Springer-Lehrbuch
Marc Naguib
Methoden der Verhaltensbiologie Mit 64 Abbildungen
123
PD Dr. MARC NAGUIB Verhaltensforschung Fakultät für Biologie Universität Bielefeld Postfach 10 01 31 33501 Bielefeld E-Mail:
[email protected] Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN-10 3-540-33494-7 Springer Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-33494-1 Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisung und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Dr. Dieter Czeschlik, Heidelberg Redaktion: Stefanie Wolf, Heidelberg Satz: Druckfertige Vorlage des Autors Herstellung: LE-TEX, Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Umschlaggestaltung: deblik, Berlin Umschlagabbildung: Nachtigall (Luscinia megarhy nchos) Gedruckt auf säurefreiem Papier
SPIN 11419945
29/3100/ YL – 5 4 3 2 1 0
Vorwort
Die Verhaltensbiologie ist eine biologische Disziplin, deren Gesicht sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt hat. Aus einer vorwiegend beschreibenden Wissenschaft ist inzwischen eine hoch quantitative Forschungsrichtung geworden. Dabei zeichnet sich die Verhaltensbiologie durch eine spezifische planerische und analytische Methodik aus. Weiterhin werden auch Methoden anderer biologischer Disziplinen eingesetzt. Damit stellt die Verhaltensbiologie ein wichtiges integratives Element der Forschung in der organismischen Biologie dar. Durch die starke Vernetzung der Verhaltensbiologie mit der Ökologie, der Tierphysiologie sowie der Psychologie und den Kognitionswissenschaften entstehen viele Übergangsbereiche, in denen eine sehr breite Methodenkenntnis erforderlich ist. Neben dieser methodischen Vielfalt ist ein zentrales Feld der Verhaltensbiologie das Beobachten und Experimentieren mit lebenden Tieren. Dieses Buch soll als deutschsprachiges Lehrbuch in erster Linie Studierenden zu Beginn des Studiums einen Zugang zu den Methoden der Verhaltensbiologie eröffnen, wobei es sich mit einigen detaillierten analytischen Darstellungen auch an Fortgeschrittene wendet. Ziel des Buches ist es, neben den Grundfertigkeiten, die die Verhaltensbiologie auszeichnen, einen Überblick über Faktoren zu geben, die bei verhaltensbiologischen Studien entscheidend sind. Viele Methoden fallen unter sogenannte ‚soft skillsǥ, wie das entwickeln von Hypothesen, definieren komplexer Verhaltensabläufe und auch die Versuchsplanung. Diese Schritte wirken auf den ersten Blick einfach, stellen in der Praxis aber eine besondere Herausforderung dar und erfordern eine intensive Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von vernetzten Faktoren. Dieses Buch soll für diese Problematiken sensibilisieren und zum eigenständigen Nachdenken anregen. Aufgrund der Spezifität verhaltensbiologischer Studien und der Vielfalt an Details, die gelöst werden müssen, findet man hier keine Versuchsanleitungen sondern Grundlagen, die bedacht werden sollten. Die eigene Erfahrung und Übung sowie das eigene Nachdenken über die Problematiken spielen letztendlich eine wesentliche Rolle für die Wahl der geeigneten Methoden. Das Buch gibt in 6 Kapiteln zunächst einen Einstieg in die wichtigsten Überlegungen und Methoden der Planung, Durchführung und Darstellung verhaltensbiologischer Studien. In Kapitel 7 geben
VI
Vorwort
Wissenschaftler in eigenständigen Unterkapiteln Einblicke in relevante Inhalte und Methoden ihrer Spezialgebiete. Dieses Buch basiert auf den Erfahrungen, die ich im Laufe meines Studiums und meiner anschließenden wissenschaftlichen Tätigkeit erworben habe, sowie auf der aktuellen Unterstützung vieler Studenten und Kollegen während der konkreten Erstellung dieses Buches. Mein Dank gilt daher einer Vielzahl von Personen, die direkt und auch indirekt zum Gelingen dieses Buchses beigetragen haben. Dietmar Todt hat mich bereits früh in meinem Studium an der FU Berlin mit seinem eigenen Enthusiasmus für die Verhaltensbiologie begeistert und ist stets sehr inspirierend gewesen. Bei meinem Doktorvater R. Haven Wiley an der University of North Carolina in Chapel Hill habe ich viele weitere Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens gelernt. Er hat mich auch gelehrt, wie wichtig es ist, eigenständige Projekte zu entwickeln und zu durchdenken, da letztendlich die Verantwortung eines Projektes bei einem selbst liegt. Dieses Buch wäre ohne die Anregungen von Fritz Trillmich nicht zustande gekommen. Seine besondere Unterstützung seit meiner Zeit in Bielefeld sowie die vielen Diskussionen über Forschungsinhalte und Methoden haben erheblich zur Verbreiterung meiner Methodenkenntnisse beigetragen. Auch haben Diskussionen mit vielen Kollegen und das feedback unzähliger Studierenden stets sehr inspirierend gewirkt. Zu der Fertigstellung dieses Buches haben viele Diskussionen mit dem Team der Verhaltensforschung in Bielefeld entscheidend beigetragen. Allen voran danke ich hier Fitz Trillmich für seine Unterstützung und für die konstruktiven Verbesserungsvorschläge zu allen Kapiteln des Buches. Auch seine Hinweise bei den ersten Textentwürfen, dass es noch andere Tiere außer Singvögeln gibt, waren sehr nützlich. Weiterhin danke ich den Mitgliedern meiner Arbeitsgruppe: Mariam Honarmand, Melanie Kober, Tobias Krause, Birgit Lorke und Rouven Schmidt für das kritische Lesen der Buchkapitel und für die vielen konstruktiven Kommentare und Vorschläge. Tobias Krause hat ferner eine Reihe von Abbildungsvorschlägen entworfen sowie einen wesentlichen Anteil an der Entstehung der Abschnitte 5.2 und 5.3. Auch möchte ich mich herzlich bei meinen Kollegen Valentin Amrhein, Henrik Brumm, Silke Kipper, Klaus Reinhold, Katharina Riebel, Jochen Wolf für die vielen hilfreichen und konstruktiven Kommentare zu dem Buch oder einzelnen Kapiteln bedanken. Mögliche Fehler, Unklarheiten und Unzulänglichkeiten, die in solch einem Buch unvermeidbar sind, bleiben dabei selbstverständlich in meiner Verantwortung. Henrik Brumm, Vincent Janik sowie Klaus Reinhold danke ich für die Bereitstellung von Audioaufnahmen, auf denen Teile der Abb. 5.3 basieren. Ulrich Pörschmann hat einige der Zeichnungen im Buch angefertigt. Weiterhin gilt mein Dank Stefanie Wolf vom Springer Verlag für die
Vorwort VII
unkomplizierte Unterstützung bei der Fertigstellung des Buches. Zum Schluss danke ich meinen Eltern, die mich immer in meinen Interessengebieten unterstützt haben. Mein ganz besonderer Dank gilt schließlich Jutta für die unschätzbare Unterstützung während der ganzen Zeit, sowie Ailina und Adrian, die meine vielen Stunden vor dem Computer ertragen haben und nun nicht mehr zu fragen brauchen „Wann ist das Buch eigentlich fertig, Papa?“ Bielefeld, im Juli 2006
Marc Naguib
Liste der Autoren für Kapitel 7.1 bis 7.13
Valentin Amrhein Forschungsstation Petite Camargue Alsacienne Universität Basel Rue de la Pisciculture 68300 Saint-Louis Frankreich Henrik Brumm University of St Andrews School of Biology Bute Building St Andrews, Fife KY16 9TS, Groß Britannien Darren P. Croft School of Biological Sciences University Wales Bangor Bangor Gwynedd LL57 2UW, Groß Britannien Julia Fischer Kognitive Ethologie Deutsches Primatenzentrum Kellnerweg 4 37077 Göttingen Wolfgang Forstmeier Max Planck Institute for Ornithology Dept. Behavioural Ecology & Evolutionary Genetics Postfach 1564 82305 Starnberg (Seewiesen)
X
Liste der Autoren für Kapitel 7.1 bis 7.13
Wolfgang Goymann Max Planck Institute for Ornithology Department Biological Rhythms & Behaviour Von-Der-Tann-Str. 7 82346 Andechs Jürgen Heinze Biologie I Universität Regensburg 93040 Regensburg Richard James Department of Physics University of Bath Bath BA2 7AY, Groß Britannien Jens Krause School of Biology University of Leeds Leeds LS2 9JT, UK, Groß Britannien Klaus Reinhold Evolutionsbiologie Fakultät für Biologie Universität Bielefeld Morgenbreede 45 33501 Bielefeld Lars Schrader Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) Institut für Tierschutz und Tierhaltung Dörnbergstraße 25-27 29223 Celle Fritz Trillmich Verhaltensforschung Fakultät für Biologie Universität Bielefeld PO Box Postfach 33501 Bielefeld
Liste der Autoren für Kapitel 7.1 bis 7.13
Christian C. Voigt Institut für Zoo- und Wildtierforschung Alfred-Kowalke-Str. 17 10315 Berlin Martin Wikelski Department of Ecology and Evolutionary Biology Princeton University Princeton NJ 08544, USA Roswitha Wiltschko Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Physiologie und Ökologie des Verhaltens Zoologisches Institut Siesmayerstrasse 70 60323 Frankfurt am Main Wolfgang Wiltschko Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Physiologie und Ökologie des Verhaltens Zoologisches Institut Siesmayerstrasse 70 60323 Frankfurt am Main York Winter Kognitive Neurowissenschaften Fakultät für Biologie Universität Bielefeld Postfach 100131 33501 Bielefeld
XI
Inhaltsverzeichnis
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Einleitung ......................................................................................... 1 1.1 Inhalte und Bedeutung der Verhaltensbiologie....................... 1 1.2 Ebenen der Verhaltensanalyse ................................................ 5 1.3 Wissenschaftliche Methodik ................................................... 9 1.3.1 Beobachtungen und Beschreibungen......................... 10 1.3.2 Fragen ........................................................................ 13 1.3.3 Hypothesen ................................................................ 14 1.3.4 Vorhersagen............................................................... 15 1.3.5 Datenerhebung und Datenauswertung ....................... 16 1.3.6 Interpretation der Ergebnisse ..................................... 17 1.4 Zusammenfassung................................................................. 17 Weiterführende Literatur................................................................. 18
2
Allgemeine Grundlagen ................................................................ 2.1 Vorüberlegungen................................................................... 2.2 Auswahl der Tierart............................................................... 2.2.1 Domestizierte Tiere.................................................... 2.3 Laborversuche und Freilandarbeit......................................... 2.4 Zeitrahmen ............................................................................ 2.5 Stichproben ........................................................................... 2.6 Individuelle Unterschiede ..................................................... 2.7 Replikation und Pseudoreplikation ....................................... 2.7.1 Replikation................................................................. 2.7.2 Pseudoreplikation....................................................... 2.8 Interne und externe Validität................................................. 2.9 Genauigkeit und Zuverlässigkeit........................................... 2.10 Einfluss des Beobachters....................................................... 2.10.1 Voreingenommenheit des Beobachters...................... 2.10.2 „Der Kluge Hans Effekt“........................................... 2.11 Zusammenfassung................................................................. Weiterführende Literatur.................................................................
19 19 21 23 24 25 27 30 32 32 33 36 37 38 39 41 47 48
XIV Inhaltsverzeichnis
3
Planung der Datenaufnahme........................................................ 3.1 Deskriptive oder experimentelle Forschung?........................ 3.2 Vorbeobachtungen und Pilotstudien ..................................... 3.3 Deskriptive Datenaufnahme.................................................. 3.4 Planung von Experimenten ................................................... 3.4.1 Kontrollen .................................................................. 3.4.2 Datenaufnahmestruktur.............................................. 3.4.3 Reihenfolgeeffekte..................................................... 3.4.4 Seitenpräferenzen....................................................... 3.5 Zusammenfassung................................................................. Weiterführende Literatur.................................................................
49 49 52 53 54 56 57 62 65 67 67
4
Quantifizierung von Verhaltensabläufen .................................... 4.1 Auswahl und Definition von Verhaltensweisen.................... 4.2 Kategorisierungen von Verhalten ......................................... 4.3 Definieren von übergeordneten zeitlichen Einheiten ............ 4.4 Messgrößen ........................................................................... 4.4.1 Latenzen..................................................................... 4.4.2 Dauern........................................................................ 4.4.3 Intervalle .................................................................... 4.4.4 Pausen ........................................................................ 4.4.5 Häufigkeiten .............................................................. 4.4.6 Raten .......................................................................... 4.5 Registrierungsmethoden........................................................ 4.5.1 Kontinuierliche Datenregistrierung ........................... 4.5.2 Interval-strukturierte Registrierung ........................... 4.5.3 Ad libitum Registrierung............................................ 4.5.4 Scan sampling und Behaviour sampling.................... 4.5.5 Fokustierbeobachtungen ............................................ 4.6 Zusammenfassung................................................................. Weiterführende Literatur.................................................................
69 69 73 73 75 76 77 79 79 80 80 82 82 83 86 87 87 88 89
5
Weiterführende Aspekte und Methoden ..................................... 5.1 Arbeiten mit individuell erkennbaren Tieren ........................ 5.1.1 Natürliche Merkmale zur Individualerkennung......... 5.1.2 Markierungsmethoden ............................................... 5.1.3 Benennung von Tieren............................................... 5.2 Tierhaltung ............................................................................ 5.3 Ethische Aspekte beim Arbeiten mit Tieren .........................
91 91 91 92 95 96 98
Inhaltsverzeichnis XV
5.4
Technische Hilfsmittel ........................................................ 5.4.1 Aufnahme und Analyse akustischer Daten (Bioakustik) ............................................................. 5.4.2 Videoaufnahmen...................................................... 5.4.3 Videoplaybacks........................................................ 5.4.4 Automatische Registrierung von Beobachtungen.... 5.5 Spezielle Methoden............................................................. 5.5.1 Bestimmung von Sozialbeziehungen....................... 5.5.2 Taxierungsmethoden................................................ 5.5.3 Fang-Wiederfangmethoden ..................................... 5.5.4 Phylogenetische Analysen ....................................... 5.5.5 Lernversuche............................................................ 5.5.6 Sequenzanalysen...................................................... 5.5.7 Kosten-Nutzenanalysen ........................................... 5.6 Zusammenfassung............................................................... Weiterführende Literatur...............................................................
100 101 105 108 110 110 111 115 116 117 119 121 121 122 123
6
Datenauswertung und Präsentation .......................................... 6.1 Statistische Datenauswertung.............................................. 6.1.1 Beschreibende Statistik............................................ 6.1.2 Schließende Statistik................................................ 6.2 Präsentation wissenschaftlicher Ergebnisse ........................ 6.2.1 Vorträge ................................................................... 6.2.2 Erstellung von Postern ............................................. 6.2.3 Verfassung wissenschaftlicher Texte....................... 6.3 Literaturrecherche ............................................................... Weiterführende Literatur...............................................................
125 125 125 129 132 133 136 138 139 141
7
Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung................ 7.1 Modellierungen ................................................................... Klaus Reinhold 7.2 Analyse sozialer Netzwerke................................................ Jens Krause, Richard James und Darren P. Croft 7.3 Konflikte und Konfliktlösung in Insektenstaaten................ Jürgen Heinze 7.4 Untersuchungen der sozialen Kognition bei Affen ............. Julia Fischer 7.5 Einsatz und Design von Playbackexperimenten ................. Henrik Brumm 7.6 Automatisierte Verhaltensforschung mit RFID .................. York Winter
143 143 148 153 157 163 169
XVI Inhaltsverzeichnis
7.7
7.8 7.9 7.10 7.11 7.12 7.13
Indirekte Tierbeobachtung mit elektronischen Instrumenten........................................................................ Fritz Trillmich und Martin Wikelski Radiotelemetrie ................................................................... Valentin Amrhein Methoden der Orientierungsforschung................................ Roswitha Wiltschko und Wolfgang Wiltschko Verhaltensendokrinologie ................................................... Wolfgang Goymann Quantitative Verhaltensgenetik........................................... Wolfgang Forstmeier Einsatz stabiler Isotope in der Verhaltensbiologie.............. Christian C. Voigt Methoden der Nutztierethologie ......................................... Lars Schrader
175 180 185 190 196 204 210
Literatur ................................................................................................ 215 Sachverzeichnis..................................................................................... 229
1 Einleitung
1.1 Inhalte und Bedeutung der Verhaltensbiologie Unser Interesse am Verhalten der Tiere ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst, da Tiere ein allgegenwärtiger Teil unserer natürlichen Umwelt sind. Das Verhalten der Tiere spielt z. B. bei der Jagd und bei der Zucht von Haus- und Nutztieren eine zentrale Rolle, so dass das Interesse und die Kenntnis über das Verhalten von Tieren eng mit der evolutionsgeschichtlichen Entwicklung der Menschheit verknüpft sind. Spätestens seit Darwin und dem Grundverständnis evolutionärer Prozesse erlangte die Verhaltensbiologie als wissenschaftliche Disziplin besondere Bedeutung. Das Verhalten der Tiere ist ein zentraler Faktor im Auftreten von Reproduktionsbarrieren zwischen Arten und spielt damit in der Evolution eine entscheidende Rolle. Änderungen des Genpools werden vor allem durch den unterschiedlichen Reproduktionserfolg der Individuen, also den Trägern der Gene, bewirkt. Daher ist das Verhalten, das den reproduktiven Erfolg eines Individuums beeinflusst, von besonderer Bedeutung, um das Wirken und die Mechanismen der Evolution auf organismischer Ebene verstehen zu können. Das Studium des Verhaltens von Tieren trägt somit zum Verständnis grundlegender biologischer Prozesse, wie der Entwicklung und Selektion von Merkmalen, sowie zum Funktionieren eines Organismus und nicht zuletzt auch unseres eigenen Verhaltens bei (Manning und Dawkins 1998; Slater 1999; Barnard 2004; Alcock 2005; Kappeler 2006; Lucas und Simmons 2006). Nachdem zunächst die qualitative Beschreibung von Verhalten eine wichtige Rolle spielte, ist die moderne Verhaltensbiologie mittlerweile eine stark quantitativ arbeitende wissenschaftliche Disziplin, die ein Spektrum spezieller oft experimenteller Methoden zur Erfassung von Tierverhalten entwickelt hat. Die Breite der verhaltensbiologischen Forschung resultiert unter anderem daraus, dass innerhalb dieser Disziplin sowohl die dem Verhalten zugrunde liegenden unmittelbaren Mechanismen als auch die Funktion und Evolution von Verhalten aufzuklären sind. Das Verhalten eines Organismus wird von einer Vielzahl interner (z. B. genetischer, physiologischer, endokrinologischer und neurobiologischer) Prozesse sowie externer Faktoren (z. B. ökologischer und sozialer Variablen)
2
1 Einleitung
Abb. 1.1. Auswahl der Methoden, die in der Verhaltensbiologie eingesetzt werden
bestimmt und beeinflusst. Dementsprechend erstreckt sich das Methodenspektrum, das in der Verhaltensbiologie eingesetzt wird, von molekularbiologischen, physiologischen und neurobiologischen Methoden zur Aufklärung der Mechanismen, bis hin zu ökologischen Methoden, die genutzt werden, um die Funktion und Evolution von Verhalten verstehen zu können (Abb. 1.1). Auch gibt es eine nicht zu unterschätzende methodische und inhaltliche Übereinstimmung mit der Psychologie, wenn es um Fragen des Lernens und des Sozialverhaltens geht. Auf Gemeinsamkeiten mit der Psychologie in methodischen Aspekten wird in Kap. 2.10.2 ausführlicher eingegangen. In jüngster Zeit spielen auch computer-gestützte Simulationen und Modellierungen im Verständnis von Prinzipien des Verhaltens eine zunehmend größere Rolle (Kap. 7.1). Die Verhaltensbiologie spielt auch eine Rolle im angewandten Bereich, wie für die Nutztierhaltung (Kap. 7.13) sowie für die Phänotypisierung von Tieren mit genetischen Defekten (wie bei knock-out Mäusen, bei denen spezielle Gene gezielt ausgeschaltet werden) (Ambrée et al. in press). Rückschlüsse auf die Rolle bestimmter Gene im Verhalten erfordern eine sensible und ausgefeilte Methodik. Weiterhin werden Erkenntnisse aus der Verhaltensbiologie auch bei der Entwicklung von Naturschutzstrategien eingesetzt (Clemmons und Buchholz 1997; Caro 1998; Sutherland 1998). Angesichts dieser Vielzahl von Fragestellungen und den entsprechenden Methoden mag man sich fragen, was die Verhaltensbiologie als Disziplin zusammenhält. Ein zentrales und verbindendes Prinzip besteht darin, Untersuchungen am intakten und „ganzen“ Tier durchzuführen (oder über Modelle zu simulieren). Dieses zentrale Feld biologischer Forschung liefert
1.1 Inhalte und Bedeutung der Verhaltensbiologie
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sowohl im angewandten Bereich als auch in der wissenschaftlichen Grundlagenforschung wichtige Beiträge zum Verständnis aktueller Fragestellungen und grundlegender biologischer Prozesse. Unabhängig von dem methodischen Schwerpunkt einer speziellen verhaltensbiologischen Untersuchung ist es für die Disziplin charakteristisch, das Verhalten auf der Systemebene des ganzen Tieres verstehen zu wollen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: das akustische Verhalten eines Singvogelmännchens kann auf verschiedenen Ebenen mit verschiedenen Fragen und entsprechend verschiedenen Methoden untersucht werden (Naguib und Riebel 2006). In der Neuroethologie, der Verbindung zwischen Verhaltens- und Neurobiologie, kann es das Ziel sein, die beim Gesangslernen oder beim Singen aktiven Gehirnregionen z. B. mit Hilfe von elekrophysiologischen oder molekularen Methoden zu identifizieren (Haesler et al. 2004; Jarvis 2004). Auf einer anderen Ebene, in der es um die Mechanismen der Schallwahrnehmung geht, kann in Perzeptionsexperimenten untersucht werden, wie gut die Zeitauflösung von Gesangselementen oder die Erkennung von Gesangsmerkmalen im Hintergrundrauschen ist (Klump 1996). In stärker funktional ausgerichteten Versuchen, die also der Frage der Konsequenz des Gesanges nachgehen, kann in einem Präferenz-Experiment die Frage untersucht werden, ob ein Weibchen im Gesang der Männchen spezielle Muster bevorzugt – indem es sich häufiger in der Nähe einer entsprechenden Schallquelle aufhält oder sogar Verhaltensmuster ausführt, die zur Paarung auffordern (Catchpole 1980). Die kontrollierten Haltungsbedingungen im Labor ermöglichen es, Einflussgrößen für solche Präferenzen zu bestimmen (Riebel 2003). Schließlich kann in Freilanduntersuchungen der Frage nachgegangen werden, ob die Männchen, die spezielle Gesangsmuster singen, tatsächlich erfolgreicher in der Paarung sind. (Hasselquist et al. 1996; Forstmeier et al. 2002). Erweitert oder generalisiert man solche Untersuchungen auf andere Populationen der gleichen Art oder sogar auf andere Arten, ergeben sich übergeordnete Einblicke in die Mechanismen der Evolution von Verhaltensstrategien, die es ermöglichen, Theorien zu entwickeln, die zu einem umfassenden Verständnis des Wirkens biologischer Systeme beitragen. In einer naturschutzrelevanten Studie kann der Gesang der Männchen dann auch als Indikator für Populationsdichten in Bezug auf Lebensraumveränderungen genutzt werden (Peake et al. 1998; Amrhein et al. 2006). Schon dieses einzige Beispiel illustriert die Vielfalt an Fragestellungen, denen in der Verhaltensbiologie nachgegangen wird und das immense Spektrum an
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1 Einleitung
Methoden, die zur Beantwortung solcher Fragen genutzt werden (Barnard et al. 1993; Martin und Bateson 1993; Lehner 1996). Aufgrund dieser Vielfalt von Ebenen, auf denen Tierverhalten untersucht und verstanden werden kann, hat sich die Verhaltensbiologie innerhalb eines Jahrhunderts zu einer lebendigen und schnell wachsenden Wissenschaftsdisziplin entwickelt. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt die Entwicklung von anspruchsvollen quantitativen Methoden, die in der Erforschung von Tierverhalten zum Einsatz kommen. Ergebnisse verhaltensbiologischer Erkenntnisse haben dabei den gesellschaftlichen Diskurs maßgeblich beeinflusst: die frühen Arbeiten der Verhaltensbiologie waren wichtige Auslöser der Debatte über angeborene und erworbene Anteile im Verhalten von Tieren und Menschen. Soziobiologische Deutungen menschlichen Verhaltens (Wilson 1975; Krebs und Davies 1996; Voland 2000) und Bücher wie das „Egoistische Gen“ von Richard Dawkins (Dawkins 1978) haben teils heftige Debatten ausgelöst über unser Verständnis der Welt, in der wir leben, und über die Frage, wie wir uns selbst darin einordnen sollen. In ihrer zunehmend engeren Verknüpfung mit der Evolutionsbiologie und Ökologie sowie auch der Tierphysiologie und Neurobiologie haben verhaltensbiologische Erkenntnisse das Bild des modernen Menschen und der Grundlagen menschlichen Verhaltens wesentlich beeinflusst. Vieles, was man für einzigartig menschlich gehalten hat, hat sich bei unseren Primaten-Verwandten, aber auch bei vielen anderen Tierarten, in ähnlicher Ausprägung finden lassen. Die Gebiete der Soziobiologie und der Verhaltensökologie haben in ihrer Integration von Verhalten und Evolution neue Erkenntnisse über die Angepasstheit von Verhalten an die Umweltbedingungen und die oft erstaunlich schnelle Evolution von Verhaltensweisen bei Umweltveränderungen erzielt. Angesichts der Vielzahl oft leichtfertiger Übernahmen von Erkenntnissen verhaltensbiologischer Forschung in populärwissenschaftliche Aussagen ist es wichtig, kritisch zu solchen Vereinfachungen von Verhaltens- und Evolutionsvorgängen Stellung nehmen zu können. In diesem Sinne sind fundierte Kenntnisse der Möglichkeiten und Probleme verhaltensbiologischer Forschung essentiell, um sich selbst eine sachlich gut begründete Meinung zu biologischen Prozessen und aktuell diskutierten Themen bilden zu können. Ebenso wie Diskurse über unser menschliches Verhaltenserbe erfordern beispielsweise Diskussionen um artgerechte Tierhaltung differenzierte Methodenkenntnisse, um gewonnene Erkenntnisse einschätzen und optimal umsetzen zu können. Die in diesem Buch zusammengefassten Methoden der Verhaltensbiologie sollen in erster Linie das ‚Handwerkzeugǥ liefern, um Verhalten wissenschaftlich zu untersuchen und interpretierbar zu machen. Obwohl Verhaltensbiologen sich heutzutage auch viele Methoden anderer biologischer Disziplinen zu Nutze machen, bleibt die Datenerhebung durch Beobachten
1.2 Ebenen der Verhaltensanalyse
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und Experimentieren mit Tieren ein zentraler Kern dieser Forschung. Die Kenntnis der eher klassischen verhaltensbiologischen Methoden, d. h. wie Verhalten kategorisiert und registriert wird und wie verhaltensbiologische Experimente geplant, durchgeführt, ausgewertet und interpretiert werden, ist nach wie vor von großer Bedeutung. Die methodischen Kenntnisse dienen auch dazu, verhaltensbiologische Studien auf ihre Qualität und Aussagekraft hin beurteilen zu können. Neben grundlegenden Überlegungen zu wissenschaftlichem Arbeiten werden hier die Methoden der qualitativen und quantitativen Erfassung von Verhalten dargestellt, wobei sowohl rein deskriptive Beobachtungen als auch experimentelle Ansätze Berücksichtigung finden. Auch wenn einige Aspekte des verhaltensbiologischen Arbeitens auf den ersten Blick einfach erscheinen, wie das Beobachten von Tieren (das tatsächlich enorm komplex sein kann), ist die Praxis sehr vielschichtig. Durch die Vielzahl von zu bedenkenden Faktoren erfordern verhaltensbiologische Studien eine besondere Sorgfalt in der Planung und Durchführung (Milinski 1997). Dies Buch soll hierfür eine Grundlage bilden. Methoden anderer biologischer Disziplinen werden im Rahmen dieses Buches nicht näher besprochen, auch wenn sie eine zentrale Rolle in der modernen Verhaltensbiologie spielen. Hier sei auf methodische Fachbücher dieser Disziplinen verwiesen. In Kap. 1 bis 4 werden grundlegende Methoden dargestellt, ohne den Schwerpunkt auf eine bestimmte Tierart oder Fragestellung festzulegen. In Kap. 5 werden dann einige der spezielleren Methoden detaillierter behandelt. In Kap. 6 werden allgemeine methodische Fertigkeiten angesprochen, wie die statistische Datenauswertung und die Präsentation wissenschaftlicher Studien. In Kap. 7 stellen Wissenschaftler anhand von aktuellen Beispielen aus ihrem Forschungsbereich Methoden zu ausgewählten Themen vor. Diese Beispiele haben vor allem das Ziel, die Breite der Methoden zu verdeutlichen, sowie einen kurzen Einblick in verschiedene Studiensysteme zu geben.
1.2 Ebenen der Verhaltensanalyse In den biologischen Teildisziplinen werden Lebewesen auf verschiedenen systemischen Ebenen, die von der Erforschung der Wechselwirkung von Molekülen bis hin zur Betrachtung komplexer Ökosysteme reichen, untersucht. Wichtig ist, sich zu vergegenwärtigen, dass jede der biologischen Teildisziplinen, von der Molekularbiologie bis zur Verhaltensbiologie und Ökologie, auch wenn sie vorrangig auf einer der benannten Ebenen forscht, auf die anderen Disziplinen einwirkt und ebenso von Ergebnissen anderer Disziplinen beeinflusst wird.
6
1 Einleitung
Wenn wir Verhalten als Auseinandersetzung eines Individuums mit seiner Umwelt verstehen, wird deutlich, dass es verschiedene systemische Ebenen gibt, auf denen verhaltensbiologische Forschung betrieben werden kann (Abb. 1.2). Auf organismischer Ebene werden die Fragen dabei meist an ein ganzes Tier, eine Gruppe oder auch Population gestellt. Verhaltensbiologische Fragen beziehen sich aber auch auf die internen Vorgänge innerhalb eines Tieres. Fragen nach den Zusammenhängen zwischen Verhalten und Hormonen, Immunbelastungen oder auch neuronalen Vorgängen, einschließlich des Lernens, sind Teil verhaltensbiologischer Forschung. Die Verhaltensbiologie lässt sich daher nicht immer eindeutig von anderen biologischen Disziplinen abgrenzen. Entsprechend der konkreten Fragestellungen, die behandelt werden, kann im Zentrum des Interesses eine bestimmte Verhaltensweise stehen oder auch eine sehr komplexe Verhaltensstrategie, in der mehrere Verhaltensweisen zielgerichtet eingesetzt werden, wie komplexes Balz-, Aggressions- oder Nahrungssuchverhalten. Auch das Verhalten von Gruppen, wie Schwarmverhalten oder Verhalten bei Tierwanderungen, können im Zentrum einer Untersuchung stehen (Krause und Ruxton 2002). Wenn es um stärker vergleichende Aspekte geht, kann eine höhere Systemebene, wie die der Population oder Tierart oder sogar einer weiter übergeordneten systematischen Gruppe, Gegenstand der Forschung sein (Caswell 2001). Besonders in
Abb. 1.2. Biologische Systemebenen, zu denen verhaltensbiologische Forschung in Beziehung steht
1.2 Ebenen der Verhaltensanalyse
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diesem Bereich werden anspruchsvolle phylogenetische Methoden eingesetzt (Harvey und Pagel 1991; Wägele 2001; Felsenstein 2004). Die Erkenntnisse einer Systemebene ermöglichen es nicht, die Eigenschaften des Systems auf einer anderen Ebene vollständig vorherzusagen, so wie uns die Kenntnis des Alphabets nicht ermöglicht, die Bedeutung von Wörtern vorherzusagen. Die Betrachtung und Erforschung verhaltensbiologischer Phänomene kann sich grundsätzlich auf zwei Ebenen fokussieren. Einerseits können Fragen gestellt werden, die sich auf die unmittelbaren Faktoren beziehen, die ein Verhalten auslösen, den Ablauf von Verhalten direkt beeinflussen, der Steuerung von Verhalten zu Grunde liegen oder dazu führen, ein unmittelbares Ziel zu erreichen. Solche Fragen danach, wie etwas funktioniert oder direkt wirkt, also nach den unmittelbaren Mechanismen des Verhaltens, werden als Fragen auf proximater Ebene bezeichnet (Abb. 1.3). Darüber hinaus werden in der Verhaltensbiologie auch Fragen nach den langfristigen, evolutionären Funktionen von Verhalten gestellt. Diese Ebenen lassen sich am Besten anhand eines Beispieles vergegenwärtigen. Wird das Nahrungssuchverhalten eines Tiere untersucht, würde dieses auf proximater (unmittelbarer) Ebene bedeuten, dass z. B. physiologische Effekte (Hunger) betrachtet werden oder auch die Orientierung anhand eines möglicherweise vorhandenen Geruchsgradienten, die proximat dazu führt, ein Ziel (Nahrung, satt werden) zu erreichen. Auf ultimater Ebene führt dieses Verhalten zum Überleben und damit auch dazu, sich fortpflanzen zu können. Letztere Fragen standen gerade in den letzten Jahrzehnten vor allem in der Verhaltensökologie und Soziobiologie sehr stark im Vordergrund. Hier wird vorrangig nach der Konsequenz und dem Anpassungswert von Verhalten gefragt, also danach, welchen evolutionären Vorteil ein Verhalten dem
Abb. 1.3. Die proximate und ultimate Erklärungsebene für Verhalten
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1 Einleitung
ausführenden Individuum bringt. Es sind Fragen des ‚Warum und Wozuǥ, die auf dieser ultimaten Ebene verhaltensbiologischer Forschung gestellt werden, und deren Antworten sich mitunter auf evolutionäre Zeiträume beziehen. (Abb. 1.3). In der Regel gibt es, wie es typisch für biologische Systeme ist, im Verhalten der Tiere nicht nur eine einzige proximate und eine einzige ultimate Erklärung. Auf jeder Ebene gibt es meist eine Reihe von Erklärungen. Ein entsprechend erweitertes Konzept der Betrachtung von Verhalten hat Niko Tinbergen, einer der Begründer der Verhaltensbiologie, in heute immer noch sehr aktueller Weise formuliert (Tinbergen 1963). Die inzwischen klassischen 4 Fragen von Tinbergen (Tabelle 1.1) bilden oft die Grundstruktur von Übersichtswerken zur Verhaltensbiologie (McFarland 1998). Die Fragen beziehen sich auf (1) die Mechanismen, die das Verhalten auslösen und steuern, (2) auf die Ontogenese des Verhaltens, also wie sich ein Verhalten im Verlauf der Individualentwicklung zeigt und verändert, (3) auf die Funktion des Verhaltens, sowie (4) seinen phylogenetischen Ursprung. Jede Verhaltensleistung eines Tieres, ob es sich um den Vogelgesang, das Migrations- und Navigationsverhalten von Tieren, HellDunkel-Präferenzen eines Einzellers, komplexes Sozialverhalten oder Strategien der Nahrungssuche handelt, kann aus allen vier Blickwinkeln und deren Kombination untersucht werden. Tabelle 1.1. Die 4 Fragen von Tinbergen Ebenen der Verhaltensanalyse Was sind die Mechanismen eines Verhaltens? Wie entwickelt sich ein Verhalten? Welche Funktion hat ein Verhalten? Welchen phylogenetischen Ursprung hat ein Verhalten?
Es wird kaum gelingen, ein Experiment zu entwickeln, das alle Aspekte eines Verhaltens gleichermaßen untersucht. Entsprechend ist es wichtig, die verschiedenen Ebenen, auf denen Fragen gestellt und Antworten gesucht werden, zu trennen und sich dies bei der Planung eines wissenschaftlichen Projektes zu vergegenwärtigen. Auch wenn sich die verschiedenen Aspekte nicht in einer einzelnen Untersuchung bearbeiten lassen, gilt grundsätzlich, dass die vier von Tinbergen vorgeschlagenen Fragen gleichermaßen wichtig sind, um ein Verhalten in all seinen Dimensionen zu verstehen. Das heißt, die Mechanismen
1.3 Wissenschaftliche Methodik
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des Verhaltens spielen auch eine entscheidende Rolle beim Verständnis der Funktion des Verhaltens. Um zu verstehen, wozu ein Tier etwas macht, sollte auch bekannt sein, wie es dazu kommt, wie es Information verarbeitet und welche mechanistischen Möglichkeiten überhaupt vorhanden sind. Ebenso muss bei der Beantwortung von Fragen nach dem Anpassungswert berücksichtigt werden, dass es Verhalten geben kann, das in einem bestimmten Kontext nicht adaptiv ist, zum Beispiel dann nicht, wenn die zu Grunde liegenden Mechanismen in einem andern Kontext evoluiert sind. Dies kann auftreten, wenn ein Verhalten in einem anderen Kontext keinen Nachteil birgt und damit keine Gegenselektion stattfindet.
1.3 Wissenschaftliche Methodik Das wissenschaftliche Arbeiten basiert auf einer Reihe von grundlegenden Schritten (Abb. 1.4). Deren Kenntnis ist über eine speziell behandelte Problematik hinaus von hohem Wert. Diese Schritte seien hier zusammenfassend dargestellt, bevor sie im Folgenden noch einmal differenziert behandelt werden: Man stellt Fragen auf Basis von beobachteten Ereignissen oder vermuteten Zusammenhängen, bildet daraus Hypothesen und leitet
Abb. 1.4. Die grundlegenden Schritte des wissenschaftlichen Arbeitens
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1 Einleitung
daraus wiederum entsprechende Vorhersagen ab. In der experimentellen Wissenschaft werden dann wiederholbare Experimente geplant, die geeignet sind, diese Hypothesen mit ihren Vorhersagen zu überprüfen. Die Ergebnisse der Studie werden dann statistisch ausgewertet und mit den Vorhersagen in Beziehung gesetzt. Anschließend wird entschieden, ob die Hypothese beibehalten werden kann oder ob die Hypothese widerlegt (falsifiziert) wird. Die wissenschaftliche Methode ist Vorraussetzung und ‚Herzǥ der modernen Wissenschaft und damit auch der verhaltensbiologischen Forschung. Das Ziel ist dabei, durch systematisches Ausschließen von Erklärungen den Erklärungsraum systematisch einzugrenzen. Auch wenn rein beobachtend, also nicht-experimentell gearbeitet wird, sollten nach Vorbeobachtungen klare Fragestellungen und Hypothesen formuliert werden, da die Kriterien der Datenaufnahme entsprechend der Fragestellung angepasst werden müssen. Allerdings heißt dies nicht, dass in bestimmten Situationen, wie zum Beispiel zu Beginn einer Studie, eine Datenaufnahme, die nicht streng an eine Hypothese gekoppelt ist, keinen Erkenntniswert hat. Oft leiten sich Hypothesen erst von allgemeinen Beobachtungen ab, die nicht bereits auf eine bestimmte Fragestellung hin ausgerichtet sind. Je besser die Beobachtungen strukturiert werden, desto einfacher wird es, die Datenaufnahmemethoden einer zu bildenden Hypothese anzupassen. Letztendlich müssen die Ergebnisse zuerst in Bezug auf die eingangs aufgestellte Hypothese und dann aber auch in Bezug auf die übergeordnete Theorie, in die die Hypothese eingebettet ist, interpretiert werden. 1.3.1 Beobachtungen und Beschreibungen Unabhängig davon, ob Daten experimentell oder rein beobachtend erhoben werden sollen, müssen Verhaltensweisen registriert werden. Ein Grundproblem ist, dass das Beschreiben von Verhalten sehr anfällig dafür ist, Erwartungshaltungen, Interpretationen und subjektive Beurteilungen einfließen zu lassen. Diese Problematik darf keinesfalls unterschätzt werden; es handelt sich hierbei keinesfalls um gezielte Ergebnis-Manipulationen, die dem Ethos jeglichen wissenschaftlichen Arbeitens widersprechen. Prinzipiell läuft jeder Wissenschaftler, der Beobachtungen oder Experimente mit einer bestimmten Ergebnis-Erwartung durchführt, Gefahr, unbeabsichtigte und unbewusste Einflüsse auszuüben. Als beeindruckendes
1.3 Wissenschaftliche Methodik
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Beispiel sei die Geschichte des rechnenden Pferdes ‚Kluger Hansǥ erwähnt, die in Kap. 2.10.2 ausführlich dargestellt wird. Um Einflüsse des Beobachters auf das Verhalten eines Tieres und die erhobenen Daten so gut wie möglich zu vermeiden, sollte die Datenaufnahme so geplant und durchgeführt werden, dass die Möglichkeit, subjektive Einschätzungen unbewusst einfließen zu lassen, minimiert wird. Daher sollten Beobachtungen und Beschreibungen so dokumentiert werden, dass sie verifiziert werden können und auch wiederholt von verschiedenen Beobachtern in gleicher Weise gemacht werden können. Objektivere Beschreibungen sind meist solche, die auf Zählungen oder Messungen beruhen. Man kann zum Beispiel beobachten, dass ein Insekt 6 Beine hat und 5 cm lang ist oder ein Tier sich eine gemessene Dauer in einem bestimmten Bereich seines Habitates oder eines Versuchsaufbaus aufhält. Subjektivere Beschreibungen von Beobachtungen sind solche, die beobachterspezifisch sind und von anderen so nicht verifiziert werden können. Eine Person beschreibt zum Beispiel ein Insekt als „klein“ und „schnell-laufend“ oder beschreibt ohne genaue Zeitmessungen, dass sich ein Tier länger in einem Bereich eines Versuchsaufbaus aufgehalten hat als in einem anderen Bereich. „Klein“ und „schnell“ hat aber nicht für jeden Beobachter dieselbe Bedeutung und auch Dauern können von verschiedenen Beobachtern unterschiedlich empfunden werden, so dass solche eher anekdotenhaften Beschreibungen keinen nennenswerten wissenschaftlichen Wert haben. Eine Beschreibung, dass ein Insekt 10 cm/s läuft oder es sich 30 min in einem Versuchsbereich und nur 10 min in einem anderen Bereich aufgehalten hat, ist demgegenüber objektiver und kann verifiziert werden (Abb. 1.5). Auch Farben sind subjektive Wahrnehmungen und werden deshalb in der Wissenschaft häufig über die Reflektionsspektren bestimmt und angegeben, so dass z. B. der Farbe „rot“ objektive physikalische Messwerte zugeordnet werden können. Subjektive Einschätzungen treten weiterhin leicht auf, wenn das Verhalten eines Tieres bereits mit der Beschreibung im menschlichen Sinne gewertet wird. Sehr aktive Tiere können schnell als „nervös“ bezeichnet werden,
Abb. 1.5. Unterscheidung zwischen einer interpretierenden und einer rein beschreibenden Registrierung von Verhalten
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also in eine Richtung interpretiert werden, ohne dass solch eine Interpretation wissenschaftlich begründet werden könnte. Das gleiche gilt für Tiere, die sich ruhig verhalten und als „zahm“, „lieb“ oder „faul“ bezeichnet werden, obwohl sie vielleicht in Angststarre verfallen sind. Ein weiteres Beispiel für solche Einschätzungen, die genau gegenteilig zum tatsächlichen Zustand des Tieres sind, ist das „Angstgesicht“ bei vielen Primaten (Smuts et al. 1987). Dies sieht oberflächlich wie Lachen aus und kann fälschlicher Weise leicht als solches bezeichnet werden. Da man erst aus Beobachtungen auf die mögliche Bedeutung eines Verhaltens oder den Zustand eines Tieres schließen kann, sollten Beobachtungen beschreibend und nicht wertend notiert werden. Gut beschriebene Ergebnisse können einen dauerhaften wissenschaftlichen Wert haben, während sich die Interpretation von Ergebnisse mit dem Erkenntnisforschritt ändern kann. Bei der Erhebung wissenschaftlicher Daten müssen subjektive Beobachtungen daher so gut wie möglich ‚objektiviertǥ werden. Welche Methoden hierfür in welchen Situationen am Besten geeignet sind, wird in den nachfolgenden Kapiteln näher besprochen. Das Verhalten von Tieren zeigt oft auch Merkmale und Prinzipien, die uns sehr stark an unser eigenes Verhalten erinnern. Sicherlich ist dies auf der Basis des gemeinsamen evolutionären Hintergrundes nicht überraschend. Dennoch sollte das Verhalten von Tieren vor deren eigenem biologischen Hintergrund beschrieben und interpretieret werden, ohne dass unreflektiert eine Vermenschlichung (Anthropomorphisierung ) stattfindet. Zeigt ein Tier z. B wenig Aktivität in einem Versuch, sollte man zurückhaltend sein, dies als ‚faulǥ oder ‚lustlosǥ zu bezeichnen, da dies interne Zustände eines Individuums sind, die für einen Beobachter so nicht zugänglich sind. Probleme bei der Anthropomorphisierung treten vor allem dann auf, wenn dadurch Interpretationen im Verhalten erfolgen, die sich nicht über die gewonnenen Daten absichern lassen. Auch wenn es manchmal einfacher ist, das Verhalten eines Tieres im menschlichen Sinne zu beschreiben, sollte hier tatsächlich zwischen der wissenschaftlichen Seite und der persönlichen Einschätzung zum Verhalten eines Tieres unterschieden werden. Andererseits kann eine mit Bedacht eingesetzte Anthropomorphisierung eine hilfreiche Quelle von Fragestellungen darstellen sowie Interesse in einer breiteren Öffentlichkeit für die wissenschaftliche Erforschung des Verhaltens von Tieren wecken. Beobachtungen führen meist zu den Fragen „was“, „wie“, „warum“ „wann“ oder auch „wer“ und „wo“. Stellt man sich diese Fragen nach einer
1.3 Wissenschaftliche Methodik
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Beobachtung, denkt man häufig schon an eine mögliche Antwort. Solche Fragen und deren möglichen Antworten führen zur Bildung von Hypothesen und den davon abgeleiteten Vorhersagen. (Abb 1.4). Einer der häufigen Fehler in der Planung einer verhaltensbiologischen Datenaufnahme ist, dass man sich nur diffuse Vorstellungen macht, was man erwartet und entsprechend auch die Datenaufnahme nicht klar genug planen kann. Dies kann dann im schlimmsten Fall dazu führen, dass die Daten nachher nicht geeignet sind, die relevanten Hypothesen zu überprüfen und somit die eingangs gestellte Frage nicht beantwortet werden kann. Klare Hypothesen und die darauf aufbauenden Schritte der wissenschaftlichen Methodik minimieren die Wahrscheinlichkeit, unbrauchbare Daten zu erheben und bilden deshalb eine der Voraussetzungen anspruchsvoller wissenschaftlicher Arbeit.
1.3.2 Fragen Am Anfang einer verhaltensbiologischen Studie, ja letztendlich jeder biologischen Arbeit, steht meist die Neugier, mehr über die Zusammenhänge, über das Wirken und die Funktion biologischer Systeme und ihrer Komponenten verstehen zu wollen. Es ist allerdings oft nicht einfach, Fragen so zu stellen, dass sie sich auch wissenschaftlich untersuchen lassen. Welche Fragen sind überhaupt interessant? Welche Fragen sind bereits geklärt und welche Fragen sind noch ungeklärt? Wie kommt man von dem Bedürfnis, etwas verstehen zu wollen, zu konkreten Fragen, die einer wissenschaftlichen Untersuchung zugänglich sind? Auf welcher der eingangs beschriebenen Systemebenen sucht man eine Antwort? Möchte man zum Beispiel wissen, welchen Vorteil ein Weibchen hat, Männchen anhand bestimmter Merkmale auszuwählen, oder möchte man wissen, was die Ursachen für die unterschiedliche Ausprägung von Merkmalen bei Männchen sind? Zunächst ist es sinnvoll, sich über solche grundlegenden Aspekte Gedanken zu machen und Fragen zu sammeln. Je mehr Vorinformation man dabei zu einem Thema sammelt, desto klarer lässt sich eine Frage formulieren und in bereits bestehende Erkenntnisse und Theorien eingliedern. Um zu Fragen zu kommen, die in eine wissenschaftliche Studie münden, ist es unausweichlich, bestehende Originalliteratur aus Fachzeitschriften heranzuziehen, sie kritisch zu lesen, das Thema mit anderen zu diskutieren und Vorbeobachtungen durchzuführen.
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Oft kann man versucht sein, in den Vordergrund der Überlegungen zu stellen, was sich unter den gegebenen Bedingungen mit den zur Verfügung stehenden Methoden machen lässt, anstatt die Fragen biologisch-inhaltlich abzuleiten. Dies ist kein idealer Ansatz und birgt die Gefahr, dass man mit einer Untersuchung beginnt, die nur wenig relevant ist und die sich möglicherweise auch nicht in einen biologisch klar interpretierbaren Zusammenhang stellen lässt. Besser ist es, zunächst Fragen zu sammeln und erst dann, wenn man feststellt, dass sich eine bestimmte Frage mit den methodisch zur Verfügung stehenden Methoden nicht untersuchen lässt, die Untersuchung dieser Frage zurückzustellen und andere biologisch abgeleitete Fragen zu untersuchen. Gleiches gilt prinzipiell auch für die Wahl der Tierart, die untersucht werden soll. In der Praxis beinhaltet die Planung einer Studie allerdings ein enges Zusammenspiel zwischen biologischen Fragestellungen und methodischen Möglichkeiten. Sicher werden sich viele Fragen zunächst aus der Faszination für eine bestimmte Tierart entwickeln – und es ist durchaus legitim, dies zur zentralen Motivation der eigenen Forschung zu machen. Um aber über die reine persönliche Faszination für das Verhalten von etwa Wölfen, Pinguinen, Schimpansen, Delphinen, Meerschweinchen oder Singvögeln hinauszukommen und den Ansprüchen wissenschaftlichen Arbeitens gerecht zu werden, sollte die Forschung in bestehende artübergreifende Theorien und Konzepte eingebettet werden und ein möglichst objektives Bild der Verhaltensleistungen eines Tieres gezeichnet werden. 1.3.3 Hypothesen Eine Hypothese ist eine wissenschaftlich begründete und überprüfbare Aussage. Hypothesen postulieren Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung in Bezug auf beobachtete Phänomene. Hypothesen beinhalten auch möglichst nur eine Variable und sollten ‚neutralǥ formuliert sein. Zum Beispiel: „Asseln halten sich häufiger auf dunklem als auf hellem Boden auf“ ist eine bessere Formulierung als „Asseln halten sich lieber auf dunklem als auf hellem Boden auf“, da letztere Formulierung sich auf den internen, nicht leicht überprüfbaren Zustand des Tieres bezieht. Das Formulieren von Hypothesen ist auch deshalb sehr wichtig, da es dazu zwingt, sich sehr genau zu überlegen, welche Erwartungen an eine geplante Datenaufnahme gestellt werden. Eine Hypothese sollte immer am Beginn einer geplanten Untersuchung stehen und schriftlich formuliert werden. Nicht akzeptabel ist es, Hypothesen nach der Beendigung der Datenaufnahme so aufzustellen, dass sie im Nachhinein durch die bereits erhobenen Daten bestätigt werden. Hypothesen, die sich aus gewonnenen Daten ergeben,
1.3 Wissenschaftliche Methodik
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müssen in einer neu zu planenden Untersuchung überprüft werden. Unter Berücksichtigung der durch eine Studie gewonnenen Erkenntnisse, lassen sich somit neue Hypothesen entwickeln und mit einem geeigneten Versuchsaufbau testen. So wird durch schrittweise vollzogenes Wechselspiel von Hypothesenbildung, Test und Schlussfolgerung schließlich eine indirekte Eingrenzung der Erklärungsmöglichkeiten für Zusammenhänge und Tatbestände erreicht. Hypothesen können durch eine Studie niemals bewiesen werden, sondern sie können nur verworfen (falsifiziert) werden oder weiterhin Bestand haben. Hypothesen können nicht bewiesen werden, da sich alternative Erklärungsmodelle nie hundertprozentig ausschließen lassen. Hypothesen, die über mehrere Studien Bestand haben, gelten ab einem gewissen Punkt als gesichert und allgemein akzeptiert, so dass sie in die übergeordnete Theorie integriert werden. Sollte eines Tages allerdings die Hypothese doch widerlegt werden, müssen alternative Erklärungsmöglichkeiten in Betracht gezogen werden und möglicherweise sogar die Theorie revidiert werden. Hypothesen (und Theorien) haben solange Bestand, bis sie widerlegt werden. Ein Ziel ist, die Anzahl der möglichen erklärenden Hypothesen einzugrenzen und durch schrittweisen Ausschluss alternativer Hypothesen zu solchen zu kommen, die das Verhalten eines Tieres erklären.
1.3.4 Vorhersagen Eine klar formulierte Hypothese ermöglicht es, Vorhersagen zu machen. Vorhersagen werden auf Basis von begründeten Hypothesen abgeleitet und haben in der Regel eine „wenn-dann“ Beziehung. Die Vorhersage bildet die Basis für ein Experiment oder eine systematische Beobachtung. Zum Beispiel: „Wenn Asseln sich häufiger auf dunklem Boden aufhalten als auf hellem Boden, dann sollten sie in einem Versuch, in dem ihnen dunkler und heller Boden geboten wird, häufiger den dunklen Boden wählen“. Vorhersagen sind ein zentraler Punkt in der hypothesen-orientierten experimentellen Forschung, da sie einen klaren Rahmen für eine Datenaufnahme schaffen. Hier wird entschieden, welches Verhalten erfasst wird und welche Erwartungen man an die Ergebnisse eines Versuches hat. Um bei dem Beispiel der Hell-Dunkel-Präferenz zu bleiben, könnte vorhergesagt werden, dass sich die Asseln längere Zeit im dunklen Teil einer Versuchsanordnung aufhalten. Mit der Formulierung der Vorhersagen sollte bestimmt werden, wie eine Datenaufnahme geplant werden muss, um die
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Hypothese überprüfen zu können. Bei den Vorhersagen wird bereits deutlich, welche Interpretationsmöglichkeiten plausibel sind, wenn die Erwartung erfüllt wird oder auch, wenn sie nicht erfüllt wird. Durch das Formulieren von Vorhersagen anstelle von eher diffusen Erwartungen an die Ergebnisse eines Experimentes, wirkt man auch einer vielleicht unterschwelligen Neigung entgegen, beim Auftreten unerwarteter und eventuell schwer interpretierbarer Ergebnisse im Nachhinein die Erwartung an den Versuch so zu verändern, dass die Ergebnisse dann genau den Erwartungen entsprechen. Solche post-hoc-„Vorhersagen“ entsprechen keiner guten wissenschaftlichen Praxis. 1.3.5 Datenerhebung und Datenauswertung Vorhersagen führen zur Planung einer Datenaufnahme. Das Ziel der Datenaufnahme ist es, eine vorher aufgestellte Hypothese zu testen, insofern es sich nicht um eine rein explorative Datenerhebung handelt. Experimente variieren dabei den Faktor (im besten Fall nur eine Variable), der in der Hypothese genannt wird, wobei alle anderen Faktoren (Variablen) konstant gehalten werden sollten, soweit dies möglich ist. Faktoren, die nicht kontrolliert werden können, wie klimatische Bedingungen oder bestimmte Eigenschaften der Versuchstiere, sollten, soweit sie bekannt sind, in der Versuchsplanung berücksichtigt werden (Kap. 2 und 3). Vor der Datenaufnahme sollte bestimmt werden, welches Verhalten wie definiert und registriert wird (Kap. 4). Weiterhin kann ein Experiment eine Kontrolle benötigen, die sich vom experimentellen Versuch nur darin unterscheidet, dass auch die Variable, die im Experiment manipuliert wird, konstant gehalten wird. Darüber hinaus müssen ausreichend Replikate verwendet werden (s. Kap. 2.7). Randbedingungen einer Datenaufnahme, die nicht durch den Versuchsleiter oder Beobachter beeinflussbar sind, sollten bei der Datenaufnahme berücksichtigt werden, so dass sie später in die Auswertung einfließen können. Ist eine Datenaufnahme nach einer sorgfältigen Planung durchgeführt und abgeschlossen, werden die Ergebnisse mit den geeigneten statistischen Verfahren getestet. Hier wird geprüft, ob die beobachteten Effekte statistisch signifikant sind oder auch allein durch Zufall erklärt werden können. Die Ergebnisse werden dann mithilfe geeigneter statistischer Verfahren (Kap. 3 und 6) ausgewertet und anschließend zu den Vorhersagen in Beziehung gesetzt. Entsprechend muss dann die Hypothese abgelehnt (falsifiziert) werden, oder sie hat weiterhin Bestand. In der Regel führt ein Versuch dazu, neue Hypothesen zu erstellen oder bestehende Hypothesen detaillierter zu formulieren, sowie anschließende weitergehende Datenaufnahmen zu planen. Die Planung einer Datenaufnahme sollte mit
1.4 Zusammenfassung
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besonderer Sorgfalt durchgeführt werden, da alle weiteren Schritte in ganz entscheidender Weise durch die eingesetzte Methodik der Datenerhebung bestimmt werden. 1.3.6 Interpretation der Ergebnisse Die Interpretation der Ergebnisse darf in keinem Fall voreilig erfolgen. Sie sollte grundsätzlich vor dem biologischen Hintergrund und vor dem Hintergrund der Methodik, mit der die Daten erhoben wurden, durchgeführt werden. Ziel der Interpretation ist es, die Daten in Bezug auf die eingangs gestellte Hypothese zu bewerten und möglicherweise in eine übergeordnete Theorie einzubinden. Wurde die Hypothese bestätigt oder muss sie verworfen werden? Welche methodischen und biologischen Erklärungsmöglichkeiten gibt es? Für die Interpretation der Ergebnisse ist es unumgänglich, sich mit der entsprechenden Fachliteratur vertraut zu machen, um dann die Ergebnisse vor dem Hintergrund des aktuellen Erkenntnisstandes der untersuchten Thematik zu interpretieren. Dabei wird von dem einfachsten Erklärungsmodell ausgegangen, bevor den Tieren komplizierte Leistungen unterstellt werden. Bei der Interpretation von Tierverhalten ist man oft stärker als in anderen biologischen Teildisziplinen geneigt, anthropomorphe Erklärungsansätze zu verfolgen. Wenn Tiere Partner auswählen oder ein bestimmtes Sozialverhalten zeigen, finden wir unter Umständen sehr schnell Ähnlichkeiten zu unserem eigenen Verhalten. Damit läuft man Gefahr, dem Verhalten von Tieren, das scheinbar unserem eigenen Verhalten in einer bestimmten Situation entspricht, ein bestimmtes Bewusstsein, ein bestimmtes Ziel, oder einen bestimmten Mechanismus zu unterstellen. Da wir nicht wissen, was tatsächlich in einem Tier vorgeht, wenn es eine Entscheidung trifft, sollten Erklärungsansätze zunächst möglichst einfach sein und mögliche Parallelen zum menschlichen Verhalten vermieden oder zurückhaltend diskutiert werden. Letztendlich sollte aus der Interpretation der Daten hervorgehen, was die Studie zur behandelten Thematik beiträgt und welchen Erkenntnisgewinn sie in Bezug zur übergeordneten Theorie hat.
1.4 Zusammenfassung Die Verhaltensbiologie benutzt trotz vieler Überschneidungen mit anderen biologischen Disziplinen und Teilen der Psychologie eine Reihe eigener Methoden. Da Verhalten noch stärker als andere Systemebenen dazu verführt, Befunde voreilig und subjektiv zu deuten, ist es wichtig, mit exakter wissenschaftlicher Methodik vorzugehen. Hierzu gehören eine Reihe von
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1 Einleitung
Schritten von der Hypothesenbildung über die Planung und Durchführung der Datenaufnahme, bis hin zur Interpretation. Planung, Durchführung der Datenerhebung, sowie die quantitative Datenauswertung sind der Kern des praktischen wissenschaftlichen Arbeitens, auf dessen Basis Verhaltensleistungen erklärt werden. Dieser zentrale Bereich bildet den Schwerpunkt der weiteren Kapitel dieses Buches.
Weiterführende Literatur Alcock J (2005) Animal behavior: an evolutionary approach. Sinauer, Sunderland, MA Barnard C (2004) Animal behaviour: mechanisms, development, function and evolution. Pearson, Prentice Hall, Harlow Barnard C, Gilbert F, McGregor PK (1993) Asking questions in biology: design, analysis & presentation in practical work. Longman, Harlow, UK Clemmons JR, Buchholz R (1997) Behavioral approaches to conservation in the wild. Cambridge University Press, Cambridge Kappeler P (2006) Verhaltensbiologie. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Krebs JR, Davies NB (1996) Einführung in die Verhaltensökologie. Blackwell Lehner PN (1996) Handbook of ethological methods, 2nd edn. Cambridge Univ Press, Cambridge, UK Lucas JR, Simmons LW (2006) Essays in animal behaviour. Elsevier, San Diego, CA Manning A, Dawkins MS (1998) An introduction to animal behaviour. Cambridge Univ Press, Cambridge Martin P, Bateson P (1993) Measuring behaviour: an introductory guide, 2nd edn. Cambridge Univ Press, Cambridge, UK McFarland D (1998) Animal Behaviour, Psychobiology, Ethology and Evolution. Prentice Hall, Harlow Milinski M (1997) How to avoid seven deadly sins in the study of behavior. Adv Stud Behav 26:159–180 Slater PJB (1999) Essentials of animal behaviour. Cambridge Univ Press, Cambridge Tinbergen N (1963) On the aims and methods of ethology. Z Tierpsychol 20:410433
2 Allgemeine Grundlagen
2.1 Vorüberlegungen Verhaltensbiologische Studien sind oft sehr zeitaufwendig und können daher in dem Zeitrahmen, der vorgesehen ist, häufig nicht wiederholt werden. Dies gilt zum Beispiel für Feldstudien, die möglicherweise in Gebieten durchgeführt werden, die nur schwer und kostenaufwendig erreicht werden können. Auch Projekte, die saisonal gebunden sind, wie Studien zu Paarungs-, Revier-, oder Migrationsverhalten können eventuell gar nicht oder erst wieder in einem späteren Jahr wiederholt werden. Für Studien in Labor und Freiland ist es häufig relevant, dass die Tiere keine Vorerfahrung mit den Stimuli oder Kontexten haben, die experimentell präsentiert werden. Auch in solchen Fällen, in denen jedes Tier nur einmal bzw. nur begrenzt häufig getestet werden kann, kann eine einmal begonnene Studie mit den gleichen Tieren nicht wiederholt werden. Auch aus ethischen Gesichtspunkten sollten bei bestimmten experimentellen Studien nur so viele Tiere verwendet werden, wie es sich wissenschaftlich begründen lässt (Kap. 5.3, Ethische Aspekte beim Arbeiten mit Tieren). Daher ist eine gut geplante Datenaufnahme von zentraler Bedeutung. Wenn mögliche Probleme, die bei einer Studie auftreten können, bereits im Vorfeld abgeschätzt werden können, lässt sich eine Datenaufnahme so planen und strukturieren, dass Störungen durch unerwünschte Faktoren minimiert werden. Zunächst muss bedacht werden, an welcher Tierart und mit welcher Stichprobe die Untersuchung durchgeführt werden soll. Dazu kommen eine Reihe weiterer Aspekte, die vor, während, und auch nach der Datenaufnahme wichtig sind, und bereits zu Beginn einer Studie so weit wie möglich durchdacht werden sollten. In den folgenden Kapiteln sind daher eine Reihe Aspekte im Detail aufgeführt, die bereits in der Planungsphase einer Studie wichtig sind. Darüber hinaus ist es ratsam, Datenaufnahmeprotokolle und Versuchsplanungen mit Kollegen zu diskutieren. Meist gibt es mehr als eine einzige
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2 Allgemeine Grundlagen
ideale Lösung, eine Studie durchzuführen. Das Aufzeigen verschiedener Lösungen ergibt sich oft erst im Dialog mit Kollegen, die meist einen anderen Blickwinkel in Bezug auf eine Problematik haben als man selbst. In Anbetracht der Vielzahl der zu berücksichtigenden Faktoren muss abgewogen werden, welches Datenaufnahmeprotokoll für die entsprechende Studie und Fragestellung am besten geeignet ist und die geringsten Probleme auch in der anschließenden Interpretation der Ergebnisse verursacht. Ein Projekt in einem Seminar vorzustellen, bevor es begonnen wurde, und kritische Anregungen in einen modifizierten Versuchsplan aufzunehmen, hat erheblich mehr Wert für die eigene wissenschaftliche Arbeit, als es vorzustellen, nachdem es abgeschlossen ist und mögliche Probleme erst dann offensichtlich werden. Dies erfordert oft Mut, besonders dann, wenn man weniger erfahren ist und sich dementsprechend in der Projektplanung vielleicht unsicher fühlt. Diese Unsicherheit ist verständlich, sollte aber im Sinne der Qualität des geplanten Projektes überwunden werden. Die Vorstellung eines Projektes, bevor es ‚losgehtǥ, führt langfristig gesehen zu mehr Sicherheit, da es zum einen einfacher ist, Fehler einzugestehen, bevor man sie begangen hat, als sich nachher mit Fehlern auseinandersetzen zu müssen, die hätten vermieden werden können. Zum anderen gewinnt ein Projekt an Qualität, wenn es gut geplant wird und mögliche Kritikpunkte bereits im Vorfeld bei der Planung der Datenaufnahme berücksichtigt werden. In vielen Arbeitsgruppen werden Projekte in der Regel von der ersten Planungsphase an im Kreis der Arbeitsgruppe besprochen und kritisiert. Zum einen befähigt dies Kolleginnen und Kollegen, den Fortgang eines Projektes von Beginn an zu verfolgen. Zum anderen ist die kritische Beurteilung von Studienansätzen und Versuchsplänen eine wichtige Schulung für die eigene wissenschaftliche Arbeit. Nichts ist ärgerlicher, als nach einer zeit- und (nerven-) intensiven Datenaufnahme festzustellen, dass die Daten aufgrund grundlegender methodischer Mängel einen geringen wissenschaftlichen Aussagewert haben. Das Fehlen einer geeigneten Kontrolle, ungenau definierte Verhaltensweisen, ein ungeeigneter Versuchsaufbau und das Auslassen der Registrierung wichtiger Verhaltensweisen oder Umweltbedingungen bei der Datenaufnahme können eine anderweitig noch so engagiert durchgeführte Studie hinfällig machen. Es sollte bereits bei der Versuchsplanung daran gedacht werden, wie die Daten ausgewertet werden sollen. In der Verhaltensbiologie nimmt die statistische Analyse der Daten einen zentralen Aspekt des wissenschaftlichen Arbeitens ein. Daher sollte
2.2 Auswahl der Tierart
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bereits vor dem Beginn einer Studie darüber nachgedacht werden, welche statistischen Tests genutzt werden sollen und welche Anforderungen an die Datenstruktur gestellt werden (z. B. gepaarte oder unabhängige Stichproben) (Kap. 3.4 Planung von Experimenten; Kap. 6.1 Statistische Datenauswertung). In dieser Hinsicht sollte im Vorfeld auch bestimmt werden, welche Stichprobengröße angestrebt wird oder über welche Dauer eine Datenerhebung durchgeführt werden soll, um zu vermeiden, bewusst oder unbewusst, eine Datenerbung dann abzubrechen, wenn die Ergebnisse ausreichend erscheinen und dadurch während der Datenaufnahme Einfluss auf die statistische Signifikanz der Ergebnisse zu nehmen. Diese Gefahr besteht vor allem bei Datensatzstrukturen, die mit einfach zu überschauenden statistischen Methoden ausgewertet werden können und bei denen man bereits bei der Datenaufnahme berechnen kann, ob die Daten ausreichen, um ein signifikantes Ergebnis zu erzielen. Im Hinblick auf die Auswertung sollte daran gedacht werden, welche Daten notwendig sind, um die aufgestellten Hypothesen überprüfen zu können. Eine zu oberflächliche Datenerhebung wird offensichtlich zu Problemen führen, während aber auch eine zu detaillierte Datenaufnahme ineffizient und von der zentralen Frage ablenkend sein kann. Ein ganz zentraler Punkt der Datenstruktur im Hinblick auf die Datenauswertung neben adäquater Kontrollbedingungen (Kap. 3.4.1) ist vor allem auch die Anzahl von Replikaten, sowie das Vermeiden von Pseudoreplikation (Kap. 2.7).
