Vanessa Haselhoff Patientenvertrauen in Krankenhäuser
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Vanessa Haselhoff Patientenvertrauen in Krankenhäuser
GABLER RESEARCH Applied Marketing Science / Angewandte Marketingforschung Editorial Board: Prof. Dr. Dieter Ahlert, Universität Münster Prof. Dr. Heiner Evanschitzky, University of Strathclyde/UK Dr. Josef Hesse, Schäper Sportgerätebau GmbH Prof. Dr. Gopalkrishnan R. Iyer, Florida Atlantic University/USA Prof. Dr. Hartmut H. Holzmüller, Technische Universität Dortmund Prof. Dr. Gustavo Möller-Hergt, Technische Universität Berlin Prof. Dr. Lou Pelton, University of North Texas/USA Prof. Dr. Arun Sharma, University of Miami/USA Prof. Dr. Florian von Wangenheim, Technische Universität München Prof. Dr. David Woisetschläger, Technische Universität Dortmund
The book series ”Applied Marketing Science / Angewandte Marketingforschung“ is designated to the transfer of top-end scientific knowledge to interested practitioners. Books from this series are focused – but not limited – to the field of Marketing Channels, Retailing, Network Relationships, Sales Management, Brand Management, Consumer Marketing and Relationship Marketing / Management. The industrial focus lies primarily on the service industry, consumer goods industry and the textile / apparel industry. The issues in this series are either edited books or monographs. Books are either in German or English language; other languages are possible upon request. Book volumes published in the series ”Applied Marketing Science / Angewandte Marketingforschung“ will primarily be aimed at interested managers, academics and students of marketing. The works will not be written especially for teaching purposes. However, individual volumes may serve as material for marketing courses, upper-level MBA- or Ph.D.-courses in particular.
Vanessa Haselhoff
Patientenvertrauen in Krankenhäuser Eine qualitative Analyse zur Bedeutung, Bildung und unterschiedlichen Vertrauensebenen
Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Hartmut H. Holzmüller
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Dissertation Technische Universität Dortmund, 2010
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Stefanie Brich | Jutta Hinrichsen Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2631-9
Meinen Eltern
Geleitwort Das Konsumentenvertrauen hat sich in der wissenschaftlichen Forschung über die letzten Jahre zu einem zentralen Konstrukt zur Erklärung des Kundenverhaltens entwickelt. Es gibt eine große Zahl von konzeptionellen und empirischen Arbeiten, die in diesem Kontext entstanden sind. Am Lehrstuhl für Marketing der TU Dortmund ist man im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts der Frage nach dem Zusammenspiel unterschiedlicher Vertrauensebenen, so insbesondere des relationalen Vertrauens zu einem einzelnen Anbieter und dem generelleren Branchenvertrauen, nachgegangen. Die Arbeit von Vanessa Haselhoff hat ihren Ursprung in diesen Überlegungen. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Vertrauens von Patienten in einzelne Akteure bzw. Institutionen des Gesundheitswesens hat sie die Problematik aufgegriffen, welche Vertrauensebenen bzw. Vertrauensobjekte und -personen aus Patientensicht während eines stationären Aufenthalts im Krankenhaus existieren. Es sollte vor allem auch geklärt werden, wie diese unterschiedlichen Aggregationsstufen des Vertrauens zueinander in Wechselwirkung stehen bzw. sich beeinflussen. Die Arbeit ist mit dieser Ausrichtung von unmittelbarer wissenschaftlicher Relevanz, weil bislang der Ebenenthematik im Rahmen der marketingwissenschaftlichen Vertrauensforschung wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Aus praktischer Sicht des Krankenhausmarketings ist die Fragestellung vor allem deshalb bedeutsam, weil ihre Beantwortung konkrete Hinweise zur Verbesserung des Vertrauensmanagements im Rahmen der PatientenKrankenhaus-Beziehung liefert. Stark orientiert an den Grundlagen zur Grounded Theory hat Vanessa Haselhoff auf der Basis von 20 qualitativen Patienteninterviews entsprechend der gesetzten Ziele das Feld des Patientenvertrauens in Krankenhäusern detailliert aufgearbeitet. Zentrale Ergebnisse der Arbeit sind, dass das Patientenvertrauen ein komplexes Konstrukt ist und sich sehr differenziert entwickelt. Patienten differenzieren nach Organisationseinheiten, Hierarchien und Tätigkeitsfeldern. Zudem belegt die Arbeit, dass Widersprüche und klare Unterschiede zwischen einzelnen Vertrauensbereichen existieren. Vanessa Haselhoff entwickelt auf empirischer Basis ein umfassendes Modell, das die Bildung relationalen Patientenvertrauens im Krankenhaus strukturiert. Ein drittes wesentliches Arbeitsergebnis bezieht sich auf die Differenzierung zwischen institutionellem und relationalem Vertrauen sowie unterschiedliche Erklärungsansätze, wie diese jeweils entstehen. Ein umfangreicher Katalog an Basishypothesen wird entwickelt, der eine gute Ausgangsbasis für weitere Forschungsbemühungen in diesem Feld darstellt.
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Geleitwort
hat. Sie weist sich mit dieser Studie als eine der besonders qualifizierten qualitativen Marktforscherinnen im deutschen Wissenschaftsbetrieb aus. Diese Arbeit liefert einen methodisch anders angelegten weiteren wertvollen Beitrag zu den Forschungsbemühungen im Hinblick auf differenzierte Vertrauensebenen am Lehrstuhl für Marketing der TU Dortmund und trägt -sowohl aus akademischer wie auch aus Sicht des Krankenhausmanagements- zur Verbreiterung der Erkenntnisbasis in diesem Kontext bei. Der Arbeit wünsche ich eine weite Verbreitung und gute Rezeption. Es ist zu hoffen, dass die vorliegende Untersuchung weitere Studien, die dem qualitativen Paradigma in der Marketingforschung folgen, stimuliert. In ähnlicher Weise wäre es empfehlenswert, wenn der Patientenforschung aus Marketingsicht mehr Forschungsanstrengungen gewidmet werden.
Dortmund, im Juli 2010
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Prof. Dr. Hartmut H. Holzmüller
Vorwort Wenn Absolventen sich nach dem erworbenen Diplom für eine Promotion entscheiden, dann haben sie in den seltensten Fällen eine genaue Vorstellung davon, was sie erwartet. Meine jahrelange Tätigkeit als studentische Hilfskraft hatte mir bereits einen kleinen Einblick in das Leben an einem Lehrstuhl verschafft, weshalb mir die Entscheidung, diesen vielleicht nicht immer einfachen Weg zu gehen, nicht schwer fiel. Neben der wunderbaren Möglichkeit, mehr über Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie natürlich Marketing erfahren zu können, macht eine Promotion im Team vor allem auch Freude und Spaß. Die gelegentlichen Tiefen lassen sich insbesondere deshalb gut überwinden, wenn man nicht allein ist und stets liebe Menschen hinter sich hat. Ich möchte diese schöne Zeit auf keinen Fall missen und daher verschiedenen Menschen danken, die mich während meiner Promotionszeit begleitet und unterstützt haben und von denen ich lernen durfte - auch weit über die eigentliche Dissertation hinaus. An erster Stelle gebührt mein Dank meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Hartmut H. Holzmüller. Seine universale Betreuung und fachkundige Unterstützung - nicht nur im Rahmen der Dissertation - waren stets von großem Vertrauen und Geduld gekennzeichnet. Ich weiß die Freiräume sehr zu schätzen, welche er mir im Rahmen meiner Dissertation und auch im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin gewährte. Sie haben mich stets motiviert, meine Selbstständigkeit gefördert und damit einen wichtigen Beitrag für meine akademische und persönliche Weiterentwicklung geleistet. Prof. Dr. Andreas Hoffjan möchte ich für die bereitwillige und unkomplizierte Übernahme sowie zeitnahe Erstellung des Zweitgutachtens danken. Mein Dank gilt auch Jun.-Prof. Dr. David M. Woisetschläger, der sich trotz seiner offenkundigen Präferenz für die eher quantitativen Forschungsmethodiken (was sich in der ständigen augenzwinkernden Suche nach Konfrontation mit den „Qualis“ des Lehrstuhls ausdrückte) bereit erklärte, die Rolle des Drittprüfers zu übernehmen. Ihm danke ich auch für gemeinsame hochspannende Forschungsprojekte über reaktante Fußballfans. Die unterhaltsamen Konferenzaufenthalte in Reykjavik, Shanghai oder Vancouver sowie die langen und angeregten Diskussionen über verrückte Geschäftsideen im Rotlichtmilieu werden mir stets in guter Erinnerung bleiben. Bedanken möchte ich mit darüber hinaus beim gesamten Team des Lehrstuhls für Marketing der Technischen Universität Dortmund. Die familiäre und freundschaftliche Atmosphäre, die sich in ungezählten spontanen und feuchtfröhlichen Lehrstuhl-Parties, gemeinsamen Kochevents, exzessiven Provinz-Touren und ausschweifenden Center-Parc-Aufenthalten, sowie
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Vorwort
tert und für den Arbeits- und Promotionsalltag gestärkt. Mein Dank gilt hier den ehemaligen Kollegen, insbesondere „Betty“ Böhm für zahlreiche gemeinsame schöne Erlebnisse und zuweilen auch geteiltes Leid, Prof. Dr. Patrick Lentz für seine ständige Bereitschaft, sowohl für Albereien als auch ernste fachliche Gespräche mindestens 20 Stunden am Tag zur Verfügung zu stehen, Dr. Thomas Wittkop für seine bewundernswerte Gelassenheit, seinen trockenen Humor und seine ungeahnten Qualitäten als Drehbuchautor, Dr. Markus Stolper für seinen sportlichen Ehrgeiz bei der Organisation von Lehrstuhlevents, Dr. Claus Wilke für seine liebevolle Begleitung als Büro- und Projektkollege, Prof. Dr. Florian von Wangenheim für seine fachlichen Ratschläge und seine tatkräftige Unterstützung gerade in den ersten Phasen der Promotion, Dr. Tanja Pferdekämper für ihre fröhliche Art und Dr. Arno Lammerts dafür, dass er mich in einer frühen Phase meines Studiums als studentische Hilfskraft für den Lehrstuhl für Marketing rekrutiert hat. Ihm ist es vielleicht sogar zu verdanken, dass mein Weg mich dorthin geführt hat, wo ich nun bin. Auch allen aktuellen Lehrstuhl-Kollegen möchte ich natürlich danken: „Debbie“ Hanning für große Hilfe beim Korrekturlesen der vorliegenden Arbeit, unzählige fruchtbare Methodendiskussionen, Last-Minute-Übersetzungschecks und indische Currygenüsse, Julia Ingwald für viele nette persönliche und fachliche Gespräche im Büro, Taxi in Shanghai oder in der Sauna, Alke Töllner für das unermüdliche Schreiben von Konferenzbeiträgen, die gemeinsame abenteuerliche Campingtour zur EM 2008 und amüsante - regelrecht in Wettbewerb ausartende Raclette-Abende, Maike Jockisch für lustige Sambuca- und Cocktail-Abende, Stefanie Paluch und Bianca Welscher für ein paar ungeplante Prosecco-Nachmittage sowie Dr. Markus Blut für erfrischende „Nogger“-Ausflüge im Sommer. Nicht zu vergessen sind auch die „guten Seelen“ des Lehrstuhls, Barbara Kreyenfeld-Kuniß und Nicole Ahl-Selbstaedt, die uns Assistenten mütterlich umsorgt haben, sowie Junior-Professur-Nachbar Alexander Eiting, der stets für jeden Spaß zu haben war. Zu Dank verpflichtet bin ich auch allen ehemaligen und aktuellen „Powerhiwis“, den studentischen Hilfskräften des Lehrstuhls, für mühsame Korrekturarbeiten, umfangreiche Literaturbestellungen und zuverlässige Bücherdienste sowie für viel Spaß und Heiterkeit. Aus vielen Kollegen sind im Lauf der Zeit Freunde geworden. Sie alle haben dafür gesorgt, dass ich meine Promotionszeit immer in bester Erinnerung behalten werde. In privater Hinsicht gilt ein besonderer Dank meinen lieben Freunden, denen es in meiner freien Zeit fernab des Promotionsalltags stets in vorbildlicher Art und Weise gelungen ist, für Ablenkung und Zerstreuung zu sorgen. Besonders möchte ich mich bei den Freunden bedanken, die mir ihre Freunde, Mütter, Schwestern, Kolleginnen, Nachbarn oder Cousinen als ȱ
Vorwort
XI
„Forschungsobjekte“ empfohlen und vermittelt haben. Hier seien Christina Pfingst, Klaas und Inga Kurz, Evelyn Ketz, Silja Keller und Uta Stölting lobend hervorgehoben. Meinen Interviewpartnern danke ich natürlich für ihr Vertrauen und ihre Auskunftsbereitschaft. Ohne sie hätte diese Dissertation in der vorliegenden Form nicht entstehen können. Der größte Dank gebührt schließlich meiner Familie. Hierzu zählt mein Mann Tim, dessen große Liebe mir ungeahntes Selbstvertrauen gegeben hat und der mich bereits während meines Studiums moralisch und auch sonst wie unterstützt und mir damit den „Rücken freigehalten“ hat. Ich weiß sein Verständnis und seine Ermunterungen sehr zu schätzen. Gerade in den letzten Monaten hat er zudem das von mir geschaffene Chaos im ganzen Haus, hervorgerufen durch Hunderte von Papierstapeln mit Tausenden von Artikeln, mit Großmut ertragen. Meinen beiden „kleinen“ Brüdern Nicholas und Jasper Hessenkamp möchte ich danken für ihr Interesse, ihre Bewunderung und ihr Vertrauen in meine Fähigkeiten. Last, but not least, möchte ich meinen lieben Eltern, Evelyn und Michael Hessenkamp, für ihre unerschöpfliche Liebe, ihr grenzenloses Vertrauen, ihre unentwegte Unterstützung und uneingeschränkten Rückhalt danken. Ich bin sehr glücklich, dass Sie meinen Tatendrang und Wissensdurst von Kindesbeinen an gefördert haben. Damit haben sie nicht zuletzt maßgeblich zum Gelingen meiner Promotion beigetragen. Euch, liebe Eltern, ist dieses Buch von Herzen gewidmet.
Unna, im Juli 2010
Vanessa Haselhoff
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort .............................................................................................................................. VII Vorwort ................................................................................................................................... IX Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................XIII Abbildungsverzeichnis ...................................................................................................... XVII Tabellenverzeichnis ............................................................................................................. XIX 1
Einleitung .......................................................................................................................... 1 1.1 1.2 1.3
2
Problemstellung .......................................................................................................... 2 Zielsetzung der Arbeit und Überblick über das Vorgehen ......................................... 4 Aufbau der Arbeit....................................................................................................... 6
Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem .................................................... 8 2.1 2.2 2.3 2.4
Grundstruktur und Merkmale des deutschen Gesundheitssystems ............................ 8 Die Gesundheitswirtschaft in Deutschland – Akteure und Rahmendaten ............... 10 Der Krankenhaussektor ............................................................................................ 12 Strukturwandel und Entwicklungen ......................................................................... 14
2.4.1 Externe Entwicklungen ......................................................................................... 15 2.4.2 Endogene Entwicklungen ..................................................................................... 16 2.4.3 Veränderungen auf Patientenseite ....................................................................... 19 3
Theoretische Grundlagen .............................................................................................. 23 3.1 Einordnung der Krankenhausleistungen in den Dienstleistungskontext .................. 23 3.1.1 Konstitutive Merkmale von Gesundheitsdienstleistungen .................................... 24 3.1.2 Besonderheiten von Gesundheitsdienstleistungen ............................................... 26 3.1.3 Fazit ...................................................................................................................... 31 3.2 Medizinsoziologische Überlegungen ....................................................................... 31 3.2.1 Die Kernbeziehung Arzt-Patient und ihre Rollen ................................................ 32 3.2.2 Verschiedene Patient-Gesundheitsdienstleister-Beziehungsmodelle ................... 39 3.2.3 Soziologie des Krankenhauses ............................................................................. 47 3.2.4 Asymmetrie in der Arzt-Patient-Beziehung .......................................................... 50 3.2.5 Fazit ...................................................................................................................... 55 3.3 Einführung in die Vertrauensforschung ................................................................... 56 3.3.1 Bedeutung von Vertrauen ..................................................................................... 57
XIV
Inhaltsverzeichnis
3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5 3.3.6 4
Definitionen von Vertrauen.............................................................................. 61 Konzeptualisierungen von Vertrauen............................................................... 66 Vertrauensbildung............................................................................................ 70 Vertrauensebenen und –objekte ....................................................................... 79 Fazit.................................................................................................................. 83
Konzeption der empirischen Untersuchung ................................................................ 85 4.1 Allgemeine Vorgehensweise.................................................................................... 85 4.2 Grundlagen zur Grounded Theory ........................................................................... 88 4.2.1 Allgemeines ...................................................................................................... 89 4.2.2 Theoretisches Sampling.................................................................................... 91 4.2.3 Kodieren ........................................................................................................... 92 4.2.4 Memos .............................................................................................................. 96 4.2.5 Abschließendes Fazit........................................................................................ 96 4.3 Vorstudien ................................................................................................................ 97 4.3.1 Experteninterviews ........................................................................................... 97 4.3.2 Fokusgruppeninterviews ................................................................................ 100 4.4 Hauptstudie: Episodische Einzelinterviews ........................................................... 104 4.4.1 Planung .......................................................................................................... 105 4.4.2 Durchführung ................................................................................................. 110 4.4.3 Analyse und Interpretation............................................................................. 110
5
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie.................................................................... 115 5.1 Beschreibung der Stichprobe ................................................................................. 116 5.2 Darstellung von Einzelfällen.................................................................................. 123 5.2.1 Beispielfall 1: Margarete ............................................................................... 123 5.2.2 Beispielfall 2: Jörn ......................................................................................... 126 5.2.3 Fazit................................................................................................................ 131 5.3 Ergebnisse der fallübergreifenden Analyse............................................................ 134 5.3.1 Das komplexe Konstrukt Vertrauen ............................................................... 134 5.3.2 Vertrauensbildung und Einflussfaktoren........................................................ 142 5.3.3 Vertrauensebenen, -objekte und Effekte in Krankenhäusern ......................... 183 5.3.4 Fazit................................................................................................................ 203
6
Schlussbetrachtung ...................................................................................................... 206 6.1 6.2
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Zusammenfassung der Arbeit................................................................................. 206 Implikationen für Wissenschaft und Praxis ........................................................... 209
Inhaltsverzeichnis
XV
6.2.1 Beitrag zur wissenschaftlichen Entwicklung.................................................. 209 6.2.2 Empfehlungen für die Praxis.......................................................................... 213 6.3 Kritische Reflexion und Ausblick .......................................................................... 223 Literaturverzeichnis............................................................................................................. 229
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Methodischer Ablaufplan der Studie ................................................................... 5 Abbildung 2: Struktur der Arbeit ............................................................................................... 7 Abbildung 3: Die Grundstruktur des deutschen Gesundheitssystems ..................................... 10 Abbildung 4: Das Zwiebelmodell nach dem IAT .................................................................... 11 Abbildung 5: Regelkreis der Krankenhausversorgung ............................................................ 14 Abbildung 6: Screenshot der Ökotest-Homepage zum Kliniktest ........................................... 21 Abbildung 7: Konstitutive Merkmale von Krankenhausleistungen......................................... 25 Abbildung 8: Verortung der Krankenhaus-Dienstleistungen auf Dienstleistungsdimensionen ..................................................................................................................... 27 Abbildung 9: Rollen und Beziehungen zwischen Arzt und Patient ......................................... 34 Abbildung 10: Entscheidungsfindung und die Verfügbarkeit von Information in Konsultationen: ein konzeptuelles Modell....................................................................... 45 Abbildung 11: Die Vertrauensbeziehung als Prinzipal-Agent-Beziehung .............................. 54 Abbildung 12: Die Stufen der Vertrauensentwicklung ............................................................ 74 Abbildung 13: Verweise auf detaillierte Beschreibungen der Vorgehensweisen der drei Studien.............................................................................................................................. 88 Abbildung 14: Dimensionen mit Einfluss auf Vertrauen in Ärzte......................................... 109 Abbildung 15: Komponenten der Daten Analyse: Interaktives Modell................................. 114 Abbildung 16: Die Integration von Vertrauen und Misstrauen: Alternative soziale Realitäten........................................................................................................................ 141 Abbildung 17: Entwickeltes Gesamtmodell der Vertrauensbildung...................................... 146 Abbildung 18: Einfluss von Erfahrungen auf das relationale Vertrauen bzw. Misstrauen.... 151 Abbildung 19: Einfluss von Vertrauenserwartungen auf Erfahrungsbeurteilung.................. 158 Abbildung 20: Einfluss von Patientenrolle auf Vertrauenserwartungen................................ 160 Abbildung 21: Eigenschaften und Dimensionen der Patientenrolle ...................................... 162 Abbildung 22: Patientenrollen von Margarete und Jörn im Bezug auf Selbstverständnis und Orientierung ............................................................................................................ 163 Abbildung 23: Patientenrollen von Margarete und Jörn im Bezug auf Handlungsstrategien ........................................................................................................................ 164 Abbildung 24: Einfluss diverser Faktoren auf die Patientenrolle .......................................... 172 Abbildung 25: Gesamtmodell der Vertrauensbildung ........................................................... 174 Abbildung 26: Determinanten des Vertrauens ins Krankenhaus ........................................... 177 Abbildung 27: Effekte zwischen den Ebenen und Einfluss von Erfahrungen ....................... 187
XVIII
Abbildungsverzeichni
Abbildung 28: Einfluss von institutionellem Vertrauen bzw. Misstrauen auf relationales Vertrauen bzw. Misstrauen ............................................................................................ 189 Abbildung 29: Einfluss von Erfahrungen und relationalem Vertrauen bzw. Misstrauen auf institutionelles Vertrauen bzw. Misstrauen.............................................................. 192 Abbildung 30: Vertrauensmodell ........................................................................................... 197 Abbildung 31: Handlungsempfehlungen für das Krankenhausmanagement......................... 213 Abbildung 32: Beispielhafter Patientenpfad .......................................................................... 215
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Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Vergleich von Anreizstrukturen für Krankenhäuser ............................................... 18 Tabelle 2: Spannungsfeld Krankenhaus................................................................................... 19 Tabelle 3: Charakteristika einer Profession ............................................................................. 37 Tabelle 4: Drei Beziehungsmodelle in der Übersicht .............................................................. 44 Tabelle 5: Asymmetrie-Aspekte in der Arzt-Patient-Beziehung ............................................. 51 Tabelle 6: Ausgewählte Vertrauensdefinitionen aus im Journal of Marketing publizierten Studien.............................................................................................................................. 62 Tabelle 7: Ausgewählte Vertrauens-Definitionen aus der medizinischen Literatur ................ 63 Tabelle 8: Boon und Holmes' Stufen von Beziehungen und Vertrauen................................... 72 Tabelle 9: Vertrauensobjekte („Potential Objects of Trust”) ................................................... 81 Tabelle 10: Entwickelte Vertrauensskalen im medizinischen Kontext.................................... 82 Tabelle 11: Teilnehmer der Fokusgruppen ............................................................................ 101 Tabelle 12: Misstrauensthemen aus den Gruppeninterviews................................................. 102 Tabelle 13: Ausgesuchte Merkmale der Befragten ................................................................ 116 Tabelle 14: Befragte und Krankenhausaufenthalte ................................................................ 119 Tabelle 15: Von den Befragten genannte Krankenhäuser...................................................... 122 Tabelle 16: Im Rahmen der Arbeit entwickelte Arbeitshypothesen ...................................... 204
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Einleitung
Die Gesundheitsbranche in Deutschland gewinnt im 21. Jahrhundert unbestritten immer mehr an Bedeutung. Wissenschaftler, Trendforscher und Praktiker sehen in dem stark wachsenden Sektor eine der bedeutendsten Zukunftsbranchen. Schon jetzt ist der Gesundheitsbereich einer der bedeutsamsten Wirtschaftsbereiche. Die Ausgaben für Gesundheitsfürsorge steigen kontinuierlich; nebst aller Nischenmärkte schätzt man den Umsatz der Branche auf 500 Mrd. jährlich (ADBA 2006)1. Als Kernbereich der Gesundheitswirtschaft wird die ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung gesehen, hier allem voran das Krankenhaus als klassische Institution der medizinischen Versorgung (Hilbert et al. 2002; Dahlbeck et al. 2004a). Krankenhäuser verstehen sich aber längst nicht mehr als traditionelle Krankenanstalten, sondern als moderne Dienstleistungs- und Wirtschaftsunternehmen, welche als solche eine Sonderstellung im Dienstleistungssektor einnehmen (Riegl 2000). Das Gesundheitswesen im Allgemeinen und das Krankenhauswesen im Speziellen werden zunehmend mit anspruchsvollen Anforderungen an das Management konfrontiert, z.B. mit der zunehmenden Ökonomisierung der Gesundheitsbranche, dem steigendem Kostendruck, verstärktem Wettbewerb sowie der ansteigenden Rechtfertigungspflicht von Ärzten gegenüber Krankenversicherungen (Rosenstein 1985; Riegl 2000; Hermanns und Kunz 2003; Leisen und Hyman 2004; Gombeski Jr. 2006). Krankenhäuser haben sich in moderne Wirtschaftsunternehmen gewandelt, die mit neuen Entwicklungen zu kämpfen haben (Riegl 2000). Hier führt der Weg vom klassischen Krankenhaus mit traditionellen Hierarchien hin zum modernen und serviceorientierten Gesundheitszentrum (Lüttecke 2004), das sich an typischen betriebswirtschaftlichen Kenngrößen orientiert (Kundenbindung, Weiterempfehlungen, wirtschaftliche Vergütungen). Ärzte und andere Gesundheitsdienstleister verkaufen ihre Leistungen aktiver (Coulter und Magee 2003) und sehen sich eher als ganzheitliche Gesundheitsberater (o.V. 2001; Gutjahr 2003; Gutjahr 2006). Verstärkter Wettbewerb zwingt bereits Ärzte dazu, mehr und mehr von Patientenbindung und Weiterempfehlungen abhängig zu sein (Leisen und Hyman 2004). Somit verwundert es nicht, dass “the health care market is adopting a stronger consumer orientation” (Peyser 1997a, S. 18).
1
Die Tatsache, dass keine einheitliche Definition existiert, welche Branchen oder Einrichtungen zur Gesundheitswirtschaft gezählt werden, ermöglicht lediglich eine Prognose. Andererseits setzt sich der Gesundheitsbereich aus einer großen Anzahl an verschiedenen Einrichtungen zusammen, die in verschiedenen Statistiken erfasst werden und somit ein statistisches Erfassungsproblem verursachen (siehe auch Dahlbeck et al. 2004).
2
Einleitung
Dies mag Konsequenz aber auch Ursache davon sein, dass sich traditionelle Rollenverständnisse immer weiter verschieben: „An die Stelle des Abhängigkeitsverhältnisses [zwischen Patienten und Ärzten] wird ein partnerschaftliches Verhältnis treten, das auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen beruht“ (Gutjahr 2003, S. 15). „The patient-doctor relationship is shifting from paternalism to contractualism“ (Surbone und Lowenstein 2003, S. 183). Patienten, mittlerweile von Krankenhäusern als Kunden akzeptiert, handeln selbstverantwortlicher, emanzipierter, mündiger und informierter (vgl. z.B. Mechanic 1996; Mechanic 1998; Riegl 2000; Laing et al. 2004; Morgan 2008b), „wollen mitreden, wenn es um ihre Gesundheit geht“ (Picker Institut 2003) und erwarten kompetente und umfassende Beratung und Behandlung. Daher spielt auch für Krankenhäuser eine gewisse „Kundenorientierung“, also eine Ausrichtung an den Anforderungen und –wünschen der Patienten, im Rahmen einer modernen Krankenhausbehandlung eine immer größere Rolle, damit Patienten sich zugunsten eines bestimmten Krankenhauses entscheiden. Dafür ist zwingend erforderlich, Gedankenstrukturen der Patienten genauer zu durchleuchten, um Einstellungen und Entscheidungen der Kunden besser zu verstehen. 1.1
Problemstellung
Gesundheitsdienstleistungen, wie sie ein Krankenhaus anbietet, können dabei als persönliche, interaktionsorientierte, zeitraumbezogene und immaterielle Dienste und Leistungen bezeichnet werden, die die Präsenz des Patienten erfordern. Als Besonderheiten aus Sicht der Patienten sind die schwierige Erfassung und Beurteilung der Primärleistungen (dem Herbeiführen einer positiven Gesundheitsstatusveränderung) sowie Sekundärleistungen zu nennen, die mit einer notwendigen Individualisierung der Behandlung einhergehen (Greiling 2005). In Abgrenzung zu klassischen Dienstleistungen ist i.d.R. die Inanspruchnahme der Leistungen von Patienten selber kaum gewünscht, können Patienten Leistungen nur eingeschränkt frei wählen oder haben unzureichende Kenntnisse über für sie notwendige Leistungen. Auch steht für Patienten oft nicht das medizinische und pflegerische Angebot eines Krankenhauses im Vordergrund (sondern die Lage eines Krankenhauses, unterschiedliche Behandlungsmethoden etc.) und das eigentliche Leistungsangebot und die Preise sind kaum bekannt (Hermanns und Kunz 2003). Die Leistungen eines Krankenhauses sind von Laien kaum beurteilbar und können als Vertrauensgüter bezeichnet werden. Es verwundert somit nicht, dass Patienten bei der Wahl eines Krankenhauses großen Wert auf die Vertrauenswürdigkeit desselben legen (Lüttecke 2004). Vertrauen wird allgemein als vielsagender Indikator für die Beziehungsqualität zwischen Arzt und Patient gesehen (Lake 2000). Vertrauen ist deshalb so wichtig, da Patienten das medizinische Fachwissen fehlt, um die ȱ
Einleitung
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Leistung ihres Arztes genau bewerten zu können (Leisen und Hyman 2004, S. 990). Die Patient-Arzt-Beziehung ist durch eine erhebliche Informations- und Machtasymmetrie gekennzeichnet, die durch die hohe Fachkompetenz und die institutionelle Fürsorgepflicht (Parsons 1975; Maynard 1991) entsteht. Daneben besitzt auch der Patient Informationsvorteile gegenüber dem Arzt, z.B. bezüglich seines gesundheitsrelevanten Verhaltens (siehe Schneider 2002). Diese beidseitige Asymmetrie wird noch verstärkt durch die Krankheit und Verletzbarkeit der Patienten (Zaner 1991, S. 54). Zusätzlich hat Vertrauen viele bedeutsame (positive) Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Patient und Arzt auf intrinsischer und instrumenteller Basis. Die Qualität der Arzt-Patient-Beziehung ist auch wichtig für die Implementierung von Behandlungsmethoden und die Annahme derer seitens der Patienten (siehe auch Mechanic und Schlesinger 1996; Gray 1997). Das Vertrauen in Ärzte wurde in den letzten Jahren bereits häufig zum Gegenstand der Forschung. Hier lag der Fokus zumeist auf persönlichen Patient-Arzt-Beziehungen, somit auf dem sogenannten „relationalen“ oder „interpersonalen“ Vertrauen, für dessen Messung Dimensionen identifiziert (Thom und Campbell 1997) oder Skalen entwickelt wurden (Anderson und Dedrick 1990; Kao et al. 1998; Safran et al. 1998; Hall et al. 2002; Thom et al. 2002; Leisen und Hyman 2004). Das Krankenhaus bzw. im Krankenhaus beschäftige Personen (Pfleger, sonstige Verwaltungs-Angestellte) wurden bisher nicht in ihrer Funktion als mögliche „Vertrauensobjekte“ oder „Vertrauenspersonen“ betrachtet. Kaum wissenschaftlich untersucht wurden andere Ebenen des Vertrauens, so z.B. das (kollektive oder institutionelle) Vertrauen in Krankenhäuser oder in die Ärzteschaft. Die Existenz dieser Ebenen wurde bereits thematisiert, allerdings noch nicht analysiert (siehe z.B. Mechanic und Schlesinger, 1996; Pearson und Raeke, 2000; Hall et al., 2001). Überhaupt ist unklar, wie Patienten die Struktur und die einzelnen Akteure im Krankenhaus wahrnehmen und inwiefern die beschriebenen Objekte/Personen und Ebenen tatsächlichen von Patienten so differenziert gesehen werden. Ebenso wurden mögliche Effekte zwischen den relationalen/individuellen und kollektiven/institutionellen Vertrauensebenen und zwischen den verschiedenen Vertrauensobjekten/-personen noch nicht betrachtet, wenn auch antizipiert (siehe z.B. Mechanic 1996; Mechanic und Schlesinger 1996; Gray 1997; Mechanic 1998; Buchanan 2000; Pearson und Raeke 2000; Zheng et al. 2002). Hall et al. (2001) sieht dies als Forschungslücke und merkt hierzu an, dass z.B. das Vertrauen in Ärzte und das Vertrauen in Krankenversicherer korrelieren (Kao et al. 1998), „but it is unclear whose halo is shining on whom“ (Hall et al. 2001, S. 631).
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Einleitung
„While hospitals have decades of experience in attempting to understand, predict, and influence physician behavior, they are not very familiar with patient behavior“ (MacStravic 1979, S. 48). Ein besseres Verständnis der Bedeutung, Bildung und den verschiedenen Ebenen des Patientenvertrauens ist somit notwendig, um die Patienten- bzw. Kundenorientierung im Krankenhaussektor weiter voranzutreiben. Das Wissen über Vertrauensmechanismen kann zur stärkeren Fundierung des Krankenhausmarketing beitragen, indem es beispielsweise den Sektor in seiner Entwicklung von effizienteren Marketingprogrammen unterstützt, insbesondere in den operativen Bereichen der Produktpolitik, Kommunikationspolitik, Prozesspolitik, Personalpolitik und Ausstattungspolitik. 1.2
Zielsetzung der Arbeit und Überblick über das Vorgehen
Die vorhergegangenen Ausführungen geben Anlass für eine genauere Untersuchung des Patientenvertrauens ins Krankenhaus. Aus dem soeben knapp skizzierten Status Quo in Forschung und Praxis ergeben sich einige zentrale Forschungsfragen, die in dieser Arbeit Beantwortung finden sollen. Fragestellungen sind in diesem Rahmen: x
Was macht das Vertrauen von Patienten ins Krankenhaus aus? Was sind Vertrauensfacetten?
x
Wie und warum bildet sich Vertrauen ins Krankenhaus?
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Welche Vertrauensebenen und –objekte/-personen existieren (aus Sicht der Patienten)?
x
Wie beeinflusst sich das Vertrauen der Patienten im Hinblick auf die unterschiedlichen Vertrauensebenen? Welche Effekte existieren zwischen den Vertrauensebenen/objekten/-personen?
Zentrales Ziel der Arbeit ist somit, die Rolle und Bildung von Vertrauen im System Krankenhaus zu erfassen, zu verstehen und umfassend abzubilden. Hierfür sollen von Patienten wahrgenommene Vertrauensebenen und –objekte/-personen im Krankenhaus identifiziert, ihre Relationen zueinander untersucht und beeinflussende Faktoren bewertet werden. Die gewonnenen Erkenntnisse geben Anhaltspunkte für Vertrauensmechanismen, und somit auch dafür, wie Patientenvertrauen positiv beeinflusst werden kann. Daher sollen aus den Ergebnissen abschließend einige Empfehlungsansätze für das Marketing von Krankenhäusern abgeleitet werden.
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Einleitung
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Um die oben genannten Ziele erreichen zu können, wird der qualitative Forschungsansatz verfolgt, da dieser tiefgehendes Verständnis und Erkenntnisse ohne vorherige Urteils- oder Hypothesenbildung ermöglicht. Qualitative Methoden ermöglichen eine breitere Ergebnisbasis und detailliertere Beschreibungen von Phänomenen und Prozessen, da sie die Befragten in ihren Auskünften nicht einengen (vgl. z.B. Weiss 1994). Es geht um das ‚Warum’ und ‚Wie’ zusätzlich zu dem ‚Was’ (Carson et al. 2001, S. 64) und darum, wie Geschehnisse und Wahrnehmungen von Betroffenen interpretiert werden (vgl. Weiss 1994; Patton 2002). Zudem bestechen sie durch ihre Flexibilität, ihre Offenheit und ihre Möglichkeit, die ganzheitliche Sicht der Probanden zum Thema Vertrauen ins Krankenhaus mit allen Facetten zu erfassen (vgl. z.B. Flick et al. 1991; von Kardorff 1991; Miles und Huberman 1994; Diekmann 1997). Das Vorgehen im Rahmen der Studie ist in Abbildung 1 dargestellt. Aufgrund der komplexen Thematik, der explorativen Zielsetzung und um eine möglichst genaue Beschreibung von Wahrnehmungen, Erfahrungen und Einstellungen der Probanden zu erhalten, bietet sich zur Bearbeitung ein qualitatives multimethodisches Vorgehen an. Literaturrecherche zu den Themen Vertrauen, Patienten, Krankenhäuser
Experteninterviews mit Ärzten, Psychologen etc.
Auswertung, Verfeinerung der Aufgabenstellung, Aufbau des Fokusgruppeninterviewleitfadens Fokusgruppeninterviews mit verschiedenen Patientengruppen Analyse der Fokusgruppeninterviews, Aufbau des Einzelinterviewleitfadens
Halbstrukturierte Einzelinterviews mit verschiedenen Patienten
Analyse der Einzelinterviews, Zusammenfassende Interpretation
Abbildung 1: Methodischer Ablaufplan der Studie
Im Detail sollen nach einer umfassenden Literaturanalyse zum Thema Vertrauen in der Gesundheitsbranche in einem ersten Schritt Experten- und Fokusgruppeninterviews genutzt werden, um einerseits einen Überblick über Forschungserkenntnisse in diesem Bereich, sowie andererseits einen praxisnahen und fundierten Eindruck von Facetten des Vertrauens sowie möglichen Vertrauensobjekten/-personen im Krankenhaus zu bekommen. Die Haupterhebung
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Einleitung
besteht aus halb-strukturierten episodischen Einzelinterviews mit Patienten, welche nach ausgewählten Ansätzen der Grounded Theory (Glaser und Strauss 1967; Strauss und Corbin 1998) ausgewertet wurden und in einer Theorieskizze münden. 1.3
Aufbau der Arbeit
Im folgenden Kapitel 2 „Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem“ werden Grundlagen zu dem in der Studie vorliegenden Kontext skizziert, die dem besseren Verständnis dienen sollen. Hier werden unter anderem Rahmendaten zum Gesundheitssystem in Deutschland zusammengefasst, Akteure der Branche betrachtet und der Strukturwandel, in dem sich die Gesundheitswirtschaft in Deutschland aktuell befindet, beschrieben. Der Krankenhaussektor soll ebenfalls näher beleuchtet werden. Kapitel 3 gibt einen kurzen Überblick über relevante theoretische Grundlagen. Hier werden in einem ersten Teil Gesundheitsdienstleistungen als besondere Form der Dienstleistungen verortet, die die Wichtigkeit von Vertrauen verdeutlichen und die besonderen Rahmenbedingungen der Beziehung zwischen Gesundheitsdienstleister und Patient darstellen. Ein zweiter Abschnitt des Kapitels befasst sich mit der Kernbeziehung zwischen Arzt und Patient, ihren Rollenverständnissen und in der Medizinsoziologie gängigen Beziehungsmodellen, die als Grundlagen für das Verständnis von Beziehungen dienen sollen. Ferner wird die Soziologie des Krankenhauses und das Charakteristikum der Asymmetrie in der Arzt-Patient-Beziehung diskutiert, welches wiederum die große Bedeutung von Vertrauen herausstellt. Der dritte Teil des Kapitels befasst sich mit grundlegenden und für die vorliegende Thematik relevanten Erkenntnissen der Vertrauensforschung sowohl aus der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen als auch aus der medizinischen Literatur, die im empirischen Kapitel nochmals aufgegriffen werden. Die „Konzeption der empirischen Untersuchungen“ wird in Kapitel 4 erläutert. Neben einer kurzen Skizzierung der allgemeinen Vorgehensweise werden die verschiedenen durchgeführten Erhebungen dargestellt. Insbesondere werden Planungs- und Durchführungsaspekte sowie Analyseschritte im Rahmen dieser Teilstudien beschrieben. Kapitel 5 befasst sich schließlich mit den empirischen Ergebnissen aus den Einzelinterviews mit 20 Patienten. Der einleitenden Beschreibung zweier Beispielfälle folgt die Darstellung der Ergebnisse aus der fallübergreifenden Analyse der Interviews. Hier werden strukturiert nach den zentralen Forschungsfragen schrittweise elf Arbeitshypothesen und zwei Modelle entwickelt und mit existierender Literatur abgeglichen. ȱ
Einleitung
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Eine ausführliche Schlussbetrachtung wird in Kapitel 6 vorgenommen. Nach einer Zusammenfassung der Arbeit und ihrer zentralen Ergebnisse werden Implikationen für Theorie und Praxis abgeleitet. Eine kritische Reflexion unter Zuhilfenahme von gängigen Qualitätskriterien der qualitativen Forschung und ein Ausblick runden die Arbeit ab. Abbildung 2 stellt die Struktur der Arbeit noch einmal grafisch dar.
Kapitel 1: Einleitung 1.1 Problemstellung 1.2 Zielsetzung der Arbeit und Überblick über das Vorgehen 1.3 Aufbau der Arbeit
Kapitel 2: Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem 2.1 Grundstruktur und Merkmale des deutschen Gesundheitssystems 2.2 Die Gesundheitswirtschaft in Deutschland – Akteure und Rahmendaten 2.3 Der Krankenhaussektor 2.4 Strukturwandel und Entwicklungen
Kapitel 3: Theoretische Grundlagen 3.1 Einordnung der Krankenhausleistungen in den Dienstleistungskontext 3.2 Medizinsoziologische Überlegungen 3.3 Einführung in die Vertrauensforschung
Kapitel 4: Konzeption der empirischen Untersuchung 4.1 Allgemeine Vorgehensweise 4.2 Grundlagen zur Grounded Theory 4.3 Vorstudien 4.4 Hauptstudie: Episodische Einzelinterviews
Kapitel 5: Empirische Ergebnisse 5.1 Beschreibung der Stichprobe 5.2 Darstellung von Einzelfällen 5.3 Ergebnisse der fallübergreifenden Analyse
Kapitel 6: Schlussbetrachtung 6.1 Zusammenfassung der Arbeit 6.2 Implikationen 6.3 Kritische Reflexion und Ausblick
Abbildung 2: Struktur der Arbeit
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Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
Als Kernbereich der Gesundheitswirtschaft wird die ambulante und stationäre Gesundheitsversorgung gesehen, hier allem voran das Krankenhaus als klassische Institution der medizinischen Versorgung. Bevor jedoch dieser Bereich näher durchleuchtet werden soll, werden Grundstruktur und Merkmale des deutschen Gesundheitssystems skizziert. Danach werden einzelne Akteure der Branche beschrieben sowie Rahmendaten der Gesundheitswirtschaft vorgestellt. Anschließend werden Entwicklungen dieses Sektors erläutert, die veränderte Anforderungen an die Akteure und somit an Krankenhäuser stellen. Dieser zusammenfassende Überblick soll als Grundlage für das Verständnis des Kontextes der vorliegenden Arbeit dienen und den Einstieg in den theoretischen Teil erleichtern. 2.1
Grundstruktur und Merkmale des deutschen Gesundheitssystems
Eine allgemein anerkannte inhaltliche Abgrenzung des Gesundheitssystems gibt es nicht (Henke und Göpffarth 2005). Das Gesundheitswesen umfasst „die Gesamtheit aller Personen und Institutionen, die dem Ziel dienen, die Gesundheit zu erhalten, zu fördern oder wiederherzustellen“ (Henke und Göpffarth 2005, S. 21). Die Grundstruktur des deutschen Gesundheitssystems ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Regulierung, Finanzierung und Leistungserbringung. Zur näheren Erläuterung ist es sinnvoll, die Grundmerkmale anhand dieser drei Bereiche zu erläutern (vgl. Simon 2008). Im deutschen Gesundheitssystem stellt der Staat die oberste Instanz für die Regulierung des Systems dar, seine Tätigkeit soll sich aber weitgehend auf die Setzung von allgemeinen Rahmenbedingungen beschränken. In der Regel wird die Ausgestaltung des Vorsorgungssystems den Verhandlungen zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern überlassen. Im internationalen Vergleich ist das Ausmaß der deutschen staatlichen Regulierung als relativ hoch anzusehen, da Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und auch Vergütungssysteme sehr detailliert geregelt sind. Die Aufgaben der Regulierung sind dabei auf verschiedene Ebenen und Institutionen verteilt. Verbände nehmen dabei traditionell eine bedeutsame Rolle ein. Auch die gemeinsame Selbstverwaltung ist ein wichtiger Bestandteil der Struktur, in der Krankenkassen und Leistungserbringer gemeinsam zentrale Fragen z.B. der Vergütung von Leistungen klären. Die Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems erfolgt überwiegend durch Sozialversicherungsbeiträge. Dabei entfällt der größte Teil auf die gesetzliche Krankenversicherung. ȱ
Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
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Mittlerweile sind die privaten Haushalte nur noch zweitwichtigste Finanzierungsträger. Während aus Steuermitteln der öffentlichen Haushalte vor allem die Infrastruktur, also Ministerien, Behörden, staatliche Institute, Investitionsförderung und medizinische Fakultäten, finanziert wird, werden die Beiträge der gesetzlichen und privaten Kranken- und Pflegeversicherung vor allem für die Vergütungen der Leistungserbringer und Arznei-, Heil- und Hilfsmittel verwendet. Die Leistungserbringung wird im deutschen Gesundheitssystem durch öffentliche, freigemeinnützige und private Einrichtungen garantiert. Öffentliche Träger stellen Bund (Bundeswehrkrankenhäuser), Länder (z.B. Universitätskliniken), Gemeinden/Städte/ Kreise (Träger des Großteils der 750 öffentlichen Kliniken) und Sozialversicherungen (Besitzer eigener Versorgungseinrichtung in Teilbereichen wie z.B. der Rehabilitation) dar. Eine in Deutschland traditionell tragende Rolle in der Krankenversorgung und Pflege spielen freigemeinnützige Krankenhäuser, Sozialstationen und Pflegeheime. Als „freigemeinnützig“ gelten kirchliche Träger, Wohlfahrtsverbände und gemeinnützige Stiftungen (Simon 2008, S. 18). Der überwiegende Teil der Leistungen des Gesundheitssystems wird in privater Trägerschaft erbracht. Dazu zählen Unternehmen, Organisationen und Einzelpersonen, die Leistungen zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken erbringen, also private Krankenhäuser, Pflegedienste, Pflegeheime, selbstständige tätige niedergelassene Ärzte, Praxen sonstiger Gesundheitsberufe, Apotheken und das Gesundheitshandwerk. Es ist zu beobachten, dass die Bedeutung privater Träger im Krankenhaussektor und in der Pflege kontinuierlich zunimmt. Die staatliche Regulierung, die Beitragsfinanzierung und die überwiegend freigemeinnützige und privaten Leistungserbringung sorgt für die spezifische Grundstruktur des deutschen Systems (siehe Abbildung 3, Simon 2008, S. 101). Der Staat als oberste Instanz nutzt zur Steuerung die beiden zentralen Instrumente Rechtssetzung und Rechtsaufsicht. Er räumt den Leistungserbringern Ansprüche ein, z.B. auf Investitionsförderung. Innerhalb des gesetzlichen Rahmens erfolgt die Leistungserbringung und Finanzierung in einem Dreiecksverhältnis zwischen Krankenversicherung, Leistungserbringern und Versicherten. Der Kostenträger schließt Verträge mit den Erbringern, in denen diese sich verpflichten, Versicherte zu behandeln und im Gegenzug dafür vereinbarte Vergütungen erhalten. Die Mitglieder entrichten Beiträge zur Krankenversicherung und erhalten dafür Schutz. Während die gesetzliche Krankenversicherung ihren Mitgliedern einen Anspruch auf medizinisch notwendige Leistungen gewährt wenn Leistungserbringer Versorgungsverträge abgeschlossen haben, sind Privatversicherte selbst Vertragspartner des Leistungserbringers.
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Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
Rechtsansprüche
Staat
Kostenträger
Verträge
Leistungserbringer
Vergütungen
Mitglieder/ Versicherte
Abbildung 3: Die Grundstruktur des deutschen Gesundheitssystems
2.2
Die Gesundheitswirtschaft in Deutschland – Akteure und Rahmendaten
Im vorgestellten Gesundheitssystem stellt die Gesamtheit der Leistungserbringer die Gesundheitswirtschaft dar. Der erweiterte Begriff der Gesundheitswirtschaft umfasst neben dem traditionellen Gesundheitswesen, also ambulanter und stationärer Versorgung, zusätzlich noch Bereiche der Vorleistungs- und Zulieferindustrie, sowie gesundheitsnahe Randbereiche. Das Zwiebelmodell (nach dem IAT – Institut Arbeit und Technik, siehe z.B. Hilbert et al. 2002, Dahlbeck et al. 2004a, 2004b) bildet diese Bereiche in mehreren Schichten ab (siehe Abbildung 4). „Dieses Modell orientiert sich nicht an der traditionellen Unterscheidung von Prävention, Kuration und Rehabilitation, sondern ordnet die Einrichtungen und Unternehmen der Gesundheitswirtschaft gemäß ihrer Stellung im Wertschöpfungsprozess“ (Hilbert et al. 2002, S. 4). ȱ
Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
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Sport und Freizeit
Medizin- und Gerontotechnik
Bio-
Gesundh.-
technologie
handwerk
Kliniken, Selbsthilfe
Wohnen
Apotheken Touris-
Krankenhäuser,
mus
niedergel. Ärzte
Handel mit Gesundh.-
Kur- und Bäderwesen
Beratung
produkten
Pharmazeutische Industrie
Ernährung
Abbildung 4: Das Zwiebelmodell nach dem IAT
Den Kernbereich stellt die ambulante und stationäre sowie personal- und beschäftigungsintensive Gesundheitsversorgung, also Krankenhäuser, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, Arzt- und Zahnarztpraxen, Praxen nichtärztlicher medizinischer Berufe, Apotheken sowie stationäre, teilstationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen dar. Als Vorleister oder Zulieferer werden die sogenannten Health Care oder Life-Science-Industries (Pharmazeutische Industrie, Medizin- und Gerontotechnik, Bio- und Gentechnologie), die Forschung, das Gesundheitshandwerk sowie der Groß- und Facheinzelhandel mit medizinischen und orthopädischen Produkten gesehen. Rand- und Nachbarbereiche umfassen gesundheitsbezogene Produkte und Dienstleistungen, z.B. Gesundheitstourismus, Wellness, gesundheitsbezogene Sport- und Freizeitangebote, Wohnen, sowie produzierendes Gewerbe für Informations- und Kommunikationstechnologien, neue Werkstoffe, Analysetechnik (siehe z.B. Hilbert et al. 2002).
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Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
2007 arbeiteten in Deutschland ca. 4,368 Mio. Menschen in der Gesundheitsversorgung. Jeder neunte Arbeitnehmer arbeitet somit in einem Gesundheitsberuf. Krankenhäuser stellen dabei rund ein Viertel der Beschäftigten (o. V. 2009c). Auch die Gesundheitswesen-Ausgaben machen mit ca. 252,8 Mrd. Euro (2007) knapp 11% des Bruttoinlandsprodukts aus (o. V. 2009b). 36,5% davon fallen auf die stationäre Versorgung, somit werden jährlich rund 60 Mrd. Euro für Krankenhausbehandlungen umgesetzt. Steigende Ausgaben werden prognostiziert (Meyer-Lutterloh 2006). 2.3
Der Krankenhaussektor
„In the most general sense, the hospital is a place in which ailing people sleep and receive care“ (Freidson 1963, S. vii). Gemäß Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) definieren sich Krankenhäuser als „Einrichtungen, in denen durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten, Leiden und Körperschäden festgestellt, geheilt oder gelindert werden sollen oder Geburtshilfe geleistet wird und in denen die zu versorgenden Personen untergebracht und verpflegt werden können“ (§ 2, Abs. 1 KHG). Ihr Ziel ist es, Gesundheitszustände von Patienten positiv zu beeinflussen, also Krankheiten zu kurieren, einzudämmen oder zumindest Schmerzen zu lindern (Henke und Göpffarth 2005). Höhere Anforderungen an Krankenhäuser formuliert das Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). So gelten nur Einrichtungen als Krankenhäuser, x die der Krankenhausbehandlung oder Geburtshilfe dienen, x die fachlich-medizinisch unter ständiger ärztlicher Leitung stehen, x die über ausreichende, ihrem Versorgungsauftrag entsprechende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen, x die nach wissenschaftlich anerkannten Methoden arbeiten, x die mithilfe von jederzeit verfügbarem ärztlichem, Pflege-, Funktions- und medizinisch-technischem Personal darauf eingerichtet sind, x die vorwiegend durch ärztliche und pflegerische Hilfeleistung Krankheiten der Patienten erkennen, heilen, ihre Verschlimmerung verhüten und Krankheitsbeschwerden lindern oder Geburtshilfe leisten ȱ
Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
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x in denen Patienten untergebracht und verpflegt werden können (§107, Abs.1 SGB V). Krankenhäuser stellen einen bedeutsamen Wirtschaftszweig dar (Henke und Göpffarth 2005). In Deutschland waren es 2007 ca. 2087 Krankenhäuser, die rund 65 Mrd. Euro Umsatz mit Krankenhausbehandlungen realisieren und ca. 1,07 Mio. Mitarbeiter beschäftigen, welche rund ein Viertel der Beschäftigten des Gesundheitswesens ausmachen (o.V. 2008c). Obwohl der Umsatz über die Jahre gestiegen ist, ist gerade in den letzten Jahren mit dem Abbau von Krankenhausbetten ein gegenläufiger Trend zu beobachten. Diese Entwicklung ist durchaus politisch gewollt. Der Rückgang liegt allerdings nicht nur an der Schließung von Kliniken, sondern gerade auch an Zusammenschlüssen von Krankenhäusern. Im Jahr 2007 wurden ca. 17,2 Mio. Fälle (nicht Patienten) mit einer durchschnittlichen Verweildauer von 8,3 Tagen versorgt, wobei die Zahl der Krankenhausaufenthalte generell steigt, während die durchschnittliche Verweildauer kontinuierlich sinkt (o.V. 2008a). Das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit allerdings auch darauf zurückzuführen, dass zuvor als ein Zeitraum behandelte längere Aufenthalte von Patienten nun in mehrere Phasen (z.B. Diagnostik und anschließende Operation) aufgeteilt werden (Simon 2008). Krankenhäuser lassen sich in öffentliche, freigemeinnützige und private Anstalten unterteilen (siehe Abschnitt 2.1). 2007 waren 32,4% aller Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft, 37,9% in freigemeinnütziger und 29,7% in privater Hand. Öffentliche Krankenhäuser stellen allerdings mit 49,4% noch einen Großteil der Betten (2007 insgesamt 506.954), private lediglich 15,6% (o.V. 2008a). Zu den größten und bekanntesten private Klinikketten gehören die Asklepios Kliniken, die Rhön Klinikum AG, die Helios Kliniken und die Sana Kliniken (siehe z.B. o.V. 2004). Krankenhäuser können als komplexe Systeme bezeichnet werden (Grady und Wallston, 1988), die in Deutschland eine zentrale Funktion für die Krankenversorgung wahrnehmen, da sie gebündelt sachliche und personelle Kapazitäten für die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen und Verletzungen vorhalten sowie eine wesentliche Rolle bei der Ausbildung von Gesundheitsberufen spielen (Simon 2008). Die innere Organisation der Krankenhäuser ruht in der Regel auf drei „Säulen“: dem ärztlichen Dienst, dem Pflegedienst und dem Wirtschafts- und Verwaltungsdienst. Traditionell ist jede Säule durch eine eigene Führungsstruktur gekennzeichnet, die in der Krankenhausleitung zusammenläuft, welche wiederum aus je einem Vertreter der Bereiche besteht, einem ärztlichen Direktor, einem Pflegedirektor und einem kaufmännischen Direktor. Im Rahmen einer
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Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
Rechtsformänderung (z.B. in eine GmbH) kann aber auch ein Geschäftsführer berufen werden, der das Direktorium leitet (Simon 2008).
Kontrahierungszwang
Staat Bund/Länder
Krankenkassen
Budgetverhandlungen
Krankenhaus
Vergütungen
Versicherte
Abbildung 5: Regelkreis der Krankenhausversorgung
Zusammenfassend und analog zur Abbildung 3 stellt Abbildung 5 den Regelkreis der Krankenhausversorgung dar (Simon 2008, S. 307). Der Staat als oberste und primär gesetzgebende Instanz steht auch hier deutlich über den drei beteiligten Parteien Versicherte, Krankenhaus und Krankenkassen. 2.4
Strukturwandel und Entwicklungen
Das ganze System der Gesundheitswirtschaft unterliegt einer starken Markt- und Wachstumsdynamik, die in großem Maße auf den sich vollziehenden Strukturwandel zurückzuführen ist. Die zu beobachtenden Entwicklungen lassen sich grob in externe und endogene aufgliedern, welche sich wiederum gegenseitig beeinflussen (vgl. Hilbert et al. 2002). Zusätzlich sind Veränderungen auf Seiten der Patienten zu erkennen (Fuchs 2003).
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Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
2.4.1
15
Externe Entwicklungen
Im Rahmen der externen Entwicklungen beeinflusst in erster Linie der Wandel der ökonomischen Rahmenbedingungen die Gesundheitswirtschaft. Verstärkter Wettbewerb, wachsender Kostendruck auf Akteure und die ansteigende Rechtfertigungspflicht von Ärzten gegenüber Krankenversicherungen haben dafür gesorgt, dass die Gesundheitsbranche einer zunehmenden Ökonomisierung unterliegt (Rosenstein 1985; Born et al. 2000; Eichhorn et al. 2000a; Riegl 2000; Hermanns und Kunz 2003; Leisen und Hyman 2004; Gombeski Jr. 2006; o.V. 2008b). Gerade Krankenhäuser haben die letzten Jahre mit stark ansteigenden Kosten zu kämpfen, die aus kostenintensiver Technik, Betten-Überkapazitäten und zu langer stationärer Verweildauer der Patienten resultiert (Born et al. 2000). Unmittelbar verbunden mit der Ökonomisierung wandeln sich die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen, die Wirtschaftlichkeit und Effizienz fordern und Kosten einzudämmen versuchen. Vor diesem Hintergrund wird es zur Aufgabe der Akteure, zusätzliche private Finanzierungsquellen zu erschließen. Die steigende Wertschätzung von Gesundheit und Lebensqualität als „privates Konsumgut“ hat bereits einen deutlichen Trend zu einer privat finanzierten „Wohlbefindlichkeitsmedizin“ ausgelöst, der durch Individualisierungsprozesse weiter ansteigt2 (o.V. 2003). Da die Menschen also zunehmend bereit sind, auch private Mittel für gesundheitsbezogene Produkte und Dienstleistungen zu investieren und GKV-Versicherte inzwischen 7% ihrer Gesundheitsausgaben selbst zahlen, ist hier großes Potenzial zu sehen (vgl. Dahlbeck et al. 2004b). Gerade auch Rentner-Haushalte mit relativ hoher Kaufkraft streben mehr und mehr nicht nur eine Erhaltung ihrer Gesundheit an, sondern wollen darüber hinaus auch möglichst lange aktiv und vital bleiben. „Wahrscheinlich ist, dass mit den Reformen im Gesundheitswesen die Bedeutung privat finanzierter Gesundheitsleistungen weiter zunehmen wird“ (Dahlbeck et al. 2004a, S. 10). Im Zusammenhang mit der Mobilisierung zusätzlicher privater Ressourcen wird auch die Möglichkeit des Dienstleistungsexports durch Patientenimport diskutiert3. Der demografische Wandel ist eine weitere bedeutsame Entwicklung, die Konsequenzen für die Nachfrage nach Gesundheits- und Pflegeleistungen sowie die allgemeine Nachfrage nach
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3
Diese "Wohlbefindlichkeitsmedizin" hat sich inzwischen zu einem bedeutenden Marktsegment (z.B. Wellness, Lifestylepharmazeutika, Schönheitschirurgie, etc.) entwickelt, deren Umsatz allein in Deutschland derzeit auf 74 Milliarden Euro geschätzt wird; bis 2006 wird eine Steigerung auf 83 Milliarden Euro prognostiziert (o.V. 2003). „Auf Bundesebene bemüht sich etwa das Kuratorium zur Förderung deutscher Medizin im Ausland seit 1998 um Verträge mit ausländischen Krankenkassen, auf deren Grundlage dann Patienten in Deutschland versorgt werden sollen. Bislang werden Aktivitäten zum Patientenimport überwiegend von Einzelkämpfern. in den Einrichtungen betrieben, ein gemeinsames Vorgehen ist bislang noch nicht zu erkennen. So werben auch Krankenhäuser im Ruhrgebiet verstärkt um Kunden aus anderen Regionen bzw. aus dem Ausland“ (siehe Dahlbeck et al. 2004a, S. 10f).
16
Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
Gütern und Dienstleistungen für mehr Lebensqualität hat (Eichhorn et al. 2000b; Hermanns und Hanisch 2003). So ist der Trend zur „Wohlbefindlichkeitsmedizin“ vor diesem Hintergrund zu sehen. Damit einher geht z.B. auch der Trend zur ambulanten Diagnose, Therapie und Rehabilitation, der neue ambulante und teilstationäre Angebotsformen und die Einführung integrierter Versorgungssysteme fordert. 2.4.2
Endogene Entwicklungen
Zusätzlich sind in der Gesundheitsbranche eine Reihe von endogenen Entwicklungen zu beobachten, die Anforderungen an das Verhalten der Akteure stellen (Hilbert et al. 2002). Zu nennen ist hier der medizinisch-technische, pharmazeutische und gesundheitswissenschaftliche Fortschritt. So werden in den technologieintensiven Vorleistungs- und Zulieferindustrien Wachstumsimpulse durch Fortschritte gesetzt, die eine Diagnose und Behandlung bislang nicht diagnostizierbarer bzw. behandelbarer Krankheiten ermöglichen (z.B. im Bereich der bildgebenden Verfahren, Telemedizin oder Nanotechnologie). Auch in den Life-Sciences und der Biotechnologie stecken noch Wachstumspotentiale, die weit über andere Branchen hinausgehen. Netzwerke wie die Life Technologies Ruhr unterstützen bei der Mobilisierung der Potentiale. Weiterhin beeinflusst der Wandel der Arbeit und der Arbeitsbedingungen sowie betrieblichen Herausforderungen und Gestaltungsspielräumen in der Gesundheitswirtschaft die gesamte Branche. Zudem verändern sich Eigentümer- und Leitungsstrukturen, z.B. werden immer mehr Unternehmungen der Gesundheitsbranche durch private Anbieter geführt. Der Trend geht klar zu weiteren Konsolidierungen und einem verstärkten Zufluss von Beteiligungskapital sowie ersten Ansätzen der Internationalisierung (von Friesen und Weismann 2001). Zunehmend versuchen Regionen, sich als Gesundheitsregionen zu profilieren und ihre Kompetenzen offensiv zu vermarkten (in Nordrhein-Westfalen z.B. Ostwestfalen-Lippe, die Teilregion Mittleres Ruhrgebiet, die Stadt Essen4 oder die Stadt Oberhausen5). Netzwerke, z.B. im Ruhrgebiet die Life Technologies Ruhr (LTR) oder die Initiative MedEcon Ruhr besitzen eine wichtige Unterstützungsfunktion solcher Cluster (Dahlbeck et al. 2004a). Eine weitere Entwicklung in der Gesundheitswirtschaft ist der zunehmende Einsatz von modernen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die elektronische Datenverar-
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Motto: „Essen forscht und heilt“ „Erlebniswelt Gesundheit“
Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
17
beitung. Durch neue technologische Möglichkeiten in diesem Bereich können Qualitäts- und Effizienzvorteile in der Gesundheitsversorgung realisiert werden6. Gerade Krankenhäuser werden von den beschriebenen Veränderungen in deren Umfeld in großem Maße tangiert. Besonders die rechtlichen Rahmenbedingungen und Neuregelungen im Gesundheitssystem (siehe Abschnitt 2.4) sorgen für enormen Innovations- und Kostendruck auf Krankenhäuser (Blum und Offermanns 2009). „An die Stelle der Kostenerstattung tritt zunehmend die Leistungsorientierung“ (Greiling 2005, S. 39; vgl. Born et al. 2000; o.V. 2004). 1993 war die Einführung der bis heute geltenden Budgetdeckelung der Anfang einer Reihe von Reformen. Mit der Bundespflegesatzverordnung von 1995/1996 wurden Krankenhäuser das erste Mal mit Wettbewerb konfrontiert. Die Krankenhausfinanzierung wurde vom allgemein tagesgleichen Pflegesatz auf ein neues Mischsystem aus Basispflegesatz, Abteilungspflegesätzen, Sonderentgelten und Fallpauschalen umgestellt. Die staatliche Reform zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Gesundheitsreformgesetz) vom 1.1.2000 setzte die Kostendämpfung fort. Ein leistungsorientiertes und pauschaliertes Entgeltsystem wurden eingeführt, weitgreifendes Qualitätsmanagement gefordert und organisationsübergreifende Vergleiche von nun an angestellt (Simon 2008, S. 288). In einer sogenannten „Konvergenzphase“ (2003 bis 2008) erfolgte die Umstellung auf ein umfassendes Diagnosis-Related GroupFallpauschalensystem (DRG-Fallpauschalensystem), welches nun bundesweit einheitliche Fallpauschalen für alle Krankenhausleistungen garantieren soll (Simon 2008). Mit einer Fallpauschale werden im Regelfall alle allgemeinen Krankenhausleistungen eines definierten Behandlungsfalles unabhängig von den tatsächlichen Kosten und der Verweildauer vergütet (Adam 2005). Grundlage ist ein Patientenklassifikationssystem, das die Gesamtheit der Krankenhauspatienten nach bestimmten Kriterien in Fallgruppen (DRGs) aufteilt. Zu den Kriterien gehört z.B. die Hauptdiagnose, Nebendiagnosen, diagnostische und therapeutische Prozeduren sowie Aufnahmegründe, Alter, Geschlecht, Verweildauer etc. Die Zuordnung erfolgt durch speziell entwickelte Gruppierungssoftware nach Abschluss der Krankenhausbehandlung auf Grundlage der eingegebenen Daten. Auch die Veränderungen der Versorgungsstruktur (stationär hin zu ambulant), die Liberalisierung und Globalisierung des Marktes und die Trägervielfalt beeinflussen Krankenhäuser (Hermanns und Hanisch 2003). Relevant sind auch die strukturellen Veränderungen auf Seiten der Patienten (z.B. Lebenserwartung, verändertes Krankheitsspektrum) und der Verhal-
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Beispiele hierfür sind der Einsatz der Elektronischen Patientenakte (EPA), die Vernetzung von ambulantem und stationärem Sektor, die hochauflösende Übertragung von Bildern sowie Einsatzmöglichkeiten im Bereich des Tele-Health-Monitorings und der Fernüberwachung von Vitalparametern .
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Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
tenswandel (z.B. hin zum kritischerem, informiertem Patienten, siehe (Hermanns und Hanisch 2003). Abschnitt 2.4.3 wird auf die Veränderungen auf Patientenseite noch näher eingehen. Folgende Tabelle 1 (Greiling 2005, S. 39) vergleicht die traditionellen mit den mittlerweile bestehenden wettbewerblichen Anreizstrukturen für Krankenhäuser. Tabelle 1: Vergleich von Anreizstrukturen für Krankenhäuser
Merkmale Bedeutung des Wettbewerbs
traditionell Abschottung vom Marktdruck
wettbewerblich Bewähren am Markt
Marktstellung
Monopolitisch
Polypolistisch
Umweltdynamik
Gering
Hoch
Steuerungsmechanismus
Bürokratisch
Unternehmerisch
Finanzierung
Kostenerstattung
Wettbewerbspreise
Insolvenzrisiko
Keines
Hoch
Patientenorientierung
Schwach
Stark
Zielsetzung
Sachzieldominanz
Formal- und Sachzieldominanz
Rationalisierungsdruck
Gering
Hoch
Reglementierungsintensität Dirigistische Feinsteuerung Gesetzgeberische Zurückhaltung Vergütungsstruktur
Dominanz des BAT7
Leistungsorientierte Vergütung
Der Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern sorgt dafür, dass mittel- bis langfristig nur die Krankenhäuser überleben, die sich strategisch positionieren, um Patienten zu gewinnen. In dem Festpreissystem der DRGs ist die Qualität als entscheidendes Kriterium zu sehen (Greiling 2005). Parallel zur Einführung des DRG-Systems wurde daher mit den sogenannten „Qualitätsberichten“ eine Informationsquelle für die Öffentlichkeit geschaffen, die über innere Strukturen und das Leistungsgeschehen einzelner Krankenhäuser berichten soll. Seit 2005 sind alle zugelassenen Krankenhäuser gesetzlich verpflichtet, den Krankenkassen einen Qualitätsbericht vorzulegen, welcher auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Enthal-
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BAT = Bundesangestelltentarif. Seit dem 1. November 2006 ist der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) der geltende Tarifvertrag für die Beschäftigten der deutschen Länder mit Ausnahme Berlins und Hessens. Der TV-L gilt allerdings nicht für die Unikliniken in Nordrhein-Westfalen, da diese als Anstalten öffentlichen Rechts aus der allgemeinen Landesverwaltung herausgelöst sind. In Hessen und den Universitätskliniken in NRW gilt daher weiterhin der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) (Zepf und Gussone 2008).
Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
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ten sind Grunddaten über Ausstattung des Krankenhauses sowie Daten über erbrachte Leistungen. Auf der Grundlage der Qualitätsberichte wurden in den letzten Jahren mehrere internetbasierte Krankenhaus-Suchmaschinen entwickelt, die vor allem Patienten und Ärzten Informationen für die Wahl eines Krankenhauses zur Verfügung stellen soll (z.B. KlinikLotse.de, Kliniken-Rhein-Ruhr.de und Hamburger-Krankenhausspiegel.de). Die zunehmende Anwendung der Beitragssatzstabilität verstärkt ergänzend zur wettbewerbsorientierten Neuausrichtung den Wirtschaftlichkeitsdruck auf Krankenhäuser (Greiling 2005, S. 41). Rationalisierungsmöglichkeiten und Erlösverbesserungspotenziale müssen systematisch erschlossen werden, um kostenwirtschaftlich arbeiten zu können. Eine betriebswirtschaftliche Führung gewinnt in Krankenhäusern an Bedeutung. „Krankenhäuser bedürfen heute eines Managements, wie es modernen komplexen Dienstleistungsbetrieben entspricht“ (Gutjahr 2003, S. 15). In den 90er Jahren fanden daher in vielen Krankenhäusern umfassende Reorganisationsprozesse statt. Lüttecke (2004) stellt Aspekte der Gegenwart Herausforderungen der Zukunft gegenüber (siehe Tabelle 2, Lüttecke 2004). Tabelle 2: Spannungsfeld Krankenhaus
Gegenwart
Zukunft
Relativ schneller wissenschaftlicher Fortschritt
Immer schnellerer wissenschaftlicher Fortschritt
Bislang noch finanzielle Unterstützung durch Länder und Kommunen
Wirtschaftliche Konsolidierung, unklare finanzielle Unterstützung in der Zukunft
Traditionelles Krankenhaus
Mehr Service und Dienstleistungen; das Krankenhaus wird zu einem Gesundheitszentrum
Geringerer Wettbewerb zwischen den Einrichtungen
Verschärfter Wettbewerb mit anderen Konkurrenten
Koexistenz der Krankenhäuser
Positionierung gegenüber der Konkurrenz
Aber nicht nur die exogenen und endogenen Entwicklungen verändern Anforderungen an Krankenhäuser. Auch Veränderungen auf Patientenseite führen dazu, dass diese immer mehr als Kunden betrachtet und in den Fokus gerückt werden. Kundenorientierte Unternehmensoder Organisationsführung wird auch im Krankenhaussektor immer wichtiger. 2.4.3
Veränderungen auf Patientenseite
Neben den bereits dargestellten Anspruchsgruppen haben Krankenhäuser es mit mehreren Kundentypen zu tun (Fisk et al. 1990). Primär sind hier Patienten/Versicherte, Ärzte/Empfehler, Krankenkassen/Kostenträger und Angehörige/Empfehler zu nennen, wobei Pa
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Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
tienten die zentrale Bezugsgruppe darstellen. Auch die Patienten selbst verstehen sich zunehmend als Kunden und möchten auch so behandelt und beworben werden (Lüttecke 2004). Sie haben als Kunden immer dezidiertere Ansprüche an die Dienstleistungserstellung eines Krankenhauses8 (Fuchs 2003; Greiling 2005). Die Patientenrolle verändert sich vom traditionell passiven Leistungsempfänger zum aktiven Mitgestalter. Die neue aktivierte Rolle äußert sich darin, dass Patienten selbstbewusster, selbstverantwortlicher, emanzipierter, mündiger und informierter handeln (siehe z.B. Berkowitz und Flexner 1981; Boscarino und Steiber 1982; Rosenstein 1986; Lane und Lindquist 1988; Mechanic 1996; Mechanic 1998; Riegl 2000; Robinson 2001; Verma und Sopti 2002; Coulter und Magee 2003; Laing et al. 2004; Phibbs et al. 2006). Das klassische Abhängigkeitsverhältnis wird durch ein partnerschaftliches Verhältnis ersetzt, das auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen beruht, „the patient-doctor relationship is shifting from paternalism to contractualism“ (Surbone und Lowenstein 2003, S. 183), Gray (1997) nennt es “quasibusiness transaction”9. MacStravic (2000) spricht von einer „consumer revolution“. Ärzte und andere Gesundheitsdienstleister verkaufen ihre Leistungen aktiver (Coulter und Magee 2003) und werden zu ganzheitlichen Gesundheitsberatern (o.V. 2001): „An die Stelle des Abhängigkeitsverhältnisses wird ein partnerschaftliches Verhältnis treten, das auf gegenseitigem Respekt und Vertrauen beruht“ (Gutjahr 2003, S. 15; Jaakkola 2005). Die Veränderung der Patientenrolle und der Arzt-Patient-Beziehung ist auch von der Politik gewünscht. Maßnahmen zur Stärkung der Patientensouveränität zielen beispielsweise darauf ab, dass aus reinen Behandlungs“objekten“ aktive Co-Produzenten der medizinischen Dienstleistung werden. Maßnahmen der Bundesregierung sollen durch institutionelle Einrichtungen (z.B. Patientenbeauftragte, Beschwerdestellen, Verbraucherberatungsstellen etc.) Informationsasymmetrien reduzieren10. Vor allem das Internet und die bewusste Thematisierung von Gesundheitsaspekten sorgen dafür, dass das Informationsangebot steigt und Patienten sich immer einfacher und schneller informieren können (z.B. Laing et al. 2004). Zudem haben Verbraucherschutzorganisationen und –magazine die Nachfrage nach Informationen dieser Art erkannt. Bereits 1997 und 1999 bewertete die Stiftung Warentest Kliniken in Berlin und Köln, Düsseldorf und Essen. Inzwischen erschienen Tests in diversen Zeitschriften und Büchern. Auch das Verbrauchermagazin „Ökotest“ veröffentlichte im September 2002 umfas-
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Eine ausführliche Diskussion zu Bedürfnissen, Erwartungen und Zufriedenheitsfaktoren findet sich beispielsweise bei Montaglione (1999). Rollen und Beziehungsmodelle werden in Abschnitt 3.2 näher diskutiert. Mikroökonomisch sind dem „souveränen“ Konsumenten allerdings Grenzen gesetzt, da Gesundheitsdienstleistungen für Patienten nur eingeschränkte Konsumentensouveränität zulassen (Greiling 2005).
