung des sozialen Umfelds. Im Falle des Schemas Misstrauen/Missbrauch übernimmt das einstige „Opfer“ infolgedessen nunmehr die Rolle des „Täters“. Dieser tut ausgewählten Mitmenschen in seinem Umfeld genau das an, was ihm selbst widerfuhr. Eine sicherlich irrationale Möglichkeit, sich seiner leidvollen Erfahrungen zu entledigen. Prinzipiell stellt die Überkompensation ein Versuch dar, das zugrundeliegende Schema aufzulösen. Doch die hier dargestellte Methode sorgt dafür, dass Betreffende weit über das Ziel hinausschießen. Im Folgenden werden konkret die einzelnen Schemata und die damit verbundenen Schema-Bewältigungsversuche thematisiert (siehe auch ROEDIGER 2009a/b, ROEDIGER & JACOB 2010, DAMM 2010b).
1.3.1 Domäne 1: Abgetrenntheit und Ablehnung In dieser Domäne sind folgende Schemata zusammengefasst:
Emotionale Vernachlässigung, Verlassenheit/Instabilität, Misstrauen/Missbrauch, Soziale Isolation, Unzulänglichkeit/Scham.
Emotionale Vernachlässigung Menschen mit diesem Schema denken und verhalten sich so, als hätten sie keinerlei emotionalen Anliegen und Bedürfnisse. Sie haben nur wenig Zugang zu ihrer Innenwelt. Andererseits haben sie auch Probleme dabei, sich in andere gefühlsmäßig hineinzuversetzen.
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Eventuell waren ihre Bezugspersonen selbst emotional gehemmt und konnten deshalb nicht authentisch auf die Grundbedürfnisse des Betreffenden eingehen. Das Schema Emotionale Vernachlässigung äußert sich auch oft darin, dass Betreffende von anderen erwarten, dass sie deren Wünsche „von sich“ aus erkennen. Entsprechend gibt man wie selbstverständlich wenig von sich preis, ist mehr oder weniger unnahbar. Meistens werden vertraute Beziehungen vermieden. Viele Menschen mit diesem Schema unterhalten bewusst Fernbeziehungen. Bewältigt wird dieses Schema, wie oben schon erwähnt, mittels dreier Wege: (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation. Dies sieht dann häufig so aus: (a)
Betreffende weisen eine nur mangelhafte Selbstfürsorge auf. Eventuell wählen sie Beziehungspartner, die emotional „kalt“ sind. (b) Man umgeht nahe, vertrauensvolle Beziehungen aus voller Überzeugung. (c) Der Betreffende meldet nunmehr extrem hohe Ansprüche an. Eine andere kompensatorische Verhaltensweise: Man hilft den Mitmenschen in überdurchschnittlicher Weise, indem man versucht, auf deren emotionalen Bedürfnisse einzugehen. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … können nur sehr schwer eine emotionale Beziehung zum Zu-Erziehenden aufbauen … kommunizieren vorwiegend auf der Sachebene
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … vermeiden meistens enge Beziehungen … wirken dadurch eventuell (irrtümlicherweise) abweisend
Verlassenheit/Instabilität Wer unter dem Einfluss dieses Schemas steht, der ist gewöhnlich sehr davon überzeugt, dass man sich in Beziehungen nicht auf den Anderen verlassen kann. Entsprechend hoch ist die vorauseilende Unzufriedenheit. Erleben Betreffende gerade einer Partnerschaft, so kreist die permanent vorhandene Angst darum, dass der Andere sie irgendwann im Stich lassen wird. Eifersucht und Besitzdenken sind in solchen Beziehungen häufig auftretende Phänomene.
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Durch das damit meistens einhergehende Klammerverhalten wird der Andere aber möglicherweise gerade zu denjenigen Verhaltensweisen animiert, die man eigentlich verhindern will. Dieser Mechanismus wird aber nicht gesehen. Häufig haben Menschen mit diesem Schema zu wenig Unterstützung und Schutz vonseiten der Bezugspersonen erfahren. Möglicherweise war auch der wichtigste Beziehungspartner, meistens die Mutter, über längere Zeit hinweg abwesend. Durch die beschriebenen Ursachen kann sich das Schema Verlassenheit/Instabilität ausprägen. Wie sieht es in Bezug auf die drei Bewältigungsmechanismen (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation aus? Folgende Auffälligkeiten kommen recht häufig vor: (a)
Wenn Personen dieses Schema erdulden, umgibt man sich mit Menschen, die die negativen Erwartungen mehr oder weniger bestätigen. (b) Eine Tendenz zur sozialen Isolation ist wahrscheinlich; ebenso auch die Praxis von Tätigkeiten, die man vorzugsweise alleine ausübt. (c) Man stellt eine große Nähe zu den Menschen in der unmittelbaren Umgebung her. Beziehungspartner werden übermäßig kontrolliert. Möglicherweise macht man auch die Anderen von sich abhängig und bricht dann aus heiterem Himmel die Beziehungen ab, „um ihnen zuvorzukommen“. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … machen keinen stabilen Eindruck auf die Klientel
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … treten oft als Einzelgänger in Erscheinung … erwecken durch bestimmte unbewusste Strategien leicht Antipathie aufseiten der Fachkraft
Misstrauen/Missbrauch Das Schema Misstrauen/Missbrauch führt zu einer stabilen Überzeugung, dass „die Anderen“ meistens etwa Böses gegen den Betreffenden im Schilde führen. Entsprechend verbirgt man bestmöglich seine „Schwächen“ und glaubt so, sich so im Alltag schützen zu können. Schnell fühlt man sich von den Mitmenschen ausgenutzt, betrogen, hintergangen. Die Wahrnehmung, „mal wieder der Gelackmeierte“ zu sein, ist in manchen Situationen sehr stark ausgeprägt, was dem sozialen Umfeld dann
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emotional (anklagend oder aggressiv) vorgeworfen wird. Selbst wenn es jemand einmal gut mit dem Betreffenden meint – er bekommt unter Umständen keine Chance, seine moralischen Absichten zu kommunizieren. Gerade an diesem Muster lässt sich die Bedeutung des frühkindlichen beziehungsweise pubertären Einflusses vonseiten des sozialen Umfelds gut demonstrieren. Strenggenommen erwarten Menschen mit diesem Schema dieselbe negative Behandlung, die ihnen früher häufig widerfuhr. Man kann annehmen, dass Betreffende häufig verletzt, manipuliert oder sonstwie ausgenutzt wurden, und zwar über einen längeren Zeitraum hinweg. Masochistische Tendenzen (auch selbstverletzende Verhaltensweisen) andererseits verweisen ebenso auf dieses Schema. Dieses Muster führt in Hinsicht auf die drei Bewältigungsmechanismen (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation häufig zu folgenden Phänomenen: (a)
Man wird dem Schema gerecht, indem man sich ein soziales Umfeld einrichtet, das einem, lapidar gesagt, psychisch und/oder physisch schadet. Minder- und volljährige Heranwachsende suchen und finden latent aggressive, rohe, asoziale Partner, mit denen das Muster sicherlich verwirklicht werden kann. Außerdem kommt es zu selbstschädigendem Verhalten. (b) Aus Selbstschutz werden intime Beziehungen gänzlich gemieden. In der Gruppe, der man angehört, fällt man nicht auf, verhält sich unauffällig. (c) Im Falle der Kompensation kommt es zu einer spezifischen Rollenübernahme. Leidvolle Situationen aus der Vergangenheit werden re-inszeniert, aber mit vertauschten Rollen. Aus dem ehemaligen Opfer wird der Täter, der mit sadistischer „Professionalität“ Schwächere in der Gruppe mobbt, quält oder sonstwie niedermacht. Nicht die geringste Empathie ist bei einer Aktivierung dann vorhanden. Eine andere Möglichkeit zur Kompensation: Der Betreffende verhält sich übertrieben friedfertig und vertrauensselig. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … erscheinen sehr wechselhaft, ihre Stimmung kann von jetzt auf gleich ins andere Extrem umschlagen … reagieren häufig sehr aggressiv beziehungsweise übertrieben verletzt im Umgang mit Heranwachsenden
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … verhalten sich häufig so „ungeschickt“, dass aufseiten der Fachkraft leicht negative Emotionen entstehen … sind häufig Opfer beziehungsweise Täter von Mobbing
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Soziale Isolation Vermehrt offenbaren Einzelgänger „aus Überzeugung“ dieses Schema. Meistens geht damit auch ein Gefühl des Irgendwie-anders-Seins einher. Die Betreffenden fühlen sich nirgendwo richtig aufgehoben. Entsprechend gehören sie auch keiner Szene-Gruppe an. Anscheinend scheint keine Ideologie die eigene Wertvorstellung widerzuspiegeln. Daher der Hang zum Außenseitertum. Das Schema Soziale Isolation entwickelt sich oft durch real erfahrene Ausgrenzung im primären sozialen Umfeld. Auch im Kindergarten, in der Grundschule usw. können entsprechende Entwicklungen die Ausprägung dieses innerpsychischen Modells begünstigen. In Hinsicht auf die Bewältigungsmechanismen (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation ist festzustellen: (a)
Der Betreffende sieht sich selbst als Sonderling. Er unternimmt keinerlei Anstrengung, sich in eine Gruppe zu integrieren. Auf der anderen Seite leidet man auch unter der Gesamtsituation. (b) Man unterhält keine sozialen Kontakte; die Ausnahme stellen lediglich die engsten Familienmitglieder dar. (c) Wenn Betreffende das Schema kompensieren, fallen sie ins andere Extrem und wollen plötzlich die maximale Integration. Um dieses Ziel zu erreichen, offenbart man großen Elan und passt sich sehr extrem den Gruppennormen an. Eine andere Möglichkeit: Betreffende neigen zur Bandenbildung und zu Delinquenz (ROEDIGER 2009a). Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … finden nur sehr schwer einen Zugang zu anderen Menschen … werden als Einzelgänger wahrgenommen
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … lassen sich nur ganz selten zu Gruppenarbeiten motivieren … spielen die Rolle des Außenseiters … zeigen wenig bis gar keine Kommunikationsbereitschaft
Unzulänglichkeit/Scham Personen mit diesem Schema sind sehr schüchtern, still, und sie kommunizieren meistens nur wenig mit anderen. Kritik wird von Betreffenden, egal, wie sie formuliert wird, automatisch negativ aufgenommen. Soziale Ängste sind ebenfalls auffällig.
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Die Betreffenden nehmen überwiegend ihre Schwächen wahr. Entsprechend gehen sie etwa bei Aufgaben, die zu erledigen sind, immer vom worst case aus. Geht etwas schief, hat man gleich eine Erklärung á la „Das war eh klar, ich bin halt ein Loser“ parat. Man kann sich leicht vorstellen, dass Menschen mit diesem Schema weit unter ihren Fähigkeiten bleiben. Zu viel Aufmerksamkeit fließt in die Außenwirkung; es dreht sich oft um die Frage: „Was denkt der Andere jetzt über mich?“ Meistens steckt ein sehr schwaches Selbstbewusstsein hinter solchen Auffälligkeiten. Die Anderen sind aus Sicht des Betreffenden stets talentierter, attraktiver, „besser“ als man selbst. Und das schmerzt natürlich. Fasst man die Ursachen dieses Schemas ins Auge, so zeigt sich häufig, dass Betreffende vom frühen sozialen Umfeld nicht für „voll“ genommen und tendenziell herabgesetzt, oft kritisiert und/oder benachteiligt wurden. Eventuell wurden viele Äußerungen des Kindes/des Jugendlichen permanent als „peinlich“ hingestellt. Aufgrund solcher Erfahrungen erwarten/befürchten Menschen mit diesem Schema geradezu dieselbe Reaktion seitens des Umfelds im Hier und Jetzt. Sie erkennen nicht, dass nur wenige Personen für die Ausprägung dieses innerpsychischen Musters verantwortlich waren. Man reagiert eben mit denjenigen kindlichen Ressourcen, die einmal „da“ waren. Wie sieht es in Hinsicht auf die Bewältigungsstrategien (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation aus? (a)
Wer das Schema mehr schlecht als recht erträgt, hält Beziehungen und manchmal auch Beschäftigungen aufrecht, die demütigend für den Betreffenden sind. Das heißt, man spielt – unbewusst – die Rolle des Sündenbocks. Die eigenen Leistungen werden vorauseilend abgewertet, und dadurch bleibt man weit unter seinen Fähigkeiten. (b) Auf der anderen Seite kann die Schemaaktivierung verhindert werden, indem man sich abkapselt und auf die Anderen einen eher introvertierten Eindruck macht. Vorauseilend passt man sich an den Gesprächspartner an, um nicht „anzuecken“. (c) Wer das Schema kompensiert, erweckt nach außen hin den Anschein, perfekt zu sein; damit steht er aus seiner Sicht frei von jedweder Kritik. Man überschätzt sich im Zuge dessen auch üblicherweise, und die Anderen werden wegen ihrer „Mängel“ zurechtgewiesen.
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Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … wirken auf die Heranwachsenden wenig selbstbewusst
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … sind sehr introvertiert … führen nur widerwillig Gespräche – sowohl mit Gleichaltrigen als auch mit dem professionellen Helfer
1.3.2 Domäne 2: Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung In der Domäne Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung sind folgende Schemata aufgeführt:
Erfolglosigkeit/Versagen, Abhängigkeit/Inkompetenz, Verletzbarkeit, Verstrickung/Unentwickeltes Selbst.
Erfolglosigkeit/Versagen Dieses Schema motiviert den Betreffenden dazu, sich häufig als „Verlierer“, „Loser“, „Versager“ zu empfinden. Nichts scheint im Alltag gut zu klappen. Die Wahrnehmung kreist entsprechend stets um Misserfolge und Niederlagen. Meistens definieren sich Betreffende als völlig talentfrei („Ich kann gar nichts!“), und die Anderen, so meint man, wären schon immer „besser“ gewesen. Häufig machten Betreffende in ihrem familiären Umfeld entsprechende Erfahrungen, die zur Ausprägung dieses Muster führten. Vielleicht wurde man nicht bei der Bewältigung von Aufgaben im Kindergarten oder in der Schule unterstützt und versagte häufig. Oder aber die spielerische Experimentierfreude, die naturgemäß von (fast) jedem Kind offenbart wird, wurde permanent unterbunden. Manchmal wuchsen Personen mit diesem Schema auch bei überfordernden Eltern auf, denen man es nie Recht machen konnte. Sollten solche oder ähnliche Voraussetzungen vorliegen, kann der Heranwachsende nur sehr schwer die eigenen Potenziale erkennen und entwickeln. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass Betreffende weit hinter ihren Fähigkeiten zurückbleiben. Sie merken nicht, und das kommt erschwerend hinzu, dass sie „nur“ unter dem Einfluss von antrainierten Selbstüberzeugungen stehen, die sie im Hier und Jetzt gewissermaßen ausbremsen.
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Die drei Bewältigungsstrategien (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation gestalten sich meistens folgendermaßen: (a)
Der Betreffende steckt in seinem Schema fest. Das heißt, Misserfolge und Situationen, in denen er regelmäßig versagt, sind an der Tagesordnung. Er ist – entgegen seiner Meinung selbst – Teil des Problems. Man entwickelt sich nicht weiter. (b) Jegliche Herausforderungen werden bestmöglich vermieden. Der Lebensradius ist sehr klein. (c) Im Rahmen der Kompensation verfallen Personen mit diesem Schema in einen ausgeprägten Perfektionismus, man wird gewissermaßen zum Workaholic. Die Mitmenschen werden dann gewöhnlich übermäßig abgewertet. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … können so gut wie nie Dank annehmen … kehren eigene Erfolge schnell unter den Teppich
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … weigern sich häufig, Verantwortung zu übernehmen … scheinen Misserfolge und persönliche Niederlagen wie magisch anzuziehen
Abhängigkeit/Dependenz Extrem unselbstständig sind Personen mit dem Schema Abhängigkeit/Inkompetenz. So gut wie alle Angelegenheiten im Alltag überfordern sie. Selbst Aufgaben mit geringem Anspruch werden häufig nur mit vorauseilendem Widerwillen ausgeführt, und zwar mehr schlecht als recht. Alltagsverpflichtungen erscheinen ihnen lästig, man versucht entsprechend, die Anderen mit allen nur denkbaren Mitteln mit einzubeziehen (und hat es in dieser Hinsicht zu wahrer Perfektion gebracht). Meistens ist ein überverwöhnender Erziehungsstil seitens der Eltern für die Ausprägung dieses Schemas verantwortlich zu machen. Im elterlichen Schonraum wurde der Heranwachsende nicht gefordert, sondern demgegenüber oft „wie ein hilfloses Kind“ behandelt. Diese Voraussetzungen tragen dazu bei, dass Heranwachsende zur „Hilflosigkeit“ erzogen werden (SELIGMANN 2000). Charakteristisch verhält es sich bei den Bewältigungsstrategien (a) SichFügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation: (a)
Selbstständigkeit wird mit allen Mitteln vermieden. Die Verantwortung für die eigenen Alltagsaufgaben wird fadenscheinig den Mitmenschen auf-
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erlegt. Es werden nur diejenigen Personen in den „inneren Kreis“ aufgenommen, die selbstbewusst, aktiv und fürsorglich sind. (b) Der Betreffende gibt sich nach außen hin sehr passiv. Aufgaben und Herausforderungen werden in extremer Weise umgangen. (c) Im Rahmen der Kompensation will man plötzlich von niemandem mehr abhängig sein; und möchte nunmehr alles selbst und vor allem perfekt machen (Pseudoautonomie). Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … neigen dazu, die Heranwachsenden zu unterfordern … erscheinen sehr introvertiert
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … verwickeln den Helfer in entsprechende Psychospiele, um nicht allzu sehr beansprucht zu werden … halten sich bei Gruppenaktivitäten meistens zurück
Verletzbarkeit Menschen mit dem Muster Verletzbarkeit zeigen viele Auffälligkeiten, die auch bei der sogenannten generalisierten Angststörung auftauchen (DAMM 2007). Das heißt, der Betreffende macht sich im Alltag viel zu viele Sorgen. Stets erwartet werden zum Beispiel Unfälle, Krankheiten, die den Betreffenden bald ereilen könnten; auf der anderen Seite wird häufig auch befürchtet, dass man demnächst Opfer einer Straftat wird. Die Gefahren, die der Alltag mit sich bringt, werden viel zu sehr überschätzt. Aus diesen Gründen macht man auf seine soziale Umwelt auch, was nicht verwundert, einen grundsätzlich ängstlichen, schüchternen, vorsichtigen Eindruck. Häufig entsteht dieses Schema durch Modelllernen. Das heißt, dass Betreffende oft mit einer extrem furchtsamen Bezugsperson aufwuchsen. Eventuell litt auch jemand in der Familie an einer schlimmen Krankheit – was der Betreffende über einen längeren Zeitraum hinweg miterlebte – oder Ähnliches. Die Bewältigungsstrategien (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation lassen sich meistens folgendermaßen beschreiben: (a)
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Der Betreffende denkt, fühlt und agiert im Sinne seines antrainierten innerpsych ischen Musters: Er geht gehemmt durch den Alltag und erwartet in vielen Situationen den schlechtmöglichsten Ausgang.
(b) Der eigene Lebensradius wird strikt und rigide verkleinert, um die Aktivierung des Schemas zu vermeiden. Verschiedene Sicherheitsvorkehrungen werden getroffen. Unter Umständen kommt es auch zu Medikamenten- und Alkoholmissbrauch, um die Sorgen zu unterdrücken. (c) Wird dieses Schema kompensiert, werden plötzlich extrem riskante Verhaltensweisen offenbart. Man traut sich auf einmal viel zu viel zu und schießt dadurch weit über das Ziel hinaus. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … fordern Zu-Erziehende zu wenig … wollen Zu-Erziehende permanent vor den Gefahren des Alltags, vor Verletzungen und Krankheiten usw. bewahren
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … trauen sich im Alltag viel zu wenig zu … stehen nicht an der „Front des Lebens“ … erscheinen sehr vorsichtig und schüchtern
Verstrickung/Unentwickeltes Selbst Die Identität von Personen, die das Muster Verstrickung/Unentwickeltes Selbst entwickelt haben, ist in der Regel sehr rudimentär strukturiert. Erfahrungsgemäß erleben sie eine extrem enge Bindung zu mindestens einem Elternteil. Diese Bindung wird von beiden als das Nonplusultra wahrgenommen. In dieser Beziehung sind die Rollen klar verteilt. Der Betreffende ist der „Passive“, der auf die Fürsorge und den Rat des Anderen angewiesen ist. Diese Konstellation geht in Hinsicht auf eigene Kompetenzen zu Lasten desjenigen, der das Schema Verstrickung/Unentwickeltes Selbst offenbart. Denn erfahrungsgemäß weiß er nicht um seine Stärken, Wünsche, Ziele und Schwächen, weil die Verhältnisse früher viel zu eng, zu symbiotisch waren. Es existierte kein Platz für die selbstständige Erkundung der Welt. So kommt es, dass Betreffende selbst im Erwachsenenalter in bestimmten Situationen den Eindruck von „kleinen Kindern“ machen, die die Unterstützung ihrer Mutter brauchen, und zwar bei anspruchsvollen, aber auch völlig lapidaren Alltagsangelegenheiten. In Hinsicht auf die Ursachen wurde das Wesentliche in dieser kurzen Skizze schon erwähnt. Kurz gesagt: Der Heranwachsende wurde in der frühen Kindheit nicht als Person mit eigenen Potenzialen, sondern als Teil des eigenen Ich (seitens der Bezugsperson) wahrgenommen. Erfahrungsgemäß sorgt dieses Schema dafür, dass Betreffende – wiederum – nicht wirklich wissen, was sie können und wollen. Belastet werden die eigenen Beziehungen im Erwachsenenalter – abseits der Familie – vor allem deshalb, weil
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man von den Anderen unbewusst dieselben vorauseilenden entgegenkommenden, aufopfernden Verhaltensweisen erwartet, die man von der frühen Kindheit her gewohnt ist. Dies kann nun aber kein Partner auf Dauer leisten. Die Bewältigungsstrategien (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation offenbaren extreme Tendenzen: (a)
In Beziehungen erwartet man vom Anderen wie selbstverständlich Entgegenkommen, Aktivität, ja völlige Aufopferungsbereitschaft. Man selbst offenbart gänzlich gegensätzliche Verhaltensweisen. (b) Nunmehr vermeidet der Betreffende soziale Kontakte. Er bleibt weitgehend unabhängig. (c) In bestimmten Phasen kommt es zur strikten Abkapselung. Man will und tut plötzlich genau das, was die wichtigste Bezugsperson im Leben nicht will und tut. Oder aber man identifiziert sich extrem mit ihr und übernimmt in Beziehungen nunmehr die Rolle der „Umsorgerin“. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … erwarten von Anderen (im Gegensatz zu sich selbst) Selbstständigkeit … können sich meistens nicht in ZuErziehende hineinversetzen … unterhalten häufig distanzlose Beziehungen, in denen sie dem Anderen automatisch die intimsten Angelegenheiten erzählen
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … klammern sich sehr schnell an Erzieher mit „Versorgerqualitäten“ an … können sich nur schwer mit sich alleine beschäftigen … haben eine sehr enge Bindung zu mindestens einer Bezugsperson
1.3.3 Domäne 3: Beeinträchtigung im Umgang mit Begrenzungen In dieser Domäne sind diese innerpsychischen Muster relevant:
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Anspruchshaltung/Grandiosität, Unzureichende Selbstkontrolle/Selbstdisziplin.
Anspruchshaltung/Grandiosität Personen mit diesem Schema sind an einer speziellen, sehr einseitigen Beziehungsgestaltung interessiert. Da sie sehr häufig davon überzeugt sind, etwa ganz Besonderes zu sein, soll der Gesprächspartner vor allem zwei Dinge aufbringen: Anerkennung und Bewunderung. Um dies zu gewährleisten, werden zahlreiche Manipulationen eingesetzt. Allgemeine Regeln und Konventionen gelten für Betreffende nicht. Aus ihrer Perspektive haben sie Sonderrechte und genießen Privilegien. Entsprechend niedrig ist auch ihre Frustrationstoleranz ausgeprägt. Auffällig ist auch die Neigung zum Konkurrieren und zum „Übertrumpfen-Wollen“ (siehe auch DAMM 2009). Die Ausführungen von YOUNG et al. (2008) zu diesem Schema erinnern an die Thesen des Kinderpsychiaters MICHAEL WINTERHOFF (2009), der in seinem Bestseller Warum unsere Kinder Tyrannen werden viele Beispiele von entsprechend narzisstischen Heranwachsenden geschildert hat, die ihre soziale Umwelt als Mittel zum (Selbst-)Zweck geradezu missbrauchen. Betreffende sind aufgrund der starken Ich-Zentrierung auch keine Teamplayer. Die Gruppe, der man gerade angehört, wird zum Publikum durch verschiedene Aktionen degradiert. (Dies erschwert dem professionellen Helfer die Gruppenführung.) Das Schema Anspruchshaltung/Grandiosität entsteht meistens schon in der Kindheit. Meistens erfuhren die Betreffenden wenig Widerstände, genauer gesagt, sie bekamen wenig bis keine Grenzen gesetzt. Möglicherweise idealisierten die Eltern ihre Kinder überdurchschnittlich und ließen ihnen so gut wie alles durchgehen bzw. verstärkten sogar nichtwissend narzisstische Symptome. Die Bewältigungsstrategien (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation, die in Bezug auf dieses Schema angewendet werden, haben gewöhnlich folgende Inhalte: (a)
Der Betreffende sieht sich selbst als „King“. Die Mitmenschen im Umfeld werden funktionalisiert, sie sollen ihm Anerkennung und Bewunderung entgegenbringen. Entsprechend neigt man zur übertriebenen Selbstdarstellung. (b) Wer das Schema vermeidet, der umgeht bewusst Situationen, in denen er seine Rolle nicht spielen kann. Soziale Rückzugstendenzen sind auffällig. Ebenfalls gibt man sich nicht mit Menschen ab, die in zentralen Lebensinhalten „besser“ sind.
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(c)
Nunmehr stehen die Bedürfnisse der Anderen im Vordergrund. Man gibt sich extrem altruistisch, aber meistens nur denjenigen gegenüber, die bis dato den Betreffenden in seiner Rolle akzeptierten.
Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … offenbaren im Berufsalltag eine stark ausgeprägte Ich-Zentrierung … erwarten von den Kollegen stets Anerkennung für ihre Arbeit … wollen auch von den Zu-Erziehenden häufiger bewundert werden
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … provozieren ständig Aufmerksamkeit, positive wie negative … konkurrieren oft mit anderen aus der Peergroup … provozieren so lange die Fachkraft, bis sie auf die Grundbedürfnisse des Betreffenden eingeht
Unzureichende Selbstkontrolle/Selbstdisziplin Liegt das Schema Unzureichende Selbstkontrolle/Selbstdisziplin vor, offenbart der Betreffende eine mangelhafte Emotions- und Impulskontrolle, und zwar in auffälliger Weise. In Situationen, die Durchhaltevermögen erfordern, gibt man schnell auf. Entsprechend gering ist die Frustrationstoleranz. Kommt es im Alltag zu Misserfolgen, treten die dadurch ausgelösten negativen Emotionen „ungebremst“ zutage. Offensichtlich ist die Fähigkeit, sich dahingehend zusammenzureißen, nur rudimentär vorhanden, in manchen Fällen ist sie nicht existent. Kurzfristig erreichbare Ziele führen aufseiten des Betreffenden hingegen zu einer hohen Motivation. Ansonsten aber neigt man zu auffälligem „Schonverhalten“ (ROEDIGER 2009a, 56). Des Öfteren entsteht dieses innerpsychische Muster durch Modelllernen, das heißt, eventuell wurde ein Vorbild aus dem Kreis der Familie psychisch verinnerlicht. Andererseits ist aber auch denkbar, dass der Heranwachsende oft überfordert wurde, was wohl oder übel zu vielen Misserfolgen führte. Infolgedessen entsteht leicht eine Art innere Verweigerungshaltung, die zeitlebens regelmäßig aktiviert wird, sobald jemand Ansprüche an den Betreffenden stellt. Die letztere Konstellation ist nun sehr nachteilig, weil vor allem gesellschaftliche Institutionen Leistungsbereitschaft verlangen (Schule, Arbeitsgeber usw.). Der Betreffende bugsiert sich dann quasi selbst ins gesellschaftliche Abseits und sieht nicht, dass er eigentlich „nur“ ein frühkindlich antrainiertes Thema („Revolution“) auslebt. Zu den Bewältigungsstrategien (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation lässt sich anmerken:
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(a)
Der Betreffende beginnt wahllos Projekte, die er schnell aufgibt und infolgedessen nie abschließt. Seine geringe Frustrationstoleranz führt zu vielen Problemen in Bildungsinstitutionen. Auch sogenannte passiv-aggressive Verhaltensweisen tauchen auf, und zwar aufgrund der inneren Verweigerungshaltung. (b) Wird das Schema vermieden, versucht der Betreffende bestmöglich alle Situationen zu vermeiden, die etwas von ihm abverlangen. Verantwortungsvolle Tätigkeiten werden abgelehnt. (c) Im Falle der Kompensation beginnt der Betreffende von heute auf morgen zahlreiche Projekte gleichzeitig und engagiert sich zu 100 Prozent. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … sind neuen Projekten und Konzeptionen gegenüber zunächst einmal skeptisch eingestellt … engagieren sich mehr, je weniger ihr Engagement „von oben“ mit Druck eingefordert wird
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … spielen oft das Psychospiel „Blöd“ (sich so lange dumm anstellen, bis ein anderer den Auftrag erledigt) … verwickeln die Fachkraft in langatmige Diskussionen („Warum müssen wir denn das machen?“) … schalten bei Druck schnell auf stur
1.3.4 Domäne 4: Übertriebene Außenwirkung und Fremdbezogenheit Folgende Schemata komplettieren die Domäne 4:
Unterwerfung/Unterordnung, Aufopferung, Streben nach Zustimmung und Anerkennung.
Unterwerfung/Unterordnung Personen mit diesem Schema fallen in einer Gruppe nicht groß auf, sie passen sich schnell den Gruppennormen an. Auch in einem Gespräch unter vier Augen machen sie einen angepassten, genauer gesagt, unterwürfigen Eindruck. Sie haben in der Regel eine Meinung – und zwar dieselbe, die ihr aktueller Gesprächspartner gerade vertritt. Wer das Schema Unterwerfung/Unterordnung aufweist, der will nicht anecken und zeigt seine Motivation auch vorauseilend. In Gesprächen etwa stimmen sie
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den Meinungen des Anderen überdurchschnittlich oft zu („Ja“, „Ja“, „Ja“), lächeln sehr oft und zeigen insgesamt eine sehr „hohe Übereinstimmung“. Entsprechend nimmt sich der Betreffende in Hinsicht auf die eigenen Bedürfnisse zurück und schenkt überwiegend denjenigen des Anderen Aufmerksamkeit. Das Ziel dieses Auftretens ist die Vermeidung von zwischenmenschlichen Konflikten. Gleichzeitig will man von möglichst allen gemocht werden. Als sehr schlimm werden Konflikte mit den Anderen empfunden; man hält solche Situationen nicht lange aus. Die übermäßige Tendenz, es allen Recht zu machen, führt irgendwann zu innerpsychischen Spannungen, genauer gesagt, zum Aufbau eines Frust- und Wutpotenzials. Die eigenen Bedürfnisse kommen erfahrungsgemäß viel zu kurz. Infolgedessen kann es auch zu psychosomatischen Auffälligkeiten kommen. Das Schema Unterwerfung/Unterordnung entwickelt sich meistens infolge eines autoritären Erziehungsstils. Der Betreffende hat gelernt, dass es für ihn besser ist, sich vorauseilend an seine Mitmenschen anzupassen. Die eigenen Meinungen waren nicht erwünscht, wurden wahrscheinlich häufig übergangen, modifiziert oder sanktioniert. Belohnt wurden hingegen die Tendenz zur Anpassung und wahrscheinlich auch vorauseilendes Entgegenkommen. So kommt es, dass Heranwachsende lernen, die Aufmerksamkeit bei Unterhaltungen voll auf den Gesprächspartner zu richten. Meistens kommt es in Bezug auf die Bewältigungsstrategien (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation zu diesen Phänomenen: (a)
Der Betreffende unterwirft sich vorauseilend bestimmten Gesprächspartnern, passt sich komplett an. Der Andere soll entscheiden, bestimmen, den Takt vorgeben. Eigene Bedürfnisse werden übergangen. Dies führt auf Dauer zu innerpsychischen Konflikten. Häufig neigen Betreffende zwecks Betäubung des Themas zum Missbrauch von Suchtmitteln. (b) Der Betreffende will auf Teufel komm raus nicht anecken. Man umgeht bestimmte „Respektspersonen“ aus dem sozialen Umfeld. (c) Es kann auch sein, dass man in das andere Extrem fällt. Das heißt, der Betreffende neigt zu provozierenden Verhaltensweisen, offensichtlich oder passiv-aggressiv.
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Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … passen sich übermäßig den Vorstellungen des Zu-Erziehenden an … können sich oft nicht durchsetzen … neigen in Hinsicht auf den Umgang mit Führungskräften zu vorauseilendem Gehorsam (und ärgern sich insgeheim darüber)
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … sind in Hinsicht auf den Berufsalltag sehr unauffällig … sind Mitläufer … stellen nichts und niemanden infrage
Aufopferung Ein starkes Interesse am Wohl und Wehe des Anderen haben auch Personen, die das Schema Aufopferung aufweisen. In diesem Fall ist darüber hinaus aber eine offensichtliche Extraversion auffällig. Das heißt, der Betreffende geht auf die Bedürfnisse der Anderen aktiv ein. Hinter diesem Schema-getriebenen Verhalten steht das Bedürfnis nach Anerkennung. In diesem Zusammenhang ist häufig der Begriff Helfersyndrom relevant, der vor allem von WOLFGANG SCHMIDBAUER (1977/2005) geprägt wurde. Natürlich offenbart nicht jeder Helfer mit dem Schema Aufopferung die genannte Eigenart. Es ist wichtig zu erwähnen, dass das hier beschriebene Muster dafür sorgt, dass der Betreffende zwar viel für andere tut, aber gewöhnlich nicht dazu imstande ist, Dank für seine Hilfsbereitschaft anzunehmen. Man legt viel Wert darauf, den Eindruck eines „uneigennützigen Helfers“ zu machen. Personen mit diesem Schema gehen vor allem in sozialen Berufen ihrem Grundthema nach. Gerade dort trifft man ja gewöhnlich auf eine Klientel, die erzogen, gepflegt beziehungsweise umsorgt werden muss. Wer von diesem Muster betroffen ist, kann sich unglaublich gut in seine Mitmenschen hineinversetzen und quasi ihre Bedürfnisse „von den Lippen“ ablesen. Manchmal kommt es vor, dass man auch in Hinsicht auf das private Umfeld überwiegend mit Menschen zu tun hat, die häufig in Probleme aller Art verstrickt sind. Das ist dann meistens kein Zufall. In Hinsicht auf die Ursachen tauchen folgenden Faktoren vermehrt auf:
Betreffende mussten bereits in ihrer Kindheit Rollen und Aufgaben übernehmen, die nicht altersgemäß waren (den Haushalt führen, die Geschwister erziehen usw.);
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Personen mit diesem Schema wurden in den ersten Lebensjahren nicht als Kinder, sondern als Erwachsene mit Rechten und Pflichten wahrgenommen.
Wie sieht es in Hinsicht auf die Bewältigungsstrategien (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation aus? (a)
Der Betreffende macht sich vorsauseilend nützlich. Die eigenen Anliegen werden verdrängt, einzig und allein geht es um die Anderen. (b) Wenn das Schema vermieden wird, werden die aktuellen Kontakte, die unter dem Einfluss des Helferthemas stehen, abgebrochen. Situationen und Personen, die Aufmerksamkeit verlangen, will man umgehen. (c) Wer kompensiert, fällt in das andere Extrem. Plötzlich geht es ausschließlich um die Bedürfnisse des Betreffende; sie werden erfahrungsgemäß in aggressiver Weise kommuniziert. Der Altruismus wird ersetzt durch Egoismus. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … haben immer ein offenes Ohr für die Probleme von Zu-Erziehenden … können es manchmal nicht ertragen, wenn der Andere nicht gerade in irgendwelche Konflikte verstrickt ist … verstehen vieles, was der Andere von sich gibt, als Appell („Hilf mir!“)
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … kümmern sich sehr intensiv um die Probleme ihrer Mitmenschen … unterstützen vorauseilend den Helfer bei seiner Arbeit … stoßen oftmals bestimmte Mitglieder ihrer Peergroup mit ihrer „mütterlichen“ Art vor den Kopf (die Anderen fühlen sich erfahrungsgemäß wie „kleine Kinder“)
Streben nach Zustimmung und Anerkennung Vor allem um positive Aufmerksamkeit geht es Personen mit dem Schema Streben nach Zustimmung und Anerkennung. Ähnlich wie auch beim Muster Anspruchshaltung/Grandiosität der Fall, peilen die Betreffenden eine stark ausgeprägte Außenwirkung an. Infolge der Aktivierung dieses Musters wird nunmehr eine enorme Leistungsbereitschaft an den Tag gelegt. Ebenso steht auch die Praxis sozial erwünschte Verhaltensweisen hoch im Kurs, um ein positives Feedback vonseiten des sozialen Umfelds zu provozieren.
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Es liegt auf der Hand, dass dadurch wieder die eigenen (wahren) Anliegen auf der Strecke bleiben. Stets will man andere beeindrucken, insbesondere durch Statussymbole, Reichtum und durch die äußere Erscheinung. Meistens trifft man auf Gleichgesinnte. Die entsprechenden Kontakte befriedigen zwar das überzogene Bedürfnis nach sozialer Anerkennung, nicht aber die eigenen Grundbedürfnisse. Mögliche Ursachen dieses Schemas sind: Über-Sozialisierung (Verstärkung des Statusdenkens und „Brav-Seins“) und elterliche Verstärkung von Verhaltensweisen, die eine entsprechende Außenwirkung nach sich zogen. Die Bewältigungsstrategien (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation nehmen meistens diese Formen an: (a)
Man neigt zu denjenigen Hobbys, Kleidungsstücken, Statussymbolen und Verhaltensweisen, die andere „sprachlos“ machen. Ohne den „Beifall der Mitmenschen“ fehlt etwas im Leben. (b) Im Falle der Vermeidung passt man sich völlig an das soziale Umfeld an und will nicht aus dem Rahmen fallen. Mit Personen, die eventuell zur negativen Kritik neigen könnten, will man nichts zu tun haben. (c) Letztlich kann es auch sein, dass Betreffende die „blinde Flucht nach vorn“ antreten. Das heißt, man drängt sich ohne Rücksicht auf Verluste in den Vordergrund, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, und schießt weit über das Ziel hinaus. Man ist strenggenommen nicht gesellschaftsfähig – und merkt es nicht. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … wollen es allen Recht machen – und dafür Anerkennung bekommen … sind sehr leistungsfähig
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … sind sehr auf ein positives Feedback angewiesen … offenbaren oft das Motto „fishingfor complments“ … neigen stark zum Konkurrieren mit Gleichgesinnten
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1.3.5 Domäne 5: Übertriebene Wachsamkeit und Gehemmtheit Domäne 5 beinhaltet die Schemata:
Emotionale Gehemmtheit, Übertriebene Standards, Negatives hervorheben, Bestrafungsneigung.