2.2 Auswahl der Tierart Der Entscheidung, an welcher Tierart ein bestimmtes Projekt durchgeführt werden soll, liegen meist zwei Beweggründe zugrunde. Zum einen ist die Wahl an der biologischen Fragestellung orientiert und zum anderen am Interesse an einer bestimmten Tierart. Die Entscheidung für eine Tierart ist oft nicht leicht und erfordert ein sorgfältiges Abwägen diverser Vor- und Nachteile (Abb. 2.1). Die Motivation, mehr über eine bestimmte Tierart zu erfahren, kann dabei eine treibende Kraft wissenschaftlichen Arbeitens sein. In vielen aufwendigen Feldstudien, die ein enormes Engagement erfordern, ist gerade die vielleicht nicht primär wissenschaftlich getriebene Motivation, mehr über eine bestimmte Tierart zu erfahren, die entscheidende Kraft, eine wissenschaftlich anspruchsvolle Studie durchzuführen. Wochen- oder monatelang unter einfachen Bedingungen zu leben, sowie eingeschränkten sozialen Kontakt und wenig Ruhephasen zu akzeptieren, erfordert oft eine erhebliche Frustrationstoleranz, so dass gewisse Studien erst mit einer sehr starken
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2 Allgemeine Grundlagen
Abb. 2.1. Neben den grundlegenden Prinzipien verhaltensbiologischen Arbeitens muss die Datenaufnahme speziell an die Tierart angepasst werden. Bei der Auswahl der Tierart sollten eine Reihe von Faktoren berücksichtigt werden. (Steiner 2000)
Grundmotivation möglich werden (Tinbergen 1960; Goodall 1988; Heinrich 1994). Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass eine wissenschaftliche Studie mehr ist, als Daten zu erheben und einzelne Hypothesen zu testen. Die Erkenntnisse einer Studie sollten auch in eine übergeordnete Theorie eingebettet werden. Das heißt zum Beispiel, es gilt im Vorfeld einer Studie zu klären, inwieweit neue Erkenntnisse über das Leben von z. B. Delphinen, Schimpansen, Ameisen, Käfern, Wölfen, Meerschweinchen, Nacktmullen, Kanarienvögeln oder Stichlingen auch von allgemeinem Interesse sind und sich in Theorien zum Beispiel zur Evolution der Kommunikation, der Partnerwahlstrategien, von Lebenslaufstrategien oder der Mechanismen der Navigation einbetten lassen. Sind die Ergebnisse nur für eine spezielle Tierart interessant, z. B. weil gleiche oder ähnliche Erkenntnisse bereits an vielen anderen Tierarten gewonnen wurden und als allgemein gesichert gelten, sollte man diesen Aspekt besonders kritisch prüfen. Je weniger verallgemeinerbar die Erkenntnisse sind, desto geringer ist oft auch das allgemeine Interesse in der wissenschaftlichen Gemeinschaft an einer Studie. Hiervon gibt es sicherlich Ausnahmen, vor allem, wenn es um besondere Leistungen geht, die nur bei speziellen Tierarten auftreten, oder wenn es um naturschutzrelevante Themen oder andere angewandte Aspekte wie Haltungsbedingungen von Nutztieren geht. Wenn die Aussagen, die man mit einer wissenschaftlichen Studie treffen möchte, verallgemeinert werden sollen, ist es wichtig, eine Tierart auszuwählen, die für eine Fragestellung und Untersuchungsbedingungen geeignet ist. Oft liegt der Entscheidung, welche Tierart zur Untersuchung genutzt wird, ein Kompromiss zugrunde. Zum einen kann eine Studie umso differenzierter geplant werden, je mehr bereits über eine Tierart bekannt ist. Zum anderen stellen sich bestimmte Fragestellungen auch nur bei bestimmten Tierarten. Weiterhin spielen auch praktische Erwägungen bei der Auswahl einer Tierart eine Rolle.
2.2 Auswahl der Tierart
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So kann die Erfahrung mit der Haltung einer Tierart im Labor oder miteiner Freilandpopulation von Bedeutung sein, um seine Studien sinnvoll gestalten zu können. Eine Freilandstudie, in der es für die Fragestellung notwendig ist, die Tiere individuell erkennen zu können, sollte z. B. an einer Population durchgeführt werden, deren Tiere sich klar unterscheiden lassen, oder die mit angemessenem Aufwand markiert werden können (Kap. 5.1.2). In Laborstudien kann es wichtig sein, eine Tierart auszuwählen, die sich gut halten lässt und die auch unter den Haltungsbedingungen das Verhalten, das von Interesse ist, in einem interpretierbaren Kontext zeigt. In dem Sinne kann es sinnvoll sein, von einer möglicherweise vorhandenen Lieblingstierart abzukommen, wenn die Durchführbarkeit des Projektes mit den zur Verfügung stehenden Mitteln an einer anderen Art besser gewährleistet ist. 2.2.1 Domestizierte Tiere In Labors werden häufig domestizierte Tiere, wie viele Kleinsäuger (z. B. gezüchtete Ratten, Mäuse, Meerschweinchen), Singvögel (z. B. domestizierte Zebrafinken, Kanarienvögel) oder auch Nutztiere (Hühner) gehalten. Diese Tiere bieten oft praktische Vorteile für wissenschaftliche Untersuchungen und ermöglichen, Fragen zu untersuchen, die sich im Freiland kaum oder nur sehr erschwert bearbeiten lassen. Ein Vorteil ist, dass domestizierte Tiere sich besser halten lassen als Wildfänge, die sehr viel empfindlicher auf Laborbedingungen und Versuchsapparaturen reagieren, als es domestizierte Tiere tun. Berücksichtigt werden sollte allerdings, in wieweit die Generalisierbarkeit der erzielten Resultate aufgrund der Domestikation der Tiere eingeschränkt ist. Obwohl domestizierte Tiere oft ein nahezu vollständig natürliches Verhaltensrepertoire der frei lebenden Wildart zeigen, kann die Zucht auf bestimmte Merkmale zu Unterschieden im Verhalten zwischen domestizierten Tieren und der Wildform führen. Solche Unterschiede können zu Einschränkungen in der Interpretation führen, vor allem, wenn funktionale und evolutionäre Fragen bearbeitet werden sollen. Sind Tiere auf besonders extravagante Merkmale wie Farben, Flossengrößen oder andere morphologische Merkmale oder auch auf bestimmte Verhaltensweisen in nicht natürlichen Sozialstrukturen gezüchtet worden, sollte überprüft werden, wie weit sich die Ergebnisse verallgemeinern lassen. Untersucht man z. B. den Zusammenhang zwischen dem Immunsystem und der Federfarbe bei Kanarienvögeln (Farben bei Tieren können Anzeiger des Immunsystems sein), sollte bei Rückschlüssen in Bezug auf die evolutionäre Bedeutung berücksichtigt werden, dass Kanarienvögel natürlicherweise weit weniger farbintensiv als die gezüchteten Formen sind. Deshalb sollten Erkenntnisse, die
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2 Allgemeine Grundlagen
anhand von Merkmalen gewonnen werden, die bei domestizierten Tieren anders ausgeprägt sind als bei Wildpopulationen, mit Zurückhaltung in Bezug auf ihre Bedeutung in natürlichen Populationen diskutiert werden. Dies heißt aber nicht, dass Studien an domestizierten Tieren grundsätzlich problembelastet sind. Manchmal ist es gerade erwünscht, das Verhalten domestizierter Tiere zu untersuchen, wie im Fall von Labortieren der medizinischen und pharmakologischen Forschung und in der Nutztierethologie (Olsson et al. 2003). Vor allem wenn es um Fragen der Verhaltensmechanismen geht oder aber um grundlegende mechanistische Prinzipien evolutionärer Prozesse, können Studien an domestizierten Tieren eine enorme Aussagekraft haben. Hier müssen vor jeder Studie mögliche Vor- und Nachteile abgewogen werden, so dass vermieden wird, dass mögliche Einschränkungen in der Interpretierbarkeit erst nach Ende der Datenaufnahme erkannt werden.
2.3 Laborversuche und Freilandarbeit Ob eine Studie im Freiland oder Labor durchgeführt wird, hängt von den Fragestellungen, den praktischen Möglichkeiten, sowie auch von dem persönlichen Interesse und den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten ab (Abb. 2.2). Laborstudien haben den Vorteil, dass der experimentelle Kontext sehr gut kontrolliert werden kann. Darüber hinaus lassen sich hier technische Geräte einsetzen, deren Einsatz im Freiland unpraktikabel oder unmöglich ist. Vor allem Verhaltensstudien, die physiologische Messwerte von Tieren erfordern, lassen sich nur in begrenztem Ausmaß im Freiland durchführen. Das gleiche gilt für Lernexperimente und Experimente, die einen stringenten Versuchsaufbau erfordern. Limitierungen von Laborversuchen können demgegenüber darin liegen, dass das Verhalten, das ein Tier in der Laborsituation zeigt, in seiner natürlichen Umwelt nicht von gleicher Bedeutung sein muss. Hier sollte abgewogen werden, inwiefern sich Ergebnisse aus Laborversuchen auf das Freiland übertragen lassen. Im Freiland sollte bedacht werden, dass aufgrund vieler gleichzeitig wirkender Faktoren gewisse Verhaltensweisen im allgemeinen ‚Rauschenǥ untergehen können. Auch lassen sich bestimmte Verhaltenskontexte im Freiland möglicherweise gar nicht untersuchen, da sie zu selten auftreten und für eine Datenaufnahme nicht zugänglich sind. Vorteile der Freilandforschung liegen vor allem darin, dass das Verhalten von Tieren tatsächlich in ihrer natürlichen Umgebung aufgenommen werden kann. Dies gilt für deskriptive Studien ebenso wie für Freilandexperimente. Reaktionen von Tieren auf experimentelle Stimuli im Freiland lassen sich entsprechend leichter in Hinblick auf die Funktion des Verhaltens interpretieren. Aufgrund der
2.4 Zeitrahmen
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Abb. 2.2. Unterscheidung zwischen Freilandarbeit und Laborstudie reflektiert teilweise auch traditionelle Unterschiede zwischen dem Studium von Tierverhalten aus psychologischer und ethologischer Sicht. Oder wie Peter Slater es in seinem Buch ‚Essential in Animal Behaviourǥ humorvoll bezeichnet: im Extrem ist der eine Ansatz, das Tier in eine Box zu setzen, um es im Labor zu beobachten, während der andere Ansatz ist, sich selber in eine Box zu setzen um das Tier in seiner natürlichen Umwelt zu beobachten. (Zeichnung von Ulrich Pörschmann nach Slater 1996)
verschiedenen Vor- und Nachteile von Labor- und Freilandforschung ist es idealerweise wünschenswert, wenn sich beides ergänzen lässt.
2.4 Zeitrahmen In der Regel ist der Zeitrahmen, der für eine Studie zur Verfügung steht, begrenzt. Für kurze Projekte während des Studiums stehen nur wenige Wochen zur Verfügung, für Bachelor- und Mastersarbeiten einige Monate und für Dissertationen sowie viele drittmittelgeförderte Projekte nur wenige Jahre. Selbst bei Langzeitprojekten kann es logistische Limitierungen geben, so dass es wichtig ist, einen Zeitplan zu erstellen, in dem die Daten erhoben, ausgewertet und zusammengeschrieben werden sollen. Innerhalb der Rahmenbedingungen sollten ausreichend Zeitpuffer eingeplant werden, da es im Verlauf einer jeden Studie zu Verzögerungen kommen kann.
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2 Allgemeine Grundlagen
Bei Freilandstudien kann schlechtes Wetter dazu führen, dass die Datenaufnahme ausgesetzt werden muss. Bei Labortieren kann die Eingewöhnung in Versuchsaufbauten länger dauern als geplant. Auch technische Probleme mit Video-, Audio- oder Computerausrüstungen treten häufiger als erwartet und erwünscht auf. Auch sollte berücksichtigt werden, dass Versuche oder Beobachtungen wiederholt werden müssen, weil vergessen wurde, die Geräte einzuschalten, die Stoppuhr zu starten oder weil ein Gerät versagt. Wahrscheinlich kann jeder, der in der Wissenschaft tätig ist, ein oder mehrere Beispiele nennen, in denen er selbst Fehler gemacht hat, die zu einer enormen Zeitverzögerung geführt haben. Zu vergessen, die Pausetaste zu lösen, um ein Audio und Videogerät, das bereits eingeschaltet ist, zu starten, Batterien aufzuladen, oder wichtige Ausrüstungskomponenten (Fernglas, Stoppuhr, Palm, Schreibutensilien, Listen) mit ins Feld zu nehmen, sind nur einige der Fälle, die selbst erfahrenen Wissenschaftlern in dem oft vorhandenen engen Zeitrahmen leicht unterlaufen. Solchen leicht möglichen ‚Vergesslichkeitenǥ lässt sich am Besten dadurch entgegenwirken, dass Merklisten erstellt werden, die man kurz vor Beginn eines Experimentes oder einer Fahrt ins Freiland durchgeht. In jedem Fall sollten Verzögerungen mit in eine Zeitplanung als Zeitpuffer einbezogen werden (Abb. 2.3). Wenn eine Studie früher abgeschlossen ist als geplant, eröffnet dies Zeiträume für Anschlussversuche oder mehr Zeit für die Auswertung und das Zusammenschreiben der Studie. Ein entstehender Zeitdruck, der sich aus einem zu engen Zeitplan ergibt, kann demgegenüber zu ungenauer Datenauswertung führen oder dazu, dass zum Zusammenschreiben der Studie die Zeit nicht ausreicht. Besonders die Zeit, die zum Auswerten, Lesen und Schreiben benötigt wird, wird oft unterschätzt. Wenn keine Erfahrung in diesem Bereich vorliegt, sollte daher ausreichend Zeit eingeplant werden. Die Datenauswertung benötigt oft mehr Zeit als die Datenerhebung. Zeitpläne können sich natürlich auch nach dem Beginn einer Studie ändern, da Umstände auftreten können, die in der Anfangsplanung nicht bedacht wurden. Umso wichtiger bleibt es, den Überblick zu behalten, wie sich Verzögerungen in den Versuchsvorbereitungen oder der Datenaufnahme auf den Gesamtzeitplan auswirken. Eine zeitlich nicht sorgfältig geplante Studie ist immer in Gefahr, nicht adäquat abgeschlossen zu werden.
2.5 Stichproben
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Abb. 2.3. Zeitrahmen einer Studie. Wie viel Zeit für welchen Schritt benötigt wird, muss für jede Studie speziell abgeschätzt werden. Wichtig ist bei jeder Zeitplanung, dass ausreichend Zeitpuffer eingeplant werden, so dass Verzögerungen nicht zu einem Scheitern der Studie führen
2.5 Stichproben Die Stichprobengröße ist ein zentraler Faktor einer jeden Datenaufnahme. Wie groß muss eine Stichprobe sein, um an einer begrenzten Anzahl an Individuen Aussagen über eine Gruppe, Population, Art, ein bestimmtes Taxon oder noch globaler, zu treffen? Wie groß muss meine Stichprobe sein, wenn ich nur mögliche Leistungen einer Tierart aufzeigen will, zum Beispiel in Bezug auf das Gedächtnis? Die zu verallgemeinernde Aussagekraft einer Studie nimmt mit zunehmender Stichprobe in der Regel zu. Allerdings müssen aber auch praktische und ethische Erwägungen bei der Bestimmung einer Stichprobengröße berücksichtigt werden. Die Qualität einer Studie ist keinesfalls gleichzusetzen mit der Quantität der Stichprobe. In diesem Sinne sollte man nicht in einen ‚Sammelwahn verfallen, sondern sorgfältig abschätzen, welche Stichprobe möglich und
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2 Allgemeine Grundlagen
sinnvoll ist. Solch eine Abschätzung ist vor allem auch bei genehmigungspflichtigen Tierversuchen bedeutend, für die die Stichprobe speziell begründet werden muss und eventuell aus rechtlichen und ethischen Gründen begrenzt ist (Still 1982; Ruxton 1998). Bei Studien an Wirbeltieren ist die Stichprobengröße in der Regel stärker beschränkt als bei Untersuchungen an Wirbellosen, die in größerer Anzahl auf kleinem Raum gehalten werden können und auch im Freiland oft in großen Zahlen vorkommen. Bei Studien, bei denen die Daten mit einfachen statistischen Tests ausgewertet werden sollen, können kleine Stichproben ausreichen, wenn die Effekte sehr stark sind, das heißt z. B., alle Tiere in einer Versuchsbedingung sich systematisch anders verhalten als in einer anderen Versuchsbedingung. Bei der Auswahl der Stichprobe ist zu berücksichtigen, dass eine biologische Hypothese letztendlich mit einer statistischen Modellierung oder Hypothese überprüft wird. Unter einer Stichprobe versteht man die Stichprobe, die in die statistischen Tests bei der Datenauswertung eingeht, also zum Beispiel die Anzahl an Individuen, die man untersucht hat. Ab einem gewissen Maß kann eine Erhöhung der Stichprobe keinen zusätzlichen nennenswerten Erkenntnisgewinn mehr erbringen (Abb. 2.4). Eine Erhöhung der Stichprobe darf nicht dazu führen, den erhöhten Mehraufwand dadurch zu kompensieren, dass die Datenaufnahme an den einzelnen Tieren weniger sorgfältig durchgeführt wird. Man sollte also weitgehend versuchen, bereits im Vorfeld abzuschätzen, wie viele Tiere mindestens untersucht werden müssen, damit ein statistischer Test überhaupt in der Lage ist, signifikante Unterschiede aufzuzeigen. Je kleiner die zu erwartenden Effekte sind, desto größer sollte die Stichprobe sein. Statistische Poweranalysen erlauben auch abzuschätzen, ob für eine spezielle Fragestellung überhaupt eine hinreichend große Stichprobe
Abb. 2.4. Zusammenhang zwischen Stichprobengröße und Aussagekraft (externer Validität) einer Studie. Wie ausgeprägt und relevant dieser Zusammenhang ist, hängt von der Fragestellung sowie von anderen Faktoren ab
2.5 Stichproben
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mit vertretbarem Aufwand zu erreichen ist (Köhler et al. 2002). In der Regel gibt es eine starke individuelle Streuung, d. h. verschiedene Individuen verhalten sich in der gleichen Situation unterschiedlich (Abb. 2.5; s. auch Kap. 2.6), so dass die statistische Mindeststichprobe (s. Kap. 6.1) nicht ausreichen wird. Häufig ist es auch erforderlich und wünschenswert, die erhobenen Daten mit multivariaten Statistiken zu analysieren. Als Faustregel gilt hier: je mehr Faktoren in der Analyse zu berücksichtigen sind, desto größer sollte die Stichprobe sein. Wie groß eine Stichprobe für eine bestimmte Studie konkret sein soll, lässt sich an dieser Stelle aber dennoch nicht festlegen. Am Besten eignen sich hierfür Pilotstudien, anhand derer die zu erwartenden Effekte abgeschätzt werden können; auch kann man sich an möglicherweise bereits vorhandenen ähnlichen Studien orientieren, die mit einer bestimmten Stichprobe bereits ähnliche Effekte aufgezeigt haben. Um zu entscheiden, welche statistischen Tests zur Auswertung eingesetzt werden sollen, sollte man sich auch in den entsprechenden Statistikbüchern informieren (Kap. 6.1).
Abb. 2.5 a–c. Stichprobengröße. Die beiden Kreise symbolisieren jeweils den Raum der Variation in Bezug auf das Verhalten in zwei verschiedenen Kontexten. a und b In jedem Kontext (jedem Kreis) wird nur ein Exemplar (Individuum, symbolisiert durch die Dreiecke) untersucht. In a unterscheiden sich die beiden Individuen und repräsentieren jeweils die Unterschiede in den beiden Verteilungen. In b stammen die beiden Stichproben aus dem Überlappungsbereich der beiden Verteilungen, so dass die Unterschiede zwischen den beiden Individuen nicht die Unterschiede zwischen den beiden Kontexten widerspiegeln. Um zu entscheiden, ob sich Individuen in zwei Kontexten insgesamt signifikant unterscheiden, muss die ausgewählte Stichprobe groß genug sein, um die Variation innerhalb des Kontextes repräsentieren zu können. c Es sollten daher größere Stichproben genommen werden, um die Variation innerhalb des Kontextes berücksichtigen zu können. Im letzten Fall sollte darauf geachtet werden, dass Pseudoreplikation vermieden wird (Kap. 2.7.2)
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2 Allgemeine Grundlagen
Es ist nicht akzeptabel, während der Datenaufnahme bereits zu beginnen, die Daten auszuwerten und eine Studie genau dann abzubrechen, wenn die Daten gerade signifikant geworden sind. Wird die Stichprobe auf dieser Basis während einer laufenden Studie bestimmt, läuft man Gefahr, in der Datenaufnahme beeinflusst zu werden, z. B. wenn man weiß, dass nur noch ein bestimmter Datenpunkt fehlt, damit ein statistischer Test signifikant wird. Dadurch kann man bewusst oder auch unbewusst bei der Registrierung der Daten verleitet sein, diese im Sinne der Hypothese zu registrieren (Kap. 2.10). Auch nimmt man so einen nicht zulässigen direkten Einfluss auf die Signifikanz der Ergebnisse. Dies entspricht nicht den allgemein gültigen Standards guter wissenschaftlicher Praxis. Daher sollte im Vorfeld einer Versuchsplanung gut überlegt und abgewogen werden, welche Stichprobe notwendig ist, um eine Hypothese bestätigen zu können. Wenn aus einer Datenaufnahme an einer Gruppe von Individuen auf grundlegende Prinzipien geschlossen werden soll, die sich auf die Population, Tierart oder das ganze Taxon übertragen lassen, sollte die Stichprobe entsprechend groß sein, um zu verlässlichen reproduzierbaren Aussagen zu kommen. Wenn es Ziel einer Studie ist, das Potenzial einer Tierart aufzuzeigen, z. B. in Hinblick auf das Lernverhalten, kann auch das Arbeiten mit sogar nur einem Tier aufschlussreich sein. Darunter fallen Leistungen, wie die Fähigkeit, Gegenstände zu kategorisieren und zu abstrahieren sowie auch Lern- und Gedächtnisleistungen, die beispielsweise auch wichtige Anstöße zur Diskussion über den Spracherwerb bei Menschen liefern (Pepperberg 1992; Janik 1999; Kaminski et al. 2004).
2.6 Individuelle Unterschiede Individuen einer Art unterscheiden sich oft erheblich in einer Vielzahl verhaltensrelevanter Eigenschaften. So kann es verschiedene Möglichkeiten geben (oft auch als Strategien bezeichnet), das gleiche Problem zu lösen, ohne dass die eine Strategie grundsätzlich besser sein muss, als die andere. Besonders bei höher entwickelten Wirbeltieren, bei denen Erfahrung und Lernen einen entscheidenden Anteil am Verhalten haben, sind solche individuellen Unterschiede oft stark ausgeprägt. Individuelle Unterschiede können sowohl genetische (Kap. 7.11) als auch entwicklungsbedingte (Naguib et al. 2004; Naguib et al. 2006) Ursachen haben, als auch in den aktuell auf ein Tier wirkenden Faktoren begründet liegen. In Verhaltensstudien, in denen die Bedeutung eines Stimulus untersucht werden sollen, könnten solche Verhaltensunterschiede störend sein, wenn die Streuung im Verhalten zwischen den Tieren, die mit einem Stimulus konfrontiert werden, größer ist, als die Streuung zwischen zwei Gruppen von Tieren, die verschiedene Stimuli
2.6 Individuelle Unterschiede
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präsentiert bekommen. Einige Individuen könnten auf einen Stimulus stark reagieren, in dem sie sich schnell sehr nahe annähern, dabei aber sonst keine weiteren auffälligen Verhaltensweisen zeigen. Andere Individuen nähern sich demgegenüber vielleicht weniger nahe an, senden dafür aber aus der Entfernung starke Signale (Vokalisationen, hohe Aktivität). Beide sehr unterschiedlichen Antwortstrategien könnten für einen Empfänger eine ähnliche Erregtheit signalisieren und die gleiche Reaktion in ihm auslösen. Gibt es mehrere solcher verschiedener Strategien, auf einen Stimulus intensiv zu reagieren, kann es vorkommen, dass man in keiner gemessenen Verhaltensweise signifikante Effekte auf einen bestimmten Stimulus erhält, obwohl alle Individuen jeweils starke Reaktionen zeigen (Martin u. Kraemer 1987). Das heißt, oft wird individuelle Variation im Verhalten als für eine Studie störend empfunden, und vieles wird daran gesetzt, solche Unterschiede zu minimieren. Wird auf Basis von Vorbeobachtungen erwartet, dass die Variation zwischen den Tieren sehr groß ist, ist eine größere Stichprobe um so notwendiger, um die biologische Frage statistisch überprüfen zu können. Auch eine klare Standardisierung der Versuchs- bzw. Rahmenbedingungen führt dazu, den Einfluss von zusätzlichen Variablen, die unterschiedlich auf Tiere wirken können, gering zu halten und somit die Wahrscheinlichkeit des Auftretens individueller Unterschiede im Verhalten zu reduzieren. Da Tiere sich oft in Abhängigkeit von ihrem Geschlecht, Alter, sozialer Stellung, Vorerfahrung und auch dem Ernährungszustand unterschiedlich verhalten, ist es sinnvoll solche Faktoren bei der Auswahl von Tieren für Beobachtungen und Versuche möglichst zu berücksichtigen. Selbst die Bedingungen, unter denen die Eltern aufgewachsen sind, können sich generationsübergreifend auf das Verhalten der Nachkommen auswirken (Fox u. Mousseau 1998; Naguib et al. 2006) und damit eine sehr versteckte Ursache individueller Variation darstellen. Auch kurzfristige Änderungen in der Haltung können dazu führen, dass Tiere in ihrem Explorations- und Lernverhalten beeinflusst werden (Krause et al. 2006), so dass solche Faktoren, die unter Einfluss des Forschenden stehen, bei der Auswahl und Haltung der Tiere konstant gehalten werden sollten. Ähnliche Überlegungen gelten auch für die Auswahl von zu beobachtenden Tieren im Freiland, wo die Anzahl der kontrollierbaren Faktoren naturgemäß geringer ist. Dennoch sollten auch hier mögliche Faktoren, die individuelles Verhalten beeinflussen können, bei der Auswahl der Tiere und bei der Datenaufnahme Berücksichtigung finden. Häufig wird man versucht sein, individuelle Variation zu minimieren: allerdings kann die individuelle Variation im Verhalten selbst sehr aufschlussreich sein.
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2 Allgemeine Grundlagen
Individuelle Variation ist ein Teil des Verhaltensrepertoires einer Tierart und kann tiefe Einblicke in das Verhaltensspektrum und die Reaktionsnormen liefern. Daher darf man beim Versuch, individuelle Variation zu minimieren, nicht so weit gehen, dass die Bedingungen, unter denen die Tiere untersucht werden, so abstrakt und unnatürlich werden, dass ein ‚normalesǥ Verhalten kaum noch möglich ist. In einem solchen Fall wird es problematisch, die Erkenntnisse aus der Datenaufnahme auf natürliche Situationen zu übertragen. Zum Beispiel kann die Standardisierung von Haltungsbedingungen auf einen reizarmen Standard oder auf unnatürliche Sozialstrukturen dazu führen, dass diese Tiere individuell wenig im Verhalten variieren. Die Erkenntnisse, die gewonnen werden, lassen sich dann nur begrenzt verallgemeinern. Wie stark diese Problematik ist, hängt von der Tierart und der Fragestellung ab. Letztendlich kann es auch gerade das Interesse sein, individuelle Unterschiede daraufhin zu überprüfen, ob sie eine spezielle individuelle Eigenschaft („Persönlichkeit“; Kap. 7.11) widerspiegeln oder aufgrund von anderen Faktoren zustande kommen (Brodie III u. Russell 1999; Forstmeier u. Birkhead 2004).
2.7 Replikation und Pseudoreplikation 2.7.1 Replikation Replikationen sind notwendig, wenn die Aussage einer Studie verallgemeinert werden soll. Replikate können je nach Fragestellung z. B. die Anzahl getesteter Tiere sein oder aber die Anzahl getesteter Gruppen oder Populationen. Untersucht man nur ein Tier, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sein Verhalten nicht repräsentativ für eine Gruppe, Population oder die Tierart ist. Ebenso muss das Verhalten einer einzelnen Gruppe nicht repräsentativ für eine Population oder Art sein. Für eine repräsentative Studie ist es damit empfehlenswert, mehrere Replikate, d. h. mehrere Exemplare der Kategorie, auf die sich eine Hypothese oder Fragestellung bezieht, zu untersuchen (Kap. 2.5). Soll untersucht werden, welche Bedeutung ein bestimmtes Signal, wie etwa ein Ruf hat, reicht es nicht aus, dies nur an einem Tier zu untersuchen. Auch reicht es nicht aus, ein einziges Tier mehrfach zu testen (Kap. 2.7.2) (Machlis et al. 1985). Selbst wenn die Rufe an mehreren Tieren untersucht werden, und diese aber alle aus der gleichen Population stammen, kann es unter Umständen sein, dass die erhobenen Daten zwar charakteristisch für die Population sind und dementsprechend verallgemeinert werden können, aber nicht zwingend in gleicher Weise für eine andere Population der gleichen Art gültig sind. Man sollte in dem Sinne Ergebnisse einer Studie mit
2.7 Replikation und Pseudoreplikation
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Bedacht verallgemeinern. Praktische oder logistische Beschränkungen in der Anzahl und Auswahl der Replikate sind zwar nachvollziehbar, stellen aber keine wissenschaftliche Begründung dar, die Schlussfolgerungen rechtfertigen, die nur bei Vorhandensein mehrerer Replikate getroffen werden können. Was ein geeignetes Replikat ist, hängt von der Fragestellung, der Untersuchungsebene sowie von dem Ausmaß ab, mit dem die Befunde verallgemeinert werden sollen, ab. 2.7.2 Pseudoreplikation Das Thema Pseudoreplikation ist in den letzten Jahren sehr kontrovers diskutiert worden. Dies liegt daran, dass bis Ende der achtziger Jahre dieses Thema in der Verhaltensbiologie nur wenig berücksichtigt wurde. Die Mitte der achtziger Jahre vor allem in der Ökologie (Hurlbert 1984) und dann einige Jahre später auch in der Verhaltensbiologie im Rahmen von Playbackexperimenten aufgekommene Diskussion über Pseudoreplikation hat dann dazu geführt, dass bestimmte, bis dahin übliche Vorgehensweisen, kontrovers diskutiert und nicht mehr uneingeschränkt akzeptiert wurden (Kroodsma 1986; Catchpole 1989; Kroodsma 1989; Kroodsma 1989; Kroodsma 1989; Searcy 1989; Kroodsma 1990; Kroodsma et al. 2001). Während es lange schien, dass Pseudoreplikation der zentrale Faktor einer Versuchsplanung ist, den es zu vermeiden gilt, wird diese Problematik derzeit wieder differenzierter diskutiert (Wiley 2003) . Aber was versteht man überhaupt genau unter Pseudoreplikation? Das Problem dreht sich darum, was man unter einem akzeptablen Replikat versteht. Reicht es aus, die Anzahl der untersuchten Individuen als Replikate zu werten? Sind in einem Versuch, in dem die Reaktion von 15 Tieren einzeln auf einen Stimulus untersucht wird, grundsätzlich 15 Replikate oder reicht es doch nicht aus, die Anzahl der untersuchten Tiere als Replikate zu betrachten? Was ein Replikat ist, hängt dabei von der Fragestellung ab. Ist es das Ziel, zu erfassen, wie variabel die Reaktion verschiedener Tiere auf einen ganz bestimmten Stimulus ist, spielen andere Kriterien eine Rolle, als wenn es das Ziel ist, zu untersuchen, welche Bedeutung eine Stimuluskategorie für eine Tierart hat. Im ersten Fall würden alle Tiere mit dem exakt selben Stimulus konfrontiert werden. Im letzteren Fall hingegen wirft genau diese Methode Probleme in Bezug auf die Pseudoreplikation auf. Wenn die Replikate nicht unabhängig voneinander sind, spricht man von Pseudoreplikation.
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2 Allgemeine Grundlagen
In der Praxis spricht man von Pseudoreplikation, wenn Kategorien untersucht werden, die in sich variieren, aber nur jeweils ein Exemplar aus der jeweiligen Kategorie ausgewählt wird und dieses Exemplar dann wiederholt an mehreren Tieren untersucht wird (Abb. 2.6). Selbst wenn durch solch ein Verfahren 20 Tiere untersucht werden, aber alle mit demselben Exemplar konfrontiert werden, bleibt die Stichprobe letztendlich auf Exemplarebene bei N = 1. Eine sehr aufwendige und möglicherweise gut durchdachte Studie kann, wenn Pseudoreplikation vorliegt, meist nicht oder nur mit großen Einschränkungen publiziert werden, da ihr wissenschaftlicher Wert verringert ist. Das klassische Beispiel, an dem Pseudoreplikation diskutiert wurde, kommt aus dem Bereich der akustischen Kommunikation (Kroodsma 1986; Kroodsma 1989), die möglicherweise auch besonders dazu verleitet, pseudoreplizierte Daten zu produzieren. Das Beispiel bezieht sich darauf, a: Pseudoreplikation Stimulus A
Versuchstier 1 2 3 4 …
c: gestufte Replikation Stimulus Versuchstier 1 2 A 3 4 … B
b: volle Replikation Stimulus A B C D …
Versuchstier 1 2 3 4 …
C
1 2 3 4 … 1 2 3 4 …
Abb. 2.6 a–c. Verschiedene Arten der Replikation. a Bei der Pseudoreplikation wird ein Stimulus mehrfach eingesetzt, so dass trotz steigender Anzahl von Versuchstieren die Stichprobe der Stimuli klein bleibt. b Bei der vollen Replikation erhält jedes Versuchstier einen anderen Stimulus einer Stimuluskategorie. Replikate der Stimuli und Versuchtiere werden eingesetzt. c Bei einer ‚gestuften Replikationǥ werden mehrere Stimuli als Replikate eingesetzt, jedoch wird jeder Stimulus mehrfach verwendet. Der wiederholte Einsatz des gleichen Stimulus wird dabei in der Auswertung statistisch berücksichtigt
2.7 Replikation und Pseudoreplikation
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welche Funktion ein komplexes Gesangsrepertoire (viele verschiedene Gesangsmuster) von männlichen Singvögeln hat. Klassischerweise würde man über Playbackversuche (Klangattrappen, Kap. 7.5) die Reaktion der Weibchen oder auch von Rivalen auf das Vorspiel von komplexen und einfacheren Gesangsrepertoires untersuchen. Das komplexe Gesangsrepertoire könnte aus 10 verschiedenen Gesangsstrophen bestehen, während das einfachere Gesangsrepertoire aus nur zwei verschiedenen Gesangsstrophen bestehen könnte. Nun ist zu beachten, dass innerhalb jeder Kategorie (Repertoiregröße) verschiedene Exemplare (Repertoires gleicher Größe) eingesetzt werden müssen. Das heißt, wenn 10 Versuchstiere mit dem kleinen Repertoire konfrontiert werden, sollte jedes einzelne Tier Gesangsstrophen hören, die von einem jeweils anderen Männchen aufgenommen worden sind und die keines der anderen Versuchtiere hört. In gleicher Weise sollten die 10 Versuchstiere, die mit dem großen Repertoire konfrontiert werden, jeweils mit einem anderen Repertoire (der gleichen Größe) konfrontiert werden. Bei einem Versuch mit 20 Versuchstieren sollten dann auch Gesangsstrophen von 20 verschiedenen Tieren eingesetzt werden. Wenn 10 Versuchstiere mit dem selben kleinen Repertoire und 10 Versuchstiere mit dem selben großen Repertoire untersucht würden, würde man die Unterschiede zwischen diesen beiden speziellen Stimuli untersuchen und nicht direkt, ob verschiedene Repertoiregrößen als verschiedene Kategorien von unterschiedlicher Bedeutung sind. Dieses Problem ist biologisch nicht trivial. Wenn nur ein Exemplar pro Kategorie ausgewählt wird, ist nicht auszuschließen, dass in der einen Kategorie zufällig ein besonders unattraktives Exemplar (also hier ein besonders unattraktives kleines Repertoire) ausgewählt und in der anderen Kategorie ein besonders attraktives Exemplar ausgewählt wurde (hier ein besonders attraktives großes Repertoire, das evtl. bestimmte, besonders attraktive Muster enthält, die unabhängig von der Repertoiregröße sind). Mögliche Unterschiede in der Reaktion auf die beiden Stimuli resultieren dann evtl. gar nicht aus Unterschieden in der Repertoiregröße, (der Kategorie), sondern in kategorieunabhängigen Unterschieden. (Abb. 2.6). Da es in der Regel schwer ist, quantitativ zu belegen, dass ein einzeln ausgewählter Stimulus tatsächlich repräsentativ für eine Kategorie ist, sollten mehrere Exemplare ausgewählt werden, die die vorhandene Variation innerhalb der Kategorie besser und überzeugender repräsentieren können, als ein einzelner Stimulus. Das Problem der Pseudoreplikation wird neben den genannten biologischen Aspekten zusätzlich auch zu einem statistischen Problem, wenn in
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2 Allgemeine Grundlagen
einer statistischen Auswertung unabhängige Daten vorausgesetzt werden. Wenn dann nicht die Anzahl der Versuchstiere die Einheit darstellt, sondern die Anzahl der Versuchsstimuli, wird die Stichprobe für die statistische Auswertung erheblich reduziert. Man möchte in einem Versuch vielleicht auch darüber Information gewinnen, ob bestimmte Exemplare einer Kategorie anders bewertet werden, als andere Exemplare. Setzt man für jedes Versuchstier ein anderes Exemplar ein, wie es oben vorschlagen ist, dann lässt sich nicht unterscheiden, ob individuelle Reaktionsunterschiede Unterschiede zwischen den Versuchstieren widerspiegeln (inter-individuelle Streuung) oder aber, ob solche Unterschiede auf den verschiedenen Exemplaren beruhen. Grundsätzlich ließe sich das Problem vermeiden, in dem man die Fragen der individuellen Bewertung von Exemplaren innerhalb einer Kategorie von Fragen nach Unterschieden zwischen zwei Kategorien auf separate Versuche auftrennt. Eine andere Möglichkeit ist, ein Exemplar doch mehrfach zu verwenden und diese Information aber als Faktor mit in der statistischen Auswertung zu berücksichtigen (Abb. 2.6). Dieser Ansatz macht vor allem dann Sinn, wenn man große Stichproben hat, die es erlauben, viele Exemplare (Versuchsstimuli) zu verwenden, aber trotzdem jedes Exemplar mehrfach zu testen. Ein Beispiel wäre, 50 Tiere mit 10 Reizen zu testen und dabei jeweils 5 Tiere mit demselben Reiz (Wiley 2003) (Kap. 3.4.2). Zusammenfassend sei betont, dass es keine allgemeingültige Patentlösung gibt. Daher ist es besonders konstruktiv, Versuchs- und Beobachtungspläne zu diskutieren, bevor die Datenaufnahme beginnt und dabei die Vor- und Nachteile verschiedener Versuchspläne abzuwägen. Zum Beispiel ist es nicht selten der Fall, dass eine sehr aktuelle und spannende Frage untersucht werden soll, als Stimuli aber nur wenige Exemplare vorliegen. Dies kann daran liegen, dass Stimuli verwendet werden, die selten auftreten oder es aber schwierig ist, sie in ausreichend guter Qualität zu gewinnen. Hier muss dann abgeschätzt werden, welche Aussagen zu treffen sind, wenn nur wenige Exemplare eines Stimulus vorliegen. Das wohl verständliche oft angeführte Argument, „es gab nicht mehr Exemplare, um den Versuch in diesem Zeitrahmen durchzuführen“ hilft nicht darüber hinweg, dass dadurch die externe Validität (Kap. 2.8) einer Studie limitiert ist.
2.8 Interne und externe Validität Grundsätzlich lassen sich wissenschaftliche Studien in ihrer sogenannten internen und externen Validität unterscheiden. Als interne Validität versteht man dabei die Aussagekraft einer Studie in Bezug auf die konkret untersuchte Situation. Als externe Validität bezeichnet man den Grad, zu dem die
2.9 Genauigkeit und Zuverlässigkeit
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Befunde aus einem Versuch über das untersuchte Beispiel hinaus verallgemeinert werden können. Ein sehr sorgfältig durchgeführter Versuch kann eine hohe interne Validität haben, die allerdings nicht zwingend etwas über die externe Validität aussagen muss. Vorraussetzung einer hohen internen Validität ist eine systematische Datenaufnahme. Als Beispiel sei die Beobachtung einer Tiergruppe im Zoo genannt. Eine gut strukturierte Datenaufnahme kann hier mit einer sehr hohen internen Validität erfolgen. Solche Ergebnisse können wertvoll sein, um das Verhalten der untersuchten Gruppe zu verstehen. Möchte man aber schlussfolgern, wie sich Haltungsbedingungen grundsätzlich auf das Verhalten dieser Tierart auswirken, ist die externe Validität stark begrenzt, da nur eine Gruppe unter einer speziellen Haltungsbedingung untersucht wurde. Um die externe Validität eines solchen Datensatzes zu erhöhen, müssten z. B. weitere Beobachtungen von Gruppen der gleichen Art im gleichen Zoo oder in anderen Zoos erfolgen. Kommt man hier zu den gleichen Befunden, lassen sich die Erkenntnisse auch mit größerer externer Validität interpretieren. Sicherlich kann ein Versuch mit geringer interner Validität, (fehlende Kontrolle, Versuchsleitereffekte, unklare Definitionen, ungenaue Datenaufnahme) keine große externe Validität haben. Interne Validität ist die Vorraussetzung einer hohen externen Validität. Da in der Regel die Ergebnisse aus einer Studie bis zu einem gewissen Grade verallgemeinert werden sollen, ist darauf zu achten, dass die Datenaufnahme so geplant wird, dass dann auch eine externe Validität im gewünschten Maße gegeben ist. Wie stark Befunde verallgemeinert werden können, sollte in jedem Fall beim Diskutieren der Befunde kritisch betrachtet werden. Der externen Validität einer Studie sind grundsätzlich Grenzen gesetzt, die es angemessen abzuschätzen gilt.
2.9 Genauigkeit und Zuverlässigkeit Hat man bestimmt, welche Verhaltensweisen von Interesse sind, ergibt sich das Problem, dass man Genauigkeit und Zuverlässigkeit eines Protokolls nicht ohne weiteres als gegeben annehmen darf. Als Genauigkeit bezeichnet man die Detailauflösung eines Protokolls. Es geht hierbei darum, wie differenziert meine beobachteten Verhaltensweisen kategorisiert werden oder wie genau ich metrische oder andere numerische Daten erhebe (z. B. bis zu wievielen Dezimalstellen ich etwas messe). Eine besonders genaue Beobachtung, muss daher nicht zuverlässig sein, in dem Sinne, dass ein zweiter
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2 Allgemeine Grundlagen
Beobachter zu exakt demselben Ergebnis kommt. Es hat wenig Sinn, Verhaltensweisen so differenziert zu definieren, dass sie nur noch durch die Person, die sie definiert hat, protokolliert werden können. Damit fehlt die Überprüfbarkeit eines solchen Verhaltensprotokolls. Dieses Problem der unzuverlässigen Definition von Verhaltensweisen oder Verhaltenskategorien wird auch deutlich, wenn eine Person dieselbe Sequenz von einer Videoaufnahme wiederholt protokolliert und von einem Durchlauf zum nächsten zu einem anderen Ergebnis kommt. Insofern muss man seine Verhaltenskategorisierung und Messgenauigkeit so wählen, dass eine wiederholte Protokollierung desselben Verhaltensablaufes auch dasselbe Ergebnis erbringt. Das sollte auch möglich sein, wenn zwei verschiedene Beobachter dieselbe Sequenz parallel protokollieren. Stimmen die beiden Protokolle weitgehend überein, spricht man von hoher Zuverlässigkeit der Beobachtungsmethodik (Caro et al. 1979; Jones et al. 2001).
2.10 Einfluss des Beobachters Die Anwesenheit eines Beobachters kann sich auf das Verhalten der Versuchstiere auswirken. Solche Einflüsse können allgemein störend sein, wenn die Tiere ein Verhalten nur dann zeigen, wenn sie ‚ungestörtǥ sind. Deshalb ist es für eine Datenaufnahme wichtig, sich dieser Problematik bewusst zu sein. Eine Datenaufnahme sollte so geplant werden, dass Einflüsse des Beobachters auf das Verhalten der Tiere minimiert werden. Da dies nicht in allen Fällen möglich ist, muss umso mehr Sorgfalt darauf verwendet werden, mögliche Probleme zu identifizieren und bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen, bzw. Kontrollbedingungen zu schaffen, in denen der Einfluss eines Beobachters erfasst werden kann. Untersucht man z. B. das Verhalten eines Tieres auf einem so genannten ‚open fieldǥ (einer definierten freien Fläche), wie es in vielen Standardversuchen eingesetzt wird, muss sicher gestellt werden, dass der Beobachter nicht unmittelbar an der einen Seite des Feldes steht. Die Versuchstiere könnten so in ihrer Ortswahl stärker durch die Position des Beobachters beeinflusst werden, als durch die eigentlich zu untersuchenden Merkmale der Fläche. Ausschließen lassen sich Einflüsse eines Beobachters auf das Verhalten der zu beobachtenden Tiere, wenn das Verhalten über Video- oder Audiogeräte aufgezeichnet wird, ohne dass sich der Beobachter in der Nähe der Tiere aufhält. Auch der Einsatz von Einwegscheiben kann sinnvoll sein, wobei hier bedacht werden muss, dass sie von einer Seite wie Spiegel wirken und entsprechend die Spiegelstellung und die Lichtverhältnisse so gewählt werden müssen, dass sich die zu beobachtenden Tiere nicht in der Scheibe selber sehen.
2.10 Einfluss des Beobachters
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Solche technischen Hilfsmittel lassen sich allerdings nicht in allen Situationen einsetzen. Grundsätzlich sollte sich ein Beobachter so positionieren, dass er von den Tieren möglichst wenig bemerkt wird. Im Freiland können Beobachterverstecke errichtet werden, wenn es notwendig ist, Tiere an einem bestimmten Ort (z. B. einer Futterstelle) zu beobachten (Abb. 2.2). Ferngläser sind in einigen Situationen gut geeignet, Verhalten in Details auch aus der Entfernung so zu beobachten. Während es vergleichsweise leicht erscheint, sich leise und versteckt zu positionieren, ist besonders bei Säugetieren zu bedenken, dass Gerüche, die wir selber nicht wahrnehmen, erkannt werden können. Dadurch kann man als Beobachter auch unbemerkt Einfluss auf das Verhalten von Tieren ausüben. 2.10.1 Voreingenommenheit des Beobachters Unter der Voreingenommenheit eines Beobachters (observer bias oder Versuchsleiter-Effekt) versteht man eine Einflussnahme des Beobachters auf die Daten, so dass sie im Sinne der zu testenden Hypothese registriert werden. Gezieltes falsches Aufnehmen oder nachträgliches Manipulieren von Daten verbietet sich im Hinblick auf den Kodex guten wissenschaftlichen Arbeitens von selbst. Nichtsdestotrotz ist eine Einflussnahme deswegen ein potentielles Problem in der verhaltensbiologischen Forschung, da sie unbewusst stattfinden kann. Grundsätzlich kann es zwei verschiedene Ebenen der unbewussten, gerichteten Einflussnahme eines Beobachters geben. Man kann beispielsweise eher geneigt sein, ein Verhalten, das sich nicht eindeutig der einen oder anderen Kategorie zuordnen lässt, eher derjenigen Kategorie zuzuordnen, die man erwartet, als derjenigen Kategorie, die man nicht erwartet. Dadurch könnten Daten Unterschiede widerspiegeln, die nicht das Verhalten der Tiere reflektieren, sondern die Erwartungshaltung des Beobachters. Besonders wenn Verhaltensmerkmale im Vorfeld nicht so definiert werden, dass sie bei der Datenaufnahme eindeutig sind, kann die Erwartungshaltung des Beobachters Einfluss auf die Kategorisierung des momentan beobachteten Verhaltens haben. Sollen z. B. Dominanzbeziehungen zwischen Tieren bestimmt werden, kann eine Erwartungshaltung entstehen, wenn man während der Datenaufnahme einen Eindruck über die Dominanzbeziehungen gewinnt. Wird dann z. B. in einer Studie an Dominanzbeziehungen bei Sperlingen das Picken auf den Körper allgemein als Dominanzmerkmal definiert, kann man geneigt sein, ein vielleicht etwas zurückhaltendes Picken am Schwanz eines Artgenossen durch ein vermutlich nicht dominantes Tier nicht, durch ein dominantes Tier aber doch zu werten. Grundsätzlich kommt es zu solchen Problemen immer dann, wenn ein Verhalten im Bereich einer ‚Kategoriegrenzeǥ auftritt: sei dies eine
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2 Allgemeine Grundlagen
Bewegung, ein Raumaufenthalt in Bezug auf definierte Raumgrenzen oder eine komplexe Aktion eines Tieres. Grenzen zwischen zwei Verhaltenskategorien sollten so klar definiert werden, dass der Entscheidungsrahmen durch den Beobachter bei der Datenprotokollierung möglichst gering ist. Ein anders gelagertes Problem soll folgendes Beispiel verdeutlichen: Man kann sich eine Datenerhebung vorstellen, bei der biometrische Merkmale von Tieren mit einer bestimmten Erwartungshaltung erhoben werden. Es werden in einer Studie biometrische Merkmale von Männchen und Weibchen einer Tierart vermessen, und zwar unter der Erwartung, dass Weibchen kleiner sind als Männchen. Diese Erwartung könnte aus ähnlichen, bereits publizierten Studien abgeleitet worden sein. Selbst wenn man metrische Maßskalen und Waagen verwendet, kann hier ein BeobachterEffekt dadurch entstehen, dass man geneigt sein kann, Extremwerte, die in die ‚falsche Richtungǥ gehen (also große Weibchen und kleine Männchen) noch einmal nachzumessen. An einer Kontrolle von Messwerten, die fehlerbehaftet sein können, z. B. wenn Messschieber an bestimmte Körperteile angelegt werden müssen und hier Ungenauigkeiten entstehen können, ist grundsätzlich erst einmal nichts auszusetzen. Misst man bei der Nachkontrolle jedoch einen (erwarteten) kleineren Wert als vorher, kann man geneigt sein, diesen dann zu notieren und die erste Messung als Fehlmessung zu werten. Misst man allerdings einen noch größeren (also noch weniger erwarteten) Wert, kann man entsprechend geneigt sein, den ersten Wert beizubehalten, da der neue Wert noch unwahrscheinlicher erscheint und entsprechend die zweite Messung als Fehlmessung abzutun. Durch solch eine systematische Änderung der Variation der Daten in die erwartete Richtung können vorhandene Unterschiede vergrößert werden. Da diese Vorgänge unbewusst ablaufen können, ist es wichtig, sich diese Problematik bewusst zu machen und entsprechend Vorkehrungen zu treffen, solche Beobachtereinflüsse zu minimieren. Weiterhin kann es passieren, dass durch unbewusste Bewegungen des Beobachters das Verhalten des Tieres so beeinflusst wird, dass es sein Verhalten der Erwartungshaltung des Beobachters anpasst – ein Phänomen, das auch als „Kluger Hans“ Effekt bezeichnet wird (2.10.2). Um die unbewusste einseitige Beeinflussung des Verhaltens der Tiere oder der unbewussten einseitigen Bewertung von Verhalten vorzubeugen, sind verschiedene Maßnahmen möglich. Beobachtungen durch Einwegscheiben oder Videomonitore schließen aus, dass das Verhalten des Beobachters sich auf die Tiere auswirkt. Eine weitere Methode ist die, den Beobachter naiv zu lassen, d. h.,
2.10 Einfluss des Beobachters
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ihn nicht in Kenntnis zu setzen, was die Fragestellung ist oder um welche Versuchsbedingung es sich bei Datenerhebung handelt. Allerdings muss hier sichergestellt sein, dass die naiven Beobachter auch in der Lage sind, die Daten mit der gleichen Qualität und Systematik zu erheben, wie es der Versuchsleiter könnte. Bei vielen Beobachtungen, bei denen Verhalten direkt bei der Datenaufnahme kategorisiert werden muss, spielt die Erfahrung des Beobachters eine ganz zentrale Rolle, auch wirklich diejenigen Merkmale verlässlich zu erkennen, die relevant sind. Deshalb sollte gut überlegt werden, ob nicht die möglichen Nachteile, naive Beobachter einzusetzen, die möglichen Risiken der unbewussten Einflussnahme auf die Tiere oder die Daten, überwiegen. Das heißt, naive Beobachter sollten nur dann eingesetzt werden, wenn die Datenaufnahme auch ohne differenzierte Erfahrung möglich ist, wie zum Beispiel die Ortsbestimmung in Wahlversuchen oder das Zählen bestimmter Vokalisationen. Wenn die Daten nur von Spezialisten mit Erfahrung erhoben werden können, die aber nicht zeitgleich beobachten können, bietet es sich an, Video- oder Audioaufnahmen zu erstellen. Auf Basis solcher Aufnahmen kann dann der Kontext, unter dem die Daten erhoben wurden, besser standardisiert werden. Kommen verschiedene Beobachter zu dem gleichen Ergebnis, spricht man von hoher Verlässlichkeit zwischen Beobachtern (inter-observer reliability) (Jones et al. 2001). Dabei muss allerdings auch berücksichtigt werden, dass mehrere Beobachter nicht zwingend das Problem des Versuchsleitereffekts eliminieren. Sind mehrere Personen am gleichen Projekt beteiligt, kann sich hier auch ein Gruppeneffekt zeigen, bei dem alle Beobachter sich einig sind, Dinge so zu protokollieren, wie es ihrer Erwartungshaltung entspricht. Zum Beispiel können sich so Standards in Arbeitsgruppen einschleichen, in denen mehrere Personen sehr eng an einem Thema arbeiten. Dies kann dann zu einem Problem führen, wenn die Datenerhebung oder Kategorisierung für außenstehende Personen nicht nachvollziehbar und auch nicht replizierbar ist. Zusammenfassend ist es grundsätzlich wichtig, sich der Problematik des „Versuchsleitereffektes“ bewusst zu sein, und seine Beobachtungen und Versuchsanordnungen so zu wählen, dass Einflüsse des Beobachters möglichst klein gehalten werden. Ein ständiges Hinterfragen der eigenen Methodik kann hier helfen, solche Probleme zu minimieren. 2.10.2 „Der Kluge Hans Effekt“ Das klassische Beispiel dafür, dass ein Beobachter unbeabsichtigt das Verhalten eines Tieres im Sinne der zu testenden Hypothese beeinflussen kann, sind die erstaunlichen Leistungen eines Pferdes namens ‚Hansǥ. Dieses
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2 Allgemeine Grundlagen
Abb. 2.7. Ausschnitt aus der Titelseite der Abendausgabe des Berliner Tageblattes und Handels-Zeitung vom 29.8.1906
Pferd zog zusammen mit seinem Besitzer, Wilhelm von Osten, zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Aufmerksamkeit der Weltpresse auf sich (Abb. 2.7). Der ‚Mexican Heraldǥ vermutete sogar, dass Hans bald auf Welttournee gehen würde. Die Geschichte ist nicht nur äußerst spannend und aus heutiger Sicht unterhaltsam (und tragisch), sondern auch ein sehr gutes Beispiel für den Wert wissenschaftlicher Methoden beim Aufklären spektakulärer Verhaltensphänomene. Solche Beobachtereinflüsse werden daher auch als der Kluge Hans Effekt bezeichnet. Im Folgenden sind die Kernereignisse zusammengefasst, wobei auch weitergehende Bücher zu diesem Aspekt sehr zu empfehlen sind (Pfungst 1983; Ferald 1984). Hans lebte mit seinem Besitzer, Wilhelm von Osten, einem pensionierten Mathematiklehrer in der Griebenow Strasse in Berlin. Das Pferd war augenscheinlich in der Lage, komplizierte Rechenaufgaben zu lösen, d. h.
2.10 Einfluss des Beobachters
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zu addieren, subtrahieren, dividieren, multiplizieren, sowie Wurzel- und Bruchrechnung zu meistern. Darüber hinaus konnte es musikalische Harmonieaufgaben lösen, Tage aus dem Jahreskalender benennen, die Zeit nennen, Farben benennen sowie Wörter buchstabieren. Hans meisterte diese Aufgaben, in dem er mit dem rechten Vorderhuf entsprechende Häufigkeiten auf den Boden stampfte. Bei der richtigen Antwort wurde Hans mit einer Möhre belohnt. Bei Bruchrechungen stampfte Hans zuerst den Wert des Zählers und dann den Wert des Nenners und Wörter sowie andere nicht-numerische Aufgaben löste er mit Hilfe einer Tafel, auf der z. B. Buchstaben bestimmten Zahlen zugeordnet wurden (Abb. 2.8). Hier stampfte er dann jeweils zuerst die Reihennummer und dann die Spaltennummer. Wurde Hans gefragt ‚Wie viele der anwesenden Männer tragen Strohhüte?ǥ antwortete Hans mit der richtigen Anzahl Fußtritte, wobei er die Anzahl Frauen mit Strohhüten richtigerweise nicht mitzählte. Wenn er gefragt wurde, wie viele Ecken ein Kreis hatte, schüttelte er den Kopf und zeigte somit, dass Kreise keine Ecken haben. Als ein Reporter der New York Times, Herr Heyn, das Pferd befragen wollte, buchstabierte Hans Herrn Heyn’s Namen sogar bevor ihm dieser überhaupt genannt wurde. Diese kuriosen und erstaunlichen Leistungen wurden wiederholt bei öffentlichen Aufführungen gezeigt und auf den Titelseiten der Weltpresse diskutiert (Abb. 2.9). Auf Grund heftiger öffentlicher Diskussionen zwischen überzeugten Verfechtern der Leistungen von Hans (vor allem von Menschen, die ihn unmittelbar bei dem Lösen von Aufgaben beobachtet hatten) und heftigen Abstreitern dieser Leistungen wurde eine hochkarätig
Abb. 2.8. Herrn von Osten mit seinem Pferd Hans zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Hof der Griebenow Strasse in Berlin
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2 Allgemeine Grundlagen
Abb. 2.9. Hans während einer öffentlichen Befragung
besetzte Kommission zur Aufklärung des Phänomens gebildet. Herr von Osten und Herr Schilling, ein Zoologe, der die Leistungen von Hans auf der 6. Internationalen Zoologenkonferenz in der Schweiz auf wissenschaftlich seriöser Ebene vorgestellt hatte, waren zu dieser Zeit schweren Vorwürfen des Betruges ausgesetzt. Geleitet wurde diese Kommission von Prof. Stumpf, einem der Begründer der Psychologie an der Berliner FriedrichWilhelms-Universität, der heutigen Humboldt-Universität. Der Kommission gehörten Fachleute und sehr exponierte Persönlichkeiten an, wie der damalige Zoodirektor und einer seiner Assistenten, ein Physiologieprofessor, ein Tierarzt, ein Arzt, der Leiter des Berliner Zirkus, ein ehemaliges Mitglied des Stadtrates, ein Lehrer, ein Graf, sowie ein Mitglied der Wissenschaftsakademie und auch Herr von Osten selbst. Die Kommission stellte Hans diverse Rechenaufgaben, befragte ihn zum Datum und zu Daten aus dem gesamten Jahreskalender. Paul Busch vom Berliner Zirkus untersuchte Hans und Herrn von Osten speziell darauf, ob bestimmte, im Training von Zirkustieren eingesetzte versteckte Signale eingesetzt wurden, und die anderen Kommissionsmitglieder sollten speziell auf verschiedene Aspekte im Verhalten von Herrn von Osten bei der Befragung des Pferdes achten. Bei den Aufgaben spielte es auch keine Rolle, ob Herr von Osten vor oder hinter dem Pferd stand oder ob ein anderes Kommissionsmitglied die Fragen (auch in der Abwesenheit von Herrn von Osten) stellte. Besonders peinlich waren solche Vorkommnisse, bei denen Hans die Antwort besser wusste als einer der Fragenden in der Kommission. Fragte Graf von Castell-Rüdenhausen nach der Summe von 5, 8 und 3 in Erwartung der Antwort sei 10 (da er irrtümlich dachte, die
2.10 Einfluss des Beobachters
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2 statt der 8 wäre aufgeschrieben), antwortete Hans mit 16 Huftritten. Auch fragte einst ein Mann nach dem heutigen Datum, in der Annahme es sei der 7. September woraufhin Hans aber mit dem 8. September antwortete, was tatsächlich das korrekte Datum war. Die Kommission kam letztendlich nach intensiver Arbeit zu dem Schluss, dass kein Betrug nachzuweisen war und betonte speziell, dass Herr von Osten keine unbewussten Zeichen verwendete, in der Art wie sie beim Trainieren von Tieren im Zirkus eingesetzt wurden. Die Kommission irrte tatsächlich nicht, dass Herr von Osten keine absichtlichen Täuschungsmanöver verwendete. Er war überzeugt, dass es ausschließlich Hans’ Fähigkeiten und seine Lehrmethoden waren, die zu diesen ungewöhnlichen Leistungen des Pferdes führten. Er war damit auf dem Weg, das Grundverständnis zu Unterschieden von Mensch und Tier zu der damaligen Zeit erheblich in Frage zu stellen. Aufgrund des Berichtes der Kommission entschied Prof. Stumpf jedoch, dass eine weitere Untersuchung notwendig wurde, die von seinem damaligen Studenten Herrn Pfungst durchgeführt werden sollte. Der Psychologe Oscar Pfungst nahm sich mit systematischen wissenschaftlichen Untersuchungen des Falles an. Es stellte sich nach einer langen Serie von Experimenten, bei denen er systematisch jeweils eine Variable veränderte, heraus, dass bei allen Aufgaben der Fragesteller immer im Blickwinkel des Pferdes stand und das Pferd offensichtlich eine außergewöhnlich gute Beobachtungsgabe hatte. Durch eine Reihe von Versuchen konnte Herr Pfungst zeigen, dass Hans die Aufgaben nur lösen konnte, wenn er den Fragesteller sehen konnte und dieser auch selber die Lösung der Aufgabe kannte. War der Fragesteller, der oft auch Oscar Pfungst selber war, außer Sichtweite, durch einen Vorhang verdeckt oder wurde dem Pferd die Rechenaufgabe verdeckt gezeigt, ohne dass der Fragesteller die Antwort kannte, war Hans nicht in der Lage, die Aufgaben zu lösen. Hans löste die Aufgaben auch umso schlechter, je weiter entfernt der Fragesteller stand und letztendlich stellte sich heraus, dass Hans auch dann begann, mit dem Huf zu stampfen, wenn sich der Experimentator leicht vorbeugte und dann aufhörte zu stampfen, wenn der Experimentator sich zurückbeugte, ohne jemals etwas gefragt zu haben. Oscar Pfungst konnte letztendlich zeigen, dass Wilhem von Osten (und auch andere Fragesteller) unwillkürlich den Kopf nach vorne beugten, wenn Hans beginnen sollte und unwillkürlich den Kopf leicht nach hinten beugten, wenn Hans die richtige Zahl erreicht hatte. War die Aufgabe „wie viel ist 2 und 5“, fing das Pferd an, mit dem Vorderhuf auf den Boden zu stampfen. Beim siebten Mal beugte Herr von Osten sich, vermutlich aus Erleichterung oder Stolz, den Kopf leicht zurück, woraufhin Hans aufhörte, mit dem Huf zu stampfen. Hans’ Rechenkunst konnte letztendlich durch die wissenschaftliche Leistung von Herrn Pfungst entzaubert werden,
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2 Allgemeine Grundlagen
wobei die erstaunliche Beobachtungsgabe und deren Umsetzung durch das Pferd trotz alledem eine bemerkenswerte Leistung ist. Die Motivation von Hans, diese Aufgaben zu meistern, war dabei sicherlich zu einem entscheidenden Teil darin begründet, dass er bei jeder richtigen Antwort belohnt wurde, wie es auch heute beim Training von Tieren üblich ist. Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber auch, dass diese unwillkürlichen Bewegungen nicht nur von Herrn Osten, sondern auch von Herrn Pfungst selbst und von anderen Fragestellern getätigt wurden. Wie grundlegend solche Effekte sein können, wenn ein bestimmtes Ergebnis erwartet wird, zeigte sich dann in einem Versuch, bei dem Herr Pfungst im Jahre 1904 25 Personen (unterschiedlichen Geschlechts, Berufs, und Alters) einzeln die Aufgabe stellte, sich eine Zahl zwischen 1 und 10 und z. T. sogar bis 100 auszudenken, die er, Herr Pfungst dann durch Klopfen auf den Tisch erraten wollte. Der Zweck der Versuche war allen Personen bekannt und dass sie beobachtet wurden, war auch offensichtlich. Der Versuch entsprach damit einer ähnlichen Situation, wie bei den Befragungen von Hans. In 23 von 25 Fällen gelang es ihm tatsächlich, anhand der unwillkürlichen Körpersignale der Personen die richtige Zahl herauszufinden (Tabelle 2.1). Mit diesem Versuch zeigte er besonders eindrücklich, dass unwillkürliche Bewegungen allgegenwärtig sein können und nicht nur speziell auf besondere Charaktere, wie es Herr von Osten zweifelsfrei war, beschränkt sind. Tabelle 2.1. Auszug aus den Ergebnissen der Experimente von Herrn Pfungst. Hans wurden Tafeln mit Ziffern vorgelegt, wobei Hans entsprechend der gezeigten Ziffer mit dem Vorderhuf treten sollte. Wusste er selbst als Fragesteller, was auf der Tafel stand, waren Hans’ Antworten zu 98% richtig, wusste er nicht, was auf der Tafel stand, waren Hans’ Antworten nur in 8% der Fälle richtig. Beobachterinformation unwissentlich wissentlich unwissentlich wissentlich unwissentlich wissentlich unwissentlich wissentlich unwissentlich wissentlich usw.
gezeigte Ziffer 8 8 4 4 7 7 10 10 3 3
Anzahl Huftritte 14 8 8 4 9 7 17 10 9 3
2.11 Zusammenfassung
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Pfungst identifizierte hier einen der großen Störfaktoren wissenschaftlichen Arbeitens, den „Versuchsleiter-Effekt“. Anzumerken bleibt zum Schluss, dass Herr von Osten fest davon überzeugt war, dass Hans diese Leistungen tatsächlich vollbringen konnte, und dass er in keiner Weise bewusst versucht hat, die Öffentlichkeit zu täuschen. Er hat selbst bei der Untersuchung durch Herrn Pfungst mitgewirkt und hatte selbst den deutschen Kaiser gebeten, die wissenschaftliche Untersuchung zu unterstützen. Selbst als Pfungst dann seinen Abschlussbericht veröffentlichte, blieb Herr von Osten überzeugt, dass Hans’ Fähigkeiten real waren und warf den Psychologen vor, sie hätten durch ihre Tests dafür gesorgt, dass das Pferd von da an auf die Beobachter achtete und seine tatsächlichen Fähigkeiten dadurch nicht mehr zeigte. Wilhelm von Osten verlor letztendlich mit dem Bericht von Pfungst alles, auf das er stolz war, gab Hans an einen Stall für Unterrichtszwecke weg (in dem dann zwei andere Pferde, Muhamed und Zarif, angeblich zu ähnlichen Leistungen kamen) und starb kurze Zeit später am 29.6.1909 als ‚gebrochener Mann, dessen Lebenswerk zerstört wurdeǥ, wie beschrieben wird.
2.11 Zusammenfassung Es gibt in der verhaltensbiologischen Forschung eine Reihe wichtiger Vorüberlegungen, die getroffen werden müssen, um eine Datenaufnahme möglichst überzeugend und störungsfrei zu gewährleisten. Neben der Auswahl der Tierart, der Entscheidung, ob im Freiland oder Labor gearbeitet werden soll, spielen auch Fragen nach der zu untersuchenden Stichprobe sowie der Anzahl von Replikaten eine wichtige Rolle. Neben den anderen genannten und in den folgenden Kapiteln behandelten Faktoren, wie der Frage, ob experimentell oder deskriptiv gearbeitet wird, ist es wichtig, sich auch vor Beginn einer Studie Gedanken darüber zu machen, welche Daten notwendig sind, um eine bestimmte Fragestellung beantworten zu können. Gerade verhaltensbiologische Studien sind leicht für die Voreingenommenheit von Beobachtern anfällig, vor allem dann, wenn Tiere bei der Datenaufnahme direkt beeinflusst werden können, oder wenn Verhaltensweisen unmittelbar während der Datenaufnahme kategorisiert werden müssen. Ein möglichst differenziertes Aufnahmeprotokoll vor dem Beginn einer Studie zu erstellen und im Rahmen der Arbeitsgruppe kritisch zu diskutieren ist ein wichtiger Schritt, um eine verhaltensbiologische Studie erfolgreich umsetzen zu können.