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sende Testergebnisse zu deutschen Fachkliniken (siehe Abbildung 6). Die Redaktion bewertete je etwa 100 Frauenheilkunde-, Geburts-, Onkologie und Orthopädie-Kliniken nach Erfahrungen von Medizinern, Serviceleistungen gegenüber Patienten, pflegerischer Qualität, Integration des Hauses in vertikale und horizontale Versorgung und medizinische Unterstützung.
Abbildung 6: Screenshot der Ökotest-Homepage zum Kliniktest
Auch große Tages- und Publikumszeitschriften thematisieren in regelmäßigen Abständen Gesundheitsthemen und Klinik- oder Ärztevergleiche. Ein Klinikvergleich des „Tagesspiegels“ untersuchte im Jahre 2007 sämtliche Berliner Kliniken und berichtete über die Ergebnisse in einer 14-teiligen Serie. Bereits seit 1993 veröffentlichte das Magazin „Focus“ regelmäßig Ärztelisten. Die beschriebenen Einstellungs- und Verhaltensveränderungen auf Seiten der Patienten haben großen Einfluss auf Krankenhäuser. “In short, changing conditions require a different model of clinician-patient relationship” (Mechanic 1998b, S. 283). Daher spielt eine gewisse „Kundenorientierung“, also eine Ausrichtung an den Anforderungen und -wünschen der Patienten im Rahmen einer modernen Krankenhausbehandlung eine immer größere Rolle, um Patienten zu gewinnen. Zusätzlich streben Ärzte heutzutage zunehmend nach typischen Geschäftszielen (z.B. finanzielle und ökonomische), während steigender Wettbewerb sie zwingt, sich mehr und mehr auf Patientenbetrieb und Empfehlungen zu verlassen (Leisen und Hyman 2004).
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Das Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem
“The health care system is becoming increasingly consumer driven” (Robinson 2001, S. 2625). Die Branche reagiert: “the health care market is adopting a stronger consumer orientation” (Peyser 1997a, S. 18). Diese stärkere Kundenorientierung wird also für Krankenhäuser im dynamischen Umfeld der Gesundheitsbranche immer wichtiger. Um sich kundenorientiert ausrichten zu können, ist zwingend erforderlich, Denkstrukturen der Patienten genauer zu durchleuchten, um Einstellungen und Entscheidungen dieser zu verstehen. Hier stehen Fragen wie „Wie bildet sich Vertrauen ins Krankenhaus?“ und „Welche Ebenen des Vertrauens existieren und wie beeinflussen sie sich?“ im Mittelpunkt, auf die im Rahmen dieser Arbeit Antworten gefunden werden sollen. Bevor dies im Rahmen der empirischen Studie getan wird, folgt nun in Kapitel 3 eine Auseinandersetzung mit den wichtigsten theoretischen Grundlagen, die als Basis für die weiteren Ausarbeitungen dienen.
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Theoretische Grundlagen
Im Rahmen dieses Kapitels werden für die empirische Erhebung und ihre Analyse relevante theoretische Grundlagen skizziert, die dann im Ergebniskapitel 5 aufgegriffen und mit der Empirie verwoben werden. Im ersten großen Abschnitt werden Gesundheitsdienstleistungen als Dienstleistungen eingeordnet und ihre Besonderheiten erläutert, um ein besseres Verständnis der Facetten der Beziehung zwischen Gesundheitsdienstleister und Patient zu erhalten (siehe Abschnitt 3.1). Es folgen im zweiten Teil medizinsoziologische Überlegungen zur Arzt-Patient-Beziehung und ihren Rollenverständnissen (siehe Abschnitt 3.2). Existierende Arzt-Patient-Beziehungsmodelle werden diskutiert sowie Aspekte der Krankenhaussoziologie beschrieben, bevor das zentrale Charakteristikum der sozialen Asymmetrie zwischen Patient und Arzt erläutert wird. In den Ausführungen wird deutlich, dass das Vertrauen von Patienten von großer Bedeutung ist. Im dritten Teil wird die bisherige Vertrauensforschung fokussiert (siehe Abschnitt 3.3). Eine generelle Einführung, ein Einblick in ausgewählte Modelle der Vertrauensbildung und ein Überblick über mögliche Vertrauensebenen und –objekte/personen sollen hier vorerst ausreichen, da die relevanten Aspekte im empirischen Kapitel wieder aufgegriffen und fortgeführt werden. Alle Erläuterungen dieses Kapitels sollen einen Überblick über die sogenannten „sensitizing concepts“11 (siehe z.B. Strauss und Corbin 1998), also das Vorverständnis geben, das den Forschungsprozess begleitet, formt und Orientierung gibt (Auer-Srnka 2009; siehe auch Abschnitt 4.1). Diese generellen Konzepte bieten einen Rahmen für Überlegungen und spätere Interpretationen und sollten daher offen gelegt werden, um das bestehende Vorwissen zu explizieren. 3.1
Einordnung der Krankenhausleistungen in den Dienstleistungskontext
Dienstleistungen können gemäß der populären Drei-Phasen-Auffassung folgendermaßen definiert werden: „Dienstleistungen sind selbstständige, marktfähige Leistungen, die mit der Bereitstellung und/oder dem Einsatz von Leistungsfähigkeiten verbunden sind (Potenzialorientierung). Interne und externe Faktoren werden im Rahmen des Erstellungsprozesses kombiniert (Prozessorientierung). Die Faktorenkombination des Dienstleistungsanbieters wird mit dem Ziel
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Blumer (1969) prägte diesen Begriff der generellen Konzepte, die einen Rahmen für Überlegungen und Interpretationen bieten.
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Theoretische Grundlagen
eingesetzt, an den externen Faktoren, an Menschen und deren Objekten nutzenstiftende Wirkungen zu erzielen (Ergebnisorientierung)“ (Meffert und Bruhn 2009, S. 19). Krankenhausleistungen sind mit dem Einsatz von Leistungsfähigkeiten verbunden und kombinieren dabei interne Faktoren wie Räume, Personal, Ausstattung und externe Faktoren (Patienten), um an letzteren nutzenstiftende Wirkungen zu erzielen (nämlich sie zu heilen i.w.S.). Daher fallen Krankenhausleistungen klar unter den Dienstleistungsbegriff. Sie weisen dabei eine Reihe von Merkmalen auf, die nun genauer betrachtet werden sollen. Dabei wird die typische Krankenhausleistung erst gemäß der klassischen Dienstleistungsmerkmale eingeordnet, um anschließend die Besonderheiten der Leistungen näher zu betrachten. 3.1.1
Konstitutive Merkmale von Gesundheitsdienstleistungen
Gesundheitsdienstleistungen, wie sie von einem Krankenhaus typischerweise erbracht werden, können gemäß der konstitutiven Dienstleistungsmerkmale12 charakterisiert werden (siehe z.B. Lovelock und Wright 1999; Greiling 2005; Bruhn und Georgi 2006; Arnold 2007; Berry und Bendapundi 2007; Meffert und Bruhn 2009). Abbildung 7 gibt einen Überblick über die wichtigsten Merkmale. Krankenhausdienste stellen in erster Linie immaterielle Leistungen dar (z.B. Diagnose, Therapie, Pflege, Hotelversorgung). Eine typische medizinische Dienstleistung kombiniert häufig intangible Dienstleistungen mit unterstützenden tangiblen Gütern (z.B. eine Operation in einem Operationssaal ausgerüstet mit technischen Gerätschaften). Ferner erfolgt eine Integration externer Faktoren im Produktionsprozess, d.h. Patienten müssen in den Prozess der Dienstleistungserstellung zwingend miteinbezogen werden. Weil Patienten selbst also wichtige integrative Bestandteile der Dienstleistung sind, fungieren sie somit in einer Doppelfunktion als Nachfrager und Co-Produzenten. Medizinische Dienstleistungen und im Besonderen Krankenhausleistungen sind typischerweise vom Konsumenten untrennbar, da Patienten i.d.R. physisch anwesend sein müssen, um untersucht und behandelt werden zu können. In Abhängigkeit vom Interaktionsbezug zwischen Leistungserbringer und Kunde klassifizieren Mill und Margulies (1980) Dienstleistungen in quasi-industrielle Dienstleistungen, gemischte Dienstleistungen und interaktionsorientierte Dienstleistungen. Kran-
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Auch wenn diese konstitutiven Merkmale für ihre recht akademische Ausrichtung oftmals kritisiert wurden und zu vereinfachende Realitätsabbildung, werden sie doch noch in den meisten Lehrbüchern zum Thema Dienstleistungsmarketing angewandt, da sie gut geeignet sind, um Dienstleistungen zu charakterisieren und generelle Implikationen für das Dienstleistungsmarketing daraus abzuleiten.
Theoretische Grundlagen
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kenhausdienstleistungen sind dem dritten Bereich zuzuordnen und dabei als persönlichinteraktive Dienstleistungen zu bezeichnen, bei denen der Kundenkontakt im Mittelpunkt steht. Zentral ist, dass Patienten als Co-Produzenten das Ergebnis einer Dienstleistung deutlich mitbestimmen, z.B. durch ihre Compliance13 an der Therapie.
Beschränkte Substitutionalität der Produktionsfaktoren
Zumeist immaterielle Leistungen (z.B. Diagnose, Therapie, Pflege, Hotelversorgung)
Heterogenität
Integration externer Faktoren (Patienten Nachfrager und CoProduzenten)
Begrenzte Reversibilität
Nichttransportfähigkeit
Simultane Produktion und Konsum (nicht lager- oder speicherbar und somit verderblich)
Abbildung 7: Konstitutive Merkmale von Krankenhausleistungen
Weil Dienstleistungen simultan für jeden Kunden produziert und konsumiert werden (sogenanntes Uno-Actu-Prinzip), sind Gesundheitsdienstleistungen in produktionswirtschaftlicher Hinsicht nicht lager- oder speicherbar und somit nicht konservierbar. Da die meisten Krankenhausleistungen nur in dem Moment in Anspruch genommen werden können, in dem sie produziert werden, können sie nur sehr eingeschränkt auf Vorrat produziert werden. Aufgrund der Anforderung an Krankenhäuser, ihre Kapazitäten so zu bemessen, dass jederzeitige Leistungsfähigkeit möglich ist, müssen diese auf Spitzenlasten ausgerichtet und auf Extremsituationen eingestellt sein (siehe auch Greiling 2005). Nachfrageschwankungen treten als Beschäftigungsschwankungen auf.
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In der Medizin meint die „Compliance“ des Patienten sein kooperatives Verhalten im Rahmen der Therapie. Der Begriff kann als Therapietreue übersetzt werden. Eine gute Compliance entspricht dem konsequenten Befolgen der ärztlichen Ratschläge (Scherenberg 2003).
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Theoretische Grundlagen
Die vorherrschende Immaterialität der Dienstleistungen und die notwendige physische Anwesenheit von Patienten impliziert eine Nichttransportfähigkeit für einen Großteil der Gesundheitsdienstleistungen (Greiling 1998)14. Im Zusammenhang mit dem Uno-Actu-Prinzip sind medizinische Dienstleistungen nur begrenzt reversibel, da Rückgabe oder Umtausch ausgeschlossen und Nachbesserungen nur teilweise möglich sind (Arnold 2007). Medizinische Leistungen sind weiterhin als heterogen zu bezeichnen, weil Patienten sich in für die Dienstleistung relevanten Eigenschaften unterscheiden können (z.B. Befindlichkeit, Ängste, Reaktionen des Körpers auf Therapien). Da der „externe Faktor Patient“ also recht unterschiedlich gestaltet sein kann, sorgt dies für heterogene Ergebnisse. So kann sogar eine relativ standardisierte Dienstleistung (z.B. Blutabnahme und –test) für verschiedene Patienten sehr unterschiedlich ablaufen und von ihnen auch unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt werden. Ein weiteres für Dienstleister typisches Merkmal ist die beschränkte Substitutionalität der Produktionsfaktoren: Die Patientenbezogenheit und Arbeitsintensität der Krankenhausdienstleistungen sorgt dafür, dass die menschliche Arbeitskraft nur in geringem Maße durch Maschinen ersetzt werden kann (siehe auch Greiling 2005). Klare Grenzen für Rationalisierungsbestrebungen sind die Folge. 3.1.2
Besonderheiten von Gesundheitsdienstleistungen
Wie schon in der Einleitung und Problemstellung angeschnitten, stellen Gesundheitsdienstleistungen einen ganz besonderen Typus einer Dienstleistung dar. Makroökonomisch gesehen unterscheiden sich Krankenhausdienstleistungen durch ihr „Dienstleistungsmonopol“ (Freidson 2007, S. 168). Im Rahmen der medizinischen Leistung eines Krankenhauses stehen persönliche, hoch individualisierte, interaktionsorientierte, eher zeitraumbezogene und immaterielle Dienste und Leistungen im Vordergrund. Medizinische Dienstleistungen sind komplexe und divergente „high involvement, high contact encounters” (Hausman 2004) und können auch als „pure services“ beschrieben werden (Solomon et al 1985). Ferner sind Krankenhaus-
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Auch im medizinischen Sektor ist mittlerweile mit Hilfe moderner Kommunikations- und Informationstechnologien der Transport von Dienstleistungen realisierbar, wenn z.B. während einer Operation Experten herangezogen werden, die via Satellit mit dem Operationsteam kommunizieren. Zu den transportfähigen medizinischen Dienstleistungen gehören aber auch alle Dienstleistungen, die keine physische Anwesenheit des Patienten bedingen, z.B. Labortests von Körperflüssigkeiten oder –gewebe sowie vorbereitende Leistungen wie z.B. die Erstellung von künstlichen Gelenken.
Theoretische Grundlagen
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leistungen als professionelle Dienstleistungen zu bezeichnen (z.B. Laing et al 2004), da sie “labor and skill intensive” (Berry und Bendapundi 2007, S. 113) sind. Sie bestehen i.d.R. aus Eins-zu-eins Interaktionen (z.B. zwischen Facharzt und Patient). Ein häufiges Zusammentreffen mit demselben Arzt ist nicht untypisch, ebenso wie eine substantielle Variabilität der Leistung über alle Zusammentreffen hinweg (Hausman 2004). Anhand von typischen Dimensionen sind Krankenhausleistungen also in einem Eigenschaftsprofil (angelehnt an Meffert und Bruhn 2009) folgendermaßen einzuordnen (siehe Abbildung 8): Persönlich
Unpersönlich/ automatisiert
Am Menschen
Am Objekt
Ergebnisorientiert
Prozessorientiert
Konsumtiv
Investiv
Materieller Prozess
Immaterieller Prozess
Intellektuell, professionell, wissensintensiv
Handwerklich
Leistungen individualisiert/ maßgeschneidert
Leistungen nicht individualisiert/ standardisiert
Kreativ
Repetitiv
Problembehaftet
Problemlos
Kontinuierlich/ zeitraumbezogen Mitgliedschaftsähnliche Beziehungen
Diskret/ zeitpunktbezogen Keine formale Beziehung
Personenbezogen
Ausrüstungsbezogen
Abbildung 8: Verortung der Krankenhaus-Dienstleistungen auf Dienstleistungsdimensionen
Neben den genannten Merkmalen lassen sich - in Abgrenzung zu anderen “konventionellen” Dienstleistungen - sieben weitere deutliche Unterschiede der medizinischen Leistungen herausstellen, die im Folgenden beschrieben werden sollen (siehe Hausman und Mader 2004; Hausman 2004; Greiling 2005; Berry und Bendapundi 2007).
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Theoretische Grundlagen
3.1.2.1 Patienten sind unwissend Ein Kernmerkmal, was sich bei einigen anderen professionellen Dienstleistungen wiederfindet, ist die extreme Informationsasymmetrie zwischen Dienstleister und Kunde/ Patient (Goold 2001; Laing et al. 2004; siehe auch Abschnitt 3.2.4). Patienten haben nur unzureichende Kenntnisse über die für sie notwendigen Leistungen, „customers are at a considerable knowledge disadvantage when they use health care services“ (Berry und Bendapundi 2007, S. 113). Daher können Patienten in den meisten Fällen nicht einschätzen, welche Leistungen sie überhaupt benötigen und müssen den Behandlungsentscheidungen der Ärzte vertrauen. “Patients do not know beforehand what kind of care they need and usually cannot judge with hindsight whether the care they did receive was actually necessary and effective” (Straten et al. 2002, S. 228). Dies sorgt wiederum für eine extreme Machtasymmetrie zwischen Dienstleister und Patient. Selbst während oder nach Abschluss des Leistungserbringungsprozesses können Patienten grundsätzlich nur sehr begrenzt die Qualität der Behandlung, d.h. Primärleistungen (das Herbeiführen einer positiven Gesundheitsstatusveränderung) sowie Sekundärleistungen erfassen und beurteilen, da ihnen das medizinische Fachwissen fehlt (Greiling 2005; Leisen und Hyman 2004). Krankenhausleistungen sind Vertrauensgüter, „health care is credence service“ (Berry und Bendapundi 2007, S. 113). Da die technische Qualität schwierig zu bewerten ist, ziehen Patienten häufig die Zimmerausstattung oder das Verhalten der Mitarbeiter als Indikatoren für Kompetenz heran. Bei der Wahl eines Krankenhauses steht für Patienten oftmals nicht das medizinische und pflegerische Angebot eines Krankenhauses im Vordergrund, sondern die geografische Lage, unterschiedliche Behandlungsmethoden etc. (Greiling 2005). Im Normalfall ist das eigentliche medizinische und pflegerische Leistungsangebot des Krankenhauses im Detail ohnehin nur unzureichend bekannt (Hermanns und Kunz 2003). Daher können Patienten in der Regel Leistungen auch nur eingeschränkt frei wählen (Hermanns und Hanisch 2003). Das „Dreiecksverhältnis“ zwischen Leistungserbringer (Krankenhaus), Leistungsempfänger (Patient) und Leistungszahler (Krankenkasse) sorgt dafür, dass dem Patienten (im Fall der gesetzlichen Krankenversicherung) auch Preise für die Leistungen verborgen bleiben. Medizinische Dienstleistungen gehören also zu den wenigen Dienstleistungen, deren tatsächliche Kosten Kunden i.d.R. nicht kennen (siehe z.B. Berry und Bendapundi 2007). 3.1.2.2 Patienten sind krank Eine weitere Besonderheit im Rahmen der medizinischen Dienstleistungen ist die Tatsache, dass Patienten krank sind und daher unter Stress stehen (Zaner 1991; Goold 2001; Morgan ȱ
Theoretische Grundlagen
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2008b). Dies sorgt auch für eine Verstärkung der Machtasymmetrie. Viele Dienstleistungen sind mit Freude und Spaß verbunden, ein Krankenhausaufenthalt bedeutet für viele das Gegenteil. Die Kombination aus Krankheit, Schmerz, Unsicherheit und Angst sorgt dafür, dass Patienten emotionaler, fordernder, sensibler und abhängiger sind als Konsumenten herkömmlicher Dienstleistungen (Berry und Bendapundi 2007). Diese Mischung an Emotionen beeinflusst das Verhalten und Entscheidungen der Patienten maßgeblich. Wenige Dienstleistungen (Ausnahme: Hotels) erfordern das zeitweise „Leben“ in der Einrichtung. Diese Hospitalisierung (siehe Abschnitt 3.2.3.2) verstärkt Stress, „hospitals are frightening places“ (Berry und Bendapundi 2007, S.114). Patienten haben keine Kontrolle mehr über ihren Tagesablauf (Siegrist 1995) und können nicht kommen und gehen, wie sie möchten. Mangelnder Kontakt zur Natur, mangelnde physische und mentale Stimulation sowie fehlende Privatsphäre verursachen Stress (Berry und Bendapundi 2007). 3.1.2.3 Patienten sind widerwillig Im Gegensatz zu vielen anderen Dienstleistungen, die eher „gewollt“ sind, ist die Inanspruchnahme von Krankenhausleistungen von Patienten selber in den meisten Fällen kaum gewünscht (Hermanns und Hanisch 2003). „Health care is a rare service that people need but do not necessarily want“ (Berry und Bendapundi 2007, S. 111). Patienten sehen medizinische Dienstleistungen eher als lästig und störend an (im Ansatz vergleichbar mit Dienstleistungen der Flughafensicherheit oder KFZ-Regulierung) und haben Angst. Diese Einstellung könnte die Wahrnehmung der Servicequalität beeinflussen (Berry und Bendapundi 2007). Ebenso erschwert sie die oftmals geforderte Mitarbeit der Patienten, wenn sie sich sträuben, aktiv an der Therapie mitzuwirken, also „co-producer“ oder „partial employee“ (Mills und Morris 1986) zu sein. Diese Kooperation ist allerdings notwendig, um erfolgreiche gesundheitliche Resultate zu erzielen (Hausman 2004). Gerade auf den Patienten angepasste und stark individualisierte Dienstleistungen werden in großem Maße von der Qualität der Teilnahme und Kooperation beeinflusst (Shaffer und Sherrell 1995; Greiling 2005). 3.1.2.4 Patienten geben ihre Privatsphäre auf Medizinische Dienstleistungen stellen einen sehr persönlichen, intimen Austausch dar, sie sind “the most personal and important service that consumers buy” (Berry und Bendapundi 2007, S.111). Im Gegensatz zu klassischen Dienstleistungen müssen sich Patienten vor Fremden körperlich und psychisch offenbaren (siehe dazu auch Abschnitt 3.2.3.2) und teilweise in großem Maße manipulieren lassen (z.B. im Rahmen einer Operation durch die Narkose und den körperlichen Eingriff).
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Theoretische Grundlagen
3.1.2.5 Patienten brauchen ganzheitlichen und individuellen Service Komplexe medizinische Dienstleistungen müssen in hohem Maße individualisiert werden, was eine große Herausforderung für Gesundheitsdienstleister darstellt. Behandlungen und Therapien müssen auf Patienten exakt zugeschnitten werden (z.B. gemäß Alter, mentaler Verfassung, Persönlichkeit, Präferenzen, Familienumstände und finanzieller Situation). Dies verlangt ein ganzheitliches Verständnis der Patienten, wie es nur wenige andere Dienstleistungen erfordern (Berry und Bendapundi 2007). 3.1.2.6 Patienten tragen Risiko Bei kaum einer anderen Dienstleistung tragen Patienten ein solch großes Risiko (Berry und Bendapundi 2007). Dies liegt zum einen daran, dass es in Krankenhäusern häufig um die Behandlung und Heilung schwerer Krankheiten geht, die eine Gefahr für das Leben der Patienten bedeuten können, zum anderen daran, dass der Therapieausgang bei der Behandlung von vielen Erkrankungen oftmals ungewiss ist und nicht immer antizipiert werden kann. Dazu kommt noch die Tatsache, dass „health care is quite unsafe“ (Berry und Bendapundi 2007, S. 116). Generell herrscht in diesem Umfeld ein hohes Risiko, was beispielsweise Infektionen, Medikamentenfehler oder Kommunikationsfehler angeht15. Bei keiner anderen Dienstleistung allerdings können Fehler so gravierende Konsequenzen haben. 3.1.2.7 Hohe Anforderungen an Krankenhaus-Mitarbeiter Nicht viele Dienstleistungen stellen so hohe Anforderungen an Mitarbeiter wie medizinische und pflegerische Tätigkeiten. Patienten zu versorgen ist sowohl physisch anstrengend (z.B. durch lange Schichten, körperlich fordernde Tätigkeiten) als auch psychisch anstrengend, da Mitarbeiter häufig starken Emotionen ausgesetzt sind (Berry und Bendapundi 2007). Die Dauer und Intensität, aber auch Vielfalt der Emotionen stellt eine extreme Belastung dar (Morris und Feldman 1996, 1997). Krankenhausmitarbeiter empfinden beispielsweise Empa-
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Eine Auswertung von zahlreichen Studien ergab, dass pro Jahr im Krankenhausbereich mit 5–10 % unerwünschter Ereignisse, 2–4 % Schäden, 1 % Behandlungsfehler und 0,1 % Todesfälle, die auf Fehler zurückgehen, zu rechnen ist. Bei jährlich 17 Millionen Krankenhauspatienten entspricht dies 850.000 bis 1,7 Mio. unerwünschten Ereignissen, 340.000 Schäden (vermeidbare unerwünschte Ereignisse), 170.000 Behandlungsfehler (mangelnde Sorgfalt) und 17.000 auf vermeidbare unerwünschte Ereignisse zurückzuführende Todesfälle. Der gesamte ambulante Bereich ist darin nicht enthalten (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, „Kooperation und Verantwortung“, BMG 2007). Im Jahr 2000 hat eine Analyse des Institute of Medicine (Titel des Berichts: "To Err is Human") ergeben, dass es in den USA jährlich zu 44.000 bis 98.000 (Krankenhaus-) Todesfällen komme, die durch Fehler verursacht werden, womit die tödliche Komplikationsrate, bezogen auf die Einwohnerzahl, ähnlich hoch wie in Deutschland liegen dürfte. Die Zahl der "unerwünschten Ereignisse" liege, laut Süddeutscher Zeitung, vermutlich zwischen 5 und 10% der jährlich 17 Millionen behandelten (Krankenhaus-) Patienten in Deutschland (Operationsfeld Patient, Süddeutsche Zeitung, 4. Juni 2008, Seite 2).
Theoretische Grundlagen
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thie mit Patienten, überbringen negative Nachrichten im Bezug auf Diagnosen oder fürchten Klagen. 3.1.3
Fazit
Die skizzierten Merkmale der Krankenhausdienstleistungen machen eindrucksvoll deutlich, dass es sich um eine sehr spezielle Form von Dienstleistungen handelt, die nicht mit den meisten üblichen Dienstleistungsangeboten zu vergleichen ist. Diese Tatsache legt bereits nahe, dass auch Vertrauen im Rahmen dieser Dienstleistungserstellung eine besondere Position einnimmt. Medizinische Dienstleistungen gehören zu den „trust-relevant exchanges“, da sie sich (a) durch einen hohen Grad an Leistungsambiguität, (b) bedeutsame Konsequenzen und (c) eine große Abhängigkeit des Konsumenten auszeichnen (Singh und Sirdeshmukh 2000, S. 154; Sitkin und Roth 1993). Aber bevor die Bedeutung von Vertrauen als fokales Konstrukt dieser Arbeit betrachtet wird (siehe Abschnitt 3.3), sollen die nun folgenden Ausführungen die Perspektive der Medizinsoziologie veranschaulichen, die sich auch mit Beziehungen zwischen Arzt und Patient und weiteren dafür relevanten Aspekten beschäftigt und daher berücksichtigt werden soll. 3.2
Medizinsoziologische Überlegungen
In diesem Kapitel sollen für die Thematik der Arbeit relevante medizinsoziologische Grundlagen skizziert werden. Dazu gehört die Diskussion der Rollen der Beteiligten (siehe Abschnitt 3.2.1) und der bekanntesten Beziehungsmodelle (siehe Abschnitt 3.2.2). Auch Aspekte der Krankenhaussoziologie (siehe Abschnitt 3.2.3) und mit der Asymmetrie eines der konstituierenden Merkmale der Arzt-Patient-Beziehung (siehe Abschnitt 3.2.4) sollen erörtert werden. Die Betrachtung von Rollen erscheint in diesem Rahmen sinnvoll, da Rollen Erwartungen formen, damit auch Vertrauenserwartungen, welche wiederum über Vertrauensbildung oder -erosion bestimmen. Daher sollte dies später bei der Interpretation der Probandenaussagen berücksichtigt werden. Beispielsweise weist Siegrist (1976) auf den Einfluss der Rolle hin: „Wer subjektiven Äußerungen der Betroffenen eine vorrangige Bedeutung beimisst, muss sich im Klaren darüber sein, dass diese stets im Rahmen übergreifender struktureller Bestimmungen der Patientenrolle, d.h. im Rahmen eines vorgegebenen Gefüges von Erwartungs- und Verhaltensmustern zu interpretieren sind“ (Siegrist 1976, S. 26). In Beziehungsmodellen werden die Rollen von Patienten und Ärzten in einen Beziehungskontext gestellt. Ferner erscheint es notwendig, Beziehungen zu betrachten, um ein Beziehungskonstrukt wie Vertrauen überhaupt untersuchen zu können. Krankenhaussoziologie ist ein bedeutsamer Forschungsstrang der Medizinsoziologie und wurde in die Literaturanalyse mit
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Theoretische Grundlagen
einbezogen, um den strukturellen Kontext zu verdeutlichen, der Vertrauenserwartungen und Vertrauenshandlungen maßgeblich beeinflusst. Nach näherer Sichtung wurde deutlich, dass viele auch für das Vertrauen von Patienten bedeutsame Rahmenbedingungen und Randaspekte, wie z.B. das Machtungleichgewicht, dort bereits thematisiert werden. Die Medizinsoziologie umfasst sozialwissenschaftliche Erkenntnisse, die für die Medizin von wachsender Bedeutung sind 16 . Sie wendet Begriffe, Methoden, Beobachtungswissen und Theorien der allgemeinen Soziologie bei der Analyse von Phänomenen der Gesundheit und Krankheit an. Dabei befasst sich die Medizinsoziologie mit Faktoren wie organisationaler Struktur, Rollenbeziehungen, Wertesystemen, Ritualen und Funktionen der Medizin als Verhaltenssystem (Freidson 2007). „Zu ihrem Gegenstandsbereich gehören nicht nur Erkenntnisse zur Entstehung, Verhütung und zum Verlauf von Krankheiten sowie zur Förderung von Gesundheit, sondern auch Erkenntnisse zur Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit durch gesellschaftliche Gruppen und Institutionen“ (Siegrist 1995, S. 4). Diese tragen z.B. zur Optimierung des diagnostischen, prognostischen, therapeutischen und präventiven Handelns sowie zur Verbesserung ärztlicher Kooperationsbeziehungen und zur Selbstreflexion des Arztes bei (Siegrist 1995). 3.2.1
Die Kernbeziehung Arzt-Patient und ihre Rollen
Die typische Arzt-Patient-Beziehung stellt „eine institutionalisierte soziale Beziehung für die Erfüllung von medizinischen Dienstleistungen am Patienten auf der Grundlage eines auf Vertrauen, Freiwilligkeit und Verantwortung gegründeten Arbeitsbündnisses zwischen Arzt und Patient“ (o.V. 2008c) dar. Im Mittelpunkt der idealtypischen Konzeption steht die Überwindung der Krankheit als Zweck und Ziel einer derartigen Beziehung. Diese klassische Definition geht von drei zentralen Begriffen aus: Freiwilligkeit, Vertrauen und Verantwortung. Der Patient sucht den Arzt seiner Wahl freiwillig auf, ebenso entscheidet der Arzt im Allgemeinen, ob er den Patienten behandelt. Der Patient vertraut dem Arzt und der durch diesen vertretenen medizinischen Wissenschaft, während der Arzt, indem er die Krankheit zu bewältigen versucht, das Vertrauen zwischen sich und seinem Patienten ständig erneuert und bekräftigt. Schließlich tragen Arzt und Patient eine gemeinsame Verantwortung für den Prozess der Heilung und Genesung. Im Mittelpunkt dieser klassischen und idealtypi-
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Gründe dafür sind z.B. darin zu finden, dass Sachverhalte wie Gefühle oder Motivationen bei Befindensstörungen und körperlichen Erkrankungen eine wichtige Rolle spielen, soziale Einflüsse der Arbeitswelt oder Vergesellschaftung entscheidende Determinanten von Krankheiten darstellen, und die Behandlung von Kranken in einem psychosozialen Kontext erfolgt (siehe Siegrist 1995).
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schen Konzeption der Arzt-Patient-Beziehung steht einerseits die Krankheit als diagnostisches und therapeutisches Problem des Arztes und andererseits die Überwindung der Krankheit als Zweck und Ziel einer derartigen Beziehung zwischen Arzt und Patient. Die Arzt-Patient-Beziehung stellt eine besondere, wenn nicht sogar extreme Form der zwischenmenschlichen Beziehung dar. Sie ist gekennzeichnet durch ein hohes Maß an Intimität und Ausgesetztsein und wird verbunden mit Eingriffen und Veränderungen in die Existenz des Menschen (Kampits 1996; Geisler 2002). Als Hauptcharakteristikum der Beziehung ist die extreme Asymmetrie zwischen Arzt und Patient zu sehen (siehe Kapitel 3.2.3). In jeder Begegnung im Rahmen einer Dienstleistungserstellung („service encounter“), zu dem auch das Zusammentreffen von medizinischen Dienstleister und Patient/Kunde gehört, spielt jeder Teilnehmer eine Rolle („a set of learned behaviors“) (Solomon et al. 1985; Nerdinger 2000). Unter einer sozialen Rolle versteht man ein „Bündel von Normen, die sich auf eine bestimmte Position beziehen“ (Siegrist 1995, S. 98) oder „a cluster of social cues that guide and direct an individual’s behavior in a given setting“ (Solomon et al. 1985, S. 102; siehe auch Grove und Fisk 1983). Rollenverständnisse prägen Erwartungen von Patienten und auch Ärzten (Rohde 1974). Diese Rollenerwartungen umfassen Privilegien und Pflichten. Rollen stellen ein wichtiges Thema in der medizinsoziologischen Literatur dar, daher folgen im Rahmen der nächsten Abschnitte Ausführungen zu verschiedenen Rollenverständnissen. Generell stehen Arzt und Patient – formal gesehen – immer in zwei komplementären Rollen zueinander. Das Leiden, eine Grunderfahrung im menschlichen Leben, wird in der ArztPatient-Beziehung zu einer spezifischen, nach den Prinzipien der ärztlichen Wissenschaft zu behandelnden Krankheit transformiert und somit gleichsam objektiviert (o.V. 2008c). Der Patient hingegen ist (in der Doppelrolle) Träger der Krankheit und leidendes Individuum. Der Arzt ist einerseits in Bezug auf seinen Untersuchungsgegenstand Erkrankung und sein Behandlungsobjekt Patient als Träger der Krankheit Professioneller, Experte, Spezialist oder Heiltechniker. Zum anderen ist er im Hinblick auf die persönliche Einstellung zu seinem leidenden Patienten verständnisvoller, zur Einfühlung in fremd-seelisches Erleben fähiger Therapeut (siehe Abbildung 9, o.V. 2008c).
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Theoretische Grundlagen
Arzt in der Rolle des verständnisvollen Therapeuten
Arzt
Arzt in der Rolle des medizinischen Experten
Vertrauensverhältnis
Institutionalisierte Arzt-Patient-Beziehung z.B. in der Allgemeinpraxis oder im Krankenhaus
Dienstleistungsverhältnis
Patient in der Rolle des leidenden Individuums
Patient
Patient in der Rolle des Krankheitsträgers
Abbildung 9: Rollen und Beziehungen zwischen Arzt und Patient
Die allgemeine Form der Beziehung besteht also aus einem Vertrauensverhältnis und einem Dienstleistungsverhältnis zwischen Arzt und Patient. Im Folgenden soll die Patientenrolle näher betrachtet werden, bevor die Ärzterolle beschrieben wird. 3.2.1.1 Patientenrolle Viele Überlegungen bezüglich Rollendefinitionen von Patienten und Ärzten basieren auf Ausführungen von Talcott Parsons (1951), der mit der „sick role“ des Patienten eines der frühesten Modelle des Patientenverhaltens präsentierte.17 Er wies darauf hin, dass Kranksein aus soziologischer Sicht nicht nur ein Zustand sei, sondern ein „kulturelles Phänomen“. In seiner sehr traditionellen Sicht werden Patienten als passiv beschrieben. Mit ihrer Rolle als Kranke sind vier generelle Erwartungen verbunden, die einerseits bestimmte Privilegien, aber
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Parsons untersuchte als einer der ersten Soziologen die Beziehung zwischen Patienten und Ärzten. Sein Interesse wurde geleitet von der Frage, wie die Gesellschaft reibungslos funktioniert und bei VerhaltensProblemen reagiert. Für ihn war die Existenz von institutionalisierten Rollen, die soziale Verhaltensmuster vorgeben, bedeutsam für eine funktionsträchtige Gesellschaft, da sie eine gewisse Erwartungssicherheit für alle Beteiligten garantieren. So besetzen Ärzte und Patienten soziale Rollen, die sie leiten und ihre Interaktion vereinfachen (siehe Morgan 2008a).
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auch Pflichten umfassen (Parsons 1951, siehe z.B. auch Rohde 1974; Siegrist 1995; Morgan 2008a): 1. Kranke Menschen sind von der Erfüllung ihrer normalen sozialen Rollenverpflichtungen befreit. Sie dürfen oder sollten „normale Aktivitäten“ und Verantwortlichkeiten aufgeben (z.B. der täglichen Arbeit nachgehen, Mannschaftssport betreiben etc.). 2. Kranke Personen werden i.d.R. für ihren Zustand nicht verantwortlich gemacht. Sie werden wahrgenommen als Pflegebedürftige, die allein durch ihre Entscheidungen und ihren Willen nicht gesunden können. 3. Kranke Menschen sind verpflichtet, so schnell wie möglich wieder gesund zu werden. Sie sollten die Motivation zeigen, schnell gesund werden zu wollen, da Kranksein ein unerwünschter Zustand ist. 4. Kranke Personen sind verpflichtet, professionelle medizinische Hilfe zu suchen und mit Ärzten zu kooperieren. Dies beweist den Willen, alles zur Wiederherstellung der Gesundheit zu unternehmen.18 Eine Rolle ist mit einem Bündel von Normen verbunden, welche Anspruch auf Verbindlichkeit haben. Somit kann Verhalten wider der Norm sanktioniert werden. Hier kann äußere (z.B. durch Personen aus dem Umfeld) und innere Kontrolle (z.B. durch sozialisierte „innere Zwänge“) greifen und die Normeinhaltung sichern (Schmädel 1975, S. 36). Parsons sieht die Krankenrolle als temporär an, die von der Gesellschaft konstruiert wurde mit dem Ziel, Kranke schnellstmöglich wieder in einen gesunden Zustand zu versetzen und sie als voll funktionierende Mitglieder der Gesellschaft wiederherzustellen. Sie ist auch als universelle Rolle zu sehen, die allen erkrankten Menschen zusteht und unabhängig ist von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Beruf oder Status (Morgan 2008a). Der Arzt schafft die Krankenrolle, indem er bestimmt, wer krank ist und wer nicht und somit als „Gatekeeper“ fungiert (Freidson 1988; siehe auch Abschnitt 3.2.1.2). Wie bereits in Abschnitt 2.4.3 beschrieben, ist diese klassische Rollenkonzeptualisierung nicht mehr unbedingt zeitgemäß, auch wenn sie einige der genannten Aspekte weniger als andere verändert haben. Mittlerweile ist der „aktivierte“ Patient eine weitere Rollenbeschrei-
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Hier findet sich bereits Vertrauen wieder. Gerade diese vierte Pflicht beinhaltet implizit auch ein gewisses Vertrauen in Ärzte, ohne das Patienten nicht kooperieren würden.
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bung, die sich in der Literatur findet. Aktivierte Patienten weisen die Passivität des Rollenverhaltens von Kranken zurück, übernehmen Verantwortung für ihre Pflege und akzeptieren die unangefochtene Autorität der Ärzte nicht mehr bedingungslos (Shaffer und Sherrell 1995; Pescosolido et al. 2001). Ihre neuen Verantwortlichkeiten beinhalten Verhaltensweisen wie die klare und ehrliche Definition des Problems, das Fragenstellen, die Nennung von Präferenzen, das Anbieten von Meinungen, der Vorschlag von Alternativen, die Erwartung, erhört zu werden und das Einholen einer zweiten Meinung (Steele et al. 1987). Welche Rolle ist nun die in der Praxis gängige? Es scheint, als ob beide (extremen) Rollenkonzeptualisierungen mit all ihren Mischformen heutzutage zu beobachten sind. Shaffer und Sherrell (1995) untersuchten beispielsweise in einer empirischen Studie, welche Rollen Patienten tatsächlich in einer Arzt-Patient-Begegnung übernehmen. Sie gruppieren Patienten anhand ihres Verhaltens per Clusteranalyse in drei Kategorien: bestimmend, aktiviert und unterwürfig. 50% der befragten Stichprobe stellten aktivierte Patienten dar. Andere Studien finden heraus, dass es von der Art der Erkrankung, der Erfahrung mit der Krankheit oder dem Bildungsniveau abhängt, ob Patienten sich eher passiv oder aktiv verhalten möchten (Coulter 1997; Morgan 2008a). 3.2.1.2 Ärzterolle Im Gegensatz zur „sick role“ des Patienten steht die „professional role“ des Arztes. In der Soziologie ist die Diskussion der „Professionen“, zu der auch der Arzt gehört19, ein wichtiges Thema (z.B. Freidson 1988 und 2007). Als Profession wird „an aggregate of people finding identity in sharing values and skills absorbed during a course of intensive training through which they all have passed” angesehen (Freidson 2007, S. 81). „Wesentliches Merkmal einer Profession ist die erlangte Autonomie auf Grundlage seiner spezialisierten Wissensbasis und seinem Versprechen, die Vertrauenswürdigkeit seiner Mitglieder gegenüber der Gesellschaft zu gewährleisten“ (Klemperer 2006, S. 61). Profession wird hier vom Beruf („occupation“) hauptsächlich abgegrenzt durch die Charakteristika „preeminence“ und „expert authority“. Eine Profession wie die des Arztes ist also einerseits mit einem gewissen Maß an Prestige und an Vormachtstellung verbunden. Andererseits hat ein Arzt die alleinige Autorität zu bestimmen, was Gesundheit und was Krankheit ist, wie Erkrankungen behandelt werden und wer ins Krankenhaus eingewiesen wird. Zudem hat er das alleinige Recht, Medikamente zu ver-
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Der Arzt wird als Archetyp einer Profession gesehen, weitere sind z.B. Rechtsanwalt, Lehrer oder Priester.
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schreiben. Der Arzt entscheidet dabei frei und ohne Beeinflussung durch Laien20 (z.B. Freidson 1988, S. 5; Freidson 2007, S. 82). Der Arzt ist als „Gatekeeper“ tätig, der Krankheit offiziell legitimiert und so Missbrauch der Privilegien der Krankenrolle verhindert (Freidson 1988). Dieses Entscheidungsrecht ist ein zentrales Monopol der ärztlichen Profession (Schmädel 1975). Die wichtigsten Charakteristiken einer Profession fasst Tabelle 3 (siehe Siegrist 1995; Jones 2008) zusammen. Tabelle 3: Charakteristika einer Profession
Jones 2008
Siegrist 1995
Eigenständiges Wissen unter Kontrolle der Mitglieder
Ihre Tätigkeit unterwirft sie einer normativen kollegialen Eigenkontrolle (z.B. anhand von Berufsgerichten); damit entzieht sie sich tendenziell sozialer Kontrolle durch Nicht-Experten.
Monopol über Dienstleistungsmarkt
Ihre Leistungen werden weitgehend als Monopol angeboten; darin wird die Profession vom Staat unterstützt (gesellschaftliches Mandat).
Autonomie über Arbeitsbedingungen und Unabhängigkeit von Bund und Ländern
Ihre Tätigkeit ist durch ein hohes Maß an beruflicher Autonomie gekennzeichnet (z.B. Ideal der Freiberuflichkeit).
Ethik-Kodex Altruismus ist ein zentrales Motiv und Leistung wird mehr geschätzt als finanzielle Entlohnung Ausbildung ist lang, ihre Qualität und ihr Inhalt werden von der Profession selbst bestimmt
Ihre Tätigkeit beruht auf spezialisiertem, in der Hochschule erworbenem und danach systematisch weiterentwickeltem Expertenwissen (Lizenz). Häufig, aber nicht immer, sind mit der Zugehörigkeit zu einer Profession hohes Sozialprestige (Ansehen, gesellschaftliche Wertschätzung) und hohes Einkommen verbunden.
20
Soweit zumindest in der Theorie. In der heutigen Praxis sind Ärzte nicht mehr völlig frei in ihren Entscheidungen, z.B. bezüglich der Wahl der Therapie oder der Medikamente, da die Krankenkassen und der Staat vor allem wegen des Kostendrucks viele Entscheidungen reglementieren.
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Diese professionelle Rolle der Ärzte steht komplementär zur Krankenrolle der Patienten. Sie bringt ebenfalls gewisse Erwartungen mit sich (Parsons 1951, siehe auch Siegrist 1995; Morgan 2008a): 1. Ärzte sollten einen hohen Grad an Wissen und Können bei der Behandlung von Krankheiten anwenden. 2. Ärzte sollten objektiv und affektiv neutral handeln, d.h. ihren Beruf ohne Beeinflussung durch persönliche Vorlieben und Gefühlsregungen ausüben. 3. Ärztliches Handeln sollte von einer Kollektivitätsorientierung und von einer universalistischen Einstellung geprägt sein, d.h. das Wohl des Patienten und der Gemeinschaft sollte im Vordergrund stehen und nicht das Eigeninteresse. 4. Ärzte sollten von Regeln des professionellen Handelns geleitet werden. In allen Punkten zeigt sich die Bekenntnis zu einer Art der Hilfeleistung, die mit einer Profession einhergeht. Hier kommt Vertrauenswürdigkeit ins Spiel, die durch die genannten Verpflichtungen einigermaßen gesichert wird. „Vom Arzt wird erwartet, dass er das Vertrauen seines Patienten rechtfertigt, dass er die Abhängigkeit und Verletzlichkeit des Patienten nicht ausnutzt“ (Klemperer 2006, S. 62). Um diesen Erwartungen gerecht zu werden, werden Ärzten auch gewisse Rechte zugestanden: 1. Ärzte dürfen Patienten physisch untersuchen und intime Fragen zum psychischen und persönlichen Leben stellen. 2. Ärzten wird Autonomie in der Ausübung ihrer Profession gewährt. 3. Ärzte besetzen eine Autoritätsposition in Relation zum Patienten. „Erwartet wird, dass das Vertrauen in den individuellen Arzt und in den ärztlichen Berufsstand von vornherein gerechtfertigt ist. Um die Integrität des einzelnen Arztes und der gesamten Profession zu gewährleisten, hat der Berufsstand im Rahmen seiner Selbstverwaltung vor allem sicher zu stellen, dass die Ärzte allen moralischen Versuchungen widerstehen, die Verletzlichkeit und Abhängigkeit ihrer Patienten auszunutzen. Dafür müssen Standards ärztlicher Kompetenz und ärztlichen Verhaltens definiert und eingehalten werden“ (Klemperer 2006, S. 62).
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Parsons Analyse identifiziert die Erwartungen, die das Verhalten von Patienten und Ärzten leiten, und zeigt, wie diese Rollen das Zusammenleben in der Gesellschaft ermöglichen und auch potenzielle störende Effekte von Krankheit reduzieren (Morgan 2008a). Analog zu den skizzierten Rollen von Patienten und Ärzten lassen sich nun auch verschiedene Beziehungsmodelle ableiten, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. 3.2.2
Verschiedene Patient-Gesundheitsdienstleister-Beziehungsmodelle
Die Medizinsoziologie beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit verschiedenen Modellen der Arzt-Patient-Beziehung. Dabei geht es in erster Linie darum, die Modelle auf Anwendbarkeit, Stärken, Schwächen und Effektivität zu untersuchen. Die bekanntesten Beziehungsund Entscheidungsmodelle (Paternalismus, Informatives Modell, „Shared Decision Making“) sollen in diesem Abschnitt kurz erläutert werden, bevor die wichtigsten Aspekte zusammengefasst werden. 3.2.2.1 Paternalismus Das bekannteste Modell der Arzt-Patient-Beziehung ist das paternalistische Modell21, welches der traditionellen Sichtweise Mitte des 20. Jahrhunderts (siehe auch Parsons 1951) entspricht (auch „parental“, „priestly“ oder „parsonian model“ genannt). Paternalismus ist charakterisiert durch ein väterlich-bestimmendes Verhalten des Arztes gegenüber dem Patienten (lat. pater = Vater), der sich passiv verhält (gemäß Parson’s klassischen „sick role“Rollenkonzeptualisierung, siehe Abschnitt 3.2.1.1). Hier wird dem Arzt die dominante Rolle in der Beziehung zugeordnet, der Patient übt wenig Kontrolle aus22 (Emanuel und Emanuel 1992; Charles et al. 1999; Morgan 2008a). Die Rolle des Patienten beschränkt sich darauf, dem Arzt die notwendigen Informationen über Symptome etc. zu geben, damit der Arzt diagnostizieren und die aus seiner Sicht geeigneten therapeutischen Maßnahmen ableiten kann (Klemperer 2006). Der Patient wird dabei lediglich selektiv informiert, d.h. Informationen, die Patienten verunsichern könnten, werden vom Arzt nicht an ihn weitergegeben. Über die Behandlung des Patienten entscheidet somit allein der Arzt aus einer dem Patienten übergeordneten Position heraus („father knows best“-Autorität). Die Zustimmung des Patienten ist dabei Formsache, er ist nur sehr eingeschränkt beteiligt.
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Szasz und Hollender (1956) nennen dieses Beziehungsmodell „Aktivität-Passivität“, nach der jeweiligen Rolle des Arztes und des Patienten. Siehe Charles et al. (1999, S. 652) für eine Erläuterung der Annahmen, die die ärztliche Autorität begründen und somit die Basis für den Paternalismus darstellen.
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Das paternalistische Modell liegt dem arztzentrierten Beratungsstil zugrunde, den Byrne und Long (1976) in Videoaufzeichnungen von Konsultation erkannten. Er zeichnet sich dadurch aus, dass Ärzte auf die physischen Aspekte einer Erkrankung fokussieren und besondere Interviewmethoden (z.B. mehrheitlich geschlossene Fragen, die den Patienten wenig Raum lassen, ihre eigenen Ideen und Sorgen auszudrücken) einsetzen, um die für die Diagnose notwendigen Informationen zu erhalten.23 Die Behebung struktureller und funktioneller Veränderungen des Organismus wird fokussiert und prägt somit die Kommunikation zwischen Arzt und Patient ganz erheblich. Emotionale und kognitive Bedürfnisse des Patienten sowie patientenrelevante Behandlungsziele werden dabei häufig unzureichend berücksichtigt (Klemperer und Rosenwirth 2005). Gerade in Notfallsituationen, wenn schnell gehandelt werden muss und der Patient oftmals zu einer Beratung nicht imstande ist, erscheint ein Vorgehen nach diesem Modell sinnvoll (Szasz und Hollender 1956; Shaffer und Sherrell 1995). Als Schwachpunkt dieses Modells wird bemängelt, dass dem Patienten keinerlei Selbstbestimmung gewährt wird. „In the tension between the patient’s autonomy and well-being, between choice and health, the paternalistic physician’s main emphasis is toward the latter” (Emanuel und Emanuel 1992, S. 2221). Von Gegnern wird auch die Annahme des Modells kritisch beurteilt, dass auf Arzt- und Patientenseite geteilte objektive Kriterien existieren, die die „beste“ Entscheidung (z.B. im Sinne einer Therapie) für den Patienten bestimmen können. „Due to increasing consumer education, declining social barriers between professionals and their clients and the impact of popular media on consumers, as well as changes in public policy towards consumer rights“ (Laing et al. 2004, S. 189) wirkt das Modell heute nicht mehr zeitgemäß (Charavel et al. 2001), auch weil es die Patientenautonomie nicht ausreichend respektiert. Die „Informationsflut und Aufklärungsbestrebungen der Massenmedien“ (Siegrist 1978b, S. 78) sowie die Stärkung der Bürgerrechte als eine Metatendenz in der gesellschaftlichen Entwicklung hat sich auf die Erwartungen der Patienten und Bürger an die Ärzte ausgewirkt (Klemperer 2006). 3.2.2.2 Informatives Modell Neuere Konzeptualisierungen der Patientenrolle propagieren ein aktives und teilnehmendes Verhalten der Patienten, die Experten ihrer eigenen Gefühle und ihres Körpers sind (z.B. Byr-
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Der Kommunikationsstil von Ärzten lässt sich zurückführen auf ihre generelle Einstellung und Orientierung gegenüber Medizin. Ärzte, die arztzentriert oder krankheitszentriert kommunizieren, verfolgen einen Ansatz, der „voice of the medicine“ genannt wird (Mishler 1984).
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ne und Long 1976; Tuckett et al. 1985). Das informative Modell wird auch als Konsumenten-Modell („consumerism“) bezeichnet (Emanuel und Emanuel 1992; Charles et al. 1999). Im Kontrast zum Paternalismus wird hier die Eigenständigkeit des Patienten in den Fokus gerückt, er übernimmt die aktive Rolle, der Arzt die eher passive (Morgan 2008a). Der Arzt hat die Aufgabe, dem Patienten sämtliche medizinischen Informationen zur Verfügung zu stellen, damit dieser eine informierte Entscheidung treffen kann. Dem Arzt wird in diesem Modell eher die Rolle eines Informanten zugeteilt, der für umfangreiche und angemessene Informationen zu sorgen hat. Zu den Informationen gehören Kenntnisse über die Erkrankung und Therapiemöglichkeiten. Der Patient allein entscheidet, indem er technisches Wissen und Selbstwissen zusammenführt, der Arzt setzt die Entscheidung lediglich um. Das informative Modell hat zur Prämisse, dass Werte des Patienten in die Abwägung und Entscheidung einfließen. Die Integration und Verarbeitung der Informationen sind auf die spezifischen Lebensumstände und Werte des Patienten abgestimmt; die letztendliche Entscheidung vollzieht dieser allein. Das Modell basiert auf der Annahme, dass nur der Patient die beste Entscheidung treffen kann, vorausgesetzt, er verfügt über die aktuellen wissenschaftlichen Informationen bezüglich seiner Krankheit und deren Behandlungsmöglichkeiten. Der Arzt hat sich aus der Entscheidung herauszuhalten, seine Interessen könnten von denen des Patienten differieren oder sogar gegenläufig sein. Kritiker dieses Ansatzes bemängeln, dass dieses Modell allerdings nur unter der Annahme funktioniere, dass Patienten ihre Ziele gut kennen und lediglich Informationen benötigen. Dies sei häufig nicht der Fall. Befürworter legitimieren das Modell dadurch, dass das Informationsbedürfnis der Patienten sehr groß sei und oftmals mehrere Therapieoptionen zur Verfügung stünden, sodass Therapieentscheidungen durch Patienten gerechtfertigt werden können. 3.2.2.3 Shared decision making Einen Mittelweg zwischen paternalistisch bestimmten Beziehungsstrukturen und dem informativen Modell stellen die partnerschaftlichen und „kundenorientierten“ Modelle, die im aktuellen Diskurs unter „shared decision making“ diskutiert werden, dar (Charles et al. 1997; Charles et al. 1999). Shared Decision Making (SDM) (gemeinsame Entscheidungsfindung), auch „Patientenzentrierung“, „patient-centred approach“ oder „relationship of mutuality“ genannt, bezeichnet also eine neuere Form der Arzt-Patient-Beziehung, die den Patienten
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stärker in den Entscheidungsprozess über sein Gesundheitsproblem einbindet24. Sie wird auch als „dialogisches Prinzip“ bezeichnet. Arzt und Patient kommunizieren hier auf einer partnerschaftlichen Ebene über objektive und subjektive Aspekte. Der Patient informiert dabei den Arzt auch über seine subjektiven behandlungsrelevanten Bedürfnisse und Präferenzen und berichtet von Erfahrungen und möglichen Erklärungen. Der Arzt bringt seine klinischen Fähigkeiten und sein Wissen mit in die Beziehung ein. Das Modell ist also gekennzeichnet durch intensive Interaktion zwischen Arzt und Patient, gegenseitige Information, gemeinsames Abwägen und gemeinsames Entscheiden (Scheibler und Pfaff 2003; Scheibler 2004; Klemperer und Rosenwirth 2006, Morgan 2008a). Die Stellung des Patienten ist aktiv gestärkt, er ist kein hilfloses Objekt, sondern zur Mitarbeit, zur Mitteilung seines Laienwissens, seiner Beobachtungen und Vermutungen sowie Kritik aufgerufen (Siegrist 1978b). In dieser Beziehung, die auf der beidseitigen Teilnahme basiert, wird der Patient als gleichberechtigter Partner gesehen, Szasz und Hollender (1956) bezeichnen es daher als „model of mutual participation“. In diesem Modell ist die Wechselseitigkeit des Einflusses und des Austausches entscheidend: Information werden nicht nur vom Experten an den Patienten weitergegeben, sondern der Patient bringt ebenso Informationen ein, indem er Wertvorstellungen, Ziele, Erwartungen und Befürchtungen äußert. Eine partnerschaftliche Beziehung ist daher von großer Bedeutung (Klemperer und Rosenwirth 2006). In der Praxis zeichnet sich der patientenzentrierte Beratungsstil (Byrne und Long 1976) dadurch aus, dass Ärzte weniger kontrollierend vorgehen und Patienten ermutigen und es ihnen vereinfachen, an der Beratung teilzunehmen, um Gegenseitigkeit zu fördern. Sie stellen häufiger offene Fragen (z.B. nach der Wahrnehmung des Schmerzes, nach Gefühlen und eigenen Ideen zu möglichen Ursachen). Das bedeutet auch, dass Ärzte mehr Zeit aufbringen müssen, den Ausführungen der Patienten aktiv zuzuhören25. Notwendige Voraussetzung für ein funktionierendes gemeinsames Entscheiden ist zum einen das Interesse sowohl des Patienten als auch die Bereitschaft des Arztes zu dieser Beziehungsform. Damit einhergehend sind es vor allem ausreichende Informations- und Interaktionskompetenzen auf beiden Seiten, ohne die das Modell nicht realisierbar ist. Klemperer (2006) merkt hierzu an, dass Ärzte sich vielfach darin überfordert fühlen, da sie über unzureichende
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Prinzipien des Shared Decision Making –Modells findet man z.B. unter www.patient-als-partner.de. Dieser Kommunikationsstil ist dadurch gekennzeichnet, dass der „voice of the patient“ zugehört wird (Mishler 1984). Analog dazu finden wir in der Innovationsmanagementliteratur die Empfehlung, der „voice of the customer“ zuzuhören, um möglichst kundenorientiert Produkte zu entwickeln und zu optimieren (Griffin und Hauser 1993).
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Interaktions- und Kommunikationskompetenz verfügen. Da die gemeinsame Entscheidungsfindung deutlich langwieriger ausfallen kann, ist auch ein ausreichendes Zeitbudget von Nöten26. Kritiker bemängeln, dass entgegen der Annahmen und des Modells in der Realität nur wenige Patienten sich an Entscheidungen beteiligen möchten, „patients want information, but [that] in many cases they do not wish to use this information for decision-making purposes“ (Shackley und Ryan 1994, S. 537; siehe auch Steele et al. 1987). Immer wieder wird berichtet, dass die Mehrheit vieler Patienten sich lieber paternalistische Strukturen wünscht und diese auch für eine so ungleiche Beziehung wie der zwischen Arzt und Patient zweckmäßig seien (siehe z.B. Sherlock 1986, Vick und Scott 1998). Auch Ärzte haben Probleme mit dem Shared Decision Making und wenden es daher nur begrenzt an (Stevenson 2003). Andere Studien berichten, dass jüngere Patienten eher eine Beziehung zum Arzt erwarten, die auf Gegenseitigkeit basiert und eher die Kontrolle übernehmen möchten (Coulter 1997). Dies ist auch bei Patienten mit einem höheren Bildungsniveau zu beobachten, was sich auf den „smaller status gap between doctor and patient“ zurückführen lassen könnte (Morgan 2008a, S. 56). Weiterhin ist der Wunsch abhängig vom Gesundheitszustand: „patients in crisis situations or who feel weak or distressed might prefer to have decisions made for them rather than being more actively involved“ (Morgan 2008a, S. 60). Generell lässt sich auch beobachten, dass Patienten mit dem zeitlichen Verlauf einer Krankheit auch zunehmend an Therapieentscheidungen teilnehmen möchten, da Patienten ihre Krankheit verstehen lernen und sich Wissen aneignen. Daher wird es auch für chronisch Kranke (z.B. Diabetiker) als sinnvoll eingeschätzt, da diese häufig ihre Therapie selbst in die Hand nehmen müssen. „Essentially, the physician helps the patient to help himself“ (Szasz und Hollender 1956, S. 587). 3.2.2.4 Zusammenfassung Die drei skizzierten Modelle können anhand der Phasen Informationsfluss, Abwägen und Entscheidung charakterisiert werden. Die Aufgaben und Rollen des Arztes ergänzen die Übersicht in Tabelle 4 (Ergänzte Darstellung in Anlehnung an Charles et al. 1999, S. 653).
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Pro- und Contra-Argumente des SDM diskutiert Coulter (1997) ausführlich.
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Tabelle 4: Drei Beziehungsmodelle in der Übersicht Æ Zunehmende Patientenautonomie Æ
Modelle Analytische Phasen
Paternalistisch
„Shared Decision Making“
Informativ
Fluss
einseitig (größtenteils)
zweiseitig
einseitig (größtenteils)
Richtung
Arzt Æ Patient
Arzt ļ Patient
Arzt Æ Patient
Art der Informationen
Medizinisch
Medizinisch und persönlich
Medizinisch
Minimal benötigte Menge
Rechtlich benötigtes Minimum an Informationen
Alle Informationen, die relevant sind für die Entscheidungsfindung
Alle Informationen, die relevant sind für die Entscheidungsfindung
Abwägungsphase
Arzt allein oder mit anderen Ärzten
Arzt und Patient (plus potenzielle Dritte)
Arzt und Patient (plus potenzielle Dritte)
Entscheidungsphase (über Therapie)
Arzt
Arzt und Patient
Patient
Aufgaben des Arztes
Förderung des Patientenwohles unabhängig von aktuellen Präferenzen des Patienten
Erfassung der wichtigsten Werte des Patienten und Implementierung der Therapie in Zusammenarbeit
Versorgung mit relevanter Information und Implementierung der vom Patienten gewünschten Therapie
Konzept der Arztrolle
Wächter, Hüter, Schutzengel („guardian“)
Partner
Kompetenter technischer Experte („information provider“)
Informationsaustauschphase
Eine andere Darstellungsform ist ein konzeptuelle Modell nach Elwyn (2001), in dem der Ort der Entscheidungsfindung und die Verfügbarkeit von Information ein zweidimensionales Feld aufspannen (siehe Abbildung 10). Hier lassen sich Paternalismus, Informatives Modell und Shared Decision Making entsprechend einordnen. Ferner definiert Elwyn (2001) noch zwei weitere Modelle, das Dominanzmodell (der Patient ist informiert, der Arzt entscheidet) und ȱ
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das Consumerism-Modell27 (der Arzt ist informiert, der Patient entscheidet) (Elwyn 2001, S. 55). Arzt Ort der Entscheidung
Dominanz
Patient Zugang zu und Verwendung von relevanter Information
Paternalismus Shared decision making
Arzt
Informed choice
Consumerism
Zugang zu und Verwendung von relevanter Information
Ort der Entscheidung
Patient
Abbildung 10: Entscheidungsfindung und die Verfügbarkeit von Information in Konsultationen: ein konzeptuelles Modell
Szasz und Hollender (1956) siedeln zwischen ihrem paternalistischen „Model of ActivityPassivity“ und ihrem dem Shared Decision Making ähnlichen „Model of Mutual Participation“ noch das „Model of Guidance-Cooperation“ an. Hier ist sich der Kranke seiner Gefühle bewusst und sucht beim Arzt Hilfe. Das erhebt den Arzt in eine Machtsposition, auch weil er Wissen besitzt, das der Patient nicht hat. Daher übernimmt der Arzt die Führung und erwartet die Kooperation des Patienten. Im Vergleich zum Aktivitäts-Passivitäts-Modell werden in diesem Modell allerdings beide Partner als aktiv bezeichnet, weil sie beide zur Beziehung beitragen. Dieses Modell wird laut Szasz und Hollender (1956) häufig in Situationen wie z.B. akuten Infektionen angewandt, die keine Notfälle darstellen (und daher der Patient mit in die Behandlung einbezogen werden kann).
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Während Elwyn (2001) zwischen dem Informativen Modell und dem Consumerism-Modell unterscheidet, tun dies andere Medizinsoziologen wie z.B. Emanuel und Emanuel (1992) oder Charles et al. (1999) nicht (siehe Abschnitt 3.2.2.2).
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Auch Charles et al. (1999) stellen neben den drei klassischen Modellen noch ein viertes vor, das „physician-as-agent“ Modell, in dem die Informationsasymmetrie zwischen Arzt und Patient hervorgehoben wird. Hier kommuniziert der Patient seine Bedürfnisse und Wünsche, im Vergleich zum informativen Modell ist allerdings der Arzt der alleinige Entscheider (ähnlich Elwyns Dominanzmodell). Emanuel und Emanuel (1992) unterscheiden neben dem paternalistischen und dem informativen Modell zwei weitere Modelle der Arzt-Patient-Beziehung, die beide dem Shared Decision Making ähnlich sind. Das interpretative Modell berücksichtigt die Dynamik von Werten. Der Arzt unterstützt Patienten bei der Identifikation und Artikulation von Werten und Zielen. Die Wahl der Therapie bleibt jedoch wie im informativen Modell in den Händen des Patienten. Es besteht in diesem Modell die Gefahr, dass der Arzt eigene Werte dem Patienten implizit suggeriert, sich also paternalistisch verhält. Das deliberative Modell möchte der Gefahr des interpretativen Modells begegnen, indem Arzt und Patient nach einem Informationsaustausch gemeinsam ihre jeweiligen Werte und Ziele diskutieren, ihre Präferenzen explizit machen und gemeinsam abwägen. Wertvorstellungen, die konfliktär sind, sollen offen angesprochen werden. Der Patient soll somit im Sinne des Empowerment befähigt werden, zwischen Werten, Zielen und Therapien auszuwählen. Das sogenannte „Empowerment“ von Patienten wird zunehmend gefordert (siehe z.B. Sharf 1988; Ouschan et al. 2006), auch wenn es für Patienten ein erhöhtes Risiko sowie eine intensivere Informationssuche und eigene Koordinationsbemühungen bedeutet (MacStravic 2000). Empowerment meint „a social process of recognizing, promoting, and enhancing people’s abilities to meet their own needs, solve their own problems and mobilize the necessary resources in order to control their lives“ (Gibson 1991, S. 359). Ouschan et al. (2006) weisen empirisch nach, dass das Empowerment von Patienten einen positiven Einfluss auf Vertrauen und Commitment zum Arzt hat. Leider ist es eine große Herausforderung, da die Arzt-PatientBeziehung eine besonders große Ungleichheit in verschiedenen Aspekten aufweist. Im Abschnitt 3.2.4 wird erläutert, worin diese Ungleichheiten begründet sind. Zuvor folgen allerdings noch Ausführungen zur Soziologie des Krankenhauses, die verdeutlichen, warum sich Krankenhauspatienten bereits per se in einem für sie schwierigen Zustand befinden.
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Theoretische Grundlagen
3.2.3
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Soziologie des Krankenhauses
In der Soziologie war und ist das Krankenhaus als besondere Institution schon früh Gegenstand von zahlreichen Untersuchungen und Diskussionen28. Besonders Freidson (1963, 198829 und 200730) und Goffman (1966), im deutschen Raum Rohde (1974) und Siegrist (1978a) beschäftigten sich mit dieser komplexen und „Totalen Institution“, die „a cornerstone of any modern system of health care“ darstellt (Rosen 1963, S. 1) und sich durch besondere Merkmale auszeichnet. Da die Thematik und zugehörige Literatur sehr umfangreich ist, soll in diesem Abschnitt lediglich ein Abriss der (für die vorliegende Vertrauensthematik) am wichtigsten erscheinenden Aspekte erfolgen, nämlich der Komplexität des Krankenhauses (Abschnitt 3.2.3.1) und des Phänomens der Hospitalisierung von Patienten und ihren Auswirkungen (Abschnitt 3.2.3.2). 3.2.3.1 Komplexe Organisation Krankenhaus „A patient admitted to a hospital thus enters a complex organization with a variety of goals, and with a well-developed system of rules and procedures for coordinating the different activities and the large numbers and categories of staff” (Morgan 2008b, S. 66). Das Krankenhaus31 als komplexe Organisation stellt ein soziales System dar, „welches (1) mehrere Ziele zu verfolgen, mehrere Zwecke zu erfüllen hat, (2) in seiner Struktur eine hochgradige Differenzierung in Organisationsteile und Rollenpositionen aufweist32, […], (3) relativ unabhängig vom Grad der formellen Strukturdifferenzierung Funktionskomplexität zeigt und (4) in aller Regel vielstufig hierarchisch strukturiert ist“ (Rohde 1975, S. 179f; siehe auch Raspe 1976). Gerade die Zielkomplexität33 ist es, die dafür sorgt, dass die Routinen der Krankenhausorganisation sich am „totalen Krankenhauspatienten“ orientieren (Rohde 1975,
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„Institutionen sind in den Augen der Soziologen komplexe, aber auch fest umrissene und wohlausgeformte Regulativmuster sozialen Handelns. Sie entlasten die gehorsam in ihrem Bann stehenden Personen aus der Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit ständiger Improvisation und Neuschöpfung des Verhaltens dadurch, dass sie vorgefertigte, genormte Handlungsketten bereitstellen und ihren Gebrauch zu bestimmten Anlässen zwingend vorschreiben oder wenigstens nahe legen.“ (Raspe 1976, S. 1) Erstauflage 1923 Erstauflage 1970 Das Krankenhaus stellt laut Siegrist (1976, 1978a) eine eigentümliche Mischung aus “Haus” und “Anstalt“ dar. Ein Haus ist es für erkrankte und behandlungsbedürftige Personengruppen, die zeitlich begrenzt dort Hilfe suchen. Eine Anstalt ist es für diejenigen, die dort täglich Arbeit verrichten. Arbeitsteiligkeit und „Sachvereinzelung“ (Rohde 1974). Von Zielkomplexität wird gesprochen, da vier generelle Ziele eines Krankenhauses existieren: 1. Diagnose von Krankheiten, 2. Isolierung von Patienten, 3. Pflege (aktive Erfüllung der Grundbedürfnisse, welche vom Kranken nicht mehr selber wahrgenommen werden kann), und 4. Therapie (Handlungen mit dem Ziel, krankheitsbedingt Zustände zu lindern bzw. zu heilen. Nun sind Krankenhäuser so konzipiert, dass für Krankenhauspatienten alle vier Ziele gelten (siehe Rohde 1975, S. 185f).
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Theoretische Grundlagen
S. 186), also Patienten bis zu einem gewissen Grad „vereinnahmen“, sie bestimmten Ordnungen unterwerfen (Siegrist 1976, S. 26). Beispielsweise ist es ein Ziel, neben der erfolgreichen stationären Therapie die Lebensbedürfnisse der zahlreichen Patienten aufeinander abzustimmen und zu befriedigen (Siegrist 1976). Dies setzt eine gewisse Reglementierung voraus, sogenannte „oktroyierte Ordnungen“ (Weber 1922), an die sich jeder, der als Patient gilt, halten muss (siehe auch Abschnitt 3.2.3.2). Aber nicht nur die Ziele des Krankenhauses sind komplex und z.T. konfliktär, auch die Ziele, Perspektiven und Aufgaben der einzelnen Akteure im Krankenhaus und auf den Stationen sind vielschichtig (siehe Freidson 1988, S.122-127). Patienten sind aufgrund ihres Zustandes meist von Furcht gezeichnet und zeigen daher häufig irrationales Verhalten auf Krankenstationen. Ferner können sie aufgrund ihres Mangels an Fachwissen keine Diagnose stellen sowie ihre Behandlung schlecht bewerten (siehe auch Abschnitt 3.1.2) und sind i.d.R. mit ihrem eigenen Schicksal beschäftigt. Krankenpfleger sind gewissermaßen abhängig von Ärzten, stellen Agenten derselben im Bezug auf Behandlung und Pflege dar und besitzen Wissen. Sie können die Situation auf der Station durch kontinuierliche Präsenz bewerten und haben gegenüber Patienten eine starke Stellung aufgrund ihres Zugangs zum Arzt. Krankenpfleger haben die medizinische und administrative Autorität auf der Station inne, was häufig für Konflikte sorgt. Eine weitere Herausforderung ist, dass Krankenpfleger die Arztanweisungen gegen die Wünsche des einzelnen und der Gesamtheit aller Patienten ausbalancieren müssen. Ärzte bestimmen zum großen Teil die Therapie, ordnen sie an und überwachen sie. Die Expertise der Ärzte begründet ihre ultimative Autorität. Problematisch wird es, wenn das restliche (Pflege-) Personal von den Entscheidungen und Anweisungen der Ärzte nicht überzeugt ist, da es dann manipulierend tätig werden kann. Ein weiteres Phänomen, das in der Analyse Beachtung findet, ist das Phänomen der „Hospitalisierung“. 3.2.3.2 Der hospitalisierte Patient Das Verweilen von Patienten im Krankenhaus, die sogenannte Hospitalisierung, hat gerade aufgrund der Orientierung am „totalen Krankenhauspatienten“ verschiedene Auswirkungen auf Patienten, die in der Krankenhaussoziologie intensiv diskutiert werden. Siegrist (1978a) verweist auf Phänomene wie „Schematismus“, „Unpersönlichkeit“, „Vereinnahmung“, „Be-
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dürfnismissachtung“, „Erwartungsenttäuschung“, „Willkür“ und „Unvorhersehbarkeit“. Rohde (1975, S. 197ff) stellt zur Hospitalisierung drei Thesen auf:34 1.
Hospitalisierung bedeutet für den Patienten psycho-soziale Entwurzelung. Dies zeigt sich darin, dass der Patient psychisch und sozial stabilisierende, vertraute, positiv besetzte, symbolisch bedeutsame physische Umweltgegebenheiten temporär aufgibt. Zudem ist er gezwungen, für das Selbstwertgefühl und emotionale Gleichgewicht bedeutsame soziale Beziehungen (Familie, Freundeskreis) zu reduzieren und sein Rollenrepertoire (und damit für das Selbst konstitutive soziale Bedeutsamkeit im Sinne von Statusverlust) einzuschränken.
2.
Hospitalisierung bedeutet für den Patienten relative Entpersönlichung35. Die von Goffman (1966) geprägte „Totale Institution“ des Krankenhauses ist dadurch charakterisiert, dass sie die Identität der Insassen im Institutssinne umdefiniert, d.h. die Insassen ihrer ursprünglichen Identität berauben, um ihnen eine neue, fremdbestimmte Identität aufzuzwingen (Patient wird zum „Fall“, zur „Nummer“), „the individual’s self is stripped, trimmed, mortified, defaced, and otherwise defigured in the course of obtaining service“ (Goffman 1966, aus Freidson 2007, S. 169f; siehe auch Morgan 2008b). Das Krankenhaus beschränkt für den Patienten die Möglichkeit, Statusbewusstsein sich selber und anderen gegenüber voll zu erhalten36 und entzieht ihm die Chance, den Tagesablauf, die Umweltbedingungen und soziale Beziehungen individuell zu regulieren und gestalten37. Dies ist für das Krankenhaus unumgänglich, da der Patient als Leistungsempfänger sich stets disponibel, auf Abruf bereithalten muss (Siegrist 1976).
3.
Hospitalisierung bedeutet für den Patienten relative Infantilisierung. Krankenhäuser verstärken die krankheitsbedingte Regression, was sich an vielen Details des Umgangs mit Patienten zeigt (z.B. sind Patienten bei der Befriedigung von (Grund-) Bedürfnissen (wie z.B. essen) abhängig vom Krankenhaus-Personal)38. Patienten leiden unter dieser „blockierten Mobilität“ und „fehlenden Kontrolle über Ressourcen“ (Siegrist 1976, S. 28).
Sommer und Dewar (1963) vergleichen Patienten sogar mit Tieren in Gefangenschaft, weil sie gezwungen sind, außerhalb ihres Territoriums zu bleiben. Raspe (1976, S. 2) spricht von
34 35 36 37 38
Detaillierte Ausführungen zu diesen Aspekten finden sich bei Rohde (1974), S. 233-247. Ergänzende Ausführungen dazu nimmt auch Raspe (1976), S.14ff und Siegrist (1978a, S. 1-19) vor. Goffman (1966) benutzt in diesem Kontext den Begriff Depersonalisation, Raspe (1976) nennt es „Objektivieren“. Dieses Phänomen wird als „status stripping“ bezeichnet. Dies ist unter dem Begriff „Autonomieeinschränkung“ zusammenzufassen. Siehe Rohde (1975, S. 199f) für weitere Beispiele.