Emotionale Gehemmtheit Sehr rational strukturiert sind Personen mit dem Schema Emotionale Gehemmtheit. Ihr Leben verläuft erfahrungsgemäß in sehr geregelten Bahnen, was gleichzeitig ein erster Hinweis auf ihr Bestreben nach Ordnung, Struktur und Sicherheit ist (DAMM 2009). Erfahrungsgemäß weisen Betreffende auch die Tendenz auf, sehr präzise zu denken und sich klar und unmissverständlich auszudrücken. Auf der anderen Seite erscheinen sie sehr gewissenhaft, sie vertreten außerdem meistens die traditionellen gesellschaftlichen Normen. Dieser Lebenswandel geht zulasten des Emotionalen. Tatsächlich sind Personen mit diesem Schema sehr daran interessiert, ihre Gefühlswelt zu kontrollieren, im Zaun zu halten. Emotionale Phänomene werden darüber hinaus in der Regel als „kindliche Schwächen“ wahrgenommen. Betreffende halten ihre Emotionen nicht ohne Grund „unter Verschluss“. In der Kindheit/Jugend haben sie häufig während vieler Auseinandersetzungen mit ihrem sozialen Umfeld gelernt, dass es negative Konsequenzen nach sich zieht, sollte man jederzeit seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Das heißt, der spontane Ausdruck von Lebendigkeit, Affekt und Emotion war nicht erwünscht. Eine andere Möglichkeit: Eltern verstärkten übermäßig kindliche Phänomene des „Brav-Seins“ (früh sauber werden, still am Tisch sitzen, den Teller leer essen usw.). Vielleicht fungierte auch eine wichtige Bezugsperson als Vorbild für „Gefühlskontrolle“. Diese Faktoren können die Ausprägung des Schemas Emotionale Gehemmtheit begünstigen. Irgendwann wirken sich die Sozialisationserfahrungen auf den Heranwachsenden aus. Die Einschränkung der spontanen Impulse und Handlungen „von außen“ – nehmen wir einmal diesen Fall an – wird unter Umständen zu einem innerpsychischen Hemm-Mechanismus. Die Bewältigungsstrategien (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation sehen erfahrungsgemäß so aus:
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Der Betreffende offenbart ausschließlich seine rationale Seite. Entsprechend stehen Contenance, Gefühlskontrolle, Sparsamkeit und traditionelle Werte überdurchschnittlich hoch im Kurs – es geht eigentlich die meiste Zeit des Tages nur um diese Dinge. Etikette wird außerdem überbetont. (b) Menschen und Situationen, die emotionale Seiten zum Schwingen bringen könnten, geht man aus dem Weg. Spontaneität wird unterdrückt. (c) In diesem Fall verfällt man ins andere Extrem und versucht es plötzlich mit Humor, der erfahrungsgemäß nicht „zieht“. Auch andersartige Gefühlsexzesse werden zelebriert. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … tun sich sehr schwer mit Empathie … verteufeln emotionale Phänomene … kommunizieren vorwiegend auf der Sachebene
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … benötigen klare, stimmige und „logische“ Anweisungen … erreicht man meistens nicht mit emotionalem Ausdruck … ecken nicht an
Überhöhte Standards Das Schema Überhöhte Standards ist maßgeblich verantwortlich für ein ausgeprägtes Streben nach Perfektionismus, und zwar in so gut wie allen Lebensbereichen. Der Betreffende möchte überall „glänzen“, hervorstechen. Das heißt, er will alles, was er tut, möglichst gut machen. Dies sorgt erfahrungsgemäß für einen hohen Druck, denn die Ansprüche an einen selbst sind sehr hoch. Zeiten der Entspannung, die sicherlich auch einmal notwendig wären, gibt es in diesem Fall nicht (was nach und nach auch zur Überforderung führen kann). Im Mittelpunkt des Lebens steht: Aktivität. Betreffende haben immer etwas zu tun, kurz gesagt, viele „Baustellen“. Jegliche Erfolge, vor allem in beruflicher Hinsicht, können von Menschen mit diesem Schema nicht lange genossen werden. Es würde sehr schnell eine große Leere entstehen, würde man nicht erfahrungsgemäß immer einen großen „Vorrat“ an unerledigten, aber „sehr wichtigen“ Projekten und sonstigen Angelegenheiten in petto haben. Klappt es im Alltag einmal nicht so, wie man es sich vorgenommen hat, kommt es sehr schnell zu emotionalen Krisen, die zu Schuldgefühlen führen können („Bin ich vielleicht doch nicht so kompetent!?“). Dieses Schema bringt unter bestimmten Voraussetzungen in Hinsicht auf den Beruf viele Vorteile mit sich. Denn Betreffende geben sich gerade in diesem
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Bereich sehr viel Mühe. Wenn unter dem Bestreben aber der Selbstwert, die wichtigsten Beziehungen und die Fähigkeit, Genuss und Freude zu empfinden, dauerhaft in Mitleidenschaft gezogen werden, kommt es zu innerpsychischen Konflikten (meistens auch zu psychosomatischen Symptomen). In Hinsicht auf die Ursachen lässt sich häufig feststellen, dass Betreffende zeit ihres Lebens sehr hohen Ansprüchen ausgesetzt waren, die vonseiten des sozialen Umfelds über einen längeren Zeitraum hinweg angemeldet wurden, und zwar mit Nachdruck. Solche Richtlinien wurden in diesem Fall verinnerlicht und somit zu eigenen Wertmaßstäben. Unterstützt wurde die Verinnerlichung eventuell auch durch extreme positive Verstärkung von Fleiß und Gewissenhaftigkeit. Mit anderen Worten: Der Betreffende erfüllt aus seiner Sicht nunmehr nur das „normale Maß“ an Aufwand – was aus der Perspektive des gesunden Menschenverstandes viel zu hoch ist. Wie sieht es in Hinsicht auf die Bewältigungsmechanismen (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation aus? (a)
Das Zeitmanagement ist sehr dysfunktional gestaltet. Der Betreffende ist stets auf „dem „Sprung“. Im Zentrum des Alltags steht das Bemühen um Perfektion in allen Lebensbereichen. Eine große Anzahl von unerledigten Arbeiten haben Betreffende immer in Reserve. (b) Ruhephasen werden intuitiv überbrückt. Nunmehr stehen auch überwiegend Projekte mit sehr niedrigem Anspruch an. (c) Wenn man das Schema kompensiert, verweigert man den bisherigen Lebensstil, verkehrt ihn ins Gegenteil. Das heißt, Aufgaben werden bewusst schlampig ausgeführt. Anderseits stellt man hohe Anforderungen an die Anderen. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … sind Workaholics … setzen sich sehr viel für die ZuErziehenden ein … sind verantwortungsvoll … sind auf ein positives Feedback angewiesen
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Zu-Erziehende mit diesem Schema … … sind belastungsfähig … legen Wert auf „Außenorientierung“
Negatives hervorheben Dass Wahrnehmung stets subjektiv ist, merkt man vor allem im Umgang mit Personen, die das Schema Negatives hervorheben entwickelt haben. Der Betreffende bewertet sich selbst, sein Leben tendenziell aus einem sehr negativen Blickwinkel. Eine offensichtliche Neigung zum Pessimismus ist offensichtlich. Und der Betreffende wird nicht müde, seine Einschätzung den Anderen mitzuteilen, ob sie sie hören wollen oder nicht. Der Pessimismus ist geradezu fundamental. Selbst positive Erlebnisse werden vorauseilend und automatisch relativiert, man ist viel zu besorgt, dass sich die Dinge bald anders entwickeln. Es werden ausschließlich solche Umweltreize wahrgenommen, die die eigene negative Sicht der Dinge bestätigen. Oft „findet“ man Anzeichen einer beginnenden Katastrophe. Daneben offenbart der Betreffende eine akkurate Anspannung. Man ist gestresst, weil ständig besorgt. Meistens haben Betreffende ihre pessimistische Sicht der Dinge via Modelllernen von ihren engsten Bezugspersonen übernommen, die als entsprechende Vorbilder fungierten. In vielen Fällen gestalteten sich die Verhältnisse derart, dass man mit einer Person aufwuchs, die sich um alles und jeden (auch um die Zukunft) viel zu viele Gedanken machte. Nicht selten erlebten Betreffende auch Traumata (etwa den Verlust eines nahestehenden Familienangehörigen), die schnell zu einer Generalisierung der schlimmen Erlebnisse führen. Das heißt, der Betreffende verallgemeinert einzelne leidvolle Situationen irgendwann. Infolgedessen ist „alles“ vom Negativen durchdrungen. Die Bewältigungsmechanismen (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation beinhalten meistens solche Verhaltensweisen: (a)
Der Betreffende beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den negativen Aspekten des Daseins (Katastrophen, Krankheiten usw.). Insbesondere zeigt sich diese Eigenart in der Auswahl der Medieninhalte, die man konsumiert. Alles, was dem praktizierten Pessimismus widerspricht, wird wahrnehmungsspezifisch ausgeblendet. Auffällig ist die Tendenz, die Mitmenschen von der eigenen Weltanschauung überzeugen zu wollen. (b) Im Falle der Vermeidung kommt es gewöhnlich zum sozialen Rückzug. Alles, was neu und somit unbekannt ist, wird außen vor gelassen. (c) Jetzt fallen Betreffende in das andere Extrem und avancieren zu zwanghaften Optimisten. Risiken werden bereitwillig in Kauf genommen be-
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ziehungsweise in manchen fallen auch konkret gesucht – was einer Neigung zu Risikoverhaltensweisen entspricht. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … formulieren meistens pessimistische Zukunftsprognosen … sind nur wenig dazu motiviert, viel Engagement in die Teamarbeit einfließen zu lassen
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … neigen zu Suchtmittelmissbrauch … spielen oft den „Miesepeter“ … bringen ihre pessimistische Weltanschauung immer wieder ein
Bestrafungsneigung Sehr wenige Freiheitsgrade in Hinsicht auf die Willensfreiheit gestattet gewöhnlich das Schema Bestrafungsneigung. Sehr aufmerksam überwachen Betreffende sich selbst und andere. Im Vordergrund stehen Fehler, Vergehen jedweder Art. Der Betreffende nimmt entsprechend die Rolle des „Aushilfspolizisten“ an und ist sehr engagiert bei dem Unternehmen, seinen Mitmenschen Fehler nachzuweisen. Diese werden dann entsprechen mit der „gebotenen Sorgfalt“ sanktioniert. Keinerlei Toleranz bringt man demjenigen Gegenüber auf, der im familiären oder sozialen Umfeld gegen bestehende Regeln verstößt. Unzulänglichkeiten und sonstige Undiszipliniertheiten müssen bestraft werden, und zwar erfahrungsgemäß drakonisch. Denn: „Strafe muss sein!“ Personen mit diesem Schema sind naturgemäß nicht unbedingt beliebt in dem System, dem sie gerade angehören. Ihr autoritärer Umgangsstil katapultiert sie schnell ins Abseits – aber das interessiert sie nicht. Sie sehen eine entsprechende Ausgrenzung als Bestätigung, bisher den richtigen Weg gegangen zu sein. Sie haben hohe Ansprüche an sich selbst und andere. Die Ursachen dieses Schemas liegen meistens in der Kindheit und/oder Jugend. Betreffende lebten häufig mit Bezugspersonen zusammen, die dasselbe Schema offenbarten. Entsprechend wuchs man in einem Klima des Gehorsams und der Bestrafung heran. Emotionale Äußerungen, kindliche Neugier, Spontaneität wurden wahrscheinlich streng bestraft, was dazu führte, dass der Heranwachsende Gefühlskontrolle „erlernte“ und gezwungenermaßen dem „Brav-Sein“ frönte. Die Bewältigungsmechanismen (a) Sich-Fügen, (b) Vermeidung, (c) Kompensation gestalten sich wie folgt:
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(a)
Man ist hart zu sich selbst und zu anderen. Entsprechend macht man den professionellen Eindruck einer „Bestrafer-Persönlichkeit“. Der Betreffende ist eher gefürchtet als beliebt. Der familiäre und berufliche Alltag dreht sich ausschließlich um Regeln, Regelverletzungen und den damit verbundene Sanktionen. (b) Man passt sich an das soziale Umfeld an und vermeidet so effizient, dass man aneckt. Regeln werden blind befolgt und nicht hinterfragt. (c) Der Betreffende versteckt sich hinter Regeln und gesellschaftlichen Konventionen. Manchmal neigt man auch zu übertriebenem Altruismus, der aber oberflächlich und nicht ernst gemeint ist. Transfer in das Praxisfeld Erziehung Helfer mit diesem Schema … … praktizieren einen extrem ausgeprägten autoritären Erziehungsstil … offenbaren anscheinend keine Anzeichen von Empathie … nehmen besonders Regeln und Regelverstöße wahr
Zu-Erziehende mit diesem Schema … … neigen zu sadistischen Verhaltensweisen … befolgen Regeln übergenau … sind sehr angepasst
1.4 Schemamodi – Modell der Teilpersönlichkeiten Alleine schon Kenntnis der einzelnen Schemata inklusive ihrer Bewältigungsmechanismen ist in der pädagogischen Praxis bereits eine zusätzliche Personalbeziehungsweise Fachkompetenz. Sie dient zum Beispiel dazu, eigene charakterliche Facetten oder auch stets wiederkehrende Konflikte mit Kollegen oder ZuErziehenden besser zu verstehen. Leicht entsteht so mehr Selbsterkenntnis. Und dann kann man etwa ändern – indem man sich selbst ändert. Verhaltensauffälligkeiten andererseits, die Heranwachsende ständig nach gleichem Muster ausführen, lassen eventuell auf ein zugrundeliegendes Schema schließen. In einem solchen Fall, zum Beispiel ständiges Mobbing, ergeben sich völlig neue Einsichten in die Entstehung und Aufrechterhaltung von schwierigen Verhaltensweisen (eventuell zugrundeliegendes Schema: Misstrauen/Missbrauch). Außerdem wird vor dem Hintergrund des Schemamodells schnell klar: Die üblichen pädagogischen Reaktionen (Bestrafung, Streitschlichtung, Mediation usw.) sind in Hinsicht auf ihre Wirksamkeit begrenzt. – Ein maladaptives Schema, das sich über Jahre hinweg entwickelt hat, demnach kognitive und
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affektive Anteile aufweist, lässt sich dadurch nicht ändern, sondern bestenfalls „nur“ unterdrücken. Erfahrungsgemäß macht es in manchen Fällen auch Sinn, Zu-Erziehende in das Schemamodell einzuführen und den Zusammenhang zwischen der Vergangenheit und dem Hier und Jetzt aufzuzeigen. Hierzu später mehr. Schemapädagogen arbeiten im Praxisfeld Erziehung im Allgemeinen weniger mit dem Schema-, sondern mit dem sogenannten Schemamodus-Ansatz. Letzteres Modell, das Parallelen zur Transaktionsanalyse aufweist, ist eine relativ neue Entwicklung von JEFFREY YOUNG (2008, 339ff.). Er entwickelte es infolge der Erfahrung, dass bei manchen Klienten, die rasch wechselnde Bewältigungsreaktionen zeigten, die Bearbeitung der Schemata und die Erstellung des Fallkonzeptes (siehe unten) maßgeblich erschwert wurden. Was ist ein Schemamodus? Ein dysfunktionaler Schemamodus beschreibt den aktuell erfahrbaren Erlebniszustand des Zu-Erziehenden, anders gesagt, seine gerade aktivierte TeilPersönlichkeit. Ein Schemamodus steht häufig in Zusammenhang mit einem bestimmten Schema. Konkret gesagt: Ein oder mehrere Schemata treten durch einen spezifischen Modus konkret in Erscheinung. So kann etwa das Muster Unzulänglichkeit/Scham einmal in einem verletzten Kind- („Ich kann nichts!“), ein anderes Mal in einem wütenden Kind-Modus offenbart werden („Leck mich doch!“). Gerade bei Heranwachsenden bietet sich die Arbeit mit den Schemamodi an. Auffälliges, störendes, ja selbst delinquentes Verhalten lässt sich schnell mit bestimmten Schemamodi in Verbindung bringen, das heißt, mit bestimmten Persönlichkeitsfacetten des Heranwachsenden. Wie unten noch zu zeigen sein wird, erkennt der „schwierige“ ZuErziehende infolge der Thematisierung seiner Persönlichkeitsfacetten, dass auch er als Person an den Problemen beteiligt ist, die er mit seinem sozialen Umfeld erlebt – und dass nicht immer „die Anderen“ daran schuld sind. Diese „Einsicht“ stellt die Grundlage jeglicher dauerhafter Verhaltensveränderung dar. In der folgenden Tabelle sind die wichtigsten Modi und ihre Auswirkungen auf den state of mind des Betreffenden aufgeführt:
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Tabelle 2: Schemamodi Das Modusmodell umfasst… Kind-Modi
a) Verletzbares Kind b) Ärgerliches (bzw. Wütendes) Kindes c) Impulsiv-undiszipliniertes Kind d) Glückliches Kind
Maladaptive Modi
Unterordnender Modus (Angepasster Unterwerfer) Gefühlsvermeidende Modi a) Distanzierter Beschützer b) Distanzierter Selbstberuhiger c) Aggressiver Beschützer
Überkompensierende Modi (Übertreiber) a) Selbsterhöher
Bei entsprechender Aktivierung ist die Person… … verwundbar, sensibel, emotional … aufgebracht, unreflektiert, sauer … bockig, widerspenstig, aufmüpfig … begeistert, kontemplativ, unbekümmert, glänzend aufgelegt … passiv, aufmerksam, vorauseilend „dienlich“
… rational, unnahbar, ausweichend … emsig, aktiv (neigt auch zu Suchtmittelmissbrauch) … vorauseilend „stachelig“, feindselig
… denunzierend, narzisstisch, selbstverherrlichend
b) Schikanierer- und AngreiferModus
… sadistisch, teuflisch, gewaltbereit
c) Manipulierer, Trickser, Lügner
… motiviert, durch Tricks verdeckt ein bestimmtes Ziel zu verfolgen … gewalttätig, brutal, mitleids- und gewissenlos … überkontrollierend, spaßbefreit
d) Zerstörer-/Killer-Modus e) Zwanghafter Kontrolleur
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Fortsetzung von Tabelle 2 Das Modusmodell umfasst… Maladaptive internalisierte ElternModi
Innerer Antreiber (nach außen und innen wirkend) Innerer Bestrafer (nach innen und außen wirkend)
Modus des Gesunden Erwachsenen
Gesunder Erwachsener
Bei entsprechender Aktivierung ist die Person… … sehr anspruchsvoll sich selbst und anderen gegenüber … geneigt, sich selbst und anderen physischen bzw. psychischen Schaden zuzufügen … selbstreflektiert, rational, reaktionsflexibel, neugierig, offen, aufnahmefähig
Dass sich Zu-Erziehende manchmal wie „kleine Kinder“, „wie ein „strafender Elternteil“, aber auch dann und wann wie ein „reflektierter Erwachsener“ verhalten, weiß jeder Praktiker. Mit dem hier skizzierten Modell ist es nun möglich, ganz konkret die gerade aktuelle Teil-Persönlichkeit des Zu-Erziehenden zu diagnostizieren. Daraufhin kann man sowohl die Gefühle und Gedanken des Anderen, die damit zusammenhängen, besser verstehen als auch das eigene pädagogische Handeln darauf abstimmen, sich anpassen. Die Heranwachsenden haben erfahrungsgemäß kein oder nur wenig Bewusstsein von ihren Teil-Persönlichkeiten. Wenn manche Zu-Erziehende „mal wieder ihre fünf Minuten haben“ – das heißt, wenn ein spezieller Schemamodus aktiviert ist –, dann „ist“ der Betreffende in dieser Zeit ausschließlich ein „hilflose Kind“, ein „aggressives Kind“ oder Ähnliches. Solange die Aktivierung vonstatten geht, weiß der Betreffende nicht, dass er in einem bestimmten Modus „ist“. Erst im Rückblick können Heranwachsende über ihre „Ausraster“ (Schemamodus-Aktivierung) sprechen. Schemapädagogen verhelfen den Zu-Erziehenden entsprechend zu mehr Selbsterkenntnis. Denn wenn der Betreffende von seinen charakterlichen Schattenseiten weiß, kann er sie eher in bestimmten Situationen bemerken und sie und sich kontrollieren. Ein Ziel schemapädagogischen Wirkens ist die Stärkung des Modus des Gesunden Erwachsenen. Dieser Modus ist imstande, die anderen Schemamodi zu organisieren, auszubalancieren. Bei „schwierigen“ Zu-Erziehenden ist erwiesenermaßen der genannte Modus nur sehr schwach ausgeprägt. Doch es gibt
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Methoden, die zur Stärkung beitragen. Die Beziehungsgestaltung nimmt dabei eine zentrale Rolle ein (siehe unten). Doch zunächst einige Worte zu den drei oben genannten SchemamodiGrundkomponenten (siehe auch ROEDIGER 2009b, 44ff.). Kind-Modi Die Kind-Modi umfassen die ganze Palette an spontanen, emotionalen Erlebensweisen. Vor allem in den ersten Lebensjahren offenbaren Heranwachsende diese authentischen, natürlichen Modi. Dies liegt daran, dass das Kleinkind überwiegend von den limbischen (emotionalen) Zentren im Gehirn beeinflusst wird. Wie oben schon erwähnt, prägen sich die Hirnareale, die für kognitive Prozesse verantwortlich sind, erst langsam nach den ersten Lebensmonaten aus. Unterschieden werden, wie in der Tabelle oben ersichtlich ist, diverse KindModi. Aktiviert werden solche Persönlichkeits-Zustände durch verschiedene Alltagssituationen. Besonders auffällig sind die Persönlichkeitsfacetten bei den Unter-Dreijährigen (siehe auch YOUNG et al. 2008, 341ff.): 1.
2.
3.
4.
Wird etwa der Modus Verärgertes Kind aktiviert, etwa durch direkte Frustration eines angemeldeten Bedürfnisses, schreit der Betreffende möglicherweise plötzlich willkürlich herum, schlägt um sich usw. Der Ärger ist dann die direkte, ungebremste Reaktion. Im Modus Impulsiv-undiszipliniertes Kind sind meistens diejenigen Heranwachsenden, die sich beispielsweise vehement gegen diverse Aufforderungen des Erziehers zur Wehr setzen. Sie stampfen etwa dann mit dem Fuß auf den Boden auf und brüllen: „Nein!“. Das Ziel dabei ist die Befriedigung eines anderen Bedürfnisses (ohne Rücksicht auf Verluste). Sind Heranwachsende offensichtlich sehr traurig beziehungsweise verletzt, so zeigen sie das gesamte Gefühlsspektrum des Modus Verletzbares Kind. Man fühlt sich hilf- und schutzlos. In diesem Fall ist aufseiten des Pädagogen vor allem das Prinzip der sogenannten Nachbeelterung gefragt (siehe unten). Schließlich gibt es noch den Modus Glückliches Kind. Auch dieser Teil des Selbst offenbart sich in Mimik und Gestik. Sind Heranwachsende in diesem Modus, so zeigt sich ihre positive Gemütsverfassung etwa in einem authentischen Lächeln oder eben in einem insgesamt positiven Gesichtsausdruck. Sie sind dann zufrieden, verbunden, und sie fühlen sich wohl.
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Es ist sehr wichtig darauf hinzuweisen, dass alle hier genannten Kind-Modi auch im Erwachsenenalter noch existent sind. Genauer gesagt, sie können in bestimmten Situationen ausgelöst werden und den gesamten (hier: affektiven) Zustand der Persönlichkeit bestimmen. Der Betreffende ist im Falle einer Aktivierung dann das „Kind von früher“, und zwar auf allen psychischen und physischen Ebenen. In einer solchen Situation bieten sich bestimmte pädagogische Verhaltensweisen an, andere wiederum schließen sich von selbst aus (siehe Kapitel 3.3.2). Dysfunktionale Bewältigungs-Modi Zwischen den erwähnten Kind- und den Innere-Eltern-Modi (siehe unten) gibt es Spannungen. Beispiel: Wenn der Modus Impulsiv-undiszipliniertes Kind aktiviert wird („Mama, ich will heute nicht in den Kindergarten!“) – und er steht im Widerspruch zu einem Innere-Eltern-Modus namens Innerer Antreiber (Stimme des Gewissens: „Du musst aber!“), dann wird bei manchen Kindern ein maladaptiver Bewältigungsmodus aktiviert. Dieser soll die innerpsychische Spannung abbauen. – Das kann etwa der Modus Manipulierer, Trickser, Lügner sein, der im aktivierten Zustand den Betreffenden affektiv und kognitiv zu folgendem Satz motiviert: „Mama, ich bin krank und kann heute nicht in den Kindergarten!“ Innerhalb der Gruppe der maladaptiven Bewältigungsmodi lassen sich die integrierten Modi noch weiter unterteilen (gemäß des Schemamodells), und zwar in die drei oben schon erwähnten Grundtendenzen: Sich-Fügen, Vermeidung, Überkompensation: 1.
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Unterordnender Modus. – Zu-Erziehende wirken im Falle einer Aktivierung abhängig und passiv. Sie offenbaren eine vorauseilende Untertänigkeit, das heißt, sie motivieren ihren Gesprächspartner dazu, die Rolle des „Mächtigeren“ einzunehmen. Entsprechend lassen sie sich auch viel gefallen. Dieser Modus impliziert die Vermeidung der Schema-Aktivierung, die zu viele beunruhigende Emotionen auslösen würde. Gefühlsvermeidende Modi. – Diese Modi dienen ebenfalls dazu, unangenehme Gefühle vom Bewusstsein fernzuhalten. Sie stellen meistens „archaische Pseudolösungen“ dar, die der Betreffende reaktiv infolge von konflikthaften Familienverhältnissen entwickelte (ROEDIGER 2009a, 74ff.). Der Modus Distanzierter Beschützer ist eine Art innerpsychische Abwehr. Wird dieser Modus aktiviert, schottet sich der Betreffende aber auch gewöhnlich in sozialer Hinsicht ab. Den „unvermeidlichen“ Kontaktpersonen
3.
erzählt man entsprechend nichts über private Angelegenheiten (aus Selbstschutz). Wer diesen Modus erlebt, blockt durch „intellektuelles Ausweichen“ jegliche Gefühle, aber somit auch gleichzeitig jedwede Selbsterkenntnis ab. Der Modus Distanzierter Selbstberuhiger beschreibt alle Maßnahmen, die darauf abzielen, „von außen“ eine Beruhigung beziehungsweise Spannungsreduzierung herbeizuführen. Diese Neigung kann sich etwa als exzessives Arbeiten offenbaren, als intensiv betriebene sportliche Aktivitäten, aber auch als Suchtmittelmissbrauch. Andererseits werden die passiv-aggressiven und auch tendenziell offensiven Verhaltensweisen dem Modus Aggressiver Beschützer zugeordnet. Damit verfolgt der Betreffende das Motiv, sich vom Erzieher abzugrenzen. Das heißt, man weist den Anderen zurück. Überkompensierende Modi. – Bei diesen Modi handelt es sich um die kostenintensiven. Sie stellen den Erzieher vor große Herausforderungen, weil sie die sozialen Beziehungen sehr belasten. Gemeint sind die Beziehungen der Zu-Erziehenden untereinander, aber auch die Interaktion zwischen dem Erzieher und Heranwachsenden. Diese Modi entwickelten Betreffende meistens in der frühen Kindheit, um sich an die damalige soziale Umwelt anzupassen. Wer im Praxisfeld Erziehung oft den sogenannten Selbsterhöher-Modus offenbart, entwertet häufig seine Mitmenschen, um besser dazustehen als sie. Man kann davon ausgehen, dass der Betreffende selbst über einen längeren Zeitraum hinweg Opfer von Diskreditierung war. Ansonsten hätte sich dieser Modus aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht ausgeprägt. Oder: Die Verunglimpfung anderer wurde von wichtigen Personen positiv verstärkt. Auffällig ist bei der Aktivierung dieses Modus die schneibar nicht vorhandene Empathie. Der Schikaniererund Angreifer-Modus stellt bezüglich dieses Themas eine Steigerung dar. Die Tendenz, andere zu entwerten, steigert und entlädt sich in verbalen oder physischen Angriffen gegen andere. Besonders gut lässt sich daher das Mobbing mit diesem Modus in Verbindung bringen. Eine eher introvertierte Note trägt der Manipulierer-, Lügner- und Trickser-Modus. Hierbei werden Interessen und Bedürfnisse verdeckt durchgesetzt, um sich Vorteile verschaffen. Der sogenannte Zerstörer- bzw. Killer-Modus lässt sich mit den populären Formen der Delinquenz in Verbindung bringen (Körperverletzung, Raub, Erpressung, Straftaten gegen das Leben, Sachbeschädigung usw.). Der Modus Zwanghafter Kontrolleur zeigt sich vor allem in dem Bestreben, zwanghaft alles und jeden (auch sich selbst) zu kontrollieren. Dieser
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Modus hat erfahrungsgemäß sehr negative Auswirkungen in der Familie und im Beruf. Im Praxisfeld Erziehung hat man es vor allem mit den Kind- und den maladaptiven Bewältigungsmodi zu tun. In Hinsicht auf letzere Modi ist davon auszugehen, dass sie im Leben des Heranwachsenden allesamt einmal sinnvoll (adaptiv) waren, und zwar in der frühen Kindheit. Sie dienten dazu, sich an die sozialen Verhältnisse anzupassen. Dummerweise, so muss man sagen, werden die maladaptiven Bewältigungsmodi vom Betreffenden nicht aufgegeben – gerade weil sie einmal sinnvoll waren. Sie lassen sich daher nur sehr schwer reduzieren, obwohl sie im Hier und Jetzt meistens zwischenmenschliche Konflikte nach sich ziehen. Daher müssen Erziehung und Bildung an den kostenintensivsten Modi ansetzen, sie sind aus schemapädagogischer Perspektive an allen psychosozialen Problemen (und auch an Straftaten) beteiligt (siehe auch DAMM 2010b). Dysfunktionale Innere-Eltern-Modi Innere-Eltern-Modi sind Persönlichkeitsanteile, die auf verinnerlichten Verhaltensweisen und anderen Merkmalen beruhen, die die Bezugspersonen des Betreffenden früher einmal aufgewiesen haben. Das heißt, aus den äußeren Eltern werden im Zuge der entwicklungspsychologischen Reifung des Kindes innerpsychische Eltern. Psychotherapeuten nennen solche Muster Internalisierungen. Wird ein solcher Eltern-Modus aktiviert, wird der Betreffende in persona zu einem bestimmten Elternteil, was sich in Kognitionen, Affekten, der Mimik und Gestik, aber auch in der verbalen Kommunikation zeigt. YOUNG et al. (2008, 345) sagen: „Wenn ein Patient sich in einem dysfunktionalen Eltern-Modus befindet, denkt, fühlt und handelt er, wie seine Eltern ihn behandelt haben, als er noch ein Kind war.“ Man unterscheidet im Rahmen der Schematherapie verschiedene Facetten (Modi): 1.
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Innerer Antreiber (nach außen und innen wirkend). Ist der Modus Innerer Antreiber (nach innen wirkend) aktiviert, so will der Betreffende in der Regel sehr hohe Standards erfüllen. Er opfert sich erfahrungsgemäß auch extrem für andere auf (siehe auch Schemata Überhöhte Standards und Aufopferung). Infolge einer Aktivierung des Modus Innerer Antreiber (nach außen wirkend) andererseits neigt der Betreffende dazu, seine Mitmenschen übermäßig zu fordern.
2.
Innerer Bestrafer (nach außen und innen wirkend). Eine Aktivierung des Inneren Bestrafers (nach innen wirkend) kann zu selbstverletzendem Verhalten führen. In weniger starker Ausprägung tendieren Betreffende zur Selbstbestrafung (unter anderem: negative Selbstbewertung bis hin zu mangelhafter Selbstfürsorge) (ROEDIGER 2009a, 79). Infolge der Aktivierung des Inneren Bestrafers (nach außen wirkend) gebraucht der Betreffende kritische Formulierungen (seiner Eltern), um Gleichaltrige, Teammitglieder usw. zu entwerten.
Modus des Gesunden Erwachsenen Neben den erwähnten Modi gibt es auch noch den „gesunden, erwachsenen Selbstanteil“ (YOUNG et al. 2008, 346). In Hinsicht auf das Praxisfeld Erziehung muss darauf hingewiesen werden, dass vor allem die Förderung und Stärkung dieses Modus im Vordergrund stehen muss. Denn er – der umgangssprachlich als gesunder Menschenverstand bezeichnet wird – kann auf die alle bis hierher beschriebenen Modi kontrollierend einwirken. Diese Zielorientierung ist natürlich nicht in allen sozialpädagogischen Arbeitsfeldern möglich, da dieser Modus erst circa zwischen dem 4. und 6. Lebensjahr entsteht; nämlich dann, wenn der Heranwachsende fähig ist, abstrakt zu denken beziehungsweise über ein ausgeprägtes Selbst-Bewusstsein verfügt. Der Modus des Gesunden Erwachsenen ist auch imstande, Spannungen zwischen Kind- und Eltern-Modi regulieren. Das heißt, er kann ausgleichend wirken, für Genuss-, Liebes- und Arbeitsfähigkeit sorgen. Dadurch kommt es auch zur Reduktion der maladaptiven Bewältigungsmodi, die ja durch die Spannungen zwischen dem „inneren Kind“ und den „inneren Eltern“ überhaupt erst aktiviert werden. Wenn eine Person (selten genug) über einen stark ausgeprägten Erwachsenden-Modus verfügt, spürt sie die Ansprüche und Anliegen ihrer Kind-Modi, etwa das Bedürfnis nach Nähe, Solidarität, Schutz, Bindung usw. Der Betreffende kann infolgedessen bewusst auf seine Bedürfnisse eingehen oder sie etwa authentisch dem Partner mitteilen. Auf der anderen Seite leidet der Betreffende im Alltag nicht unter unrealistischen Erwartungen, die ihm seine inneren Eltern vorschreiben; ebenso wenig verkauft er sich nicht unter Wert.
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1.5 Neurowissenschaftliche und bindungstheoretische Fundierung Im Folgenden werden zwei wissenschaftliche Fundamente der Schematherapie skizziert: die Neurobiologie und Bindungstheorie. Neurobiologische Erkenntnisse Unsere „innere Widersprüchlichkeit“, das heißt auch: die Existenz der zahlreichen Schemamodi, ist mit der vielschichtigen Komplexität unseres Gehirn verbunden. Alleine schon das Bewusstsein selbst ist kein einheitliches Phänomen, es tritt in verschiedenen Zuständen auf, die gänzlich voneinander getrennt auftreten. Schaut man sich die Entwicklung des Gehirns einmal konkret an, fällt auf, dass sich zunächst diejenigen Hirnareale ausprägen, die verantwortlich sind für (ROTH 2001, 549):
Gefühle (stehen in Zusammenhang mit dem Auftreten körperlicher Bedürfnisse – Schlafen, Durst, Hunger usw.), Affekte (Lust, Wut, spontanes Kampf- und Fluchtverhalten, Bedürfnis nach menschlicher Nähe) und Emotionen (wenige Zustände: Glück, Überraschung, Furcht, Trauer, Ärger).
Bereits im Mutterleib bilden sich die entsprechenden Zentren aus. In diesen finden – bereits vor der Geburt – außerdem zahlreiche Lernprozesse statt, wie eben schon gesagt, ausschließlich auf der emotionalen Ebene. Wenn die Erlebnisse mit der sozialen Umwelt nach der Geburt in den ersten Monaten und Jahren sich häufig ähnlich sind, führt dies dazu, dass bestimmte Hirn-Nervenzellen-(Neuronen-)Verbände regelmäßig aktiviert werden. Die sich noch entwickelnden neuronalen Schaltkreise verknüpfen sich in Abhängigkeit zu diesen Erfahrungen. Sie „spuren“ sich im Gehirn ein und führen irgendwann zu bestimmten (positiven oder negativen) Erwartungsmustern, sprich zu Schemata. Da das Gehirn erst etwa ab dem vierten Lebensjahr die kognitiven Strukturen aufweist, die für das sogenannte autobiografische Gedächtnis notwendig sind, können wir uns auch nicht bewusst an Erlebnisse erinnern, die in den ersten drei Lebensjahren passierten. Erinnern können wir uns schon, aber gewissermaßen nur emotional. Das heißt, bis zur Entstehung des Bewusstseins hat unser Gehirn schon die Einwirkung der engeren sozialen Umwelt „wie ein Schwamm“ aufgesaugt und sich entsprechend strukturiert. Dies erklärt, wieso gerade Schemata den Be-
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troffenen nicht bewusst sind, sie entstanden meistens in der erwähnten „vorbewussten“ Zeit. Verankert sind solche innerpsychischen Muster, die laut YOUNG et al. (2008) vor allem durch Frustration der Grundbedürfnisse entstehen, vor allem im limbischen System. Lernprozesse, die mit starken positiven oder negativen Emotionen einhergehen, werden wahrscheinlich in der sogenannten Amygdala gespeichert, dem Angstzentrum. Die Amygdala ist mit dem Hypothalamus verbunden, einem Bereich, in dem zu jeder Zeit alle Informationen zusammenlaufen, die durch die Sinne aufgenommen werden. Der Thalamus ist das „Ein- und Ausgangstor der Großhirnrinde“ und damit des Bewusstseins (ROTH 2007, 50). Zeitgleich und permanent findet eine parallele Informationsverarbeitung statt. Eine schnelle Verbindung verläuft vom Thalamus „nach unten“, hin zum limbischen System. Eine relativ langsame führt „nach oben“, zum Neocortex. Folgende Faustformel kann aufgestellt werden: Je mehr negative Konditionierungen/Erlebnisse im limbischen System gespeichert sind, desto öfter kommt es im aktuellen Alltag zur Aktivierung von unliebsamen Emotionen; diese prägen die parallele Verarbeitung im Gehirn maßgeblich. Das limbische System, das ebenfalls eine enge Beziehung zum vegetativen Nervensystem hat, bewertet permanent die Umwelt, und zwar ausschließlich emotional. Dies geschieht aber sehr ungenau. Diese unterschwellige Informationsverarbeitung ist detailarm, gewissermaßen „flach“ (ROTH 2001, 301). Registriert die Amygdala nun (auch nur ungenau) einen bekannten – bedrohlichen – Reiz, aktiviert sie die Ausschüttung von Stresshormonen. Der Betreffende wird emotional „überflutet“. Bereits ein drohendes Gesicht kann dazu führen, dass der Beobachter innerhalb von Sekundenbruchteilen ein erhöhtes Kampf-, Erstarrungs- oder Fluchtpotenzial aufbaut. Hierzu werden unter anderem Noradrenalin, Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet. Natürlich ist auch die Umgebung relevant, in der man sich gerade befindet (LEDOUX 2001). Man kann sich leicht ausmalen, welchem Stress ein Heranwachsender täglich ausgesetzt ist, wenn er zeitlebens viele brenzlige zwischenmenschliche Konstellationen erlebt hat. All diese Ereignisse wurden abgespeichert – vor allem emotional. Die Vergangenheit mischt sich nun naturgemäß mitsamt ihren Emotionen in den Alltag im Hier und Jetzt ein. Grund: Die frühkindliche Prägung wirkt selbststabilisierend und „wird entsprechend zunehmend resistent gegen spätere Einflüsse“ (ROTH 2007, 12). In Hinsicht auf Schema-vorbelastete Zu-Erziehende heißt das: Viel zu oft werden die Mitmenschen als bedrohlich wahrgenommen. Schon ein „komischer
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Blick“ reicht unter Umständen schon aus, um den Betreffenden zum Ausrasten zu bringen. Denn auf „diese Bedrohung“ muss er ja zwangsläufig reagieren, und zwar mithilfe der Schemamodi. Was bedeutet das in Hinsicht auf das Praxisfeld Erziehung? Zunächst einmal zeigen die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse, dass die ersten Lebensjahre in ihrer Bedeutung für die psychische Entwicklung gar nicht überschätzt werden können. Die ersten Lebensjahre sind die wichtigsten Einen großen Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung des Säuglings haben vor- und nachgeburtliche Ereignisse. Dies liegt daran, dass zwar der grundsätzliche Aufbau des Gehirns bereits vor der Geburt stattgefunden hat – aber die „Feinverdrahtung“ der sich entwickelnden Großhirnrinde ist abhängig von den Beziehungserfahrungen der ersten Lebensmonate und -jahre. Denn: Beziehungserfahrungen werden zu „Fußabdrücken in der neuronalen Struktur“ (ROEDIGER 2009a), sprich zu Schemata. Erleben Babys in den ersten Monaten zahlreiche „zwischenmenschliche Strapazen“, etwa durch nachteilige Bindungsstile (siehe unten), werden häufig Stresshormone ausgeschüttet; dies kann das Wachstum der Synapsen hemmen. Dadurch verengen sich eventuell auch die die Nervenbahnen im limbischen System (SCHORE 2007). Hieraus folgt häufig eine mangelhafte Fähigkeit zum Stressmanagement, die gewöhnlich ein Leben lang bestehen bleibt, weil während des Aufbaus des Gehirns eine zu starke „Emotionalisierung“ stattgefunden hat. Erwähnt werden muss auch, dass negative Beziehungserfahrungen eine imposante Eigendynamik entwickeln und die zukünftigen Beziehungen beeinflussen können. ROEDIGER (2009b, 20) sagt entsprechend: „Die Gegenwart wird unbewusst nach den Erfahrungen aus der Vergangenheit ausgestaltet.“ So kommt es unter Umständen zur selbstmotivierten Wiederholung von negativen Interaktionen. Die Folgen sind immens. Es ist eigentlich erstaunlich: Aus zufälligen Umweltstrukturen (auf die Auswahl des sozialen Umfelds hat man in der Kindheit keinen Einfluss) ergeben sich bestimmte neuronale Bahnungen, die das ganze Leben, die Beziehung zu sich selbst und zu anderen beeinflussen – ohne dass die Betreffenden später hinaus wissen, was sie umtreibt.
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Zu-Erziehende bestehen aus einem Ich-Bündel Aus den unterschiedlichen Gehirn-Systemen resultieren verschiedene IchZustände (etwa „rationales Ich“, „emotionales Ich“, „egoistisches Ich“, „soziales Ich“ usw.). Heranwachsende, die in den verschiedenen sozialpädagogischen Arbeitsfeldern betreut werden, bringen ihre frühkindlich erworbenen Ich-Zustände, das heißt Einstellungen, Schemata, Schemamodi mit in den pädagogischen Alltag ein, unbewusst. – Sie zwängen andere Zu-Erziehende und Betreuungspersonen entsprechend dann und wann in ihre Erwartungshaltungen, egal ob sie positiv oder negativ sind. Diese Erwartungshaltungen, die im impliziten Erfahrungsgedächtnis abgespeichert sind, sind gleichzeitig verortet in diversen Gehirn-Systemen, in kognitiven wie affektiven. Dies stellt die Fachkraft vor besondere Herausforderungen. Kommt es nämlich zur Aktivierung von früh erworbenen Schemata, so denken, fühlen und handeln die Betreffenden ausschließlich im Sinne des neuronal eingebrannten Musters. Sie werden infolgedessen vor allem emotional auf verschiedenen Ebenen beeinflusst, weshalb ihr „gesunder Menschenverstand“ sich durch rein kognitive Interventionen („Jetzt komm mal runter!“) gar nicht erreicht werden kann. Das Schemamodus-Modell nimmt sich der menschlichen Vielschichtigkeit an. Betreffende werden infolgedessen als Ich-Bündel wahrgenommen. Ergebnisse der Bindungsforschung Vieles spricht dafür, dass die frühkindlichen Erfahrungen speziell in der MutterKind-Beziehung einen wichtigen Maßstab dafür darstellen, wie der Betreffende auch später hinaus in der Jugend und im Erwachsenenalter mit sich selbst und anderen umgeht. Oder: Vor dem Hintergrund des Schemamodells festgestellt: Diese Zeit ist wahrscheinlich ausschlaggebend in Hinsicht auf die Ausbildung von Selbst- und Beziehungsschemata. Die Schemamodi entstehen wahrscheinlich erst dann, wenn der Heranwachsende über ein Ich-Bewusstsein verfügt (15.–24. Lebensmonat). Die Bindungsforschung ist vor allem mit den Namen JOHN BOWLBY (1973) und MARY AINSWORTH (1968) verbunden. Ihre Untersuchungen zur MutterKind-Interaktion sind sehr populär, sie haben die große Bedeutung der ersten Lebensjahre herausgestellt. Was ist Bindung? Allgemein gesagt: Bindung ist eine emotionale Beziehung zu einer Person; bei dieser Person sucht das Kind Körperkontakt, Schutz und Geborgenheit (JASZUS et al. 2008, 136). Man kann davon ausgehen, dass Kinder
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mindestens einen Erwachsenen als „sichere Basis“ wahrnehmen müssen, zu der sie immer wieder zurückkehren können. Von dieser Basis aus exploriert der Heranwachsende spielerisch die Welt. Das Bindungsbedürfnis ist wahrscheinlich evolutionär verankert. Es soll das Überleben des Einzelnen sichern. Entsprechend ist der Säugling mit allen Sinnen auf der Suche nach Kontakt (HAUG-SCHNABEL & BENSEL 2007, 12). Auf der anderen Seite lernen dadurch die hauptsächlichen Bezugspersonen, welche Bedürfnisse der Heranwachsende hat. Auf diese wird bestenfalls eingegangen. Den Bezugspersonen kommt also eine zentrale Bedeutung zu. Sie reagieren aber – das weiß jeder Menschenkenner – nicht einheitlich auf die Kommunikationsversuche des Kindes. So kommt es, dass man Heranwachsenden die unterschiedlichsten Reaktionen entgegenbringt, die sich wiederum auf die Hirn- und somit auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken. In den Untersuchungen (zum Beispiel „Fremde Situation“) der Pioniere der Bindungsforschungen traten vier verschiedene Bindungstypen zutage: 1.
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3.
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Sicher gebundene Kinder. – Betreffende fühlen sich im Beisein ihrer Bezugsperson wohl. Sie spielen. Kommt es zur Trennung, zeigen sie intuitiv ihre Trauer. Bei erneuter Zusammenkunft beruhigen sich die Kinder schnell und spielen weiter. Unsicher-vermeidend gebundene Heranwachsende. – Sie haben wenige Erwartungen an ihre Bezugsperson. Bei einer Trennung zeigen sie sich anscheinend unbeeindruckt – obwohl sie ein höheres Stressniveau erleben – und spielen und explorieren weiter. Kehrt die Person wieder zurück, wird sie ignoriert. Man kann annehmen, dass solche Kinder intuitiv davon ausgehen, tendenziell auf sich alleine gestellt zu sein. Häufig haben die Betreffenden eine Zurückweisung ihrer Bedürfnisse erfahren. Unsicher-ambivalent gebundene Kinder. – Sie haben symbiotische Tendenzen, die häufig offen und vehement angemeldet werden. Ihre Augen sind sozusagen nur bei der Mutter. Werden solche Kinder auch nur für kurze Zeit von ihrer Bezugsperson verlassen, entsteht sehr schnell eine große Angst. Bei der Aufhebung der Trennung kommt es nicht zur Beruhigung. Anscheinend ist das Bindungssystem dauerhaft aktiviert. Mögliche Ursache: Die Mutter offenbarte häufig eine Mischung aus extremer Feinfühligkeit und abweisendem Verhalten. Die betreffenden Kinder können daher nur sehr schwer die Reaktionen der Bezugsperson vorhersagen, weshalb sie die Bindung nicht als sicher wahrnehmen.
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Desorganisiert gebundene Kinder. – In Anwesenheit der Bezugsperson erscheinen die Betreffenden eher angespannt, ja geradezu ängstlich. Sie streben nach Nähe und gleichzeitig nach Abstand – ein Kennzeichen für innere Ambivalenz. In Hinsicht auf Mimik und Gestik sind die Betreffenden sehr auffällig. Kehrt nach einer Trennung die Bezugsperson wieder zurück, wirken die Betreffenden beim Anblick verstört. Es ist denkbar, dass Vernachlässigung, körperlicher und/oder psychischer Missbrauch stattgefunden hat.
Was bedeutet das in Hinsicht auf das Praxisfeld Erziehung? Die Erkenntnisse der Bindungsforschung lassen darauf schließen, dass vor allem Erzieher, die mit Kleinkindern arbeiten, eine sehr große Verantwortung haben. Sie können, wenn sie vom betreffenden Kind als Bezugsperson ausgewählt werden, die zukünftige Entwicklung gezielt und effizient positiv beeinflussen (sollte das Kind offensichtlich unsicher oder desorganisiert gebunden sein). Eventuell kann die Fachkraft den Zu-Erziehenden doch noch in Hinsicht auf Bindungssicherheit fördern. Gelingt dies, wird das ganze zukünftige Leben des Heranwachsenden beeinflusst (ROTH 2007). Gerade auch in Hinsicht auf das Schemamodell sind die hier skizzierten Befunde relevant. Es lassen sich nämlich hypothetisch die Bindungsstile mit bestimmten Schemata und -modi in Zusammenhang bringen (was noch nicht empirisch untersucht wurde, aber nahe liegt). Diese Zuordnungen können im Praxisfeld Erziehung bei der Schema-Diagnostik berücksichtigt als auch zum Hauptansatzpunkt der pädagogischen Arbeit gemacht werden. In folgender Tabelle werden die Bindungsstile – von Kindern und Jugendlichen – entsprechend auf potenzielle Schemata und Schemamodi bezogen: Tabelle 3: Bindungsstile, Schemata und Schemamodi Bindungsstil Sicher
Schemata Kein maladaptives Schema vorhanden
Schemamodi Glückliches Kind Gesunder Erwachsener
Unsichervermeidend
Emotionale Vernachlässigung Emotionale Gehemmtheit Soziale Isolation Aufopferung
Ärgerliches Kind Distanzierter Beschützer Distanzierter Selbstberuhiger Zwanghafter Kontrolleur
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Fortsetzung von Tabelle 3 Bindungsstil Unsicher-ambivalent
Schemata Abhängigkeit/ Inkompetenz Unzulänglichkeit Verstrickung/ Unentwickeltes Selbst Unterwerfung/ Unterordnung
Schemamodi Verletzbares Kind Innerer Antreiber (nach außen und innen wirkend) Manipulierer, Trickser, Betrüger Unterordnender Modus Impulsiv-undiszipliniertes Kind
Desorganisiert
Misstrauen/ Missbrauch Bestrafungsneigung Negatives hervorheben Anspruchshaltung/ Grandiosität Unzureichende Disziplin/Selbstkontrolle Soziale Isolation
Aggressiver Beschützer Selbsterhöher Schikanierer- und AngreiferModus Manipulierer, Trickser, Betrüger Zerstörer-/Killer-Modus Innerer Bestrafer (nach innen und außen wirkend)
Die Erkenntnisse der Neurobiologie und Bindungsforschung sind nicht nur Grundlagen der Schematherapie, sondern auch der Schemapädagogik. Ebenso bezieht sich letzterer Ansatz auf die Ausführungen der Klärungsorientierten Psychotherapie und Kognitiven Therapie. Diese beiden Psychotherapien fokussieren ebenfalls irrationale Wahrnehmungsmuster (Schemata). Sie werden im Folgenden der Vollständigkeit halber kurz skizziert. Danach werden die Vorgehensweisen im ambulanten Setting der Schematherapie dargestellt.
1.6 Klärungsorientierte Psychotherapie (KOP) Der Bochumer Psychotherapeut RAINER SACHSE (1992; 2003) konzipierte die Klärungsorientierte Psychotherapie. Im Zentrum dieses Ansatzes steht – wie der Name schon verrät – die Explizierung (Bewusstmachung) und Klärung von irrationalen Schemata. SACHSE definiert den Schema-Begriff ähnlich wie YOUNG et al. (2008). Entsprechend haben solche Muster kognitive und affektive Inhalte. Daher sind integrative Maßnahmen nach Meinung von SACHSE in Hinsicht auf die Therapie geradezu unverzichtbar: Die Schema-Bearbeitung muss ebenfalls kognitiv und
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affektiv gestaltet werden. Einsicht alleine reicht nicht aus, um ein dysfunktionales Schema wie „Ich bin ein Versager!“ zu verändern. Im Unterschied zur Schematherapie (siehe unten) geht der Therapeut im Rahmen der KOP zu Beginn der Zusammenarbeit verdeckt vor. Das heißt, der Klient wird nicht in die Schematheorie eingeführt. Im Vordergrund steht zunächst die Beziehungsgestaltung. Sogenannter „Beziehungskredit“ (Sympathie, Solidarität) soll aufgebaut werden. Nur wenn überzeugend Beziehungsarbeit geleistet wird, so SACHSE, verzichtet der Klient auf seine Schema-getriebenen manipulativen Verhaltensweisen, die ansonsten in Gesprächen aktiviert werden, etwa Psychospiele (siehe Kapitel 3.3.2), und er öffnet sich. (Diese Vorgehensweise wird auch im Rahmen der Schemapädagogik praktiziert; darauf wird unten noch ausführlich eingegangen.) Durch die Anpassung an die latent vorhandenen Bedürfnisse, die durch das Verhalten des Klienten quasi „durchschimmern“, entsteht nunmehr Beziehungskredit. Erst dann kann man sich darauf verlassen, dass der Klient motiviert ist und an einer Verbesserung der Verhältnisse mitarbeitet. Im Laufe der Therapie werden dysfunktionale Schemata des Klienten geklärt. Es wird davon ausgegangen, dass sie in der Kindheit und/oder Jugend entstanden sind und nach wie vor den Alltag im Hier und Jetzt negativ beeinflussen. Schemata können vom Klienten nicht infrage gestellt werden, da er sie gar nicht als „Objekte“ wahrnimmt. Im Gegenteil: Sie sind schon Teil seiner Wahrnehmung und bestimmen, wenn aktiviert, den Umgang mit sich selbst und anderen. Im Rahmen der Therapie kommt es nach der Klärung von Schemata zur gezielten Aktivierung. Nur wenn Schemata aktiviert sind, können sie bearbeitet werden. Der Klient soll schließlich dazu befähigt werden, den Alltag durch mehr Achtsamkeit und Selbstkontrolle zu meistern. Im folgenden Kasten ist der Therapieablauf skizziert (HAMMELSTEIN 2009, 197): 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Beziehungsaufbau (Entwicklung einer vertrauensvollen Beziehung, vor allem durch komplementäre Strategien); Bearbeitung der Bearbeitung (Abbau der Schemaheilungs-Vermeidung, Internalisierung der „gesunden“ Perspektive); Phase der Klärung (Schemata werden dem Klienten kognitiv zugänglich gemacht); Veränderung der dysfunktionalen Schemata; Kompetenz-Training (Prüfung, Integration von Schemata, Verbindung mit Ressourcen, Ein-Personen-Rollenspiel); Transfer-Phase (Übersetzung in den Alltag); Ablösung.