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2 Allgemeine Grundlagen
Weiterführende Literatur Ferald D (1984) The Hans Legacy: a story of science. Lawrence Erlbaum Associates, Hillsdale, NJ Hurlbert ST (1984) Pseudoreplication and the design of ecological field experiments. Ecological Monographs 54:187–211 Köhler W, Schachtel G, Voleske P (2002) Biostatistik. Springer Berlin Heidelberg New York Tokyo Lehner PN (1996) Handbook of ethological methods, 2nd edn. Cambridge Univ Press, Cambridge, UK Kroodsma DE (1989) Suggested experimental designs for song playbacks. Animal Behaviour 37:600–609 Pfungst O (1983) Der kluge Hans (Nachdruck der Originalausgabe von 1907). Fachbuchhandlung für Psychologie, Frankfurt Wiley RH (2003) Is there an ideal behavioural experiment? Anim Behav 66:585–588
3 Planung der Datenaufnahme
3.1 Deskriptive oder experimentelle Forschung? Einer Studie, in der das unbeeinflusste Verhalten von Tieren beobachtet wird (deskriptive Studie), müssen andere Überlegungen vorausgehen, als bei einer experimentellen Studie. Im letzteren Fall wird ein Tier in einen experimentell vom Versuchsleiter kontrollierten Kontext gebracht oder in einer experimentell kontrollierten Umwelt gehalten. Dies kann in einer Laborsituation oder auch im Freiland geschehen, indem das Versuchstier beispielsweise mit einem bestimmten Stimulus konfrontiert wird, oder bestimmte Hormone verabreicht bekommt um seine Reaktion daraufhin zu untersuchen. Die Schlussfolgerungen, die sich aus deskriptiven und experimentellen Studien ziehen lassen, unterscheiden sich. In einer deskriptiven Studie können Zusammenhänge zwischen Verhalten und einem bestimmten Kontext quantifiziert werden. Schlussfolgerungen in Bezug auf eine Ursache-Wirkungs-Beziehung sind jedoch nur begrenzt möglich. Ein Beispiel über die Bedeutung sowie die Unterschiede von beschreibender als auch experimenteller Forschung soll dies verdeutlichen. Eine Reihe von Studien haben beispielsweise gezeigt, dass ein Zusammenhang zwischen dem Testosterongehalt im Blutplasma eines Tieres und verschiedenen anderen Merkmalen wie seinem Aktionsradius, Paarungsverhalten oder auch seinem Immunsystem besteht (Wingfield et al. 1990; Peters 2000; Foerster et al. 2002; Goymann et al. 2004; Peters et al. 2006). Solche beschreibenden Studien ermöglichen Einblicke in verhaltensphysiologische Zusammenhänge in natürlichen Kontexten, da sie auch einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Testosteronwerten und Verhalten nahe legen. Dennoch lässt sich aus rein beschreibenden Studien nicht auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Merkmalen schließen. Individuen mit verschiedenen Testosteronwerten könnten sich auch in anderen Merkmalen wie ihrem Alter, Verpaarungsstatus, Erfahrung oder auf physiologischer Ebene unterscheiden. Daher lässt sich aus einem gezeigten
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3 Planung der Datenaufnahme
Zusammenhang nicht zweifelsfrei schließen, das Testosteron direkt das beobachtete Verhalten ursächlich beeinflusst. Erst in einer experimentellen Studie, in der durch Testosteronimplantate (oder Testosteronrezeptorblocker) der Testosteronspiegel experimentell verändert wird, lässt sich zeigen, dass Männchen mit solchen Implantaten sich anders verhalten. Sie können größere Aktionsräume haben, dominanter werden oder eine andere Immunreaktion zeigen, als Männchen mit Kontrollimplantaten (Wiley et al. 1993; Chandler et al. 1994; Peters 2000). Allerdings benötigen solche Experimente Kenntnisse über die natürlichen Zusammenhänge, wie sie in beschreibenden Studien aufgezeigt werden können. Experimente, in denen Tiere in Kontexten untersucht werden, die nur wenig mit dem natürlichen Kontext zu tun haben, könnten Zusammenhänge aufzeigen, die so in der Natur gar nicht bestehen. In dem Sinne sind Forschungsprojekte, in denen sowohl beschreibend als auch experimentell gearbeitet wird, besonders wünschenswert. (Kap. 3.4. Planung von Experimenten). Ein interessantes Beispiel dafür, wie sich experimentelle und beschreibende Forschung ergänzen können, ist eine Untersuchung über den Zusammenhang zwischen Testosteronkonzentration im Blut und der Immunreaktion bei Prachtstaffelschwänzen (Malurus cyaneus), einer australischen Singvogelart (Peters 2000). Die Mauser zur Prachtbefiederung, die für die Partnerwahl wichtig ist, ist testosteronabhängig, und Testosteron wirkt sich möglicherweise negativ auf das Immunsystem aus (Folstad und Karter 1992; Hasselquist et al. 1999). Dies führte zu der Hypothese, dass der Zeitpunkt des Gefiederwechsels ein Indikator für die Immunkompetenz eines Tieres ist, und damit einen wichtigen Fitnessindikator darstellen kann. Experimente, bei denen Männchen mit Testosteron- oder leeren Kontrollimplantaten versehen wurden, zeigten, dass Testosteron sich tatsächlich negativ auf die Immunreaktion auswirkt (Peters 2000) (Abb. 3.1a). Sie bestätigen also die Hypothese. Im Gegensatz dazu zeigte sich aber der gegenteilige Zusammenhang bei nicht behandelten Tieren in dem beschreibenden Teil der Studie (Abb. 3.1b). Man kann aus den deskriptiven Daten über den positiven Zusammenhang zwischen Testosteron und Immunsystem also nicht schließen, das Testosteron sich positiv auf das Immunsystem auswirkt (die Experimente zeigen ja das Gegenteil). Die Befunde lassen sich dahingehend interpretieren, dass Männchen mit hohen Testosteronwerten in sehr guter Kondition sind und daher auch ein starkes Immunsystem unterhalten oder es als Kompensation notwendig ist, mehr in das Immunsystem zu investieren, um den experimentell gezeigten, immunsuppressiven Effekten des Testosterons vorzubeugen. Auch wenn es selten vorkommt, dass sich experimentelle Studien und deskriptive Studien so deutlich widersprechen, zeigt dieses Beispiel doch den Wert, beide Ansätze zu verfolgen.
3.1 Deskriptive oder experimentelle Forschung?
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Abb. 3.1a, b. Zusammenhänge zwischen Immunreaktion und Plasmatestosterongehalt bei Prachstaffelschwänzen. a Experimentelle Ergebnisse zeigen, dass Testosteron sich negativ auf die Immunreaktion auswirkt. b deskriptive Daten aus dem Freiland zeigen dagegen, dass Männchen mit mehr Testosteron auch eine bessere Immunreaktion aufweisen. Deskriptive und experimentelle Studien in Kombination können solche komplexen Zusammenhänge am Besten aufklären. (Nach Peters 2000)
Für beide Methoden gibt es gute Gründe, und in der Kombination beider Ansätze liegt eine besondere Stärke wissenschaftlicher Forschung. Aus einem deskriptiv erhobenen Datensatz kann nicht leicht auf UrsacheWirkung-Beziehung zwischen beobachteten Variablen geschlossen werden. Bei einer experimentellen Laborstudie liegen Limitierungen eher darin, abzuschätzen, in welchem Ausmaß die erhobenen Daten auch für den natürlichen Kontext relevant sind (Tabelle 3.1). Diese Aspekte werden in den beiden nächsten Abschnitten detaillierter besprochen. Tabelle 3.1. Kennzeichen von deskriptiver und experimenteller Forschung Deskriptiv Natürlicher Kontext Erfassung natürlicher Zusammenhänge; Kausalbeziehungen nicht oder nur eingeschränkt bestimmbar Meist Freiland
Experimentell Experimentelle Kontrolle Untersuchung von Kausalbeziehungen möglich Labor und Freiland
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3 Planung der Datenaufnahme
3.2 Vorbeobachtungen und Pilotstudien Einer quantitativen Datenaufnahme sollten Vorbeobachtungen oder Pilotstudien vorangehen. Vorbeobachtungen können die Basis darstellen, auf der Fragen entwickelt und Hypothesen aufgestellt werden. Eine gute Kenntnis des natürlichen Verhaltens der Tierart ermöglicht, Fragen spezifischer zu formulieren und Datenaufnahmen besser zu planen. Allerdings sollte man nicht unmittelbar auf der Basis von Vorbeobachtungen und dem Studium der relevanten Originalliteratur mit der Datenaufnahme beginnen. Vorerst sind weitere praktische Schritte empfehlenswert. Nachdem die Fragestellung entwickelt ist, ist es sinnvoll in Pilotstudien zu klären, wie die Studie strukturiert sein sollte, um einen aussagekräftigen Datensatz erheben zu können. Hier sollte die Methodik der Datenaufnahme ausprobiert und entsprechend den Versuchsbedingungen angepasst werden. In Pilotstudien kann auch überprüft werden, ob die geplante Kategorisierung von Verhaltensweisen während einer Beobachtung auch so durchführbar ist, wie man es sich vorgestellt hat. Eine Pilotstudie dient dazu, sich praktisch einzuarbeiten, d. h. den Umgang mit Geräten und Versuchsaufbauten oder Beobachtungsmethoden einzuüben. Dies reduziert erheblich die Wahrscheinlichkeit, dass es während einer Datenaufnahme zu Problemen im Umgang mit Geräten kommt, die dann zu Messungenauigkeit oder sogar zum Abbruch der Datenaufnahme führen. Auch Tiere im Freiland zu beobachten und die Beobachtungen so zu dokumentieren, dass sie quantitativ ausgewertet werden können, erfordert Übung und ist in der Praxis erheblich anspruchsvoller, als man es sich möglicher Weise vorstellt. Oft tendieren weniger erfahrener Versuchsleiter dazu, sich zu viel vorzunehmen oder Daten detaillierter zu registrieren, als es für die Fragestellung notwendig ist. In einer Pilotstudie kann festgestellt werden, ob sich z. B. zehn Verhaltensweisen gleichzeitig erfassen lassen oder ob die Registrierung von fünf Verhaltensweisen bereits die volle Aufmerksamkeit und Konzentration in Anspruch nimmt. Auch kann hier erprobt werden, ob sich Individuen individuell gut erkennen lassen. In einer Pilotstudie kann sich sehr schnell zeigen, ob Intervalle der Datenregistrierung (Kap. 4.5.2 Intervallregistrierung) zu kurz sind, um die Beobachtungen zu notieren, oder ob die Intervalle zu lang sind und dadurch viel Information über den Zeitverlauf von Verhalten verloren geht. Teil einer Pilotstudie ist auch, die erhobenen Daten exemplarisch auszuwerten.
3.3 Deskriptive Datenaufnahme
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In einer Pilotstudie kann sich auch zeigen, ob die Notizen oder auf Diktiergeräte gesprochene Verhaltensdaten dann auch eine quantitative Auswertung ermöglichen. Erst beim Übertragen von Feldnotizen und beim Auswerten von Audio- oder Videoaufnahmen zeigt sich, ob eine Datenauswertung auch so erfolgen kann, wie sie geplant war. Sind Individuen auch gleichermaßen gut auf Videoaufnahmen zu identifizieren, wie es während einer Beobachtung erfolgen konnte? Sind Ansagen auf Diktiergeräten übertragbar in z. B. Exceltabellen? Ansagen wie ‚das Fokustier nähert sich einem anderen Tierǥ reicht z. B. nicht aus, wenn für die Auswertung metrische Daten vorliegen müssen. Erst bei der Auswertung der Daten erkennt man, in wieweit die protokollierten Informationen auch nützlich sind. Bei Audioaufnahmen kann sich später bei der Analyse herausstellen, dass die Lautäußerungen verschiedener Individuen nicht voneinander zu unterscheiden sind, da räumlich getrennt vokalisierende Tiere auf einer Aufnahme gleich laut erscheinen oder weil Ortsangaben nicht präzise genug genannt wurden. Pilotstudien tragen entscheidend zum Gelingen einer Studie bei. Erst im ernsthaften Erproben lässt sich prüfen, ob die geplanten Schritte der Datenerhebung umsetzbar sind und ob die registrierten Daten einer quantitativen Auswertung zugänglich gemacht werden können.
3.3 Deskriptive Datenaufnahme Deskriptive Studien sind in gewisser Weise stärker dafür anfällig, nicht so detailliert geplant zu werden, wie experimentelle Studien, bei denen man sich eine Reihe von Gedanken zur praktischen Umsetzung, wie z. B. den Versuchsaufbau zu entwerfen, machen muss. Daher besteht bei deskriptiven Studien eher die Gefahr, unvorbereitet mit der Datenaufnahme zu beginnen. So eine Vorgehensweise birgt mindestens zweierlei Gefahren, unwissenschaftlich zu arbeiten. Zum einen kann möglicher Weise das Protokoll, nach dem die Daten aufgenommen werden sollen, nicht die Struktur haben, die für eine spätere statistische Auswertung erforderlich ist. Zum anderen besteht die Gefahr, dass ohne klare Vorüberlegungen am Ende so lange in den Daten gesucht wird, bis sich Daten finden, die interessant erscheinen. Solche sogenannten posthoc Datenanalysen, d. h. Datenanalysen ohne vorherige eindeutige Hypothesen, sind zwar zulässig, müssen aber klar als solche benannt werden und dürfen nicht dazu führen, dass im Nachhinein auf deren Basis Hypothesen aufgestellt werden, die sich mit den vorliegenden Daten bestätigen lassen.
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3 Planung der Datenaufnahme
Wird eine deskriptive Studie geplant, sollte man im Vorfeld festlegen, was das Ziel der Datenaufnahme ist, also für welche Fragen die Daten erhoben werden sollen, und damit, welche Aussagen auf Basis der Daten getroffen werden sollen. Eine häufige Fehleinschätzung ist es, dass auf Basis von deskriptiven Studien auf Ursache-Wirkung-Beziehungen (Kausalzusammenhänge) geschlossen werden kann. Was ist aber grundsätzlich zu Beginn einer deskriptiven Datenaufnahme zu beachten? Wichtig ist, sich ein systematisch angelegtes Datenaufnahmeprotokoll zu erstellen, in das dann Beobachtungen eingetragen werden. Hierzu müssen zu erfassende Verhaltensweisen klar definiert werden und entschieden werden, mit welcher Genauigkeit und in welchem Zeitverlauf sie registriert werden sollen (Kap. 4). Es sollte auch besonders darauf geachtet werden, dass der Rahmen (Zeitplan, Tageszeiten, etc.) so klar abgesteckt wird, dass die Datenerhebung Daten liefert, die zu Antworten auf die gestellten Fragen führen. Neben Fragen nach der Stichprobe und dem Umfang und der Dauer der Datenaufnahme (Kap. 4) ist hier zu erwähnen, dass deskriptive Datenaufnahmen unter Umständen auch Kontrollbedingungen benötigen, in gleicher Weise, wie es für Experimente notwendig ist. Diese verschiedenen Aspekte werden in den folgenden Kapiteln ausführlicher behandelt. Grundsätzlich gelten die meisten Aspekte, die für eine experimentelle Studie bedacht werden müssen, in ähnlicher Art und Weise auch für deskriptive Forschung.
3.4 Planung von Experimenten Die Versuchsplanung bildet den Kern der experimentellen Forschung. Deshalb werden hier deren grundlegende Überlegungen und Anforderungen behandelt. Für die Versuchsplanung gibt es eine Reihe von Versuchsstrukturen, die hier als Leitlinie gelten können. Diese Versuchsstrukturen sind deshalb wichtig, weil in ihnen bereits berücksichtig ist, welche statistische Verfahren angewandt werden können. Im einfachsten Fall wird eine Variable experimentell beeinflusst und deren Wirkung auf eine Verhaltensweise untersucht. Die experimentell beeinflusste Variable wird als die unabhängige Variable bezeichnet, da sie unabhängig davon ist, wie ein Tier sich verhält. Die Variable wird vom Versuchsleiter oder Beobachter bestimmt. Unabhängige Variablen sind die experimentellen Versuchsbedingungen, im Vorfeld festgelegte Tageszeiten einer Beobachtung (morgens, mittags, abends) oder im Vorfeld klar kategorisierte Alters- oder Geschlechtsgruppen von Tieren (Jungtiere, adulte Tiere; Männchen, Weibchen). Die am Tier gemessene Reaktion oder Eigenschaft wird dann als abhängige Variable
3.4 Planung von Experimenten
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bezeichnet. Abhängige Variablen sind also Reaktionen eines Tieres auf einen experimentellen Versuchsstimulus oder das Verhalten der Tiere in den zuvor festegelegten Beobachtungskategorien (Tageszeiten, Altersgruppen, Geschlecht). Meist registriert man für eine unabhängige Variable mehrere abhängige Variablen. Besonders in solchen Fällen ist es sinnvoll, sich mit den Konsequenzen solcher Datenstrukturen für die statistische Datenauswertung und Interpretation auseinanderzusetzen. Die Begriffe – abhängige und unabhängige Variable – sind wichtig, denn dies sind die Standardbegriffe, wie sie in Statistikprogrammen verwendet und entsprechend in den Eingabemasken für die Daten abgefragt werden (Bortz et al. 1990; Köhler et al. 2002) (Kap. 6). Die Versuchsplanung beinhaltet, sich im Vorfeld Gedanken über die statistischen Datenauswertungsverfahren zu machen. Die verschiedenen statistischen Verfahren stellen jeweils bestimmte Voraussetzungen an die Datenstruktur und den Versuchsplan (Köhler et al. 2002). Dieser wichtige Aspekt der Versuchsplanung wird häufig erst im Nachhinein erkannt. Eine nicht weitsichtig genug durchgeführte Versuchsplanung kann so zu einem ‚bösen Erwachenǥ führen, wenn es darum geht, die Daten statistisch auszuwerten. Bereits im Vorfeld einer Studie sollte über das Versuchsende hinaus gedacht werden, und abgeschätzt werden, welche Datenstruktur für eine statistische Auswertung vorliegen sollte. Dies wird am ehesten vernachlässigt, wenn keine oder wenige statistische Kenntnisse vorliegen und dem Thema der Statistik so lange wie möglich aus dem Weg gegangen wird. Das ist ein Fehler! Denn gerade das Aufschieben statistischer Überlegungen auf das Versuchsende führt allzu häufig zu sehr frustrierenden Erlebnissen. Es kann dann allzu leicht passieren, dass sich die mit viel Engagement aufgenommenen Daten nicht angemessen oder mit nur wenig externer Validität (Kap. 2.8 Interne und Externe Validität) analysieren lassen. Für viele statistische Tests müssen die Daten unabhängig sein und es müssen ausreichend Replikate vorliegen (Kap. 2.7 Replikation und Pseudoreplikation), damit ein statistischer Test einen möglicher Weise vorhandenen Effekt entdecken kann. Über im Vorfeld einer Studie durchgeführte Teststärkeanalysen (Power-Analysen) lässt sich unter Unständen bereits abschätzen, wie groß eine Stichprobe sein muss, um einen zu erwartenden Effekt auch statistisch absichern zu können. Bei zu
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3 Planung der Datenaufnahme
erwartenden sehr kleinen Effekten kann sich so bereits vor Beginn einer Studie zeigen, dass die notwendige Stichprobe größer sein müsste, als es praktisch möglich wäre (Bortz et al. 1990). In solch einem Fall ist es ratsam, die Durchführung der Studie sorgfältig zu überdenken. Selbst wenn solche Grundregeln beachtet werden, kann es nicht auszuschließen sein, dass sich die Daten aufgrund von Problemen im Versuchsablauf nicht so auswerten lassen, wie es geplant ist. In solchen Fällen müssen dann komplexere statistische Auswerteverfahren eingesetzt werden (Kap. 6.1). 3.4.1 Kontrollen In der experimentellen Forschung kommt einer Kontrolle eine ganz entscheidende Bedeutung zu. Um zu bestimmen, ob ein Tier in einem Versuchskontext auf einen bestimmten Stimulus reagiert oder ganz allgemein ein Verhalten zeigt, das spezifisch für einen bestimmten Kontext ist, sind Kontrollbedingungen notwendig. Zunächst klingt dies einfach und plausibel. Die Entscheidung, wie in einem speziellen Experiment eine Kontrollbedingung auszusehen hat, ist dennoch nicht immer einfach und klar. Oft gibt es verschiedene Möglichkeiten für Kontrollbedingungen oder Kontrollstimuli, so dass sorgfältig abgewogen werden muss, wie eine Kontrolle auszusehen hat. Ein Beispiel, ähnlich dem in Kap. 2 genannten, ist eine experimentelle Studie, in der der Zusammenhang zwischen Testosterongehalt im Blutplasma und dem Verhalten eines Tieres untersucht wird. Da rein beschreibende Studien solch einen Kausalzusammenhang nicht aufzeigen können, werden Testosterongaben eingesetzt. So zeigen Experimente, dass der Dominanzstatus von in Winterschwärmen befindlichen Weisskehlammern (Zonotrichia albicolis) testosteronabhängig ist. Tiere, die mit Testosteronimplantaten versehen wurden, zeigten einen höheren Dominanzstatus als solche, denen leere Implantate als Kontrolle gesetzt wurden (Archawaranon et al. 1991; Wiley et al. 1999). Unter Umständen können auch zwei verschiedene Kontrollen notwendig sein. In diesem Fall zeigte sich, dass eine Erhöhung im Dominanzstatus durch Testosteronimplantate nur dann auftrat, wenn die Tiere mit ihnen zuvor unbekannten Individuen zusammengesetzt wurden. Wurden mit Testosteron behandelte Tiere in ihre alten Gruppen zurückgesetzt, kam es zu keiner Änderung im Dominanzstatus, was darauf hinweist, dass Testosteron zwar den Dominanzstatus beeinflusst, weitere soziale Faktoren jedoch bedeutsam sind. Solche Zusammenhänge lassen sich nur durch verschiedene Kontrollen nachweisen. In diesem Fall war es notwendig, neben Testosteronimplantaten und lehren Kontrollimplantaten auch für den sozialen Kontext zu kontrollieren.
3.4 Planung von Experimenten
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Wichtig ist bei Kontrollen auch, dass sie mit in den zeitlichen Versuchsablauf integriert werden. Wenn die Kontrollversuche erst im Anschluss an die eigentlichen Experimente durchgeführt werden, kommt Zeit als zusätzlicher Faktor ins Spiel, da dann unterschiedliches Verhalten in den Versuchs- und Kontrollbedingungen auch durch externe Umstände (andere Wetter- oder Raumklimaverhältnisse, anderer interner Zustand der Tiere, Erfahrung des Versuchsleiters, u. a.) verursacht sein könnte. Auch kann der Beobachter bestimmte Erwartungen an das Verhalten in der Kontrollbedingung entwickeln oder in einer längeren Versuchsphase weniger sorgfältig arbeiten. Solchen und anderen Reihenfolgeeffekten kann durch eine Randomisierung bzw. Balancierung der Versuchsbedingungen entgegengewirkt werden, wie es im folgenden Abschnitt behandelt wird. 3.4.2 Datenaufnahmestruktur Eine der Entscheidungen, die zu treffen ist, betrifft die Verteilung der Versuchstiere auf die experimentellen Versuchsbedingungen und die erforderlichen Kontrollen. In einfachen Versuchsprotokollen gibt es zwei Möglichkeiten: (1) jedes Tier wird allen Versuchsbedingungen ausgesetzt; (2) einige Tiere werden unter der einen Versuchsbedingung untersucht, während andere Tiere unter der anderen Versuchsbedingung untersucht werden (Tabelle 3.2). In dem ersten Fall spricht man von einer gepaarten Stichprobe (bzw. allgemein von Versuchen mit Messwiederholungen), da jedes Tier unter allen Versuchbedingungen getestet wird (Tabelle 3.2). Für solch eine Datenstruktur werden auch in der Auswertung spezielle statistischen Tabelle 3.2. Versuchspläne für gepaarte (links) und unabhängige (rechts) Stichproben. Bei gepaarten Stichproben erhält jedes Tier beide Versuchsbedingungen (randomisierte Reihenfolge). Bei unabhängigen Stichproben erhält jedes Tier nur eine Versuchsbedingung Gepaarte Stichproben Bedingung A Bedingung B Tier 1 Tier 2 Tier 3 Tier 4 Tier 5 Tier 6 Tier 7 N Tiere…
Unabhängige Stichproben Bedingung A Bedingung B Tier 1 Tier 3 Tier 2 Tier 5 Tier 4 Tier 6 Tier 7 Tier 8 Tier 9 Tier 10 Tier 13 Tier 11 Tier 14 Tier 12 …2 N Tiere
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3 Planung der Datenaufnahme
Verfahren für gepaarte Stichproben eingesetzt. Wird jedes einzelne Tier nur unter einer Bedingung getestet, spricht man von unabhängigen Stichproben. Für solche Daten werden dann wiederum andere statistische Verfahren in der Datenauswertung verwendet (Kap. 6). Eine Versuchsplanung, in der ein Teil der Tiere zwei Versuchsbedingungen erhalten und ein Teil der Tiere jeweils nur eine Versuchsbedingung, ist entsprechend sehr problematisch und lässt sich mit diesen einfachen statistischen Verfahren nicht auswerten, da spezifische Annahmen beider Arten von statistischen Tests verletzt werden. Entsprechend wird hier auch wieder deutlich, wie wichtig es ist, bereits bei der Versuchsplanung zu entscheiden, welche statistischen Tests eingesetzt werden sollen (können) und welche Vorraussetzungen diese Tests an die Datenstruktur stellen. Beide Ansätze haben Vor- und Nachteile (Tabelle 3.3). Der Vorteil, jedes einzelne Versuchstier allen Versuchsbedingungen auszusetzen, liegt darin, dass bei der Datenauswertung die Reaktion eines jeden Tieres in Bezug auf eine Versuchsbedingung mit seiner Reaktion auf die andere(n) Versuchsbedingung(en) verglichen werden kann. Dies hat zur Folge, dass die Streuung im Verhalten zwischen den Versuchstieren in die Auswertung nicht einfließt. Tiere, die z. B. grundsätzlich sehr aktiv sind oder sehr inaktiv sind, werden so in ihrem Verhalten in verschiedenen Versuchsbedingungen mit sich selbst verglichen. Ist eine sehr große Streuung im Verhalten zwischen verschiedenen Individuen zu erwarten, ist eine Versuchsplanung mit solchen Messwiederholungen am gleichen Tier eher geeignet, Unterschiede im Verhalten auf verschiedene Versuchsbedingungen dann auch statistisch zu erfassen. Das wiederholte Testen des gleichen Individuums schließt sich allerdings bei bestimmten Versuchsansätzen von vornherein aus. Invasive Experimente, wie die Eingangs beschriebenen Hormonnimplantationsversuche, oder auch Lernversuche, bei denen nur naive Tiere einmalig Tabelle 3.3. Unterschiede zwischen gepaarten Stichproben und unabhängigen Stichproben Gepaarte Stichprobe Wiederholtes Testen der gleichen Tiere Starke individuelle Unterschiede zwischen Tieren können berücksichtigt werden Individuelle Reihenfolgeeffekte möglich Anzahl Tiere ist unabhängig von der Anzahl der Versuchsbedingungen
Unabhängige Stichproben Jedes Tier wird einmal getestet Starke individuelle Unterschiede können die Effekte der Versuchsbedingungen überlagern Keine individuellen Reihenfolgeeffekte möglich Anzahl der Tiere, die benötigt werden, steigt als Produkt mit der Anzahl Versuchsbedingungen
3.4 Planung von Experimenten
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verwendet werden können, schließen so einen Versuchsansatz meist aus. Ein Nachteil, die gleichen Tiere wiederholt zu testen, besteht auch darin, dass Tiere habituieren oder sensitiver werden, wenn sie mehrfach getestet werden (Kap. 3.4.3, Reihenfolgeffekte). Wenn solche Effekte sehr stark sind, können Verhaltensunterschiede, die sich sonst in zwei Versuchsbedingungen zeigen würden, überlagert werden. Wie oft sich ein Tier testen lässt, hängt von der Tierart und der Fragestellung ab und sollte vor Versuchsbeginn durch Pilotstudien und Diskussion abgeschätzt werden. Der Vorteil, jedes Tier nur ein einziges Mal zu testen, liegt darin, dass die beschriebenen Effekte des Mehrfachtestens auf das Verhalten ausgeschlossen werden. Vor allem im Freiland, hat dies den Vorteil, dass somit das gleiche Tier für eine weitere Versuchsbedingung nicht noch einmal, nach z. B. einem Tag oder Woche, erneut aufgesucht werden muss. Zum einen kann das Wiederfinden eines Tieres schwierig sein. Zum anderen kann das gleiche Tier dann in einem anderen Verhaltenskontext sein. So kann eine andere Reaktion in diesem zweiten Versuch nicht in dem neuen Stimulus begründet liegen, sondern in dem Verhaltenskontext, in dem sich das Tier bereits vor dem Versuch befunden hat. Nachteil der einmaligen ‚Verwendungǥ von Tieren ist, dass sich eine potentielle große interindividuelle Streuung auf die Ergebnisse auswirkt. Ein weiterer Nachteil kann sein, dass für die gleiche Anzahl durchzuführender Versuche doppelt so viele Versuchstiere eingesetzt werden müssen als beim Einsatz gepaarter Stichproben. Da Tiere durch wiederholtes Testen beeinflusst werden können, sollte die Anzahl der Versuche, die mit dem gleichen Tier durchgeführt werden, so gering wie möglich gehalten werden. In vielen Studien wird nicht nur der Einfluss einer einzigen Variable auf eine Verhaltensweise untersucht. Oft ist es von Interesse, den Einfluss mehrerer Versuchsvariablen (unabhängiger Variablen) auf eine Reihe von Verhaltensweisen zu überprüfen. Für solche dann entstehenden komplexen Datensätze kommen in der Auswertung verschiedene statistische Modelle (Varianzanalysen, u. ä.) zur Anwendung. Solche komplexen Datensätze erfordern bei der Auswertung auch differenziertere statistische Kenntnisse. Zur Strukturierung einer Datenaufnahme, in der der Einfluss mehrerer unabhängiger (vom Versuchsleiter kontrollierter) Variablen auf ein Verhalten gleichzeitig untersucht wird, ist eine tabellarische Übersicht des Versuchsplanes hilfreich. Klassische Beispiele hierfür sind ‚randomisierte Blöckeǥ, oder ‚geschachtelte Variablenanordnungenǥ. Bei einem randomisierten Block werden die Versuchtiere zufällig zwei oder mehr Versuchsblöcken zugeordnet. Der Begriff Block rührt von Beispielen aus der Ökologie her.
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3 Planung der Datenaufnahme
Abb. 3.2. Randomisierte Blöcke. Ein Versuchsfeld wird vor der Randomisierung der Versuchsgruppen (A bis C) erst in Blöcke (die drei grauen Felder) eingeteilt. Innerhalb dieser Blöcke werden dann die Versuchsbedingungen randomisiert. Dadurch wird eine gleichmäßigere Verteilung der Versuchsbedingungen über die Gesamtfläche erreicht als bei einer Randomisierung ohne Blockbildung
Hier kann man sich ein Versuchsfeld vorstellen, in dem 3 Versuchsbedingungen (z. B. unterschiedliche Vegetationsdichten) getestet werden sollen (Abb. 3.2, Tabelle 3.4). Jeder der drei Versuchsbedingungen werden dann jeweils mehrere kleine Versuchsfelder (Replikate) zugeordnet. Da es möglicher Weise Umweltgradienten in eine Richtung des Versuchsfeldes geben kann (z. B. Bodenfeuchtigkeitsgradienten), ist es sinnvoll, das Versuchsgebiet in Blöcke einzuteilen, und dann die Versuchsbedingungen innerhalb Tabelle 3.4. Tabellarische Darstellung eines randomisierten Blockes, wie er bei einer Versuchsplanung genutzt wird. Die Blöcke können feste Faktoren wie Versuchsräume, Tiergruppen oder Tageszeiten sein. Innerhalb der Blocks werden dann die Versuchsbedingungen (A bis C) zufällig auf die in diesem Beispiel jeweils 12 Individuen verteilt
3.4 Planung von Experimenten
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dieser Blöcke zu randomisieren. Dadurch kann zum einen der Block mit in die Statistik als Faktor aufgenommen werden, und zum anderen ist gewährleistet, dass die Replikate besser über das Versuchsfeld verteilt werden. Allgemeiner ausgedrückt müssen die Blöcke aber keine Raumbereiche sein, sondern feste, vom Versuchsleiter kontrollierte Faktoren, wie Tageszeiten (z. B. morgens, mittags, abends), Tiergruppen innerhalb derer einzelne Individuen getestet werden, oder auch Versuchsräume, die sich z. B. im Mikroklima unterscheiden können. Innerhalb dieser Blöcke werden den Individuen zufällig die verschiedenen Versuchsbedingungen zugeordnet. Dies kann entweder durch Würfeln erfolgen oder aber, indem Zufallszahlen (z. B. in Microsoft Excel) verwendet werden (Tabelle 3.5). Solch ein Versuchsplan ermöglicht in der Datenauswertung mit Hilfe von z. B. Varianzanalysen, den Einfluss der Versuchsbedingungen auf das Verhalten der Individuen zu testen, während die Variation, die durch die Blöcke erfasst wird, rechnerisch von dem Einfluss der Versuchsbedingungen getrennt werden kann. Tabelle 3.5. Möglichkeit der zufälligen Zuordnung von Individuen zu Versuchsbedingungen. Zufallszahlen lassen sich in z. B. Excel (=Zufallszahl) berechnen. Sortiert man dann in einem zweiten Schritt die Individuen entsprechend der Zufallszahlen aufsteigend, werden die Individuen zufällig durchmischt (randomisiert). Im dritten Schritt lassen sich dann die Versuchsbedingungen den Blocks zuweisen. Die tatsächliche Reihenfolge der Versuche kann dann in gleicher Weise determiniert werden (Tabelle 3.6)
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3 Planung der Datenaufnahme
Tabelle 3.6. Hierarchische (geschachtelte) Versuchsanordnung. A bis J stellen die mittlere Strukturebene dar. In dem Beispiel im Text entspricht dies den Müttern, in die die Nachkommen (1 bis 38) geschachtelt werden Versuchsbedingung I A B C 1 7 11 2 8 12 3 9 13 4 10 14
Versuchsbedingung II D E F 15 19 23 16 20 24 17 21 25 18 22 26
Versuchsbedingung III G H J 27 31 35 28 32 36 29 33 37 30 34 38
In einer hierarchischen Versuchsanordnung sind jeweils mehrere Versuchstiere in einer schachtelartigen Weise in engerer Abhängigkeit zueinander als zu anderen Versuchstieren. Ein klassisches Beispiel hierzu ist das Wachstum von Jungtieren unter verschiedenen Versuchsbedingungen. Werden hier jeweils getrennt verschiedene Familien getestet, muss berücksichtig werden, dass Verwandte oder gemeinsam aufgewachsene Tiere keine völlig unabhängigen Datenpunkte darstellen. Hier lassen sich die Geschwistertiere z. B. innerhalb ihrer Mutter schachteln. Die hierarchische Datenstruktur ermöglicht in der Datenauswertung die Variation, die durch die Mütter entsteht, rechnerisch von der Variation zwischen den einzelnen Individuen zu trennen (Bortz et al. 1990). Vor allem ermöglicht sie alle Datenpunkte in die Auswertung einfließen zu lassen (also alle 38 ‚Individuenǥ in Tabelle 3.6), ohne dass Probleme der Pseudoreplikation auftreten. Ohne ein geschachteltes Versuchsprotokoll und die entsprechend geschachtelte Datenauswertung wäre die Stichprobe nur N = 8, da jede Bedingung auf 4 Individuen zeitgleich wirkt (z. B. 4 Geschwister in einem Nest) und diese Datenpunkte entsprechend gemittelt werden müssten. 3.4.3 Reihenfolgeeffekte Werden verschiedene Versuche an den gleichen Tieren durchgeführt, muss die Reihenfolge, in der die Datenaufnahme durchgeführt wird, gut geplant sein. Besonders bei Experimenten, in denen Tiere sequentiell mit verschiedenen Stimuli konfrontiert werden, können sich Effekte der Reihenfolge auf das Verhalten der Tiere auswirken. Tiere können über wiederholte Versuche einerseits habituieren, oder der gegenteilige Effekt tritt ein, dass sie mit zunehmender Anzahl Versuche sensibler in Bezug auf die Versuchssituation werden. Um dem entgegenzuwirken, sollte die Versuchsreihenfolge über die verschiedenen Versuchstiere systematisch variiert (balanciert) oder randomisiert werden. Werden zum Beispiel 10 Tiere jeweils einzeln unter
3.4 Planung von Experimenten
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2 verschiedenen Versuchsbedingungen getestet, dann sollte die Reihenfolge der Versuchsbedingungen in einem balancierten Versuchsplan alternierend zwischen den Tieren wechseln. Das heißt, die Versuchstiere 1, 3, 5, 7, 9 erhalten zuerst Versuchsbedingung A und dann Versuchsbedingung B, während die Versuchstiere 2, 4, 6, 8, 10 jeweils zuerst die Versuchsbedingen B erhalten und dann Versuchsbedingung A. Ähnliche Vorkehrungen sollten auch dann getroffen werden, wenn jedes Tier nur eine Versuchsbedingung erhält. Werden 30 Tiere in einem Versuch mit drei Versuchsbedingungen getestet, sollten zuerst die Versuchstiere zufällig auf die Versuchsbedingungen verteilt werden (Tabelle 3.5) um anschließend die Abfolge der Versuche zu randomisieren (Tabelle 3.7). Bei solch einer Balancierung sollte darauf geachtet werden, dass sie nicht dazu führt, dass die Versuchsbedingungen immer systematisch zu anderen Tageszeiten stattfinden. Können in einem balancierten Design nur zwei Versuche an einem Tag durchgeführt werden, z. B. einer morgens und einer nachmittags, würde dies dazu führen, dass immer die gleiche Versuchsbedingung morgens und die andere Versuchsbedingung abends durchgeführt würde. Mögliche Verhaltensunterschiede zwischen den beiden
Tabelle 3.7. Zufällige Festlegung von Versuchsreihenfolgen. Die beiden linken Spalten entsprechen der dritten und fünften Spalte aus Tabelle 3.5: in Spalte 3 sind hier neue Zufallszahlen eingefügt. Im 2. Schritt (Spalten 3 bis 6) werden dann die Versuchsbedingungen mit den Versuchtieren entsprechend den Zufallszahlen aufsteigend sortiert. Deutlich ist, das solch eine Randomisierung nicht zu einer Balancierung der Versuchsreihenfolgen führt, da sie nicht systematisch abwechselnd (ABC, etc) aufeinander folgen
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3 Planung der Datenaufnahme
Versuchsbedingungen könnten dann auch aufgrund unterschiedlicher tageszeitlicher Aktivitätsmuster oder motivationaler Zustände begründet sein. Zusammenfassend heißt dies, dass bei jeder Art der Randomisierung und Balancierung von Versuchsreihenfolgen die möglichen Probleme durchdacht und in der Versuchsplanung entsprechend berücksichtigt werden sollten. Auch kann sich die Erwartungshaltung oder die Konzentration bzw. Sorgfalt des Versuchsleiters mit zunehmender Versuchsdauer ändern. Durch eine abwechselnde Durchführung der verschiedenen Versuchsbedingungen kann solchen Effekten entgegengewirkt werden, da sie sich dann auf alle Versuchsbedingungen in gleicher Weise auswirken sollten (s. auch Kap. 2.10 Beobachter Effekte). Bei großen Stichproben werden Versuchsreihenfolgen daher meist randomisiert, z. B. dadurch, dass die Reihenfolge der verschiedenen Versuchsbedingungen ausgewürfelt wird oder über Zufallszahlen sortiert wird. Bei kleinen Stichproben kann eine Randomisierung allerdings wenig hilfreich sein, denn es kann vorkommen, dass durch Zufall doch starke Reihenfolgeeffekte entstehen. In solchen Fällen ist eine Balancierung der Versuchsreihenfolgen angebracht, bei der systematisch die abwechselnde Reihenfolge festgelegt wird. Ein balanciertes Design wirkt meist am überzeugendsten, kann aber auch nachteilig sein. Wird ein Versuch, z. B. im Freiland, jedes Mal neu aufgebaut, kann eine Vorfestlegung der Versuchreihenfolge wiederum auch zu Problemen führen. Wenn der Versuchsleiter z. B. entscheiden muss, wo im Gelände eine Versuchsarena errichtet wird oder wo ein Lautsprecher oder eine Attrappe aufgestellt wird, kann man auch unbewusst bei Versuchsbedingungen, bei denen man eine schwache Reaktion erwartet, eine andere Auswahl des Versuchsortes treffen, als wenn man eine starke Reaktion erwartet. Bei territorialen Tieren beispielsweise hängt die Stärke der Reaktion unter Umständen von dem Ort im Revier ab. In dem Sinne kann eine Voreingenommenheit des Beobachters in Bezug auf die Erwartungen an eine bestimmte Versuchsbedingung auf die Ortswahl des Versuchsaufbaus wirken. Hier bietet es sich an, zuerst den Versuch aufzubauen oder den speziellen Versuchsort auszuwählen und erst danach, z. B. durch einen Würfel, zu entscheiden, welche Versuchsbedingung geboten wird. Auch bei dieser Form der Randomisierung sollte allerdings darauf geachtet werden, dass nicht zufällig eine sehr ungleiche Häufigkeit der Versuchsbedingungen ausgewürfelt wird. Falls dies der Fall sein sollte, kann eine ‚balancierte Randomisierungǥ erfolgen, bei der dann gezielt gegengesteuert wird, wenn die Randomisierung zu einer sehr ungleichen Versuchsreihenfolge führt. Wie man zusammenfassend sieht, gibt es bei der Planung der Versuchsreihenfolge kein Patentrezept, das für jegliche Art von Versuchen gilt.
3.4 Planung von Experimenten
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Stattdessen muss angepasst an den Versuch eine geeignete Strategie gewählt werden, bei der Reihenfolgeeffekte und mögliche unbewusste Einflussnahme des Versuchsleiters minimiert werden. Eine mit der Reihenfolge von Versuchen am gleichen Tier verbundene wichtige Entscheidung bei der Versuchsplanung ist, in welchem zeitlichen Abstand die Versuche durchgeführt werden. Wenn man bei dem Beispiel von 2 Versuchsbedingungen bleibt, die am gleichen Tier durchgeführt werden sollen, lässt sich die Problematik sehr gut veranschaulichen. Auf der einen Seite kann es sinnvoll sein, die beiden Versuche am gleichen Tier möglichst zeitnah zueinander durchzuführen – im Extremfall in direkter Folge. Dieser Ansatz kann praktikabel und sinnvoll sein, wenn sich im Freiland zu testende Individuen nur schwer in einem vergleichbaren Kontext wiederfinden lassen. Der Nachteil kann sein, dass die Reaktion auf die erste Versuchsbedingung über den direkten experimentellen Kontext hinaus bestehen bleibt und damit dann direkt auf die nächste Versuchsbedingung einwirkt. In solch einem Fall wäre dann das Verhalten in der zweiten Versuchsbedingung nicht nur auf diese Versuchsbedingungen zurückzuführen, sondern wäre durch die unmittelbar vorangegangene Versuchsbedingung beeinflusst. Meist bietet es sich an, wiederholte Versuche mit dem gleichen Tier erst nach längerer Pause, von z. B. einem Tag oder einer Woche, durchzuführen. Ob diese Problematik tatsächlich besteht, hängt von der Tierart, Fragestellung und der experimentellen Situation ab und sollte in Vorversuchen überprüft werden. Falls die Reaktion von einem Versuch auf den anderen ‚überschwapptǥ, Tiere aber nur ‚einmaligǥ testbar sind, sollte von Versuchen mit gepaarten Stichproben abgesehen werden. Ungepaarte Stichproben, bei denen jedes einzelne Tier nur unter einer Versuchsbedingung getestet wird, sind dann sinnvoller. 3.4.4 Seitenpräferenzen Einer der klassischen, sehr weit verbreiteten Versuchsansätze ist, Tiere vor eine Wahl zwischen verschiedenen Alternativen zu stellen (Abb. 3.3). Solche Versuche können zum Beispiel Wahlversuche sein, bei denen ein Tier mit zwei verschiedenen Stimuli von verschiedenen Seiten her konfrontiert wird (Abb 3.3). Bei solchen oder ähnlichen Versuchen, bei denen Raumaufenthalte gemessen werden, sollte in Betracht gezogen werden, dass Tiere räumliche Präferenzen aufweisen können, die unabhängig von dem Versuchsstimulus sind. Als Seitenpräferenz wird dabei die Präferenz eines Tieres für eine bestimmte Seite des Versuchsaufbaus bezeichnet, die unabhängig von den angebotenen Stimuli vorhanden sein kann. Solche Seitenpräferenzen können
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3 Planung der Datenaufnahme
Abb. 3.3. Möglicher Versuchsaufbau für Zweifachwahlversuche. Hier: ein Heuschreckenweibchen kann zwischen Männchengesängen wählen, die sich in ihrer Elementwiederholungsrate unterscheiden. In solchen Versuchsaufbauten können die Aufenthaltsdauern in den Präferenzzonen (die Zonen, in denen der Aufenthalt als eine Wahl des einen oder anderen Stimulus gewertet wird) durch versuchsunabhängige Seitenpräferenzen verursacht werden
dadurch zu Stande kommen, dass ein Versuchsraum, in dem eine Versuchsapparatur aufgebaut ist, nicht symmetrisch ist (was in den meisten Labors der Fall ist). Asymmetrien im Versuchsraum können durch Fenster auf einer Seite des Raumes gegeben sein, durch Ungleichmäßigkeiten im Lichteinfall oder durch Geräusche, die nur von einer Seite des Raumes zu hören sind. Selbst der Winkel, in dem die Tür aufgeht, kann zu Seitenpräferenzen der Tiere im Raum führen oder auch die Seite, von der die Person, die die Tiere mit Futter versorgt, sich den Tieren nähert. Fische in Aquarien, die hinter einer Tür stehen, können sich dadurch vermehrt auf der einen Aquarienseite aufhalten und, solche Präferenzen können vor allem auch dann noch präsent sein, wenn die Tiere aus dem regulären, aber asymmetrisch beeinflussten Haltungsbecken in ein vollständig symmetrisches Versuchsbecken gesetzt werden. Darüber hinaus können Seitenpräferenzen auch auf individuellen Unterschieden beruhen (wie es beim Menschen Rechts- und Linkshänder gibt) und verhaltensphysiologische oder entwicklungsbedingte Grundlagen haben (Güntürkün 2003). Aufgrund von Lateralisierungen im Gehirn und der damit verbundenen ungleichen Informationsverarbeitung in den beiden Gehirnhälften, kann Information von den beiden Augen (Güntürkün 1997) oder Ohren (Boye et al. 2005) unterschiedlich wahrgenommen werden. Daher können sich Seitenpräferenzen auch sehr versteckt entwickeln, ohne dass es für einen Versuchsleiter offensichtlich ist, warum eine bestimmte
Weiterführende Literatur
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Seitenpräferenz vorhanden ist. Da Seitenpräferenzen ein bekanntes und oft auftretendes Phänomen. Werden Versuchstieren also von zwei Seiten Stimuli geboten (z. B. in Partnerwahlversuchen), sollte die Seite, von der eine bestimmte Stimuluskategorie präsentiert wird, daher bei den verschiedenen Versuchstieren gewechselt werden. Wenn dem ersten Versuchstier der experimentelle Stimulus von rechts geboten wird und ein Kontrollstimulus von links, dann sollten die Seiten beim nächsten Versuchstier gewechselt werden. Entsprechend sollten dann die Seiten über die weiteren zu testenden Tiere systematisch gewechselt werden. Eine direkte Möglichkeit, Seitenpräferenzen auch als solche zu erfassen, ist es, einen Wahlversuch in zwei Phasen zu gliedern und die Seiten der Stimulustiere zwischen den Phasen zu wechseln (Witte und Sawka 2003). Besteht eine Präferenz für ein bestimmtes Tier, und nicht allgemein für eine Seite des Versuchsaufbaus, dann sollte das Tier, das eine Wahl trifft, nach einem Seitenwechsel der Stimulustiere nun die andere Seite bevorzugen.
3.5 Zusammenfassung Verhaltensbiologische Studien können rein beschreibend sein, d. h. auf Beobachtungen an unbeeinflussten Tieren basieren. Solche Studien haben die Stärke, dass sie natürlich Zusammenhänge aufzeigen können und zu biologisch relevanten Hypothesen führen. In experimentellen Studien wird das Verhalten von Tieren in einem vom Versuchsleiter manipulierten Kontext untersucht. Das heißt, Tiere werden mit einem experimentellen Stimulus konfrontiert oder experimentell anderweitig beeinflusst. Experimentelle Studien haben die Stärke, dass Kausalzusammenhänge aufgezeigt werden können. Wichtig ist bei solchen Studien, das der experimentelle Kontext, in den ein Tier gebracht wird, auch biologisch sinnvoll, d. h. im natürlichen Kontext relevant ist, da die Ergebnisse letztendlich in diesem Zusammenhang interpretiert werden müssen. Bei der Planung der Datenaufnahme sind vor allem statistische Anforderungen an die Datenstruktur zu berücksichtigen. Weiterhin sollten externe Variablen, die das beobachtete Verhalten zusätzlich zu den experimentell manipulierten Faktoren beeinflussen können, weitgehendst konstant gehalten werden.
Weiterführende Literatur 1. 2.
Barnard C, Gilbert F, McGregor PK (1993) Asking questions in biology: design, analysis & presentation in practical work. Longman, Harlow, UK Bortz J, Lienert GA, Boehnke K (1990) Verteilungsfreie Methoden in der Biostatistik. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo
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3 Planung der Datenaufnahme
3.
Lehner PN (1996) Handbook of ethological methods, 2nd edn. Cambridge Univ Press, Cambridge, UK Martin P, Bateson P (1993) Measuring behaviour: an introductory guide, 2nd edn. Cambridge Univ Press, Cambridge, UK Slater PJB (1999) Essentials of animal behaviour. Cambridge Univ Press, Cambridge
4. 5.
4 Quantifizierung von Verhaltensabläufen
Die Beobachtung von Tieren ist durchaus nicht trivial. Zum einen benötigt man Geduld, weil Tiere sehr viel Zeit scheinbar „untätig“ zubringen. Zum anderen stellt Verhalten einen kontinuierlichen Ablauf in Raum und Zeit dar, der ohne spezielle Regeln nicht in quantitativ erfassbare Einheiten untergliedert werden kann. Manche Verhaltenseinheiten sind leicht zu kategorisieren und wieder zu erkennen (z. B. Vokalisationen oder Raumaufenthalte). Andere werden graduell intensiver und klingen langsam ab und sind deshalb nur sehr schwer abgrenzbar (z. B. Bewegungen). Für komplexere Verhaltensabläufe ist deshalb mehrfaches Anschauen notwendig, um sie soweit kennen zu lernen, dass sich Verhaltensweisen eindeutig voneinander separieren und definieren lassen. Oft wird man erst nach langem Beobachten darauf aufmerksam, dass es noch weitere abgrenzbare Verhaltensweisen gibt, die einem zuvor nie aufgefallen sind, aber für die Fragestellung relevant sein könnten. Deshalb sollten die relevanten Verhaltensweisen zunächst durch geduldiges Beobachten erfasst und definiert werden. Bei dieser Definition ist es wichtig, nicht den Bezug zur Fragestellung zu verlieren. Es macht wenig Sinn, einen komplexen Verhaltensablauf in allen seinen Einzelheiten zu differenzieren, wenn sich die Fragestellung auf das Auftreten eines Verhaltensprozesses als Ganzes bezieht und nicht darauf, wie differenziert er ausgeübt wird.
4.1 Auswahl und Definition von Verhaltensweisen Eines der Kernprobleme verhaltensbiologischer Studien ist es, zu entscheiden, welche Verhaltensweisen wichtig für eine Fragestellung sind. Dieses Problem lässt sich abstrakt nicht vollständig lösen. Je nach Tierart und Fragestellung sind andere Verhaltensweisen und Protokollierungsmethoden angemessen. Daher werden hier grundlegende Prinzipien zusammengefasst, die bei der Auswahl, Kategorisierung und Quantifizierung von Verhaltensweisen von Bedeutung sind. Oft wird das Ethogramm, die Liste aller Verhaltesweisen eines Tieres, als der erste Schritt einer verhaltensbiologischen Studie genannt. Das vollständige Ethogramm einer Tierart ist dabei in der modernen Verhaltensforschung
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4 Quantifizierung von Verhaltensabläufen
von begrenztem übergeordnetem Wert und wird hier entsprechend nicht differenziert behandelt. In der Regel ist es entscheidend, die für eine Fragegestellung relevanten Verhaltensweisen zu erfassen und eindeutig zu definieren. Beispielsweise sind bei einer Untersuchung des männlichen Konkurrenzverhaltens Verhaltensweisen aus dem Bereich der Nahrungssuche oder Jungenaufzucht von wenig Interesse, so dass hier ein umfassendes Ethogramm nicht notwendig ist. Dies heißt nicht, dass man das Verhalten der untersuchten Tierart auch in anderen als den gerade untersuchten Kontexten nicht gut kennen sollte, sondern dass die spezifische Definition von Verhaltensweisen meist nur für den aktuellen Kontext ausreichend ist. Unter Verhaltensweise (Verhaltensmuster) versteht man in diesem Sinne klar definierte von einander unterscheidbare Verhaltenseinheiten. Was als eine spezielle Verhaltensweise gewertet wird, ist eine Definitionsfrage und kann z. B. eine Komponente eines komplexeren Verhaltens sein, wie eine spezielle Drohgebärde, die Teil einer agonistischen Handlung ist. Eine Verhaltensweise kann aber auch eine komplexere Sequenz von Verhalten sein, wie z. B. das Drohen eines Tieres, das aus verschiedenen Komponenten (Annäherung, Einsatz spezieller Signale, usw.) bestehen kann. Wichtig ist, dass die Muster so definiert werden, dass sie von biologischer Relevanz und als diskrete Einheiten registrierbar sind. Bei der Definition von Verhaltensweisen sind klare Kriterien notwendig, um Daten systematisch und replizierbar registrieren und auswerten zu können. Das Definieren von Verhaltensweisen klingt einfacher, als es tatsächlich ist. Aufgrund der größeren Variabilität von Verhalten innerhalb und zwischen Tieren erfordert die Definition oft Erfahrung im Beobachten, sowie in der Datenregistrierung. Entscheidend ist, Verhaltensweisen so auszuwählen, dass über die Registrierung klar definierten Verhaltens quantitative Daten zur Beantwortung einer gestellten Frage gewonnen werden können. Definitionen sollten so klar formuliert sein, dass sie replizierbar, d. h. auch von anderen Beobachtern anwendbar, sind. Selbst sehr einfach erscheinende Verhaltensweisen können graduell ‚einklingenǥ und ‚ausklingenǥ (Abb. 4.1), so dass klar definiert sein muss, ab welcher Intensität die Verhaltensweise als solche registriert wird. An Untersuchungen zum Aufmerksamkeits- (Vigilanz-) verhalten lässt sich dies anhand von Gänsen verdeutlichen. Im Winter gibt es enorme Unterschiede in den Gruppengrößen, in denen die Tiere sich zusammen finden. Das offene Habitat ermöglicht es hier, sehr gut Verhaltensbeobachtungen durchzuführen. Wenn ein Individuum auf Nahrungssuche ist, muss
4.1 Auswahl und Definition von Verhaltensweisen
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Abb. 4.1. Graduelles Ein- und Ausklingen von Verhaltensweisen. Zwischen den klar unterschiedlichen Verhaltensweisen Kopf oben (grauer Balken) und Kopf untern (weißer Balken) bestehen graduelle Übergänge, so dass vor der Datenaufnahme vom Beobachter diskrete Grenzen definiert werden müssen
es die Nahrungssuche mit dem Risiko gefressen bzw. angegriffen zu werden ausgleichen. Studien an Weißwangengänsen (Branta leucopsis) zeigen z. B., dass die Tiere beim Fressen sehr ‚wachsamǥ sind und während des Grasens immer wieder den Kopf heben (Black et al. 1992). Das Kopfheben wird als Aufmerksamkeitsverhalten gewertet, mit dem die Gänse nach potentiellen Feinden Ausschau halten. Dies tun sie mit zunehmender Gruppengröße immer seltener, vermutlich weil das einzelne Individuum in der Masse sicherer ist (Krause und Ruxton 2002). Beobachtet man die Gänse und möchte das klare Aufschauen (Abb. 4.1) zählen und vor allem die Dauer messen, wird man mit dem Problem konfrontiert, dass die Tiere den Kopf gelegentlich nicht ganz erheben, sondern auf halbem Weg den Kopf wieder senken. Der Beginn des Verhaltens oder sogar das Auftreten dieses Verhaltens ist dementsprechend nicht immer eindeutig. Ohne Vorbeobachtungen und Pilotdatenaufnahmen, in denen klar definiert wird, ab welchem Winkel (z. B. Kopf oberhalb des Rückens) Aufschauen gemessen wird, kann eine sonst sehr klare Datenaufnahme ungenau werden. Um das Beobachten und Definieren solcher Verhaltensweisen zu üben, ist das Lehrvideo Vigilance in Barnacle Geese von Neil Fraser sehr empfehlenswert (Vertrieb über ASAB (Association for the Study of Animal Behaviour) http://asab.nottingham.ac.uk/pubs/videos.php#vbbg). Ein anderes Beispiel verdeutlicht, dass bei der Definition von Verhaltensweisen für die Datenerhebung der Bezug zur Fragestellung im Mittelpunkt stehen sollte. Welchen Beitrag zur Beantwortung einer Fragestellung soll eine Verhaltensweise liefern? Wie differenziert muss sie hierfür definiert und registriert werden? Siamesische Kampffische (Betta splendens), die sowohl in der Forschung als auch in der Lehre häufig eingesetzt werden, zeigen ein sehr auffälliges Drohverhalten gegenüber anderen Männchen (Abb. 4.2). Dieses Drohen besteht aus einer Vielzahl quantifizierbarer Einzelkomponenten (Farbwechsel, Flossen und Kiemendeckelstellungen sowie Bewegungsabläufen).
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4 Quantifizierung von Verhaltensabläufen
Abb. 4.2. Komplexe Verhaltensweisen wie das Drohverhalten beim Kampffisch (Betta splendens) besteht aus verschiedenen Komponenten, wie den Stellungen der Flossen, der Kiemendeckel und darunter liegenden Membranen (rechts). Drohverhalten lässt sich über das Auftreten der Kombination der Einzelkomponenten oder über nur eine Komponente definieren, die repräsentativ für das anderweitig komplexe Verhalten sein kann. (Nach Simpson 1968)
Diese Einzelkomponenten in einer direkten Beobachtung eines sich schnell bewegenden Fisches zu quantifizieren, erfordert Zeit und Geduld und resultiert in einem großen Datensatz, der entsprechend komplexe statistische Verfahren zur Auswertung erfordert. Ist es jedoch das Ziel einer Untersuchung, relative Unterschiede zwischen zwei Männchen zu erfassen, reicht es unter Umständen, das Gesamtverhalten zu kategorisieren, das dann statistisch auch einfacher zugänglich ist und vor allem Ergebnisse von biologischer Relevanz liefern kann (Oliveira et al. 1998). In diesem Fall würde das Drohverhalten nicht in allen seinen Komponenten registriert; sondern es würde registriert, ob eine der zum Drohverhalten gerechneten Verhaltensweisen gezeigt wird. Dies heißt nicht, dass Details nicht interessant sind, sondern dass es nicht immer zwingend notwendig ist, komplexe Verhaltensabläufe in allen Details zu definieren, um anspruchsvolle Studien durchzuführen. Ein anderer Weg ist es, z. B. mit Videoaufnahmen das Verhalten zu filmen und später einer Detailanalyse zu unterziehen. Die Vor- und Nachteile der Registrierung von Verhalten mit Hilfe von Videokameras werden in Kap. 5.4.3 besprochen. In einigen Bereichen der Verhaltensbiologie, vor allem in der Bioakustik, werden auch automatische Verfahren zur Definition von Verhaltenseinheiten (hier: akustische Muster) angewandt. Solche Automatisierungen führen zu einer klaren Standardisierung in der Zuordnung von bestimmten Einheiten zu bestimmten Kategorien. Aber auch solche Verfahren müssen evaluiert werden, d. h. es sollte überprüft werden, inwiefern die Definitionen zu replizierbaren und auch biologisch sinnvollen Kategorien führen (Schrader und Hammerschmidt 1997; Janik 1999; Tchernichovski et al. 2000).
4.3 Definieren von übergeordneten zeitlichen Einheiten
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4.2 Kategorisierungen von Verhalten Verhalten ist in seiner Mehrdimensionalität in Raum und Struktur und seiner Kontinuität in der Zeit oft nur dann zu erfassen, wenn bestimmte Verhaltensmuster in übergeordnete Kategorien eingeteilt werden, wie es im vorangegangenen Abschnitt für das Drohverhalten der Kampffische beschrieben wurde. Solch ein Zusammenfassen verschiedener Verhaltensweisen zu übergeordneten Kategorien kann auch nachträglich bei der Datenauswertung erfolgen. Untersucht man beispielsweise das Nahrungssuchverhalten bei Hummeln, kann zwischen der Flugphase zu einer Blüte, der Zeit an der Blüte, der Zeit der tatsächlichen Nahrungsaufnahme und der Flugzeit zur nächsten Blüte unterschieden werden. Weiterhin kann es auch von Bedeutung sein, die Art der Blüte zu erfassen und das Verhalten getrennt für jede Blütenart zu erfassen (Rainee et al. 2006). Die Registrierung der einzelnen Komponenten ermöglicht dann Entscheidungsregeln bei der Nahrungssuche abzuleiten und mathematische Modelle zu entwickeln, ob und wie die Nahrungssuche optimiert wird. Ist man aber auch an Fragen des Sozialverhaltens interessiert, ist es eventuell von geringerem Interesse, die einzelnen Phasen der Nahrungssuche zu unterscheiden. Hier lassen sich dann die differenziert registrierten Phasen als ‚Nahrungssucheǥ zusammenfassend kategorisieren. Wie bei der Definition von Verhaltensweisen für die Datenerhebung ist es für eine anschließende übergeordnete Kategorisierung zu empfehlen, die Kriterien dafür vor einer Datenerhebung aufzustellen. Hierdurch verringert sich die Gefahr, dass unbewusst Verhaltenskomponenten so zusammengefasst werden, dass sie dann zu möglicherweise erwarteten Ergebnissen führen. Im Beispiel der Nahrungssuche könnte man Nahrungssuche so definieren, dass sie erst bei einem Besuch bei einer Blüte beginnt, oder man definiert sie bereits als Beginn eines Fluges, der dann an einer Blüte enden wird. Die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Dauern der Nahrungssuche könnten in der Interpretation bedeutungsvoll sein, so dass solche Definitionen besser festgelegt werden, bevor die Daten gesichtet werden, als dies während der Datenauswertung selbst zu tun.
4.3 Definieren von übergeordneten zeitlichen Einheiten Verhalten tritt in der Regel nicht in zufälligen Sequenzen auf. Gleiche Verhaltensweisen treten oft zeitlich gehäuft auf und sind dann wieder über einen längeren Zeitraum nicht zu beobachten. Solch ein zeitlich gehäuftes Auftreten gleicher Verhaltensweisen wird oft auf einer übergeordneten Ebene als eine Einheit (bout) gewertet. Beispiele hierfür können die
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4 Quantifizierung von Verhaltensabläufen
Aktivität eines Tieres sein, sein Nahrungssuchverhalten, Fellpflege oder auch Vokalisationen. Zur Quantifizierung solcher Einheiten müssen Kriterien herangezogen werden, die festlegen, wie weit die einzelnen Ereignisse einer Verhaltensweise zeitlich auseinander liegen dürfen, um zur gleichen Einheit gerechnet zu werden. Eine subjektive Einzelentscheidung von Fall zu Fall, ob etwas zur gleichen oder bereits zur nächsten Einheit gerechnet wird, wird dadurch verhindert. Die Definitionen von solchen Einheiten können biologisch wichtig sein, wenn eine Verhaltensweise seriell auftritt. In so einem Fall macht es unter Umständen Sinn, zu unterscheiden, aus wie vielen Einzelaktionen sich eine Einheit zusammensetzt und wie viele Einheiten insgesamt gezeigt werden. Wie aber lässt sich entscheiden, wann ein Verhalten noch zur gleichen oder bereits zur nächsten Einheit gezählt wird? Diese Entscheidung ist dann kein Problem, wenn das Verhalten so stark geklumpt auftritt, dass es zu einer bimodalen Verteilung kommt. Das heißt, dass gleiche Verhaltensweisen entweder unmittelbar mit nur wenig Unterbrechung auf einander folgen (z. B. in Sekunden oder Minutenabständen) und dann erst wieder nach deutlich längeren Pausen (nach mehreren Minuten oder Stunden). Dieser idealisierte Fall tritt aber eher selten auf, und häufig finden sich auch intermediäre Pausen, die es schwierig machen, ohne klare Kriterien Grenzen zwischen zwei Einheiten zu ziehen. Um keine subjektive Entscheidung zu treffen, ist es ratsam, statistische Kennwerte als Kriterium heranzuziehen (Abb. 4.3). Grundsätzlich kommen die unterschiedlichsten statistischen Lagemaße in Frage, wobei solche, die
Abb. 4.3. Darstellung einer logarithmischen Häufigkeitsfunktion von Intervallen, die sehr ungleich verteilt sind. Eine grobe Bestimmung des Kriteriums, die Intervalle in ‚kurzǥ und ‚langǥ zu kategorisieren, stellt die Schnittstelle der Geraden im Bereich der stärksten Steigungsänderung der Kurve dar (K)
4.4 Messgrößen
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von der Verteilung der erhobenen Daten abhängen, am plausibelsten sind (Fagen und Young 1978; Slater und Lester 1982; Sibly et al. 1990). Eine der gängigsten Methoden ist das Auftragen der erhobenen Daten als logarithmisches Sterbediagramm (log-survivor plot) oder als logarithmisches Häufigkeitsdiagramm. Hier werden die Intervalle zwischen den Ereignissen (Verhaltensweisen) auf der X-Achse aufgetragen und der Logarithmus der jeweiligen Häufigkeiten, mit denen die Intervalle auftreten, auf der YAchse aufgetragen. Treten verschiedene Intervallgrößen in deutlich unterschiedlichen Häufigkeiten auf, d. h. beispielsweise, sehr häufige, kurze Intervalle und sehr seltene, lange Intervalle, hat die Kurve einen klaren Steigungswechsel (Abb. 4.3). Solche Daten erhält man, wenn die Tiere stark in ihrer Aktivität variieren, was dazu führen kann, dass Verhalten innerhalb der Aktivitätsphasen sehr schnell aufeinander folgt, dann aber wieder durch sehr lange Pausen nicht aktiver Phasen getrennt ist. Die Schnittstelle der Geraden im Bereich der stärksten Steigungsänderung lässt sich bereits visuell als Kriterium zur Definition verschiedener zeitlicher Einheiten heranziehen. Dabei kann je nach Verlauf der Kurve allerdings nicht immer klar definiert werden, wie die exakte Lage der Geraden sein soll, so dass anhand der Graphik entschieden werden muss, ob und wie diese Methode angebracht ist (Slater und Lester 1982). Sibly et al. (1990) beschreiben daher einige standardisierte statistische Methoden, mit denen die Kriterien bestimmt werden können, anhand deren dann die Zeitintervalle kategorisiert werden können. Andere Entscheidungskriterien lassen sich auch aus den direkten Verteilungen der Daten ableiten. Über das Auftragen aller Intervalle kann auf Basis der Verteilung überprüft werden, ob und wie sie unterteilt werden kann. Hier könnten z. B. Mittelwert und Standardabweichung zusammen als Kriterium gelten (Naguib und Kipper 2006) oder auch andere Kennwerte von Verteilungen, die Daten in diskrete Gruppen aufzuteilen. Wendepunkte der Verteilung können so in ähnlicher Weise erfasst werden, wie es mit den logarithmischen Häufigkeitsdiagrammen möglich ist.
4.4 Messgrößen Sind die Verhaltensweisen definiert, muss geklärt werden, wie sie registriert werden sollen. Da Verhalten ein zeitlich dynamischer Prozess ist, muss entschieden werden, welche Verhaltensweisen aufgenommen werden (die Qualität des Verhaltens), sowie in welcher zeitlichen Dynamik (die Quantität) dies geschieht. So kann einerseits kann die Intensität eines Verhaltens unterschiedlich stark ausgeprägt sein, wie im Beispiel des Kopfhebens bei den Gänsen (Abb. 4.1); und andererseits ändert sich Verhalten
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4 Quantifizierung von Verhaltensabläufen
auch in seiner zeitlichen Dynamik. Die Intensität eines Verhaltens lässt sich bei direkten Beobachtungen häufig nur grob und subjektiv kategorisieren. Allerdings ließe sich mit technischen Hilfsmitteln bei z. B. akustischen Signalen die Intensität (Lautstärke) direkt messen (Brumm 2004), und bei Ortsveränderungen ließe sich unter Umständen die Geschwindigkeit der Bewegung erfassen. Bei anderen Verhaltensweisen, wie komplexem Balzverhalten oder Aggressionsverhalten, werden demgegenüber als Maß der Intensität eher Häufigkeiten und Raten von Verhaltensmerkmalen gemessen. Grundsätzlich gibt es eine Reihe möglicher und auch biologisch sehr wichtiger Messgrößen des Verhaltens. Im Folgenden werden ihre Vor- und Nachteile besprochen sowie die biologische Relevanz verschiedener Messwerte bewertet, so weit dies in allgemeiner Form möglich ist. Mann muss sich darüber im Klaren sein, dass viele Gründe dagegen sprechen, möglichst alle gezeigten Verhaltensweisen zu messen, d. h. sie zeitgleich zu erfassen. Zuerst ist zu klären, welche Parameter für die Beantwortung der Fragestellung relevant sind. Ebenfalls ist es sinnvoll zu erproben, welche der Verhaltensweisen sich überhaupt in Kombination präzise registrieren lassen. Es ist besser, wenige Verhaltensweisen, bzw. Parameter einer Verhaltensweise, genau zu bestimmen, als viele verschiedene Parameter gleichzeitig, aber ungenau zu bestimmen.