50
Theoretische Grundlagen
einer „institutionalisierten Zumutung“. Siegrist (1976, 1978a) führt die institutionellen „Vereinnahmungen“ zum einen auf organisatorische Maßnahmen, welche den Verhaltensspielraum der Patienten einschränken, zum anderen auf unübliche soziale Verhaltensweisen von Seiten des Personals zurück. Zu den organisatorischen Maßnahmen gehört der abrupte Rollenwechsel, der kollektive Tagesablauf, die ständige Präsenz sowie die Kontaktbegrenzung. Zu den sozialen Kontaktmustern des Personals gehört die Informationsbegrenzung, die Unpersönlichkeit der Beziehungsform sowie das hohe, gering geregelte Sanktionspotenzial39. Die skizzierten Auswirkungen der Hospitalisierung auf Patienten sind zu berücksichtigen, wenn es um die Analyse von Krankenhaus-Erfahrungen aus Sicht der Patienten geht. Sie zeigen auch, warum Vertrauen in diesem Kontext so wichtig ist. Grundlegender Tenor der Soziologen im Rahmen der Krankenhaussoziologie ist, dass der Patient sich einer übermächtigen und dominanten Institution gegenüber sieht. Hier wird bereits deutlich, dass der Patient „beherrschender Beherrschter, vorrangiger Untergeordneter“ (Rohde 1974) ist, von dem „blindes“ Vertrauen erwartet wird (Rohde 1975, S. 170). Diese Erwartungen sind charakteristisch für die sozio-kulturelle Erscheinung des sogenannten „Professionalismus“, im speziellen Fall der „Dominanz der ärztlichen Profession“, mit der sich vorrangig Freidson (2007) ausgiebig beschäftigt hat. Im Folgenden soll nun die Asymmetrie der Arzt-Patient-Beziehung im Krankenhaus einer detaillierteren Betrachtung unterzogen werden. 3.2.4 Asymmetrie in der Arzt-Patient-Beziehung Die Arzt-Patient-Beziehung ist durch erhebliche Asymmetrie in verschiedenen Bereichen gekennzeichnet (siehe Tabelle 5). Kaum eine andere Sozialbeziehung weist eine so ausgeprägte Ungleichheit und Abhängigkeit auf (Siegrist 1978a). Nicht nur die offensichtlich großen Informations- und Kompetenzunterschiede der Akteure, auch die Tatsache, dass das Patientendasein ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis mit einschließt (Machtasymmetrie), machen die Arzt-Patient-Beziehung im Krankenhaus zu einem besonders ungleichen Verhältnis (Parsons 1975; Maynard 1991; Laing et al. 2004). Surbone und Lowenstein (2003) differenzieren drei Dimensionen der Asymmetrie:
39
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Detaillierte Erläuterungen finden sich in Siegrist (1976), S. 29-33 und Siegrist (1978a), S. 5-8.
Theoretische Grundlagen
51
Tabelle 5: Asymmetrie-Aspekte in der Arzt-Patient-Beziehung
Arzt/Heiler
Patient
Ist gesund/fit?
Ist krank, leidend
Heilt täglich
Ausnahmezustand + Hospitalisierung
Muss viele Patienten behandeln
Hat eigene Krankheit im Fokus
Helferidentität
Abhängige Identität
Weiß viel?
Weiß wenig? („Laie“)
Objektive Perspektive auf Krankheit
Subjektive Perspektive auf Krankheit
Hat Kontrolle
Hat keine Kontrolle
Verdient
Zahlt
Hat eine hohen sozialen Status
Hat i.d.R. geringeren Status
Wissen aus Generalisierungen
Wissen aus eigener Erfahrung
Muss simplifizieren + abstrahieren
Erlebt Komplexität der Krankheit
Vernetzt
Isoliert
Gegen Fehler versichert
Meist unversichert gegen Behandlungsfehler
1. Existenzielle Asymmetrie Diese Ebene spiegelt die existenziellen Positionen der beiden Akteure wider. Während der Arzt vermeintlich gesund ist, ist der Patient krank und leidet (Zaner 1991), „the patient not only suffers more than the physician, but the suffering is different“ (Surbone und Lowenstein 2003, S. 184; siehe auch Goold 2001). Der Patient hat kaum Kontrolle über die Krankheit, über die Diagnose oder Therapie u.U. auch nur in geringem Maße. Zudem ist er hospitalisiert (siehe Abschnitt 3.2.3.2) und befindet sich in einem unbeliebten Ausnahmenzustand, wenn er krank ist40, im Gegensatz zum Arzt, der im Krankenhaus beschäftigt ist und täglich vor der Aufgabe steht zu heilen. Der Arzt hat eine Helferidentität, der Patient ist abhängig vom Arzt. Der Arzt behandelt also viele verschiedene Patienten, der einzelne Patient hat nur sich und seine eigene Krankheit im Fokus. Während der Arzt bestimmte Kenntnisse durch Studium, Weiterbildung und Erfahrung erworben hat (”physician’s expertise in health matters, gained
40
Gerade im Krankenhaus ist diese besonders hoch ausgeprägt, da Erkrankungen i.d.R. schwerer und Abhängigkeiten des Patienten größer sind (Siegrist 1995).
52
Theoretische Grundlagen
through training and experience, and his special fiduciary responsibility for the care of the sick” (Parsons 1975, S. 257)), tritt der Patient ihm i.d.R. als Laie entgegen. Aufgrund ihres Wissens haben Ärzte eine objektivere Sicht auf die Krankheit als Patienten. Daneben besitzt auch der Patient Informationsvorteile gegenüber dem Arzt, z.B. bezüglich seines gesundheitsrelevanten Verhaltens (Schneider 2002). 2. Soziale Asymmetrie Auf einer zweiten Ebene lässt sich die soziale Asymmetrie ansiedeln, die sich aus dem „mysterious reciprocal relationship“ ergibt, der Patienten und Ärzte eng aneinander bindet (Surbone und Lowenstein 2003, S. 185). Während Patienten für die medizinische Leistung i.d.R. finanziell aufkommen müssen (zumindest indirekt über Versicherungsbeiträge), verdienen die Ärzte durch ihre Tätigkeit. Auch der soziale Status, der mit der Mitgliedschaft in der ärztlichen Profession einhergeht, steht in keinem Vergleich zum i.d.R. geringeren Status des Patienten. 3. Epistemische Asymmetrie Die epistemische Asymmetrie erschließt sich schließlich aus den „different ways of knowing“ (Surbone und Lowenstein 2003, S. 186). Medizin basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, daher hat der Arzt sein Wissen aus Generalisierungen, der Patient hingegen aus eigener direkter und einzigartiger Erfahrung. Während der Arzt um der Behandlung willen gegebenen Strukturen, Einfachheit, Regularität und Abstraktion folgen muss (z.B., indem er in Krankheiten auf Basis von beobachtbaren Symptomen kategorisiert), kennt der Patient die Komplexität der Krankheit aus eigener Erfahrung. Weitere Asymmetrieaspekte sind die Vernetzung des Arztes in seiner Profession und die gewöhnliche Isolation des Patienten. Während der Arzt gegen Fehler i.d.R. versichert ist, besitzen Patienten i.d.R. keine Versicherung gegen Behandlungsfehler. Aus soziologischer Sicht lasen sich diese Aspekte in drei Formen von Macht zusammenfassen, welche die strukturell asymmetrische soziale Beziehung zwischen Arzt und Patient konstituieren (vgl. Siegrist 1995, S. 244f): 1. Eine unterschiedliche Wissensverteilung: Diese führt dazu, dass der Arzt i.d.R. Experte, der Patient i.d.R. Laie ist. Die daraus resultierenden Informations- und Handlungsmöglichkeiten geben dem Arzt Expertenmacht.
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Theoretische Grundlagen
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2. Unterschiedliche soziale Rollen: Die Arztrolle bedingt eine gesellschaftliche Definitionsmacht (bzgl. Diagnosestellung, Krankschreibung, Recht zur Behandlung etc.), während der hilfesuchende Patient zur Inanspruchnahme des Arztes und zur Befolgung ärztlicher Anordnungen verpflichtet ist. 3. Funktional-spezifische Kompetenz und Imperative des instrumentellen Handelns: Der Arzt besitzt in der konkreten Interaktionssituation Steuerungsmacht (Definition von Beginn (Wartezeiten), Verlauf und Ende des Kontakts, Recht auf Initiativen und Unterbrechungen etc.).Diese beinhaltet auch das Aussprechen von Sanktionen sowie das Gewähren oder Vorenthalten besonderer Vergünstigungen. Dabei gibt es verschiedene moderierende Bedingungen, die die Asymmetrie verschärfen oder abmildern können. Dazu gehören beispielsweise organisatorisch-institutionelle Rahmenbedingungen (Siegrist 1995). In der ambulanten Versorgung haben Patienten i.d.R. mehr Verhandlungsmacht und Wahlmöglichkeiten als in der stationären Versorgung (im Krankenhaus)41. Dort werden Kranke umfangreichen Reglementierungen unterworfen und in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt („oktroyierte Ordnungen“). 42 Dieses Dilemma der begrenzten Kompatibilität von organisationsgebundenem Handeln und patientenzentrierter Orientierung in der Institution Krankenhaus wird von einigen Soziologen thematisiert (siehe dazu Abschnitt 3.2.3.1 und Abschnitt 3.2.3.2). Diese Unvereinbarkeit resultiert aus den unterschiedlichen Erwartungshaltungen (Freidson 1961): Der Patient hat die Einmaligkeit seines Falles vor Augen, das Personal die routinemäßige Bewältigung der Arbeitsaufgaben. Weitere institutionelle „Vereinnahmungen“ im Krankenhaus lassen sich auf organisatorische Maßnahmen zurückführen, die den Verhaltensspielraum der Patienten einschränken (z.B. der abrupte Rollenwechsel vom gesunden zum erkrankten Menschen, der kollektive Tagesablauf, die ständige Präsenz, die Kontaktbegrenzung etc.), oder auf bestimmte unübliche soziale Verhaltensweisen des Personals (z.B. die Informationsbegrenzung, die Unpersönlichkeit der Beziehungsform, das hohe, gering geregelte Sanktionspotenzial etc.; siehe Siegrist 1979, S. 7f). Auch sozio-kulturelle Patientencharakteristika moderieren die Ungleichheit. Hier verstärken
41
42
Darüber hinaus gelten folgende Zusammenhänge: Je größer der Wettbewerb unter den Ärzten um einen Stamm von Patienten, desto mehr Einfluss haben letztere zumindest auf die Steuerungsmacht des Arztes. Dies gilt umso stärker, je geringer der Spezialisierungsgrad des Arztes ausfällt, d.h. je weniger knapp die von ihm angebotenen Leistungen sind (Siegrist 1995). Zwei Aufgaben der Institution Krankenhaus sind für diese Einschränkungen verantwortlich: Erstens benötigen Krankenhäuser eine durchorganisierte Betriebsstruktur, um diagnostische und therapeutische Programme nach Maßgabe der individuellen Problemstellung der Patienten realisieren zu können. Zweitens sind Patienten an der eigenständigen Befriedigung ihrer lebensnotwendigen Bedürfnisse - in unterschiedlichem Ausmaß – gehindert. „Die Delegation der Bedürfnisbefriedigung an das Pflegepersonal erfolgt um den Preis einer Fügsamkeit in die vorgegebene Anstaltsordnung“ (Siegrist 1995, S. 246; Siegrist 1979).
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Theoretische Grundlagen
grundsätzlich die soziale Schichtzugehörigkeit und ethnische Unterschiede die Asymmetrie zwischen Arzt und Patient (Siegrist 1995). Kern der Vertrauensbeziehung solch ungleicher Partner ist aus Sicht der Ökonomen ein Prinzipal-Agent-Problem: Inwieweit ist der Agent motiviert, im Interesse des Prinzipals zu handeln?43. „Due to the prevailing information asymmetry, the physician-patient relationship is one of agency, with potential moral hazard or incentive problems” (Rochaix 1989, S. 53). Aufgrund der hohen Informationsasymmetrie lässt sich die Arzt-Patient-Beziehung als Prinzipal-Agent-Beziehung44 modellieren (siehe Abbildung 11, Ripperger 1998, S. 74), in der der Vertrauensgeber (Patient) die Rolle des Prinzipals und der Vertrauensnehmer (Arzt) die Rolle des Agenten einnimmt (Ripperger 1998; siehe auch Shapiro 1987; Shackley und Ryan 1994; Singh und Sirdeshmukh 2000; Johnson und Grayson 2005).
Vertrauensgeber als Prinzipal
Vertrauen Misstrauen Vertrauen honorieren Vertrauen enttäuschen
Vertrauensnehmer als Agent
Prinzipal-Agent-Beziehung
Abbildung 11: Die Vertrauensbeziehung als Prinzipal-Agent-Beziehung
Generell lassen sich aus ökonomischer Perspektive zwei Probleme beschreiben, die bei Informationsasymmetrie auftreten können (siehe z.B. Akerlof 1970; Eisenhardt 1989; Bergen et al. 1992; Ripperger 1998; Singh und Sirdeshmukh 2000; Schneider 2002): a) Problem der „Adversen Selektion“: Der Vertrauensgeber/Prinzipal kann Fähigkeiten eines Anbieters nicht sicher beurteilen und angebotene Qualitäten verschiedener Agenten nicht durchschauen („hidden information“), daher können Anbieter sich vor Vertragsabschluss (ex ante) durch unehrliche Qualitätsbehauptungen falsch darstellen.
43 44
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Für einen Überblick über die Agency-/Prinzipal-Agent-Theorie siehe z.B. Akerlof (1970), Ripperger (1998), Eisenhardt (1989) und Bergen et al. (1992). „An agency relationship is present whenever one party (the principal) depends on another party (the agent) to undertake some action on the principal’s behalf“ (Bergen et al. 1992, S. 1). Die zwei Schlüssel-Aspekte sind Informationsasymmetrie und Opportunismus (Ripperger 1998).
Theoretische Grundlagen
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b) Problem des „Moral Hazard“: Der Vertrauensgeber/Prinzipal kann nach Vertragsabschluss (ex post) die tatsächliche Qualität nicht beurteilen, da das Verhalten des Agenten (Leistungswilligkeit) nicht beobachtbar ist („hidden action“) und Informationen über Umweltzustände nicht gleichverteilt sind („hidden information“). „Der Patient kann die Handlungen des Arztes nicht beobachten bzw. vermag diese nicht einzuschätzen, so dass die Situation des Moral Hazard vorliegt, in der der Arzt seinen diskretionären Handlungsspielraum zu seinen Gunsten ausnutzen kann“ (Schneider 2002, S. 447). Beide Probleme verursachen Schwierigkeiten für Nachfrager (können Austauschobjekt nicht bewerten) und Anbieter, dessen Strategien auf Qualität basieren (Angebote sind nicht unterscheidbar von Angeboten niederer Qualität). Aufgrund der großen Informationsasymmetrie zwischen Arzt und Patient ist es also nicht ungewöhnlich, dass es a) für Patienten schwierig ist, einen vertrauenswürdigen Arzt/Krankenhaus auszuwählen und b) es für Patienten ebenso schwierig ist, die Qualität der Arzt- und Krankenhaus-Leistungen im nachhinein zu beurteilen (siehe Abschnitt 3.1.2). Vertrauen ist nun das zentrale Konstrukt, das erklären kann, warum Austauschprozesse nicht nur von opportunistischem Verhalten geprägt sind, wie man als Ökonom vermuten könnte (siehe Singh und Sirdeshmukh 2000). Soziale Normen vermindern Opportunismus, indem sie vertrauensvolles Verhalten der Agenten fördern und belohnen. Vertrauen wird zum entscheidenden Aspekt einer Austauschbeziehung, „because consumers have an aversion to relationships with someone they distrust“ (Singh und Sirdeshmukh 2000, S. 153). 3.2.5
Fazit
Die soeben skizzierten und meist unüberwindbaren Aspekte der Asymmetrie in der ArztPatient-Beziehung verdeutlichen die Notwendigkeit des abhängigen Akteurs/Prinzipals, des Patienten, dem Arzt zu vertrauen. Vertrauen wird von den Ökonomen als Mechanismus innerhalb einer Prinzipal-Agent-Beziehung diskutiert, da es durch die Absorption von Verhaltensrisiken in effizienter Weise zur Überwindung von Agency-Problemen beitragen kann (siehe Ripperger 1998, S. 68ff). “The need for trust and reliance on trust are especially important in health care because of patients’ acute vulnerability to suffering, lost opportunity, and lack of power” (Goold 2001, S. 26). Ferner haben die Ausführungen zur Krankenhaussoziologie gezeigt, dass das Krankenhaus eine komplexe Organisation darstellt, die sich durch bestimmte Rollenverteilungen strukturiert. Das Phänomen der Hospitalisierung verdeutlicht, dass Patienten mit einer Reihe von Problemen zu ringen haben, die sie in eine bestimmte Rolle drücken. Dies ist zu berücksichtigen, wenn es um die Analyse von Krankenhauserfahrun
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Theoretische Grundlagen
gen aus Sicht der Patienten geht. Gerade im medizinischen Kontext erfährt Vertrauen somit eine besondere Bedeutung (siehe auch Abschnitt 3.3.1). Das folgende Kapitel soll somit einen kurzen Überblick über die Vertrauensforschung geben. Sowohl die wirtschaftswissenschaftliche als auch die medizinsoziologische Literatur wird betrachtet, um bisherige Erkenntnisse, die zur Klärung der in dieser Arbeit vorliegenden Patientenvertrauensproblematik bedeutsam sind, zusammenzufassen. 3.3
Einführung in die Vertrauensforschung
„Everyone knows intuitively that trust is important for all forms of human social interaction“ (Slovic 1993, S. 676). Vertrauen stellt nicht nur im vorliegenden Kontext der medizinischen Dienstleistungen von Krankenhäusern ein extrem bedeutsames Konstrukt dar. Verschiedenste Disziplinen beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit Vertrauen, vor allem die Sozialpsychologie45, Psychologie46, Soziologie47, Ökonomie48 und das Marketing (siehe z.B. Petermann 1996). Auch Vertrauen speziell im medizinischen Kontext hat gerade in den letzten 15 Jahren zunehmend empirische und konzeptuelle Aufmerksamkeit erhalten, dies allerdings primär von Forschern, die aus der humanmedizinischen Richtung stammen (Andersen und Dedrick 1990; Thom und Campbell 1997; Kao et al. 1998; Safran et al. 1998; Hall et al. 2001; Zheng et al. 2002; Straten et al. 2002; Hall et al. 2002; Thom et al. 2002; Leisen und Hyman 2004). Marketingwissenschaftler üben sich noch in zweifelhafter Zurückhaltung, wenn es um die Betrachtung von Vertrauen in medizinische Dienstleistungen geht. Dies scheint gerade aufgrund der steigenden Bedeutung der Gesundheitsbranche und seiner stetig wachsenden Ähnlichkeit zu konventionellen Industrien (Peyser 1997b) mehr und mehr unhaltbar zu werden. Obwohl Vertrauen in jeder dieser Disziplinen grundsätzlich das gleiche Konzept darstellt, ist doch auffällig, dass es aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven auf verschiedene Art und Weise betrachtet wird. Insofern weichen Definitionen, Konzeptualisierungen, Operationalisie-
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Wichtige Vertrauensforscher der Sozialpsychologie sind u.a. Lindskold (1978), Larzelere und Huston (1980), Lewicki und Bunker (1995). Bedeutsame Vertreter in der Psychologie sind u.a. Deutsch (1958, 1960), Rotter (1967), Zand (1972). Zu den viel zitierten Vertrauensforschern der Soziologie gehören u.a. Strub und Priest (1976), Luhmann (1979), Lewis und Weigert (1985), Gambetta (1988). In der Ökonomie werden vor allem Dasgupta (1988), Williamson (1991, 1993) und Axelrod (1984) als herausragende Vertrauensforscher genannt.
Theoretische Grundlagen
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rungen und generelle Betrachtungsweisen dieses komplexen Konstrukts häufig voneinander ab (siehe z.B. Mayer et al. 1995, Ripperger 1998). In Orientierung an den fünf zentralen Forschungsfragen (siehe Abschnitt 1.2) soll nun in einem ersten Schritt eine Zusammenfassung über gängige Definitionen, Konzeptualisierungen und Operationalisierungen von Vertrauen gegeben werden. Dies erscheint sinnvoll, da es viele verschiedene Ansätze gibt, die für die vorliegende Thematik kritisch geprüft werden sollen. Im Anschluss sollen Erkenntnisse zur Bildung von Vertrauen skizziert werden. Der letzte Abschnitt soll mögliche Vertrauensebenen und -objekte/ -personen beleuchten. Eine integrierte Betrachtung soll einen umfassenden Überblick ermöglichen, bei der die marketingwissenschaftliche und medizinische Vertrauensforschung nicht getrennt werden soll. 3.3.1
Bedeutung von Vertrauen
Vertrauen stellt nicht nur in den Wirtschaftswissenschaften ein Schlüsselkonstrukt dar, welches in zahlreichen Untersuchungen in verschiedensten Kontexten untersucht wurde. Zwei zentrale Funktionen von Vertrauen, die vor allem in der Soziologie intensiv diskutiert wird, sind die Reduktion der Komplexität (Luhmann 2000), die Wahrung einer sozialen Ordnung (Rotter 1971) sowie das Ermöglichen stabiler sozialer Beziehungen (Blau 1964) und Kooperationen (Parsons 1951b). Und sowohl in der Theorie als auch in der Praxis existiert ein deutlicher Konsens, dass Vertrauen innerhalb von Geschäftsbeziehungen, genau wie innerhalb von persönlichen Beziehungen, von nicht zu unterschätzender Relevanz ist (siehe z.B. Garbarino und Johnson 1999; Gundlach und Murphy 1993)49. Ein Beweis dafür sind beispielsweise die kontinuierlichen Forschungsbemühungen in diesem Bereich, die über die letzten Jahrzehnte hinweg Vertrauen in konzeptionellen sowie empirischen Studien zu ihrem Untersuchungsgegenstand gemacht haben. Neben der Soziologie und Ökonomie ist es gerade in der Marketingwissenschaft in verschiedenen Bereichen Gegenstand von Untersuchungen50. Die besondere Bedeutung von Vertrauen im medizinischen Kontext fassen Rhodes und Strain (2000) so zusammen: “Now, to act for their patients’ good, physicians have to convince their patients […] to share information about their personal and family history and details about their symptoms that
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Beispielsweise ermöglicht es kooperatives Verhalten (Gambetta 1988), fördert Langzeitorientierung in Verkaufsbeziehungen (Ganesan 1994; Doney und Cannon 1997) und trägt zur generellen Beziehungsqualität bei (Crosby et al. 1990; Morgan und Hunt 1994). Besonders populär ist Vertrauensforschung dort im Beziehungsmarketing (Relationship Marketing), Dienstleistungsmarketing (Services Marketing), Vertriebsmarketing (Channel Marketing), Industriegütermarketing (Industrial Marketing) und Vertriebsmanagement (Sales Management).
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Theoretische Grundlagen
they may not be willing to share […], patients sometimes have to appear disrobed; they have to allow their bodies to be touched and probed […]; they have to submit to tests that they never would have otherwise sought and take chemicals into their bodies that are likely to be poisons; and sometimes they even allow themselves to be made unconscious so that their bodies can be invaded by knives and body parts can be removed. To be permitted to do any of these things, albeit for the patient’s good, the doctor must be trusted.” (Rhodes und Strain 2000, S. 205f) Die Tatsache, dass medizinische Leistungen eine ganz besondere Form von Dienstleistungen („Vertrauensgüter“) darstellen (siehe Kapitel 3.1) und dass die Beziehung zwischen Anbietern und Kunden in diesem Kontext sehr spezielle Charakteristika aufweist (siehe Kapitel 3.2), deutet bereits darauf hin, dass Vertrauen im medizinischen Kontext eine wichtige Rolle spielt: „Trust is essential to the doctor/patient relationship“ (Gray 1997, S. 35), „Trust is the cornerstone of the patient-physician relationship“ (Kao et al. 1998b, S. 1708). Vertrauen wird allgemein als vielsagender Indikator für die Beziehungsqualität zwischen Arzt und Patient gesehen (Lake 2000). Emanzipierte Patienten wählen ein Krankenhaus nach folgenden Kriterien aus (Lüttecke 2004, S.47): Neben der regionalen Nähe, dem medizinischen Angebot, dem Spezialistenstatus und der Ausstattung sind es vor allem Aspekte wie das Ansehen, die zugeschriebenen Kompetenzen, Menschlichkeit, die ausgestrahlte soziale Kompetenz und die Ausstrahlung von Vertrauen und Seriosität, die sich alle unter Vertrauenssignalen i.e.S. zusammenfassen lassen. In einer groß angelegten kanadischen Studie, für die 434 unheilbar Kranke und 160 Familienangehörige zu Qualitätskriterien der Pflege befragt wurden, empfanden die meisten das Kriterium "Vertrauen zu haben in jene Ärzte, die einen pflegen" als wichtigstes Qualitätskriterium überhaupt (55,8 % der Befragten; Heyland et al. 2006). Interpersonelles Vertrauen in den Arzt kann dabei als “prerequisite for many aspects of effective care” gesehen werden (Mechanic und Schlesinger 1996, S. 1694). Die Beziehungsqualität und somit Vertrauen innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung ist z.B. zentral für die Implementierung von Behandlungsmethoden und die Akzeptanz und Annahme von Therapien seitens der Patienten (Bochmann und Petermann 1989; Johns 1995; Mechanic 1996; Mechanic und Schlesinger 1996; Gray 1997; Thom und Campbell 1997; Goold 2001; Leisen und Hyman 2004). Dass dies ein nicht zu unterschätzendes Problem in der Gesundheitsbranche ist, zeigt die Tatsache, dass lediglich 50% aller chronisch Kranken den Anordnungen der Ärzte Folge
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leistet und die verschriebene Medikation wie empfohlen einnimmt.51 Gerade vom Arzt vorgeschriebene Verhaltensänderungen (z.B. bei gesundheitsschädlichem Verhalten wie Rauchen) werden oft nur akzeptiert und befolgt, wenn Patienten vertrauen (Mechanic und Schlesinger 1996; Leisen und Hyman 2004). Da medizinische Dienstleistungen i.d.R. die Kooperation und Co-Produktion der Patienten bedingen (siehe Kapitel 3.1.2), müssen Patienten diese kritische Rolle akzeptieren. “Trust provides a context in which doctors and patients can work cooperatively to establish care objectives and to seek reasonable ways of achieving them” (Mechanic 1996, S. 177). Zusätzlich hat Vertrauen viele bedeutsame positive Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Patient und Arzt auf intrinsischer und instrumenteller Basis (Mechanic und Schlesinger 1996; Thom und Campbell 1997; Thom et al. 1999b; Hall et al. 2001; Straten et al. 2002). Vertrauen reduziert die Angst der Patienten (Buchanan 2000) und verstärkt ihr Gefühl, dass sich um sie gekümmert wird, was Patientenwohlsein und Heilung begünstigen könnte (Thom und Campbell 1997). Vertrauen wird also ein therapeutischer Effekt zugeschrieben (Buchanan 2000), eine gute Beziehung zwischen Arzt und Patient fördert einen „Placebo“-Effekt (Morgan 2008a). Ferner fördert Vertrauen eine offene Kommunikation, die den bedeutsamen Austausch von Informationen und Gefühlen ermöglicht (Anderson und Dedrick 1990). Vertrauen ist notwendig, damit Patienten stigmatisierende Informationen über ihr gesundheitsbezogenes Verhalten preisgeben (Mechanic und Schlesinger 1996; Goold 2001; Leisen und Hyman 2004) und Gedanken und Gefühle mitteilen, die die Diagnose von (z.B. psychischen) Erkrankungen zulassen (Mechanic und Schlesinger 1996; Leisen und Hyman 2004). Wenn Patienten Vertrauen in ihre Ärzte haben, verringern sich ihre Entscheidungskosten, weil vertrauende Patienten sich weniger verpflichtet fühlen, alternative Pflegeeinrichtungen zu erwägen oder Informationen zu sammeln, um medizinische Leistungen zu bewerten (Buchanan 2000). Misstrauen hingegen erhöht die Transaktionskosten der Patienten (z.B. durch mehrmalige Durchführung diagnostischer Tests oder die Recherche nach zusätzlichen Informationen (Thom und Campbell 1997; Thom et al. 2002). Das Phänomen „eine zweite Meinung einzuholen“, um Standpunkte, Diagnosen und Therapieempfehlungen von Ärzten zu
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Diese „Non-Compliance“ kostet die USA schätzungsweise jährlich rund 100 Mrd. Dollar an zusätzlichen Gesundheitskosten (Hausman 2004, S. 403). Gesundheitsökonomen halten dies für eins der größten Probleme der Gesundheitssysteme (Wüsthof 2000).
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Theoretische Grundlagen
verifizieren und die „besten Ärzte“ und „besten Krankenhäuser“ zu identifizieren, wird durch generelles Misstrauen gefördert (Mechanic und Schlesinger 1996; Gray 1997). Vertrauen korreliert mit Zufriedenheit (Thom et al., 1999b; Leisen und Hyman, 2004) und trägt dazu bei, dass der Patient substanziell zufriedener mit dem Arzt ist (Thom und Campbell 1997). Vertrauen wird ebenso mit Loyalität assoziiert (Mechanic und Schlesinger 1996). Misstrauen hingegen verursacht geringere Patientenzufriedenheit, auch geringere Anbieterzufriedenheit (Thom und Campbell 1997). Es kann zu geringerer Patientenakzeptanz und „NonCompliance“52 an Therapieempfehlungen führen, somit auch das Ausscheiden aus einer Therapie begünstigen (Gray 1997; Thom und Campbell 1997). Möglicherweise resultiert daraus ein schlechterer Gesundheitsstatus der Patienten (Thom und Campbell 1997). Als weitere Konsequenzen von (generellem) Misstrauen kann das Aufsuchen von “alternativen Heilern” (z.B. Heilpraktikern) durch Patienten gesehen werden (Gray 1997) und die Gefahr von Rechtstreitigkeiten (Thom und Campbell 1997). Trotz der zahlreichen positiven Effekte von Vertrauen wird vor fehlplaziertem und naivem Vertrauen gewarnt. Dies kann zu durch ärztliches Verhalten ausgelöste Verletzungen führen, zu sowohl Über- als auch Unternutzung von Behandlungen und zu unnötigen Ausgaben (Buchanan 2000). Auch kann naives Vertrauen Patienten davon abhalten oder daran hindern, autonom zu handeln und eine aktive Rolle in ihrer Gesundheit einzunehmen (Anderson und Dedrick 1990). Alle beschriebenen Effekte beziehen sich mehr oder weniger auf Vertrauen in der ArztPatient-Beziehung, welches bereits umfassend untersucht wurde. Bisher noch kaum betrachtet wurde hingegen das Vertrauen in Krankenhäuser, das Gegenstand dieser Arbeit sein soll. Daher wird im Folgenden dargestellt, was allgemein zu Vertrauen im medizinischen Kontext in der Literatur zu finden ist53. Im Folgenden sollen Definitionen von Vertrauen sowie gängige Konzeptualisierungen und Operationalisierungen vorgestellt werden. In diesen Überblick werden die laut Arnott (2007)
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Im Gegensatz zur „Compliance“ wird das Nichteinhalten von ärztlichen Ratschlägen bzw. die Nichterfüllung von therapeutisch notwendigen Pflichten als „Non-Compliance“ bezeichnet (Scherenberg 2003). Eine Übersicht der wichtigsten qualitativen und quantitativen Studien zum Vertrauensthema im medizinischen Kontext findet sich in Anhang 7.2 und 7.3.
Theoretische Grundlagen
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bedeutsamsten Vertrauens-Studien im Marketing einbezogen54 . Studien aus dem medizinischen Kontext werden integriert. 3.3.2
Definitionen von Vertrauen
Der Vertrauensbegriff scheint über Disziplinen hinweg schwer greifbar, Forscher sind sich bis heute nicht einig, was Vertrauen genau bedeutet. Selbst innerhalb der Wirtschaftswissenschaften existieren unzählige Vertrauensdefinitionen für die verschiedensten Kontexte 55 . Eine Klassifizierung kann helfen, sich mit der Vielfalt an Definitionen auseinander zu setzen. Im Marketing existieren generell zwei Ansätze von Vertrauensdefinitionen. Einerseits kann Vertrauen als Glaube, Zuversicht, Erwartung an die Vertrauenswürdigkeit eines Partners gesehen werden (Schurr und Ozanne 1985; Dwyer und Oh 1987; Anderson und Weitz 1990; Crosby et al. 1990; Morgan und Hunt 1994). Dieser psychologische Ansatz („psychological approach“) beschränkt sich eher auf die kognitive Komponente und sieht Vertrauen eher als Kalkulation von Kosten und Nutzen (Blau 1964; Rotter 1967). Andererseits wird Vertrauen als Verhaltensabsicht oder Verhalten gesehen, das das Verlassen auf einen Partner reflektiert und Verletzlichkeit und Unsicherheit seitens des Vertrauenden beinhaltet (Deutsch 1962; Giffin 1967; Zand 1972; Schlenker et al. 1973; Coleman 1990; Ganesan 1994). Dieser eher verhaltensorientierte Ansatz („behavioral approach“) beinhaltet also eher den konativen Aspekt. Da Verhalten beobachtbar ist, beschränken sind manche „Behavioristen“ darauf, in experimentalen Rollenspielen das Kooperationsverhalten der Teilnehmer zu betrachten und daraus Vertrauenshaltungen abzuleiten. Vertreter des psychologischen Ansatzes hingegen versuchen, das latente Konstrukt Vertrauen mit Befragungen unter Zuhilfenahme von Skalen messbar zu machen. Tabelle 6 zeigt eine Übersicht über Vertrauensdefinitionen, wie sie von im renommierten Journal of Marketing publizierten Studien verwendet werden. Es wird ersichtlich, dass Vertrauen mehrheitlich als Glaube oder Erwartung definiert wird. Moorman et al. (1992 und 1993) weisen jedoch darauf hin, dass beide Komponenten enthalten sein müssen, um von Vertrauen sprechen zu können.
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Diese vielfach zitierten Studien müssen nicht zwangsläufig aus dem Marketing- oder wirtschaftswissenschaftlichen Kontext sein, sondern können auch aus der Psychologie oder Soziologie stammen. Gerade aus diesen beiden Bereichen haben die Wirtschaftswissenschaftler viele Erkenntnisse adaptiert. Einen Überblick findet man z.B. bei Hosmer (1995).
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Theoretische Grundlagen
Tabelle 6: Ausgewählte Vertrauensdefinitionen aus im Journal of Marketing publizierten Studien
Vertrauensdefinitionen
Autoren (Jahr)
„confident belief that the salesperson can be relied upon to Crosby et al. (1990) behave in such a manner that the long-term interest of the customer will be served“ „the firm’s belief that another company will perform actions that will result in positive outcomes for the firm, as well as not take unexpected actions that would result in negative outcomes fort he firm“
Anderson und Narus (1990)
„willingness to rely on an exchange partner in whom one has confidence“
Moorman et al. (1993)
„when one party has confidence in an exchange partner’s reliability and integrity“
Morgan und Hunt (1994)
„willingness to rely on an exchange partner in whom one has confidence“
Ganesan (1994)
„perceived credibility and benevolence of a target of trust“ Doney und Cannon (1997) “customer confidence in the quality and reliability of the services offered“
Garbarino und Johnson (1999)
„expectations held by the consumer that the service provider is dependable and can be relied on to deliver on its promises“
Sirdeshmuk et al. (2002)
Als zentrale Merkmale (auch: Elemente oder Voraussetzungen) von Vertrauen fasst Schlenker et al. (1973) vier Gesichtspunkte zusammen, die vorhanden sein müssen, damit Vertrauen existiert bzw. notwendig wird: (a) eine Ungewissheit bzgl. des Ergebnisses der Zusammenarbeit, (b) das Vorhandensein eines gewissen Risikos, (c) eine mangelnde Beeinflussung des Schicksals (freiwilliger oder erzwungener Kontrollverzicht)56 und (d) die Zeitperspektive (auf die Zukunft gerichtet). Die Ungewissheit und das Risiko bzw. eine Verletzlichkeit sind zwingend erforderlich, da Vertrauen bei sicherem Erfolg überflüssig wäre (siehe z.B. Deutsch 1958). Hier gilt: Je größer sich das Risiko darstellt, desto wichtiger wird Vertrauen57: „trust provides a way to cope with risk or uncertainty in exchange relationships“ (Lane 1998, S. 3). “As the cost of an undesirable service outcome increases, the importance of trust in the ser-
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Dieser Aspekt wird in der Literatur auch als Abhängigkeit (interdependence) von einer anderen Partei beschrieben, „where the interests of one party cannot be achieved without reliance upon another“ (Rousseau et al. 1998, S. 395; siehe auch Lane 1998). „Vertrauen aber heißt, ein Risiko einzugehen und Risiken wachsen mit der Wahrscheinlichkeit und der absoluten Höhe des potenziellen Schadens“ (Ripperger 1998, S. 90).
Theoretische Grundlagen
63
vice provider increases” (Leisen und Hyman 2004, S. 990). Der Kontrollverzicht bzw. die Abhängigkeit von einem Partner ist ebenfalls bedeutsam, da sich das Vertrauen auf eine andere Partei richten muss. Vertrauen gilt generell als Substitut für Kontrolle (Rousseau et al. 1998). Tabelle 7: Ausgewählte Vertrauens-Definitionen aus der medizinischen Literatur
Vertrauensdefinitionen
Autoren (Jahr)
“a person’s belief that the physician’s words and actions are credible and can be relied upon”
Anderson und Dedrick (1990)
„Reassuring feeling of confidence or reliance in the physician and the physician’s intent“
Caterinicchio (1979)
“All embody the notion of expectations: expectations by the public that healthcare providers will demonstrate knowledge, skill and competence; further expectations too that they will behave as true agents (that is, in the patients best interest) and with beneficence, fairness and integrity”
Davies (1999)
“to trust someone else is a voluntary action based on expectations of how others will behave in relation to yourself in the future”
Gilson (2003)
“Optimistic acceptance of vulnerable situation and the belief, willingness or expectation that the trusted individual or institution will be reliable.”
Hall et al. (2001)
“willingness to place oneself in a relationship that establishes or Johns (1996) increases vulnerability with reliance upon someone or something to perform as expected”
“Trust is the expectation that individuals and institutions will meet their responsibilities to us”
(Mechanic 1998a)
“Trust refers to the expectations of the public that those who serve them will perform their responsibilities in a technically proficient way (competence), that they will assume responsibility and not inappropriately defer to others (control), and that they will make patients’ welfare their highest priority (agency)”
Mechanic und Schlesinger (1996)
“Public trust in health care could be defined as being confident that you will be adequately treated when you are in need of health care”
Straten et al. (2002)
„patient’s confidence that the physician will do what is best for the patient“
Thom und Campbell (1997)
“acceptance of a vulnerable situation in which the truster believes that the trustee will act in the truster’s best interests”
Thom et al. (2004)
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Theoretische Grundlagen
Auch in der medizinischen Literatur existieren zahlreiche Definitionen von Vertrauen (Hall et al. 2001). Tabelle 7 zeigt einen Überblick. Analog zu den Wirtschaftswissenschaften (da häufig auch aus den gängigen Quellen zitiert oder abgeleitet) wird Vertrauen entweder als Glaube, Zuversicht, Erwartung oder als eher affektives Gefühl der Zuversicht definiert58 (Pearson und Raeke 2000). Auch wenn es Unterschiede zwischen den Definitionen gibt, sind auch hier gewisse Elemente allen gemein: „the optimistic acceptance of a vulnerable situation in which the trustor believes the trustee will care fort he truster’s interests“ (Hall et al. 2001, S. 615). Es gibt also keine Notwendigkeit zu vertrauen ohne Verletzlichkeit oder Unsicherheit bezüglich der Motive, Intentionen und zukünftigem Verhalten der Partei, zu der eine Abhängigkeit besteht (siehe Goold 1998; Goold 2001; Hall et al. 2001; Gilson 2003). Auch stecken optimistische Erwartungen in Vertrauen. Vertrauen wird eher als Einstellung und nicht als Verhalten gesehen. Hall et al. (2001, S. 616) unterscheiden zwischen „trusting attitudes“ und „trusting behavior“. Auffällig ist, dass in den Definitionen als Vertrauensobjekt entweder Ärzte und Gesundheitsdienstleister genannt werden oder allgemein zwischen Individuen oder Institutionen unterschieden wird. Zudem lassen sich einige Subkategorien von Vertrauen im medizinischen Kontext entdecken, die sich z.T. auf unterschiedliche Ebenen beziehen. So unterscheidet Buchanan (2000) zwischen Statusvertrauen und Leistungsvertrauen („merit trust“). „Status trust attaches to members of a profession simply by virtue of their being identified as members of that profession“ (Buchanan 2002, S. 190) und könnte analog auch als institutionelles Vertrauen bezeichnet werden (siehe Abschnitt 3.3.5). Leistungsvertrauen hingegen wird in ein Individuum gebildet auf Basis der jeweiligen Kompetenz und des Verhaltens, was auch als relationales Vertrauen bezeichnet werden könnte. Hier wird erneut in primär (basierend auf z.B. Verhalten eines Arztes) und derivativ (basierend auf dem Glauben oder der Wahrnehmung der Organisation, in der der Arzt tätig ist) unterschieden. Gilson (2003) weist darauf hin, dass „a form of involuntary trust may appear to exist“, wenn z.B. keine Wahlmöglichkeiten für einen Patienten bezüglich eines Gesundheitsdienstleisters bestehen (Gilson 2003, S. 1454). Sie korrigiert diese Bezeichnung allerdings und bevorzugt den Begriff „Abhängigkeit“, auch wenn es freiwilliges Vertrauen gebe.
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Auch wenn primär als eher kognitive Erwartung definiert, spielt die emotionelle, nicht-rationale Komponente im medizinischen Kontext eine wichtige Rolle, nämlich als Bewältigungsstrategie als Antwort auf psychischen krankheitsbedingten Stress (Hall et al. 2001).
Theoretische Grundlagen
65
Während mit dem Konstrukt Vertrauen in den Wirtschaftswissenschaften meist das relationale oder spezifische Vertrauen eines Vertrauensgebers in einen Vertrauensnehmer gemeint ist, gibt es auch dort durchaus noch weitere Subkategorien des Vertrauensbegriffs, die kurz skizziert werden sollen: Psychologen legen ihren Forschungsfokus meist auf das generalisierte Vertrauen (Deutsch 1958, Rotter 1967 etc.). Dies kann interpretiert werden als die grundsätzliche Vertrauensbereitschaft einer Person, also als Persönlichkeitsmerkmal oder generelle Einstellung, die sozial erlernt wird (siehe z.B. Petermann 1996). Soziologen beschäftigen sich meist mit der gesellschaftlichen Perspektive des institutionellen Vertrauens (oder Institutionen-basiertes Vertrauen) (Zucker 1986; Rousseau 1998), „where trust is tied to broad societal institutions“ (Zucker 1986, S. 60)59. Nähere Erläuterungen dazu erfolgen in Abschnitt 3.3.5, wenn es um verschiedene Ebenen des Vertrauens geht. Verwandte Konstrukte, die manchmal mit Vertrauen verwechselt werden, sind Zuversicht (confidence), Hoffnung, Zutrauen, Kooperation, und Vorhersehbarkeit (siehe Mayer et al. 1995, S. 712-714; Ripperger 1998). Während „Zuversicht [ist] eine generelle Reaktion auf die ständig präsenten Unsicherheiten des alltäglichen Lebens“ (Ripperger 1998, S. 36) darstellt (und nicht wie Vertrauen auf spezifische Risikosituationen), bezieht sich Hoffnung „auf Risiken exogener Art und damit auf unsichere Ereignisse, mit deren Auslöser kein Vertragsschluss möglich ist“, und nicht wie Vertrauen auf Risiken endogener Art (Ripperger 1998, S. 38; siehe auch Mayer et al. 1995, S. 713). „Zutrauen heißt, einem Akteur die erforderliche technische Kompetenz zuzusprechen, die ihm anvertraute Aufgabe dem Plan entsprechend ausführen zu können“ (Ripperger 1998, S. 39f). Somit bezieht sich Zutrauen lediglich auf das Vorhandensein der Fähigkeit, bestimmte Aufgaben zu erledigen. Vertrauen hingegen beinhaltet den motivationalen Aspekt der Kooperation, also das „Wollen“. Die Gleichsetzung von Vertrauen und Kooperation, wie sie von Ökonomen in der Spieltheorie vollzogen wird (z.B. Gambetta 1988), ist kritisch, da Kooperation nicht unbedingt eine vertrauensvolle Erwartungshaltung zugrunde liegen muss (Kooperation muss nicht zwingend mit Risiko oder Verletzlichkeit verbunden sein) und sich eine Vertrauenserwartung nicht immer in kooperativem Verhalten manifestiert (Mayer et al. 1995, S. 712; Ripperger 1998, S. 93).
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Gründe der Entstehung des institutionsbasierten Vertrauens erläutert Zucker (1986) ausführlich auf den Seiten 82-89.
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Theoretische Grundlagen
Vorhersehbarkeit reduziert genau wie Vertrauen Unsicherheit (Lewis und Weigert 1985). „What is missing from such an approach is the willingness to take a risk in the relationship and to be vulnerable“ (Mayer et al. 1995, S. 714). Vorhersehbarkeit ist aber nicht mit Vertrauen gleichzusetzen, da sie sogar Vertrauen reduzieren kann, nämlich wenn Partner sich kontinuierlich (also vorhersehbar) vertrauensunwürdig verhalten. 3.3.3
Konzeptualisierungen von Vertrauen
Aber nicht nur Definitionen, auch Konzeptualisierungen von Vertrauen fallen recht unterschiedlich aus (z.B. Ganesan und Hess 1997). In Anhang 7.1 sind ausgewählte empirische Studien aus bedeutsamen Marketing- und Managementjournals tabellarisch zusammengefasst. Zwei weitere Tabellen in Anhang 7.2 und 7.3 geben die wichtigsten qualitativen und quantitativen Studien zum Vertrauensthema im medizinischen Kontext wieder. Marketingwissenschaftler konzeptualisieren Vertrauen entweder als eindimensional, zweidimensional oder multidimensional. Ältere Studien halten Vertrauen für ein eindimensionales Konstrukt (siehe z.B. Schurr und Ozanne 1985; Anderson und Narus 1990; Crosby et al. 1990; Moorman et al. 1993, Morgan und Hunt 1994). Meist wird Vertrauen dann auf die Zuverlässigkeit des Vertrauensnehmers bezogen. Andere Forscher vertreten die Ansicht, Vertrauen habe zwei Dimensionen. Hier haben sich die Elemente Glaubwürdigkeit und Wohlwollen durchgesetzt (siehe Dwyer und Oh 1987; Scheer und Stern 1992; Ganesan 1994; Kumar et al. 1994; Doney und Cannon 1997; Ganesan und Hess 1997; Doney et al. 2007). Soziologen wie Parsons (1969) und Barber (1983) unterscheiden zwischen Vertrauen in Integrität und Vertrauen in Kompetenz bzw. treuhänderisches und Kompetenzvertrauen. Auch Ripperger (1998) und Singh und Sirdeshmukh (2000) sehen zwei zentrale Dimensionen des Vertrauen: Wohlwollen und Kompetenz. Eine kleine Gruppe schließlich hält Vertrauen für ein multidimensionales Konstrukt. Beispielsweise sehen Sirdeshmuk et al. (2002) Kompetenz, Wohlwollen und Problemlösungsorientierung als Elemente von Vertrauenswürdigkeit eines Dienstleisters. Mishra (1996) schlägt mit Kompetenz, Offenheit, Interesse und Zuverlässigkeit vier Dimensionen vor. Auch im medizinischen Kontext wird Vertrauen zumeist als komplexes, multidimensionales Konstrukt gesehen60 (Pearson und Raeke 2000). Patientenvertrauen in Ärzte lässt sich in min-
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Dies trifft allerdings lediglich auf das Patientenvertrauen in Ärzte zu, da dieses bereits in zahlreichen Studien untersucht wurde. Das Patientenvertrauen in Krankenhäuser hingegen war noch nie Gegenstand einer wissenschaftlichen Studie.
Theoretische Grundlagen
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destens zwei Dimensionen aufspalten (Leisen und Hyman 2001). Klassische Dimensionen dieses Vertrauens umfassen:
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Kompetenz (siehe Caterinicchio 1979; Anderson und Dedrick 1990; Emanuel und Dubler 1995; Mechanic 1996; Mechanic und Schlesinger 1996; Gray 1997; Newcomer 1997; Thom und Campbell 199761; Mechanic 1998a; Hall et al. 2001; Leisen und Hyman 2001; Hall et al. 2002a; Hall et al. 2002b; Thom et al. 200462)
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Wohlwollen/Verantwortlichkeit/Treue: “pursuing the patient’s best interest and not taking advantage of his or her vulnerability“ (Hall et al. 2001, S. 621; siehe Gray 1997; Newcomer 1997; Thom und Campbell 1997; Leisen und Hyman 2001; Hall et al. 2002a; Hall et al. 2002b)
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Vertretung/Fürsorge (siehe Mechanic 1996; Thom und Campbell 1997; Mechanic 1998a; Thom et al. 2004)
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Mitgefühl (siehe Emanuel und Dubler 1995; Mechanic und Schlesinger 1996; Thom und Campbell 1997)
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Ehrlichkeit (siehe Hall et al. 2001; Hall et al. 2002a; Hall et al. 2002b)
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Vertraulichkeit und Geheimhaltung: „entails the protection and proper use of sensitive or private information“ (Hall et al. 2001, S. 622; siehe auch Anderson und Dedrick 1990; Mechanic 1996; Mechanic und Schlesinger 1996; Mechanic 1998a; Hall et al. 2002a; Hall et al. 2002b)
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Zuverlässigkeit (siehe Anderson und Dedrick 1990)
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Offenheit der Kommunikation (siehe Mechanic 1996; Mechanic 1998a)
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Kontrolle (siehe Mechanic 1996; Mechanic 1998a)
Thom und Campbell (1997) explorierten in Fokusgruppeninterviews das Konstrukt Patientenvertrauen und identifizierten neun Dimensionen: 1. Probleme gründlich eruieren, 2. Passende und effektive Therapie bieten, 3. Klar und umfassend kommunizieren, 4. Patientenerfahrungen individuell verstehen, 5. Fürsorge ausdrücken, 6. Partnerschaft aufbauen und Macht teilen, 7. Ehrlichkeit und Respekt demonstrieren, 8. Predispositive Faktoren (Ausbildung), 9. Strukturelle/Mitarbeiterfaktoren. Allerdings könne man diese in zwei übergreifende Dimensionen zusammenfassen: Technische Kompetenz und Wohlwollen. Leisen und Hyman (2001) haben dies empirisch mit einer Faktorenanalyse bestätigen können. Thom et al. (2004) unterscheidet zwischen technischer und interpersoneller Kompetenz.
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Theoretische Grundlagen
x
Globale Vertrauensdimension (siehe Hall et al. 2001; Hall et al. 2002a; Hall et al. 2002b)
Obwohl diese Dimensionen relativ differenziert sind, wurden sie entweder in qualitativen Studien identifiziert oder konzeptionell hergeleitet. Fast alle Versuche, mehrdimensionale Skalen zu entwickeln, misslangen (z.B. Hall et al. 2002a und 2002b). Neben den populären eindimensionalen Skalen (siehe Abschnitt 3.3.5) gibt es bisher nur eine Skala, die mehrere Dimensionen des Patientenvertrauens in Ärzte umfasst (Leisen und Hyman 2001)63. Ferner diskutieren einige Vertrauensforscher, dass Vertrauen grundsätzlich zwei Formen habe. Sie unterscheiden zwischen kognitivem und emotionalem/affektivem Vertrauen (Lewis und Weigert 1985, McAllister 1995; Johnson und Grayson 2005). Kognitives Vertrauen basiert auf Kognitionen (Lewis und Weigert 1985) und bewertet die Kompetenz, Verantwortung, Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit (Reliability, Dependability) des zu Vertrauenden. Dafür ist ein gewisser Grad an Vorwissen notwendig, der sich zwischen totaler Ignoranz und totalem Wissen bewegen kann. Affektives Vertrauen hingegen gründet sich auf emotionellen Bindungen, aufrichtige Fürsorge und der Sorge ums Wohlergehen (Lewis und Weigert 1985, McAllister 1995). Die sozial-psychologische Literatur bestätigt diese Unterscheidung; eine klare Trennung der beiden Formen sei allerdings kritisch zu sehen (Lewis und Weigert 1985). Auch Ripperger (1998) unterscheidet zwischen einer kognitiven und einer emotionalen Ebene, sieht Vertrauenserwartungen aber immer als eine Kombination aus beiden Aspekten. Sie betrachtet den Dualismus von Verstand und Gefühl und die damit einhergehende Polarisierung von Vertrauen in beide Elemente kritisch und als nicht gerechtfertigt64. Vertrauen ist also immer als Mischung von Rationalität und Emotionalität zu sehen. In der psychologischen Vertrauenstradition, die Vertrauen als komplexen Geisteszustand sieht, der nicht beobachtet werden kann65, existieren drei generelle Ansätze, wie Vertrauen konzeptualisiert werden kann (siehe Lewicki et al. 2006). Erstens kann es unidimensional konzeptualisiert werden, d.h. Vertrauen und Misstrauen stellen bipolare Gegenstücke eines Konstrukts dar. Zweitens kann eine zweidimensionale Sicht auf Vertrauen und Misstrauen diese als separate und voneinander unabhängige Konstrukte modellieren (siehe Lewicki et al. 1998). Dies
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Leisen und Hyman (2001) verdichteten zehn Dimensionen in einer Faktorenanalyse auf die zwei übergeordneten Dimensionen technische Kompetenz und Wohlwollen. Ihre Skala ist mit 51 Items allerdings sehr umfangreich. „Gefühle bilden sich in der Regel als emotionale Reaktionen auf die kognitive Durchdringung einer Situation“ (Ripperger 1998, S. 97). Entgegen der von den Ökonomen häufig vertretenen verhaltensorientierten Vertrauenstradition, die Vertrauen als rationales Verhalten sieht (das sich in Kooperation äußert und beobachten lässt).
Theoretische Grundlagen
69
führt zu vier möglichen Kombinationen: geringes Vertrauen/geringes Misstrauen, hohes Vertrauen/geringes Misstrauen, geringes Vertrauen/hohes Misstrauen, hohes Vertrauen/hohes Misstrauen (siehe auch Abschnitt 5.3.1.2). Ein dritter transformationaler Ansatz nimmt an, dass „there are different types of trust and that the nature itself transforms over time“ (Lewicki et al. 2006, S. 1006). Diese Sicht bezieht unterschiedliche Vertrauensarten mit ein und postuliert, dass sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Beziehungen jeweils eine andere Art von Vertrauen bildet. Diese speziellen Vertrauensarten lassen sich allerdings nicht immer klar voneinander abgrenzen und beschreiben in ihren Bezeichnungen eigentlich nur ihre Ursprünge; das generelle Konstrukt Vertrauen bleibt bestehen. Sie geben so aber bereits Hinweise auf ihre Einflussfaktoren. Populär ist das sogenannte „kalkulative Vertrauen“ 66 (Lane 2002), welches vor allem von Soziologen und Ökonomen beschrieben wird (Barber 1983; Axelrod 1984; Ripperger 1998; Lewicki und Bunker 1995, 1996): „trust emerges when the trustor perceives that the trustee intends to perform an action that is beneficial“ (Rousseau et al. 1998, S. 399). Für das kalkulative Vertrauen werden also Kosten und Nutzen gegeneinander aufgewogen: “trust is an ongoing, market-oriented, economic calculation whose value is derived by comparing the outcomes resulting from creating and sustaining the relationship to the costs of maintaining or severing it” (Lewicki und Bunker 1995, S. 145). Vertrauen basiert in dieser Perspektive auf ökonomischen Überlegungen. Vorwissen über den Transaktionspartner ist dabei nicht unbedingt notwendig. „Deterrence-based trust” ist dem kalkulativen Vertrauen recht ähnlich. Dabei geht es darum, dass „individuals will do what they say because they fear the consequences of not doing what they say“ (Lewicki und Bunker 1995, S. 145). Das relationale Vertrauen hingegen „derives from repeated interactions over time between trustor and trustee” (Rousseau et al. 1998, S. 399) und kann damit auch als prozessbasiertes Vertrauen nach Zucker (1986) bezeichnet werden, “where trust is tied to past or expected exchange such as in reputation or gift-exchange” (Zucker 1986, S. 60; siehe auch Johnson und Grayson 2000). Das relationale Vertrauen wächst also inkrementell im Laufe einer Beziehung. Dem ähnlich ist das „wissensbasierte Vertrauen“ („Knowledge-based trust“, siehe z.B. Lewicki und Bunker 1995, 1996), das sich in der Vorhersehbarkeit des anderen begründet. Hier verlässt man sich auf Informationen über den Partner. Dabei gilt die Regel, dass en-
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Williamson (1993) hält kalkulatives Vertrauen für einen Widerspruch an sich, unvereinbar mit dem ökonomischen Prinzip der Vorteilskalkulation. Seine Kritik hat sich allerdings nicht durchsetzen können, siehe z.B. Ripperger (1998).
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Theoretische Grundlagen
ger partnerschaftlicher Kontakt und intensive Kommunikation mit einer besseren Vorhersage seines Verhaltens einhergeht. Ferner kann Vertrauen auf Werten bzw. Normen oder Kognitionen basieren (siehe Bachmann 1998; Lane 1998) oder auf bestimmten Charakteristiken des Vertrauensnehmers, “where trust is tied to person, depending on characteristics such as family background or ethnicity” (Zucker 1986, S. 60). Wiederum ähnlich ist das auf der Identifikation mit dem Vertrauensnehmer basierende Vertrauen („Identification-based trust“, Lewicki und Bunker 1995, 1996). Vertrauen bildet sich, wenn “a full internalization of the other’s desires and intentions” besteht (Lewicki und Bunker 1995, S. 151). Ein beiderseitiges Verstehen und Identifizieren mit gemeinsamen Zielen und Interessen fördert also diese Vertrauensart. Nachdem nun ein Überblick über Definitionen und Konzeptualisierungen aus verschiedenen Disziplinen gegeben wurde, erfolgt im folgenden Abschnitt ein interdisziplinärer Überblick zu Erkenntnissen der Vertrauensbildung. Ein Schwerpunkt soll hier allerdings bereits auf der Vertrauensbildung im medizinischen Kontext liegen. 3.3.4
Vertrauensbildung
Da die vorliegende Arbeit u.a. untersuchen möchte, wie Patientenvertrauen in ein Krankenhaus gebildet wird, ist es sinnvoll, bestehende Erkenntnisse zur Vertrauensbildung einzubeziehen und näher zu betrachten. Aufgrund der Bedeutsamkeit dieser Thematik finden sich vor allem im wirtschaftswissenschaftlichen und soziologischen, aber auch im medizinischen Bereich zahlreiche konzeptionelle Ausarbeitungen und empirische Studien. Um nicht zu sehr in eine Modelldiskussion zu verfallen, soll im Folgenden nur eine grobe Übersicht über verschiedene Ansätze gegeben werden. Eine detailliertere Diskussion soll in das Kapitel 5 (genauer: Abschnitt 5.3.2) verlegt werden, wo die empirischen den wichtigsten theoretischen Erkenntnissen gegenübergestellt werden sollen. Bevor die Literatur nach bereits erkannten und bestätigten Einflussfaktoren auf Vertrauen durchkämmt werden soll, werden als nächstes bestehende Modelle und dann Mechanismen der Vertrauensentwicklung beleuchtet. 3.3.4.1 Modelle der Vertrauensbildung Allgemein lässt sich bei näherer Betrachtung der existierenden Modelle und Mechanismen der Vertrauensbildung feststellen, dass sehr unterschiedliche Herangehensweisen in der Liteȱ
Theoretische Grundlagen
71
ratur in den einzelnen Disziplinen zu finden sind. Vor allem in Modellen der Psychologie, der Soziologie und des Marketing bestehen fundamentale Unterschiede, die sich oftmals auf die jeweiligen Vertrauensobjekte zurückführen lassen. Fünf populäre Modelle sollten hier näher vorgestellt werden. Zu Beginn soll das Modell von Thorne und Robinson (1988b) aus der medizinischen Forschung erläutert werden. Die beiden Forscherinnen interviewten chronisch Kranke und ihre Familienmitglieder. Auf der Basis der Interviews entwickelten sie ein Beziehungsmodell mit drei Stufen. Diese Stufen folgen aufeinander, sind allerdings nicht immer klar voneinander abgrenzbar: 1. „Naive trusting“: Blindes Vertrauen der Patienten und Angehörigen zu Beginn der Erkrankung in der Hoffnung, dass ihnen geholfen wird. 2. “Disenchantment”: Der Verlust von Vertrauen, wenn die Patienten und Angehörigen erkennen, dass ihre hohen Erwartungen nicht erfüllt werden. 3. “Guarded alliance”: Die Rekonstruktion des Vertrauens auf Basis einer informierten Perspektive unter Zuhilfenahme von Strategien der Kooperation, Humanisierung und Neubewertung von Ereignissen. Dieses Modell macht deutlich, dass Vertrauensbildung keinen linearen Prozess durchläuft und Kriterien, anhand derer Vertrauenswürdigkeit eingeschätzt wird, sich im Zeitablauf verändern. Boon und Holmes (1991) entwickelten ein vielzitiertes Stufenmodell67 der intimen, persönlichen Beziehung, in dem sie in ähnlicher Art und Weise drei Stufen einer Beziehung (von einer „romantischen Liebe“ über eine „Bewertungsstufe“ hin zu einer „akkomodativen Beziehungsstufe“) und dabei die sich verändernde Vertrauensentwicklung beschreiben (siehe Tabelle 8).
67
Zuvor hatten Holmes und Rempel (1989) zwei Stufen vorgeschlagen, die „Frühe Phase“, in der „trust is often little more than a naive expression of hope“ (S. 192) und die „Akkomodationsphase“, in der die Interdependenz weiter und tiefer wächst und Vertrauen gestärkt wird.
72
Theoretische Grundlagen
Tabelle 8: Boon und Holmes' Stufen von Beziehungen und Vertrauen
Relationship Stage
Primary Dynamics
Trust Development
Romantic Love
Surge of positive feelings. Idealization of the partner. Expectations enhanced by projection on the other.
Trust and love tend to be undifferentiable. Hope that the relationship will work overshadows fear that it may not.
Evaluative Stage
Close contact reveals imperfections in the other, leading to “step back and evaluate”. Pros and cons of relationship are debated. Effort to get to know the other better – motives, intentions, predispositions, realities.
“Real” trust takes root. Parties engage in riskreciprocal self-disclosure of thoughts and feelings, responding to other’s thoughts and feelings. Determine whether other’s responsiveness is genuine or pretentious – is there real “caring”?
Accomodative Stage
Negotiation of conflicting needs and expectations; deal with incompatibilities surfaced in the previous stage. Develop confidence in future of the relationship.
Solidification of trust. „Leap of faith“ that one can never know everything about the other, but that the relationship can sustain the threat of large differences or incompatibilities.
Dieses Stufenmodell wird auch im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich zitiert68. Der Transfer ist aber nur bedingt möglich. Zwischen intimen Beziehungspartnern, Käufern und Verkäufern oder Unternehmenskooperationen bestehen doch zuweilen große Unterschiede. Dwyer et al. (1987) betrachteten Käufer-Verkäufer-Beziehungen im industriellen Kontext und entwickelten ein Beziehungsentwicklungsprozessmodell, in dem eine B2B-Beziehung fünf klassische Phasen durchläuft. Die erste Phase der “Awareness” meint „party A’s recognition that party B is a feasible exchange partner“ (Dwyer et al. 1987, S. 15). Phase 2 der “Exploration” ist die Phase des “Suchens und Versuchens”. Sie kann in fünf Subprozesse unterteilt werden: (1) Attraktion, (2) Kommunikation und Verhandeln, (3) Entwicklung und Ausübung von Macht, (4) Normenentwicklung, (5) Erwartungsentwicklung. Phase 3 der “Expansion” wird durchlaufen, wenn die Vorteile der Zusammenarbeit kontinuierlich wachsen und sich die Ab-
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Interessanterweise wird relationaler Austausch zwischen Unternehmen häufig mit persönlichen Beziehungen oder sogar Ehen verglichen (Levitt 1983).
Theoretische Grundlagen
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hängigkeit voneinander verstärkt. Phase 4 ist “Commitment” betitelt, da die Austauschpartner nun eine langfristige Zusammenarbeit planen. Phase 5 der „Auflösung“ meint schließlich den Abbruch einer Beziehung. Doney und Cannon (1997) identifizieren im selben Kontext der B2B-Beziehungen auf Basis eines Literaturreviews fünf vertrauensbildende Prozesse und erklären, dass „the development of trust relies on the formation of a trustor’s expectations about the motives and behaviors of a trustee“ (Doney und Cannon 1997, S. 37). Dabei existiert 1. ein kalkulativer Prozess, bei dem Kosten und Nutzen gegenübergestellt werden, 2. ein Vorhersageprozess, bei dem das Vertrauen davon abhängt, inwieweit man das Verhalten des anderen vorhersehen kann, 3. ein Befähigungs-Prozess („capability process“), bei dem die Fähigkeit des anderen bestimmt wird, seinen Verpflichtungen nachkommen zu können, 4. ein Absichtlichkeits-Prozess („intentionality process“), bei dem versucht wird, die Absichten des anderen aus den Worten und dem Verhalten abzuleiten, und 5. ein Transferenzprozess, bei dem Vertrauen durch einen vertrauenswürdigen Dritten von einem Unternehmen zum anderen übertragen werden kann. Hier ist zu erkennen, dass Doney und Cannon (1997) mit ihren verschiedenen Prozessen auch auf die verschiedenen Vertrauensarten (aus Abschnitt 3.3.3.) anspielen. Die verschiedenen Vertrauensarten nutzen auch Lewicki und Bunker (1995, 1996), um ihr Modell der Vertrauensentwicklung zu erarbeiten. Sie sehen drei Stufen der Vertrauensbildung, in denen jeweils eine andere Vertrauensart (entweder kalkulatives Vertrauen, wissensbasiertes Vertrauen oder identifikationsbasiertes Vertrauen) vorrangig präsent ist. Sie vergleichen die Bildung des kalkulativen Vertrauens mit dem Vorgehen im populären Brettspiel „Chutes and Ladders“ (in Deutschland unter „Schlangen und Leitern“ bekannt). Kalkulatives Vertrauen wird demnach schrittweise aufgebaut; bei einem negativen Vorfall kann das noch recht fragile Vertrauen allerdings stark erschüttert werden kann und man wird im Vertrauensaufbau zurückgeworfen. Der Prozess des Aufbaus des wissensbasierten Vertrauens wird mit „Gartenarbeit“ gleichgesetzt, da Partner ihr Wissen kultivieren und Dinge ausprobieren. In dieser zweiten Stufe lässt sich Vertrauen nicht mehr so stark erschüttern, da Partner eher verzeihen. Die dritte Stufe der Bildung des identifikationsbasierten Vertrauens wird mit der Metapher des „Harmonisierens“ umschrieben, da eine erhöhte Identifikation mit dem Partner nicht nur dazu führt, dass das Verhalten des anderen besser vorausgesehen werden kann, sondern auch Bedürfnisse, Präferenzen und Verhaltensweisen geteilt werden. Abbildung 12 stellt die stufige Entwicklung der drei Vertrauensarten noch einmal grafisch dar (Lewicki und Bunker 1995, 1996).
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Theoretische Grundlagen
CBT = calculus-based trust KBT = knowledge-based trust IBT = identification-based trust IBT develops Stable identificationbased trust
J2
A few Relationships
KBT develops CBT develops
Stable knowledgebased trust
J1
Many Relationships
Stable calculusbased trust Some Relationships
Time J1 At this juncture, some CBT relationships become KBT relationships. J2 At this juncture, a few KBT relationships where positive affect is present go on to become IBT relationships.
Abbildung 12: Die Stufen der Vertrauensentwicklung
Nach der Vorstellung der fünf Modelle bzw. Prozesse stellt sich die Frage, inwieweit diese die vorliegende Thematik des Patientenvertrauens in Krankenhäuser geeignet erklären und abbilden. Dies soll allerdings erst im Abgleich mit der Empirie erfolgen, daher sei an dieser Stelle auf Abschnitt 5.3.2 verwiesen. 3.3.4.2 Mechanismen der Vertrauensbildung Neben den eher umfassenden Modellen der Vertrauensbildung lassen sich in der Literatur zahlreiche Studien bezüglich der Mechanismen der Vertrauensbildung auffinden. Generell bildet sich Vertrauen durch einen sogenannten „cognitive leap“, d.h. einen kognitiven Sprung, indem verfügbare Informationen extrapoliert werden („overdrawing on the informational base“) (Lewis und Weigert 1985; Luhmann 1979). Holmes und Rempel (1989) spekulieren, dass Vertrauen in einer Spirale wächst, und bezeichnen den Prozess der steigenden Interdependenz als „reciprocal reassurance“. „The give-and-take between partners allows trust to flourish as the relationship progresses“ (Aiken 1999, S. 61). Zand (1972) nennt diesen Prozess des Vertrauensaufbaus durch wiederholte Interaktionen “spiral reinforcement“. ȱ
Theoretische Grundlagen
75
Larzelere und Huston (1980) hingegen beschreiben den Prozess der Vertrauensbildung als curvilinear. Ein zentrales und über alle Disziplinen anerkanntes Prinzip ist das der Asymmetrie. So formulieren beispielsweise Poortinga und Pidgeon (2004, S. 1475; siehe auch Slovic 1993): “in general, trust is gained rather slowly, i.e., it may take a long time and a large number of acts to prove that someone can be trusted, while a single act of betrayal can destroy trust instantly”. Das sogenannte Asymmetrie- Prinzip besagt also, dass Vertrauen einfacher zu verlieren als zu gewinnen ist (Taylor 1991; Slovic 1993; Lewicki und Bunker 1995). Das liegt daran, dass negative Ereignisse einen größeren Einfluss als positive haben und informativer oder diagnostischer sind. Dies wird auch als “Negativitätsbias” bezeichnet (Siegrist und Cvetkovich 2001). Dieses Prinzip ist aber auch nicht unangefochten: Poortinga und Pidgeon (2004) sehen nicht jedes negative Ereignis als vertrauenserschütternd. Die Tatsache, dass “people often do not have the time, cognitive resources, or willingness to keep changing their trust judgments” (Poortinga und Pidgeon 2004, S. 1476), sorgt dafür, dass Vertrauen doch relativ stabil ist. Sie verweisen daher auf den “Value similarity approach” von Earle und Cvetkovich (1995), die Vertrauen als eine affektive soziale Verbindung sehen, die oft auf genereller Übereinstimmung und Sympathie basiert und nicht auf sorgfältig begründeten Argumenten oder direkten Beweisen. Man könnte somit auch von identitätsbasiertem Vertrauen sprechen, wenn Menschen ihr Vertrauen intuitiv auf wahrgenommener Ähnlichkeit der Werte basieren. Eine weitere wichtige Rolle bei der Vertrauensbildung spielen die Meinungen („prior beliefs”) von Menschen (White et al. 2003). Wenn Menschen sich bereits (negative) Meinungen über etwas gebildet haben, neigen sie dazu, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie ihre existierenden Ansichten bestätigen und unterstützen (sogenannter „confirmatory bias“) (Slovic 1993; Poortinga und Pidgeon 2004). Bereits Lord et al. (1979) fand heraus, dass Menschen empirische Beweise, die ihren eigenen Ansichten widersprachen, unberücksichtigt lassen, während sie Beweise zulassen, die ihrer eigenen Meinung entsprechen. Gerade im medizinischen Kontext beobachtet Goold (2001) ebenfalls dieses Phänomen: “Paradoxically, there is a propensity for individuals to disbelieve in violations of trust. Sometimes the need to trust is so strong or the options so few that individuals can permit a type of cognitive dissonance when evaluating another individual or organization’s behaviour” (Goold 2001, S. 31). Vertrauen kann also allgemein einen sogenannten Feedback-Loop aufweisen (Hall et al. 2001; Hardin 2001), der positiv oder negativ ausgeprägt ist: „through spirals of expectations that
76
Theoretische Grundlagen
influence perceptions of experiences“ (Hall et al. 2001, S. 618). Das bedeutet, dass Patienten, die mit hohem Vertrauen in eine Beziehung gehen, Ergebnisse eher positiv erleben, Patienten mit Misstrauen hingegen Ergebnisse auch eher negativ sehen (Holmes und Rempel 1989; Murray et al. 1996; Govier 1997). Anderson und Sullivan (1993) und Tax et al. (1998) bezeichnen dies als „Forgiveness effect“: Ist hohes Pre-Vertrauen in jemanden vorhanden, beeinflusst ein negatives Erlebnis das Vertrauensniveau nur in geringem Maße. Dieser Effekte soll verstärkt dann auftreten, wenn ein negatives Erlebnis atypisch ist (Singh und Sirdeshmukh 2000). Auch Hall et al. (2001) sehen diesen Vergebenseffekt, da Vertrauen nicht nur die Kompetenz, sondern auch die Motivation und Intention des Gegenübers mit einbezieht. Daher kann eine schwache Leistung in Vergeben resultieren. Dabei vergeben vertrauende Patienten einem Arzt einen Fehler eher, wenn sie wahrnehmen, dass der Arzt wenigstens wohlwollend war oder sich bemüht hat (Ben-Sira 1980). Aber auch der gegensätzliche Effekt ist denkbar (sogenannte „betrayal hypothesis“). So könnte ein negatives Erlebnis das bestehende Vertrauen besonders stark erschüttern, da sich der Vertrauende betrogen fühlt (Bitner et al. 1990). Hall et al. (2001) schreibt Vertrauen einen sogenannten „Cliff Effekt“ zu. Das bedeutet, dass Vertrauen sich über eine gewisse Zeit aufbaut, sich irgendwann aber über die wahre Vertrauenswürdigkeit hinaus überspannt, was zu einem unvermeidbaren steilen Abfall oder Gefühl des Verrats führen kann (Thorne und Robinson 1988b). Dies muss aber nicht zwangsweise passieren, da Vertrauen auch ein Plateau erreichen kann, wo ein Gleichgewicht zwischen Erwartungen und subjektiven Erlebnissen besteht. Welche der geschilderten Mechanismen sind beim Patientenvertrauen in Krankenhäuser zu beobachten? Wie sind die gegensätzlichen Effekte zu erklären? Im empirischen Ergebniskapitel soll dies analysiert werden. 3.3.4.3 Determinanten des Vertrauens Nachdem nun einige Mechanismen bei der Vertrauensbildung beschrieben wurden, soll es nun um die Determinanten des Vertrauens gehen. Zahlreiche Studien, die in verschiedenen Kontexten vertrauens- und misstrauensfördernde Faktoren identifizieren, können für einen Literaturüberblick herangezogen werden.