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1.7 Kognitive Therapie (KT) Das „älteste“ schemaorientierte Psychotherapiekonzept trägt den Namen Kognitive Therapie. Es wurde in den 1960er Jahren entwickelt. Die beiden Gründerfiguren heißen AARON T. BECK (1976) und ALBERT ELLIS (1962). Die Grundaussage der Kognitiven Therapie lautet sinngemäß: Psychische Störungen und Verhaltensauffälligkeiten sind die Folgen einer fehlerhaften Informationsverarbeitung, die vorwiegend auf der gedanklichen Ebene stattfindet (eine Einschätzung, die in der Schematherapie und Klärungsorientierten Psychotherapie nicht geteilt wird). Entsprechend schätzen Klienten sich selbst, ihre Umwelt und Mitmenschen irrational ein – und dies führt zu psychischen Störungsbildern. So stellte BECK zum Beispiel bei depressiven Klienten (trotz unterschiedlichen sozialen Standes) spezielle Schemata fest, die sich sehr ähnlich sind, etwa: „Ich kann nichts“, „Ich habe noch nie etwas im Leben erreicht“ oder „Niemand kann mich leiden“. Wie gesagt, auch wohlhabende, gesellschaftlich erfolgreiche Klienten kamen zu diesen „Schlussfolgerungen“. Daraus wurde abgeleitet, dass psychische Krankheitsbilder vor allem durch unangepasste, irrationale Denkmuster entstehen und aufrechterhalten werden. Kognitive Therapeuten gehen davon aus, dass nachteilige Selbst- und Beziehungsschemata durch elterliche Prägung, Sozialisation und durch belastende Ereignisse entstehen, die fehlerhaft bewertet und verallgemeinert wurden. Das heißt – in Hinsicht auf den letzteren Aspekt –, aus einer einmaligen persönlichen Niederlage, etwa einer nicht bestandenen Prüfung, wird möglicherweise ein Selbstschema wie „Ich bin nicht in der Lage, Prüfungen zu bestehen“. Infolge dieser Einschätzung werden bei zukünftigen Leistungsmessungen automatisch negative Emotionen provoziert, die den Misserfolg geradezu begünstigen – und so zur Festigung des Schemas führen. Populär im Rahmen der Kognitiven Therapie sind auch die sogenannten Wahrnehmungsverzerrungen. Dies sind oberflächliche gedankliche Phänomene, die in der Kognitiven Therapie als „Wegweiser“ verstanden werden: sie führen entsprechend zu dysfunktionalen Schemata. Dabei handelt es sich um folgende Auffälligkeiten: 1.
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Schwarz-Weiß-Denken. Wer diesem Wahrnehmungsfehler ausgeliefert ist, sieht im Alltag nur Extreme und keinerlei „Grautöne“. Nimmt man beispielsweise nur ein geringes Maß an Kritik wahr, kommt das aus Sicht des
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Betreffenden einer Katastrophe fürs Selbstbild gleich. Funktioniert etwa ein Projekt im Job nicht so, wie es sein soll, so ist dies „das Ende“. Übergeneralisierung. Infolge dieser Verzerrung werden einzelne Erlebnisse im Alltag des Klienten aufgebauscht, potenziert zu Allgemeingültigkeiten. In zukünftigen Situationen, die Ähnlichkeiten zur ursprünglichen Frustrationserfahrung aufweisen, kommt es meistens zu schweren Krisen. Beispiel: Ein Single scheitet bei einem Flirtversuch und resümiert: „Ich kann überhaupt nicht flirten!“ Dass eine solche Wahrnehmungsverzerrung zukünftig wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiungen wirkt (und somit den Wahrnehmungsfehler zementiert), merken Betreffende nicht. Personalisieren. Bei diesem Phänomen bezieht man bestimmte alltägliche Situationen und Ereignisse auf die eigene Person. Dadurch erhalten sie überhaupt erst eine subjektive Relevanz. Beispiel: Man betritt ein öffentliches Verkehrsmittel und hört von irgendwoher Gelächter. Automatisch ist man davon überzeugt: „Die lachen bestimmt über mich!“ Infolgedessen werden negative Emotionen ausgelöst. Gedankenlesen. Manche Klienten glauben stets zu wissen, was in anderen Menschen vor sich geht. Dabei kommt man stets zu negativen Schlüssen: „Der X denkt schlecht über mich, nämlich bestimmt […]!“ Leicht geraten Betreffende dadurch in einen Teufelskreis. Je mehr Negatives sie in den Köpfen der Anderen vermuten, desto mehr passen sie ihr Verhalten ihren eigenen Konstruktionen an. Das hat meistens nachteilige Folgen. Denn die Mitmenschen werden dadurch wahrscheinlich erst zu den Gedankeninhalten motiviert, die der Klient ihnen vorher lediglich unterstellt hat. Katastrophieren. Infolge dieser kognitiven Verzerrung wird im Alltag bei anstehenden Projekten oder sonstigen Angelegenheiten tendenziell der schlechtmöglichste Ausgang der Dinge angenommen. Ganz automatisch werden Prognosen darüber angestellt, was alles schiefgehen kann. Die Folgen werden gewöhnlich weit überschätzt. Und wieder kann dieser Denkfehler zu einem Akt der Selbstsabotage werden.
Die erwähnten Verzerrungen werden in der Therapie bei Bedarf thematisiert und einer kognitiven Prüfung unterzogen. Kognitive Methoden („Sokratischer Dialog“, Disputieren) und verhaltenstherapeutische Interventionen (Hausaufgaben, Rollenspiele) werden eingesetzt, um die irrationalen Schemata zu verändern. Der Ablauf einer Kognitiven Therapie ist im folgenden Kasten skizziert (nach KRIZ 2007, 137):
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Beobachten: Zu Beginn der Therapie erklärt der Therapeut dem Klienten das Konzept der kognitiven Theorie. Ebenfalls werden der Ablauf sowie die Ziele der Zusammenarbeit besprochen. Kognitive Verzerrungen sind bereits Thema in den ersten Sitzungen. Die Probleme und Konflikte des Betreffenden werden vor dem Hintergrund der Kognitiven Therapie dargelegt. Der Klient wird dazu angehalten, in Zukunft auf seine Denk-Automatismen im Alltag zu achten. Identifizieren: In den folgenden Sitzungen stehen die irrationalen Schemata im Fokus der Zusammenarbeit. Sie werden klar herausgearbeitet, kognitiv geprüft und bearbeitet. Hypothesenüberprüfung: Im Laufe der Therapie entwickelt der Klient die Kompetenz, von seinen automatischen Gedanken im Alltag Abstand zu nehmen. Er stellt fest, dass seine (negativen) Vermutungen und Voraussagen nicht immer zutreffen. Dies führt zu einer realistischeren Wahrnehmung und zur Verbesserung der Symptome. Training der alternativen Erklärungen: Innerhalb und außerhalb der Therapie greifen schließlich die Denkweisen des „gesunden Menschenverstandes“, die der Realität eher angemessen sind. Durch den damit einhergehenden Erfolg im Beruflichen und Zwischenmenschlichen kommt es schließlich zur sogenannten kognitiven Umstrukturierung. Anders gesagt: Das Denken, Verhalten und das emotionale Befinden des Klienten „verbessern“ sich.
2. Praxis der Schematherapie
Im Folgenden wird der Ablauf einer Schematherapie etwas ausführlicher dargestellt. Dabei sollen das Potenzial und die Möglichkeiten des Ansatzes für das Praxisfeld Erziehung deutlich werden. Es wird noch zu zeigen sein, dass ein Transfer von ausgewählten Methoden sehr sinnvoll ist. Denn: Nicht nur Klienten, die eine Therapie in Anspruch nehmen (müssen), offenbaren maladaptive Schemata und Schemamodi, sondern auch viele Zu-Erziehende, mit denen professionelle Helfer im sozialpädagogischen Alltag zu tun haben. Der Prozess Der Verlauf einer Schematherapie ist vorstrukturiert. Ziel ist die Schemaheilung, die vor allem durch kognitive, affektive, erlebnisbasierte und verhaltenspsychologische Elemente erreicht werden soll. Es gibt es zwei Therapiephasen: 1.
2.
Diagnostik- und Edukationsphase. Klient und Therapeut arbeiten gemeinsam an der Identifikation der vorliegenden Schemata und Schemamodi. Bereits in der ersten Sitzung verwirklicht der Therapeut einen wertschätzenden Beziehungsaufbau (ROEDIGER 2009b). Er offenbart unter anderem Empathie, Kongruenz und Akzeptanz. Die individuelle Fallkonzeption wird gemeinsam erstellt. Sie basiert auf der biografischen Anamnese und auf der Auswertung der sogenannten Schema-Fragebögen (erhältlich im Internet, nähere Informationen auf der Homepage von ECKHARD ROEDIGER: www.schematherapie-frankfurt.de). Phase der systematischen Verhaltensänderung. In diesem Abschnitt wird der Klient dabei unterstützt, Verhaltensänderungen im Alltag selbst umzusetzen. Vor allem durch erlebnisaktivierende, kognitive und verhaltenstherapeutische Elemente soll dies erreicht werden. Zum Einsatz kommen entsprechend: Schema-Memo, -Tagebuch sowie auch Hausaufgaben, die speziell auf die Bedürfnisse des Klienten zugeschnitten sind.
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Im Folgenden werden die erwähnten Schritte ausführlicher beschrieben.
2.1 Schemaidentifikation In der ersten Phase (Diagnostik und Edukation) geht es vorrangig um die Exploration der vorliegenden Schemata und Schemamodi. Mithilfe von drei Erhebungsinstrumenten wird die Exploration vorangetrieben: 1.
2.
3.
Schema-Fragebögen. Sie decken verschiedene Bereiche ab, etwa das Verhalten der Eltern in der Kindheit, die Erinnerungen an die ersten Lebensjahre, aber auch die aktuellen Schemata und -modi, das Kompensationsverhalten usw. Darüber hinaus findet eine biografische (Problem-)Anamnese statt. Infolge dieser Anamnese erkennt der Klient meistens schon, dass seine Probleme im Hier und Jetzt einen Bezug zur Vergangenheit haben, der bis dato nicht erkannt wurde. Es wird meistens erkannt: In vielerlei Variationen wurde der zentrale aktuelle Konflikt mit sich selbst und/oder anderen schon häufiger erlebt – und er hat bestimmte Ursachen. Letztlich interpretiert der Therapeut das Verhalten des Klienten in bestimmten Situationen vor dem Hintergrund des Schema-Modells. Das heißt, er registriert etwa aktivierte Schemamodi im therapeutischen Setting und thematisiert sie irgendwann.
Die erhobenen Daten helfen dabei, diejenigen Schemata und -modi zu identifizieren, die die Lebensbewältigung des Klienten beeinträchtigen.
2.2 Schemaklärung Der Klient wird, wie oben schon erwähnt, auch über die Grundannahmen der Schematherapie informiert (sogenannte Psychoedukation). Er erhält einen Einblick in die Wirkungsweise der menschlichen Psyche. Er erkennt zudem den Zusammenhang zwischen frühkindlichen Prägungen und aktuellen Phänomenen im Alltag. Eine der wichtigsten Einsichten lautet entsprechend: Die Gegenwart wird infolge einer Schema-Aktivierung mit einer (mächtigen) kindlichen Wahrnehmung interpretiert beziehungsweise mit Lösungsversuchen angegangen, die früher einmal funktionierten, aber nunmehr irrational sind. Das heißt, dass etwa
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die Mitmenschen in bestimmten Situationen mit infantilen Maßstäben bewertet und infolgedessen manchmal dysfunktional behandelt werden. Auf der anderen Seite merkt der Klient schnell, dass er mit seinen Konflikten nicht alleine da steht, sondern seine Probleme mit vielen anderen Menschen „teilt“. Alleine schon diese Erkenntnis kann emotional entlasten.
2.3 Schema-Aktivierung und -bearbeitung Sind die relevanten Schemata geklärt, so erfolgt im nächsten Schritt die Aktivierung eines vorrangigen Schemas im „kontrollierten Rahmen“, sprich in einer Sitzung. Warum konfrontiert man den Klienten mit den Schattenseiten seiner Biografie? Das hat neurobiologische Gründe. Das Geschehen, das zur Entwicklung des Schemas führte, ist im Gehirn abgespeichert, und zwar, wie oben schon erwähnt, in den emotionalen (alten) Zentren. Diese müssen im Rahmen der Therapie insbesondere umstrukturiert werden, da ansonsten das Schema gar nicht umfassend bearbeitet werden kann. Dadurch wird verständlich, wieso eine reine Gesprächstherapie in dieser Hinsicht nicht wirksam ist. Sie erreicht gewissermaßen „nur“ die Großhirnrinde. Dem Schematherapeuten stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, wie er vorgeht, um ein wichtiges Schema auszulösen. Erlebnisaktivierung durch Imaginationsübungen und „Stühlearbeit“ Durch sogenannte Imaginationsübungen können leicht affektive Schema-Anteile aktiviert werden. Eine solche Übung ist vergleichbar mit einer Zeitreise. Der Klient beschreibt zunächst eine aktuelle Situation, die schon fast automatisch ein bestimmtes Muster auslöst. Ebenso müssen auch die dann üblicherweise auftauchenden Kognitionen, Emotionen, Körperreaktionen usw. genau beschrieben werden (ROEDIGER 2009b, 72). Im Anschluss daran werden „passende“, das heißt ähnliche Situationen aus der Kindheit beschrieben. Schon während solcher Schilderungen kommt es zu einer spezifischen Mimik und Gestik, die den emotionalen Anteil des Schemas deutlich machen. Der Klient wird dazu angehalten, sich seine frustrierten Grundbedürfnisse, die in der einen oder anderen Situation eine Rolle spielten, genau bewusst zu machen. Auf diese Weise „kommt“ er automatisch in den Modus Verletzbares Kind. Der Therapeut tröstet den Klienten bei Bedarf, sollte er allzu sehr von negativen Emotionen überflutet werden (Prinzip der sogenannten Nach-
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beelterung). Der Therapeut „wird“ in so einer Situation in der Wahrnehmung des Klienten zur Vater- beziehungsweise Mutter-Figur, die Trost spendet, das „Kind“ akzeptiert, Mut macht usw. Diese nachträgliche Beelterung trägt maßgeblich zur Schemaheilung bei. (Völlig „geheilt“ werden kann ein Schema aller Wahrscheinlichkeit nach nicht, da es sich neuronal eingespurt hat, siehe LEDOUX 2001). Wie erwähnt, wird dem Klienten der Zusammenhang zwischen seiner Kindheit/Jugend und dem Hier und Jetzt klar. Er wird nach und nach in die Lage versetzt, sein Dasein bewusster und kontrollierter zu gestalten. Er lernt außerdem (in Hinsicht auf den Alltag), besser auf seine Bedürfnisse einzugehen und sie auch einzufordern, etwa in Bezug auf seine Partnerschaft. Für die Zukunft wird, weil man vor allem letzteres Anliegen unterstützen will, eine oder mehrere Verhaltensregeln formuliert, die dann in einer Schema-auslösenden Situation „greifen“ sollen. Im Rahmen der sogenannten Stühlearbeit übernimmt der Klient nach und nach die Eigenschaften, die mit dem Modus des Gesunden Erwachsenden zusammenhängen. Der Klient wird sozusagen sein eigener Therapeut, zunächst im therapeutischen Setting, dann im Alltag. An diesem Punkt beginnt dann in der Regel auch die Arbeit mit den Schemamodi, die im Vergleich zum Schemamodell „erlebnisnäher“ sind (ROEDIGER 2009b). Weitere Ziele der Stühlearbeit sind:
Förderung der Achtsamkeit im Alltag, Stärkung der Emotionsregulation, Kontrolle des Schema-geleiteten Erlebens und der maladaptiven Schemamodi.
Eine solche Stühlearbeit-Übung gestaltet sich folgendermaßen: Zunächst sitzen sich Therapeut und Klient auf zwei Stühlen gegenüber. Ein bestimmtes Problem kommt zur Sprache. Der Therapeut ist dabei Modell für den Modus des Gesunden Erwachsenen. Er bleibt in diesem Modus. Der Klient andererseits argumentiert aus Sicht eines maladaptiven Schemamodus (etwa: Verletzbares Kind: „Niemand kann mich leiden!“). Nun wird auf der kognitiven Ebene gearbeitet. Man diskutiert („Ist es wahrscheinlich, dass Dich niemand leiden kann?“), wägt ab usw. Dieses Vorgehen entspricht der Vorgehensweise der kognitiven Therapeuten. Befindet sich der Klient irgendwann im Modus des Gesunden Erwachsenen, wechselt er den Stuhl. Durch dieses Vorgehen lernt der Klient, seine innere Zwiespältigkeit in der Realität abzubilden und zu schließlich zu kontrollieren. Das Ziel
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einer solchen Schemamodi-Arbeit lautet: „Integration aller Anteile unter der Regie des Erwachsenen-Anteils“ (YOUNG et al. 2008, 19). Kognitive Methoden Ein weiteres wichtiges Element, das die kognitiven Potenziale des Klienten fördern soll, ist das sogenannte Schema-Memo. Möglich ist auch ein Schemamodus-Memo. In beiden Fällen besteht das Memo aus vier Aspekten (YOUNG et al. 2008, 147). Zunächst (1.) wird eine „typische“ Situation mit wenigen Worten beschrieben, die ein bestimmtes Schema auslöst. Danach (2.) wird der Bezug zum biografischen Hintergrund festgehalten. Schritt 3 beinhaltet eine korrigierende Realitätsprüfung, Schritt 4 impliziert eine neue Verhaltensweise. Ein beispielhaftes Schemamodus-Memo (ausgefüllt von einem Schüler) soll die Anwendung anschaulich machen. Es geht um den Schikanierer- und AngreiferModus: Die Erinnerungskarte von M. 1. Benennen einer Situation, in der ich wütend werde „Wenn ich in meiner Stammkneipe sitze und mich jemand zu lange anguckt.“ 2. Erkennen der aktivierten Teil-Persönlichkeit „Ich weiß, dass so eine Situation Wut in mir auslöst, weil dann der „aggressive M.“ in mir hochkommt [der Schüler gab dem Schikanierer- und Angreifer-Modus diese Bezeichnung] – er war in ähnlichen Situationen kurzfristig nützlich.“ 3. Anerkennen des unangepassten Denkens und Realitätsprüfung „Mein Gedanke, dass der Andere mir schaden will, muss nicht stimmen. Vielleicht schaut er nur „einfach so“ in der Gegend rum. Nicht jeder, der mich anguckt, will sich mit mir boxen.“ 4. Trennen vom alten und Festigung des neuen Verhaltens „Ich habe bisher immer gleich aggressiv reagiert und dem Anderen Prügel angedroht. Ich könnte mich stattdessen umdrehen und gehen, auch wenn meine Kumpels das uncool finden. Die müssen sich ja nicht mit den Folgen auseinandersetzen.“
Ein solches Memo soll die Umsetzung neuer Verhaltensweisen unterstützen. Wie oben schon erwähnt, geht es vorwiegend um Achtsamkeit und Selbstkontrolle im Alltag. Um den Klienten ganzheitlich zu fördern, gibt es auch die Möglichkeit, ein Schema-Tagebuch einzuführen. In diesem Buch schreibt der Klient seine alltäglichen (Schema-relevanten) Erfahrungen nieder – was wiederum dem Modus des Gesunden Erwachsenen entgegenkommt.
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Elemente der Verhaltenstherapie Ergänzt werden die therapeutischen Bemühungen auch durch Methoden, die der Verhaltenstherapie zugerechnet werden. Gemeint sind Rollenspiele und Hausaufgaben. Rollenspiele Rollenspiele eignen sich vor allem in Hinsicht auf die Veränderung von Schemageleiteten Denkmustern. Meistens sind Rollenspiele angelehnt an eine bestimmte Thematik, genauer gesagt, an ein bestimmtes Schema. Praktiziert werden sie zum Beispiel direkt nach einer Imaginationsübung. In einem solchen Fall „spielt“ der Therapeut etwa einen Interaktionspartner des Klienten. Letzterer muss nun seine Bedürfnisse, die ansonsten durch nachteilige Schemamodi überlagert werden, direkt und ohne Umschweife verbalisieren. Üblicherweise besprechen Therapeut und Klient das emotionale Befinden vor und nach dem Rollenspiel (ROEDIGER 2009b, 86). Durch die Praxis dieser Methode werden auch die sozialen Kompetenzen des Klienten gefördert. Hausaufgaben Effizient sind auch Hausaufgaben. Sie sollen dazu dienen, die „Trockenübungen“, die im therapeutischen Schonraum praktiziert wurden, in die Realität zu transferieren. Die ersten Hausaufgaben haben selbstverständlich noch keinen hohen Anspruch. Es wäre sehr nachteilig, wenn die ersten Tests nicht bestanden würden. Dies würde zu Frustrationen und Entmutigungen führen, auch zu Rückfällen in alte Schema-getriebene Denk- und Verhaltensmuster. Entsprechend werden zunächst Verhaltensexperimente geplant, die der Klient alleine durchführt. Deren Ausgang ist zunächst offen, er wird nicht konkret formuliert. Ein Beispiel: Einem Klienten mit starken sozialen Ängsten (Modus Distanzierter Beschützer) wird aufgetragen, am nächsten Wochenende ein Lokal in der Innenstadt aufzusuchen; er soll sich dort bei drei Personen des anderen Geschlechts um die Uhrzeit erkundigen oder Ähnliches. Wie gesagt, zunächst werden niedrig schwellige Aufgaben ausgeführt. Die Erfahrungen werden dann in der nächsten Sitzung analysiert und auf der Ebene des Gesunden Erwachsenen besprochen. Danach bietet sich an, weitere Hausaufgaben zu formulieren, deren Anspruch jedes Mal etwas komplexer ausfällt. Mittels Hausaufgaben werden Verhaltensänderungen angeregt, die im Gegensatz zu den bisherigen (Schema-getriebenen) stehen. Macht der Klient überwiegend positive Erfahrungen, findet in seinem Gehirn ein Umstruk-
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turierungsprozess statt – was die angestrebte Schemaheilung (siehe unten) unterstützt. Zu den verhaltensändernden Methoden gehört auch das Führen eines Tagebuchs. In Hinsicht auf den vorliegenden Rahmen werden darin vor allem Schema- und Schemamodi-Aktivierungen und ihre Auswirkungen festgehalten.
2.4 Beziehungsgestaltung Der Beziehungsgestaltung wird eine große Bedeutung zugesprochen. Die Therapeut-Klient-Interaktion sollte vor allem von Vertrauen, Wertschätzung und Empathie geprägt sein. Kommt es im Rahmen der Schema-Aktivierung zu negativen Affekten und Emotionen, wird der Klient fürsorglich behandelt (Prinzip der Nachbeelterung). Er lernt dadurch auch, dass es „okay“ ist, wenn emotionale Reaktionen und Verhaltensmuster in der Therapie auftreten. Dieser Punkt ist sehr wichtig. Ist der Klient aufgrund von Ängsten oder Scham gehemmt, blockiert, kommt der Therapieprozess nicht in Gang. Die „Chemie“ stimmt dann nicht. Doch der Therapeut setzt bei Bedarf auch konfrontative Methoden ein, sollte es zu Störungen des Prozesses kommen. Konfrontiert wird aber empathisch und mit Ich-Botschaften. Mit dem Begriff „begrenzte Nachbeelterung“ ist ein dynamisches Zusammenspiel zwischen Unterstützung und Ermutigung einerseits und empathischer Konfrontation andererseits gemeint. Das heißt, der Therapeut verbalisiert auch seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse, etwa in Hinsicht auf die Zusammenarbeit oder Mitarbeit des Klienten.
2.5 Ziele Die Therapie gilt als erfolgreich, wenn verschiedene Ziele erreicht werden:
Der Klient kennt weitgehend die Ursachen und Auswirkungen seine nachteiligen innerpsychischen Muster. Der Klient ist fähig, seine maladaptiven Schemata und -modi im Alltag wahrzunehmen und zu kontrollieren. Der Modus des Gesunden Erwachsenen ist ausreichend gestärkt. Der Klient kann im Alltag direkt auf seine Bedürfnisse eingehen – ohne seine Mitmenschen vor den Kopf zu stoßen.
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Der Klient erkennt „Schema-getriebene Rückfälle“ als solche und geht konstruktiv mit ihnen um. Der Klient ist in Hinsicht auf die Wirkungsweisen seiner innerpsychischen Muster zukünftig achtsam.
2.6 Neue Anwendungsfelder Ursprünglich wurde die Schematherapie für charakterologische Auffälligkeiten und Persönlichkeitsstörungen konzipiert. In den letzten Jahren sind weitere Anwendungsformen entstanden. Schematherapeutische Grundlagen, Elemente und Methoden werden angewendet etwa in der Forensik und bei Abhängigkeitserkrankungen. Ebenso findet Schematherapie Berücksichtigung in verschiedenen Settings (stationär, in Gruppen, bei Paaren, in der Körpertherapie oder der Selbsterfahrung). Vor kurzem haben ROEDIGER & JACOB (2010) die konzeptionellen Weiterentwicklungen und Anwendungsmöglichkeiten veröffentlicht.
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3. Von der Schematherapie zur Schemapädagogik
Im Folgenden wird dargelegt, welche Elemente und Methoden der schemaorientierten Psychotherapien im Praxisfeld Erziehung berücksichtigt werden können. Ebenso werden auch die Grundlagen einer „Schema-Pädagogik“ beschrieben.
3.1 Charakteristiken, Möglichkeiten, Grenzen Charakteristiken Schemapädagogik fokussiert in erster Linie zwischenmenschliche Beziehungen. Es wird davon ausgegangen, dass Beziehungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten sowie ein kostenintensiver Umgang mit sich selbst und anderen überwiegend auf innerpsychischen Mustern (Schemata) beruht. Der Schemapädagoge arbeitet daher schemaorientiert. Eine behutsam durchgeführte Analyse von möglichen Schemata und Schemamodi, die „schwierige“ ZuErziehende wahrscheinlich offenbaren, bringt in vielerlei Hinsicht Vorteile mit sich: Man versteht Heranwachsende dadurch meistens tiefgreifender und kann konkret mit den kostenintensivsten Modi arbeiten, sie bestenfalls ändern. Praktiziert werden können schemaorientierte Elemente und Methoden im Berufsalltag „ganz nebenbei“, etwa als Erweiterung der pädagogischen Arbeit, aber auch im Rahmen eines Angebots oder in der Projektarbeit (siehe Kapitel 3.3). Möglichkeiten Schemapädagogik hat viel Potenzial in Hinsicht auf den Langzeiteffekt, den sie erzielen kann. Die neurobiologische Erkenntnis, nach der sich innerpsychische Muster mit kognitiven und affektiven Anteilen überwiegend in den ersten beiden Lebensjahrzehnten infolge von Beziehungserfahrungen bilden und festigen (ROTH 2001), lässt den Rückschluss zu, dass sozialpädagogische Fachkräfte viele Fehlentwicklungen effizient ausgleichen können. Zum einen, weil ihr Umgang mit den Zu-Erziehenden sich ebenfalls innerpsychisch niederschlägt, zum anderen, noch wichtiger, haben sie die fast einzigartige Chance, positiv auf maladaptive Schemata und -modi einzuwirken.
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Dieser Punkt ist in seiner Wichtigkeit gar nicht zu überschätzen: Gelingt es dem Erzieher, nachteilige innerpsychische Muster des Zu-Erziehenden abzuschwächen und förderliche zu bilden, bleibt sein positiver Einfluss ein Leben lang bestehen – dies dient gleichzeitig der Prävention von kostenintensiven Verhaltensweisen in der Zukunft. Denn entsprechend positive Beziehungserfahrungen werden selbst zu innerpsychischen Mustern, die den nachteiligen diametral entgegenstehen und daher aufbauende Auswirkungen auf das Selbst- und Fremdbild des Zu-Erziehenden haben. Umgekehrt heißt das aber auch: „Versagt“ der Schemapädagoge im Umgang mit schwierigen Heranwachsenden, wiederholen sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihre ganz persönlichen „Schwierigkeiten“ auch in anderen Bildungsinstitutionen. Es gilt die Faustformel: Je jünger der ZuErziehende ist, mit dem man zu tun hat, desto größer die Einflussmöglichkeiten des Schemapädagogen. Aber natürlich sind nicht nur verhaltensauffällige Heranwachsende mögliche Adressaten von schemapädagogischen Interventionen, sondern auch „normale“. Grenzen Schemapädagogisches Handeln stößt an seine Grenzen, wenn man mit Heranwachsenden arbeitet, die schwerwiegende psychische Störungsbilder aufweisen. Denn gerade der Beziehungsaufbau, der die hauptsächliche Basis der Zusammenarbeit darstellt, wird dann so gut wie unmöglich. Das heißt, es muss sichergestellt sein, dass der Heranwachsende gewillt ist, mit dem Pädagogen zu kommunizieren, wenn auch nur im ganz geringen Ausmaß. In nicht allen Fällen ist diese Voraussetzung gegeben. Kommt dann so gut wie keinerlei Beziehungsaufbau zustande, etwa durch strikte Weigerung, kann keine Zusammenarbeit praktiziert werden. Doch solche Konstellationen sind sehr selten und außerdem auch nicht durch die üblichen pädagogischen Methoden aufzulösen. Eine Besonderheit ergibt sich in Hinsicht auf die Arbeit mit den Schemamodi, die aufgrund ihres Potenzials zur Kernaufgabe von Schemapädagogen gehört. Der Heranwachsende muss kognitiv so weit gereift sein, dass er die Existenz eines inneren Persönlichkeitsanteils (etwa „aggressiver Max“) verstehen und nachvollziehen kann. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird diese Bewusstseinsstufe erst im Grundschulalter voll erreicht (ROTH 2007). Hieraus folgt, dass in bestimmten sozialpädagogischen Arbeitsfeldern Schemamodi nicht mit dem Zu-Erziehenden gemeinsam thematisiert werden können. Dabei handelt sich um: Krippe, Kindergarten und (m.E.) Hort.
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In den genannten Institutionen geht es – aus schemapädagogischer Perspektive – entsprechend vorwiegend um
eine förderliche Beziehungsgestaltung, die Befriedigung der Grundbedürfnisse, den Aufbau von positiven Selbst- und Beziehungsschemata, bei Bedarf werden auch schon irrationale Interaktionsmuster (Psychospiele) thematisiert (siehe Kapitel 4.2).
3.2 Ziele Die Schemapädagogik verfolgt verschiedene Ziele:
Förderung der Personal- und Sozialkompetenz der Fachkraft. Herstellung einer komplementären Beziehungsgestaltung (an den Bedürfnissen des Zu-Erziehenden orientiert). Reduktion der externalen Kausalattribuierung aufseiten des Zu-Erziehenden. Verminderung der unbewussten Manipulationen (Psychospiele). Reduktion des Wiederholungszwangs. Klärung der Gegenübertragung. Stärkung des Modus des Gesunden Erwachsenen. Prävention von Delinquenz, Festigung von erwünschten (etwa prosozialen) Verhaltensweisen.
3.3 Schemapädagogische Schlüsselkompetenzen Schemapädagogen sind mit einem speziellen Wissen ausgestattet, das es in sozialpädagogischen Arbeitsfeldern (noch) nicht in dem Umfang gibt. Dieses Wissen (Schemamodell, Modell der Schemamodi, Erkenntnisse der Neurobiologie zur Sozialisation) hat theoretische und vor allem auch praktische Auswirkungen. Im Folgenden geht es um einige „schemapädagogische Schlüsselkompetenzen“.
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3.3.1 Diagnostische und konfrontative Fähigkeiten Der professionelle Helfer hat die 18 maladaptiven Schemata und die wichtigsten überkompensierenden Schemamodi im Berufsalltag im Hinterkopf, die YOUNG et al. (2008) ausführlich beschrieben haben (und die auch im vorliegenden Buch skizziert wurden). Der Schemapädagoge weiß, welche Auswirkungen die genannten innerpsychischen Muster im Alltag haben können. Tests als solche wahrnehmen und professionell auf sie eingehen Eine solche Auswirkung ist zum Beispiel ein sogenannter „Test“ (SACHSE 2001). (Im Rahmen der Psychoanalyse wird dieser Mechanismus projektive Identifizierung genannt.) Mittels eines Tests strebt der Zu-Erziehende an, ein bestimmtes innerpsychisches Muster zu bestätigen. Demnach kann es sein, dass ein Jugendlicher, der die Erwartung hat, dass der Erzieher „ein strenger Kerl“ ist, (a) „aus Versehen“ in seiner Anwesenheit etwas kaputt machen, (b) wegen dubioser Gründe zu spät zu vereinbarten Terminen erscheinen, (c) eine provokante Bemerkung aussprechen usw. Natürlich sind solche Verhaltensweisen, wenn sie selten passieren, keine Tests. Es gilt die Faustformel: Je häufiger störendes Verhalten in mehreren Variationen auftaucht, desto wahrscheinlicher verfolgt der Betreffende ein bestimmtes zwischenmenschliches Ziel. Handelt es sich bei der jeweiligen Aktion um einen Test – die Diagnose ist tatsächlich nicht einfach –, steckt der Erzieher in einem Dilemma. Bestraft er den Heranwachsenden, tut er genau das (Negative), was Letzterer mehr oder weniger unbewusst beabsichtigt; und schon ist der Beziehungskredit auf null zurückgesetzt. Tut er nichts, provoziert der Erzieher weitere Tests seitens des Heranwachsenden – was zu mehr Stress führt. Schemapädagogen sprechen daher, wenn sie sich sicher sind – wie auch im Falle eines Psychospiels –, humor- und verständnisvoll das Geschehen und die Möglichkeit an, dass der Zu-Erziehende ein bestimmtes Ziel mit seinem Verhalten verfolgt, etwa: (a)
„Hast Du das Glas jetzt runter geworfen, damit ich an die Decke gehe? Kannst Du vergessen!“, (b) „Du kommst jetzt aber nicht wieder zu spät, weil Du mich ein bisschen ärgern willst, oder?“,
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(c)
„Du willst mich jetzt vielleicht testen: Du willst wissen, wie ich auf sowas reagiere!“
Solche Interventionen, die sicherlich einen konfrontativen Charakter haben, führen erfahrungsgemäß zu Verwirrung aufseiten des Zu-Erziehenden, vor allem dann, wenn er sich ertappt fühlt. Verwirrt ist der Heranwachsende in diesen Fällen deshalb, weil sein Interaktionspartner nicht so wie erwartet reagiert. Appelle wahrnehmen Heranwachsende, die verschiedene maladaptive Schemata und -modi ausgeprägt haben, haben unter anderem meistens auch „gelernt“, Bedürfnisse nicht offen anzumelden beziehungsweise einzufordern. Laut YOUNG et al. (2008) entstehen viele Schemata bekanntlich durch dauerhafte Frustration verschiedener Grundbedürfnisse (siehe Kapitel 1.3). Doch: Trotz Frustrationserfahrungen streben Menschen nach der Erfüllung ihrer Bedürfnisse. Erfahrungsgemäß werden sogenannte Appelle (SACHSE 2006b) von betreffenden Jugendlichen, die darauf abzielen, Grundbedürfnisse zu befriedigen, nicht direkt und unmissverständlich kommuniziert, sondern verdeckt. Manchmal ist es für den Gesprächspartner gar nicht ersichtlich, dass diese oder jene Verhaltensweise eine Art Beziehungsangebot darstellt. Wie oben schon erwähnt, stehen bei vielen, vor allem verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen vor allem folgende Grundbedürfnisse im Vordergrund (SACHSE et al. 2009):
Anerkennung/Akzeptierung, Wichtigkeit, Verlässlichkeit, Solidarität.
Es bedarf eines gewissen Fingerspitzengefühls beziehungsweise einiger Berufserfahrung, um Situationen als solche zu erkennen, in denen Zu-Erziehende unbewusst Appelle kommunizieren. In solchen Situationen reicht eine Bemerkung oder Frage schon aus, um selbst bei verhaltensauffälligen Jugendlichen einen „positiven Marker“ zu setzen. „Passende“ Antworten führen dann häufig zu Gesprächen, die zwar einen oberflächlichen Charakter haben, aber sehr gewinnbringend für den ZuErziehenden sind, weil sie – verdeckt – ein bestimmtes Bedürfnis befriedigen.
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In folgender Tabelle sind einige Beispiele für irrational kommunizierte Grundbedürfnisse sowie sinnvolle Reaktionen aufgeführt. Tabelle 4: Irrational kommunizierte Grundbedürfnisse und Reaktionen Verhaltensweise des Heranwachsenden und das damit möglicherweise(!) verbundene Grundbedürfnis Die Fachkraft wird angesprochen mit: „Hey, Herr X, kommen Sie, wir machen mal Armdrücken!“ – Kommunikation des Bedürfnisses nach Anerkennung/Akzeptierung Der Zu-Erziehende sagt: „Nächste Woche habe ich ein Fußballspiel!“ – Formulierung des Bedürfnisses nach Wichtigkeit Der Heranwachsende meint: „Ich nerve Sie, gell?“ – Kommunikation des Bedürfnisses nach Solidarität
Denkbare Reaktion des Erziehers
Der Zu-Erziehende bemerkt: „Sie waren doch bestimmt auch mal ein böser Junge!“ – Ausdruck des Bedürfnisses nach Solidarität
(humorvoll): „Meinst Du?“
(humorvoll, aber authentisch): „Vergiss es! Schau Dir mal Deinen Bizeps an. Da habe ich gar keine Chance!“
„Auf welcher Position spielst Du?“
„Ja, wenn Du (…) machst. Aber als Mensch kann ich Dich voll leiden!“
Erfahrungsgemäß lässt sich durch solche Interventionen Beziehungskredit aufbauen (siehe Kapitel 3.3.2). Spiele erkennen und stoppen können Ein anderes Mittel – ebenfalls wieder subtiler Art – um die Befriedigung der einzelnen Bedürfnisse wirkungsvoll durchzusetzen, sind Psychospiele (BERNE 1964/2005; SACHSE 1992). Sie zeichnen sich durch einen bestimmten Ablauf der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger aus. Er ist immer gleichartig. Mithilfe eines Psychospiels wird der Gesprächspartner zu einem erwünschten Verhalten animiert beziehungsweise dazu gezwungen. Psychospiele werden in der Kindheit erlernt, einerseits im Zuge des Modelllernens psychisch verinnerlicht, andererseits infolge von bestimmten Sozialerfahrungen ausgeprägt.
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Harmlose Spiele sind beispielsweise „Fußball“ oder „Garderobe“ (DAMM 2009). Sie werden bevorzugt in Männer- beziehungsweise Frauengesellschaften gespielt. Entsprechende Gespräche drehen sich dann mehr oder weniger um das Titelthema. Harmlos. Kostenintensive Spiele, mit denen auch die professionelle Fachkraft im Praxisfeld Erziehung konfrontiert wird, heißen zum Beispiel „Diskussion“ und „Versetz mir eins“ (DAMM 2010a): (a)
Beim Spiel „Diskussion“ verwickelt der Zu-Erziehende die Fachkraft in endlose Debatten. Bereits eine einzige Aufforderung, etwa: „Räum bitte die Spielsachen weg!“, kann eine ausführliche Erörterung auslösen. Das Psychospiel verfolgt meistens das Ziel, längerfristige Aufmerksamkeit zu erzwingen beziehungsweise zielt darauf ab, sich der Aufforderung des Erziehers letzten Endes zu entziehen. (b) Hierzu dient auch das Spiel „Versetz mir eins“. Der Betreffende stört auf unterschiedliche Arten zum Beispiel die Gruppenarbeit. Er zwingt auf diese Weise den Erzieher zum Reagieren. Disziplinarmaßnahmen verpuffen wirkungslos. Der Betreffende spielt weiter sein Spiel. Je weiter das Spiel voranschreitet, desto massiver werden die Störungen. Irgendwann hat der Erzieher keine Wahl mehr und verweist den Betreffenden aus dem Saal. Das Ziel wurde erreicht: (negative) Aufmerksamkeit provozieren. Ab wann kann man von einem Spiel sprechen? Es gibt zwei Charakteristiken: (1.) Wenn die beschriebenen Verhaltensauffälligkeiten häufig gezeigt werden und (2.) vor allem auch gegenüber den anderen pädagogischen Mitarbeitern. Die pädagogische Fachkraft sollte sich immer vergegenwärtigen, dass solche Interaktionsmuster in der Biografie der Betreffenden irgendwann einmal sehr förderlich waren. Sie waren wahrscheinlich eine notwendige Alternative – zur Authentizität. Psychospiele sind aus dieser Perspektive „Notlösungen“ für nicht aufzulösende Dilemmata in der Kindheit. Trotzdem sind Psychospiele sehr kostenintensiv. Das weiß jeder Pädagoge aus Erfahrung. Schemapädagogen reagieren daher bewusst auf sie. Entsprechend nehmen sie bei der Aktivierung solcher Manipulationen eine innere gelassene Haltung ein. Man ist ja nicht als „Person“ gemeint, sondern lediglich Mittel zum Zweck (Bedürfnisbefriedigung). Es gibt unter anderem vier verschiedene Möglichkeiten, Psychospiele über kurz oder lang zu stoppen (DEHNER & DEHNER 2007):
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Strategie a: Das Spielgeschehen ansprechen (aufdecken). Strategie b: Den weiteren Spielablauf vorwegnehmen. Strategie c: Den Spieler mit den Kosten seines Verhaltens konfrontieren. Strategie d: Den Spieler als Person wertschätzen und Verhaltensalternativen aufzeigen.
In folgender Tabelle sind Interventionen in Bezug auf die beiden oben benannten Spiele ausgeführt (der fiktive Zu-Erziehende ist im Jugendalter): Tabelle 5: Spiele und Gegenstrategien Der Heranwachsende spielt das Spiel „Diskussion“
Der Zu-Erziehende spielt das Spiel „Versetz mir eins“
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Strategie a: Das Spielgeschehen ansprechen (aufdecken): „Jedes Mal, wenn ich Dir sage, was Du tun sollst, fängst Du Diskussionen an.“ Strategie b: Den weiteren Spielablauf vorwegnehmen: „Du diskutierst jetzt mit mir in den nächsten Minuten darüber, warum Du das tun sollst.“ Strategie c: Den Spieler mit den Kosten seines Verhaltens konfrontieren: „Ich bin von den Diskussionen genervt!“ Strategie d: Den Spieler als Person wertschätzen und Verhaltensalternativen aufzeigen: „Ich kann Dich gut leiden. Lass die Diskussionen sein und frag mich einfach öfter, ob wir was Interessantes zusammen machen. Das ist besser.“ Strategie a: Das Spielgeschehen ansprechen (aufdecken): „Du störst die Gruppenarbeit, damit ich irgendwann reagieren muss.“ Strategie b: Den weiteren Spielablauf vorwegnehmen: „In den nächsten Minuten wirst Du weiter stören, ich werde Dich ermahnen. Und irgendwann muss ich Dich rausschmeißen, weil Du es auf die Spitze treibst.“ Strategie c: Den Spieler mit den Kosten seines Verhaltens konfrontieren: „Wir können nicht arbeiten, wenn Du Deine Show abziehst!“ Strategie d: Den Spieler als Person wertschätzen und Verhaltensalternativen aufzeigen: „Als Mensch finde ich Dich echt in Ordnung, und die Ein-Mann-Show nervt einfach. Was willst Du damit erreichen – und was können wir da gemeinsam anders machen?“
Wahrscheinlich zeigen manche Kinder schon ab dem 2. Lebensjahr Ansätze von Psychospielen. Diese erscheinen dann altersgemäß. Schemapädagogen achten auch solche Phänomene und intervenieren entsprechend (didaktisch reduziert und vor allem empathisch). Verhaltensauffälligkeiten auf Schemamodi beziehen können Oben wurde ausgeführt, dass Schemamodi als aktivierte Persönlichkeitszustände vor dem Hintergrund eines oder mehrerer Schemata in Erscheinung treten. Es kann sehr sinnvoll sein, bestimmte kostenintensive Verhaltensweisen, die sich oft wiederholen, mit Schemamodi zu verknüpfen. Gelingt es nämlich irgendwann, aufseiten des Zu-Erziehenden in dieser Hinsicht ein Problembewusstsein zu entwickeln, liegen kurz- und längerfristige Verhaltensmodifikationen im Bereich des Möglichen. In folgender Tabelle sind einige Beispiele beschrieben: Tabelle 6: Verhaltensauffälligkeiten und damit zusammenhängende Schemamodi Verhaltensauffälligkeiten Andere diskreditieren mit dem Ziel, „besser“ dazustehen; immer die „erste Geige“ spielen wollen Andere mobben; Tiere quälen; Schwächere triezen Eigene Ziele auf subversive Weise durchsetzen; die eigene Verantwortung für unmoralisches Verhalten reflexartig leugnen Sachen zerstören; Gewalt gegen andere; „ausflippen“
Aktivierter Schemamodus Selbsterhöher-Modus
Schikanierer- und Angreifer-Modus Manipulierer-, Lügner-, Trickser-Modus
Zerstörer- bzw. Killer-Modus
Im Rahmen der Schemapädagogik wird, wie oben schon erwähnt, schwerpunktmäßig mit den Schemamodi gearbeitet. „Glücklicherweise“ kommt es im pädagogischen Alltag automatisch zu Schema- und somit auch zu SchemamodiAuslösungen. Diese werden vom Pädagogen registriert und festgehalten. Irgendwann wird die Schemamodus-Arbeit aufgenommen. Natürlich muss über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet werden, und zwar teilnehmend, nicht-teilnehmend, offen und verdeckt.
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Da der Zu-Erziehende nur im Modus des Gesunden Erwachsenen offen für Kritik, Reflexion und Selbsteinsicht ist, sollte vor allem dieser Modus gestärkt werden.