4.4.1 Latenzen Als Latenz wird die Zeit bezeichnet, die es dauert, bis ein Individuum auf einen Reiz reagiert oder ein bestimmtes Verhaltensmuster ausführt (Abb. 4.4). In vielen Kontexten, in denen einem Versuchstier ein Stimulus geboten wird, ist diese Latenz ein wichtiges Maß, das Rückschlüsse auf die Relevanz des Stimulus für das Tier zulässt. Latenzen sind besonders in der experimentellen Verhaltensbiologie ein wichtiges und oft verwendetes Maß. Zur Messung von Latenzen benötigt man einen Startpunkt, der in der experimentellen Forschung der Versuchsbeginn sein kann, bei dem ein Tier mit einem Stimulus konfrontiert oder in eine neue Umgebung gebracht wird. Auch der Endpunkt einer Latenz muss im Vorfeld definiert sein, d. h. bis zu welchem Ereignis eine Latenz gemessen wird. Besonders
4.4 Messgrößen
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bei Latenzen zum Erreichen bestimmter Raumbereiche muss entschieden werden, bis zu welcher Annäherung (z. B. 30 cm, 1 m, 2 m,) eine Latenz gemessen werden soll. Auch wenn Explorationsverhalten, z. B. bei Primaten, untersucht wird, muss entschieden werden, ob die Latenz gemessen wird, die ein Tier benötigt, um z. B. ein Objekt aufzusuchen, um es zu berühren oder sich damit tatsächlich zu beschäftigen. Für alle Messwerte kann es gute Gründe geben. Eine Definition im Vorfeld, wie es auch für andere Messgrößen gilt, reduziert bei der Datenanalyse die Wahrscheinlichkeit, dass im Nachhinein diejenige Latenz verwendet wird, die am besten zur Unterstützung der Hypothese passt. Die Latenz lässt sich mit einer Stoppuhr oder mit Hilfe von computergestützten Datenregistrierungsprogrammen bestimmen. Sollen mehrere Verhaltensweisen registriert werden, können Latenzen für jede Verhaltensweise einzeln registriert werden. Interessant kann aber auch bereits die Latenz bis zum Auftreten der ersten, für die Fragestellung wichtigen Verhaltensweise sein, d. h. also, die Latenz die es dauert, bis ein Tier überhaupt auf einen Stimulus reagiert. Die Betrachtung solch einer allgemeinen Reaktionslatenz ist besonders praktikabel, wenn verschiedene Individuen verschiedene Antwortstrategien auf einen Stimulus zeigen (Kap. 2.6). Wichtig ist zu berücksichtigen, dass ein Tier einen Stimulus unter Umständen nicht bereits sofort bei Beginn einer Beobachtung oder eines Versuches bemerkt. In solchen Situationen sollte definiert sein, ab wann die Latenz einer Reaktion aufgenommen werden soll. Wird ein Tier in eine neue Umgebung gesetzt, und es soll untersucht werden, wie lange es benötigt, um anzufangen, einen versteckten Gegenstand zu explorieren, sollte zwischen der Zeit seit Versuchsbeginn und der Zeit, nachdem das Tier den Gegenstand entdeckt hat, unterschieden werden. In der ersten Latenz ist die Gesamtaktivität sowie das allgemeine Explorationsverhalten des Tieres reflektiert. Ein Tier, das einen Versuchsraum exploriert, wird den Gegenstand eher finden, als ein Tier, das sich zuerst ruhig in einer Ecke aufhält. Soll die Frage geklärt werden, wie wichtig ein Gegenstand für ein Tier in dieser Umgebung ist, spielt eher die Zeit, die vom Entdecken des Gegenstandes bis zu seiner Exploration vergangen ist, eine Rolle und nicht die Gesamtzeit seit Versuchsbeginn. Latenzen müssen nicht notwendiger Weise direkt als tatsächliche Zeit gestoppt werden. Auch bei einer intervallstrukturierten Datenaufnahme (Kap. 4.5.2) können Latenzen in Form von Intervallen bestimmt werden. 4.4.2 Dauern Die Dauer einer Verhaltensweise ergibt sich aus der Zeit vom Einsetzen der Verhaltensweise bis zu deren Ende (Abb. 4.4). Trotz dieser klaren
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4 Quantifizierung von Verhaltensabläufen
Abb. 4.4. Zeitparameter einer Verhaltensweise (x). Die verschiedenen Zeitmerkmale können unterschiedlich in ihrer Bedeutung interpretiert werden. 1. Latenz, 2. Dauer, 3. Intervall, 4. Pause. Vor Beginn einer Studie sollten Vorhersagen aufgestellt werden, welche Zeitparameter sich z. B. in einem Versuch oder in verschiedenen Verhaltenskontexten wie verändern sollten. Entsprechend sind in einer Datenaufnahme nicht immer alle Parameter von gleicher Relevanz
Definition können bei der Messung von Dauern Probleme auftreten. So kann es schwierig sein, während einer Beobachtung die Dauern von verschiedenen Verhaltensweisen exakt zu erfassen. Darüber hinaus ist die Voraussetzung zur Bestimmung von Beginn und Ende einer Verhaltensweise, dass diese zweifelsfrei definiert ist. Im oben genannten Beispiel der Nahrungssuche bei Hummeln kann es im Ermessensspielraum liegen, zu entscheiden, ab wann eine Flugbewegung als Teil der Nahrungssuche gewertet wird. Im Zweifelsfall könnte eine operationale Definition sein, dass Nahrungssuche erst ab der ersten von mehreren besuchten Blüten gewertet wird, da ab dem Zeitpunkt deutlich ist, dass die Nahrungssuche begonnen hat. Ein Umherfliegen vor dem Besuch der ersten Blüte könnte auch andere Funktionen haben. Eine gute Kenntnis der zu untersuchenden Tierart sowie Vorbeobachtungen können klare Kennwerte für solche Definitionen liefern. Bei Verhaltensweisen, die graduell ineinander übergehen, kann es schwierig oder sogar unmöglich sein, ihren genauen Anfangs- und Endzeitpunkt zweifelsfrei zu definieren. In diesem Fall können bestimmte Methoden herangezogen werden, bei denen die Zeitachse in ein Raster unterteilt wird. Das Messen von Dauern kann so elegant umgangen werden, wenn das Verhalten innerhalb definierter Zeitintervalle oder Zeitpunkte registriert wird (Kap. 4.5.2). Viele Verhaltensweisen treten in verschiedenen Zeitabständen wieder auf, und entsprechend ergeben sich neben den Einzeldauern von Verhalten auch die Gesamtdauern dieser Verhaltensweisen über einen gesamten Beobachtungs- oder Versuchszeitraum (Abb. 4.4 und 4.5). Die unterschiedlichen
4.4 Messgrößen
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Gesamtdauern verschiedener Verhaltensweisen können ein gutes Maß für die Aktivität und das Verhalten eines Tieres sein. Die Einzeldauern können aber auch wichtig in der Beschreibung und Interpretation von Verhalten sein. 4.4.3 Intervalle Intervalle werden oft so definiert, dass sie jeweils von Beginn zu Beginn einer gleichen Verhaltensweise gemessen werden (Abb. 4.4), wobei der Begriff vor allem im Englischen auch für Pausen eingesetzt wird (Fagen und Young 1978). Bei der Bestimmung von Intervallen wird im ersten Sinne nicht unterschieden, wie lang eine Verhaltensweise angedauert hat und wie lang die Pause bis zu seinem Wiederauftreten war. Das heißt, dass die Bestimmung von Intervallen eher für Verhaltensweisen geeignet ist, die nicht sehr stark in ihrer Dauer variieren. Dies trifft für sehr kurze Verhaltensweisen, wie Vokalisationen, Drohgebärden oder das Aufpicken von Nahrungskörnen, zu. Beim Vigilanzverhalten hingegen, wie es in Abb 4.1 beschrieben wurde, ist die alleinige Registrierung von Intervallen nur bedingt aussagekräftig, da Tiere, die seltener aufblicken (also lange Intervalle haben), dies oft länger tun als Tiere, die häufiger aufblicken. Da die Gesamtdauer des Aufblickens beim Aufmerksamkeitsverhaltens von Bedeutung sein kann, würde diese Information bei der alleinigen Messung von Intervallen verloren gehen. Intervalle zu messen ist besonders dann praktikabel, wenn der Beginn einer Verhaltensweise klar definierbar ist, deren Ende jedoch nicht. Auch dies kann wieder an einem Beispiel aus der Bioakustik veranschaulicht werden. Der Beginn eines Lautes ist meist klar bestimmbar, unabhängig davon, wie gut eine Audioaufnahme ist. Das Ende eines Lautes kann hingegen bei starkem Nachhall, wie er bei Audioaufnahmen im Freiland oft auftritt, schwer bestimmbar sein. Variieren Vokalisationen nur wenig in ihrer Dauer, kann die Messung von Intervallen oder Raten das beste Maß der Wahl sein, um vokale Aktivitäten zu quantifizieren. 4.4.4 Pausen Auch wenn eine Pause in dem Sinne keine Verhaltensweise ist, kann die Berücksichtigung von Pausen wichtig sein, um ein Verhalten zu interpretieren. Die Registrierung von Pausen ergibt sich in der Regel zwangsläufig, wenn Dauern kontinuierlich oder auch im Zeitraster (Kap. 4.5.2) aufgenommen werden. Es ist sogar denkbar, dass gerade die Veränderung von Pausen zwischen dem wiederholten Auftreten einer Verhaltensweise bedeutungsvoll sind. Ein Beispiel hierfür ist die Fellpflege bei Tieren oder
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4 Quantifizierung von Verhaltensabläufen
das Staubbaden bei Hühnern. Ein ähnliches Beispiel sind Ruhephasen zwischen zwei energetisch aufwendigen Verhaltensweisen, so dass die Dauer der Pause nach einer Verhaltensweise möglicherweise ein gutes Maß sein kann, um die Anstrengung zu bestimmen, die das Tier aufgewandt hat. 4.4.5 Häufigkeiten Häufigkeiten werden gezählt, ohne dass dabei die Dauer, über die ein Verhalten gezeigt wird, eine Rolle spielt (Abb. 4.5). Es wird somit nur dann gezählt, wenn eine Verhaltensweise neu einsetzt. In der Praxis ist es, wie bereits beschrieben, oft so, dass die Dauern eines Verhaltens nicht ohne technische Hilfsmittel bestimmt werden können. Unter diesen Umständen kann es für die Beantwortung einer Fragestellung ausreichend sein, die Häufigkeiten eines Verhaltens zu zählen, anstatt dessen zeitliche Ausprägung exakt zu messen. Besonders bei sehr kurz anhaltenden und häufig auftretenden Verhaltensweisen, wie einem Alarmruf, einer Drohgebärde oder eines Blickes, kann auch die Häufigkeit biologisch wichtiger sein als die Dauer. Deshalb findet man in vielen Studien, dass für bestimmte Verhaltensweisen die Registrierung der Häufigkeiten sehr weit verbreitet ist. Häufigkeiten werden auch zur Bestimmung von Raten, also Ereignissen pro Zeiteinheit, herangezogen (Kap. 4.4.6).
Abb. 4.5. Dauer, Häufigkeiten und Raten von Verhalten. Das Auftreten der Verhaltensweisen ist durch die Kästen symbolisiert. Beide Verhaltensweisen haben die gleiche Gesamtdauer, treten aber unterschiedlich häufig mit unterschiedlichen Einzeldauern auf. Die Datenaufnahmestruktur sollte entsprechend angepasst werden (Kap. 4.5)
4.4.6 Raten Raten sind die Auftrittshäufigkeiten pro Zeiteinheit, z. B. Anzahl pro Minute (Abb. 4.5 und 4.6). Das heißt, die Rate ist ein nach Abschluss der Beobachtungen abgeleitetes Maß, das sich aus den Häufigkeiten ergibt, wenn diese in einem Zeitraster aufgenommen wurden. Es ist sinnvoll, Raten zu berechnen, wenn das Auftreten von Verhaltensweisen auf eine Zeiteinheit standardisiert werden soll. Damit können Ergebnisse auch direkter
4.4 Messgrößen
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Abb. 4.6a – c. Bei der Berechnung von Raten spielt die Verteilung des Verhaltens über die Zeit eine wichtige Rolle. In a ist die Rate doppelt so groß wie in b und c, wenn die Gesamtsequenz betrachtet wird. Wird nur die Zeit berücksichtigt, in der das Verhalten gezeigt wird, haben a und b die gleiche Rate. Wird die Gesamtzeit zugrunde gelegt, haben b und c die gleiche Rate, obwohl in der Zeit in der das Verhalten tatsächlich auftritt, in b die Rate doppelt so groß ist wie in c
mit anderen Untersuchungen verglichen werden, denen eine andere Gesamtbeobachtungsdauer zugrunde liegt. Ein anschauliches Beispiel sind Raten von Vokalisationen. Bei Singvögeln spielt beispielsweise die Gesangsrate (Anzahl Gesangstrophen/Minute) der Männchen eine wichtige Rolle in der Revierverteidigung oder bei der Anwerbung von Weibchen. Männchen, die mit höheren Raten singen, haben möglicher Weise Reviere mit besseren Nahrungsressourcen (Strain und Mumme 1988), oder diese Männchen sind in besserer Kondition als Männchen, die mit geringerer Rate singen (Kempenaers et al. 1997). In verschiedenen Untersuchungen zu einem Thema nutzen unterschiedliche Beobachter verschieden lange Beobachtungsdauern, z. B. wird der Gesang eines Vogels über 5 min, 10 min oder auch 30 min registriert, oder es wird zu definierten Zeiten registriert, ob ein Vogel singt (Amrhein et al. 2002). Die Angabe der Anzahl der Gesangsmuster (z. B. Strophen pro Minute) ist dabei eine geeignete, oft genutzte und auch biologisch sinnvolle Standardisierung. Tritt ein Verhalten in dem Beobachtungszeitraum lange nicht auf (der Vogel singt in 9 von 10 beobachteten Minuten nicht), dann würde eine berechnete Rate über die 10 Minuten eine sehr niedrige Gesangsrate ergeben. Obwohl diese Zahl widerspiegelt, dass der Vogel weniger gesungen hat als ein Vogel, der den gesamten Beobachtungsszeitraum regelmäßig gesungen hat, spiegelt die Zahl nicht die Rate wieder, mit der der Vogel singt, wenn er singt (Abb. 4.6). Deshalb muss aufgrund der vorhandenen Datenlage entschieden werden, in Bezug auf welches Zeitfenster Raten berechnet werden und ob diese das tatsächliche Verhalten der Tiere angemessen widerspiegeln. Raten sollten dann berechnet werden, wenn das Auftreten des Verhaltens in etwa gleichmäßig über die Zeit verteilt ist.
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4 Quantifizierung von Verhaltensabläufen
4.5 Registrierungsmethoden Verhalten ist ein kontinuierlicher Prozess. Allerdings kann eine kontinuierliche Registrierung des Verhaltens aus verschiedenen Gründen unpraktikabel oder ineffizient sein. In der Praxis sind neben der kontinuierlichen Datenregistrierung zeitstrukturierte Verfahren von besonderer Bedeutung (Altmann 1974; Tyler 1979). In Situationen, in denen zu erwarten ist, dass unterschiedliche Methoden das reale Verhalten unterschiedlich gut abbilden, ist zu empfehlen, in Vorversuchen verschiedene Methoden vergleichend zu testen (Simpson und Simpson 1977; Tyler 1979; Pöysä 1991; Zinner et al. 1997). Anhand der Ergebnisse kann dann besser beurteilt werden, welche Registrierungsmethode am geeingnetsten ist. 4.5.1 Kontinuierliche Datenregistrierung Bei der kontinuierlichen Datenregistrierung werden Beginn und Ende der Verhaltensweisen registriert, so dass die erhobenen Daten die zeitliche Dynamik des Verhaltens abbilden. In diesem Sinne ist die kontinuierliche Datenregistrierung die genaueste Methode, um den Zeitverlauf von Verhalten zu erfassen. Die Vorraussetzung hierfür ist, dass vor Beginn der Beobachtung die zu registrierenden Verhaltensweisen so genau definiert werden können, dass während der Beobachtung zweifelsfrei Beginn und Ende der Verhaltensweise registriert werden kann. Dies kann bei Raumaufenthalten, akustischen Signalen oder bei Lokomotion gut zu messen sein. Bei anderen Verhaltensweisen, die graduell ein- und ausklingen, ist es meist schwer, sie zweifelsfrei und replizierbar so zu definieren, dass Beginn und Ende in der laufenden Datenregistrierung exakt bestimmt werden können (Abb. 4.1). Ein weiteres praktisches Problem bei der kontinuierlichen Datenregistrierung kann auftreten, wenn mehrere Verhaltensweisen eines Tieres zeitgleich oder sogar das Verhalten mehrerer Tiere gleichzeitig registriert werden. In diesem Fall ist zumindest mit den klassischen Methoden (Stift, Papier, Stoppuhr) eine kontinuierliche Datenregistrierung nicht praktikabel oder sogar unmöglich und würde den Einsatz von z. B. Videogeräten erfordern. Im Gegensatz dazu ist mit der Hilfe von Computern und entsprechender Software eine kontinuierliche Datenregistrierung auch unter komplexeren Beobachtungsbedingungen möglich. Hier können Verhaltensweisen über die Tastatur erfasst werden. Mit Kleincomputern (Palms) mit aktivem Bildschirm kann in ähnlicher Weise über das Zuweisen von Bildschirmarealen Beginn und Ende einer Verhaltensweise erfasst werden. Die Datenausgabe der entsprechenden Software ermöglicht vergleichsweise einfach, die Zeitbudgets der verschiedenen registrierten Verhaltensweisen zu bestimmen.
4.5 Registrierungsmethoden
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Unabhängig von den formell inhaltlichen und den praktischen Vorteilen der kontinuierlichen Datenregistrierung sollte bei der Planung der Datenaufnahme sorgfältig abgewogen werden, ob diese Form der Datenregistrierung praktikabel ist und zu einem Datensatz führt, der für die Beantwortung der untersuchten Frage auch ergiebig ist. Anderenfalls können die Daten mit einem intervall-strukturierten Verfahren (Kap. 4.5.2) registriert werden. Wird ein Computer bei der Datenerhebung eingesetzt, bietet es sich an, die Daten kontinuierlich zu erheben. Jedoch sind an den Einsatz von Computern besondere Vor- und Nachteile geknüpft, die zuerst einmal abgewogen werden müssen, bevor entschieden wird, ob die Daten so oder mit z. B. Stift und Papier, Audio- oder Videogerät registriert werden. Die Vor- und Nachteile dieser technischen Aspekte werden in Kap. 5.2 näher behandelt. Aufgrund der praktischen Probleme, mehrere Verhaltensweisen gleichzeitig in ihrer zeitlichen Dynamik zu erfassen und aufgrund der möglichen Probleme, Beginn und Ende einer Verhaltensweise bei der Beobachtung zweifelsfrei zu bestimmen, bietet es sich oft an, eine interval-strukturierte Datenregistrierung durchzuführen. Bei geschickter Wahl der Registrierungsintervalle (bzw. Registrierungspunkte) können die Daten einer interval-strukturierten Registrierung fast genauso detailliert sein, wie jene einer kontinuierlichen Registrierung. 4.5.2 Interval-strukturierte Registrierung Eine Gliederung der Zeitachse (Abb. 4.7) in Registrierungspunkte oder Registrierungsintervalle ist häufig eine sinnvolle Alternative zur kontinuierlichen Datenregistrierung. Auf Basis dieser Strukturierung und eines geeigneten Intervalls kann Verhalten dann sehr gut quantifiziert werden. Die Intervalldauer muss selbstverständlich auf Basis von Vorbeobachtungen entsprechend der Fragestellung angepasst werden. Mit dieser Intervallstruktur können Daten im one-zero sampling (Ja-Nein Verfahren) erhoben werden, das heißt, man notiert an den Intervallgrenzen, ob das Verhalten in dem vorhergehenden Intervall aufgetreten ist (Abb. 4.7 und 4.8). Dieses Verfahren eignet sich besonders, wenn die Verhaltensmerkmale sich schlecht zählen lassen. Die Daten können auch im instantaneous sampling (Momentregistrierung) aufgenommen werden. Das heißt, man notiert an den Registrierungspunkten, ob das Verhalten in diesem Moment auftritt. Diese Methode eignet sich bei Verhaltensweisen, die länger andauern (als die Intervalle lang sind). Oft nimmt man mehrere verschiedene Verhaltensweisen auf, so dass sich die verschiedenen Methoden der Registrierung auch kombinieren lassen.
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4 Quantifizierung von Verhaltensabläufen
Abb. 4.7. Intervall-strukturierte Zeitskala. Beim one-zero sampling werden an den Registrierungspunkten Ereignisse registriert, die im vorhergehenden Intervall aufgetreten sind. Im instantaneous sampling werden die Ereignisse registriert, die genau an den Registrierungspunkten auftreten
Einer Datenregistrierung über eine intervall-strukturierte Zeitskala kommt eine wichtige Bedeutung zu, wenn die Daten nicht direkt mit einem Computer registriert werden. Bei der intervallskalierten Registrierung wird die Zeitachse vor Beginn der Untersuchung in zeitlich gleich große Intervalle vorstrukturiert. Auch wenn diese Strukturierung zunächst einfach umzusetzen wirkt, unterliegt die Wahl der Größe der Zeitintervalle besonderen Anforderungen, die sich meist nicht ohne weiteres ad hoc lösen lassen. Die Strukturierung der Datenaufnahme ist in der Praxis komplexer, als es hier in der Beschreibung erscheint. Entsprechend sollte sie gut durchdacht (und in einer Pilotphase überprüft) werden, da die Qualität und die Aussagekraft einer Studie von der Wahl der Intervallgrößen abhängen kann (Abb. 4.8). Werden die Intervalle zu klein gewählt, leidet die Qualität der Daten darunter, da zu wenig Zeit bleibt, das Verhalten innerhalb eines Intervalls zu erfassen und zu notieren. So schleichen sich auch Beobachtungs- oder Registrierungsfehler ein. Sind die Intervalle zu groß, geht Information in der zeitlichen Dynamik des Verhaltens verloren. Die Größe des zu wählenden Intervalls hängt vor allem von den zu registrierenden Verhaltensweisen, der Fragestellung und auch vom Geschick und der Übung des Beobachters ab. Die Größe des Registrierungsintervalls sollte in einer Pilotstudie getestet werden. Es zeigt sich erst in der Praxis, welche Intervallgröße am praktikabelsten und inhaltlich am geeignetsten ist.
4.5 Registrierungsmethoden
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Abb. 4.8. Vergleich verschiedener Registrierungsmethoden. Je nach der Dauer der Verhaltensweise relativ zur Intervalldauer, bilden die verschiedenen Methoden die zeitliche Dynamik des Verhaltens unterschiedlich ab. Das one zero sampling führt bei dieser Intervallstruktur dazu, dass das Verhalten als durchgehend präsent registriert würde. Die feine Zeitstruktur würde verloren gehen. Das instantaneous sampling ist sensibler für die Zeitstruktur, führt hier aber zu einer Unterschätzung der Verhaltenshäufigkeiten. (Nach Martin u. Bateson 1993)
Ob ein Verhalten nun mit einem instantaneous sampling oder aber mit einem one-zero sampling registriert wird, hängt auch von der Dauer ab, die die entsprechende Verhaltensweise in Relation zu der Intervalldauer hat (Abb. 4.8). Sehr kurz andauernde Verhaltensweisen wie ein Ruf, eine kurze Drohgebärde oder das Aufpicken eines Nahrungskornes, eignen sich nicht für eine Registrierung im instantaneous sampling. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Verhaltensweisen genau an der Intervallgrenze auftreten, ist sehr gering und damit die Wahrscheinlichkeit, das Verhalten unvollständig zu erfassen, groß. Auch bei einer Bestimmung von Zeitbudgets muss bedacht werden, dass Daten, die im instantaneous sampling erhoben wurden, nur dann sinnvoll sind, wenn die Intervalldauern kurz genug sind (Pöysä 1991). Kurz andauernde Verhaltensweisen ( Ereignisse; events) lassen sich besser im one-zero sampling registrieren. Verhalternsweisen, die in Relation zur Intervalldauern lange andauern (states), eignen sich eher für eine Registrierung im instantaneous sampling.
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4 Quantifizierung von Verhaltensabläufen
Abb. 4.9. Verhaltensweisen (graue Balken) verschiedener Dauer. Lang andauernde Verhaltensweisen (states; die beiden oberen Zeilen) werden besser im instantaneous sampling registriert. Kurze Verhaltensweisen (events; die beiden unteren Zeilen) werden besser im one-zero sampling registriert
Oft liegt die Stärke der Intervallregistrierung in der Kombination dieser beiden Verfahren (Abb. 4.9). Sind einige der zu beobachtenden Verhaltensweisen vergleichsweise lang andauernd, sollten sie eher im instantaneous sampling registriert werden, während die kurz andauernden Verhaltensweisen sich eher dazu eignen, im one-zero sampling registriert zu werden. 4.5.3 Ad libitum Registrierung Mit ad libitum Registrierung wird eine nicht speziell strukturierte Datenaufnahme bezeichnet. Hier werden Ereignisse nicht quantitativ notiert und sind daher in der Regel auch nicht für eine quantitative Datenauswertung zugänglich. Ad libitum Registrierung ist daher eine Methode, die andere, klar strukturierte Datenaufnahmeregeln, ergänzt. Auch kann eine ad libitum Registrierung bei Vorbeobachtungen sehr wichtig sein, wenn also noch nicht entschieden ist, welche Verhaltensweisen wie registriert werden sollen Ereignen sich während solcher klar strukturierten Datenerhebungssitzungen dann Ereignisse, die nicht in das Beobachtungsmuster eingeplant waren, kann es sinnvoll sein, diese Zusatzbeobachtungen zu notieren. Solche Zusatzbeobachtungen können für die Bewertung von Ergebnissen sehr wichtig sein. Sie sind aber auch vor allem für die Entwicklung weiterer Fragestellungen und die Planung weiterer Datenerhebungen von Bedeutung. Bei der Beobachtung von komplexen Verhaltensweisen und Interaktionen, bei denen wichtige Ereignisse selten und unvorhersehbar eintreten, können die ad libitum Zusatzbeobachtungen von besonderem Wert sein. Seltene Ereignisse wie die Reaktion auf einen unerwartet auftauchenden Raubfeind oder
4.5 Registrierungsmethoden
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Rivalen, können z. B. wichtige Einblicke in die Verhaltensprinzipien geben, die zum Grundverständnis des Verhaltens der Tierart beitragen. Auch wenn sich solche Beobachtungen nicht quantitativ auswerten lassen und auch unter Umständen zu selten sind, als dass sie sich zweifelsfrei interpretieren lassen, können sie zu einer Sensibilisierung des Beobachters für Verhaltensabläufe bei der beobachteten Tierart führen. Die gewonnene Information kann so in der Planung weiterer Projekte einfließen und zu einer Verfeinerung der Aufnahmemethoden beitragen. Wichtig bleibt allerdings, dass die ad libitum Beobachtungen in der Regel qualitativer Natur sind und entsprechend auch mit Zurückhaltung interpretiert werden sollten. Quantitative Registrierungsmethoden bilden den Kern verhaltensbiologischer Studien, die durch ad libitum Beobachtungen nur ergänzt, jedoch nicht ersetzt werden können.
4.5.4 Scan sampling und Behaviour sampling Werden Gruppen von Tieren beobachtet, müssen weitere Entscheidungen getroffen werden, wie die Beobachtungen registriert werden. Wird das Verhalten aller Tiere zu bestimmten Zeitpunkten registriert oder beobachtet man nacheinander jeweils nur ein Tier (Fokustier) (Kap. 4.5.4)? Bei der zeitgleichen Beobachtung mehrerer Tiere lässt sich im scan sampling Verfahren zu bestimmten Zeitpunkten (instantaneous sampling) das Verhalten von allen Tieren zeitgleich registrieren. Eine weitere Möglichkeit ist im behaviour sampling die Verhaltensweisen, die von Interesse sind, immer dann zu notieren, wenn sie auftreten. In der Praxis handelt es sich daher beim behaviour sampling letztendlich um ein one zero sampling, sowie beim scan sampling um ein instantaneous sampling beim dem die Daten von jeweils mehreren Tieren zeitgleich erfasst werden. 4.5.5 Fokustierbeobachtungen Fokustierbeobachtungen werden häufig eingesetzt, wenn das Verhalten von Tieren in einer Gruppe untersucht werden soll und es hierzu notwendig ist, ein ausgewähltes Tier nicht aus den Augen zu lassen. Dies kann dadurch begründet sein, dass verschiedene Tiere einer Gruppe sich an unterschiedlichen Orten aufhalten, so dass die Registrierung des Verhaltens eines bestimmten Tieres erfordert, ihm bei einer Ortsveränderung zu folgen. Auch kann die Fokustierbeobachtung sinnvoll sein, wenn das Tier
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4 Quantifizierung von Verhaltensabläufen
im Blick behalten werden muss, da es sonst in einer Gruppe von Tieren nicht wieder schnell genug identifiziert werden kann. Ist z. B. eine längere Beobachtung eines Tieres durch ein Fernglas notwendig, um seine Identität zu ermitteln, kann es sinnvoll sein, möglichst lange das Verhalten dieses Individuums aufzunehmen und erst anschließend, wenn das Tier aus den Augen verloren wurde, ein weiteres Tier auszuwählen. Der Vorteil von Fokustierbeobachtungen ist, dass das Verhalten eines Tieres, einschließlich seiner Sozialkontakte, deutlich differenzierter erfasst werden kann, als wenn das Verhalten mehrerer Tiere zu festgelegten Zeitintervallen registriert wird, da hier die Aufmerksamkeit des Beobachters über mehrere Tiere verteilt wird, und unter Umständen nicht alle Tiere zeitgleich sichtbar sind. In einer gut geplanten, über verschiedene Tageszeiten systematisch variierenden Auswahl verschiedener Fokustiere lassen sich so sehr differenzierte Einblicke in z. B. das Sozialverhalten von Primaten gewinnen, ein Forschungsfeld, in dem diese Methode aufgrund der Beweglichkeit der Tiere und den komplexen sozialen Interaktionen eine besondere Bedeutung hat (Altmann 1974; Damerose und Hopkins 2002). Probleme der Fokustiermethode liegen vor allem in der Standardisierung der Datenaufnahme in Bezug auf verschiedene Fokustiere, die zu verschiedenen Zeiten beobachtet werden. Die Fokustierbeobachtung ist grundsätzlich keine Registrierungsmethode, die alternativ zu den in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Registrierungsmethoden steht, sondern eine Beobachtungsweise, bei der die genannten Datenerhebungsmethoden eingesetzt werden können.
4.6 Zusammenfassung Verhalten als kontinuierlicher Prozess erfordert den Einsatz bestimmter Regeln bei der Datenaufnahme. Aufgrund der zeitlichen und strukturellen Komplexität von Verhalten muss entschieden werden, welche Verhaltensweisen warum registriert werden. Das heißt, es sollte zuerst entschieden werden, welchen Bezug welche Verhaltensweisen zur Fragestellung haben. Durch bestimmte Regeln kann dann eine Quantifizierung von Verhaltensabläufen erfolgen. Neben der klaren Definition von Verhaltensweisen, die auch durch andere Beobachter replizierbar sein sollten, sind die Regeln der zeitlich strukturierten Datenregistrierung von Bedeutung. Intervallstrukturierte Registrierungen sind weit verbreitet, da sie eine Reihe praktischer und methodischer Vorteile bieten und bei geschickter Wahl der Intervallgrößen ein auftretendes Verhalten angemessen abbilden können.
Weiterführende Literatur
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Weiterführende Literatur Altmann J (1974) Observational study of behavior: sampling methods. Behaviour 49:227–267 Fagen RM, Young DY (1978) Temporal patterns of behavior: durations intervals, latencies, and sequences. In: Colgan PW (ed) Quantitative Ethology. John Wiley & sons, New York Martin P, Bateson P (1993) Measuring behaviour: an introductory guide, 2nd edn. Cambridge Univ Press, Cambridge, UK Pöysä H (1991) Measuring time budgets with instantaneous sampling: a cautionary note. Animal Behaviour 42:317–318 Sibly RM, Nott HMR, Fletcher DJ (1990) Splitting behaviour into bouts. Animal Behaviour 39:63–69 Slater PJB, Lester NP (1982) Minimising errors in splitting behaviour into bouts. Behaviour 79:153–161
5 Weiterführende Aspekte und Methoden
5.1 Arbeiten mit individuell erkennbaren Tieren Für viele Fragestellungen ist es eine Grundvoraussetzung, dass sich die beobachteten Tiere individuell unterscheiden lassen. Hierfür werden in der Verhaltensbiologie eine Reihe natürlicher, sowie vom Forscher am Tier angebrachter Merkmale verwendet. Da die Markierung von Tieren vor allem im Freiland meist aufwendig oder unmöglich ist, kommt natürlichen individuellen Merkmalen eine wichtige Funktion zu. Während dies bei Primaten, Meeressäugern und Kleinsäugern mit individuellen Haut- oder Fellmerkmalen häufig ausreichend zur Individualerkennung sein kann, kommt der gezielten Markierung von Tieren dennoch eine besondere Bedeutung zu. 5.1.1 Natürliche Merkmale zur Individualerkennung Natürliche Merkmale von Tieren erscheinen zunächst als die geeignetste Methode der Individualerkennung. Die Tiere müssen hierzu weder gefangen, noch mit Markierungen versehen werden, die das Verhalten des markierten Tieres oder der Gruppenmitglieder beeinflussen könnten. Bei einigen Tierarten bieten sich natürliche Merkmale zur Identifizierung an, während es bei anderen Tieren praktisch unmöglich ist, Individuen ohne spezielle Markierungen verlässlich zu unterscheiden. Vor allem bei Säugetieren, die individuelle Fellmuster aufweisen, können Tiere mit entsprechender Übung oft verlässlich individuell erkannt werden (Bateson 1977; Hofer u. East 1993). Bei Meerssäugern werden z. B. auch Merkmale wie Verletzungen an den Flossen zur Individualerkennung durch Beobachter eingesetzt (Wilson et al. 1997). Verlässt man sich ausschließlich auf natürliche Merkmale, stößt man zumindest in Langzeitstudien oder in Studien an großen Tiergruppen an Grenzen. Auch kann eine reine visuelle Erkennung dazu führen, dass nur wenige, sehr erfahrene Personen in der Lage sind, die Tiere zuverlässig wieder zu erkennen. Neu hinzukommende Beobachter, wie z. B. Feldassistenten, können die erforderlichen Aufgaben möglicherweise nur begrenzt
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5 Weiterführende Aspekte und Methoden
leisten. Dies kann zur Folge haben, dass zum einen die Daten durch andere nicht verifizierbar sind, oder dass neue Projektmitarbeiter eine lange Einarbeitungsphase benötigen. Die reine Zuordnung über individuelle Merkmale kann so im zeitlichen Verlauf einer Studie erschwert werden. Insbesondere dann, wenn Tiere hinzukommen, die in bestimmten Merkmalen anderen Tieren ähnlich sind, steigt das Verwechslungsrisiko. Aus diesem Grund ist eine zusätzliche individuelle Markierung häufig sinnvoll. 5.1.2 Markierungsmethoden Die Markierungsmethoden sind vielfältig und variieren mit der Tierart und mit den Fragestellungen (Tabelle 5.1). Bevor entschieden wird, ob und wie ein Tier markiert wird, sollten eine Reihe von Kriterien bedacht werden. Was ist das Ziel der Markierung? Wie deutlich muss die Markierung sein? Über welchen Zeitraum soll eine Markierung halten? Müssen einzelne Individuen identifizierbar sein oder reicht es, sie speziellen Gruppen zuzuordnen? Tabelle 5.1. Gängige Markierungsmethoden und Tiergruppen Markierungsmethode Nummerierte (Aluminium-) Ringe Farbringe Flügelmarken Brandmarkierungen Farbmarkierungen Ohrmarken Fellschnitte Transponder Radiosender Elastomere
Tierart
Vorteil
Vögel
Dauerhaft
Nachteil
Nicht von weitem ablesbar Vögel Dauerhaft, meist von Begrenzte Zahl von weitem erkennbar Kombinationen Vögel Gut sichtbar u. U. störend für die Tiere Säuger Dauerhaft Schmerzhaft, Entzündungen möglich Viele Gut erkennbar u. U. störend für die Tiere, nicht dauerhaft Tiergruppen Säuger Dauerhaft Nicht von weitem ablesbar Säuger Geringe Belastung Nicht dauerhaft Viele Dauerhaft Kurze Reichweite Tiergruppen Viele Grosse Reichweite Limitierte Zeitdauer, Tiergruppen hohe Kosten Fische Gut erkennbar Begrenzte Zahl an Farbkombinationen
5.1 Arbeiten mit individuell erkennbaren Tieren
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Tiere, die in Langzeitstudien beobachtet werden, werden oft permanent individuell markiert. Hier, wie auch bei kurzfristigen Markierungen, sollte darauf geachtet werden, dass die Markierungen das Tier nicht behindern und dass sie vom Tier selbst oder von anderen Tieren nicht entfernt oder manipuliert werden können. Das heißt, die Markierungen sollten verhaltensneutral sein. Bei Vögeln sind Standardmarkierungen silberne und farbige Stahl-, Aluminium- oder Plastikringe an den Beinen, sowie Flügelmarken. Bei Insekten werden oft kleine Farbmarkierungen auf dem Thorax aufgebracht (s. auch Kap. 7.3), während bei Ratten oder Mäusen im Labor häufig durch Stanzen von Ohrlöchern individuelle Markierungen gesetzt werden. Bei Kleinsäugern im Freiland werden dagegen eher nummerierte Ohrmarken eingesetzt. Andere Markierungsmethoden sind der Einsatz von Transpondern (kleine passive Sender, deren Nummerncode über Lesegeräte aus der Nähe erfasst werden kann) oder von Funksendern, über die Tiere individuell aus der Entfernung lokalisiert und bestimmt werden können. Transponder werden permanent unter die Haut implantiert und bleiben über Jahre funktionsfähig. Funksender werden außen am Tier angebracht, haben aber durch ihren Batteriebetrieb nur eine begrenzte ‚Lebensdauerǥ. Jede Markierungsmethode hat Vor- und Nachteile. Pauschal kann keine der möglichen Markierungsmethoden als die geeignetste bezeichnet werden. Eine Methode sollte immer so ausgewählt werden, dass sie Tier und Datenaufnahme möglichst gering beeinflusst. Ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung, wie ein Tier zu markieren ist, ist die Haltbarkeit der Markierung sowie die Sichtbarkeit während der Beobachtung. Reicht es aus, das Tier nur beim Fangen zu identifizieren, können unauffälligere Markierungen eingesetzt werden, als wenn die Markierung während der Beobachtung erkennbar sein muss. Gut sichtbare Markierungen können unerwünschte Effekte im Sozialverhalten von Tieren zur Folge haben und sollten nur eingesetzt werden, wenn diese bekanntermaßen ausgeschlossen werden können oder nicht wesentlich erscheinen. Bei Königspinguinen (Aptenodytes patagonicus) konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Jungtiere mit Flügelmarken eine ca. halb so große Überlebenswahrscheinlichkeit hatten, wie Jungtiere, die mit subcutanen Transpondern markiert waren. Auch der Bruterfolg adulter, mit Flügelmarken markierter Tiere war deutlich geringer als der von mit Transpondern versehenen Tieren (Gauthier-Clerc et al. 2004). Es gibt auch eine Reihe von anderen Studien, vor allem an Eulen und Wildhühnern (Burger Jr. et al. 1991; Paton et al. 1991), die zeigen, dass sich große Funksender
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5 Weiterführende Aspekte und Methoden
negativ auf die Überlebenswahrscheinlichkeiten der Tiere auswirken können. Solche Effekte ließen sich jedoch nicht bei Singvögeln mit leichteren Sendern nachweisen (Neudorf u. Pitcher 1997). Der Einsatz von kleinen subcutanen Transpondern kann eine vergleichsweise elegante Methode der Tiermarkierung sein, da die Markierung weder das Tier stört (was je nach Tierart überprüft werden muss), noch für andere Tiere sichtbar ist. Dadurch beeinflusst der Transponder das Verhalten anderer Tiere in Bezug auf das markierte Tier nicht. Transponder sind passive Sender, die erst durch das Feld von Lesegeräten aktiviert werden, wodurch sie, anders als Radiosender, keinen nennenswerten Energieverbrauch haben. Transponder haben den weiteren Vorteil, dass sie, wie auch die in der Vogelberingung eingesetzten Aluminiumringe, einen eindeutigen Zahlencode haben. Damit kann eine Markierung von großen Tierzahlen erfolgen, die auch gewährleistet, dass die individuelle Markierung über große Zeiträume Bestand hat (Kap. 7.7). Die Nachteile des Einsatzes von Transpondern sind, dass sie nicht für alle Tierarten in Frage kommen, da sie nicht angebracht werden können oder aufgrund der geringen Reichweite des Signals nicht praktikabel sind. Transponder eignen sich daher gut für Laborstudien z. B. an Kleinsäugern, bei denen die Codes mit einem Lesegerät aus kurzer Entfernung erfasst werden können. Bei höhlenlebenden Tieren kommen Transponder ebenfalls zum Einsatz. So lässt sich beispielsweise bei höhlenbrütenden Pinguinen von außen bestimmen, welche Tiere in der Höhle sind. Über eine automatische Registrierungseinrichtung können so automatisiert Daten zur Höhlennutzung gewonnen werden (Waas 2006). Ein Implantieren von Transpondern (z. B. bei Kleinsäugern) kann eine Betäubung der Tiere erfordern, so dass wie bei allen Markierungsmethoden, abgewogen werden muss, ob der verbundene Eingriff sich wissenschaftlich rechtfertigen lässt (Kap. 5.3). Die in der Vogelberingung eingesetzten Aluminium- oder Farbringe haben den Transpondern ähnliche Vor- und Nachteile. Die Tiere müssen zunächst gefangen werden. Mit Übung und Geduld können Farbringe dann aus der Entfernung (Ferngläser, Spektive) abgelesen werden. Weiterhin gibt es keine Hinweise darauf, dass gut angebrachte Beinringe sich nachteilig auf die Vögel auswirken. Bei dem Einsatz von Farbringen ist allerdings zu berücksichtigen, dass es Laborstudien an australischen Zebrafinken gibt, die zeigen, dass bestimmte Ringfarben sich auf die Attraktivität des Ringträgers auswirken können (Burley et al. 1982; Gil et al. 1999). Es ist jedoch nicht bekannt (und auch bisher nicht untersucht), ob es sich hierbei um einen allgemeinen Effekt handelt, der auch für andere Vogelarten gilt und der im Freiland von Bedeutung ist. Gerade deswegen ist es sinnvoll, bei dem Einsatz von Farbringen zu bedenken, dass die Farbkombinationen, die eingesetzt werden, über die verschiedenen zu untersuchenden Tiere randomisiert
5.1 Arbeiten mit individuell erkennbaren Tieren
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werden. Dadurch können mögliche Änderungen im Verhalten eines Tieres oder in seiner Attraktivität sich nicht einseitig auf eine Versuchsgruppe auswirken. Bei größeren Vögeln hat der Einsatz von Flügelmarken (oder Halsringen bei Schwänen) den Vorteil gegenüber den Beinringen, dass sie besser sichtbar sind. Ein mögliches Problem von Flügelmarken kann jedoch sein, dass sie durch ihre Auffälligkeit Auswirkungen auf das Verhalten der Artgenossen gegenüber dem Markierten haben. Markierungen können dazu führen, dass Artgenossen diese ‚bearbeitenǥ, wodurch zum einen die Markierungen abfallen können, oder aber das markierte Tier verletzt werden könnte. Grundsätzlich sind Markierungen, die zu messbaren Verhaltensänderungen der Tiere führen, zu vermeiden. Eine weitere individuelle Markierungsmethode ist der Einsatz von Radio- oder Satellitensendern mit denen auch die räumlichen Bewegungen der Tiere erfasst werden können. Radiosender eignen sich bei Tieren in dichten Habitaten, in denen eine direkte Beobachtung nur begrenzt möglich ist oder auch bei nachtaktiven Tieren. Satellitentelemetrie wird speziell bei großräumigen Tierwanderungen, beispielsweise beim Vogelzug, eingesetzt. Da vor allem die Sender für die Radiotelemetrie nur eine begrenzte Aktivitätsdauer haben, werden mit Sendern versehene Tiere meist zusätzlich mit dauerhafteren Markierungen versehen (Kap. 7.7, 7.8 und 7.9). 5.1.3 Benennung von Tieren Besonders bei Studien an höher entwickelten Wirbeltieren gibt es die Neigung, die Tiere mit Namen aus dem menschlichen Sprachgebrauch zu benennen. Diese Vorgehensweise ist vor allem bei langlebigen Tieren in Zoos oder in Forschungsinstituten üblich. Grundsätzlich steht dem Forscher frei, wie Tiere benannt werden, denn die Ergebnisse einer Studien sollten unabhängig davon sein, ob die Tier mit Zahlen oder Buchstabencodes, Farbmarkierungen oder menschlichen Namen benannt werden. Namen können z. T. den Vorteil haben, dass sie sich besser merken lassen, als Farb- oder Nummerncodes. Auf der anderen Seite sollten Namen nicht ganz unbedacht gewählt werden. Namen, mit denen man selbst bestimmte soziale Erfahrungen verknüpft, können möglicherweise auch eine Voreingenommenheit oder Erwartungshaltung erzeugen. Daher ist eine Bezeichnung von Tieren über neutrale Codes oft wissenschaftlicher, da mit den
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5 Weiterführende Aspekte und Methoden
Codes selbst keine subjektiven Einschätzungen verknüpft sind. In Datenbanken lassen sich bei Zahlen oder Buchstabencodes auch besser Alter oder Verwandtschaftsverhältnisse verschlüsseln, was bei einer Datenauswertung vorteilhaft sein kann. Deshalb ist zu empfehlen, Namen nur dort einzusetzen, wo die Tiere bereits von anderen benannt wurden, ein solches Bezeichnungssystem bereits etabliert ist oder andere spezielle Gründe für die Verwendung von Namen sprechen.
5.2 Tierhaltung Wenn Verhaltensuntersuchungen unter Laborbedingungen durchgeführt werden, ist es notwendig, Tiere in Käfigen, Aquarien, Terrarien, Ställen oder Volieren zu halten. Bei der Tierhaltung gibt es viele Aspekte zu berücksichtigen, um das Wohl der Tiere und das Gelingen der Versuche zu gewährleisten (Abb. 5.1). An die Tierhaltung werden in Deutschland wie auch in anderen Ländern besondere Anforderungen gestellt. Das Tierschutzgesetz1 (§2) verlangt von der Tierhaltung, dass sich ein Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren und pflegen kann sowie verhaltensgerecht untergebracht wird. Die Tierhaltung darf die Möglichkeit der Tiere zu artgemäßer Bewegung nicht so sehr einschränken, dass dem Tier Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Bei der Planung und Unterhaltung der Tierhaltung gilt es verschiedene Interessenfelder zu vereinen. Zuerst muss dabei zwischen einer Standardtierhaltung, in der Tiere langfristig gehalten werden und kurzfristigen Änderungen in der Haltung zu Versuchszwecken unterschieden werden. Neben den versuchsbedingten Ansprüchen an die Haltung spielt bei der langfristigen Tierhaltung auch die Praktikabilität sowie gute Versorgungsmöglichkeiten eine wichtige Rolle. Weiterhin haben die Versuchstiere selber einen Anspruch an die Haltungsbedingungen, den sie uns nicht direkt mitteilen können. Um eine angemessene Tierhaltung gewährleisten zu können, sollten die Ansprüche aller drei Interessenfelder zu einem möglichst guten Kompromiss vereint werden (Abb. 5.1). Man kann hier keine Patentlösung für eine optimale Tierhaltung geben, da die Ansprüche von der Tierart, den jeweiligen räumlichen und personellen Rahmenbedingungen und Ansprüchen durch das Versuchsdesign abhängen. Wichtig ist es daher, im Einzelfall abzuschätzen, wie die Tierhaltung im Rahmen dieser Anforderungen optimiert werden kann. Entsprechend sollte der Einsatz von Haltungssystemen begründet sein, die für die Tiere stark 1
http://www.gesetze-im-internet.de/tierschg/index.html
5.2 Tierhaltung
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Abb. 5.1. Ansprüche an eine Tierhaltung als Kompromiss von drei verschiedenen Interessenfeldern
einschränkend sind oder so aufwendig und teuer sind, dass sie sehr viele Ressourcen binden. Solche Gesichtspunkte sollten letztendlich bereits bei der Wahl der Tierart für eine wissenschaftliche Studie in Betracht gezogen werden. Die Haltungsbedingungen, unter denen Tiere dauerhaft gehalten werden, unterscheiden sich häufig auch von den Bedingungen innerhalb spezieller Versuchsaufbauten. Werden Tiere nur kurzfristig zu Versuchszwecken restriktiver gehalten, um bestimmte Daten erheben zu können, ist dies anders zu bewerten, als wenn Tiere dauerhaft restriktiert gehalten
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5 Weiterführende Aspekte und Methoden
werden. Bei Verhaltensstudien, bei denen es darauf ankommt, dass die Tiere sich möglichst ‚stressfreiǥ bewegen können, wie z. B. bei Wahlversuchen, sollte bei der Haltung berücksichtigt werden, dass der Fang und das Umsetzen von Tieren in andere sozialen Gruppen oder in eine für die Datenerhebung notwendige Einzelhaltung einen Stressfaktor darstellen kann (Sachser 2003; Kaiser u. Sachser 2005). Entsprechend sollte im Vorfeld abgeschätzt werden, wie lange ein Tier als Eingewöhnungszeit in die neue Haltungsbedingung benötigt, um eine für den Versuch ausreichende Aktivität zeigen zu können.
5.3 Ethische Aspekte beim Arbeiten mit Tieren Das Arbeiten mit Tieren ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, bei der vom Experimentator ein respektvoller und schonender Umgang mit den Tieren im Versuch erwartet werden muss (Dawkins 1980; Bateson 2005; Dawkins 2006). Im deutschen Tierschutzgesetz (§1) wird dies ausgedrückt durch: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ (TierSchG §1). Auf rechtlicher Ebene unterscheidet man zwischen genehmigungspflichtigen Tierversuchen, lediglich anzeigepflichtigen Tierversuchen und Studien an Tieren, die nicht unter das Tierschutzgesetz fallen. Wichtig ist, bereits im Vorfeld zu klären, ob spezielle Genehmigungen notwendig sind. Da behördliche Genehmigungsverfahren eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen können, sollte ein Genehmigungsantrag entsprechend langfristig vor dem geplanten Versuchsbeginn gestellt werden. Prinzipiell sollte man bedenken, dass jeder, der Tierversuche gemäß der Definition im Tierschutzgesetz (§7) durchführen möchte, diese durch die jeweils zuständige Behörde genehmigen lassen muss. Tierversuche beginnen entsprechend der Richtlinien bereits bei vergleichsweise leichten invasiven Eingriffen, wie dem Abnehmen von Blut zu wissenschaftlichen und nicht zu medizinisch-diagnostischen Zwecken. Versuche an wirbellosen Tieren sowie nicht-invasive Versuche bei Wirbeltieren sind in der Regel nicht genehmigungspflichtig. Im Zweifelsfall sollte man sich bei den zuständigen Behörden erkundigen.
5.3 Ethische Aspekte beim Arbeiten mit Tieren
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Besonders bei invasiven Tierversuchen stellen sich Fragen nach der ethischen Vertretbarkeit. Überlegungen zur ethischen Vertretbarkeit der eigenen Tierversuche sollten nicht nur als „Pflichtaufgabe“ zur Tierversuchsantragsstellung gesehen werden, sondern auch dazu dienen, abzuwägen, ob der eigene Versuch richtig geplant ist: Wie viele Versuchstiere sind wirklich nötig? Lassen sich bessere und schonendere Methoden einsetzen? Was ist der Erkenntnisgewinn der Untersuchung, und steht dieser im Verhältnis zum Tierversuch? Diese Überlegungen sind wichtig, um der ethischen Verpflichtung gegenüber dem Tier nachzukommen und auch um Untersuchungen gegenüber der Gesellschaft rechtfertigen zu können. Bei solchen Überlegungen, und um ethischen Ansprüchen zu genügen, gilt vor allem bei medizinisch-pharmakologischen Versuchen das Prinzip der drei „R’s“ von Russel und Burch zu berücksichtigen (Russell u. Burch 1959). Das Prinzip der drei „R’s“ hat zum Ziel eine Reduzierung der Individuen (Reduction), Verfeinerung der Methodik (Refinement) und Entwicklung und Benutzung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden (Replacement) von Tierversuchen und deren Methoden zu fördern (Abb. 5.2). Trotz der grundsätzlichen Bedeutung der drei „R’s“, gelten sie bei verhaltensbiologischen Versuchen nicht immer in gleicher Weise: Dies gilt beispielsweise, wenn die Suche nach anderen Organismen als Forschungsmodell keine Alternative darstellt, weil das Verhalten einer speziellen Tierart untersucht werden soll. Hier kann sogar ein Konflikt entstehen, wenn die Gesetzgebung sehr stark auf den medizinisch-pharmakologischen Bereich, also stark angewandten Bereich, ausgelegt ist. Entsprechend können für das verhaltensbiologische Arbeiten mit und an Tieren stringente Regelungen zur Anwendung kommen, die ursprünglich nicht für verhaltensbiologische Grundlagenforschung konzipiert sind. Nichtsdestotrotz muss es vor allem bei Versuchen, die den
Abb. 5.2. Prinzip der drei „R’s“ nach Russel und Burch (1959) in Tierversuchen
100 5 Weiterführende Aspekte und Methoden
Tieren messbare Schmerzen zufügen, das Ziel sein, die Anzahl der betroffenen Versuchstiere auf eine Minimum zu reduzieren (Ruxton 1998), sowie die Kosten für das Tier mit dem zu erwartenden wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn verantwortungsvoll abzuwägen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass bei der Durchführung von Tierversuchen der Versuch ethisch zu rechtfertigen sein muss. Es sollte sorgsam zwischen den zu erwartenden Schmerzen, Schäden und Leiden der Versuchstiere und den daraus resultierenden Ergebnissen, dem Erkenntnisgewinn und ihrer Bedeutung für den wissenschaftlichen Fortschritt abgewogen werden.
5.4 Technische Hilfsmittel Der Einsatz von technischen Hilfsmitteln ist in modernen verhaltensbiologischen Studien Teil eines nicht mehr wegzudenkenden Standards. Dabei kann man verschiedene Arten des Einsatzes von technischen Hilfsmitteln voneinander unterscheiden. Einerseits kann ein Computer dazu genutzt werden, Verhaltensbeobachtungen manuell zu registrieren. In diesem Fall ersetzt der Computer mit der geeigneten Software den Notizblock und stellt damit im Wesentlichen eine Arbeitserleichterung dar, die auch zu einer differenzierteren Datenregistrierung führen kann. Andere technische Hilfsmittel sind Voraussetzung dafür, dass ein Verhalten überhaupt erfasst und einer Analyse zugänglich gemacht werden kann. Hierzu gehören Audio- und Videogeräte, Datalogger oder auch Funksender (Kap. 7.7). Solche und andere automatische Registrierungsgeräte haben den Vorteil, dass sie größere Datenmengen differenzierter erfassen können, als es ein einzelner Beobachter könnte. Sie reduzieren auch die Wahrscheinlichkeit, dass subjektive oder beobachterspezifische Effekte mit in die Datenregistrierung einfließen. Darüber hinaus stellen automatische Registrierungsgeräte unter Umständen die einzige Möglichkeit dar, Verhaltensdaten eines Tieres zu erfassen. Hierzu gehören neben den bereits genannten Geräten, deren Einsatz automatisiert werden kann, auch Lichtschranken, mit denen automatisch Aktivitäten registriert werden können (Kap. 7.6). So genannte Datalogger, die am Tier angebracht werden, ermöglichen es automatisch in bestimmten Zeitintervallen Messdaten wie Aktivität, Herzschlag, Temperatur und andere Parameter aufzeichnen und zu speichern (Horning u. Trillmich 1999; Schrader u. Ladewig 1999). Satellitentelemetrie ermöglicht es, automatisch die Langstreckenwanderungen von Tieren zu verfolgen (Bairlein 2003; Berthold et al. 2004; Wallraff 2004; Pennisi 2005; Lake et al. 2006). Bei physiologischen Messungen kommt man in den Überlappungsbereich von Tierphysiologie und Verhaltensbiologie, der
5.4 Technische Hilfsmittel 101
in diesem Rahmen nicht umfassend behandelt werden kann. Bei speziellem Interesse sollten hier daher Lehrbücher der Tierphysiologie herangezogen werden. Weitere technische Hilfsmittel sind der Einsatz von beweglichen Attrappen (Balsby u. Dabelsteen 2002; Patricelli et al. 2006), sowie der im folgenden beschriebene Einsatz von Audio- und Videogeräten mit der entsprechenden Datenanalysesoftware. 5.4.1 Aufnahme und Analyse akustischer Daten (Bioakustik) Viele Tierarten setzen in der Kommunikation akustische Signale ein (Naguib 2006). Akustische Signale spielen neben dem speziellen Kontext der Echoortung (Neuweiler 1993; Siemers u. Schnitzler 2004; Jones u. Teeling 2006), eine besondere Rolle im Sozialverhalten. Sie sind oft wichtig in der Anwerbung und Verteidigung von Ressourcen, wie Revieren und Paarungspartnern (Todt u. Naguib 2000; Gerhardt u. Huber 2002), der Artabgrenzung und möglicherweise der Artbildung (Podos 2001), dem Feindvermeidungsverhalten (Naguib et al. 1999; Fichtel u. Kappeler 2002), der Nahrungssuche (Janik 2000), sowie der Eltern-Kind Kommunikation (Trillmich 1981; Kober et al. 2007), um nur einige Kontexte zu nennen. Akustische Signale eigenen sich in besonderer Weise, Verhalten auf den verschiedenen Ebenen – der Entwicklung, den Mechanismen, der Funktion und der Evolution – zu untersuchen. Daher stellen bioakustische Arbeiten auch viele der Lehrbuchbeispiele dar, an denen grundlegende biologische und verhaltensbiologische Prinzipien erläutert werden (Barnard 2004; Alcock 2005; Kappeler 2006). Akustische Signale lassen sich in der Regel gut mit Hilfe einer Audioausrüstung registrieren. Die Bioakustik verfügt inzwischen über eine Reihe von Standardmethoden der Datenaufnahme und Analyse. Die Aufnahme der Vokalisationen mit Audiogeräten ermöglicht eine anschließende differenziertere Analyse der Zeitstruktur und der phonologischen Merkmale. Darüber hinaus wird das Vorspiel von Lauten (Playbackexperimente) in vielen taxonomischen Tiergruppen als eine wichtige Methode eingesetzt, um Einblicke in Verhaltensmechanismen sowie von Verhaltensfunktionenund -evolution zu erhalten (Kap. 7.5). Der Einsatz von Audiogeräten setzt einige Grundkenntnisse der Akustik, speziell der Bioakustik voraus. Tiere haben zum Teil andere Wahrnehmungsschwellen als wir, andere Hörbereiche, und andere Perzeptionsleistungen, so dass die Aufnahme, Analyse und auch das Vorspiel von akustischen Signalen in Playbackversuchen entsprechend einiger Grundregeln erfolgen sollte. Technische Verfahren, die speziell an das menschliche Gehör angepasst sind, wie mp3-Konvertierungen, sind in der Bioakustik zu
102 5 Weiterführende Aspekte und Methoden
vermeiden, da in der Regel nicht zu erfassen ist, wie die zugrunde liegenden Datenkompressionen sich auf die Signalbewertung durch das Tier auswirken kann. Digitale Aufnahmen, die immer mehr zum Standard werden, haben den Vorteil, dass die aufgenommen Signale zeiteffektiv und ohne Qualitätsverlust auf den Computer übertragen werden können. Darüber hinaus können Aufnahmevorgänge automatisiert werden. Weiterhin ist die Aufnahmedauer digitaler Medien nicht so begrenzt wie bei Audiokassetten. Dennoch werden Audiokassetten derzeit weiterhin vor allem in Freilandstudien eingesetzt, wobei langfristig zu erwarten ist, dass diese Technik mehr und mehr von den zukunftsweisenden digitalen Medien ersetzt wird. Bei der Auswahl der Aufnahmegeräte ist neben den Anforderungen an den Einsatzbereich (Tabelle 5.2) vor allem darauf zu achten, dass der Eingangspegel manuell regulierbar ist, und diese Funktion tatsächlich auch aktiviert ist. Eine automatische Regulierung des Eingangspegels, wie sie von einfachen Geräten vorgenommen wird, kann dazu führen, dass die Lautstärkestruktur der aufzunehmenden Laute verändert wird. Dies kann zu fehlerhaften Analysen führen, wenn Lautstärkeschwellwerte bei der Berechnung der phonologischen Einheiten verwendet werden. Absolute wie auch relative Lautstärken können nämlich in der Bewertung und der Erkennung von Signalen bedeutsam sein (Klump 1996; Naguib u. Wiley 2001; Forstmeier et al. 2002; Brumm u. Slabbekoorn 2005). Bei Audioaufnahmen stellt vor allem im Freiland das Hintergrundrauschen ein Problem dar. Um die Qualität von Aufnahmen abzuschätzen, ist es ratsam, sich die ersten Aufnahmen am Computer anzusehen, um abzuschätzen, ob die Qualität für die gewünschten Zwecke ausreicht. Hintergrundrauschen kann störend sein, wenn eine differenzierte Parameteranalyse erfolgen soll oder auch, wenn die Aufnahmen für Playbackexperimente eingesetzt werden. Tiere reagieren oft sensibel auf verrauschte Aufnahmen (Klump 1996; Brumm u. Slabbekoorn 2005), und Aufnahmen die aus großer Entfernung erstellt wurden, enthalten darüber hinaus Entfernungsinformation, die die Reaktion von Tieren beeinflussen kann (Wiley u. Richards 1978; Naguib 1995; Naguib u. Wiley 2001). Für die Analyse von akustischen Signalen stehen eine Reihe von Computerprogrammen zur Verfügung, von denen viele durch eine einfache Menüsteuerung ausgezeichnet sind. Dies macht die akustische Analyse vergleichsweise leicht zugänglich. Allerdings sollte nicht blind auf vorgegebene Routinen in Computerprogrammen vertraut werden, da sich die Einstellungen bei der Signaldigitalisierung und der Klangspektrogrammberechnung auf die Datenstruktur auswirken. Daher sollte man sich vor einer Analyse mit den Konsequenzen von Grundeinstellungen wie der Digitalisierungsrate (sampling rate) und bei der Klangspektrogrammberechnung mit den entsprechenden Einstellungen vertraut machen.
5.4 Technische Hilfsmittel 103 Tabelle 5.2. Vor- und Nachteile verschiedener Audioaufnahmegeräte Aufnahmegerät Digitalrekorder
PC / Notebook
Herkömmliche Kassetten
Vorteile Lange Aufnahmen möglich, Aufnahmen direkt digital verfügbar Aufnahme direkt verfügbar, große Speicherkapazität; ideal für Laboraufnahmen Robust, Freilandtauglich
Nachteile Langfristige Archivierung abhängig von Entwicklung der digitalen Medien Im Freiland bedingt einsetzbar
Bandrauschen; begrenzte Aufnahmedauer, begrenzte Lagerung
Akustische Signale können mit Hilfe spezieller Software in verschiedenster Weise dargestellt und einzelne Parameter berechnet und statistisch ausgewertet werden. Die wichtigsten Parameter akustischer Signale sind die Amplitude (Lautstärke; in dB gemessen), die Frequenz (Tonhöhe; Anzahl Schwingungen/sec; in Hertz gemessen) sowie die Zeitstruktur. Übliche Darstellungen sind einerseits das Oszillogramm oder die Hüllkurve, in der die Lautstärke über die Zeit aufgetragen ist, ohne dass erkennbar wird, welche Frequenzstruktur der Laut hat (Abb. 5.1). Diese Darstellung kann zur Vermessung von zeitlichen Parametern eines Lautes wichtig sein. Darüber hinaus lassen sich über eine so genannte Fast–Fourier–Transformation (FFT) die einzelnen Frequenzen in einem bestimmten Zeitfenster zerlegen (wie es auch in unserem Ohr erfolgt). Viele aufeinander folgende FFTs führen dann zu einem Sonagramm, in dem die Frequenzstruktur über die Zeit dargestellt ist (Abb. 5.3). Die Lautstärke der einzelnen Frequenzen ist in Graustufen dargestellt. Sonagramme sind die gängigste Darstellung von Signalen und für den Menschen die zugänglichste, um Laute im Detail zu untersuchen. Kommerziell oder auch frei erhältliche Computerprogramme ermöglichen, eine Vielzahl akustischer Parameter automatisch zu messen (Schrader u. Hammerschmidt 1997; Tchernichovski et al. 2000). Solche Programme haben den Vorteil gegenüber der rein visuellen sonagraphischen Analyse, dass sie eine enorme Zeitersparnis darstellen können, sowie Laute differenziert und replizierbar quantifizieren. Allerdings sollten solche automatisierten Analysen nicht bedenkenlos eingesetzt werden, denn eine automatisierte Vermessung kommt nicht zwingenderweise auch zu biologisch sinnvollen Aussagen (Janik 1999). Zum einen wird die Interpretation bei einer Vielzahl von berechneten Parametern schwierig, wenn keine spezielle Hypothese in Bezug auf die Einzelparameter vorliegt. In diesem Fall sollte bei der statistischen Auswertung vermieden werden, dass bei einer Vielzahl von Einzelmessungen zufällig auftretende Signifikanzen überinterpretiert
104 5 Weiterführende Aspekte und Methoden
Abb. 5.3a–f. Oszillogramme (jeweils oben) und Klangspektrogramme (jeweils unten) verschiedener Tierlaute. a Feldheuschreckengesang (Biguttulus chortippus), b Nachtigallengesang (Luscinia megarhynchos), c Rufe vom Karolina-Laubfrosch (Hyala cinera), d Signaturpfiffe von 2 Delfinen (Tursios truncatus), e Hausschwein (Sus srcofa), f Berberaffenweibchen und Jungtiere (Macaca sylvanus). Die Y-Achsen haben z.T verschiedene Skalierungen. Entsprechend der sehr unterschiedlichen Lautstrukturen sind jeweils verschiedene Parameter am geeignetsten, um die Laute zu charakterisieren und anhand von Parametern zu quantifizieren. Sehr tonale Laute wie die Signaturpfiffe bei Delfinen lassen sich bereits am sonagraphischen Bild gut verschiedenen Lauttypen zuordnen, während dies bei stärker gradierenden Lauten wie beim Schwein oder bei Berberaffen deutlich schwieriger ist
werden. Hier werden daher meist Verfahren zur Datenreduktion und Korrekturen für multiple Tests eingesetzt (Kap. 6). Zum anderen können Computerprogramme zum Teil schlechter zwischen Laut und Hintergrundrauschen unterscheiden als das menschliche Ohr. Auch ist die automatisierte Analyse nicht zwingend besser als die visuelle Mustererkennung beim
5.4 Technische Hilfsmittel 105
Menschen, die auch heute noch eine wichtige Rolle in der Lautkategorisierung anhand von Klangspektrogrammen spielt. Bei der Interpretation von Unterschieden, die durch eine Analyse akustischer Signale aufgezeigt werden, ist es letztendlich auch sinnvoll, die Eigenschaften der Lautproduktion sowie die Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeiten der betroffenen Tierart zu berücksichtigen. Aus der reinen Analyse lässt sich nicht schließen, ob Unterschiede bedeutungsvoll sind, wenn die Reaktion von Empfängern auf Laute nicht überprüft wird. Selbst bei nicht nachweisbaren Unterschieden kann es sein, dass Tiere aufgrund von kategorieller Perzeption Laute anhand von Merkmalen unterscheiden, die sich analytisch nicht diskret erfassen lassen (ein gutes Beispiel hierfür aus dem visuellen Bereich ist der Regenbogen, der ein kontinuierliches Lichtspektrum aufweist, von uns jedoch als aus diskret unterschiedlichen Farben bestehend wahrgenommen wird). Die reine Lautanalyse stellt eine wichtige Basis dafür dar, in sehr klarer, quantitativer Weise potentiell wichtige Merkmale in der Kommunikation erfassbar zu machen. Sie kann auch Aufschlüsse über die biologischen Hintergründe der Variation von Lauten geben. Unterschiede in Lauten können so Rückschlüsse über Individualität, Alter, Motivation, emotionale Zustände, Größe, physiologische Eigenschaften wie physiologischen Stress, Populationszugehörigkeit und dergleichen ermöglichen, sowie Hinweise darüber liefern, ob bzw. in welchem Ausmaß die Laute erlernt werden (Todt et al. 1988; Bradbury u. Vehrencamp 1998; Hauser u. Konishi 1999). Eine der wichtigsten bioakustischen Methoden ist der Einsatz von Playbackexperimenten, bei denen Tieren artspezifische Laute vorgespielt werden. Playbackversuche werden eingesetzt, um die Ontogenese von Verhalten experimentell zu untersuchen, wie bei Gesangslernversuchen mit Singvögeln (Hultsch u. Todt 2004), und vor allem auch, um die biologische Funktion von Lauten in Freiland oder Labor zu untersuchen (McGregor 2000). Die speziellen Merkmale von Playbackexperimenten werden in Kap. 7.5 behandelt. 5.4.2 Videoaufnahmen Der Einsatz von Videoaufnahmen (Videorekorder, DVD, Computer) ist besonders dann sinnvoll, wenn das zu registrierende Verhalten, einer direkten Beobachtung nicht zugänglich ist. Dies ist der Fall bei Tieren, die durch die Anwesenheit eines Beobachters gestört werden oder die an Orten und zu Zeiten beobachtet werden sollen, die für einen Beobachter nicht oder nur schlecht zugänglich sind. Soll beispielsweise untersucht werden, ob eine unterschiedliche Fütterung der Nachkommen bei Singvögeln daraus
106 5 Weiterführende Aspekte und Methoden
resultiert, dass die Eltern bestimmte Jungtiere gezielt bevorzugen oder daraus, dass konkurrenzfähigere Jungtiere im Nest die bessere Position einnehmen, kann das Verhalten praktisch nur über Videoaufnahmen registriert werden (Teather 1992; Lichtenstein 2001; Greenwald u. Dabek 2003). Ein Beobachter hätte zum Geschehen in einem versteckten Nest nur in sehr speziellen Situationen einen Zugang, wie z. B., wenn die Tiere sehr gut an die Anwesenheit von Menschen gewöhnt sind (Zahavi 1990; Wright 1997) Andere Anwendungsbereiche liegen in der automatisch gesteuerten Aktivierung von Videokameras, wie sie vor allem in Laborversuchen eingesetzt werden können. Einsatzbereiche solcher automatisierter Videoaufnahmen sind die Bestimmung von Aktivitätsrhythmen nachtaktiver Tiere, oder die Bestimmung von Wurfzeitpunkten bei Kleinsäugern. Ein weiterer Bereich, in dem Videotechnik enorme Vorteile bietet, ist, sie in Form von Überwachungskameras einzusetzen, die mit einem Monitor in einem anderen Raum verbunden sind. Dadurch kann ein Beobachter das Verhalten in Echtzeit verfolgen und registrieren, ohne selbst im Versuchsraum anwesend zu sein und störend auf die Tiere zu wirken. Ein weiterer Vorteil von Videoaufnahmen liegt zweifelsfrei darin, dass das zu beobachtende Verhalten von Tieren konserviert werden kann. Einerseits können so komplette Verhaltenssequenzen archiviert und für späterer Auswertungen und Studien genutzt werden. Andererseits ist der Beobachter bereits während der Datenerhebung davon entlastet, Entscheidungen zu treffen, ob ein Verhalten z. B. in vordefinierte Kategorien passt oder nicht. Solche Entscheidungen können dann im Anschluss anhand von Videobildern meist präziser getroffen werden, da das Verhalten verlangsamt und auch wiederholt betrachtet werden kann (Abb. 5.4). Weiterhin ermöglichen Videoaufnahmen für die Auswertung ‚naiveǥ Beobachter einzusetzen, also Beobachter, denen nicht bekannt ist, in welchem Kontext die Aufnahmen erstellt wurden. Auswertungen von Videosequenzen können allerdings sehr zeitaufwendig sein, so dass gut begründet sein muss, warum eine Videotechnik einer direkten Bebachtung vorgezogen wird. Anderseits kann durch Vorspulen oder Schnelldurchlauf von Sequenzen, die von wenig Interesse sind, eine enorme Zeitersparnis erfolgen. Videoaufnahmen bergen allerdings auch die Gefahr, dass große Datenmengen konserviert werden, bevor klar entschieden wurde, welche Daten tatsächlich wie ausgewertet werden sollen. Daher sollten vor dem Einsatz dieser Technik die gleichen Überlegungen durchgeführt werden, wie es bei einer Datenregistrierung mit direkter Beobachtung zu empfehlen ist. Videoaufnahmen können als alleiniges Registrierungsmedium unter Umständen nicht ausreichend sein, wenn z. B. soziale Interaktionen gruppenlebender Tiere untersucht werden. Kann der gesamte Verhaltenskontext nicht im Bildausschnitt erfasst werden, kann dies bei der Auswertung der Filme
5.4 Technische Hilfsmittel 107
Abb. 5.4. Auswertung einer Videoaufnahme von einem Verhaltensexperiment mit Zebrafinken mittels spezieller Software (The Observer, Noldus)
dazu führen, dass wichtige Kontextinformation nicht zur Verfügung steht und das Verhalten entsprechend schwer interpretierbar ist. Andererseits kann die Auswahl eines zu großen Ausschnittes dazu führen, dass wichtige Details, beispielsweise Individualmarkierungen, nicht mehr erkennbar sind. Ein Beispiel hierfür kann das Untersuchen von Reaktionen gruppenlebender Tieren auf Alarmrufe sein. Wird das Verhalten aller Tiere einer Gruppe auf einen über Playbackversuche vorgespielten Stimulus gefilmt, muss der Bildausschnitt unter Umständen so groß gewählt werden, dass die Tiere dann nicht mehr individuell zu erkennen sind. Auch kann dann in der Regel eine Zuordnung von Vokalisationen zu einem bestimmten Individuum schwierig sein, da die Richtungsinformation der Laute im Video nicht so klar ist, wie bei einer direkten Beobachtung. Sehr schnelles Verhalten wie Flugbewegungen, Beinkoordinationen oder auch Lautproduktionen kann mit Hilfe von Hochgeschwindigkeitskameras aufgezeichnet und anschließend über Zeitlupen oder Einzelbildanalysen für eine Auswertung zugänglich gemacht werden (Westneat et al. 1993; Podos et al. 2004). Videotechnik birgt ein enormes Potential im Zugang zu Verhalten von Tieren. Wie auch bei anderen Techniken müssen Vor- und Nachteile der meist zeitaufwendigen Videoauswertung im Vorfeld abgeschätzt werden.