ȱ
Theoretische Grundlagen
77
Vor allem in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur lassen sich unendlich viele Vertrauensdeterminanten finden69. Die fundamentale Frage, wie sich Vertrauen in Geschäftsbeziehungen entwickelt, stellt dort häufig den Ausgangspunkt dar. Lewicki et al. (2006) klassifizieren die Determinanten grob in folgende sechs Kategorien: x
Charakteristika des Vertrauenden (z.B. persönliche Neigung zu vertrauen)
x
Charakteristika des zu Vertrauendem (z.B. Kompetenz, Wohlwollen)
x
Charakteristika der Beziehung (z.B. Beziehungsdauer)
x
Charakteristika der Kommunikationsprozesse (z.B. Offenheit)
x
Charakteristika der Beziehungsform (z.B. enge Freundschaft)
x
Strukturelle Parameter, die die Beziehung prägen (z.B. Verfügbarkeit von Kommunikationsmechanismen)
Gerade zum zweiten und dritten Aspekt existieren zahlreiche Modelle im Marketing. Verwiesen sei hier beispielsweise auf vielzitierte Klassiker wie Crosby et al. (1990) Anderson und Narus (1990), Moorman et al. (1993), Morgan und Hunt (1994), Ganesan (1994), Mayer et al. (1995), Doney und Cannon (1997), Selnes (1998), Garbarino und Johnson (1999) und auch neuere Arbeiten von Kennedy et al. (2001), Sirdeshmuk et al. (2002), Johnson und Grayson (2005) und Doney et al. (2007), in denen i.d.R. einige Einflussfaktoren herausgegriffen, theoretisch hergeleitet und in übersichtlichen Strukturgleichungsmodellen empirisch überprüft werden. Auch in der medizinischen Forschung wurden zahlreiche Variablen auf ihren Einfluss auf Vertrauen untersucht. Diese klassifizieren Hall et al. (2001) entlang von drei Kategorien: Patientencharakteristika, Arztcharakteristika und relationale oder situative Charakteristika. x
Patientencharakteristika:
Patientencharakteristika sind als Einflussfaktoren sehr umstritten. Während Hall et al. (2002) nach einem Review feststellen, dass Charakteristika von Patienten sich nicht als Einflussfaktoren für Vertrauen eignen, wird vor allem der Einfluss des Alters immer wieder bestätigt.
69
Einen Auszug davon findet man z.B. bei Mayer et al. (1995, S. 718), Johnson und Grayson (2000, S. 364) und Doney et al. (2007, S. 1098).
78
Theoretische Grundlagen
Hier gilt: je älter der Patient, desto größer das Vertrauen (Thom et al. 1999b; Mainous et al. 2001; Straten et al. 2002; Tai-Seale und Pescosolido 2003; Tarrant et al. 2003). Auch Bildung und persönliche Erfahrung wurden als Faktoren bestätigt. x
Arztcharakteristika:
Arztcharakteristika wie die das Verhalten oder die Persönlichkeit wurden regelmäßig in Studien als bedeutsame Einflussfaktoren identifiziert (Hall et al. 2002). Hier sind vor allem drei Bereich zu nennen: Arzt-Patient Interaktion/Kommunikation Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient wird in vielen Studien als der zentrale Faktor innerhalb der Beziehung bestätigt (z.B. Mechanic 1996; Thom und Campbell 1997; Cote und Latham 2003). Zudem betreffen die meisten Beschwerden von Patienten über Ärzte Aspekte der Kommunikation: Ärzte würden nicht zuhören, keine oder zu wenig Informationen geben, wenig Fürsorge und wenig Respekt zeigen (Morgan 2008a, S. 61). Überhaupt sind die sozialen Fähigkeiten eines Arztes und sein fürsorgliches Verhalten („caring behaviors“, siehe Buchanan 2000) für Patienten extrem wichtig (Thom et al. 1999a) und tragen zum Heilungserfolg bei (Mechanic 1998b). Aspekte der Arzt-Patient Interaktion/Kommunikation werden häufig als Dimension von Vertrauen konzeptualisiert. Technische Kompetenz Neben den sozialen Fähigkeiten ist es natürlich die fachliche Kompetenz, die die Arbeit eines Arztes überhaupt erst erfolgreich macht (Johns 1995; Thom und Campbell 1997). Aspekte der technischen Kompetenz werden häufig als Dimension von Vertrauen modelliert. Geteilte Werte/gemeinsame Entscheidungen Krupat et al. (2001) konnte empirisch nachweisen, dass Patienten, die dieselben Ansichten wie ihre Ärzte aufwiesen, ihren Ärzten eher vertrauten. Auch Thom und Campbell (1997) und Cote und Latham (2003) bestätigen, dass geteilte Werte und Informationen, gemeinsam vereinbarte Ziele der Behandlung und der Respekt vor der Autonomie des Patienten Vertrauen positiv beeinflussen. Geteilte Werte können auch eine Dimension von Vertrauen darstellen.
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Theoretische Grundlagen
x
79
Relationale oder situative Charakteristika:
Beziehungsdauer Einer der am häufigsten untersuchten Einflussfaktoren ist die Beziehungsdauer (z.B. Thom und Campbell 1997; Kao et al. 1998b; Leisen und Hyman 2004). Vertrauen in Ärzte korreliert mit der Zeit, die man mit dem Arzt verbracht hat und der Anzahl der vorhergehenden Besuche (Hall 2002; Thom et al. 2002; Leisen und Hyman 2004). Eine kontinuierliche Beziehung zwischen dem Patienten und dem Arzt wird verbunden mit einem höheren Patientenvertrauen in den Arzt (Mainous et al. 2001). Fraglich ist hier nur, ob die Beziehungsdauer eine Konsequenz oder einen Antezedenten des Vertrauens darstellt. Wahlmöglichkeiten Kao et al. (1998b) und Tai-Seale und Pescosolido (2003) bestätigten empirisch, dass Patienten mit ausreichender Ärzteauswahl und tatsächlichen Wahlmöglichkeiten ihrem Arzt eher vertrauen. Zufriedenheit Die Zufriedenheit eines Patienten wird in einigen Studien (z.B. Hall 2002; Thom et al. 2002; Leisen und Hyman, 2004) als Antezedent für Vertrauen gesehen, da “satisfaction develops in the initial stages of marketing relationships and trust develops in the intermediate stages” (Leisen und Hyman, 2004, S. 993, siehe auch Dwyer et al. 1987, Geyskens 1999). In anderen Studien wird Zufriedenheit hingegen als Konsequenz von Vertrauen modelliert. Welche der Determinanten, die primär in Studien zu Patientenvertrauen in Ärzte identifiziert wurden, können auf das Vertrauensobjekt Krankenhaus übertragen werden? Wie wichtig sind Wahlmöglichkeiten dort? Spielt die Beziehungsdauer, die dort ja in der Regel kaum vorhanden ist, eine Rolle? Dies soll später geprüft werden. Im letzten Abschnitt dieses Kapitels soll nun eine Betrachtung der in der Literatur erwähnten und durchleuchteten Vertrauensebenen und –objekten/-personen mit dem Schwerpunkt auf dem medizinischen Kontext vorgenommen werden. 3.3.5
Vertrauensebenen und –objekte
Generell wird in der Literatur thematisiert, dass Vertrauen in unterschiedliche Ebenen und Objekte differenziert betrachtet werden muss (z.B. Ganesan und Hess 1997; Lane 1998; Rousseau et al. 1998). Je nach Vertrauensgeber und Vertrauensnehmer lassen sich schon einmal unterschiedliche Vertrauensformen definieren (siehe z.B. Ganesan und Hess 1997). Hier
80
Theoretische Grundlagen
sei das sogenannte interpersonelle Vertrauen (Vertrauen zwischen Personen) (siehe z.B. Rotter 1967; Schlenker et al. 1973; Crosby et al. 1990; Moorman et al. 1993; Ganesan 1994), das organisationelle Vertrauen (Vertrauen einer Person in eine Organisation) (siehe z.B. Anderson und Weitz 1989; Sirdeshmuk et al. 2002), das intraorganisationelle Vertrauen (Vertrauen innerhalb einer Organisation, z.B. zwischen Mitarbeiter und eigenem Unternehmen) 70 (z.B. McAllister 1995) und das interorganisationelle Vertrauen (Vertrauen zwischen Organisationen) (z.B. Anderson und Narus 1990; Fang et al. 2008) zu nennen. Eine konzeptionelle Trennung macht Sinn, da „one may trust the key account manager of an exchange partner, but this does not necessarily imply that one can equally trust the company that he represents” (Mouzas et al. 2007, S. 1018). Das Vertrauen von Patienten in Krankenhäuser ließe sich somit dem organisationellen Vertrauen zuordnen, das Vertrauen von Patienten in einzelne Vertrauensobjekte bzw. -personen, wie z.B. den Krankenhausarzt, dem interpersonellen Vertrauen. Ein weiterer Unterschied betrifft die Ebenen, auf denen vertraut werden kann. Viele Vertrauensforscher haben in den letzten Jahren konzeptionell diskutiert und empirisch nachgewiesen, dass zwischen bestimmten Ebenen unterschieden werden kann. Gängig in allen Disziplinen ist die Unterscheidung in interpersonelles (oder relationales) Vertrauen und soziales (institutionelles, kollektives, öffentliches, generelles oder System-) Vertrauen (siehe z.B. Lewis und Weigert 1985; Mechanic 1996; Mechanic und Schlesinger 1996; Goold 2001; Hall et al. 2002a; Straten et al. 2002; Singh und Jayanti 2003; Tai-Seale und Pescosolido 2003). Beispielsweise merkt Mechanic (1998a, S. 662) an, dass “trust in medical care arrangements and in one’s physician are to some degree interdependent”. Dabei entwickelt sich interpersonelles Vertrauen „gradually in the course of repeated interactions through which expectations about a person’s trustworthy behavior can be tested over time“ (Mechanic und Schlesinger 1996, S. 1694). Soziales Vertrauen ist “trust in collective institutions, influenced broadly by the media and by general social confidence in particular institutions” (Pearson und Raeke 2000, S. 510). Hier können z.B. gesellschaftliche Gruppen oder Institutionen, Professionen, Branchen etc. gemeint sein (siehe z.B. auch Shapiro 1987; Mechanic und Schlesinger 1996; Pearson und Raeke 2000; Zheng et al. 2002; Singh und Jayanti 2003). Näher differenzieren lässt es sich in institutionenbasiertes Vertrauen71 nach Zucker
70 71
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Fang et al. (2008) differenzieren dieses noch weiter aus und nennen das Vertrauen eines Unternehmens in seine Mitarbeiter „agency trust“. „Where trust is tied to broad societal institutions, depending on individual or firm-specific attributes (e.g., certification as an accountant) and on intermediary mechanisms (e.g., use of escrow accounts)“ (Zucker 1986, S. 60)
Theoretische Grundlagen
81
(1986), Systemvertrauen 72 nach Luhmann (1979), Barber (1983) und Giddens (1990) und soziales (oder generalisiertes oder gesellschaftliches) Vertrauen73 nach Fukuyama (1995).74 Hall et al. (2001) unterscheidet sogar vier Vertrauensobjekte/-personen (im medizinischen Kontext), indem er sowohl zwischen persönlichen und institutionellen Objekten als auch der individuellen und systemischen Ebene unterscheidet (siehe Tabelle 9, Hall et al. 2001, S. 619). Tabelle 9: Vertrauensobjekte („Potential Objects of Trust”)
Individual
System
Personal
My doctor or care provider
Doctors or care providers in general
Institutional
My hospital, clinic, or health plan
Hospitals, clinics or health plans in general, or the medical system as a whole
Das Vertrauen in Ärzte wurde in den letzten Jahren bereits häufig zum Gegenstand der Forschung. Hier lag der Fokus stets auf persönlichen Patient-Arzt-Beziehungen, somit auf dem interpersonellen oder relationalen Vertrauen in den eigenen Arzt. Anderson und Dedrick (1990) waren die ersten, die ein (eindimensionales) Messinstrument entwickelten, die 11-item „Trust in Physician Scale“. Safran et al. (1998) entwickelten das „Primary Care Assessment Survey“, einen umfangreichen Fragebogen, der u.a. Vertrauen innerhalb einer Arzt-Patient-Beziehung (in 8 items) erfassen soll. Kao et al.’s (1998) (unidimensionale) 10-item „Patient Trust Scale“ ist eine Weiterentwicklung von Anderson und Dedrick’s Skala.75 Leisen und Hyman (2001) entwickelten - ebenfalls auf Basis des Messinstruments von Anderson und Dedrick - eine zweidimensionale (und 51 Items umfassende) Vertrauensskala. Thom et al. (2002) entwickelten die 9-item „Patient Trust in the Physician Scale“ (basierend auf der explorativen Thom und Campbell 1997-Studie und Safran et al. sowie Anderson und Dedrick’s Messinstrumenten). Mit der “Wake Forest Physician Trust Scale” wurde die neuste Skala von Hall et al. 2002a entwickelt.
72 73
74
75
„Trust in the reliable functioning of certain systems“ (Luhmann 1979, S. 50). „Generalized notion of value/norm-based trust, seeing a society as a solidary cultural community“ (Lane 1998, S. 17). Diese vertrauensvolle Atmosphäre in einer Gesellschaft resultiert in Sozialkapital (siehe Coleman 1990). Die Trennung von verschiedenen Vertrauensebenen scheint auch in der Praxis bekannt zu sein. Bei einer bundesweiten Befragung eines Pharmaunternehmens zu Einstellungen und Erwartungen an das Gesundheitssystem in Deutschland „wurde zwischen ‚den Ärzten’ im allgemeinen und ‚dem eigenen Hausarzt’ unterschieden“. Die Aussage „Die Ärzte genießen das volle Vertrauen ihrer Patienten“ bewerteten 20% als „voll und ganz zutreffend“, weitere 56% als „eher zutreffend“, „Interessant ist, dass das generelle Vertrauen in die Ärzteschaft noch einmal deutlich vom individuellen Vertrauen in den eigenen Hausarzt übertroffen wird“ (Janssen-Cilag 1999, S. 29). Anhang 7.4 zeigt die drei Skalen im Überblick.
82
Theoretische Grundlagen
Tabelle 10: Entwickelte Vertrauensskalen im medizinischen Kontext
Jahr
Autoren
Vertrauensobjekt
Bezeichnung
Merkmale
1973
Wallston et al.
Patient (aus Krankenpflegersicht)
„Trust Scale for Nurses“
Zwei Subskalen, 10 items
1979
Caterinicchio
Arzt
-
Multidimensional, 53 items
1990
Anderson und Dedrick
Arzt
„Trust in Physician Scale“
Eindimensional, 11 items
1998
Safran et al.
Arzt
„Primary Care Assessment Survey“
Eindimensional, 8 items
1998
Kao et al.
Arzt
„Patient Trust Scale“
Eindimensional, 16 items
2000
LaVeist et al.
Krankenhäuser (institutionell)
“Medical Mistrust Index”
Eindimensional, 5 items
2001
Leisen und Hyman
Arzt
-
Zweidimensional, 10 Faktoren, 51 items
2002
Thom et al.
Arzt
„Patient Trust in the Physician Scale“
Eindimensional, 9 items
2002
Zheng et al.
Versicherer
-
Eindimensional, 11 items
2002
Hall et al. 2002a
Arzt (primary care provider)
“Wake Forest Physician Trust Scale”
Eindimensional, 10 items
2002
Hall et al. 2002b
Profession der Ärzte (kollektiv)
-
Eindimensional, 11 items
2002
Straten et al. 2002
Niederländisches Gesundheitssystem
-
Multidimensional (6 Dim.), 36 items
Eine Übersicht über entwickelte Vertrauensskalen zeigt Tabelle 10. Hier sind auch weitere untersuchte Vertrauensobjekte zu sehen: Zheng et al. (2002) untersuchen Vertrauen in den eigenen Krankenversicherer, Hall et al. (2002b) das Vertrauen in die medizinische Institution/Profession und Straten et al. (2002) öffentliches Vertrauen ins niederländische Gesundheitssystem. Lediglich eine Studie betrachtete bisher das Krankenhaus als Vertrauensobjekt.
ȱ
Theoretische Grundlagen
83
LaVeist et al. (2000) untersuchten mit ihrem entwickelten „Medical Mistrust Index“76 das Misstrauen von Afro- und weißen Amerikanern in Krankenhäuser allgemein. Hier ging es allerdings nicht primär um das Konstrukt Misstrauen oder eine Skalenentwicklung, sondern um Determinanten von Zufriedenheit mit der Gesundheitsversorgung. 3.3.6
Fazit
Es ist festzustellen, dass Vertrauen ein extrem bedeutsames Konstrukt in vielen Disziplinen darstellt. Soziales Zusammenleben, aber auch wirtschaftlicher Austausch und Zusammenarbeit sind ohne Vertrauen nicht denkbar. Vor allem im medizinischen Kontext sorgt Vertrauen dafür, dass Patienten sich in ärztliche Behandlung begeben, der ärztlichen Diagnose trauen und Therapieempfehlungen befolgen. Die umfangreichen Forschungsbemühungen in verschiedenen Disziplinen haben dafür gesorgt, dass Vertrauen vielfach sehr unterschiedlich definiert, konzeptualisiert oder operationalisiert wird. Verschiedene Ansätze machen es schwer, klare Aussagen dazu zu machen, was Vertrauen genau ist und welche Facetten es beinhaltet. Auch die Vertrauensbildung ist ein Bereich, in dem trotz aller Forschungsbemühungen noch nicht ausreichend Erkenntnisse gesammelt werden konnten, um Vertrauensentwicklung ausreichend erklären zu können. Im medizinischen Kontext liegt der Schwerpunkt der Vertrauensforschung klar auf der Betrachtung des Patientenvertrauens in den eigenen Arzt, also auf der relationalen interpersonellen Ebene. Das Vertrauen von Patienten ins persönliche Krankenhaus oder Krankenhäuser im Allgemeinen wurde bisher vernachlässigt. Eine wissenschaftliche und empirisch fundierte Konzeptualisierung von Patientenvertrauen ins Krankenhaus auf der Mikro- und vor allem Makro-Ebene ist bisher nur in Ansätzen erfolgt: einige Studien erheben Vertrauen auf institutioneller Ebene lediglich mit single-items (siehe z.B. Blendon et al. 1998; Kao et al. 1998b). Beispielhaft für Entwicklungen multi-dimensionaler Messinstrumente im medizinischen Kontext seien die Studien von Straten et al. (2002) und Zheng et al. (2002) genannt, die beide Skalen zur Messung kollektiven Vertrauens – in das niederländische Gesundheitssystem und in Krankenversicherungen – entwickeln.
76
Der Medical Mistrust Index umfasst folgende fünf Items: 1. Patients have sometimes been deceived or misled at hospitals. 2. Hospitals often want to know more about your personal affairs or business than they really need to know. 3. Hospitals have sometimes done harmful experiments on patients without their knowledge. 4. Rich patients receive better care at hospitals than poor patients do. 5. Male patients received better care at hospitals than female patients do.
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Theoretische Grundlagen
Potenzielle Effekte zwischen der relationalen/individuellen und der kollektiven/institutionellen Vertrauensebene werden vermutet, allerdings noch nicht empirisch untersucht. Auch Beschäftigte in ihrer Funktion als mögliche „Vertrauensobjekte“ innerhalb des Krankenhauses und mögliche Vertrauenseffekte zwischen diesen sind bisher unberücksichtigt geblieben. Daher hat die vorliegende Arbeit zum Ziel, zur Klärung dieser vernachlässigten Fragestellungen beizutragen. Ein tieferes Verständnis dieser Aspekte wird dazu beitragen, Vertrauensurteile von Patienten besser erklären zu können. Diese Erkenntnisse können Krankenhäusern helfen, sich noch patienten- und somit kundenorientierter auszurichten und zu positionieren, um im intensiven Wettbewerb langfristig bestehen zu können.
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Konzeption der empirischen Untersuchung
Dieses Kapitel gliedert sich in vier Abschnitte. Zunächst wird die allgemeine Vorgehensweise im Rahmen der vorliegenden Arbeit skizziert und die Entscheidung für ein qualitatives Vorgehen kurz begründet (Abschnitt 4.1). Daran anschließend werden Grundlagen zur Methodologie der Grounded Theory, die dieser Arbeit zugrunde liegt und von der einige Prozeduren verwendet wurden, vorgestellt (Abschnitt 4.2). Diesem Abschnitt folgt die Darstellung der praktischen Durchführung der Vorstudien und ihrer Ergebnisse (Abschnitt 4.3) sowie der Planung, Durchführung und Analysemethodik der Hauptstudie (Abschnitt 4.4). 4.1
Allgemeine Vorgehensweise
“Most qualitative research assumes that, in order to understand people’s behaviour, we must attempt to understand the meanings and interpretations that people give to their behaviour” (Rice und Ezzy 1999, S. 2). Um die Ziele der vorliegenden Arbeit erreichen zu können, wird der qualitative Forschungsansatz verfolgt, da dieser tiefgehendes Verständnis und Erkenntnisse ohne vorherige Urteilsoder Hypothesenbildung ermöglicht. Qualitative Methoden ermöglichen eine breitere Ergebnisbasis und detaillierte, ganzheitliche Beschreibungen von Phänomenen und Prozessen (vgl. z.B. Patton 1980; Weiss 1994; Maxwell 2005), da sie die Befragten in ihren Auskünften nicht einengen. Es geht um das ’Warum’ und ‚Wie’ zusätzlich zu dem ‚Was’ (Carson et al. 2001, S. 64) und darum, wie Geschehnisse und Wahrnehmungen von Betroffenen interpretiert werden (Weiss 1994; Rice und Ezzy 1999; Patton 2002).“’Authenticity’ rather than sample size is often the issue in qualitative research. The aim is usually to gather an ‘authentic’ understanding of people’s experiences” (Silverman 2006, S. 20). Dies wird auch von den von Holzmüller und Buber (2009) dargestellten drei zentralen Leistungsmerkmalen qualitativer Forschung, der Erkundungs-77, Zugänglichkeits-78 und Komplexitätseignung79, bestätigt. Besonders die beiden letzteren sind für die Problemstellung der vorliegenden Arbeit bedeutsam. Da es das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, private Gedanken und Gefühle, intuitive Assoziationen, habi-
77 78
79
„Erstens sind qualitative Methoden der empirischen Sozialforschung geeignet, bislang nicht untersuchte Forschungsfelder zu erkunden“ (Holzmüller und Buber 2009, S. 7). „Zweitens sind qualitative Methodologie und Methoden sehr gut geeignet, private Gedanken und Gefühle, vorbewusste Faktoren (intuitive Assoziationen, das Selbstverständliche, habituell und kulturell abgeleitete Einstellungen und Verhaltensweisen) sowie Emotionen in komplexen (sozialen) Bedingungslagen zu erfassen“ (Holzmüller und Buber 2009, S. 8). „Drittens weisen qualitative Methodologien und Methoden eine hohe Leistungsfähigkeit bei der Generierung von Einsichten und Erkenntnissen im Rahmen komplexer psychischer, physischer und sozialer Bedingungslagen auf“ (Holzmüller und Buber 2009, S. 8).
86
Konzeption der empirischen Untersuchung
tuell und kulturell abgeleitete Einstellungen und Verhaltensweisen sowie Emotionen von Patienten im Krankenhaus (d.h. in einer komplexen psychischen, physischen und sozialen Bedingungslage) zu erfassen, eignet sich demnach die qualitative Forschungsmethodologie sehr gut. “Qualitative methods provide an insight into how people make sense of their experience that cannot be easily provided by other methods” (Rice und Ezzy 1999, S. 4). Gerade zur Untersuchung von Beziehungen erscheint ein qualitativer Ansatz zweckmäßig, „to expand our knowledge of the forms of, processes in, and meanings of close relationships“ (Allen und Walker 2000, S. 19). Zudem bestechen qualitative Methoden durch ihre Flexibilität, ihre Offenheit und ihre Möglichkeit, die ganzheitliche Sicht der Probanden zum Thema Vertrauen ins Krankenhaus mit allen Facetten zu erfassen (vgl. z.B. Flick et al. 1991; von Kardorff 1991; Miles und Huberman 1994; Diekmann 1997). Wie häufig in der qualitativen Forschung gefordert (siehe z.B. Spiggle 1994) soll die Explikation der Forschungsmethodologie, also die Offenlegung einzelner Untersuchungsschritte zur Nachvollziehbarkeit des Vorgehens und somit zur Vertrauenswürdigkeit der Forschungsarbeit beitragen. Das generelle Vorgehen im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist in Abbildung 1 (Abschnitt 1.2) bereits dargestellt worden. Aufgrund der komplexen Thematik, der explorativen Zielsetzung und um eine möglichst genaue Beschreibung von Wahrnehmungen, Erfahrungen und Einstellungen der Probanden zu erhalten, bietet sich zur Bearbeitung ein qualitatives multimethodisches Vorgehen an, das auch als Methodentriangulation bezeichnet wird (vgl. z.B. Weiss 1994; Carson et al. 2001; Patton 2002; Maxwell 2005). Im Detail wurde zu Beginn eine umfassende Literaturanalyse zum Thema Vertrauen allgemein, Vertrauen im medizinischen Kontext, Patientenrollen und Beziehungsmodelle durchgeführt. Diese diente der Vorbereitung auf die empirischen Studien sowie der Bildung von sogenannten „sensitizing concepts“ (Strauss und Corbin, 1998), die für die spätere Analyse von großer Bedeutung sind. „Alltagswissen bzw. theoretische Erwartungen haben also Orientierungscharakter und sollen den Blick für relevante Aspekte schärfen“ (Auer-Srnka 2009, S. 166). In der Grounded Theory wie auch in der restlichen qualitativen Methodenliteratur wurde eine zeitlang kontrovers diskutiert, ob vor der Feldarbeit eine Literaturanalyse durchgeführt werden sollte. Es scheint, als hätten Glaser und Strauss (1967) in ihrem Basiswerk zur Grounded Theory diese Diskussion gestartet, als sie empfahlen, ohne Literaturreview, also quasi als „taȱ
Konzeption der empirischen Untersuchung
87
bula rasa“ in Forschungsprojekte zu starten, um nicht vorab beeinflusst zu sein und so die Daten zu manipulieren. Während Glaser nach Aufspaltung der Methodologie bei dieser Empfehlung blieb, nahm Strauss (und später Strauss und Corbin) die Empfehlung zurück (siehe auch Auer-Srnka 2009). Auch die meisten anderen qualitativen Forscher sehen Literaturreviews heutzutage als wichtigen Schritt vor der empirischen Phase (z.B. McCracken 1988; Fischer und Otnes 2006). Literatur kann für viele Zwecke genutzt werden.80 „A thorough review of the literature is, to this extent, a way to manufacture distance. It is a way to let the data of one’s research project take issue with the theory of one’s field“ (McCracken 1988, S. 31). Laut Dey (1995) geht es nicht darum, ob existierendes Wissen genutzt werden sollte, sondern in welcher Art und Weise81. „The main point of grounded theory is not to avoid these preconceptions, but to actively work to prevent preconceptions from narrowing what is observed and theorised” (Ezzy 2002, S. 11). In der vorliegenden Arbeit wurde Literatur hauptsächlich für die Probandenauswahl (siehe Abschnitt 4.4.1.2) und den Theorieabgleich in der Datenanalyse und –interpretation genutzt. Parallel zur Literatursichtung wurden Expertengespräche geführt, um die Relevanz der Thematik in der Praxis und das Interesse daran zu explorieren. In einem nächsten Schritt wurden Fokusgruppeninterviews mit Patienten genutzt, um einen Überblick über Facetten des Vertrauens sowie mögliche Vertrauensobjekte im Gesundheitswesen zu bekommen. Auf Basis der Ergebnisse erfolgte eine Verfeinerung der Aufgabenstellung. Diese umfasste mit der Betrachtung von Vertrauensobjekten im Gesundheitswesen eine etwas allgemeiner und breiter angelegte Zielsetzung. Eine Fokussierung auf das Krankenhaus als Mini-System mit zahlreichen Vertrauensobjekten erschien sinnvoll, um eine umfassende und tiefgreifende Untersuchung zu gewährleisten. Die Haupterhebung besteht aus halb-strukturierten episodischen Einzelinterviews mit Patienten, welche nach Ansätzen der Grounded Theory ausgewertet werden und in einer Theorieskizze münden werden.
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So kann Literatur z.B. eine Art qualitativer Analyse sein, Quelle für Vergleiche bieten, Sensibilität erhöhen, Startpunkt für Forschungsfragen oder zur Stimulierung sein, das theoretical sampling und die Leitfadenentwicklung unterstützen sowie zur Bestätigung der Ergebnisse dienen (siehe McCracken 1988, S. 29ff; Strauss und Corbin 1998, S. 48ff) Dey prägte zudem den Satz: “There is a difference between an open mind and empty head” (Dey 1995, S. 63).
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Konzeption der empirischen Untersuchung
Experteninterviews mit Ärzten, Psychologen etc.
Kapitel 4.3.1
Fokusgruppeninterviews mit verschiedenen Patienten Tiefeninterviews mit verschiedenen Patienten
Kapitel 4.3.2
Kapitel 4.4
Abbildung 13: Verweise auf detaillierte Beschreibungen der Vorgehensweisen der drei Studien
Im Folgenden werden Grundlagen zur der Arbeit zugrunde liegenden Methodologie der Grounded Theory aufgezeigt, bevor das Vorgehen im Rahmen der beiden Vorstudien (Abschnitt 4.3) und schließlich der Hauptstudie (Abschnitt 4.4) näher beschrieben wird. 4.2
Grundlagen zur Grounded Theory
„Grounded theory methods consist of systematic, yet flexible guidelines for collecting and analyzing qualitative data to construct theories ‘grounded’ in the data themselves” (Charmaz 2006, S. 2). Für die vorliegende Arbeit wurde die Forschungsmethodologie der Grounded Theory ausgewählt. Grounded Theory bezeichnet ein Sammelsurium gewisser Verfahren, die zur “discovery of theory from data” (Glaser und Strauss, 1967, S. 1) führen sollen, „deren Endzweck die Theoriebildung auf der Basis von empirischen Daten ist“ (Corbin 2003, S. 70). Diese qualitative Methodologie zur Entwicklung gegenstandsbegründeter/ empirisch fundierter Theorien (Grounded Theories) wurde von Barney Glaser und Anselm Strauss in den 60er Jahren während einer Feldstudie über den Umgang von Klinikpersonal mit sterbenden Patienten entwickelt und im grundlegenden Werk „The Discovery of Grounded Theory: Strategies for Qualitative Research“ dargestellt (Glaser und Strauss 1967). Sie verfolgte damals wie heute drei Zielsetzungen: (1) qualitative Forschungsmethoden methodologisch zu fundieren, (2) einen systematischen Weg zu zeigen, wie aus Felddaten Theorien abzuleiten sind und (3) strategisch die Verankerung der Forschung im Feld zu fördern (siehe Lueger 2009).
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Konzeption der empirischen Untersuchung
4.2.1
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Allgemeines
Im Zentrum der Grounded Theory steht die fundamentale Frage „What theory emerges from systematic comparative analysis and is grounded in fieldwork so as to explain what has been and is observed?” (Patton 2002, S. 125). Unter Theorie wird ein “set of well-developed categories (e.g., themes, concepts) that are systematically interrelated through statements of relationship to form a theoretical framework that explains some relevant social, psychological, educational, nursing, or other phenomenon” verstanden. “The statements of relationship explain who, what, when, where, why, how, and with what consequences an event occurs” (Strauss und Corbin 1998, S. 22). Strauss und Corbin (1996) unterscheiden bereichsbezogene Theorien von formalen Theorien. Bereichsbezogene Theorien entstehen durch die Untersuchung von Phänomenen, die in einem „bestimmten situationalen Kontext angesiedelt sind“, wie z.B. Führungskräfte in einer Organisation. Formale Theorien entstehen durch die Untersuchung eines Phänomens, „das unter vielen verschiedenen Situationstypen erforscht wurde“, z.B. der Status von Politikern auf nationaler Ebene oder der Status von Personen in Familien. Eine bereichsbezogene Theorie darf nicht einfach in eine formale Theorie übertragen werden, indem man auf verschiedene Situationen verallgemeinert ohne diese Situationen ebenfalls untersucht zu haben. Formale Theorien sind gegenstandsbezogenen Theorien übergeordnet, weil sie sich auf ein übergreifendes Konzept beziehen. Bereichs- oder gegenstandsbezogene Theorien bilden somit eine Vorbereitung für formale Theorien (Strauss 1987, S. 241f). Ziel ist eine nützliche und plausible Theorie, die Einsichten und Entdeckungen vermittelt, integrativ und von praktischem Nutzen ist und die Komplexität des untersuchten Phänomens in dichter Weise widerspiegelt. Grounded Theory unterliegt der theoretischen Perspektive des Symbolischen Interaktionismus82. Diese basiert auf der Annahme, dass „society, reality, and self are constructed through interaction and thus rely on language and communication” (Charmaz 2006, S. 7). Die subjektive Bedeutung, die Individuen ihren Aktivitäten und der Umwelt attribuieren, stellt dabei den Ausgangspunkt aller Betrachtungen dar (Flick 2009). Der Symbolische Interaktionismus unterliegt folgenden Annahmen: a) multiple Realitäten existieren,
82
Eine Übersicht über Grundgedanken des Symbolischen Interaktionismus bietet der Grundlagenartikel von Reiger (2009).
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b) Daten reflektieren die beiderseitigen Konstruktionen des Forschers und der Probanden, und c) der Forscher tritt ein und ist beeinflusst von den Welten der Probanden. Das Vorgehen nach der Methodologie der Grounded Theory soll ein interpretatives Portrait der untersuchten Welt, kein exaktes Bild liefern (Charmaz 2006, S. 10). Damit steht der Symbolische Interaktionismus dem klassischen Positivismus gegenüber, der davon ausgeht, dass eine objektive Realität existiert und sie auch messbar ist. Wie in anderen qualitativen Paradigmen geht es in der Grounded Theory allein darum, die Sicht des Individuums zu rekonstruieren und zu verstehen (Flick 2009). „In essence, the grounded theory approach to analysis seeks to tease out and define underlying relationships through an inductive and intuitive interpretation of the data” (Baker 2003, S. 160). Die Grounded Theory ist heute in der qualitativen Sozialforschung weit verbreitet, wird allerdings selten in rigoroser Art und Weise gebraucht. Viele Studien nutzen oft nur Elemente oder bestimmte Strategien daraus (Baker 2003, S. 161). Sie bietet aber auch kein strenges Regelsystem, sondern methodologische Leitlinien, die dem Forscher helfen sollen, (a) soziale und sozialpsychologische Prozesse zu untersuchen, (b) die Datensammlung zu dirigieren, (c) die Datenanalyse zu organisieren und (d) abstrakte Theorien zu entwickeln, die den studierten Prozess erklären (Strauss und Corbin 1998; Charmaz 2001). Die ursprünglich von Glaser und Strauss entwickelte Methodologie wurde stetig weiterentwickelt. Dabei spaltete sie sich in zwei Hauptströmungen, die eher puristisch orientierte von Glaser (1978) und die eher pragmatisch orientierte von Strauss gemeinsam mit Corbin (1996; 1998). Während Strauss und Corbin empfehlen, nach Festlegung der Forschungsfrage in den Daten nach Elementen, Kausalzusammenhängen, Phänomenen, Kontexten, Konditionen, Strategien und Konsequenzen zu suchen, vertritt Glaser den Standpunkt, „die Daten müssen sagen, was die Forschungsfrage ist“ (siehe Lueger 2009; Carson et al. 2001). Charmaz (2006) stellt folgende definierende Komponenten der Grounded Theory Methodologie nach Glaser und Strauss (1967), Glaser (1978) und Strauss (1987) auf:
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simultane Datenerhebung und –analyse,
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die Konstruktion (das „Kodieren“) analytischer Codes und Kategorien aus den Daten, nicht aus vorab aufgestellten Hypothesen,
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das Nutzen der Methode des ständigen Vergleichens („constant comparison“),
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die Weiterentwicklung der Theorie während der Datenerhebung und –analyse,
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das Memoschreiben, um Kategorien weiterzuentwickeln, Eigenschaften zu spezifizieren, Beziehungen zwischen Kategorien zu definieren und Lücken zu entdecken,
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die auf die Theorieentwicklung (nicht auf Repräsentativität) gerichtete Stichprobenauswahl („theoretical sampling“),
x
das Durchführen des Literaturreviews nach der Entwicklung einer unabhängigen Analyse83.
Drei zentrale Verfahren, nämlich das Theoretische Sampling, das Kodieren (welches das Fragenstellen und das Vergleichen beinhaltet) sowie die Erstellung von Memos sollen im Folgenden näher erläutert werden. 4.2.2
Theoretisches Sampling
Theoretisches Sampling meint die theoriegeleitete Auswahl der Datenquellen, mit dem Ziel, theoretische Sättigung zu erreichen. Während der Datenerhebung soll also Material ausfindig gemacht, zusammengetragen oder selbst hergestellt werden, das der Analyse dient. Solche Daten können Feldbeobachtungen, Interviews, Videoaufzeichnungen, Aufzeichnungen von Sitzungsverläufen, Bücher, Zeitschriften und andere öffentliche Dokumente, aber auch persönliche Dokumente sein. In der Grounded Theory ist die Datensammlung nicht auf den Beginn der Untersuchung festgelegt, obwohl natürlich zunächst am Beginn der Untersuchung eine erste Entscheidung darüber erfolgt, welche Personen, Gruppen, Ereignisse oder Felder mit welchem Ziel untersucht werden. Diese Entscheidung richtet sich nach der Art der Fragestellung der Untersuchung. Die ersten Daten werden aber ausgewertet, bevor entschieden wird, welche Art von Daten weiterhin zu erheben sind, um die Theorieentwicklung voranzutreiben, nach Strauss „ein Verfahren, bei dem sich der Forscher auf einer analytischen Basis entscheidet, welche Daten als nächstes zu erheben sind und wo er diese finden kann“ (Strauss 1994, S. 70). Das Theoretical Sampling ist eng mit dem Prozess des Kodierens (siehe Abschnitt 4.2.3) der Daten verbunden. Hauptkriterium für die Entscheidung, welche Daten wo als nächstes zu erheben sind, ist der zu erwartende Gehalt an Neuem für die zu entwickelnde Theorie. Zu Beginn einer Untersuchung ist das Sampling „offen gegenüber den Personen, Plätzen und Situationen, die die größte Chance bieten, die relevantesten Daten über das untersuchte Phänomen zu gewinnen“ (Strauss und Corbin 1996, S. 153). Die Untersuchung
83
Wie bereits in Abschnitt 4.1 erläutert, besteht in diesem Punkt nicht unbedingt Einigkeit.
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möglichst verschiedener Fälle soll in der Anfangsphase gewährleisten, „das ganze Spektrum zur Forschungsfragestellung“ abzudecken (Böhm 2000, S. 476). Im Verlauf der Untersuchung wird die Auswahl der Fälle gezielter, durch Fragen und Vergleiche bei der Analyse der Daten ergeben sich Zusammenhänge, für deren Ausarbeitung und/oder Bestätigung bzw. Bewertung gezielt auch ähnliche Fälle gesucht werden, um Phänomene bzw. Teile des theoretischen Modells genauer ausarbeiten zu können. Der Vorgang des Samplings soll so lange weitergeführt werden, bis die Ausarbeitung der Theorie an einen Sättigungspunkt gelangt ist. Von Sättigung der Theorie spricht Strauss dann, „wenn eine zusätzliche Analyse nicht mehr dazu beiträgt, dass noch etwas Neues an einer Kategorie entdeckt wird“ (Strauss 1994, S. 49), die Auswertung der Daten also keine neuen Aspekte der Theorie mehr erbringt. 4.2.3
Kodieren
Kodieren meint “the analytic processes through which data are fractured, conceptualized, and integrated to form theory” (Strauss und Corbin 1998, S. 3). Diese Methode der Datenauswertung ist eine zentrale Prozedur der Grounded Theory, aber auch in der allgemeinen qualitativen Analyse gängig. Das Kodieren geht über eine Zusammenfassung oder Beschreibung des Datenmaterials hinaus, es umfasst vielmehr ein analytisches Betrachten, Erschließen und Interpretieren der Daten, z.B. der verschrifteten Aussagen eines Interviewten84. „Unter einem Code oder einer Kategorie ist dabei ein Bezeichner85 zu verstehen, der Textstellen zugeordnet wird“ (Kuckartz 2007, S. 57). Hauptstrategien bei diesem analytischen Erschließungs- oder Interpretationsvorgang ist nach Strauss und Corbin das „Anstellen von Vergleichen“ und das „Fragenstellen“ (Strauss und Corbin 1996, S. 44). Ergebnis dieses analytischen Vorganges sind Kodes oder Konzepte, d.h. Bezeichnungen oder Begriffe, die einem herausgegriffenen Teil des Datenmaterials, z.B. einem Satz im Interview zugeordnet werden. Kodieren ist also ein Vorgehen zur Analyse oder Interpretation von Daten. Interpretation (lat. interpretatio) bedeutet Erklärung, Auslegung, Deutung. Der Vorgang der Analyse bzw. Interpretation soll zu einem Verstehen der Daten und weitergehend zu einem tieferen Verständnis von sozialen Phänomenen beitragen. Darüber hinaus sollen aber auch Konzepte entwickelt werden, die sich in eine Theorie integrieren lassen, die über das Verstehen des einzelnen Textes bzw. des Menschen, dessen Äußerungen in
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Siehe Charmaz (2006, S.42-71) für eine detaillierte und anwendungsorientierte Beschreibung des Kodierungsprozesses. Es kann sich dabei um ein einzelnes Wort, um ein einzelnes Zeichen oder um eine Mehrwortkombination handeln (Kuckartz 2007).
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diesem Text enthalten sind, hinausgeht. Durch die Analyse bzw. das Kodieren der Daten wird die Wirklichkeit in Konzepten symbolisiert dargestellt. Die Verbindung dieser Konzepte führt zu einer Theorie (Böhm 2005). Kodieren heißt, einem Phänomen, das z.B. in einer Textpassage vorhanden ist, durch analytisches Nachdenken, Fragenstellen und Vergleichen einen Kode (Stichwort, Begriff) zuzuordnen86. Statt von Kodieren wird auch von Konzeptualisieren gesprochen, denn das Ergebnis des Kodierens wird auch als Konzept bezeichnet. Konzept (lat. concipere) bedeutet „in Worten abfassen“. Wenn nun ein Forscher z.B. einen Text kodiert, dabei Vergleiche anstellt und andere Textstellen heranziehen kann, die ähnliche Konzepte anzeigen, sich also auf dasselbe Phänomen beziehen, dann bilden sich Kategorien, also Kodes bzw. Konzepte höherer Ordnung, die abstrakter und übergeordnet sind87. Es wird im Allgemeinen unterschieden zwischen offenem, axialem und selektivem Kodieren (Strauss und Corbin 1998; Carson et al. 2001; Corbin und Strauss 2003; Kuckarzt 2007). Offenes Kodieren bedeutet, Daten analytisch aufzuschlüsseln, Daten und Phänomene zu entdecken, in Begriffe zu fassen und Konzepte zu entwickeln. Als ersten Schritt beim Kodieren nennen Strauss und Corbin das Aufbrechen „eines Satzes, eines Abschnitts und das Vergeben von Namen für jeden einzelnen darin enthaltenen Vorfall, jede Idee oder jedes Ereignis“ (Strauss und Corbin, 1996, S. 45). Eine solche Feinanalyse ist Bestandteil des offenen Kodierens, bei dem die Konzepte noch provisorischen Charakter haben. Das Kodieren wird unterstützt durch Basisfragen, die man den Daten während der Analyse stellen sollte. Strauss und Corbin listen acht Basisfragen auf, die die Analyse von Texten unterstützen können (siehe z.B. Flick 2009, S. 310):88 1. Was? Æ Was ist Thema? Welches Phänomen ist erwähnt?
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87
88
Folgende Arten von Kodes können unterschieden werden (Böhm 2005): x Deskriptive Kodes (z.B. Stichwortliste zum Überblick über einen Text), x Aus der Literatur bzw. wissenschaftlichen Theorien entlehnte Kodes (vgl. auch theoretische Kodes, Böhm 2000, S. 478; konstruierte Kodes, Flick 1995, S. 198), x Von den Interpreten neu gebildete Kodes, x Von den Informanten selbst formulierte Kodes (sog. In-Vivo-Kodes), die direkt aus der Sprache des Untersuchungsfeldes stammen und als besonders fruchtbar für die Theoriebildung gelten. Kuckartz (2007, S.60ff) wählt eine andere Art der Strukturierung von Codes: x Codes als Wegweiser (als Zeiger auf bestimmte Themen im Text) x Faktencodes (bringen bestimmte „objektive“ Gegebenheit zum Ausdruck) x Bewertende Codes (sind komplexer als Faktencodes und beziehen sich stärker auf extern vorgegebene Bewertungsmaßstäbe) Hier wird bereits deutlich, dass die Begrifflichkeit Code, Kategorie, Konzept (und auch Subkategorie, Dimension und Merkmal) nicht klar voneinander trennbar sind. Auch in der gängigen Literatur werden Bezeichnungen selten klar und eindeutig verwendet (Kuckartz 2007). Weitere Fragen, die man Texten stellen kann und die das Kodieren unterstützen, finden sich bei Charmaz 2006, S. 20ff.
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2. Wer? Æ Welche Personen sind involviert? Welche Rolle spielen sie? Wie interagieren sie? 3. Wie? Æ Welche Aspekte des Phänomens werden erwähnt, welche nicht? 4. Wann? Wie lange? Wo? Æ Zeit, Verlauf, Ort 5. Wie viel? Wie stark? Æ Aspekte der Intensität 6. Warum? Æ Welche Gründe werden genannt oder können rekonstruiert werden? 7. Wofür? Wozu? Æ Mit welcher Absicht, zu welchem Zweck? 8. Wodurch? Womit? Æ Mittel, Taktiken, Strategien zur Zielerreichung Fragen und Vergleichen helfen beim offenen Kodieren zunächst dabei, Phänomene überhaupt zu entdecken, Konzepte zu entwickeln, diese zu präzisieren und Kategorien zu bilden. Dabei wird nach den Phänomenen gefragt, die im Text angesprochen werden, nach den beteiligten Personen und danach, welche Aspekte des Phänomens angesprochen oder nicht angesprochen werden oder wann, wie lange, wo, wie stark und warum das Phänomen auftritt. Axiales Kodieren bedeutet, vorhandene Konzepte zu verfeinern und zu differenzieren. Dabei sucht man möglichst viele und unterschiedliche Textstellen als Belege für die jeweilige Kategorie. Ferner werden Kategorien miteinander verknüpft und die Daten so in einen neuen Zusammenhang gebracht. Im sog. Kodierparadigma sind die Punkte enthalten, die zur Grundausstattung des Denkprozesses beim Kodieren gehören und das Analysieren eines Phänomens begleiten (siehe Strauss und Corbin 1998, S.127; Charmaz 2006): 1. Ursächliche Bedingungen (Was führt zum Auftreten eines Phänomens?) 2. Kontext und intervenierende Bedingungen (Welche Eigenschaften gehören zu einem Phänomen? Zu welcher Zeit, an welchem Ort, mit welcher Dauer und Intensität tritt es auf? Unter welchen sozialen, politischen oder kulturellen Bedingungen?) 3. Handlungen und Interaktionen (Wie verläuft das Phänomen? Welche Strategien und Taktiken treten dabei auf?) 4. Konsequenzen (Welches sind die Folgen des Phänomens?).
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Beim axialen Kodieren wird häufig empfohlen, die im Kodierparadigma genannten Aspekte in einen Zusammenhang zu bringen (z.B. Lueger 2009): Zuerst sollten Kausalbedingungen und deren Eigenschaften untersucht werden, die zu einem Phänomen führen. Dann sollte das Phänomen näher charakterisiert werden und mögliche Kontexte und Ausprägungen des Phänomens in diesen analysiert werden. Strategien im Umgang mit dem Phänomen sollen verknüpft und intervenierende Aspekte aufgeschlüsselt werden. Die Analyse der Konsequenzen schließt das axiale Kodieren ab. Durch Berücksichtigung des Kodierparadigmas und durch das Vergleichen hinsichtlich Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen einzelnen Beispielen, Ereignissen und Vorfällen im Text und einzelnen Phänomenen werden Konzepte ausgearbeitet und schließlich ähnliche Konzepte zu Kategorien gruppiert. Dazu werden die Konzepte und später auch die Kategorien in Bezug auf ihre Eigenschaften und Dimensionen betrachtet. Am Ende des Kodierungsprozesses ist es notwendig, die entwickelten Kategorien in einer gegenstandsbegründeten Theorie zu integrieren. Dazu muss der rote Faden, das, was alle Kategorien miteinander verbindet, herausgearbeitet und abstrahiert werden. Dies geschieht beim selektiven Kodieren, dass sich nicht sehr vom axialen Kodieren unterscheidet, es „wird nur auf einer höheren, abstrakteren Ebene der Analyse durchgeführt“ (Strauss und Corbin 1996, S. 95). Selektives Kodieren bedeutet, das zentrale Phänomen, die Kernkategorie mit ihren Mustern und Bedingungen zu erfassen. Die Kernkategorie ist das zentrale Phänomen, um das herum alle anderen Kategorien zu integrieren sind. Strauss und Corbin (1996, S. 95) bezeichnen es als „komplizierten Prozess“, die entwickelten Kategorien abschließend in ein theoretisches Modell zu integrieren. Gerade bei umfangreichem Datenmaterial kann es vorkommen, dass zunächst mehrere Phänomene als zentral erscheinen und der Forschende entscheiden muss, worauf er den Fokus in der Untersuchung legen will. Folgende Fragen können diese Entscheidung unterstützen: „Was ist in diesem Untersuchungsbereich am auffallendsten? Was halte ich für das Hauptproblem?“ (Strauss und Corbin 1996, S. 97). Eigenschaften und Dimensionen der Kernkategorie zu bestimmen, ist ein weiterer Schritt der Ausarbeitung (siehe auch Spiggle 1994). Besonders relevant für die Entscheidung ist es, inwieweit sich die anderen Kategorien der Untersuchung anhand des Kodierparadigmas um das ausgewählte Kernphänomen herum integrieren lassen, also die Frage nach der Integrationskraft des Phänomens. Letztendlich sollte man in der Lage sein, anhand des Modells hypothetische Aussagen formulieren zu können, etwa sagen zu können: „Unter diesen Bedingungen (Auflistung) passiert das und das; während unter anderen Bedingungen das und das eintritt“ (Strauss und Corbin 1996, S. 107).
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Mit der komparativen (vergleichenden) Analyse („constant comparison”) ist der theoretische Vergleich von Ereignissen, Objekten und Aktionen gemeint, der integral für die Grounded Theory, aber auch für alle anderen qualitativen Methodologien ist (Patton, 2002; Fischer und Otnes 2006). Vergleiche können zwischen verschiedenen Ereignissen in Daten und später Daten und Kategorien erfolgen (Spiggle 1994). Dazu gehört u.a. auch die negative FallAnalyse (Fischer und Otnes 2006), die der Prozedur der „Refutation“ (Spiggle 1994) folgt. Hier geht es darum, neue Merkmale eines Konstrukts oder noch nicht erkannte Beziehungen/Einflüsse zu entdecken, um die zu entwickelnde Theorie zu überprüfen und verfeinern. “Throughout the research process, the analyst should constantly subject the emerging analysis to the test of data, reformulating and modifying the analysis, and specifying conditions and variations” (Spiggle 1994, S. 496). 4.2.4
Memos
Das Schreiben von Memos ist ein weiterer wichtiger Bestandteil des Forschungsprozesses (Carson et al. 2001; Charmaz 2006). Memos sind Kommentare, Notizen und Berichte, in denen Fragen, Hypothesen, zusammengehörende Kodes usw. festgehalten werden 89 . Memos sind typischerweise informelle analytische Notizen, die provisorisch alle Gedanken festhalten sollen, die während des Forschungsprozesses aufkommen. Der Nutzen von Memos besteht u.a. darin, während des Forschungsprozesses immer wieder zu stoppen und über Daten nachzudenken, Ideen festzuhalten, die in weiteren Interviews thematisiert werden sollten, Lücken in früheren Interviews zu finden (um daraufhin den Leitfaden zu modifizieren bzw. nächste Probanden auszuwählen), Codes als zu analysierende Kategorien zu betrachten, Kategorien zu verdeutlichen (Definitionen, Eigenschaften, Konsequenzen, Verbindungen zu anderen) und Vergleiche anzustellen (Charmaz 2001; Charmaz 2006). „Memos catch your thoughts, capture the comparisons and connections you make, and crystallize questions and directions for you to pursue“ (Charmaz 2006, S.72). 4.2.5 Abschließendes Fazit Fragestellungen, die ertragreich mit der Grounded Theory zu untersuchen sind, befassen sich mit Individuen und Interaktionen zwischen Individuen, mit Beziehungen und Prozessen, die in einem bestimmten strukturellen, gesellschaftlichen oder kulturellem Rahmen stattfinden
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Glaser (1978), Strauss (1991), Strauss und Corbin (1990) und Charmaz (2006, S. 72-95) geben ausführliche Hinweise zu Gestaltung von Memos.
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(Böhm 2005). Grounded Theory ist besonders für die Untersuchung von Phänomenen geeignet, bei denen die Art der persönlichen Erfahrungen bedeutungsvoll sind. Die Fragestellung der Untersuchung sollte die „notwendige Flexibilität und Freiheit geben, ein Phänomen in der Tiefe zu untersuchen“ und es sollte angenommen werden können, dass „noch nicht alle Konzepte, die in Bezug zu dem jeweils interessierenden Phänomenbereich stehen, gefunden und identifiziert wurden, zumindest nicht in dieser Population oder an diesem Ort“ (Strauss und Corbin 1996, S. 22). Das Thema dieser Arbeit entspricht, wie oben bereits ausgeführt, diesen Merkmalen und Anforderungen und begründet die Anwendung der Grounded Theory. Glaser und Strauss verstehen soziale Phänomene als komplexe Phänomene und stellen die Erfassung dieser Komplexität der untersuchten Realität in den Vordergrund. Um dieser Komplexität gerecht zu werden, bedarf es einer detaillierten, intensiven und systematischen Analyse von Daten (z.B. aus Interviews), die zur Entwicklung von Konzepten führt, welche die zentralen Phänomene charakterisieren und interpretativ und erklärend wirken. Dabei muss die Interpretation der Daten, die in einer Untersuchung in die Konzepte eingeht, nicht die einzig mögliche sein. Aber die Interpretation muss plausibel und nachvollziehbar sein und eine Verifikation gestatten. Nachdem einige für die vorliegende Arbeit relevante Grundlagen zur Grounded Theory aufgezeigt und zentrale Verfahren vorgestellt wurden, folgen nun Ausführungen zu den im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten empirischen Studien (siehe Abbildung 13). 4.3
Vorstudien
Bevor nähere Ausführungen zur Vorgehensweise im Rahmen der Hauptstudie erfolgen, werden im Folgenden kurz die beiden Vorstudien skizziert. Sie bestanden zum einen aus Experteninterviews mit Ärzten und weiteren Krankenhausbeschäftigten und zum anderen aus Fokusgruppeninterviews mit Patientengruppen. Neben einer ersten Exploration der Thematik waren diese Vorstudien wichtig für eine Verfeinerung der bis dato recht breiten Aufgabenstellung. Daher werden die Ergebnisse beider Vorstudien ebenfalls kurz skizziert. 4.3.1
Experteninterviews
Im Rahmen dieser ersten empirischen Phase und begleitend zur Literaturrecherche wurden zur Bestätigung der Relevanz und zur Einarbeitung in die Thematik einige leitfadengestützte Experteninterviews geführt, welche „explorativ-felderschließend“ geplant waren, „wo sie zusätzliche Informationen wie Hintergrundwissen und Augenzeugenberichte liefern und zur Illustrierung und Kommentierung der Aussagen der Forscherin zum Untersuchungsgegenstand dienen“ (Meuser und Nagel 2005, S. 75; siehe auch Bogner et al. 2005). Ärzte und andere
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Krankenhausbeschäftigte, die alle bezüglich der vorliegenden Thematik einen „Expertenstatus“ einnehmen, sollten Informationen und Einsichten liefern, zu denen sie einen besonderen Zugang besitzen. Das Experteninterview als eine Form des leitfadenorientierten Interviews stellt nicht den Interviewpartner per se mit seinen Orientierungen und Einstellungen in den Blickpunkt des Interesses, sondern seine Funktion als Experte für einen speziellen Bereich (vgl. z.B. König und Zedler 2002). Der vorab entwickelte Leitfaden wurde bewusst sehr offen gehalten und hatte Fragen zur Bedeutung von Vertrauen und möglichen Vertrauensursprüngen und -objekten in der Gesundheitsbranche zum Inhalt (z.B. „Wie wichtig ist Vertrauen in der Gesundheitsbranche?“, „Wie bildet sich Vertrauen?“ und „Inwieweit wird Vertrauen durch eigene Erfahrungen und durch fremde Erfahrungen geprägt?“). Während der Interviews wurden die Kernaussagen der Befragten notiert; auf Grund des explorativ-felderschließenden Charakters konnte auf eine elektronische Aufzeichnung der Interviews verzichtet werden. Dies war insofern zu verantworten, da es bei der Analyse der Interviews weniger darum geht, „den Text als individuell-besonderen Ausdruck seiner allgemeinen Struktur zu behandeln“ (Meuser und Nagel 2005, S. 80), sondern vielmehr um die Herausarbeitung des „Überindividuell-Gemeinsamen“, also von Aussagen über Repräsentatives und gemeinsam geteilte Wissensbestände, Interpretationen und Deutungsmuster. Mit Hilfe der qualitativen Auswertungssoftware QSR NVIVO 2.0 (QSR International Pty Ltd. 2002) werden die notierten Aussagen der einzelnen Experten codiert, d.h. Kategorien zugeordnet, welche sich z.T. bereits vorab aus der Struktur des Leitfadens ergaben, aber auch aus dem Textmaterial heraus entwickelten (siehe Bazeley und Richards 2000; Gibbs 2002). Insgesamt wurden sechs Experten interviewt. Darunter befand sich der Geschäftsführer eines Krankenhauses, eine angestellte Klinikärztin, ein selbstständiger Arzt mit eigener Praxis, eine Psychoonkologin und zwei Psychologinnen. Alle Befragten bestätigten, dass Vertrauen in der Gesundheitsbranche generell äußerst wichtig sei. Ein wahrnehmbarer Placeboeffekt existiere bei vorhandenem Vertrauen der Patienten, bei Misstrauen hingegen könne es in Therapien zu Nebenwirkungen kommen. Auch mache ein Vertrauensvorschuss die Arbeit eines Arztes erst möglich. Trotzdem beschäftigten sich Ärzte noch viel zu wenig mit Vertrauen. Weder im Studium, noch in der täglichen Arbeit im Krankenhaus wäre Vertrauen ein großes Thema. „Ärzte meinen, sie haben das nicht nötig“ (Frau S., Psychoonkologin). Im Studium bekämen Studenten sogar empfohlen, keine Unsicherheit oder Unwissenheit zu zeigen. Dies berge aber
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die Gefahr, dass die Körpersprache dann nicht zu Gesagtem passe und Patienten diese Inkongruenz bemerkten. Die Mediziner beobachten seit Jahrzehnten einen allgemeinen Vertrauensverlust. Dies könne daran liegen, dass „Patienten merken, dass Krankenhäuser Wirtschaftsunternehmen sind“ (Dr. N., Geschäftsführer). Die Experten meinen, dass speziell in Deutschland das kollektive Vertrauen gering ausgeprägt sei, das relationale hingegen hoch. Dies läge zum einen an den Medien, die mehr negative Fälle zum Thema Gesundheitswesen präsentierten, zum anderen daran, dass negative Vorfälle generell auffälliger und präsenter seien. Das geringere Vertrauen äußere sich in vermehrten Beschwerden der Patienten, dem Abwandern der Patienten zur Konkurrenz und dem Wegbleiben von Patienten. Zudem bestehe eine immer höhere Bereitschaft zu klagen, Patienten seien aggressiver und suchten bei negativem Ausgang einer Behandlung (z.B. behindertes Kind) immer schneller einen Schuldigen (i.d.R. Ärzte). In den Gesprächen wird ferner eine Wandlung vom klassischen Paternalismus (siehe Abschnitt 3.2.2.1) hin zum Kontraktualismus thematisiert. Die Patienten würden immer kritischer, besonders junge Menschen seien deutlich kritischer. Dies wird aber zumindest von der Psychoonkologin positiv bewertet. Auch besonders in der Gynäkologie und Geburtshilfe sei dies zu beobachten. Als besonders anspruchsvolle Patienten werden vor allem Frauen im Allgemeinen und Lehrerinnen im Speziellen angeführt, die sich durch eine höhere Bildung und oftmals Zusatzversicherungen auszeichnen. Auch Akademiker seien eher als misstrauische Patienten zu bewerten. Die angestellte Ärztin merkt aber auch an, dass manche Leute vielen Personen in zu hohem Maße vertrauten. Die Psychologinnen würden Veränderungen also eher positiv formulieren: Man bemerke einen Zuwachs an Autonomie, Informiertheit, Kritik der Patienten. Uneinig sind sich die Mediziner, wenn nach Effekten zwischen Vertrauensebenen im Krankenhaus (z.B. Ärzte vs. Pfleger) gefragt wird: Von einer Gruppe werden kaum Effekte vermutet. Die andere Gruppe sieht durchaus die Möglichkeit von Effekten zwischen den Ebenen; diese hingen aber stark von der Persönlichkeit der Patienten ab. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die befragten Experten eine deutliche Relevanz der Vertrauensthematik im medizinischen Kontext bestätigen. Sie sehen Einfluss auf den Gesundheitszustand und die Arbeit eines Krankenhauses. Auch bemerken sie einen allgemeinen Vertrauensverlust unter Patienten, den sie z.T. allerdings begrüßen. Die vermutete Trennung der Vertrauensebenen und –objekte/-personen sehen sie ebenfalls, bezüglich der Vertrauenseffekte sind sie sich allerdings nicht einig.
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4.3.2
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Fokusgruppeninterviews
In einem folgenden Schritt wurden Fokusgruppeninterviews mit Patienten durchgeführt. Als Fokusgruppe wird eine spezielle Art von Gruppe bezeichnet, die charakterisiert wird durch einen bestimmten Zweck, eine bestimmte Größe, eine bestimmte Zusammensetzung und bestimmte Prozeduren. Sie besteht i.d.R. aus vier bis zwölf Teilnehmern und wird einige Male mit unterschiedlichen Leuten wiederholt (Merton et al. 1956; vgl. auch Krueger 1994; Morgan 1997a; Lamnek 2005). Da es sich um eine Vorstudie handelt, wurden zwei Gruppen als ausreichend angesehen. Im Unterschied zu Einzelinterviews wird hier die Interaktion der Gruppe als entscheidender Vorteil gesehen: “a focus group can be described as a research technique that collects data through group interaction on a topic or topics” (Carson et al. 2001, S. 114). Fokusgruppeninterviews wurden als geeignete Erhebungsmethode in dieser zweiten, noch recht explorativen Phase ausgewählt, da sie es ermöglichen, mehrere Personen auf einmal zu befragen, dadurch das Antwortspektrum zu erweitern und dabei unterschiedliche Meinungen und Standpunkte zu erheben. Zusätzlich fördert die soziale Interaktion und die relativ natürliche, reale Interviewsituation ausführliche und offene Erzählungen und Diskussionen der Teilnehmer und aktiviert vergessene Details (Merton et al. 1956; Krueger 1994; Morgan 1997a). Zur Unterstützung der Gesprächsführung wurde ein halbstrukturierter Interviewleitfaden auf Basis der Forschungsfragen und Ergebnisse der Experteninterviews entwickelt (siehe Anhang 7.5). Die Fokusgruppeninterviews liefen relativ offen und lediglich grob strukturiert ab, um den Teilnehmern genügend Gelegenheit zu bieten, ihre Erfahrungen und Einstellungen ausführlich zu erläutern. Unter anderem sollten Ideen zu Vertrauensursprüngen mit Hilfe von Moderationskärtchen erhoben, strukturiert, für alle sichtbar präsentiert und schließlich von der Gruppe diskutiert werden. Weitere Gesprächsschwerpunkte lagen auf Vertrauensantezedenten, -definitionen im medizinischen Kontext sowie positive oder negative Erfahrungen der Teilnehmer mit Ärzten. Die Interviews wurden mit einem digitalen Aufnahmegerät mitgeschnitten. Die Teilnehmer der Fokusgruppen wurden nach dem Prinzip des „purposive sampling“ (gezielte Stichprobenauswahl) identifiziert und kontaktiert (siehe z.B. Morgan 1997b; Morgan und Krueger 1998). Die beiden gemischtgeschlechtlichen Fokusgruppen bestanden aus jeweils fünf und sechs Teilnehmern. Auch der Forderung, Fokusgruppen möglichst mit sich in irgendeiner Weise ähnelnden Personen zu besetzen, sei es im Bezug auf Alter, Geschlecht, Beruf oder andere Merkmale (Krueger 1994), sollte Rechnung getragen werden, um der doch in sich recht heterogenen Gruppe eine gewisse für gruppendynamische Prozesse notwendige ȱ
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101
Homogenität zu verleihen. Diese Homogenität wurde erreicht, indem einerseits UniversitätsAbsolventen (24-29 Jahre), anderseits Bankkaufleute einer Bankfiliale (22-55 Jahre) befragt wurden (siehe Tabelle 11). Tabelle 11: Teilnehmer der Fokusgruppen
Fokusgruppe UniversitätsAbsolventen
Fokusgruppe Bankkaufleute
Name
Alter
Name
Alter
Cengiz
24
Bettina
35
Dominik
27
Birgit
44
Ingo
26
Detlef
44
Judith
25
Hanna
22
Martin
29
Karl-Heinz
53
Tim
26
Nach der Transkription der Diskussionen wurde die Software QSR NVIVO 2.0 genutzt, um Textabschnitte zu codieren, d.h. Wörter, Sätze oder Abschnitte zusammenzufassen und bestimmten Themenbereichen zuzuordnen (siehe Bazeley und Richards 2000; Gibbs 2002). Hier wurden sowohl a priori Kategorien festgelegt als auch aus dem Textmaterial explorativ entwickelt und diesen entsprechende Textbausteine zugeordnet. Schließlich wurde jede Kategorie tiefergehend analysiert und dazugehörige inhaltliche Aussagen zusammengefasst, um Strukturen, Beziehungen und Wirkungen innerhalb einer Kategorie und auch unter- und zueinander aufzudecken. Auf Basis der Ergebnisse der Fokusgruppeninterviews wurde der Leitfaden für die folgende Hauptuntersuchung, die auch episodischen Einzelinterviews besteht, entwickelt. Die Erkenntnisse aus den Fokusgruppeninterviews bestätigen zum großen Teil Aussagen der Experten. Vertrauen wurde in beiden Gruppen als sehr wichtig beschrieben: Dominik: „Besonders in Ärzte ist das Vertrauen relativ wichtig, weil man sich dem Arzt ja ziemlich bloßgibt. Gerade bei Operationen und so, da kann man ja nicht anders, als den Ärzten vertrauen“. Obwohl die Befragten bestätigen, dass ein gewisses Grundvertrauen in Professionen vorhanden sei (Tim: „Fachkompetenz setze ich, wenn ich zum Arzt gehe, immer voraus. Wenn ich zum Arzt gehe, denke ich "Hier wird mir jetzt geholfen". Das ist bei mir so drin, das ist der Ruf der Ärzte über die Jahrhunderte hinweg, der dem vorauseilt...“), scheint allgemein relativ viel Misstrauen zu herrschen. Vorherrschende Themen, die kritisch in beiden Gruppeninterviews diskutiert werden und für Misstrauen sorgen, sind in Tabelle 12 in Auszügen zusam-
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Konzeption der empirischen Untersuchung
mengestellt. Diese basieren teilweise auf eigenen Erfahrungen, aber auch auf Erzählungen von Verwandten, Freunden und Bekannten. Tabelle 12: Misstrauensthemen aus den Gruppeninterviews
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Misstrauensthemen
Illustratives Zitat
Intransparenz
Martin: „Das ist auch so eine Sache, es ist manchmal ein bisschen intransparent das Ganze. Also, gerade auch die Rechnungsstellung. Man weiß wirklich nicht, ob der Arzt jetzt eine Beratung ansetzt und wie lange die angesetzt wird und solche Sachen. Da habe ich mich mal mit einer Medizinerin unterhalten, mit einer Ärztin, die meinte auch, dass es bestimmte Praxen gibt, die das sehr stark machen würden, dass die Leistungen ansetzen, die entweder nicht nötig sind, oder Leistungen ansetzen, die gar nicht erbracht wurden.“
„Geldschneiderei“
Bettina: „Ja, aber ich kann ja auch nur vom dem einen ausgehen. Wenn der Arzt mir das nicht begründen kann, und es ist nichts anderes festzustellen, es ist immer noch dieselbe Krankheit, es ist derselbe Rhythmus, es hat sich nichts verändert, es ist nur, weil Du jedes halbe Jahr da rein musst, und dann kommen sie mit drei Mal da rein? Da ist dreimal Gerät nutzen, dreimal Kosten, dreimal Beratung, was-weiß-ich.“ - Tim: „Und dreimal Zeit.“ - Bettina: „Ja, das ist für mich Geldschneiderei, und da kann mir nicht einer sagen, die wollen ihre Geräte nutzen, das ist Schwachsinn. Schuldigung, aber das ist so.“ - Birgit: „Nein, ich finde das auch, dass vieles unnötig ist.“
Fehldiagnosen und –behandlungen
Moderatorin: Dann haben wir hier ganz oft so etwas wie Fehldiagnose. Bettina: Du gehst zu einem Arzt, der sagt das, Du gehst zu einem anderen Arzt, der sagt etwas ganz anderes. Du hast 5 Ärzte und 5 Meinungen! Wofür entscheidest Du Dich dann? Für die harmloseste. - Detlef: Welche richtig ist, weiß man ja nicht. - Tim: Das ist die Unwissenheit. Bettina: Genau, was willst Du dann tun als Laie? Als Patient? - Detlef: Vertrauen.
Unterschiedliche Diagnosen von verschiedenen Ärzten
Bettina: „Vor allem, wenn Du mal zu mehreren Ärzten gehst und siehst, was die an Diagnosen stellen, das reicht von "man hat nichts" bis zur "Berufsunfähigkeit". Innerhalb von drei Monaten. Da fasst Du Dich doch am Kopf.“
Unterschiedliche Behandlung von Privat- und Kassenpatienten
Bettina: „Obwohl ich die Klassifizierung auch total schrecklich finde, Privat und nicht Privat, gesetzliche Kasse, das ist wirklich so, das bist Du der Loser der Nation, Du kommst wirklich nicht dran, das habe ich auch schon 1000 Mal gesehen, das ist ganz fürchterlich, finde ich. Oder auch mit Medikamenten, Privatpatienten die kriegen alles irgendwo hinterhergeschmissen, wenn Du das selber haben willst, Du hast noch
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nichtmals die Chance, etwas dazuzuzahlen, Du kriegst es nicht.“ Martin: „Was ich immer äußerst negativ empfinde, fällt mir da gerade noch ein, wo wir über Vertrauen reden, dass Privatpatienten wesentlich besser behandelt werden als Kassenpatienten. Also ich persönlich hatte zum Glück noch nichts Schlimmes, wo ich darauf angewiesen war, aber ich höre sehr oft, auch aus dem Bekanntenkreis, wenn ein Privatpatient einen Termin haben will, dann hat er sofort einen Termin, und wenn’s ein Kassenpatient ist, dann dauert’s manchmal Wochen. Und, das ist für mich so eine Sache, die oft sehr negativ ist, weil jemand, der Halsschmerzen hat oder eine Grippe hat, dem nützt das nichts, wenn er erst in einer Woche drankommt, sondern er hat das Problem ja jetzt und dann ist das ja vielleicht schon wieder vorbei.“ - Ingo: „Zum Thema Krankenhaus: Also, ich war jetzt noch nicht im Krankenhaus, zumindest nicht in der Zeit, an die ich mich zurückerinnern kann. Mein Onkel ist privatversichert, der hatte ein Einzelzimmer, mit allem Pi-pa-po, so was habe ich noch nicht gesehen. Mein Vater musste mal in die Klinik, da lag der mit drei Leuten, der eine auf der Pfanne, und wie das so läuft, das sind zwei totale Welten, da glaubt man wirklich, das ist eine ZweiKlassen-Gesellschaft. Das ist ein bisschen schade eigentlich.“ Pharmabranche ohne Skrupel
Moderatorin: „Inwieweit vertraut man diesen einzelnen Akteuren, wir hatten gerade Pharmaindustrie oder Krankenkassen mal angesprochen, wie sieht es da mit Vertrauen aus? Wie wird die Pharmaindustrie gesehen?“ - Detlef: „Skrupellos.“ - Birgit: „Ja, definitiv.“ - Hanna: „Bestechung, habe ich mal so gehört.“ - Birgit: „Schmiergelder, jeder ist seinen Profit aus, und ist schon heftig, was da abgeht.“ - Detlef: „Da werden Medikamente zugelassen, die...“ - Birgit: „...die noch gar nicht erforscht sind, oder sie werden überteuert zugelassen oder überteuert verkauft an die armen Länder, so HIV-mäßig, was nicht sein müsste. Die Patente blockieren die Generika-Macher. Und wieviel bei denen an Werbung rausgeht, bei den Pharmaunternehmen, das ist unglaublich.“ Detlef: „Im Vordergrund steht glaube ich nicht das Wohl des Patienten, um neue Medikamente zu entwickeln, sondern um den Profit zu erhöhen. Es gibt sicherlich auch Idealisten dabei, ich will nicht für alle sagen, aber...“ Martin: „Man hört da ja schon immer relativ viel von irgendwelchen Medikamenten, die eigentlich nicht gebraucht werden, aber trotzdem dann gepusht werden. Oder von irgendwelchen Skandalen und Skandälchen, mit fallen jetzt die Namen auch nicht mehr ein, Lipobay z.B...“)
Das kritische Thema „Fehldiagnosen“ wirft auch hier wieder die Notwendigkeit zu vertrauen wegen der eigenen Unsicherheit auf. Die zwei zentralen Aspekte der Informations- und Machtasymmetrie tauchen in beiden Interviews immer wieder auf: Detlef: „Man ist ja ausgeliefert im Grunde genommen, man muss ja Vertrauen haben.“
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Tim: „Klar. Und wenn mir einer völlig überzeugend sagt: "Das ist das und das, wir müssen das und das dagegen tun“, dann glaube ich ihm das, und dann vertraue ich ihm in der Hinsicht, ob es jetzt stimmt oder nicht, kann ich ja nicht beurteilen.“ - Bettina: „Vielleicht ist er aber auch nur ein guter Verkäufer.“ Allgemein ist eine große Hilflosigkeit und Unsicherheit bei den Befragten zu erkennen. Da ihnen das Wissen fehlt, Kompetenz von Ärzten objektiv zu beurteilen, verlassen sie sich auf andere Anhaltspunkte für Vertrauenswürdigkeit, die sie bewerten können, z.B. das tangible Umfeld: Martin: „Bei dem Zahnarzt, wo ich jetzt bin, da kam ich das erste Mal rein und der hatte so einen relativ schrubbeligen Fussboden und es sah alles noch so ein bisschen provisorisch aus, und es sah so aus, als hätten die kein Geld. Also, es klingt ein bisschen blöd, aber ich habe dann gedacht, das ist eine arme Leute Praxis und wenn der Arzt nur arme Leute behandelt, dann kann der auch nicht wirklich gut sein.“ Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auch die befragten Patientengruppen dem Vertrauen in der Gesundheitsbranche große Bedeutung zumessen. Sie begründen dies mit der vorherrschenden Informations- und Machtasymmetrie zwischen Arzt/Gesundheitsdienstleister und Patient. Generell berichten die Befragten von vielerlei Erfahrungen und Erlebnissen, die Vertrauen oder auch Misstrauen hervorrufen. Eine Auflistung und Gegenüberstellung der von den Experten und von den Fokusgruppen genannten Faktoren findet sich in Anhang 7.6. 4.4
Hauptstudie: Episodische Einzelinterviews
Die Hauptuntersuchung besteht aus leitfadengestützten Einzelinterviews, welche face-to-face mit verschiedenen Patienten geführt wurden. In der Vielzahl der verschiedenen Interviewtypen und –bezeichnungen sind die durchgeführten Interviews am ehesten mit an sogenannte episodische Interviews angelehnt (Flick 2000, 2007). Episodische Interviews zeichnen sich dadurch aus, dass Probanden angeregt werden, verschiedene Episoden aus ihrem Leben zu erzählen. Der Interviewer fragt also nach bestimmten Situationen und wie sie erlebt wurden. Die soziale Konstruktion der Realität erfolgt durch die Präsentation von Erfahrungen (Flick 2009, S. 190). Dazwischen sorgen speziellere Fragen dafür, dass auch semantisches Wissen (Definitionen, Bedeutungen, Einschätzungen etc.) abgefragt wird. Laut Flick (2009) vereint das episodische Interview die Vorteile des Narrativen Interviews, in dem der Befragte zu brei-
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ten Erzählungen animiert wird 90 , und die Vorteile des semi-strukturierten Interviews, das durch einzelne Fragen in gewissem Maße strukturiert wird. „The purpose of qualitative interviewing is to capture how those being interviewed view their world, to learn their terminology and judgments, and to capture the complexities of their individual perceptions and experiences” (Patton 2002, S. 348). Einzelinterviews erscheinen sinnvoll „um Dinge wie Gefühle, Erinnerungen und Interpretationen herauszufinden, die wir nicht beobachten oder anders aufdecken können” (Carson et al. 2001, S. 73). Hier wurde den Probanden genügend Raum für ausführliche Erzählungen und Interpretationen gegeben, um Aspekte des Vertrauens in Krankenhäuser vertiefen zu können sowie Einflüsse, Wirkungen und Vertrauensobjekte/-personen zu identifizieren und gründlich zu eruieren.91 Es folgt eine detaillierte Erläuterung des Vorgehens, wobei in die aufeinanderfolgenden Phasen Auswahl und Rekrutierung der Probanden, Vorbereitung des Interviewleitfadens, Durchführung der Interviews und Analyse näher eingegangen werden soll. 4.4.1
Planung
Zur Planung der Einzelinterviews gehören hauptsächlich die Schritte der Leitfadenerstellung, der Auswahl der Probanden und der Rekrutierung. 4.4.1.1 Leitfadenerstellung Es erschien auch in den Einzelinterviews sinnvoll, einen groben Interviewleitfaden zu Hilfe zu nehmen, der den Interviewer bei der Frageformulierung unterstützt sowie seine volle Aufmerksamkeit für die Erzählungen des Befragten gestattet. “An interview guide lists the questions or issues that are to be explored in the course of an interview” (Patton 2002, S. 343). Der Leitfaden stellt sicher, dass im Interview die relevanten Themen gleichermaßen für alle Befragten abgedeckt, Personen somit systematischer befragt werden und die beschränkte Zeit bestens genutzt wird (vgl. z.B. McCracken 1988; Patton 2002). Der Interviewleitfaden wurde auf Basis der Forschungsfragen entwickelt. Die darin enthaltenen Fragen sollten zweierlei Informationen erheben: (1) eine individuelle Beschreibung der
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Das narrative Interview, entwickelt von Fritz Schütze in den 1970ern, erfragt Erzählungen erlebter Erfahrungen (Schütze 1977), die implizit eine retrospektive Interpretation beinhalten (Lamnek 2005b). Ferner erlauben es Interviews, unter die Oberfläche der geschilderten Erlebnisse zu gehen, zu stoppen, um eine Aussage oder ein Thema zu explorieren, nach Details und Erklärungen zu fragen, nach Gedanken, Gefühlen und Aktionen der Probanden zu fragen, zu einem früheren Punkt zurückzukehren, die Aussagen der Probanden zu wiederholen, um Verständnis zu prüfen etc. (Charmaz 2006, S. 26).