3.3.2 Beziehungen komplementär gestalten können Die Notwendigkeit einer tragfähigen Arbeitsbeziehung gilt nicht nur für die ambulante beziehungsweise stationäre Schematherapie, sondern auch in Hinsicht auf den pädagogischen Alltag. Ohne einen persönlichen Bezug „geht“ nichts, sei es im Umgang mit Einzelnen oder Gruppen. Selbstverständlich richtet sich das Interesse gerade auf „schwierige“ Heranwachsende, die die pädagogische Arbeit beeinträchtigen, aber auch die „normalen“ Zu-Erziehenden profitieren von den Interventionen. Das heißt, der professionelle Helfer arbeitet zunächst gezielt am Aufbau von Beziehungskredit (SACHSE 2006b). Hierzu wird neben den üblichen Merkmalen – Empathie, Kongruenz und Akzeptanz – vor allem eine sogenannte komplementäre Beziehungsgestaltung praktiziert (SACHSE et al. 2009). Das heißt, der Schemapädagoge verhält sich passend (komplementär) zur Motivebene des Zu-Erziehenden. Dieses Vorgehen spielt auch in der Klärungsorientierten Psychotherapie eine große Rolle. Ein Transfer der komplementären Beziehungsgestaltung in das Praxisfeld Erziehung wirkt sich erfahrungsgemäß positiv auf den Beziehungsaufbau aus. Warum ist die komplementäre Beziehungsgestaltung so effizient? – Nicht nur Klienten, die eine Psychotherapie in Anspruch nehmen, praktizieren (trotz ihrer Motivation zur Mitarbeit!) unbewusst Tests, Appelle und Psychospiele, sondern auch Heranwachsende, egal ob sie verhaltensauffällig sind oder nicht. Es kommt daher im Praxisfeld Erziehung immer zu Beziehungsstörungen – die aber mit den herkömmlichen pädagogischen Diagnostik-Konzepten gar nicht erfasst werden. Daher orientieren sich Schemapädagogen an der besonderen Beziehungsgestaltung, die SACHSE ausgearbeitet hat. Sie basiert auf den Befunden der Motivationspsychologie, wonach Menschen bewusst, aber auch unbewusst bestimmte Motive/Bedürfnisse verfolgen (HECKHAUSEN & HECKHAUSEN 2006). Man geht entsprechend von einem impliziten (angeborenen) und expliziten (konditionierten) Motivsystem aus. Die impliziten Bedürfnisse gehören zu den wichtigsten Komponenten und spielen daher im Alltag, wenn auch unbewusst,
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eine große Rolle. Man kann davon ausgehen, dass viele Zu-Erziehende schon in den ersten Lebensjahren Strategien (Appelle, Psychospiele usw.) aufgrund von bestimmten sozialen Gegebenheiten entwickelt haben, um die Befriedigung der fundamentalen Bedürfnisse zu gewährleisten. Ein konfliktbeladenes Elternhaus ist „ein guter Nährboden“ für die Ausprägung von suboptimalen Manipulationen. Gelingt es dem Schemapädagogen nun, (a)
die unbewussten Beeinflussungen seitens des Zu-Erziehenden (Tests, Appelle und Spiele) als solche zu durchschauen, (b) professionell mit ihnen umzugehen und (c) auf die dahinter liegenden Grundbedürfnisse einzugehen, dann geschieht erfahrungsgemäß etwas sehr Erstaunliches: Der Betreffende unterlässt nach und nach sämtliche nachteiligen Interaktionsmuster im Umgang mit dem professionellen Helfer. Dies ist die Grundlage für eine förderliche Zusammenarbeit. Fallbeispiel: Murat (18) ist Schüler der Berufsfachschule 1. Er gibt sich nach außen hin sehr cool und dominant (Modus Selbsterhöher). Am ersten Unterrichtstag trifft Lehrer X die Schülergruppe vor dem Klassensaal an. Als er die Tür aufschließt, baut sich Murat hinter ihm auf (Modus Selbsterhöher). In der ersten Stunde stellt sich jeder Schüler vor. Als Murat an der Reihe ist, sagt er zum Lehrer (lässig und „cool“): „Ich hab genau dieselben Hobbys wie mein Vorredner!“ (Test). Daraufhin der Lehrer (dominant): „Das ist jetzt ein Test, Du willst mal sehen, wie ich reagiere. Lass es einfach. Kommt jetzt noch was wegen Hobbys?“ Murat muss kurz überlegen und sagt dann: „Kickboxen!“ (möglicherweise Appell) Die Antwort des Lehrers: „Gut, danke. Geht doch! Der Nächste, bitte.“ Im Unterricht kommt es zu weiteren Tests von Murat, aber „nur“ noch im Umgang mit seinen Mitschülern. In der nächsten Stunde fragt der Lehrer Murat zwischen Tür und Angel (vor Unterrichtsbeginn): „Na, Murat, am Wochenende trainiert?“ (komplementäre Beziehungsgestaltung) Murat erzählt kurz vom Training. In der darauffolgenden Stunde bleiben die üblichen Störungen von Murat aus. Er verzichtet auf Tests, Appelle und Spiele – aber nur im Unterricht von Lehrer X.
Es gibt weitere Methoden, um im Umgang mit verhaltensauffälligen und auch „normalen“ Heranwachsenden Beziehungskredit herzustellen:
Erfahrungsgemäß kann es effizient sein, wenn man in relevanten Situationen die „Sprache der Straße“ spricht.
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Unvoreingenommenes Interesse an den Lebensinhalten der Kinder und Jugendlichen zeigen. Die Körpersprache des Zu-Erziehenden dezent spiegeln. Auf die Gesprächsinhalte der Heranwachsenden eingehen, auch wenn sie einem „nicht in den Kram passen“ (vor allem in informellen Situationen). Aktives Zuhören. Modell sein für den Modus des Gesunden Erwachsenen.
Erfahrungsgemäß verläuft der komplementäre Beziehungsaufbau nicht linear. Gerade im Umgang mit „schwierigen“ Kindern und Jugendlichen kommt es zu „erfreulichen Sprüngen“, aber auch zu Rückschlägen und Frustrationen. Es gibt verschiedene Anzeichen, die für die Existenz von ausreichend vorhandenem Beziehungskredit sprechen:
Der Betreffende zeigt meistens automatisch eine positive Mimik, wenn er auf den Pädagogen trifft. Der Heranwachsende kommuniziert vorwiegend auf der Beziehungsebene. Er vertraut sich dem professionellen Helfer an. Er unterlässt im Beisein des Pädagogen die üblichen Tests, Psychospiele und Appelle. Er ist überwiegend im Modus des Gesunden Erwachsenen.
Gelingt es dem Pädagogen, Beziehungskredit aufzubauen, verbessert sich nicht nur die Interaktion: Der Heranwachsende lässt sich auch auf konfrontative Interventionen ein. Ohne Beziehungskredit würde er dies niemals tun, sondern schnell in seine alten Verhaltensmuster vor dem Hintergrund des Schemamodells zurückfallen. Es gilt die Regel: Eine längerfristige Anpassung an die Motivebene des ZuErziehenden erhöht den Beziehungskredit, konfrontative Methoden „buchen“ Beziehungskredit ab. Daher ist auch ständige Beziehungsarbeit vonnöten.
3.3.3 Um die eigenen Schemata und Schemamodi wissen und sie berücksichtigen In der Ausbildung zum Schematherapeuten spielt die Selbsterfahrung eine sehr große Rolle (ROEDIGER 2009a). Der (oder die) Auszubildende muss mit allen Sinnen seine/ihre inneren Strukturen (Schemata und Schemamodi) kennen
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lernen. Wichtig ist dies unter anderem deshalb, als man seine eigenen Gegenübertragungstendenzen später hinaus eher bemerken und stoppen kann – ein wichtiger Beitrag des Therapeuten, der zum Gelingen der Therapie beiträgt. Ähnlich wird Selbsterfahrung auch in der tiefenpsychologischen beziehungsweise psychoanalytischen Ausbildung gehandhabt, etwa als Lehranalyse. Schemapädagogik kann dies nicht leisten. Durch die beschriebenen Schemata und Schemamodi bemerken Schemapädagogen lediglich Tendenzen in Hinsicht auf die eigene Person. Dies ist aber im Praxisfeld Erziehung mehr als ausreichend. Der professionelle Helfer, der sich an den Elementen und Methoden der Schemapädagogik orientiert, weiß demnach ansatzweise um die eigenen Schemata und in größerem Umfang um seine Schemamodi (Ich-Zustände) (siehe Kapitel 1.3ff.). Ebenso sind ihm berufliche(!) Situationen bewusst, die einen oder mehrere nachteilige Schemamodi bei ihm auslösen. Ein Beispiel: Es gibt wahrscheinlich zahlreiche Pädagogen, die sich etwa durch dominant auftretende Jugendliche leicht aus der Fassung bringen lassen. Vielleicht wird dadurch der Modus Selbsterhöher ausgelöst, der dazu führt, sich auf Machtkämpfe mit betreffenden Heranwachsenden einzulassen. Diese „Bereitschaft zum Konkurrieren“ seitens des Pädagogen bemerken solche Jugendliche erfahrungsgemäß sehr schnell. Mittels verschiedener Manipulationsstrategien (Tests und Psychospiele) provozieren sie aufseiten des Pädagogen immer wieder die Aktivierung des Modus Selbsterhöher. Es kommt zu einem Teufelskreis, das heißt zu Kommunikationsschleifen, die sich stets ähneln. Das Endergebnis ist dann meistens dasselbe. Schlechterdings belasten solche Interaktionsmuster die Beziehung zwischen professionellem Helfer und Zu-Erziehenden. Sollte der Schemapädagoge durch Reflexion über seinen Berufsalltag auf entsprechende Konstellationen stoßen, so bietet sich an, die eigene Schemamodus-Aktivierung zukünftig zu bemerken und bewusst zu unterdrücken. Ansonsten bleiben Kommunikations-Teufelskreise weiter bestehen. Mithilfe eines Schemamodus-Memos kann dies erreicht werden. In Bezug auf das hier skizzierte Beispiel kann die Erinnerungskarte folgendermaßen aussehen:
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Erinnerungskarte (Schemamodus Selbsterhöher) 1. Benennen einer Situation, in der der Schemamodus Selbsterhöher ausgelöst wird „Wenn einer aus der Gruppe, die ich betreue, eine flapsige Bemerkung macht.“ 2. Erkennen der aktivierten Teil-Persönlichkeit „Infolge einer „blöden Bemerkung“ kommt der Selbsterhöher-[Vorname einfügen] in mir hoch. Das hat höchstwahrscheinlich biografische Gründe, weil [Ursachen einfügen].“ 3. Anerkennen des unangepassten Denkens und Realitätsprüfung „Wenn eine flapsige Bemerkung mir gegenüber ausgesprochen wird, liegt das nicht zwingend an mir [inneren Abstand herstellen], sondern eher an den innerpsychischen Strukturen meines Gegenübers. Wahrscheinlich will er mich nur aus der Fassung bringen, um eines seiner Lebensthemen zu re-inszenieren [eventuell: projektive Identifizierung]. 4. Trennen vom alten und Festigung des neuen Verhaltens „Bisher bin ich auf solche negativen Beziehungsangebote infolge der SchemamodusAktivierung bereitwillig eingestiegen. Ich unterdrücke nunmehr die Aktivierung, da ich sonst sein Spiel mitspiele. Stattdessen überhöre ich bewusst auch mal einen blöden Spruch; oder aber ich thematisiere mit dem Betreffenden unter vier Augen auf der Sachebene seine wahre Motivation.“
Das Wissen um die eigenen Schemamodi ist im Berufsalltag sehr wichtig. Achtet der Schemapädagoge nicht auf seine innerpsychischen Muster, so kommt es im Umgang mit Zu-Erziehenden fast schon zwangsläufig zu Aktivierungen, die Kriegs- und Nebenkriegsschauplätze erschaffen. In der folgenden Tabelle sind die (in Hinsicht auf den Berufsalltag) kostenintensivsten Schemata und Schemamodi und deren potenziellen Auswirkungen skizziert: Tabelle 6: Schemata und Schemamodi im Berufsalltag Verhaltensauffälligkeiten der Fachkraft Lange warten, bis man „schwierigen“ Heranwachsenden Grenzen setzt; beziehungsweise zu wenig Grenzen setzen; viel „durchgehen“ lassen; viel Zeit außerhalb der Kernarbeit mit den ZuErziehenden verbringen
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Wahrscheinlich aktiviertes Schema Aufopferung
Fortsetzung von Tabelle 6 Verhaltensauffälligkeiten der Fachkraft Ständiges Grübeln über den Erfolg/Misserfolg des eigenen Engagements; überkritische Haltung; von sich selbst und anderen extrem viel erwarten Vermeidung von starken Emotionen und Konflikten Übertriebene Reaktionen bei eigenen Fehlern (und in Hinsicht auf andere) Ständig als „bester“ Erzieher dastehen wollen; auffällig oft das Personalpronomen „Ich“ aussprechen Bestimmte Heranwachsende „durch die Blume“ oder offen diskreditieren Sich durch Kritik schnell aus der Bahn werfen lassen; Schlafstörungen bei Konflikten am Arbeitsplatz Viele „Baustellen“ haben, um die man sich penibel kümmert; sich ständig über die „Unzulänglichkeit“ der Anderen beklagen
Wahrscheinlich aktiviertes Schema Überhöhte Standards
Emotionale Entbehrung Bestrafungsneigung Selbsterhöher-Modus
Schikanierer- und Angreifer-Modus Verletzbares Kind
Zwanghafter Kontrolleur
Bei Bedarf erstellt der Schemapädagoge ein Schema- beziehungsweise Schemamodus-Memo. Hierzu braucht es eine gute Fähigkeit zur Selbstreflexion.
3.3.4 Schemapädagogische Methodenkompetenz Neben den bis hierher beschriebenen schemaorientierten Kompetenzen berücksichtigen Schemapädagogen in der Regel auch einige spezifische Methoden. Auf diese soll im Folgenden näher eingegangen werden. Inneren Abstand herstellen können Kommt es im Berufsalltag aufseiten der Zu-Erziehenden zu Schema- beziehungsweise Schemamodus-Aktivierungen, so kann es passieren, dass der Pädagoge im Fokus der Aufmerksamkeit des Betreffenden steht.
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Das heißt, dass die Fachkraft vom Heranwachsenden als „Ursache“ der jeweiligen Aktivierung angesehen wird. Dies geschieht infolge des Mechanismus externale Kausalattribuierung. Schemapädagogen sind in der Lage, verbale (und nonverbale) Angriffe der Heranwachsenden auf bestimmte Schemamodi zu beziehen. Dies unterstützt die Herstellung einer inneren Haltung, die eher untypisch ist. Normalerweise lässt man sich etwa durch Provokationen „aus der Reserve“ locken, das heißt, man neigt zu Denk- und Verhaltensautomatismen, die nicht auf der Sachebene liegen, nicht dem Modus des Gesunden Erwachsenen entsprechen. Schemapädagogen sind demgegenüber in der Lage, in brenzligen Situationen mehr oder weniger einen „inneren Abstand“ zur Situation herzustellen. Wird dies nicht praktiziert, tendiert man leicht zu denjenigen Reaktionen, die dem gerade aktivierten Schema beziehungsweise Schemamodus des Anderen „entgegenkommt“. Die Fachkraft kann inneren Abstand unter anderem mithilfe spezifischer Formeln herstellen, die bei Bedarf ins Bewusstsein gerufen werden können, zum Beispiel:
„Er (oder sie) greift nicht mich als Person an, ich bin lediglich die Kopie des ursprünglichen Aggressors.“ „Zähle langsam bis 12!“ „Mit logischen Argumenten erreiche ich ihn (oder sie) jetzt nicht, denn der gerade aktivierte Schemamodus beeinflusst das Denken, Fühlen und Verhalten – gleichzeitig.“ „Bleib weiter auf der Sachebene, das heißt im Modus des Gesunden Erwachsenen.“ „Bleib ruhig; wenn Du Dich jetzt zu einem Gegenschlag hinreißen lässt, schüttest Du nur Öl ins Feuer.“
Schemapädagogen sind sich darüber im Klaren, dass insbesondere „schwierige“ Heranwachsende effiziente Strategien entwickelt haben, um ihr Gegenüber zu „erwünschten“ Verhaltensweisen zu zwingen. Hieraus entsteht die Notwendigkeit, in der einen oder anderen Situation (a) inneren Abstand herzustellen und (b) dem ersten Impuls zu widerstehen. Kompetenz zur Nachbeelterung Erfahrungsgemäß wird bei Kindern und Jugendlichen, mit denen man Beziehungskredit aufgebaut hat, auch einmal der Modus Verletzbares Kind aktiviert.
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Dies kann gerade kurz nach einem spannungsgeladenen „Ausraster“ passieren, besonders wenn er gegen den Schemapädagogen gerichtet war. Erleben die Betreffenden diesen Modus, wirken sie auf allen psychischen Ebenen entsprechend verletzlich, schwach, traurig usw. Sämtliche maladaptiven Schemamodi sind währenddessen inaktiv; das heißt, die psychische Abwehr ist dann temporär nicht vorhanden. Der Heranwachsende ist gewissermaßen schutzlos. In solchen Situationen ist der Schemapädagoge nicht und niemals nachtragend, belehrend oder Ähnliches; sondern er praktiziert authentisch das Prinzip Nachbeelterung. Das heißt, die Fachkraft geht auf den Betreffenden ein, tröstet ihn, „baut“ ihn wieder auf. Hierzu sind keine großen Phrasen vonnöten, sondern ausschließlich Empathie, Kongruenz und Akzeptanz. So ein Geschehen sieht von außen betrachtet häufig so aus, als würde ein Elternteil ein Kleinkind trösten. Interessanterweise finden in den Beteiligten gerade solche psychischen Prozesse statt. Durch die Praxis der Nachbeelterung lernen Zu-Erziehende, vor allem „schwierige“, dass sie als Person trotz ihrer „Unzulänglichkeit“ wertgeschätzt werden. Solche Momente sind unglaublich wertvoll, da sie direkt auf die Gehirnstruktur des Heranwachsenden einwirken, und zwar positiv. Der Grund: Vor allem Erfahrungen, die mit starken Emotionen einhergehen, prägen sich neuronal ein. Auf diese Weise lassen sich nachteilige innerpsychische Muster verändern, emotionale, kognitive und motivationale. Das Wissen um diesen Mechanismus bestärkt den Schemapädagogen auch bei der Herstellung einer professionellen inneren Haltung (siehe Kapitel 3.3.4). Modell sein für den Modus des Gesunden Erwachsenen Der Schemapädagoge ist für die Zu-Erziehenden ein Modell für den Modus des Gesunden Erwachsenen. Entsprechend organisiert und kontrolliert er vor allem seine maladaptiven Schemamodi im Berufsalltag. Dies führt zu folgenden Phänomenen:
Der Schemapädagoge stellt ein auf den Zu-Erziehenden zugeschnittenes (dynamisches) Verhältnis zwischen Nähe und Distanz her. Schema- und Schemamodi-Aktivierungen werden bemerkt und unterdrückt. Er ist in der Lage, Zu-Erziehende empathisch mit den Kosten von verschiedenen Verhaltensweisen zu konfrontieren.
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4. Schemapädagogik im Praxisfeld Erziehung
Im Folgenden werden die Möglichkeiten und Methoden der Schematherapie und Klärungsorientierten Psychotherapie im Praxisfeld Erziehung konkret dargestellt. Schwerpunktmäßig geht es, vor allem im Rahmen der Frühförderung, um Prävention von maladaptiven Schemata und -modi; ab dem Kindergartenalter und darüber hinaus spielt auch die bewusste Reduktion von nachteiligen Interaktionsmustern seitens der Zu-Erziehenden eine Rolle. Folgende Arbeitsfelder werden fokussiert:
Krippe, Kindergarten, Hort, Heimerziehung, Offene Kinder- und Jugendarbeit und Kinder- und Jugendpsychiatrie.
In Hinsicht auf die Arbeitsfelder werden die entwicklungspsychologischen Voraussetzungen der Zu-Erziehenden berücksichtigt. Prinzipiell kann in allen genannten Arbeitsfeldern schemaorientiert interveniert werden. In der Krippe und im Kindergarten ist vor allem die komplementäre Beziehungsgestaltung relevant. Die Erkenntnisse der Bindungs- und Hirnforschung (siehe Kapitel 1.5) untermauen die Überzeugung, dass soziale Bindung, Motorik und die Ausbildung von förderlichen Selbst- und Fremdschemata die wichtigsten Entwicklungsaufgaben sind. Im Arbeitsfeld Hort können darüber hinaus die Schemamodi der ZuErziehenden thematisiert und gemeinsam bearbeitet werden. Dies gilt auch die Bereiche Offene Kinder- und Jugendarbeit sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie. Der Ablauf einer „typischen“ Schemapädagogik ist in folgendem Kasten skizziert:
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Grundsätzlicher Ablauf: 1.
2.
3.
4.
5.
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Allgemeiner und komplementärer Beziehungsaufbau. – Die Fachkraft offenbart Empathie, Kongruenz, Akzeptanz und legt Wert auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Heranwachsenden. Sie unterstützt die Förderung der Sozial- und Personalkompetenz und die Emotionsregulation. Professionell geht sie mit Tests, Appellen und Psychospielen und. Der Pädagoge ist Modell für den Modus des Gesunden Erwachsenen. Nachbeelterung und empathische Grenzsetzung. – Wird aufseiten des ZuErziehenden der Modus Verletzbares Kind aktiviert, erfährt er vom professionellen Helfer Unterstützung und Toleranz. Empathisch werden auch Grenzen gesetzt, das heißt, problematisches Verhalten wird als solches verbalisiert und kritisiert. In Hinsicht auf die Gegenübertragung achtet der Pädagoge auf seine eigenen Schema- beziehungsweise Schemamodi-Aktivierungen. Problemklärung. Verhaltensauffälligkeiten von Heranwachsenden, die häufig in Kombination gezeigt werden, werden von Schemapädagogen auf spezifische Schemamodi bezogen. Sobald aufseiten des Zu-Erziehenden der Modus des Gesunden Erwachsenen aktiviert ist, werden die Schemamodi gemeinsam thematisiert. Man vereinbart zusammen einen „Arbeitsbegriff“ für den kostenintensivsten Schemamodus, etwa „Agro-Thorsten“. Die kognitive Reife des Heranwachsenden bestimmt die Komplexität der Gespräche. Ziel ist außerdem die Reduktion der externalen Kausalattribuierung („Der Andere war schuld – nicht ich!“). Unterstützung beim Transfer der erarbeiteten Lösungen in den Alltag. Nachdem sich der Heranwachsende über seine kostenintensive Teil-Persönlichkeit bewusst geworden ist, wird gemeinsam an Verhaltensänderungen gefeilt. Hierzu werden verschiedene kognitive Interventionen praktiziert, etwa die SchemamodusReflexion („Na, war der Agro-Thorsten die Tage mal wieder aktiv?“) und vor allem das Schemamodus-Memo. Der Schemapädagoge verstärkt erwünschtes Verhalten positiv, insbesondere durch Lob und Anerkennung. Dies führt aufseiten des ZuErziehenden aufgrund des vorherrschenden Beziehungskredits zur Ausschüttung von Glückshormonen und somit zur Festigung des neuen Verhaltens. Vermittlung des Schema- beziehungsweise Schemamodus-Modells. Sind hohes Reflexionsvermögen und Interesse aufseiten des Jugendlichen vorhanden, so kann der Schemapädagoge auch die Möglichkeit erwägen, ihm das Schema- beziehungsweise Schemamodus-Modell zu erklären. Dies stärkt den Modus des Gesunder Erwachsenen. Doch erfahrungsgemäß machen nur sehr wenige Jugendliche von Schritt 5 Gebrauch.
4.1 Krippe Verena ist acht Monate alt und ein sehr agiles Kleinkind. Sie ist seit 12 Wochen Mitglied der Krabbelgruppe. Die Eingewöhnungszeit betrug zwei Wochen und verlief weitgehend ohne Auffälligkeiten. Die Trennungen von der Mutter wurden recht gut verarbeitet. Ihre Bezugserzieherin Christina, 21, erlebt die Beziehung als sehr persönlich und vertraut. Dies zeigt sich zum Beispiel anhand des häufigen Blickkontakts und den nonverbalen und verbalen Dialogen, die beide miteinander führen. Beim Wechseln der Windeln wird ausgiebig kommuniziert und gelacht, Verena liebt das „Kuckuck“-Spiel. Christina legt viel Wert darauf, dass sie die positiven Emotionen, die Verena offenbart, sprachlich und nicht-verbal zurückspiegelt. Die Kleine erforscht ihre Umgebung mit allen Sinnen, ihr „Forscherdrang“ führt sie in alle Ecken des Gruppenraums, über Matratzen und Podeste. Immer mal wieder suchen ihre Augen Christina. Sobald Verena einmal weint (wenn sie sich leicht verletzt) oder schreit (weil sie Hunger hat), kümmert sich Christina zeitnah – nicht automatisch – um die Kleine. Sie nimmt dann Blickkontakt auf und versucht sie zu beruhigen – was ihr meistens gelingt. Maria, zweieinhalb Jahre alt, besucht dieselbe Einrichtung. Sie kann schon recht sicher stehen und laufen – weshalb sie in der Laufgruppe ist. Maria ist in Hinsicht auf ihr Alter entwicklungsspezifisch frühreif. Aus der Gruppe sticht sie aber nicht nur deshalb heraus. Beim gemeinsamen Essen kommt es öfter vor, dass die Kleine ihrer Tischnachbarin mit jedem Gegenstand in Reichweite auf den Kopf schlägt. Ein weiteres Hobby scheint es zu sein, den anderen Zu-Erziehenden Spielsachen aus den Händen zu reißen.
Allgemeines Die Sozialpädagogik hat unter anderem die Aufgabe, die Familienerziehung zu unterstützen beziehungsweise zu ergänzen (MORGENSTERN 2006, 16ff.). Bereits im Arbeitsfeld Krippe existiert ein Betreuungs-, Bildungs- und Erziehungsauftrag. Das war nicht immer so. Lange Zeit wurde die pädagogische Arbeit als zweitrangig betrachtet (VOGELSBERGER 2002, 35ff.). Theoretiker und Praktiker nahmen an, Kleinkinder müssten „nur“ gepflegt und versorgt werden. Entsprechend arbeitete über Jahrzehnte hinweg eher pflegerisch ausgebildetes Personal in Krippen als pädagogisch geschultes. In den 1970er Jahren gab es erste Bestrebungen, die Krippe als sozialpädagogische Einrichtung zu definieren. Angeregt wurde dieser Trend von der Kleinkind-, Bindungs- und vor allem Hirnforschung. Es zeigte sich, dass Babys schon ab der Geburt kompetent eigene Lernbestrebungen vorantreiben. Das heißt, Kleinkinder bringen – unter optimalen Bedingungen – enorme Entwicklungsleistungen auf (hierfür müssen sie entsprechend viele Anregungen vorfinden).
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Infolgedessen hat das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) vor einigen Jahren den eigenständigen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag auf die Institutionen der Unter-Dreijährigen ausgeweitet. Krippen sind in der Regel Einrichtungen für die Unter-Dreijährigen mit einer familienergänzenden Ausrichtung. In der Regel werden Babys ab einem Alter von acht Wochen pädagogisch betreut (VOGELSBERGER 2006a, 239f.). Es werden überwiegend Kleinkinder aufgenommen, deren Eltern die Betreuung nicht übernehmen können, zumeist aus beruflichen oder familiären Gründen. Es gibt sogenannte Liege-, Krabbel- und Laufgruppen. Aus dieser Dreiteilung ergeben sich auch spezifische pädagogische Aufgaben. Eine „gute“ Krippe hat eine besondere Ausstattung. Hierzu gehören kindgerechte Räume, anregungsreiche Spielmaterialien und eben eine professionelle sozialpädagogische Betreuung. In Krippen findet neben den erwähnten Praktiken auch Frühförderung auf mehreren Ebenen statt. Relevant sind unter anderem die Bereiche: Motorik, Sprache, Spiel, sozial-emotionale Entwicklung, Bindung. In folgender Tabelle sind die einzelnen Bereiche sowie Möglichkeiten zur Förderung aufgeführt (nach HAUG-SCHNABEL & BENSEL 2007 und GERNER & ECKELMANN 2009): Tabelle 7: Entwicklungsbereiche und -aufgaben Bereich Motorik. Babys unter drei Monaten liegen anfangs noch auf dem Rücken. Erst zwischen dem 5. und 7. Monat beginnt die selbstständige Bewegungsentwicklung. Kinder drehen sich dann vom Rücken auf den Bauch und wieder zurück. Weitere Fähigkeiten werden entwickelt: Wälzen, Robben, Wippen, Krabbeln usw. Sprache. Bereits mit fünf bis sechs Monaten üben Kinder spielerisch diverse Sprachlaute (sogenannte Lall-Phase). In Hinsicht auf die Sprachentwicklung ist der Gesichtsausdruck, den die Bezugsperson infolge der geäußerten Sprachlaute zeigt, hoch relevant.
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Möglichkeiten zur Förderung Die Erzieherin begrüßt und fördert stets die vorhandene Bewegungsfreude. Dadurch erhält der Zu-Erziehende ein positives Feedback. Mit Spaß wird er weitere motorische Herausforderungen annehmen. Die Entwicklung eines kindlichen Körperbewusstseins wird durch solche Interventionen unterstützt. Die Bezugs-Erzieherin reagiert mit ausgeprägter Mimik auf die Sprechversuche des Säuglings und gibt ein positives Feedback (positive Verstärkung durch Nicken, Anheben der Augenbrauen, Lächeln und Wiederholungen).
Fortsetzung von Tabelle 7 Spiel. Im zweiten Lebensjahr nimmt das Spiel komplexere Strukturen an. Hierbei wird auch der Umgang mit Objekten erlernt (Gegenstände aufeinander stellen oder ineinander stecken usw.). Nach den Erkenntnissen der Bindungstheorie dient das Spiel dem Heranwachsenden dazu, „spielerisch“ die Welt zu erkunden. Sozial-emotionale Entwicklung. Babys sind „von Kopf bis Fuß“ und mit allen Sinnen auf sozialen Kontakt eingestellt. Das soziale Umfeld sollte diesem Bestreben konkret entgegenkommen.
Bindung. Ein Säugling kann zu mehreren Personen eine Bindung aufbauen. Eine sichere Bindung dient als Grundlage einer förderlichen Persönlichkeitsentwicklung.
Je nach Alter regt die Erzieherin das kindliche Spiel an. Im ersten Lebensjahr geht es um den Aufbau einer Spiel-Umgebung. Schon vor dem zweiten Lebensjahr kann das Spiel durch die Darbietung von Objekten angeregt werden (Ball, Rassel, Pfeifen und andere Spielgegenstände).
Die Erzieherin reagiert sensibel und einfühlsam auf die Kontaktversuche des Säuglings (Blicke, Schreien usw.). Sie ist Vorbild für Emotionsregulation. Mithilfe der Erzieherin wird der Säugling schrittweise fähig, seine Emotionen zu kanalisieren. Sie spiegelt die positive Mimik und Gestik des Säuglings zurück, was zum Aufbau von Spiegelneuronen seitens des Kindes beiträgt. Die Erzieherin wirkt beruhigend auf den Säugling ein, wenn er Symptome von Stress offenbart. Sie ist und bleibt „verfügbar“. Dies sichert die Bewältigung verschiedener Entwicklungsaufgaben.
Neurobiologische Voraussetzungen und die sich daraus ergebenden Aufgaben für Schemapädagogen Das Krippenalter ist in Bezug auf das Schemamodell eine der wichtigsten Entwicklungsphasen überhaupt. Kommt das Kind in eine Krippe, befindet sich sein Gehirn noch in der „Rohbauphase“, in der die „Feinverdrahtung“ noch stattfindet. Der Heranwachsende ist überwiegend „emotional offen“ für soziale Lernprozesse. Die Großhirnrinde entwickelt sich erst in den ersten Lebensjahren, durch Wahrnehmung und Erfahrungen wird sie geformt. Andererseits sind die emotionalen Zentren, etwa das limbische System, im Krippenalter bereits voll funktionsfähig (ROEDIGER 2009b, 23ff.). Sämtliche Erfahrungen, die einhergehen mit starken emotionalen Prozessen, werden infolgedessen zu „Fußabdrücken“ (Gedächtnisspuren) im Gehirn. Sie werden im sogenannten impliziten Gedächtnis abgespeichert. Dies ist wahr-
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scheinlich auch der Ort, an dem sich klassische und operante Konditionierungsund Gewöhnungsprozesse neuronal niederschlagen. Erst ab dem 3. Lebensjahr werden Erlebnisse im sprachlich zugänglichen, expliziten Gedächtnis abgespeichert; dann erst existieren die dafür notwendigen Hirnareale. Erlebt der Zu-Erziehende in den ersten Lebensmonaten und -jahren häufig bestimmte, sich ähnelnde Situationen, so werden dabei immer wieder dieselben Nervenzellenverbände aktiviert. Mentale Muster können so entstehen und sich neuronal „einspuren“. „Gute“ wie nachteilige Muster können unter Umständen ein Leben lang wirksam sein und die Beziehung zu sich selbst und zu anderen beeinflussen. Da auch die Netzwerke der Emotionsregulation vor allem in den ersten drei Lebensjahren durch emotionale relevante Erfahrungen geprägt werden, ist die Bedeutung der Arbeit, die der Schemapädagoge in der Krippe leistet, nicht hoch genug einzuschätzen. Er kann einen förderlichen Beitrag in Hinsicht auf die Persönlichkeitsentwicklung leisten, der aufseiten des Zu-Erziehenden ein Leben lang „im Gehirn“ bestehen bleibt. Denn der Heranwachsende wird später einmal auf der Grundlage der sozialen Erfahrungen, die sich neuronal niedergeschlagen haben, sein „soziales Weltbild“ konstruieren. Dies gilt im Guten wie im Schlechten. Je mehr negative soziale Erfahrungen gemacht werden, desto negativer fallen die Schemata aus, die sich infolgedessen entwickeln. Hieraus ergeben sich wichtige Folgen in Hinsicht auf den Umgang mit ZuErziehenden im Arbeitsfeld Krippe: 1. 2.
3. 4. 5. 6. 7.
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Der Schemapädagoge ist im Umgang mit dem Kleinkind ein „gutes“ Modell für Emotionsregulation. Auf heftige (negative) Emotionsausbrüche wirkt er beruhigend, mitfühlend und souverän ein. Diese „emotionale Kommunikation“ fördert die Emotionsregulation aufseiten des Zu-Erziehenden (SCHORE 2007). Er sorgt für die zeitnahe Befriedigung der kindlichen Bedürfnisse, sobald sie angemeldet werden. Er fördert das Spielbedürfnis des Kindes. Er unterstützt die Explorationsversuche des Babys (es hat einen fast unbegrenzten „Forscherdrang“). Er steckt den Zu-Erziehenden in vielen emotionalen Situationen durch entsprechende Mimik und Gestik positiv an. Er versucht, extreme Amygdala-Aktivierungen seitens des Säuglings zu vermeiden.
8. 9.
Er unterstützt aktiv die Entwicklung des sogenannten Ur-Vertrauens. Das Kleinkind darf ausgiebig dem Prinzip „learning by doing“ frönen.
Eigene Schemata und Schemamodi wahrnehmen Die Bindungsforschung legt unter anderem die Schlussfolgerung nahe, dass Erwachsene manchmal dazu neigen, die eigenen frühkindlichen Erziehungserfahrungen in Hinsicht auf den Umgang mit anderen Heranwachsenden zu reinszenieren. Sie behandeln dann das Menschenkind so, wie sie selbst behandelt wurden, in allen Facetten. In Bezug auf die Schemapädagogik heißt das: In der Arbeit mit Kindern kann es zur Auslösung von eigenen Schemata und -modi kommen. Schemapädagogen nehmen entsprechende Aktivierungen wahr und kontrollieren Schema-getriebenes Denken und Verhalten. Denn: Wird Achtsamkeit in Hinsicht auf die innerpsychischen Prozesse vernachlässigt, kommt es leicht zu Verhaltensweisen, die sich auf Persönlichkeitsentwicklung des ZuErziehenden nachteilig auswirken können. Dieser Punkt, der so gut wie nie Gegenstand von pädagogischen Reflexionen ist, soll anhand von drei Beispielen verdeutlicht werden:
Offenbaren professionelle Helfer in der Krippe etwa das Schema Aufopferung, kann es sein, dass sie die Entwicklung des Zu-Erziehenden durch zu viel „Unterstützung“ und Nähe geradezu „ersticken“. Betreffende reagieren dann in strenger Gesetzmäßigkeit auf jede Äußerung des Säuglings, und zwar meistens mit der Aufnahme von verbalem oder nonverbalem Kontakt. Man will (zu) häufig schauen, „ob noch alles in Ordnung ist“. Die Schema-getriebene Perspektive ist meistens defizitär ausgerichtet. Das heißt, Betreffende stellen sich im Falle einer Aktivierung mehrmals am Tag die Fragen: Was für ein Problem hat er/sie? Was kann ich tun, um ihm/ihr zu helfen? Durch das daraus resultierende „entgegenkommende“ Verhalten „lernt“ der Zu-Erziehende „nur“, dass (a) es normal ist, dass immer jemand in der Nähe ist und (b) auf alle Äußerungen fürsorglich reagiert wird. Unter Umständen entstehen durch eine solche einseitige Pädagogik aufseiten des Heranwachsenden geradewegs die Schemata Abhängigkeit/Dependenz und Anspruchshaltung/Grandiosität. Liegt andererseits etwa das Muster Emotionale Entbehrung vor, neigen betreffende Erzieherinnen und Erzieher zur Vernachlässigung der „emotionalen Kommunikation“. Sie spiegeln die positiven Emotionen des Kindes nicht oder nur unzureichend. Der Zu-Erziehende bekommt dadurch
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zu wenig Feedback. Auf der anderen Seite fehlen naturgemäß Empathie, Streicheleinheiten und Humor. So gesehen trägt das Schema Emotionale Entbehrung aufseiten des Zu-Erziehenden eventuell zu einer Verkümmerung der Spiegelneuronen bei beziehungsweise zu einer Entwicklung desselben innerpsychischen Musters. Die Folgen des Schemas Überhöhte Standards können ebenfalls sehr negativ ausfallen. Betreffende Helfer haben im Falle einer Aktivierung ebenfalls eine eher defizitäre Wahrnehmung des Säuglings. Sie vergleichen etwa seinen Entwicklungsstand mit Tabellen der Entwicklungspsychologie. Man kommt dann schnell zu dem Schluss: In manchen Bereichen sind „wichtige“ Entwicklungsschritte ausgeblieben. Diese Erkenntnis sorgt für Missstimmung. Andererseits wird wohl oder übel die Förderung der sozial-emotionalen Entwicklung vernachlässigt.
Anhand dieser Beispiele wird schnell klar, wie wichtig es ist, die Aufmerksamkeit auch auf die eigenen Schemata- und -modi-Aktivierungen zu lenken. Es muss immer klar sein: Gerade im Krippenalter sind die Zu-Erziehenden sehr „anfällig“ für äußere Einflüsse, die sich im Falle eines häufigen Auftretens auch im Gehirn neuronal einspuren. Komplementäre Beziehungsgestaltung Werden Babys in eine Krippe aufgenommen, kommt es trotz der üblicherweise praktizierten Eingewöhnungszeit zu Trennungsschmerz und Trauer. Ein populäres Phänomen. Um schnellstmögliche Gewöhnung herbeizuführen, dient eine komplementäre Beziehungsgestaltung. Das heißt, der Pädagoge passt sich bewusst an die Bedürfnisebene des Zu-Erziehenden an. Im Arbeitsfeld Krippe gestaltet sich die Bedürfnis-Diagnose erfreulicherweise als sehr einfach. Da die Heranwachsenden überwiegend „nur“ Hirnstrukturen aufweisen, die für emotionale und nicht für kognitive Prozesse zuständig sind, agieren sie auch nur auf der emotionalen Ebene – und somit kommunizieren sie authentisch. Das Motivsystem ist damit gänzlich implizit verortet. In den anderen Arbeitsfeldern (siehe unten) ist dies aus entwicklungsspezifischen Gründen nicht mehr der Fall. Ab dem Kindergarten „aufwärts“ kommt es aufgrund des Vorliegens des Ich-Bewusstseins und des expliziten Motivsystems schon zu Psychospielen, Tests, maladaptiven Schemamodi usw. Im Arbeitsfeld Krippe steht eine „ausgewogene“ Bedürfnisbefriedigung im Vordergrund. Ziel ist die Prävention von maladaptiven Schemata und -modi.
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Vor dem Hintergrund des Schemamodells sind vor allem folgende Grundbedürfnisse relevant (ARNTZ & VAN GENDEREN 2010, 8):
Sicherheit: Kinder sollten das Gefühl haben, dass ihre Bezugsperson bei Bedarf verfügbar ist; das heißt, Trost spendet, Nahrung verabreicht, mit ihnen schmust usw. Diese Art der Fürsorge ermöglicht Entwicklung und Entfaltung. Außerdem dient sie der Prävention von maladaptiven Schemata sowie der Relativierung von negativen familiären Erziehungseinflüssen. Die professionelle Fachkraft kann dahingehend viel Positives bewirken, insofern sie eine sichere Bindung zum betreffenden Kind hergestellt hat. Verbundenheit: Heranwachsende brauchen, darauf deutet vieles hin, eine Bezugsperson, mit der sie ihre Gefühle und Erfahrungen teilen können (im Arbeitsfeld Krippe: vor allem auf emotionaler Ebene). Schemapädagogen bemühen sich entsprechend um die verbale und nonverbale Spiegelung von Emotionen, die vom Zu-Erziehenden offenbart werden. Autonomie: Parallel zum Streben, eine sichere Bindung zu erleben, besteht auch das Bedürfnis, die Welt zu entdecken, sprich: zu lernen. Dieses Unternehmen wird alleine angegangen. Entsprechend muss in der Erziehung auch Freiraum für Autonomie geschaffen werden. Selbstachtung: Ein zentrales Bedürfnis von Heranwachsenden – da werden Pädagogen aller Couleur zustimmen – ist Anerkennung. Schon im Krippenalter macht es daher Sinn, bei manchen Aktionen des Zu-Erziehenden positive Rückmeldung zu geben, etwa beim ersten erfolgreichen Greif-, Krabbel-, Stehversuch oder Ähnliches. Eine „enthusiastische“ Reaktion, authentisch vorgetragen, fördert das „Ich“. Verbunden mit einer positiven Mimik und Gestik trägt Lob und Anerkennung zum Aufbau eines positiven Selbstbildes bei. Freiheit, sich mitzuteilen: In den ersten drei Lebensjahren kommt es zu zahllosen emotionalen Äußerungen des Zu-Erziehenden. Es hat wahrscheinlich lebenslange Auswirkungen für ihn, wie das pädagogische Personal mit ihnen umgeht. Prinzipiell lässt der Schemapädagoge sämtliche Bekundungen zu. Er lässt Zu-Erziehende auch mal eine kurze Zeit schreien (und zählt dabei innerlich bis zehn). Entsprechende Äußerungen werden vom professionellen Helfer nicht automatisch „erstickt“. Realistische Grenzen: Sobald die Entwicklung der „höheren“ Hirnareale schwerpunktmäßig relevant wird (etwa im dritten Lebensjahr), realisiert der Schemapädagoge parallel zur Beziehungsarbeit eine „empathische Philosophie der Grenzsetzung“. Das heißt, er fördert gezielt die Emotions-
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regulation des Zu-Erziehenden, einerseits durch seine Rolle als Vorbild, andererseits durch praktische (konfrontative) Interventionen. Er weiß: Kleinkinder sollten entsprechend lernen, mit Frustrationen umzugehen. Natürlich spielt auch beim Thema Befriedigung der Bedürfnisse das Temperament des Zu-Erziehenden eine große Rolle. Manche Zu-Erziehende sind extrovertierter, emotionaler als andere. Das heißt, bei manchen Kindern fällt die Bedürfnisbefriedigung „leichter“. Andere lösen eventuell bei der Fachkraft bestimmte innerpsychische Muster aus, die die Interaktion beeinflussen. Solche Prozesse müssen bemerkt und kontrolliert werden. Denn die Verantwortung, die die professionellen Helfer im Arbeitsfeld Krippe übertragen bekommen, ist eine sehr große. Schemapädagogen behalten stets im Hinterkopf, dass die sozialen Erfahrungen in den ersten Lebensjahren im Zusammenspiel mit dem Temperament maßgeblich die Gehirn- und somit die Persönlichkeitsentwicklung prägen. Es macht daher auch Sinn, die Interaktion zwischen Mutter und Kind zu beobachten, etwa in der „Bring-Zeit“. Wie in Kapitel 1.5 beschrieben, lassen sich verschiedene Bindungsstile zügig diagnostizieren und kategorisieren. In Hinsicht auf die „ungünstigen“ Stile (unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent und desorganisiert) bieten sich spezielle Interventionen an. Die Fachkraft kann bei Bedarf positiv intervenieren, besonders dann, wenn sie eine sichere Bindung zum Zu-Erziehenden aufgebaut hat. Anzeichen einer sicheren Bindung zum Bezugskind sind (HAUGSCHNABEL & BENSEL 2009, 60):
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Das Kind lässt sich vom Schemapädagogen beim oder nach dem Abschied von der Mutter schnell trösten. Der Heranwachsende geht gerne in die Einrichtung. Er lässt sich bereitwillig von der Bezugserzieherin wickeln oder auf der Toilette versorgen. Im Beisein der Erzieherin spielt das Kind und exploriert die Umwelt. Der Säugling/das Kleinkind lässt sich schnell von der Bezugserzieherin emotional positiv anstecken. Die Bezugsperson ist in der Einrichtung der wichtigste Ansprechpartner für das Kind.