108 5 Weiterführende Aspekte und Methoden
5.4.3 Videoplaybacks In den letzten Jahren hat sich der Einsatz von Videofilmen als experimentelle Stimuli immer weiter verbreitet (Oliveira 2000). Videoplaybacks bieten, wie auch die seit Jahrzehnten sehr erfolgreich eingesetzten Audioplaybacks (Kap. 7.5), die Möglichkeit einen experimentellen Stimulus präzise zu definieren und auch zu replizieren. Videoplaybacks wurden bisher bei Spinnen (Clark u. Uetz 1990; Hebets u. Uetz 2000), Winkerkrabben (Abb. 5.5) (Pope 2000), Fischen (Basolo u. Trainor 2002; Witte u. Klink 2005; Trainor u. Basolo 2006), Amphibien (Rosenthal et al. 2004), Reptilien (Ord u. Evans 2002; Peters u. Evans 2003) und auch bei Vögeln (Evans u. Marler 1994; Clarke u. Jones 2001; Galoch u. Bischof 2006) erfolgreich eingesetzt. Nichtsdestotrotz sind bei Videoplaybacks einige spezifische Aspekte zu berücksichtigen, die bei Audioplaybacks von geringerer Bedeutung sind (Tabelle 5.3). Ein Problem stellt die Bildfrequenz bei Röhrenmonitoren dar, die mit 50 bis 100 Hz unter der Zeitauflösung einiger Tierarten liegt. So haben einige schnell fliegende Insekten und Singvögel eine Zeitauflösung von über 100 Hz, so dass sie einen ‚Filmǥ dann nicht als Film, sondern als schnelle Diashow sehen (Autrum 1950; D’Eath 1998; Ikebutchi u. Okanoya 1999). Diese Zeitauflösung kann sich weiterhin auch noch in den Sehfeldern unterscheiden, also dem frontalen Feld (der Bereich in dem das Sehfeld beider Augen überlappt), sowie dem lateralen Feld (der Bereich, der mit nur einem Auge erfasst werden kann) (Bischof 1988). Für die inzwischen gängigen TFT-Bildschirme tritt das Problem des Flimmerns nicht auf. Dennoch wird hier die Trägheit bei sich schnell bewegenden Bildern auf TFT-Bildschirmen von Tieren möglicherweise anders wahrgenommen als vom Menschen. Desweiteren sollte, wie auch bei der Präsentation von Fotos, die Größe eines in einer Videosequenz gezeigten Artgenossen der natürlichen Größe entsprechen (Dawkins u. Woodington 1997). Die Umsetzung dieser sehr offensichtlichen Voraussetzung ist in
Abb. 5.5. Winkerkrabben (Uca tangeri) stellen eine der Tiergruppen dar, an denen Videoplaybacks im Freiland eingesetzt wurden
5.4 Technische Hilfsmittel 109
der Praxis nicht einfach, da Tiere in Videos meist nicht in ihrer natürlichen Größe erscheinen. Entsprechend sorgfältig und meist aufwendig müssen zu nutzende Sequenzen hergestellt werden. Ein weiterer sehr wichtiger Unterschied von Videosequenzen im Vergleich zu natürlichen Stimuli ist die Farbwiedergabe. Das Farbspektrum von Bildschirmen ist spezifisch auf die Farbwahrnehmung des Menschen angepasst und kann bei anderen Kodierungen (z. B. Bichromation oder einer anderen Gewichtung der verschiedenen farbempfindlichen Rezeptoren) zu Falschfarben für das untersuchte Tier führen. Vor allem im UVBereich, in dem Bildschirme keine Farbinformation darstellen (und in dem gängige Videokameras gar nicht erst aufnehmen), führt dies zu einem Problem bei Tieren, die in diesem Bereich sehen und für die Information aus diesem Bereich verhaltensrelevant ist. Dies muss z. B. bei Bienen und Vögeln bedacht werden. Reagieren Tiere unterschiedlich auf einen experimentellen und auf einen Kontrollstimulus (z. B. einen bekannten und einem unbekannten Artgenossen), lässt sich dennoch schließen, dass die im Video übertragene Information für die Diskriminierung ausreicht. Unterscheiden Tiere allerdings nicht, kann dies mehrere Ursachen haben, von denen eine in dem limitierten und spezifisch für den Menschen angepassten Farbspektrum der Videopräsentation liegen kann. Ein Vergleich der Reaktion von Tieren auf natürliche und auf Videostimuli (Clark u. Uetz 1990) kann helfen, die Reaktionen auf Videoplayback in Bezug auf das natürliche Verhalten zu interpretieren. Der Vorteil eines Videoplaybacks liegt zweifelsfrei in der Möglichkeit, einen standardisierten Sozialstimulus zu präsentieren, ohne dass eine direkte soziale Interaktion zwischen dem Versuchstier und dem Stimulustier stattfinden kann. Tabelle 5.3. Eigenschaften von Videoplaybacks Eigenschaften von Videoplaybacks Standardisierte replizierbare Stimuli Gute experimentelle Kontrolle der Stimuli Interaktive Playbacks über geschickte Videoschaltungen möglich Farbwiedergabe an menschliches Sehen angepasst (auch kein UV) Keine echte Tiefendimension Röhrenfernseher: kein kontinuierliches Bild; Taktfrequenz muss über der zeitlichen Bildauflösung des Tieres liegen (100 Hz besser als 50 Hz) TFT-Bildschirme: Verschmelzungsfrequenz der Bildpunkte kann zu verzerrter Wahrnehmung beim Tier führen. Vorteil: kein Flimmern Größe des Bildes von Artgenossen muss eingestellt werden
110 5 Weiterführende Aspekte und Methoden
5.4.4 Automatische Registrierung von Beobachtungen Automatische Systeme, die Aktivitäten von Tieren registrieren, bieten gegenüber den manuellen Methoden eine Reihe von Vorteilen. Neben der Zeitersparnis (wenn man von der Zeit, die zur Etablierung und Evaluierung der Methoden nötig ist, absieht), haben automatische Verfahren den Vorteil, dass die Registrierung der Daten nicht mehr den subjektiven Einschätzungen des Beobachters unterliegt. Probleme des Beobachtereffektes (Kap. 2.10) können somit minimiert werden. Weiterhin ermöglicht die automatische Registrierung eine replizierbare Standardisierung der Datenregistrierung, die gewährleistet, dass die Daten auch über größere Zeiträume hinweg und mit verschiedenen Versuchsleitern in gleicher Weise registriert werden. Automatische Registrierungsmethoden sind besonders für Aktivitätsmessungen und die Registrierung von räumlichem Verhalten geeignet (Winter u. Stich 2005). Hier können über Lichtschranken oder über elektronische Schalter Aufenthalte in bestimmten Raum- oder Versuchsaufbauarealen quantifiziert werden (Kap. 7.6). Wird z. B. das Aktivitätsmuster nachtaktiver Tiere aufgenommen, können über Nacht systematisch Daten gewonnen werden, ohne dass evtl. Störungen durch den Beobachter das Verhalten der Tiere beeinflusst. Ein zusätzlicher Einsatz von Videokameras ermöglicht, das Verhalten zu konservieren und anschließend differenziert auszuwerten. Werden Videokameras so programmiert, dass sie in festgelegten Abschnitten kurze Sequenzen aufnehmen, lassen sich wichtige Verhaltensdaten wie Aktivitäten, Wurf- oder Legezeitpunkte bei sich reproduzierenden Weibchen gut bestimmen. Automatische Verfahren werden auch standardmäßig in operanten Konditionierungsversuchen eingesetzt, bei denen ein Tier trainiert wird, über bestimmte Schalter Stimuli ein- und auszuschalten (Langemann et al. 1995; Klump 1996; Riebel 2003) (Kap. 5.5). Einige der Einsatzbereiche automatischer Registrierungsgeräte werden in den Kapn. 7.7 und 7.8 aufgegriffen. Bestimmte Verhaltensleistungen sowie deren physiologische Grundlagen wie die Flugrouten bei Zugvögeln (Berthold et al. 2004; Alerstam et al. 2006) oder physiologische Kennwerte (Cooke et al. 2004), sind ohne automatische Registrierung oft gar nicht erfassbar. Der Einsatz dieser Methoden wird in Kap. 7.8 ausführlicher dargestellt.
5.5 Spezielle Methoden In verhaltensbiologisch ausgerichteten Studien wird eine Vielzahl spezieller Methoden eingesetzt (Abb. 1.1), von denen in diesem Kapitel wie auch in Kap. 7 einige exemplarisch behandelt werden.
5.5 Spezielle Methoden 111
5.5.1 Bestimmung von Sozialbeziehungen Für Studien zum Sozialverhalten bei gruppenlebenden Tieren ist die Kenntnis der speziellen Sozialbeziehungen zwischen Tieren eine wichtige Komponente (Hinde 1976). Die Sozialbeziehungen können entweder selbst im Zentrum einer Fragestellung stehen, oder sie können wichtig sein, um darauf aufbauende Hypothesen zu entwickeln. Auch kann es in diesem Zusammenhang wichtig sein, Gruppengrößen zu bestimmen, deren Definition entweder über eine räumliche Verteilung erfolgen kann oder aber über die sozialen Interaktionen. Beobachtet man eine Gruppe von Tieren, stellt man häufig fest, dass, wie auch beim Menschen, Kontakte nicht zufällig stattfinden, sondern dass auch Tiere unterschiedliche Sozialbeziehungen aufrechterhalten. Besonders deutlich wird dies wenn Jungtiere in einer Gruppe sind. Sie haben meist eine sehr enge Beziehung zur Mutter und unter Umständen gar keinen direkten Kontakt zu anderen Gruppenmitgliedern. Andere spezielle Sozialbeziehungen lassen sich in der Paarungszeit oder auch in stark hierarchisch oder arbeitsteilig organisierten Gruppen finden (Kap. 7.2 und 7.3). Zur Beschreibung von Gruppen können verschiedene Methoden eingesetzt werden, die speziell von der Fragestellung abhängen (Whitehead 1997). Zur Bestimmung von Gruppengrößen werden bei Tieren mit ausgeprägten Interaktionen in der Regel soziale Interaktionen zu Grunde gelegt. In anderen Fällen bieten sich eine Reihe verschiedener Modelle an, die statistische Werte der zeitlichen und räumlichen Verteilung von Individuen der Berechnung von Gruppengrößen zugrunde legen (Kap. 7.2). Eine Methode ist die so genannte ‚Methode des nächsten Nachbarnǥ. Hierbei werden die Entfernungen von jedem Individuum zu seinem nächsten Nachbarn bestimmt. Die Entscheidung, ab welcher Entfernung oder ab welcher Art der Sozialbeziehung Tiere als Nachbarn bezeichnet werden, ist oft nicht einfach zu treffen, so dass für solche Fragestellungen ausreichend Vorbeobachtungen durchgeführt werden sollten. Die Bestimmung von Nachbarn kann direkt über metrische Entfernungen geschehen oder über eine Entfernungsregistrierung in bestimmten Kategorien (z. B. in Körperlänge und dann weiter in bestimmten Intervallen). Werden alle Abstände zu Artgenossen graphisch aufgetragen, würde es dann zu einer zweigipfeligen Verteilung kommen, wenn Gruppen von Tieren klar voneinander getrennt sind. Um Sozialbeziehungen zu quantifizieren, sind zwei Ebenen der Datenerfassung und -analyse von Bedeutung. Zum einen geben direkte Kontakte oder Individualabstände wichtige Einblicke in soziale Strukturen. Zum anderen spielt auch die Qualität der Kontakte eine Rolle sowie die Initiierung sowie Beendigung von Kontakten. Erfassungen von Sozialstrukturen, die sehr komplex sein können, erfordern in der Regel eine sorgfältige
112 5 Weiterführende Aspekte und Methoden
Pilotbeobachtung, in der Verhaltensweisen aus dem Sozial- und Raumverhalten beobachtet werden. Auf Basis solcher Vorbeobachtungen sollten dann Aufnahmemethoden (Kap. 4.5) bestimmt werden sowie die Auswahl und Definition von Sozialkontakten und Raumaufenthalten erfolgen. So kann es sinnvoll sein, nicht nur direkte Sozialkontakte zu registrieren, sondern auch größere Abstände zwischen Tieren zu erfassen. Wichtige Sozialbeziehungen zeigen sich nämlich nicht notwendigerweise immer in einem häufigen direkten Kontakt, sondern auch in häufigem Aufenthalt in der Nähe zu bestimmten anderen Individuen. Auch kann die Initiierung von Kontakten Aufschlüsse in Bezug auf die Qualität einer Sozialbeziehung geben, denn häufige Kontakte zwischen zwei Tieren können darauf zurückzuführen sein, dass nur das eine Tier Kontakt zum anderen sucht, diese Interaktion aber nicht vom anderen Individuum ausgeht. Vor der Erfassung von Sozialbeziehungen, sollte man sich auch klar darüber werden, ob diese Daten quantitativ ausgewertet werden sollen, oder ob sie eher rein beschreibend die Basis für Anschlussstudien geben sollten. Statistische Auswertungen von Sozialkontakten können aufgrund der Komplexität und der vielschichtigen Abhängigkeiten zwischen den Datenpunkten, die an miteinander interagierenden Tieren gewonnen werden, schwierig sein (Lusseau u. Newman 2004).
Abb. 5. 6. Soziogramm. Die Pfeile stellen Sozialkontakte dar. Der Pfeil geht von dem Tier aus, das den Kontakt initiiert hat. Pfeildicken symbolisieren die Häufigkeiten der Sozialkontakte. Die graphische Darstellung kann als Überblick die Grundlage zur Entwicklung von Fragen zum Sozialsystem liefern. Zeichnung des Meerschweinchens von Ulrich Pörschmann
5.5 Spezielle Methoden 113
Eine sinnvolle visuelle Darstellung von Sozialbeziehungen erhält man über ein sogenanntes ‚Soziogrammǥ, in dem die Häufigkeit von Sozialkontakten über verschiedene Pfeildicken dargestellt werden (Abb. 5.6). Besonders bei komplexeren Gruppen erhält man nur so einen Überblick über das soziale Gefüge. Auf Basis eines Soziogramms lassen sich Hypothesen über Dominanzbeziehungen und Verwandtschaftsverhältnisse aufstellen oder Hypothesen in Bezug auf Sozialbeziehungen mit anderen qualitativen Eigenschaften formulieren.
5.5.1.1 Dominanzhierarchien In vielen Gruppen weisen die Beziehungen zwischen Individuen Dominanzstrukturen auf. Dominanzen werden über den unterschiedlichen Zugang zu Ressourcen (Paarungspartner, Nahrung, bestimmte Orte) bestimmt. Das klassische Beispiel für Dominanzen ist die Hackordnung bei Hühnern, die Schjelderup-Ebbe erstmals beschrieben hat (SchjelderupEbbe 1922). Dominanzen können sehr komplex sein, da sich Dominanzbeziehungen zwischen Tieren an verschiedenen Orten unterschiedlich zeigen können oder sogar umdrehen können. Dominiert ein Tier A das Tier B an einem Ort, kann es sein, dass an einem anderen Ort Tier B das dominantere Tier ist (Waser u. Wiley 1980; Stamps 1994; Stamps u. Krishnan 2001; Naguib 2005). Darüber hinaus können Dominanzen in einem Kontext (Nahrungssuche) auftreten, ohne in einem anderen Kontext (Partnerwahl) von gleichrangiger Bedeutung zu sein. Werden also Dominanzbeziehungen im Bereich der Nahrungssuche erfasst, lässt sich daraus nicht selbstverständlich ohne weitere Überprüfung schließen, dass solch eine Beziehung auch in anderen Sozialkontexten in gleicher Weise reflektiert sein muss. Bei der experimentellen Untersuchung von Dominanzbeziehungen wird vor allem an Vögeln und Säugetieren meist die Konkurrenz um den Zugang zu Nahrung untersucht. Dies geschieht zumeist nachdem die Tiere kurzfristig von Nahrung depriviert worden sind und entsprechend motiviert sind, zu fressen (Piper 1997). Dominanzen können sich sehr offensicht lich äußern, z. B. in dem ein Tier ein anderes von einer Nahrungsquelle vertreibt oder angreift. Solche direkten Aggressionen sind in klaren Dominanzgefügen allerdings selten, denn eine Charakteristik von Dominanzbeziehungen ist es, dass physische und mit Kosten verbundene Auseinandersetzungen vermieden werden. Das heißt, Dominanzen können sich auch darin äußern, dass ein Tier vor dem anderen flieht, wenn sich dieses der Nahrungsquelle nähert. Noch subtiler können sich Dominanzen dadurch äußern, dass ein Tier gar nicht zur Nahrungsquelle kommt, solange ein anderes, dominanteres dort ist. Dies bedeutet, dass die Bestimmung von
114 5 Weiterführende Aspekte und Methoden
Abb. 5.7a, b. Matrix einer linearen Dominanzhierarchie. a unsortiert, b sortiert entsprechend dem Rang. Die Buchstaben symbolisieren verschiedene Individuen, die Zahlen zeigen die Anzahl der gewonnen dyadischen Interaktionen an. Gewinner sind in den Zeilen und Verlierer in den Spalten gezeigt
Dominanzbeziehungen ein sehr gutes und differenziertes Beobachten erfordert. Daten (z. B. die Anzahl der gewonnenen Interaktionen) zu Dominanzbeziehungen lassen sie sich in so genannte Dominanzmatrizen eintragen und auswerten. In diesen Matrizen wird der Gewinner in den Zeilen eingetragen und der Verlierer in den Spalten (Abb. 5.7). Handelt es sich um eine Gruppe mit ausgeprägten Dominanzverhältnissen, erhält man Zellen mit unterschiedlich großen Werten (Abb. 5.7a). Sortiert man die Individuen anschließend so, dass möglichst viele der großen Zahlen oberhalb der Diagonalen stehen, lässt sich die Linearität der Dominanzbeziehungen am Besten darstellen. Befinden sich dann unterhalb der Diagonalen keine Einträge oder nur Einträge, die kleiner sind als die entsprechenden Einträge oberhalb der Diagonalen, handelt es sich um eine klare lineare Hierarchie. Befinden sich unterhalb der Diagonalen jedoch einzelne Werte, die größer sind als die Werte der entsprechenden Felder oberhalb der Diagonalen, sind nicht alle Beziehungen in der Hierarchie linear. So lassen sich in der linearen Hierarchie in Abb. 5.7a, b die Tiere in der Reihenfolge C>A>D>E>B anordnen. In der in Abb. 5.8 gezeigten Hierarchie ist eine klare Linearität nicht gegeben. Hier gibt es zwar, wie im ersten Beispiel, klare dyadische Dominanzbeziehungen, also Beziehungen zwischen zwei Tieren. Über die Gruppe gesehen, treten jedoch Umkehrungen in der Linearität auf. So dominiert hier Tier E das Tier A, obwohl Tier A das Tier D dominiert, das wiederum E dominiert. Trotz starker linearer Merkmale ist solch eine Hierarchie dennoch nicht strikt linear.
5.5 Spezielle Methoden 115
Abb. 5.8a, b. Matrix einer nicht streng linearen Dominanzhierarchie. a unsortiert, b sortiert einsprechend dem Rang (vergl. Abb. 5.7). Anders als in der Hierarchie in Abb. 5.7 gibt es hier eine Rangumkehr (reversal), da Tier E in der direkten Interaktion dominant über Tier A ist, obwohl es anderweitig weiter unten in der sonst linearen Hierarchie angeordnet ist
Problematisch bei der Erstellung von Dominanzhierarchien ist bei großen Gruppen, dass einige Tiere kaum, oder nur sehr selten, direkt miteinander interagieren. Dadurch kann es sein, dass es in der Matrix für einige Tierpaare keine Einträge gibt. In diesen Fällen lässt sich die Linearität einer Hierarchie nicht in der gleichen Weise quantitativ absichern, wie es in Datensätzen geht, bei denen Werte für alle Kombinationen vorliegen (Appleby 1983). Ein weiteres Merkmal in Gruppen kann sein, dass ein Tier zwar in dyadischen Interaktionen dominant ist, allerdings über ‚Koalitionsbildungǥ von subdominanten Tieren in bestimmten Situation diese Dominanz nicht zum tragen kommt (Smuts et al. 1987). In diesem Sinne kann es bei der Bewertung von Interaktionen zwischen zwei Tieren wichtig sein, zu berücksichtigen, ob andere Individuen in der Nähe sind und möglicherweise indirekt auf die Art der Interaktion zwischen zwei anderen wirken. Ein ergänzendes Maß bei der Berechnung von Dominanzhierarchien ist die Gesamtsteilheit der Hierarchie, die nicht nur die Gewinner/ Verlierer aus dyadischen Interaktionen berücksichtigt, sondern die Gesamtheit der gewonnenen Interaktionen mit einbezieht (de Vries et al. 2006). 5.5.2 Taxierungsmethoden Für deskriptive (und auch experimentelle) Verhaltenstudien ist es häufig von Interesse, Populationsdichten einer Art, oder auch die Artenvielfalt bestimmter taxonomischer Gruppen innerhalb eines Habitates, zu quanti-
116 5 Weiterführende Aspekte und Methoden
fizieren. Taxierungsmethoden, mit denen Populationsdichten und Artenvielfalten quantifiziert werden, sind typische Methoden aus der Ökologie. Sie spielen aber auch in der Verhaltensökologie eine wichtige Rolle (z. B. Linienkartierungen oder Punkt-Stopp Zählungen) (Bibby et al. 1992; Buckland et al. 2004). Tiere sind nicht immer in gleicher Weise ortbar. Ihr Streifgebiet kann zu groß sein, als dass sie einfach lokalisiert werden können, oder sie können nur durch ihre Laute, die unregelmäßig geäußert werden, lokalisiert werden. Daher müssen bestimmte, klar strukturierte Methoden zur Kartierung angewandt werden. Andernfalls kann es leicht zu Fehleinschätzungen von Besiedlungsmustern- und Besiedlungsdichten kommen (Peake et al. 1998; Amrhein et al. 2006). Grundsätzlich ist es bei allen Taxierungsmethoden wichtig, systematisch durch Einsatz klarer Regeln vorzugehen und sich mit den Vor- und Nachteilen der einzelnen Methoden vertraut zu machen (Bibby et al. 1992; Buckland et al. 2004). 5.5.3 Fang-Wiederfangmethoden Fang-Wiederfangmethoden ermöglichen das Abschätzen von Populationsgrößen oder Aktionsräumen von Tieren, werden jedoch auch zum Abschätzen von Repertoires von Verhaltensweisen eingesetzt. Klassischerweise ist auch dies eine Methode aus der Ökologie, die zur Abschätzung von Größen von Tierpopulationen eingesetzt wird (Bibby et al. 1992; Buckland et al. 2004; Amstrup et al. 2005). Im Freiland lassen sich fast nie alle Tiere einer Population zählen, so dass man über systematisch aufgestellte Fallen Tiere fängt, sie markiert, wieder freilässt und dann überprüft, wie viele der markierten Tieren sich in Relation zu nicht markierten Tieren wieder fangen lassen. Die Schlussfolgerungen, die aus der relativen Anzahl wieder gefangener Tiere gezogen werden können, hängen dabei von verschiedenen anderen Merkmalen der Populationsdynamik ab, auf die hier nicht näher eingegangen wird. Über Fang-Wiederfangmethoden kann die Ortstreue von Tieren bzw. deren Sterberate abgeschätzt werden, und bei großen Gruppen von Tieren, wie Insektenstaaten, können so Populationsgrößen oder Aktionsräume erfasst werden. Ein anderes Einsatzgebiet dieser Methode liegt in der Bioakustik, wo z. B. Repertoiregrößen akustischer Signale abgeschätzt werden können (Garamszegi et al. 2002). Dies ist sinnvoll, wenn die Individuen sehr große Gesangsrepertoires aufweisen, die sich sonst nur sehr zeitaufwendig zählen ließen, oder sie werden eingesetzt, um Repertoires größerer Populationen abzuschätzen. Solche Methoden werdenbeispielsweise in Studien zur sexuellen Selektion eingesetzt, für die die Vielfalt akustischer Signale
5.5 Spezielle Methoden 117
eines Tieres von Bedeutung sein kann. Fang-Wiederfangmethoden haben potentiell ein breites Anwendungsgebiet, da sie immer dann sinnvoll sind, wenn auf Basis von einer Stichprobe Aussagen über die Gesamtgröße einer Population von Merkmalen (oder Tieren) getroffen werden soll. Diese Methoden sind auch sinnvoll, wenn für Populationsabschätzungen von Merkmalen unterschiedlich große Stichproben zur Verfügung stehen (Garamszegi et al. 2002).
5.5.4 Phylogenetische Analysen Für viele Verhaltensweisen bietet die Analyse des phylogenetischen Zusammenhanges wichtige Einblicke in deren mögliche evolutionäre Ursprünge. Phylogenetische Analysen basieren auf der Erstellung und der Nutzung von Stammbäumen. In der modernen Phylogenetik werden neben den klassischen morphologischen Merkmalen molekulare Marker zur Stammbaumrekonstruktion eingesetzt (Wägele 2001; Felsenstein 2004). Mathematische Modelle ermöglichen es dann, über die Berechnung verschiedener Stammbaumvarianten den wahrscheinlichsten Stammbaum für eine Tiergruppe zu berechnen. Daher stellen Stammbäume stets Hypothesen über phylogenetische Zusammenhänge dar. Da Stammbäume Wahrscheinlichkeiten von Verwandtschaftsgraden widerspiegeln, kommt es in Bereichen von Stammbäumen, für die nur wenige gesicherte Erkenntnisse vorliegen, immer wieder zu Änderungen, so dass jeweils überprüft werden sollte, auf welche Annahmen ein Stammbaum beruht und in wieweit bereits neuere Erkenntnisse integriert worden sind. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von komplexen Berechnungsmethoden (Felsenstein 1985; Brooks u. McLennan 1991; Harvey u. Pagel 1991; Losos 1999; Felsenstein 2004). Solche Analysen erfordern, sich mit den verschiedenen Methoden und ihren Vor- und Nachteilen vor Beginn einer Studie vertraut zu machen. In verhaltensbiologischen Studien werden bestehende Stammbäume genutzt, um die Evolution von Verhaltensmerkmalen zu rekonstruieren (Abb. 5.9). So kann über vergleichende phylogenetische Analysen (comparative method) bestimmt werden, ob bestimmte Merkmale evolutionsbiologisch älter sind als andere Merkmale. Anwendungen finden sich z. B. in Studien zur sexuellen Selektion. Eine Fragenkomplex bezieht sich in diesem Zusammenhang darauf, abzuschätzen, ob in der Evolution zuerst ein bestimmtes Merkmal bei Männchen und dann die Präferenz der Weibchen entstanden ist (Ryan et al. 1990). Möglich wäre, dass die Präferenz der Weibchen für ein Merkmal bereits existierte, bevor dieses Merkmal bei den Männchen entstanden ist. Bei einer Gruppe mittelamerikanischer Fische,
118 5 Weiterführende Aspekte und Methoden
Abb. 5.9. Hypothetischer Stammbaum von 5 Tierarten (A bis E), für die jeweils das Vorhandensein von 2 Merkmalen (1= vorhanden; 0= nicht vorhanden) dargestellt ist. Bei phylogenetischen Analysen müssen die unterschiedlichen Verwandtschaften der Arten zueinander kontrolliert werden. Merkmal 1 tritt nur bei drei z. T. entfernt verwandten Arten (B, C, und E) auf. Dieses Merkmal muss also entweder mindestens zwei Mal unabhängig entstanden sein (z. B. 1 Mal bei der Elternart von B und C und einmal bei Art E), oder es ist ein ursprüngliches Merkmal aller Arten, das die Arten A und D dann sekundär verloren haben. Merkmal 2 tritt bei drei Arten auf, ist aber wahrscheinlich nur einmal bei deren Elternart entstanden. Die drei Arten stellen daher nur ein unabhängiges Evolutionsereignis dar und können in statistischen Analysen nicht als drei unabhängige Datenpunkte verwendet werden. Phylogenetische Analysen gehen von dem einfachsten Erklärungsmodell aus (parsimony principle) aus, wie es auch bei anderen Erklärungsmodellen in der Wissenschaft Standard ist
den Schwertträgern, haben die Männchen der meisten Arten schwertähnliche verlängerte Schwanzflossen. Einige Arten von Schwerträgern haben jedoch kein Schwert. Experimentelle Studien haben gezeigt, dass nicht nur die Weibchen der Arten, bei denen die Männchen Schwerter tragen, bei der Partnerwahl eine Präferenz für die Schwerter zeigen, sondern dass diese Präferenz auch bei den Weibchen der Arten besteht, deren Männchen kein Schwert evoluiert haben (Basolo u. Trainor 2002). Die Zusammenfügung dieser Verhaltensexperimente mit den phylogenetischen Stammbäumen führt dabei zu dem Schluss, dass die Präferenz für die Schwerter evolutionär ursprünglicher ist, als die Schwerter selbst. Dieser Befund wird als sensorische Voreingenommenheit (sensory bias) interpretiert, bei dem in Laufe der Evolution der Signale eine bereits bestehende sensorische Präferenz der Weibchen für bestimmte Merkmale in der Evolution der Signale ausgenutzt wird (sensory exploitation hypothesis). In diesem Zusammenhang ist sicherlich auch zu bedenken, dass es sich hierbei um eine Präferenz für Größe handeln könnte. Anfügen eines Schwertes an die Schwanzflosse stellt für die Männchen
5.5 Spezielle Methoden 119
eine vermutlich billige Lösung dar, größer zu wirken. Unabhängig von der Spezifität der Weibchen in ihrer Präferenz können Stammbäume in solchen und auch anderen, weniger spektakulären Fällen wichtige Beiträge zum Verständnis der Evolution von Verhaltensmerkmalen führen. 5.5.5 Lernversuche Lernen, also die Anpassung von Verhalten aufgrund individuell erworbener Information, spielt im Verhalten vieler Tiergruppen eine bedeutende Rolle. Ob es Bienen sind, die Nahrungsquellen suchen und diese Information an Stockmitglieder weitergeben, Singvögel, die ihren Gesang lernen oder Primaten, die soziale Interaktionsregeln lernen – in allen Fällen stellen sich Fragen, die mit verhaltensbiologischen Methoden untersucht werden. Der experimentelle Nachweis von Lernen ist nicht immer einfach, da Tiere Gelerntes unter Umständen nur in bestimmten Kontexten und in einem bestimmten sozialen und emotionalen Zustand zeigen. Gut untersuchen lassen sich Systeme, in denen Tiere in experimentellen Kontexten gehalten werden können. Hierzu gehören Fragen der Kognition, wo sich überprüfen lässt, ob Tiere durch Beobachtung von Artgenossen relevante Information gewinnen (Hare et al. 2001; Dally et al. 2005). Auch für Lernversuche zur Nahrungssuche steht eine Reihe von experimentellen Möglichkeiten zur Verfügung, da hier Ort und Ergiebigkeit der Nahrung vom Experimentator manipuliert werden kann (Galef u. Giraldeau 2001; Healy u. Hurley 2003). Ein weiteres klassiches System zum Lernen stellt auch das Gesangslernen bei Singvögeln dar (Hultsch u. Todt 2004). Diese Bespiele setzen am natürlichen Kontext, in dem Tiere etwas lernen, an. In einem anderen Bereich von Lernversuchen können über das spezielle Training von Tieren, meist über eine Futterbelohnung, eine Vielzahl von anderen Fragen experimentell untersucht werden. Häufig eingesetzte Methoden bei Lernversuchen sind die klassische sowie die operante Konditionierung. Konditionierungen finden ein sehr breites Einsatzgebiet, wenn es darum geht, zu untersuchen, ob Tiere zwischen bestimmten Stimuli unterscheiden können oder Präferenzen für bestimmte Stimuli aufweisen. Bei der klassischen Konditionierung wird ein Tier durch Belohnung (meist Futter) darauf trainiert, ein bestimmtes Verhalten in Reaktion auf einen Stimulus auszuführen. So lassen sich über Konditionierung z. B. Wahrnehmungsschwellen von Lauten (Klump et al. 1995; Klump 1996) oder auch Unterscheidungen oder Erkennung visueller Muster bestimmen (Hollard u. Delius 1983). In dieser Art der Versuche werden Tiere daraufhin untersucht, ob sie bestimmte Stimuli wahrnehmen oder zwischen verschiedenen Stimuli unterscheiden können. Damit lässt sich differenziert untersuchen, was ein Tier leisten kann. Im englischen wird
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dies als JND (just noticable difference) bezeichnet. Dem steht die ‚just meaningful differenceǥ (JMD) gegenüber. Sie erfasst, ob Unterschiede zwischen z. B. bestimmten Lauten für Tiere auch im natürlichen Kontext relevant sind. Mit anderen Worten lässt sich über die JND testen, was ein Tier wahrnehmen kann und mit der JMD testen, welche wahrgenommenen Merkmale oder Unterschiede zwischen Merkmalen bedeutungsvoll sind. Bei der operanten Konditionierung wird ein Tier daraufhin trainiert, ein bestimmtes eigenes Verhalten mit einer Belohnung zu assoziieren. Die klassische Apparatur der operanten Konditionierungsversuche ist die SkinnerBox, die ursprünglich dazu benutzt wurde, Ratten darauf zu trainieren, durch das Drücken eines Hebels Nahrung zu erhalten. Auch wenn die Versuchsapparaturen heutzutage meist computergesteuert sind und sehr vielfältig in der Ausführung sein können, ist das Grundprinzip gleich geblieben: Tiere werden darauf trainiert, durch eine Aktion eine Belohnung zu erhalten. Oft ist die Belohnung Nahrung. Es können jedoch auch Sozialstimuli als Belohnung eingesetzt werden (Riebel et al. 2002) (Abb. 5.10). Der Einsatz von Sozialstimuli erweitert das klassische Feld der operanten Konditionierung als Methode zur Untersuchung von Wahrnehmungs-, Lern- und Kognitionsleistungen über die Belohnung mit Futter (JND) dahingehend, dass nun auch Präferenzen im sozial und funktional relevanten Kontext untersucht werden können (JMD).
Abb. 5.10. Beispiel des Aufbaus einer computergesteuerten, operanten Konditionierungsaparatur. Ein Vogel kann durch picken auf den rechten oder linken Knopf zwischen den Gesängen verschiedener Männchen wählen. Der Gesang wird dann durch den zentral platzierten Lautsprecher abgespielt. Das Weibchen wird hier direkt mit einem Sozialstimulus belohnt. Die Datenregistrierung erfolgt automatisch über Sensoren, so dass keine direkte Beobachtung durch eine Person notwendig ist. Mit so einem Versuchsaufbau lassen sich Präferenzen von Vogelweibchen für verschiedene Gesänge der Männchen differenziert messen (Riebel 2003). (Zeichnung von Ellouise Leatbeater)
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5.5.6 Sequenzanalysen Sequenzanalysen von Verhalten spielen in Studien eine Rolle, in denen es um die Mechanismen und die Steuerung von Verhalten geht. Sequenzanalysen können Einblicke in die zugrunde liegenden Regeln sequentieller Entscheidungen von Tieren liefern. Dies gilt für Verhaltensequenzen, in denen ein Tier ein Repertoire verschiedener Verhaltensweisen zum Einsatz bringen kann, also im Verlauf der Sequenz entscheiden muss, welche Verhaltensweise es als nächstes einsetzt (Todt 1986). Über Sequenzanalysen können so Einblicke in Regeln von Entscheidungsprozessen gewonnen werden. In sehr starr ablaufenden Verhaltenssequenzen wird dabei das Verhaltensmuster B bereits durch das Auftreten der Verhaltensweise A determiniert. In offeneren Verhaltenssequenzen können demgegenüber auf die Verhaltensweise A mehrere verschiedene Verhaltensweisen folgen, wobei die Folge nicht zufällig sein muss, sondern auch wiederum durch komplexere Regeln gesteuert sein kann. Klassische Beispiele von Sequenzanalysen stammen aus dem Balzverhalten verschiedener Tierarten, das häufig sehr stereotyp abläuft, sowie dem komplexen Vogelgesang. Für die Analyse von Verhaltenssequenzen werden meist Tabellen als Übergangsmatrices erstellt, auf Basis derer dann die Analysen von Sequenzen erfolgen. Hierzu stehen eine Reihe anspruchsvoller statistischer Auswertungsverfahren zur Verfügung – beispielsweise Markovketten und andere Verfahren (Chatfield 1970; Chatfield 1989; Manly 1997). Sequenzanalysen spielen heutzutage auch in der Bioinformatik und der Robotik eine Rolle, in der angepasst an natürliche Systeme sequentielle Entscheidungsregeln in künstlichen Systemen umgesetzt werden. Sie spielen auch in anderen angewandten Bereichen eine Rolle, wo z. B. der Einfluss des Menschen auf das Verhalten von Tieren im Zeitverlauf quantifiziert wird (Lusseau 2003). Zur Anwendung solcher Verfahren sollte entsprechend statistische Fachliteratur herangezogen werden (Manly 1997). 5.5.7 Kosten-Nutzenanalysen Das Verhalten wie auch andere Merkmale von Tieren unterliegen der natürlichen Selektion. Daher ist zu erwarten, dass die Evolution zu einer Optimierung solcher Merkmale führt. Verhalten ist oft zeit- und energieaufwendig. Dies gilt sowohl für so offensichtlich aufwändiges Verhalten wie den Langstreckenzug bei Zugvögeln als auch für Strategien der Nahrungssuche, der Revierverteidigung sowie für Strategien der Partnerwahl und Reproduktion. Auch die Ausbildung spezieller Signale wie die vergrößerte Schere bei Winkerkrabben, das Pfauenrad, das Hirschgeweih oder der Vogelgesang sind mit Kosten verbunden.
122 5 Weiterführende Aspekte und Methoden
In all diesen und auch anderen Bereichen stellt sich also die Frage, welchen Vorteil Tiere davon haben, die zur Verfügung stehende Zeit und Energie in das eine Verhalten oder Merkmal zu investieren und nicht in etwas anderes. Einige Fische z. B. können Energie zuerst in Wachstum investieren und sich dann als großer Fisch mit vielen Ressourcen reproduzieren. Ein Fisch könnte aber auch langsamer wachsen und stattdessen bei der ersten Möglichkeit einen Teil der Ressourcen in Reproduktion investieren. Die Evolution fördert hier Strategien, die insgesamt zu einem höheren Reproduktionserfolg führen. Ähnlich Fragen stellen sich bei der Nahrungssuche. Wie lange sollte eine Biene an einer Blüte Nektar sammeln, bevor sie zur nächsten fliegt? Ist eine Blüte nicht sehr ergiebig und sind viele andere Blüten vorhanden, lohnt es sich eher, weiter zu fliegen, als wenn die nächsten Blüten sehr weit weg und schwer zu finden sind. Dann lohnt es sich eher, auch bei sinkender Ausbeute möglichst viel aus einer Blüte zu gewinnen. Um ein besseres Verständnis zu gewinnen, wie eine optimale Strategie aussehen könnte, werden Kosten-Nutzenanalysen eingesetzt. Hierzu müssen eine Reihe von Parametern gemessen oder abgeschätzt werden. Diese beinhalten die Währung (currency), also das was optimiert werden soll (z. B. Energieaufwand, Zeit, Anzahl Paarungspartner); die einschränkenden Faktoren (constraints), also z. B. die Zeit, die benötigt wird, um von einer Nahrungsquelle zur nächsten zu kommen oder die Zeit Nahrung aufzunehmen und zu verdauen; sowie die Entscheidungsvariable (decision variable), also das Verhalten das zur Optimierung der Kosten/Nutzen beiträgt. Grundsätzlich gibt es eine Reihe verschiedener Modellierungsansätze (s. Kap. 7.1). In der Praxis ist es oft schwer bzw. unmöglich, die exakten Kosten und den exakten Nutzen eines Verhaltens für ein Tier zu messen. Daher sind Modelle (Kap. 7.1) sehr hilfreich, in denen verschiedene Szenarien berechnet werden können. Kosten-Nutzenanalysen, spezielle Marktanalysen (Hammerstein u. Hagen 2006) sowie auch andere Modellierungen (Kap. 7.1) helfen, Hypothesen auf theoretischer Ebene zu überprüfen und vor allem aber auch neue Hypothesen zu entwickeln. Da Tiere mit Sicherheit keine mathematischen Kosten-Nutzenanalysen durchführen, helfen solche Analysen Grundprinzipien zu verstehen, die in der Evolution von Verhaltensstrategien eine Rolle spielen. Sie machen jedoch keine Aussagen über die tatsächlichen Mechanismen, auf deren Basis Tiere Verhaltensstrategien optimieren.
5.6 Zusammenfassung Verhalten als kontinuierlicher Prozess erfordert den Einsatz bestimmter strukturierter Regeln bei der Datenaufnahme. Nur so kann eine Quantifi-
Weiterführende Literatur 123
zierung von Verhaltensabläufen erfolgen. Neben der direkten Beobachtung spielen dabei vermehrt technische Hilfsmittel und automatisierte Verfahren eine Rolle. Der Einsatz solcher Verfahren erfordert Spezialkenntnisse und Erfahrungen und sollte daher in Pilotstudien evaluiert werden. Verhaltensbiologische Daten sind häufig individuenspezifisch, so dass dem individuellen Erkennen von Tieren eine besondere Bedeutung zukommt. Hierfür wird eine Reihe von speziellen Markierungsmethoden eingesetzt, deren Vor- und Nachteile vor Beginn einer Studie abgeschätzt werden sollten. Des Weiteren sollten bei Versuchen mit Tieren immer auch ethische und rechtliche Aspekte berücksichtigt werden. Die in der Verhaltensbiologie eingesetzten speziellen Methoden und statistischen Verfahren erfordern, sich mit der entsprechenden Thematik intensiv auseinanderzusetzen sowie die Spezialliteratur dieser Methoden zu konsultieren.
Weiterführende Literatur Bateson P (2005) Ethics and behavioural biology. Adv Study Behav 35:211–233 Bibby CJ, Burgess ND, Hill DA, Mustoe SH (1992) Bird Census Techniques. Academic Press, London Bradbury JW, Vehrencamp SL (1998) Principles of animal communication. Sinauer Associates, Sunderland, Mass Dawkins MS (1980) Animal suffering: the science of animal welfare. Chapman and Hall, London Dawkins MS (2006) A user’s guide to animal welfare science. Trends Ecol Evol 21:in press Klump GM, Dooling RJ, Fay RR, Stebbins WC (1995) Methods in Comparative Psychoacoustics. Birkhäuser, Basel Oliveira RF (2000) Thematische Spezialausgabe zu Videoplaybacks. Acta Ethol 3:1–65 Piper WH (1997) Social Dominance in birds: early findings and new horizons. Curr Ornithol:125–187 Russell WMS, Burch RL (1959) The Principles of Humane Experimental Technique. Methuen, London
6 Datenauswertung und Präsentation
6.1 Statistische Datenauswertung Bedingt durch die hohe Variabilität von Verhalten ist eine statistische Datenauswertung ein unverzichtbarer und zentraler Teil des verhaltensbiologischen Arbeitens. Von daher ist ein Grundverständnis statistischer Analyseverfahren essentiell. Auf deren Basis sollten idealerweise bereits Datenaufnahmeprotokolle und Versuchsanordnungen geplant werden (Kap. 3). Eine differenzierte Beschreibung der gängigen statistischen Verfahren geht über den Rahmen dieses Buches hinaus. Hierzu sollen statistische Fachbücher herangezogen werden (Sokal u. Rohlf 1987; Bortz et al. 1990; Sokal u. Rohlf 1995; Lamprecht 1999; Zar 1999; Köhler et al. 2002). Da dennoch das Grundverständnis im Umgang mit Daten eine so entscheidende Komponente des verhaltensbiologischen Arbeitens ist, werden hier einige der wichtigen Grundregeln dargestellt. Diese sollten es erlauben, gezielt die geeigneten statistischen Verfahren in Spezialbüchern zu vertiefen, um dann die Daten mithilfe entsprechender Software auswerten zu können. Grundsätzlich lässt sich zwischen beschreibender (deskriptiver) und schließender (induktiver) Statistik unterscheiden. 6.1.1 Beschreibende Statistik In der beschreibenden Statistik werden allgemeine Kennwerte von Datenverteilungen berechnet und dargestellt. Beschreibende Statistik ist vor allem wichtig, um sich einen Überblick über die Datenverteilungen zu verschaffen. Anhand von Graphiken lassen sich Tendenzen sehr gut erfassen und vor allem die Unterschiede im Verhalten in verschiedenen Kontexten darstellen. Diese werden dann mit Hilfe der schließenden Statistik auf ihre Signifikanz überprüft. Die beschreibende Statistik ist für die Interpretation der Ergebnisse aus der schließenden Statistik notwendig, auch wenn sie für sich genommen keine wissenschaftlich fundierten Aussagen zulässt. So kann es bei großen Stichproben sein, dass sehr kleine absolute Zusammenhänge zwischen zwei Variablen statistisch signifikant werden, obwohl sie aufgrund der geringen absoluten Effekte biologisch von begrenzter Relevanz
126 6 Datenauswertung und Präsentation
Abb. 6.1. Verschiedene Verteilungsfunktionen (aus Köhler et al. 2002). Die glockenförmige Kurve entspricht einer Normalverteilung
sind. Daher sollte eine Datenauswertung sowohl die beschreibende als auch die schließende Statistik beinhalten. Maße der beschreibenden Statistik sind Maße der zentralen Lage (Mittelwert, Median, u. a.) sowie Streuungsmaße, die ein Maß dafür sind, wie nah die Einzelwerte am Mittelwert liegen. Mittelwerte und Streuungsmaße sind geeignet, um einen Überblick über die Daten zu gewinnen und ermöglichen eine graphische Darstellung. Welches Maß das geeignetste ist, um eine Datenverteilung zu beschreiben, hängt neben der Fragestellung vor allem von der Verteilung der Daten selbst ab. Verteilungen von Daten können ‚schiefǥ oder mehr-gipfelig (oft sogar beides) sein oder sie sind ‚normalverteiltǥ (Abb. 6.1). Als Maße der zentralen Lage kommen verschiedene Parameter in Frage. Das gängigste Maß ist das arithmetische Mittel, das meist als Mittelwert bezeichnet wird. Es ist der Quotient aus der Summe der Werte und der Anzahl der Werte. Ein anderes Maß ist der Median. Er stellt den mittleren Wert der nach ihrer Größe geordneten Daten dar. Der Modalwert ist der häufigste Einzelwert. Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht. Bei den Werten 2, 2, 2, 4, 5, 5, 100 wäre also das arithmetische Mittel 17.1 (120/7), der Median wäre 4 und der Modalwert wäre 2. Die Datenverteilung in diesem Beispiel entspricht einer linksgipfeligen Verteilung mit vielen kleinen Werten und
6.1 Statistische Datenauswertung 127
wenigen sehr großen Werten (Abb. 6.1). Bei solch einer Zahlenreihe weichen die drei Maße also deutlich voneinander ab. Es ist hier offensichtlich, dass das arithmetische Mittel als der klassische Mittelwert kein gutes Maß ist, um die Werte zusammenzufassen. Er wird vor allem durch die 100 als ‚Ausreißerǥ bestimmt und nimmt sogar einen Wert an, der in den Originaldaten nicht einmal annähernd auftritt. Der Median und der Modalwert wären hier ein geeigneteres Maß, auch wenn sie ebenfalls nicht erkennen lassen, wie die Bandbreite, also die Streuung der tatsächlichen Werte, ist. Aber auch bei symmetrischen Verteilungen ohne solche Ausreißer, wie die 100 im obigen Beispiel, lässt der Mittelwert alleine keine Aussagen über die Verteilung zu. Symmetrische Verteilungen mit gleichem Mittelwert können eine sehr unterschiedliche Struktur aufweisen (Abb. 6.2). Weder für die beschreibende noch für die schließende Statistik ist daher ein einzelnes Maß als Repräsentant ausreichend. Keines der zentralen Lagemaße ist geeignet, Datenverteilungen, wie sie in wissenschaftlichen Studien vorliegen, ausreichend darzustellen. Daher
Abb. 6.2. Drei symmetrische Verteilungen mit entweder gleichem Mittelwert und unterschiedlicher Streuung (oben und Mitte) oder unterschiedlichem Mittelwert und gleicher Streuung (Mitte und unten). Mittelwerte ohne Streuungsmaß sind daher kein geeignetes Maß, um einen Datensatz zu repräsentieren. (aus Köhler et al. 2002)
128 6 Datenauswertung und Präsentation
müssen diese Maße grundsätzlich mit einem Streuungsmaß verbunden werden. Ein Streuungsmaß gibt an, wie sich die Daten tatsächlich um den Mittelwert verteilen. Bei Normalverteilungen wird in der Regel die Standardabweichung (SD) als Streuungsmaß angegeben. Sie berechnet sich aus der Differenz der Einzelwerte und dem Mittelwert. Da die Standardabweichung sich aus dem Mittelwert berechnet, ist sie auch nur für solche Datenverteilungen geeignet, für die der Mittelwert ein angemessenes Maß der zentralen Lage darstellt. Mittelwerte und Standardabweichung sind sinnvolle Maße bei symmetrischen Verteilungen, ähnlich einer Normalverteilung. Bei schiefen Verteilungen werden entweder die gesamten Einzeldaten dargestellt oder sie werden über den Median und die Quartile als Streuungsmaß repräsentiert (Abb. 6.3). Graphisch erfolgt dies anhand eines Boxplots. Der mittlere Balken stellt den Median dar. Der Kasten (die Box) beinhaltet 25% der Datenpunkte jeweils oberhalb und unterhalb des Medians. In der gesamten Box liegen somit die Hälfte aller Datenpunkte. Die Balken stellen die Spanne der restlichen Datenpunkte dar. Der Boxplot in Abb 6.3 zeigt zum einen, dass es sich um eine schiefe Verteilung handelt (der Median liegt nicht in der Mitte der Box). Zum anderen zeigt er auch, dass die Daten deutlich stärker unterhalb als oberhalb des Medians streuen. Standardabweichungen sind in Bezug auf den Mittelwert immer symmetrisch. Bei asymmetrischen Verteilungen ist der Median mit den Quartilen, bzw. der Boxplot repräsentativer und daher vorzuziehen. Aus der beschreibenden Statistik allein lassen sich wissenschaftliche Aussagen letztendlich nicht ableiten – und schon gar keine Hypothesen
Abb. 6.3. Fehlerbalkendiagramm (links) und Boxplot (rechts). Beim Fehlerbalkendiagramm wird der Mittelwert und die symmetrische Standardabweichung (oder der Standardfehler) dargestellt. Ist die Verteilung nicht symmetrisch, stellt der Boxplot eine bessere Abbildung dar, da hier die ungleiche Streuung der Daten um den Median erkennbar ist. Die obere und untere Begrenzung der Boxen stellen das 75% bzw. das 25% Quartil dar, d. h. in der Box liegen 50% der Daten. Die Balken markieren den kleinsten und den größten Wert
6.1 Statistische Datenauswertung 129
überprüfen. Für die Überprüfung von Hypothesen müssen Verfahren aus der schließenden Statistik eingesetzt werden. Hiermit wird überprüft, ob sich Datenverteilungen unterscheiden, oder aber, ob Unterschiede, die möglicherweise in Darstellungen aus der beschreibenden Statistik ersichtlich zu sein scheinen, zufällig sind. Erst anhand der Ergebnisse der schließenden Statistik können klare wissenschaftliche Aussagen getroffen werden. 6.1.2 Schließende Statistik Die in der beschreibenden Statistik berechneten Kennwerte von Verteilungen werden genutzt, um existierende Zusammenhänge zu beschreiben. Die in einer Studie erhobenen Daten basieren dabei in der Regel auf einer Stichprobe (z. B. die Anzahl der untersuchten Tiere), die möglichst so ausgewählt wurde, dass sie Aussagen über die Grundgesamtheit (z. B. alle Tiere einer Population) zulässt. Ein wichtiges Ziel der schließenden Statistik ist es, aus der Stichprobe die wahren Werte der Grundgesamtheit abzuschätzen und darauf aufbauend dann Entscheidungen zu treffen. So wird zum Beispiel mit der schließenden Statistik überprüft, ob Daten aus einer gemeinsamen Grundgesamtheit stammen oder ob sie aus verschiedenen Grundgesamtheiten stammen und sich damit unterscheiden. Mit der schließenden Statistik lässt sich gleichermaßen abschätzen, wie stark Zusammenhänge zwischen zwei Variablen sind und ob sich bestehende Zusammenhänge auf die Grundgesamtheit verallgemeinern lassen. Hat man in einem Versuch Tiere unter verschiedenen Versuchsbedingungen untersucht, möchte man mit der schließenden Statistik überprüfen, ob die Unterschiede im Verhalten der Tiere aus den beiden Versuchsbedingungen groß genug sind, um daraus schließen zu können, dass sie aus verschiedenen Grundgesamtheiten stammen und damit unterschiedlich sind. Wären die Unterschiede zu klein, muss man eine gemeinsame Grundgesamtheit annehmen und daraus schließen, dass sich die Tiere in den beiden Versuchsbedingungen nicht signifikant unterschiedlich verhalten haben. Die schließende Statistik nutzt dabei die Parameter aus der beschreibenden Statistik (Mittelwert, SD, u. a.) sowie Schätzwerte der Gesamtpopulation, aus der die Stichproben stammen. Die Grundentscheidung, wie Daten ausgewertet werden sollen, wird am Besten bereits bei der Versuchsplanung, also vor der Datenerhebung, getroffen (Kap. 3). Nichtsdestotrotz muss dieser Plan noch einmal überprüft werden, um zu entscheiden, ob die Daten tatsächlich auch so ausgewertet werden können, wie es geplant wurde. Die zu überprüfende biologische Hypothese postuliert in der Regel, dass es einen Unterschied zwischen den erhobenen Daten, aus zum Beispiel zwei verschiedenen Versuchsbedingungen, gibt. Diese biologische
130 6 Datenauswertung und Präsentation
Hypothese wird in der schließenden Statistik überprüft, in dem die Datenverteilungen gegen die Nullhypothese getestet werden. Die Nullhypothese besagt immer, dass es keine Unterschiede zwischen den Stichproben gibt bzw., dass eine Variable keine Auswirkung auf ein Verhalten hat. Zur statistischen Datenauswertung werden die Datenverteilungen entweder mit einer theoretischen Verteilung (z. B. einer Normalverteilung) verglichen, oder die Datenverteilungen aus z. B. verschiedenen Versuchsbedingungen werden miteinander verglichen. Eine Falsifizierung (statistisch begründete Ablehnung) der Nullhypothese bestätigt dann indirekt die eingangs aufgestellte, biologisch begründete Hypothese. Durch die Anwendung von statistischen Testverfahren wird dabei geprüft, ob eine Hypothese verworfen werden kann oder nicht. Nullhypothesen werden per Konvention bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von kleiner als 5% (p 0.05) verworfen. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, mit der die Nullhypothese fälschlicherweise verworfen wird, obwohl sie eigentlich richtig gewesen wäre, ist kleiner als 5%. Um Unterschiede zwischen Werten auf ihre statistische Signifikanz zu überprüfen, müssen jeweils entsprechend geeignete statistische Tests angewandt werden. Mit Ablehnung der Nullhypothese hat die zu überprüfende biologische Hypothese als Alternativhypothese weiterhin bestand, wobei die Irrtumswahrscheinlichkeit per Konvention 5% liegt. Das statistische Prüfen der aufgestellten Hypothese ist immer indirekt. Grundsätzlich wird in der schließenden Statistik zwischen zwei Arten von Tests unterschieden, den parametrischen Tests und den nicht-parametrischen Tests. Bei parametrischen Tests wird mit den Originaldaten gerechnet. Bei den meisten nicht-parametrischen Tests werden die Originaldaten bzw. Differenzen zwischen Originaldaten in Rangdaten umgewandelt. Das heißt, die Daten werden der Größe nach angeordnet und dann werden ihnen Ränge zugeordnet. Die Zahlenreihe 2, 3, 4, 5, 17, 95 würde so durch die Vergabe von Rängen in die Zahlenreihe 1, 2, 3, 4, 5, 6 umgewandelt. Dadurch werden unterschiedliche absolute Differenzen zwischen den Werten normiert. Dies hat zur Folge, dass die Werte, mit denen die statistischen Tests durchgeführt werden, nicht mehr den vollen Informationsgehalt der Originaldaten haben. Wie aber entscheidet man, welche Form der Tests die richtige für die vorliegenden Daten ist? Ob parametrische Tests oder nicht-parametrische Tests eingesetzt werden sollten bzw. können, hängt von der Verteilung der erhobenen Daten ab. Einfach ausgedrückt, stellen parametrische Tests im Vergleich zu nichtparametrischen Tests sehr spezielle Anforderungen an Datensätze. Einige
6.1 Statistische Datenauswertung 131
dieser wesentlichen Anforderungen an die Datensätze bei den parametrischen Tests sind, dass die Daten normalverteilt und dass ihre Varianzen homogen sind. Eine Normalverteilung ist eine symmetrische Verteilung, bei der die zentralen Maße (Modalwert, Median, arithmetisches Mittel) zusammenfallen und bei der 65% der Fläche dem Mittelwert ± einer Standardabweichung entspricht, sowie 95% der Fläche dem Mittelwert ±1.96 mal der Standardabweichung. Die Überprüfung, ob Daten normalverteilt sind, erfolgt mit Hilfe schließender Statistik. Es wird dabei überprüft, ob die erhobenen Daten von dieser idealen Normalverteilung signifikant abweichen. Neben einer graphischen Betrachtung der Verteilungen werden dazu statistische Verfahren, die in Statistikprogrammen zur Verfügung stehen, eingesetzt (z. B. Kolmogorov–Smirnov Test). Daten aus Verhaltensstudien sind oft sehr schief verteilt und genügen damit nicht den Anforderungen der parametrischen Tests. Daher kommen hier oft nicht-parametrische Tests zur Anwendung. Nicht-parametrische Tests sind auch dann angemessen, wenn die Stichproben sehr klein sind. Bei kleinen Stichproben lassen sich Abweichungen von Normalverteilungen nämlich nicht angemessen testen, so dass sich die Voraussetzungen für parametrische Tests nicht so überprüfen lassen, wie es bei großen Stichproben möglich ist. Viele nicht-parametrische Tests basieren, wie oben genannt, auf Rangdaten. Das heißt, die Originaldaten werden hier entweder ihrer Größe nach aufgereiht und dann mit 1 beginnend ‚durchnummeriertǥ (z. B. Mann– Withney U-Test). Bei anderen Tests werden die Differenzen zwischen Originaldaten und den zu vergleichenden Datenpunkten in Rangdaten umgewandelt (z. B. Wilcoxon matched-pairs signed-ranks Test). In jedem Fall werden auf diese Weise Extremwerte eliminiert sowie sehr ungleiche Verteilungen standardisiert. Da die nicht parametrischen Tests keine speziellen Annahmen über die Datenverteilungen machen, kommen sie besonders in der Verhaltensbiologie, wo schiefe Verteilungen bzw. kleine Stichproben oft vorkommen, sehr häufig zur Anwendung. Nicht-parametrische Tests bilden somit besonders bei einfachen Tests, wie zum Beispiel dem Vergleich von dem Verhalten von Tieren unter zwei verschiedenen Versuchsbedingungen, eine gute Alternative zu den parametrischen Testverfahren. Nicht-parametrische Tests ermöglichen jedoch nicht, multivariate Datensätze, in denen verschiedene Einflussgrößen auf ein Verhalten unter unterschiedlichen Versuchbedingungen gleichzeitig untersucht werden sollen, umfassend auszuwerten. Solche sehr komplexen Verfahren finden sich nur unter den parametrischen Tests. Doch auch bei nichtparametrischen Tests sind bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen. So ist es wichtig, dass die Daten entweder gepaart sind (jedes Tier wird unter
132 6 Datenauswertung und Präsentation
zwei Versuchsbedingungen getestet) oder unabhängig sind (jedes Tier wird nur einmal getestet), wie es in Kap. 3 betont wurde. Erfüllen die Daten die Voraussetzungen für parametrische Tests, muss entschieden werden, welches spezielle statistische Verfahren angewendet werden soll. Einfache parametrische Tests sind z. B. t-Tests, bei denen Daten von zwei Stichproben miteinander verglichen werden. Bei komplexeren Datensätzen, wie sie meist in der Verhaltensbiologie vorliegen, ist es angebracht, entsprechend aufwendigere statistische Verfahren wie z. B. Varianzanalysen einzusetzen. Um zu entscheiden, welches statistische Modell für eine komplexe Datenanalyse (univariates oder multivariates allgemeines lineares Modell, Varianzanalyse mit Messwiederholungen, u. a.) eingesetzt wird, müssen entsprechende statistische Fachbücher herangezogen werden. Auch Diskussionen mit Kollegen sind hier sehr förderlich, vor allem dann, wenn trotz der Lektüre von Statistikbüchern Fragen in Bezug auf die Datenanalyse offen bleiben, wie die eigenen Daten am Besten analysiert werden sollten. Wichtig ist, sich vor Beginn der Analyse zu überlegen, wie die Daten analysiert werden sollen. Statistikprogramme können dazu verführen, sich durch die Menüstruktur „hindurch zu klicken“ und dabei unbedacht verschiedene Analysen auszuprobieren, ohne ein Verständnis zu entwickeln, welche Tests die Datenstruktur erfordert. Desweiteren sollte grundsätzlich die Anzahl der durchgeführten statistischen Tests so gering wie möglich gehalten werden, da die Wahrscheinlichkeit, zufälligerweise ein signifikantes Ergebnis zu erhalten, mit der Anzahl durchgeführter Tests steigt. Diese kurze Zusammenfassung einiger Grundlagen sowie einiger Verfahren reichen in keinem Fall aus, um Daten angemessen analysieren zu können. Daher ist es erforderlich, sich in Fachseminaren bzw. in Fachbüchern weiter mit der Materie zu beschäftigen (Sokal u. Rohlf 1987; Siegel u. Castellan 1988; Köhler et al. 2002). Statistische Fachbücher sind für den Laien oft schwer zu lesen und werden daher als Lektüre gerne gemieden. Für komplexe Datensätze, wie sie in der Regel in der Verhaltensbiologie vorliegen, ist es jedoch essentiell, sich mit den statistischen Grundlagen der Datenanalyse auseinander zu setzen. Daher ist zu empfehlen, zuerst mit Einführungsbüchern in die Thematik einzusteigen und sich dann erst komplexeren Statistiken zuzuwenden.