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Erfahrungen im Krankenhaus und Meinungen darüber, und (2) kontextuelle Details zu den Lebenswelten der Probanden (siehe Fournier 1998). Zu Beginn sollten wenige Eisbrecherfragen in die Thematik einleiten (z.B. „Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Krankenhäuser denken? Welches Bild haben Sie von Krankenhäusern allgemein?“). Dann erschien es sinnvoll, den letzten Krankenhausaufenthalt als Critical Incident92 ins Gedächtnis zu rufen und den Probanden davon frei berichten zu lassen. Im Bezug auf die Erfahrungen beim letzten Krankenhausaufenthalt schlossen Fragen an, wie z.B. „Was ist der erste Gedanke, der Ihnen zu diesem letzten Krankenhausaufenthalt kommt?“ und „Wie haben Sie Ihren Krankenhausaufenthalt erlebt? Was haben Sie gefühlt und gedacht? Inwieweit hatten Sie Vertrauen ins Krankenhaus? Worin genau? Was macht allgemein aus Ihrer Sicht die Vertrauenswürdigkeit eines Krankenhauses aus?“. Zusammenfassende Abschlussund Zusatzfragen vervollständigten den Leitfaden. Zusätzlich bot es sich an, Satzvervollständigung- und Kärtchen-Sortierungsaufgaben zu integrieren (vgl. z.B. Krueger 1998; Mariampolski 2001; Johnson und Weller 2001). Der Interviewleitfaden ist im Anhang 7.7 zu finden. 4.4.1.2 Probandenauswahl Die Auswahl der Interviewpartner erfolgte im Sinne eines zweckmäßigen/„purposive sampling“93 (vgl. z.B. Flick 2009), einer leichten Abwandlung des klassischen „theoretical sampling“ (Glaser und Strauss 1967). Diese Vorgehen zieht nicht wie üblich bei der quantitativen Forschung Zufallsstichproben nach statistischen Prinzipien; hier soll die Stichprobe ein „Abbild der theoretisch relevanten Kategorien darstellen“ (Hermanns 1992, S. 116), d.h. „man sucht sich nach seinen Erkenntnisinteressen einzelne Fälle für die Befragung aus“ (Lamnek 1989, S. 93; vgl. auch Strauss 1994, S.70f).94 Anders als beim klassischen „theoretical sampling“, bei dem die Datensammlung mit einem Interview beginnt, welches anschließend sofort analysiert wird, um Hinweise auf weitere Probanden zu erhalten (vgl. z.B. Corbin und Strauss 2003), wurde in diesem Fall bereits im Vorfeld überlegt, welche Kriterien aus der Theorie zu Rate gezogen werden könnten, also „theory-driven“ mögliche Kriterien der Stichprobe entwickelt (vgl. z.B. Miles und Huberman 1994), um eine maximale Variation unter den Probanden
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Die Critical-Incident-Technik wurde von Flanagan (1954) als sozialwissenschaftliche Befragungsmethode entwickelt. Probanden werden dabei über ein signifikantes Ereignis befragt. Von Interesse ist, wie die Befragten damit umgingen und welche Effekte sie wahrgenommen haben. Gerade im Kontext des Dienstleistungsmarketing wird die Critical-Incident-Technik häufig angewandt (siehe auch Gremler 2004). Patton (2002) bezeichnet es auch als „purposeful sampling“. Patton (2002) unterscheidet 15 unterschiedliche Zugänge zum „purposeful sampling“. In der vorliegenden Arbeit wurden aus diesen verschiedene, teilweise überlappende Strategien gewählt. Konkret: Von den von Patton vorgestellten Ansätzen wurde die Auswahl der maximalen Variation/Heterogenität, die Auswahl von typischen Fällen, das Schneeball- oder Kettensampling und die theoriebasierte Auswahl verfolgt.
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zu ermöglichen95. Es werden also bewusst Probanden ausgewählt, die für die jeweilige Thematik interessant erscheinen bzw. sich in relevanten Aspekten unterscheiden, um letztlich eine möglichst große Bandbreite an Meinungen der Grundgesamtheit widerspiegeln zu können („maximum variation“) (Patton 1980; Guba und Lincoln 1985; Miles und Huberman 1994; Weiss 1994; Maxwell 2005). Letztliches Ziel war, mit den Interviews eine gewisse theoretische Sättigung zu erreichen96, d.h. die Breite an Informationen zu maximieren (Guba und Lincoln 1985; Strauss und Corbin 1998; Ezzy 2002).97 Beispielsweise wurde nach dem ersten Interview festgestellt, dass ein wichtiger Grund für Vertrauen ins Krankenhaus auf Seiten des Probanden Kurt die Tatsache ist, dass seine Klinik eine Spezialklinik für Rheumaerkrankungen ist. Daher erschien es sinnvoll, im Verlauf der Erhebung weitere Probanden zu suchen, die nicht in einer Spezialklinik untergebracht waren. Auch wurde überlegt, ob das relativ hohe Alter des Befragten evtl. dazu beiträgt, dass Spezialkliniken so bedeutsam sind. Auch die (private) Versicherung könnte zu den relativ positiven Aufenthaltserlebnissen beigetragen haben. Daher wurde in der weiteren Auswahl von Probanden darauf geachtet, junge Befragte sowie Patienten mit unterschiedlichen Versicherungsarten mit in die Stichprobe aufzunehmen. Als Mindestanforderung an potenzielle Interviewpartner wurde festgelegt, dass ein Krankenhausaufenthalt der Probanden zeitlich nicht länger als ein Jahr zurückliegen und mindestens fünf Tage angedauert haben sollte. Mit dieser Anforderung sollte gewährleistet werden, dass die Probanden ohne Schwierigkeiten in ihrer Erinnerung auf die erlebten Erfahrungen zurückgreifen konnten. Besonders wichtig erschien dies, da in den Interviews u.a. die CriticalIncident-Technik verwendet wurde, welche vergangene Ereignisse als Bezugspunkt setzt (hier den letzten Krankenhausaufenthalt) (siehe Abschnitt 4.4.1.1). Die Probanden sollten aber auch nicht mehr im Krankenhaus liegen, sondern bereits entlassen worden sein, um retrospektiv über den Aufenthalt reflektieren zu können (vgl. Morse 2001).
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Die liberaleren Grounded Theory-Vertreter Strauss und Corbin (1998) räumen ein, dass Kriterien für theoretical sampling gerade zu Beginn einer Studie durchaus aus der Literatur kommen können (Strauss und Corbin 1998, S. 51; siehe auch Abschnitt 4.2).ȱ „[...] stop when you encounter diminishing returns, when the information you obtain is redundant or peripheral, when what you do learn that is new adds too little to what you already know to justify the time and cost of the interviewing” (Weiss 1994a, S. 21). “Categories are ‘saturated’ when gathering fresh data no longer sparks new theoretical insights, nor reveals new properties of these core theoretical categories” (Charmaz 2006, S. 113). Es wird vermutet, dass der Urheber der Idee der „Sättigung“ Everett Hughes war, der Studenten anhielt, so lange Interviews zu führen, bis sie nichts Neues mehr hörten (Hintz und Miller 1995; Ezzy 2002).ȱ Viele qualitative Forscher berufen sich auf das Kriterium der theoretischen Sättigung (Johnson 2001, S. 113). Nur wenige nennen konkrete Probandenzahlen: McCracken (1988) hält acht Interviews für genug, Carson et. al (2001) schätzt, dass für eine theoretische Sättigung zwischen 8-24 Probanden genügen.ȱ
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Ansatzpunkte, nach denen die systematische Auswahl der Probandenstichprobe schrittweise erfolgte, wurden in der Literatur, die sich speziell mit dem Thema Vertrauen im Gesundheitsbereich befasst, identifiziert. Hier tauchen einige mögliche empirisch bestätigte und z.T. umstrittene Faktoren auf, die Vertrauen eines Patienten beeinflussen können. Gilson (2003) weist beispielsweise darauf hin, dass „die Bedeutung von Vertrauen innerhalb einer Beziehung variiert“ und „Vertrauen in Anbieter mag für Patienten mit geringerem Risiko weniger von Bedeutung sein [...] es mag für verletzbare Patienten mit höherem Risiko von größerer Bedeutung sein“ (Gilson 2003, S. 1459). Auch Mechanic und Meyer (2000) fanden in einer qualitativen Studie heraus, dass zwischen drei Patientengruppen (BrustkrebsPatienten, Borreliose-Patienten, Patienten mit psychischen Erkrankungen) Unterschiede im Vertrauen und seinen Dimensionen zu identifizieren waren und führten diese auf die unterschiedlichen Krankheitsarten, die verschiedenen Arten der Behandlung und die teilweise unterschiedlichen Erfahrungsstufen der Probanden im Umgang mit Ärzten zurück (Mechanic und Meyer 2000, S. 665). Lake (2000) stellte ebenfalls empirisch fest, dass der Gesundheitszustand Vertrauen beeinflusst. „Die in schlechterer physischer Gesundheit waren generell weniger zufrieden mit ihrer Pflege, tendierten dazu, ihren letzten medizinischen Besuch weniger positiv zu bewerten, und äußerten weniger Vertrauen in ihren Arzt“ (Lake 2000, S. 417). Zu demselben Ergebnis kamen auch Balkrishnan et al. (2003). Des Weiteren lassen sich in der umfassenden relevanten Literatur zahlreiche andere Patientencharakteristika oder Dimensionen finden, denen ein Einfluss auf die Vertrauensbildung zugesprochen wird. Diese wurden ergänzt mit weiteren Faktoren, die plausibel erschienen (siehe Abbildung 14; siehe z.B. Caterinicchio 1979; Thom und Campbell 1997; Thom et al. 1999a, 1999b; Lake 2000; Mechanic und Meyer 2000; Mainous et al. 2001; Balkrishnan et al. 2003; Tarrant et al. 2003; Hausman und Mader 2004; Leisen und Hyman 2004). Obwohl es praktisch unmöglich war, alle o.g. Faktoren und –ausprägungen bei der Probandenauswahl zu betrachten, wurde zumindest versucht, eine schrittweise Selektion durchzuführen (siehe z.B. Flick, 1992, S.24f; Flick 1995), die auf Basis augenscheinlicher Kriterien (z.B. Geschlecht, Alter etc.) erfolgte, die aber auch Faktoren wie z.B. die Erfahrung mit Ärzten, die Länge der Arzt-Patient-Beziehung etc. berücksichtigte. Um diese Aspekte mit einzubeziehen, wurde nach dem eigentlichen Interview ein kurzer Fragebogen zur Erhebung von Patientencharakteristika und Informationen zum letzten Krankenhausaufenthalt zusammen mit dem Befragten ausgefüllt.
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Patientencharakteristika
Andere Faktoren
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Alter Geschlecht Bildung Einkommen Gesundheitszustand (gesund vs. krank) Krankheitsart Versicherungsart (Privat vs. Kasse) Erfahrung mit Ärzten Einstellung (z.B. Anhänger Alternativer Medizin und Heilpraktiker)
• • •
• • •
• •
Freiwillige vs. unfreiwillige Behandlung Grund der Behandlung (Positiv vs. negativ) Risiko der Behandlung Bedeutung der Behandlung (Wichtig/notwendig vs. eher unwichtig) Länge der Arzt-PatientenBeziehung Wahrgenommene Auswahl an Ärzten Grundlage der Ärztewahl (Persönliche Empfehlung vs. Convenience-Wahl) Kontinuität in Behandlung Behandlungsart
Abbildung 14: Dimensionen mit Einfluss auf Vertrauen in Ärzte
4.4.1.3 Rekrutierung Die Rekrutierung der Probanden erfolgte mit Hilfe einer zweigleisigen Strategie. In einem ersten Schritt wurden Bekannte und Arbeitskollegen gebeten, bestimmte Probanden nach vorgegebenen Kriterien (Geschlecht, Alter, Versicherungsart, Erfahrung mit Ärzten, Krankheitsart etc.) zu nominieren und einen Kontakt zu ihnen zu vermitteln. So konnten verschiedene Interviewpartner in einem „Probandenpool“ zusammentragen werden. Aus diesen potenziellen Interviewpartnern wurden anschließend gezielt und schrittweise Personen ausgewählt, die sich in bestimmten Kriterien unterschieden. Zusätzlich wurde während der Erhebungsphase die Schneeballmethode genutzt, um über die interviewten Probanden weitere Interviewpartner zu finden (vgl. z.B. Weiss 1994; Patton 2002). Es wurde bewusst darauf verzichtet, über Aushänge an öffentlichen Orten (z.B. im Krankenhaus) Probanden zu rekrutieren, da mit einer möglichen Verzerrung der Stichprobe zu rechnen war. Gerade im Bezug auf die vorliegende Thematik wurde vermutet, dass Patienten mit Negativerlebnissen im Krankenhaus besonders motiviert sein könnten, sich freiwillig zur Interviewteilnahme zu melden (vgl. z.B. Grady und Wallston 1988).
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4.4.2
Konzeption der empirischen Untersuchung
Durchführung
Insgesamt wurden 20 ehemaligen Krankenhauspatienten interviewt. Die Interviews wurden bei den Probanden zu Hause geführt und digital aufgezeichnet98. Vor dem Interview wurden den Interviewpartnern Erläuterungen zur Studie (Thema, Absicht, Vorgehen, Gründe für Tonbandaufnahme) vorgelegt oder –gelesen. Dabei wurde das Thema recht allgemein und Vertrauen nicht als Forschungsfokus dargestellt, um die Probanden vorab nicht zu beeinflussen. Nach der Klärung eventueller Fragen wurde die Interviewperson gebeten, eine Einverständniserklärung zu unterschreiben (siehe Anhang 7.8), welche unter anderem die Rechte des Befragten und Vertraulichkeitsfragen behandelt (Mason 2002; Patton 2002). Dieses Vorgehen erschien unter ethischen Gesichtspunkten notwendig (Carson et al. 2001; Silverman 2006; Flick 2009). Während der Interviews wurden die anerkannten Regeln der non-direktiven Interviewführung befolgt, wie z.B. Augenkontakt, aktives Zuhören, kein Unterbrechen, keine Bewertungen etc., um die Probanden nicht zu beeinflussen (vgl. z.B. Carson et al. 2001). Nach den Interviews erfolgte ein Debriefing, bei dem den Interviewten das wirkliche Ziel der Studie erklärt wurde (vgl. Grady und Wallston 1988). Zudem wurde abschließend ein kurzer Fragebogen zur Erhebung von Patientencharakteristika und Informationen zum letzten Krankenhausaufenthalt zusammen mit dem Befragten ausgefüllt, um diese Aspekte für das weitere Sampling von Probanden und die Analyse berücksichtigen zu können. 4.4.3
Analyse und Interpretation
„Analysis is the process of bringing order to the data, organizing what is there into patterns, categories, and basic descriptive units. […] Interpretation involves attaching meaning and significance to the analysis, explaining descriptive patterns, and looking for relationships and linkages among descriptive units.” (Patton 1980, S. 268) Obwohl Analyse und Interpretation zwei unterschiedliche Aktivitäten oder Prozesse zur Erlangung von Erkenntnissen darstellen, nämlich einerseits die Aufspaltung, Strukturierung und Manipulation von Daten, andererseits das Verstehen von Bedeutung und Sinn (siehe Spiggle 1994), kann beides nur schwer voneinander getrennt werden, da es parallel abläuft. Durch die Analyse von Daten wird Interpretation erst möglich. Daher wird in diesem Abschnitt be-
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Vorteile der Interviewaufzeichnung mit Tonbandgerät diskutieren (Bucher et al. 2003).
Konzeption der empirischen Untersuchung
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schrieben, wie die Analyse der Interviews erfolgt ist. Im Ergebniskapitel 5 soll dann versucht werden, die Interpretation nachvollziehbar zu machen. Nach der wörtlichen Transkription der 20 Interviews wurden diese mit ausgewählten qualitativen Analysetechniken ausgewertet. Für die detaillierte intra-text/within case und intertext/across-case Analyse wurden verschiedene Methoden kombiniert, beispielsweise gewisse Herangehensweisen der Grounded Theory, die sinnvoll erschienen: Codierungsprozeduren99, das Schreiben von Memos, ständiges Vergleichen (vgl. z.B. Glaser und Strauss 1967; Strauss und Corbin 1996; siehe auch Abschnitt 4.2) und weitere anerkannte Analysetechniken (nach z.B. Miles und Huberman 1994). Vor der eigentlichen Analyse wurden die Transkripte mehrmals gelesen und Notizen zu ersten Eindrücken gemacht, welche in einem allgemeinen ersten Probanden-Memo festgehalten wurden (Ezzy 2002; Patton 2002; Maxwell 2005). Dann wurden im Rahmen des ersten Schritts der individuellen Fallanalyse (Patton 2002) die Texte einzeln für sich zunächst offen kodiert, d.h. im Rahmen einer induktiven100 Analyse wurde aus den Daten heraus ein Klassifikations- oder Kodierschema entwickelt (siehe Abschnitt 4.2.3). Dies erfolgte durch eine Mikroanalyse, bei der das Transkript Zeile für Zeile durchgegangen und jedem Ereignis ein Kode zugeteilt wurde: „The detailed line-by-line analysis is necessary at the beginning of a study to generate initial categories (with their properties and dimensions) and to suggest relationships among categories; a combination of open and axial coding” (Strauss und Corbin 1998, S. 57; vgl. auch z.B. Miles und Huberman 1994). Es ging vor allem darum, zentrale Motive/ Phänomene im Text zu identifizieren („Was? Worum geht es?“) sowie zusätzlich Thematisierungsregeln zu erkennen („Wie erfolgt die Thematisierung?“). Dieser Kodierungsprozess wird auch als Kategorisierung bezeichnet (Spiggle 1994). Mit Hilfe der zentralen Verfahren „Fragenstellen“ und „Vergleichen“ (Strauss und Corbin 1998, S. 73) sollen im nächsten Schritt des axialen Kodierens bereits vorhandene Kodes differenziert, Beziehungen und Verbindungen zwischen den Kodes hergestellt und diese in Hierarchien zu Kategorien zusammengefasst werden101. Daher wurden die Codes und Notizen für
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Andere wurden nur eingeschränkt durchgeführt, z.B. waren die Datenerhebung und die Datenanalyse nicht konsequent miteinander verflochten, wie es im Rahmen der Grounded Theory vorgesehen ist. “Induction moves from specific cases to the general law” […] „Deduction moves from a general rule to specific cases” (Ezzy 2002, S. 14). An dieser Stelle lassen sich diverse Prozeduren einordnen, die Spiggle (1994) in ihrem einflussreichen Artikel vorstellt. Sowohl die Abstraktion, der Vergleich, die Dimensionalisierung als auch die Integration sind Verfahren, die im Rahmen des Kodierens verwendet werden.
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Konzeption der empirischen Untersuchung
jedes Interview zusammengefasst und weiter verdichtet (axiales Codieren). Es wurde nach wiederkehrenden Regelmäßigkeiten gesucht, die sich in Mustern und Kategorien abbilden lassen102 (vgl. auch Patton 1980; Boyatzis 1998; Carson et al. 2001; Patton 2002; Maxwell 2005). Diese sogenannte „idiografische Analyse“ (siehe z.B. Thompson et al. 1990; Mick und Buhl 1992; Fournier 1998) oder „individual case synopsis“ (Miles und Huberman 1994) stellt die Basis für die fallübergreifende Analyse dar. Ähnlich wie bei Fournier (1998) werden im Ergebniskapitel so auch erst einzelne Fälle (Patiententypen) in ihrem Kontext vorgestellt, bevor die Erkenntnisse aus der fallübergreifenden Analyse diskutiert werden. Besonderes Augenmerk wurde auf die einzelnen Geschichten („narratives“ oder „stories“) der Probanden gelegt103. Diese Erzählungen „can be seen […] as highly structured (and formal) ways of transmitting information“ (Coffey and Atkinson 1996, S. 55). Geschichten repräsentieren Erfahrungen, wie sie vom Geschichtenerzähler verstanden werden104 (Hopkinson und Hogg 2006). In der Datenerhebung wurde bereits mit der Gestaltung des Leitfadens der Grundstein für die Anregung zum Geschichtenerzählen gelegt. Aber auch auf konkrete (Nach)Fragen antworteten Probanden häufig mit Erzählungen (siehe Riessman 1993). „Because it is a form of discourse that is known and used in everyday interaction, the story is an obvious way for social actors, in talking to strangers (e.g., the researcher) to retell key experiences and events” (Coffey und Atkinson 1996, S. 56). Gerade im medizinischen Kontext sind sogenannte “atrocity stories” oder „moral tales“ gut dokumentiert (Dingwall 1977; Atkinson 1992). Der zweite Schritt der fallübergreifenden Analyse hatte zum Ziel, Muster über Erzählungen/Erlebnisse und Probanden hinweg zu erkennen, die das Verständnis des Vertrauensphänomens strukturieren helfen (siehe Fournier 1998). Auch sollte das Verstehen und der Erklärungsgehalt der Empirie weiter vertieft werden (siehe Miles und Huberman 1994, S. 173). Theoretische Konzepte in den Geschichten wurden durch fallübergreifende Vergleiche identifiziert. Teilweise dienten Fallexcerpte als Grundlage der Analyse. Zur Codierung der Texte - die bereits im ersten Schritt vorgenommen wurde, aber erst für die fallübergreifende Analyse von Bedeutung war - wurde eine Software zur Analyse qualitativer
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Miles und Huberman (1994) nennen diesen Schritt „Pattern Coding“. Diese Geschichten verzeichnen ein zunehmendes Interesse in der Marketingforschung (siehe Hopkinson und Hogg 2006). Ein schöner Beispiel-Artikel für diese sogenannte „story-based research“ findet sich z.B. bei Fournier (1998). Zumindest aus interpretivistischer/konstruktivistischer Sicht, wie sie der qualitativen Forschung zumeist zugrunde liegt.
Konzeption der empirischen Untersuchung
113
Daten (sogenannte QDA-Software: Qualitative Data Analysis-Software) eingesetzt 105 . Die Wahl fiel auf MAXQDA©, eine Software, die die Codierung von Texten unterstützt sowie einige Auswertungsfunktionen (sogenannte „Search and Retrieval“-Funktionen) beinhaltet (siehe z.B. Kuckartz 2007). Mit Hilfe der Software wurden den Texten sowohl deskriptive als auch analytische Kategorien zugeordnet und somit eine erste Strukturierung vorgenommen. Nach der Codierung wurde das Modell um die Kernkategorie herum entwickelt. Dieses selektive Codieren, bei dem alle Kategorien in einer finalen Kernkategorie zusammengebracht werden sollen (Corbin und Strauss 2003), mündete in eine sog. Theorieskizze106, eine Vorläuferin einer komplett ausgearbeiteten Theorie, die kein Anrecht auf Vollständigkeit erheben möchte. Generell folgt die Herangehensweise an die Daten den drei Phasen der Datenreduktion107, der Datendarstellung108 sowie dem Ziehen von Schlüssen und der Verifikation109, die vor, während und nach der Datenerhebung in paralleler Form durchgeführt werden und Datenanalyse ausmachen (siehe Abbildung 15; Miles und Huberman 1994, S. 12). Während der gesamten Kodierungsprozeduren wurde dem Rat nachgekommen, alle Ergebnisse, Gedanken, Eindrücke und Ideen in Memos festzuhalten (vgl. z.B. Miles und Huberman 1994; Spiggle 1994; Strauss und Corbin 1998; Charmaz 2001; Charmaz 2006; siehe auch Abschnitt 4.2.4). Als Vorarbeiten für Analysememos wurde die Methode des „Clustering“ und „Freewriting“ (siehe Charmaz 2006, S. 86-91) sowie des „Diagramming“ (siehe Charmaz 2006, S. 117-119) genutzt. Von Miles und Huberman (1994) empfohlene Taktiken zur Generierung von Erkenntnissen110 wurden ebenfalls verwendet.
105 106
107 108 109 110
Eine Übersicht über QDA-Software findet sich z.B. bei Fielding und Lee (1998), Weitzman und Miles (1995). Lewins und Silver (2006) bieten derzeit einen der aktuellsten Überblicke. Zum Begriff “Theorieskizze” siehe Breuer (1999). “Data reduction refers to the process of selecting, focusing, simplifying, abstracting and transforming the data that appear in written-up field notes or transcriptions” (Miles und Huberman 1994, S. 10). “A display is an organized, compressed assembly of information that permits conclusion drawing and action” (Miles und Huberman 1994, S. 11). “The qualitative analyst is beginning to decide what things mean – is noting regularities, patterns, explanations, possible configurations, causal flows, and propositions” (Miles und Huberman 1994, S. 11). Von Miles und Huberman (1994) empfohlene Taktiken, die teilweise bereits diskutiert wurden und als selbstverständlich für theoriegenerierende Forschung zu sehen sind: (1) noting patterns, themes, (2) seeing plausibility, (3) clustering, (4) making metaphors, (5) counting, (6) making contrasts/comparisons, (7) partitioning variables, (8) subsuming particulars into the general, (9) factoring, (10) noting relations between variables, (11) finding intervening variables, (12) building a logical chain of evidence und (13) making conceptual/theoretical coherence (Miles und Huberman 1994, S. 245-262).
114
Konzeption der empirischen Untersuchung
Data Collection
Data Display
Data Reduction Conclusions: drawing/verifying
Abbildung 15: Komponenten der Daten Analyse: Interaktives Modell
Die schriftliche Ausarbeitung der Ergebnisse wird ergänzt um grafische Darstellungen, da damit Informationen in übersichtlicher Form präsentieren werden können (Dey 1995). Besonders die Darstellung der Ergebnisse in Modellen, Matrizen und Netzwerken ist häufig sehr hilfreich (Carson et al. 2001). Maxwell (2005) und Miles und Huberman (1994) z.B. empfehlen „concept maps“111, welche auch in Grounded Theory-Studien beliebte Darstellungsformen sind, um Theorien zu entwickeln, zusammenzufassen oder abzubilden. Eine weitere Möglichkeit sind „analyst-constructed typologies“ (vgl. Patton 2002, S. 458-462), die Probanden gemäß relevanter Dimensionen gruppieren. Eine Fülle an weiteren Darstellungsformen (Matrizen, Netzwerke, Context Charts etc.) finden sich z.B. noch in Miles und Huberman (1994) und Patton (2002) und werden bei Praktikabilität Anwendung finden.
111
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„A concept map of a theory is a visual display of that theory – a picture of what the theory says is going on with the phenomenon” (Maxwell 2005, S. 47).ȱ
5
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
In diesem Kapitel sollen die Ergebnisse der empirischen Hauptsstudie ausführlich dargestellt, erläutert und diskutiert werden. Dabei soll eine grobe Orientierung an den drei Schritten Deskription, Analyse und Interpretation erfolgen (Dey 1993; Wolcott 1994; Coffey und Atkinson 1996). Schon während der Haupterhebung wird deutlich, dass der gewählte Ansatz der episodischen Einzelinterviews (siehe Abschnitt 4.4) sehr zweckmäßig für die vorliegende Untersuchung zu sein scheint, da die erzählten Geschichten der Befragten ihre Einstellungen zu Krankenhäusern, Gefühle und Erwartungen sehr gut widerspiegeln. Diese Erkenntnis wird bereits in vielen (soziologischen) Studien genutzt und angewendet. Die Geschichten von Personen im Rahmen eines medizinischen Kontextes lassen sich unter dem Genre der „illness narratives“ (Frank 1995; Wong und King 2008) oder auch „atrocity stories”112 (Dingwall 1977; Atkinson 1992) zusammenfassen. Bereits Webb und Stimson (1976) weisen darauf hin, dass „atrocity stories are central to people’s talk about their encounters with the medical profession” (Baruch 1981, S. 275). “Qualitative data provide depth and detail. Depth and detail emerge through direct quotation and careful description” (Patton 1980, S. 22). Daher werden im Rahmen der Ergebnisdarstellung zahlreiche Zitate und auch deskriptive Beschreibungen integriert, welche die Interpretation nachvollziehbar werden lassen sollen. Ein Abgleich mit bestehender Theorie wird stets direkt in die jeweiligen Abschnitte integriert. In einem ersten Teilabschnitt werden die befragten Personen kurz vorgestellt, um einen Einblick in die vorliegende Stichprobe zu erhalten (siehe Abschnitt 5.1). Abschnitt 5.2 hat eine nähere Auseinandersetzung mit zwei „Beispielfällen“ zum Inhalt. Hier werden zwei unterschiedliche Patienten(typen) idiografisch vorgestellt. Ihre geschilderten Erlebnisse werden zusammengefasst dargestellt und erste Interpretationen vorgenommen, um bereits Erkenntnisse zum Phänomen Vertrauen zu erhalten. Die Ergebnisse aus der fallübergreifenden Analyse, die die Forschungsfragen zu beantworten versuchen, werden in Abschnitt 5.3 vorgestellt.
112
„This is a particular kind of morality tale, widely documented in medical and other settings“ (Atkinson 1992, S. 463).
116
5.1
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Beschreibung der Stichprobe
Dieser Abschnitt soll dazu dienen, einen generellen Überblick über die befragten Personen zu erhalten. Da nicht alle 20 Befragten im Detail vorgestellt werden können, soll es hier ausreichen, eine Zusammenfassung wichtiger soziodemografischer Charakteristika, die im Anschluss an die Interviews per Kurzfragebogen abgefragt wurden (siehe Abschnitt 4.4.2), zu geben. Tabelle 13 bietet eine Übersicht über die Befragten, ihr Geschlecht und Alter, ihren höchsten Schulabschluss und ausgeübten Beruf sowie deren Krankenversicherung. In Summe wurden sechs männliche und 14 weibliche Patienten zwischen 24 und 85 Jahren befragt. Schulabschlüsse und ausgeübte Berufe deuten auf eine heterogene Bildungslandschaft hin. Zehn Befragte sind gesetzlich versichert, sechs privat, vier besitzen zusätzlich zur gesetzlichen Pflichtversicherung eine private Zusatzversicherung. Tabelle 13: Ausgesuchte Merkmale der Befragten
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Name
Geschlecht Alter
Schulabschluss
Beruf
1
Kurt
Männlich
85
2
Margarete
Weiblich
80
Rentner (Postbeamter) Rentnerin (Hausfrau)
3 4
Jörn Holger
Männlich Männlich
24 36
Mittlere Reife (Realschule) Hauptschulabschluss (Volksschulabschluss) Abitur Abitur
5
Maren
Weiblich
28
6
Susanne
Weiblich
37
7
Irmgard
Weiblich
8
Ingrid
9
Britta K.
Mittlere Reife (Realschule) Fachhochschulabschluss
Student Computeradministrator Rechtsanwaltsfachangestellte Sekretärin/ Hausfrau
57
Mittlere Reife (Realschule)
Rentnerin (Arzthelferin)
Weiblich
64
Hausfrau
Weiblich
30
Hauptschulabschluss (Volksschulabschluss) Abitur
Diätassistentin (Elternzeit)
Krankenversicherung Privat Privat Privat (Debeka) Gesetzlich (TKK) Gesetzlich (KKH) Gesetzlich + private Zusatzversicherung Gesetzlich + private Zusatzversicherung Gesetzlich (AOK) Gesetzlich (BIG)
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
117
10
Nicola
Weiblich
35
Abitur
11
Britta L.
Weiblich
28
12
Cornelia
Weiblich
48
Hochschulabschluss Hauptschulabschluss (Volksschulabschluss)
13
Klaus
Männlich
42
14
Bianca
Weiblich
30
15
Gerda
Weiblich
66
16
Dieter
Männlich
65
17
Anja
Weiblich
26
Hauptschulabschluss (Volksschulabschluss) Hauptschulabschluss (Volksschulabschluss) Hauptschulabschluss (Volksschulabschluss) Hauptschulabschluss (Volksschulabschluss) Fachabitur
18
Angelika
Weiblich
56
Handelsschule
19 20
Andrea Marcus
Weiblich Männlich
38 28
Abitur Mittlere Reife (Realschule)
Kommunalbeamtin (Elternzeit) Grundschullehrerin Verkäuferin
Privat
Rentnerin (Verkäuferin)
Gesetzlich
Rentner (Vorstandsfahrer)
Gesetzlich
Industriekauffrau Hausfrau
Gesetzlich
Privat
Gesetzlich (DAK) + private Zusatzversicherung Frührentner Freiwillig versi(Fleischermeis- chert ter) Bürokauffrau Gesetzlich (Bar(Elternzeit) mer)
Hausfrau Zentralheizungslüftungsbauer
Gesetzlich + private Zusatzversicherung Gesetzlich Gesetzlich
Die Probanden gaben ferner an, in ihrem Leben zwischen ein (Marcus) und 17 Mal (Klaus) im Krankenhaus gewesen zu sein. Ihr nach eigenen Auskünften längster Krankenhausaufenthalt dauerte zwischen 5 Tage (Britta K., Anja, Marcus) bis 6 Wochen (Bianca). Nach der Selbsteinschätzung ihrer Krankenhauserfahrung gefragt (auf einer Skala von 1 – sehr gering bis 10 – sehr hoch) gaben die Befragten Werte zwischen 2 (Marcus) bis 9 (Klaus, Bianca, Angelika) an. Aus den Interviews ließen sich nun weitere Informationen bezüglich der Krankenhausaufenthalte extrahieren, die zur Übersicht in Tabelle 14 zusammengestellt sind. Auch hier ist gut zu erkennen, dass die Befragten sehr unterschiedliche Erkrankungen aufweisen, die zum letzten Krankenhausaufenthalt führten. Vier Probanden haben dafür freiwillig das Krankenhaus aufgesucht, elf eher unfreiwillig (wobei hier die fünf Geburten dazugezählt
118
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
wurden, auch wenn die Alternative des Geburtshauses grundsätzlich bestand) und fünf konnten es nicht klar einordnen (z.B. waren die Knieoperationen nicht zwingend erforderlich (medizinisch induziert), wurden allerdings von Ärzten empfohlen; die letzte Entscheidung lag beim Patienten selbst). 19 von 20 Befragten haben das Krankenhaus mehr oder weniger bewusst (zwischen Alternativen) ausgewählt, nur ein Patient (Holger) hatte eher keine Wahl, da sein Arzt in einem bestimmten Krankenhaus Belegbetten besitzt. Die Patienten geben unterschiedliche Intensitätsgrade der Informationssuche an, manche haben sich intensiv und über längere Zeit hinweg informiert, andere gar nicht (meist weil die Erkrankung plötzlich auftrat). Das spiegelt sich auch in den Gründen für die Krankenhauswahl wider. Die drei häufigsten sind die Empfehlung durch Dritte (Bekannte oder Ärzte), die Bekanntheit und Nähe zum Wohnort. Letzteren Grund geben vor allem die Personen an, die sich eher weniger intensiv informiert haben (aber nicht nur diese). Die Dauer der berichteten Aufenthalte schwankt zwischen fünf Tagen und vier Wochen. Acht Befragte sind im jeweiligen Krankenhaus bereits vor ihrem letzten Aufenthalt schon einmal behandelt worden, die anderen zwölf nicht. Fünf kannten ihre behandelnden Ärzte schon von früheren Aufenthalten, die restlichen 15 nicht. Insgesamt zeigt sich, dass die einzelnen „Fälle“ relativ heterogen zu sein scheinen, zumindest was die Rahmenbedingungen angeht.
ȱ
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Tabelle 14: Befragte und Krankenhausaufenthalte
119
120
ȱ
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
121
122
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Die in den Erzählungen der Befragten genannten Krankenhäuser und Stationen sind in Tabelle 15 aufgelistet. Tabelle 15: Von den Befragten genannte Krankenhäuser
Krankenhaus
Kliniken/Stationen
Anzahl Befragte/Patienten
St. Josef-Stift Sendenhorst
Rheumatologie Orthopädie
2 3
Uniklinikum Essen
Neurologie
1
Evangelisches Krankenhaus in Hattingen
HNO/Allgemeine Station
1
Katharinen-Hospital Unna
Gynäkologie Innere Abteilung Kardiologie
4 2 1
Städtische Kliniken Dortmund
Frauenklinik Innere Abteilung
1 1
St. Marien-Hospital Hamm
Chirurgie
1
Prosper-Hospital Recklinghausen
Koloproktologie
1
Uniklinikum Münster
Gynäkologie
1
Evangelisches Krankenhaus Hagen-Haspe (genannt „Mops“)
Gynäkologie
1
Franziskanerkrankenhaus Münster
Innere Abteilung
1
Johannes-Hospital Dortmund
Kardiologie
1
Evangelisches Krankenhaus Unna
Neurologie Innere Abteilung Diabetologie Chirurgie
1 1 1 1
Die Befragten erzählen i.d.R. von ihrem letzten Krankenhausaufenthalt. Ingrid, Klaus, Bianca, Gerda, Dieter und Angelika berichten sogar von je zwei Aufenthalten in unterschiedlichen Krankenhäusern. So kommt es zustande, dass zwölf Krankenhäuser in den Erzählungen genannt werden (siehe Tabelle 15). ȱ
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
5.2
123
Darstellung von Einzelfällen
Um ein tieferes Verständnis für die fallübergreifende Analyse zu ermöglichen, sollen in diesem Abschnitt zwei beispielhafte Einzelfälle idiografisch und im Sinne von „individual case synopses“ (Miles und Huberman 1994) vorgestellt werden. Dafür wurden zwei sehr unterschiedliche Patienten ausgewählt, Margarete und Jörn, deren Interviews inhaltlich und möglichst in ihren eigenen Worten zusammengefasst werden. Hier erfolgt noch keine tiefergehende Analyse des Vertrauens im speziellen (und auf die Forschungsfragen bezogen), sondern es soll offen nach Themen, Muster, Auffälligkeiten etc. geschaut werden, indem Erlebnisse und Interpretation der Probanden beschrieben werden. Erste Erkenntnisse zum Phänomen Vertrauen werden aber bereits hier ersichtlich. 5.2.1
Beispielfall 1: Margarete
Margarete ist 80 Jahre alt, verheiratet und wohnt in einer Kleinstadt am Rande des Ruhrgebiets. Sie genießt ihren Lebensabend als Rentnerin, nachdem sie sich den größten Teil ihres Lebens um Haushalt, Ehemann, Tochter und die drei Enkelkinder gekümmert hat. Sie ist privat versichert, da ihr Mann als Postbeamter tätig war, bevor auch er Pensionär wurde. Das Interview mit ihr dauerte 42 Minuten, fand bei ihr zuhause im Esszimmer statt und ihr Ehemann war ebenfalls anwesend. Margarete assoziiert mit Krankenhäusern „das Ungewisse“. Sie artikuliert eine gewisse Angst vor Unbekanntem, „man weiß ja nicht, was auf einen zukommt“. Daher findet sie auch die erste Begegnung mit dem behandelnden Arzt sehr wichtig, bei der ihr die Erklärungen zum Ablauf der Therapie die Anspannung nehmen. Margarete berichtet dabei direkt von ihrem letzten Krankenhausaufenthalt, den sie im Krankenhaus wegen einer Knieprothese verbracht hat. Der behandelnde Chefarzt „hat sehr viel Wärme ausgestrahlt, und… Händchen gehalten“ und Mut gemacht. Margarete hebt hervor, dass er „Professor“ und „väterlich“ war, was ihr gut gefällt. Auch die zuständige Anästhesistin erklärt Margarete das Vorgehen, nimmt ihr die Sorgen und lässt ihr (scheinbar) die Wahl der Narkosemethode („ich habe mich für die Vollnarkose entschieden, weil das Risiko doch ein bisschen zu groß ist bei der Rückenmarkspritze“). Am Tag der Operation betont Margarete, keine Angst gehabt zu haben und spielt herunter, dass sie dann doch eine Beruhigungstablette erhalten habe, durch die sie nichts von den Operationsvorbereitungen mitbekommen hat. Nach der Operation sei „natürlich viel durcheinander gewesen im Aufwachraum“, „da haben die die Ader wohl nicht richtig getroffen, und da
124
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
ist Blut rausgeschossen, da war der Kopf und alles voller Blut“. Sie spielt den Vorfall (im Nachhinein?) aber runter, „doch es war nicht schlimm“. Margarete erwähnt ihre Zimmernachbarin, „eine sehr nette Frau“, mit der sie gut „harmoniert“ hätte, was ihr sehr wichtig sei. Ferner erzählt sie voller Stolz vom „Professor“, der bei der Visite die Stimmung des Zimmers lobt („Ach, das ist eine Wohltat, wenn man hier reinkommt, hier ist die Fröhlichkeit“), „der hat sich dann hingesetzt, der hat sich mit uns unterhalten, hat erzählt“. Zur Untermauerung bringt sie zwei Beispiele an, bei dem der Arzt nach gespieltem Zögern von einem kleinen Unfall auf der Gokart-Bahn berichtet und „Späßchen“ zur Papstwahl macht. Die Tatsache, dass Margarete diese Beispiele sehr ausführlich und lebendig unter Nutzung der wörtlichen Rede nacherzählt, könnten veranschaulichen, dass ihr das Ganze gut in Erinnerung geblieben ist und sie damit den lockeren Umgang miteinander noch betonen möchte. Auch erwähnt sie noch nebenbei, dass die Studenten großen Respekt vor dem Professor gehabt hätten („haben dann immer stramm gestanden“). Die Dauer ihres Aufenthalts im Krankenhaus betrug drei Wochen. Acht Jahre zuvor habe sie bereits dort eine Operation am Knie durchführen lassen und schon „sehr gute Erfahrungen“ gemacht. Damals habe sie ihr Orthopäde dorthin geschickt, dieses Mal habe sie sich direkt in der Klinik angemeldet, „eben weil ich so gute Erfahrungen gemacht habe“. Sie berichtet aber direkt im Anschluss von der einzigen negativen Erfahrung beim ersten Aufenthalt. Damals habe ihr eine Schwester die Bettpfanne nicht richtig untergehalten, sodass „es daneben gegangen“ ist. Das war Margarete sehr peinlich und sie erwähnt, dass es bei einem Pfleger geklappt habe, es also nicht allein an ihr gelegen hätte. Die nächsten Male sei die Schwester wieder gekommen und frech geworden: „’Ach, Sie schon wieder?’ hat sie zu mir gesagt“. „Und da war ich natürlich… runter“. Da der unangenehme Vorfall sich zweimal ereignete, hat sich Margarete mit Erfolg bei der Stationsschwester beschwert: „die ist dann nie wieder da gewesen“. Ansonsten sei das Personal (Oberarzt, Schwestern, Studenten) aber sehr nett gewesen, sie haben nur beste Erfahrungen gemacht. Dazu trägt auch das Essen bei, dass sehr gut, da „sehr schmackhaft“ und reichlich gewesen sei. Sie erwähnt auch, dass man morgens wählen konnte, die Patienten immer gefragt worden seien und man jederzeit Getränke holen konnte. Auch die therapeutische Betreuung sei sehr gut gewesen, da umfassend und bemüht. Sie führt dies auf den Arzt zurück, „wie er so seine Leutchen so führt“. Bei den Nachuntersuchungen habe er sogar selber „Hand angelegt“, was Margarete gefällt. Auf die Frage, warum man ihm vertraut habe, entgegnet Margarete, dass ihr Orthopäde ihn aus Studienzeiten kannte und empfohlen habe. ȱ
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
125
Wichtig bei einem Krankenhausaufenthalt ist Margarete die offene Umgebung („man konnte im ganzen Haus sich bewegen“), die das „eingesperrt“ sein erträglich machen. Auch die nicht zu strengen Regeln („wir mussten nicht abends gleich das Licht ausmachen“) und die Tatsache, dass Spaß erlaubt war (beim Fernsehen haben Margarete und ihre Zimmernachbarin laut und „herzlich gelacht“, was ihnen aber niemand übel nahm und auch der Professor nur scherzhaft ansprach) tragen dazu bei, den Aufenthalt angenehm zu gestalten. Ihre Zufriedenheit hängt vom Kümmern des Personals ab (nicht allein lassen, helfen). Als positives Ereignis erwähnt sie die unerwartete Möglichkeit, ein paar Tage nach der Operation trotz Klammern im Knie (die mit einem Plastikbeutel provisorisch abgedichtet wurden) duschen zu können. Dann erzählt sie fröhlich vom „allerschönsten“ Erlebnis, dem Spaß beim Sonntagsfrühstück mit der lebensfrohen Zimmernachbarin und einem Glas Sekt. Beim gemeinsamen Spaziergang abends lobt der Professor den Bewegungsdrang der Damen, was Margarete wiederum nicht unstolz erwähnt. Auch die Schwestern haben Respekt vor dem Chefarzt und „flitzen“, um alles sauber erscheinen zu lassen. Den an den Klinikaufenthalt anschließenden RehaBesuch in einer Reha-Klinik kritisiert Margarete heftigst, da dort ihrer Meinung nach nicht genug getan wurde („ich habe ja keine Behandlung weiter gekriegt“). Daher beschwert sie sich bei der Nachuntersuchung beim Oberarzt, der ihre Unzufriedenheit durch Bestätigung und aktive Annahme („Kann ich das fotokopieren? Das muss ich dem Chef zeigen!“) rechtfertigt und gewissermaßen belohnt. Margarete vermutet auf die Frage, wie Krankenhäuser ihre Patienten sehen, dass das Pflegepersonal Patienten unterschiedlich behandle und „auch mal einen scharfen Ton von sich geben“, „aber wenn man keinen Anlass dem Pflegepersonal gibt, dann haben die auch keine Veranlassung zurückzuschießen“. Sie berichtet von einem Oberarzt, „das ist ein Muffel gewesen“, der „den Chef gespielt“ habe, „von oben herab war“ und „nicht so menschlich, nicht so zutraulich“. Es klingt, als nehme sie ihm persönlich übel, dass er den „Chefarzt rauskehrt“. Dann bleibt sie beim Thema Autorität, indem sie eine weitere Anekdote erzählt, bei der der Chefarzt das Personal im Griff hatte („der ist streng gewesen wohl dem Personal gegenüber“), was für sie in Ordnung ist. Unklar ist, wie streng er den Patienten gegenüber ist: „aber den Patienten gegenüber, wir können nicht klagen“. Dass er sich mit den Patienten über private Dinge unterhalten hat, lobt Margarete nochmals. Auch die Stationsschwester habe „ihre Leutchen“ im Griff gehabt. Als neuer Service wurde „Haare waschen und föhnen“ angeboten, was ihr gefällt, da sich die Mitarbeiter kümmern. Dann erinnert sich Margarete an ein weiteres negatives Erlebnis in der Klinik vor sieben Jahren, bei dem sie „zusammengesackt“ sei, weil die Therapeutin „ein Schwätzchen gemacht“, also nicht aufgepasst habe. Dieser Fehler ihrerseits habe dafür gesorgt, dass sie sich danach gut gekümmert habe. Als der Arzt Margaretes Zusammenbruch bei der nächsten Visite anspricht, verrät sie die Therapeutin nicht.
126
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Margarete sieht sich nach eigenen Angaben als optimistischen Patiententyp, der offen gegenüber Ärzten ist. Sie gibt an, viel nachzufragen. Sie möchte, dass der Arzt sie „berät“ und auf ihre Fragen antwortet. 5.2.2
Beispielfall 2: Jörn
Jörn ist 24 Jahre jung und Architektur-Student in einer Ruhrgebietsstadt unweit der Stadt, in der er geboren und aufgewachsen ist. Er ist dank seiner Eltern (beide Beamte) (noch) privat versichert. Das Interview mit ihm fand bei seiner Freundin in der Küche statt, die auch dabei anwesend war und dauerte eine Stunde und acht Minuten. Jörns erster Gedanke zu Krankenhäusern deutet bereits auf einen sehr skeptischen Patienten hin: „Also, ich denke mal, das beste Krankenhaus taugt nichts“. Er begründet diese extreme Position damit, dass es jemandem schon einmal grundsätzlich schlecht ginge, wenn er ins Krankenhaus müsse und dass man sich immer über irgendetwas ärgere, „sei es das Personal, sei es das Zimmer selber, oder sei es, dass die eigene Krankheit nicht so richtig weggeht oder wie auch immer, also, wenn ich an Krankenhaus denke, ist das irgendwie eher ein unwohles Gefühl“. Er habe dazu bereits eigene Erfahrungen gemacht und auch bei Verwandten „ziemlich schlimme Sachen gesehen, das prägt halt irgendwie auch“. Während bei anderen jedoch unangenehme Emotionen wie „Mitgefühl und Mitleid“ hervorgerufen werden, ist die eigene Erfahrung ein „ätzendes Gefühl“, weil „man selbst drinliegt und zusehen muss, dass man die Tage rumkriegt“. Jörn verbindet Krankenhäuser weniger mit Heilung, wahrscheinlich auch, weil ihm insbesondere beim letzten Aufenthalt in der Neurologie des Krankenhauses nicht unbedingt geholfen wurde. Dies war „kein geplanter Aufenthalt“, Jörn wurde eingewiesen („Man hat mir empfohlen, ins Krankenhaus zu gehen“), weil er bereits einige Zeit unter Migräne litt, die trotz Medikamente nicht besser wurde und auch noch Fieber hinzukam, sodass von der Kopfschmerzambulanz in Stadt XY113 (die ihm vom Hausarzt empfohlen wurde und „die Adresse hier in der Gegend“ sei) eine Hirnhautentzündung nicht ausgeschlossen werden konnte. Jörn sei dann „über diese Kopfschmerzambulanz reingerutscht“ ins Krankenhaus, „weil ich dachte, da bin ich am besten aufgehoben“. Er verbrachte daraufhin „eine Woche ungefähr. Vielleicht auch
113
ȱ
Ab sofort werden Aussagen zu speziellen Krankenhäusern, Standorten oder Ärzten anonymisiert, um keine Rückschlüsse auf sie zu ermöglichen. Dafür wird die Bezeichnung oder der Name i.d.R. undifferenziert mit „Krankenhaus XY“, „Stadt XY“ und „Person/Titel XY“ ersetzt.
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
127
fünf Tage“ im Krankenhaus. Zu seinem Bedauern verbrachte er sogar ein Wochenende dort, „was nicht so ganz schön immer ist“, da „nicht viel passiert“ und Hochsommer gewesen sei. Seine ersten Gedanken zum Aufenthalt kreisen um negative Gefühle. Er fühlte sich „allein gelassen“, nicht informiert („man ist letztendlich das letzte Glied in der Kette und erfährt immer alles als letzter“), zudem ist niemand ansprechbar, „man wird so im Dunkeln stehen gelassen irgendwie“. Jörn wünscht sich häufigere Informationen, optimalerweise auch direkt vom Chef- und nicht vom Assistenzarzt. Er ist sich aber auch der Gründe für die vorherrschende Situation bewusst (chronische Unterbesetzung: eine Nachtkrankenschwester für zwei Etagen, Ärzte teilweise in zwei verschiedenen Gebäuden tätig), die zum „Leidwesen der Patienten“ beitragen. Er merkt an, dass „manche Leute stört‘s vielleicht jetzt nicht so“ („der ein oder andere Rentner“), aber er finde, „das ist eigentlich kein Zustand, der so richtig gut ist“ und es ärgere ihn sehr. Er habe seinen Zivildienst im Rettungsdienst verbracht und dort „einiges gesehen und mitgekriegt“, weshalb er einen „Blick dafür“ habe. Er sieht sich als Patient „am kürzeren Hebel“ und könne nichts an seiner Situation ändern. Er wolle so etwas aber nicht hinnehmen („irgendwo muss ich ja meinen Ärger rauslassen“) und die Situation für sich verbessern, wird also aktiv, indem er dem Personal sagt, dass er sie öfter sehen wolle und „zehn Mal in dieses Ärztezimmer“ renne, „aber im Prinzip weiß ich ja, dass die eigentlich auch nichts dafür können, größtenteils jedenfalls“. Des Weiteren beurteilt Jörn „selbst als Laie“ die Diagnosepraktiken als nicht zielführend. Dies führt er entweder auf einen engen Terminplan oder eine unzureichende Bezahlung der Krankenkassen zurück. Zudem stören ihn die langen Untersuchungszeiten („was die in vier Tagen gemacht haben, das hätte man fast an einem Tag machen können“) und das schleppende Vorgehen, was für ihn Zeitverschwendung darstellt („gut, ich war krank, da muss man sich die Zeit nehmen, aber es war ärgerlich irgendwie“ und „man hätte das alles straffen können“). Auch über die Rahmenbedingungen im Krankenhaus weiß Jörn nichts Positives zu berichten. Er bemängelt Essensmengen, -qualität und -zeiten („wenn man jetzt nicht gerade todsterbenskrank im Bett liegt und einfach den ganzen Tag verschläft und gebunden ans Krankenhaus ist“), Weckzeiten („ganz schlimm, morgens um 7 Uhr dann geweckt zu werden“), den allgemeinen Krankenhausrhythmus („ist ja quasi wie im Altenheim“) und veraltete Räumlichkeiten („Zustände wie im Mittelalter“), auch wenn dies in seinem Krankenhaus nicht der Fall gewesen sei. Nur die Parkanlagen böten Gelegenheit zur Bewegung, was Jörn positiv anmerkt. Die Beziehung zum Personal beschreibt Jörn als „angespannt“, da er „wahrscheinlich auch die Leute genervt habe, ja, aber meiner Meinung nach zu Recht genervt habe“. Der Oberarzt sei nett gewesen und habe „anschaulich erklärt“, „aber die hat man halt zu selten gesehen“. Er
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
ergreift aber selbst die Initiative, versucht, aktiv die Situation zu ändern und gibt nicht auf: „dann bin ich solange über die Station gelaufen, bis ich einen Arzt gefunden habe und erfahren habe“. Dann berichtet Jörn von einem Vorfall während einer Computertomografie, bei dem ihm eine Ader geplatzt sei, weil eine Studentin eine zu kleine Ader für das Spritzen des Kontrastmittels gewählt habe. Das Kontrastmittel sei ihm in den Arm gelaufen und habe eine „Beule am Arm“ gebildet, was „ärgerlich“ gewesen sei. Das sei erst hinterher aufgefallen, obwohl Anwesende und auch der Arzt observiert haben. Jörn überlegt, woran es gelegen haben könnte: Waren die Personen zu routiniert, nicht bei der Sache, abgelenkt, abgestumpft, abgehärtet oder überarbeitet? In einer privaten Praxis würde sich besser um Patienten gekümmert, „im Krankenhaus ist das Massenabfertigung irgendwie“. Wichtig im Krankenhaus ist Jörn „erst mal die Qualität der ärztlichen Versorgung natürlich“, dann bei längeren Aufenthalten „auch die anderen Sachen“, z.B. Zimmereinrichtung, Essen („das ist aber kein Entscheidungskriterium, ob ich in ein Krankenhaus gehe oder nicht, oder ob ich mir eins aussuche“), Umgangston. Auf die Frage, wie man die Qualität der ärztlichen Versorgung einschätze, nennt Jörn vier Indikatoren: Präsenz der Ärzte, anschauliche Erklärung, Information und Behandlungserfolg. Er sei zufrieden, wenn das Genannte alles stimme und der Heilungserfolg eintrete. Jörn würde beim nächsten Mal wieder in dasselbe Krankenhaus gehen („womöglich ja“), weil er aus Erfahrung wisse, „dass andere auch nicht besser sind“. Dies sei aber abhängig davon, ob das Krankenhaus die Krankheit überhaupt behandele. Auch ein guter Ruf oder gute Erfahrungen von Familie und Bekannten könnte locken. Die Nähe sei nicht entscheidend („irgendwer aus der Familie hat sich in München operieren lassen, weil das wohl einen ganz guten Ruf hatte und der ist damit auch super gefahren“). „Wenn ich jetzt irgendwann vor der Entscheidung stehen müsste, dass ich irgendeine schwere oder schlimme Operation hätte oder so, würde ich mir das auch sehr gut überlegen, wo ich hingehe“. Im Fall von Kopfschmerzen würde Jörn aber wieder ins selbe Krankenhaus gehen („zumindest wär das eine Meinung, die ich mir einholen würde von denen“), da er dort nun bekannt und seine Unterlagen vorhanden seien. Letztlich sei aber ja in seinem Krankenhaus auch eine Diagnose gestellt worden, die auf eine komplizierte Kombination von Erkrankungen („zu der Migräne noch eine Nasennebenhöhlenentzündung“) hindeutet und auch logisch klingt. Bezüglich seines Vertrauens ins Krankenhaus gibt Jörn eine etwas zwiespältige Antwort: man müsse „sich da so ein bisschen auf die Sachen verlassen, die einem da gesagt werden“, „nehȱ
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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me ich das erst mal so hin, hinterfrage das dann mit meinem eigenen Verständnis, ob ich mir das vorstellen kann, dass es den Grund hat“, er hinterfrage also Diagnosen der Ärzte und gleiche sie ab. Später wird deutlicher, warum sich Jörn widerspricht: „manche Sachen weiß man halt nicht als Laie logischerweise“, „andersherum haben sie das auch nicht in Griff gekriegt, deshalb habe ich die Sache wieder hinterfragt, die Diagnose“. Er fasst seine Herangehensweise dazu so zusammen: „Also ich finde, man soll nicht direkt alles, was die einem sagen, so schlucken, man kann auch selbst mal mit Verstand darüber nachdenken, auch wenn man nur Laie ist. Vielleicht sehen die auch manche Zusammenhänge nicht, weil man vielleicht nicht alles in irgendeinem Gespräch mal erwähnt hat […]. Klar, Vertrauen ist ganz gut, kann man sicherlich auch haben, aber nicht uneingeschränkt“. Jörn meint, im Krankenhaus mache das Personal die Vertrauenswürdigkeit aus. Da sei allerdings nicht zu beurteilen, wenn man selbst oder Freunde/Bekannte keine Erfahrungen dort gemacht hätten. Erlebnisse seien aber auch individuell, es komme auf behandelnde Ärzte an und wie man sich behandelt fühle. Jörn habe bisher immer auf Empfehlungen von Haus- oder Fachärzten gehört (wobei unklar bleibt, ob das jeweilige Krankenhaus das objektiv beste war oder es andere Gründe für eine Empfehlung gab). Zudem habe er versucht, sich über Bekannte abzusichern, „aber im Prinzip kennt man ja nicht alle Krankenhäuser und alle Leute, deshalb muss man sich auf irgendeine Aussage verlassen“, „eh ich über ein Krankenhaus gar nicht weiß, geh ich doch zu einem Krankenhaus, über das ich wenigstens ein bisschen etwas weiß“. Er selbst habe „von Krankenhaus zu Krankenhaus“ unterschiedliche Erfahrungen gemacht, z.B. bzgl. der Sympathie zum Arzt, der Organisation des Krankenhauses und den Wartezeiten sowie der medizinischen Kompetenz, insoweit sie sich beobachten und bewerten lässt („wenn die einem Blut abnehmen oder eine Spritze setzen, ob die viermal da rein stechen müssen oder ob die es beim ersten Mal schaffen“). Er berichtet von langen Wartezeiten, „aber man wurde auch nicht aufgeklärt, warum man jetzt da wartet“, woraus er schließt, „da weiß die eine Hand nicht, was die andere macht“ oder „der Patient wird erstmal nicht informiert, damit er nicht rummuckt“. Er sieht Gründe darin, dass „zu viele Patienten für zu wenig Einrichtungen und Personal“ da sei, da werde dann nach Versicherung selektiert („ich habe ja das Glück, dass ich privatversichert bin noch über meine Eltern“). Jörn reagiert sehr sensibel darauf, „wenn man das Gefühl hat, dass man da vorgeführt wird in irgendeiner Form, dann finde ich das ganz schlimm“. Entschuldigungen und Erklärungen des Arztes für die Verspätung können für Sympathie sorgen. Jörn vergleicht die Situation mit den Verspätungen der Deutschen Bahn, bei der er Auf- und Erklärungen auch oft vermisst. Seinen Wunsch nach Transparenz hält er für altersabhängig („so einer Omi kann man sagen ‚Warte mal ein Stündchen’, die nimmt das einfach hin, weil… das ist halt so, aber ich will halt wissen warum, und einfach auch was verändern“).
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Seine Beschreibung der Personen und Dinge, die ein Krankenhaus ausmachen, ist relativ differenziert, meist nach Funktionsbereichen des Krankenhauses, was wiederum sein Insiderwissen widerspiegelt. Als wichtig empfindet er „Leute, die wirklich was zu sagen hatten“ (der behandelnde Arzt) und seinen Besuch („einfach weil der einen ein bisschen auch bemuttert hat“). Pflegekräfte waren für Jörn eher uninteressant. Ferner erwähnt er Mitpatienten („hatte ich noch nie irgendwelche großartige Sympathie oder Beziehung zu demjenigen“, „bin ich auch nicht derjenige, der da Kontakt sucht, es kommt auch darauf an, wie gut und wie schlecht es einem geht“). Für den Vertrauensaufbau seien Ärzte und Pfleger wichtig gewesen. Pfleger „haben ja dazu beigetragen, ob man sich verarscht gefühlt hat oder nicht“, also zum Gefühl, ernst genommen zu werden. Ansonsten sieht Jörn eine „Hierarchie, von Ärzten zu angehenden Ärzten zu Pflegepersonal runter“, die die Personen im Krankenhaus strukturiert. Er platziert sich selbst im Mittelpunkt („mittendrin“), da er Verbindungen zu allen habe. Die Tatsache, dass Jörns Erkrankung nicht besser wurde, macht ihn „deprimiert“, „ziemlich fertig“ und „zermürbt einen dann mit der Zeit“. Er findet es negativ, „wenn irgendwas nicht nach Plan läuft“. Auch die Tatsache, dass man wenig über Allergien wisse und „es einfach auch nicht in den Griff“ kriege, stört ihn sehr („von Februar bis Juli geht’s mir total scheiße“). Man ist dem Schicksal ausgeliefert, „dann können die Leute halt noch so nett im Krankenhaus sein, man hat einen schlechten Beigeschmack dabei“. Daher versucht Jörn auch hier alles Mögliche, „nicht krank“ zu werden: „bin da jetzt echt vorsichtig, also ich bin nicht mehr so leichtsinnig, klingt jetzt total schmierig und scheiße, aber ich gebe mir schon Mühe, mich nicht zu kalt anzuziehen…“. Er sieht die Arbeit des Krankenhauses „auf jeden Fall nicht so, wie es sein sollte“, sondern als „Tagesgeschäft“: „der Großteil der Leute, die im Krankenhaus arbeiten, bauen keine Beziehung zu den Leuten auf, und fertigen quasi nur ab, wie am Flughafen, was einfach auch nicht zwingend ein Vorwurf sein muss jetzt“. In seiner Idealvorstellung besteht eine „gute Beziehung zwischen einem Patienten und zumindest dem Arzt“, „der Kunde ist König“ und das Personal bemüht sich und nimmt sich Zeit. Allerdings beschuldigt er Verwaltung, Krankenkassen und das System, Personal „an der kurzen Leine“ zu halten und daher „viel zu wenig Zeit für die Masse an Leuten, die sie bedienen müssen“ zu haben. Ferner würden Ärzte Patienten einschätzen, indem sie diese kategorisieren, z.B. anhand der Krankenkasse („Boah, Techniker Krankenkasse, das ist schon wieder ein Stratege, der nur diskutiert“). Aus Erfahrungen seiner Zivildienstzeit heraus vermutet Jörn, Ärzte haben „schon das Ziel, Leuten zu helfen, aber nicht mit uneingeschränktem Einsatz“. Er mutmaßt: „ich glaube schon, dass die Interesse daran haben, den Leuten zu helfen, aber das Ziel haben die so ein bisschen aus den ȱ
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Augen verloren, weil ihnen das gar nicht mehr bewusst ist“. Er beschreibt ihre Arbeit als „Runterrattern“, was an „zu viel Arbeitszeit, zu viele Patienten für zu wenig Personal“ liege. Jörn beschreibt sich selbst als wenig vertrauensvollen Patienten („auf einer Skala von eins bis zehn, wobei eins sehr wenig ist, sag ich mal zwei“). Dies liege daran, „wie man Mediziner so einschätzt“, sie seien „auch nur Menschen“, gerade auch Medizinstudenten „können genauso feiern, trinken, Kater haben, Fehler machen“, was er in seinem Zivildienst („da wird einem ziemlich deutlich, dass Ärzte auch nur Menschen sind“) und im Studium in konkreten Situationen beobachtet hätte (z.B. wurden Symptome wie Schwindel unterschätzt und ein Herzinfarkt blieb unbemerkt). Er benennt dazu einige Klischees, die Kategorisierungen ermöglichen (u.a. „Sozialwissenschaftler haben Schlaghosen und sitzen auf dem Boden beim Lernen, Mathematiker haben Karohemden an“) und beschreibt Mediziner als eigen und nicht perfekt, weshalb man nicht uneingeschränkt vertrauen solle. Besonders seine Zivildiensterfahrungen, die ihm einen „Blick hinter die Kulissen“ ermöglicht haben, hätten seine Einstellung gegenüber Ärzten stark verändert. Jörn führt selbstbewusst an: „Wenn ich meine, das kann nicht sein, was der sagt, dann hat der vielleicht trotzdem Recht, aber ich äußere zumindest meine Bedenken an seiner Aussage“. Ältere Menschen hätten „unheimlichen Respekt vor so Leuten“, der „weiße Kittel“ symbolisiere das. Er führt das auf geschichtliche Aspekte zurück, dass Arzt früher „ein sehr angesehener Beruf war“, nur Besserverdienende Arzt werden konnten und sich diese Meinung im Alter nicht verändern würde. Ferner könne es an der Bildung der Personen liegen („ich glaube, dass ein studierter 80-jähriger sieht das auch noch anders als ein 70 oder 80-jähriger Werkarbeiter“). In der Beziehung zum Arzt sieht sich Jörn als „neugieriger, kritischer, hinterfragender Gesprächspartner“, der selbstbewusst auftritt („ich bin doch nicht ganz so doof, auch wenn ich Laie bin“, „Laie und Laie ist halt auch noch ein Unterschied“). 5.2.3
Fazit
Zusammenfassend lassen sich einige zentrale Themen in Margaretes Geschichten über ihren Krankenhausaufenthalt erkennen. Gerade zu Beginn werden „Angst/Ungewissheit“ (vor dem Ablauf im Krankenhaus, vor der Operation) und „Information/Aufklärung“ thematisiert, wobei Aufklärungen der Ärzte Margarete zumindest einen Teil der Angst zu nehmen scheinen. Ein weiteres Thema, welches in vielen Erzählungen von Margarete zu finden ist, ist das der „Autorität/Hierarchie“. Margarete differenziert nicht nur peinlich genau die verschiedenen Arzthierarchiestufen (Chef-, Ober-, Assistenzarzt, Student), sondern führt in verschiedenen Beispielen auch immer wieder die Autorität des Chefarztes an. Sie macht ihn ferner einerseits für die gute Pflege, andererseits für die gute Atmosphäre in der Klinik verantwortlich. Letztere profitiert stark von der „Sympathie/Harmonie“, die für Margarete dort herrscht und die ihr
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sehr wichtig ist. Nicht nur mit der Zimmernachbarin „harmoniert“ sie, auch der Chefarzt ist ihr sehr sympathisch, da er „väterlich“ ist, Wärme ausstrahlt, ihr die Hand hält und Mut macht sowie sich nach der Operation liebevoll kümmert. Vor allem seine lockere Art im Umgang mit Patienten gefällt ihr gut und wird mehrfach mit kleinen Anekdoten aus ihrem Aufenthalt belegt. Diese beinhalten auch gleichermaßen das Thema „Stolz/Bestätigung“. Wann auch immer Margarete vom Chefarzt berichtet, lobt er sie oder erzählt private Dinge, was sie recht stolz zu machen scheint. Auch der Oberarzt bestätigt ihre Unzufriedenheit mit der RehaKlinik, was ihr sehr wichtig ist. Als letztes Thema, welches sich durch Margaretes Schilderungen zieht, ist „Spaß/Freiheit/Wahl haben“ zu sehen. Dieses Thema bezieht sich zumeist auf die Rahmenbedingungen des Aufenthaltes (offenes Haus, Essen, Sonntagsfrühstück, Fernsehen, Chefarztvisite). Es scheint, als wenn die Hotelatmosphäre des Krankenhauses Margarete davon ablenkt, dass sie sich eigentlich im Krankenhaus befindet, in dem sonst strenge Regeln, ein gewisser Freiheitsentzug und Ernsthaftigkeit (Stichwort: „totale Institution“) herrschen. Auffällig ist, dass Margarete angibt, trotz einiger negativer Vorfälle im Krankenhaus (Blutschmiererei nach der Operation, unangenehmes Bettpfannenmalheur, muffeliger Oberarzt, unaufmerksame Therapeutin) sehr vertrauensvoll und zufrieden zu sein. Sie trivialisiert die Ereignisse, obwohl sie ihnen einen gewissen Raum in ihren Erzählungen lässt. Wichtig scheint ihr das „Kümmern“ des Krankenhauspersonals zu sein, dann verzeiht sie auch kleinere Fehler. Interessant ist auch, dass die Aspekte der „Diagnose/Therapie“ immer wieder erwähnt, diese gegenüber den Themen „Spaß/Ausbruch Krankenhausalltag/Atmosphäre“ allerdings nicht so intensiv thematisiert werden. Auch in Jörns Erzählungen lassen sich zusammenfassend einige vorherrschende Themen identifizieren. Sein Hauptthema, das sich durch das ganze Interview zieht, ist seine „Machtlosigkeit“, die er ganz intensiv im Krankenhaus verspürt und daher den Ärzten und Krankenhäusern eine gewisse „Verantwortung“ zuschreibt/zuschiebt. Die Machtlosigkeit geht einher mit einem gewissen „Unwohlsein“, unter dem er stark leidet, und das sowohl physisch als auch psychisch bedingt ist. Beispielsweise verstärkt die für ihn nicht ausreichende „Information/Aufklärung“ sein Gefühl der Machtlosigkeit, gerade weil er sich für einen recht informierten Patienten hält (Thema: „Eigene Erfahrung/Bildung/Selbstbewusstsein“). Zudem machen ihm seine Insidererfahrungen aus der Zivildienstzeit bezüglich der Arbeit von Ärzten die Machtlosigkeit noch bewusster. Um dieses Unwohlsein zu bewältigen, wird Jörn aktiv (Thema: „Aktivität“), indem er sich informiert, Diagnosen hinterfragt, nicht aufgibt, Ansprechpartner zu suchen und sich beschwert. ȱ
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Wenn man beide Patiententypen vergleicht, fällt auf, dass sie sehr unterschiedliche Rollen spielen und damit auch unterschiedliche Erwartungen an das Krankenhaus stellen. Während Margarete z.B. erwartet, dass das Personal sympathisch ist, sich Harmonie mit allen Beteiligten wünscht und sich im Verlauf des Aufenthalts über Ablenkung vom Krankenhausalltag durch Spaß und gewisse Freiheiten freut, erwartet Jörn, dass ihm seine gefühlte Machtlosigkeit vermindert wird, z.B. durch ausreichende Information/Aufklärung und dadurch, dass er sich aktiv in die Diagnose und Therapie einbringen kann. Es lässt sich feststellen, dass Margarete einige Merkmale einer eher „passiven“ Patientin aufweist, wie im paternalistischen Beziehungsmodell beschrieben (siehe Abschnitte 3.2.1.1 und 3.2.2.1). Bei ihr ist ein hohes institutionelles Vertrauen in Krankenhäuser und Ärzte zu bemerken. Aufgrund ihrer guten Erfahrungen im Krankenhaus bestätigt sich das auch in speziellen Beziehungen. Margaretes Rolle scheint sich gut mit der komplementären Rolle der verschiedenen Akteure in ihrem Krankenhaus zu ergänzen. Ihre Strategie im Krankenhaus ist Anpassung (aber nicht um jeden Preis). Im Gegensatz zu Margarete wird bei Jörn deutlich, dass er wenig vertrauensvoll und zufrieden zu sein scheint. Jörn ließe sich eher dem „aktiven“ Patiententyp zuordnen, der an Entscheidung teilnehmen möchte und den Arzt nicht als unfehlbare Autoritätsperson sieht (siehe Abschnitte 3.2.1.1 und 3.2.2.3). Problematisch ist in seinem Fall, dass das Krankenhaus nicht auf seine Rollenkonzeption eingeht. Jörns Erwartungen werden nicht erfüllt, was ihn sehr unzufrieden werden lässt. Zudem weist er ein bereits deutlich geringeres institutionelles Vertrauen in Ärzte und Krankenhäuser auf, das durch seine Erfahrungen „hinter den Kulissen“ gemindert wurde und wahrscheinlich dafür gesorgt hat, dass sich seine Rollenerwartungen verändern. Problematisch ist auch, dass ihm im Krankenhaus nur sehr langsam geholfen werden konnte und sein Aufenthalt lange mit Ungewissheit bezüglich seiner Erkrankung verbunden war. Er nimmt das Krankenhaus – im Gegensatz zu Margarete – tatsächlich als „Totale Institution“ (siehe Abschnitte 3.2.3.1 und 3.2.3.2) wahr, die ihn stark einschränkt. Eine große Rolle scheint auch die gefühlte Machtlosigkeit zu spielen, die ihm sehr zusetzt, und die bei Margarete nicht thematisiert wurde. Bei dieser negativen Grundstimmung verwundert es nicht, dass er über keine positiven Erlebnisse berichtet. Seine Strategie im Krankenhaus kann als Konfrontation umschrieben werden. Nachdem nun zwei Beispielfälle präsentiert wurden, sollen im Folgenden die fallübergreifenden Ergebnisse erläutert werden.