Problemaktualisierung Bekanntermaßen erleben auch Krippenkinder untereinander Konflikte. Schnell kommt es dann zur Auslösung verschiedener Kind-Modi. Besonders der Modus Ärgerliches (beziehungsweise Wütendes) Kind ist dann relevant. Infolge einer Auslösung schlagen Heranwachsende um sich, schreien auf oder brüllen zornig. Diese Verhaltensweisen gelten als ganz natürliche Reaktionsformen. Säuglinge und Kleinkinder reagieren meistens aggressiv, wenn sie Verlassenheitsängste spüren, sich erschrecken, auf einen attraktiven Gegenstand verzichten müssen oder bei einer Aktion gestört werden (HAUG-SCHNABEL 2009). Im Krippenalltag kommt das Kind mit anderen Heranwachsenden in Kontakt, und das ist selbstverständlich auch pädagogisch sinnvoll. Der Säugling/das Kleinkind liegt neben anderen, spielt neben oder mit anderen Heranwachsenden. Wichtig: Soziale Kompetenzen müssen ebenso schrittweise erlernt werden wie auch die Fähigkeit, in einer Gruppe zurechtzukommen. Da in der Regel diese Fähigkeiten zunächst fehlen, kommt es unvermeidlich zu Konflikten. Ergibt sich eine Konfliktsituation zwischen Krippenkindern, interveniert der Schemapädagoge – wenn nötig. Er offenbart dabei stets den Modus des Gesunden Erwachsenen und zeigt entsprechend die Kompetenz zur Emotionsregulation, zum Einfühlungsvermögen und zur Toleranz. Aufgrund der „emotionalen Wichtigkeit“ seiner Person, die vor allem durch eine häufig praktizierte komplementäre Beziehungsgestaltung zustande kommt, wirkt er als „gutes Modell“ für Impulskontrolle bei zwischenmenschlichen Unstimmigkeiten. Er löst Probleme souverän und bedacht. Nach und nach müssen Kinder befähigt werden, Konflikte selbst und vor allem konstruktiv zu lösen. Entsprechende Strategien werden infolge der positiven (und negativen) Emotionen, die in Konfliktsituationen aktiviert werden, in impliziten Gedächtniskomponenten abgespeichert. Sie bleiben dann ein Leben lang existent und sorgen dafür, dass auch zukünftige Probleme im Durchschnitt konstruktiv gelöst werden können. Die Forschung hat gezeigt (HAUG-SCHNABEL 2009): Kleinkinder können lernen, Konflikte zu bewältigen, Gefühle wahrnehmen, auszudrücken beziehungsweise zu steuern. Der Schemapädagoge unterstützt die Ausprägung dieser Kompetenzen. Schemapädagogik in der Elternarbeit Dass die ersten drei Lebensjahre in Hinsicht auf die Persönlichkeitsentwicklung immens wichtig, ja geradezu fundamental relevant sind, was vor allem durch die Hirn- und Bindungsforschung belegt wird, ist eine Erkenntnis, die noch nicht
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sehr alt ist. Sie wurde zwar in die Arbeitsfelder Krippe und Kindergarten hineingetragen, nicht aber in die Elternarbeit integriert. Erfahrungsgemäß sind Eltern, lapidar gesagt, keine „Experten“ in den genannten Themen. Daher bietet sich an, in Hinsicht auf die Förderung der Fachkompetenz von Eltern aktiv zu werden. Im Rahmen der üblichen Einführungselternabende etwa können – didaktisch reduziert – die Elemente des Schemamodells und die Grundlagen – Neurobiologie und Hirnforschung – vermittelt werden (entsprechende Materialien, etwa Power-Point-Präsentationen, können kostenlos im Internet bezogen werden: www.schemapädagogik.de). Nach der Erfahrung des Autors erweckt alleine das Thema schnell Interesse bei vielen Eltern. Es muss selbstverständlich darauf geachtet werden, dass aufseiten der Eltern nicht der Eindruck entsteht, dass ihre Erziehungsmethoden infrage gestellt werden. Auf eine entsprechend „neutrale“ Ausrichtung ist daher zu achten. Vertieft werden kann das Thema auch an „normalen“ Elternabenden oder in Elterngruppen. Ein anderes Medium ist eine Info-Broschüre zum Thema (ebenfalls im Internet unter oben genannter Adresse kostenlos erhältlich). Die Broschüren können etwa auch in der Kindertagesstätte ausgelegt werden. Deutung der Ausgangsfälle und schemapädagogische Interventionen Verena ist elf Monate alt und ein sehr agiles Kleinkind. Sie ist seit vier Wochen Mitglied in der „Krabbelgruppe“. Die Eingewöhnungszeit betrug zwei Wochen und verlief weitgehend ohne Auffälligkeiten. Ihre Bezugserzieherin Christina, 21, erlebt die Beziehung als sehr persönlich und vertraut. Dies zeigt sich zum Beispiel anhand des häufigen Blickkontakts und den nonverbalen und verbalen Dialogen, die beide miteinander führen (komplementäre Beziehungsgestaltung). Beim Wechseln der Windeln wird ausgiebig kommuniziert und gelacht (Modus Glückliches Kind), Verena liebt das „Kuckuck“-Spiel (komplementäre Beziehungsgestaltung). Christina legt viel Wert darauf, dass sie die positiven Emotionen, die Verena offenbart, sprachlich und nicht-verbal zurückspiegelt (Förderung der Spiegelneuronen-Entwicklung). Die Kleine erforscht ihre Umgebung mit allen Sinnen, ihr „Forscherdrang“ führt sie in alle Ecken des Gruppenraums, über Matratzen und Podeste. Dann und wann versucht sie, Blickkontakt zu Christina herzustellen. Sobald die Erzieherin einige positive Signale sendet, kehrt Verena wieder zu ihrem Spiel zurück. Wenn Verena einmal weint (wenn sie sich leicht verletzt) oder schreit (weil sie Hunger hat), kümmert sich Christina zeitnah – nicht automatisch – um die Kleine (komplementäre Beziehungsgestaltung). Sie nimmt dann Blickkontakt auf und versucht sie zu beruhigen – was ihr meistens gelingt.
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Es spricht sehr viel dafür, dass hier eine sichere Bindung vorliegt. Die Erzieherin baut gezielt Vertrauen auf und bleibt im Berufsalltag „verfügbar“. Schemata und Schemamodi-Aktivierungen sind nicht ersichtlich beziehungsweise werden von der professionellen Fachkraft kontrolliert. Ein wichtiger Punkt: Die Erzieherin unterstützt das Spiel- beziehungsweise Explorationsbedürfnis der Kleinen. Maria, zweieinhalb Jahre alt, besucht dieselbe Einrichtung. Sie kann schon recht sicher stehen und laufen – weshalb sie in der „Laufgruppe“ ist. Maria ist in Hinsicht auf ihr Alter entwicklungsspezifisch frühreif. Aus der Gruppe sticht sie aber nicht nur deshalb heraus. Beim gemeinsamen Essen kommt es öfter vor, dass die Kleine ihrer Tischnachbarin mit jedem Gegenstand in Reichweite auf den Kopf schlägt (Schikanierer- und Angreifer-Modus). Ein weiteres Hobby scheint es zu sein, den anderen Zu-Erziehenden Spielsachen aus den Händen zu reißen (Modus Ärgerliches beziehungsweise Wütendes Kind). Maria kann im Unterschied zu Verena zwischen „Ich“ und „den Anderen“ unterscheiden. Das Ich-Bewusstsein entsteht im Durchschnitt mit eineinhalb Jahren (ROTH 2001, 385). Dann erleben sich Zu-Erziehende als eigen-willige Wesen. In dieser Phase öffnet sich ein neuronales „Fenster“; dieses ermöglicht es dem Menschen, ein soziales Wesen zu werden. Hierzu bedarf es der Einwirkung eines Erwachsenen. In Bezug auf Maria scheint dies dringend notwendig zu sein. Ihre Verhaltensweisen – andere schlagen und Spielsachen an sich zu reißen – lassen sich mit den oben genannten Schemamodi in Verbindung bringen. Falls diese Verhaltensweisen häufig offenbart werden, muss die Erzieherin intervenieren, am besten in entsprechenden Situationen, in denen es zu den erwähnten Schemamodi-Aktivierungen kommt. Im ersten Fall (Schikanierer- und Angreifer-Modus) kann Marias Bezugserzieherin, selbst im Modus des Gesunden Erwachsenen, mit einem entschiedenen „Nein!“ dazwischen gehen. Wenn sie ausreichend Beziehungskredit durch eine komplementäre Beziehungsgestaltung hergestellt hat, wirkt eine solche Intervention erfahrungsgemäß. Sie kann geknüpft sein an eine anschließende „Ruhepause“ (das Kleinkind aus der Gruppe nehmen und im Beisein der Erzieherin in einem anderen Raum zur Ruhe kommen lassen). Im anderen Fall (Modus Ärgerliches beziehungsweise Wütendes Kind) klärt der Schemapädagoge die Situation und vermittelt zwischen den beiden Kindern, wobei die geltenden Regeln in der Kita im Modus des Gesunden Erwachsenen reflektiert werden. Positiv verstärkt werden entsprechend sozial erwünschte Verhaltensweisen durch authentisches Lob und Anerkennung.
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4.2 Kindergarten Der kleine Aaron, 5, ist in seiner Gruppe ein Außenseiter. Sein einziger (gleichaltriger) Spielkamerad Marcel spielt ebenfalls die Außenseiterrolle. Es kommt vor, dass andere Kinder ihnen übel mitspielen, sie triezen. Sie wehren sich nicht und begeben sich dadurch in die Opferrolle. Beim morgendlichen Stuhlkreis sind sie still, und die Erzieherin kann sie nur sehr schwer dazu motivieren, sich verbal zu beteiligen. Sandra, 23, ist Erzieherin (im Anerkennungsjahr) in der Einrichtung. Sie hat ein Auge auf Aaron geworfen. Als sie ihn eines Tages alleine im Außenbereich spielen sieht, geht sie auf ihn zu und spricht ihn an: „Oh, Du baust ja einen Turm.“ Er schaut unter sich und vermeidet Blickkontakt. Auf ihre weiteren Kontaktversuche antwortet er automatisch: „Ja“, „Ja“, Ja“. Sie lässt ihn in Ruhe. Am nächsten Tag spielt Sandra mit einer Kleingruppe im Außenbereich. Auch Aaron und Marcel sind mit dabei. Sie hat sich vorab eine Intervention überlegt, um die beiden wortkargen Jungen aus der Reserve zu locken. Sie lässt die beiden um die Gruppe – im Kreis – wetzen. Nach der siebten Runde hat Aaron Marcel eingeholt und „gefangen“. Sandra drückt verbal und nonverbal Anerkennung aus.
Allgemeines Kindergärten sind ebenfalls familienergänzende und -unterstützende Einrichtungen, in denen Kinder von drei bis sechs Jahren (genauer: bis zum Schuleintritt) gebildet, erzogen und betreut werden. Viele Kindergärten nehmen aber auch schon Heranwachsende im Alter von zwei Jahren auf. Regelkindergärten sind die populärste Form der Tageseinrichtungen für Kinder (THESING et al. 2001, 22f.). Der Bereich der Kindertagesbetreuung wurde 1990 mit Verabschiedung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes auf Bundesebene geregelt (§§ 22–26) (TEXTOR 2006). Dies führte unter anderem dazu, dass die Bundesländer Bildungs- und Erziehungspläne inklusive verschiedener Ziele und Inhalte entwickelten. In den letzten 20 bis 30 Jahren kam es infolgedessen, das heißt durch die strukturellen Veränderungen, auch zu konzeptionellen Veränderungen in der Elementarpädagogik (VOGELSBERGER 2002, 48). Es gibt bekanntlich verschiedene Konzepte diesbezüglich, manche sind populärer, werden entsprechend häufiger angewendet, andere weniger. Der „Geist“ der pädagogischen Klassiker wie FRÖBEL, MONTESSORI und Co. ist in so gut wie allen Kindertagesstätten spürbar. Sehr weit verbreitet ist der Situationsansatz, er impliziert viele klassische Elemente. In diesem Kontext wird – verkürzt gesagt – auf die aktuelle Lebenssituation und die Bedürfnisse des Zu-Erziehenden gezielt eingegangen. Von selbst bringen die Kinder Angelegenheiten in den Alltag ein, die sie selbst be-
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treffen, interessieren. Diese „Situationen“ werden von Erziehern bemerkt und bewusst aufgegriffen. Im Kindergartenalltag interessieren sich zum Beispiel Zu-Erziehende „plötzlich“ für eine bestimmte Angelegenheit/eine spezielle Fragestellung. Thematisiert werden solche Situationen dann in der Regel in einem Stuhlkreis, in dem über den Gegenstand diskutiert und abgestimmt wird. Es geht auch um die Frage, wie ein Thema, für das sich die Kinder interessieren, angegangen und fortgeführt werden kann (THESING et al. 2001, 23). Die Kinder sollen daraufhin Kompetenzen erwerben, mit denen sie ebendiese „Schlüsselsituation“ weitgehend selbst bewältigen können. Bei der Planung von Angeboten und Projekten etwa, die sich aus den Schlüsselsituationen ergeben, werden die Zu-Erziehenden entsprechend aktiv beteiligt. Neurobiologische Voraussetzungen und die sich daraus ergebenden Aufgaben für Schemapädagogen Im Kindergartenalter ist das Gehirn immer noch im „Rohbau“. Der grundsätzliche Schaltplan der Nervenzellen ist weiter in der Entstehungsphase (JASZUS et al. 2008, 303). Ab dem Alter von etwa 4 Jahren gelingt die Kommunikation zwischen den beiden Gehirnhälften, das heißt, zwischen der linken („rationalen“) und rechten („emotionalen“) (NEUMANN, NIEDERWESTBERG & WENNING 2008, 144). Das heißt unter anderem, dass die Emotionsregulation eine neue Qualität erreicht. Unterstützt wird diese Kompetenz durch die professionelle Fachkraft. Der Erwerb dieser Fähigkeit drückt sich auch in dem bemerkenswerten Befund aus, dass Kinder am Ende der Kindergartenzeit bereits komplexe Emotionswörter wie „nervös“, „eifersüchtig“, „empört“ benutzen können (FRANK 2008, 26f.). Sie können diese Begriffe auch bestimmten Situationen, die sie erleben, zuordnen. Zwischen zwei und fünf Jahren erwerben Heranwachsende insbesondere Strategien, die die Emotionsregulation professionalisieren. Interessanterweise sind Zu-Erziehende in dieser Phase auch fähig, eine emotionsauslösende Situation zu manipulieren (ebenda, 28), und zwar dahingehend, dass eigene Interessen/Bedürfnisse durchgesetzt werden. Mit sechs Jahren können Zu-Erziehende Emotionen sogar vortäuschen. Daher werden in Hinsicht auf die schemapädagogischen Möglichkeiten im Arbeitsfeld Kindergarten nunmehr Psychospiele und Tests registriert und thematisiert. Daneben ist nach wie vor – wie auch im Arbeitsfeld Krippe – eine komplementäre Beziehungsgestaltung sehr wichtig.
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Gelingt es dem Schemapädagogen, die Psychospiele und Tests des ZuErziehenden durch verschiedene Interventionen abzuschwächen, so kann dieser Erfolg aufseiten des Heranwachsenden lange Zeit nachwirken. Schließlich ist das Gehirn noch sehr plastisch und damit „offen“ für Veränderungen in Hinsicht auf die Persönlichkeitsentwicklung. Es geht vor allem darum, Heranwachsenden Alternativen zu den Psychospielen und Tests aufzuzeigen. Denn diese Vorgehensweisen entsprechen Manipulationen, die sich leicht verfestigen und so auch zukünftige Beziehungen negativ beeinträchtigen. Eigene Schemata und Schemamodi wahrnehmen Die Tatsache, dass im Rahmen des Situationsansatzes das Kind mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt steht, kommt der Schemapädagogik sehr entgegen. Die Kinder sind bei einem Angebot oder Projekt in der Regel sehr beschäftigt, sie arbeiten irgendwann auch selbstständig. Dies eröffnet Raum für Beobachtung, unter anderem in Hinsicht auf die Schemamodi (JASZUS et al. 2008, 191ff.). Mittels der verschiedenen Beobachtungsarten sammelt der Schemapädagoge Daten, die auch im persönlichen Umgang berücksichtigt werden können. Da eine möglichst „unbelastete“ Beobachtung wichtig für die Dokumentation und Reflexion ist, muss auch gewährleistet sein, dass sich die Fachkraft ihrer Schemata und Schemamodi weitgehend bewusst ist. Diese innerpsychischen Faktoren können die Beobachtung wohl oder übel verzerren. Auf der anderen Seite ist die Qualität der Beziehungen zu den Heranwachsenden in dieser Altersphase (Kindergartenalter) immer noch ein ganz wichtiger Faktor in Hinsicht auf die Persönlichkeitsentwicklung. Gerade im Kindergarten können Empathie, Emotionskontrolle und prosoziales Verhalten mithilfe einer komplementären Beziehungsgestaltung, die durch empathische Konfrontation (bei Regelverstößen) ergänzt wird, gefördert werden. Wiederum können maladaptive Schemata und Schemamodi dieses Unternehmen (unbewusst) sabotieren. Im Folgenden wieder drei Beispiele für dysfunktionale Muster und ihre Auswirkungen im Arbeitsfeld Kindergarten:
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Bereits Ansätze des Schemas Misstrauen/Missbrauch können dazu führen, dass man den Zu-Erziehenden (und Kollegen) gegenüber sehr wechselhafte Verhaltensweisen entgegenbringt. Einerseits haben diese erfahrungsgemäß einen extrem prosozialen Charakter und sind von Freundlichkeit geprägt, andererseits fällt man eventuell von jetzt auf gleich ins andere Extrem und
wirkt feindselig-unempathisch bis sadistisch. Dieses Schema dürfte nach Einschätzung des Autors den wirkungsvollsten Eindruck im Gehirn des betreffenden Zu-Erziehenden haben. Schemapädagogen achten auf entsprechende Aktivierungen, die etwa durch Kinder mit desorganisiertem Bindungsstil ausgelöst werden, und kontrollieren sie. Das Schema Aufopferung kann sich erfahrungsgemäß sehr negativ auswirken, da die Fachkraft infolge einer entsprechenden Aktivierung gerade dazu neigt, drei geradezu „klassische“ Erziehungsfehler zu begehen, die WINTERHOFF (2010, 179ff.) ausführlich beschrieben hat: Projektion (die Fachkraft wahrt keinen Abstand zum Zu-Erziehenden, will von ihm geliebt werden; er dient als Messlatte dafür, ob sie gut oder schlecht „ist“); Partnerschaftlichkeit (alle Entscheidungen, die die Erzieherin treffen will, werden vorher gemeinsam mit dem Heranwachsenden diskutiert – führt später hinaus oft zur Unfähigkeit, sich zu integrieren); Symbiose (die Fachkraft denkt und handelt für das Kind, so als ob es ein Teil von ihr wäre). Liegt andererseits das Schema Streben nach Zustimmung und Anerkennung vor, neigt der Betreffende dazu, sich vorwiegend auf die Interessen der Kinder zu konzentrieren, und zwar mit dem Ziel, letzten Endes Anerkennung von ihnen entgegengebracht zu bekommen. Man übernimmt etwa zu viele Aufgaben, die eigentlich die Kinder übernehmen müssten. Eine Aktivierung des Schemas Streben nach Zustimmung und Anerkennung geht zulasten der Persönlichkeitsentwicklung der Zu-Erziehenden. Die Folgen des Schemas Bestrafungsneigung: Die Zu-Erziehenden werden bei Regelverstößen gewöhnlich viel zu hart ins Gericht genommen. Darüber hinaus erwartet man geradezu Verhaltensauffälligkeiten, genauer gesagt, die Wahrnehmung ist bereits entsprechend nachteilig eingefärbt. Leicht kommt es zum Prinzip „sich selbst erfüllende Prophezeiung“.
Komplementärer Beziehungsaufbau Der Kindergarten ist nach Einschätzung vieler Erziehungswissenschaftler unter anderem eine wichtige Vorbereitung auf die Schulzeit (PAUSEWANG 1994, 18). Entsprechend ist ein Ziel dieser Einrichtung: die Erziehung und Bildung zur Schulfähigkeit (siehe unten). Hierzu werden verschiedene Entwicklungsbereiche gefördert, etwa die Sprach-, Sozial-, Denk- und Moralentwicklung. Das Kind erhält durch das Spielund Beschäftigungsmaterial Anregungen und Lernreize, aber auch durch die (gewöhnlich) altersgemischte Gruppe oder die Erzieherin selbst. Die natur-
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gegebene Lernmotivation des Heranwachsenden kommt diesen Lernreizen, die von außen bewusst beziehungsweise unbewusst gesetzt werden, entgegen. Die Erzieherin muss dahingehend viel leisten. Sie hat in der Regel eine Gruppe zu leiten, sie muss beobachten, dokumentieren; sie muss auch die einzelnen Heranwachsenden fördern, aber soll auch „spontan“ auf spielende Gruppen eingehen können. Die Arbeit insgesamt muss geplant, durchgeführt und reflektiert werden. Und das hat auch seinen Sinn. Der Grund: Gerade im Kindergartenalter avancieren die Heranwachsenden zu „interessierten Forschern“ und „Fantasten“. Das Spiel rückt in den Mittelpunkt des Interesses und dient maßgeblich der Ausprägung verschiedener Kompetenzen. Im Tagesablauf sollen daher aus Sicht der Heranwachsenden genug Möglichkeiten vorliegen, um diverse Basiskompetenzen zu erwerben (NEUMANN, NIEDERWESTBERG & WENNING 2008, 126):
Ich-Kompetenz oder Selbstkompetenz. Hierzu gehören: Selbstwertgefühl, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, sich seiner Einzigartigkeit (Identität) bewusst werden. Sozialkompetenz. Zu dieser Kompetenz werden folgende Aspekte gezählt: Die Gefühle und Bedürfnisse anderer wahrnehmen und interpretieren können; fähig sein, Kritik zu verbalisieren und anzunehmen; Regeln und Normen des Zusammenlebens befolgen und gleichzeitig vereinbaren können, befriedigende Kompromisse finden können. Sachkompetenz. Diese Kompetenz wird in Zusammenhang gebracht mit: Objekte und Erscheinungen differenziert wahrnehmen und körperliche Beweglichkeit und Koordinationsvermögen ausbilden können; Zielstrebigkeit, Neugier, sich sprachlich gewählt verständigen und Inhalte begreifen können. Lernmethodische Kompetenz. Hierzu gehört etwa die Lust am Lernen selbst; eigene Stärken ausbauen können; Zusammenhänge zwischen „zwei Welten“ herstellen können.
Ich-Kompetenz beziehungsweise Selbst- und Sozialkompetenz sind aus Sicht der Schemapädagogik sehr wichtig, weshalb sie im Folgenden besonders berücksichtigt werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch noch im Kindergartenalter die Beziehungen zu den Mitmenschen, genauer gesagt, zu einer Bezugsperson
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eine wichtige Grundlage der weiteren Persönlichkeitsentwicklung darstellt (siehe Kapitel 1.5). Deshalb liegt in der Beziehungsgestaltung eine große Chance. Empfindet der Zu-Erziehende eine stabile Bindung zu mindestens einer Bezugsperson, so profitiert er in vielerlei Hinsicht davon. Die Wichtigkeit einer stabilen Bindung zeigt sich insbesondere dann, wenn Zu-Erziehende etwa zwischenmenschliche Konflikte erleben, die von der Bezugsperson aufgegriffen und zum Thema gemacht werden. Problemaktualisierung Mit Beginn der Kindergartenzeit werden Heranwachsende nach und nach gruppenfähig. In der Regel geschieht dies nicht ohne Konflikte. Dass ZuErziehende in solchen Situationen bereits familiär-antrainierte „Konfliktlösestrategien“ offenbaren, ist eine Binsenweisheit. Heranwachsende werden von ihrem sozialen Umfeld – abseits der sozialpädagogischen Einrichtung – maßgeblich geprägt. Um beispielsweise Verhaltensauffälligkeiten bei Konflikten zu erklären, werden gewöhnlich die sogenannten Lerntheorien zur Erklärung herangezogen:
Klassisches Konditionieren (PAWLOW), operantes Konditionieren (SKINNER), Modelllernen (BANDURA).
Das heißt, in Hinsicht auf die Vorgehensweisen bei Konflikten zwischen ZuErziehenden sind Betreffende meistens „lernspezifisch vorgeprägt“. Vor dem Hintergrund des Schemamodells ist außerdem anzunehmen, dass Heranwachsende im Kindergartenalter bereits ausgeprägte maladaptive Schemamodi offenbaren, die an diversen Interaktionsstörungen beteiligt sind. Eine Ursache der Präsenz von kompensatorischen innerpsychischen Mustern dürfte die Entstehung des Ich-Bewusstseins sein. Infolge dieses Entwicklungssprungs („Ich bin ich“) muss der Zu-Erziehende gleichzeitig Anforderungen „von außen“ mit stets präsenten infantilen Bedürfnissen abgleichen. Das gelingt erfahrungsgemäß nur schrittweise. Der Heranwachsende ist dahingehend zunächst auf eine „kontrollierende Instanz von außen“ angewiesen. Ein anderer Begriff für die Übernahme von geltenden Normen und Werten einer Gesellschaft ist bekanntlich: Sozialisation. Um der Entstehung von maladaptiven Schemamodi entgegenzuwirken, ist es wichtig, den Modus des Gesunden Erwachsenen so früh wie möglich zu fördern.
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Dadurch lernt der Zu-Erziehende gleichzeitig vor allem Emotionsregulation, Reflexionsvermögen und Empathie. Problemklärung Erfahrungsgemäß kommt es in der Praxis immer wieder zu Konflikten zwischen den Heranwachsenden, an denen viele Arten von Aggression beteiligt sind. Doch dieses angeborene Potenzial ist nicht immer mit negativen Aspekten verbunden. – Wenn Konflikte (selbst mit einem nicht zu übersehbaren aggressiven Anteil) von den Zu-Erziehenden selbst gelöst werden, stößt dies selbstverständlich häufig positive Entwicklungsprozesse an. Eine sicherlich sehr destruktive Form von Aggression hingegen ist das Mobbing. Opfer dieses zwischenmenschlichen Phänomens sind häufig Ziele von rücksichtslosen Handlungen. Mobbing kommt interessanterweise schon im Kindergarten vor (FRANK 2008, 41). Beim Mobbing fehlen meistens – aufseiten der „Täter“ – Empathie, Fähigkeit zur Rollenübernahme und Emotionskontrolle. – Mobbing ist daher ein relevantes Phänomen im Rahmen der Schemapädagogik, wo es in Hinsicht auf die Frühförderung vor allem um die Entwicklung dieser drei menschlichen Eigenschaften geht. Aber auch andere Konflikte sind aus diesem Blickwinkel relevant, und war dann, wenn sie verschiedene Auffälligkeiten offenbaren: 1. 2.
3.
Der Betreffende hat keinerlei Bewusstsein vom Selbstanteil am Konflikt (= externale Kausalattribuierung). Der Konflikt dient anscheinend dem Betreffenden dazu, ein verborgenes Ziel zu verfolgen/Bedürfnis zu befriedigen (= Psychospiel). Diese Art der Manipulation ist dem „Spieler“ jedoch nicht bewusst. Am Konflikt sind häufig dieselben Zu-Erziehenden beteiligt (eventuell Wiederholungszwang).
Wegen der altersbedingten, entwicklungspsychologischen Voraussetzungen fallen die schemapädagogischen Interventionen sehr stark didaktisch reduziert aus, das heißt kindgerecht. Die Schemamodi können demnach noch nicht gemeinsam mit dem ZuErziehenden thematisiert werden, es fehlen hierzu noch die kognitiven Ressourcen. Dennoch fokussieren Schemapädagogen die verschiedenen erwähnten Konfliktarten und intervenieren entsprechend. Die Heranwachsenden sollen, gemäß ihrer Gehirnentwicklung, schrittweise den Modus Gesunder Erwachsener
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ausprägen, der die Organisation der innerpsychischen Motivationen/Bedürfnisse einmal übernimmt. Externale Kausalattribuierung reduzieren Die Fachkraft greift bei Konflikten zwischen Zu-Erziehenden nicht vorschnell beziehungsweise intuitiv ein, da ansonsten bereits vorhandene oder sich entwickelnde Lösekompetenzen seitens der Kinder im Keim erstickt werden. Eine Ausnahme sind körperliche Auseinandersetzungen beziehungsweise Situationen, die anscheinend „gleich“ eskalieren. Eine echte Herausforderung für die Pädagogen stellt die externale Kausalattribuierung dar. Im Gegensatz zur internalen Kausalattribuierung („Ich bin an allem schuld!“) meinen diejenigen Heranwachsenden, die zur externalen Wahrnehmung neigen: „Ich hab doch gar nichts gemacht!“; oder: „Der Andere hat angefangen!“ Aller Wahrscheinlichkeit wird die grundsätzliche Tendenz zur externalen beziehungsweise internalen Perspektive im Elternhaus erlernt. Bei ausreichender Beweislage konfrontiert der Schemapädagoge den ZuErziehenden (mit der externalen Perspektive) mit den Taten, die er tatsächlich begangen hat. Dabei gilt die Faustformel: Je mehr Beziehungskredit vorhanden ist, desto direktiver (konfrontativer) geht die Fachkraft vor. Einige Beispiele:
„Du hast den Aaron geschlagen, er hat eine Beule bekommen!“ „Du hast das Glas absichtlich an die Wand geworfen, ich habs gesehen!“
Nach solchen „beherzten“ Interventionen, die bewusst einen emotionalkonfrontativen tragen (sollen), wechselt der Schemapädagoge in den Modus des Gesunden Erwachsenen, verweist auf die bestehenden Regeln und formuliert die Konsequenzen. Dabei ist die Fachkraft authentisch und kommuniziert per IchBotschaften die eigenen Gefühle (Frustration, Ärger oder Ähnliches). Kritisiert wird selbstverständlich das Verhalten, nicht die Person. Wenn ausreichend Beziehungskredit vorliegt, „sitzen“ solche konfrontativen Interventionen. Psychospiele thematisieren Anhand der zutage tretenden Häufigkeit und an ihrem manipulativen Charakter erkennt der Schemapädagoge Psychospiele; ebenso auch das dahinterliegende Grundbedürfnis. Jedes Psychospiel birgt ein bestimmtes Motiv, das verwirklicht werden soll.
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Gerade das Mobbing ist aus Sicht der Transaktionsanalyse ein Psychospiel par excellence. Die „Täter“ spielen ihre Spielchen mit den „Opfern“, und Letztere können wenig, bis gar nichts dagegen tun. Dahinterstehende Bedürfnisse seitens der Täter können Aufmerksamkeit erregen oder Anerkennung sein; oft ist auch Frustabbau eine zentrale Ursache. Die entsprechend relevanten Schemamodi, die beim Mobbing aktiviert sind, heißen meistens Selbsterhöher, Schikanierer- und Angreifer-Modus sowie Innerer Bestrafer (nach außen wirkend). Die eben genannten innerpsychischen Strukturen werden wegen des Alters nicht im Gespräch mit den „Tätern“ zum Thema gemacht; aber es werden (a) die möglichen Ursachen, (b) die eigene Betroffenheit und (c) die Folgen der daraus resultierenden Handlungen angesprochen. Dies kann folgendermaßen praktiziert werden: (a) „Du schlägst den Aaron nur, wenn Du zu Hause Streit hast!“ (b) „Mir geht es schlecht, wenn Du andere Kinder haust! Das macht mich traurig!“ (c) „Du kennst die Regeln! Ich muss jetzt Deine Eltern anrufen. Die holen Dich ab!“ Und wieder gilt: Selbst Mobber im Kindergartenalter sind bei Zwiegesprächen durch solche Interventionen erreichbar – wenn zuvor eine komplementäre Beziehungsgestaltung erfolgreich praktiziert und entsprechend Beziehungskredit „erwirtschaftet“ wurde. Wird Mobbing nicht in Anwesenheit der professionellen Fachkraft betrieben, wird das Thema in „einem guten Moment“ im Beisein des Täters vergegenwärtigt. Schemapädagogen versuchen es dann „auf die sanfte Tour“. Ein solcher guter Moment ist dann wahrscheinlich gegeben, wenn der Zu-Erziehende gerade im Modus des Glücklichen Kindes ist; etwa beim Spiel ist dies oft der Fall. Authentisches Lob und Anerkennung der jeweiligen Betätigung, die gerade praktiziert wird, fördert den Beziehungskredit und aktiviert leicht den Modus des Gesunden Erwachsenen – und der Zu-Erziehende ist „aufnahmefähig“ für Kritik. Zwei Beispiele:
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„Na, manchmal bist Du schon ein bisschen böse, oder?“ „Jetzt sag mal, Du haust den Aaron manchmal, weil er sich nicht wehrt, oder?“
Erfahrungsgemäß werden solche Interventionen im (noch schwach ausgeprägten) Modus des Gesunden Erwachsenen angenommen, und sie sind folgenreich. Falls es in Hinsicht auf Perspektivenübernahme und Empathie „stockt“, arbeitet der Schemapädagoge weiterhin am Aufbau von Beziehungskredit. Auf der Grundlage einer sicheren Bindung folgen dann weitere Interventionen. Wiederholungszwang thematisieren Beobachtet die Fachkraft Verhaltensauffälligkeiten beziehungsweise Schemamodi-Aktivierungen, die regelmäßig stattfinden, reagiert sie. Das Ziel ist die Reduktion eines vermeintlichen Wiederholungszwangs. Dieser liegt häufig dann vor, wenn Zu-Erziehende in ähnlichen Situationen stets mit denselben Schemamodi-Aktivierungen reagieren, das heißt, „ausflippen“, mobben, Sachen zerstören usw. Schrittweise fördern Schemapädagogen in diesem Zusammenhang den Modus des Gesunden Erwachsenen. Insbesondere bieten sich reflexionsfördernde Bemerkungen an, sobald der Zu-Erziehende im Modus des Glücklichen Kindes ist. Dann bietet der Schemapädagoge etwa folgende Vorschläge an:
„Du, wenn Du das nächste Mal den Aaron hauen willst, dann gehst Du bitte in die Wuthöhle, okay?“ „Wenn Du unbedingt mal was kaputt machen willst, dann würde ich mich freuen, wenn Du zum Boxsack gehst und den haust, gut?“
Unterstützung beim Transfer der Lösungen in den Alltag Wenn die Interventionen des Schemapädagogen „fruchten“, sei es in konfrontativer oder komplementärer Form, dann wird der entsprechende Erfolg bewusst wahrgenommen und positiv verstärkt. Dies funktioniert bekanntlich durch Lob und Anerkennung. Hat der Erzieher den Status eines Mutter- beziehungsweise Vater-Objekts, beeinflusst er durch das positive Feedback die Hirnentwicklung des Zu-Erziehenden. Das heißt, der Modus des Gesunden Erwachsenen wird gefördert (ab der Entstehung des Ich-Bewusstseins ist dies möglich). Ebenso erhält das Selbstkonzept insgesamt einen Aufschwung. Der Schemapädagoge kann in seiner Funktion die negativen innerpsychischen Auswirkungen von familiären Stresskonstellationen negieren und gleichzeitig förderliche Schemamodi aufseiten des Kindes fördern. Im Falle eines entsprechenden Erfolgs, wirkt sich dies in Hinsicht auf das zukünftige Leben des Zu-Erziehenden sehr positiv aus, da er laut neurowissenschaftlichen Erkennt-
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nissen im Erwachsenenalter auf diejenigen „Fußabdrücke“ im Gehirn automatisch zurückgreift, die in den ersten Lebensjahren entstanden sind. Wie oben schon erwähnt: ein wesentliches Ziel der Einrichtung Kindergarten/Kindertagesstätte ist Schulfähigkeit. BROCKENSCHNIEDER & ULLRICH (1997, 169) unterscheiden vier relevante Bereiche der Schulfähigkeit und skizzieren entsprechende Basiskompetenzen; in Hinsicht auf die Schemapädagogik werden zwei davon im Folgenden fokussiert: die emotionale und soziale:
Emotionale Schulfähigkeit: In Hinsicht auf ihre Gefühlsmäßigkeit sind die Zu-Erziehenden im Durchschnitt eher ausgeglichen. Sie sind neuen Aufgaben und Anforderungen gegenüber aufgeschlossen und haben ein entsprechend positives Selbstbild. Enttäuschungen und Frustrationen werden tendenziell ruhig und konstruktiv verarbeitet. Bei Bedarf sind sie motiviert, eine durchschnittliche Frustrationstoleranz ist vorhanden. Soziale Schulfähigkeit: Diese Kompetenz besteht ebenfalls aus verschiedenen Faktoren: Die Betreffenden nehmen gerne Kontakt zu anderen Kindern auf. Diese Kontakte können aufrechterhalten, aber auch intendiert abgebrochen werden. Zu-Erziehende können sich von ihrer Bezugsperson lösen. Bestehende Regeln werden eingehalten oder durch (altersgemäße) reflektierte Mitarbeit verändert.
Deutung des Ausgangsfalls und schemapädagogische Interventionen Der kleine Aaron, 5, ist in seiner Gruppe ein Außenseiter (eventuell: entstehendes Schema Soziale Isolation). Sein einziger (gleichaltriger) Spielkamerad Marcel spielt ebenfalls die Außenseiterrolle (eventuell: Erduldung des Schemas Soziale Isolation). Es kommt vor, dass andere Kinder ihnen übel mitspielen, sie triezen (Schikanierer- und Angreifer-Modus). Sie wehren sich nicht und begeben sich dadurch in die Opferrolle (Unterordnender Modus). Beim morgendlichen Stuhlkreis sind sie still (möglicherweise: Erduldung des Schemas Soziale Isolation), und die Erzieherin kann sie nur sehr schwer dazu motivieren, sich verbal zu beteiligen. Sandra, 23, ist Erzieherin (im Anerkennungsjahr) in der Einrichtung. Sie hat ein Auge auf Aaron geworfen. Als sie ihn eines Tages alleine im Außenbereich spielen sieht, geht sie auf ihn zu und spricht ihn an: „Oh, Du baust ja einen Turm.“ (komplementäre Beziehungsgestaltung) Er schaut unter sich und vermeidet Blickkontakt (Unterordnender Modus). Auf ihre weiteren Kontaktversuche antwortet er automatisch: „Ja“, „Ja“, Ja“ (vielleicht Psychospiel). Sie lässt ihn in Ruhe (komplementäre Beziehungsgestaltung). Am nächsten Tag spielt Sandra mit einer Kleingruppe im Außenbereich. Auch Aaron und Marcel sind mit dabei. Sie hat sich vorab eine Intervention überlegt, um die beiden wortkargen Jungen
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aus der Reserve zu locken. Sie lässt die beiden um die Gruppe – im Kreis – wetzen. Nach der siebten Runde hat Aaron Marcel eingeholt und „gefangen“ (Förderung des Modus Glückliches Kind). Sandra drückt verbal und nonverbal Anerkennung aus (komplementäre Beziehungsgestaltung). Im Kindergartenalter hinterlassen pädagogische Interventionen sehr schnell „neuronale Fußabdrücke“. Das Gehirn befindet sich noch immer im „Rohbau“. Ein sich abzeichnendes Schema kann verändert, aufgelöst werden. Aaron offenbart Anzeichen des Schemas Soziale Isolation. Er nimmt nicht gerne an Gruppenaktivitäten teil und hält sich auch sonst zurück. Die anfängliche Weigerung, auf die Gesprächsangebote von Sandra einzugehen, ist eventuell eine Verhaltensweise, die vom familiären Umfeld verstärkt wurde. Sandra nutzt die Möglichkeiten, die das Arbeitsfeld Kindergarten offenbart. Sie fördert sowohl den Modus Glückliches Kind (Aaron hat Erfolg beim Spiel in der Kleingruppe) als auch den Modus des Gesunden Erwachsenen (er „erkennt“ infolge des Spiels, dass er etwas „kann“). In Zukunft wird es nun darauf ankommen, seitens des Heranwachsenden auch des Öfteren den Modus Ärgerliches (beziehungsweise Wütendes) Kind zu aktivieren. Das heißt, er sollte auch seine Emotionen, auch die negativen, ausdrücken können, ansonsten unterdrückt er sie offensichtlich (ein möglicher Grund ist die eine familiär verursachte Etablierung des Unterordnenden Modus). Eine entsprechende Auslösung ist möglich vor allem in Rollen- und Schattenspielen, aber auch in Theaterstücken.
4.3 Hort Wenn Kevin (12) in den Hort kommt, ist er meistens sehr aufgedreht. Mareike (19), die als Erzieherin in der Einrichtung tätig ist, verdreht jedes Mal aufs Neue die Augen, wenn sie ihn nur von Weitem sieht. Kaum betritt er die Einrichtung, schreit er erst mal ein bisschen herum und wirft seinen Schulranzen in die Ecke. Beim gemeinsamen Mittagessen kommt er nur selten zur Ruhe. Schnell wird es ihm langweilig. Dies liegt auch daran, weil er meistens als Erster fertig ist (er schlingt alles hinunter, so schnell es nur geht). Daraufhin stört er seine Tischnachbarn auf alle nur erdenklichen Methoden. Mareike muss ihn jedes Mal ermahnen und beruhigen. Seine Reaktion ist immer dieselbe: „Ich hab doch gar nix gemacht!“ Dieses Spiel wiederholt sich fast täglich. Nach dem Essen haben die Kinder eine Stunde Freizeit. Kevin ist dann immer noch sehr „munter“ und tollt im Außenbereich herum. Wenn es jedoch an die Erledigung der Hausaufgaben geht, lässt seine Motivation schlagartig nach. Und wieder erfordert seine (nicht vorhandene) Aktion eine Reaktion vonseiten der Erzieherin. Als Kevin eines montags wieder in den Hort kommt, überrascht Mareike ihn mit: „Na, Kevin, hast Du gestern Wrestling geguckt?“ (Sie hatte einige Tage zuvor mitbekommen, wie Kevin von seinem „Lieblingshelden“ gesprochen hat.) Kevin ist kurz erstaunt und erzählt von der Sendung.
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Sie merkt, wie er „runterkommt“. Der Tag verläuft ein wenig störungsfreier als sonst. Nach dem Essen verlässt Kevin die Gruppe und geht in den Außenbereich. Mareike folgt ihm und beginnt wieder ein Gespräch über Wrestling. Nach und nach verbessert sich das Verhalten von Kevin. Seinen Freunden erzählt er: „Mareike ist cool!“ Die Erzieherin muss ihn nach wie vor noch oft ermahnen und beruhigen, aber es gelingt ihr immer besser. Der Grund: Kevin hört auf sie. Eines Tages füllen sie gemeinsam ein Schemamodus-Memo aus (siehe unten).
Allgemeines Horte sind außerschulische Institutionen, die in der Regel von Kindern im Schulalter (ab sechs Jahren) frequentiert werden. Dort sollen sie vor allem in Hinsicht auf Selbstständigkeit und angepasstes Sozialverhalten gefördert werden (MORGENSTERN 2006, 44). Die Kinder haben die Möglichkeit, das Angebot vor und nach dem Unterricht in Anspruch zu nehmen, auch in den Ferien. Einmal in der Woche wird gewöhnlich ein gemeinsames Programm gestaltet. Dies besteht etwa aus einer Besichtigung oder Wanderung. Angelehnt ist das gerade aktuelle „Hauptthema“ im Hort häufig an saisonale Ereignisse (Frühling, Winteranfang, Weihnachten usw.). Die obere Altersgrenze in Hinsicht auf die Aufnahme ist nicht einheitlich geregelt, sondern länderspezifisch. Meistens liegt sie bei 14 Jahren (VOGELSBERGER 2006b, 164ff.). Die Institution hat eine überwiegend sozialisierende und familienergänzende Funktion. Die Kinder essen nach der Schule im Hort, machen ihre Hausaufgaben; und sie haben die Möglichkeit, an Freizeitangeboten teilzunehmen; ebenso werden ihnen auch sonstige Freiräume zugestanden. Die Aufgaben der Erzieher, die in einem Hort arbeiten, lassen sich wie folgt zusammenfassen (in Anlehnung an THESING et al. 2001, 59):
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Die Bedürfnisse der Zu-Erziehenden wahrnehmen und auf sie eingehen, soziale Lernerfahrungen und ein Gemeinschaftsgefühl vermitteln, individuelle Entfaltungsmöglichkeiten ermöglichen, Anregungen zur Freizeitgestaltung bieten, Beratung bei persönlichen und schulischen Fragen anbieten, Förderung individueller Neigungen, Begabungen und Interessen, Unterstützung bei der Bewältigung der Hausaufgaben und des schulischen Lernens.
Die pädagogische Arbeit im Hort ist in der Regel geprägt von Spannungen in Hinsicht auf die Erwartungen an die Erzieherinnen. Erfahrungsgemäß ist es den Eltern sehr wichtig, dass ihre Kinder nach der Schule „gut unter“ sind und bei der Erledigung der Hausaufgaben unterstützt werden (VOGELSBERGER 2006b, 166). Auf der anderen Seite sind zahlreiche Zu-Erziehende eher an einer „Schonraum-Atmosphäre“ interessiert, in der sie – abseits der elterlichen und schulischen Erwartungen – auch mal „ihre Ruhe“ haben. Neurobiologische Voraussetzungen und die sich daraus ergebenden Aufgaben für Schemapädagogen Kinder, die den Hort besuchen, bringen nunmehr ein höheres Potenzial an kognitiven Ressourcen mit, als in Krippen und Kindergärten der Fall. Auf der anderen Seite werden erfahrungsgemäß auch schon maladaptive Schemamodi in stärkerer Ausprägung offenbart. Aufgrund dieser Gegebenheiten drängen sich nun mehrere schemapädagogische Möglichkeiten von selbst auf. Genauer gesagt, nunmehr sind nicht mehr nur die Psychospiele relevant, sondern im Hort kann mit der SchemamodiArbeit begonnen werden. Allerdings findet dies noch auf einer didaktisch-reduzierten Ebene statt. Die Schemamodi werden noch nicht mit inneren Persönlichkeitsanteilen in Zusammenhang gebracht, sondern mit Emotionen, genauer gesagt, mit EmotionsBegriffen. Das heißt, der Schemamodus Impulsiv-undiszipliniertes Kind wird nicht mit dem Etikett „Der böse Kevin“ oder Ähnliches versehen, sondern etwa mit „Keine Lust haben“. Ein Ziel der schemapädagogischen Interventionen ist die Förderung der bewussten Kontrolle und Hemmung (= Modus des Gesunden Erwachsenen) von maladaptiven Schemamodi sowie kostenintensiven Kind-Modi seitens der ZuErziehenden. Möglich ist die gezielte Förderung des Modus des Gesunden Erwachsenen aller Wahrscheinlichkeit nach. Denn – im Durchschnitt – sind Kinder nach neurowissenschaftlichen Erkenntnissen etwa ab dem 6. Lebensjahr zu ersten „Vernunftleistungen“ und zur willentlichen Kontrolle ihres Verhaltens fähig (ROTH 2001, 387). Eigene Schemata und Schemamodi wahrnehmen Auch im Hort können nachteilige innerpsychische Muster der pädagogischen Fachkraft die Interaktion mit den Heranwachsenden beeinflussen.