6.2 Präsentation wissenschaftlicher Ergebnisse Eine noch so gut und umfassend durchgeführte Studie wird erst dann von anderen wahrgenommen, wenn sie entsprechend vorgestellt wird. Besonders in der heutigen Zeit spielt dies eine zunehmende Rolle, um bei der Vielfalt
6.2 Präsentation wissenschaftlicher Ergebnisse 133
der durchgeführten Studien wahrgenommen zu werden. Seminarvorträge während des Studiums sind daher vor allem als Chance zu sehen, in der Darstellung von wissenschaftlichen Studien Übung zu bekommen. Vor allem geht es hier um Grundregeln, die in gleicher Weise für kleine Projekte im Studium gelten, wie auch für umfassendere Projekte wie Studiumsabschlussarbeiten sowie anschließende Studien. Grundsätzlich gibt es drei Formen des Vorstellens von Studien: Poster, Vorträge, sowie schriftliche Arbeiten (Kremer 2005). Alle drei Formen haben ihre spezielle Bedeutung und werden im Folgenden kurz im Einzelnen behandelt. 6.2.1 Vorträge Vorträge sind oft der erste Schritt der Präsentation wissenschaftlicher Ergebnisse, dem dann meist das Zusammenschreiben der Studie folgt. Das Ziel eines Vortrages ist neben der eigentlichen Wissensvermittlung auch Interesse für das eigene Projekt bei den Zuhörern zu erwecken. Hierzu ist die Motivation und der Enthusiasmus des Vortragenden sehr wichtig. Zuallererst ist es dazu hilfreich, sich soweit in die Materie eingearbeitet zu haben, dass man sich auch selber für die Inhalte begeistern kann. Wenn sich diese Begeisterung auf die Zuhörer überträgt, ist oft viel gewonnen. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer lässt sich durch regelmäßigen Blickkontakt des Vortragenden mit allen Zuhörern (nicht nur mit einer einzelnen Person!) steigern. Mit dem Rücken zum Publikum zu stehen und den Blick dauerhaft auf die Projektion zu werfen, macht keinen guten Eindruck und ist nicht förderlich, die Aufmerksamkeit des Publikums zu binden. Ebenso wenig sollte man dauerhaft auf den Computerschirm schauen, der zur Steuerung der Projektion meist vor einem steht. Notizen sind hilfreich, man sollte aber die Tatsachen kennen und im Kopf haben (nicht ablesen). Zu ausführliche Notizen hindern daran, Blickkontakt mit den Zuhörern aufzunehmen, was dann auch Rückmeldungen aus dem Publikum versperrt. Vorträge zu halten, die klar, übersichtlich und verständlich sind und dabei auch noch die Zuhörer begeistern, ist nicht einfach. Besonders wenn man ungeübt ist, sollte man den Vortrag daher im Vorfeld erst alleine, und wenn es sich um einen wichtigen Seminar- oder sogar Konferenzvortrag handelt, auch vor anderen üben. Solche ‚Trockenübungenǥ sind enorm wichtig, da man dabei zum einen selber merkt, wo Probleme liegen und Zuhörer zusätzlich meist auch Verbesserungsvorschläge in Bezug auf den Vortragsstil und die Darstellungen auf den Folien machen. Übt man einen Vortrag alleine zu Hause, indem man immer den Computerbildschirm im Blick hat, wird es dann im ‚Ernstfallǥ schwierig, völlig frei zu reden. Von daher ist zu empfehlen, Vorträge so zu üben, dass man ohne dauerhaften
134 6 Datenauswertung und Präsentation
Blick auf die Präsentation weiß, was man sagen will und dann ergänzend auf die wichtigen Punkte auf der Leinwand hinweist. Um dem Zuhörer den Einstieg in die Thematik leicht zu machen, sollte man sich Zeit dafür lassen, zu erzählen, in welchem Zusammenhang (theoretischer und praktischer Art) das behandelte Thema steht. Eine allgemeine theoretische Einführung ist enorm wichtig, denn mit ihr kann man den Zuhörern verdeutlichen, dass eine möglicherweise sehr spezielle Studie einen wichtigen Beitrag zu einem übergeordneten Thema leisten kann. Aus der Vorstellung der reinen Studie wird sonst das Verständnis der übergeordneten Thematik für Nicht-Spezialisten nicht leicht nachvollziehbar. Darauf folgen dann klar herausgearbeitet die Fragestellungen der Arbeit bzw. die Hypothesen mit ihren Vorhersagen. Dadurch macht man dem Zuhörer das Thema schmackhaft und erleichtert es ihm, später genannte Fakten einzuordnen. Methodische Details sollten nur genannt werden, soweit sie zum Verständnis notwendig sind. Sie können sonst entsetzlich langweilen. Oft kann man sie besser erwähnen, wenn bestimmte Befunde erklärt werden. Einen Abschnitt „Material und Methode“, wie ihn die wissenschaftlichen Arbeiten beinhalten, sollte man daher auf das zum Verständnis der Kernpunkte Wesentliche beschränken. Dabei ist vor allem wichtig, zu begründen, warum man was wie gemacht hat. Spezielle Detailfragen zur Methodik lassen sich oft in der Diskussion nach einem Vortrag besser klären. Bei Powerpointpräsentationen ist zu bedenken, dass komplexe Versuchsaufbauten oder Abkürzungen von Versuchsbedingungen den Zuhörern beim Betrachten der folgenden Folien evtl. nicht mehr präsent sind. In solchen Fällen kann es sehr sinnvoll sein, ergänzend auf ein Tafelbild zurückzugreifen, das den Vorteil hat, für den Zuhörer dauerhaft über die Vortragszeit sichtbar zu sein. Für den Vortragenden erleichtert es die Darstellung, wenn wesentliche Zusammenhänge in Abbildungen vorgeführt werden. Jede projizierte Abbildung muss gut lesbar sein und sollte sorgfältig erklärt werden (Was ist auf den Achsen? Wie kommen die Punkte/die Kurve zustande? Was ist die Aussage?) (Kroodsma u. Byers 2000). Man sollte sich daher selbst für die Erklärung einer einfachen Abbildung ausreichend Zeit lassen, da sonst die Zuhörer die gezeigten Inhalte nicht verarbeiten können. Für die Zuhörer ist es dabei zur Orientierung enorm hilfreich, wenn beim Verweis auf dargestellte Zusammenhänge mit dem Zeigestock oder Laserpointer auf die entsprechenden Stellen gezeigt wird, anstatt wage mit dem Finger in Richtung der Projektion zu zeigen. Tabellen sind meist weniger geeignet als Abbildungen, um Ergebnisse in einem Vortrag zu präsentieren. Vor allem sollte vermieden werden, große Tabellen zu zeigen, die keiner lesen kann und dann dazu zu sagen, „das braucht ihr alles nicht lesen zu können, ich wollte nur diese Zahl
6.2 Präsentation wissenschaftlicher Ergebnisse 135
hier zeigen …“. Die Zuhörer versuchen oft dennoch, die gesamte Tabelle zu lesen und können dann dem Redner nicht mehr die volle Aufmerksamkeit schenken. Es sollten vor allem Ergebnisse herausgearbeitet werden, die zu den eingangs gestellten Fragen Antworten liefern. Schließlich sollte man abschließend die Bedeutung der gewonnenen Ergebnisse in einem größeren theoretischen Zusammenhang erklären. Dies kann man praktisch als eine Fortführung des theoretischen Hintergrundes sehen, den man in der Einleitung dargestellt hat, nur dass hier auch die eigenen Ergebnisse mit der Theorie verbunden werden. Dieser Teil muss nicht lang sein Am Ende des Vortrages sollte deutlich sein, welchen Beitrag die Studie in Bezug auf die eingangs gestellten Fragen und Hypothesen und deren übergeordnete Theorie geliefert hat. Auch ist zu empfehlen, dass man sich bei der Herstellung der Folien von den farblichen Gestaltungsmöglichkeiten sowie den visuellen und auditorischen Animationsmöglichkeiten in Powerpoint nicht zu sehr verführen lassen sollte. Zu farbige Folien sind oft in den meist hellen Vortragsräumen schwer zu lesen, und zu komplexe Animationen können zwar kurzfristig Aufmerksamkeit erregen, lenken aber schnell von den Inhalten ab. Einerseits gilt es hier, das Motto ‚weniger ist mehrǥ zu beherzigen, andererseits sollte man natürlich die Möglichkeiten, die Computerprojektionen bieten, zur Vermittlung der Inhalte sinnvoll nutzen. Letztendlich hängt die Wirkung eines Vortrages neben den präsentierten Inhalten ja zu einem großen Teil davon ab, wie die Studie präsentiert wird. An dieser Stelle sollte auch die Rolle, die man als Zuhörer bei den Vorträgen anderer einnimmt, nicht vergessen werden. Das Zuhören bei Vorträgen und die Beteiligung an anschließenden Diskussionen ist zwar kein Aspekt der Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse. Dennoch ist es ein bedeutender Teil des wissenschaftlichen Prozesses. Aus dem Zuhören bei Vorträgen und der Bewertung von deren Stärken und Schwächen lernt man meist auch viel für sich selbst. Dinge, die einem positiv auffallen, kann man versuchen, selber in eigenen Vorträgen umzusetzen, und Dinge, die einem negativ auffallen, kann man versuchen, selbst bei den eigenen Vorträgen zu vermeiden. Neben dem positiven Effekt für den Vortragenden, der durch Fragen und Kommentare einen Gewinn für die eigenen Studien und deren Darstellung gewinnen kann, schult das Zuhören und Fragenstellen nach Vorträgen auch die eigenen Strategien zur schnellen Erfassung wissenschaftlicher Inhalte. Hier muss man überlegen, was und vor allem warum man was nicht verstanden hat. Eigene Unklarheiten tatsächlich in Worte zu fassen und zu artikulieren ist nicht immer einfach, hilft aber meist nicht nur dem Vortragenden, sondern auch einem selbst. In der Informationsfülle, die meist in Vorträgen geboten wird, ist es hierzu hilfreich, sich während des
136 6 Datenauswertung und Präsentation
Vortrages bereits zu notieren, zu welchen Aspekten man eine Frage stellen könnte. Besonders bei längeren Vorträgen vermeidet man so, dass man nach Ende des Vortrages keine Frage präsent hat. 6.2.2 Erstellung von Postern Poster werden in der Regel in DIN A0 erstellt. Vor Erstellung des Posters sollten dessen inhaltlichen Ziele sowie der Ort und Kontext, in dem es vorgestellt wird, in Betracht gezogen werden. Das Ziel eines Posters ist es, in kurzer und übersichtlicher Form auf die Studie und deren wesentlichen Inhalte aufmerksam zu machen und Interesse bei anderen für die Studie zu wecken. Grundsätzliche Überlegungen Eine umfassende Darstellung von Details der Methoden und Ergebnisse ist bei Postern in der Regel weder das Ziel, noch möglich und meist sogar kontraproduktiv. Zu detaillierte Poster sind meist unübersichtlich. Wird ein Poster auf einer Tagung vorgestellt, hat man den Vorteil, dass das Fachpublikum meist bereits ein Grundinteresse an der Thematik hat und unter Umständen mit den theoretischen und praktischen Hintergründen vertraut ist. Dies muss allerdings nicht so sein, vor allem nicht, wenn es sich um thematisch sehr breit angelegte Tagungen handelt. Wichtig ist es zu bedenken, dass auf Tagungen sehr viele Poster vorgestellt werden und Postersitzungen meist recht kurz sind, so dass die Kerninformation sehr schnell erfassbar sein sollte. Dies ist wichtig, da Ablenkungen oft sehr groß sind und auch bei der großen Informationsdichte auf Tagungen die Aufnahmefähigkeit von Neuem begrenzt sein kann. Personen, die auf dem gleichen Gebiet arbeiten oder sich aus anderen Gründen sehr für die Thematik interessieren, suchen die Poster oft direkt auf. Wenn man aber ein Poster gestaltet, das auch bei Personen außerhalb des engsten Fachkreises Interesse erweckt, kann dies sicherlich auch von Vorteil sein, um für sich selbst und das Thema zu werben. Auf Konferenzen hängen Poster auch oft so dicht, dass sie aus zweiter Reihe gelesen werden müssen. Daher sollte die Schriftgröße so groß sein, dass sie auch gut von weitem lesbar ist. Ausdrucke in DIN A4 zum Mitnehmen, die z. B. in Klarsichtfolien an der Postertafel bereitgestellt werden, ermöglichen den Betrachtern, sich die Inhalte später noch einmal in Ruhe anzusehen. Über die auf dem Poster und den Ausdrucken angegebene eigene Adresse können Interessierte dann auch zu einem späteren Zeitpunkt einen Kontakt herstellen.
6.2 Präsentation wissenschaftlicher Ergebnisse 137
Werden Poster für Institutsgänge konzipiert, gelten im Wesentlichen oben beschriebene Richtlinien. Die direkte Konkurrenz zu anderen Postern ist hier geringer, und die Poster bleiben über lange Zeiträume angebracht. Hier muss aber berücksichtigt werden, dass die meisten Personen die Poster nur im Vorbeigehen betrachten. Inhaltliche Strukturierung Die Gestaltung von Postern ist sehr individuell und vielfältig, und anders als bei wissenschaftlichen Texten gibt es hier keine festen formellen Vorgaben. Von daher gelten die folgenden Anmerkungen eher als grobe Orientierungspunkte, die der individuellen Phantasie keine Grenzen setzen sollen. Grundsätzlich muss jedoch immer im Vordergrund stehen, dass ein Poster das Ziel hat, wissenschaftliche Inhalte zu transportieren und eine attraktive Postergestaltung dies unterstützen sollte. Bei bunten Postern oder Postern mit komplexen Hintergründen sollte bedacht werden, dass die optische Attraktivität nicht die Erfassung der Inhalte behindern sollte. Die Schrift sollte trotz Layout und Hintergrund gut lesbar sein. Hilfreich ist es meist, wenn Poster eine klare kurze Zusammenfassung (ein bis zwei Sätze) aufweisen, da sich weitere Inhalte auch leichter erfassen lassen, wenn man die Schlussfolgerungen bereits kennt. Die Einleitung sollte kurz und mit einer klaren Fragestellung versehen sein. Wenn man nicht direkt erfährt, was das Ziel der Studie ist, lassen sich die weiteren Inhalte nur schwer einordnen. Die Methoden sollten auf das Wesentliche reduziert sein. Hier benötigt man oft etwas „Mut zur Lücke“. Kein Betrachter erwartet von einem Poster umfassend alle Details zu verstehen, so dass das Weglassen von (meist wichtigen) Details nicht negativ ausgelegt wird und es im Gegenteil die Chance bietet, in ein direktes Gespräch mit denen zu kommen, die sich für das Thema interessieren. Abbildungen zum Versuchsaufbau oder – ablauf sind oft ebenfalls hilfreich und können eine einfachere und platzsparendere Methodenübersicht bieten als komplexe längere Texte. Als Ergebnisse sollte nur das Wichtigste dargestellt werden, am Besten mit wenigen klaren Abbildungen und der entsprechenden (kurz gefassten) statistischen Auswertung. Die Diskussion sollte ebenfalls kurz und klar sein. Auch hier wird nicht erwartet, dass eine vollständige differenzierte Bewertung der Studie erfolgt. Dennoch ist es wichtig, Schlussfolgerungen angemessen zu formulieren und Schlüsse nur in dem Rahmen zu verallgemeinern, wie es die Studie zulässt. Ein ansprechendes Poster zu erstellen erfordert somit vor allem, sich zu allererst selbst zu verdeutlichen, was der Kern der Studie ist. Inhalte kurz, klar und überzeugend darzustellen ist meist schwieriger als sie ausführlich im Text zu beschreiben. Entsprechend sollte ausreichend Zeit eingeplant
138 6 Datenauswertung und Präsentation
werden, sowie die Möglichkeit genutzt werden, einen Entwurf zuerst in kleinem Rahmen vorzustellen. 6.2.3 Verfassung wissenschaftlicher Texte Am Ende einer jeden wissenschaftlichen Studie steht die schriftliche Darstellung. In der Regel ist dies eine wissenschaftliche Publikation in einer Fachzeitschrift. Protokolle während des Studiums bzw. der Studienabschlussarbeiten haben in der Regel ähnliche Anforderungen und stellen eine wichtige Erfahrung im wissenschaftlichen Schreiben dar. In vielen Arbeitsgruppen werden Praktikumsprotokolle sowie Studienabschlussarbeiten bereits entsprechend allgemeiner Prinzipien, denen wissenschaftliche Fachpublikationen unterliegen, durchgeführt. Letztendlich stellen wissenschaftliche Publikationen den entscheidenden Endpunkt einer Studie dar. Denn hier müssen, noch ausführlicher und klarer als auf Postern oder Vorträgen, die wesentlichen Details einer Studie dargestellt werden. Das Manuskript muss dann auch einer Begutachtung durch Spezialisten auf dem Gebiet standhalten. Im Folgenden sollen einige Grundregeln beschrieben werden. Eine wissenschaftliche Arbeit sollte mit dem übergeordneten Thema des Projektes beginnen. Dabei sollten die übergeordnete Theorie und die übergeordneten Problemstellungen unter Berücksichtigung der relevanten Literatur dargestellt werden. Die Einleitung ist aber keine Übersicht á la Lehrbuch, sondern führt möglichst zielstrebig auf die selbst gestellte oder bearbeitete Frage hin. Die Fragen (Hypothesen) des Projektes sowie die Vorhersagen sollten am Ende der Einleitung abgeleitet werden und klar formuliert sein. Hier sollte auch genannt werden, wie diese Fragen untersucht wurden. Letztendlich sollte durch eine klare Einleitung einem Leser auch vermittelt werden, dass das Thema interessant und wichtig ist. Am Ende der Einleitung sollte ein Leser wissen, was warum mit welchen Vorhersagen in der Studie untersucht wurde. In den Methoden wird die eigene Vorgehensweise beschrieben. Hier wird beschrieben, wie gemessen, definiert und gerechnet wurde. Hier wird auch genannt, wie viele Tiere verwendet wurden und wie sie gehalten wurden. Im Idealfall kann nach dem Lesen dieses Abschnitts ein fachkundiger Außenstehender den Versuch in der genau gleichen Weise durchführen und damit auch die Ergebnisse überprüfen. Oft erleichtern Skizzen der Versuchsanordnung das Verständnis der Methoden. Im Ergebnisteil werden die im Versuch gewonnenen und für die Fragestellung wichtigen Resultate kurz beschrieben. Messergebnisse und gegebenenfalls ihre statistische Absicherung werden knapp genannt. Tabellen mit Überschriften und Abbildungen mit Legenden helfen, wesentliche Daten
6.3 Literaturrecherche 139
übersichtlich zusammenzufassen. Tabellen und Abbildungen sollten so beschriftet sein, dass sie aus sich heraus weitestgehend verständlich sind. Sie ersetzen aber nie den Text des Ergebnisteils, sondern ergänzen ihn und tragen zur Dokumentation der Daten wesentliche Aspekte bei. Man sollte nicht dieselben Fakten in Abbildung und Tabelle darstellen. Im Text sollte stattdessen ergänzend auf die Tabellen und Abbildungen verwiesen werden und ihre Kernaussage genannt werden. Im Abschnitt der Diskussion werden die Ergebnisse kritisch interpretiert und durchleuchtet, und zwar unter Berücksichtigung dessen, was aus der Literatur bekannt ist. Worin ist der Beitrag dieser Befunde an unserem Wissen zu sehen? Was ist offen geblieben und wie könnte man die offenen Fragen experimentell angehen? Die Diskussion beginnt am Besten mit einer kurzen Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse. Falls Fehler oder Probleme bei der Versuchsdurchführung diskutiert werden, muss dies in die allgemeine Diskussion der Ergebnisse integriert werden (kein Extraabschnitt: Fehlerdiskussion). Wissenschaftliche Arbeiten haben zu Beginn in der Regel eine Zusammenfassung. Sie gibt einen Überblick über die gesamte Arbeit, beinhaltet also auch Ergebnisse und Schlussfolgerungen. Damit wird dem Leser nicht die Spannung genommen, wie der eine oder andere argumentieren könnte. Interessierte Leute, die aufgrund der Fülle neuer Publikationen eine große Anzahl spannender Literatur zur Auswahl haben, können anhand von Zusammenfassungen das für sie Relevante besser herausfiltern und gezielt lesen. Ihren Platz findet die Zusammenfassung daher am Anfang einer wissenschaftlichen Arbeit, auch wenn sie in der Praxis erst verfasst wird, nachdem die Hauptteile verfasst wurden. Im Literaturverzeichnis werden alle Arbeiten, die man im Text zitiert hat, aufgeführt – nicht jedoch alle Arbeiten, die man zum Thema je gelesen hat. Das Format der Angaben mag, je nachdem, ob man eine Abschlussarbeit, ein Buch oder für verschiedene Zeitschriften schreibt, variieren. Wichtig ist lediglich dass die Angaben vollständig und in einem einheitlichen Format sind. Das Verfassen wissenschaftlicher Texte sollte nicht unterschätzt werden. Meist braucht man doch länger für die einzelnen Teile als ursprünglich geplant. Um ins Schreiben hereinzukommen, bietet es sich an, mit „einfacheren“ Teilen wie der Methodik und den Ergebnissen zu beginnen. Es ist dabei auch empfehlenswert, sich anhand der Formate von bestehender Literatur zu orientieren.
6.3 Literaturrecherche Um vor Beginn einer Studie diese gut zu planen, ist eine ausreichende Kenntnis der vorhandenen Literatur zu dem Thema erforderlich. Literatur-
140 6 Datenauswertung und Präsentation
recherche ist sehr zeitaufwendig, so dass entsprechend viel Zeit hierfür eingeplant werden sollte. Auch während und vor allem nach dem Abschluss einer Studie, wenn die Daten interpretiert werden und mehr Kenntnisse vorliegen, als zu Beginn der Studie, sollte die Literaturarbeit fortgesetzt werden. Ein Grossteil der aktuellen Literatur ist inzwischen online über Suchmaschinen sowie über Bibliothekskataloge der Universitätsbibliotheken erhältlich. Dies führt zu einer enormen Zeitersparnis im Vergleich zu der klassischen Literarsuche über gedruckte Medien in den Bibliotheken und Fernleihen. Allerdings liegt hier auch die Gefahr, relevante Literatur, die nicht online erhältlich ist, zu ignorieren, da der Weg in die Bibliothek zweifelsfrei umständlicher ist, als sich die Literatur als PDFDateien vom Internet herunter zu laden. Hier kann nur betont werden, dass man sich dieser Bequemlichkeit verwehren sollte, und die Literatur, die relevant wirkt, komplett einsehen sollte, unabhängig davon, ob die Literatur online erhältlich ist oder nicht. Die Literatursuche kann mit etwas Routine in einem Gebiet, in das man bereits eingearbeitet ist, vergleichsweise zügig und effizient gestaltet werden. Wenn man sich erstmals mit einer Thematik beschäftigt, kann es langwieriger sein, zu einer geeigneten und damit effektiven Suchstrategie zu kommen. Klassischerweise sucht man in wissenschaftlichen Datenbanken und nicht direkt in allgemeinen Suchmaschinen, wie Google oder Yahoo, da die Trefferrate auf wissenschaftliche Literatur in den speziellen Datenbanken (ISI Web of Knowledge etc.) deutlich größer ist. In der Regel sollte eine erste Suche über Stichwörter (keywords) erfolgen. Diese Stichwörter können bestimmte Themen, Tierarten oder Autoren sein und sollten auch in Englisch eingegeben werden, um die meist englische Fachliteratur erfassen zu können. In der Regel ist es sinnvoll, erst mit allgemeineren Stichwörtern zu suchen und dann spezieller zu werden, wenn die Anzahl Treffer zu umfassend wird. Sobald Literatur gefunden wurde, die relevant zu dem gesuchten Thema erscheint, ist es sinnvoll, die Literaturverzeichnisse der aktuellen Literatur durchzusehen, um dann gezielt nach weiteren, älteren Arbeiten zu suchen. Hier kann dann wieder über das Studium des Textes und des Literaturverzeichnisses gezielt im Internet weitergesucht werden. Auch ist es sinnvoll, sich die oft vor dem Textanfang angegebenen Stichwörter (keywords) der gefundenen Literatur einzuprägen, um dann mit diesen Stichwörtern speziell weiter zu suchen. Ein ergänzender Weg der Literatursuche kann auch die gezielte Aufsuche der Internetseiten von Autoren sein, da hier oft die kompletten Literaturverzeichnisse der entsprechenden Wissenschaftler angezeigt werden. In den meisten Themenkomplexen kommt man auf diese Art und Weise zu einer sehr umfassenden Menge an Literatur, die es zu bewerten gilt. Sich aus einer oft überwältigenden Menge an Literatur die wirklich relevanten
Weiterführende Literatur 141
Arbeiten herauszusuchen, ist meist zeitaufwendiger als die ersten Schritte der Literatursuche. Letztendlich sollte man auch Übung darin gewinnen, die Qualität einer Veröffentlichung für sich selber zu erfassen und zu beurteilen. Letztendlich sollte man durch kritisches Lesen und Diskutieren lernen, selber zu beurteilen, ob die wissenschaftliche Studie tatsächlich die Aussagen zulässt, die die Autoren in der Arbeit machen.
Weiterführende Literatur Barnard C, Gilbert F, McGregor PK (1993) Asking questions in biology: design, analysis & presentation in practical work. Longman, Harlow, UK Köhler W, Schachtel G, Voleske P (2002) Biostatistik. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Kremer BP (2005) Vom Referat zu Examensarbeit, 2. Auflage. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokyo Siegel S, Castellan NJ (1988) Nonparametric statistics for the behavioral sciences, 2nd edn. McGraw–Hill, New York Sokal RR, Rohlf FJ (1987) Introduction to Biostatistics. Freeman, New York
148 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
7.2 Analyse sozialer Netzwerke Jens Krause, University of Leeds; Richard James, University of Bath; Darren P. Croft, University of Bangor Einleitung Die Beschäftigung mit sozialen Netzwerken begann in den Sozialwissenschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ist durch jüngere Entwicklungen aus der Physik entscheidend bereichert worden (Newman 2003). In der Verhaltensbiologie ist dieser Forschungsansatz jedoch noch relativ wenig verbreitet, obwohl er eine Reihe interessanter Möglichkeiten mit sich bringt. Das Studium von Sozialverhalten beschränkt sich dort häufig auf die Untersuchung dyadischer Beziehungen. Die Betrachtung sozialer Netzwerke bietet demgegenüber den großen Vorteil, dass das Verhalten von Individuen im Kontext der ganzen Gruppe oder Population untersucht werden kann. Wir können diesen Ansatz zum Beispiel benutzen, um herauszufinden, wer von wem lernt und wie Informationen durch eine Population fließen. Ebenso kann untersucht werden, wie sich eine Krankheit innerhalb einer Population ausbreitet. Für die Modellierung sozialer Netzwerke ist es erforderlich, dass Tiere individuell unterscheidbar sind und dass wiederholte Beobachtungen derselben Individuen möglich sind. Der Analyse sozialer Netzwerke liegt der Gedanke zugrunde, dass Netzwerkstrukturen uns entscheidende Aufschlüsse über die Wahrscheinlichkeit und die Geschwindigkeit geben können, mit der sich Informationen oder Krankheitserreger in einer Population ausbreiten. Darüber hinaus haben Netzwerkstrukturen auch Relevanz für die Evolution von reziproker Kooperation in Populationen (Croft et al. 2006). Beschreibung sozialer Netzwerke Ein erster Schritt zur Beschreibung sozialer Netzwerke ist die Berechnung einfacher statistischer Parameter wie mittlere Weglänge (L), mittlerer Clusterkoeffizient (C) und mittlerer Grad der Verbundenheit (k) (Albert u. Barabási 2002; Newman 2003). L ist die durchschnittliche Mindestanzahl von Verbindungspunkten (d. h. Individuen) zwischen Paaren von Individuen in einem Netzwerk. In Abb. 7.2 laufen z. B. Verbindungen zwischen den Individuen 1 und 4 über mindestens einen Punkt (Individuum 2 oder 3), während Verbindungen zwischen den Individuen 2 und 7 über mindestens zwei Punkte laufen (Individuen 4 und 5). L ist eine globale Größe, aus der sich Aussagen über die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Informationen in einem Netzwerk ableiten lassen. Je kleiner L ist, desto schneller breiten sich Informationen (oder
7.2 Analyse sozialer Netzwerke 149
Abb. 7.2. Ein Netzwerk, das aus 8 Individuen und 11 direkten Verbindungen besteht. Für dieses Beispiel sind die mittleren Werte: L=2.214, C=0.667 und k=2.75
Krankheitserreger) global im Netzwerk aus. C misst für jedes Individuum den Anteil der direkten Verbindungen, die zwischen den Individuen in seiner unmittelbaren Netzwerknachbarschaft bestehen, bezogen auf die maximal mögliche Anzahl von direkten Verbindungen zwischen seinen Nachbarn. Der Wert für C für Individuum 7 ist z. B. 2/3, da von seinen drei Nachbarn (5, 6 und 8) nur 2 Paare miteinander verbunden sind (zwischen 5 und 8 besteht keine direkte Verbindung). Für ein ganzes Netzwerk bildet man dann den Mittelwert aller individuellen, lokalen C-Werte und erhält so ein Maß für den Vernetzungsgrad der Nachbarschaft von Individuen. Der Wert k ist die durchschnittliche Anzahl von sozialen Verbindungen, die ein Individuum in einem Netzwerk hat. Für Individuum 1 in Abb. 7.2 ist dieser Wert 2, da 1 mit den zwei Individuen 3 und 2 verbunden ist. Zusammengenommen vermitteln L, C und k ein gutes Bild von der globalen und lokalen Struktur eines sozialen Netzwerks und geben uns erste Näherungen bezüglich der Frage, wie sich Informationen (oder Krankheitserreger) über das Netzwerk ausbreiten könnten (Watts u. Strogatz 1998). Studien an Fischen (Croft et al. 2004) und Delphinen (Lusseau 2003) haben gezeigt, dass die Strukturen von Populationen stark von rein zufälligen Netzwerkstrukturen abweichen. Die Werte für L, die mittleren Weglängen zwischen Individuen, sind relativ niedrig und die Werte für C relativ hoch, was auf stark strukturierte lokale Netzwerkbeziehungen hindeutet (Croft et al. 2004). Die niedrigen Werte von L lassen darauf schließen, dass eine sehr schnelle Ausbreitung von Informationen im Netzwerk möglich ist (Watts u. Strogatz 1998). Konventionelle Netzwerktheorie (wie sie zur Berechnung von L, C und k benutzt wird) basiert auf ungewichteten Verbindungen zwischen Individuen, d. h. eine Verbindung existiert oder sie existiert nicht, aber die Stärke einer Verbindung (Häufigkeit oder Intensität des Kontakts zwischen zwei Individuen) wird nicht in Betracht gezogen. Dieses vereinfachte Herangehen vernachlässigt einen der interessantesten Aspekte von biologischen Systemen, nämlich das Auftreten wiederholter Kontakte zwischen Individuen, die sich wiedererkennen können. Um diesen Aspekt, der eine
150 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung a
b
Abb. 7.3a, b. a Das soziale Netzwerk einer Population von Guppies in Trinidad. Alle Fische aus zwei miteinander verbundenen Teichen wurden individuell markiert und anschließend freigesetzt. Über die nächsten 2 Wochen wurden ungefähr 20 Fischschwärme pro Tag gefangen, und die Fische, die im gleichen Schwarm waren, im Netzwerk miteinander verbunden. Daraus entstand ein Netzwerk, welches 197 Individuen miteinander verbindet. Jeder Kreis repräsentiert einen männlichen Fisch und jedes Quadrat einen weiblichen Fisch. Die Unterschiede in der Körpergröße sind durch die Variation in der Symbolgröße wiedergegeben. Individuen, die durch eine Linie verbunden sind, wurden mindestens zweimal zusammen in einem Schwarm gefunden. b Fünf diskrete Communities (repräsentiert durch verschiedene Graustufen) konnten innerhalb der Guppypopulation identifiziert werden
wichtige Voraussetzung für die Evolution von reziproker Kooperation darstellt, zu berücksichtigen, haben Croft et al. 2004 AS (association strength) eingeführt. AS ist ein Maß für die Stärke einer sozialen Verbindung, welches ausdrückt, wie häufig paarweise Interaktionen zwischen Individuen in einer Population auftreten. Um zu ermitteln, ob zwei Individuen signifikant häufig miteinander Kontakt haben, kann man AS mit Monte Carlo Simulationen (die eine Zufallsverteilung von sozialen Verbindungen generieren) vergleichen. Croft und Kollegen konnten zeigen, dass Guppies, Poecilia reticulata, eine komplexe Netzwerkstruktur aufweisen, die durch das häufige Auftreten starker paarweiser Verbindungen zwischen weiblichen Fischen gekennzeichnet ist (Croft et al. 2005). Derartige Verbindungen bilden eine Basis für kooperative Kontakte zwischen Individuen, die eine wichtige Rolle während der Interaktion mit Räubern beim sogenannten Predator Inspection Behaviour spielen (Croft et al. 2006) (Abb. 7.3). Sozialstrukturen innerhalb von Netzwerken Wenn wir die Sozialstruktur von Tieren betrachten, denken wir im Allgemeinen in Kategorien von Gruppen und Populationen. Neue Entwicklungen
7.2 Analyse sozialer Netzwerke 151
in der Netzwerktheorie weisen jedoch auf die Existenz von Sozialstrukturen hin, die zwischen den Niveaus von Populationen und Gruppen liegen und die wir Communities nennen wollen. Die Struktur solcher Communities spielt möglicherweise eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung von Informationen. Croft et al. (2007) haben gezeigt, dass Individuen gleicher Körpergröße und gleichen Geschlechts enger miteinander verbunden sind als mit anderen Individuen im Netzwerk (Croft et al. 2007). Der Informationsfluss in der Population wird also mit großer Wahrscheinlichkeit entlang den Strukturen der Community erfolgen. Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass Individuen, die zur gleichen Community gehören, häufig zwischen Gruppen ausgetauscht werden können, wohingegen Individuen aus verschiedenen Communities seltener Kontakt haben (Krause et al. 2000). Wir würden daher erwarten, dass die Informationsausbreitung innerhalb von Communities schneller erfolgt als zwischen Communities – eine Hypothese, die bei verschiedenen Tierarten getestet werden könnte. Ein weiterer wichtiger Aspekt besteht darin, dass wir Individuen und ihre Position in sozialen Netzwerken identifizieren können. Zum Beispiel würden wir erwarten, dass Individuen, die Communities miteinander verbinden, eine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung von Informationen in Populationen spielen. Bei den Guppies sieht es so aus, als ob Fische mit intermediärer Köpergröße (die keiner Community klar zugeordnet werden können) eine solche Position einnehmen. Ob diese Individuen tatsächlich als Informationsübermittler zwischen den verschiedenen Communities agieren, wird sich in zukünftigen Experimenten zeigen müssen. Eine weitere interessante Herausforderung für zukünftige Studien ist die Beziehung von Persönlichkeitsmerkmalen (wie dem shy-bold continuum) (Ward et al. 2004) und der Position im Netzwerk. Die Art der Netzwerkanalyse, die wir in diesem Kapitel vorgestellt haben, basiert auf Daten, die über einen gewissen Zeitraum für eine bestimmte Tierpopulation kumulativ aufgenommen worden sind. Das heißt, wir sammeln Daten, bis ein reichhaltiges Netzwerk entstanden ist, welches wir dann analysieren können. Eine Alternative dazu besteht darin, die Daten über Sozialkontakte in der Reihenfolge zu bearbeiten, in der sie auftreten, um auf diese Weise die zeitliche Komponente zu berücksichtigen. Besonders wenn wir an der Ausbreitung von Informationen (z. B. durch soziales Lernen) interessiert sind, kann die Reihenfolge und zeitliche Aufeinanderfolge von Sozialkontakten eine entscheidende Komponente sein (Moody 2002).
152 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
Weiterführende Literatur Albert R & Barabási AL 2002. Statistical mechanics of complex networks. Rev Mod Physics 74(1): 47–97. Croft DP, James R & Krause J 2007. Exploring animal social networks. Princeton Univ Press, Princeton. Newman MEJ (2003) The structure and function of complex networks. SIAM Rev 45:167–256 Watts DJ & Strogatz SH 1998. Collective dynamics of ‚small-worldǥ networks. Nature 393, 440–442.
7.6 Automatisierte Verhaltensforschung mit RFID 169
7.6 Automatisierte Verhaltensforschung mit RFID York Winter, Lehrstuhl für Kognitive Neurowissenschaften, Universität Bielefeld In vielen Bereichen der Verhaltensforschung liegt der Einsatz von Technik als Hilfsmittel des Beobachters und Experimentators weit hinter den Möglichkeiten moderner Elektronik und Kommunikationstechnologien. Dies liegt nicht an einer mangelhaften Verbreitung elektronischer Hilfsmittel. Vielfach ungenutzt sind aber die Möglichkeiten, sich über die Systemintegration ergänzender Techniken komplexe Überwachungssysteme nutzbar zu machen. Im folgenden beschreibe ich drei Beispiele, in denen Transpondertechnologie, oder RFID Technologie (radio frequency identification) für die Verhaltensforschung eingesetzt werden. Der Einsatz dieser Technologie setzt voraus, dass ein Tier mit einem Transponder ausgestattet wird. Diese, in biokompatibles Glas verkapselten, elektronischen Chips von etwa Reiskorngröße werden extern an einem Halsband oder auch an einem Vogelring angebracht oder aber subkutan injiziert. Die Lesereichweite von kleinen (2x12 mm) Standard-Industrietranspondern (z. B. Sokymat) mit 125 kHz Erregungsfrequenz beträgt 1 bis 15 cm, abhängig von der Anregungsleistung des Lesegerätes. Spezielle Insekten- oder Bienentransponder können mit 1,5 mm Kantenlänge viel kleiner sein, haben allerdings auch nur 1 bis 2 mm Reichweite. Die für die Haustierüberwachung eingesetzten 134.2 kHz-Transponder nach ISO FDX 11784 sind für reine Forschungszwecke unnötig teuer, da eine zentrale Registrierung mitbezahlt wird. Zudem ist das Produktspektrum für geeignete Lesegeräte deutlich eingeschränkt – im Vergleich zur industriellen Standardfrequenz von 125 kHz. Ähnliches gilt für Transpondertypen mit herstellerspezifischem Datenübertragungsformat. Das elektronische Vogelnest Höhlenbrüter stehen traditionell im Zentrum ornithologischer Forschung, da ihre Nester leicht aufzufinden und zugänglich sind. Vogelkästen sind natürlich auch ideal geeignet für das Anbringen umfangreicher Überwachungselektronik zur vollautomatischen Überwachung des Brutvorgangs und der Jungenaufzucht (Abb.7.12). Und dies gilt auch für entlegene Gebiete. Die wichtigste Abänderung eines regulären Nistkastens für Überwachungszwecke aus der Sicht eines Vogels ist die Verlängerung des Einfluglochs zu einer ins Inneren verlängerten Röhre. Darin wird die kreisförmige Transponderleseantenne untergebracht, welche markierte Vögel beim Passieren der Röhre oder auch direkt vor dem Locheingang detektiert. Zwei Lichtstrahlen, die vom Vogel beim Passieren durchbrochen
170 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
Abb. 7.12. Elektronischer Nistkasten mit transponderbasierter Überwachungselektronik und Kommunikationstechnologie. Oben: Schema der räumlichen Anordnung; Unten: Schema der Kontrolleinheit mit angeschlossenen Sensoren und den implementierten Kommunikationskanälen.
werden, geben die Bewegungsrichtung des Tieres. Die Verwendung von Glasfasern als Lichtleiter hin zur Kontrollelektronik erlaubt es dabei, keine weitere Lichtschrankenelektronik im Eingangslochbereich platzieren zu müssen. Auf einem doppelten Boden unterhalb des Nestes befindet sich eine Wägezelle. Auf dieser ruht eine Schale oder ein Drahtkorb, in welchen das Nest gebaut werden muss. Dieser Korb verhindert den Kastenwandkontakt des Nistmaterials und unterbindet damit eine durch Reibung behinderte Weiterleitung der Gewichtskraft. Ein Videosensor mit LEDBeleuchtung kann während ausgewählter Ereignisse Aufsichtbilder oder kurze Videosequenzen aufnehmen, gesteuert von der Kontrolleinheit. Über eine Klappe, welche ein Motor vor das Eingangsloch rotieren kann, lassen sich Einzelindividuen im Kasten fangen. Diese Klappe kann ein naher Beobachter aktivieren: mittels drahtloser Bluetoothverbindung von einem
7.6 Automatisierte Verhaltensforschung mit RFID 171
Computer oder einem PDA, über die auch der aktuelle Zustand aller Überwachsungsinformationen in Echtzeit abfragbar ist. Die Sensoren überwachen Klimaparameter wie Temperatur, Feuchte und Lichtstärke an einem oder mehreren Messpunkten. Beobachtungsdaten inklusive Fotos und Video werden im System gespeichert. Dabei bietet die Verwendung von Speicherkarten (Typ CF card oder SD card) sowohl die Möglichkeit der flexiblen Speicherkonfiguration, als auch die des einfachen Datenaustauschs durch Kartenwechsel. Eine andere Möglichkeit ist das direkte Datenauslesen mittels USB-Kabel oder drahtloser Bluetoothverbindung zu einem Computer. Darüber hinaus kann ein eingebautes GSM-Modem eine Mobilfunkverbindung zu einem Internet-Webserver herstellen. Über diesen Weg kann eine automatisierte Prozedur die Daten herunterladen und weltweit über einen beliebigen Internetanschluss zur Ansicht oder weiteren Verarbeitung zugänglich machen. Über reverse Kommunikation kann das Überwachungssystem auch per Internet parametriert werden. Akkuversorgung erlaubt bedienungsfreien Betrieb für Wochen bis Monate, und die Verkapselung der empfindlichen Elektronik ermöglicht den Einsatz selbst unter widrigen Witterungsbedingungen. Die Ausstattung von Nistkästen mit derartiger Überwachungs- und Kommunikationstechnologie erlaubt es, nicht nur Beobachterzeit einzusparen. Die Möglichkeit des rund um die Uhr und jahresumspannenden Datensammelns an vielen Messpunkten und über eine ganze Population erschließt eine ganz neue Ebene des wissenschaftlichen Zugangs zu verhaltensbiologischen Fragestellungen. Das rechnergesteuerte Nahrungssuchareal Für viele Tierarten sind elektronisch aktivierbare Futterspender entwickelt worden. Wenn freilebende Tiere mit Transpondern ausgestattet sind und die Aktivierung von Futtergebern von der Registrierung einer Transpondernummer abhängig gemacht wird, dann ist es möglich, rechnergesteuerte Nahrungssuchlandschaften zu schaffen. Mit ganzen Futtergeberfeldern und einer individuenabhängigen Zugangskontrolle kann die individuelle Verfügbarkeit von Nahrungsressourcen ganz unter die Kontrolle des Experimentators gestellt werden. Im Regenwald von Costa Rica haben wir bis zu 50 transponderaktivierbare Kunstblüten oder Nektarspender auf einer 100 u 100 m großen, frei zugänglichen Waldfläche installiert (Abb. 7.13). Diese wurden nachts von freilebenden, blütenbesuchenden Langzungenfledermäusen (Glossophaga commissarisi) zur Nahrungsaufnahme besucht (Thiele 2006). Der Nektarspender bestand dabei aus einem Zuckerwasserreservoir, aus welchem über ein Schlauchquetschventil rechnergesteuert
172 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
Abb. 7.13. Transponderkontrollierte Kunstblüte (Zuckerwassergeber) für Blütenfledermäuse im tropischen Regenwald. (Aus Thiele, J. 2006). Freilebende Fledermäuse werden über Duftstoffe dazu gebracht, mitten im Regenwald ihre Nase in eine Plastikdose zu stecken
quantitativ kontrollierte Futtermengen abgegeben werden konnten (Winter u. Stich 2005). Ein Steuerungscomputer hatte über ein Kabelnetzwerk das Kunstblütenfeld unter Echtzeitkontrolle. Jede einzelne Kunstblüte enthielt eine Lichtschranke um Besuche zu detektieren und verfügte über einen Transponderleser, der anfliegende Fledermäuse während ihres Schwirrflugs innerhalb von 30–100 Millisekunden identifizierte. Die Kombination von Lichtschranke und Transponderleser verhinderte auch erfolgreich das Auslösen der Kunstblüten durch Insekten oder andere Tiere, die keinen Transponder trugen. Während der Experimente waren stets mehrere Individuen gleichzeitig in dem Kunstblütenfeld aktiv. Maximal erfolgten innerhalb einer einzigen Nacht über 10000 individuell identifizierte Kunstblütenbesuche durch insgesamt ca. 25 Tiere. (Thiele, 2006). Die Computerkontrolle erlaubte es, individuelle, räumlich heterogene Ressourcenverteilungen innerhalb des Blütenfeldes zu erzeugen. Für jeden Besuch wurde einzeln ermittelt, welche Zuckerwassermenge dieses Individuum zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort zu erhalten hatte. Damit konnte auch nicht nur die Ressourcenerneuerungsrate über den Computer kontrolliert werden, sondern es war experimentell möglich, Ressourcenkonkurrenz zwischen den Individuen zuzulassen oder aber zu verhindern. Und es konnte das Kollektiv der an einem Experiment teilhabenden, freilebenden Tiere über eine einfache Parameterdatei festgelegt und natürlich auch ausgetauscht
7.6 Automatisierte Verhaltensforschung mit RFID 173
werden. Ein Ergebnis dieses Experiments war, dass die Organisation des räumlichen Verhaltens nicht durch einfaches oder stereotypes Routenfolgen erreicht wurde, („trap lining“ Verhalten). Stattdessen folgten die Tiere Nahrungssuchtrajektorien, die hochvariabel zwischen verschiedenen Nahrungssuchaktivitätsphasen waren (Thiele 2006). Die Fledermäuse schienen über unabhängige Repräsentationen jedes einzelnen Futtergebers zu verfügen und waren in der Lage, den Besuch einzelner Futterorte mit großer Flexibilität zu hochvariablen Besuchssequenzen zu kombinieren. RFID für Labortiere Auch im Labor kann die Transpondertechnologie zur Automatisierung eingesetzt werden und damit Handhabung und möglicherweise stressreiche Erfahrungen für Labortiere vermieden werden. Dies kann so weit gehen, dass Transpondertechnologie an Futtergebern als eine Alternative für das invasive Injizieren von Wirksubstanzen verwendet werden kann. Eine Möglichkeit ist die stressfreie Verabreichung von Pharmaka über das Trinkwasser. Die individuelle Identifikation an den Futtergebern erlaubt es, selbst innerhalb einer Gemeinschaftshaltung individuelle Dosen zu verabreichen, auch wenn diese in kleinen Einzelportionen verabreicht werden muss (Santoso et al. 2006). Wie am Fall der zuckerwasserspendenden Kunstblüten kann eine Wirksubstanzlösung über eine Tränke mit Volumenkontrolle quantitativ oral abgegeben werden. Transpondermarkierte Tiere werden an einer solchen Tränke in Echtzeit identifiziert. Die Parametrierung individueller Belohnungsmengen und die Festlegung tageszeitlich begrenzter, auch mehrfacher Abgabezeiträume erlaubt die gezielte Gabe von Pharmaka. Dabei wird in Gruppenhaltung die Tränkenaktivierbarkeit für jedes Individuum spezifisch gesteuert. Für Mäuse haben wir mit diesem Ansatz erfolgreich gezeigt, dass automatisierte Tränken unter Transponderkontrolle die individuelle und stressfreie Applikation von Pharmaka ermöglichen, selbst wenn sie in Gruppen leben und ein komplexes zeitliches Protokoll der Verabreichung erforderlich ist (Santoso et al. 2006) (Abb. 7.14). Diese methodische Herangehensweise, die auch mit automatisierten Pellet-Futtergebern möglich ist (Neuhäusser-Wespy u. König 2000), ist nützlich, wenn Gruppenhaltung erwünscht ist, das zeitliche Protokoll der Verabreichung komplex ist und auch für Phänotypisierungsexperimente, in denen Verhaltenstests mit neuronalen, zellulären oder molekularen Analysen kombiniert werden.
174 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
Abb. 7.14 Links: Computerkontrollierter Wassergeber zur Wasserversorgung und für die Verabreichung von Pharmaka: (1) Flüssigkeitsreservoir (Luer-Spritze), (2) Silikonschlauch, (3) Quetschventil, (4) Wassergeber mit Infrarot-Lichtschranke, (5) Transponderantenne, (6) Einzeltier-Kunststoffzylinder. (Aus Santoso et al. 2006, mit Genehmigung) Rechts: Tägliche Wasseraufnahme durch Mäuse. a Wasseraufnahme während normaler Haltung. b Aufnahme von Pharmaka (schwarze Symbole) ab Beginn der Dunkelphase (13:00 h) und Wasseraufnahme (weisse Symbole) vor und nach der Behandlung. Balken oben zeigt Lichtphase (weiß) und Dunkelphase (schwarz). (Aus Santoso et al. 2006, mit Genehmigung)
Weiterführende Literatur Neuhäusser-Wespy F, König, B (2000) Living together, feeding apart: how to measure individual food consumption in social house mice. Behav Res Methods Instrum Comput., 32:169–172 Santoso A, Kaiser A, Winter Y (2006). Individually dosed oral drug administration to socially-living transponder-tagged mice by a water dispenser under RFID control. Journal of Neuroscience Methods, 153:208–213. dx.doi.org/10.1016/ j.jneumeth.2005.10.025 Thiele, J (2006) Nahrungssuchstrategien der nektarivoren Fledermaus Glossophaga commissarisi (Phyllostomidae) im Freiland – eine individuenbasierte Studie mit Hilfe von passiver Transpondertechnik. Dissertation, Universität München Winter Y, Stich KP (2005) Foraging in a complex naturalistic environment: capacity of spatial working memory in flower bats. J Exp Biol 208: 539–548. dx.doi.org/10.1242/jeb.01416
204 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
7.12 Einsatz stabiler Isotope in der Verhaltensbiologie Christian C. Voigt, Institut für Zoo und Wildtierforschung, Berlin Jedes Tier nimmt Nahrung zu sich, um Körpergewebe aufzubauen bzw. zu erhalten und um seinen Energiebedarf zu decken. Eine Kenntnis über die Nahrungswahl und den Energieumsatz eines Tieres ist für das Verständnis der Habitatnutzung, der Möglichkeiten und Grenzen von Ressourcenmonopolisierung und somit auch des Sozialsystems einer Tierart fundamental wichtig. Welche Nahrungsquellen genutzt werden und wieviel Energie dabei umgesetzt wird, lässt sich mit Hilfe stabiler Isotope untersuchen. Die Analyse stabiler Isotope findet vor allem in zwei Bereichen der Verhaltensforschung Anwendung: In der Verhaltensphysiologie werden Wasserstoffisotope (1H und 2H) und Sauerstoffisotope (16O und 18O) zur Messung von Energieumsatzraten herangezogen (Schwerwassermethode) und in der Verhaltensökologie hauptsächlich die stabilen Isotope des Kohlenstoffs (12C und 13C) und des Stickstoffs (14N und 15N) zur Bestimmung von Nahrungspräferenzen, Migrationsbewegungen und trophischen Ebenen von Tierarten. Messung von Energieumsatzraten mit stabilen Wasserstoffund Sauerstoffisotopen Die Methode des schweren bzw. doppelt markierten Wassers (engl.: „Doubly Labelled Water method“ = DLW) beruht auf den unterschiedlichen Auswaschungsraten von 18O und Deuterium (2H) aus dem Körper eines Tieres. Bei einem Schwerwasserversuch wird Wasser, welches mit schweren Wasserund Sauerstoffisotopen angereichert wurde, in das Versuchstier injiziert. Hierfür und für die später notwendigen Blutabnahmen bedarf es einer tierschutzrechtlichen Genehmigung. Danach wird das Wasserstoffisotop im H2O des Urins, des Kots und durch Verdunstung in der Lunge oder an der Körperoberfläche abgegeben. Das 18O-Isotop wird ebenfalls als H2O aus dem Körper ausgeschieden, zusätzlich aber auch als CO2 ausgeatmet. Aus der Differenz der beiden Auswaschungsraten ergibt sich somit die CO2Produktion. Um die Auswaschungsraten zu bestimmen, muss die Anreicherung der schweren Isotope unmittelbar nach der Injektion mit der Anreicherung nach ein oder mehreren Tagen verglichen werden. In Abb. 7.23 ist der typische Verlauf eines Schwerwasserexperiments schematisch dargestellt. Eine genaue Darlegung des theoretischen Hintergrunds sowie eine Diskussion relevanter praktischer Aspekte finden sich in Speakman (1997). Als Untersuchungsobjekte für Schwerwasserexperimente eignen sich nur solche
7.12 Einsatz stabiler Isotope in der Verhaltensbiologie 205
Abb. 7.23. Schema eines Schwerwasserexperiments. a Eine Stunde vor der Entnahme der ersten Probe wird Schwerwasser injiziert. b Nach der gleichmäßigen Verteilung der Isotope im Körperwasser erreicht die Isotopenkonzentration ein Plateau. c Zum Zeitpunkt des Plateaus wird eine erste Probe vom Tier genommen (Blut, Speichel, Urin). Danach wird das Tier freigelassen und geht seiner normalen Tätigkeit nach. d Eine finale Blutprobe wird nach 24 Stunden genommen. 18O (durchgezogene Linie) wird vom Tier schneller als Deuterium (gestrichelte Linie) abgegeben, da es den Körper als H20 und CO2 verlässt, während Deuterium nur im H20 den Körper verlässt. Aus der Differenz der beiden Auswaschungsraten errechnet sich somit die CO2Produktionsrate
Tiere, die sich wiederfangen lassen und nicht zu groß sind (Schwerwasser ist relativ teuer und die Menge an benötigtem Schwerwasser nimmt mit der Körpergröße zu). Die Tiere sollten aber auch nicht zu klein sein, da mindestens 70 l Körperflüssigkeit für die Isotopenanalysen benötigt werden. In der Regel geht man davon aus, dass nur 5% der Blutmenge einem Tier abgenommen werden kann (die absolute Blutmenge eines Tieres beträgt ca. 5–8% der Körpermasse). Beispiel eines Schwerwasserexperiments In einem Freilandexperiment mit tropischen Fledermäusen sollten die massenspezifischen Energieumsatzraten der ca. 9 g schweren nektartrinkenden Blütenfledermaus (Glossophaga commissarisi) und der ca. 18 g schweren früchtefressenden Kurzschwanz-Blattnasenfledermaus (Carollia brevicauda) verglichen werden (Voigt et al. 2006). Da Blüten immer nur relativ kleine Nektarmengen anbieten, fällt die Belohnung einer nektartrinkenden Fledermaus an einer Blüte viel geringer aus als die Belohnungen einer früchtefressenden Fledermaus an einem fruchtenden Baum. Daher erwarteten wir, dass die Nektartrinker auf ein Gramm Körpergewicht bezogen einen größeren energetischen Aufwand zur Deckung ihres Tagesenergiebedarfs haben als die Früchtefresser.
206 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
Für die Arbeiten vor Ort wurden folgende Materialien benötigt: steriles Schwerwasser (erhältlich in Laboren für Stabilisotopenanalytik), eine Waage zur Bestimmung der Körpermasse, sterile Spritzen für die Injektion des Schwerwassers, Kanülen zur Blutentnahme, Hämatokritkapillaren zur Aufbewahrung der Blutproben, ein kleiner Bunsenbrenner zum luftdichten Verschließen der Kapillaren und Gewebeband und Folienstift zum Beschriften der Proben. Vor der Freilandarbeit muss zunächst die für die Körpermasse des Versuchstieres optimale Injektionsmenge berechnet werden (Berechnungsformeln in Speakman 1997). Die basale Isotopenkonzentration wird entweder in Blutproben bestimmt, die vor der Injektion vom selben Versuchstier gesammelt wurden, oder aber in Proben, die von unbehandelten Tieren stammten. Nach dem Fang der Versuchstiere im Tagesquartier wurden die Fledermäuse gewogen und anschließend das Schwerwasser in die Bauchhöhle oder unter die Haut injiziert. Vorversuche ergaben, dass sich die markierten H2O-Moleküle nach einer Stunde gleichmäßig im Körperwasser verteilt haben. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Körpermasse der Tiere ein weiteres Mal bestimmt und dann eine Blutprobe genommen. Basierend auf der Isotopenkonzentration in dieser Probe und der basalen Isotopenkonzentration, sowie der Kenntnis, wie viele Isotope injiziert wurden, lässt sich der Körperwassergehalt der Tiere berechnen, was für die weiteren Kalkulationen des Energieumsatzes relevant ist (Speakman 1997). Nach Entnahme der ersten Blutprobe wurden die Tiere wieder in ihr Tagesquartier entlassen. Die Blutproben wurden mit einem kleinen Bunsenbrenner luftdicht in heparinisierten Glaskapillaren verschlossen und auf ein Gewebeband geklebt, welches mit der Tiernummer, dem Datum und der Uhrzeit beschriftet wurde. Vierundzwanzig oder 48 Stunden nach dem ersten Fang wurden die Versuchstiere aus ihrem Tagesquartier wiedergefangen (Abb. 7.23). Jedes Tier wurde ein weiteres Mal gewogen, und es wurde erneut eine Blutprobe genommen. Danach wurden die Tiere wieder in ihr Quartier entlassen. Alle Blutproben wurden nach Abschluss des Experiments an ein Labor geschickt, welches sich auf die Analyse stabiler Isotope spezialisiert hat. Dort erfolgte dann die Messung der schweren Isotope mit einem IsotopenverhältnisMassenspektrometer. Basierend auf den Isotopenanreicherungen in den Ausgangs- und Endproben im Blut der Versuchstiere, konnte man nun den Wasserfluss sowie die Kohlendioxidproduktion bzw. die Energieumsatzrate berechnen (siehe Speakman 1997). Die Isotopenmessungen an den beiden Fledermausarten bestätigten unsere Erwartung, dass Nektartrinker auf ein Gramm Körpermasse bezogen eine höhere Tagesenergieumsatzrate haben als Früchtefresser.
7.12 Einsatz stabiler Isotope in der Verhaltensbiologie 207
Bestimmung der Nahrungspräferenz einer Tierart über stabile Kohlenstoffisotope Die Nahrungswahl eines Tieres wird üblicherweise über die Analyse von Nahrungsresten im Kot bestimmt. Derartige Analysen können nur ein qualitatives Bild, nicht aber ein quantitatives Bild über die Nahrungswahl zeichnen. Mit Hilfe stabiler Isotope lässt sich hingegen ein quantitatives Maß für die Nahrungswahl ableiten, sofern die potentiellen Nahrungstypen über ein unterschiedliches Isotopenverhältnis verfügen (siehe Zusammenfassung in Fry 2006). Die Grundprämisse des Isotopenansatzes folgt dem Spruch „Du bist, was du isst“. Die Kohlenstoffisotopenzusammensetzung der Nahrung, die entsprechend internationaler Konventionen als į13C (Delta 13-C) und in der Einheit ‰ (Promill) oder ppm („parts per million“) angegeben wird, spiegelt sich anteilsmäßig im Konsumenten wider. Für die Isotopenanalyse reichen wenige Milligramm Körpergewebe oder Haare aus. Je nach dem Gewebeumsatz erhält man unterschiedliche retrospektive Zeitfenster über die Nahrungswahl eines Tieres. Haar zum Beispiel wächst sehr langsam und integriert daher über die Nahrungswahl mehrere Wochen oder Monate. Die verschiedenen Probentypen lassen sich wie folgt hinsichtlich der Isotopenumsatzrate grob einteilen: Knochen > Haare > Muskel > Blut > Leber. Beispiel einer Untersuchung zur Ernährungsweise von Tieren mittels stabiler Isotope In einer Freilanduntersuchung sollte die Nahrungspräferenz der bluttrinkenden Vampirfledermaus (Desmodus rotundus) mit Hilfe stabiler Kohlenstoffisotope quantifiziert werden (Voigt u. Kelm 2006). Im Untersuchungsgebiet hatten die Vampire die Wahl zwischen zwei Beutetiergruppen: Weidevieh, welches sich hauptsächlich von Gras ernährt, und Regenwaldsäugetiere, wie Tapire und Pekkaris, die sich hauptsächlich von Regenwaldpflanzen ernähren. In tropischen Breiten hat Gras einen enzymatischen Weg der CO2-Fixierung, den man als C4-Metabolismus bezeichnet. Die meisten dikotyledonen Regenwaldpflanzen haben hingegen einen sogenannten C3Metabolismus. C4- und C3-Pflanzen unterscheiden sich markant in ihrem Kohlenstoffisotopenverhältnis (12C und 13C). Deshalb unterscheiden sich auch die Isotopenzusammensetzung von Regenwaldtieren und Weidevieh. Wenn Vampirfledermäuse ausschließlich Blut von Weidevieh trinken, sollten sie in ihrem Körpergewebe einen į13C-Wert haben, der dem des Weideviehs ähnelt. Wenn sie hingegen ausschließlich von Regenwaldtieren leben, sollten sie einen į13C-Wert haben, der dem der C3-Nahrungskette ähnelt. Individuen, die zwischen Weidevieh und Regenwaldtieren wechseln, sollten intermediäre į13C-Werte haben. Unsere Untersuchungen zeigten, dass die Vampirfledermäuse im Untersuchungsgebiet nahezu ausschließlich das Blut
208 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung -6 -8 -10
13
G C (‰)
-12 -14 -16 -18 -20 -22 -24 -26 -28
D. rotundus
Regenwaldtiere
Abb.7.24. Stickstoffisotopenverhältnis (į13C; ‰; Boxplot) der Vampirfledermaus Desmodus rotundus und der potentiellen Beute im Regenwald. Die gestrichelte Linie markiert den mittleren į13C-Wert von Weidevieh. Die į13C-Werte der Vampirfledermäuse zeigen an, dass die Mehrzahl der Vampire von Weidevieh lebt (Voigt u. Kelm 2006)
von Weidevieh zu sich nahmen und Regenwaldtiere anscheinend ignorierten (Abb. 7.24). Ähnliche Studien lassen sich nur in Situationen durchführen, in denen die Isotopenzusammensetzung potentieller Nahrungsressourcen variiert: z. B. C3- und C4-Nahrungskette (siehe oben), terrestrische oder marine Nahrungskette, etc. Verwendet man Isotope weiterer Elemente (zum Beispiel Schwefel), so lassen sich potenziell weitere Nahrungstypen in die Studie integrieren. Bestimmung der trophischen Ebene von Tierarten über Stickstoffisotope Moleküle mit einem höheren Anteil an schweren Isotopen werden im Körper in der Regel langsamer enzymatisch umgesetzt als leichte. Daher kommt es zu einer Anreicherung schwerer Isotope im Körpergewebe im Verhältnis zur Nahrung. Dieses Phänomen nennt man Fraktionierung, da die Isotope entsprechend ihrer Masse in zwei Fraktionen unterteilt werden. Fraktionierung ist insbesondere bei Stickstoffisotopen stark ausgeprägt, so dass man anhand der Anreicherung von 15N im Körpergewebe Aussagen über die trophische Ebene einer Tierart machen kann. Je weiter das Verhältnis von 14N zum schwereren Isotop (15N) im Körpergewebe verschoben ist, also je höher der į15N-Wert einer Gewebeprobe ist, desto höher ist die trophische Ebene des untersuchten Tieres (Fry 2006). Im oben erwähnten Beispiel der Vampirfledermäuse hatte die potentielle Beute einen niedrigeren į15N-Wert als die Vampirfledermäuse. Fledermausfliegen der Familie Streblidae, die auf den Vampirfledermäusen parasitieren, haben wiederum einen į15N-Wert, der höher liegt als der des
7.12
209
14 12
8
15
G N (‰)
10
6 4 2 0 potentielle Beute Vampir- Ektoparasit der der Vampirfl. fledermaus Vampirfl.
Abb. 7.25. Anreichung von schweren Stickstoffisotopen (į15N; ‰) entlang einer Nahrungskette. Auf jeder trophischen Stufe (Pfeil) reichert sich das schwere 15N-Isotop um ca. 2 ‰ gegenüber der Nahrung an. (Modifiziert nach Voigt et al. 2006, Voigt u. Kelm 2006)
Vampirs (Abb. 25) (Voigt u. Kelm 2006). Auf diese Weise lassen sich Primär- von Sekundärkonsumenten unterscheiden. Der große Vorteil der Schwerwassermethode und der Analyse stabiler Stickstoff- und Kohlenstoffisotope ist ihre besondere Eignung für Freilanduntersuchungen in der Verhaltensbiologie. Die Schwerwassermethode ist die einzig verfügbare Methode, mit der sich der Energieumsatz eines frei sich bewegenden Tiere verlässlich bestimmen lässt. Die Analyse stabiler Kohlenstoff- und Stickstoffisotope bietet den Vorteil, dass das vom Körpergewebe aufgenommene, also assimilierte Nahrungssubstrat betrachtet wird – und nicht wie bei der konventionellen Kotanalyse das vom Körper Ausgeschiedene. Außerdem integriert die Methode der Stabilisotopenanalyse über einen längeren Zeitraum, während konventionelle Analysen nur einen kurzen Zeitabschnitt dokumentieren. Das Potenzial beider Methoden ist noch lange nicht erschöpft, da die Stabilisotopenmethode bisher nur selten mit verhaltensbiologischen speziell soziobiologischen, Fragestellungen verknüpft wurde. Weiterführende Literatur Speakman, JR. (1997) Doubly Labelled Water – Theory and Practice. Chapman & Hall, London. Fry B (2006) Stable Isotope Ecology. Springer Berlin Heidelberg New York Tokyo
7.5 Einsatz und Design von Playbackexperimenten 163
7.5 Einsatz und Design von Playbackexperimenten Henrik Brumm, University of St Andrews Für viele Tiere spielt akustische Kommunikation eine Schlüsselrolle für die Koordination von Verhalten zwischen Individuen und die Regelung von sozialen Beziehungen (z. B. für das Finden von Sexualpartnern, der Aufrechterhaltung von Paarbindungen oder der Abstimmung von Dominanzverhältnissen). Eine der wichtigsten Methoden zur Erforschung von akustischen Signalen sind sogenannte Playbackexperimente. Dabei werden Audioaufnahmen natürlicher, manipulierter oder synthetisch erzeugter Signale einem Tier vorgespielt und dessen Reaktion beobachtet. In der modernen Verhaltensbiologie sind Playbacks eine unersetzliche Standardmethode, mit deren Hilfe nicht nur erforscht werden kann, welche Bedeutung Tierlaute haben, sondern darüber hinaus können mit Playbackexperimenten beispielsweise auch die sensorischen und kognitiven Fähigkeiten von Tieren untersucht werden. Je nach Fragestellung werden dazu Experimente entweder unter kontrollierten Laborbedingungen, z. B. in schallisolierten Testräumen, oder im Freiland, in den natürlichen Habitaten der Tiere, durchgeführt. Die untersuchten Taxa reichen von Insekten, über Fische und Froschlurche bis hin zu Säugetieren. Eine besonders wichtige Rolle spielen Playbacks bei der Erforschung des Vogelgesanges und viele wichtige Erkenntnisse darüber, wie Tiere kommunizieren und wie Signale sexuell selektiert werden, sind durch Playbackexperimente mit Singvögeln gewonnen worden (Bradbury u. Vehrencamp 1998; Hopp et al. 1998). An Vögeln werden auch zunehmend kompliziertere Formen der Kommunikation mit Playbacks untersucht, wie z. B. komplexe gesangliche Interaktionen zwischen Individuen. Dafür können sogenannte interaktive Playbacks eingesetzt werden, bei denen das Vorspielen von Lautmustern dazu benutzt wird, mit dem Vogel zu interagieren. Mit einem nichtinteraktiven Playback untersucht ein Verhaltensbiologe z. B. die Reaktionen von Kohlmeisen auf verschiedene arttypische Strophentypen (Typ A, B und C), in dem er den Vögeln eine Sequenz aus A, B und C vorspielt und den Antwortgesang der beobachteten Tiere aufnimmt. Beim interaktiven Playback dagegen hängt das Vorspiel vom Verhalten des beobachteten Tieres ab; so wird der Experimentator beispielsweise jede Strophe vom Typ A, die der beobachtete Vogel singt, mit dem gleichen Strophentypen beantworten. Singt der Vogel Typ B, wird ihm auch Typ B vorgespielt und so weiter. Solche interaktiven Playbackexperimente werden meistens mit Hilfe von Computern durchgeführt, die eine große Anzahl verschiedener Lautmuster speichern und vor allen Dingen ohne nennenswerte Verzögerung abspielen können (Abb. 7.9).