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5.3
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Ergebnisse der fallübergreifenden Analyse
Die auf die Forschungsfragen bezogene, aber auch recht offen gehaltene tiefere Analyse der 20 Patienteninterviews und der darin beschriebenen Erlebnisse und Deutungen resultierte in einer Art Theorieskizze mit elf Arbeitshypothesen und zwei Modellen, die im Folgenden empirisch hergeleitet und theoretisch abgeglichen werden sollen. Dabei orientiert sich die Darstellung der fallübergreifenden Analyse an den zentralen Forschungsfragen (siehe Abschnitt 1.2). Die Komplexität des Vertrauenskonstrukts ist Thema des nächsten Abschnitts (5.3.1). Die Vertrauensbildung von Patienten ins Krankenhaus wird in Abschnitt 5.3.2 näher beschrieben. Dabei wird ein Modell entwickelt (Abschnitt 5.3.2.1) und konkrete Determinanten des Vertrauens, die in den Erwartungen der Patienten erkennbar sind, dargestellt (Abschnitt 5.3.2.2). Die zwei folgenden Abschnitte 5.3.3.1 und 5.3.3.2 befassen sich mit den Ebenen des Vertrauens und deren Einflüssen aufeinander. Wahrgenommene Akteure im Krankenhaus und ihre Verbindungen untereinander werden in den Abschnitten 5.3.3.3 und 5.3.3.4 diskutiert. In Abschnitt 5.3.4 werden die gesammelten Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst und ein kurzes Fazit gezogen. 5.3.1
Das komplexe Konstrukt Vertrauen
Um herauszufinden, was das Konstrukt Vertrauen von Patienten ins Krankenhaus ausmacht, wurden die geführten Interviews daraufhin untersucht. Es wurde festgestellt, dass Patientenvertrauen in Krankenhäuser differenziert und komplex ist. Dies soll im Folgenden erläutert werden. 5.3.1.1 Differenziertes Vertrauen In den Erzählungen der Patienten wird offensichtlich, dass es kaum „das Vertrauen“ ins Krankenhaus gibt. Die befragten Patienten haben Schwierigkeiten, eine pauschale Aussage zu machen, ob sie einem Krankenhaus vertrauen oder nicht. Patienten unterscheiden klar zwischen unterschiedlichen Krankenhaus-Stationen, Bereichen, Ärzten oder Pflegern. Direkt zu Beginn ihres Interviews auf die Anfangsfrage nach dem Bild von Krankenhäusern antwortet Nicola (35) beispielsweise: N: Also, Bild sicherlich unterschiedlich, es gibt unterschiedlich qualitativ angesehene Krankenhäuser, also es war halt auch schwierig auszuwählen, welches
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Krankenhaus ich nehme, ganz klar, Krankenhaus XY in Stadt XY kam nicht in Frage. V: Wieso nicht? N: Weil ich da ganz ganz viel Negatives gehört habe, auch so in Nachhinein, von welche, die entbunden haben im Krankenhaus XY, was da alles schief gegangen ist. Eindrücke vom Krankenhaus, mmmhh... Es gibt Unterschiede, und nicht jedes Krankenhaus, nicht jede Abteilung ist... man kann jetzt nicht unbedingt darauf schließen, dass eine Abteilung an einem Krankenhaus super ist und die anderen auch, also man muss dann schon gucken, je nachdem, was da für Ärzte arbeiten. V: Also abteilungsspezifisch? N: Ja, auf jeden Fall. Also ich würde jetzt nicht irgendwie darauf kommen, wenn mir eine Abteilung gut gefallen hat, dass alle anderen auch gut sind. Hier wird deutlich, dass Abteilungen/Stationen und somit meist Chefärzte differenziert beurteilt werden. Hinweise darauf findet man auch bei Erzählungen von Susanne, Irmgard, Gerda, Angelika und Andrea. Es wird aber nicht nur zwischen Vertrauensobjekten/-personen unterschieden, sondern auch zwischen verschiedenen Tätigkeiten (z.B. Operation, Pflege), die ein Krankenhaus auszeichnet. Dies wird sehr gut bei den befragten jungen Müttern (Maren, Britta K., Nicola, Bianca und Anja) deutlich, die zwischen der eigentlichen Geburt im Kreißsaal und dem anschließenden Aufenthalt auf der Wöchnerinnen-Station unterscheiden und beide Bereiche teilweise sehr unterschiedlich bewerten. Während z.B. Bianca (30) in ihrem Krankenhaus zufrieden mit der Betreuung während der Geburt ihres Sohnes war, gefiel ihr der Aufenthalt danach weniger gut (z.B. wurde sie nicht über Untersuchungen ihres Sohnes informiert). Bei Anja (26) war es umgekehrt, die Geburt ist ihr weniger gut in Erinnerung (z.B. fühlte sie sich in den Wehen alleingelassen und ihr Freund wurde nicht über die bevorstehende Geburt informiert), der Aufenthalt auf der Wöchnerinnen-Station dagegen sehr positiv (z.B. habe sich das Pflegepersonal gut um sie gekümmert). Sie unterscheidet ebenfalls zwischen Vertrauen im Kreißsaal und auf der Station: A: Also für mich sind das eigentlich zwei unterschiedliche Sachen. Als man in den Kreißsaal gekommen ist, das hat man ja nicht alltäglich. Und da braucht man schon irgendwie ein ganz anderes Vertrauen als auf der Station, find ich. Weil da im Kreissaal da liegt man dann da und weiß eigentlich gar nicht was
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passiert jetzt. Oder wie lange dauert es jetzt noch? Da vertraut man dem da irgendwie blind, denke ich. Weil man einfach möchte, dass es schnell vorbei ist. Die Befragten sehen also die Aufgaben von Krankenhäusern und Mitarbeitern recht differenziert. Es kann z.B. durchaus sein, dass das Krankenhaus in einem Bereich sehr gut, in einem anderen aber wiederum weniger gut ist. So haben Patienten auch Vertrauen in einen Bereich, aber nicht zwangsweise in einen anderen. Britta L. (28) sieht beispielsweise in der Empfangsorganisation und medizinischen Kompetenz zwei verschiedene Kompetenzfelder eines Krankenhauses, die für sie nicht viel miteinander zu tun haben: B: Ja, habe ich mich beschwert, und dann kamen aber trotzdem noch blöde Sprüche von der Chefin am Empfang, und zum Glück kriegte das der Chefarzt mit und hat sich dann doch meiner relativ schnell angenommen. Und dann war ja auch wieder gut. Aber das hat ja nichts mit der Kompetenz an sich zu tun, sondern ich glaube, das war halt einfach da so eine menschliche Überlastung, eben einmal auf Seiten des Empfangs, und ich hatte einfach auch irgendwie die Nase voll, weil es da gesundheitlich bei mir auch nicht weiterging. Aber das hat ja nichts mit deren Qualitäten zu tun. Cornelia (48) weist darauf hin, dass Vertrauen in bestimmte Tätigkeiten eines Krankenhauses vorhanden sein kann, in andere weniger. So gibt sie an, mit ihrer „Routinesache“ Blinddarmentzündung Vertrauen in die Behandlung ihres Krankenhauses zu haben, würde sich aber bei einer Krebserkrankung genauer informieren, welches Krankenhaus geeignet erscheint: C: Weiß ich nicht, wenn ich jetzt Krebs hätte, dann würde ich wahrscheinlich erst mal überlegen 'In welches Krankenhaus gehst Du denn?', oder beim Oberschenkelhalsbruch, oder wenn ich mal ein neues Knie brauche oder so, da muss man sicher schauen, in welches Krankenhaus gehst Du, aber hier war’s einfach, das war da und das war gut. V: Also war das mehr oder weniger eine Routinesache, wo Sie sich gesagt haben, das kriegt jeder hin? C: Ja. V: Also war Vertrauen da? C: Ja. Also für die Krankheit, die ich hatte, war das auf jeden Fall ok. ȱ
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Klaus (42) erzählt von einem Freund, der sowohl in einem „Vorstadtkrankenhaus“ als auch in einer Fachklinik Erfahrungen gesammelt hat und diese direkt vergleichen kann. Er plädiert klar für die Fachklinik, obwohl er anmerkt, dass er bei einer „Kleinigkeit“ nicht die Fachklinik besuchen müsse. Interessanter Weise wählt er als Beispiel ebenfalls eine Blinddarm-Erkrankung: V: Weil Sie sagten, bei einer einfacheren Sache würden Sie auch in Stadt XY... K: Ja gut, für einen Blinddarm, da muss ich nicht gucken, ob es da eine Fachklinik gibt, aber wenn’s so an die Innereien geht, sprich Darm, wenn’s dann mit einem künstlichen Darmausgang verbunden ist, dann denke ich sollte man sich schon erkundigen, wo man dann fachlich gut aufgehoben ist. Auch Angelika (56) hält es für wichtig, das Krankenhaus gemäß der Erkrankung auszuwählen: A: Ja, ja. Also ich würde mir immer - je nachdem was ich hab - das Krankenhaus halt aussuchen. Gynäkologie würde ich auf jeden Fall ins Krankenhaus XY gehen. Aber alles andere würde ich sagen würde ich überregional, würde ich nicht in Unna bleiben. So spezielle. Aber Gynäkologie find ich okay. Kurt (85) bringt das Ganze auf den Punkt: K: Ich habe mal einen Arzt gehabt, der hat gesagt: „Man muss immer in die richtige Schmiede gehen“. Wörtlich. War auch ein Internist. Und daran denke ich oft. Und Krankenhaus XY war die richtige Schmiede. Somit lässt sich eine erste Arbeitshypothese wie folgt formulieren: Proposition 1: Patientenvertrauen in Krankenhäuser ist differenziert. Auch in der Literatur ist vielfach beschrieben, dass Menschen Leistungen differenziert beurteilen können und dies auch tun. Lewicki et al. (1998) z.B. beschreiben Beziehungen als „multifaceted“ oder „multiplex“, da es möglich ist „to hold simultaneously different views of each other“ (Lewicki et al. 1998, S. 442). Dies liegt daran, dass „within the same relationship we have different encounters in different contexts with different intentions that lead to different outcomes” (Lewicki et al. 1998, S. 442). Während in ihrem Beispiel ein Kollege ein exzellenter Theoretiker, adäquater aber nicht exzeptioneller Methodiker, beschränkt fähiger Lehrer etc. sein kann, wird man lernen, in welchen Bereichen es angemessen erscheint ihm zu vertrauen und in welchen nicht. Diese Sicht ist analog bei den Befragten zu erkennen, z.B. wenn
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Gerda ihrem Krankenhaus als Fachklinik für Knieoperationen vertraut, während es für außerordentliche Zwischenfälle (wie ihren vermeintlichen Herzinfarkt) nicht geeignet erscheint. „Relationship partners might trust each other in certain respects, not trust each other in other respects, and even distrust each other at times“ (Lewicki et al. 1998, S. 450). 5.3.1.2 Vertrauen und Misstrauen Eine weitere Beobachtung bei der Analyse der Interviews bestätigt, dass Patientenvertrauen in Krankenhäuser ein komplexes Phänomen darstellt. So differenzieren Patienten zwischen Vertrauen und Misstrauen. Holger (36) beispielsweise erwähnt drei Ausprägungen von Vertrauen: (vollstes) Vertrauen, kein Vertrauen und Misstrauen. Er vertraut im Krankenhaus einer bestimmten Krankenschwester, gibt an, sonst niemandem groß vertraut zu haben, will aber auch nicht misstrauisch gewesen sein: V: Gab es irgendetwas oder irgendjemanden, dem Sie vertraut haben? H: Ja, dieser einen Schwester, der schon. V: Warum? H: Ja, weil die irgendwie sehr verständnisvoll war und man sich gut mir ihr unterhalten konnte. Habe ich sonst jemandem da vertraut? Nicht wirklich. Nicht, dass ich allen misstraut hätte, aber ich hatte auch kein besonderes Vertrauen. Man hat nur gehofft, dass die ihren Job da richtig machen, dann war noch eine Ärztin da, die hat mich abgehört, so ein Routinecheck nach der OP. Das hat man so hingenommen, aber dass ich vollstes Vertrauen hatte, ich hab gedacht, die wird ihren Job schon richtig machen. Andere Befragte unterscheiden in ähnlicher Art und Weise. Bianca (30) merkt an, kein großes Vertrauen gehabt zu haben, da die kurze Zeit dafür nicht gereicht hätte. Sie spricht aber auch nicht von Misstrauen. Auch Marcus (28) bezweifelt, dass er Vertrauen aufgebaut habe, auch wenn er den Begriff Vertrauen erst benutzt und später abschwächt: V: Und was hat dir gezeigt, dass du vertrauen kannst, dass die Leute keinen Pfusch machen? M: Einmal das Auftreten, ganz klar. Und ein bisschen, wie die sich ausgedrückt haben. Nicht so...also schon, dass man sie verstehen konnte. Aber dennoch vernünftig erst mal, dass man Vertrauen schöpfen konnte. Also… wie gesagt...also ȱ
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wirklich Vertrauen? Man hat kein großes Vertrauen aufgebaut in dem Sinne. Ich habe einfach nur gehofft, dass alles schnell vorbei ist und lass sie machen. Obwohl bei diesen Probanden ein Mindestmaß an Vertrauen vorhanden zu sein schien, scheint sich ein höherer Grad an Vertrauen bei diesen Probanden nicht bewusst gebildet zu haben, sei es aus Zeit- oder Kontaktmangel. Das generelle Vertrauen, dass Ärzte ihre Arbeit gut machen und kompetent sind, scheint groß genug zu sein, wie Marcus (28) wiederholt bestätigt: M: ...Das war mir nicht so bewusst. Es ist auch nicht so bewusst, so wirklich. Das habe ich auch nicht so wahrgenommen sag ich mal. Das Vertrauen war jetzt in die Ärzte, die ihren Job machen da und fertig! Hört sich jetzt ziemlich schlimm an, aber, aber ist ja nunmal so, ich meine, ist ja irgendwie... Man sieht sich vielleicht ein paar Tage und ist man wieder weg, dann sieht man sie auch nicht mehr so wirklich. Es scheint also ein klarer Unterschied zu sein, ob Patienten misstrauen, ein Mindestmaß an (eher institutionellem) Vertrauen haben oder vollstes (relationales) Vertrauen bilden114. Interessant ist, dass Vertrauen und Misstrauen auch parallel existieren können. Jörn (24) ist ein gutes Beispiel für einen Patienten, der einerseits vertraut, andererseits aber auch misstrauisch wird, als die Therapie wenig bewirkt: V: Inwieweit hatten Sie Vertrauen in das Krankenhaus? Und wenn überhaupt, in was genau? J: Im Prinzip muss man sich da so ein bisschen auf die Sachen verlassen, die einem da gesagt werden, insbesondere von den Ärzten, wenn die irgendeinen Verdacht äußern, nehme ich das erst mal so hin, hinterfrage das dann mit meinem eigenen Verständnis, ob ich mir das vorstellen kann, dass es den Grund hat, also klar haben die das studiert und insofern denke ich, manche Sachen weiß man halt nicht als Laie logischerweise, und dann habe ich schon gedacht, wenn die das sagen, wird das schon irgendwo stimmen. Andersrum haben sie das auch nicht in Griff gekriegt, deshalb habe ich die Sache wieder hinterfragt, die Diagnose, die sie gestellt haben, darauf ist die Behandlung nicht wirklich drauf angesprungen, und deshalb habe ich mich gefragt "Ist das auch wirklich die rich-
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Weitere Ausführungen zu den beiden Ebenen folgen in den Abschnitten 5.3.2 sowie 5.3.3.
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tige Diagnose? Vielleicht ist es etwas ganz anderes...". Da es nicht so richtig schnell ging mit der Besserung, habe ich halt nicht wirklich dran, nicht immer wirklich dran geglaubt, dass das alles richtig ist, was die da machen, aber... selbst kann ich ja noch weniger ausrichten. Bevor näher auf die möglichen Ebenen des Vertrauens eingegangen wird, leitet sich folgende Arbeitshypothese 2 ab: Proposition 2: Im Kontext des Krankenhauses sind Vertrauen und Misstrauen von Patienten separate Konstrukte, die auch parallel existieren können. In der Vertrauensliteratur sind es insbesondere Zucker (1986) und Lewicki et al. (1998), die Vertrauen und Misstrauen als erste als separate und voneinander unabhängige Konstrukte konzeptualisieren. Sie argumentieren, dass Vertrauen und Misstrauen keine „opposite ends of a single continuum“ (wie z.B. Rotter (1971) beschreibt), sondern separate Konstrukte darstellen, da ihre gleichzeitige Existenz in einer Beziehung möglich ist: „it is possible for parties to both trust and distrust one another, given different experiences within the various facets of complex interpersonal relationships“ (Lewicki et al. 1998, S. 440). Sie begründen ihre These mit der multiplexen Natur von Beziehungen, da verschiedene Erfahrungen innerhalb einer Beziehung dazu führen können, dass man dem anderen in manchen Bereichen vertraut und in anderen weniger oder gar nicht (siehe Abschnitt 5.3.1.1). Diese Sicht scheint von den Probanden bestätigt zu werden: „Low distrust is not the same thing as high trust, and high distrust is not the same thing as low trust” (Lewicki et al. 1998, S. 444; siehe auch Lewicki et al. 2006, S. 1002). Grundlagen für diese Unterscheidung lassen sich bereits bei Luhmann (1979) finden. In seiner Beschreibung von Vertrauen und Misstrauen als funktionale Equivalente stellt er heraus, dass beide Konstrukte helfen, mit Unsicherheit und Komplexität umzugehen, allerdings auf verschiedene Art und Weise: Während Vertrauen dafür sorgt, dass erwünschtes Verhalten erwartet oder sogar als gesichert angesehen werden kann, hilft Misstrauen, unerwünschtes Verhalten als gesichert anzusehen und so zu verhindern, „whereas trust expectations anticipate beneficial conduct from others, distrust expectations anticipate injurious conduct“ (Lewicki et al. 1998, S. 444). Auch die Mediziner unter den Vertrauensforschern beschäftigen sich mit der Bedeutung von Misstrauen (Hall et al. 2001). Sie unterscheiden grundsätzlich drei Perspektiven zu Misstrauen: 1. Misstrauen als geringes oder nicht vorhandenes Vertrauen, 2. als Gegenteil von Verȱ
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trauen und 3. als Substitut oder Komplement für Vertrauen (wie Lewicki et al. 1998 postulieren). Die ersten beiden Perspektiven würden implizieren, dass mögliches Misstrauen Vertrauen ausschließe, allerdings beobachten auch Hall et al. (2001, S. 619), dass „assertive patients may be trusting as well“. Während sowohl Zucker (1986) als auch Lewicki et al. (1998) die beiden Konstrukte lediglich konzeptionell herleiten, existieren nur wenige empirische Nachweise. Constantinople (1969) und Robinson et al. (1991) bestätigen die Zweiteilung, indem sie zeigen, dass beide Konstrukte verschiedene Muster aufweisen und Inhalte haben. In aktuelleren Studien von McAllister et al. (2000) und Gillespie (2003) gelingt es, unterschiedliche Messinstrumente für beide Konstrukte zu entwickeln und zu validieren. Abbildung 16 stellt die möglichen Kombinationen dar, die sich aus der Separierung von Vertrauen und Misstrauen ergeben (siehe Lewicki et al. 1998, S. 445). High trust Characterized by
Trust but verify
High-value congruence
Hope
Interdependence promoted
Faith
Opportunities pursued
Confidence
New initiatives
Relationships highly segmented and bounded Opportunities pursued and down-side risks/ vulnerabilities continually monitored
Assurance Initiative Low trust Characterized by No hope
2 1 Casual acquaintances Limited interdependence
No faith
Bounded, arms-length transactions
No confidence
Professional courtesy
4 3 Undesirable eventualities expected and feared Harmful motives assumed Interdependence managed
Passivity
Preemption; best offense is a good defense
Hesitance
Paranoia Low distrust
High distrust
Characterized by
Characterized by
No fear
Fear
Absence of skepticism
Skepticism
Absence of cynisism
Cynisism
Low monitoring
Wariness and watchfulness
No vigiliance
Vigiliance
Abbildung 16: Die Integration von Vertrauen und Misstrauen: Alternative soziale Realitäten
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Somit ergeben sich in dieser zweidimensionalen Sicht vier mögliche prototypische Formen: geringes Vertrauen/geringes Misstrauen (Zelle 1), hohes Vertrauen/geringes Misstrauen (Zelle 2), geringes Vertrauen/hohes Misstrauen (Zelle 3), hohes Vertrauen/hohes Misstrauen (Zelle 4). Dabei steigt die Stärke und Breite von Vertrauen und Misstrauen als eine Funktion aus Häufigkeit, Dauer und Vielfältigkeit von Erfahrungen (Lewicki et al. 2006). Auch im Kontext des Krankenhauses lässt sich diese Sicht auf Vertrauen und Misstrauen empirisch bestätigen. Da allerdings wenige Beziehungen der Patienten innerhalb des Krankenhauses eine gewisse Komplexität/Langfristigkeit erreichen, muss der Rahmen von Lewicki et al. (1998) leicht angepasst werden. Wie bereits geschildert, ist das Vertrauen der Patienten eher auf institutioneller Ebene anzusiedeln. Sowohl Holger als auch Marcus sprechen von institutionellem Vertrauen in die Profession der Ärzte und nutzen beide dabei die Begrifflichkeit „Job machen“. Sie leiten aus der Ausbildung und Stellung der Ärzte im Krankenhaus eine gewisse Kompetenzvermutung ab, die vorab noch nichts mit den eigenen Ärzten an sich zu tun hat. Daher ist hier von institutionellem Vertrauen zu sprechen (siehe Abschnitt 3.3.5). Ob sich auch auf relationaler Ebene Vertrauen bildet, hängt von vielen Faktoren ab. Da ein (relationaler) Vertrauensaufbau Zeit benötigt (siehe Abschnitt 5.3.2), bildet sich nicht in jedem Fall Vertrauen auf dieser Ebene. Auch vorhandenes Misstrauen ist zu Beginn eher auf der institutionellen Ebene anzusetzen, sucht dann im Zeitablauf Bestätigung und entwickelt sich dann auf relationaler Ebene bezogen auf das jeweilige Krankenhaus (siehe Abschnitt 5.3.3.2). Alle vier prototypischen Formen der Vertrauens-Misstrauens-Kombinationen lassen sich aus den Interviews ableiten und die Befragten somit grob ins Raster einordnen. Während z.B. Marcus wenig Vertrauen, aber auch wenig Misstrauen gegenüber Krankenhäusern hegt (Zelle 1), Cornelia eher hohes Vertrauen und geringes Misstrauen erkennen lässt (Zelle 2), ist Jörn als Patient mit eher geringem Vertrauen und hohem Misstrauen (Zelle 3) und Kurt als Patient mit hohem Vertrauen und hohem Misstrauen (Zelle 4) zu charakterisieren. 5.3.2
Vertrauensbildung und Einflussfaktoren
Nachdem nun Vertrauen als komplexes Konstrukt beschrieben wurde, soll nun analog zur zweiten Forschungsfrage geklärt werden, wie und warum sich Vertrauen ins Krankenhaus bildet. Dabei soll es primär um das relationale Patientenvertrauen ins persönliche Krankenhaus gehen. Ein Modell der Vertrauensbildung soll im Detail erläutert und Aspekte, die Vertrauen oder Misstrauen ins Krankenhaus fördern, vorgestellt werden, bevor im Abschnitt 5.3.3 auch die institutionelle Ebene der Krankenhäuser im Allgemeinen, Vertrauensursprünge und effekte betrachtet werden. ȱ
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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5.3.2.1 Bildung des relationalen Vertrauens “Knowing more about what conditions produce trust and distrust and why this matters helps to craft the structure and financing of health care delivery in a manner that supports and enhances trust” (Hall et al. 2001, S. 632). In diesem Abschnitt soll erläutert werden, wie sich relationales Patientenvertrauen in ein spezifisches Krankenhaus bildet. Auf Basis der Analyse der 20 Patienteninterviews konnte ein holistisches und für alle Probanden gültiges Theorie-Modell entwickelt werden, welches die Vertrauensbildung von Patienten in ein Krankenhaus mit ihren zentralen Einflussfaktoren darstellt. Vorab ist anzumerken, dass einige Patienten angeben, ihr Krankenhausaufenthalt sei zu kurz gewesen, um Vertrauen zu bilden (siehe auch Abschnitt 5.3.3). Bianca (30) z.B. meint, kein großes Vertrauen gehabt zu haben, da die kurze Zeit dafür nicht gereicht hätte. Sie spricht aber auch nicht von Misstrauen: V: Inwieweit hatten Sie Vertrauen ins Krankenhaus? Worin genau? Nehmen wir erst mal das in Stadt XY. B: Vertrauen? Ja, gute Frage. Wie meinen Sie das mit Vertrauen? Dass ich mich da gut aufgehoben gefühlt habe? V: Ja. Dass alles gut geht. B: Ja, es blieb einem ja nichts anderes übrig, man musste ja das machen, was die sagten bzw. man musste sich denen ja ausliefern, man ist denen ja ausgeliefert. Und man guckt dann, welche... wo... aber vertrauen? Ja, man guckt immer schon, ob man den Leuten vertrauen kann, aber großartig jetzt... V: Also Sie hatten jetzt kein besonders großes Vertrauen, weil Sie keine Wahl hatten? B: Mir blieb ja nichts anderes übrig, dahin, und muss sich ja da auf gut Deutsch den Leuten fügen, man ist da ja ausgeliefert, also ich kann da jetzt nichts sagen, ob da jetzt Vertrauen ist oder so, für die kurze Zeit... wenn man da jetzt länger gewesen wäre, dann hätte man eher etwas dazu sagen können, also in so einer kurzen Zeit Vertrauen aufzubauen... Ne, also man hat die Leute, die waren ok, man hat sich auch nachher bedankt für die Pflege, die man bekommen hat, aber
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
jetzt großartig, dass ich sagen könnte, ich habe Vertrauen in die Leute gehabt, kann ich nicht sagen. Auch Cornelia (48) deutet an, keine besondere Beziehung zu ihrem Krankenhausarzt entwickelt zu haben115: V: Wie erleben Sie sich in Ihrer Beziehung zum Arzt? Wie würden Sie Ihre Beziehung zum Arzt charakterisieren? C: Im Krankenhaus oder allgemein? V: Erst mal im Krankenhaus. C: Habe ich keine (Lachen). V: War es zu kurz, um eine 'Art' Beziehung aufzubauen? C: Es war gut, es war ok. Es geht mir gut und ich brauche den nicht mehr. Beim Hausarzt ist es schon ein bisschen was anderes, den sieht man ja doch schon mal öfter. V: Was hat man da für eine Beziehung zu? Wie sieht die Beziehung aus? C: Einfach so, dass ich mir den jetzt auch ausgesucht habe, weil das im Grunde der Vater von einem Freund von meinem Sohn ist, dass schon irgendwo so ein bisschen was Persönliches dabei ist, er kennt mich auch nicht wirklich, aber zumindest habe ich so das Gefühl 'Ja, da bist Du nicht irgendwie nur eine Nummer'. Bei diesen Personen scheint das institutionelle Vertrauen ausreichend hoch und das institutionelle Misstrauen gering ausgeprägt gewesen zu sein, um im speziellen Fall einen genügenden
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Die Beziehung zwischen Hausarzt und Patient ist hier aber abzugrenzen von der Beziehung zwischen Facharzt/Krankenhausarzt und Patient. Das Verhältnis zum Hausarzt besteht oft über viele Jahre und ist von Vertrauen, Zuneigung und vielfältigen Erfahrungen aus unterschiedlichen medizinischen, auch von menschlich sozialen Interaktionen geprägt. Die Beziehung zwischen Facharzt und Patient hingegen ist typischerweise nur mit akutem medizinischen Fallbezug auf eine kurze Zeitperiode beschränkt. Die Interaktionen verlaufen vorwiegend auf medizinisch-technischer und informationsgetriebener Ebene. Ebenso ist die Beziehung zwischen Patient und Krankenhausarzt durchschnittlich nur von kurzer Dauer und durch den Routinebetrieb im Krankenhaus oft wenig ausgebildet, bedingt jedoch häufig medizinisch schwerwiegende Eingriffe. Erst bei häufigerer Inanspruchnahme von Fach-/Krankenhausärzten kommt es zu dem klassischen interpersonalen Verhältnis.
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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Vertrauensvorschuss zu generieren, der auf relationaler Ebene bestätigt wurde, sich aber nicht bewusst entwickelt hat. Detaillierte Aussagen zu den Effekten zwischen den Ebenen werden in Abschnitt 5.3.3.2 gemacht. Es ist jedoch festzuhalten, dass die Bildung von relationalem Vertrauen eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Eine Analyse der restlichen Interviews resultierte in einem allgemeinen Gesamtmodell der Vertrauensbildung von Patienten in ihr Krankenhaus, das nun als Kernergebnis und Antwort auf die Frage nach der Vertrauensbildung vorgestellt wird. Der Verständlichkeit halber wird es bereits an dieser Stelle vorweggenommen. Abbildung 17 präsentiert die Einflussfaktoren auf die Vertrauensbildung und stellt die Zusammenhänge grafisch dar.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
viel vs. wenig
gut vs. schlecht
Erfahrung
Eigene Befindlichkeit
Medizinisches Wissen
Sonstige Rollen im Leben
hoch vs. gering
Patienten-Rolle aufgeklärt/uninformiert sachorientiert/personenorientiert aktiv/passiv kooperativ/konfrontativ
Vertrauenserwartungen Personal Organisation Ausstattung Sonstiges
Abgleich Ist - Soll Ist=Soll Ist>Soll
Ist<Soll
Positive Erfahrungen
erhöhen
Negative Erfahrungen
erhöhen
verringern
Relationales Vertrauen
Relationales Misstrauen
Abbildung 17: Entwickeltes Gesamtmodell der Vertrauensbildung
Im Folgenden sollen die zentralen Konstrukte des entwickelten Modells schrittweise vom Vertrauen (unten) hin zu den Einflussfaktoren auf die Patientenrolle (oben) vorgestellt und ihre Beziehungen zueinander erläutert werden, bevor das komplette Modell noch einmal diskutiert und mit der Literatur abgeglichen wird (siehe Abschnitt 5.3.2.1.4).
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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5.3.2.1.1 Positive und negative Erfahrungen Nicht verwunderlich ist, dass die persönlichen Erfahrungen, die der Patient bei einem konkreten Aufenthalt sammelt, einen direkten Einfluss auf Vertrauen bzw. Misstrauen eines Patienten ins Krankenhaus haben. Dabei unterscheidet der Patient zwischen positiven und negativen Erlebnissen. Generell stellen positive Erfahrungen während des Krankenhausaufenthalts eine Basis für relationales Vertrauen dar, welches vom institutionellen Vertrauen stets einen Vertrauensvorschuss erhält (siehe Abschnitt 5.3.3.2). Positive Erfahrungen bestätigen das institutionelle Vertrauen, was Britta K. (30) so beschreibt: V: Sie haben gesagt, das Vertrauen hat sich dann bestätigt. Können Sie noch mal sagen, was genau Ihnen gezeigt hat, dass Sie vertrauen können? B: Ja, also erst mal während der Geburt, dass die dann auch meine Schmerzen ernst genommen haben, ich habe erst eine Tablette bekommen gegen die Wehen, die immer in den Rücken reinzogen, dass die auch dann sofort mir helfen wollten und dann irgendwo auch gleich die richtigen Entscheidungen getroffen haben, erst mal mit der Tablette und dann hinterher mir auch angeboten haben mit der PDA, denn man selber ist halt doch ein bisschen hilflos dann in dem Moment und weiß nicht so recht, was soll man jetzt machen, ist das jetzt alles wirklich richtig so, das war schon sehr gut, und die kamen auch prompt, die Anästhesieärzte, das ging dann alles reibungslos. So sorgen beispielsweise die netten, kompetenten Hebammen für Nicola oder die gute Abstimmung und interne Kommunikation/Information für Britta L. ebenfalls für eine Bekräftigung des institutionellen Vertrauens und daher für eine Ausbildung/Erhöhung des relationalen Vertrauens116. Positive Erfahrungen verringern zusätzlich das relationale Misstrauen. So führt beispielsweise die ganze freundliche Atmosphäre in der Fachklinik XY für Klaus zu einer Verringerung seines Misstrauens (welches zunächst auf institutioneller Ebene existierte). Auch Kurt (85), der angibt, ein recht kritischer Patient zu sein, erscheint wenig misstrauisch in seinem Klinikum:
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Welche weitere Aspekte Vertrauen oder Misstrauen fördern, soll in Abschnitt 5.3.2.2 im Detail beschrieben werden.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
K: Zunächst mal ist man ja skeptisch, wenn man noch nicht da war und nicht weiß, wie der Laden läuft. Aber wenn man erst mal drin ist und merkt, wie es geht, dann... Jedenfalls ging es mir so in Stadt XY, das ging dann ganz gut. Negative Erfahrungen während eines Krankenhausaufenthalts haben je nach Bewertung oder Attribution117 der Person einen gravierenden Einfluss auf das relationale Misstrauen, verringern allerdings weniger das relationale Vertrauen118. Dass negative Erfahrungen primär das relationale Misstrauen erhöhen, ist beispielsweise sehr gut an Biancas (30) Ausführungen zu erkennen. Sie berichtet von zwei Krankenhausaufenthalten, von denen sie einen als positives Erlebnis und einen als eher durchschnittliches bis negatives Erlebnis beschreibt. Hier wird sehr deutlich, dass negative Erfahrungen in Stadt XY Misstrauen hervorrufen, während positive Erfahrungen in Stadt XY das Misstrauen auf ein Minimum verringern: V: Inwieweit hatten Sie Vertrauen ins Krankenhaus XY? B: Ja, weiß ich nicht, da konnte man schon eher, da lag ich 14 Tage und die guckten auch sofort, als ich den Ausschlag bekam, dass sie mir irgendwas gespritzt haben, da habe ich denen wirklich vertraut, ich habe zwar gefragt 'Kann ich das nehmen in der Schwangerschaft?', da sagten sie 'Klar, die Stationsleiterin ist selber schwanger', und wenn die nicht wüsste, was man spritzen könnte, dann würde die das auch nicht spritzen, also da hatte ich schon irgendwie mehr das Gefühl, den Leuten kannst Du eher vertrauen, wie gesagt, die waren täglich im Zimmer, die fragten auch immer nach, und die haben sich auch irgendwie so bemüht, ja Vertrauen zu den Patienten zu kriegen, das war in der anderen Klinik nicht so, die haben sich wie gesagt nicht so bemüht, dass man so sagen könnte, man könnte sich denen jetzt hingebungslos hingeben und sagen 'So, Ihr macht, Ihr wisst das schon', bei denen habe ich viel mehr nachgefragt, wenn irgendwas war oder 30 Mal gefragt 'Ist das wirklich so?', und da [im anderen Krankenhaus] habe ich nicht so häufig nachfragen müssen, da habe ich einfach gesagt 'Wenn Sie meinen, das ist gut und das hilft mir, dann nehme ich das'.
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Auf die Attribution von Ereignissen soll hier nicht weiter eingegangen werden. Trotzdem sei hier auf z.B. Angelika hingewiesen, die sich während ihrer Operation mit einem aggressiven Keim infiziert, was negative Konsequenzen für sie bedeutet. Trotzdem verliert sie nicht ihr Vertrauen ins Krankenhaus und beschwert sich kaum, da sie das Krankenhaus nicht unbedingt für schuldig hält. Wie in Abschnitt 5.3.1.2 erläutert, schließt sich ein hohes Vertrauen und ein hohes Misstrauen nicht aus.
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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Misstrauen äußert sich bei Bianca in „Nachfragen“, was sie in Stadt XY häufig tut, im anderen Krankenhaus hingegen gar nicht. Britta L. (28) berichtet von einer Knieoperation, vor der ihr der langatmige Heilungsprozess von den Ärzten nicht ausreichend beschrieben worden war, was schließlich zur Enttäuschung auf ihrer Seite über den langsamen Fortschritt führte: V: Was haben Sie dagegen unternommen, dass man Ihnen den Rücken gekehrt hat? B: Also, ich bin schon immer wieder dort auch hingegangen, und einmal gab es auch so einen kleinen Eklat und so eine Streitigkeit, vor allen Dingen aber mit den Schwestern und den Damen am Empfang, und das hat dann der Chefarzt eben mitgekriegt, und der hat sich dann auch sofort Zeit genommen und der hat mich letztendlich auch, als alles andere nicht gewirkt hat, hat er mich eben auch an diesen Narkosearzt geschickt für die Akupunktur, und der hat mir dann auch noch mal empfohlen, dass ich eben in der Klinik auch die Krankengymnastik mache und das war dann schon alles so in Ordnung. Ja, und ich bin dann natürlich ja auch noch einmal eben nach Stadt XY, einfach nochmal, um... ich brauchte das einfach für mich, um mir das nochmal klar zu machen 'Es ist also richtig, so, wie es jetzt ist'. V: Hatte man in dem Augenblick so ein bisschen das Vertrauen verloren oder wie würdest Du das bezeichnen? B: Ja, ist schwierig. Also, ich glaube nicht, dass es ein kompletter Vertrauensverlust war, sondern dass es einfach dadurch begründet war, dass ich eben die erste war, und die auf keine Erfahrungen zurückgreifen konnten, denn es hat sich ja an all den Bildern, die nachher gemacht wurden in der Röhre, hat sich ja gezeigt, dass die das... dass die Technik astrein war, und die haben auch immer gesagt 'Das geht auch ganz leicht' und 'Es ist alles an seinem Platz', es war einfach Mangel an Erfahrung, den sie da mit mir hatten. Es wird hier sehr deutlich, dass auch Britta L. trotz der negativen Erfahrung des langsamen Heilungsprozesses ihr Vertrauen ins Krankenhaus nicht verliert, sich aber absichert, indem sie in eine andere Klinik aufsucht und sich bestätigen lässt, dass alles in Ordnung ist. Das Einholen einer zweiten Meinung zeigt ihr Misstrauen, welches parallel zum Vertrauen geweckt wurde. Andrea (38) berichtet von zahlreichen negativen Erlebnissen während ihres Krankenhausaufenthalts, die ihr Vertrauen „erschütterten“:
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
V: Hatte man als man reinkam, also hatte man da Vertrauen, das dann erschüttert wurde? A: Ja, ich hatte gehofft, mir hilft man. Jemand hat mir ja auch geholfen indem diese Handlung stattfand. Also unten die Aufnahme, die waren sehr nett, sehr zuvorkommen. Klasse. Was haben sie denn? Erklären sie mal! Warum, weshalb, wieso? Warum sind sie hier. Das war total klasse. Nur da auf Station 1, da war‘s dann schlecht. V: Also als man dann da war und diese Dinge alle passierten. A: Richtig. Als man wusste was man hat und dann Hilfe zu erwarten, zu bekommen, danach wurde man erschüttert. Sagen wir mal so. … A: Ja eben wann ist ein Krankenhaus vertrauenswürdig. Das ist hier ein Problem. Ich denke mal das Vertrauen ist da, dass einem da geholfen wird, anders kann ich’s nicht erklären. V: Also ein Grundvertrauen ist da? A: Grundvertrauen ist da, weil’s ein Krankenhaus ist. Die haben ja häufig auch mal studiert und die Leute haben das Wissen und Können um einem kranken Menschen zu helfen. Das ist das Grundvertrauen, aber das ist erschüttert worden eigentlich. Nach der Diagnose. Aber erst bin ich dahin gegangen, yo, die helfen mir jetzt. Haben sie ja auch. Gerade der zweite Auszug zeigt, dass näher betrachtet eher von Misstrauen die Rede ist (grundsätzliches Vertrauen in die Behandlung des Krankenhauses ist vorhanden). Auch Andreas Verhalten deutet auf Misstrauen hin (sie fragt nach, beschwert sich). Holger berichtet ebenfalls hauptsächlich von negativen Erfahrungen in seinem Krankenhaus, erscheint und verhält sich misstrauisch, vertraut aber im Großen und Ganzen dem Krankenhaus, das ihn mit einer Nasenscheidewandoperation auch heilt. Abbildung 18 stellt die soeben skizzierten Zusammenhänge grafisch dar. Die geschilderten Einflüsse lassen sich in Arbeitshypothese 3 zusammenfassen:
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Positive Erfahrungen
erhöhen
verringern
Relationales Vertrauen
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Negative Erfahrungen
erhöhen
Relationales Misstrauen
Abbildung 18: Einfluss von Erfahrungen auf das relationale Vertrauen bzw. Misstrauen
Proposition 3: Positive Erfahrungen fördern relationales Vertrauen und verringern relationales Misstrauen. Negative Erfahrungen fördern relationales Misstrauen. Dass gemachte Erfahrungen das relationale Vertrauen von Personen beeinflussen, ist nicht verwunderlich, da Vertrauen durch wiederholte Interaktionen („prozessbasiert“ nach Zucker 1986) mit dem zu Vertrauenden entsteht, also inkrementell im Laufe einer Beziehung wächst (siehe Abschnitt 3.3.3). Erfahrungen bedeuten Informationen über den Partner, und diese Informationen können helfen, zukünftiges Verhalten besser vorauszusagen. Hier passt die Bezeichnung von Lewicki und Bunker (1995, 1996) des „wissensbasierten Vertrauens“, das sich in der Vorhersehbarkeit des anderen begründet. Gegeben die soeben beschriebenen Zusammenhänge, ist es nun von großem Interesse, einen Schritt zurück zu gehen und zu untersuchen, wie es überhaupt zu positiven oder negativen Erfahrungen von Patienten kommt. Warum bewerten Patienten manche Erlebnisse als positiv oder negativ? Und wie könnte man Unterschiede zwischen Patienten erklären, die ähnliche Erfahrungen sowohl positiv als auch negativ beurteilen? 5.3.2.1.2 Vertrauenserwartungen Die Befragten nehmen Krankenhäuser und ihre Aufenthalte dort sehr unterschiedlich wahr. Dies wurde bereits in den beiden Einzelfalldarstellungen von Margarete und Jörn offensichtlich (siehe Abschnitt 5.2). Insgesamt berichten die Probanden von 25 Krankenhausaufenthalten, dabei i.d.R. von ihrem letzten Aufenthalt. Fünf Befragte (Ingrid, Klaus, Bianca, Dieter und Angelika) beziehen sich auf je zwei Aufenthalte in unterschiedlichen Krankenhäusern. Diese 25 Aufenthalte wurden von den Probanden sehr unterschiedlich erlebt und von ihnen
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
insgesamt entweder eher positiv, eher negativ oder auch nicht eindeutig positiv oder negativ bewertet. Muster bezüglich Geschlechterverteilung, Alter, Schulabschluss oder Krankenhauserfahrung lassen sich hier nicht erkennen. Nun gilt es zu untersuchen, warum manche Aufenthalte eher negativ wahrgenommen, während andere eher positiv bewertet wurden. Von Interesse ist, was entscheidende Aspekte bei der Beurteilung der Aufenthalte und bei der Vertrauensbildung sind. Wie im Abschnitt 3.3.2 zu den Vertrauensdefinitionen dargelegt, wird Vertrauen oftmals als Kombination aus kognitiven Aspekten des Glaubens, der Zuversicht, der Erwartung an die Vertrauenswürdigkeit eines Partners und dem konativen Aspekt der Vertrauenshandlungen gesehen. Da die generelle Vertrauenshandlung des Krankenhausbesuchs bei allen befragten Personen beobachtbar ist, macht es also Sinn, eher die Vertrauenserwartungen in den Fokus der Analyse zu stellen, die anscheinend für Unterschiede in der Beurteilung der Aufenthalte und den Ausprägungen von Vertrauen bzw. Misstrauen sorgen. Vertrauenserwartungen machen also den Unterschied aus und scheinen ganz zentral für die Bildung von Vertrauen zu sein. Vertrauen und Erwartungen hängen also unmittelbar zusammen, wie auch in Sirdeshmuk et al.’s (2002, S. 17) Definition deutlich wird: „we define consumer trust as the expectations held by the consumer that the service provider is dependable and can be relied on to deliver on its promises“. Da Erwartungen Vorstellungen sind, die man von einem möglichen zukünftigen Ereignis hat, sind sie ein Teil von Vertrauen, das sich auf zukünftige Zustände richtet. Bei der genaueren Betrachtung der Interviews wird deutlich, dass die Befragten stets zwischen ihren (Vertrauens-)Erwartungen und der wahrgenommenen Realität vergleichen. Dieser Soll-Ist-Vergleich ist bereits als gängige Konzeptualisierung für Zufriedenheit und Servicequalität bekannt, lässt sich aber in derselben Form auf Vertrauen anwenden. Die Befragten haben teilweise unterschiedliche Vertrauenserwartungen, die sich entweder bestätigen und zu positiven Erfahrungen führen, oder sie bestätigen sich nicht und resultieren in negativen Erfahrungen119. Nicola (35) beispielsweise erwartet, dass ein Krankenhaus mit ihrer Schwangerschaftsdiabetes umzugehen weiß und ihr Hilfestellung bietet. Die Tatsache, dass dem nicht so ist, führt zu negativen Erfahrungen:
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Erwartungen beeinflussen also Erfahrungen, welche wiederum Vertrauen beeinflussen (siehe Abschnitt 5.3.2.1.1 und Poposition 3).
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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V: Da kommen wir gleich zu schlechten Erfahrungen. Gehen wir mal zur nächsten Frage. Was ist der erste Gedanke, der Ihnen zu diesem letzten Krankenhausaufenthalt kommt? N: Der erste Gedanke... Jede Geburt ist irgendwie anders, und diese war besonders schlimm, fand ich, weil sie so lange gedauert hat und dann doch ein Kaiserschnitt, Kreißsaal war völlig in Ordnung, aber Station, die waren sich alle nicht grün, da hat jeder was anderes gesagt, und ich habe mich nicht gefühlt, als wenn ich im Krankenhaus liegen würde, ich habe mich gefühlt, als sei ich irgendwo im Kasperltheater. V: So schlimm? N: Ja, fand ich. Die Ärzte untereinander, also die Krankenschwestern untereinander waren sich nicht einig, die eine Schwester sagte 'Alle vier Stunden wird gestillt', die andere hat gesagt 'Nach Verlangen', immer wenn das Kind Hunger hat, ich hatte ja Schwangerschaftsdiabetes, die waren nicht in der Lage, mir da irgendwie Hilfestellung zu geben, die haben mich nur verrückt gemacht. Und ich erwarte eigentlich, wenn ich in einem Krankenhaus bin mit Schwangerschaftsdiabetes, dass es, wenn das schon bekannt ist, dass die damit umzugehen wissen, die haben mich nur verrückt gemacht. Auch Maren (28) expliziert im Interview ihre Erwartungen deutlich, die bei Erfüllung in Vertrauen resultieren: V: Inwieweit sind Sie generell ein vertrauensvoller/-bereiter Patient? Inwieweit fassen Sie schnell Vertrauen? M: Ja, eigentlich doch recht schnell, es kommt aber auch drauf an dann, wie der Arzt ist, oder die Ärztin dann halt ist. Wenn ich hinkomme, und dem Arzt dann z.B. sage "Ich habe das und das an Problemchen" oder habe irgendwelche Fragen, und ich merke, der Arzt, der ist kurz ab, hat keine Zeit oder ich merke irgendwie, der will nicht so richtig mit mir reden oder will mir das nicht erklären oder wie auch immer, also dann denke ich, habe ich nicht so viel Vertrauen in den. Ich möchte schon gerne wissen, was macht der mit mir oder was habe ich oder... ich möchte schon, dass der so ein bisschen auf mich eingeht dann, das erwarte ich irgendwo so ein bisschen von Ärzten, ob das jetzt ein Hausarzt ist oder ein Arzt im Krankenhaus, wie auch immer, also ich möchte schon gerne, wenn ich eine
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Frage stelle, dass ich dann auch eine ordentliche Antwort kriege und nicht alles in so einem fachmännischen Latein oder irgendwie so. Wenn man sich die von den Patienten genannten konkreten Erwartungen näher anschaut, lassen sie sich grob in vier Dimensionen einteilen: 1. Personal 2. Organisation/Management/Führung 3. Ausstattung 4. Sonstiges Für alle Befragten lassen sich konkrete Erwartungen entlang der vier Dimensionen beschreiben, verschiedene Aspekte sind ihnen allerdings unterschiedlich wichtig. Beispielsweise legen fast alle Probanden beim Personal großen Wert auf Freundlichkeit. Einigen ist es allerdings wichtiger als anderen, dass sie von Ärzten ausreichend informiert, in die Therapieentscheidung einbezogen oder als Mensch betrachtet werden. So scheint es Jörn wichtig zu sein, Informationen zu seiner Erkrankung zu erhalten und Mitspracherecht bei Entscheidungen zu erhalten, während Klaus dem freundlichen, fürsorglichen Umgang mehr Bedeutung zumisst. Im Bereich der Organisation/Management/Führung erwartet Britta L. beispielsweise einen möglichst reibungslosen Ablauf im Bezug auf Untersuchungen, während für andere Patienten (z.B. Dieter) Wartezeiten kein Problem zu sein scheinen. Auch bezüglich der Ausstattung des Krankenhauses setzen die Probanden unterschiedliche Prioritäten in ihren Erwartungen: Während Margarete, Gerda und Holger z.B. die Zimmerausstattung für wichtig halten, scheint das Kurt oder Dieter relativ unwichtig zu sein. Auch im sonstigen Bereich sind diverse Erwartungen zu finden, die manche Probanden deutlich machen, während sie für andere weniger Bedeutung darstellen. Auch Erwartungen an abstraktere Aspekte lassen sich in den Interviews entdecken. So scheinen die meisten Probanden zu erwarten und auch vorauszusetzen, dass Ärzte im Krankenhaus kompetent sind. Susanne (37) beispielsweise formuliert es so: V: Was ist Ihnen bei einem Krankenhausaufenthalt wichtig? S: Dass ich gesund werde. Aus die Maus, mehr gibt’s da nicht. Hauptsache, ich komme heile wieder raus, kompetente Ärzte, kompetentes Pflegepersonal, und dann möchte ich schnell und heile wieder nach Hause, aber die netten Nebenerȱ
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scheinungen, wie ein Einzelzimmer und so, das ist alles nicht sooo wichtig, das ist nur nett, dafür zahlt man ja auch viel Geld. Je mehr Du zahlst, desto besser das Hotel. … V: Sie sagten gerade "Kompetente Ärzte" und "kompetentes Pflegepersonal". Wann ist ein Arzt kompetent? Wie merkt man das als Patient? S: Da muss ich ja von ausgehen, dass der kompetent ist, ich kann das nicht beurteilen, ob ein Arzt kompetent ist. V: Aber wie schätzt man das ab? S: Kann ich nicht, kann ich nicht, als Patient kann ich nur hoffen, dass ich einen kompetenten, ausgeschlafenen Arzt an mir habe, oder ein relativ großes Team, dass schnell einer einspringt. V: Also ich hoffe nur drauf und hinterher hat’s entweder geklappt oder nicht? S: Ja, ich kann das nicht beurteilen, ich bin überhaupt nicht in der Lage, sowas zu beurteilen, ich bin Hausfrau, ich bin Industriekauffrau, ich kann nicht einschätzen, ob jemand gut eine Gallenblase operieren kann oder einen Herzkatheter setzen kann oder mir meine Eileiter rausnimmt, ich weiß nicht, ob der das gut macht oder nicht, das kann ich nicht einschätzen, das entzieht sich meiner Kenntnis. V: Deswegen frage ich. Wie versucht man das abzuschätzen? S: Kann man nicht, also ich kann das nicht. Selbst wenn ich fragen würde "Sind Sie kompetent?" Ja sicher ist der kompetent. V: Man kann nur hoffen? S: Ja, ich kann das nur hoffen. Ich weiß ja nicht wirklich, wie der arbeitet, einfach weil ich überhaupt nicht die Sachkenntnis habe das einzuschätzen, geht ja gar nicht. Auch nach wiederholtem Nachfragen beharrt Susanne darauf, dass sie die Kompetenz eines Arztes nicht einschätzen und daher nur „hoffen“ kann. Neben der Kompetenz, die vielleicht
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
auch wegen der Unterstellung, vorhanden zu sein, kein zentrales Thema in den Interviews darstellt, ist auch das Wohlwollen der Ärzte eine Erwartung, die die Probanden äußern. Wie auch viele andere Befragte geht Angelika (56) davon aus, dass Ärzte primär Patienten helfen wollen: A: Ja wenn du kein Vertrauen hast, dann kannst du es schlecht überstehen das Ganze. Die wollen dir ja nichts Böses. Die sind ja nicht boshaft oder was. Die tun ja das bestmögliche. Und das Vertrauen musste haben. Ich hab ja vor der Operation. Da kam er dann nochmal zu mir hin. Was hab ich ihm da nochmal gesagt? Da sagte ich ihm „Ne glückliche Hand!“ oder irgend sowas in der Richtung. Ich hatte mir vorher überlegt. Der braucht ja nur ein bisschen Stress zu haben bei ihm zu Hause. Autos fahren nicht an, Streit mit der Frau oder was. Da willste ja auch wissen. Wieso? Der will ja auch mein Bestes. Der will mir ja nicht weh tun oder ne. So ein Vertrauen musst du in dem Augenblick dann auch haben. Anders ist es schlecht zu überstehen. Nicola (35) sieht das ähnlich, schränkt aber auch ein, dass die individuelle Betreuung im Alltag nicht immer ganz einfach ist: V: Was denken Ärzte über Patienten? Was sind Ziele von Ärzten? N: Vielleicht auch, das Beste zu geben, oder die beste medizinische Versorgung in dem Moment gewährleisten zu können, denke ich schon, dass die bemüht sind, einen natürlich bestmöglich zu versorgen. Das ist halt auch Arbeit, es ist der tägliche Job, das darf man nicht vergessen. Das, was ich gemacht habe [Anm.: N. hat im Jugendamt gearbeitet], da habe ich die Leute ja auch nur als... also nicht als Nummer gesehen, das nicht, schon als Individuum, aber man hat da eine ganz andere Sichtweise. Auch Jörn (24) kann aus Erfahrung berichten, dass Ärzte gestresst und nicht selbstlos sind: V: Was sind Ziele von Ärzten? J: Ja, im Prinzip glaube ich schon, dass die, das kann man auch sehr allgemein sagen, weil im Rettungsdienst sind das sicherlich als im Tagesgeschäft, im Krankenhaus oder in der Praxis, im Rettungsdienst geht es ja erst mal darum, Leben zu retten, wobei man auch sagen muss, die sind da nicht selbstlos die Leute, wenn die dann einmal am Einsatzort sind, aber man kann sich sicherlich noch schneller ȱ
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anziehen als manche Leute das machen, oder nachts schneller aufstehen oder wie auch immer. Klar, sicherlich haben die schon das Ziel, Leuten zu helfen, aber nicht mit uneingeschränktem Einsatz, glaube ich. V: Das sind Deine Erfahrungen aus der Zivi-Zeit? J: Unter anderem, ja. Ich meine, ist ja auch nicht verwerflich, klar, wenn man 30 Stunden arbeitet, will man ja auch irgendwann mal Feierabend haben, auch wenn es dem anderen schlecht geht oder so, dann muss man halt gucken, wie man das regelt, aber insgesamt denke ich mal, sind die schon Mediziner geworden, weil die a) Interesse an der Materie haben und auch irgendwie eine Beziehung zum Menschen haben, denke ich mal, sonst hätten die ja Leichenpräparator werden können oder so, ich glaube schon, dass die Interesse daran haben, den Leuten zu helfen, aber das Ziel haben die so ein bisschen aus den Augen verloren, weil ihnen das gar nicht mehr bewusst ist, dass sie den Leuten helfen wollen, sondern einfach nur, weil die es runterrattern alles so. Holger (36) hat grundsätzlich auch die Erwartung, dass Ärzte heilen und retten möchten, sieht aber auch widersprüchliche Ziele derselben. Er erwähnt hier das Klischee von golfspielenden Ärzten, nachdem er zuvor seinen HNO-Arzt als „Typ Reihenabfertigung, und der möchte natürlich seine Operationstermine voll haben, Geld verdienen“ beschrieben hat: V: Was sind Ziele von Ärzten? H: Mmmhhh, Golf spielen, schöne Yacht... naja, die sind weit gefächert, es gibt sicherlich die Ärzte, die den Beruf aus Berufung machen, oder absolut, für die Patienten da zu sein, und dafür zu sorgen, dass sie gesund werden. Es gibt jetzt auch Ärzte, die bestimmt auch aufs Geld aus sind, wie ich schon sagte, die wollen ihre Termine voll haben, und kümmern sich... denen ist das mehr oder weniger egal, Hauptsache eben, sie können am Wochenende da irgendwo hinfahren, mit dem Privatschiff durch die Gegend fahren. Diese unterschiedlich ausgeprägten Erwartungen treffen auf unterschiedliche Erlebnisse und werden abgeglichen. Analog zu Konfirmations-/Diskonfirmationsparadigma (C/D-Paradigma) der Zufriedenheit (Oliver 1980) kann davon ausgegangen werden, dass eine negative Diskonfirmation zu negativen Wahrnehmungen führt, während eine Konfirmation oder positive Diskonfirmation in positiven Bewertungen von Erfahrungen (und somit Vertrauen) resultiert. Abbildung 19 stellt dieses Teilmodell grafisch dar.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Vertrauenserwartungen Personal Organisation Ausstattung Sonstiges
Abgleich Ist - Soll Ist=Soll Ist>Soll Positive Erfahrungen
Ist<Soll
Negative Erfahrungen
Abbildung 19: Einfluss von Vertrauenserwartungen auf Erfahrungsbeurteilung
Die aufgestellte Arbeitshypothese lautet also: Proposition 4: Die Vertrauenserwartungen eines Patienten beeinflussen seine Erfahrungen. Wie bereits erwähnt, ist der Zusammenhang zwischen Erwartungen und Zufriedenheit in Studien vielfach belegt worden und gilt als die anerkannte Konzeptualisierung von Zufriedenheit (z.B. Oliver 1980) und auch Servicequalität (z.B. Parasuraman et al. 1985; Teas 1993; Zeithaml et al. 1993). Zur Erklärung von Vertrauen ist das Paradigma allerdings noch nie verwendet worden. Das mag daran liegen, dass Vertrauen im Unterschied zur Zufriedenheit zukunftsorientiert und nicht vergangenheitsorientiert definiert und konzeptualisiert wird, obwohl auch zu beachten ist, dass jedes Vertrauensurteil sich auf Information aus der Vergangenheit stützt. Zudem fragen fast alle existierenden Messinstrumente Vertrauensaspekte eher vergangenheits- oder gegenwartsbezogen ab120 (siehe z.B. Anhang 7.4). Es existieren verschiedene Ansätze zu Definition und Konzeptualisierung von Erwartungen (Johnson und Mathews 1997; Clow et al. 1997). Am häufigsten werden Erwartungen als
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Z.B. beinhaltet die „Trust in Physician Scale“ von Anderson und Dedrick (1990) Items wie: „Mein Arzt ist normalerweise rücksichtsvoll gegenüber meinen Bedürfnissen und stellt sie an erste Stelle“ oder „Ich fühle, dass mein Arzt nicht alles tut, was er/sie für meine Gesundheit tun sollte“.
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„predictions made by customers concerning what they believe will be the outcome of a service transaction or exchange” definiert (Clow et al. 1997, S. 231). Thorne und Robinson (1988b) bestätigen in einer qualitativen Studie, dass unerfüllte Erwartungen von Familienmitgliedern chronisch Kranker über einige Zeit dazu führten, dass ihr Vertrauen in das Gesundheitssystem wankte. Das führte dazu, dass sie sich aus der ersten Phase des „Naive trusting“ in die zweite Phase des “Disenchantment” bewegten (siehe Abschnitt 3.3.4.1). Auch Semmes (1991, S. 455) schreibt: „I found that trust and distrust correspond to experiencing a range of successful and failed expectations regarding treatment“. Aber was beeinflusst die Vertrauenserwartungen? Woran liegt es, dass verschiedene Personen verschiedene Erwartungen haben? Wie kann erklärt werden, dass sich Erwartungen verändern? 5.3.2.1.3 Patientenrolle Nach der fallübergreifenden Analyse der Interviews und der darin beschriebenen Erlebnisse war nach und nach ein gewisses Muster zu erkennen. Viel von dem, wie Patienten ihren Krankenhausaufenthalt erlebt und bewertet haben, ist auf ihre Erwartungen an das Verhalten der Krankenhausmitarbeiter zurückzuführen, was wiederum ihrer angenommene Rolle als Patient zuzuschreiben ist. Bei den Beispielfällen Margarete und Jörn war dies gut zu erkennen. Auch Klaus’ (42) Bericht von einer Begegnung mit einem Stationsarzt zeigt deutlich, wie die angenommene Rolle die Erwartungen beeinflusst: V: Nehmen wir mal Stadt XY und Stadt XY als Beispiel, das waren ja die beiden Krankenhäuser, in denen Sie waren und die Sie erlebt haben. Wie haben Sie sich in Stadt XY aufgehoben gefühlt? K: Aufgrund dessen, dass der Stationsarzt seinerzeit sehr sehr unbeholfen war, fühlte ich mich natürlich auch sehr sehr unsicher. und mit dieser Frage, er hat sie tatsächlich gestellt, mit dieser Frage "Sollen wir jetzt operieren? Was meinen Sie?", da war ich überfordert, da konnte ich gar nichts mehr zu sagen. Wie gesagt, wenn ich das heute erleben würde, würde ich ohne zu zögern meine Sachen packen und würde gehen, egal was ist. Damals war ich noch ein bisschen ängstlich, ich hatte ja in dem Sinne noch nichts Großartiges mitgemacht. Auch für mich war dieses Bild 'Der Arzt, der Herrgott in Weiß', 'der Arzt hat Recht', 'der Arzt, der ist eine Respektsperson', wie das bei den meisten so ist. Wie gesagt, von Seiten der Ärzte, bzw. dieses Arztes, war ich total enttäuscht, total unzufrieden, ja, Pflegepersonal, das war ok, ist jetzt auch schon fünf Jahre her, da kann ich also nicht viel zu sagen, auf jeden Fall nichts Negatives.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Aufgrund seiner mangelnden Erfahrung, seines fehlenden Wissens und seiner schlechten Befindlichkeit sieht sich Klaus eigentlich in der Rolle des Hilfesuchenden, also einer eher uninformierten und passiven Rolle, die an die „sick role“ nach Parsons erinnert. Diese Rolle verlangt nach einem paternalistischen Beziehungsmodell, mit dem die Erwartung verbunden ist, der Arzt kümmere sich väterlich und übernehme Entscheidungen (siehe Abschnitt 3.2.2.1). Der Arzt hingegen geht nicht auf diese Rolle ein und übernimmt eine ebenfalls eher passive Rolle, indem er Klaus die Entscheidung für eine Operation überlässt (so zumindest nimmt Klaus es wahr). Dies überfordert Klaus und er wechselt schließlich das Krankenhaus. Die Vertrauenserwartungen lassen sich also vielfach aus den gewählten Rollen der jeweiligen Patienten ableiten. Die „Patientenrolle“ wurde als eine zentrale Kernkategorie im axialen und selektiven Kodieren (siehe Abschnitt 4.4.3) identifiziert. Der Zusammenhang ist in Abbildung 20 abgebildet.
Patienten-Rolle • aufgeklärt/uninformiert • sachorientiert/personenorientiert • aktiv/passiv • kooperativ/konfrontativ
Vertrauenserwartungen
Personal Organisation Ausstattung Sonstiges
Abgleich Ist - Soll
Abbildung 20: Einfluss von Patientenrolle auf Vertrauenserwartungen
Bevor die Arbeitshypothese mit der existierenden Theorie abgeglichen wird und nähere Erläuterungen zu Inhalten der Patientenrolle gegeben werden, soll sie hier noch einmal genannt werden:
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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Proposition 5: Die Rolle des Patienten beeinflusst seine Vertrauenserwartungen. Wie bereits in Abschnitt 3.2.1 angesprochen, prägen Rollen von Menschen Erwartungen an deren Verhalten121. An der klassischen „sick role“ des Patienten (nach Parsons) wurde dies bereits verdeutlicht. Aber auch im Dienstleistungsmarketing wird der Zusammenhang zwischen Rolle und Erwartungen sowie Erfahrungen diskutiert (Solomon et al. 1985; Broderick 1998; Broderick 1999). Gerade für personenbasierte Dienstleistungen (wie Krankenhausleistungen es sind, siehe Abschnitt 3.1.1) kann die Rollentheorie demnach helfen, Begegnungen besser zu verstehen und zu analysieren. In Folge geht es darum, Dienstleistungserlebnisse positiv gestalten zu können: Rollentheorie „permits better management of the interactive features of service provider-client interface and a clearer focus on role performance and the interpersonal dimensions of service quality“ (Broderick 1999, S. 117). Die Rollentheorie ist definiert als „a science concerned with the study of behaviours that are characteristic of persons within contexts and with various processes that presumably produce, explain or are affected by those behaviours“ (Biddle 1979, S. 4). Eine Rolle stellt hierbei “a cluster of social cues that guide and direct an individual’s behaviour in a given setting” dar (Solomon et al. 1985, S. 102). Gemäß der Rollentheorie wird argumentiert, dass sozialer Austausch zwischen Menschen bestimmte Muster aufweist, die zu einem großen Maße von der Rollenerwartung und den tatsächlichen angenommenen Rollen bestimmt werden (Brodrick 1999). „Each member of the dyad has a set of expectations about the role of his or her partner“ (Wilson und Bozinoff 1980, S. 118). Die Ursprünge der Rollentheorie liegen in der sozialen Penetrationstheorie („social penetration theory“) (Altman und Taylor 1973), in den soziologisch geprägten Ansätzen der sozialen Interaktion („social interaction approaches to sociological thinking“) (Simmel 1908, 1950, Goffman 1967) und in der sozialen Austauschtheorie (“social exchange theory“) (Homans 1961; Kelley und Thibaut 1978). Für das Konsumentenverhalten adaptierte bereits Sheth (1967) Konstrukte der Rollentheorie, um die Bildung von Erwartungen zu erklären. Später wurde die Theorie im Marketing vor allem für den persönlichen Verkauf/Vertrieb, bei Rollenportraits in der Werbung und für das Entscheidungsverhalten von Eheleuten angewendet (siehe Wilson und Bozinoff 1980). Gerade die Tatsache, dass Begegnungen dyadisch konstruiert und durch menschliche Interaktion geprägt sind und rollenbasiert ablaufen, macht die
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Zeithaml et al. (1993), Clow et al. (1997) und Devlin et al. (2002) haben weitere Antezedenten von Erwartungen identifiziert, z.B. Werbung, Preis, tangible Aspekte, explizite und implizite Versprechen, Erfahrungen, Weiterempfehlungen.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Rollentheorie zu einem adequaten Betrachtungsrahmen für das Dienstleistungsmarketing (Solomon et al. 1985). Der Zusammenhang zwischen der Kernkategorie „Patientenrolle“ und den Vertrauenserwartungen der Patienten zeigte sich fallübergreifend, besonders bei Betrachtung der teilweise extrem unterschiedlichen Patienten und den zumindest objektiv ähnlichen Erlebnissen im Krankenhaus. So wird dies bereits bei den beiden Einzelfällen Margarete und Jörn recht deutlich. Aber inwieweit sind die Patientenrollen unterschiedlich? Was sind wichtige Dimensionen? Auch wenn Abschnitt 3.2.1.1 bereits klassische Patientenrollen thematisierte und die beiden in der Literatur diskutierten Extremrollen „passiver“ und „aktiver“ Patient darstellte, scheint dieser Dualismus der komplexen Patientenrolle nicht gerecht zu werden. Einerseits lassen sich die befragten Personen nicht klar der einen oder anderen Rollenkonzeptualisierung zuordnen. Andererseits bieten die Extremrollen keinen ausreichenden Erklärungsgehalt für die Wahrnehmung und Bewertung der Krankenhaus-Aufenthalte aus Patientensicht. Daher wurde versucht, auf Basis der 20 Probanden und ihren Geschichten Eigenschaften und mögliche Dimensionen der Patientenrolle zu identifizieren („Dimensionalisierung“, siehe z.B. Spiggle 1994). Unterstützend wurde Literatur hinzugezogen, die sich mit Beziehungen befasst und Anregungen für Ausprägungen von Dimensionen liefert (Fournier 1998; Wish et al. 1976). Als Ergebnis lassen sich vier Eigenschaften der Patientenrolle festhalten, die Variationen entlang folgender Dimensionen aufweisen können, die relativ unabhängig voneinander sind (siehe Abbildung 21).