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Dies soll wieder anhand von Beispielen transparent gemacht werden:
Liegt das Schema Aufopferung vor und wird es aktiviert, neigt der Betreffende wahrscheinlich dazu, dem Zu-Erziehenden viele Regelverstöße durchgehen zu lassen. Dadurch wird der Modus Impulsiv-unidiszipliniertes Kind geradezu verstärkt. Auf der anderen Seite hilft der Erzieher zu sehr bei den Hausaufgaben und konzentriert sich eventuell nur auf ein Kind, nämlich auf dasjenige, das „sehr schwierig“ ist. Das Schema Emotionale Entbehrung ist besonders im Hort hinderlich in Hinsicht auf die komplementäre Beziehungsgestaltung. Die Zu-Erziehenden interessieren sich auf emotionaler Ebene meistens für Angelegenheiten, die das Bedürfnis nach Anerkennung befriedigen sollen (sieh unten). Eine Fachkraft mit diesem Schema wird es dahingehend sehr schwer haben, eine tragfähige Beziehung aufzubauen. Ähnlich sieht die Sachlage beim Schema Bestrafungsneigung aus. Dieses innerpsychische Muster ist dafür verantwortlich, dass die Fachkraft die manche Freizeitaktivitäten (siehe unten) vorschnell, unreflektiert und unempathisch als „kindliche Verfehlungen“ ansieht, die „bestraft“ oder zumindest negativ bewertet werden müssen. Dies sorgt aber gleichzeitig dafür, dass der komplementäre Beziehungsaufbau, der in der Schemapädagogik unumgänglich ist, nicht stattfinden kann. Das Schema Überhöhte Standards ist wahrscheinlich vorhanden beziehungsweise ist aktuell ausgelöst, wenn die Erzieherin zu viel von den Heranwachsenden in Hinsicht auf die Hausaufgaben erwartet und sie dadurch frustriert.
In allen vier Fällen muss durch Achtsamkeit und mittels des Modus des Gesunden Erwachsenen ein Mittelmaß gefunden werden. Komplementärer Beziehungsaufbau Heranwachsende im Hortalter bringen „von sich aus“ sehr viele Lebensthemen mit in den Berufsalltag, die vor dem Hintergrund des komplementären Beziehungssaufbaus von Schemapädagogen sehr von Belang sind und daher aufgegriffen werden können. Besonders vier Angelegenheiten stechen erfahrungsgemäß hervor:
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Spielkonsolen, Wrestling/Kampfsport,
Sport allgemein (etwa Fußball), Actionfilme („Martial Arts“ oder Ähnliches).
Selbst sehr „schwierige“ Kinder und Jugendliche reagieren erfahrungsgemäß sehr positiv darauf, wenn die pädagogische Fachkraft nicht – wie sonst – in Hinsicht auf die genannten Themen automatisch negativ reagiert, sondern offen und interessiert ist. Noch mehr Eindruck auf den Heranwachsenden kann der Schemapädagoge durch „gut platzierte“ Bemerkungen machen, die durchblicken lassen, dass er von Spielkonsolen, Wrestling/Kampfsport, Fußball, Actionfilmen usw. mehr als nur einen „blassen Schimmer“ hat. Selbst wenn die ersten Bemerkungen nicht „sitzen“, der „stete Tropfen höhlt den Stein“. Gerade mit positivem Feedback – den eigenen Steckenpferden gegenüber – rechnen Heranwachsende im Praxisfeld Erziehung so gut wie nie. Sie erleben demgegenüber häufig, dass gerade die Erwachsenen, mit denen sie in Bildungsinstitutionen tun haben, eher eine ablehnende Haltung in Hinsicht auf ihre wahren Hobbys offenbaren (sobald sie aus pädagogischer Sicht fragwürdig sind). Die beschriebene Ablehnungshaltung trifft, und darauf muss hingewiesen werden, aber nicht immer auf die Eltern zu. Nicht selten sind sie in Hinsicht auf die Interessen ihres Sprösslings „Vorbilder“. Die Lernpsychologie (hier: Theorie des Modelllernens) hat den massiven Einfluss der elterlichen Verhaltensweisen im Freizeitbereich auf die Persönlichkeitsentwicklung der Heranwachsenden schon häufig nachgewiesen. Es ist dem Beziehungsaufbau mehr als dienlich, wenn sich die Fachkraft in den genannten Themen „schlaumacht“ beziehungsweise selbst einmal entsprechende Medien konsumiert beziehungsweise temporär nutzt. Diese Handhabe ist zwar sicherlich auf den ersten Blick hin untypisch, aber letztlich sehr effizient. So mancher Praktiker wird nämlich in sehr verdutzte Gesichter schauen, wenn er etwa gut fundiert den neuesten Spielkonsolen-Hit eruiert. Damit rechnen die Heranwachsenden nämlich nicht. Falls die pädagogische Fachkraft solchen vertiefenden „Forschungsprojekten“ eher abgeneigt gegenübersteht – es reichen in Hinsicht auf den komplementären Beziehungsaufbau auch lediglich oberflächliche Kenntnisse in den genannten Themen aus. Bei dieser Sachlage bietet sich auch die (Gruppen-)Methode „Expertenteam“ an, um Beziehungskredit zu erwirtschaften (siehe unten). Der komplementäre Beziehungsaufbau, angelehnt an die oben erwähnten Steckenpferde der Kinder und Jugendlichen, kann in die Arbeit mit Einzelnen und auch Gruppen einfließen:
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Komplementärer Beziehungsaufbau in der Arbeit mit Einzelnen Der Schemapädagoge greift Situationen auf, in denen der Zu-Erziehende Hinweise auf ein zentrales Hobby liefert (Karten von Wrestlern tauschen, über Computerspiele erzählen, einen Fanschaal von einem Fußballklub tragen oder Ähnliches). Lapidare Fragen zum Thema motivieren den Heranwachsenden dazu, dass er sich offenbart. Aktives Zuhören unterstützt die Kommunikation. Erzählt der Heranwachsende von entsprechenden „Erfolgen“ („Habe Level 4 geschafft!“) oder prägnanten Erlebnissen, so geht die Fachkraft auf das offensichtlich dahinterstehende Bedürfnis ein (meistens Anerkennung und/oder Solidarität). Kommt der Schemapädagoge immer mal wieder im Praxisalltag auf die besprochene Angelegenheit zurück, baut er Beziehungskredit auf. Das heißt, die „Fachgespräche“ vertiefen die Beziehung. Der Schemapädagoge wird so leicht zu einer „stabilen Basis“ für den Zu-Erziehenden. Bei ausreichendem Beziehungskredit sind konfrontative Interventionen erfahrungsgemäß wirkungsvoll – und sie werden auch vom Heranwachsenden „angenommen“.
Komplementärer Beziehungsaufbau in der Arbeit mit Gruppen Schemapädagogik ist auch potenziell eine Gruppenpädagogik. Drehen sich die Interessen einer Gruppe etwa um bestimmte Themen, so kann der Erzieher ein zentrales aufgreifen und so einen Zugang zu allen Mitgliedern gleichzeitig finden. Unterhält sich die Gruppe etwa über Computerspiele, kann man die Kinder (oder Jugendlichen) kurzerhand – verdeckt – zum „Expertenteam“ ernennen und etwa fragen: „Hey, Jungs, kurze Frage: Mein Neffe ist so alt wir ihr. Ich will ihm ein Computerspiel zum Geburtstag schenken. Was ist denn gut?“ Erfahrungsgemäß reagieren die ZuErziehenden so (positiv), wie man es erwartet. Wenn nicht, so ist dies ein Hinweis darauf, dass noch nicht genug Beziehungskredit durch komplementäre Beziehungsgestaltung aufgebaut wurde. Kommt aber ein „Fachgespräch“ zustande, so kann darauf in den nächsten Tagen und Wochen aufgebaut werden. Der Schemapädagoge bringt etwa einen Artikel einer Zeitschrift über den relevanten Gegenstand in mehreren Kopien mit und bespricht ihn mit der Gruppe. Eine sehr effiziente Strategie in diesem Zusammenhang ist die Organisation eines „Spiele-Abends“, an dem das Spiel, um das es geht, einmal von der Fachgruppe präsentiert und dem Schemapädagogen dargelegt wird.
Sich auf die Lebenswelt der Kinder beziehungsweise Jugendlichen einlassen, neugierig und offen sein, „Kind“ sein – das ist nicht für jedermann erstrebenswert. Manche Pädagogen finden dies sogar überflüssig beziehungsweise anstößig.
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Viele Praktiker mögen bei einer solchen Darstellung einer Heranwachsenden-Fixierung einwerfen: „Wieso sollte ich mich mit Themen beschäftigen, die mich nicht interessieren? Ich will die Heranwachsenden schließlich erziehen!“ Es muss klar sein: Durch die Anpassung an die Bedürfnisebene der ZuErziehenden entsteht Beziehungskredit, der die Grundlage einer stabilen Zusammenarbeit darstellt. Ohne Beziehungskredit werden aufseiten des ZuErziehenden eventuell keine positiven Affekte im Berufsalltag ausgelöst, und dann laufen pädagogische Mittel bei manchen verhaltensauffälligen Kindern „ins Leere“. Und weiter: Ohne Beziehungskredit spielen die Zu-Erziehenden ihre Spiele mit dem Pädagogen, weil Erstere ihn unter Umständen nicht als gleichberechtigten Partner, als „Menschen“ wahrnehmen, sondern häufig nur als „störendes Objekt“. Ein solches Objekt ähnelt unter Umständen einer ungeliebten innerpsychischen Struktur, die einmal eine Person „außerhalb“ war. Genauer gesagt: Der Pädagoge wird eventuell zu einer personifizierten Projektion eines negativen (verinnerlichten) Selbst-Anteils des Anderen. Liegt eine solche Konstellation vor, investiert der Zu-Erziehende seine gesamten Ressourcen, um dem Erzieher zu schaden. Die Beziehung steht somit unter einem schlechten Stern, da die Fachkraft, wie erwähnt, nicht als Person, sondern als negative Projektion des Heranwachsenden wahrgenommen wird. Alleine schon aufgrund dieser potenziellen negativen Entwicklung lohnen die Perspektivenübernahme und die authentische Anteilnahme an der Lebenswelt der Heranwachsenden. Erfahrungsgemäß ist diese Vorgehensweise weniger zeitaufwändig, als es den Anschein hat. Der dadurch entstehende Beziehungskredit ist unglaublich, ja existenziell hilfreich, sobald es Konflikte im Hort gibt. Problemaktualisierung Konflikte zwischen den Kindern oder zwischen Erziehern und Heranwachsenden sind im Hortalltag nicht selten. Relevant – vor allem aus schemapädagogischer Perspektive – sind Verhaltensauffälligkeiten, die die typischen Abläufe im Hort stören beziehungsweise massiv beeinträchtigen. Wie auch im vorherigen Arbeitsfeld der Fall, werden Verhaltensauffälligkeiten, die vom Heranwachsenden immer wieder offenbart werden, auf spezifische Schemamodi bezogen. Einige Beispiele:
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Verhaltensauffälligkeiten Die Hausaufgaben permanent verweigern und dabei die Fachkraft in endlose Diskussionen verstricken wollen Beim gemeinsamen Essen die Tischnachbarn stören, währenddessen weitere Regeln am Tisch brechen Andere Kinder und Jugendliche mobben, schlagen und diskreditieren
Aktivierte Schemamodi Impulsiv-undiszipliniertes Kind Manipulierer, Trickser, Lügner Selbsterhöher Schikanierer- und Angreifer-Modus Impulsiv-undiszipliniertes Kind Selbsterhöher Zerstörer-/Killer-Modus
Im Eingangsbeispiel offenbarte der Heranwachsende Verhaltensauffälligkeiten, die dem Modus Impulsiv-undiszipliniertes Kind entsprechen. In diesem Fall bietet sich eine Stärkung des Modus des Gesunden Erwachsenen an. Hierzu müssen aber meistens, wie auch bei allen anderen vorliegenden Verhaltensauffälligkeiten, gleichzeitig folgende Phänomene mit bearbeitet werden: (a) die verzerrte Wahrnehmung (externale Kausalattribuierung), (b) daran beteiligte Psychospiele und (c) eventuell ein Wiederholungszwang. Problemklärung Die schemapädagogischen Interventionen in der Phase Problemklärung richten sich nach dem vorhandenen Beziehungskredit, der zwischen Erzieher und Kind besteht. Je mehr Beziehungskredit existiert, desto flexibler kann und soll der Schemapädagoge vorgehen. So ist etwa die Konfrontation mit den Kosten von verschiedenen Verhaltensweisen sowohl humorvoll als auch autoritär, bestimmt praktizierbar. Beides kann zum Erfolg führen, das heißt, zur Entstehung eines Problembewusstseins. Dies fehlt (auch) im Arbeitsfeld Hort so gut wie immer und ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass Heranwachsende nicht ihren Eigenanteil am jeweiligen Problem sehen und es somit auch nicht konstruktiv lösen können. Auf der anderen Seite kommt es erfahrungsgemäß regelmäßig zu Psychospielen und Schemamodus-Aktivierungen. Externale Kausalattribuierung reduzieren Den Eigenanteil an Konflikten konkret kennen- und akzeptieren lernen – und in Zukunft bewusster handeln; gerade bei diesen Angelegenheiten muss der Schemapädagoge dem Zu-Erziehenden helfen, ihn bilden und erziehen, mit Fingerspitzengefühl. Nach wie vor hat es der Pädagoge mit jungen Menschen zu
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tun, deren Gehirne noch immer im Aufbauprozess sind. Erziehungsmittel und sonstige Interventionen können weiterhin noch sehr erfolgreich und langfristig wirksam sein. Manchmal wissen die Betreffenden im Nachhinein (insgeheim) schon, dass sie sich in der einen oder anderen Situation eine gewisse Schuld aufgeladen haben. Aber eben erfahrungsgemäß nur manchmal. Die genauen Tatsachen können Schemapädagogen aber nicht unbedingt von vornherein wissen. Infolgedessen kann in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Heranwachsenden die erste Intervention unter vier Augen – wenn die „Chemie“ stimmt – humorvoll, gewissermaßen „augenzwinkernd“ gestaltet werden, was einem präventiven Vorgehen entspricht. Zum Beispiel folgendermaßen (in Anlehnung an den Eingangsfall):
„Na, Kevin, beim Essen hast Du aber schon öfter andere Kinder genervt, gell?“ „Kevin, ich will Dir mal was sagen: Ich hab früher selbst manchmal nicht gerne Hausaufgaben gemacht. Und Du hast oft einfach auch keinen Bock auf Hausaufgaben, nicht wahr?“
Wenn man in einem „guten Moment“ Heranwachsende authentisch, humorvoll und mit einer Portion „empathischer Konfrontation“ auf ihre Schattenseiten anspricht, kann es passieren, dass sie automatisch lächeln und den Kopf spontan zur Seite neigen – müssen. Grund: Sie fühlen sich ertappt und schämen sich ein bisschen. Auf einem solchen Moment kann man behutsam aufbauen und etwa in späteren Problem-Situationen empathisch darauf zurückkommen. Mit solchen sensiblen Situationen geht der Schemapädagoge „gutmütig-väterlich“ um. Keinesfalls verwendet er sie, um den Heranwachsenden später hinaus zu diskreditieren oder bloßzustellen. Fruchten solche Bewusstmachungs-Versuche überhaupt nicht, so liegt der Schluss nahe, dass der Zu-Erziehende wenig Bewusstsein von seiner negativen Selbstwirkung in bestimmten Situationen hat. Oder aber es wurde noch nicht genug Beziehungskredit durch eine komplementäre Kommunikation geschaffen. In einem solchen Fall gehen Schemapädagogen unter Umständen konkret anders vor: Sie registrieren sehr genau eine Schemamodus-Aktivierung, anders gesagt, eine typische Verhaltensauffälligkeit und intervenieren direkt – in der sich gerade ergebenden Situation. Wurde vorher ausreichend Beziehungskredit aufgebaut, dürfen Einmischungen durchaus konfrontativ und mit einem hohen affektiven Anteil ausfallen:
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„KEVIN, Du bist so ein netter Kerl, und jetzt lass den SCHEISS! Ist das klar!?“ „Kevin, Du machst jetzt die Hausaufgaben, SO WIE ALLE ANDEREN AUCH! Auf geht’s!“
Solche Aktionen führen entweder dazu, (a)
dass der Heranwachsende sich nunmehr so verhält, wie der Pädagoge es will, oder aber (b) er „schaltet einen Gang höher“ und legt es auf eine offene Konfrontation an. Falls letzterer Fall eintritt, so gibt der Schemapädagoge dem Heranwachsenden symbolisch die „Gelbe Karte“, das heißt noch eine letzte Chance: „Kevin, mach’s einfach so. Wenn nicht, zwingst Du mich zum Handeln“ Wird diese letzte Gelegenheit, die Dinge zu kitten, vom Zu-Erziehenden nicht ergriffen, so folgt unvermittelt und ohne großes Aufsehen die „Rote Karte“. Das heißt, der Heranwachsende muss die Konsequenzen seines Verhaltens tragen, und zwar sofort. Wie die Konsequenzen genau aussehen, wird in der Regel zuvor mit den Zu-Erziehenden im Hort erarbeitet, etwa zu Beginn des Schuljahres. Ebenfalls wird bestenfalls sehr früh mit den Heranwachsenden ein Regel-Katalog erstellt. Jeder Pädagoge weiß: Jegliche Sanktionen „triggern“ (verstärken) so gut wie immer die bereits vorhanden Verhaltensauffälligkeiten, das heißt SchemamodusAktivierungen. Der Schemapädagoge nimmt die sich hieraus häufig ergebenden verbalen Angriffe gegen ihn nicht persönlich, sie gehen ja auf das Konto von innerpsychischen Konstruktionsprozessen, die der Heranwachsende in jahreslangen familiären Sozialisationsprozessen ausgeprägt hat. Es muss ganz klar sein: Die Sanktion wird ohne Wenn und Aber und ohne großes Tamtam „durchgezogen“, jegliche „Rettungsversuche“ des Kindes oder Jugendlichen müssen verpuffen. Wurde vor den praktizierten Sanktionen eine komplementäre Beziehungsgestaltung verwirklicht, so bleibt die Bindung trotz der „kleinen Krise“ stabil. Nach einigen Stunden oder Tagen kommt es wieder zum Kontakt zwischen Erzieher und Kind. Die professionelle Fachkraft thematisiert unter vier Augen den Vorfall empathisch und vor allem: nicht in konfrontativer Art und Weise. Hierzu bieten sich die sogenannten zirkulären Fragen an, die sowohl den Anderen
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zur Perspektivenübernahme animieren als auch gleichzeitig die externale Kausalattribuierung reduzieren:
„Kevin, was glaubst Du: Warum habe ich Dich rausgeworfen?“ „Was muss genau beim Essen passieren, dass Du die Anderen nicht mehr störst?“ „Was können wir tun, damit Du die Hausaufgaben – wie alle anderen – machst?“
Der Heranwachsende sollte, sobald er an solchen Fragen aktiv mitarbeitet und seinen Eigenanteil am jeweiligen Problem authentisch formulieren kann, wieder „ins Boot geholt werden“, symbolisch etwa durch einen freundschaftlichen „Klaps“ auf den Arm beziehungsweise durch eine kurze (ernstgemeinte) Umarmung. Die konstruktive Wiederaufnahme der Zusammenarbeit kann daraufhin etwa durch ein gemeinsames Spiel oder ein Gespräch über Themen aus dem Freizeitbereich des Zu-Erziehenden bewerkstelligt werden, bei dem der Modus des Glücklichen Kindes aktiviert wird. Gleichzeitig wird dadurch wieder Beziehungskredit aufgebaut. Und dieser wird in späteren, ähnlichen Situationen durchaus hilfreich sein. Psychospiele thematisieren Die eben beschriebenen Vorgehensweisen – (a) unter vier Augen empathischhumorvoll Verhaltensauffälligkeiten ansprechen, (b) während der SchemamodusAktivierung konfrontativ im Modus des Gesunden Erwachsenen auftreten – werden auch in Hinsicht auf den Umgang mit Psychospielen von Schemapädagogen angewendet. Hierbei gelten, weil die Zu-Erziehenden im Hort nunmehr über ausreichende kognitive Ressourcen verfügen, die Empfehlungen von (DEHNER & DEHNER 2007):
Strategie a: Das Spielgeschehen ansprechen (aufdecken). Strategie b: Den weiteren Spielablauf vorwegnehmen. Strategie c: Den Spieler mit den Kosten seines Verhaltens konfrontieren. Strategie d: Den Spieler als Person wertschätzen und Verhaltensalternativen aufzeigen.
In der folgenden Tabelle wird beispielhaft das jeweilige Vorgehen, wieder in Anlehnung an den Eingangsfall, skizziert:
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Tabelle 8: Psychospiele und Interventionen Psychospiel „Tischnachbarn beim Essen ärgern“ (Schikanierer- und Angreifer-Modus; Selbsterhöher; Ärgerliches beziehungsweise Wütendes Kind)
Interventionen… … unter vier Augen (empathischkonfrontativ): Strategie a: „Kevin, jetzt mal unter uns. Du nervst den X beim Essen doch nur, weil es Dir langweilig ist, gell?“ Strategie b: „Du genießt das schon ein bisschen, wenn Du dann von mir oder Herrn X ermahnt wirst. Denn dann stehst Du im Mittelpunkt, stimmt’s?“ Strategie c: „Kevin, ich verstehe Dich ja, Du genießt das ein bisschen. Aber Dein Verhalten beim Essen geht uns alle auf die Nerven: den Kindern und den Erziehern. Ganz ehrlich!“ Strategie d: „Kevin, ich kann Dich super leiden. Und lass einfach das nächste Mal Deine Tischnachbarn in Ruhe und iss einfach nur mal, okay? Du bist ein cooler Typ und hast das nicht nötig!“ … während der Schemamodus-Aktivierung (autoritär-konfrontativ): Strategie a: „KEVIN, Du nervst den X jetzt nur, weil Du Aufmerksamkeit von uns willst! Hör auf!“ Strategie b: „KEVIN, Du nervst den X die nächsten fünf Minuten, das kennen wir schon!“ Strategie c: „KEVIN, es nervt uns, wenn Du Deinen Nachbarn nervst. Das IST uncool!“ Strategie d: „KEVIN, Du bist ein super Typ, und DAS Verhalten ist unter aller Sau! Lass Deinen Frust am Boxsack raus, und zwar JETZT!“
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Fortsetzung von Tabelle 8 „Hausaufgaben verweigern“ (Impulsiv-undiszipliniertes Kind; Ärgerliches beziehungsweise Wütendes Kind)
… unter vier Augen (empathischkonfrontativ): Strategie a: „Hey, mal unter uns: Du willst die Hausaufgaben nur nicht machen, weil sich dann alle um Dich kümmern, gell?“ Strategie b: „Du weißt schon: wenn Du länger rumzickst, dann geht das Spiel weiter, stimmt’s?“ Strategie c: „Weißt Du, ich verstehe nicht, wieso Du mich damit nervst, wir kommen doch gut miteinander aus.“ Strategie d: „Kevin, Du hast viel mehr drauf, lass das Kindergartenverhalten und mach die Hausaufgaben, dann kannst Du früher raus.“ … während der Schemamodus-Aktivierung (autoritär-konfrontativ): Strategie a: „HÖR AUF mit diesem Ich-habkein-Bock-Spiel. Spiel keine Spielchen mehr mit uns!“ Strategie b: „KEVIN, Du wirst von jetzt ab weiter nerven und wir werden Dich weiter ermahnen!“ Strategie c: „ES NERVST UNS – wenn Du aus der Reihe tanzt!“ Strategie d: „KEVIN, NICHTS GEGEN DICH – geh einfach mal fünf Minuten raus und komm runter. Dann bist Du pünktlich hier und machst die Hausaufgaben! ENDE DER DURCHSAGE!“
Wiederholungszwang thematisieren Bemerkt der Schemapädagoge, dass es in bestimmten Situationen aufseiten des Zu-Erziehenden zur Aktivierung verschiedener Schemamodi kommt, stehen ihm unter anderem zwei Interventionsmöglichkeiten offen. Zunächst (a) kann er die Aktivierung direkt ansprechen, entweder empathisch-konfrontativ oder autoritär-konfrontativ, oder aber (b) er bietet dem Heranwachsenden einen neuen Reiz an. In Anlehnung an den Eingangsfall kann dies folgendermaßen praktiziert werden:
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(a)
„Kevin, lass das, wir kennen Dein Spiel schon!“ – (b) „Kevin! Willst Du gleich in den Ruhe-Raum? Du weißt ja, um was es gerade geht!“ (b) „Kevin, bevor gleich wieder Dein Spiel startet – hier habe ich eine kleine Aufgabe für Dich. Mal sehen, ob Du sie schaffst!“ Beide Interventionen sollen dem Zu-Erziehenden dabei helfen, seine Schemamodus-Aktivierung irgendwann zu unterdrücken und gleichzeitig den Modus des Gesunden Erwachsenen zu fördern. Ergibt sich nach solchen Situationen irgendwann ein Gespräch „auf Augenhöhe“, können die Schemamodus-Aktivierungen reflektiert besprochen werden, in der Regel zunächst auf einem didaktisch-reduzierten Niveau. Problembewusstsein mithilfe des Schemamodus-Modells erschaffen Schemapädagogen testen im Arbeitsfeld Hort die kognitiven Fähigkeiten der verhaltensauffälligen Heranwachsenden. Es wird geklärt, ob der Betreffende dazu imstande ist, eine kostenintensive Persönlichkeitsfacette (= Schemamodus) objektiv zu erfassen. Falls der Heranwachsende dazu fähig ist, beginnt die Arbeit mit dem Schemamodus-Modell. Es bietet sich an, das Schemamodus-Memo zunächst in Hinsicht auf Emotionen auszufüllen (einfache Stufe), die der Betreffende selbst benennen kann. Die kostenintensivste Emotion, genauer gesagt, die Bezeichnung, wird mit dem Vornamen des Zu-Erziehenden verknüpft, etwa: „Wütender Kevin“ oder „Aggressiver Kevin“. Erfahrungsgemäß können die Zu-Erziehenden im Hort ab einem bestimmten Alter ein Schemamodus-Memo ausfüllen, das die üblichen Standards des kognitiven Levels von Jugendlichen erfüllt, zum Beispiel „Der impulsive Kevin in mir“ oder „der Agro-Kevin in mir“ (komplexe Stufe). Im beispielhaften Fall wurde ein Schemamodus-Memo erstellt, das der ersten Stufe entspricht (siehe unten). Das Schemamodus-Memo dient der Festigung von Verhaltensalternativen, aber auch insbesondere der Förderung des Modus des Gesunden Erwachsenen. Die Arbeit mit dem Memo wird von Schemapädagogen vorbereitet. Entsprechende Gespräche über „innere Persönlichkeiten“ (in Bezug auf den Eingangsfall: „innere Kevins“) bereiten den Einsatz des Schemamodus-Memos vor. In diesen Gesprächen, die zwischen der professionellen Fachkraft und dem Zu-Erziehenden zunächst ausschließlich unter vier Augen stattfinden, reden die Beteiligten über den Schemamodus, so als ob er eine dritte Person wäre. Dadurch wird einerseits aufseiten des Zu-Erziehenden das Bewusstsein für innerpsychi-
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sche Strukturen erweckt, andererseits der Modus des Gesunden Erwachsenen gestärkt. Und gleichzeitig verringern sich außerdem automatisch die drei kostenintensiven Phänomene:
Externale Kausalattribuierung, Psychospiele und Wiederholungszwang.
Unterstützung beim Transfer der Lösungen in den Alltag Wenn Schemapädagogen die Schemamodus-Aktivierungen und Manipulationen der Zu-Erziehenden didaktisch-reduziert ansprechen, thematisieren und bearbeiten, wissen sie: Dadurch wird meistens Beziehungskredit abgebucht. Daher arbeiten sie stets auch gleichzeitig am komplementären Beziehungsaufbau. Ein weiteres Stichwort ist „ressourcenorientiertes Arbeiten“. Das heißt, dass vorhandene Potenziale der Zu-Erziehenden, die sich gewiss schon im Arbeitsfeld Hort abzeichnen, von der professionellen Fachkraft gefördert und gefordert werden sollen. Dadurch lernt der Heranwachsende, dass er etwas kann. Er wird sich seiner Selbstwirksamkeit bewusst. Schafft es ein verhaltensauffälliger Heranwachsender nun, in einer (ansonsten) Schemamodus-auslösenden Situation die Kontrolle zu bewahren, so wird dies vom Schemapädagogen bemerkt und (a) beim Auftreten und (b) in einer geeigneten Situation danach authentisch gewürdigt. Verschiedene Arten der Belohnung stehen dabei zur Auswahl:
Authentisch Lob und Anerkennung aussprechen (führt zur Ausschüttung von Glückshormonen im Gehirn des Heranwachsenden). Gutscheine vergeben, die der Zu-Erziehende gegen einen entsprechenden (belohnenden) Artikel eintauschen kann (Prinzip der Token-Ökonomie). Ein Geschenk machen (unerwartet).
Die Aufmerksamkeiten werden vom Schemapädagogen mit den „Erfolgen“ des Heranwachsenden in Zusammenhang gebracht.
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Deutung des Ausgangsfalls und schemapädagogische Interventionen Wenn Kevin (12) in den Hort kommt, ist er meistens sehr aufgedreht. Mareike (19), die als Erzieherin in der Einrichtung tätig ist, verdreht jedes Mal aufs Neue die Augen, wenn sie ihn nur von Weitem sieht. Kaum betritt er die Einrichtung, schreit er erst mal ein bisschen herum und wirft seinen Schulranzen in die Ecke (Psychospiel „Aufmerksamkeit“ beziehungsweise Modus Impulsivundiszipliniertes Kind). Beim gemeinsamen Mittagessen kommt er nur selten zur Ruhe. Schnell wird es ihm langweilig (Modus Impulsiv-undiszipliniertes Kind). Dies liegt auch daran, weil er meistens als Erster fertig ist (er schlingt alles hinunter, so schnell es nur geht). Daraufhin stört er seine Tischnachbarn auf alle nur erdenklichen Methoden (Schikanierer- und AngreiferModus). Mareike muss ihn jedes Mal ermahnen und beruhigen. Seine Reaktion ist immer dieselbe: „Ich hab doch gar nix gemacht!“ (externale Kausalattribuierung) Dieses Spiel wiederholt sich fast täglich (Psychospiel „Aufmerksamkeit“ beziehungsweise Modus Impulsivundiszipliniertes Kind). Nach dem Essen haben die Kinder eine Stunde Freizeit. Kevin ist dann immer noch sehr „munter“ und tollt im Außenbereich herum. Wenn es jedoch an die Erledigung der Hausaufgaben geht, lässt seine Motivation schlagartig nach. Und wieder erfordert seine (nicht vorhandene) Aktion (Modus Impulsiv-undiszipliniertes Kind) eine Reaktion vonseiten der Erzieherin. Als Kevin eines montags wieder in den Hort kommt, überrascht Mareike ihn mit: „Na, Kevin, hast Du gestern Wrestling geguckt?“ (komplementäre Beziehungsgestaltung) (Sie hatte einige Tage zuvor mitbekommen, wie Kevin von seinem „Lieblingshelden“ gesprochen hat.) Kevin ist kurz erstaunt und erzählt von der Sendung. Sie merkt, wie er „runterkommt“. Der Tag verläuft ein wenig störungsfreier als sonst (Grund: Aufbau von Beziehungskredit). Nach dem Essen verlässt Kevin die Gruppe und geht in den Außenbereich. Mareike folgt ihm und beginnt wieder ein Gespräch über Wrestling (komplementäre Beziehungsgestaltung). Nach und nach verbessert sich das Verhalten von Kevin. Seinen Freunden erzählt er: „Mareike ist cool!“ Die Erzieherin muss ihn nach wie vor noch oft ermahnen und beruhigen, aber es gelingt ihr immer besser. Der Grund: Kevin hört auf sie. Eines Tages füllen sie gemeinsam ein Schemamodus-Memo aus (siehe folgenden Kasten). Die Erzieherin hat sich von den Verhaltensauffälligkeiten, die Kevin offenbarte, nicht aus dem Konzept bringen lassen (sie entsprechen den Modi Impulsiv-undiszipliniertes Kind und Angreifer- und Schikanierer-Modus). Es gelang ihr, Beziehungskredit aufzubauen, indem sie sich auf seine Lebenswelt einließ (Wrestling). Alleine durch diese Maßnahmen hatten ihre Erziehungsmittel mehr Effizienz. Doch diese Vorgehensweisen entsprechen vor dem Hintergrund der Schemapädagogik strenggenommen noch nicht den Fördermaßnahmen im strengen Sinn. Denn man kann davon ausgehen, dass der Heranwachsende zwar zukünftig sein Verhalten ändert, wenn seine Bezugs-Erzieherin in der Nähe ist – doch andere Lebensbereiche bleiben hiervon unbeeindruckt. Das heißt, abseits des Horts kommt es sicherlich – wie immer – zu den bekannten Schemamodi-Aktivierungen.
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Daher führen Schemapädagogen den Zu-Erziehenden irgendwann in das SchemamodusModell ein. Mareike hat dies getan und mit Kevin gemeinsam ein Schemamodus-Memo ausgefüllt. Mit diesem wird in Zukunft weiter gearbeitet. Die Erinnerungskarte von Kevin 1. Benennen einer Situation, in der ich wütend werde „Wenn ich mit den Anderen gemeinsam im Hort sitze, esse – und nichts passiert.“ 2. Erkennen der aktivierten Teil-Persönlichkeit „Ich weiß, dass so eine Situation Wut in mir auslöst, das passiert zu Hause auch.“ 3. Anerkennen des unangepassten Denkens und Realitätsprüfung „Im Hort gelten Regeln. Und ich breche sie, wenn ich beim Essen wütend werde, weil ich dann meinen Nachbarn ärgere.“ 4. Trennen vom alten und Festigung des neuen Verhaltens „Ich werde leicht wütend beim Essen. Wenn ich das nächste Mal merke, dass ich beim Mittagessen wütend werde, denke ich an etwas Schönes und konzentriere mich aufs Essen. Oder aber ich gehe zum Boxsack!
4.4 Heimerziehung Thomas, 15, ist der jüngste Neuzugang. Er wird in eine Gruppe integriert, die vorwiegend aus Gleichaltrigen besteht. Die Clique wird schnell von ihm durchschaut, und er gesellt sich zu den eher problematischen Heranwachsenden. Den professionellen Helfern gegenüber ist er höflich, ja geradezu überfreundlich. Auf den ersten Blick scheint er kein „Wässerchen“ trüben zu können. Seine eher schmächtige Statur unterstützt diesen ersten Eindruck. Mareike, 21, die ihr Berufspraktikum im Rahmen ihrer Erzieher-Ausbildung zur selben Zeit absolviert, durchschaut Thomas als Erste. Sie bekommt mit, wie er hinter dem Rücken der anderen Fachkräfte den körperlich schwächeren Jugendlichen übel mitspielt. Zwei Monate nach seiner Integration mehren sich die Diebstähle im Heim. Einmal wird die Kasse leergeräumt. Drei Stuhlkreise finden statt, die Mareike mit betreut. Spannung wird aufgebaut. Einer der Jugendlichen hält die Konfrontation nicht mehr aus und verpetzt Thomas. Er hätte die Kasse aufgebrochen und das Geld entnommen. Thomas flippt völlig aus. Nach einem Tobsuchtsanfall, den die Betreuer nur mühsam in den Griff bekommen, bricht er zusammen und weint. Mareike kümmert sich nach diesen Vorfällen konkret um Thomas. Die ersten Kontaktversuche verlaufen so, wie sie es erwartet: Der Jugendliche tritt ihr gegenüber unspektakulär auf, so als wäre alles in bester Ordnung. Sie kommt nicht an ihn er heran, der Jugendliche windet sich immer wieder sehr professionell aus Situationen, die „Gefahr“ laufen, persönlich zu werden. Die Erzieherin liest seine Akte und erfährt unter anderem, dass Thomas mit 13 Jahren – bevor sich seine Eltern trennten – einmal in einem Fußballverein angemeldet war. Im Internet bestellt sie eine Biografie über den portugiesischen Profi-Fußballer Christiano Ronaldo. Als das Buch ankommt, legt sie es ihm unter das Kissen in seinem Bett.
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Die Beziehung wird persönlicher und informeller. Das Thema Christiano Ronaldo erweist sich als „Volltreffer“. (Es ist der Lieblingsspieler von Thomas.) Nach und nach kommen die beiden immer öfter miteinander aus. In ihrem Beisein wirkt er – authentisch – nett und verzichtet auf die Angriffe gegen die Gleichaltrigen. Eines Tages – man unterhält sich wieder über Fußball – stimmt die Chemie, und die Erzieherin sagt: „Sag mal, unter uns: Manchmal kommt schon so ein kleiner Abstandhalter-Thomas in Dir raus, gell?“ Thomas’ Mimik erstarrt. Sie sagt schnell: „Na, wenn Dich jemand wirklich kennen lernen will, Du weißt schon.“ Thomas muss grinsen. Ab diesem Zeitpunkt gilt „Abstandhalter-T.“ als Arbeitsbegriff für die beiden. Die Beziehung wird immer besser, und Thomas gelingt es, mithilfe von Achtsamkeit seinen maladaptiven Schemamodus in den Griff zu bekommen. Ein Schemamodus-Memo, das beide gemeinsam erstellen, hilft ihm dabei (siehe unten).
Allgemeines Heime sind sozialpädagogische Einrichtungen der Jugendhilfe. Dort werden Kinder und Jugendliche mittel- bis längerfristig stationär untergebracht, sobald sie aus verschiedenen Gründen nicht mehr in ihrer Herkunftsfamilie bleiben können beziehungsweise wollen (LATTSCHAR 2006). Die Betreuung findet rund um die Uhr statt. Heimeinrichtungen werden oft als Kinder- und Jugendheim bezeichnet, aber auch andere Termini sind geläufig (Waisenhaus, Kinderheim, Erziehungsheim). Solche Einrichtungen gelten als „klassische Heimeinrichtungen“ (VOGELSBERGER 2002, 134). In Hinsicht auf die pädagogischen Konzeptionen in der Heimerziehung herrscht eine große Vielfalt vor. Die Gründe, wieso Kinder und Jugendliche in ein Heim kommen, sind sehr unterschiedlich. Häufig stammen die Betreffenden aus sogenannten Multiproblemfamilien. Einige Beispiele für diese Familien sind (MORGENSTERN 2006, 58):
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Ein-Eltern-Familien (Anlass für eine Aufnahme: Aufgrund etwa einer Scheidung können die Kinder nicht mehr betreut werden), Familien mit Heranwachsenden, „die nicht erwünscht“ sind, Familien, die wirtschaftlich benachteiligt sind (Arbeitslosigkeit, schlechte Wohnverhältnisse usw.), Familien mit schwer erziehbaren Kindern, Familien, die relevant in Hinsicht auf Kindeswohlgefährdung sind (etwa Vernachlässigung, Misshandlung, sexueller Missbrauch oder Ähnliches).
Der Heimalltag wird von den pädagogischen Fachkräften bewusst strukturiert und gestaltet. Hierzu gehört etwa die Ordnung des Tagesablaufs, die Verteilung und Übernahme verschiedener Aufgaben, aber auch die Organisation der Reaktionen auf pädagogisch relevante Vorkommnisse in der Einrichtung (BROCKSCHNIEDER & ULLRICH 1997, 251). Die Kinder und Jugendlichen können auf ein breites Angebot zurückgreifen. Es gibt Gemeinschaftsräume, meisten sind Anlagen zur sportlichen Betätigung vorhanden (Spiel- und Sportplatz, Freizeiträume). – Erzieher, die im Heim arbeiten, bieten auch verschiedene Projekte an, etwa aus den Bereichen Musik, Film, Entspannung. Kontakte zu ortsansässigen Einrichtungen (Schule, Verein, Ausbildungsbetriebe usw.) werden gewöhnlich aktiv gepflegt – ein Hinweis auf die Wertschätzung des sogenannten systemischen Arbeitens. Ein sehr zentrales Ziel, das die Heimerziehung verfolgt, ist die Rückkehr des Heranwachsenden in seine Herkunftsfamilie. Wenn dies aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist, liegt der Schwerpunkt auf der Sozialisation, die später einmal ein selbstständiges und verantwortungsbewusstes Leben ermöglichen soll. Entsprechend werden verschiedene Kompetenzen gefördert (LATTSCHAR 2006). Andere Formen der Heimerziehung sind: Kinderdörfer, Wohngruppen, betreutes Wohnen und Erziehungsstellen. Neurobiologische Voraussetzungen und die sich daraus ergebenden Aufgaben für Schemapädagogen Man kann annehmen, dass viele Kinder und Jugendliche, die die Heimerziehung in Anspruch nehmen, im Durchschnitt eher unvorteilhafte Beziehungsmuster erlebt haben (siehe Beschreibung der Multiproblemfamilien). Neurobiologische und bindungstheoretische Befunde legen nahe, dass unter solchen Voraussetzungen vorwiegend maladaptive Schemamodi und Schemata entstehen. Wer seit der Kindheit über Jahre hinweg Strategien entwerfen musste, um sich an die soziale Umwelt mitsamt ihrer zahlreichen Schattenseiten anzupassen, der interpretiert später hinaus „normale soziale Beziehungen“ infolge unvermeidlicher Aktivierungen verschiedener innerpsychischer Strukturen unbewusst als „abnormal“. Die vielen verzerrten Bilder, die man von sich selbst und von Beziehungen insgesamt hat, stimmen dann nicht mehr mit dem alltäglichen „normalen“ Erleben überein. Aktiv versuchen entsprechend belastete Kinder und Jugendliche, ihre spezifischen Erwartungshaltungen, die in ihren ersten Lebensjahren in den neuronalen Netzwerken des Gehirns abgespeichert wurden, auch in der Realität
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bestätigt zu sehen. Das bedeutet: Es kommt in Hinsicht auf die Interaktion zwischen Kindern und Jugendlichen sowie Heranwachsenden und Erzieher relativ häufig zu Schema- und Schemamodi-Aktivierungen. Vermehrt dürften Erzieher auf folgende Schemata stoßen:
Emotionale Vernachlässigung (der betreffende Heranwachsende wirkt häufig emotionslos und unnahbar), Verlassenheit/Instabilität (Heranwachsende gehen nur widerwillig Beziehungen ein, weil sie glauben, dass sie nicht verlässlich, sondern letztlich enttäuschend sind), Soziale Isolation (wenig bis gar keine Motivation, sich in eine Gruppe zu integrieren, Einzelgängertum), Unterwerfung/Unterordnung (das Schema bringt Betreffende dazu, sich in Gesprächen zu passiv zu verhalten und sich dominieren zu lassen; führt oft zum Mitläufertum).
Diese schematheoretischen und -praktischen Gegebenheiten erfordern vom Erzieher verschiedene Kompetenzen:
Ein hohes Maß an Frustrationstoleranz. Diagnostische Fähigkeiten in Hinsicht auf Tests, Appelle und Psychospiele. Ausgeprägte Fähigkeit zur komplementären Beziehungsgestaltung und zur empathischen Konfrontation.
Dem Schemapädagogen ist klar, dass pädagogische Interventionen immer noch die Kinder und Jugendlichen innerpsychisch gut erreichen (können), denn gerade in der Pubertät kommt es noch einmal zu massiven „Umbaumaßnahmen“ im Gehirn. Diese Tatsache macht Mut! Eigene Schemata und Schemamodi wahrnehmen Gerade im Arbeitsfeld Heimerziehung kommt es darauf an, die eigenen Schemata und Schemamodi im Blick zu behalten. Denn die Klientel besteht meistens auch aus Heranwachsenden, die eine gewisse Perfektion darin entwickelt haben, wie sie ihr Umfeld zu „erwünschten“ Verhaltensweisen animieren. Drei Beispiele für die Relevanz eigener Muster:
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Ist das Schema Aufopferung latent existent, neigt der Betreffende leicht dazu, sich von bestimmten Heranwachsenden um den Finger wickeln zu lassen.
Sie merken recht schnell, wenn ein Erzieher auf die „Mitleidstour“ anspringt. Die Gefahr liegt darin, dass sich die Fachkraft infolge einer SchemaAktivierung leicht manipulieren lässt. Eventuell fordert sie außerdem die betreffenden Kinder oder Jugendlichen nicht genug. Auf der anderen Seite scheint sich auch das Schema Emotionale Entbehrung als „pädagogischer Stolperstein“ zu offenbaren. In Momenten, in denen der Zu-Erziehenden ganz offensichtlich ein paar „Portionen“ Nachbeelterung vertragen könnte, etwa in Form von tröstenden Worten, verhindert eine entsprechende Schema-Aktivierung das erwünschte Verhalten. Solche Situationen gehen dann zulasten der komplementären Beziehungsgestaltung, da man sich nicht um den Modus Verletzbares Kind kümmert. Und wenn dies nicht passiert, dann bleiben alle maladaptiven Schemata und Schemamodi aufseiten des Heranwachsenden bestehen. Ähnlich verhält es sich mit dem Muster Bestrafungsneigung. Im Falle einer Aktivierung reagiert der Pädagoge zu extrem auf Verfehlungen, die die jungen Menschen in der Heimerziehung immer mal wieder begehen. Infolge häufiger Aktivierungen entsteht leicht ein Teufelskreis. Denn besonders diejenigen Zu-Erziehenden werden Kontakt zum betreffenden Erzieher suchen, die das Schema Misstrauen/Missbrauch (inklusive der Bewältigungsreaktion Erduldung) offenbaren. Infolgedessen begehen stets dieselben Kinder und Jugendlichen – unbewusst motiviert – Regelbrüche, damit sie vom betreffenden Erzieher bestraft werden. Ein solcher Interaktionszirkel ist dysfunktional und zementiert neurotische Strukturen.
Komplementärer Beziehungsaufbau Das Arbeitsfeld Heimerziehung impliziert in Hinsicht auf die komplementäre Beziehungsgestaltung drei Vorteile: 1.
2.
3.
Der Erzieher hat in der Regel über einen längeren Zeitraum mit den Heranwachsenden zu tun, was dem Beziehungsaufbau, ohne den keine pädagogische Intervention „ankommt“, sehr entgegenkommt. Im Berufsalltag ergeben sich automatisch viele Möglichkeiten, mit den ZuErziehenden in Kontakt zu treten, insbesondere bei Gruppenarbeiten oder Projekten. Das gerade aktuelle Thema, das im Vordergrund steht, dient geradezu als „Aufhänger“ für Gespräche beziehungsweise Gesprächseinstiege. Die Kinder und Jugendlichen bringen von sich aus sehr viele Lebensthemen mit, die in Zusammenhang stehen mit ihren sozialen Kontakten außerhalb der Einrichtung (Verein, Schule, Ausbildungsbetrieb usw.).