164 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
Abb. 7.9. Einsatz von Playbackgeräten im Freiland. Akustische Stimuli werden hier mit Hilfe eines Computers, eines Verstärkers und eines Lautsprechers (außerhalb des Bildes) abgespielt, und gleichzeitig werden die vokalen Reaktionen der getesteten Tiere von einem Audiorekorder digital aufgezeichnet. (Foto © Petra Ambrugger)
Eine weitere Methode ist die Simulation von vokalen Interaktionen mit mehreren Lautsprechern. Dazu werden gesangliche Interaktionen zwischen zwei Männchen mit einem sogenannten Stereoplayback simuliert: aus einem Lautsprecher wird dabei der Gesang eines Vogels vorgespielt und gleichzeitig aus einem zweiten Lautsprecher, in einiger Entfernung, der Antwortgesang eines zweiten Vogels. Die Reaktionen von zuhörenden Vögeln auf solche simulierten Interaktionen lassen weitreichende Rückschlüsse darauf zu, inwieweit Tiere Informationen aus den Interaktionen von anderen ziehen können. Mit unserem wachsendem Wissen über komplexe Kommunikationssysteme und den damit verbundenen komplizierteren Fragestellungen findet die Methode der Stereoplaybacks eine weiter zunehmende Verbreitung in der Bioakustik (Naguib u. Todt 1997; Peake et al. 2001; Mennill 2006). Nicht nur der Signalaustausch zwischen Individuen, sondern auch die Signalmuster einzelner Tiere können sehr komplex sein. Manche Signale sind z. B. aus mehreren Komponenten zusammengesetzt; dabei können auch zwei oder mehrere Sinnesmodalitäten kombiniert werden. In jüngster Zeit haben sich Playbackexperimente auch als sehr nützliche Methode erwiesen, solche multimodalen Signale zu untersuchen (Rosenthal et al. 2004; Partan et al. 2005); dabei werden Playbacks z. B. mit optischen Signalen kombiniert (Abb 7.10). Die Reaktionen der beobachteten Tiere auf ein Playback werden oft mit einer ganzen Reihe von Antwortvariablen quantitativ erfasst. Je nach
7.5 Einsatz und Design von Playbackexperimenten 165
Abb. 7.10. Playbackapparatur zur Untersuchung von multimodaler Kommunikation. Über den Lautsprecher (LS) werden computergenerierte Froschrufe abgespielt, vor dem Lautsprecher ist eine Attrappe eines Pfeilgiftfroschmännchens (A) zu sehen. Angriffe von territorialen Froschmännchen (F) auf die Attrappe erfolgten nur, wenn das Playback der Rufe mit dem Pulsieren des Kehlsacks der Attrappe gekoppelt war. (Nach Narins et al. 2003)
Fragestellung kann es sinnvoll sein, z. B. Annäherungen des Tieres an den Lautsprecher oder Vergrößerungen des Abstandes zu quantifizieren oder die Ausrichtung des Tieres in Relation zum Lautsprecher zu protokollieren (Abb. 7.11). Häufig wird auch die Zeit, die das beobachtete Tier sich in bestimmter Entfernung zum Lautsprecher aufhält, gemessen oder das Auftreten agonistischer oder affiliativer Verhaltensmuster erfasst. Natürlich hängt die Wahl der protokollierten Verhaltensweisen von der zu testenden Hypothese ab, aber häufig werden bei Playbackversuchen sehr viele Verhaltensweisen aufgenommen, was besonders dann sinnvoll ist, wenn die Reaktionen der Tiere sehr variabel sein können oder wenn noch nicht bekannt ist, welche Verhaltensweise die entscheidende in dem untersuchten Kontext ist. In der statistischen Auswertung der Experimente kann die Vielzahl von Variablen dann z. B. mit einer Hauptkomponentenanalyse reduziert werden (McGregor 1992). Playbackexperimente haben unser Verständnis von der Kommunikation der Tiere revolutioniert, aber wie bei jeder anderen Methode auch – hat der Einsatz von Playbacks natürlich seine Grenzen im Hinblick auf die externe Validität und die Generalisierbarkeit der Ergebnisse. Diese Beschränkungen können durch sorgfältige Planung und Ausführung der Experimente minimiert werden und im Folgenden werde ich einige wichtige
166 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung Lautsprecher
0°
270°
0°
90°
270°
0°
90°
270°
90°
180°
180°
180°
vorher
Playback
nachher
Abb. 7.11. Ergebnisse eines Playbackexperiments zur Untersuchung von gerichteter Kommunikation. Sechs Nachtigallmännchen wurde über einen Lautsprecher der Gesang von Rivalen vorgespielt. Die Pfeile sind Gesangsvektoren vor, während und nach dem Playback; jeder Vektor gibt die mittlere Richtung an, in die ein Vogel in Relation zum Lautsprecher sang, die Länge des Vektors ist proportional zu der Stärke der Ausrichtung. Während des Playback richteten sich alle Männchen zum Lautsprecher aus und sangen somit in Richtung des vermeintlichen Rivalen. Auch zeigten die Tiere eine signifikant stärkere Gerichtetheit während des Playbacks, d. h. sie wechselten seltener die Gesangsrichtung. Diese Resultate zeigen, daß die Tiere in unterschiedliche Richtungen singen, wenn sie die Position potentieller Adressaten nicht kennen, und im Gegensatz dazu, während vokaler Interaktionen (wenn sie die Position des Adressaten feststellen können), ihren Gesang gezielt an den Empfänger richten und somit eine effektive Signalübertragung gewährleisten. (Nach Brumm u. Todt 2003)
Punkte ansprechen, die bei der Konzeption, Durchführung und Auswertung von Playbackexperimenten wichtig sind1. Randbedingungen, wie z. B. die Jahreszeit oder das Wetter, können die Resultate eines Experiments grundlegend verändern, da z. B. die Aktivität der beobachteten Tiere, der Einfluss von Hintergrundlärm oder der Einfluss von Vegetation auf die Schallausbreitung von ihnen abhängt. Auch das Vorhandensein und die Position von Artgenossen oder anderen Tieren kann bedeutsam sein: so wird beispielsweise ein Frosch möglicherweise anders auf ein Playback reagieren, wenn ein Weibchen (oder ein Prädator) in der Nähe ist. Zusätzlich zu Umweltvariablen spielen aber auch der Status und die Position des Testtieres eine wichtige Rolle. Außerhalb der Paarungszeit oder außerhalb ihres Reviers zeigen Tiere möglicherweise andere Reaktionen auf bestimmte Signale. Auch die Distanz zwischen Testtier und Lautsprecher zu Beginn des Experiments ist in diesem Zusammenhang wichtig, da sich die wahrgenommene Lautstärke des Playbacks mit der 1
Für eine ausführlichere Behandlung des Themas, die den Rahmen dieses Abschnitts sprengen würde, möchte ich auf die weiterführende Literatur am Ende dieses Kapitels verweisen.
7.5 Einsatz und Design von Playbackexperimenten 167
Distanz des Lautsprechers verändert. Häufig ist es aus Gründen der Arbeitseffizienz nicht immer möglich, die Playbacks mit allen Tieren einer Stichprobe unter gleichen Bedingungen, z. B. zur gleichen Tageszeit oder mit dem gleichen Abstand zum Lautsprecher, durchzuführen. In diesem Fall sollten dann die entsprechenden Variablen entweder über die Versuchsbedingungen systematisch variiert oder in der statistischen Auswertung der Versuche mit berücksichtigt werden, um mögliche Einflüsse im Nach-hinein kontrollieren zu können. Ein besonderes Augenmerk sollte auch auf die eher technischen Aspekte der Versuche gelegt werden. In Kap. 5.4.1 ist bereits die Verwendung von Audiogeräten diskutiert worden. Für ein Playback ist zusätzlich ein Lautsprecher notwendig; dabei ist es wichtig, dass das verwendete Modell die Frequenzen der Playbacksignale auch überträgt (was bei besonders hohen oder tiefen Frequenzen kritisch sein kann) und einen möglichst linearen Frequenzgang hat (d. h. den Klang z. B. durch Anheben der Mitten oder Bässe nicht verändert). Weiterhin kann die Richtcharakteristik des Lautsprechers möglicherweise die Reaktionen der Testtiere beeinflussen. Besonders wichtig ist die Lautstärke, mit der die Aufnahmen abgespielt werden, da die Signalamplitude an der Position des Empfängers entscheidend für seine Reaktion sein kann (Naguib u. Wiley 2001; Brumm u. Slabbekoorn 2005). Deswegen sollte vor Beginn eines Playbacks der Schallpegel der abzustrahlenden Laute mit einem Schallpegelmesser gemessen und im Bereich des natürlichen Schallpegels der Tiere standardisiert werden. Dafür ist es notwendig zuerst die Schallpegel natürlicher Lautäußerungen der Tiere zu messen oder entsprechende Angaben aus der Literatur zu entnehmen. Ein ganz grundsätzlicher Punkt, der bei der Versuchsplanung berücksichtigt werden muss, ist, dass der Stichprobenumfang des Playbacks angemessen groß ist, um die zu testende Hypothese zu überprüfen. Manche Forscher benutzen z. B. die Aufnahme eines Rufes als Playbackstimulus und testen diesen an mehreren Tieren, um dann die wiederholten Playbacks als Versuchswiederholungen statistisch auszuwerten. Das in diesem Zusammenhang möglicherweise auftretende Problem der Pseudoreplikation betrifft im Prinzip alle experimentellen Methoden, aber es ist in Verbindung mit Playbackexperimenten ausführlich in der Literatur diskutiert worden (Catchpole 1989; Kroodsma 1989; Kroodsma 1989; Searcy 1989; Wiley 2003). Ob ein Experiment pseudorepliziert wurde oder nicht, hängt von der getesteten Hypothese ab. Manche Hypothesen machen es notwendig, dass eine große Anzahl von Stimuli für ein Experiment verwendet wird, andere wiederum, dass eine große Anzahl von Tieren einer Population getestet wird, und wieder andere, dass der Versuch mit einer größeren Anzahl Individuen aus verschiedenen Populationen wiederholt wird (s. Kap. 2.7).
168 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
Bei richtiger Anwendung sind Playbackexperimente eine äußerst wertvolle Methode, mit deren Hilfe man nicht nur die Bedeutung von akustischen Signalen untersuchen kann, sondern auch generell, wie Tiere Stimuli verarbeiten und ihre akustische Umwelt wahrnehmen. Dazu werden häufig auch synthetische, computergenerierte Laute oder Geräusche verwendet und die Reaktion der untersuchten Tiere bis hin zur neuronalen Ebene untersucht (Klump 1996; Gerhardt u. Huber 2002). Darüber hinaus kann man mit Playbackexperimenten auch die Mechanismen, die der Lautproduktion zugrunde liegen, erforschen, was ich im Folgenden an einem Beispiel aus der Vogelwelt illustrieren möchte. Durch eine ganze Reihe von Playbackexperimenten ist zunächst die Funktion des Vogelgesangs aufgeklärt worden und es hat sich gezeigt, dass männliche Singvögel ihren Gesang hauptsächlich dazu benutzen, Weibchen anzulocken und Territorien gegen andere Männchen zu verteidigen (Catchpole u. Slater 1995; Kroodsma u. Miller 1996). Deshalb hatte man lange Zeit geglaubt, dass territoriale Vögel meist so laut wie möglich singen, da laute Gesänge weiter tragen und deshalb besser geeignet sind, entfernte Weibchen anzulocken und rivalisierende Männchen auf Distanz zu halten. Experimente, in denen Singvögeln in schallisolierten Räumen weißes Rauschen unterschiedlicher Lautstärke vorgespielt wurde, haben aber gezeigt, dass dies nicht der Fall ist; denn die Tiere haben mit steigendem Lärmpegel immer lauter gesungen. D. h. die Vögel passen den Schallpegel ihres Gesangs an den Lärmpegel in der Umwelt an und können dadurch Lärm innerhalb gewisser Grenzen kompensieren. Anschließend konnte mit weiteren Playbackexperimenten, in denen Rauschen mit unterschiedlichen Frequenzspektren benutzt wurde, geklärt werden, welcher Frequenzbereich für die Regulation der Gesangslautstärke entscheidend ist (Brumm u. Todt 2002). Playbacks sind aus dem Methodeninventar der Verhaltensbiologie nicht mehr wegzudenken, und der experimentelle Einsatz von akustischen Reizen findet, besonders auch durch Fortschritte in der Computertechnik, eine immer weitere Verbreitung in den experimentellen Verhaltenswissenschaften, von der Neuroethologie bis zur Verhaltensökologie und angewandter Forschung im Bereich des Naturschutzes. Weiterführende Literatur Hopp SL, Owren MJ, Evans CS (1998) Animal Acoustic Communication: Sound Analysis and Research Methods, Springer Berlin Heidelberg New York Tokyo Kroodsma DE (1986) Design of song playback experiments. The Auk 103: 640–642 McGregor PK (eds) (1992) Playback and studies of animal communication. Plenum Press, New York. Slater PJB (1983) The study of communication. In: Halliday TR, Slater PJB (eds) Animal behaviour, vol 2: Communication. Blackwell Scientific Publications, Oxford, pp 9–42
7.7 Indirekte Tierbeobachtung mit elektronischen Instrumenten 175
7.7 Indirekte Tierbeobachtung mit elektronischen Instrumenten Fritz Trillmich, Universität Bielefeld; Martin Wikelski, Princeton University Kleine elektronische Instrumente, die man auf Tieren befestigen kann, haben unsere Kenntnisse vom Verhalten schwer zu beobachtender Tieren, bzw. vom schwer zu beobachtenden Verhalten von Tieren, in den letzten Jahren enorm erweitert. In zunehmendem Detail erlauben uns solche biotelemetrischen Geräte, auch kleinen Tieren im Freiland zu folgen und gleichzeitig ihre physiologischen Leistungen bei unterschiedlichen Verhaltensweisen im Detail zu beobachten. Hierbei kann man zwei Typen unterscheiden: 1. Instrumente, die Daten sammeln, die entladen werden können, wenn das Tier wieder gefangen wird (archivierende Geräte), und 2. telemetrisch arbeitende Instrumente, die ihre Daten an terrestrische Empfänger oder Satelliten weitergeben. Solche Geräte sind heute auf Vögeln, Libellen, Thunfischen, Pinguinen, Robben und Walen im Einsatz, um nur einige Extreme zu nennen. Die Größe und das Gewicht solcher Apparate hängen leider immer noch wesentlich von der Batterieleistung ab. Mikroprozessoren und -sensoren sind inzwischen so stark miniaturisiert, dass die Batterie das größte Bauteil darstellt. Wieviel Batterie ein Tier tragen kann, ohne sein Verhalten schwerwiegend zu verändern, ist deshalb ein wichtiger Gesichtspunkt für die Wahl des einen oder anderen Gerätetyps, weil die Sendeleistung, die benötigt wird, um Daten zu einem Satelliten zu übertragen, meist erheblich ist (Kenward 2001). Die Geräte erlauben heutzutage Antworten auf Fragen darüber zu erhalten, wohin die Tiere gehen, wenn sie in der Luft oder im Meer verschwinden, wie sie sich dort verhalten, wie sie sich orientieren, sich mit Umweltbedingungen auseinandersetzen und wie sie zu ihrer Nahrung kommen oder Partner finden. Ein Beispiel für den ersten Instrumenttyp sind die Zeit-Tiefen-Rekorder (time-depth recorder, TDR), die ursprünglich von Kooyman und Mitarbeitern (Kooyman et al. 1976) als photomechanisch arbeitende, klobige Geräte entwickelt wurden, um das Tauchverhalten von Robben zu untersuchen. Inzwischen sind die Geräte elektronisch und sehr viel kleiner und leichter geworden. Sie erlauben in den vielfältigsten Varianten, das Verhalten tauchender Tiere detailliert zu untersuchen. Sie bestehen z. B. aus einem Drucksensor (für Tauchtiefenmessung), einer digitalen Uhr und einem Mikroprozessor, der Daten aufnimmt, minimal verarbeitet und speichert. Solche
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Instrumente können erweitert werden, indem Geschwindigkeitsmesser, Temperatur- und Lichtsensoren oder auch GPS (global positioning system) Fähigkeiten hinzugefügt werden. Sie erlauben damit ein sehr genaues Bild der Wanderungen und Nahrungssuchaktivitäten, aber auch der Stoffwechselleistungen (über Messung der Herzrate) eines Tieres im Ozean aufzuzeichnen. Um gerade schwimmende Tiere, für die die Stromlinienform wegen des hohen Wasserwiderstandes besonders lebenswichtig ist, minimal zu behindern, werden solche Geräte so klein und flach wie möglich gehalten. Das wird durch Miniaturisierung der Bauteile und Minimierung des Stromverbrauches zu erreichen versucht. So haben wir (Horning u. Trillmich 1997; Horning u. Trillmich 1999) an Galápagos Seebären (Arctocephalus galapagoensis) mit kleinen, etwa 100 g schweren Rekordern (entspricht 0,5% des Körpergewichtes) die Entwicklung des Tauchverhaltens der Jungtiere und die Nahrungssuchstrategien der adulten laktierenden Weibchen untersucht. Die Geräte wurden den Tieren auf das Rückenfell geklebt und nach 5 bis 14 Tagen wieder abgenommen. Dazu mussten die Tiere zweimal gefangen werden, was bei ortsfesten Jungtieren und Weibchen, die zu diesen Jungtieren regelmäßig zurückkehren, zuverlässig zu bewerkstelligen ist. Diese Tiere jagten nachts. Sie mieden mondhelle Nächte, in denen ihre Nahrung schwer zugänglich ist, da die Fische, die sie jagen, das Mondlicht meiden und deshalb bei Vollmond nicht so dicht an die Oberfläche kommen, wie in Neumondnächten. Das Beispiel zeigt, worin die Limitierung solcher archivierender Geräte liegt: Sie können nur auf Tieren eingesetzt werden, die zuverlässig wieder eingefangen werden können, was bei laktierenden Weibchen oder fütternden Pinguineltern gut möglich ist. Bei Tieren, die nicht so ortstreu sind oder die sich für lange Zeiten wandernd weiterbewegen, ist die Gefahr zu groß, solche Instrumente nicht wieder zu bekommen und damit die Daten vollständig zu verlieren. Hier hilft Satellitentelemetrie weiter. Hierfür werden die Geräte zusätzlich mit einem Sender ausgestattet, der die aufgenommenen Daten zu Argos-Satelliten weitergibt (siehe Abb. 7.15). Das macht es nötig, die Daten zu komprimieren, damit in der kurzen Zeit, die z. B. ein Meeressäuger an der Oberfläche ist, alle gespeicherten Daten zum Satelliten gefunkt werden können. Gleichzeitig bedeutet ein solches Verfahren natürlich, dass man bedeutend größere Batterien benötigt, wenn ein solches Gerät längere Zeit arbeiten soll. Hier liegt die Limitierung dieser Technik. Dennoch ist es auf diese Weise gelungen, die Wanderungen von See-Elefanten und Laysan Albatrossen quer durch den nördlichen Pazifik von ihren Heimatkolonien weg über viele 1000 Kilometer zu verfolgen und genau zu kartieren (Abb. 7.16). Inzwischen werden solche Instrumente auch routinemäßig genutzt, um detaillierte Daten über Temperatur, Salinität und
7.7 Indirekte Tierbeobachtung mit elektronischen Instrumenten 177
Abb. 7.15. Ein See-Elefanten Männchen mit einem Satelliten-Transmitter auf dem Kopf. Dieses Gerät kann Daten über Tauchverhalten und Wassertemperaturen fortlaufend aufnehmen. Die Daten werden, wenn das Tier an der Wasseroberfläche ist, an den Argos Satelliten weitergegeben
andere Parameter z. B. des Nordpazifik durch wandernde See-Elefanten erheben zu lassen. Eine unerwartete Möglichkeit zur Weiterentwicklung dieser Technik ergibt sich aus der modernen Technologie drahtloser Telefone. Kegelrobben sind mit modifizierten Handys ausgerüstet worden. Diese Geräte speichern
Abb. 7.16. Je drei Beispiele für Nahrungssuchausflüge von Laysan-Albatrosse (dunkler), die Jungtiere füttern, und von See-Elefanten (heller), die nach dem Fellwechsel neue Reserven für die Fortpflanzungszeit ansammeln. Die Tiere nutzen nahezu den gesamten Nord-Pazifik.
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zunächst die Tauch- und sonstigen Daten während eines Nahrungssuchausfluges einer Robbe und versuchen dann mit dem Handynetz Kontakt aufzunehmen, wenn sich die Robbe wieder an Land oder in der Nähe des Landes befindet. Wenn eine Verbindung hergestellt wird, können die Daten über das Telefonnetz in das jeweilige Labor übermittelt werden. Das enorme Potential solcher Techniken kann neuerdings auch mit Aussicht auf Erfolg auf kleinere Tiere ausgedehnt werden. So ist es gelungen, die Wanderung von Großlibellen über bis zu 12 Tage mit 0,3 g schweren Telemetriesendern zu verfolgen. Dabei stellte sich heraus, dass die Tiere an einem einzigen Tag bis zu 120 km weit fliegen können, eine Leistung, die sich der der Zugvögel beeindruckend annähert. Mit einem geeigneten Satellitensystem dürfte es demnach bald möglich sein, endlich auch die Wanderungen von Insekten besser kennen und verstehen zu lernen. Radiotelemetrie ist eine wichtige Technik der Wildtierökologie (Cooke et al. 2004). Sie ist aber typischerweise sehr arbeitsintensiv, was dazu zwingt, sich auf nur wenige Tiere über meist kürzere Zeiträume zu beschränken (Kap. 7.8). Eine Weiterentwicklung solcher Telemetrie ist als „Automatisches Radio-Telemetrie-System“ (ARTS) auf Barro Colorado, einer 1600 ha großen Insel im Panama Kanal, eingerichtet worden. ARTS erlaubt simultan und kontinuierlich Dutzende von markierten Tieren zu verfolgen. Das System besteht aus solar betriebenen automatischen Telemetrie-Empfängern auf 7 Türmen, die über das Walddach hinausragen. Das System misst die Signalstärke für jede Antenne und sendet diese Daten drahtlos an einen zentralen Rechner. Auf der Basis dieser Daten kann die ungefähre Position (± 75 Meter) und die Aktivität der Tiere (Säuger, Vögel, Reptilien, Insekten) bestimmt werden. Das System erlaubt, innerartliche Konkurrenzinteraktionen, Nutzung von bestimmten Pflanzenbeständen sowie Räuber-Beute-Interaktionen zu bestimmen. Darüber hinaus lässt sich der Zeitpunkt des Todes von Tieren ermitteln. Hierdurch lassen sich hervorragend vergleichende Daten für viele Fragen der Verhaltensökologie in bisher ungekannter Genauigkeit und über bislang nicht zu erzielender zeitlicher Ausdehnung zu gewinnen. Neue, elektronische Techniken der Datensammlung und -übermittlung bieten somit dem Verhaltensforscher eine Vielzahl sich ständig weiter entwickelnder Techniken, die langfristige, nahezu störungsfreie, indirekte Beobachtungen des Verhaltens von Tieren ermöglichen, an die zuvor kaum jemand zu denken wagte.
Interessante Internetseiten zur Biotelemetrie 179
Weiterführende Literatur Cooke SJ, Hinch SG, Wikelski M, Andrews RD, Kuchel LJ, Wolcott TG, Butler PJ (2004) Biotelemetry: a mechanistic approach to ecology. Trends Evol Ecol 19: 334–343 Horning M, Trillmich F (1997) Ontogeny of diving behaviour in the Galápagos fur seal. Behaviour 134:1211–1257 Horning M, Trillmich F (1999) Lunar cycles in diel prey migrations exert a stronger effect on the diving of juveniles than adult Galápagos fur seals. Proc. R. Soc. Lond. B 266:1127–1132 Kooyman GL, Gentry RL, Urquhart DL (1976) Northern fur seal diving behavior: A new approach to its study. Science 193:411–412
Interessante Internetseiten zur Biotelemetrie Ergebnisse zur See-Elephanten Wanderung: http://biology.st-andrews.ac.uk/seaos/results_behav.htm Weitere Ergebnisse zur Wanderung von Meerestieren: http://www.toppcensus.org Barro-Colorado ARTS Telemetrie System: http://www.princeton.edu/%7Ewikelski/research/index.htm Verfolgung der Singvogelwanderung aus dem Weltraum: http://www.princeton.edu/%7Etracking/ICARUS_website/ MigrationPoster.htm Biotelemetrie an Meerestieren und weitere Internet links zu Biotelemetrie Labors: http://www.tamug.edu/Labb/Links.htm
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7.3 Konflikte und Konfliktlösung in Insektenstaaten Jürgen Heinze, Universität Regensburg Staaten sozialer Insekten (Bienen, Wespen, Ameisen, Termiten) gelten traditionell als harmonische „Superorganismen“, in denen alle Individuen gleichermaßen daran arbeiten, den reproduktiven Erfolg der Gemeinschaft zu vergrößern. Dies scheint auf den ersten Blick auch tatsächlich der Fall zu sein. Die Effizienz der Arbeitsteilung bei Honigbienen, der reibungslose Verkehr auf Ameisenstraßen und die gut aufeinander abgestimmten Tätigkeiten der verschiedenen Arbeiterinnentypen bei Blattschneiderameisen sind seit langem Vorbild für Wissenschaftler, die versuchen, die dieser Ordnung zugrunde liegenden Entscheidungsregeln für die Lösung komplexer mathematischer, logistischer oder technologischer Probleme zu nutzen (swarm intelligence) (Bonabeau u. Théraulaz 2000). Dennoch existieren im Insektenstaat Interessenskonflikte zwischen Individuen. Sie betreffen vor allem das Verhältnis der Investition von Ressourcen in Arbeiterinnen und Geschlechtstiere, das Geschlechterverhältnis in der Brut und die Herkunft der Männchen (Bourke u. Franks 1995; Heinze 2004). Unter bestimmten Bedingungen lassen sie sich sehr leicht im Experiment beobachten. Am Beispiel des Konflikts um die Herkunft der Männchen im Staat soll dies näher erläutert werden. Bei sozialen Hautflüglern (Bienen, Wespen, Ameisen) entstehen Männchen aus unbefruchteten Eiern, Weibchen (Königinnen und Arbeiterinnen) entwickeln sich aus befruchteten Eiern. Arbeiterinnen sind daher mit den von ihrer Mutter, der Königin, produzierten Männchen (Verwandtschaftsgrad r = 0.25) weniger eng verwandt als mit ihren eigenen Söhnen (r = 0.5). Sie könnten also ihre Fitness erhöhen, indem sie „egoistisch“ eigene, unbefruchtete Eier legen. Dies ist allerdings mit Kosten für die Gesamtheit verbunden, denn Eier legende Arbeiterinnen beteiligen sich weniger intensiv an der Nahrungsbeschaffung, der Nestverteidigung und der Brutpflege und stellen damit für den Insektenstaat als Ganzes eine Belastung dar. Genetische Untersuchungen der Herkunft der in Ameisenstaaten aufwachsenden Männchen mit Hilfe von Mikrosatelliten zeigen, dass Arbeiterinnen nur selten das reproduktive Monopol der Königin durchbrechen und die Männchen in den meisten Fällen ausschließlich von der Königin abstammen (Hammond u. Keller 2004). Wie werden egoistische Arbeiterinnen daran gehindert, eigene Söhne in die Welt zu setzen? Als Untersuchungsobjekt für diese Frage eignen sich Ameisen der in Mitteleuropa weit verbreiteten Gattung Temnothorax besonders gut, insbesondere die in Mischwäldern in hohlen Eicheln oder unter Rinde nistenden Arten T. nylanderi und T. crassispinus und die an trocken-warmen
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Standorten vorkommende T. unifasciatus. Die Kolonien dieser Arten sind recht klein und bestehen meist nur aus einer Königin und rund 200300 Arbeiterinnen (Seifert 1996). Im Labor lassen sie sich leicht in kleinen Plastikkästen mit einem Gipsboden halten, wobei zwei Objektträger, die von einem 1–2 mm dicken Plastikrahmen auseinander gehalten werden, als eigentliches Nest dienen. In Staaten mit rund 50 Arbeiterinnen lässt sich das Verhalten aller Individuen verlässlich ohne die Hilfe von Videoaufzeichnungen durch sogenanntes scan sampling protokollieren: zu bestimmten Zeitpunkten wird dabei der Verhaltenszustand jeder Ameise notiert. Hierzu ist es natürlich nötig, alle Arbeiterinnen individuell zu markieren. Da Farbmarkierungen bei kleinen Ameisen nicht dauerhaft halten, verwenden wir 20–30µm dünne Kupfer-, Wolfram- oder Silberdrähte, die um unterschiedliche Stellen des Körpers der Ameise geknotet werden. Die Ameise wird dazu mit Kopf und Thorax in einen Schlitz in einem Schaumgummiblock gesteckt, so dass kleine Drahtschlingen an den Gelenken zwischen den verschiedenen Segmenten des Abdomens festgezogen werden können (Abb. 7.4). Verhaltensbeobachtungen zeigen, dass diese Drahtschleifen die Ameisen nicht weiter beinträchtigen, sie allerdings während der ersten Tage nach der Markierung intensiv geputzt werden. Wird eine solchermaßen markierte Temnothorax-Kolonie in eine Hälfte mit Königin und eine Hälfte ohne Königin geteilt, so lassen sich in der königinnenlosen Hälfte nach eins, zwei Tagen heftige Aggressionen zwischen den Arbeiterinnen beobachten. Typisch sind hier vor allem ein heftiges „Boxen“ mit den Antennen und seltener auch Bisse und Gezerre an Beinen und Antennen. Durch diese Interaktionen werden innerhalb weniger
Abb. 7.4. Mit Drahtschlaufen markierte Arbeiterin der Ameisenart Temnothorax unifasciatus
7.3 Konflikte und Konfliktlösung in Insektenstaaten 155
Wochen stabile Dominanzhierarchien aufgebaut, in denen die ranghöchsten Arbeiterinnen beginnen, ihre Ovarien zu entwickeln und Eier zu legen. Eine Präparation der Ameisen zu diesem Zeitpunkt zeigt, dass die aggressivsten Arbeiterinnen die am stärksten verlängerten Ovarien mit den meisten heranreifenden Eizellen haben (Heinze et al. 1997). Was passiert, wenn die beiden Hälften der Kolonie wieder zusammengeführt werden, nachdem eine oder mehrere Arbeiterinnen im königinnenlosen Teil fertil geworden sind? Bei T. unifasciatus verändern die fertilen Arbeiterinnen ihr Verhalten schlagartig. Sie sind nicht mehr länger aggressiv, sondern betasten nunmehr die Königin vorsichtig mit ihren Antennen und putzen sie und die Brut. Außerdem kommt es jetzt zu Attacken von Seiten anderer Arbeiterinnen gegen die fertilen Arbeiterinnen. Aggressionen gegen Eier legende Arbeiterinnen sind bei sozialen Insekten als „worker policing“ bekannt und stellen offensichtlich eine Möglichkeit dar, reproduktive Konflikte zu unterbinden: egoistische Arbeiterinnen werden durch Aggression „bestraft“, und bei vielen sozialen Hautflüglern (Hymenopteren) werden ihre Eier gezielt gefressen. Bei T. unifasciatus beteiligen sich am „worker policing“ nur wenige Arbeiterinnen, und zwar gerade diejenigen, die selbst beginnen, Eier zu legen, wenn später aus der wiedervereinigten Kolonie die Königin endgültig entfernt wird. „Policing“ ist bei T. unifasciatus also eng mit sozialer Dominanz verbunden: durch Aggressionen gegen Eier legende Nestgenossinnen verhindern die Arbeiterinnen, dass die Effizienz der Kolonien sinkt und von der Königin weniger Brut produziert wird, und gleichzeitig vergrößern sie ihre Chancen, selbst reproduktiv zu werden, wenn die Königin stirbt (N. Stroeymeyt, E. Brunner u. J. Heinze, unveröffentlicht). Woran erkennen Arbeiterinnen die fertilen Nestgenossinnen? Soziale Insekten sind durch sehr vielfältige Mechanismen der chemischen Kommunikation ausgezeichnet, und offensichtlich ist auch die Fertilität über bestimmte Düfte kodiert. Entscheidend hieran beteiligt sind langkettige Kohlenwasserstoffe der Kutikula, insbesondere methylierte Alkane und Alkene mit 20–30 C-Atomen. Sie lassen sich mit Pentan oder einem anderen organischen Lösungsmittel von der Oberfläche der Ameisen abwaschen und im Gaschromatographen auftrennen (Abb. 7.5). Ein statistischer Vergleich lässt deutliche Unterschiede zwischen den komplexen Duftmustern fertiler und nicht-fertiler Arbeiterinnen von T. unifasciatus erkennen. Welche der konsistent in unterschiedlichen Mengen vorkommenden Substanzen tatsächlich als Fertilitätssignal erkannt werden, ist damit aber noch nicht bestimmt. Hierzu müssten die Verhaltensreaktionen von Arbeiterinnen auf die Reinsubstanzen beobachtet werden oder durch Ableitung der Nervenimpulse der Antennen nachwiesen werden, welche Stoffe Reaktionen auslösen. Dies war bislang nur bei der tropischen
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Abb. 7.5. Gaschromatogramm einer Eier legenden und einer nicht-fertilen Arbeiterin der Ameisenart Temnothorax unifasciatus. Die Proportionen einiger Kohlenwasserstoffe im Duftstoffgemisch auf der Kutikula der Ameisen unterscheiden sich. (N. Stroeymeyt, E. Brunner u. J. Heinze, unveröffentlicht)
Ameise Pachycondyla inversa möglich, die mit 2 cm Körperlänge 10mal so groß ist wie T. unifasciatus: hier scheint 3.11-dimethly-Heptakosan das Fertilitätssignal zu sein (D’Ettorre et al. 2004). Durch den Einsatz verschiedener Methoden, von quantitativen Verhaltensbeobachtungen markierter Individuen bis hin zu gaschromatographischen und genetischen Methoden, lassen sich somit sehr differenzierte Einblicke in die Strategien zur Konfliktlösung bei sozialen Hautflüglern gewinnen. Weiterführende Literatur Bonabeau E, Théraulaz G (2000) Swarm smarts. Sci Am 282 (March): 72–79 Bourke AFG, Franks NR (1995) Social evolution in ants. Princeton Univ Press, Princeton, NJ D’Ettorre P, Heinze J, Schulz C, Francke W, Ayasse M (2004) Does she smell like a queen? Chemoreception of a cuticular hydrocarbon signal in the ant Pachycondyla inversa. J Exp Biol 207:1085–1091 Hammond RL, Keller L (2004) Conflict over male parentage in social insects. PLoS Biol 2: e248 Heinze J (2004) Reproductive conflict in insect societies. Adv Stud Behav 34: 1–57 Heinze J, Puchinger W, Hölldobler B (1997) Worker reproduction and social hierarchies in Leptothorax ants. Anim Behav 54:849–864 Seifert B (1996) Ameisen: beobachten, bestimmen. Naturbuch Verlag, Augsburg
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7.13 Methoden der Nutztierethologie Lars Schrader, Institut für Tierschutz und Tierhaltung der FAL, Celle Sind Vollspaltenbuchten für Mastbullen oder Käfige für Hennen tiergerecht? Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich die Tierschutzforschung. Im Mittelpunkt steht die Bewertung von Haltungsverfahren. Das Anliegen, Tiere zu schützen, ist zwar ein ethisches Anliegen, d. h. vom Menschen her begründet. Die Frage jedoch, was die Tiere zu ihrem Schutz brauchen, ist aus der Biologie der Tiere her, d. h. naturwissenschaftlich zu begründen. Das ethisch begründete Anliegen des Tierschutzes findet seinen Ausdruck in rechtlichen Regelungen. So ist in §1 des deutschen Tierschutzgesetzes formuliert, dass „(n)iemand (…) einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen (darf).“ In §2 wird weiter ausgeführt, dass ein Tierhalter „das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen“ muss. Wann empfindet aber ein Tier Schmerzen, wann leidet es? Und was ist eine verhaltensgerechte Unterbringung? Die naturwissenschaftliche Bearbeitung dieser Frage steht vor einem grundsätzlichen Problem. Schmerzen und Leiden sind nicht unmittelbar messbar, da sie subjektive Empfindungen bei den Tieren darstellen. Allerdings gibt es Indikatoren, die eine Aussage über die Beeinträchtigung des Wohlbefindens zulassen. Indikatoren Als Indikatoren werden physiologische, morphologische, Verhaltens- und Produktionsmerkmale herangezogen. Diese Indikatoren sind objektiv messbar. Das Verhalten der Tiere ist dabei ein zentraler Aspekt. Zum einen fordert der Gesetzgeber eine verhaltensgerechte Unterbringung der Tiere. Zum anderen handelt es sich beim Verhalten um eine integrierte, systemische Leistung der Tiere. Somit stellen Änderungen im Verhalten oft empfindlichere Indikatoren für Anpassungsreaktionen gegenüber Umwelteinflüssen dar als z. B. singuläre physiologische Reaktionen. Meist ist es jedoch zur Interpretation und Bewertung der Reaktionen der Tiere sinnvoll und erforderlich, Indikatoren unterschiedlicher Reaktionssysteme heranzuziehen. Hier bedient sich die Tierschutzforschung Indikatoren, die auch in anderen Disziplinen angewendet werden, beispielsweise aus der Ethologie, der Veterinärmedizin, der Physiologie, der Neurowissenschaft, der Molekularbiologie, der Kognitionswissenschaft. Bei der Bewertung der – zunächst neutralen – Indikatoren muss berücksichtigt werden, dass alle Lebewesen die Fähigkeit besitzen, sich ihren
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Umweltbedingungen anzupassen. Die vergleichsweise hohe Anpassungsfähigkeit der Nutztiere ist nicht zuletzt eine der Grundvoraussetzungen für ihre Domestikation gewesen. D. h. nicht jeder Anstieg oder Abfall eines Messwertes lässt auf eine Belastung der Tiere schließen. Um feststellen zu können, welche Veränderungen auf eine Überforderung der Anpassungsfähigkeit hinweisen oder welche Haltungsbedingungen als nicht mehr verhaltensgerecht bewertet werden müssen, da sie zu erheblichen Verhaltensabweichungen führen, muss die biologische Reaktionsnorm der Tiere bekannt sein. Eine weitere Herausforderung ist es dann zu prüfen, inwieweit diese objektiv messbaren Zustände den subjektiven Bewertungen durch die Tiere zugeordnet werden können. Zur Bearbeitung dieser Fragestellungen nutzt die wissenschaftliche Tierschutzforschung verschiedene methodische Konzepte. Vergleichende Untersuchungen Eine häufig genutzte Methode sind vergleichende Untersuchungen. Hiermit können Fragestellungen zu den Auswirkungen von Haltungsverfahren auf die Tiere untersucht werden, beispielsweise die Frage, ob neuartige Gummiauflagen auf dem Boden von Buchten für Mastbullen hinsichtlich der Tiergerechtheit Vorteile gegenüber Betonspaltenböden bringen (Schrader et al. 2001; Gygax et al. in press). Als Indikatoren bieten sich Schäden, etwa an den Klauen, den Gelenken und der empfindlichen Schwanzspitze an. Auch das Liegeverhalten der Bullen kann hier wichtige Hinweise auf die Anpassungsfähigkeit der Tiere an diese Haltung geben. Als Referenzverfahren können die gleichen Merkmale an Mastbullen in einer eingestreuten Haltung oder auf der Weide erhoben werden. Die Ergebnisse solcher Untersuchungen zeigen, dass mit zunehmender Härte des Bodens die Schäden an den Gelenken und an der Schwanzspitze zunehmen, die Tiere weniger häufig aufstehen und insbesondere das Abliegen und Aufstehen der Tiere verändert und teilweise anomal ist. Obwohl die Ergebnisse und die Gesamtproblematik hier nur sehr verkürzt wiedergegeben werden können, eignet sich dieses Beispiel vielleicht zur Darstellung der grundsätzlichen Problematik. Die objektiv erhobenen Befunde weisen eindeutig darauf hin, dass es auf Betonspalten am häufigsten zu Schäden an den Tieren kommt, die unmittelbar durch das Haltungssystem verursacht sind (Technopathien) und dass hier das Verhalten am stärksten eingeschränkt ist. Aber wird hierdurch gerechtfertigt, dass in Zukunft Mastbullen nicht mehr auf Betonspaltenbuchten gehalten werden dürfen? Der weitergehenden Frage, ob diese festgestellten Schäden zu Schmerzen bei den Tieren führen, lässt sich näherungsweise nachgehen, indem untersucht wird, ob und wie die geschädigten Regionen innerviert sind und
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ob es im Verhalten beispielsweise zu Meidereaktionen oder zu spezifischen Ausdrucksverhalten (z. B. Lautäußerungen) kommt. Bei solchen vergleichenden Untersuchungen wird versucht, über die Indikatoren die Auswirkungen auf die Tiere und ihre Befindlichkeit zu schließen. Offen bleibt jedoch, wie die Tiere selber ihre Haltungsumwelt bewerten. Hierüber können Wahlversuche Aufschluss geben. Wahlversuche In Wahlversuchen erhalten die Tiere die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Umweltressourcen auszuwählen. Um bei oben genanntem Beispiel mit den Mastbullen zu bleiben, könnte man den Tieren gleichzeitig verschiedene Bodenmaterialien in einer Versuchsbucht anbieten. Die Tiere sollten solche Umweltressourcen bevorzugen, die langfristig ihren Fortpflanzungserfolg maximieren (ultimate Faktoren) und in denen ihr Wohlbefinden am größten bzw. am geringsten eingeschränkt ist (proximate Faktoren). Allerdings hängen die Wahlentscheidungen der Tiere von vielen weiteren Faktoren ab, wie beispielsweise ihren Vorerfahrungen (unbekannte Reize werden meist zunächst gemieden), ihrer jeweiligen Motivation (z. B. bevorzugen Hennen zum Ruhen andere Böden als zur Nahrungssuche), Klimabedingungen (z. B. bevorzugen Schweine bei niedrigen Temperaturen andere Böden zum Ruhen als bei hohen Temperaturen), dem Alter der Tiere (junge Tiere können andere Umweltpräferenzen haben wie adulte Tiere), dem physiologischen Zustand (z. B. können laktierende Tiere andere Ressourcen bevorzugen wie Tiere ohne Nachwuchs). Diese Faktoren können die Interpretation von Wahlversuchen sehr schwierig machen. Weiterhin ist bei Wahlversuchen zu berücksichtigen, dass aus ihnen zwar die relativen Präferenzen zwischen den jeweils angebotenen Umweltressourcen abgelesen werden können, nicht jedoch die Bedeutung der Ressourcen für die Tiere. Bevorzugt beispielsweise ein Mastbulle in einem Wahlversuch beim Ruhen einen gummierten Boden gegenüber einem Betonspaltenboden, kann hieraus nicht geschlossen werden, dass der gummierte Boden Wohlbefinden garantiert und der Betonspaltenboden Leiden verursacht. Eventuell wählt das Tier nur das aus seiner Sicht geringste Übel zwischen den angebotenen Alternativen aus. Da Wahlversuche nur eine relative Aussage über die Präferenz der angebotenen Ressourcen zulässt, versucht man auch, die Bedeutung der Ressourcen und den Bedarf der Tiere für diese über ein absolutes Maß zu testen. Bedarfsuntersuchungen Bedarfsuntersuchungen leiten sich aus ökonomischen Modellen ab, in denen der Bedarf nach Produkten über den Abgleich zwischen dem jeweiligen
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Preis und der Nachfrage nach den Produkten dargestellt wird. Produkte, für die ein sehr hoher Bedarf besteht, werden auch noch bei hohen Preisen nachgefragt (inelastische Nachfrage). Produkte, für die ein geringer Bedarf besteht, werden bei höheren Preisen nicht mehr nachgefragt (elastische Nachfrage). In Bedarfsuntersuchungen („demand functions“) wird experimentell auch von den Tieren ein Preis verlangt, um an eine Ressource zu gelangen. Dabei werden die Kosten für eine Ressource variiert. Dies geschieht mittels operanter Konditionierungen, in denen die Tiere lernen, eine bestimmte Handlung (z. B. Hebel drücken, Türen aufstemmen) auszuführen, um an eine Ressource (z. B. Futter, eine Liegefläche, Sozialkontakt) zu kommen. Der Preis oder die Kosten werden erhöht, indem die Anforderungen erhöht werden (z. B. Rate an notwendigen Hebeldrucken, Gewicht der aufzustemmenden Türen). Anders als bei reinen Wahlversuchen werden hier also die Präferenzen für unterschiedliche Ressourcen nicht direkt gegeneinander getestet, sondern die Wichtigkeit der Ressourcen drückt sich über eine absolute „Währung“, die Kosten, aus. Es kann gefolgert werden, dass Ressourcen, die von den Tieren auch bei hohen Kosten noch abgefragt werden (inelastische Nachfrage), wichtiger sind als Ressourcen, für die die Tiere weniger motiviert sind, zu arbeiten (elastische Nachfrage). Probleme bei dieser Methodik sind unter anderem, dass die abverlangten Handlungen von den Tieren auch ausgeübt und erlernt werden können müssen. Vergleichbar zu den Wahlversuchen hängt auch hier die Nachfrage nach den Ressourcen von weiteren Faktoren (Motivation, Klimabedingungen, Alter, physiologischer Zustand) ab. Zudem sind solche Versuche experimentell sehr komplex. Sowohl bei Bedarfsuntersuchungen als auch bei Wahlversuchen können auch kurzfristige Konsequenzen der Tiere mit langfristigen Konsequenzen in Konflikt stehen, bzw. kann es sein, dass langfristige Konsequenzen von den Tieren nicht berücksichtigt werden können. So können Ressourcen, die unter natürlichen Bedingungen knapp sind, in Wahlversuchen bevorzugt werden, obwohl sie sich langfristig sogar nachteilig auf die Tiere auswirken können. Ein Beispiel dafür ist die Hyperphagie von in der Natur selten vorkommender Nahrung. Weitere Ansätze Um über die Schmerzempfindung der Tiere etwas zu erfahren, können auch pharmakologische Untersuchungen aufschlussreich sein. Hier werden den Tieren Schmerzmittel (Analgetika) verabreicht (vergleichende Untersuchung) oder ihnen wird die Möglichkeit gegeben, selber solche Substanzen aufzunehmen (Wahlversuche). Hier kann erwartet werden, dass die
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aufgenommene Dosis an Analgetika mit der Stärke der empfundenen Schmerzen kovariiert (Danburry et al. 2000) In den letzten Jahren haben auch Untersuchungen zu kognitiven Leistungen von Nutztieren zunehmende Bedeutung erhalten. Hierfür sind mehrere Gründe verantwortlich. Ein teilweise gravierendes Problem in der Nutztierhaltung sind Verhaltensstörungen, die in bestimmten Haltungen vermehrt auftreten können. Diese Verhaltensstörungen – beispielsweise Stereotypien – weisen Symptome auf, die aus der Psychiatrie bekannt sind und die sich mit spezifischen Lerntests nachweisen lassen. Weiterhin wird die Erkenntnis genutzt, dass Entscheidungen von der emotionalen Grundeinstellung abhängig sind. Hier werden Ansätze verfolgt, über die Entscheidung der Tiere in Lernversuchen Aussagen über ihren – haltungsabhängigen – Gefühlszustand machen zu können (Harding et al. 2004) Kognitive Leistungen von Nutztieren werden ebenfalls untersucht, um zu klären, über welchen Grad von Bewusstsein sie verfügen und damit, in welchem Masse negative Erfahrungen von ihnen wahrgenommen werden können (Kirkwood u. Hubrecht 2001). Zusammenfassend zeigt sich, dass verhaltensbiologische Methoden für die Tierschutzforschung von herausragender Bedeutung sind. Diese Ansätze werden meist kombiniert und ergänzt mit methodischen Ansätzen aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Nur so ist es möglich, ein umfassendes Bild von den Ansprüchen der Nutztiere an ihre Haltungsumwelt und deren Auswirkungen auf die Tiere zu erhalten. Weiterführende Literatur Kirkwood JK, Hubrecht R (2001) Animal consciousness, cognition and welfare. Animal Welfare 10: 5–17 Danburry TC, Weeks CA, Chambers JP, Waterman-Pearson AE, Kestin SC (2000) Self-selection of the analgesic drug carprofen by lame broiler chickens. Veterinary Record 146: 307–311 Gygax L, Mayer C, Schulze Westerath H, Friedli K, Wechsler B (in press) On-farm assessment of the lying behaviour of finishing bulls kept in housing systems with different floor qualities. Animal Welfare Harding EJ, Paul ES, Mendl M (2004) Animal behavior – Cognitive bias and affective state, Nature 427: 312 Schrader L, Roth H-R, Winterling C, Brodmann N, Langhans W, Geyer H, Graf B (2001) The occurrence of tail tip alterations in fattening bulls kept under different husbandry conditions. Animal Welfare 10: 119–130
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7.9 Methoden der Orientierungsforschung Roswitha Wiltschko und Wolfgang Wiltschko, Universität Frankfurt Die Orientierung von Tieren zu untersuchen erfordert, ihr Richtungsverhalten mit geeigneten Methoden zu erfassen. Das bedeutet in der Regel, dass man ihnen die Wahl zwischen den verschiedenen Richtungen gibt – frei über 360° oder radiärsymmetrisch vorgegeben – und beobachtet, welche Richtung sie wählen. Dabei ist zu beachten, dass Orientierung nie per se vorkommt, sondern immer Komponente eines Verhaltens ist – es ist deshalb für Orientierungsuntersuchungen von ganz entscheidender Bedeutung, dass das zu untersuchende Tier motiviert ist, ein entsprechendes Verhalten zu zeigen. Die Absicht, bestimmte Orientierungsmechanismen zu untersuchen, scheiterte oftmals daran, dass es nicht gelang, ein geeignetes Verhalten zu finden, bei dem die Tiere zuverlässig orientiert waren. Bei allen territorialen Tierarten kann man voraussetzen, dass sie nach Verlassen ihres Territoriums versuchen werden, in ihren Heimbereich zurückzukehren. Dies kann man für die Untersuchung ihrer Orientierung nutzen. Die Tiere werden verfrachtet, freigelassen, und man beobachtet als ‚Anfangsorientierungǥ, in welche Richtung sie sich entfernen. Auf diese Weise wurde vor allem die Orientierung von Wirbeltieren, aber auch von Bienen und Wespen untersucht. Die dabei speziell angewandten Methoden sind sehr vielfältig und reichen vom Verfolgen von Spuren im Neuschnee über die Aufzeichnung des ersten Teils des Weges mit Hilfe von sich abwickelnden Fäden (Sinsch 1987) bis zum Wiederfang markierter Tiere in Fallenringen um den Auflaßort. Vögel kann man mit guten Ferngläsern direkt beobachten; die Richtung, in der z. B. eine Brieftaube das letzte Mal gesehen wurde, bevor sie in etwa 2 bis 2.5 km nicht mehr sichtbar ist, wird dann als ‚Verschwinderichtungǥ mit einem Kompass gemessen. Bei Bienen ließ sich die Sichtbarkeit durch angehängte leichte Plättchen verbessern. Entsprechende Daten in größerer Entfernung lassen sich über Radiopeilung gewinnen. Die Taube wird mit einem kleinen Sender ausgerüstet, was bei einer festen Peilstation am Auflaßort das Verfolgen der Tauben bis etwa 10 km erlaubt, bei mobilen Stationen oft über den gesamten Heimweg. Dabei sollte das Signal allerdings von mindestens drei Peilstationen erfasst werden, um eine befriedigende Genauigkeit zu erreichen, was diese Methode sehr aufwendig macht. Sie wird in letzter Zeit zunehmend durch Aufzeichnen der Flugwege mit auf GPS (global positioning system) basierenden Flugschreibern ersetzt. Hier wird üblicherweise jede Sekunde ein „Fix“ mit Zeitangabe, Ortsangabe, Höhenangabe, Geschwindigkeit etc. gespeichert, wobei die Ortsangaben auf etwa 5 m genau sind (von Hünerbein et al. 2000). Diese Methode ist jedoch nur für Tiere geeignet, die sich
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unter freiem Himmel fortbewegen und bei denen dadurch der Kontakt des Flugschreibers mit den entsprechenden Satelliten gewährleistet ist; auch muss das Tier kräftig genug sein, den Flugschreiber zu tragen. Allerdings erhält man die Daten erst, wenn man den Flugschreiber wieder in der Hand hält. Diese Methode wird deshalb besonders bei Brieftauben angewendet, die man bei der Rückkehr in ihren Schlag leicht wieder einfangen kann. Wenn es um die Analyse der Faktoren geht, die zur Orientierung benutzt werden, so haben alle Methoden, bei denen Tiere freigelassen werden müssen, den Nachteil, dass man in dieser Situation die zur Verfügung stehenden Faktoren nicht oder nur in sehr begrenztem Umfang experimentell verändern kann. Als Ausweg bietet sich an, die Tiere vor dem Freilassen entsprechend zu manipulieren. Ein klassisches Beispiel liefert der Nachweis des Sonnenkompasses bei Brieftauben: man verstellt Tauben die ‚Innere Uhrǥ, indem man sie mindestens 5 Tage lang in einem Raum ohne Tageslicht einer um z. B. 6 h verschobenen Photoperiode aussetzt. Werden diese Tauben dann verfrachtet und freigelassen, so schätzen sie aufgrund ihrer verstellten ‚Inneren Uhrǥ den Sonnenstand falsch ein und schlagen infolge dessen eine Richtung ein, die von der unbehandelter Kontrolltauben in typischer Weise abweicht. Weitere Manipulationen wären z. B. das Ausschalten spezifischer Sinnesorgane wie das Ausschalten des Geruchsvermögens im Hinblick auf olfaktorische Orientierung, Perforation des Trommelfells im Hinblick auf die Beteiligung von Infraschall oder Anbringen von Störmagneten oder kleinen Spulen im Hinblick auf magnetische Orientierung. In vielen Fällen ist es aber wünschenswert, das Richtungsverhalten im Labor in einem begrenzten Raum zum Ausdruck zu bringen, weil hier die potentiellen Orientierungsfaktoren viel besser kontrolliert, eingeschränkt und experimentell verändert werden können. Hier kommen geeignete, meist runde oder achteckige Arenen und Käfige zum Einsatz, in denen das Richtungsverhalten aufgezeichnet wird. Ein Problem ist dabei, daß die zu untersuchenden Tiere das entsprechende Verhalten in einem begrenzten Raum im Labor zeigen müssen. Hier hat es sich als großer Vorteil erwiesen, auf spontanes Verhalten zurückzugreifen. Bei wandernden Tieren lässt sich das Bestreben ausnutzen, sich in Wanderrichtung fortzubewegen. So entdeckte Gustav Kramer schon 1949, dass Zugvögel während der Zugzeit sich spontan auf der Seite eines Rundkäfigs aufhalten, die in Zugrichtung weist. In der Folgezeit wurde eine ganze Reihe von verschiedenen „Orientierungskäfigen“ entwickelt, um diese spontanen Richtungstendenzen aufzuzeichnen. Der meist benutzte Käfig wurde von Emlen und Emlen entwickelt (Emlen u. Emlem 1966): er ist trichterförmig (Abb. 7.19); der Boden bestand ursprünglich aus einem Stempelkissen und die geneigten Wände wurden mit Fließpapier ausgelegt, auf dem der Vogel bei seinen
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Abb. 7.19. Trichter-Käfig nach Emlen und Emlen (1966) zur Erfassung der Richtungsorientierung von Zugvögeln. Die geneigten Wände des Trichters sind mit beschichtetem Papier ausgelegt; bei seinen Bewegungen hinterlässt der Vogel Kratzer in der Beschichtung. Bei Verwendung einer klaren Plexiglasabdeckung sind dem Vogel Himmelsfaktoren zugänglich
Bewegungen Fußspuren hinterließ. Heute ist das Fließpaper durch beschichtetes Papier ersetzt, und die Aktivität des Vogels wird durch die Kratzer dokumentiert, die er mit seinen Krallen in der Beschichtung hinterlässt und die sich später auf einem Leuchttisch leicht auszählen lassen. Diese Methode hat den großen Vorteil, dass sie auch auf Feldstationen ohne Stromversorgung angewendet werden kann. Auch automatische Aufzeichnungen mit Hilfe von beweglichen Käfigwandsegmenten und dahinterliegenden Mikroschaltern oder durch Infrarotlichtschranken, bei schwimmenden Tieren auch über einen frei beweglichen Hebelarm, an dem die Tiere mit einem Faden verbunden sind (Lohmann 1991), sind in Gebrauch. Aufzeichnungen des Orientierungsverhaltens mit Hilfe von Videokameras sind ebenfalls sehr weit verbreitet und kommen nicht nur bei Vögeln, sondern auch bei anderen in Arenen und Käfigen getesteten Tieren wie Mäusen, Kröten, Schildkröten und strandbewohnenden Asseln und Flohkrebsen zum Einsatz. Das meist relativ kleine Volumen der Orientierungskäfige und -arenen ermöglicht es, verschiedene orientierungsrelevante Parameter wie z. B. Magnetfeldrichtung und -stärke, Himmelfaktoren im Planetarium, Polarisation und Farbe des Lichts etc. kontrolliert zu manipulieren und dabei die Veränderungen der Orientierungsleistungen nach solchen Manipulationen quantitativ zu erfassen. Wenn kein geeignetes spontanes Verhalten verfügbar ist, bleibt die Möglichkeit, Tiere zur Gewinnung von Orientierungsdaten auf Richtungen
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zu dressieren. Richtungsdressuren sind allerdings nicht unproblematisch – die Zahl der negativen Befunde überwiegt die der positiven bei weitem, wohl deshalb, weil viele Tiere nicht in der Lage sind, plötzliche, normalerweise in der Natur nicht vorkommende Änderungen der Richtungsparameter ihrer Umgebung mit Belohnung oder Strafe zu assoziieren (Shettleworth 1972). Die wenigen neueren positiven Befunde berücksichtigen diesen Einwand insofern, als die Tiere immer wieder neu in die Versuchsapparatur eingesetzt wurden, die veränderten Richtungsbedingungen dort schon vorfinden und sich so unter konstanten Bedingungen neu orientieren können. Erfolgversprechender als reine Richtungsdressuren scheint es aber, Tiere langfristig in ihrem Wohnbereich auf eine bestimmte Richtung zu konditionieren, etwa eine Uferlinie oder die Richtung, aus der immer das Futter kommt und dann die so induzierte Richtungsbevorzugung in einer geeigneten Apparatur als Grundlage für Orientierungsversuche zu benutzen. Bei den Daten, die man bei Orientierungsversuchen erhält, handelt es sich in der Regel um Richtungswerte mehrerer Tiere, die man in einem Mittelvektor zusammenfasst. Die Verfahren für die statistische Bearbeitung solcher kreisverteilter Daten, z. B. der Nachweis, ob überhaupt eine Richtungsbevorzugung vorliegt, ob zwei Stichproben sich statistisch unterscheiden usw., sind in Spezialliteratur beschrieben (Batschelet 1981). Wenn es weniger um Orientierung als solche geht, sondern vielmehr darum, Ortsverhalten zu erfassen, z. B. die Größe des Heimareals festzustellen, werden vielfach Sender eingesetzt, die man bei kleineren Tieren mit entsprechenden Empfängern anpeilen kann (Kap. 7.9). Wenn dagegen großräumige Ortsbewegungen oder Wanderrouten von Tieren dokumentiert werden sollen, bietet sich Satellitentelemetrie an, eine Methode, bei der Standorte in bestimmten zeitlichen Abständen über Kontakt zwischen dem Sender mit den entsprechenden Satelliten abgefragt werden kann (Kap. 7.8). Die Möglichkeiten dieser Methode sind allerdings im Wesentlichen durch das relative hohe Gewicht der Sender, die oft mit Sonnenkollektoren als Energiequelle ausgestattet sind und die relative geringe zeitliche Auflösung der Einzelpeilungen begrenzt, was aber nicht ins Gewicht fällt, wenn z. B. die Zugbewegungen und die Winterquartiere von großen Vögeln wie Adlern und Störchen aufgezeichnet werden sollen (Nowak u. Berthold 1991). Der Verlauf des Vogelzuges an bestimmten Orten lässt sich durch geeignete Radargeräte beobachten, da Vögel in der Regel so hoch fliegen, dass der Radarkontakt gewährleistet ist. Eine Übersicht über lokale Zugbewegungen vermittelt der Einsatz von Überwachungsradar; mit Zielverfolgungsradar ist es möglich, die Wege einzelner Vögel über größere Strecken dreidimensional aufzuzeichnen.
Weiterführende Literatur: 189
Weiterführende Literatur: Helbig, JA (1991) Experimental and analytical techniques used in bird orientation research. In: Orientation in Birds. (P. Berthold, ed.) Birkhäuser, Basel, Bosten, Berlin, pp. 270–306 Wiltschko, R (1992) Das Verhalten verfrachteter Vögel. Vogelwarte 36: 249–310 Wiltschko R, Wiltschko W (2003) Avian navigation: from historical to modern concepts. Anim Behav 65: 257–272
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7.1 Modellierungen Klaus Reinhold, Universität Bielefeld In vielen Bereichen der Verhaltensbiologie werden Modellrechnungen eingesetzt, um das Verhalten von Tieren verstehen oder vorhersagen zu können. Insbesondere wenn es darum geht, evolutionsstabile oder optimale Verhaltensweisen zu finden, kann häufig nicht auf Modellrechnungen verzichtet werden. Modellrechnungen sind auch dann besonders hilfreich, wenn nicht-lineare Abhängigkeiten, bzw. positive oder negative Rückkoppelungen eine Einschätzung der Folgen von geänderten Umweltbedingungen erschweren. Mit Hilfe von Modellrechnungen wurde so zum Beispiel abgeschätzt, welche Kopulationsdauer für Dungfliegenmännchen hinsichtlich der Maximierung ihrer Fitness optimal ist (Simmons 2001), welchen Selektionsvorteil eine Wahl von besonders attraktiven Männchen den Weibchen bieten kann (Andersson 1994), oder wie Honigbienen den Ressourcengewinn bei der Nahrungssuche maximieren können. Modellrechnungen sind im Prinzip in die Sprache der Mathematik übersetzte Hypothesen. Notwendigerweise muss dabei stark abstrahiert werden, da aus Effizienzgründen nicht alle Umweltbedingungen, die ein Verhalten potentiell beeinflussen, in eine Modellrechnung mit aufgenommen werden können. Ebenfalls notwendig für Modellrechnungen ist es, von bestimmten Formen des mathematischen Zusammenhangs zwischen den modellierten Faktoren auszugehen. Bei der Modellbildung muss also notwendigerweise idealisiert werden, und ein Modell ist daher immer ein vereinfachtes Abbild der Wirklichkeit. Die Ergebnisse von Modellrechnungen sind daher immer auch stark abhängig von den jeweils verwendeten Annahmen. Nicht zuletzt aus diesem Grund muss bei der Interpretation der Ergebnisse von Modellrechnungen vorsichtig vorgegangen werden. Üblicherweise wird in Modellrechnungen zuerst von den einfachsten möglichen Bedingungen ausgegangen, wie zum Beispiel einem linearen Zusammenhang zwischen der Größe eines sexuell selektierten Merkmals und den Kosten dieses Merkmals. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird das
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Modell häufig verfeinert, einerseits, um das Modell an die natürlichen Bedingungen anzunähern, und andererseits, um zum Beispiel auch Aussagen über die Folgen nichtlinearer Zusammenhänge oder den Einschluss zusätzlicher Faktoren treffen zu können. Um zu verstehen, wie stark das Ergebnis der Modellrechnungen von spezifischen Annahmen abhängt, werden üblicherweise in einer Sensibilitätsanalyse die Auswirkungen von kleinen Unterschieden in den verschiedenen angenommenen Faktoren und ihren Zusammenhängen untersucht. Je nachdem, ob für die Modellrechnungen in erster Linie Methoden aus der Algebra, wie zum Beispiel Kurvendiskussion oder Differentialgleichungen, oder aus der Stochastik und Informatik eingesetzt werden, kann ein großer Teil der Modellrechnungen zur Verhaltensbiologie in eine der beiden folgenden Kategorien eingeteilt werden: analytische Modellrechnungen oder numerische Modellrechnungen (Simulationen). Diese beiden Herangehensweisen haben ihre jeweiligen Vor- und Nachteile. Analytische Modellrechnungen, also Modellrechnungen, die auf mathematischen Formeln und deren algebraischen Umformungen beruhen, haben den Vorteil, dass die Schlussfolgerungen zumindest für mathematisch geschulte Leser leicht nachzuvollziehen sind. Ein Nachteil ist dagegen, dass die Anwendbarkeit derartiger Modellrechnungen auf die Lösbarkeit der verwendeten Formeln angewiesen ist, was häufig eine starke Abstraktion der modellierten Zusammenhänge nötig macht. Simulationen oder numerische Modellrechnungen haben im Gegensatz hierzu den Vorteil, beliebig komplexe Zusammenhänge abbilden zu können. Gleichzeitig bringen diese Verfahren aber den Nachteil mit sich, dass Programmierfehler leicht zu irrelevanten Schlussfolgerungen führen. Daher nehmen die Fehlersuche und andere Formen der Überprüfung bei numerischen Simulationen einen erheblichen Teil des zeitlichen Aufwandes ein. Modellrechnungen können grundsätzlich zwei verschiedenen Aufgaben dienen. Entweder verwendet man Modellrechnungen um Vorhersagen treffen zu können, wie sich Tiere verhalten werden oder verhalten sollten. Oder man versucht, mit Modellrechnungen Hypothesen zum Verhalten von Tieren zu widerlegen, indem man zeigt, dass sie in sich widersprüchlich sind. Für die erste Aufgabe ist es zumeist günstig, viele das Verhalten beeinflussende Umweltbedingungen in das Modell einzubauen, weil damit die Vorhersage der Modellrechungen besser werden kann. Vorausgesetzt ist hierbei natürlich, dass die angenommenen Einflüsse der Umweltbedingungen auf das modellierte Verhalten treffend wiedergegeben werden. Für die zweite Aufgabe, also den Versuch, mit Modellrechnungen Hypothesen zu widerlegen, ist es wichtig, nur die als notwendig postulierten Umweltbedingungen mit in das Modell aufzunehmen. Mit dieser Art von Modellrechnungen wird dann in der Folge getestet, ob sich aus diesen Annahmen
7.1 Modellierungen 145
auch die Schlussfolgerungen ergeben, die nach der untersuchten Hypothese erwartet werden. Eine solche Untersuchung einer Hypothese durch Modellrechnungen hat daher mehr Ähnlichkeiten mit einer mathematischen Beweisführung, wohin gegen Modellrechnungen zur Vorhersage tierischen Verhaltens eine stärkere Ähnlichkeit mit dem Ausrechnen einer komplizierten Formel aufweisen. Im ersten Fall interessiert vor allem, ob die vorliegende Gleichung richtig oder falsch ist, im zweiten Fall ist das Endergebnis von zentralem Interesse. In diesem letzten Absatz soll kurz auf zwei Modellrechnungen eingegangen werden, an denen die oben dargestellten zwei Aufgaben und Kategorien von Modellrechnungen beispielhaft dargestellt werden sollen. Im ersten Beispiel soll es um eine Modellrechnung gehen, mit welcher versucht wurde, die optimale Dauer einer Kopulation für Dungfliegenmännchen zu ermitteln. In diesen Modellrechnungen wurde von einem bestimmten Zusammenhang zwischen der Kopulationsdauer und dem Reproduktionserfolg der Männchen ausgegangen. Diese Annahme, die auch als Formel angegeben wird, basiert auf experimentellen Daten zur Spermien-übertragungsrate und zur Spermienkonkurrenz. Zusammen mit der mittleren Suchzeit, die ein Männchen braucht um das nächste Weibchen zu finden, kann mit dieser Modellrechnung die optimale Kopulationsdauer abgeschätzt werden (Abb. 7.1). Ein Überschreiten der optimalen Kopulationsdauer führt dann nach diesem Modell zu einer verringerten Reproduktionsrate, weil das
Abb. 7.1. Wenn Dungfliegen modellieren könnten (Zeichnung von Ulrich Pörschmann)
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Männchen weniger durch die längere Kopulation gewinnt, als es durch die verringerten Paarungschancen mit anderen Weibchen verliert. Bei dieser skizzierten Modellrechnung handelt es sich um eine analytische Modellrechnung, mit der versucht wird, die optimale Kopulationsdauer vorherzusagen. Ein Vergleich der theoretisch erwarteten und der empirisch ermittelten Kopulationsdauer ergab eine sehr gute Übereinstimmung. Daraus wurde geschlossen, dass die vereinfachenden Annahmen des Modells (zum Beispiel wurden nur die Zeitkosten der Kopulation berücksichtigt und alle Männchen als gleichartig angenommen) keine wesentlichen Einflüsse auf die optimale Kopulationsdauer haben. Hier ist jedoch Vorsicht angebracht, da die optimale Kopulationsdauer sehr wohl von anderen Faktoren beeinflusst werden kann, obwohl die erwartete und die gemessene Kopulationsdauer nahe beieinander liegen. Als zweites Beispiel soll hier auf eine Modellrechnung eingegangen werden, mit der untersucht wurde, ob es sich für Weibchen lohnt, sich bevorzugt mit Männchen zu verpaaren, die eine Resistenz gegen egoistische Gene aufweisen (Reinhold et al. 1999). Der Ausgangspunkt dieser Modellrechnung waren experimentelle Daten an Stielaugenfliegen, bei denen Männchen mit egoistischen Genen und auch Männchen mit Resistenzen gegen diese egoistischen Gene vorkommen. Von den Autoren der experimentellen Studie wurde postuliert, dass Weibchen davon profitieren, sich mit den resistenten Männchen zu verpaaren. Mit Hilfe von numerischen Modellrechnungen, in denen nur die unbedingt nötigen Annahmen verwendet wurden, konnte gezeigt werden, dass eine solche Wahl nicht vorteilhaft ist. Mit Hilfe der skizzierten Modellrechnungen konnte also die verbale Hypothese widerlegt werden, da sich aus den Annahmen nicht die erwarteten Schlussfolgerungen ergaben. Die Bedeutung von Modellrechnungen für die Verhaltensbiologie hat im Laufe der letzten 20 Jahre sehr stark zugenommen. Für viele verschiedene verhaltensbiologische Fragestellungen werden analytische oder numerische Modellrechnungen eingesetzt, um Vorhersagen über das Verhalten von Tieren treffen zu können oder verhaltensbiologische Hypothesen zu widerlegen. Da für alle diese Modellrechnungen jeweils andere Zusammenhänge bestehen und von anderen Annahmen ausgegangen wird, müssen für jeden Fall neue Modellrechnungen erstellt werden. Welche Programmiersprache, beziehungsweise welche Software hierzu verwendet wird, ist von untergeordneter Bedeutung. In Hinblick auf den Erkenntnisgewinn, den man von Modellierungen erwartet, sollte jedoch berücksichtigt werden, dass Modellrechnungen nur Hypothesen darstellen. Damit Modellrechnungen zu neuen Erkenntnissen hinsichtlich des Verhaltens von Tieren beitragen, ist eine enge Verzahnung von empirischen Untersuchungen und Modellrechnungen notwendig.