1. Selbstverständnis:
aufgeklärt………..………………...........ahnungslos
2. Orientierung:
sachorientiert…..........................personenorientiert
3. Handlungsstrategie: kooperativ…..….……………………..…konfrontativ 4. Handlungsstrategie: aktiv…………….…………………….…………passiv
Abbildung 21: Eigenschaften und Dimensionen der Patientenrolle
Das Selbstverständnis eines Patienten reicht dabei auf einem Kontinuum vom Extrempunkt „aufgeklärt“ bis zum Extrempunkt „ahnungslos“. Ferner können sich Patienten im Krankenhaus eher an sachlichen Aspekten (z.B. medizinischer Ausstattung) oder an Personen (Chefȱ
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ärzten etc.) orientieren. Entlang von Handlungsstrategien lassen sich zwei Kontinua an Dimensionen identifizieren: Patienten können sich eher kooperativ oder eher konfrontativ und sich gleichzeitig eher aktiv oder eher passiv verhalten. Dabei ist Kooperation oder Konfrontation auf das Krankenhaus und seine Akteure bezogen, während aktives oder passives Verhalten unabhängig von den Akteuren beschreibt, inwieweit der Patient seine Erkrankung und seinen Aufenthalt selbst in die Hand nimmt. Mit Hilfe dieser Dimensionen ist es möglich, jeden Patienten einzuordnen. Beispielhaft soll diese Einordnung für Jörn und Margarete durchgeführt werden, da diese bereits in den Einzelfalldarstellungen näher beschrieben wurden. Jörn kann als eher aufgeklärt, sachorientiert, konfrontativ und aktiv beschrieben, während Margarete als eher ahnungslos, personenorientiert, kooperativ und auch eher aktiv charakterisiert werden kann122. In einem zweidimensionalen Raum könnte diese Typologie folgendermaßen aussehen:
sachorientiert Jörn
aufgeklärt
ahnungslos
Margarete
personenorientiert
Abbildung 22: Patientenrollen von Margarete und Jörn im Bezug auf Selbstverständnis und Orientierung
Während Jörn und Margarete im Bezug auf Selbstverständnis und Orientierung unterschiedlichere Positionen nicht einnehmen könnten (siehe Abbildung 22), weichen sie bei den Handlungsstrategien nur in einer der beiden Dimensionen voneinander ab (siehe Abbildung 23):
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Die Ausprägungen entlang der Dimensionen können auf Basis der Probandeninterviews lediglich eingeschätzt werden, eine genaue Lokalisierung ist nicht möglich, ohne Skalen zu benutzen.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
konfrontativ Jörn
passiv
aktiv
Margarete
kooperativ
Abbildung 23: Patientenrollen von Margarete und Jörn im Bezug auf Handlungsstrategien
Nun ist interessanterweise zu beobachten, dass sich einige Probanden nicht unbedingt klar den Ausprägungen zuordnen lassen, da sie sich im Zeitablauf des Krankenhausaufenthalts, der Erkrankung oder darüber hinaus verändern. Beispielhaft sei hier Andrea (38) genannt, die erklärt, heute einiges anders zu machen als zum damaligen Zeitpunkt: A: Nein, nur wir sind so mit den Gedanken ganz woanders. Ich würde jetzt ganz anders reagieren. Ich wär’ sofort zum obersten Boss gegangen. Ich meine jetzt, wo man jetzt 5 Monate damit leben muss, aber nicht nach zwei, drei Tagen, da macht man das nicht. Ich würde jetzt ganz anders reagieren. V: Also jetzt würden Sie zum obersten Chef gehen und sich direkt beschweren, ganz oben? A: Richtig. Würde ich sofort sagen, wer ist der oberste Boss der Station und da würde ich dann als erstes hin gehen. Aber das macht man nach drei Tagen nicht, wenn man gesagt bekommt man hat Diabetes. Auch bei Holger, den jungen Müttern und Gerda fällt auf, dass sie teilweise sogar während des Aufenthalts ihre Rollen verändern bzw. alte Rollen abstreifen und neue Rollen übernehmen (z.B. von ahnungslos zu aufgeklärt, passiv zu aktiv, kooperativ zu konfrontativ und um-
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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gekehrt). Daher muss beim Rollenmodell der zeitliche Aspekt integriert werden, was in Arbeitshypothese 6 festgehalten wird: Proposition 6: Patientenrollen sind im Hinblick auf die Vertrauensbildung während eines Krankenhausaufenthalts Änderungen unterworfen. Nun stellt sich die Frage, welche Faktoren die Patientenrolle und ihre Ausgestaltung entlang der beschriebenen vier Dimensionen beeinflussen. In der näheren Analyse der Interviews konnten vier zentrale Einflussfaktoren identifiziert werden. Mit Hilfe von Beispielen sollen diese nun erläutert werden. An vielen Stellen in den Interviews wird deutlich, dass Erfahrung ein wichtiger Aspekt ist, der die Patientenrolle in großem Maße formt. Dies erscheint auch nicht verwunderlich, vor allem wenn man sich das Selbstverständnis (aufgeklärt vs. ahnungslos) anschaut. Es erscheint logisch, dass erfahrene Patienten eine eher aufgeklärte Rolle annehmen und unerfahrene Patienten eine eher ahnungslose. Beispielsweise vermutet Klaus (42), dass er sich zum heutigen Zeitpunkt anders verhalten würde als bei seinem ersten Krankenhausaufenthalt vor Jahren: K: Aufgrund dessen, dass der Stationsarzt seinerzeit sehr sehr unbeholfen war, fühlte ich mich natürlich auch sehr sehr unsicher. und mit dieser Frage, er hat sie tatsächlich gestellt, mit dieser Frage "Sollen wir jetzt operieren? Was meinen Sie?", da war ich überfordert, da konnte ich gar nichts mehr zu sagen. Wie gesagt, wenn ich das heute erleben würde, würde ich ohne zu zögern meine Sachen packen und würde gehen, egal was ist. Damals war ich noch ein bisschen ängstlich, ich hatte ja in den Sinne noch nichts Großartiges mitgemacht. Auch für mich war dieses Bild 'Der Arzt, der Herrgott in Weiß', 'der Arzt hat Recht', 'der Arzt, der ist eine Respektsperson', wie das bei den meisten so ist. Wie gesagt, von Seiten der Ärzte, bzw. dieses Arztes, war ich total enttäuscht, total unzufrieden, ja, Pflegepersonal, das war ok, ist jetzt auch schon fünf Jahre her, da kann ich also nicht viel zu sagen, auf jeden Fall nichts Negatives. … V: Wie erleben Sie sich in Ihrer Beziehung zum Arzt? Wie würden Sie Ihre Beziehung zum Arzt charakterisieren? K: Aus jetziger Sicht oder als ich gelegen habe? V: Ruhig beides, wenn das irgendwie unterschiedlich ist.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
K: Also sicherlich, als ich da gelegen habe, zurückhaltend, hilflos, ich glaube, das ist auch relativ normal, wenn es einem schlecht geht, man will, dass einem geholfen wird, und dann ist man schon etwas zurückhaltender und hofft nur, dass sie einem helfen und gut ist. Aus heutiger Sicht, aufgrund der ganzen Erfahrung, ich würde sicherlich viel mehr auch hinterfragen. Wenns einem schlecht ist, und man sowieso keine andere Wahl hat, dann ist einem das relativ gleichgültig, was passieren kann und was die einem da erzählen, man will nur, dass einem geholfen wird. Ja, wie eben schon angedeutet, ich hatte ja auch viele Phasen dazwischen, wo ich sowas von fix und fertig war, ich lag im Bett im Krankenhaus und mir liefen die Tränen, weil ich einfach fertig war, ich konnte nicht mehr, wenn da Pfleger, Schwester oder auch ein Arzt kommt und das mitkriegt und sich für einen interessiert und einem ein paar tröstende Worte gibt, dann hilft das schon eine ganze Menge. Klaus fehlende Erfahrung zum damaligen Zeitpunkt beeinflusst also nicht nur sein Selbstverständnis (damals: ahnungslos), sondern auch seine Handlungsstrategien (damals: eher kooperativ und passiv), damit also einen großen Teil seiner Rolle. Da ständig neue Erlebnisse die Erfahrungen weiterentwickeln und verändern, ist zu beachten, dass der schon beschriebene Abgleich der Vertrauenserwartungen mit den Erlebnissen, der zu positiven oder negativen Erfahrungen führt, wiederum als Einflussfaktoren auf die Rolle wirkt. Somit entsteht ein zirkuläres Modell. Erfahrung hat auch noch einen zweiten indirekten Effekt auf die Patientenrolle, nämlich über das medizinische Wissen, welches den zweiten Einflussfaktor im Modell darstellt. Erfahrungen im Krankenhaus führen im Regelfall zu erlerntem Wissen, durch Erklärungen der Ärzte oder eigene Erfahrungen. Jörn (24) hat in seiner Zivildienstzeit als Rettungssanitäter gearbeitet und auch als Patient in Krankenhäusern bereits einige Erfahrungen (und somit auch Wissen über seine Erkrankungen, z.B. Allergien) sammeln können: V: Wie erleben Sie sich in Ihrer Beziehung zum Arzt? Wie würden Sie Ihre Beziehung zum Arzt charakterisieren? Schwierig... J: Nö, finde ich nicht. Als neugieriger, kritischer, hinterfragender Gesprächspartner oder so, würde ich sagen, also eben nicht so, wie vielleicht ein Rentner ist, der sagt "Ich nehm das jetzt alles hin", sondern ich bin doch nicht ganz doof, auch wenn ich Laie bin, natürlich haben die viel mehr Ahnung, viel mehr Hinterȱ
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grundwissen, können gewisse Zusammenhänge besser verstehen oder überhaupt verstehen, aber so ein paar Sachen weiß man ja halt auch, und kann sie sich vielleicht unter anderem bildlich besser vorstellen oder halt nicht vorstellen oder... deshalb, bleibt man eher der Laie gegenüber einem Mediziner, aber Laie und Laie ist halt auch noch ein Unterschied, ob ich das jetzt einfach so schlucke alles, oder ob ich interessiert bin und verstehen will, warum ich das jetzt habe oder wie das kommt. Dieses Wissen sorgt dafür, dass er die Rolle als aufgeklärter, sachorientierter und aktiver Patient annimmt. Dass Wissen für die eigene Aktivität wichtig ist, wird klar, als Jörn Aufklärung und Transparenz von Krankenhäusern fordert. Ohne Wissen kann er nichts verändern: V: Also eine gewisse Transparenz... J: Ja, genau. Das ist wahrscheinlich auch sehr abhängig davon, wie alt man so ist, ich glaube, so einer Omi kann man sagen "Warte mal ein Stündchen", die nimmt das einfach hin, weil... das ist halt so, aber ich will halt wissen warum, und einfach auch was verändern, auch das sich irgendwie es nicht alles hinnehme, wenn mir etwas nicht passt, mache ich meinen Mund auf. Und irgendwelche Leute sind stumm, die sagen nicht "Mach ich nicht", die nehmen das so hin. Das kann ich nicht. Cornelia (48) hingegen gibt an, trotz einiger Krankenhausaufenthalte nicht genug Wissen zu haben, und sieht sich als eher ahnungslose Patientin, was wiederum ihre Vertrauenserwartungen beeinflusst: C: Ich denke mal, alle Ärzte wissen mehr als ich über Gesundheit bzw. wenn ich das nicht mit meiner Wärmflasche hinkriege, dann denke ich mal schon, dass die mehr wissen darüber, und dann habe ich schon oft vertraut eigentlich Dieter (65) hat eine ganz eigene Strategie, die ihm hilft, Angst im Krankenhaus zu bewältigen und zu vertrauen: V: Und beim Ersten, da weiß man ja noch nicht so, ob das alles so richtig ist? Hat man da auch schon Vertrauen, oder? D: Ich hatte keine Probleme damit. Nein. Ich hab da keine Probleme mit. Ich bin da eigentlich sehr optimistisch, finde ich- gehe ich da heran. Ich meine auch immer noch, dass man nicht zuviel wissen muss. Dass man sich selbst verrückt
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macht. Ich habe das erlebt nachher, beim zweiten Mal, wo mir bei der Untersuchung- beim zweiten Mal der Untersuchung waren wir dann mit sechs oder sieben Mann auf dem Zimmer im Krankenhaus. Das geht dann ja hauptsächlich für die drei Tage da, die wollen ja auch die anderen Zimmer frei haben viel länger. Ist ja ganz klar, dass kann ich alles auch verstehen. Habe ich auch keine Probleme mit. Dann muss man sagen, dass man einfach das Vertrauen in dieser Art und Weise von mir selbst ausgeht schon. Ich möchte gar nicht soviel wissen, was da alles passieren kann. Wenn ich auch so die Beilage meiner Tabletten lese, dann könnte ich die doch aus dem Fenster schmeißen. Also, wenn ich mich jetzt noch verrückt mache- was kann da alles passieren beim Katheter? Der kann ausrutschen. Der kann auch mal ne zittrige Hand haben oder was weiß ich. Wenn ich mich dadurch verrückt machen sollte, dann habe ich ja kein Vertrauen. Dann mache ich mich selbst bekloppt. Ich habe es nur erlebt, dass viele gefragt haben: "Machst Du das zum ersten Mal oder zum zweiten Mal? Wie ist das denn so? Was passiert denn da eigentlich? Wie geht das denn? Tut das weh, wenn der dann da reinpickt? Was ist die Aorta?" Ja, was die Aorta ist, das habe ich dann diesen Herren- ja mit den Damen hatten wir ja nichts zu tun- erklärt, wenn die mich gefragt haben, wenn ich da eingeliefert wurde und musste nochmal zur Nachuntersuchung. Und dann haben ich denen das erklärt, aber ich habe Ihnen nicht zuviel erzählt. Ich persönlich selbst auch nicht. Der eine war auch schon öfters da gewesen im Krankenhaus, der hat dem einen da was erzählt- ich habe das so mitgehört- der hat seine Sachen genommen, hat gepackt und ist abgehauen. Hier wird deutlich, dass Wissen auch negativ gesehen werden kann, da ein aufgeklärter Patient möglicherweise realistischere oder höhere Vertrauenserwartung (oder durch das Wissen auch eine höhere Verantwortung) hat als ein ahnungsloser Patient, der passiv und kooperativ sein muss, damit ihm geholfen wird. In Klaus‘ (42) letztem Interviewauszug ist auch bereits ein dritter zentraler Aspekt erkennbar, der die Patientenrolle maßgeblich beeinflusst: die Befindlichkeit: K: Also sicherlich, als ich da gelegen habe, zurückhaltend, hilflos, ich glaube, das ist auch relativ normal, wenn es einem schlecht geht, man will, dass einem geholfen wird, und dann ist man schon etwas zurückhaltender und hofft nur, dass sie einem helfen und gut ist. Aus heutiger Sicht, aufgrund der ganzen Erfahrung, ich würde sicherlich viel mehr auch hinterfragen. Wenn’s einem schlecht ist, und man sowieso keine andere Wahl hat, dann ist einem das relativ gleichgültig, was ȱ
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passieren kann und was die einem da erzählen, man will nur, dass einem geholfen wird. Ja, wie eben schon angedeutet, ich hatte ja auch viele Phasen dazwischen, wo ich sowas von fix und fertig war, ich lag im Bett im Krankenhaus und mir liefen die Tränen, weil ich einfach fertig war, ich konnte nicht mehr, wenn da Pfleger, Schwester oder auch ein Arzt kommt und das mitkriegt und sich für einen interessiert und einem ein paar tröstende Worte gibt, dann hilft das schon eine ganze Menge. In den Interviews wird die eigene Befindlichkeit zum Zeitpunkt des Krankenhausaufenthalts sehr häufig erwähnt. Wie auch schon im Abschnitt 3.1.2 und im Abschnitt 3.2 zur Medizinsoziologie skizziert, stehen Patienten aufgrund verschiedener Aspekte unter extremen Stress im Krankenhaus. Die eigene Empfindlichkeit steige, wie Angelika (56) mit Nachdruck erzählt: A: […] Wenn man da nach einer Untersuchung auf dem Flur lag, da kommt das Pflegepersonal und die guckten dann von oben nach unten drunter. Man ist dann schon sehr empfindlich, wenn man krank ist und da liegt. Und das war im katholischen nicht. Die grüßen egal ob sie dich am Tag mehrmals sehen. Einfach nur freundlich. A: […] Man ist ja ganz empfindlich, wenn man krank ist und wenn Dir was weh tut und du liegst in dem Bett. Da liegst du ja sowieso, weil du mit dem Bett hin und her gefahren wirst, fühlst du dich da sowieso nicht so toll. Und wenn die dann so von oben runter gucken da drauf, das ist blöd. Da war ich auch nur eine Woche. In den Erzählungen vieler Probanden ist zu beobachten, dass dieses eigene generelle Unwohlsein dazu führt, dass sie sich als Patient kooperativ und passiv verhalten, auch wenn es ihnen eigentlich nicht gefällt. Beispielsweise erklärt Angelika (56), nicht diskutieren zu können, wenn sie sehr krank sei: A: Ich glaub, das war auch in nem evangelischen Krankenhaus, da hab ich gesagt, ich möchte, dass mein Mann hier drin bleibt. Da hat der gesagt, ich aber nicht. Waren wir auch hier in einem evangelischen Krankenhaus. War so ein Oberarzt, weiß gar nicht mehr, wie der hieß. V: Mit irgendeiner Erklärung oder? Hat er nicht gesagt wieso? A: Nene.
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V: Und wie ist es geendet? A: Ja, er ist dann rausgegangen. Und da war ich aber auch ziemlich krank. Und das ist ja immer so, wenn ich ziemlich krank bin, dann kann ich zwar noch ganz bestimmt was sagen, aber nicht groß diskutieren. Also ich finde es gut, wenn denn der Arzt mit auf's Bett setzt, oder irgendwie so, das finde ich, ist kein Thema. Aber das sind die mittlerweile auch schon würd’ ich sagen. V: Also das merkt man schon, dass das lockerer wird? A: Jaja. Andrea (38) hat sich zwar beschwert, meint aber, sie würde heute anders reagieren und sich direkt ganz oben beschweren. Auch Jörn und Holger beschreiben, dass sie sich im Krankenhaus extrem schlecht fühlen, was bei den beiden in Kombination mit negativen Erlebnissen dort allerdings zu einer eher konfrontativen und aktiven Haltung führt. Andersherum sorgt eine relativ gute Befindlichkeit dafür, dass Patienten entspannter mit der Situation umgehen, wie Cornelia (48) schildert: C: Wollte ich gerade sagen, wer ist schon gern im Krankenhaus, aber ich fand das jetzt auch nicht so schlimm, ich war jetzt auch nicht so schlimm erkrankt, dass man sagen könnte 'Es war ganz schrecklich', ne so habe ich das nicht empfunden, also ich habe mich da eigentlich schon immer gut aufgehoben gefühlt und versorgt. Also eigentlich der Sorgen enthoben, weil Du bist krank, Dir geht es schlecht, und die versuchen halt, Dich wieder gesund zu machen. Der letzte Aspekt, der die Patientenrolle beeinflusst, ist die Rolle der Person, die dem Patienten gegenüber steht, also die komplementäre Rolle der Bezugsperson (siehe z.B. auch Nerdinger 2000). Je nachdem, welche Rolle Ärzte, Pfleger oder sonstige Personen nach außen tragen, passt sich die Rolle der Patienten an oder Konflikte entstehen. Gerda (66) erzählt beispielsweise von einer Visite, bei der der dominante „Professor“ sie auf ihren vermeintlichen Herzinfarkt nach ihrer Operation anspricht, weswegen sie aus ihrer Fachklinik in ein anderes Krankenhaus transportiert wurde: G: Bei der ersten Visite, kann ich mich erinnern, da kommt da so ein ganzer Rattenschwanz mit dem Professor dann an und der liest ja dann vor, was sie gemacht haben, dem Professor, 'Ach', sagt er 'haben Sie so gemacht, wie ich Ihnen das gesagt habe', von wegen mit dem Abschleifen und und und, 'und dann war ȱ
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Frau XY [Gerda selbst] noch in Stadt XY, da waren Komplikationen' - 'Ja, was haben Sie denn da gemacht?' sagt der zu mir. Ich habe überhaupt nichts gemacht! Statt, dass ich mal sage 'Was habt Ihr denn da gemacht?' Aber das sagt man dann auch nicht. Auch Dieter (65) kennt diese Situation: D: Ja, das fällt einem ja manchmal auch wieder ein, ist genauso wie beim Arzt, da gehst Du raus, da sagst Du 'Hättest Du danach nicht noch fragen sollen?' So ist das im Krankenhaus genauso. V: Wie kommt das wohl? D: Ja, das kommt... Ich glaube, man ist immer so ein bisschen geschockt, wenn die Visite kommt, da ist nicht nur einer, das sind zwei, das sind vier, das sind sofort sieben, acht Mann, und stehen dann alle so rum, und dann weiß ich nicht, ob man da das Flattern kriegt oder irgendwas, ich weiß es nicht, aber ich glaube, dass man sich zu sehr konzentriert da drauf. Je aktiver also der Gegenpart, desto passiver ist die Rolle, in die der Patient gedrückt wird. Je aufgeklärter der Gegenpart, desto uninformierter kommt sich der Patient vor. Dies lässt sich auch daran verdeutlichen, dass viele Patienten dem Chefarzt gegenüber großen Respekt zollen, den Krankenpflegern gegenüber aber deutlich aktiver, aufgeklärter und konfrontativer gegenübertreten. Zusammenfassend sind die vier Faktoren und ihr Einfluss in Abbildung 24 dargestellt:
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gut vs. schlecht
Eigene Befindlichkeit
viel vs. wenig
Erfahrung
Medizinisches Wissen
Rolle der Bezugsperson
hoch vs. gering
Patienten-Rolle • • • •
aufgeklärt/uninformiert sachorientiert/personenorientiert aktiv/passiv kooperativ/konfrontativ
Abbildung 24: Einfluss diverser Faktoren auf die Patientenrolle
Somit lautet die Arbeitshypothese 7 folgendermaßen: Proposition 7: Die Patientenrolle wird durch vier verschiedene Faktoren beeinflusst, nämlich die eigene Erfahrung (viel vs. wenig), das (medizinische) Wissen (hoch vs. gering), die eigene Befindlichkeit (gut vs. schlecht) und die Rolle der Bezugsperson.
Nach der schrittweisen Erläuterung der einzelnen Konstrukte soll nun noch einmal zusammenfassend das Gesamtmodell präsentiert und diskutiert werden. 5.3.2.1.4 Zusammenfassung Die Analyse der 20 Patienteninterviews resultierte in einem holistischen und für alle Probanden gültigen Prozessmodell, welches die Vertrauensbildung von Patienten in ein Krankenhaus mit ihren zentralen Einflussfaktoren darstellt (siehe Abbildung 25). Vergleicht man das Modell mit den in den Abschnitten 3.3.4.1 und 3.3.4.2 zur Vertrauensbildung skizzierten Modellen und Mechanismen, scheint das von Thorne und Robinson (1988b) im medizinischen Kontext entwickelte Stufenmodell relativ gut mit dem vorliegenden Modell vereinbar zu sein. Thorne und Robinsons drei Stufen des „Naive trusting“, „Disenchantment” und „Guarded alliance” von Familienmitgliedern chronisch Kranker lassen sich gut auf Kranȱ
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kenhauspatienten übertragen, die zu Beginn mit einem institutionellen Vertrauensvorschuss (siehe Abschnitt 5.3.3.2) ins Krankenhaus gehen, ohne es näher zu kennen, bei zu hohen Erwartungen aufgrund des Abgleichs mit ihren Erlebnissen negative Erfahrungen und somit Misstrauen entwickeln, was schließlich zu einer Modifikation der Rolle, daher veränderten (realistischeren) Erwartungen, somit anderen Erfahrungen und in Folge zur Rekonstruktion des Vertrauens führen kann. „According to the informants of our study, one of the most significant features of evolving health care relationships is the shift in patients’ expectation of health care providers and the health care system” (Thorne und Robinson 1988a, S. 786). Thorne und Robinson (1988b) sprechen in diesem Zusammenhang von der informierten Perspektive unter Zuhilfenahme von Strategien der Kooperation, Humanisierung und Neubewertung von Ereignissen, was sich im entwickelten Modell im Konstrukt der Patientenrolle wieder finden lässt. Auch das recht ähnliches Stufenmodell der intimen, persönlichen Beziehung von Boon und Holmes (1991) (von einer „romantischen Liebe“ über eine „Bewertungsstufe“ hin zu einer „akkomodativen Beziehungsstufe“) lässt sich gut mit dem Modell der Vertrauensbildung von Patienten ins Krankenhaus vereinbaren, da auch hier ähnliche Mechanismen ablaufen: Eine Idealisierung der Vertrauensperson verbunden mit Hoffnung, der eine Bewertung folgt, in der sich „echtes“ Vertrauen bildet, der sich eine Verfestigung von Vertrauen anschließt.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
viel vs. wenig
gut vs. schlecht
Erfahrung
Eigene Befindlichkeit
Medizinisches Wissen
Rolle der Bezugsperson
hoch vs. gering
Patienten-Rolle aufgeklärt/uninformiert sachorientiert/personenorientiert aktiv/passiv kooperativ/konfrontativ
Vertrauenserwartungen
Abgleich Ist - Soll Ist=Soll Ist>Soll
Ist<Soll
Positive Erfahrungen
erhöhen
Personal Organisation Ausstattung Sonstiges
verringern
Relationales Vertrauen
Negative Erfahrungen
erhöhen
Relationales Misstrauen
Abbildung 25: Gesamtmodell der Vertrauensbildung
Dwyer et al.’s (1987) fünfphasiges Beziehungsentwicklungsprozessmodell einer B2BBeziehung widerspricht dem entwickelten Modell nicht, lässt sich aber auch nur bedingt auf die Patient-Krankenhaus-Beziehung übertragen, da keine gleichwertigen Machtverhältnisse existieren. Normen und Erwartungen entstehen bereits vor dem Eintritt ins Krankenhaus und es kommt aufgrund der relativen Kurzfristigkeit der Beziehung eines Patienten zum Krankenhaus (für die Dauer der Erkrankung) selten zur Expansion oder einer Commitment-Phase. Eine Ausnahme stellen hier die chronisch Kranken dar (z.B. Klaus und Angelika). Auch die ȱ
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Auflösung einer Beziehung ist hier nicht als Folge von Unzufriedenheit zu sehen, sondern markiert i.d.R. mit einer Heilung einen positiven Abschluss. Doney und Cannons (1997) fünf vertrauensbildende Prozesse, die auf der „formation of a trustor’s expectations about the motives and behaviors of a trustee“ (Doney und Cannon 1997, S. 37) basieren, lassen sich bei der Vertrauensbildung von Patienten in Krankenhäuser wieder finden. Dabei ist der kalkulative Prozess, bei dem Kosten und Nutzen gegenübergestellt werden, nur bedingt zu übertragen, da nicht alle Patienten eine Alternative zum Krankenhausbesuch haben und somit einem gewissen Zwang unterliegen, der sie nicht frei Kosten und Nutzen abschätzen lässt. Zu beobachten ist aber, dass viele Patienten sowohl Nutzen (die Gesundung) als auch Kosten (vor allem psychische) hoch einschätzen. Die anderen Prozesse des Vorhersagens, der Bestimmung der Fähigkeiten (Kompetenz), der Ableitung der Absichten (Wohlwollen) und der Übertragung von Vertrauen durch einen vertrauenswürdigen Dritten (Empfehler) können bestätigt werden. Lewicki und Bunkers (1995, 1996) dreistufiges Modell der Vertrauensentwicklung, in denen jeweils eine andere Vertrauensart (Kalkulatives Vertrauen, wissensbasiertes Vertrauen, identifikationsbasiertes Vertrauen) vorrangig präsent ist, die sich anhand verschiedener Mechanismen beschreiben lässt, erscheint hingegen weniger geeignet, die Vertrauensbildung von Patienten und Krankenhäuser zu erklären, da das kalkulative Vertrauen nur bedingt zu übertragen ist (s.o.) und das identifikationsbasierte Vertrauen sich aufgrund der eher kurzen Beziehungsdauer seltener entwickelt. Auch die in Abschnitt 3.3.4.2 diskutierten Mechanismen der Vertrauensbildung können alle in den Probanden-Interviews wiedergefunden werden. Es zeigt sich besonders, dass Vertrauen relativ stabil zu sein scheint, was bei der Mehrheit der Befragten zu beobachten ist. Vor allem der „Feedback-Loop“ und die Rolle der „prior beliefs”, die Probanden zu bestätigen suchen, lässt sich an zahlreichen Stellen nachweisen. Wer mit großem Misstrauen ins Krankenhaus ging (z.B. Jörn und Holger), sucht nach Bestätigung und findet diese auch. Interessant ist, dass sich auch beide geschilderten gegensätzlichen Effekte des „Vergebens“ und des „Betrogenfühlens“ in Interviews widerspiegeln. Während Margarete beispielsweise von einigen kleineren negativen Erlebnissen im Krankenhaus berichtet (z.B. Blutschmiererei nach der Operation, Bettpfannenvorfall, siehe Abschnitt 5.2.1), denen sie aber keine große Bedeutung zuzumessen möchte, fühlt sich der zu Beginn vertrauensvolle Klaus in seinem Krankenhaus „verraten und verkauft“.
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Zusammengefasst lässt sich also feststellen, dass das entwickelte Modell sich mit bestehenden Modellen der Vertrauensbildung vereinbaren lässt und Hinweise darauf gibt, wie genau der Prozess beeinflusst wird. Da alle Mechanismen der Vertrauensentwicklung bestätigt werden konnten, gibt das Modell ferner Antworten darauf, warum beispielsweise Margarete dem Krankenhaus einiges verzeiht, während Klaus oder auch Jörn und Holger sich betrogen fühlen. 5.3.2.2 Determinanten des Patientenvertrauens ins Krankenhaus “It is important to understand which factors are important for patient-physician trust, how patient trust is established and maintained, and what the consequences are of high and low trust or lack of trust” (Thom und Campbell 1997, S. 170). Mit dem Fokus auf dem relationalen Vertrauen eines Patienten in das Krankenhaus sollen kurz die wichtigsten Aspekte skizziert werden, die die Befragten als vertrauensfördernde Faktoren im Krankenhaus sehen. Da bereits zahlreiche Studien zu konkreten Determinanten des Vertrauens existieren (siehe Abschnitt 3.3.4.3), sollen diese im Rahmen des folgenden Abschnitts nicht allzu ausführlich dargestellt werden. Wenn man die Interviews hinsichtlich vertrauensfördernder Aspekte analysiert, stellen sich fünf Bereiche als besonders bedeutsam heraus (siehe Abbildung 26). Auf Ebene des Krankenhauses lassen sich drei Faktoren besonders herausstellen: 1. die Reputation, 2. die Atmosphäre und 3. die Organisation des Hauses. Auf Ebene der Ärzte und des Pflegepersonals (die zugleich auch die beiden zentralen Vertrauenspersonen im Krankenhaus darstellen, siehe Abschnitt 5.3.3.3) sind es zwei weitere Aspekte, die für Vertrauen bei Patienten sorgen und auf beide Gruppen in nahezu identischer Art und Weise zutreffen. 4. diverse Aspekte der Qualität der Interaktion und 5. Kompetenz. Diese sind auch in der Literatur als zentrale Determinanten identifiziert worden (siehe Abschnitt 3.3.4.3).
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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Krankenhaus
Organisation
Reputation
Atmosphäre
Qualität der Interaktion Aufklärung Zeit nehmen Hilfsbereitschaft/ Aufmerksamkeit Freundlichkeit Sympathie
Kompetenz Pflegepersonal
Erfahrung Auftreten Bestimmtheit Routine Reputation
Ärzte
Abbildung 26: Determinanten des Vertrauens ins Krankenhaus
Falls das Krankenhaus dem Patienten nicht bekannt sein sollte, d.h. noch keine persönlichen Erfahrungen dort gemacht wurden, ist vor einem Krankenhausaufenthalt die Reputation des Krankenhauses das zentrale Kriterium für Patienten, sich für ein Krankenhaus zu entscheiden (siehe auch Mechanic 1998a). Susanne (37) bestätigt das, hat allerdings auch schon gute Erfahrungen in ihrem Krankenhaus gemacht. V: War der Arzt der einzige Faktor des Vertrauens oder gab es noch etwas im Krankenhaus, in das man Vertrauen hatte? S: Das Krankenhaus hat sicher einen sehr guten Ruf, also ich als Patientin, ich als laienhafte Patientin, die ich nicht Medizinerin bin, kann mich eigentlich nur nach dem Ruf und nach eigenen Erfahrungen richten. Und die stimmten. Auch Maren (28) hält den Ruf eines Krankenhauses für sehr wichtig, der sich in der Zusammenarbeit ihrer Hebamme mit ihrem Krankenhaus verstärkt: V: Was macht allgemein aus Ihrer Sicht die Vertrauenswürdigkeit eines Krankenhauses aus? M: Tja, der gute Ruf vielleicht.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
V: Wie entsteht der? M: Tja, schwer zu sagen, Mundpropaganda. Also, ich bin jetzt z.B. ins Katholische gegangen, weil mein Arzt gesagt hat "Da kannst Du gut hingehen", weil die Hebamme gesagt hat... ja, gut, sie arbeitet da halt mit, aber die Ärzte sind gut, und dann fühlt man sich gut aufgehoben, und dann - denke ich - kommt das automatisch, dass man den Ärzten dann auch vertraut, und dass man dann da hingeht. Falls das Krankenhaus schon einmal aufgesucht worden war, ist es vor allem die Atmosphäre, die entscheidend für die befragten Probanden zu sein scheint (z.B. Nicola, Britta L., Klaus, Susanne, Irmgard). Die Atmosphäre scheint sämtliche wichtigen Aspekte zusammenzufassen und einen ersten Hinweis zu geben, wie es im Krankenhaus zugeht und wie der Aufenthalt sich gestalten könnte. Auch das äußere Erscheinungsbild wird mehrmals erwähnt, da dies auch zur generellen Atmosphäre beitragen kann. Ingrid (64) bewertet die Atmosphäre hauptsächlich auf Basis der Krankenhausmitarbeiter und ihrem Verhalten: V: Was ist der erste Gedanke, der Ihnen zu diesem Krankenhaus kommt? I: Ganz toll geführt. V: Ja, wie merkt man das? Was war so toll? I: Diese Atmosphäre, man kommt da rein, man wurde SEHR freundlich empfangen, man wurde sehr freundlichen empfangen und - ich weiß nicht - dieses ganze Umfeld war nicht wie Krankenhaus, das war... egal, von der Schwester an bis zum Chef, die waren sowas von bereit, mit einem zu sprechen, mit Freundlichkeit, nicht, wie manche sagen "Ach, ist ja nur Patient" oder so, die haben sich auch 20 Minuten und die dritte Frage, die nochmal die gleiche war, die haben sie nochmal erklärt, das Krankenhaus fand ich spitze. Auch Angelika (56) hält die Atmosphäre für einen wichtigen Indikator: A: Ja, dieser Kontrast zu dem evangelischen Krankenhaus, wo die einfach so sagen, eine gewisse Freundlichkeit, die vielleicht nicht immer, aber die steht und fällt denke ich auch mit den Ärzten. Wenn die nicht so ganz, dann ist das Personal auch nicht so. Oder wenn der Verwaltungschef nicht so ganz, es steht und fällt ja immer mit der Hierarchie, meine ich. Ob du jetzt in 'ne normale Arztpraȱ
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xis gehst, wenn der ein vernünftiges Verhältnis hat zu dem Personal, dann bist du als letztes Glied vielleicht, kriegst du es ja auch mit. So die Atmosphäre einfach. Der dritte Aspekt der Vertrauenswürdigkeit eines Krankenhauses ist die Organisation des Hauses (siehe auch Scott et al. 1995). Nicht nur Holger (36) hält dies für bedeutsam: H: Dass da ein Umfeld herrscht, was erstens organisiert ist, gut, ich kann jetzt nur die Umkehr von meinen bisherigen Erfahrungen sagen, dass ein Umfeld herrscht, wo man das Gefühl hat, man ist da nicht irgendwie auf sich selbst gestellt, sondern es sind Leute da, die... das Ganze ist organisiert, man ist in einem organisierten Umfeld, die Leute wissen, was sie tun, und natürlich, dass das Umfeld so ist, dass es einer Gesundung nicht entgegen steht. Probanden wie Klaus, Bianca, Dieter, Angelika und Marcus bewerten vor allem den Informationsfluss und Umgang des Personals miteinander, das darauf hindeuten kann, wie gern das Krankenhauspersonal seine Arbeit verrichtet. Britta L. (28) betont die Abstimmung der Mitarbeiter, die man als Patient mitbekomme: B: Man muss das Gefühl haben, dass der Laden läuft. Dass das Zusammenspiel zwischen den Menschen am Empfang, Pflegepersonal und Ärzten, dass das funktioniert. Dass da der Arzt Bescheid weiß, auch wenn man gar nicht mit ihm persönlich geredet hat, dass da halt einfach Informationen dann auch weitergegeben werden, dass die Kommunikation untereinander stimmt. V: Und das kriegt man so mit als Patient? B: Ja. V: Indem man z.B. mit dem Arzt nicht gesprochen hat und der aber Bescheid weiß? B: Er war nicht im Gespräch mit mir, aber trotzdem Sachen weiß, die ich ihm eigentlich gar nicht gesagt habe. War schon wichtig. Oder der sich dann auf Sachen rückbezogen hat, die ich mit einem anderen Arzt besprochen hatte. Da hat man halt gemerkt, die haben irgendwann ihr Meeting gehabt und dann wurde mein Fall besprochen. Und das fand ich schon wichtig, dass man das Gefühl hatte, es wurde untereinander auch einfach abgestimmt. Die beiden letzten Aspekte der Vertrauenswürdigkeit von Krankenhäusern (Interaktion/Kommunikation und Kompetenz) lassen sich auf Ebene der Ärzte und des Pflegepersonals
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
beobachten. Hier sind diverse Aspekte zu nennen, anhand derer die Qualität der Interaktion bewertet wird: Sympathie, Aufklärung, Zeit nehmen, Hilfsbereitschaft/Aufmerksamkeit und Freundlichkeit stellen die wichtigsten dar und werden zahlreich in allen Interviews erwähnt. Cornelia (48) beispielsweise findet Freundlichkeit entscheidend: V: Gibt es sonst noch irgendwelche Dinge, woran man die Vertrauenswürdigkeit eines Krankenhauses beurteilt? C: Ja, auf jeden Fall am Pflegepersonal. V: Wie muss das sein? C: Ja, auf jeden Fall relativ nett, freundlich, dass die mit einem reden und nicht nur einfach das Essen da hinknallen. Angelika (56) wünscht sich gleichrangige Gespräche mit den Ärzten: V: Ok. Ja, was macht allgemein aus deiner Sicht, die Vertrauenswürdigkeit eines Krankenhauses aus? A: Die Gespräche. V: Die Gespräche des Personals, der Ärzte, des Pflegepersonals? A: Der Ärzte genau. Gespräche mit dem Arzt, wenn man da irgendwie, da kann man schon irgendwie versuchen, Vertrauen raus zu ziehen. V: Wie muss so ein Gespräch sein? A: Auf gleicher Ebene, nicht so von oben herab oder so, das muss schon irgendwie so… Denke ich einfach so. Auf gleicher Ebene. Auch Irmgard (57) legt Wert auf Aufklärung durch die Ärzte, da diese die Angst vor dem Ungewissen nimmt: V: Inwieweit sind Sie generell ein vertrauensvoller/-bereiter Patient? Inwieweit fassen Sie schnell Vertrauen? I: Das liegt mit dem Erstgespräch zusammen. Der erste Kontakt, ja. Sie kriegen ja eine Einweisung, und dann kommen Sie ja zum ersten Mal mit Ihrem behanȱ
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delnden Arzt in Berührung, zu diesem Erstgespräch. Ja, und dann, ich geh jetzt von mir aus, dann kann ich sagen "Also, da habe ich Vertrauen zu, der hat Dich sehr gut aufgeklärt, Du weißt, wo es lang geht", ja, und dann ist das in Ordnung. Wenn ich zu einem Arzt komme, der da gegenüber sitzt und auf die Uhr schaut und auf seine fünf oder zehn Minuten irgendwas erzählt, und Sie gehen raus und haben das Gefühl "Ja, was hat er jetzt überhaupt gesagt?", das gefällt mir nicht, also das würde mich schon stören. Aber wenn dieser Erstkontakt gut verläuft und Sie raus gehen und sagen "So, das hast Du jetzt alles wunderbar verstanden, er hat Dich gut aufgeklärt, alles andere wird sich finden". V: Also Aufklärung ist zentral? I: Für mich jetzt, ja. Obwohl den Ärzten ja jetzt auch oft die Zeit fehlt, weil die ja auch so ihre Minuten vorgegeben kriegen von den Krankenkassen, soundsoviel Minuten... Der Kompetenzaspekt wird natürlich ebenfalls von allen Probanden erwähnt, ist aber von Patienten schwierig zu beurteilen. Daher versuchen sie, Kompetenz aus Aspekten der Interaktion abzuleiten (siehe auch Mechanic 1998a, S. 665; Montaglione 1999, S. 6). Das Auftreten (siehe Klaus), die Bestimmtheit (siehe Nicola, Klaus), Aufklärung (siehe Kurt, Cornelia, Dieter) und Routine (siehe Maren) sind Indikatoren für Kompetenz. Nicola (35) nimmt es so wahr: V: Wieso hatte man Vertrauen in die Hebammen? Was genau hat einem gezeigt, dass man denen vertrauen kann? N: Also, die hatten schon Ahnung. V: Wie hat man das gemerkt? N: Ja, die sind ruhig geblieben, die waren alle sehr freundlich, das fand ich ganz gut, die sind alle sehr ruhig geblieben, und... also ich war da ja vorher schon ein paar Mal, ich wollte ja eigentlich eine Unter-Wasser-Geburt, in der Badewanne entbinden, das war ja mein Traum, weil das sollte ja so toll sein, da ist natürlich nichts draus geworden, aber ich war da halt schon ein paar Mal vorher, weil meine Hebamme da ja schließlich auch gearbeitet hat, und sie hat mir dann schon mal Blut abgenommen, weil da soll ja vorher so ein Test gemacht werden, HIV und Hepatitis, und wenn Du in einer Badewanne entbinden willst, darfst Du das nicht haben, da muss ein Test gemacht werden, ich glaube, dreimal vorher waren wir schon da, einmal zur Generalprobe einen Tag vorher, also man kannte
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
die Leute schon teilweise, und das war schon in Ordnung, ich fand die alle sehr freundlich, sehr kompetent, sehr bestimmend, also die wussten, was sie zu machen hatten, und in dem Moment machst Du das dann auch. Auch Susanne (37) möchte im Krankenhaus gesund werden und wünscht sich daher kompetente Ärzte und Pfleger: V: Was ist Ihnen bei einem Krankenhausaufenthalt wichtig? S: Dass ich gesund werde. Aus die Maus, mehr gibts da nicht. Hauptsache, ich komme heile wieder raus, kompetente Ärzte, kompetentes Pflegepersonal, und dann möchte ich schnell und heile wieder nach Hause, aber die netten Nebenerscheinungen, wie ein Einzelzimmer und so, das ist alles nicht sooo wichtig, das ist nur nett, dafür zahlt man ja auch viel Geld. Je mehr Du zahlst, desto besser das Hotel. Susanne spricht hier auch bereits die Themen Zimmer und Essen an, die sie als nicht so wichtig ansieht. Diese Meinung wird von vielen Probanden bestätigt, obwohl Rahmenbedingungen wie Essen, Betten und Ausstattung interessanterweise ein großes Thema in jedem Interview darstellen. Es scheint, dass diese Faktoren für die Zufriedenheit im Krankenhaus höchst entscheidend sind, sofern die „Hygienefaktoren“ Qualität der Interaktion/Kommunikation und Kompetenz erfüllt sind. Wenn man sich die restlichen in der Vertrauensliteratur im medizinischen Kontext genannten Vertrauensfaktoren anschaut (siehe Abschnitt 3.3.4.3), lassen sich also Interaktion/Kommunikation und Kompetenz in den Interviews klar identifizieren. Der Aspekt der gemeinsamen Entscheidung kann in den Interviews nicht als Determinante für Vertrauen bestätigt werden. Diese Erwartung hängt eng mit der Patientenrolle zusammen und wurde von den wenigsten Probanden geäußert. Jörn als aktiver, sachorientierter und aufgeklärter Patient stellt da eine Ausnahme dar. Obwohl sich alle Befragten eine gewisse Aufklärung wünschen, ist die Teilnahme an der Therapieentscheidung allerdings nicht gewünscht. Die Zufriedenheit der Befragten hängt sehr stark mit ihrem Vertrauen ins Krankenhaus zusammen, unklar ist allerdings, ob Zufriedenheit als Determinante oder als Konsequenz von Vertrauen zu sehen ist (siehe auch Abschnitt 3.3.4.3). Unter den Probanden gibt es keinen Fall, in dem das eine ohne das andere vorhanden ist. Die Beziehungsdauer kann nicht als Determinante für Vertrauen bestätigt werden, da hier kein Zusammenhang ersichtlich ist. Auch recht kurze Krankenhausaufenthalte konnten von Beȱ
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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fragten als vertrauensvoll beschrieben werden (z.B. Britta K., Cornelia, Anja, Marcus). Bezüglich der Wahlmöglichkeiten lässt sich keine klare Aussage treffen, da eigentlich nur Holger keine Wahlmöglichkeiten im Bezug auf das Krankenhaus hatte (sein HNO-Arzt hatte dort Belegbetten). Obwohl er mit seinem Aufenthalt recht unzufrieden ist, scheint dies auch an einigen anderen Faktoren zu liegen und ist nicht primär auf die eingeschränkte Wahl zurückzuführen. Auch die Charakteristiken der Patienten schließlich, von denen einige in empirischen Studien als Einflussfaktoren des Vertrauens bestätigt wurden, lassen sich in dieser Arbeit nicht klar als diese identifizieren. So wird kein eindeutiges Muster bezüglich des Alters, der Bildung und der persönlichen Erfahrung erkannt. Wie aber bereits im Vertrauensmodell erläutert, beeinflussen Wissen und Erfahrung die Patientenrolle, die wiederum über die Vertrauenserwartungen auf das Vertrauen wirkt (siehe Abschnitt 5.3.2.1.3). Nachdem nun die (relationale) Vertrauensbildung von Patienten ins persönliche Krankenhaus detailliert erläutert wurde, soll der nächste Abschnitt Erkenntnisse zu den verschiedenen Vertrauensebenen, Vertrauensobjekten/-personen und Effekten zwischen diesen thematisieren. 5.3.3
Vertrauensebenen, -objekte und Effekte in Krankenhäusern
In diesem Abschnitt soll erläutert werden, ob Patienten zwischen verschiedenen Vertrauensebenen unterscheiden (institutionell vs. relational) (siehe Abschnitt 5.3.3.1), wie diese Ebenen sich beeinflussen (siehe Abschnitt 5.3.3.2), welche Vertrauensobjekte/ -personen sie im Krankenhaus wahrnehmen (siehe Abschnitt 5.3.3.3) und ob es Effekte zwischen diesen gibt (siehe Abschnitt 5.3.3.4). 5.3.3.1 Vertrauensebenen Alle befragten Patienten unterscheiden deutlich zwischen Krankenhäusern im Allgemeinen und speziellen Krankenhäusern, die sie näher kennen oder sogar besucht haben. Klaus (42) z.B. differenziert zwischen der institutionellen Ebene, die für Hilfe steht, und den beiden Krankenhäusern in zwei verschiedenen Städten, die für sehr unterschiedliche Erfahrungen stehen: V: Welches Bild haben Sie von Krankenhäusern allgemein? Wofür stehen Krankenhäuser für Sie? K: Ja, für Hilfe, Fürsorge, ich habe also das Glück gehabt, dass ich die meisten Male in Stadt XY im Krankenhaus lag, in einer Fachklinik, und die waren alle sehr sehr nett, wir haben’s auch schon mal anders erlebt, aber wie gesagt, dort war alles super.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Wie bereits in den letzten Abschnitten angedeutet, hegen alle Patienten einen gewissen Grad an generellem Vertrauen auf institutioneller Basis, das als Substitut wirkt, bevor sich relationales Vertrauen in das spezifische Krankenhaus bilden kann. Das institutionelle Vertrauen ist eine Grundvoraussetzung für den Krankenhausbesuch und die dortige Behandlung, sofern keine Erfahrungen mit einem Krankenhaus bestehen. Marcus (28) bestätigt das: M: „Wenn ich kein Vertrauen habe, würde ich garantiert nicht in das Krankenhaus gehen und operieren lassen. Weil, wie gesagt, ich habe keine Erfahrungen. Ich bin dahingegangen und hätte ich sofort gesehen, dass der Arzt da in Lumpen rumrennt und sich nicht die Hände wäscht oder so, dann klar, dann hätte ich natürlich auch meine Zweifel.“ Auch Britta L. (28) verdeutlicht dieses generelle Vertrauen: V: Inwieweit hatten Sie Vertrauen ins Krankenhaus? Worin genau? B: Ich habe einfach darauf vertraut, dass diese Ärzte, die mich eben operiert haben, dass die ihren Beruf und ihre Technik und ihr Handwerk gut beherrschen. Hier ist die Profession als Indikator für Kompetenz zu verstehen. Auch viele andere Befragte thematisieren ihr Vertrauen in die medizinischen Professionen, differenzieren aber trotzdem, wie z.B. Holger (36): H: […] Weil ich denke, es gibt immer gute und schlechte Krankenhäuser. Ich bin jetzt nicht der Meinung, dass Krankenhäuser schlecht sind, totaler Quatsch, nur diese Sache im Speziellen war jetzt negativ für mich, das heißt natürlich nicht, dass es sonstwo auch schlecht ist. Wenn ich jetzt in ein Krankenhaus mit einem sehr guten Ruf gehe, gehe ich davon aus, dass das gut ist. Die erfahrene Angelika (56) hält Vertrauen für sehr wichtig. Dies wäre aber auch berechtigt, da man davon ausgehen könne, dass Ärzte nur Gutes bewirken wollten. Für sie scheint z.B. (Operations-)Erfolg mehr mit Glück zu tun zu haben: A: Ja wenn du kein Vertrauen hast, dann kannst du es schlecht überstehen das ganze. Die wollen dir ja nichts Böses. Die sind ja nicht boshaft oder was. Die tun ja das bestmögliche. Und das Vertrauen musste haben. Ich hab ja vor der Operation. Da kam er dann nochmal zu mir hin. Was hab ich ihm da nochmal gesagt? Da sagte ich ihm „Ne glückliche Hand!“ oder irgend sowas in der Richtung. Ich ȱ
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hatte mir vorher überlegt. Der braucht ja nur ein bisschen Stress zu haben bei ihm zu Hause. Autos fahren nicht an, Streit mit der Frau oder was. Da willste ja auch wissen. Wieso? Der will ja auch mein bestes. Der will mir ja nicht weh tun oder ne. So ein Vertrauen musst du in dem Augenblick dann auch haben. Anders ist es schlecht zu überstehen. Ich denke, wenn der Tag dann da ist mit der Operation, dann werd ich eigentlich immer ruhiger. Im OP selbst sind die auch ganz lieb. Und erklären dir alles und so weiter. Während institutionelles Vertrauen die Grundvoraussetzung für eine Krankenhausbehandlung darstellt und bereits vor einem Besuch existiert, zeigt sich erst beim konkreten Aufenthalt in einem Krankenhaus, ob sich relationales Vertrauen entwickelt. Wie bereits erläutert, erklären einige Befragte, dass sie „kein besonderes“ Vertrauen in das Krankenhaus oder seine Mitarbeiter gebildet hätten (z.B. Holger, Bianca, Marcus). Bei ihnen war entweder der Aufenthalt zeitlich zu kurz oder der Kontakt zum Personal zu gering. Andere haben völlig losgelöst vom institutionellen Vertrauen relationales Vertrauen oder Misstrauen gebildet. Daher lautet Arbeitshypothese 8: Proposition 8: Patienten trennen klar in institutionelle und relationale Ebenen des Vertrauens in Krankenhäuser. Wie bereits in Abschnitt 3.3.5 dargestellt, ist die Trennung der Ebenen in der Theorie akzeptiert und wird immer wieder aufgegriffen. „Public trust should be distinguished from interpersonal trust“ (Straten et al. 2002, S. 227). Weniger Erklärungen findet man allerdings zur Entstehung dieser Trennung und ihren Ursprüngen. Meist wird erklärt, Vertrauen in einen bekannten Arzt basiere auf persönlicher Erfahrung und individueller Persönlichkeit, während Vertrauen in Ärzte im Allgemeinen von professionellen Institutionen, Regelungen und Medienberichten geprägt sei (siehe z.B. Mechanic 1996, 1998a). Auch Goold (2001) unterscheidet zwischen interpersonellen und institutionellen Vertrauen und skizziert Ähnlichkeiten und Unterschiede. Sie erklärt, dass institutionelles Vertrauen mit höheren Erwartungen an die Kompetenz, allerdings auch mit geringeren Erwartungen an Wohlwollen verbunden sei. Dies lässt sich anhand der Interviews bestätigen. Während das institutionelle Vertrauen direkt mit Kompetenz einhergeht, wird interpersonelles Vertrauen häufiger mit Aspekten des Wohlwollens genannt. Empirische Arbeiten zur Analyse der beiden Ebenen existieren kaum. Einen vorsichtigen Anfang wagen Balkrishnan et al. (2003), die einen Vergleich zwischen den Konstrukten Vertrauen in den eigenen Arzt, Vertrauen in Versicherer und Vertrauen in medizinische Profession
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
anstellen. Dafür berechnen sie Korrelationen zwischen den Vertrauenskonstrukten und verschiedensten Variablen 123 . Sie erkennen, dass die Vertrauenskonstrukte stärker mit Beziehungsaspekten als mit Patientencharakteristika korrelieren, und entdecken verschiedene Muster an Wechselwirkungen für die drei Konstrukte, die demnach inhaltlich unterschiedlich sein müssen. 5.3.3.2 Einflüsse zwischen den Ebenen Trotz der unterschiedlichen Grundlagen (eigene Erfahrung vs. Öffentlichkeit und Medien) beeinflussen sich beide Vertrauensebenen in großem Maße gegenseitig. Vertrauen und Misstrauen sollen dabei als separate Konstrukte, die parallel existieren können, beibehalten werden (siehe Abschnitt 5.3.1.2). Abbildung 27 fasst die zentralen Effekte und Einflüsse zusammen, bevor sie schrittweise hergeleitet werden. Öffentlichkeit, Medien, etc. bilden
Institutionelle Ebene
Institutionelles Vertrauen
Bestätigt oder gleicht an
Führt zu Vertrauensvorschuss
Relationales Vertrauen
Institutionelles Misstrauen
Bestätigt oder gleicht an
Führt zu Misstrauensvorschuss
Relationales Misstrauen
Relationale Ebene bestätigen
verringern
Positive Erfahrungen
erhöhen
Negative Erfahrungen
Abbildung 27: Effekte zwischen den Ebenen und Einfluss von Erfahrungen
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ȱ
Z.B. Alter, Einkommensklasse, Gesundheitszustand, Wechselverhalten, Wartezeiten beim Arzt etc.
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
187
Die Einflüsse, Effekte und Wechselwirkungen sollen nun im Detail dargestellt und mit Probandenaussagen untermauert werden. Institutionelles Vertrauen und auch Misstrauen bildet sich hauptsächlich durch die Öffentlichkeit und Medien. Öffentlichkeit umfasst hier die generelle Gesellschaft, aber auch konkrete Bezugspersonen wie Freunde, Bekannte, Verwandte o.ä., deren Erfahrungen in Erzählungen kommuniziert werden und so zur Meinungsbildung beitragen können. Schon in der Kindheit wird vermittelt, dass Professionen wie Ärzte einen bestimmten Status innehaben und Krankenhäuser in einer Monopolstellung primär die Aufgabe verfolgen, Kranke zu heilen und zu pflegen, was für Vertrauen sorgt. Da Medien heutzutage eine dominante Rolle in der Information und Unterhaltung einnehmen, sind sie imstande, Einstellungen und Erwartungen von Menschen in großem Maße zu prägen. Gerade Krankenhaus- und gesundheits(politische) Themen sind präsent in den Medien, da sie recht häufig angesprochen werden. Berichte in den Medien können sowohl Vertrauen (durch positive Meldungen) als auch Misstrauen von Patienten (durch negative Meldungen) begünstigen. Maren (28) gibt zu Beginn ihres Interviews an, im Krankenhaus Angst zu haben vor Bakterien und Keimen, über die sie in den Medien gehört hat („Krankenhäuser machen krank“). Nicht zu unterschätzen ist auch die deutlich intensivierte Öffentlichkeitsarbeit der Krankenhäuser in den letzten Jahren, die darauf abzielt, Vertrauen in der Bevölkerung zu schaffen. Dem gegenüber stehen Berichte über gesundheitspolitische Aspekte, die mehrheitlich eher Misstrauen schüren. Weiterhin wird institutionelles Vertrauen bzw. Misstrauen indirekt über eigene persönliche Erfahrungen beeinflusst. Diese prägen das relationale Vertrauen und Misstrauen in ein bestimmtes Krankenhaus und in einem weiteren Schritt auch das Vertrauen und Misstrauen auf institutioneller Ebene. Zusammenfassend lässt sich zur Bildung des institutionellen Vertrauens bzw. Misstrauens also folgende Arbeitshypothese aufstellen: Proposition 9: Institutionelles Vertrauen bzw. Misstrauen in Krankenhäuser entwickelt sich vor einem Krankenhausaufenthalt und wird kontinuierlich durch Öffentlichkeit, Medien und eigene Erfahrungen modifiziert. Diese Aussage wird in der vorhandenen Literatur gestützt, wenn auch nicht näher untersucht. So fassen Hall et al. (2001) in ihrem Literatur-Review zu „Vertrauen in Ärzte und medizinische Institutionen“ lediglich zusammen: „Trust in a known physician has a much different foundation, based primarily on personal experience and individual personality, than trust in a health plan or trust in doctors in general, which is based more on professional institutions, legal/regulatory protections, and media portrayals“ (Hall et al. 2001, S. 219f; siehe auch Mechanic 1996; Mechanic und Schlesinger 1996; Goold 1998; Mechanic 1998a). Vertrauen in
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
einen bekannten Arzt basiere also auf persönlicher Erfahrung und individueller Persönlichkeit, während Vertrauen in Ärzte im Allgemeinen von professionellen Institutionen, Regelungen und Medienberichten geprägt ist. Dabei gleicht das institutionelle Vertrauen dem von Anderson und Dedrick (1990) vorgestellten „unquestioned trust“, während das auf offener Kommunikation basierende Vertrauen das relationale Vertrauen darstellt. Thorne und Robinson (1988a) bestätigen in ihrer empirischen Untersuchung, dass bei vielen Patienten instituionelles Vertrauen in die Profession der Ärzte vorab vorhanden ist: „The accounts confirmed that patients entered into health care relationships with an almost absolute trust in the professionals who would provide care“ (Thorne und Robinson 1988a, S. 783). Auch Lewis und Weigert (1985, S. 982) weisen darauf hin, dass Vertrauen als Annahme in allen Situationen präsent ist: “professionals are typically “trustworthy” and clients typically trust them”. Institutionelles Vertrauen bzw. Misstrauen beeinflusst einerseits das relationale Vertrauen bzw. Misstrauen, indem es einen Vertrauens- bzw. Misstrauensvorschuss gibt. Dies gilt sowohl für Vertrauen in Krankenhäuser als auch in Ärzte sowie Pfleger, die hier aber nicht im Detail betrachtet werden sollen. Abbildung 28 fasst die zentralen Mechanismen zusammen.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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Öffentlichkeit, Medien, etc. bilden
Institutionelle Ebene
Institutionelles Vertrauen
Bestätigt oder gleicht an
Führt zu Vertrauensvorschuss
Relationales Vertrauen
Institutionelles Misstrauen
Bestätigt oder gleicht an
Führt zu Misstrauensvorschuss
Relationales Misstrauen
Relationale Ebene
Abbildung 28: Einfluss von institutionellem Vertrauen bzw. Misstrauen auf relationales Vertrauen bzw. Misstrauen
Beispielhaft sei Klaus (42) genannt, der sich aufgrund seines hohen institutionellen Vertrauens und geringem Misstrauens in Krankenhäuser nicht umfassend informiert und sich zunächst an das nächste Krankenhaus wendet, in dem er dann allerdings schlechte Erfahrungen macht und in eine Fachklinik wechselt: V: Wieso gerade Stadt XY? Wie haben Sie das Krankenhaus ausgewählt? K: Weil das Krankenhaus eine Koloproktologische Abteilung hat, der Ruf geht weit über die Stadgrenzent hinweg, da kommen also Leute aus ganz Deutschland, teilweise aus dem Ausland. Nur als ich das erste Mal ins Krankenhaus kam, das ging alles so schnell, da habe ich mir gar keinen Kopf drum gemacht, dass ich dorthin gehen könnte. Auf das Krankenhaus bin ich erst gekommen, als ich in Stadt XY ja im Grunde derbe auf die Schnute gefallen bin, und mir dann das andere in den Kopf kam. Ich habe 10 Jahre in Stadt XY gewohnt, deshalb wusste ich das eigentlich, aber ich habe nicht dran gedacht.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Auf die Frage nach Vertrauen erklärt Klaus, dass das erst mal für ihn kein Thema gewesen sei. Dies deutet wiederum auf sein institutionelles Vertrauen hin, welches dem relationalem Vertrauen in ein bestimmtes Krankenhaus zu Beginn einen Vertrauensvorschuss gibt: V: Und in Stadt XY, als sie ins Krankenhaus gegangen sind, hatten Sie ja auch erst mal ein gewisses Vertrauen, dass Ihnen geholfen wird. Und dann hat sich das ja nicht bestätigt. Oder wie würden Sie das beschreiben? K: Ja, an das Vertrauen habe ich erst mal gar nicht gedacht, da war ein Krankenhaus, und ich war krank, und irgendwo musste ich hin, dort gibt es zwei, ich hätte in das eine oder in das andere gehen können, nur in der Situation war es mir fast egal. Auch bei Cornelia (48) ist zu erkennen, dass ihr hohes relationales Vertrauen ins persönliche Krankenhaus auf hohem institutionellem Vertrauen basiert, zumindest, was ihre Blinddarmerkrankung angeht. Folgende zwei Passagen aus ihrem Interview zeigen dies sehr gut: V: Inwieweit hatten Sie Vertrauen ins Krankenhaus? C: Ja, ich war ja jetzt nicht so schwer krank, das tat zwar weh, aber es war jetzt nicht so, dass... Ich habe dann Medikamente bekommen, dass es eben nicht mehr ganz so weh tut, aber so ein bisschen muss das einfach. V: Aber man muss doch schon Vertrauen haben...? C: Ne. V: Und wenn wirklich eine OP nötig gewesen wäre? C: Dann hätten die mich schon operiert, also da bin ich mir sehr sicher. V: Und dann hätte man doch schon Vertrauen gebraucht, dass die das auch gut machen, oder? C: Ja, ich meine, so einen Blinddarm operieren, das kann doch wohl jeder, oder nicht? (Lachen) Ich glaube, das ist jawohl eine der leichtesten Übungen, die man haben kann als Mediziner. … ȱ
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V: Inwieweit sind Sie generell ein vertrauensvoller/-bereiter Patient? Inwieweit fassen Sie schnell Vertrauen? C: Ich denke mal, alle Ärzte wissen mehr als ich über Gesundheit bzw. wenn ich das nicht mit meiner Wärmflasche hinkriege, dann denke ich mal schon, dass die mehr wissen darüber, und dann habe ich schon oft vertraut eigentlich. Andrea (38) spricht von einem Grundvertrauen in Krankenhäuser, welches sie zu Beginn hatte und welches in ihrem Krankenhaus „erschüttert“ wurde, womit sie eigentlich eher die Entstehung von Misstrauen meint (siehe Abschnitt 5.3.2.1.1). Hier existierte wenig institutionelles Misstrauen, welches nun angepasst, also erhöht wurde: A: Grundvertrauen ist da, weil’s ein Krankenhaus ist. Die haben ja häufig auch mal studiert und die Leute haben das Wissen und Können um einem kranken Menschen zu helfen. Das ist das Grundvertrauen, aber das ist erschüttert worden eigentlich. Nach der Diagnose. Aber erst bin ich dahin gegangen, yo, die helfen mir jetzt. Haben sie ja auch. Auffällig ist, dass vor allem Befragte mit wenig Krankenhauserfahrung häufig ein relativ hohes institutionelles Vertrauen und geringes institutionelles Misstrauen aufweisen. Bei Befragten wie Anja, Britta K., Marcus und Maren, die bisher als Patienten maximal zweimal im Krankenhaus gelegen haben, ist dies deutlich zu erkennen. Wenn sie bei ihren Aufenthalten keine negativen Erfahrungen gemacht haben, differenzieren sie weniger zwischen verschiedenen Krankenhäusern. Anja (26) drückt es so aus: A: Also eigentlich habe ich generell Vertrauen zu Ärzten oder zu Krankenhäusern, weil ich denke einfach, ich weiß es nicht besser und da habe ich einfach Vertrauen zu, weil ich denke die helfen einem. V: OK, und zu allen Ärzten gleich, oder macht man da schon mal Unterschiede, oder auch bei Krankenhäusern? A: Ja vielleicht bin ich da etwas blauäugig, aber eigentlich zu allen gleich. Das geringe institutionelle Misstrauen begünstigt also generell ein geringes relationales Misstrauen von Patienten. Andererseits kann relationales Vertrauen zu bestimmten Krankenhäusern wiederum auch institutionelles Vertrauen bestätigen oder angleichen. Dies liegt daran, dass spezifische Erfahrungen einzelner Personen die Sicht auf Krankenhäuser im Allgemeinen verändern. Abbildung 29 fasst die zentralen Mechanismen zusammen.
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Institutionelle Ebene
Institutionelles Vertrauen
Bestätigt oder gleicht an
Führt zu Vertrauensvorschuss
Relationales Vertrauen
Institutionelles Misstrauen
Bestätigt oder gleicht an
Führt zu Misstrauensvorschuss
Relationales Misstrauen
Relationale Ebene
bestätigen
verringern
Positive Erfahrungen
erhöhen
Negative Erfahrungen
Abbildung 29: Einfluss von Erfahrungen und relationalem Vertrauen bzw. Misstrauen auf institutionelles Vertrauen bzw. Misstrauen
Durch persönliche positive Erfahrungen während eines Krankenhausaufenthalts werden das relationale Vertrauen und somit auch das vorhandene hohe institutionelle Vertrauen bestätigt oder angeglichen. Durch positive Erfahrungen wird das relationale Misstrauen verringert und somit auch das institutionelle Misstrauen bestätigt oder verringert. Durch negative Erfahrungen wird das relationale Misstrauen erhöht und das institutionelle Misstrauen bestätigt oder angeglichen. Zu beachten ist in diesem Modell, dass positive Erfahrungen das relationale Vertrauen bestätigen, welches zu einem gewissen Grad immer vorhanden ist. Auch die negativen Erfahrungen können das relationale Vertrauen nicht verringern, sondern stets nur das Misstrauen erhöhen124. Anja, Britta K., Marcus und Maren sind Beispiele für Patienten, die überwiegend gute Erfahrungen gemacht haben und daher auch recht vertrauensvoll ihrem Krankenhaus und in Folge auch Krankenhäusern im Allgemeinen gegenüber stehen. Dies geht einher mit einem relativ geringen Misstrauen, welches sich auch in der Tendenz zeigt, dass diese Personen sich vorab
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Wie in Abschnitt 5.3.1.2 erläutert, schließt sich ein hohes Vertrauen und ein hohes Misstrauen nicht aus.
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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eher weniger intensiv mit der Krankenhauswahl und alternativen Kliniken auseinandersetzen und häufig auf Empfehlungen vertrauen, wie z.B. Britta K. (30): V: Wenn Sie sich ein Krankenhaus aussuchen, wie wichtig ist die Vertrauenswürdigkeit? B: Ja, so ganz richtig aussuchen kann man es sich ja auch nicht, dann vertraue ich schon auf meinen Hausarzt dann, je nachdem, der behandelnde Arzt eben, dass der für mich dann das richtige Krankenhaus in dem Punkt dann aussucht, weil man kann sich ja auch nicht bei jederlei Krankheit das dann alles so genauestens... ist natürlich positiv, wenn man jetzt ein Kind kriegt, dass man sich die Station ansieht und das ganze Umfeld dann, aber ich denke mal, ansonsten vertraue ich auf den Arzt, dass der für mich dann schon das richtige Krankenhaus aussucht. Dann ist für mich auch nicht so wichtig, natürlich ist für mich auch schon wichtig die Zimmerwahl, aber noch wichtiger ist für mich, dass die Ärzte dann kompetent sind, also dass ich wirklich das Gefühl habe, mir wird da geholfen und ich werde da nicht hingehalten, und bringt doch alles nichts. Persönliche negative Erfahrungen haben je nach Bewertung der Person einen gravierenden Einfluss auf das relationale und in der Folge auch auf das institutionelle Misstrauen. Negative Erfahrungen sorgen dafür, dass in einem ersten Schritt das relationale Misstrauen erhöht und somit das vorhandene institutionelle Misstrauen erhöht wird bzw. ein bereits erhöhtes institutionelles Misstrauen bestätigt wird. Klaus (42) weist zu Beginn seiner schweren Erkrankung, der 17 Krankenhausaufenthalte von je bis zu 3 ½ Wochen folgen werden, ein geringes institutionelles Misstrauen auf. Aufgrund seiner negativen Erfahrung im ersten NichtFachkrankenhaus wird relationales Misstrauen geweckt und damit auch sein institutionelles Misstrauen erhöht. Nach dieser Erfahrung gibt er zu, im zweiten Krankenhaus zu Beginn skeptisch gewesen zu sein, bevor gute Erfahrungen ihm ermöglicht haben, relationales Vertrauen (auf Basis des institutionellen Vertrauens) aufzubauen: V: Also im Nachhinein war alles richtig und haben Sie auch Vertrauen gehabt...[ins Fachkrankenhaus] K: Würde ich immer wieder hingehen! V: Inwiefern war das auch zu Beginn oder noch bevor Sie dorthin sind, war da auch schon Vertrauen da?
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K: Natürlich nicht, weil ich ja gerade den Nackenschlag hier im Krankenhaus bekommen habe, da hat man nicht viel Vertrauen bzw. hat man schon seine Skepsis, ob das jetzt diesmal [in der Fachklinik] gut geht, weil man die Leute ja auch nicht kennt, man kann sich das zwar anhören, dass es da Prof. XY gab, der das alles aufgebaut hat, und dass da schon mal ein Scheich gekommen ist, der sich da hat operieren lassen, das sind zwar Sachen, die bauen dann die Angstzustände schon etwas ab, aber seine Zweifel hat man schon. Also die Zweifel mit der Operation, ob das alles gut geht, die hat man sicherlich, aber die Situation, wie ich eingangs sagte, mit dem Fragebogen von der Schwester, sich um einen kümmern, das war schon toll, das war schon toll, wir haben eine Speisekarte - das mag belanglos sein - aber wir haben eine Speisekarte gehabt, da konnte man bis zu 35 Komponenten am Tag aussuchen, das war ein Hotelessen, von den Komponenten, sicher schmeckt nicht alles, aber die Geschmäcker sind ja auch verschieden, ich war immer rundum satt. Auf die Frage, wie Klaus zwischen den beiden Krankenhäusern in seiner Heimatstadt ausgewählt hat, verweist er auf eine Empfehlung. Heute würde er sich mehr Gedanken machen, da für ihn die Notwendigkeit zur Vorsicht gewachsen ist, also sein relationales Misstrauen zu erhöhtem institutionellen Misstrauen geführt hat: K: Ich glaube, irgendjemand hat mir gesagt - ich glaube sogar, das war das Katholische, wo ich drin war - irgendjemand hat mir gesagt 'Geh ins Katholische!', aber ich will mich da nicht festlegen, könnte auch das Evangelische gewesen sein. Wenn ich das nicht kenne, und irgendjemand, ein Mensch meines Vertrauens, sagt 'Geh dort hin! Da bist Du gut aufgehoben, das würde ich empfehlen', dann gehe ich erst mal da hin. Heute würde ich mir mehr Gedanken machen. Wenn Patienten ein hohes institutionelles Misstrauen aufweisen (welches sich auch aufgrund von negativen Erfahrungen, also relationalem Misstrauen gebildet hat), sind sie also deutlich skeptischer als andere Patienten. Jörn (24) ist hier ein Paradebeispiel: V: Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Krankenhäuser denken? Welches Bild haben Sie von Krankenhäusern allgemein? J: Also, ich denke mal, das beste Krankenhaus taugt nichts. V: Wieso? ȱ
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J: Weil irgendwas immer... also erstmal geht es einem sowieso schlecht, wenn man im Krankenhaus ist, das ist jetzt vielleicht ein bisschen... aber über irgendwas ärgert man sich da immer, sei es das Personal, sei es das Zimmer selber, oder sei es, dass die eigene Krankheit nicht so richtig weggeht oder wie auch immer, also, wenn ich an Krankenhaus denke, ist das irgendwie eher ein unwohles Gefühl. V: Wie sehr haben eigene Erfahrungen zu diesem Bild geführt? Inwieweit sind das Ihre eigenen Erfahrungen oder Erlebnisse von Freunden/Bekannten etc.? J: Größtenteils eigene Erfahrungen, weil ich ja schon öfter im Krankenhaus war, aber auch durch familiäre Erfahrungen, also sprich meine Oma oder mein Vater, die hatten schon ziemlich schlimme Sachen, da habe ich auch in der Intensiv schon ziemlich schlimme Sachen gesehen, das prägt halt irgendwie auch, aber es ist auch unterschiedlich, ob Du jetzt eine Momentaufnahme hast, und siehst, dass es anderen Leuten schlecht geht oder auch man selber irgendwie über einen langen Zeitraum denkt "Boah, ich möcht jetzt hier raus", ich lieg mit jemand anders auf dem Zimmer und will das überhaupt nicht oder so. Jörns negative eigene und familiäre Erfahrungen prägen sein deutlich ausgeprägtes institutionelles und somit in Folge auch sein relationales Misstrauen. Er ist sehr skeptisch und argwöhnisch, obwohl er eigentlich Vertrauen in sein Krankenhaus hat (siehe auch Abschnitt 5.3.1.2). Er möchte kein uneingeschränktes Vertrauen haben, sondern sich stets absichern: V: Wie würdest Du es im Nachhinein beurteilen? J: Mit dem Vertrauen? V: Ja. J: Also ich finde, man soll nicht direkt alles, was die einem sagen, so schlucken, man kann auch selbst mal mit Verstand darüber nachdenken, auch wenn man nur Laie ist. Vielleicht sehen die auch manche Zusammenhänge nicht, weil man vielleicht nicht alles in irgend einem Gespräch mal erwähnt hat, was man mal hatte oder haben wird oder dass man noch nebenbei Stress hat oder was weiß ich. Klar, Vertrauen ist ganz gut, kann man sicherlich auch haben, aber nicht uneingeschränkt.
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Nach der punktuellen Darstellung der Effekte lässt sich folgende Arbeitshypothese 10 ableiten: Proposition 10: Institutionelles Vertrauen bzw. Misstrauen beeinflusst relationales Vertrauen bzw. Misstrauen von Patienten in Krankenhäuser. Relationales Vertrauen bzw. Misstrauen beeinflusst wiederum auch wieder das institutionelle Vertrauen bzw. Misstrauen. Bereits Mechanic (1996) bemerkte, dass „due to possible halo effects, patients’ trust in their personal physicians may influence their trust in a hospital or health plan affiliated with their physicians, or the correlative may be true: institutional trust may influence individual trust“ (Mechanic 1996, S. 174; siehe auch Mechanic und Schlesinger 1996; Gray 1997; Mechanic 1998; Buchanan 2000; Hall et al. 2001). Straten et al. (2002) ziehen auf Basis ihre empirischen Studie den Schluss, dass persönliche Erfahrungen wichtig für das institutionelle Vertrauen seien (siehe auch Goold 2001). Dies könne daran liegen, dass das relationale Vertrauen in Ärzte und Pflegepersonal generalisiert werde (Mechanic 1998a, 1998b). Dies wurde aber nur vermutet, noch nie empirisch bestätigt. Andererseits sei das relationale Vertrauen und die Fähigkeit, starke und langfristige Vertrauensverbindungen aufzubauen, abhängig vom institutionellen Vertrauen, welches durch Medien oder andere „avenues of social meaning“ gebildet werden (siehe Goold 1998; Mechanic 1998; Rousseau et al. 1998; Goold 2001; Hall et al. 2002b). Dieser Vertrauensvorschuss sei sehr wichtig auf Seiten der Patienten, die noch nichts über das Krankenhaus wissen und somit noch kein relationales Vertrauen bilden konnten, um effektiv behandeln zu können (Axelrod und Goold 2000). „Institutional trust develops when individuals must generalize their personal trust to large organizations made up of individuals with whom they have low familiarity, low interdependence, and low continuity of interaction“ (Lewicki und Bunker 1995, S. 137). Auch Rousseau et al. (1998) sehen das institutionelle Vertrauen getrennt vom kalkulativen (siehe Abschnitt 3.3.3) und relationalen Vertrauen und entwickeln folgendes Modell, das die zeitliche Bedeutung der verschiedenen Vertrauensarten abbildet (siehe Abbildung 30, Rousseau et al. 1998, S. 401). Somit besteht das institutionelle Vertrauen bzw. Misstrauen parallel zum zuerst eher kalkulativen, später relationalen Vertrauen bzw. Misstrauen.
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Relationales Vertrauen Kalkulatives Vertrauen Institutionelles Vertrauen
Früh
Mitte
Später
Entwicklungszeit
Abbildung 30: Vertrauensmodell
Dass die institutionellen und relationalen Ebenen sich gegenseitig beeinflussen, ist also bereits in der wirtschaftswissenschaftlichen wie auch in der medizinischen Vertrauensforschung bekannt. Allerdings gibt es bisher kaum Studien, die diese Effekte empirisch nachweisen oder sogar quantifizieren könnten. 5.3.3.3 Vertrauensobjekte/-personen im Krankenhaus Dieser Abschnitt befasst sich mit den Vertrauensobjekten innerhalb eines Krankenhauses, die von den Patienten wahrgenommen werden. Die Befragten wurden dazu sowohl implizit als auch explizit aufgefordert, wichtige Personen und Aspekte zu benennen, die für ihr Vertrauen ins Krankenhaus wichtig gewesen seien. Da den Patienten vor dem eigentlichen Krankenhausaufenthalt in den meisten Fällen Vertrauenspersonen wie Ärzte oder andere Mitarbeiter nicht bekannt waren, verwundert es nicht, dass vorab das Krankenhaus an sich als Vertrauensobjekt bezeichnet werden kann. Hier ist es die Reputation/der „Ruf“, die Atmosphäre, das Erscheinungsbild des Hauses, welches näher betrachtet wird (siehe Abschnitt 5.3.2.2). Auch Ärzte oder bestimmte Stationen des Krankenhauses können als Vertrauensobjekt dienen, weil diese oftmals eine Reputation unabhängig vom Krankenhaus genießen, gerade wenn es um speziellere Erkrankungen geht. Britta L., Nicola, Irmgard und Angelika beispielsweise bewerten weniger das komplette Krankenhaus, sondern eher einzelne Chefärzte und ihre Stationen (vgl. auch Abschnitt 5.3.1.1). Während des Aufenthalts im Krankenhaus sind Ärzte und Pflegepersonal zentrale Vertrauenspersonen für Patienten, sofern ausreichender Kontakt bzw. Beziehungen bestehen. Hier wird von vielen Befragten festgestellt, dass generell sehr wenig Kontakt zu Ärzten besteht, nicht nur bei den jungen Müttern, die mehr mit Hebammen und dem Pflegepersonal zu tun
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
haben, sondern auch bei vielen anderen, wie z.B. Gerda (66) schildert (unterbrochen von ihrem Mann): V: Gab es sonst noch Personen, mit denen Sie zu tun hatten? Welche Personen waren besonders wichtig? Zu welchen Personen hatten Sie eine Art Beziehung? G: Eigentlich nur zu den Schwestern. D: Ja, und zu den Pflegern. Da waren gar keine Pfleger, ne? G: Ja, ein Pfleger war da, genau einer. D: Das sind eigentlich die Hauptpersonen, das muss man ganz ehrlich sagen, die Schwestern mit ihren Pflegern. G: Die haben das eigentlich alles selber gemacht, die Schwestern. V: Und die Ärzte sind nicht häufig aufgetaucht? G: Nö, nur bei der Visite waren sie dann dabei mit dem Professor zusammen, sonst hatte man mit denen gar nichts mehr zu tun gehabt. Auch Susanne (37) gibt an, während ihres Aufenthalts keinen intensiven Kontakt zu Ärzten gehabt zu haben: S: Die Ärzte sind schnell rein und raus. Mit den Ärzten hat man als Patient ja nicht viel zu tun, die kommen, wenn man Glück hat, sieht man sie zur Visite und kann ein paar Fragen stellen, aber abhängig bist Du da eigentlich von dem Pflegepersonal. Die Ärzte operieren Dich nur, und das wars. Trotzdem spielen Ärzte eine gewichtige Rolle für Diagnose, Therapie und daher auch den Behandlungserfolg, was alle Probanden auch so sehen. Britta L. (28) hält den behandelnden Arzt für die zentrale Vertrauensperson: V: Welche Personen waren besonders wichtig beim Vertrauensaufbau? B: Das war hauptsächlich der Arzt auch. Und dann ist natürlich noch gut, wenn alle anderen drumherum auch nett sind und freundlich und sich kümmern, aber ich glaube, Vertrauen, das hat hauptsächlich der Arzt wachgerufen.