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Im Unterschied zum Arbeitsfeld Hort und zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit (siehe unten) sind die Adressaten der Heimerziehung eigentlich zu jeder Tageszeit „in der Nähe“. Erschwert wird gleichzeitig, darauf muss hingewiesen werden, der komplementäre Beziehungsaufbau in der Heimerziehung vor allem durch die Existenz verschiedener Schemata, die die Heranwachsenden in diesem Arbeitsfeld offenbaren. Problemaktualisierung Die relativ ungünstige Kombination aus nachteiligen Schemata, die im Arbeitsfeld Heimerziehung meistens vorherrschen, sind verantwortlich für (sich oft wiederholende) Konflikte aller Art. Zwischenmenschliche Probleme ergeben sich auch insbesondere durch Psychospiele, Wiederholungszwangs-Phänomene und Tests. Erfahrungsgemäß müssen Erzieher nicht lange warten, zugespitzt gesagt, bis „sich etwas tut“. Aber das hat in der Regel mit den Biografien der Heranwachsenden zu tun – ein Aspekt, den Schemapädagogen immer im Hinterkopf behalten. Drei konkrete Beispiele für übliche Schemamodi-Aktivierungen in diesem Arbeitsfeld: Maladaptive Schemamodi (aufseiten des Zu-Erziehenden) Schikanierer- und Angreifer-Modus
Impulsiv-undiszipliniertes Kind
Distanzierter Selbstberuhiger
Potenzielle Aktionen bei einer Aktivierung Andere Kinder und Jugendliche mobben, quälen, „theatralisch“ niedermachen; Vandalismus Den Regelkatalog regelmäßig brechen; Arbeitsaufträge verweigern; Strukturen außer Kraft setzen; häufig Ausflippen Alkohol-, Medikamenten- und Drogenmissbrauch
Kommt es zu solchen Aktivierungen, so stellt der Schemapädagoge inneren Abstand zur jeweiligen Situation her und lässt sich nicht zu affektiven Gegenschlägen verleiten, denn genau das erwarten betreffende Kinder und Jugendliche infolge der Schema-Aktivierungen. Problemklärung Die Klientel der Heimerziehung erfüllt in der Regel die Voraussetzungen für die Arbeit mit dem Schemamodus-Modell. Das heißt, die Betreffenden sind dazu fähig, innerpsychische Strukturen kognitiv zu fassen und zu beschreiben (hierzu wird in der Regel auch ein Schemamodus-Memo verfasst, siehe unten).
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Wie schon mehrfach gesagt, haben die Personen mit nachteiligen Schemata und Schemamodi wenig Einsicht in die Selbstwirkung im Falle einer Aktivierungen. Daher sind ihnen auch nicht die unbewussten Prozesse klar, die währenddessen ablaufen. Entsprechend wichtig ist die Phase des komplementären Beziehungsaufbaus. Die Kinder und Jugendlichen öffnen sich erst, wenn sich eine stabile Arbeitsbeziehung zuvor ergibt. Erst dann können Schemapädagogen verschiedene irrationale Prozesse fokussieren und modifizieren. Externale Kausalattribuierung reduzieren Die oben schon erwähnte ungünstige Kombination aus Schemata und Schemamodi verursacht seitens der Heranwachsenden meistens auch eine stark ausgeprägte Tendenz, die Verantwortung für die eigenen Verfehlungen den Umständen, Mitmenschen, irgendwelchen „Zufällen“ zuzuschreiben (externale Kausalattribuierung). In Bezug auf die eben erwähnten Schemamodi kann man entsprechend festhalten, dass
mobbende Zu-Erziehende (Schikanierer- und Angreifer-Modus) automatisch den Opfern die Schuld für die Aktionen geben („Der hat angefangen!“), widerspenstige, bockige Jugendliche (Modus Impulsiv-undiszipliniertes Kind) ihr Fehlverhalten als „logische Folge“ von aufgestellten Regeln wahrnehmen („Tja, wenn Sie so streng sind!“), viele Heranwachsende, die in Hinsicht auf Suchtmittelmissbrauch Rückschläge erleiden (Distanzierter Selbstberuhiger), sich keiner Schuld bewusst sind („Hätte der Typ mir keinen Joint angeboten, wäre alles gut gegangen!“).
Kommen solche Verhaltensauffälligkeiten ans Tageslicht, tragen die Heranwachsenden, die noch nicht in das Schemamodus-Modell eingeführt wurden, die volle Verantwortung als Person (etwa: „Du hast …). Nach der SchemamodusArbeit werden zukünftige Vergehen auf die innerpsychischen Teil-Persönlichkeiten bezogen, sodass der Betreffende leicht einsehen kann, dass sehr wohl der „Mobber-Thomas“, „Rumzicker-Thomas“ beziehungsweise „Kiffer-Thomas“ in ihm(!) den Regelverstoß begangen hat (etwa: „Tja, Du hast den MobberThomas nicht kontrolliert, daher …). Die Thematisierung des Schemamodus-Modells, die zusammen mit dem Schemapädagogen ausführlich erarbeitet wird, trägt zur Reduktion der externalen Kausalattribuierung seitens des Heranwachsenden bei. Denn die Ver-
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antwortung für bestimmte Taten werden zwar einem „Dritten“ übertragen; dieser Dritte ist aber eben ein Teil von ihm. Psychospiele thematisieren Kostenintensive Psychospiele können im Gespräch mit dem Heranwachsenden sowohl auf aktivierte Schemamodi als auch auf die ganze Person bezogen werden. Schemapädagogen sind in dieser Hinsicht flexibel. Im Folgenden werden einige Interventionen zum Umgang mit Spielen dargestellt, die möglicherweise im Eingangsfall offenbart wurden. Hierbei gilt wieder die oben erwähnte Einteilung folgender Strategien:
Strategie a: Das Spielgeschehen ansprechen (aufdecken). Strategie b: Den weiteren Spielablauf vorwegnehmen. Strategie c: Den Spieler mit den Kosten seines Verhaltens konfrontieren. Strategie d: Den Spieler als Person wertschätzen und Verhaltensalternativen aufzeigen.
Tabelle 9: Psychospiele und Interventionen Psychospiel „Schwächere mobben“ (Schikanierer- und Angreifer-Modus)
Interventionen… … unter vier Augen (empathisch-konfrontativ): Strategie a: „Andere ein bisschen mobben – ist schon ein kleines Spiel für Dich, ne?“ Strategie b: „Dann bist Du nicht mehr zu toppen, dann passiert Folgendes [Verlauf einfügen].“ Strategie c: „Ich finde das schon assi. Ich gehe ja auch nicht so mit Dir um! Deinen Opfern geht’s richtig schlecht.“ Strategie d: „Wenn Du das nächste Mal Dein Spiel spielen willst, dann sei so nett und lenk Dich irgendwie ab, okay?“ … während der Schemamodus-Aktivierung (autoritär-konfrontativ): Strategie a: „Oh, da spielt wieder jemand das Assi-Spiel!“ Strategie b: „Gleich passiert [üblichen Ablauf einfügen]!“ Strategie c: „Ich finde MOBBING scheiße, hörst Du!“ Strategie d: „THOMAS, ich kann Dich gut leiden – geh aufs Zimmer und komm runter!“
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Fortsetzung von Tabelle 9 „Klaue – und du bekommst die Aufmerksamkeit“ (Selbsterhöher, Manipulierer, Trickser, Betrüger, Innerer Bestrafer – nach innen wirkend)
… unter vier Augen (empathischkonfrontativ): Strategie a: „Thomas, mal ehrlich: die ganze Klauerei – das ist doch mehr ein Spiel, oder?“ Strategie b: „Du machst das so lange, bis Dich jemand erwischt – und dann stehst Du im Mittelpunkt!“ Strategie c: „Thomas, Du bekommst dann zwar Aufmerksamkeit, aber negative. Und irgendwann sitzt zu vielleicht im Knast!“ Strategie d: „Schau mal, ich finde, Du kannst gut [Verhaltensweisen einfügen]; deshalb respektiere ich Dich. Klauen ist aber SCHEISSE!“ … während der Schemamodus-Aktivierung (autoritär-konfrontativ): Strategie a: „Ich glaube, Du spielst gleich wieder Dein Spiel!“ Strategie b: „Du wirst wieder was klauen und dann erwischt Dich jemand!“ Strategie c: „Du wirst klauen und dafür bestraft. Das muss gar nicht sein!“ Strategie d: „Thomas, Du hast den Scheiß nicht nötig. Mach was anderes, zum Beispiel [Hobby des Betreffenden einfügen]!“
In Hinsicht auf die Interventionen gilt: Sie wirken insbesondere dann, wenn (a)
Beziehungskredit besteht und der Erzieher tendenziell als Vater- beziehungsweise Mutter-Objekt wahrgenommen wird, (b) der Betreffende gerade im Modus des Gesunden Erwachsenen ist und (c) sich ertappt fühlt. Noch eine Anmerkung zum Sprachgebrauch in solchen Situationen. Erfahrungsgemäß kommen manche autoritär-konfrontative Interventionen eher an, wenn sie in der Sprache der Heranwachsenden ausgesprochen werden. Schemapädagogen probieren diese Möglichkeit auch einmal aus.
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Wiederholungszwang thematisieren Mithilfe einer stabilen Arbeitsbeziehung lässt sich auch der Wiederholungszwang objektiv fassen. In der Regel ist den Zu-Erziehenden nicht bewusst, dass sie häufig dieselben Konflikte mit sich selbst oder ihrer sozialen Umwelt erleben. Weil daran insbesondere die Psychospiele beteiligt sind, gilt es, die relevanten problematischen Interaktionsmuster rechtzeitig zu bemerken und im Keim zu ersticken (siehe oben). Es ist außerdem wichtig, dem Heranwachsenden parallel zur „Frustration“ (der Schemapädagogen hat ihn ja aller Wahrscheinlichkeit nach durchschaut) eine Verhaltensalternative anzubieten. Eine Portion Humor schadet in einer solchen Situation auch nicht. Zwei Beispiele, die am Eingangsfall orientiert sind:
„Thomas, komm’, lass den Mobbing-Mist. Das kennen wir schon. Mach lieber mal den Abwasch, damit wir heute schneller loskommen.“ „Heckst Du wieder was aus, mein Guter? Na? In dem Fall lenkst Du Dich mal besser ganz schnell ab!“
Entsprechende Vermutungen können sich natürlich auch dann und wann als Irrtum herausstellen. Die professionelle Fachkraft bleibt in solchen Momenten stets im Modus des Gesunden Erwachsenen und bemüht sich authentisch um die Klärung der Sachlage. Aber natürlich muss nicht jede Beobachtung oder Redewendung „durchgekaut“ werden. Hieraus würde schnell ein anderes Psychospiel entstehen. Problembewusstsein mithilfe des Schemamodus-Modells erschaffen Schemapädagogen thematisieren nicht die maladaptiven Schemata der ZuErziehenden, sondern das „erlebnisnahe“ Schemamodus-Modell. Erarbeitet man gemeinsam mit dem Heranwachsenden in didaktisch-reduzierter Weise die Existenz verschiedener Schemamodi (Teil-Persönlichkeiten), so fördert man sowohl (a) die Selbsteinsicht des Heranwachsenden als auch (b) den Modus des Gesunden Erwachsenen. Auf der Grundlage dieser beiden Faktoren lernen Kinder und Jugendliche, in (für sie) „typischen Reaktionen“ schrittweise anders zu reagieren. Sie bemerken irgendwann ihre ganz persönlichen Schemamodi-Aktivierungen und können sie – und somit sich selbst – kontrollieren.
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In den ersten Gesprächen, in denen einzelne oder mehrere maladaptive Schemamodi des Heranwachsenden thematisiert werden, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Das heißt, der Zu-Erziehende sollte im Modus des Gesunden Erwachsenen sein. In einem entsprechend „guten“ Moment wirken folgende Interventionen, die durchaus auch einmal eine humorvolle Note tragen dürfen:
„Mal unter uns: Wenn Du andere fertig machst, kommt schon so ein kleiner Assi-Thomas in Dir raus, ne?“ „Wenn Du andere nicht an Dich ranlässt, dann spricht so ein bisschen der Abstandhalter-Thomas aus Dir, oder?“ „Mal ehrlich, Thomas, manchmal kommt so ein Klauer-Thomas in Dir raus, gell?“
Die Begriffe, die die Schemamodi repräsentieren, sollten bewusst in der Jugendsprache formuliert werden. Noch besser ist es, wenn der Heranwachsende selbst den Arbeitsbegriff definiert. Bevor die Arbeit mit den Schemamodi beginnt, muss eine gewisse Zeit vorher Beziehungskredit durch eine komplementäre Beziehungsgestaltung aufgebaut worden sein. Ansonsten lässt sich der Betreffende nicht auf solche Gespräche ein. Hat der Heranwachsende irgendwann ein gewisses Bewusstsein von der einen oder anderen Persönlichkeitsfacette erlangt, die ihn manchmal in die Bredouille bringt, so kommt der Schemapädagoge immer mal wieder auf den „Arbeitsbegriff“ zurück. (Zu Beginn wird nur mit einem Schemamodus gearbeitet, in der Regel der kostenintensivste.) Dies kann empathisch- oder aber auch autoritär-konfrontierend praktiziert werden, je nach Situation. Der Schemapädagoge macht unmissverständlich klar, dass der thematisierte Persönlichkeits-Anteil für sehr viele Probleme verantwortlich ist – und schon war. Entsprechende Gespräche über bisherige Aktivierungen des „Assi-Thomas“, „Abstandhalter-Thomas“ und „Klauer-Thomas“ werden geführt (in Anlehnung an das Eingangsbeispiel). Dabei achtet der Schemapädagoge immer wieder auf die oben schon erwähnten Rahmenbedingungen. Unterstützung beim Transfer der Lösungen in den Alltag Gemeinsam mit dem Zu-Erziehenden werden die „Vor-“ und Nachteile des (kostenintensivsten) Schemamodus reflektiert. Dabei wird schnell klar: die negativen Aspekte dominieren.
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Infolgedessen ergibt sich von selbst die Notwendigkeit der Kontrolle. Dieses Unterfangen ist aber erwiesenermaßen ein sehr schweres, da eine SchemamodusAktivierung mehrere psychische Ebenen gleichzeitig beeinflusst (siehe Kapitel 1.4). Daher unterstützt der Schemapädagoge den Zu-Erziehenden zunächst bei dieser Aufgabe. Die Kontrolle wird also zunächst external praktiziert; Ziel ist die Befähigung zur internalen Kontrolle (vonseiten des Zu-Erziehenden selbst). Entsprechende Schemamodus-Aktivierungen werden, sollten sie im Beisein des Erziehers passieren, bemerkt und zunächst humorvoll kommentiert, etwa so:
„O–oh, hier kommt der Mobbing-Thomas wieder raus!“ „War das eben der Abstandhalter-Thomas?“ „Guckt der Klauer-Thomas gerade aus Dir?“
Später, in einer passenden Situation, wird dann auf das Erlebte gemeinsam zurückgeblickt und schematheoretisch reflektiert. Zeigt der Zu-Erziehende an dem Thema ein starkes Interesse, kann gemeinsam ein Schemamodus-Memo erstellt werden. Dessen Einsatz sowie Erfolge, Misserfolge usw. werden registriert. Verbucht der Heranwachsende beim Unternehmen Schemamodus-Kontrolle Erfolge, werden diese besprochen und vom Schemapädagogen positiv verstärkt, und zwar sowohl durch Lob und Anerkennung als auch durch kleine Aufmerksamkeiten. Rückschläge, die nie ausbleiben, werden ebenfalls thematisiert. Eventuell motiviert der Schemapädagoge den Zu-Erziehenden dazu, dass er ein Schemamodus-Tagebuch schreibt. Hierin werden die Schemamodus-relevanten Ereignisse des Tages schriftlich festgehalten. Alle beschriebenen Interventionen zielen darauf ab, aufseiten des ZuErziehenden den Modus des Gesunden Erwachsenen zu fördern. Wenn das gelingt, wird der Heranwachsende auch in der Phase, in der er sein Leben selbstverantwortlich führen muss, höchstwahrscheinlich gestärkt den Alltag bewältigen und entsprechende Schemamodus-Aktivierungen kontrollieren.
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Deutung des Ausgangsfalls und schemapädagogische Interventionen Thomas, 15, ist der jüngste Neuzugang. Er wird in eine Gruppe integriert, die vorwiegend aus Gleichaltrigen besteht. Die Clique wird schnell von ihm durchschaut, und er gesellt sich zu den eher problematischen Heranwachsenden (eventuell: Erduldung des Schemas Misstrauen/Missbrauch). Den professionellen Helfern gegenüber ist er höflich, ja geradezu überfreundlich (Modus Manipulierer, Betrüger, Trickser). Auf den ersten Blick scheint er kein „Wässerchen“ trüben zu können. (Modus Manipulierer, Betrüger, Trickser). Seine eher schmächtige Statur unterstützt diesen ersten Eindruck. Mareike, 21, die ihr Berufspraktikum im Rahmen ihrer Erzieher-Ausbildung zur selben Zeit absolviert, durchschaut Thomas als Erste. Sie bekommt mit, wie er hinter dem Rücken der anderen Fachkräfte den körperlich schwächeren Jugendlichen übel mitspielt (Schikanierer- und Angreifer-Modus). Zwei Monate nach seiner Integration mehren sich die Diebstähle im Heim. Einmal wird die Kasse leergeräumt. Drei Stuhlkreise finden statt, die Mareike mit betreut. Spannung wird aufgebaut. Einer der Jugendlichen hält die Konfrontation nicht mehr aus und verpetzt Thomas. Er hätte die Kasse aufgebrochen und das Geld entnommen. Thomas flippt völlig aus (Ärgerliches beziehungsweise Wütendes Kind). Nach einem Tobsuchtsanfall (dito), den die Betreuer nur mühsam in den Griff bekommen, bricht er zusammen und weint (Verletzbares Kind). Mareike kümmert sich nach diesen Vorfällen konkret um Thomas. Die ersten Kontaktversuche verlaufen so, wie sie es erwartet: Der Jugendliche tritt ihr gegenüber unspektakulär auf, so als wäre alles in bester Ordnung (Modus Manipulierer, Betrüger, Trickser). Sie kommt nicht an ihn er heran, der Jugendliche windet sich immer wieder sehr professionell aus Situationen, die „Gefahr“ laufen, persönlich zu werden (Distanzierter Beschützer). Die Erzieherin liest seine Akte und erfährt unter anderem, dass Thomas mit 13 Jahren – bevor sich seine Eltern trennten – einmal in einem Fußballverein angemeldet war. Im Internet bestellt sie eine Biografie über den portugiesischen Profi-Fußballer Christiano Ronaldo. Als das Buch ankommt, legt sie es ihm unter das Kissen in seinem Bett (komplementäre Beziehungsgestaltung). Die Beziehung wird persönlicher und informeller (Beziehungskredit entsteht). Das Thema Christiano Ronaldo erweist sich als „Volltreffer“. (Es ist der Lieblingsspieler von Thomas.) Nach und nach kommen die beiden immer öfter miteinander aus. In ihrem Beisein wirkt er – authentisch – nett und verzichtet auf die Angriffe gegen die Gleichaltrigen (Anzeichen eines entstehenden Beziehungskredits). Eines Tages – man unterhält sich wieder über Fußball – stimmt die Chemie, und die Erzieherin sagt: „Sag mal, unter uns: Manchmal kommt schon so ein kleiner Abstandhalter-Thomas in Dir raus, gell?“ Thomas’ Mimik erstarrt. Sie sagt schnell: „Na, wenn Dich jemand wirklich kennen lernen will, Du weißt schon.“ Thomas muss grinsen. Ab diesem Zeitpunkt gilt „Abstandhalter-T.“ als Arbeitsbegriff für die beiden (Beginn der Arbeit mit einem maladaptiven Schemamodus). Die Beziehung wird immer besser, und Thomas gelingt es, mithilfe von Achtsamkeit seinen maladaptiven Schemamodus in den Griff zu bekommen (Stärkung des Modus des Gesunden Erwachsenen). Ein Schemamodus-Memo, das beide gemeinsam erstellen, hilft ihm dabei (siehe unten).
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Thomas offenbart verschiedene maladaptive Schemamodi: Schikanierer- und AngreiferModus; Manipulierer, Trickser, Betrüger und Distanzierter Beschützer. Anscheinend fällt er in der Einrichtung recht schnell in sein altes Verhalten zurück (maladaptive Schemamodi entstehen bekantlich schon in der frühen Kindheit und stellen eine breite Palette an Verhaltensweisen dar). Die Erzieherin verwirklicht eine komplementäre Beziehungsgestaltung. Über die Biografie über den Fußballprofi findet sie Zugang zu Thomas. In „einem guten“ Moment führt sie ihn in das Schemamodus-Modell ein. Sie thematisiert den Modus Distanzierter Beschützer. Anscheinend hat sie einen guten Eindruck auf den Heranwachsenden gemacht, denn ohne Beziehungskredit werden in der Regel keine Schemamodus-Memos erstellt. Es wäre sinnvoll, wenn sich die Erzieherin auch zukünftig um die anderen beiden maladaptiven Schemamodi kümmern würde. Die Erinnerungskarte von T. 1. Benennen einer Situation, in der ich niemanden an mich heranlasse „Wenn Erwachsene mehr von mir wissen wollen.“ 2. Erkennen der aktivierten Teil-Persönlichkeit „Ich weiß, dass dann meistens der Abstandhalter-Thomas aktiviert wird. Er war wahrscheinlich mal nützlich, aber heute ecke ich manchmal damit an.“ 3. Anerkennen des unangepassten Denkens und Realitätsprüfung „Ich muss nicht in jeder Situation, in der ein Erwachsener mehr von mir wissen will, auf Abstand gehen. Manche meinen es ja gut mit mir (wie meine Bezugserzieherin Mareike). 4. Trennen vom alten und Festigung des neuen Verhaltens „Bis jetzt habe ich mich immer irgendwie wieder raus gewunden, sobald mir jemand auf den Zahn gefühlt hat. Nun werde ich (a) entweder direkt sagen, dass ich das nicht will, aber auch mal mehr von mir preisgeben. Es will mich ja nicht jeder verarschen.
4.5 Offene Kinder- und Jugendarbeit Martin, 23, absolviert ein achtwöchiges Praktikum in einem Jugendzentrum. Die erste Woche nutzt er, um sich zu orientieren und um erste Kontakte zu den Jugendlichen aufzubauen. Die Klientel, die ab circa 16.30 Uhr das Zentrum frequentiert, besteht aus mehreren Nationen. Martin entschließt sich dazu, ab der zweiten Woche ein Rap-Projekt anzubieten. Eine Gruppe junger Türken, insgesamt sechs, findet sich zum ersten Termin ein. Martin begrüßt sie freundlich und weist sie in die technischen Geräte ein, die zur Verfügung stehen. Während der Einführung macht Hassan (16) zwei gehässige Bemerkungen über Martin, wobei er kein Geheimnis daraus macht. Der angehende Erzieher übergeht die Sprüche und fährt unbeeindruckt fort. Gegen Ende der ersten Veranstaltung lässt er die Jugendlichen ein bisschen „jammen“. (Sie hatten CDs mit verschiedenen Samples mitgebracht.)
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Zur nächsten Veranstaltung bringt er ein Bushido-Poster mit – er hat eine Woche vorher mitbekommen, wie die Jugendlichen über ihn sprachen – und auch einige ausgedruckte Texte. Sie unterhalten sich über den Berliner Rapper. Die Jugendlichen sind überrascht, dass Martin so viel Detailwissen über Bushido hat. Der angehende Erzieher nutzt die gute Stimmung und verwickelt die Gruppe in ein Gespräch, in dem sie Auskunft geben über ihre Wochenend-Aktivitäten. Eine davon heißt: „Nazis klatschen“. Martin hört sich unbeeindruckt einige Erlebnisse an, die die Jugendlichen voller Stolz erzählen. Er hält sich mit Kritik zurück. Beim nächsten Termin fragt Hassan, ob sie gemeinsam eine Bewerbung für ihn verfassen könnten, er würde sich für eine Ausbildung zum Lager-Logistiker interessieren. Martin hilft ihm schließlich bei der Erstellung der Bewerbung. Es spricht sich in der Gruppe herum, dass Martin „ein korrekter Typ“ ist. Die Beziehung verbessert sich. Nach dem finalen Termin – in der letzten Woche des Praktikums – versammelt sich die Clique noch einmal im Gruppenraum. Martin hat einige Vorbereitungen getroffen. „So“, sagt Martin, „heute Abend ist, wie allgemein bekannt, unser letzter gemeinsamer. Lasst uns heute mal über die anderen Personen sprechen, die so in uns schlummern.“ Die Jugendlichen sind verwirrt. Um die Gruppe für das Thema zu sensibilisieren, hängt er ein vorbereitetes Plakat an die Wand. Auf diesem Plakat aufgezeichnet ist ein Oberkörper inklusive Kopf. „So, das da bin ich“, erklärt er. „Und manchmal“, er zeichnet eine kleine (eindeutige) Figur in seinen Oberkörper, „kommt der Agro-Martin in mir raus. Dann muss ich meinen Sandsack zu Hause mit den Fäusten bearbeiten. Danach ist der Agro-Martin wieder weg.“ Daraufhin verteilt er an die Gruppe Plakate und Stifte. „Jetzt lasst mal sehen, wer in Euch so manchmal sein Unwesen treibt.“ Die Jugendlichen beginnen zu zeichnen. Dabei erzählen sie wieder von den Wochenenden, an denen sie „Nazis klatschen“. Der angehende Erzieher und die Jugendlichen tauschen sich aus. Jetzt kann Martin den Zusammenhang zwischen bestimmten kostenintensiven Schemamodi der Heranwachsenden und ihrem „Hobby“ herstellen. „Vor-“ und Nachteile dieser Freizeitbeschäftigung werden erörtert.
Allgemeines Offene Kinder- und Jugendarbeit will unter anderem aufseiten der ZuErziehenden Bildungs- und Entwicklungsprozesse anregen (VOGELSBERGER 2002, 106). Infolge der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen sind Kinder und Jugendliche allem Anschein nach mehr und mehr auf außerfamiliäre Unterstützung und Integration angewiesen. Entsprechende Freizeitangebote werden vom sozialpädagogischen Fachpersonal betreut. Verschiedene Arbeitsschwerpunkte sind im KJGH (§ 7ff.) festgelegt. Gewöhnlich sind die Einrichtungen, zum Beispiel Spielplätze, Kinderund Jugendzentren beziehungsweise Stadtteiltreffs, täglich oder mehrmals wöchentlich geöffnet.
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Populär sind in Hinsicht auf die Kinderarbeit die sogenannten Spielstuben oder (eine mobile Form) Spielmobile. Zur Offenen Jugendarbeit gehören unter anderem: außerschulische Jugendbildung, Jugendarbeit in Spiel, Sport und Geselligkeit, Kinder- und Jugenderholung, Jugendberatung. Offene Jugendarbeit ist auf institutioneller Ebene verortet in Häusern der offenen Tür, Jugendclubs, -zentren und Jugendhäusern. Gestaltungsmerkmale der Offenen Jugendarbeit sollten nach DEINET & STURZENHECKER (2005) sein:
Beziehungsarbeit, Projektmanagement, Jungen- und Mädchenarbeit, Ziel- und problembezogene Angebote.
Als Prinzipien der Offenen Kinder- und Jugendarbeit gelten (nach JASZUS et al. 2008, 611) unter anderem:
Niedrigschwelligkeit, Freiwilligkeit, Partizipation, Sozialraumorientierung.
Jugendzentren etwa, ein Angebot für Kinder und Jugendliche, werden von größeren Kommunen, Kirchen oder Vereinen unterhalten (MORGENSTERN 2006, 54). Ohne Terminvereinbarung oder Absprache können Heranwachsende die Räumlichkeiten betreten und benutzen. Meistens handelt es sich dabei um Club- und Werkräume. In diesen können persönliche Neigungen und Vorlieben ausgelebt werden. Die Heranwachsenden können auch an Kursen teilnehmen, die ein- oder mehrmals in der Woche stattfinden, auch am Wochenende. In der Regel sind Sozialarbeiter beschäftigt. Da aber, wie erwähnt, auch Kinder zur Zielgruppe der Einrichtung gehören, arbeiten auch Sozialassistenten und Erzieher im Jugendzentrum. Neurobiologische Voraussetzungen und die sich daraus ergebenden Aufgaben für Schemapädagogen Die entwicklungspsychologischen Voraussetzungen der Zu-Erziehenden sind sehr unterschiedlich. In diesem Arbeitsfeld werden Kinder und Jugendliche be-
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treut – was je nach Art der Einrichtung variiert. Schemapädagogen sind sich daher darüber bewusst, dass sich die Interventionen stets an der Altersgruppe orientieren, mit denen man hauptsächlich zu tun hat. Im Folgenden geht es schwerpunktmäßig um die (offene) Arbeit mit Jugendlichen (siehe Eingangsbeispiel). Arbeitsfelder, die sich vorwiegend an Kinder richten, wurden in den vorangegangen Kapiteln bereits dargestellt. Eigene Schemata und Schemamodi wahrnehmen In der Offenen Jugendarbeit geht es aus schemapädagogischer Perspektive vorwiegend (wieder) um den komplementären Beziehungsaufbau, ohne den sämtliche pädagogische Interventionen leicht scheitern. Der Aufbau von Beziehungen erscheint aber auf den ersten Blick sehr schwer. – Die Jugendlichen können nach eigenem Gutdünken die Einrichtung aufsuchen – oder es sein lassen. Das heißt, der pädagogische Rahmen hat keinen regelmäßigen, verbindlichen Charakter. Dies führt erfahrungsgemäß dazu, dass Kinder und Jugendliche mit maladaptiven Schemata und Schemamodi dazu tendieren, die Erzieher zu „testen“ (siehe Eingangsbeispiel). Auf verschiedene Tests reagieren Schemapädagogen unbeeindruckt, sie lassen sich nicht auf Psychospiele ein, da dies die Gefahr des Beziehungsabbruchs auf den Plan ruft. Besonders auf zwei Schemata achtet die Fachkraft:
Unterwerfung/Unterordnung. Dieses Muster motiviert – wenn es nicht kontrolliert wird – den Pädagogen dazu, sich bei den Jugendlichen vorauseilend anzubiedern. Er wird viel zu offensichtlich darauf achten, dass er nichts „Falsches“ sagt und sich von seinen eigenen Erwartungshaltungen so sehr einschüchtern lassen, dass seine Körpersprache die innere Motivation nach außen kehrt. Erfahrungsgemäß merken Jugendliche mit dysfunktionalen Schemata und Schemamodi sofort, wenn der Erzieher dieses Muster offenbart. Sie werden mit Tests und Psychospielen manipulieren wollen – und dies ist dem Beziehungsaufbau mehr als schädlich. Aufopferung. Auf der anderen Seite hat auch das Schema Aufopferung Nachteile in der Offenen Jugendarbeit. Der Pädagoge wird infolge einer Aktivierung besonders diejenigen Jugendlichen unterstützen, die einen „hilflosen“ Eindruck machen. Meistens geht dies zulasten der eigenen Psychohygiene. Hinzu kommt in der Regel der sogenannte „Schneeballeffekt“. Aus anfangs wenigen „Hilflosen“ werden ganz schnell sehr viele. Die betroffene Fachkraft übernimmt sich dahingehend.
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Komplementärer Beziehungsaufbau Dieses Arbeitsfeld ist in der Regel „vorauseilend“ an den Bedürfnissen der Heranwachsenden orientiert. Erfahrungsgemäß stoßen Musik-, Film- und Tanzprojekte auf großes Interesse. Auch ein PC-Raum mit Internetzugang gehört nicht ohne Grund zur Ausstattung einer entsprechend gestalteten Einrichtung. Auf dieser pädagogischen Grundlage kann etwa ein Erzieher, der ein solches Projekt durchführt, sicheren Gewissens bauen. Es dürfte sinnvoll sein, wenn der Schemapädagoge mehr oder weniger Fachmann auf „seinem“ Gebiet ist. Die Sprache der Straße sprechen können, ist ebenfalls erfahrungsgemäß ein Plus. In der ersten Phase der Zusammenarbeit sind Tests, die die Jugendlichen intuitiv praktizieren, sicherlich die Regel. Das heißt, es kommt eventuell zu „dummen“ oder provokanten Sprüchen; sie sollen den Pädagogen aus der Reserve locken. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Darstellung einer Erzieherin, die ein Tanzprojekt mit Jugendlichen in den Sommerferien 2009 in einem „Haus der Jugend“ durchführte. Noch in der ersten Veranstaltung warf ihr ein Jugendlicher an den Kopf: „Was glauben Sie, wie viel Geld es kostet, wenn man sich wegen eines herausgeschlagenen Zahns verarzten lassen muss?“ Sie antwortete sehr authentisch und unbeeindruckt: „Keine Ahnung, da kenne ich mich nicht aus.“ Danach konnte man sich gemeinsam den Dingen widmen, um die es eigentlich ging. Wie man auf solche Tests reagiert, bleibt jedem selbst überlassen. Erfahrungsgemäß bringt es in diesem Arbeitsfeld sehr viel, eher nicht konfrontativ auf sie einzugehen, sich nicht beeindrucken zu lassen. Lieber im Modus des Gesunden Erwachsenen bleiben, das heißt, auf der Sachebene. Gerade in der Offenen Jugendarbeit kann man davon ausgehen, dass die Grundlage der Zusammenarbeit im Allgemeinen sehr instabil ausfällt, wenn man sich anfangs auf Tests und Psychospiele einlässt; dies führt wohl oder übel zu Schemamodi-Auslösungen. Mit der Zeit steigt gewöhnlich der Beziehungskredit – und man kann mehr konfrontative Methoden praktizieren. Sinnvoll ist es insbesondere zu Beginn der Zusammenarbeit, sich voll auf die Lebenswelt, Belange und Interessen der Heranwachsenden einzulassen. Empathie, Kongruenz und Akzeptanz sind wichtige Verhaltensmerkmale, die dabei helfen, Beziehungskredit aufzubauen. Darüber hinaus passt sich der Schemapädagoge bewusst an die Bedürfnisebene der Heranwachsenden an. Um dies erfolgreich zu praktizieren, achtet der Erzieher auf Verhaltensweisen der Jugendlichen, die offensichtlich oder verdeckt
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auf zugrundeliegende Grundbedürfnisse verweisen. Hierzu bedarf es eines besonderen Augenmerks. Schemapädagogen achten auf entsprechende Situationen und reagieren authentisch. Schon ein Satz wie „Hey, Hassan, geile Schuhe. Die sind neu, stimmt’s?“ kann das dahinterstehende Bedürfnis nach Anerkennung vollends befriedigen. Problemaktualisierung In der Offenen Jugendarbeit (Jugendzentrum) können sich unter anderem Konflikte zwischen verschiedenen Personengruppen ergeben: 1. 2. 3.
In der Einrichtung geraten Jugendliche aneinander. In der Einrichtung geraten Jugendliche und Betreuer aneinander. Die Heranwachsenden erzählen der Fachkraft von Problemen außerhalb der Einrichtung.
In allen drei Fällen kann mit dem Schemamodus-Modell gearbeitet werden. Problemklärung In der Einrichtung geraten Jugendliche aneinander Kommt es zu Konflikten zwischen Heranwachsenden, so bietet sich neben dem üblichen Prozedere (Streitschlichtung, Stuhlkreis oder Ähnliches) auch an, maladaptive Schemamodi in der „Sprache der Jugendlichen“ zu thematisieren. Anstatt etwa eines „Vertrages“, der zwischen den Beteiligten geschlossen wird, ist denkbar, dass der Schemapädagoge Schemamodus-Memos mit den ZuErziehenden ausfüllt. Diese beinhalten in diesem Fall den Zerstörer- und KillerModus sowie dessen zukünftige Kontrolle. Zuvor müssen die Beteiligten selbstverständlich in das SchemamodusModell eingeführt werden. In der Einrichtung geraten Jugendliche und Betreuer aneinander Es passiert nicht selten, dass es aufseiten der Heranwachsenden zu SchemamodiAktivierungen kommt, die der Betreffende im Zuge der geradezu unvermeidlichen externalen Kausalattribuierung dem Erzieher ankreidet (umgekehrt kann dies natürlich auch erfolgen). Infolgedessen entstehen leicht problematische Interaktionszirkel – am Ende steht dann eventuell die Eskalation. Sobald die bestehenden Regeln von einem oder mehreren Heranwachsenden vehement gebrochen werden, wird der Vorfall eventuell als „letzte Chance“, den Verweis noch mal zu kitten, noch einmal aufgegriffen, und die
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Beteiligten treffen sich an einem Tisch. Nachdem der Fall im Beisein eines Mediators „aufgedröselt“ wurde, verfasst der Schemapädagoge mit dem ZuErziehenden ein Schemamodus-Memo. Dieses ist gleichzeitig für die Heranwachsenden die letzte Chance. Sie bekommen von allen Beteiligten die Verantwortung übertragen, ihre kostenintensiven Persönlichkeitsanteile zukünftig zu kontrollieren. Versagen sie dabei, erfolgt der Ausschluss. Die Heranwachsenden erzählen der Fachkraft von Problemen außerhalb der Einrichtung Wird der Erzieher in Konflikte eingeweiht, die nicht direkt den Arbeitsalltag in der Einrichtung betreffen, so kann er dennoch einen speziellen Themenabend zum jeweiligen Problem anbieten (siehe Eingangsfall). Hat zum Beispiel eine Gruppe mit einer anderen „Stress“, so kann der Schemapädagoge am „Themenabend“ die sich wechselhaft beeinflussenden Wirkungsweisen von dysfunktionalen Schemamodi (didaktisch-reduziert) erklären, etwa mithilfe des Einsatzes von Flipchart-Papier. Danach können mit allen Beteiligten Schemamodus-Memos verfasst werden. Authentische Gespräche über die Folgen einer Aktivierung des Zerstörer-/Killer-Modus werden nicht ohne positive Wirkung bleiben – wenn genug Beziehungskredit vorhanden ist. Besonders in solchen Situationen sprechen Schemapädagogen die Sprache der Jugendlichen, um sie ganzheitlich zu erreichen. Externale Kausalattribuierung reduzieren Infolge der Thematisierung der an den Konflikten beteiligten Schemamodi merken Jugendliche erfahrungsgemäß, dass nicht nur „immer die Anderen“ an den Konflikten schuld sind, sondern auch ihre eigenen verschiedenartigen innerpsychischen Muster. In solchen Momenten unterstützt der Schemapädagoge sensibel und empathisch den Prozess des Bewusstwerdens. Entsprechend kann schon eine Feststellung á la „Und Ihr lasst zu, dass die Anderen so viel Macht über Euch haben und Euch auf 180 bringen?“ die Heranwachsenden zum Nachdenken bringen. Hieraus entstehen eventuell „Sokratische Dialoge“. Psychospiele thematisieren Wurde genug Beziehungskredit vonseiten des Schemapädagogen aufgebaut, so kann er in den Berufsalltag auch im einen oder anderen Moment auch mal die „typischen“ Interaktionsspiele derjenigen Jugendlichen aufgreifen, die besonders
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hervorstechen, beziehungsweise die ihm bei den ersten Treffen das Leben besonders schwer gemacht haben. Denn dem Erzieher ist jederzeit klar, dass die Betreffenden nicht nur mit ihm die irrationalen Spiele spielen, sondern auch mit anderen Bezugspersonen, die sie später einmal antreffen. Leicht können dadurch Chancen schnell verbaut werden, etwa in Vorstellungsgesprächen oder etwaigen schulischen oder beruflichen Ausbildungen. In folgender Tabelle sind zwei Beispiele aufgeführt, die bereits im Eingangsfall geschildert wurden: Es geht um die Spiele Den Erzieher provozieren und Nazis klatschen. Noch eine Anmerkung vorab. Die empathisch-konfrontativen Interventionen unter vier Augen werden wie üblich in einem geeigneten Augenblick praktiziert; wenn aufseiten des Heranwachsenden der Modus des Gesunden Erwachsenen aktiviert ist und die „Chemie stimmt“. Die Strategien entsprechen wieder der oben erwähnten Einteilung:
Strategie a: Das Spielgeschehen ansprechen (aufdecken). Strategie b: Den weiteren Spielablauf vorwegnehmen. Strategie c: Den Spieler mit den Kosten seines Verhaltens konfrontieren. Strategie d: Den Spieler als Person wertschätzen und Verhaltensalternativen aufzeigen.
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Tabelle 10: Psychospiele und Interventionen Psychospiel „Den Erzieher provozieren“
Interventionen… … unter vier Augen (empathischkonfrontativ): Strategie a: „Hassan, mal ne Frage: Am Anfang, als wir uns das erste Mal trafen, da hast Du mich mal ein bisschen getestet und gecheckt, wie ich reagiere, stimmt’s? Sei mal ehrlich!“ Strategie b: „Wenn ich auf Deine Sprüche eingegangen wäre, hättest Du weiter mit mir gespielt, nicht?“ Strategie c: „Ich verstehe Dich! Du willst nicht von Leuten, die Du nicht kennst, verarscht werden. Aber wenn Du das später mal bei anderen machst, etwa beim nächsten Chef, dann kommt das nicht immer so gut an. Was meinst Du? Strategie d: „Hassan, Du bist ein guter Kerl. Wenn Du das nächste Mal mit einem Erwachsenen spielen willst, der was zu sagen hat, beiß Dir lieber mal auf die Zunge. Der Nächste ist vielleicht nicht so nett und tolerant wie ich!“ … während der Schemamodus-Aktivierung (autoritär-konfrontativ): Strategie a: „Hassan! Lass es einfach. Spiel Dein Spiel woanders! Das kennen wir schon!“ Strategie b: „Ich weiß, worauf Du raus willst. Ich soll auf Deine Provokationen eingehen – und dann geht’s weiter von Deiner Seite, stimmt’s?“ Strategie c: „Hassan, wenn Du so weitermachst, tust Du vielen Leuten hier richtig weh. Und auch mir!“ Strategie d: „Hassan, Du kannst viel mehr als DAS! Lass es einfach! Schreib lieber einen neuen Song!“
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Fortsetzung von Tabelle 10 „Nazis klatschen“
… unter vier Augen (empathischkonfrontativ): Strategie a: „Leute jetzt mal ohne Scheiß! Ihr wollt doch nur die Nazis klatschen, damit Ihr Euch als Sieger und nicht als Verlierer fühlt, oder?“ Strategie b: „Falls Ihr denen wirklich heute die Fressen voll haut, geht das Spiel weiter! Was soll das bringen?“ Strategie c: „Glaubt Ihr wirklich, die lassen das auf sich sitzen, wenn Ihr denen die Hölle heiß macht? Die kommen dann mit mehr Leuten wieder zu Euch. Dann geht Ihr wieder mit noch mehr Leuten hin. Das ist doch Hirnriss!“ Strategie d: „Kommt, Ihr seid doch gute Kerle. Lasst uns doch heute Abend lieber was Anderes machen. Wie wäre es mit [Passendes einfügen]?“ … während der Schemamodus-Aktivierung (autoritär-konfrontativ): Strategie a: „Leute! Ihr seid schon wieder im Spiel! Was soll das?“ Strategie b: „Ihr werdet nicht gewinnen! Die lassen das nicht auf sich sitzen. Und Ihr kocht auch nur mit Wasser!“ Strategie c: „Das geht so lange weiter, bis einer einfährt. Wollt Ihr DAS Euren Eltern antun!?“ Strategie d: „Ich mag Euch, Leute. Hört auf mit dem Scheiß! Investiert Eure Energie lieber dazu, einen neuen Song zu schreiben!“
Wiederholungszwang thematisieren Um die Betreffenden auch in Hinsicht auf einen etwaigen Wiederholungszwang zu mehr Selbsteinsicht zu verhelfen, „schlägt“ der Schemapädagoge auch sogenannte „Biografie-Brücken“. Das heißt, er schildert „auf gut Glück“ fiktive Erlebnisse der Jugendlichen mit ähnlichem Inhalt, die vorher – höchstwahrscheinlich – schön öfter passierten. In Bezug auf den Eingangsfall liegt diese Vermutung übrigens nahe.
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Einige Beispiele für das Prinzip „Schrotschuss“:
„Leute, Ihr kennt das doch, das ist doch nicht das erste Mal, dass Ihr Stress mit anderen habt! Stimmt’s?“ „Soll das Ganze so ausgehen wie schon einmal? Hm?!“ „Ich hab schon öfter interessante Geschichten über Euch gehört!“
Sollte genug Beziehungskredit vorhanden sein, und das ist hierfür eine Voraussetzung, reagieren die Jugendlichen authentisch und selbstreflektiert auf solche Vermutungen mit wahrscheinlich realer Grundlage. Infolgedessen können weitere Konflikte von früher thematisiert werden, die den Heranwachsenden in der aktuellen Situation gar nicht präsent sind. Wenn der Schemapädagoge mit einer seiner anfänglichen Vermutungen richtig liegt, so besteht erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Jugendlichen dem Wiederholungszwang – falls er vorliegen sollte – auf die Schliche kommen und ihn objektiv fassen können. Die Erkenntnis, dass sich bestimmte Konflikte anscheinend immer wieder „wie von selbst“ aktualisieren, kann viel bewirken. Problembewusstsein mithilfe des Schemamodus-Modells erschaffen Auf der Grundlage einer stabilen Beziehung, die von gegenseitigem Respekt und Toleranz geprägt ist, kann auch die Arbeit mit den Schemamodi erfolgreich gestaltet werden. Beispielsweise ist dies sogar an einem „Überraschungsabend“ anfangs möglich – so kann etwa das Projekt Selbsterkenntnis vom Erzieher betitelt werden. Im ersten Abschnitt des Abends fördert der Schemapädagoge noch einmal den Aufbau von Beziehungskredit, indem er etwa die Jugendlichen mit einem Angebot aus deren Lebenswelt überrascht. Einige Beispiele:
Die aktuelle Musik-CD eines Rappers anhören, einen Film über ein bestimmtes Milieu schauen.
Im zweiten Abschnitt verfährt der Schemapädagoge so, wie auch der Erzieher (Martin) im Eingangsbeispiel vorgegangen ist. Das heißt, er macht mithilfe verschiedener Medien den Jugendlichen bewusst, dass „in ihnen“ unterschiedliche Persönlichkeitsfacetten walten und schalten; wenn sie ausgelöst werden.