Weiterführende Literatur 147
Weiterführende Literatur Andersson M (1994) Sexual selection. Princeton Univ Press, Princeton Reinhold K, Engqvist L, Misof B, Kurtz J (1999) Meiotic drive and evolution of female choice. Proc Royal Soc Lond B 266:1341–1345 Simmons LW (2001) Sperm competition and its evolutionary consequences in the insects. Princeton Univ Press, Princeton
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7.11 Quantitative Verhaltensgenetik Wolfgang Forstmeier, Max-Planck Institut für Ornithologie, Seewiesen Individuen derselben Tierart unterscheiden sich oft so charakteristisch in ihren Verhaltensweisen, dass uns dies manchmal an die Persönlichkeitsunterschiede des Menschen erinnert. Die Frage nach dem Ursprung dieser Individualität drängt sich ganz besonders bei der Beobachtung von menschlichen eineiigen Zwillingen auf: wieviel unserer Persönlichkeit wird durch unsere genetische Ausstattung vorgeschrieben, und wieviel wird durch Umwelteinflüsse geformt? Die Beantwortung dieser alten Frage nach „Gene oder Umwelt“ ist nicht nur für Psychologen und Philosophen interessant, sondern sie ist auch ganz zentral für ein besseres Verständnis tierischen Verhaltens. Die quantitative Verhaltensgenetik befasst sich mit der Vererbung von Verhaltensmerkmalen und zielt darauf ab, allein durch statistische Analyse von Daten die relative Bedeutung von Genen und Umwelt zu quantifizieren (Boake 1994). In diesem Kapitel soll anhand eines Beispiels aufgezeigt werden, welche Methoden der quantitativen Verhaltensgenetik zur Aufklärung der Individualität des Verhaltens zur Verfügung stehen. Dabei soll veranschaulicht werden, in welchem Umfang die quantitative Genetik Aussagen ermöglicht bezüglich der proximaten Mechanismen, die Individualität erzeugen sowie des evolutionären Anpassungswerts solcher individueller Eigenschaften. Somit stehen drei Kernfragen im Vordergrund: 1. Wiederholbarkeit von Verhalten: Wie flexibel oder wie konsistent sind Individuen in ihrem Verhalten? 2. Proximate Ursachen: Welche Mechanismen – Gene und verschiedenste Umwelteinflüsse – determinieren die Individualität des Verhaltens? 3. Ultimate Ursachen: Zeigt die Vielfalt individuellen Verhaltens das Vorhandensein alternativer Strategien mit gleicher evolutionärer Fitness an, oder gehen bestimmte individuelle Strategien mit Fitnesseinbußen einher? Diese drei Fragen sollen im Folgenden am Beispiel des Balzverhaltens männlicher Zebrafinken (Taeniopygia guttata) näher betrachtet werden. Wiederholbarkeit versus Flexibilität Man stelle sich folgendes Gedankenexperiment vor: Zwei junge, aber geschlechtsreife Zebrafinkenmännchen (M1 und M2) sollen zur Züchtung mit den Weibchen (W1 und W2) verpaart werden. Dabei beobachtet man das Geschehen nach dem Zusammenbringen der jeweiligen Partner. M1 beginnt
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sogleich das Weibchen W1 intensiv anzubalzen, während M2 dem Weibchen W2 gegenüber kein sichtbares Balzverhalten zeigt. Wie ist dieser Verhaltensunterschied zu deuten? Handelt es sich um „Persönlichkeitsunterschiede“ zwischen den Männchen oder hängt das Verhalten der Männchen von der Attraktivität der Weibchen ab, und ist somit W1 attraktiver als W2? Sofort wird deutlich, dass nur eine wiederholte Beobachtung mit vertauschten Partnern diese Frage beantworten kann. Singen Männchen immer gleich viel, unabhängig davon, mit welchem Weibchen sie konfrontiert werden, so kann das Verhalten des Männchens als wiederholbar erkennbares persönliches Merkmal interpretiert werden. Erregt ein Weibchen immer gleich viel Aufmerksamkeit bei allen Männchen, so kann der Effekt des Weibchens auf Männchen ebenfalls als wiederholbar erkennbares persönliches Merkmal gewertet werden, was in diesem Fall als Attraktivität interpretiert werden würde. Kann das Verhalten weder durch die Identität des Männchens noch durch die des Weibchens vorhergesagt werden, so könnte das auf unterschiedliche Präferenzen der Männchen und Weibchen zurückzuführen sein. In einem entsprechenden Experiment an Zebrafinken, in dem wiederholt eine große Anzahl von Männchen und Weibchen beobachtet wurde, zeigte sich, dass Männchen sich in dieser experimentellen Situation (d. h. Junggeselle trifft auf potentiellen Paarungspartner) ausgesprochen stereotyp verhalten (Abb. 7.22a, b). Die Rate mit welcher das Männchen Balzgesang vortrug, hing kaum von der Identität des angebotenen Weibchens ab (Forstmeier 2004). Einige Männchen verhielten sich stets „schüchtern“, andere sangen stets mit sehr hoher Rate. Was verursacht nun diese Unterschiede, und was haben sie zu bedeuten? Wie kontextabhängig sind diese Verhaltensunterschiede? Lässt man diese Männchen nun mit einer zufällig ausgewählten Partnerin für mehrere Wochen oder Monate zur Brut schreiten, so kann man die Stärke des männlichen Balzverhaltens jetzt in einem veränderten Kontext untersuchen. Dabei werden alle Paare, d. h. stets ein Männchen und ein Weibchen gemeinsam, in Einzelkäfigen gehalten. Bietet man nun diesen sozial monogam verpaarten Männchen wiederum ein fremdes, also außerpaarliches Weibchen an, so zeigt sich, dass auch in diesem veränderten Kontext die nahezu ein Jahr zuvor gemessenen Unterschiede im Balzverhalten erhalten geblieben sind (Abb. 7.22c). Als statistisch quantifizierbares Maß der Konsistenz von individuellem Verhalten berechnet man die sogenannte Wiederholbarkeit R (Falconer u. Mackay 1996). Diese beschreibt den Anteil an der gesamten beobachteten Variation im Verhalten aller Individuen, der durch den Faktor „Identität der Individuen“ erklärt werden kann. Der nicht-erklärbare Anteil (1-R) beschreibt somit das Ausmaß von Verhaltensflexibilität; dieser beinhaltet allerdings auch jegliche Form von Messfehlern. Zu beachten ist, dass die
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Abb. 7.22. Wiederholbarkeit der Gesangsrate männlicher Zebrafinken. Die Gesangsrate wurde gemessen als Dauer des Balzgesangs während eines Tests von 300 Sekunden Dauer (dargestellt sind wurzel-transformierte Sekunden, d. h. ein Wert von 12 entspricht 144 Sekunden). Regressionslinien sind vom Typ 2, sie minimieren also die Abweichung in x- und y-Richtung. a Wiederholte Messung an zwei aufeinander folgenden Tagen für 392 Individuen, von denen 41 Individuen weder beim ersten noch beim zweiten Test sangen (große Raute im Ursprung). Man beachte den zunehmenden Messfehler bei kleinen Gesangsraten. Die Wiederholbarkeit beträgt R = 0.69 r 0.03. b Vergleich zweier Mittelwerte von je 4 Tests für 104 Individuen, von denen 7 in allen 8 Tests nicht sangen (Messung an 8 aufeinander folgenden Tagen). Die Wiederholbarkeit der Mittelwerte beträgt R = 0.76 r 0.04. Man beachte die verringerte Streuung gegenüber Abb. 22a. c Wiederholbarkeit der Gesangsrate von 85 Männchen über einen langen Zeitraum und verschiedene Kontexte (R = 0.60 r 0.07). Die x-Achse zeigt die Werte von jungen unverpaarten Männchen (Mittelwerte aus 8 Tests aus Abb. 22b), die y-Achse zeigt die Gesangsrate derselben Männchen 10 Monate später im sozial verpaarten Zustand getestet gegenüber fremden Weibchen (Mittelwerte aus 7.5 r 3.0 Tests). d Ähnlichkeit der Gesangsrate von Brüdern mütterlicherseits (R = 0.29 r 0.06). Dargestellt ist eine zufällige Auswahl von Bruderpaaren aus 83 verschiedenen Familien. (Nach Forstmeier 2004)
Wiederholbarkeit eines Mittelwertes aus mehreren Messungen (Abb. 7.22b) größer ist als die Wiederholbarkeit von Einzelmessungen (Abb. 7.22a), ein Phänomen, dessen Nichtbeachtung schon häufig Anlass zu Fehlinterpretationen gegeben hat.
7.11 Quantitative Verhaltensgenetik 199
Solche sehr deutlichen wiederholbaren individuellen Unterschiede im Verhalten können nun in entwicklungsbedingten unterschiedlichen Erfahrungen begründet liegen oder aber sie haben eine genetische Komponente. Diese beiden das Verhalten beeinflussenden Komponenten lassen sich am besten experimentell trennen, wie es im Folgenden beschrieben wird. Proximate Ursachen konsistenter Verhaltensunterschiede Die prominenteste Aufgabe der Verhaltensgenetik ist es, abzuschätzen, wieviel der beobachteten Variation im Verhalten auf die genetische Ausstattung von Individuen zurückzuführen ist. Es gibt eine Reihe einfacher Methoden wie z. B. der Vergleich von Eltern und Nachkommen oder von Voll- und Halbgeschwistern untereinander, die eine erste Annäherung an das Problem der Erblichkeitsbestimmung erlauben (siehe Falconer u. Mackay 1996). Die tatsächliche Aussagekraft solcher Ansätze hängt jedoch davon ab, in welchem Umfang man ausschließen kann, dass Ähnlichkeiten im Verhalten auf gemeinsam erfahrene Umwelteffekte (anstatt gemeinsamer Gene) zurückzuführen sind. Die zentrale Aufgabe der Verhaltensgenetik ist also, ein experimentelles Design und entsprechende statistische Methoden zu finden, die einem erlauben, die Einflüsse der verschiedensten Umweltfaktoren voneinander und von der ererbten genetischen Komponente zu trennen. Vereinfacht gesagt, können sich Individuen ähneln, weil sie einen oder mehrere der folgenden Faktoren teilen:
Gene Maternale Effekte Andere Umweltfaktoren Messfehler jeglicher Art
Maternale Effekte werden meist getrennt von anderen Umwelteinflüssen betrachtet, da sie oft eine besondere Rolle spielen. Zu den maternalen Effekten gehören die direkten Umwelteinflüsse der Mutter auf die Nachkommen. Bei Vögeln gehören hierzu Faktoren wie die Eigröße oder die Versorgung des Eies mit Nährstoffen, Hormonen und Immunfaktoren. Neben diesen Parametern der Eiproduktion zählen natürlich auch die Aspekte der Brutfürsorge (Inkubation und Fütterung) zu den maternalen Effekten. Bei Vogelarten mit beidelterlicher Brutfürsorge sind letztere allerdings kaum von paternalen Effekten zu trennen, so dass man diese ganz allgemein als Effekte der Brutfürsorge zusammenfasst. Zur statistischen Quantifizierung dieser Faktoren macht man eine praktische Auftrennung in geteilte (oder allgemeine) und ungeteilte (oder spezielle) Effekte. Allgemeine Faktoren beschreiben die Zugehörigkeit von Individuen zu Gruppen (z. B. alle Nachkommen derselben Mutter oder alle
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Jungvögel aus derselben Brut), welche sich als Zufallseffekte (random effects) modellieren lassen. Alle Individuen derselben Gruppe teilen somit die damit einhergehenden gemeinsamen Umwelteffekte. Im Gegensatz dazu stehen spezielle Effekte, die die Individuen einer Gruppe in unterschiedlicher Weise betreffen, wie zum Beispiel die Legereihenfolge von Eiern innerhalb eines Geleges oder die Schlupfreihenfolge der Jungvögel innerhalb einer Brut. Diese Effekte lassen sich statistisch als feste Faktoren (fixed effects) beschreiben. Vögel eignen sich in ganz besonderer Weise dazu, die Wirkung der einzelnen Faktoren experimentell voneinander zu trennen. Anders als bei Säugetieren findet hier die Phase der Embryonalentwicklung in einem von der Mutter abgeschlossenen Raum statt. Da Eier oder Jungvögel zu jedem beliebigen Zeitpunkt der frühen Entwicklung zwischen Zieheltern ausgetauscht werden können, lassen sich die Effekte aus unterschiedlichen Entwicklungsphasen auftrennen. Die Identität der Mutter erfasst die allgemeinen maternalen Effekte, verursacht durch Unterschiede in Eiinhaltsstoffen. Die Identität der Zieheltern erfasst allgemeine Umwelteffekte der Inkubationszeit der Eier und – je nach Versuchsdesign – die Umwelteffekte der Nestlings- und Flügglingsphase. Die Identität der Peer-Gruppe (der Gruppe von Gleichaltrigen) beschreibt allgemeine Umwelteffekte während der Heranreifung zur Geschlechtsreife. Unter den speziellen Effekten lassen sich Faktoren wie Schlupfreihenfolge, Brutgröße, Geschlechterverhältnis der Nestgeschwister, sowie Geschlechterverhältnis und relatives Alter der Mitglieder der PeerGruppe manipulieren. Im speziellen Fall der Balzrate männlicher Zebrafinken zeigt sich, dass von fünf Zufallseffekten (Identität von Mutter, Gelege, Zieheltern, Brut, Peer-Gruppe) die Identität der Mutter den stärksten Effekt auf das Verhalten der Nachkommen hatte (Forstmeier et al. 2004). Söhne derselben Mutter ähneln sich also in ihrem Verhalten (Abb. 22d). Dies kann jedoch genetische Ursachen haben (die von der Mutter ererbten Gene des Nachkommen), aber auch geteilte maternale Effekte widerspiegeln, wie zum Beispiel die Nährstoffversorgung der Eier, welche wiederum abhängt von den Genen der Mutter (ein genetischer maternaler Effekt) und ihrer Umwelt, wie zum Beispiel dem Futter (ein umweltbedingter maternaler Effekt). Einen ersten Hinweis zur Unterscheidung genetischer von maternalen Effekten liefert die Betrachtung von Halbgeschwistern. Ähneln sich mütterliche Halbgeschwister von verschiedenen Vätern stark, väterliche Halbgeschwister jedoch kaum, so weist dies auf maternale Effekte hin. Will man umweltbedingte maternale Effekte von genetischen maternalen Effekten unterscheiden, so muss man untersuchen, wie die mütterliche Eigenschaft, Söhne bestimmten Verhaltens hervorzubringen, ihrerseits vererbt wird. Haben verwandte Mütter, die nicht gemeinsam aufgewachsen
7.11 Quantitative Verhaltensgenetik 201
sind, ähnliche Effekte auf das Verhalten ihrer Söhne, so ist dies ein sehr starker Hinweis auf einen genetisch bedingten maternalen Effekt. Für gründliche Analysen der Vererbung verwendet man am besten sogenannte „Animal Models“, die von Tierzüchtern zur Bestimmung der Erblichkeit und zur Auswahl von Zuchttieren entwickelt wurden (Kruuk 2004). Spezielle Computerprogramme wie REML-VCE oder ASReml (wobei REML für restricted maximum likelihood steht, VCE für variance component estimation steht) erlauben, die Kombination komplexer Stammbauminformationen mit mehreren Zufallsfaktoren wie Mutter- und Ziehelternidentität für eine Abschätzung der einzelnen Varianzkomponenten. Das heißt, es wird abgeschätzt, welcher Anteil der phänotypischen Gesamtvariation durch die Faktoren additive genetische Varianz (die Summe aller genetischen Effekte, die sich additiv verhalten und somit die Erblichkeit im engeren Sinne ausmachen), geteilte maternale Effekte und geteilte Umwelteffekte erklärt wird. Darüber hinaus lassen sich genetische maternale Effekte von umweltbedingten maternalen Effekten auftrennen. Für den Fall der Gesangsrate der Zebrafinken zeigten solche quantitativ genetischen Analysen, basierend auf dem Verhalten von über 300 Männchen, dass etwa ein Viertel der Variation durch additiv genetische Effekte verursacht wurde (Erblichkeit im engeren Sinne) und ein weiteres Sechstel der Variation auf umweltbedingte maternale Effekte der Eiproduktion zurück ging. Im Gegensatz dazu ließen sich für dieses Verhalten mit den gegebenen Methoden keine signifikanten Effekte der allgemeinen Umwelt während der frühen (Zieheltern) oder späten (Peer-Gruppe) Ontogenese nachweisen. Ebenfalls keine Rolle scheinen spezielle Umwelteffekte wie Legereihenfolge, Schlupfreihenfolge, Brutgröße oder relatives Alter in Peer-Gruppen gespielt zu haben. Insgesamt zeigt sich hier, dass die Trennung von genetischen und umweltbedingten Effekten ein recht komplexes Unterfangen sein kann, das sowohl gezielte Experimente als auch ausgefeilte statistische Verfahren voraussetzt. Grundsätzlich ist bei verhaltensgenetischen Effekten, die sich in einem bestimmten Rahmen von Umweltbedingungen zeigen, zu berücksichtigen, dass sie in anderen Umweltbedingungen kaum oder auch stärker zu Tage treten könnten. Das heißt, dass trotz offensichtlicher genetischer Grundlagen im Verhalten die Interpretation von Befunden differenziert bleiben sollte. Ultimate Ursachen konsistenter Verhaltensunterschiede Betrachtet man individuelle Unterschiede im Verhalten aus einem evolutionären Blickwinkel, so ist die entscheidende Frage, welche Fitnesskonsequenzen diese Unterschiede mit sich bringen. Handelt es sich um alternative
202 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
Strategien mit gleicher Fitness oder ist ein Verhaltenstyp dem anderen überlegen? Ist letzteres der Fall, so liegt die Vermutung nahe, dass Umwelteinflüsse für einen Großteil der Variation im Verhalten verantwortlich sind (Merilä u. Sheldon 1999). Klassische Faktoren solcher benachteiligender Umwelteffekte sind die elterliche Investition und Brutpflege sowie die Geschwisterkonkurrenz. Endgültigen Aufschluss über den Anpassungswert von individuellen Verhaltensmerkmalen können am besten Fitnessmessungen im Freiland liefern, was zumindest bei Zebrafinken wegen ihrer geringen Ortstreue logistisch nahezu unmachbar erscheint. Doch nicht nur im Freiland, auch im Labor gelten Gesetze der Selektion, denn nur wer sich erfolgreich fortpflanzt, dessen Allele bleiben in der Laborzucht erhalten. Ist eine Verhaltensvariante primär genetisch bedingt und wird sie jedoch stark gegenselektiert, so stellt deren Existenz ein Paradox dar, da die relevanten Allele mit der Zeit ja verschwinden müssten. Ein besseres Verständnis dieses Problems erlauben wiederum die „Animal Models“. Mit ihrer Hilfe lassen sich für jedes Individuum eines Stammbaumes sogenannte „Zuchtwerte“ berechnen (Kruuk 2004; Postma 2006). Diese sind ein Maß für die additiv genetische Komponente, die zum Phänotyp eines jeden Individuums beiträgt, also ein Schätzwert, welche für den Verhaltensphänotyp relevanten Allele ein Individuum in sich trägt. Trennt man den Phänotyp eines Individuums somit in einen genetisch verursachten Anteil (den Zuchtwert) und einen umweltbedingten Anteil auf, so zeigt sich meist, dass die Umweltfaktoren und nicht die Gene für die unterschiedliche Fitness verantwortlich sind. Die genetische Variation ist hier also selektionsneutral und bleibt somit in der Population erhalten (Price et al. 1988). Es kann aber auch sein, dass Allele in einem Geschlecht positiv, im anderen hingegen negativ selektiert werden. In diesem Fall spricht man von sexuell antagonistischen Allelen (Rice u. Chippindale 2001). Beispielsweise könnten Männchen mit positivem Zuchtwert für Gesangsrate (d. h. Träger von Allelen für hohe Gesangsrate) höhere Fitness haben als Männchen mit negativem Zuchtwert, Weibchen mit negativem Zuchtwert für Gesangsrate aber höhere Fitness als Weibchen mit positivem Zuchtwert. Dies mag zunächst grotesk erscheinen, da Weibchen ja gar nicht singen, dennoch tragen sie aber diese Allele in sich und können somit auch von diesen beeinflusst werden. Auch wenn nicht klar ist, wie solche Allele für hohe Gesangsrate sich auf Weibchen auswirken, so werden diese Allele durch „Animal Models“ in Form von Zuchtwerten zumindest sichtbar gemacht, so dass deren Fitnesskonsequenzen gemessen werden können. In diesem Kapitel sollte also verdeutlicht werden, inwieweit die quantitative Verhaltensgenetik ein besseres Verständnis für die beobachteten Unterschiede im Verhalten liefern kann. Sie quantifiziert zunächst die Flexibilität
7.11
203
des Verhaltens innerhalb eines Individuums und vergleicht diese mit den interindividuellen Unterschieden. Sie gibt Aufschluss über die relative Bedeutung von Genen und Umwelt bei der Entstehung von Individualität. Schließlich ermöglicht sie Einblicke, wie Individualität durch evolutionäre Vorgänge erzeugt und bewahrt wird. Weiterführende Literatur Boake CRB (1994) Quantitative Genetic Studies of Behavioral Evolution. Univ of Chicago Press, Chicago und London Falconer DS, Mackay TFC (1996) Introduction to quantitative genetics. Pearson Education, Harlow, England Kruuk LEB (2004) Estimating genetic parameters in natural populations using the ‚animal modelǥ. Philosophical Transactions of the Royal Society of London, Series B 359: 873–890 Merilä J, Sheldon BC (1999) Genetic architecture of fitness and nonfitness traits: empirical patterns and development of ideas. Heredity 83: 103–109
180 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
7.8 Radiotelemetrie Valentin Amrhein, Universität Basel Telemetrie, nach den griechischen Wörtern für „fern“ und „messen“, wurde ursprünglich entwickelt, um mit kleinen Radiosendern physiologische Parameter wie den Herzschlag registrieren und übermitteln zu können, ohne das Tier oder den Menschen in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken. Mit der fortschreitenden Miniaturisierung der Sender hat sich die Radiotelemetrie zu einem oft unverzichtbaren Hilfsmittel in vielen Bereichen der zoologischen Feldforschung entwickelt. Luchse, im Rahmen eines Wiederansiedlungs-Projektes von einem Gebiet in ein anderes verfrachtet, können anhand ihres Telemetriesenders geortet und verfolgt werden. Telemetriesender können Informationen über Temperatur oder Bewegung von Tieren übermitteln, kodiert in Häufigkeitsänderungen der meist ein bis zwei kurzen Ortungssignale pro Sekunde. Albatrosse werden mit langlebigen und leistungsstarken Sendern ausgestattet, deren Signale während der ausgedehnten Nahrungsflüge über dem Nord-Pazifik von Satelliten empfangen werden (Kap. 7.7 und 7.9). Die leichtesten heute erhältlichen Sender sind für die Verwendung bei den kleinsten europäischen Säugetieren oder sogar bei größeren Käfern geeignet. Eine der Stärken der Radiotelemetrie ist, dass das Verhalten von Tieren in regelmäßigen Zeitabständen erfasst werden kann, ganz gleich ob zum Beispiel ein Vogel gerade singt, fliegt, oder schläft. Dadurch können systematische Fehler bei der Datenaufnahme vermieden werden, mit denen Freilandbeobachtungen oft behaftet sind. Singvögel zum Beispiel sind vor allem im dichten Gebüsch kaum über einen längeren Zeitraum zu beobachten, so dass oft nur die Männchen aufgrund ihres Gesanges nachzuweisen sind. Weil revierbesitzende Männchen in der Stunde vor Sonnenaufgang fast ununterbrochen singen, ist man geneigt, festzustellen, dass zum Beispiel männliche Nachtigallen (Luscinia megarhynchos) frühmorgens im Allgemeinen stationär sind. Was aber, wenn frühmorgens nicht alle Männchen singen? Erst durch das Verfolgen von Nachtigallen, die mit einem Sender ausgestattet waren, konnte gezeigt werden, dass revierlose, nichtsingende Männchen vor Sonnenaufgang weiträumige Erkundungsflüge unternehmen und oft mehrere Reviere singender Männchen besuchen (Amrhein et al. 2004). Telemetriesender stellen mit ihrem Gewicht meist eine Belastung für das Tier dar, so dass es von zentraler Bedeutung ist, Sender auszuwählen, die das Verhalten der Tiere so wenig wie möglich beeinflussen. Im Vordergrund muss immer das Wohl der zu untersuchenden Tiere stehen. Als vorsichtig anzuwendende Faustregel kann gelten, dass das Gewicht des
7.8 Radiotelemetrie 181
Senders 5% des Tiergewichtes nicht übersteigen soll, wobei kleinere Tiere tendenziell etwas mehr Gewicht, größere dagegen prozentual eher weniger tragen können (Kenward 2001). Für die Telemetrierung kleinerer Tiere sind Sender mit einem minimalen Gewicht von 0,5 bis 1 g und einer Sendezeit von ein bis vier Wochen ab etwa 100 Euro erhältlich. Die einzelnen Individuen werden anhand der unterschiedlichen Frequenzen ihrer Sender identifiziert. Zum Registrieren der Radiosignale benötigt man einen Empfänger (ab etwa 700 Euro) und zum Beispiel eine Yagi-Antenne mit drei Elementen (Querstäben). Für Fang und Besenderung sind meist amtliche Bewilligungen erforderlich, und die freigegebenen Frequenzbereiche unterscheiden sich von Land zu Land. Informationen zu Lieferanten von Ausstattung und Analyse-Software finden sich unter www.biotelem.org und in Kenward (2001) sowie Millspaugh u. Marzluff (2001). Eines der wichtigsten und sensibelsten Kapitel der Radiotelemetrie ist die Anbringung des Senders am Tier. Die Wahl der Methode hängt vor allem von der gewünschten Zeitdauer der Datenaufnahme ab, sowie natürlich von der jeweiligen Studienart. Sollen die Sender nur einige Tage am Tier bleiben und danach von selber abfallen, so empfiehlt sich, die Sender in das Fell oder die Federn zu kleben. Dazu kann man möglichst hautverträgliches Cyanoacrylat („Sekundenkleber“) benutzen. Für längerfristigen Einsatz gibt es zum Beispiel mehrere Arten von Rucksäcken, deren Konstruktion und Anbringung aber viel Übung und wenn möglich die Unterweisung durch einen erfahrenen Anwender erfordern (Abb. 7.17). Prinzipiell muss man davon ausgehen, dass jede Methode, einen Sender anzubringen, sowie auch der in jedem Fall erforderliche Fang der Tiere, irgendeine Art von negativem Einfluss ausüben kann. Die kritische Frage
Abb. 7.17. Telemetriesender mit Rucksackschlaufen und Nachtigall
182 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
ist, ob dieser Einfluss stark genug ist, um die Verhaltensweise, die wir studieren wollen, systematisch zu stören oder das Tier ernsthaft zu beeinträchtigen. Der Einsatz von Radiotelemetrie erfordert daher immer eine sorgfältige und langfristige Planung. Die ersten Übungen am Telemetriegerät können erfolgen, indem ein Kollege die Rolle des zu untersuchenden Tieres spielt und den Sender im entsprechenden Lebensraum versteckt. Nach mehrmaliger Sendersuche in wechselnder Umgebung und Richtungspeilungen aus verschiedenen Entfernungen bekommt man ein Gefühl für die ortsabhängige Ortungsgenauigkeit sowie für das – je nach Befestigungsart häufig notwendige – Wiederfinden abgefallener Sender. Da Häuser oder auch Bäume die Radiowellen reflektieren können, muss die Methodik je nach Umgebung flexibel gehandhabt werden, was zum Beispiel das abwechselnde Halten der Antenne über dem Kopf oder neben dem Körper sowie die senkrechte oder waagerechte Ausrichtung der Antennenstäbe einschließt. Die Feststellung der Ortungsrichtung sowie die Einschätzung der Distanz zum Sender erfolgen über die Lautstärke des Signals bzw. visuell über den Pegelausschlag am Empfänger. Die Position des Senders wird durch meist horizontales Schwenken der Antenne und Ortung der größten Signalstärke abgeschätzt; dabei sollte man öfters die eigene Position wechseln, um durch Triangulierung, das heißt durch die entweder intuitive oder, mit Hilfe von Maßstab und Karte, exakte Verrechnung verschiedener Winkel zur größten Signalstärke die Position des Senders zu ermitteln (Abb. 7.18). Da das menschliche Ohr Lautstärkenunterschiede bei geringerer Lautstärke besser einschätzen kann, empfiehlt sich eine möglichst kleine Einstellung der Verstärkerleistung; dadurch wird bei
Abb. 7.18. Radiotelemetrie mit einer Yagi-Antenne
7.8 Radiotelemetrie 183
horizontalem Schwenken der Antenne auch der Empfangsbereich enger und die Ortung präziser. Eine häufige Fragestellung ist, ob sich die Ausdehnung der Aktionsräume (home ranges) verschiedener Gruppen von Individuen unterscheidet oder zeitlich ändert. Zur Berechnung der Aktionsräume stehen vielerlei Methoden zur Verfügung, die in der Literatur eingehend und zum Teil kontrovers diskutiert sind (Harris et al. 1990; Kenward 2001; Millspaugh u. Marzluff 2001). Vor dem Einsatz spezieller Software kann man die Ortungspunkte zunächst von Hand in eine Karte eintragen, die äußersten Punkte mit Linien verbinden (Minimum Konvex Polygon) und sich durch Auszählen der Quadrate auf einem Millimeterpapier einen ersten Überblick über die Lage und Größe der Aktionsräume verschaffen. Als Faustregel für die Berechnung von Aktionsräumen kann gelten, dass pro Individuum mindestens 30 unabhängige, das heißt eine hinreichende Zeitdauer auseinander liegende, Ortungspunkte erfasst werden sollten (Kenward 2001). Die Anzahl der Ortungspunkte, die für eine realistische Einschätzung des Aktionsraumes nötig sind, variiert aber von Art zu Art und von Individuum zu Individuum. Der Aktionsraum eines die meiste Zeit auf dem Nest sitzenden Vogelweibchens ist bei 30 Ortungspunkten vermutlich noch lange nicht vollständig erfasst, während der Aktionsraum des Männchens, das seine Singwarten oder Futterplätze regelmäßig wechselt, im gleichen Zeitraum viel besser einzuschätzen ist. Vor der Planung einer Telemetrie-Studie sollte man sich daher intensiv mit der Lebensweise der betreffenden Tierart befassen; im besten Falle kann man sich an anderen Telemetrie-Studien orientieren, die an der gleichen Art oder an verwandten Arten durchgeführt wurden. Trotz des relativ großen zeitlichen Aufwandes pro Individuum ist zu beachten, dass im Allgemeinen nicht die Anzahl der Ortungspunkte, sondern die Anzahl der Individuen die Stichprobengröße für die Datenanalyse darstellt, was die Beobachtung einer ausreichenden Anzahl von Individuen erfordert. Am Anfang der Planung einer Radiotelemetrie-Studie muss die Frage stehen, ob es nicht andere Methoden gibt, die billiger, weniger aufwändig, zuverlässiger oder für die Tiere schonender sein können. Harris et al. (1990) und Kenward (2001) listen in sehr empfehlenswerten Einführungen einige Alternativen auf. Auch bei einer so verlockenden Technik wie der Radiotelemetrie sollte nicht die Methode im Vordergrund stehen, sondern die biologische Fragestellung mit klar formulierten Hypothesen. Trotz des großen Aufwandes ist die Radiotelemetrie aber für viele Fragestellungen nach wie vor die Methode der Wahl.
184 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
Weiterführende Literatur Harris S, Cresswell WJ, Forde PG, Trewhella WJ, Woollard T, Wray S (1990) Homerange analysis using radio-tracking data – a review of problems and techniques particularly as applied to the study of mammals. Mammal Review 20: 97–123. Kenward RE (2001) A Manual for Wildlife Radio Tagging. Academic Press, London. Millspaugh JJ, Marzluff JM (eds) (2001) Radio Tracking and Animal Populations. Academic Press, London.
7.4 Untersuchungen der sozialen Kognition bei Affen 157
7.4 Untersuchungen der sozialen Kognition bei Affen Julia Fischer, Deutsches Primatenzentrum, Göttingen Nichtmenschliche Primaten (im Folgenden ‚Primatenǥ) leben in der Regel in komplexen sozialen Gesellschaften (Smuts et al. 1987), die durch differenzierte Rang- und Verwandtschaftsbeziehungen sowie durch affiliative Verbindungen („Freundschaften“ sowie Konsort-Paare) charakterisiert sind. Die Anforderungen, die sich aus einem Leben in sozial komplexen Gesellschaften ergeben, werden von manchen Autoren als treibende Kraft in der Entwicklung der Intelligenz angesehen (Jolly 1966; Humphrey 1976). Wie aber ist es um das Wissen der Tiere über die sozialen Beziehungen in ihrer Gruppe tatsächlich bestellt? Hier ist von Interesse, wie die Tiere verschiedene Beziehungen klassifizieren, die sie selbst zu anderen haben; zum anderen kann man danach fragen, was die Tiere über Beziehungen zwischen Dritten wissen und wie sie verschiedene Beziehungen kategorisieren. Die bisherige Evidenz stützt sich auf eine Kombination von Verhaltensbeobachtungen und experimentellen Tests, wobei bei letzteren sowohl Playbackexperimente als auch operante Konditionierungen eingesetzt werden. Einen guten Hinweis auf ein differenziertes Verständnis der Sozialbeziehungen unter Primaten lieferten Beobachtungen der so genannten ‚komplexen umgeleiteten Aggressionǥ. Nach einem Streit zwischen zwei Mitgliedern des Clans A und B, bei dem z. B. A1 B1 angreift, greift nun ein zuvor unbeteiligtes Tier B2 ein ebenfalls zuvor unbeteiligtes Tier A2 an (Abb. 7.6). Wird ein solcher Zusammenhang überzufällig häufig beobachtet,
Abb. 7.6. Komplexe umgeleitete Aggression. Nach einem Konflikt zwischen dem Mitglied A1 des Clans A (weiß) und dem Mitglied B1 des Clans B (grau) greift nun ein zuvor unbeteiligtes Mitglied B2 ein ebenfalls zuvor unbeteiligtes Mitglied A2 an. Zeichnungen von Alina Skrzeszewska
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legt den Schluss nahe, dass B2 eine Vorstellung der Verbindung zwischen A1 und A2 hat. Eine andere wichtige Methode, um das Verständnis sozialer Beziehungen zu testen, sind Vorspielexperimente, in denen gezielt spezifische Ereignisse oder Interaktionen zwischen Tieren inszeniert und die Reaktionen der genarrten Zuhörer beobachtet werden. Ein Beispiel: Nach der Geburt ihres Kindes entwickeln weibliche Bärenpaviane (Papio cynocephalus ursinus) eine sehr positive Beziehung zu einem Männchen in der Gruppe. Sie halten sich bevorzugt in seiner Nähe auf und pflegen sein Fell. Dies ist insbesondere der Fall, wenn kürzlich ein neues Männchen in die Gruppe eingewandert ist, das unter Umständen das Neugeborene bedrohen oder umbringen könnte. Beobachtungen legen nahe, dass solche „Freundschaften“ das Risiko des Infantizids verringern. Spielt man dem Männchen die Schreie des befreundeten Weibchens vor, dann zeigen sie erheblich stärkere Reaktionen als wenn die Schreie eines Weibchens präsentiert werden, mit dem sie nicht befreundet sind; in manchen Fällen rannten die Tiere laut rufend in Richtung des Lautsprechers (Palombit et al. 1997). Dies ist ein Beispiel für ein Experiment, in dem die direkten Sozialbeziehungen die Grundlage für differentielle Reaktionen sind. Einer ähnlichen Logik folgen Untersuchungen, in denen die Erkennung von Verwandten getestet wird (Rendall et al. 1996; Fischer 2004). Wenn es um die Klassifizierung der Beziehungen zwischen Dritten geht, gestalten sich die Experimente meist etwas komplizierter, da hier in der Regel noch weitere Vorbedingungen erfüllt werden müssen. So sollte nicht nur das zu testende Tier mit keinem der Tiere verwandt sein, deren Laute vorgespielt werden; es sollte auch sonst niemand in der Nähe sein, der mit den Tieren verwandt ist, deren Laute verwendet werden. Als die Pioniere ingeniöser Vorspielexperimente im Freiland gelten Robert Seyfarth und Dorothy Cheney, die zusammen mit ihren Kollegen immer wieder neue experimentelle Szenarien entwickelt haben, um die soziale Kognition nichtmenschlicher Primaten zu verstehen. In einem ihrer frühesten Experimente testeten Cheney und Seyfarth, ob weibliche Grüne Meerkatzen (Chlorocebus aethiops) ihre Kinder an der Stimme erkennen. Dazu wurden zum Beispiel zwei oder drei Weibchen die Schreie des Kindes eines der Weibchen präsentiert. Erwartungsgemäß blickte die jeweilige Mutter auch häufiger und länger in die Richtung des Lautsprechers als die nichtverwandten Weibchen. Überraschenderweise aber blickten diese häufig zur Mutter, wenn die Stimme ihres Kindes erklang (Abb. 7.7). Offensichtlich assoziierten sie also nicht nur die Stimme des Kindes mit dem Kind, sondern das Kind auch mit der Mutter (Cheney u. Seyfarth 1980). In einer neueren Studie konnten Thore Bergman und Kollegen
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Abb. 7.7. Drei miteinander nicht verwandten weiblichen Tieren A, B und C werden die Schreie des Kindes a der Mutter A aus einem versteckten Lautsprecher vorgespielt. Während die Mutter (A) erwartungsgemäß häufiger in die Richtung des Lautsprechers blickte als die anderen Weibchen (B, C), blickten diese dagegen die Mutter an. Zeichnungen von Alina Skrzeszewska
zeigen, dass das soziale Wissen über die Beurteilung von Mutter-KindBeziehungen hinausgeht. Diese Untersuchung wurde wiederum an Bärenpavianen durchgeführt. Bärenpaviane leben wie die meisten Vertreter der paläotropischen Tieraffen in matrilinearen Gesellschaften, bei denen die weiblichen Tiere in der Geburtsgruppe verbleiben und die männlichen Tiere diese um die Pubertät herum verlassen. Die miteinander verwandten Weibchen (Matrilinien) bilden eine lineare Dominanzhierarchie aus, wobei die Weibchen einer Matrilinie benachbarte Ränge einnehmen. Bergman und Kollegen machten sich zunutze, dass Bärenpaviane bei aggressiven Interaktionen nicht nur individuell distinkte Schreie, sondern auch Drohgrunzer äußern. Eine typische Sequenz besteht zum Beispiel aus den Drohgrunzern von Weibchen A1 (dem höchstrangigen Weibchen) und den Schreien des angegriffenen Weibchens A3 (dem aus dem gleichen Clan stammenden Weibchen auf Rang 3). In den Experimenten wurden nun durch das Vorspiel manipulierter Schreisequenzen Rangwechsel inszeniert, bei denen sowohl Reaktionen auf Rangwechsel innerhalb von Matrilinien als auch zwischen Matrilinien getestet wurden. Zum Beispiel drohte nun A3, während A1 schrie. In Rangwechseln zwischen Matrilinien drohte dann etwa Weibchen B5 gegen A3. Zur Kontrolle wurden jeweils die nach der tatsächlichen Rangordnung zu erwartenden Sequenzen vorgespielt, also A3 droht und B5 schreit. Die Ergebnisse zeigten, dass die Zuhörer signifikant länger zum Lautsprecher blickten, wenn ein Rangwechsel zwischen Matrilinien vorgespielt wurde als in der Kontrolle oder nach einem Rangwechsel innerhalb einer Matrilinie. Die Reaktionen nach Rangwechseln
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innerhalb einer Matrilinie oder in der Kontrolle unterschieden sich nicht. Den Autoren zufolge haben Bärenpaviane offensichtlich ein Verständnis der hierarchisch geschachtelten Rang- und Verwandtschaftsstruktur in ihrer sozialen Gruppe (Bergmann et al. 2003). Eine weitere Untersuchungsmöglichkeit des Verständnisses von Sozialbeziehungen in komplexen Gruppen bietet die operante Konditionierung. Allerdings haben diese den Nachteil, dass die Tiere mit hohem Aufwand trainiert werden müssen, bevor die ersten Experimente durchgeführt werden können. In einer viel beachteten Studie trainierte Verena Dasser zwei weibliche Javaneraffen (Macaca fascicularis) namens Rini und Riche, Mutter-Kind Paare von nichtverwandten Paaren zu unterscheiden. Die Tiere wurden übrigens nur dann trainiert, wenn sie freiwillig in den Trainingsraum kamen. Eines der beiden Tiere musste dabei eine simultane ‚match-to-sampleǥ-Aufgabe lösen, bei der jeweils drei Bilder gleichzeitig angeboten wurden; zunächst ein Bilder der Mutter (‚sampleǥ) und dann gleichzeitig zwei Bilder, von denen eines den Nachwuchs und das andere ein nichtverwandtes Tier zeigte (Abb. 7.8a). Für die Auswahl des verwandten Tieres wurde das Testtier belohnt. Nach erfolgreichem Training mit zwei Mutter-Kind-Paaren wurde dann in Transfertests überprüft, ob das Konzept der Verwandtschaft auch auf andere Gruppenmitglieder übertragen wurde. Rini, das andere Testtier, musste eine simultane Diskriminationsaufgabe lösen. Hier wurden jeweils zwei Bilder angeboten, die entweder zwei verwandte oder zwei nichtverwandte Tiere zeigten. Ein Auswahlknopf musste betätigt werden, wenn es sich um Verwandte handelte, der andere, wenn die Tiere nicht verwandt waren; die richtige Auswahl wurde belohnt. Nach dem Training mit verschiedenen Bildern des gleichen Mutter-Kind Paares bzw. Bildern der gleichen fünf Tiere, stand ebenfalls eine Transferaufgabe an (Abb. 7.8b). Sowohl Rini als auch Riche lösten die Transferaufgaben erfolgreich und unterschieden zwischen Mutter-Kind und anderen Beziehungen (Dasser 1988). Es gibt also verschiedene methodische Zugänge zu der Frage, was Tiere über die Sozialbeziehungen in ihrer Gruppe wissen, und die Ergebnisse der vorgestellten und anderer Studien weisen darauf hin, dass nichtmenschliche Primaten über gute Vorstellungen der sozialen Beziehungen in ihrer Gruppe verfügen und auch verschiedene und sich zum Teil überlappende Beziehungsnetzwerke voneinander unterscheiden können. Offen und durchaus umstritten bleibt bislang aber, in welcher Form sie diese Beziehungen repräsentieren.
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a
b
Abb. 7.8a, b. Untersuchung der Verwandtenerkennung durch operante Konditionierung. a ‚Match-to-sampleǥ Aufgabe: in der oberen Reihe wird im Training (links) zunächst ein Bild einer Mutter (sample) angeboten und anschließend in der unteren Reihe zwei Bilder, von denen eines den Nachwuchs und das andere ein nichtverwandtes Tier zeigt. Die Auswahl – hier dargestellt durch den Kreis – des verwandten Tieres wird belohnt. Nach erfolgreichem Training mit zwei Mutter-Kind-Paaren wird in Transfertests (rechts) überprüft, ob das Konzept der Verwandtschaft auch auf andere Gruppenmitglieder übertragen wird. b Simultane Diskriminierung. Hier werden jeweils zwei Bilder angeboten, die entweder zwei verwandte oder zwei nichtverwandte Tiere zeigen; die Auswahl der verwandten Tiere wird belohnt. Nach dem Training (obere Reihe) wird getestet, ob das Gelernte auf weitere Paare von verwandten bzw. nicht verwandten Paaren übertragen wird (untere Reihe). Zeichnungen von Alina Skrzeszewska
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Weiterführende Literatur Cheney DL, Seyfarth RM (1990) How monkeys see the World. The Univ of Chicago Press, Chicago Whiten A, Byrne, RW (1997) Macchiavellian Intelligence (Ed. by Andrew & Richard W. Byrne) Cambridge Univ Press. Smuts, BB, Cheney, DL, Seyfarth, RM., Wrangham, RT & Struhsaker, TT 1987. Primate Societies. Univ of Chicago Press.
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7.10 Verhaltensendokrinologie Wolfgang Goymann, Max-Planck-Institut für Ornithologie, Andechs Verhaltensendokrinologie ist ein Teilgebiet der Verhaltensbiologie, das sich mit dem Einfluss von Hormonen auf das Verhalten und dem Einfluss von Verhalten auf die Hormone beschäftigt. Hormone sind Botenstoffe des Körpers, die von bestimmten Drüsen produziert werden, über Körperflüssigkeiten transportiert werden und dann in entfernten Zielorganen ihre Wirkungen entfalten. Warum sollten sich Verhaltensbiologen für Hormone interessieren? Da gibt es zunächst den Grund, dass man keine Verhaltensweise völlig versteht, wenn man nicht auch die ihr zugrunde liegenden physiologischen Mechanismen kennt. Die meisten Verhaltensbiologen sind an größeren, systemischen Zusammenhängen interessiert. Die Bedeutung der Verhaltensendokrinologie als gesamt-organismisches, integratives Forschungsgebiet soll hier hervorgehoben werden. Hormone wirken analog, d. h. die Menge entscheidet über die Wirkung. Diese Wirkung kann linear-dosisbestimmt, von einem Schwellenwert abhängig, oder gar umgekehrt U-förmig sein (Abb. 7.20). Selbst in Fachkreisen wird das Wissen um diese unterschiedlichen Wirkungsweisen immer wieder verdrängt und oft von einer linear-dosisabhängigen Wirkung ausgegangen. Die meisten Beziehungen zwischen Hormonen und Verhalten folgen jedoch eher einem Schwellenwert, der von Individuum zu Individuum allerdings schwanken kann. Ungeachtet der Wirkungsweise stellen Hormone keine deterministischen Schalter dar, die ein Verhalten entweder an- oder ausschalten. Das Hormon Testosteron spielt z. B. eine wichtige Rolle beim Paarungsverhalten von Männchen. Jedoch würden Männchen, die in Abwesenheit von Weibchen und Anwesenheit von Raubfeinden Sequenzen des Paarungsverhaltens ausführen, sehr schnell von der natürlichen Selektion ausgemerzt werden. Der Kontext muss stimmen! Hormone stellen somit eher einen von vielen Faktoren dar, die in die Entscheidung eines Individuums eingehen, ein Verhalten auszuführen. Hormone verändern die Schwellenwerte anderer Faktoren, sind aber normalerweise nicht die einzige verhaltensauslösende Ursache. Da Hormone das Potential haben, auf alle Zellen des Körpers einzuwirken, sind sie die idealen Botenstoffe zur Steuerung und Synchronisation von Prozessen, die den gesamten Organismus betreffen. Weil sie viele Zielorgane haben, vermitteln sie oft auch sogenannte „fitness trade-offs“. Fitness trade-offs sind Kosten, die auftreten, wenn vorteilhafte Veränderungen in einem Merkmal mit nachteiligen Veränderungen eines oder mehrerer anderer Merkmale verbunden sind.
7.10 Verhaltensendokrinologie 191
Abb. 7.20. Schematische Darstellung zwischen Hormonkonzentration und der Ausprägung eines Merkmals. Die Wirkung eines Hormons kann linear-dosisabhängig sein (links), sie kann schwellenwertabhängig sein (Mitte), oder sie kann einer umgekehrten U-Kurve folgen (rechts), bei der nur mittlere Hormonkonzentrationen einen Effekt zeigen, nicht aber hohe und niedrige Konzentrationen. (In Anlehnung an (AdkinsRegan 2005)
Zum Beispiel fördert das Hormon Testosteron bei Männchen vieler Tierarten Verhaltensweisen, die der Sicherung von Territorien und Paarungspartnern dienen. Gleichzeitig unterdrückt Testosteron Verhaltensweisen wie Wachsamkeit vor Fressfeinden oder elterliches Fürsorgeverhalten, was zu erhöhter Mortalität oder geringem Bruterfolg führen kann. Weiterhin wird Testosteron ein immunsuppressiver Effekt nachgesagt, d.h die Förderung von testosteronabhängigen Verhaltens- und Strukturmerkmalen wird eventuell mit einem beeinträchtigten Immunsystem bezahlt, bzw. nur Individuen mit einem guten Immunsystem können sich die Ausprägung testosteronabhängiger Merkmale leisten, ohne krank zu werden. Solch ein Zusammenhang zwischen Testosteron und Immunsystem ist allerdings noch nicht wirklich gesichert. Fassen wir also kurz zusammen: Hormone modulieren Verhalten, sie haben das Potential, auf alle Zellen des Körpers einzuwirken und können somit in unterschiedlichen Zielorganen wirken. Diese Eigenschaft macht sie nicht nur zu Synchronisatoren, sondern auch zu Vermittlern von Fitness trade-offs. Daher handelt es sich bei der Verhaltensendokrinologie um eine integrative Forschungsdisziplin, die zur Beantwortung aller 4 Tinbergen’schen Fragen (Kap. 1) beitragen kann. Hormonkonzentrationen werden meist mithilfe von Radio- oder Enzymimmunoassays bestimmt. Zum Teil kommen auch die High Performance Liquid Chromatography (HPLC) oder andere Methoden zum Einsatz.
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Hormontransportproteine und Hormonrezeptoren können durch Bindungsassays gemessen werden. Die Präsenz von spezifischen Hormonrezeptoren in Geweben kann durch immuncytochemische Methoden direkt nachgewiesen werden, oder es wird die Expression von Rezeptor-mRNA durch in situ-Hybridisierungsmethoden bestimmt. Alle diese Methoden sollten in einem guten Labor gelernt werden. Sauberes und exaktes Arbeiten sind Grundvoraussetzungen für gute Assays. In den kommenden Jahren wird es eine zunehmende Verbindung von genetischen und hormonphysiologischen Fragestellungen geben, vor allen Dingen im Hinblick auf die Anwendung von RNAi und Microchip-Technologien. Mit einigen Forschungsbeispielen aus meinem eigenen Arbeitsumfeld möchte ich einige typische Fragestellungen der Verhaltensendokrinologie vorstellen. Bei vielen territorialen Vogelarten etablieren die Männchen zu Beginn der Brutsaison Brutreviere. Durch Gesang machen die Männchen ihren Anspruch auf das Revier geltend und locken paarungsbereite Weibchen an. Gleichgeschlechtliche Eindringlinge werden üblicherweise sofort angegriffen und vertrieben. Diese Verhaltensweisen unterliegen – wie oben bereits erwähnt – dem Einfluss des Steroidhormons Testosteron, dessen Konzentration mit Beginn der Brutsaison bei den Männchen stark ansteigt. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass Testosteron eine entscheidende Rolle bei der Resourcenverteidigung (z. B. territoriale Aggression, mate guarding) während der Brutsaison zukommt. Das genaue Muster der Testosteronausschüttung wird von der sogenannten „Challenge-Hypothese“ beschrieben und scheint vom Paarungssystem und vom Grad der väterlichen Fürsorge für die Jungvögel beeinflusst zu werden (Wingfield et al. 1990). Auch wenn die Vorhersagen der Challenge-Hypothese nicht in allen Fällen zutreffen und in den letzten Jahren viele zusätzliche Erkenntnisse zu ihrer Verfeinerung geführt haben, repräsentiert die ursprüngliche Arbeit einen Meilenstein der Verhaltensendokrinologie. Testosteron spielt also eine Rolle bei der Expression von territorialem Verhalten oder mate guarding von Männchen während der Brutzeit. Bei einigen wenigen Vogelarten sind die Geschlechterrollen vertauscht: statt der Männchen etablieren die Weibchen Brutterritorien und verteidigen diese durch Gesang. Oft monopolisieren diese Weibchen mehrere Männchen, denen sie je ein Gelege mit Eiern überlassen. Die Eier werden ausschließlich von den Männchen ausgebrütet, und sie übernehmen auch die Versorgung der Jungen. Solch ein Paarungssystem wird als klassische Polyandrie (classical polyandry) bezeichnet und kommt bei weniger als 1% aller Vogelarten vor. Eine dieser Vogelarten ist der afrikanische Grillkuckuck (Centropus grillii), eine Spornkuckucksart, die im feuchten Grasland Afrikas brütet und bei der die Geschlechterrollen des Revier- und Brutverhaltens komplett vertauscht sind. Es stellt sich daher die Frage, ob die
7.10 Verhaltensendokrinologie 193
„männchenartigen“ Verhaltensweisen der weiblichen Grillkuckucke auch von Testosteron gesteuert werden und ob der Tausch der Geschlechterrollen gar von einer Umkehr der Konzentration an Sexualsteroiden begleitet wird? Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Die Androgenkonzentrationen von Grillkuckucksweibchen sind nicht höher als die anderer Vogelweibchen mit gewöhnlichen Geschlechterrollen (Goymann u. Wingfield 2004) (Abb 7.21). Das Ergebnis aus Abb. 7.3 sollte jedoch nicht zu dem verfrühten Schluss führen, dass die „männlichen“ Verhaltensweisen der Weibchen nicht von Androgenen gesteuert sind. Zu hohe Plasmakonzentrationen von Testosteron sind mit großer Wahrscheinlichkeit unvereinbar mit der Fortpflanzungsphysiologie von Weibchen. Testosteron übt seine Wirkung in erster Linie über intrazelluläre Androgenrezeptoren und Umwandlung zu anderen Steroidhormonen, vor allem Östrogenen, aus. Daher könnten Grillkuckucksweibchen die Anzahl der Androgen- oder Östrogenrezeptoren in bestimmten Zielbereichen des Gehirns erhöhen, um die gleiche Wirkung zu erhalten wie mit einer erhöhten Plasmakonzentration des jeweiligen Hormons. Diese lokale Verstärkung oder Umwandlung der Hormonwirkung würde es ermöglichen, bestimmte Verhaltensweisen (Gesang, territoriale Aggression) zu „vermännlichen“, andere Verhaltensweisen jedoch von solchen maskulinisierenden Effekten zu bewahren. Denn auch ein Grillkuckucksweibchen muss z. B. bei der Kopulation die „traditionelle“ weibliche Kopulationsstellung einnehmen. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass eine lokale Verstärkung der Hormonwirkung bei Grillkuckucken vorliegen könnte, aber die dahingehenden Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen. Es ist durchaus 3.0
Testosteron (ng/ml)
17 2.5 2.0 1.5 1.0
12 25
0.5
18
9
0.0
Vorbrut
Paarung
Fütternd
Abb. 7.21. Mittlere Testosteronkonzentrationen (± sem) von weiblichen (weiß) und männlichen (schwarz) Grillkuckucken während drei verschiedener Brutstadien. (Genehmigter Abdruck aus Goymann u. Wingfield, Animal Behaviour 68, 733–740, © 2004 mit freundlicher Erlaubnis des Elsevier Verlags)
194 7 Methodische Beispiele aus der aktuellen Forschung
auch möglich, dass nicht Androgene und Östrogene, sondern andere Hormone – wie Corticosteron oder Progesteron – die Hauptrolle bei der Steuerung der territorialen Aggression von Grillkuckucksweibchen spielen. Die bisher geschilderten Beispiele aus der Verhaltensendokrinologie sind in erster Linie deskriptiv. Allerdings ermöglicht die Verhaltensendokrinologie auch einen reichhaltigen experimentellen Ansatz. Es gibt z. B. sehr elegante Methoden, um Hormonwirkungen zu unterdrücken. Darunter fallen Rezeptorantagonisten, die z. B. Androgen-, Östrogen- oder Glucocorticoidrezeptoren blockieren: Tamoxifen blockiert Östrogenrezeptoren, Flutamide blockiert Androgenrezeptoren und der Wirkstoff Ru-486 blockiert Progesterone und Glucocorticoidrezeptoren. Eine andere Gruppe von Medikamenten unterbindet Synthesewege von Steroiden, z. B. blockieren Fadrozole, Letrozole oder Vorozole das Enzym Aromatase, welches für die Östrogensynthese notwendig ist. Finasteride blockiert das Enzym 5Į-Reduktase, welches Testosteron in Dihydrotestosteron – ein 10fach potenteres Androgen – umwandelt. Eine dritte Gruppe von Medikamenten wirkt zytotoxisch auf spezifische Zelltypen. Beispielsweise tötet Mitotane selektiv Zellen der Zonae fasciculata und retikularis der Nebennierenrinde ab, das sind die Orte der Glukocorticoidsynthese. Das Medikament lässt die Zellen der Zona glomerulosa, wo Mineralocortiocoide synthetisiert werden, intakt. Solche Präparate sind für verhaltensendokrinologische Untersuchungen daher sehr nützlich. Ein klassisches Experiment zur Bestimmung der Hormonantwort auf einen territorialen Übergriff ist das simulierte Eindringen in ein Territorium (simulated territorial intrusion, im Fachjargon STI genannt). Dabei wird ein ausgestopfter oder lebendiger artgleicher Vogel in das Zentrum des Territoriums eines Vogels gesetzt. Gleichzeitig wird arteigener Gesang als Playback abgespielt (Kap. 7.5). Üblicherweise reagieren territoriale Vogelarten sehr stark auf so einen Eindringling. Nach einem Zeitraum von mindestens 10 min (während dessen territoriale Verhaltensweisen aufgezeichnet werden) werden Japannetze oder Fallen geöffnet und der Territoriumseigner wird gefangen, um eine Blutprobe zu nehmen. Von dieser Blutprobe werden Steroidhormone wie Testosteron oder Corticosteron bestimmt und mit Hormonwerten von passiv gefangenen Vögeln verglichen. Noch eleganter ist ein Vergleich mit Kontrollvögeln, die nach Präsentation von artfremden Stimuli gefangen wurden. Mit diesem experimentellen Ansatz lässt sich zum einen zeigen, ob die aggressive Auseinandersetzung des Territoriumseigners mit dem Konkurrenten mit einer Veränderung der Testosteronkonzentration (oder der eines anderen Hormons) einhergeht. Zum anderen kann man untersuchen, ob Testosteron einen Einfluss auf die Ausprägung des Territorialverhaltens hat. Hierfür werden die oben genannten Rezeptorund Enzymblocker eingesetzt. Solche Studien wurden z. B. an europäischen
7.10
195
Schwarzkehlchen durchgeführt, einem ziehenden Singvogel, der sowohl im Brutquartier als auch im Überwinterungsgebiet Territorien etabliert. Implantiert man Schwarzkehlchenmännchen während der Brutzeit mit einem Androgenrezeptorblocker und einem Aromataseinhibitor (und verhindert dadurch die Wirkung von Testosteron und Östrogen), so zeigen die Vögel während eines STI verminderte Aggressionsraten verglichen zu Kontrollvögeln, die leere Implantate erhielten. Wiederholt man jedoch den gleichen Versuch im Winterquartier, so ergeben sich keine Unterschiede zwischen den Experimental- und den Kontrollvögeln (Canoine u. Gwinner 2002). Während der Brutzeit, also in einem reproduktiven Kontext, scheint Testosteron eine Rolle bei der Regulation von Aggression zu spielen. Außerhalb der Brutzeit, also in einem nicht-reproduktiven Kontext, tritt das gleiche Verhalten unabhängig von Testosteron auf. Dieses Ergebnis bestätigt und unterstreicht eine wichtige Erkenntnis der Verhaltensendokrinologie: die hormonelle Regulation einer Verhaltensweise ist kontextabhängig. Identische Verhaltensweisen können in unterschiedlichen Kontexten oder unterschiedlichen lebensgeschichtlichen Abschnitten (life-history states) unterschiedlichen Steuerungsmechanismen unterliegen. Der rasante Fortschritt, vor allem im Bereich von Genomics und Proteomics, wird es zunehmend ermöglichen, die Wirkungsweise und Interaktionen multipler Gene beim Ablauf komplexer physiologischer Prozesse zu studieren. In den nächsten Jahren wird eine Welle neuer Studien hormonphysiologische Fragestellungen mit solchen genetischen Fragestellungen verknüpfen. Diese Studien werden hilfreich sein für den Brückenschlag zwischen Umweltfaktoren, Genexpression, hormoneller Modulation und adaptivem, ökologisch relevantem Verhalten. Weiterführende Literatur Nelson RJ (2005) An Introduction to Behavioral Endocrinology, 3rd edn. Sinauer Associates, Inc., Sunderland, MA Becker JB, Breedlove SM, Crews D, McCarthy MM (2002) Behavioral Endocrinology 2nd edn. MIT Press, Cambridge, MA Adkins-Regan E (2005) Hormones and social behavior. Princeton University Press, Princeton, NJ Chard T (1995) An introduction to radioimmunoassay and related techniques, 5th edn. Elsevier, Amsterdam, NL Hames, BD (1998) Gel electrophoresis of proteins: A practical approach. Oxford University Press, Oxford, UK Wilkinson DG (1998) In situ hybridization-A practical approach, 2nd edn. Oxford Univ Press.
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Sachverzeichnis
A
D
Aggression 155 Albatross 176 Allele 202 Ameisen 153 Amrhein, Valentin 180 Animal Models 201 Anpassungsfähigkeit 211 Anthropomorphismus 12, 17 Audiogeräte 102, 167 Audioplaybacks 105, 163
Darstellung 133 Poster 136 Publikation 138 Vortrag 133 Datalogger 100, 175 Datenaufnahme Siehe Datenregistrierung Datenaufnahmeprotokoll 19 Datenauswertung 16, 21, 26, 62, 129 Hauptkomponentenanalyse 165 multivariat 132 nicht-parametrisch 130 parametrisch 130 posthoc 53 Datenregistrierung 16, 30 ad libitum 86 behaviour sampling 87 Genauigkeit 37 instantaneous sampling 83 interval-strukturiert 83 kontinuierlich 82 one-zero sampling 83 scan sampling 87, 154 Zuverlässigkeit 37 digitale Medien 102 Diktiergerät 53 Domestikation 23 Dominanzhierarchie 39, 113, 114 Doubly Labelled Water method 204 Drohverhalten 72 Dungfliegen 145
B Balzverhalten 197 behaviour sampling 87 Beobachter Einfluß auf das Tier 38 Erwartungshaltung 10, 39, 46, 64 Verlässlichkeit 41 Voreingenommenheit 39 Beobachtereffekt 110 Beschreibung objektiv 11 subjektiv 11 Bioakustik 72, 101, 163 Bluetoothverbindung 170 bout 73 Boxplot 128 Brandmarkierungen 92 Brumm, Henrik 163
C Challenge-Hypothese 192 comparative method 117 Croft, Darren 148
230 Sachverzeichnis
E Einwegscheiben 38 Elastomere 92 Endokrinologie 49, 190 Enzymblocker 194 Enzyme 208 Enzymimmunoassay 191 Ergebnispräsentation 132 Ergieumsatz 206 Ethik 98, 210 Ethogramm 69 events 85 Experiment 16 Explorationsverhalten 77
F Fang- Wiederfangmethoden 116 Farbmarkierungen 92 Farbringe 92 Fast-Fourier-Transformation 103 Feldnotizen 53 Fellschnitte 92 Fischer, Julia 157 fixed effects 200 Fledermäuse 172, 205 Flügelmarken 92 Flugschreiber 186 Fokustier 87 Forschung beschreibend 49, 51, 53 experimentell 49, 51, 53 Forstmeier, Wolfgang 196 Fragestellung 69 Freilandforschung 25
G Gaschromatographie 155 Genomics 195 Glaskapillare 206 global positioning system 185 Goymann, Wolfgang 190 GPS 176 Grillkuckuck 192 Grundgesamtheit 129 GSM-Modem 171 Guppies 150
H Häufigkeiten 80 Heinze, Jürgen 153
Home range 183 Hormone 49, 190 HPLC 191 Humboldt-Universität 44 Hypothese 10, 14, 53 biologische 28 statistische 28, 130
I immuncytochemische Methoden 192 Immunsystem 23, 49, 50, 191 in situ-Hybridisierung 192 Individualerkennung 91 Infantizid 158 Innere Uhr 186 Insektenstaat 153 instantaneous sampling 83 Intervalle 79 Irrtumswahrscheinlichkeit 130 Isotope 204
J James, Richard 148 Javaneraffen 160 just meaningful difference 120 just noticable difference 120
K Kampffische 71 kategorielle Perzeption 105 Kausalzusammenhänge 54 keywords 140 Klangspektrogramm 102 Kluger Hans 40, 42 Koalitionen 115 Kognition 157 Kommunikation 101, 158, 163 Kommunikationstechnologie 170 Kompass 185 Konditionierung klassische 119 operante 110, 119, 160 Königspinguine 93 Kontrollbedingung 16, 54, 56 Kosten-Nutzen Analyse 121 Kotanalyse 209 Krause, Jens 148 Kunstblüten 171
Sachverzeichnis 231
L
P
Laborstudie 25 Labortierhaltung 23 Latenz 76 Lautanalyse 105 Lautstärke 167 Lernversuche 119 Lichtschranke 172 Literaturrecherche 139 log-survivor plot 75
parsimony principle 118 Partnerwahl 197 Paviane 159 Persönlichkeit 32, 196 Pfungst, Oscar 45 Phänotypisierungsexperimente 173 Pharmaka 173 Phylogenetische Analysen 117 Pilotbeobachtungen 112 Pilotphase 84 Pilotstudie 29, 52, 53 Playbackexperiment 33, 105, 108, 157, 163 2-Lautsprecher 164 interaktiv 163 Postererstellung 136 Poweranalyse 28, 55 Powerpoint 135 Prachtstaffelschwänze 50 Primaten 88, 157 Prinzip der drei „R’s“ 99 Produktnachfrage 213 Projektplanung 20 Projektvorstellung 20 Proteomics 195 proximat 7, 8 Pseudoreplikation 33, 35, 167 Psychologie 2 Publikation 138
M Markierungsmethoden 92 Markovkette 121 Marktanalysen 122 Massenspektrometer 206 match-to-sample 160 Maternale Effekte 199 Matrilinie 159 Median 126 Meerkatzen 158 Messgenauigkeit 38 Messwiederholung 57 Microchip-Technologie 192 Mikroprozessoren 175 Minimum Konvex Polygon 183 Mittelwert 126 Mobilfunkverbindung 171 Modalwert 126 Modellierung 2, 73, 122, 143 mp3-Konvertierungen 101
Q
N
Quartile 128
Nachtigall 166, 180 Nahrungssuche 7, 71, 78, 173 Netzwerktheorie 149 Normalverteilung 131 Nullhypothese 130 Nutztierethologie 210
R
O observer bias 39 Ohrmarken 92 one-zero sampling 83 open field 38 Orientierung 185 Orientierungskäfig 186 Oszillogramm 103
radio frequency identification 169 Radiosender 92 Radiotelemetrie 95, 178, 180 Rahmenbedingungen 16, 25, 31 random effects 200 Randomisierter Block 59 Raumökologie 180 Reaktionsnorm 211 Registrierungsinterval 83 Registrierungsmethoden 82 Registrierungspunkt 83 Reihenfolgeeffekte 62 Reinhold, Klaus 143 Replikation 32
232 Sachverzeichnis
Rezeptorblocker 194 Richtungsverhalten 185 Robben 175
Stressindikatoren 210 Systemebene 5
T S sampling rate 102 Satellitentelemetrie 95, 100, 176 scan sampling 87 Schallpegel 167 Schmerzempfindung 213 Schrader, Lars 210 Schwarzkehlchen 195 Schwertträger 118 Schwerwasser 206 Seebären 176 Seitenpräferenz 65 Sensoren 176 sensory bias 118 Sequenzanalysen 121 Signale 102 multimodal 164 Skinner-Box 120 Sonagramm 103 Sonnenkompass 186 Soziale Insekten 153 Soziale Netzwerke 148 Sozialverhalten 111 Interessenskonflikte 153 Netzwerke 148 Soziobiologie 4 Soziogramm 113 Spermienkonkurrenz 145 Stammbäume 117 Standardabweichung 128 states 85 Statistik 20, 29, 55, 57, 74, 125 beschreibend 125 Datenverteilungen 126 Grundgesamtheit 129 nicht-parametrisch 130 Nullhypothese 130 parametrisch 130 schließend 125, 129 Streuungsmaße 126 Varianzanalyse 132 Stichprobe 19, 27, 29, 56 gepaart 57 unabhängig 57
Tauben 185 Tauchverhalten 175 Taxierungsmethoden 116 Technopathien 211 Telemetrie 178, 180 Testosteron 49, 50, 56, 191 TFT-Bildschirm 108 Theorie 3, 10, 14 Tierhaltung 31, 32, 37, 96 Tiermarkierungen 92 Tierschutz 99, 210 Tierschutzgesetz 96, 210 Tierversuch 98 Tierwanderungen 178 time-depth recorder 175 Tinbergen 8 Transponder 93, 94, 169, 171 Trillmich, Fritz 175
U Überwachsungssystem 171 Überwachungselektronik 170 Überwachungskameras 106 ultimat 8
V Validität externe 28, 36 interne 36 Variable abhängig 54 unabhängig 54 Varianzanalyse 59, 132 Verhalten kategorisieren 38, 69 Sequenzen 73 Streuung 30 Verhaltensendokrinologie 190 Verhaltensgenetik 196 Verhaltensmuster Siehe Verhaltensweise Verhaltensökologie 4 Verhaltensphysiologie 49 Verhaltensrepertoire 23, 32, 35
Sachverzeichnis 233
Verhaltensstrategie 6, 30, 31 Verhaltensweise bout 73 Dauer 77 definieren 69, 70 Häufigkeit 80 Intervalle 79 Kategorien 73 Messgrößen 76 quantifizieren 72 Rate 80 separieren 69 Übergang 78 Zeitparameter 78 Versuchsbedingung 28 Versuchsleitereffekt 41, 47 Versuchsplan 36, 55, 61 balanciert 63 randomisiert 62 Versuchsplanung 19, 33 Versuchsreihenfolge 63, 65 Verwandtschaftsgrad 153 Video 38 Aufnahmen 105 Playback 108 Vigilanzverhalten 70 Vogelgesang 35, 163 Voigt, Christian 204
Vokalisationen 81 von Osten, Wilhelm 42 Vorbeobachtungen 112 Vorhersagen 15 Vorspielexperimente 105, 158, 163 Vortrag 133 Vorüberlegungen 19
W Wahlversuch 65, 160, 212 Wahrnehmungsschwelle 119 Web of Knowledge 140 Weisskehlammer 56 Weißwangengänse 71 Wiederholbarkeit 197 Wikelski, Martin 175 Wiltschko, Roswitha 185 Wiltschko, Wolfgang 185 Winter, York 169 Wohlbefinden 212
Z Zebrafinken 94, 196 Zeitplan 26 Zeitrahmen 25, 27, 36 Zoo 37 Zufallszahl 61, 64 Zugunruhe 186 Zuhörer 158