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Erfahrungsgemäß lassen sich Heranwachsende recht schnell für das Thema begeistern. Im Stile etwa einer Gruppenarbeit werden verschiedene Schemamodi bewusst gemacht und etwa auf Flipchart-Papier gezeichnet. Im Anschluss an die Gruppenarbeit werden die Ergebnisse besprochen und reflektiert. Die Arbeit an den Schemamodi wird dann vom Schemapädagogen vertieft. Es ist sogar vorstellbar, dass ein regelmäßiger Themenabend stattfindet, in dem die Schemamodi vertiefend reflektiert werden. Die Arbeit mit den Schemamodi kann auch, wie oben schon mehrfach dargestellt, mit einzelnen Jugendlichen praktiziert werden. In Hinsicht auf den Eingangsfall (Hassan) könnte dies mit folgenden, zunächst humorvoll klingenden Interventionen bewerkstelligt werden:
„Hey Hassan, als wir uns das erste Mal kennen lernten, da kam schon so ein kleiner Abchecker-Hassan in Dir raus, oder?“ „Hassan, manchmal bist Du so ein bisschen Killer-Hassan-mäßig drauf, oder?“
Werden relevante Schemamodi mit Begriffskombinationen betitelt, die den Vornamen des Betreffenden sowie die kostenintensive Persönlichkeitsfacette (in der Sprache des Jugendlichen) implizieren, entsteht schnell ein Bewusstsein von innerpsychischen Strukturen. Auf diese wird dann immer mal wieder zurückgekommen, auch in den sogenannten Tür-und-Angel-Gesprächen („Na, Hassan, hat sich der Killer-Hassan letztes Wochenende mal wieder gemeldet und Dir Ärger eingebrockt?“ Irgendwann, wenn der Heranwachsende ausreichend kognitives Potenzial entwickelt hat, kann ein Schemamodus-Memo erstellt werden. Unterstützung beim Transfer der Lösungen in den Alltag Ziel der Interventionen ist die Kontrolle von dysfunktionalen Schemamodi seitens der Zu-Erziehenden. Der Schemapädagoge bleibt daher mit den Jugendlichen im Schemamodus-zentrierten Gespräch. Das heißt, er erkundigt sich immer mal wieder nach dem „Stand der Dinge“. Nachdem an diversen Themenabenden die gravierenden Nachteile der unterschiedlichen Schemamodi besprochen wurden, trifft der Schemapädagoge mit den Jugendlichen verbindliche Absprachen, etwa folgende:
„Okay, wenn Ihr dieses Wochenende Eure inneren „Killer“ [beziehungsweise „Abchecker“ oder „Mobber“ oder Ähnliches] kontrolliert und statt-
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dessen mal keinen Ärger kriegt, dann habe ich eine Überraschung für Euch auf Lager!“ „Leute, wenn Ihr die komplette nächste Woche Eure inneren Krawallmacher im Zaun haltet, wäre ich sowas von stolz auf Euch!“
Dadurch, dass der Schemapädagoge sogenannte „positive Verstärker“ in Aussicht stellt, motiviert er eventuell die Heranwachsenden dazu, ihre maladaptiven Persönlichkeitsfacetten zu kontrollieren. Dies gelingt umso besser, je mehr Beziehungskredit vorherrscht. Eine entsprechende Vorgehensweise wird auch in der Arbeit mit Einzelnen praktiziert. Deutung des Ausgangsfalls und schemapädagogische Interventionen Martin, 23, absolviert ein achtwöchiges Praktikum in einem Jugendzentrum. Die erste Woche nutzt er, um sich zu orientieren und um erste Kontakte zu den Jugendlichen aufzubauen. Die Klientel, die ab circa 16.30 Uhr das Zentrum frequentiert, besteht aus mehreren Nationen. Martin entschließt sich dazu, ab der zweiten Woche ein Rap-Projekt anzubieten (komplementäre Beziehungsgestaltung). Eine Gruppe junger Türken, insgesamt sechs, findet sich zum ersten Termin ein. Martin begrüßt sie freundlich und weist sie in die technischen Geräte ein, die zur Verfügung stehen (allgemeine Beziehungsgestaltung nach den Kriterien der humanistischen Psychologie: Empathie, Kongruenz, Akzeptanz). Während der Einführung macht Hassan (16) zwei gehässige Bemerkungen über Martin, wobei er kein Geheimnis daraus macht (Test beziehungsweise Beginn eines Psychospiels). Der angehende Erzieher übergeht die Sprüche und fährt unbeeindruckt fort (erfolgreiche Verweigerung des Psychospiels „Den Erzieher provozieren“). Gegen Ende der ersten Veranstaltung lässt er die Jugendlichen ein bisschen „jammen“. (komplementäre Beziehungsgestaltung) (Sie hatten CDs mit verschiedenen Samples mitgebracht.) Zur nächsten Veranstaltung bringt er ein Bushido-Poster mit – er hat eine Woche vorher mitbekommen, wie die Jugendlichen über ihn sprachen – und auch einige ausgedruckte Texte (komplementäre Beziehungsgestaltung). Sie unterhalten sich über den Berliner Rapper. Die Jugendlichen sind überrascht, dass Martin so viel Detailwissen über Bushido hat (komplementäre Beziehungsgestaltung). Der angehende Erzieher nutzt die gute Stimmung und verwickelt die Gruppe in ein Gespräch, in dem sie Auskunft geben über ihre Wochenend-Aktivitäten (komplementäre Beziehungsgestaltung). Eine davon heißt: „Nazis klatschen“. Martin hört sich unbeeindruckt einige Erlebnisse an, die die Jugendlichen voller Stolz erzählen. Er hält sich mit Kritik zurück (komplementäre Beziehungsgestaltung). Beim nächsten Termin fragt Hassan, ob sie gemeinsam eine Bewerbung für ihn verfassen könnten, er würde sich für eine Ausbildung zum Lager-Logistiker interessieren (Anzeichen eines entstehenden Beziehungskredits). Martin hilft ihm schließlich bei der Erstellung der Bewerbung (komplementäre Beziehungsgestaltung). Es spricht sich in der Gruppe herum, dass Martin „ein korrekter Typ“ ist. Die Beziehung verbessert sich (Aufbau von Beziehungskredit).
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Nach dem finalen Termin – in der letzten Woche des Praktikums – versammelt sich die Clique noch einmal im Gruppenraum. Martin hat einige Vorbereitungen getroffen. „So“, sagt Martin, „heute Abend ist, wie allgemein bekannt, unser letzter gemeinsamer. Lasst uns heute mal über die anderen Personen sprechen, die so in uns schlummern.“ Die Jugendlichen sind verwirrt. Um die Gruppe für das Thema zu sensibilisieren, hängt er ein vorbereitetes Plakat an die Wand. Auf diesem Plakat aufgezeichnet ist ein Oberkörper inklusive Kopf. „So, das da bin ich“, erklärt er. „Und manchmal“, er zeichnet eine kleine (eindeutige) Figur in seinen Oberkörper, „kommt der Agro-Martin in mir raus.“ Dann muss ich meinen Sandsack zu Hause mit den Fäusten bearbeiten. Danach ist der Agro-Martin wieder weg.“ Daraufhin verteilt er an die Gruppe Plakate und Stifte. „Jetzt lasst mal sehen, wer in Euch so manchmal sein Unwesen treibt.“ Die Jugendlichen beginnen zu zeichnen (Praxis der Schemamodus-Arbeit). Dabei erzählen sie wieder von den Wochenenden, an denen sie „Nazis klatschen“ (Anzeichen von Beziehungskredit). Der angehende Erzieher und die Jugendlichen tauschen sich aus (komplementäre Beziehungsgestaltung). Jetzt kann Martin den Zusammenhang zwischen bestimmten kostenintensiven Schemamodi der Heranwachsenden und ihrem „Hobby“ herstellen. „Vor-“ und Nachteile dieser Freizeitbeschäftigung werden erörtert. Martin hat sich von den anfänglichen Provokationen von Hassan nicht von seiner Linie abbringen lassen. Die ersten Tests umging er durch Nichtbeachtung. Er verwirklichte eine komplementäre Beziehungsgestaltung und baute dadurch Beziehungskredit auf. In einer sehr relevanten Situation – Hassan bat ihn um Mithilfe bei der Bewerbung – wiederstand er jeglichen „Racheambitionen“ und unterstützte ihn. Dies trug wiederum zum Aufbau von Beziehungskredit bei. Irgendwann war die Beziehung zwischen Erzieher und Gruppe so stabil, dass mit der Arbeit an den Schemamodi begonnen werden konnte. Zuvor öffneten sich die Jugendlichen und fanden in Martin einen interessierten Gesprächspartner, der ihre Anliegen verstand. Nunmehr kann er es sich leisten, konfrontative Interventionen zu praktizieren. Zu Beginn der Zusammenarbeit beziehungsweise ohne Beziehungskredit wäre dies nicht möglich gewesen.
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Die Erinnerungskarte von Hassan 1. Benennen einer Situation, in der ich ein bisschen „assi“ werde „Wenn ich mit Erwachsenen zu tun habe, die ich noch nicht gut kenne.“ 2. Erkennen der aktivierten Teil-Persönlichkeit „Dann kommt so ein kleiner Assi-Hassan raus. Und dann beginnt das Spiel. Ist wahrscheinlich Selbstschutz.“ 3. Anerkennen des unangepassten Denkens und Realitätsprüfung „Nicht jeder Erwachsene will mich scheiße behandeln. Ich schade mir vielleicht selbst, wenn ich immer wieder den Assi-Hassan raus lasse.“ 4. Trennen vom alten und Festigung des neuen Verhaltens „Meistens habe ich immer wieder die Erwachsenen verarscht. Das nächste Mal, wenn der Assi-Hassan hochkommt, bemerke ich ihn und halte mich zurück.“
4.6 Kinder- und Jugendpsychiatrie Melissa, 20, absolviert ihr Berufspraktikum auf eigenen Wunsch in einer Klinik (Kinder- und Jugendpsychiatrie). Sie arbeitet auf einer Station mit dem Schwerpunkt Borderline-Persönlichkeitsstörung. In den ersten Wochen wird sie in das Stationskonzept eingeführt. Ihr Ansprechpartner in allen Fragen, Herr K. (Sozialarbeiter), empfiehlt ihr zwei Bücher zum Thema Borderline-Persönlichkeitsstörung, die sie interessiert liest. Melissa übernimmt die Organisation einer Freizeitaktivität: Basketball. Von den 30 Klientinnen, die in ihrer Station untergebracht sind, nimmt meistens etwa die Hälfte das Angebot wahr, das dreimal in der Woche stattfindet. Regelmäßig dabei ist Mandy (18). Zu ihr hat sie einen losen Kontakt aufgebaut. Während des Basketball-Trainings offenbart Mandy starke Stimmungsschwankungen. Verliert etwa die Mannschaft, in der spielt, flippt sie des Öfteren von jetzt auf gleich aus („So ein Scheiß! Scheiß Schiri!“). Der Schiedsrichter ist Melissa. Eines Tages reicht Melissa in der Umkleidekabine Mandy ein Handtuch, wobei sie sie aus Versehen flüchtig am Arm berührt. Mandy schreit auf: „Komm mir nicht zu nahe! Du hast sie wohl nicht alle!“ Das eine ums andere Mal kann Mandy die Schnittwunden an den Armen nicht verbergen. Sie schämt sich sehr dafür. Wenn sich die beiden unterhalten, kommt Melissa manchmal auf ihre Zeit „da draußen“ zu sprechen. „Ich hatte viele Freunde“, sagt Mandy oft. „Die meisten davon waren Knastis – und sind es wahrscheinlich heute immer noch!“ Nachdem sich Mandy ihrer Bezugserzieherin sehr persönlich offenbart hat, fängt sie meistens an zu weinen. Melissa nimmt sie dann in den Arm und tröstet sie. An den darauffolgenden Tagen kommt es zu abwehrenden Reaktionen. Mandy wirft Melissa in vielerlei Variationen an den Kopf: „Du hörst mir doch nur zu, weil Du mich verarschen willst!“ Melissa bleibt trotz der widersprüchlichen Verhaltensweisen von Mandy ruhig und versucht, ihre „gut gemeinte“ Grundeinstellung zu kommunizieren. In einem guten Moment füllen die beiden ein Schemamodus-Memo aus.
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Allgemeines Die Kinder- und Jugendpsychiatrie kümmert sich um „verhaltensauffällige“ Heranwachsende, genauer gesagt, um verschiedene psychische Störungsbilder. Meistens haben die Klienten soziale Belastungssituationen aller Art erlebt beziehungsweise erleben sie aktuell immer noch (ROSNER 2006). Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die unter psychischen beziehungsweise psychosomatischen Störungen leiden, nehmen im Durchschnitt jährlich zu, und man kann von etwa einer Million Klienten ausgehen (HANSEN 2006). Kinder- und Jugendpsychiatrie sucht Wege und Methoden, ganz allgemein gesagt, um psychisches, physisches und soziales Leiden zu vermindern. Dies geschieht auf verschiedenen Wegen. Es kommt auf die therapeutische Grundlagen der jeweiligen Institution an. Unterschieden wird zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Angeboten. Im stationären Setting wird in der Regel mit den Klienten integrativ gearbeitet. Das heißt, die Verhaltensauffälligkeiten werden von verschiedenen therapeutischen Ansätzen her angegangen (PAUSEWANG 1994, 36f.). Betreut werden die Klienten von unterschiedlichen Berufsgruppen, etwa Psychologen, Sozialarbeitern, Ärzten, Psychiatern, Lehrern, Krankengymnasten und Motopädagogen. Wesentliche kinder- und jugendpsychiatrische Diagnosen sind (THESING et al. 2001, 187):
Störungen des Sozialverhaltens (etwa aggressive oder sehr zurückgezogene Kinder), Anpassungsstörungen (zum Beispiel bei Trennung der Eltern), psychosomatische Auffälligkeiten, suizidale Krisen, Essstörungen hyperkinetische Störungen und ADS, Suchtprobleme, Delinquenz, Persönlichkeitsstörungen, Missbrauch, Tics, Entwicklungsstörungen.
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In diesem Arbeitsfeld wird das Fachpersonal aufgrund der Biografie und den daraus resultierenden innerpsychischen Mustern der Klienten psychisch stark beansprucht. Erzieher ergänzen die medizinische und psychotherapeutische Behandlung. Der Schwerpunkt pädagogischen Handelns liegt (a) im Freizeitbereich (Gruppenarbeit und Einzelfallhilfe), (b) in der Organisation nachsorgender Maßnahmen (etwa Unterbringung in einer sozialpädagogischen Einrichtung) und (c) in der Elternarbeit (VOGELSBERGER 2002, 145). Darüber hinaus gestalten Erzieher auch den Alltag mit: Tagesanfang, gemeinsames Frühstück, Beschäftigung am Morgen/schulischer Unterricht usw. (THESING et al. 2001, 190f.). Neurobiologische Voraussetzungen und die sich daraus ergebenden Aufgaben für Schemapädagogen Gerade Kinder und Jugendliche, die der stationären und teilstationären Hilfe bedürfen, offenbaren erfahrungsgemäß zahlreiche maladaptive Schemata und Schemamodi, und zwar in extremer Ausprägung – jeweils in Anlehnung an die Verhaltensauffälligkeiten. Entsprechend ausgeprägt sind die eklatanten Schwächen im Bereich Emotionskontrolle. Leicht führt dies zu affektiv-geführten Konflikten. Hinzu kommen, insbesondere im stationären Setting, sogenannte Heimwehreaktionen (GRÜNEBERG & HAUSER 1995). Kinder und Jugendliche sind in diesem Arbeitsfeld in der Regel von ihrer Familie getrennt. Die dadurch ausgelösten Emotionen werden von Erziehern bewusst fokussiert und „aufgefangen“. Dies dient vor allem in der Anfangsphase dazu, den Klienten in die Institution zu integrieren. Doch erfahrungsgemäß haben solche Bemühungen ihre Grenzen. Grund sind die zahlreichen irrationalen innerpsychischen Muster, die die Klienten offenbaren. ARNTZ & VAN GENDEREN (2010, 9f.) haben entsprechend die Beziehung zwischen DSM-IV-Persönlichkeitsstörungen und Schemata beschrieben:
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Tabelle 11: Persönlichkeitsstörungen und beteiligte Schemata Persönlichkeitsstörung Paranoid
Schizoid Schizotyp
Antisozial
Borderline
Histrionisch
Narzisstisch
Vermeidend
Abhängig
Obsessiv-zwanghaft Passiv-aggressiv
Schemata Misstrauen/Missbrauch Emotionale Vernachlässigung Soziale Isolation Soziale Isolation Misstrauen/Missbrauch Soziale Isolation Verletzbarkeit Verlassenheit/Instabilität Misstrauen/Missbrauch Emotionale Vernachlässigung Anspruchshaltung/Grandiosität Unzureichende Selbstkontrolle/ Selbstdisziplin Verlassenheit/Instabilität Misstrauen/Missbrauch Emotionale Vernachlässigung Abhängigkeit/Inkompetenz Verletzbarkeit Unzureichende Selbstkontrolle/Selbstdisziplin Unterwerfung Emotionale Gehemmtheit Bestrafungsneigung Verlassenheit/Instabilität Emotionale Vernachlässigung Anspruchshaltung/Grandiosität Unzureichende Selbstkontrolle/Selbstdisziplin Anspruchshaltung/Grandiosität Unzureichende Selbstkontrolle/Selbstdisziplin Unzulänglichkeit/Scham Soziale Isolation Unzulänglichkeit/Scham Erfolglosigkeit/Versagen Unterwerfung Abhängigkeit/Inkompetenz Verlassenheit/Instabilität Unzulänglichkeit/Scham Unterwerfung Überhöhte Standards Erfolglosigkeit/Versagen Erfolglosigkeit/Versagen Misstrauen/Missbrauch
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Fortsetzung von Tabelle 11 Depressiv
Misstrauen/Missbrauch Unzulänglichkeit/Scham Soziale Isolation Verletzbarkeit Erfolglosigkeit/Versagen Unterwerfung
Aber, wie erwähnt, auch andere diagnostizierte Verhaltensauffälligkeiten gehen mit nachteiligen innerpsychischen Mustern einher. Im Falle einer Aktivierung kommt es bekanntermaßen zu Interaktionsstörungen. Die „hohe Dichte“ an maladaptiven Schemata und Schemamodi erfordert von der pädagogischen Fachkraft ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit und Emotionsregulation. Sie muss darüber hinaus über einen stark ausgeprägten Erwachsenen-Modus verfügen. Eigene Schemata und Schemamodi wahrnehmen Der Modus des Gesunden Erwachsenen ist das A und O in Hinsicht auf den Umgang mit Klienten. Aufgrund ihrer schwierigen Interaktionsmuster üben sie unbewusst auf die pädagogische Fachkraft in manchen Situationen einen hohen Druck aus. Das heißt, etwaige Schemamodi-Aktivierungen aufseiten des Erziehers werden extrem getriggert. Dem Schemapädagogen ist daher stets präsent, dass selbst die „schwierigsten“ Kommunikationsmuster aus den Augen des Klienten sinnvolle Problemlösestrategien darstellen. Sie haben sich infolge von biografischen Erfahrungen ausgebildet, und zwar meistens schon in einer Zeit, in der sich das Bewusstsein erst langsam entwickelte. Daher können Schemata und Schemamodi vom Klienten im Hier und Jetzt auch nicht objektiv „erfasst“ und infrage gestellt werden. Schemapädagogen achten insbesondere auf folgende Schemata:
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Emotionale Entbehrung. Momente, in denen die Klientinnen und Klienten den Modus Verletzbares Kind offenbaren, können infolge einer Aktivierung dieses Schema nicht ausgenutzt werden. Professionelle Helfer sind dann nicht imstande, professionell das Prinzip der Nachbeelterung zu praktizieren. Es fehlt der „emotionale Gleichklang“. Betreffende trösten vielleicht den Anderen, aber es mangelt dabei vor allem an Authentizität. Dies ist des-
halb sehr nachteilig, als Klienten im genannten Modus sehr offen sind für Interventionen, die der Schemaheilung dienen. Aufopferung. Sehr belastend für den Betreffenden ist auch erfahrungsgemäß das Schema Aufopferung im Arbeitsfeld Kinder- und Jugendpsychiatrie. Viel zu sehr lässt man das Leid der Klienten an sich heran – und leidet infolgedessen zu viel (mit). Dieses Schema kann, wenn es über einen längeren Zeitraum aktiviert ist, möglicherweise in das Burn-out-Syndrom einmünden. Abgrenzung tut in solchen Fällen Not.
Komplementärer Beziehungsaufbau Erzieher haben es in diesem Arbeitsfeld sicherlich mit manchmal sehr „schwierigen“ Klienten zu tun, die die Fachkraft mit sehr dysfunktionalen Projektionen belegen, sie als „Aggressor“ wahrnehmen (siehe Eingangsfall). Hilfreich in Hinsicht auf die Beziehungsgestaltung im Allgemeinen sind jedoch die Rahmenbedingungen. Der Erzieher ist Bestandteil eines Teams. Man kann sich austauschen, gegenseitig unterstützen, Supervision praktizieren usw. Das bedeutet, dass auch in diesem Bereich ein komplementärer Beziehungsaufbau gelingt. Da Erzieher (offiziell) vorwiegend erlebnispädagogische Projekte und Beschäftigungen anbieten, kann leicht die gerade praktizierte Aktivität als „Aufhänger“ dienen. Schnell ergeben sich oberflächliche Gespräche über belanglose Themen. Schrittweise kann, in Abhängigkeit an die Angelegenheiten, die die Klienten von „da draußen“ einbringen, Beziehungskredit aufgebaut werden. Doch es liegt in der Natur der Sache, dass der Aufbau von Beziehungskredit nicht auf einem „sicheren Fundament“ stattfindet. Dies liegt jedoch nicht unbedingt an der Person des Erziehers, sondern an den maladaptiven Schemata und Schemamodi der Klienten. Diese Tatsache muss immer klar sein und darf die pädagogische Fachkraft nicht innerlich erschüttern. Daher versuchen Schemapädagogen, stets im Modus des Gesunden Erwachsenen zu bleiben. Zum einen ist dies hilfreich dabei, wenn (a)
innerer Abstand hergestellt werden muss („So ein Scheiß! Scheiß Schiri!“) oder (b) wenn im Falle einer Aktivierung des Modus des Verletzbaren Kindes das Prinzip der Nachbeelterung gefragt ist.
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Problemaktualisierung Erzieher bekommen vor allem in ihrer Arbeitszeit Problemaktualisierungen mit (siehe Eingangsfall). Sie sind dann manchmal die einzige „Autoritätsperson“ in Reichweite und müssen entsprechend intervenieren. Verhaltensauffälligkeiten können wie üblich auf verschiedene Schemamodi bezogen werden. Im Falle der Borderline-Persönlichkeitsstörung sind vor allem folgende Schemamodi auffällig: Verletzbares Kind, Distanzierter Beschützer, Aggressiver Beschützer, Impulsiv-undiszipliniertes Kind, Innere Bestrafer (nach innen und außen wirkend). Einige Worte zur Borderline-Persönlichkeitsstörung sollen hier ihre Stelle finden, da sie ja im Eingangsfall auftritt. Aufgeführt ist sie im DSM-IV, und sie zeichnet sich durch folgende Phänomene aus (nach ARNTZ & VAN GENDEREN (2010, 1):
Instabile Stimmung, die Betreffenden haben in so gut wie allen Lebensbereichen Probleme mit „den Anderen“, impulsives Verhalten und instabile Identität, selbstverletzende Verhaltensweisen, die aktuellen und vergangenen Beziehungen werden extrem idealisiert und in manchen Momenten plötzlich vollends abgewertet, temporäres Gefühl der Wertlosigkeit, ständiger Wechsel zwischen maladaptiven Schemamodi (= extreme Stimmungsschwankungen ohne logisch nachvollziehbaren Anlass), die Welt und die Mitmenschen werden eingeteilt in Gut und Böse.
Als Ursachen dieser Persönlichkeitsstörung kommen vor allem in Betracht: körperlicher, emotionaler und/oder sexueller Missbrauch. So verwundert es nicht, dass Betreffende ein ständiges Auf und Ab in Hinsicht auf ihre Beziehungen erleben. Die Beziehung zum Schemapädagogen ist von den maladaptiven Schemata und Schemamodi in manchen Situationen ebenso betroffen. Dies wird von der Fachkraft berücksichtigt und nicht zwingend persönlich genommen. Problemklärung Es hängt von den üblichen offiziellen und vor allem inoffiziellen Statuten der jeweiligen Einrichtung ab, in wieweit Erzieher in die Problemklärung einbezogen
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werden. Denn diese Phase entspricht aus schemapädagogischer Perspektive sozusagen der „Deutungsphase“, die eigentlich ins therapeutische Setting gehört. Unter Umständen kann es daher sogar sein, dass Klienten nach verschiedenen „Ausrastern“ dem Erzieher (mit Fachbegriffen) erklären, wieso es zu der entsprechenden Entgleisung kam. Darauf dürfen Pädagogen schon vorbereitet sein. Angenommen, der Erzieher hat diesbezüglich einige pädagogisch-psychotherapeutische Freiheiten, so kann er in Bezug auf die Arbeit mit den Schemamodi genau nach demselben Prozedere vorgehen, wie dies auch in den anderen Arbeitsfeldern üblich ist. Das heißt, der Schemapädagoge führt den Klienten in das SchemamodusModell ein und arbeitet damit. Externale Kausalattribuierung reduzieren Entsprechend kann, was vom Bildungsstand des Klienten abhängt, die externale Kausalattribuierung (a) konkret in formlosen Gesprächen zum Thema gemacht werden; sie kann aber auch (b) durch das Schemamodus-Modell vergegenständlicht werden. Im Unterschied zu den klassischen sozialpädagogischen Arbeitsfeldern hat die Klientel in psychotherapeutischen Einrichtungen in der Regel mehr Bewusstsein von den innerpsychischen Prozessen, die in an den jeweiligen Problemen beteiligt sind. Psychospiele thematisieren Auch Psychospiele können eventuell konkret als das thematisiert werden, was sie tatsächlich sind: als Manipulationen. Dies soll in folgender Tabelle transparent gemacht werden. Die Strategien entsprechen wieder der oben definierten Einteilung:
Strategie a: Das Spielgeschehen ansprechen (aufdecken). Strategie b: Den weiteren Spielablauf vorwegnehmen. Strategie c: Den Spieler mit den Kosten seines Verhaltens konfrontieren. Strategie d: Den Spieler als Person wertschätzen und Verhaltensalternativen aufzeigen.
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Tabelle 12: Psychospiele und Interventionen Psychospiel „Basketball-Spiel verlieren und ausflippen“ Selbsterhöher Schikanierer- und Angreifer-Modus
Interventionen… … unter vier Augen (empathischkonfrontativ): Strategie a: „Mandy, mit dem Verlieren hast Du es nicht so, oder? Stichwort: Basketball. Dann musst Du wohl Dein anderes Spiel spielen, nicht?“ Strategie b: „Wenn ich auf Deine Sprüche aggressiv reagiert hätte, wärst Du richtig abgegangen, gell?“ Strategie c: „Mandy, ich weiß, dass das nur ein Spiel ist. Ich steck das weg. Aber was sollen dann die da draußen sagen, die von Psychologie keine Ahnung haben?“ Strategie d: „Mandy, ich kann Dich echt leiden. Hast Du ne Idee, wie Du das Spiel Basketball-Spiel verlieren und ausflippen stoppen kannst? Wär cool!“ … während der Schemamodus-Aktivierung (autoritär-konfrontativ): Strategie a: „MANDY! Hallo! Spiel!“ Strategie b: „Soll ich jetzt was Böses sagen, damit Du weitermachen kannst?“ Strategie c: „Das Spiel Basketball-Spiel verlieren und dann ausflippen tut mir weh!“ Strategie d: „Mandy! Ich mag Dich! Bleib cool, dann können wir heute Abend noch [Passendes einfügen]!“
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Fortsetzung von Tabelle 12 „Komm mir nicht zu nahe!“ Modus Aggressiver Beschützer
… unter vier Augen (empathischkonfrontativ): Strategie a: „Jetzt mal easy. Wenn ich Dich mal aus Versehen mit dem Handtuch berühre, wie gestern, dann gehst Du schon ein bisschen heftig ab, oder? Spiel?“ Strategie b: „Wenn ich auf sowas eingehe, dann geht’s erst richtig los, nicht war?“ Strategie c: „Hör zu. Nicht jeder, der Dich berührt, will Dir zu nahe kommen! Ausflippen ist nicht immer notwendig!“ Strategie d: „Wenn mir sowas irgendwann mal wieder passieren sollte, sei so nett und sag’s mir direkt. Aber nicht schreien, okay?“ … während der Schemamodus-Aktivierung (autoritär-konfrontativ): Strategie a: „ICH WILL NICHTS VON DIR. Es tut mir leid!“ Strategie b: „Mandy, soll ich mich jetzt auch aufregen, damit es weitergeht? Sorry!“ Strategie c: „Hör bitte auf!“ Strategie d: „Hör bitte auf! Ich mag Dich doch!“
Wiederholungszwang thematisieren Die Wahrscheinlichkeit, dass der Mechanismus Wiederholungszwang vorliegt, ist im Arbeitsfeld Kinder- und Jugendpsychiatrie sehr hoch. Verschiedene Interventionen können aufseiten des Klienten zur Stärkung des Modus des Gesunden Erwachsenen beitragen. Dies sorgt gleichzeitig dafür, dass der Mechanismus bearbeitet wird.
„Komm, Mandy, das Ausflipp-Spiel beim Basketball hat doch bestimmt Tradition. Das kannst Du doch mal stoppen!“ „Mandy, wenn ich Dich mit dem Handtuch berühre, dann reagierst Du so übertrieben wie früher schon.“
Allerdings gehen Schemapädagogen beim Thema Wiederholungszwang sehr behutsam und reflektiert vor. Es kann sein, dass durch eine genannte Intervention eine Re-Traumatisierung ausgelöst wird. Vielleicht überfluten im Zuge
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dessen sehr extrem ausgeprägte Emotionen die Psyche des Betreffenden. Daher ist höchste Vorsicht geboten. Problembewusstsein mithilfe des Schemamodus-Modells erschaffen Der Ablauf zur Einführung des Schemamodus-Modells entspricht demjenigen, der auch in den anderen Arbeitsfeldern praktiziert wird. Deshalb wird an dieser Stelle nicht weiter darauf eingegangen. Unterstützung beim Transfer der Lösungen in den Alltag Ergeben sich Verhaltensänderungen (im erwünschten Sinn), so werden diese positiv vom Erzieher verstärkt. Die Beobachtung bezieht sich in der Regel auf die Phasen des Alltags, in denen der Schemapädagoge mit den Klienten zusammenarbeitet. Durch positives Feedback oder kleine Aufmerksamkeiten kann erwünschtes Verhalten verstärkt werden. Dennoch sind sich Erzieher, die in diesem Arbeitsfeld arbeiten, darüber bewusst, dass es immer wieder zu Rückfällen kommen kann. Verantwortlich dafür sind die tief eingesenkten maladaptiven Schemata und Schemamodi der Klienten. Schemapädagogen wissen: Innerpsychische Muster lassen sich nicht von jetzt auf gleich verändern. Aber sie wissen auch: Der stete Tropfen höhlt den Stein, oder, etwas lapidar ausgedrückt: das Schema. Deutung des Ausgangsfalls und schemapädagogische Interventionen Melissa, 20, absolviert ihr Berufspraktikum auf eigenen Wunsch in einer Klinik (Kinder- und Jugendpsychiatrie). Sie arbeitet auf einer Station mit dem Schwerpunkt Borderline-Persönlichkeitsstörung. In den ersten Wochen wird sie in das Stationskonzept eingeführt. Ihr Ansprechpartner in allen Fragen, Herr K. (Sozialarbeiter), empfiehlt ihr zwei Bücher zum Thema Borderline-Persönlichkeitsstörung, die sie interessiert liest. Melissa übernimmt die Organisation einer Freizeitaktivität: Basketball. Von den 30 Klientinnen, die in ihrer Station untergebracht sind, nimmt meistens etwa die Hälfte das Angebot wahr, das dreimal in der Woche stattfindet. Regelmäßig dabei ist Mandy (18). Zu ihr hat sie einen losen Kontakt aufgebaut. Während des Basketball-Trainings offenbart Mandy starke Stimmungsschwankungen. Verliert etwa die Mannschaft, in der spielt, flippt sie des Öfteren von jetzt auf gleich aus (Ärgerliches beziehungsweise Wütendes Kind) („So ein Scheiß! Scheiß Schiri!“) (Schikanierer- und Angreifer-Modus). Der Schiedsrichter ist Melissa. Eines Tages reicht Melissa in der Umkleidekabine Mandy ein Handtuch, wobei sie sie aus Versehen flüchtig am Arm berührt. Mandy schreit auf: „Komm mir nicht zu nahe! Du hast sie wohl nicht alle!“ (Aggressiver Beschützer) Das eine ums andere Mal kann Mandy die Schnittwunden
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an den Armen nicht verbergen (Innere Bestrafer – nach innen wirkend). Sie schämt sich sehr dafür. Wenn sich die beiden unterhalten, kommt Melissa manchmal auf ihre Zeit „da draußen“ zu sprechen (Anzeichen eines bestehenden Beziehungskredits). „Ich hatte viele Freunde“, sagt Mandy oft. „Die meisten davon waren Knastis – und sind es wahrscheinlich heute immer noch!“ (Erduldung des Schemas Misstrauen/Missbrauch) Nachdem sich Mandy ihrer Bezugserzieherin sehr persönlich offenbart hat, fängt sie meistens an zu weinen (Verletzbares Kind). Melissa nimmt sie dann in den Arm und tröstet sie (Prinzip der Nachbeelterung). An den darauffolgenden Tagen kommt es zu abwehrenden Reaktionen. Mandy wirft Melissa in vielerlei Variationen an den Kopf: „Du hörst mir doch nur zu, weil Du mich verarschen willst!“ (Aggressiver Beschützer) Melissa bleibt trotz der widersprüchlichen Verhaltensweisen von Mandy ruhig und versucht, ihre „gut gemeinte“ Grundeinstellung zu kommunizieren (Modus des Gesunden Erwachsenden).In einem „guten Moment“ füllen die beiden ein Schemamodus-Memo aus. Melissa hat sich durch das Schemamodus-Switchen (schnell wechselnde Aktivierung von Teil-Persönlichkeiten) von Mandy nicht beeindrucken lassen und entsprechend inneren Abstand hergestellt. In einem Moment, in der aufseiten der Klienten der Modus des Verletzbaren Kindes aktiviert war, hat sich richtig gehandelt, das heißt, sie hat das Prinzip der Nachbeelterung praktiziert. Positiv hervorzuheben ist auch, dass die Erzieherin jegliche Gegenübertragungsreaktionen (= maladaptive Schemamodi-Aktivierungen) bewusst unterbunden hat und im Modus des Gesunden Erwachsenen blieb, auch in emotional bedeutsamen Situationen. Fazit: Die Erzieherin unterstützt kompetent das Ärzte- und Therapeuten-Team und leistet dadurch einen großen Beitrag zur therapeutischen Arbeit mit der Klientin. Die Erinnerungskarte von Mandy 1. Benennen einer Situation, in der ich wütend werde „Wenn ich bei einem sportlichen Wettbewerb verliere.“ 2. Erkennen der aktivierten Teil-Persönlichkeit „Ich weiß, dass so eine Situation Wut in mir auslöst, weil dann die wütende Mandy in mir hochkommt. Die Ursachen dafür liegen in der Vergangenheit: meiner Vergangenheit!“ 3. Anerkennen des unangepassten Denkens und Realitätsprüfung „Jeder verliert mal. Es ist nicht schlimm. Das sagt nichts über mich als Person aus.“ 4. Trennen vom alten und Festigung des neuen Verhaltens „Bisher bin ich meistens ausgeflippt, wenn ich in einen sportlichen Wettbewerb verloren habe. Das ist irrational. Stattdessen zähle ich das nächste Mal bis zehn und schließe dabei die Augen und denke an was Schönes.“
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5. Ausblick
Zunehmender Stress am Arbeitsplatz, finanzielle Kürzungen im sozialen Bereich, ein Anstieg an verhaltensauffälligen Heranwachsenden in vielen sozialpädagogischen Arbeitsfeldern, Individualisierung der Lebensformen und die rasante Zunahme der Werte-Vielfalt in unserer Gesellschaft – all diese Faktoren wirken sich im Durchschnitt negativ auf den Alltag eines Helfers aus. Die Pädagogik braucht daher neue Innovationen. Die steigenden Anforderungen an die Angehörigen der sozialen Berufe tragen automatisch zu diesem Anspruch bei. Schemapädagogik ist eine solche Innovation. Zwar werden neurobiologische Erkenntnisse in den Lehrplänen berücksichtigt, aber nur im Zusammenhang mit kognitiven Lernprozessen. Die große Bedeutung und die Auswirkungen der sozialen Erfahrungen auf das Gehirn sind hingegen in keinem Lehrplan zu finden. Dieses Buch soll daher dazu beitragen, die Lücke zwischen schemaorientierten Psychotherapien und sozialpädagogischen Arbeitsfeldern zu schließen. Schematherapie und Co. haben innovative Modelle zum Verständnis und zur Behandlung von Beziehungsstörungen entwickelt, die auch die sozialpädagogische und psychosoziale (DAMM 2010b) Praxis befruchten können. Bisher werden die erwähnten Konzepte nicht entsprechenden Ausbildungen, Fortbildungen sowie im Berufsalltag selbst nicht berücksichtigt. Die hier skizzierte Schemapädagogik transferiert die Grundlagen sowie ausgewählte Methoden der schemaorientierten Psychotherapien auf nichttherapeutische Arbeitsfelder und passt sie den dort vorliegenden Rahmenbedingungen an. Schemapädagogik kann unter anderem folgende Angelegenheiten fördern:
Selbsterfahrung und Burnout-Prävention in Hinsicht auf den professionellen Helfer („Welche Schemata und Schemamodi offenbare ich und wie wirken sich die Muster im beruflichen Alltag aus?“), Fachkompetenz (neurobiologische Grundlagen der Schemata und Schemamodi sowie Eigenarten in zwischenmenschlichen Prozessen, etwa Psychospiele, Tests, Appelle),
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Sozialkompetenz (tieferes Verständnis von auffälligen Verhaltensweisen, konstruktiver Umgang mit „schwierigen“ Heranwachsenden).
Noch immer befindet sich die Schemapädagogik in der „Probephase“. Doch die ersten Praxiserfahrungen mit diesem Konzept stimmen optimistisch. Alle in diesem Buch in Erscheinung tretenden Praxisbeispiele weisen schemapädagogische Vorgehensweisen aus. Integration der Schemapädagogik in die Lehrpläne Schemapädagogik kann in allen möglichen sozialpädagogischen Arbeitsfeldern Anwendung finden. Angestrebt ist die Aufnahme in die Lehrpläne der Sozialassistenten-, Erzieher- und Heilpädagogen-Ausbildung. Schemapädagogik „passt“ in alle Module, in denen es um die Gestaltung von zwischenmenschlichen Beziehungen und Konfliktlösungen geht. Sie ist anwendbar in der Arbeit mit Einzelnen und Gruppen. Die Wirksamkeit der Schemapädagogik muss noch empirisch überprüft werden. Dies ist ein Projekt, das noch aussteht, aber mittelfristig angegangen wird.
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Weiterführende Literatur
Damm, M. (2009). Nervensägen – und wie man mit ihnen klar kommt. Freiburg i.B.: Herder. In diesem Buch werden verschiedene Persönlichkeitstypen beschrieben, die spezifische Selbst- und Beziehungsschemata offenbaren (unter anderem Narzissten, Paranoiker, Schizoide, Zwanghafte). Es finden sich Anregungen zum Umgang mit „schwierigen“ Partnern, Eltern, Kunden und Chefs. Damm, M. (2010). Sei du selbst. Es ist dein Leben. Freiburg i.B.: Herder. Ein praktischer Ratgeber zum Umgang mit eigenen nachteiligen Selbst- und Beziehungsschemata – auf der Basis von psychodynamischen Konzepten. Damm, M. (2010). Praxis der Schemapädagogik. Schemaorientierte Psychotherapien und ihre Potenziale für psychosoziale Arbeitsfelder. Stuttgart: Ibidem. Das Buch schlägt eine Brücke zwischen Schematherapie und psychosozialen Arbeitsfeldern. Die Grundlagen – Kognitive Therapie, Klärungsorientierte Psychotherapie und Schematherapie – werden dargestellt. Ihr Potenzial für folgende psychosozialen Arbeitsfelder wird beschrieben: Schulsozialarbeit, Paarberatung, Sozialpädagogische Familienhilfe, Erziehungsberatung, Strafvollzug/Bewährungshilfe, Streetwork. Damm, M. (2011). Schemapädagogik im Klassenzimmer. Ein neues Konzept zur Förderung verhaltensauffälliger Schüler. Stuttgart: Ibidem. Dieses Buch beinhaltet die Grundlagen der Schemapädagogik und ihr Transfer in den Unterrichtsalltag. Roediger, E. (2009a). Praxis der Schematherapie. Stuttgart: Schattauer. In diesem Fachbuch werden die Grundlagen und einige Erweiterungen der Schematherapie erläutert.
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Roediger, E. (2009b). Was ist Schematherapie? Eine Einführung in Grundlagen, Modell und Anwendung. Paderborn: Junfermann. Dieses Buch ist ein guter Einstieg in die Theorie und Praxis der Schematherapie. Roediger, E. & Jacob, G. (Hrsg.) (2010). Fortschritte der Schematherapie. Göttingen: Hogrefe. Ausdifferenzierungen der Schematherapie finden interessierte Leser hier. Sachse, R., Püschel, O, Fasbender, J., Breil, J. (2008). Klärungsorientierte Schemabearbeitung. Dysfunktionale Schemata effektiv verändern. Göttingen u.a.: Hogrefe. In diesem praxisorientierten Buch geht es vor allem um das Schema-Verständnis in der Klärungsorientierten Psychotherapie. Außerdem wird die SchemaBearbeitung dargestellt. Sachse, R., Püschel, O, Fasbender, J. (2009). Grundlagen und Konzepte Klärungsorientierter Psychotherapie. Göttingen u.a.: Hogrefe. Hier werden die theoretischen Grundlagen und praktischen Arbeitsweisen der Klärungsorientierten Psychotherapie erläutert. Sachse, R. (2006). Persönlichkeitsstörungen verstehen. Zum Umgang mit schwierigen Klienten. Bonn: Psychiatrie-Verlag. Dieser leicht verständliche Ratgeber richtet sich an Angehörige der psychotherapeutischen und sozialpädagogischen Berufe. Young, J.E., Klosko, J. & Weishaar, M.J. (2005). Schematherapie. Ein praxisorientiertes Handbuch. Paderborn: Junfermann. Dieses Buch ist das Grundlagenwerk der Schematherapie. Young, J.E. & Klosko, J. (2006). Sein Leben neu erfinden. Wie Sie Lebensfallen meistern. Paderborn: Junfermann. Ursprünglich für Klienten der Schematherapie verfasst, eignet sich dieses Buch auch für Laien, die sich für Schematherapie interessieren.
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Kontakte
Weitere Informationen zur Schemapädagogik (auch als Download) finden Interessenten auf der Homepage des Autors (www.schemapädagogik.de). Fortbildungen in Schemapädagogik Am Institut für Schemapädagogik (Worms) werden verschiedene Fortbildungen zur Schemapädagogik angeboten. Auf der oben genannten Homepage werden sie ausführlich beschrieben. Kontakt: Institut für Schemapädagogik Dr. Marcus Damm Höhenstr. 56 67550 Worms Im Rahmen der (Berufsschul-)Lehrerfortbildung in Rheinland-Pfalz werden die theoretischen und praktischen Anwendungen der Schemapädagogik in der Weiterbildung „Berufsförderpädagogik“ vermittelt, am Institut für schulpsychologische Fortbildung und schulpsychologische Beratung des Landes RheinlandPfalz (IFB). Ansprechpartner: Marc-Guido Ebert IFB Speyer Otto-Mayer-Str. 14 67346 Speyer
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Literatur
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Damm, M. (2009). Nervensägen – und wie man mit ihnen klar kommt. Freiburg i.B.: Herder. Damm, M. (2010a). Sei du selbst. Es ist dein Leben. Freiburg i.B.: Herder. Damm, M. (2010b). Praxis der Schemapädagogik. Schemaorientierte Psychotherapien und ihre Potenziale für psychosoziale Arbeitsfelder. Stuttgart: Ibidem. Damm, M. (2011). Schemapädagogik im Klassenzimmer. Ein neues Konzept zur Förderung verhaltensauffälliger Schüler. Stuttgart: Ibidem. Deinet, U. & Sturzenhecker, B. (2005). Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit (3. Aufl.). Wiesbaden: VS Verlag. Dehner, R. & Dehner, U. (2007). Schluss mit diesen Spielchen. Manipulationen im Alltag erkennen und dagegen vorgehen. Campus: Frankfurt a.M. Eimuth, K.-H. et al. (2005). Kein Kinderkram! Erzieherinnen- und Erzieherausbildung in Lernfelder. Band 2. Darmstadt: Winklers. Ellis, A. (1962). Die rational-emotive Therapie. München: Pfeiffer. Frank, A. (2008). Kinder in ihrer sozial-emotionalen Entwicklung fördern. In: Kindergarten Heute spezial. Freiburg i.B.: Herder. Gerner, D. & Eckelmann, N. (2009). Vom Säugling zum Kleinkind. Hamburg: Verlag Dr. Felix Büchner. Grawe, K. (1998). Psychologische Psychotherapie. Göttingen u.a.: Hogrefe. Grawe, K. (2004). Neuropsychiatrie. Göttingen u.a.: Hogrefe. Grüneberg, L. & Hauser, P. (1995). Erziehen als Beruf. Eine Praxis- und Methodenlehre (2. Aufl.). Troisdorf: Bildungsverlag EINS. Gudjons, H. (2008). Pädagogisches Grundwissen. Überblick – Kompendium – Studienbuch. Bad: Heilbrunn: Klinkhardt. Hammelstein, P. (2009). Kognitive Therapie, Schematherapie und Klärungsorientierte Psychotherapie. Vergleich einzelner Aspekte. In: Sachse, R. et al.: Grundlagen und Konzepte Klärungsorientierter Psychotherapie, 184–200. Göttingen u.a.: Hogrefe. Hansen, H. (2006). Kinderpsychotherapie. In: R. Pousset (Hrsg.). Handwörterbuch für Erzieherinnen und Erzieher, 207–209. Weinheim und Basel: Beltz. Haug-Schnabel, G. & Bensel, J. (2007). Vom Säugling zum Schulkind – Entwicklungspsychologische Grundlagen. In: Kindergarten Heute spezial. (5. Aufl.). Freiburg i.B.: Herder. Haug-Schnabel, G. & Bensel, J. (2009). Kinder unter 3 – Bildung, Erziehung und Betreuung von Kleinstkindern. In: Kindergarten Heute spezial (5. Aufl.). Freiburg i.B.: Herder.
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