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Die befragten Patienten differenzieren dabei meist, ob es sich um einen Chefarzt, einen Stationsarzt, einen Oberarzt oder einen Assistenzarzt handelt. Nicht nur die älteren Probanden betonen vielfach, dass sie vom Chefarzt behandelt wurden, worauf sie sehr viel Wert zu legen scheinen, wie z.B. Kurt (85) berichtet: V: Welche Personen haben Sie als wichtig wahrgenommen? Zu welchen Personen hatten Sie eine Art Beziehung? K: Zunächst man zu dem Arzt, dem behandelndem Arzt. V: Da gab es nur einen festen? K: Ja, das war der Chefarzt selber, bei dem ich in Behandlung war. Auch das Pflegepersonal wird als wichtige Vertrauenspersonengruppe genannt, da hier regelmäßiger und zuweilen engerer Kontakt bestehe und es näher zum Patienten stehe. Dieter (65) bestätigt, dass ein Vertrauensverhältnis zum Pflegepersonal bedeutsam sei: D: [...]Und da man nur praktisch bei der Visite alle paar Tage was mit der Ärztin zu tun hat, muss man einfach ein Vertrauensverhältnis haben zu den Pflegern und zu den Schwestern. Das ist sehr wichtig, weil die dann ja auch nur telefonieren, wenn was ist. In die Akte kucken und sagen ja, Mal die Tablette. Mach die noch ein paar Gramm höher. Sonst sieht man die ja nicht. Bei näherer Betrachtung scheint das Pflegepersonal für Zufriedenheit und Wohlfühlgefühl zu sorgen, für das Patientenvertrauen allerdings nicht zentral zu sein. Maren (28) schätzt die dauernde Präsenz sehr: V: Welche Personen haben Sie als wichtig wahrgenommen? Zu welchen Personen hatten Sie eine Art Beziehung? M: Eine richtige Beziehung oder sowas nicht, aber was ich schon ganz schön fand, waren halt die Schwestern, weil die halt immer da waren. Die Ärzte mussten dann... die waren weniger da, oder halt nur zur Visite oder wenn man Problemchen da waren, aber ansonsten halt die Schwestern, und wenn man da mal irgendwie Fragen hatte, Probleme hatte oder wenn man mal etwas brauchte oder wie auch immer, die waren sofort zur Stelle, also das war dann die wichtigste Person.
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Trotz der nicht unbedeutenden Rolle für das Wohlbefinden sieht Britta L. (28) das Pflegepersonal als austauschbar an: B: Ja, da ist schon eine Abstufung dazwischen, denn also, ich glaube, das Personal, also das Pflegepersonal und auch das Empfangspersonal ist eher austauschbar, als es die Ärzte wären, also für mich jetzt. Das Pflegepersonal, da habe ich jetzt, weil die auch viel mehr wechseln, die einzelnen gar nicht mehr so vor Augen, aber bei den Ärzten natürlich schon. Ich würde ja wegen eines Arztes in das Krankenhaus gehen, und nicht wegen des Pflegepersonals. Neben den Ärzten und dem Pflegepersonal werden einige weitere spezielle Vertrauenspersonen von den Probanden genannt. Die jungen Mütter erwähnen hier vor allem die Hebamme(n), die ihre Geburt geleitet haben, und spezielles Pflegepersonal wie Stillberaterinnen und Säuglingsschwestern, die sie beim Umgang mit dem Neugeborenen unterstützen und bei Notlagen (z.B. Stillproblemen) helfen (siehe z.B. Nicola). Stationspfleger, Diabetologin, Nachtschwester und Physiotherapeutin stellen besondere Bezugspersonen für einige Befragte dar, da diese entweder über die Aufenthalte hinweg zu Freunden wurden (Klaus und sein Stationspfleger) oder wichtige positive Akzente beim Aufenthalt setzten (siehe z.B. Andrea und ihre Diabetologin). Zur Unterscheidung verschiedener Vertrauensobjekte sind in der Literatur bereits einige Ansätze zu finden. In der Marketingliteratur ist empirisch belegt, dass Konsumenten multiple Facetten einer Dienstleistung trennen können und in ihre Bewertungen einbeziehen. Crosby und Stephens (1987) weisen nach, dass Konsumentenzufriedenheit mit Service sich in drei Facetten aufgliedern lässt: Zufriedenheit mit der Kontaktperson, mit der Kerndienstleistung und mit der Unternehmung. Auch Singh (1991) kann empirisch bestätigen, dass die Zufriedenheit von Patienten mit einer medizinischen Dienstleistung sich in drei Facetten (Arzt, Krankenhaus und Versicherung) spalten lässt. Weitere Studien trennen Vertrauensobjekte/personen wie Kundenkontaktmitarbeiter und das Management (Sirdeshmuk et al. 2002), die Verkäufer und die Herstellerfirma (Kennedy et al. 2001) sowie Verkäufer, das Produkt und das Unternehmen (Plank et al. 1999). Nach der Darstellung der wichtigsten Vertrauensobjekte/-personen folgen nun Erkenntnisse zu den Effekten zwischen diesen.
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5.3.3.4 Einflüsse zwischen den Vertrauensobjekten/-personen im Krankenhaus Wenn man untersucht, ob Effekte zwischen dem erläuterten Vertrauensobjekt Krankenhaus und den Vertrauenspersonen Ärzte und Pflegepersonal existieren, kommt man zu keinem klaren Ergebnis. Während einige Probanden klare Einflüsse von einem aufs andere Vertrauensobjekt bzw. auf die andere Vertrauensperson bemerken wollen, geben die anderen an, jedes Objekt bzw. jede Person(engruppe) für sich neu zu beurteilen. Kurt (85) gehört zu den Patienten, die einen Einfluss des Vertrauens in Ärzte auf das Vertrauen ins Pflegepersonal wahrnehmen und hat sogar einen passenden Spruch parat: V: Inwieweit beeinflusst sich das Vertrauen, welches Sie in den Arzt haben, mit dem Vertrauen, welches Sie in das Pflegepersonal haben? K: Da kann man sagen: Wie der Herr, so das Geschär! V: Kann man so denken? K: Ja! Wenn der Arzt seinen Laden auf Zug hat, ist das Pflegepersonal auch entsprechend. V: Und wenn nicht, wär’ man eher skeptisch? K: Ja. Auch Holger (36) bestätigt, dass das Vertrauen ins Pflegepersonal das Vertrauen in Ärzte beeinflussen könnte. Er führt das auf die Organisation des Personals zurück, die für ihn ein entscheidendes Vertrauensindiz ist: V: Inwieweit beeinflusst sich das Vertrauen, welches Sie in das Pflegepersonal haben, mit dem Vertrauen, welches Sie in die Ärzte haben? H: Das beeinflusst sich daher, dass man ein Gefühl von der Organisation des Krankenhauses bekommt. Wenn das Pflegepersonal gut organisiert ist, dann gehe ich erst mal davon aus, dass es bei den Ärzten auch so ist. Das ist für mich entscheidend. V: Und andersrum auch? H: Das ist so ein Gefühl. Wenn das verlottert daher kommt, dann denkt man sich ..., wenn das Personal schon so nachlässig ist, wie ist es dann mit den Ärzten?
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Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Ähnliches weiß auch Angelika (56) zu berichten, der erzählt wurde, dass Freundlichkeit des Pflegepersonals auf die „harte Schule“ des Verwaltungsdirektors zurückzuführen sei: A: Da hab' ich mal nachgefragt. Ich sag: „Wie kommt es eigentlich, dass Sie hier so freundlich sind?“ Da haben sie gesagt, dass wäre 'ne ganz harte Schule auch gewesen. Da hätte der Verwaltungsdirektor großen Wert drauf gelegt und hätte sie jedes Mal in die Ecke gezogen, wenn er gesehen hätte, sie hätten nicht gegrüßt. Und es ist einfach so eingeprügelt worden. Mehr oder weniger. Maren bestätigt die genannten Zusammenhänge nicht. Dieter sieht auch keinen Zusammenhang, da er stets aufs Neue optimistisch und vertrauensvoll sei. Auch Britta L. erklärt, dass sie sich ein unabhängiges Urteil über Personen bilde. Nicola (35) vollzieht ebenfalls keinen Transfer von Vertrauen ins Pflegepersonal zu dem in Ärzte, außerdem nicht von Vertrauen in Hebammen zu dem in Ärzte, da jede Person anders sei: V: Inwieweit beeinflusst sich das Vertrauen, welches Sie z.B. in die Hebammen hatten, mit dem Vertrauen, welches Sie in die Ärzte hatten? Überträgt sich das? N: Das sind ja zwei ganz unterschiedliche Personen, ich würde jetzt auch nicht sagen, dass jede Hebamme gleich vertrauenswürdig ist. Ich habe einfach nur Glück gehabt, die waren eigentlich alle ganz nett. Aber die Hebamme, die ich einen Tag vorher hatte, die fand ich jetzt z.B. nicht so nett, das ist auch immer die Befürchtung, dass man sagt 'Ich möchte keine doofe Hebamme unter der Geburt haben', diese Horrorgeschichten, die man dann hört, ich denke, das ist immer personenspezifisch. Einzig Klaus (42) scheint sich nicht festlegen zu wollen und äußert sich nicht eindeutig: V: Welche Personen haben Sie als wichtig beim Vertrauensaufbau wahrgenommen? K: Besonders wichtig war komischerweise als erstes, wie es auch in der Hierarchie so ist, die Schwestern und der Pfleger, also mich da gut behütet gefühlt zu haben, das war schon der erste Schritt, und dann konnte auch der Arzt kommen, und da zog sich das Faden dann weiter. V: Also würden Sie schon sagen, dass das Vertrauen, was Sie in die Schwestern zu Beginn gefasst haben, das Vertrauen, was Sie in die Ärzte dann hatten, irgendwie beeinflusst hat? ȱ
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K: Beeinflusst nicht, aber ich sage ja, der Faden der zog sich weiter. Die vorangegangenen Erläuterungen lassen sich in Arbeitshypothese 11 zusammenfassen. Proposition 11: Transfereffekte zwischen Vertrauensobjekten/-personen sind grundsätzlich möglich, aber patientenabhängig. In der Literatur finden sich einige Hinweise darauf, dass Transfereffekte zwischen Vertrauensobjekten/-personen vermutet und auch bereits bestätigt wurden. In den gängigen medizinischen Artikeln zu Patientenvertrauen werden Effekte klar vermutet, allerdings nur begrenzt empirisch bestätigt. Mechanic und Schlesinger (1996) beispielsweise vermuten, dass „trust in one’s physicians and nurses can flow from confidence in the competence and commitment of the institutions with which they are affiliated“ (Mechanic und Schlesinger 1996, S. 1693). Auch im wirtschaftswissenschaftlichen Kontext und insbesondere im Marketing sind gewisse Effekte belegt: So stellt beispielsweise Zaheer et al. (1998) fest, dass interpersonelles Vertrauen die Orientierung gegenüber der Organisation beeinflusst. Auch Sirdeshmuk et al. (2002) weisen nach, dass Vertrauen in Kundenkontaktmitarbeiter Vertrauen in die Geschäftspraktiken beeinflusst und umgekehrt. Nachdem nun Vertrauenskonzeptualisierungen, Vertrauensbildung und Vertrauenseffekte im Kontext von Krankenhäusern beschrieben wurden, soll ein abschließendes Fazit nun zur Schlussbetrachtung überleiten. 5.3.4
Fazit
In diesem Kapitel konnten auf Basis von 20 Patienteninterviews, die nach Prinzipien der Grounded Theory analysiert wurden, elf Arbeitshypothesen erarbeitet werden. Tabelle 16 fasst diese noch einmal zusammen:
204
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
Tabelle 16: Im Rahmen der Arbeit entwickelte Arbeitshypothesen
Entwickelte Arbeitshypothese
Abschnitt
Proposition 1: Patientenvertrauen in Krankenhäuser ist differenziert.
5.3.1.1
Proposition 2: Im Kontext des Krankenhauses sind Vertrauen und 5.3.1.2 Misstrauen von Patienten separate Konstrukte, die auch parallel existieren können. Proposition 3: Positive Erfahrungen fördern relationales Vertrauen und 5.3.2.1.1 verringern relationales Misstrauen. Negative Erfahrungen fördern relationales Misstrauen. Proposition 4: Die Vertrauenserwartungen eines Patienten beeinflussen 5.3.2.1.2 seine Erfahrungen. Proposition 5: Die Rolle des Patienten beeinflusst seine Vertrauenser- 5.3.2.1.3 wartungen. Proposition 6: Patientenrollen sind im Hinblick auf die Vertrauensbil- 5.3.2.1.3 dung während eines Krankenhausaufenthalts Änderungen unterworfen. Proposition 7: Die Patientenrolle wird durch vier verschiedene Fakto- 5.3.2.1.3 ren beeinflusst, nämlich die eigene Erfahrung (viel vs. wenig), das (medizinische) Wissen (hoch vs. gering), die eigene Befindlichkeit (gut vs. schlecht) und die Rolle der Bezugsperson. Proposition 8: Patienten trennen klar in institutionelle und relationale 5.3.3.1 Ebenen des Vertrauens in Krankenhäuser. Proposition 9: Institutionelles Vertrauen bzw. Misstrauen in Kranken- 5.3.3.2 häuser entwickelt sich vor einem Krankenhausaufenthalt und wird kontinuierlich durch Öffentlichkeit, Medien und eigene Erfahrungen modifiziert. Proposition 10: Institutionelles Vertrauen bzw. Misstrauen beeinflusst 5.3.3.2 relationales Vertrauen bzw. Misstrauen von Patienten in Krankenhäuser. Relationales Vertrauen bzw. Misstrauen beeinflusst wiederum auch wieder das institutionelle Vertrauen bzw. Misstrauen. Proposition 11: Transfereffekte zwischen Vertrauensobjekten/- 5.3.3.4 personen sind grundsätzlich möglich, aber patientenabhängig. Es konnte gezeigt werden, dass Vertrauen im Kontext des Krankenhauses einige Besonderheiten aufweist, aber auch nicht gänzlich verschieden zu anderen Vertrauenskonstrukten gesehen werden muss, da im Abgleich mit der Theorie immer wieder auf bestehende Ideen, Konzepte oder Studien aus ähnlichen Bereichen zurückgegriffen werden konnte. So konnte bestätigt ȱ
Empirische Ergebnisse der Hauptstudie
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werden, dass Vertrauen ins Krankenhaus differenziert nach Vertrauensobjekten/-personen und Tätigkeiten betrachtet werden muss. Auch die Beobachtung, dass Misstrauen ein separates Konstrukt zu Vertrauen darstellt, konnte im Rahmen dieser Arbeit klar bestätigt werden. Trotz der Rückgriffe auf bestehende Ideen und Konzepte konnten im Abgleich mit der Literatur auch einige innovative Beiträge geleistet werden. So konnte ein Modell der Vertrauensbildung von Patienten in Krankenhäuser entwickelt werden, welches zentrale Einflussfaktoren auf das Patientenvertrauen abbildet. Die Patientenrolle wurde als bedeutsames Konstrukt integriert und erklärt Vertrauens- und Misstrauenserwartungen von Patienten. Determinanten des Vertrauens in Krankenhäuser konnten identifiziert werden. Es konnte ferner nachgewiesen werden, dass eine institutionelle und relationale Ebene des Vertrauens in Krankenhäuser existiert und beide Ebenen sich beeinflussen, was auch in einem Modell dargestellt werden kann. Auch Vertrauensobjekte/-personen im Krankenhaus konnten vorgestellt und Effekte beschrieben werden.
6
Schlussbetrachtung
Im Rahmen der Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse der Arbeit kurz zusammengefasst. Es folgen daraus abgeleitete Implikationen für Wissenschaft und Praxis. Eine Reflexion der Güte der Arbeit wird unter Zuhilfenahme von gängigen Qualitätskriterien vorgenommen, um Limitationen zu erkennen. Ein kurzer Ausblick schließt die Arbeit ab. 6.1
Zusammenfassung der Arbeit
Krankenhäuser nehmen eine zentrale Stellung im Gesundheitssektor ein. Sie unterliegen seit einigen Jahren einem extremen Strukturwandel, mit dem sie zu kämpfen haben. Verschiedene Aspekte dieses Wandels führen dazu, dass sie verstärkt um Patienten werben und diese als ihre Kunden in den Mittelpunkt stellen müssen: “Hospitals have been the most visible institutions in the effort to make health care more like a private industry” (Blendon 1988, S. 3591). Da Krankenhausleistungen eine besondere Art der Dienstleistung darstellen, die zudem mit großen Informations- und Machtasymmetrien verbunden sind, ist das Vertrauen der Patienten ein zentraler Erfolgsfaktor für das dauerhafte Bestehen eines Krankenhauses geworden. Nur wenn sich Krankenhäuser verstärkt „kundenorientiert“ ausrichten, werden sie langfristig dem Ökonomisierunsgdruck standhalten können. Trotz der Wichtigkeit des Vertrauens in der Praxis sind Forschungsbemühungen zum Thema Patientenvertrauen ins Krankenhaus fast überhaupt nicht existent. Um Krankenhäuser in ihren Bemühungen um stärkere Kundenorientierung unterstützen zu können, ist es notwendig, wichtige Aspekte wie die Bedeutung von Vertrauen für Patienten und den Prozess der Vertrauensbildung zu untersuchen. Erkenntnisse zu den Ebenen des Vertrauens und wahrgenommenen Vertrauensobjekten/-personen im Krankenhaus können ferner helfen, die Vertrauensbildung von Patienten besser zu verstehen und in der Praxis zu fördern. Auf diese Weise kann eine ausreichende Fundierung des Krankenhausmarketing geleistet werden. Somit war es zentrales Ziel dieser Arbeit, die Rolle und Bildung von Vertrauen im System Krankenhaus zu erfassen, zu verstehen und umfassend abzubilden. Es wurde ein qualitativer Forschungsansatz verfolgt, da dieser ein tiefgehendes Verständnis der komplexen Thematik ermöglichte. So wurden zur Einarbeitung in einer ersten Phase der Arbeit Experten- und Fokusgruppeninterviews genutzt, die bereits Hinweise auf Vertrauensproblematiken gaben. Die Haupterhebung bestand aus halb-strukturierten episodischen Einzelinterviews mit Patienten, die nach ausgewählten Ansätzen der Grounded Theory (Glaser und Strauss 1967; Strauss und Corbin 1996, 1998) analysiert wurden. ȱ
Schlussbetrachtung
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Nach einer kurzen Einführung in die Grundzüge des deutschen Gesundheitssystems, sowie einer Beschreibung der existierenden Akteure und aktuellen Rahmendaten wurde der Krankenhaussektor skizziert und Entwicklungen beschrieben, mit denen Krankenhäuser zunehmend konfrontiert sind. Im anschließenden Theoriekapitel wurde in einem ersten Schritt eine Einordnung in den Dienstleistungskontext vorgenommen, welche zahlreiche Besonderheiten von Krankenhausleistungen herausstellte. Ein zweiter Abschnitt befasste sich mit medizinsoziologischen Überlegungen, die im Kontext der Arbeit bedeutsam erschienen, wie z.B. Patienten- und Ärzterollen, Beziehungsmodelle, Erkenntnissen aus der Krankenhaussoziologie und Asymmetrieaspekte. Zuletzt wurde die Vertrauensforschung thematisiert. Hier wurden vor allem gängige Definitionen, Konzeptualisierungen, bestehende Erkenntnisse zur Vertrauensbildung und zu Vertrauensebenen und –objekten präsentiert. Mit der Skizzierung der allgemeinen Vorgehensweise im Rahmen der Arbeit und einigen Grundlagen zur Grounded Theory wurde die Konzeption der empirischen Untersuchung vorgestellt. Dabei wurde auch das konkrete Vorgehen im Rahmen der Vorstudien beschrieben und näher auf die Planung, Durchführung und Analyse und Interpretation der Einzelinterviews eingegangen. Die Darstellung der empirischen Ergebnisse erfolgte in mehreren Schritten. Nach einer Beschreibung der Stichprobe und der einleitenden Darstellung zweier Einzelfälle wurden im Hauptteil die Ergebnisse aus der fallübergreifenden Analyse präsentiert, die wie folgt zusammengefasst dargestellt werden können. Patientenvertrauen ins Krankenhaus stellt ein komplexes Konstrukt dar. Dies äußert sich darin, dass Patienten es sehr differenziert bilden, es ein pauschales „Vertrauen ins Krankenhaus“ somit nicht gibt. So wird zwischen Stationen, Bereichen, (Chef-)Ärzten oder Pflegepersonal sowie auch Tätigkeiten unterschieden. Beispielsweise kann Vertrauen in bestimmte Aktivitäten eines Krankenhauses vorhanden sein (z.B. Routineoperationen), in andere jedoch weniger (z.B. Krebsbehandlungen). Ferner sollte zwischen Vertrauen und Misstrauen differenziert werden, welche somit als separate und voneinander unabhängige Konstrukte zu betrachten sind und - wie von Lewicki et al. (1998) postuliert - in vier möglichen Ausprägungen resultieren: geringes Vertrauen/geringes Misstrauen, hohes Vertrauen/geringes Misstrauen, geringes Vertrauen/hohes Misstrauen, hohes Vertrauen/hohes Misstrauen. Auf Basis der Analyse von 20 vorliegenden Patienteninterviews konnte ein holistisches und für alle Probanden gültiges Theorie-Modell entwickelt werden, das die Bildung des relationalen Patientenvertrauens in ein Krankenhaus darstellt. Vertrauen bzw. Misstrauen bildet sich demnach auf Basis der positiven und negativen Erfahrungen im Krankenhaus, die wiederum
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Schlussbetrachtung
aus dem Abgleich der Vertrauenserwartungen resultieren (ähnlich dem C/D-Paradigma aus der Zufriedenheitsforschung). Vertrauenserwartungen wiederum werden durch die Rolle des Patienten konstituiert, die sich im Analyse- und Interpretationsprozess als zentrale Kernkategorie herausstellte. Die Rollentheorie stellt einen geeigneten Rahmen für die Untersuchung dar und wurde kurz skizziert. Als mögliche Dimensionen der Patientenrolle wurden im Bezug auf das Selbstverständnis („aufgeklärt“ bis „ahnungslos“), die Orientierung (sachlich bis personenorientiert), und Handlungsstrategien („kooperativ“ bis „konfrontativ“ und „aktiv“ bis „passiv“) erarbeitet. Mit Hilfe dieser Dimensionen ist es möglich, verschiedene Rollen zu charakterisieren und jedem Patienten eine Rolle zuzuordnen. Zu beachten ist, dass Patientenrollen während eines Krankenhausaufenthalts Änderungen unterworfen sein können. So können Patienten alte Rollen „abstreifen“ und neue Rollen „übernehmen“. Die Patientenrolle wird beeinflusst durch die Erfahrung, das Wissen und die Befindlichkeit des Patienten sowie durch die Rolle ihrer Bezugsperson, ihrem „Gegenüber“. Es lässt sich feststellen, dass das entwickelte Modell sich mit bestehenden Modellen der Vertrauensbildung vereinbaren lässt und Erklärungen für teilweise widersprüchliche Mechanismen der Vertrauenstheorie findet (insbesondere den Negativitätsbias, Bestätigungsbias, Vergebenseffekt und die Betrugshypothese). Abschließend werden fünf Determinanten des Vertrauens in Krankenhäuser identifiziert, drei Faktoren auf organisationeller Ebene (Reputation, Atmosphäre, Organisation des Hauses) und zwei auf interpersonaler Ebene der Ärzte und des Pflegepersonals (Aspekte der Qualität der Interaktion und Kompetenz). Im dritten Ergebnis-Abschnitt wurde erläutert, dass Patienten zwischen der institutionellen Ebene (Krankenhäusern im Allgemeinen) und der relationalen Ebene (speziellen Krankenhäusern, die sie näher kennen oder in denen sie als Patient behandelt wurden) klar differenzieren. Institutionelles Vertrauen und auch Misstrauen bilden sich hauptsächlich durch Öffentlichkeit und Medien. Alle Patienten hegen einen gewissen Grad an generellem Vertrauen auf institutioneller Basis125, das als Substitut wirkt, ehe sich relationales Vertrauen in das spezifische Krankenhaus entwickeln kann. Andererseits beeinflusst relationales Vertrauen zu bestimmten Krankenhäusern wiederum institutionelles Vertrauen. Dies liegt daran, dass spezifische Erfahrungen einzelner Personen die Sicht auf Krankenhäuser im Allgemeinen verändern. Persönli-
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Auch eine aktuelle Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie bestätigt dies: Mit 78% haben die Ärzte höchstes Ansehen in der Bevölkerung (Hibbeler 2008). Bereits Rotter und Stein (1971) stellten eine extrem hohe Vertrauenswürdigkeit von Ärzten fest. Trotzdem existieren auch Umfragen, die erklären, dass das Vertrauen in Krankenhäuser sinke. Ihr Ansehen sei zwar noch recht hoch ausgeprägt, sinke aber, 93% der Bundesbürger vertrauten ihren Hausärzten, nur 70% den Universitätsklinikärzten (o.V. 2009 a). Dabei gilt natürlich, dass je höher dieses ausgeprägt ist, umso besser, da es als Vertrauensvorschuss für relationales Vertrauen wirkt. Aber auch in vertrauensvollem Umfeld ist relationales Vertrauen wichtig (Grayson et al. 2008).
Schlussbetrachtung
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che positive Erfahrungen während eines Krankenhausaufenthalts bestätigen das relationale Vertrauen und somit das vorhandene hohe institutionelle Vertrauen oder gleichen es an. Positive Erfahrungen verringern ferner das relationale Misstrauen und bestätigen oder verringern somit auch das institutionelle Misstrauen. Negative Erfahrungen erhöhen das relationale Misstrauen und bestätigen oder gleichen das institutionelle Misstrauen an. Bei Betrachtung dieser Effekte ist zu beachten, dass positive Erfahrungen das relationale Vertrauen bestätigen, welches zu einem gewissen Grad immer vorhanden ist. Auch die negativen Erfahrungen können das relationale Vertrauen nicht verringern, sondern stets nur das Misstrauen erhöhen. Nicht verwunderlich ist, dass Ärzte als die zentralen Vertrauenspersonen im Krankenhaus gesehen werden. Das Pflegepersonal ist dem Patienten i.d.R. näher, sorgt aber eher für Zufriedenheit und Wohlfühlgefühl und scheint für das Patientenvertrauen nicht zentral zu sein. Transfereffekte zwischen dem Vertrauensobjekt Krankenhaus und den Vertrauenspersonen Ärzte und Pflegepersonal sind möglich, aber nicht zwingend vorhanden, da Patienten durchaus differenziert bewerten. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die vorliegende Arbeit unterschiedliche neue Erkenntnisse zu einer Aufgabenstellung präsentiert, zu der bisher trotz Aktualität und Bedeutung der Vertrauensthematik nur wenige Forschungsbemühungen existieren. Es ist gelungen, die Rolle von Patientenvertrauen ins Krankenhaus umfassend darzustellen und analytisch zu betrachten. Bei einer integrierten Betrachtung verschiedener Disziplinen (Marketing, Soziologie, Psychologie, Medizin) und ihrer Vertrauensforschung wurden existierende Perspektiven dargestellt und abgeglichen. 6.2
Implikationen für Wissenschaft und Praxis
Mit der vorliegenden Arbeit ist es gelungen, sowohl einen Beitrag zur wissenschaftlichen Debatte von Vertrauen als auch eine Grundlage für praktische Empfehlungen im Rahmen des Krankenhausmarketing zu liefern Im Folgenden sollen Implikationen, die sich auf Basis der dargestellten Ergebnisse für Wissenschaft und Praxis ableiten lassen, skizziert werden. 6.2.1
Beitrag zur wissenschaftlichen Entwicklung
Für die wissenschaftliche Untersuchung von (Konsumenten-)Vertrauen hat die vorliegende Arbeit einen Beitrag geleistet, der nicht nur für die Vertrauensforschung im medizinischen Kontext von Bedeutung ist. Im Rahmen des Abgleichs der empirischen Ergebnisse mit der bestehenden Theorie konnte oftmals auf bestehende Ideen, Konzepte oder Studien zu Vertrauen aus anderen Bereichen
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Schlussbetrachtung
und Disziplinen zurückgegriffen und verwiesen werden. Einige herangezogene Überlegungen und Teilmodelle fanden hierbei deutliche Bestätigung. So konnte beispielsweise empirisch nachgewiesen werden, dass Vertrauen ins Krankenhaus differenziert nach Vertrauensobjekten/-personen und Tätigkeiten betrachtet werden muss (vgl. Arbeitshypothese 1). Es ist zu unterstreichen, dass Vertrauen ein komplexes Konstrukt darstellt, was auch in der Konzeptualisierung und Operationalisierung berücksichtigt werden muss. Globale Skalen, die undifferenzierte Pauschalurteile abfragen, sind somit nicht zielführend, wenn auch in der Wissenschaft noch recht verbreitet. Bei der Messung von Vertrauen sollte zwischen verschiedenen Akteuren und Ebenen unterschieden werden, wie Sirdeshmukh et al. (2002) es ansatzweise tun, indem sie das Vertrauen in Kundenkontaktmitarbeiter und das Vertrauen ins Management trennen. Eine weitere Differenzierung nach bestimmten Tätigkeiten, denen man vertrauen kann, sollte ebenfalls überlegt werden: „When asked whether one trusts or distrusts another, the proper answer is not „yes“ or „no“ but „to do what?“ – that is, what are the referent facets of the relationship being invoked to make the judgment about the other to answer the question” (Lewicki et al. 2006, S. 1003f). Auch die Beobachtung, dass Misstrauen ein separates Konstrukt zu Vertrauen darstellt und parallel dazu existiert, konnte im Rahmen dieser Arbeit klar bestätigt werden (vgl. Arbeitshypothese 2). Dies macht die Erhebung von Vertrauen und Misstrauen als zwei voneinander unabhängige Konstrukte unumgänglich. So könnte beim Einsatz separater Skalen die Aussagekraft eines Modells deutlich steigen, da nicht nur die Höhe des Vertrauens, sondern auch die Höhe des Misstrauens berücksichtigt werden sollte. Beiden Konstrukten könnten ferner verschiedene Antezedenten vorgelagert sein. So sorgen beispielsweise Aspekte wie die generelle Ausbildung der Ärzte und gezeigte positive Verhaltensweisen wie Empathie, Geduld und Verständnis dafür, dass sich Vertrauen bildet, während ein aus Patientensicht ungenügender Behandlungserfolg den parallelen Aufbau von Misstrauen fördert. Ebenso könnten beide Konstrukte jeweils verschiedene Konsequenzen nach sich ziehen. So sorgt Vertrauen dafür, dass Patienten sich überhaupt von Ärzten behandeln lassen und verstärkt ihr Wohlfühlgefühl, während Misstrauen Patienten dazu bewegt, Entscheidungen der Ärzte zu überdenken und Therapieempfehlungen in Frage zu stellen. Dies gilt es zu prüfen. Bestätigung fand auch die in der Vertrauenliteratur geäußerte Überlegung, dass mehrere Ebenen des Vertrauens existieren (institutionell und relational) und aus Sicht der Patienten zwischen verschiedenen Vertrauensbjekten bzw. -personen unterschieden wird (vgl. Arbeitshypothese 8). Daher sollte in Studien zukünftig zwischen der institutionellen Ebene (Krankenhäusern im Allgemeinen) und der relationalen Ebene (speziellen Krankenhäusern, welche ȱ
Schlussbetrachtung
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Patienten näher bekannt sind) klar differenziert werden, um Validität und Aussagekraft zu erhöhen. Wie auch in der Literatur diskutiert, wurde in der Arbeit sehr deutlich, dass Vertrauen, Wohlfühlgefühl und Zufriedenheit drei Konstrukte darstellen, die sehr eng miteinander zusammen hängen (siehe auch Abschnitt 3.3.4.3). Zentrales Unterscheidungsmerkmal ist, dass Vertrauen auf die Zukunft gerichtet ist und Zufriedenheit rückwirkend bewertet wird: „Patient trust is related to, but conceptually distinct from the more familiar concept of satisfaction […] satisfaction looks backward, based on past experience, while trust looks forward, an expectation of future behaviour” (Thom et al. 2004, S. 127; siehe auch Hall et al. 2001, S. 617). Das Wohlfühlgefühl wird eher rückwirkend oder gegenwartsbezogen bewertet und ist schwierig von Zufriedenheit zu trennen. Eventuell stellt es eine affektive Komponente der Zufriedenheit dar. Trotz der Rückgriffe auf bestehende Ideen und Konzepte konnten in der vorliegenden Arbeit im Abgleich mit der Literatur auch einige neue Erkenntnisse gewonnen werden, die dabei helfen, Patientenvertrauen ins Krankenhaus ein Stück weit besser zu erklären und einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Vertrauensforschung liefern. Es konnte ein Modell der Vertrauensbildung von Patienten in Krankenhäuser entwickelt werden, welches zentrale Einflussfaktoren auf das Patientenvertrauen abbildet. So fördern positive Erfahrungen relationales Vertrauen und verringern relationales Misstrauen. Negative Erfahrungen fördern hingegen relationales Misstrauen (vgl. Arbeitshypothese 3). Die Patientenrolle wurde als bedeutsames Kernkonstrukt erkannt und erklärt Vertrauens- und Misstrauenserwartungen von Patienten. Die Beobachtung, dass die Rolle von Patienten ihre Vertrauenserwartungen (vgl. Arbeitshypothese 5) und die Vertrauenserwartungen wiederum ihre Erfahrungen beeinflussen (vgl. Arbeitshypothese 4), bestärkt die Annahme, dass Vertrauen ähnlich wie bei der gängigen Zufriedenheits- oder Servicequalitätskonzeptualisierung modelliert werden kann. Es ist festzustellen, dass die Rollentheorie einen passenden Rahmen für die Betrachtung von Dienstleistungen und Begegnungen innerhalb dieser Leistungserstellungsprozesse darstellt. In dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass die Patientenrolle einen zentralen Einfluss auf Vertrauenserwartungen und somit das Vertrauen hat. Je nach Rolle der Patienten haben verschiedene Aspekte der Vertrauenswürdigkeit mehr oder weniger Bedeutung. Solomon et al. (1985) und Broderick (1998, 1999) haben bereits erläutert, dass die Rolle von Kunden in Dienstleistungsinteraktionen ihre Zufriedenheit und wahrgenommene Servicequalität stark beeinflusst. Es wäre wichtig, im Rahmen der Vertrauens-, aber auch der Zufriedenheitsforschung die angenommene Rolle des Kunden zu erheben, um so Kundentypen differenziert betrachten und in
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Schlussbetrachtung
Folge auch behandeln zu können. Dabei ist zu bedenken, dass Patientenrollen während eines Krankenhausaufenthalts Änderungen unterworfen sein können (vgl. Arbeitshypothese 6). Trotz der Bedeutung der „Rolle“ von Konsumenten existieren bisher keine Erkenntnisse dazu, welche Faktoren diese beeinflussen. Die in dieser Arbeit identifizierten Faktoren (eigene Erfahrung, (medizinisches) Wissen, eigene Befindlichkeit und Rolle der Bezugsperson; vgl. Arbeitshypothese 7) könnten in andere Kontexten übertragen und geprüft werden. Die Patientenrolle wurde in dieser Arbeit bereits im Bezug auf vier Dimensionen (Selbstverständnis, Orientierung, zwei Dimensionen der Handlungsstrategien) und ihre Ausprägungen inhaltlich konzipiert. Diese Konzeptionalisierung könnte als Basis für die Entwicklung einer Skala zur Erhebung der Patientenrolle genutzt werden. Für andere Bereiche müssten allerdings Anpassungen erfolgen, da der medizinische Kontext ein recht spezifischer ist (siehe Abschnitt 3.1). Das entwickelte Theorie-Modell zur Bildung des relationalen Patientenvertrauens kann auch in anderen Bereichen genutzt werden. Bei erfolgreicher Übertragung ließen sich Vertrauensskalen auf verschiedene Patiententypen anpassen, da die unterschiedlichen Vertrauenserwartungen (z.B. in den jeweiligen Ausprägungen der Dimensionen) somit Berücksichtigung fänden. Ein neuer Beitrag der vorliegenden Arbeit ist ferner, dass die verschiedenen Ebenen des Vertrauens sich gegenseitig beeinflussen, was auch in einem Modell dargestellt werden kann. Institutionelles Vertrauen bzw. Misstrauen beeinflusst relationales Vertrauen bzw. Misstrauen von Patienten in Krankenhäuser. Relationales Vertrauen bzw. Misstrauen beeinflusst wiederum auch das institutionelle Vertrauen bzw. Misstrauen (vgl. Arbeitshypothese 10). Institutionelles Vertrauen bzw. Misstrauen in Krankenhäuser entwickelt sich i.d.R. vor einem Krankenhausaufenthalt und wird kontinuierlich durch Öffentlichkeit, Medien und eigene Erfahrungen modifiziert (vgl. Arbeitshypothese 9). Die Arbeit konnte zudem Vertrauensobjekte/-personen im Krankenhaus und Effekte zwischen diesen identifizieren. Leider ließ sich hier kein klares Bild erkennnen, da Transfereffekte zwischen Vertrauensobjekten/-personen grundsätzlich zu beobachten waren, diese aber nicht bei allen Patienten belegt werden konnten (vgl. Arbeitshypothese 11). Letztlich stellen die identifizierten Determinanten des Patientenvertrauens in Krankenhäuser eine gute Grundlage dar, in einem nächsten Schritt ein Messinstrument zur Erhebung des Vertrauens ins Krankenhaus zu entwickeln und auf Validität und Reliabilität zu prüfen. Da der „Medical Mistrust Index“ von LaVeist et al. (2002; siehe auch Abschnitt 3.3.5) nur sehr unzuȱ
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reichend und auf institutioneller Ebene das Misstrauen von Patienten in Krankenhäuser misst, und zur Erhebung des Patientenvertrauens ins Krankenhaus ansonsten noch keine wissenschaftlich entwickelte Skala existiert, wäre dies von großer Wichtigkeit, um weitere Forschung im hochaktuellen Kontext der medizinischen Dienstleistungen voranzutreiben. 6.2.2
Empfehlungen für die Praxis
Die Ergebnisse dieser Arbeit tragen auch zur Fundierung des Krankenhausmarketing bei, da sich aus ihnen Handlungsempfehlungen für Krankenhäuser und ihr Management ableiten lassen. Es soll auf sieben Aspekte näher eingegangen werden, wobei sich die Empfehlungen grob in generelle Maßnahmen des Krankenhausmanagements und Maßnahmen der Personalführung strukturieren lassen (siehe Abbildung 31). Handlungsempfehlungen für Krankenhäuser
Krankenhausmanagement
Fokussierung auf Kernkompetenzen Prozessoptimierung
Personalführung
Rahmenbedingungen verbessern Schulungen
Kommunikation Umgebungsgestaltung Qualitätsmanagement
Abbildung 31: Handlungsempfehlungen für das Krankenhausmanagement
Allerdings weisen die vorliegenden Ergebnisse auch hohe betriebswirtschaftliche Relevanz auch über den Kontext der medizinischen Dienstleistungen hinaus auf. Auch wenn medizinische Leistungen eine recht spezielle Art von Dienstleistungen darstellen, sind viele Aspekte und Beoachtungen ebenfalls in anderen Branchen vorzufinden. So lassen sich einige Erkenntnisse beispielsweise auch auf andere komplexe Organisationsstrukturen übertragen, denen Kunden relativ machtlos gegenüber stehen, da sie keinen Einblick in interne Abläufe und da
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Schlussbetrachtung
her auch keine Kontrolle über die Leistungserstellung haben. Auch die Tatsache, dass die Mehrheit der Kunden in vielen Marktfeldern recht unwissend ist (z.B. Finanzdienstleistungen), manche Services nur widerwillig konsumieren (z.B. Versicherungsleistungen) und ein Großteil der Dienstleistungen einen auf Kunden zugeschnittenen individuellen Service anbieten, zeigt hier viele Überschneidungen zum medizinischen Kontext und erhöht die Übertragbarkeit auf andere Bereiche. 6.2.2.1 Empfehlungen für das Krankenhausmanagement Aus den Erkenntnissen der Arbeit lassen sich ein paar Empfehlungen für das allgemeine Krankenhausmanagement ableiten, die im Folgenden skizziert werden sollen. Ein wichtiger Aspekt, der auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird, ist die Fokussierung auf Kernkompetenzen (siehe auch Hermanns und Kunz 2003, S. 8). Da die Aspekte Reputation und Organisation des Krankenhauses von den Befragten als die beiden bedeutsamsten vertrauensfördernden Aspekte genannt wurden, sollten Krankenhäuser bei der Gestaltung ihres Angebotsprogramms darauf achten, dass diese auch in entsprechend hoher Qualität angeboten werden können. Fokussierungs- und Spezialisierungsprozesse im Krankenhaussektor lassen bereits Tendenzen in diese Richtung erkennen. Wenn Krankenhäuser sich auf Bereiche und Abteilungen konzentrieren, können sie sich besser auf ihre Profilierung fokussieren. Zudem erleichtert die Konzentration auf weniger Bereiche/Abteilungen die Abstimmung zwischen diesen; ein Aspekt, der den Patienten wichtig ist und den sie während ihrer Krankenhausaufenthalte oft bemängelten. Mit der Abstimmung wird bereits ein zweiter wichtiger Aufgabenbereich angesprochen. Dieser sollte sich mit der Prozessoptimierung befassen. Wie in allen Dienstleistungsunternehmen ist die Prozessgestaltung in komplexen Systemen wie Krankenhäusern von extrem hoher Bedeutung126. Diese umfasst die klare Definition und reibungslose Anordnung der verschiedenen Arbeitsabläufe und der Informationsflüsse, die eine Abstimmung zwischen Abteilungen, Bereichen, Funktionen oder Personen ermöglicht. In der Arbeit konnte gezeigt werden, dass die Qualität der Organisation des Krankenhauses eine große Rolle bei der Vertrauensbildung spielt. Hier war auch enormes Verbesserungspotenzial festzustellen. In den Interviews wurde deutlich, dass Patienten nicht nur die Ergebnis-
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Der erweiterte Marketingmix für Dienstleistungen umfasst die klassischen vier „p“ (Produkt, Preis, Kommunikations- und Distributionspolitik) sowie drei zusätzliche „p“ – die Prozesspolitik, die Ausstattungspolitik und die Personalpolitik (Booms und Bitner 1981).
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qualitätsmerkmale wie den Heilungserfolg, die Diagnosesicherheit und die subjektive Wahrnehmung der Änderung des Gesundheitszustandes betrachten, sondern sich auch Urteile über Potentialmerkmale (Umfeld, medizinische Ausrüstung, Reputation der Ärzte) und Prozessmerkmale (Wartezeiten, Kontaktstil, Therapieverlauf) machen (Donabedian 1980). Auch weil Patienten die Qualität der Leistungen nicht beurteilen können, dient die wahrgenommene Schnittstellenqualität neben der Infrastrukturausstattung und Essenqualität häufig als Ersatzindikator (siehe auch Greiling 2005). Gut abgestimmte Prozesse werden von Patienten positiv wahrgenommen und signalisieren Professionalität, Probleme im Ablauf und in der Abstimmung zwischen Beteiligten sorgten für große Unzufriedenheit und Misstrauen. Eine sogenannte „Patientenfokussierte Prozessmodellierung“ läuft i.d.R. schrittweise ab, indem die Rahmenbedingungen im Krankenhaus geprüft und Prozesse visualisiert werden, geeignete Prozesse und Schnittstellen ausgewählt und dann beschrieben bzw. modelliert werden, um diese dann detailliert zu analysieren und zu optimieren127 (siehe z.B. Knorr et al. 1999; McKeever 2004). In der Marketingliteratur ist diese Methode auch als „Blueprinting“ bekannt (Shostack 1984). Einen beispielhaften „Patientenpfad“ stellt Abbildung 32 dar (Doelfs 2007). Patientenpfad P H A S E N
vorstationär/ ambulant
stationär Diagnose
Therapiephase I
Abteilungsübergreifendes Modul
Bsp.: administrative Aufnahme, Funktionsdiagnostik
Optional Intensivtherapie
Therapiephase II
nachstationär/ ambulant
Abteilungsspezifisches Modul
Bsp.: Operation
Abbildung 32: Beispielhafter Patientenpfad
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Fragen, die man sich bei der Analyse stellen sollte: Ist der Prozess überflüssig oder zusammenfassbar? Ist die Abfolge der einzelnen Aufgaben sinnvoll? Sind Synergie-Effekte nutzbar? Ist der Prozess optimal in den Gesamtprozess integriert? Besteht ein Informationsaustausch zu vor- und nachgelagerten Prozessen? (siehe Knorr et al. 1999). Weitere Literatur zum Thema findet sich auch unter dem Stichwort „clinical pathways“ oder „klinische Pfade“, z.B. Hellmann (2002).
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Schlussbetrachtung
Die Optimierung interner Prozesse stellt heutzutage wegen des steigenden wirtschaftlichen Drucks bereits eine wichtige Aufgabe dar. Trotzdem hat es den Anschein, dass das bestehende Verbesserungspotenzial in diesem Feld noch nicht ausgeschöpft ist. Krankenhäuser sollten diese Maßnahme nicht nur vor dem Hintergrund der Kostensenkung sehen, sondern sich auch ihrer bedeutsamen Rolle bei der Schaffung von Vertrauenswürdigkeit aus Patientensicht bewusst sein. Ein dritter Handlungsbereich umfasst die Kommunikationspolitik eines Krankenhauses. Wenn es um die Vermittlung der Leistung nach außen geht, ist es gerade für Krankenhäuser von enormer Wichtigkeit, ihre Vertrauenswürdigkeit darzustellen. Wie in allen Patienteninterviews deutlich wurde, ist die Reputation einer Klinik ein bedeutsamer Aspekt für die Beurteilung und Wahl eines Krankenhauses, besonders wenn von den Patienten dort noch keine oder wenig eigene Erfahrungen gemacht wurden. Oft sind es vor allem die Medien und die Öffentlichkeit, die die Reputation eines Krankenhauses formen. Eine gute PR- und Pressearbeit ist somit unverzichtbar128. Hier geht es darum, positive Inhalte zu kommunizieren, die dem Image des Krankenhauses und der Vertrauensbildung förderlich sind. Die vorliegende Arbeit gibt deutliche Anhaltspunkte dafür. Auf Ebene des Krankenhauses ist dies primär der Aspekt der guten bzw. patientenorientierten Organisation des Hauses. Auf Ebene der Ärzte sind dies diverse Aspekte der Qualität der Interaktion und der Kompetenz. Es sollte also darauf Wert gelegt werden, neben der fachlichen Kompetenz auch die sozialen Kompetenzen der Mitarbeiter zu betonen. In den Interviews stellen die Sympathie, die Aufklärung, das Zeit nehmen, die Hilfsbereitschaft/Aufmerksamkeit und die Freundlichkeit der Mitarbeiter die am häufigsten genannten Faktoren dar. Diese lassen sich auf die Werte Menschlichkeit und Persönlichkeit verdichten, die Krankenhäuser als zentrale Leitlinien vermitteln sollten. Aber auch die beste Öffentlichkeitsarbeit reicht nicht aus, wenn die Patienten ihre Aufenthalte im Krankenhaus als negativ erleben und dies an andere Menschen weitergeben. Zahlreiche Passagen in den Interviews legen dar, dass die Reputation sich neben der medialen Berichterstattung zum großen Teil aus den Erlebnisberichten Dritter bildet, über die zuweilen intensiv und mit vielen anderen Personen besprochen wird. Über wenige Unternehmen bzw. Organisationen wird so viel und oft diskutiert wie über Krankenhäuser und Ärzte. Zudem verlassen sich Konsumenten bei einem Vertrauensgut wie einer Krankenhausleistung am ehesten auf Empfehlungen und Meinungen anderer vertrauensvoller Personen (siehe z.B. Hoerger und
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Hinweise und Tipps für eine erfolgreiche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit im Krankenhaus geben beispielsweise Hermanns und Poersch (2003) und Lüthy und Buchmann (2009).
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Howard 1995; Tscheulin et al. 2001). Daher ist es notwendig, positive Erlebnisberichte zu fördern und dem Vertrauen und der Zufriedenheit der eigenen Patienten größte Beachtung zu schenken, um in Folge Weiterempfehlungen zu generieren. Wie Vertrauen und Zufriedenheit der Patienten zu generieren ist, hat die vorliegende Arbeit gezeigt. Empfehlungen dazu folgen in den nächsten Abschnitten. Ein vierter Aspekt, der sich in der Arbeit als bedeutsam für die Vertrauenswürdigkeit eines Krankenhauses herausstellte, ist die Umgebungsgestaltung/Ausstattung im Krankenhaus. Mit Umgebung ist hier die generelle Ausstattung (technische sowie sonstige) und die Umgebung im sowie ums Krankenhaus herum gemeint. Bitner (1992) prägte dazu den Begriff „servicescapes“ und erläuterte, inwiefern die physische Umgebung in Dienstleistungsunternehmen Kunden und Mitarbeiter beeinflusst. Die Bedeutsamkeit der Umgebung für das Verhalten, die Kognitionen, die Emotionen und die psychologischen Reaktionen von Kunden zeigte sich auch in der vorliegenden Arbeit. In den Interviews wurde deutlich, dass für viele Probanden die Rahmenbedingungen wie die Ausstattung, die Zimmergestaltung, das Essen, das äußere Erscheinungsbild des Krankenhauses und der Mitarbeiter sowie die Atmosphäre nach expliziter Aussage Faktoren im Krankenhaus darstellen, die ihnen sehr wichtig sind. Zudem wurden Ausstattungsfaktoren in jedem Interview thematisiert (auch wenn nicht direkt danach gefragt wurde) und nahmen zuweilen einen großen Anteil des Erzählten ein. Auch unter den vier Dimensionen der Vertrauenserwartungen umfasste eine Dimension explizit Ausstattungsaspekte (siehe Abschnitt 5.3.2.1.2). Krankenhäuser sollten sich der großen Bedeutung der Umgebungsgestaltung bewusst sein und diese sorgfältig planen und gestalten129. Wie auch in anderen Dienstleistungsbranchen sind die tangiblen Bestandteile für Kunden stets einfacher zu begutachten und bewerten (siehe Abschnitt 3.1.2). Daher spielt die Ausstattungspolitik als ein zusätzlicher Aspekt des erweiterten Dienstleistungsmarketingsmix eine wichtige Rolle im Management von Krankenhäusern. Auch für das Qualitätsmanagement als fünften Bereich lässt sich eine zentrale Handlungsempfehlung ableiten130. Die fünf zentralen Determinanten des Vertrauens in Krankenhäuser können für (stationsspezifische) Audits genutzt werden, indem diese Faktoren in eine Skala
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Bitner (1992) erwähnt beispielsweise Beleuchtung, Farben, Zeichen, Texturen, Materialqualität, Einrichtungsstil, Layout, Wanddekoration und Temperatur als wichtige Aspekte. Eine ausführlichere Auflistung von möglichen Designelementen findet sich in Lovelock und Wirtz (2007), S. 296. Als weiterführende Literatur sei Eichhorn et al. (2000a) empfohlen, wo weitere Methoden und Instrumente des Qualitätsmanagement vorgestellt werden. Berens et al. (1998) geben Anregungen zur Implementierung eines Qualitätsmanagements. Lüthy und Buchmann (2009) skizzieren gängige QualitätsmanagementVerfahren und Zertifizierungen im Krankenhaus-Kontext.
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Schlussbetrachtung
übertragen werden (siehe Abschnitt 6.2.1). Zufriedenheitsbefragungen stellen hier bereits bekannte Instrumente dar, die nicht ohne Grund mittlerweile Bestandteil jeder Zertifizierung sind. Die Arbeit hat deutlich gemacht, dass Zufriedenheit und Vertrauen zwei recht ähnliche Konstrukte darstellen, deren Kausalität nicht völlig klar ist. Bei den Befragten wurde aber recht deutlich, dass vertrauensvolle Patienten i.d.R. auch zufriedene Patienten darstellen, während sehr misstrauische Patienten sich oftmals auch als unzufrieden bezeichneten. Daher kann das kontinuierliche Monitoring der Patientenzufriedenheit während oder nach einem Aufenthalt auch Hinweise darauf geben, wie sehr sie dem Krankenhaus und seinem Personal vertrauen. Wie die vorliegende Arbeit belegen konnte, ist nun zu beachten, dass sich Patientenvertrauen sehr differenziert darstellt. Daher ist es wichtig, in Patientenbefragungen das Vertrauen stets für jede Station oder Personen(-gruppe) separat zu erheben, um differenzierte Urteile zu erhalten. Die Tatsache, dass es kein pauschales „Vertrauen ins Krankenhaus“ für Patienten gibt, zieht damit Vor- aber auch Nachteile für Krankenhäuser nach sich: Positiv ist, dass schwache Bereiche oder Stationen dem Gesamtimage des Krankenhauses weniger schaden als vermutet, da Patienten diese i.d.R. von den anderen trennen und separat bewerten. Dies gilt allerdings nur für Aspekte, die sehr bereichsspezifisch und nicht krankenhausübergreifend zu sehen sind (z.B. einzelne veraltete Gebäudekomplexe, Fachärzte etc.). Negativ ist hingegen, dass aufgrund der Differenzierung jede Station für sich betrachtet werden muss und nicht darauf vertraut werden kann, dass beispielsweise eine erfolgreiche und gut aufgestellte Station als „Zugpferd“ für das ganze Krankenhaus gesehen werden kann. Trotzdem sollte gerade die Bedeutung von Chefärzten nicht unterschätzt werden, wenn es um den Ruf eines Krankenhauses geht. Chefärzte dienen als wichtige Personifizierungen von Kompetenz auf bestimmten Gebieten. Wenn Patienten Stationen bewerten, sind es oftmals die Chefärzte, die die Reputation ihrer Stationen in großem Maße prägen. 6.2.2.2 Empfehlungen für die Personalführung Nach den generellen Empfehlungen für das Krankenhausmanagement soll im Folgenden speziell auf den Breich der Mitarbeiterführung eingegangen werden und zwei weitere Handlungsempfehlungen für Krankenhäuser erarbeitet werden. Da Krankenhausleistungen persönliche Dienstleistungen darstellen, d.h. von Menschen erbracht werden und nur bis zu gewissem Maße automatisiert werden können („beschränkte Substitutionalität“, siehe Abschnitte 3.1.1 und 3.1.2), spielen Krankenhausmitarbeiter eine Schlüsselrolle. Somit ist die Mitarbeiterführung eine zentrale Aufgabe in der Leitung von ȱ
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Krankenhäusern. Die vorliegende Arbeit belegt deutlich, dass ein Krankenhausaufenthalt mehr als nur die Nachfrage und den Konsum von Dienstleistungen bedeutet, sondern als komplexes sozio-psychologisches Phänomen zu begreifen ist, das selten an „harten“ Kriterien gemessen wird. Daher sind im Bereich der Krankenhausleistungen vor allem die „weichen“ Gesichtspunkte zu beachten. Die Kenntnis dieser Aspekte ist für das Krankenhausmanagement von großer Bedeutung, wenn es um das Verständnis von Vertrauen und Zufriedenheit von Patienten geht. Die Erkenntnisse dieser Arbeit können nun dafür genutzt werden, Empfehlungen für die Mitarbeiterführung in Krankenhäusern abzuleiten. Als erstes sind verbesserte Rahmenbedingungen für Krankenhausmitarbeiter zu schaffen. Vor allem die extremen Arbeitszeiten (Längen und Schichtenregelungen) und der hohe Leistungsdruck sind hier zu nennen. Zusammen mit den hohen physischen und psychischen Anforderungen ans Personal (siehe Abschnitt 3.1.2.7) wird es für Krankenhausbeschäftigte immer schwieriger, sich patientenorientiert zu verhalten. Dies war auch den Befragten sehr bewusst, viele thematisierten die Probleme der Mitarbeiter wie die Überforderung, Unterbesetzung, den Sparzwang und Personalmangel. Diese Aspekte führen dazu, dass für den Vertrauensaufbau wichtige Faktoren, wie Aufklärung, Zeit nehmen und Hilfsbereitschaft/Aufmerksamkeit (siehe Abschnitt 5.3.2.2) teilweise nur unter großer Anstrengung und eigener Motivation der Mitarbeiter zu leisten sind. Um den Mitarbeitern eine stärkere Patientenorientierung zu ermöglichen, sollten die Rahmenbedingungen dies auch erlauben. Wichtig ist es, den Mitarbeitern ausreichend Zeit für jeden Patienten zu geben und ihnen einen entsprechenden Freiraum in der Gestaltung des Kontakts bzw. der Interaktion zu gewähren. Nur so erhalten sie die Gelegenheit, sich intensiv mit den Patienten zu beschäftigen und Vertrauen aufzubauen. Die zweite zentrale Empfehlung ist die Durchführung von Kommunikations-Schulungen für das Krankenhauspersonal. In diesen Fortbildungsmaßnahmen sollte es weniger um die Vermittlung von fachlichem Wissen als vielmehr um die Kommunikation von Inhalten gehen, die für eine stärkere Patientenorientierung sorgen können. Diese also eher psychologisch orientierten Schulungen, die in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden sollten, haben zum Ziel, die soziale, kommunikative und emotionale Kompetenz der Mitarbeiter stärker zu fördern. Besonders für Ärzte und das Pflegepersonal sind diese Schulungen sehr wichtig. Gerade Ärzte werden im Studium bisher noch unzureichend auf sozio-psychologische und kommunikative Inhalte ihrer Arbeit vorbereitet (siehe z.B. Perleth 1998; Terzioglu et al.
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Schlussbetrachtung
2003), auch wenn die medizinischen Fakultäten sich zunehmend dieser Thematik widmen und diese ins Studium integrieren131. Die Erkenntnisse dieser Arbeit liefern zahlreiche Anhaltspunkte, die in Schulungen aufgegriffen werden können, um das Verhalten des Personals nachhaltig zu beeinflussen. In den Interviews wurde deutlich, dass Ärzte für den Patienten zentrale Vertrauenspersonen im Krankenhaus darstellen (siehe Abschnitt 5.3.3.3). Das Pflegepersonal nimmt ebenfalls eine wichtige Position ein, auch wenn es eher für Zufriedenheit und Wohlfühlgefühl sorgt und für das Patientenvertrauen nicht zentral zu sein scheint. Auffällig war, dass kein Patient das eine ohne die anderen beiden wahrnahm. Wer zufrieden war, fühlte sich wohl und hatte Vertrauen. Wer unzufrieden war, fühlte sich auch nicht wohl und hatte wenig Vertrauen bzw. großes Misstrauen. Den Mitarbeitern muss ihre Rolle in der Vertrauens-, Wohlfühlgefühl- und Zufriedenheitsbildung der Patienten bewusst sein. Das Wissen um die psychische Belastung der Patienten sorgt zudem für ein besseres Verständnis der Patienten und sensibilisiert für eine stärkere Patientenorientierung des Personals. Auch die Feststellung, dass Vertrauen und Misstrauen separate Konstrukte darstellen (dass also ein Patient einem Krankenhaus gegenüber durchaus vertrauensvoll eingestellt sein kann, während er aufgrund einiger negativer Erlebnisse oder Erfahrungen auch ein gewisses Misstrauen bildet, das sich z.B. durch Nachfragen äußert) sollte in Schulungen diskutiert werden. Dies kann helfen, eine mögliche Blockade des Personals bei wahrgenommenem Misstrauen der Patienten zu verhindern und geduldig auf misstrauische Nachfragen etc. zu reagieren. Weiterhin bietet das entwickelte Gesamtmodell der Vertrauensbildung einige Ansätze, wie Mitarbeiter den Vertrauensaufbau von Patienten positiv beeinflussen können. Diese könnten ebenfalls in Schulungen vermittelt werden. Wichtig ist demnach, die Vertrauenserwartungen der Patienten sowie ihre Rollen zu kennen, die wiederum mit den Erwartungen unmittelbar zusammen hängen. Mit diesem Wissen ist es den Mitarbeitern möglich, den Patientenerwartungen und der Patientenrolle zu entsprechen, also Empathie zu zeigen. „A patient may resent an overly familiar manner in a doctor, and a doctor in turn may bristle at the patient who performs self-diagnosis. In these examples it is clear that the role players are not reading from the same script“ (Solomon et al. 1985, S. 105). Solomon et al. (1985) sehen im mangelhaften “Lesen vom gleichen Skript” den Hauptgrund vieler Probleme an der Schnittstelle Dienstleister-Kunde. In den Schulungen könnten die verschiedenen Erwartungen und Rollen
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Ein Blick in den Tagungsband der „Jahrestagung der Gesellschaft für medizinische Ausbildung“, die vom 9. 10. Oktober 2009 in Freiburg stattfand, belegt, dass z.B. das Thema „kommunikative Kompetenz“ in zahlreichen Vorträgen und Studien behandelt wird, da sie als wichtige Qualifikation für Ärzte gesehen wird.
Schlussbetrachtung
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vorgestellt sowie Tipps gegeben und Übungen durchgeführt werden, wie sich solche z.B. anhand des Patientenverhaltens oder geschicktes informelles Fragen einschätzen lassen. So können das Selbstverständnis („aufgeklärt“ bis „ahnungslos“), die Orientierung (sachlich bis personenorientiert), und die Handlungsstrategien („kooperativ“ bis „konfrontativ“ und „aktiv“ bis „passiv“) bestimmt werden. Mit ein wenig Übung lassen sich diese Dimensionen auch beobachten bzw. anhand bestimmter Indikatoren (Patient wirkt ängstlich oder erfahren etc.) abschätzen. Mit der Bestimmung der Patientenrolle (die sich natürlich verändern kann) kann das Krankenhauspersonal seine Rolle anpassen und empathisch reagieren, somit jeden Patienten gemäß seiner Rolle einordnen und behandeln. Auch die Einflussfaktoren der Rolle, die Erfahrung, das Wissen und die Befindlichkeit des Patienten sowie die Rolle der Person ihr gegenüber können beachtet werden, den jeweiligen Patienten und seine spezifische Rolle besser einschätzen zu können. Ist die Rolle erkannt, kann der Patient entsprechend behandelt werden. So ist beispielsweise der aufgeklärte Patient anders zu informieren als der ahnungslose, während zum personenorientierten Patienten persönliche Beziehungen aufgebaut werden sollten. Auch die Erkenntnis, dass die Beziehung zwischen Patienten und Personal sich gemäß der Patientenrolle verändert bzw. entwickelt, kann Krankenhausmitarbeitern helfen, sich darauf einzustellen. Sie sollten die Beziehung als Prozess sehen, der sich entwickelt. Bereits Szasz und Hollender (1956) merken an, dass die jeweilige Beziehung einem Veränderungsprozess unterliegt, der berücksichtigt werden muss, wenn sich die Befindlichkeit des Patienten verändert. Für sie ist der typische Weg der Entwicklung der Patientenrolle von der Passivität des Patienten über die Kooperation hin zur beidseitigen Teilnahme an Therapieentscheidungen. Auch in den geführten Interviews war erkennbar, dass Patienten beispielsweise während einer Operation eine eher kooperative und passive Rolle einnahmen, während sie im Verlauf des Aufenthalts im Krankenhaus mit sich bessernder Befindlichkeit aktiver und konfrontativer wurden. Die Mitarbeiter müssen ferner dafür sensibilisiert werden, dass positive und negative Erfahrungen im Krankenhaus neben dem institutionellen Vertrauen bzw. Misstrauen entscheidend beim Vertrauensaufbau sind. Um den Patienten positive Erlebnisse zu verschaffen wäre es für sie wichtig, ihre Vertrauenserwartungen zu kennen. Nur so können sie auf Patienten gezielt eingehen. Eine kurze informelle Befragung der Patienten könnte bereits helfen, die bestehenden Erwartungen zu sondieren und das eigene Verhalten daran auszurichten. Auf der interpersonellen Ebene des Patientenvertrauens ins Krankenhaus wurden die Interaktion und die fachliche Kompetenz von allen Befragten als die beiden zentralen Aspekte ge
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Schlussbetrachtung
schildert. Die Interaktionskompetenz gewinnt dadurch noch an Bedeutung, da durch sie auch fachliche Kompetenz signalisiert wird. Weitere Indikatoren für Kompetenz der Krankenhausmitarbeiter sind aus Perspektive der Patienten das Auftreten, die Bestimmtheit und das Aufklärungsverhalten (siehe Abschnitt 5.3.2.2). Daher sollten Mitarbeiter darauf vorbereitet werden, wie sie sich sowohl fachlich als auch sozial patientenorientiert verhalten sollten. Sympathie, Aufklärung, Zeit nehmen, Hilfsbereitschaft, Aufmerksamkeit und Freundlichkeit gelten als Indikatoren einer guten Interaktion und sind von allen Probanden gewünscht132. Richardson (1987) gibt sehr simple Ratschläge, die den Vertrauensaufbau von Patienten begünstigen können133. Weston et al. (1989) und Brown et al. (1989) schildern, wie eine patientenzentrierte Befragung ablaufen sollte. Empfehlungen zum patientenorientierten Handeln lassen sich auch bei Mechanic (1998a, S. 674ff) und Roter und Hall (1992) finden. Morgan (2008a, S. 62) rät: „by maintaining eye contact, looking attentive, nodding encouragingly and using other gestures, the doctor can provide positive feedback to the patient and facilitate his or her participation”. An dieser Stelle soll abschließend auf das Phänomen der „emotional labor“ hingewiesen werden, da es für Krankenhausmitarbeiter in diesem Kontext der Interaktion mit den Patienten von großer Bedeutung ist. Der Begriff „emotional labor“ wurde von Hochschild (1983) geprägt und beschreibt „the act of expressing socially desired emotions during service transactions“ (Hochschild 1983; Ashford und Humphrey 1993, S. 88f). Da davon ausgegangen wird, dass diese – i.d.R. vom Unternehmen/Organisation - erwünschten Emotionen selten mit den tatsächlich erlebten Emotionen der Mitarbeiter übereinstimmen, stellt die willentliche und zielgerichtete Steuerung von Emotionen eine Form von Arbeit dar. Auch Morgan (2008b) beschreibt die Arbeit des Krankenhauspersonals als „sentimental work“, Strauss et al. (1982) bezeichnet sie als „trust work“. Gerade im Krankenhaus ist dieses Gefühlsmanagement allgegenwärtig, da sich Mitarbeiter stets verständnisvoll, empathisch, unterstützend, kontrolliert und objektiv verhalten sollten. Zudem haben Ärzte oft die Aufgabe, positive Gefühle darzustellen, um ähnliche Gefühle in ängstlichen Patienten hervorzurufen: „Psychologisch geschickte Ärzte führen regelmäßig kleine Komödien auf, in denen sie selber z.B. die Rolle des „dummen August“ spielen“ (Locke 1996; Nerdinger 2000, S. 1190).
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Zwei zusätzliche Aspekte, die von den Befragten sehr geschätzt wurden, waren Humor des Krankenhauspersonals (vgl. Ligas 2004) und private Gespräche mit den Ärzten. Ihre Empfehlungen sind: 1. Patient beim Namen nennen, 2. Patienten den eigenen Namen nennen, 3. Einstellung überprüfen, 4. Erklären, warum man da ist, 5. Prozeduren erst erklären, 6. Termine einhalten, 7. Ehrlich sein.
Schlussbetrachtung
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Diese wichtige Komponente der Arbeit des Krankenhauspersonals ist also zu berücksichtigen, wenn es um Personalbeschaffung, -führung und -entwicklung geht, insbesondere, da dieses „bezahlte Gefühlsmanagement“134 in der Literatur oft mit negativen Folgen wie emotionaler Erschöpfung und Burn-Out von Mitarbeitern in Verbindung gebracht wird (Hochschild 1983; Morris und Feldman 1996, 1997; siehe auch Abschnitt 3.1.2.7)135. 6.3
Kritische Reflexion und Ausblick
Die vorliegende Arbeit hat ihr Ziel, die Rolle und Bildung von Vertrauen im Mini-System Krankenhaus zu erfassen, zu verstehen und umfassend abzubilden, weitgehend erreicht. Von Patienten wahrgenommene Vertrauensebenen und -objekte/-personen im Krankenhaus wurden identifiziert, ihre Relationen zueinander untersucht und beeinflussende Faktoren bewertet. Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden auf Basis von 20 Patienteninterviews und unter Zuhilfenahme ausgewählter Verfahren der Grounded Theory elf Arbeitshypothesen und zwei umfassende Prozessmodelle entwickelt und mit bestehender interdisziplinärer Theorie abgeglichen. Eine kritische Reflexion dieser Arbeit soll unter Zuhilfenahme von gängigen Qualitätskriterien der qualitativen Sozialforschung erfolgen, bevor ein abschließender kurzer Ausblick gegeben wird. Als erstes wird das Kriterium der Nützlichkeit betrachtet (siehe Spiggle 1994; Charmaz 2006; Steinke 2009). Die Erkenntnisse dieser Arbeit lassen sich durchaus als nützlich bezeichnen, da die zu beantwortende Fragestellung der Vertrauensbildung in Krankenhäuser aufgrund der momentanen schwierigen Umbruchssituation als relevant und aktuell dargestellt werden konnte. Zudem wurden Verbindungen zwischen der Darstellung und zentralen Themen und Debatten im Feld gezogen, von denen die Vertrauensforschung einen bedeutsamen Strang darstellt. Von Nutzen ist auch der Beitrag zur Problemlösung - indem Handlungsempfehlungen für Krankenhäuser abgeleitet werden konnten - und zur Wissensentwicklung, da offene Fragen Beantwortung fanden und neue weiterführende Fragen entstanden. Weiterhin erscheinen die Konstrukte, Modelle und entwickelten Hypothesen auch in andere Bereiche und auf andere Kontexte transferierbar.
134 135
Von Hochschild (1983) auch als „commercialization of feeling“ betitelt. Als Best Practice-Organisation ist im Krankenhaussektor der amerikanische Krankenhausverbund der MayoKliniken (www.mayoclinic.com) hervorzuheben, der in Personal-, aber auch Qualitäts- und Ausstattungsaspekten absoluter Vorreiter der Branche ist (o. V. 2009d). Sehr empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang das Buch von Berry und Seltman (2008), welches die vorbildliche Arbeit der Kliniken darstellt und deren Erfolgsfaktoren beleuchtet.
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Schlussbetrachtung
Auch die Glaubwürdigkeit (Charmaz 2006) soll bewertet werden. Hier geht es um Aspekte wie eine ausreichende Fundierung der Ergebnisse, ein systematisches Vergleichen und der Logik der Verbindungen zwischen den Daten und den Folgerungen. Patton (2002, S. 467) schlägt in dem Zusammenhang vor, qualitative Ergebnisse anhand ihrer substantiven Signifikanz zu beurteilen, also wie solide, kohärent und konsistent sie erscheinen, wie konsistent sie zu vorhandenem Wissen sind und inwieweit sie das Verstehen verbessern. Für Carson et al. (2001) weisen einige Vorgehensweisen auf Vertrauenswürdigkeit hin, die auch im Rahmen dieser Arbeit genutzt wurden. Erstens ermöglichte die gezielte Fallauswahl von Patienten eine recht breite Ergebnisbasis. Zweitens sorgte das konstante Vergleichen über alle Patienten hinweg, welches im Rahmen der fallübergreifenden Analyse praktiziert wurde, dafür, dass schlüssige Hypothesen und allgemeingültige Modelle entwickelt werden konnten, die sich durch eine hohe Verallgemeinerbarkeit auszeichnen, da sie auf alle Fälle und Typen übertragbar sind. Hierfür war es auch notwendig, negative (von den anderen in irgendeiner Form abweichende) Fälle speziell zu betrachten, um eine konsistente Theorie zu entwickeln. Das Verfassen von Memos unterstützte den Forschungsprozess auf die Art und Weise, dass Überlegungen zur Erhebung (z.B. Sampling: Wer sollte noch befragt werden?) und zur Analyse (z.B. zu Konstrukten, zur Hypothesen- und Modellbildung) direkt festgehalten wurden, was eine Vertiefung und Verdichtung der Analytik zur Folge hat. Zudem wurden lange und sehr persönliche Interviews geführt, was daran zu erkennen ist, dass alle Probanden sehr vertrauliche und intime Informationen preisgaben136. Dem zu Hilfe kam sicherlich die Tatsache, dass die Befragten der Forscherin in wenigen Fällen völlig unbekannt waren und die Vermittlung über Bekannte und Arbeitskollegen einen ausreichenden Vertrauensvorschuss auf Seiten der Probanden generierten. Angemessenheit ist ein weiteres, eng mit der Glaubwürdigkeit verbundenes Kriterium (Spiggle 1994; Steinke 2009), welches verschiedene Aspekte der Arbeit einschätzt, z.B. inwieweit relevante Theorien berücksichtigt wurden, inwieweit die angewandten Methoden zum Untersuchungsgegenstand und zur Fragestellung passen und inwieweit das Vorgehen und die Erkenntnisse nachvollziehbar dokumentiert wurden. Auch hier wurde versucht, in einer möglichst umfassenden Literaturrecherche sämtliche relevante Quellen mit einzubeziehen, was an der großen Zahl der Referenzen zu erkennen ist. Ferner wurde im Vorgehenskapitel erläutert, warum die gewählten Methoden zielführend für die vorliegende Thematik zu sein
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Dies ist daran zu erkennen, dass alle Probanden sehr offen über ihre Gefühle und Ängste sprachen (z.B. Klaus, der seine Gefühlslage nach seiner Morbus Cron-Diagnose höchst eindrücklich beschreibt), ihre geheimen Gedanken formulierten (z.B. Dieter, der zahlreiche Beobachtungen auf Station schildert) oder intime Missgeschicke zugaben (z.B. Margarete, die aus Versehen ins Krankenbett uriniert).
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scheinen. Es wurde Wert darauf gelegt, dass das Vorgehen detailliert beschrieben wurde. Um die Gewinnung der Erkenntnisse aus den Daten nachvollziehbar zu machen, wurden zahlreiche und oftmals längere Interviewauszüge mit notwendigen Zusatz-Informationen aus den Interviews zur Illustration verwendet. Eine weiteres Kriterium der Originalität (Charmaz 2006) oder Innovation (Spiggle 1994) beurteilt, ob Ideen, Konstrukte und Hypothesen neue und kreative Möglichkeiten bieten, Erfahrungen und Verhalten von Menschen zu betrachten und beschreiben. Hier kann gesagt werden, dass der Versuch, Vertrauensliteratur aus verschiedenen Disziplinen (vor allem auch aus der medizinischen Literatur) zu sichten und zu integrieren, in dieser Art noch nicht vorgenommen wurde. Das Phänomen Vertrauen konnte so aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden. Zudem konnten Erkenntnisse gewonnen worden, die bisher bereits vermutet wurden, aber bisher noch nicht empirisch nachgewiesen werden konnten. Das Kriterium der Integration (Spiggle 1994) prüft, ob die Darstellung der Erkenntnisse eine Synthese, eine Integration oder einen holistischen Rahmen erreicht, der über die reine Identifikation von Themen in den Daten hinausgeht. Dies kann bejaht werden, da versucht wurde, den Vertrauensbildungsprozess und die Effekte zwischen den Vertrauensebenen als ganzheitliche Modelle abzubilden. Zudem sind alle Arbeitshypothesen als Bestandteile eines „roten Faden“ zu sehen, der durch die Erkenntnisse der Arbeit leitet. Sie verbinden verschiedene Aspekte, die das Patientenvertrauensphänomen erklären. Ob die Arbeit aufschlussreich und sensibilisierend ist, bewertet das Kriterium der Resonanz (Spiggle 1994; Charmaz 2006). Da die Arbeit zum besseren Verständnis des Phänomens Vertrauen beiträgt, kann vermutet werden, dass sie zu weiterer Forschung animiert und im Rahmen dieser auch sensibilisiert. Als Limitation ist festzuhalten, dass trotz der gezielten Probandenauswahl, die eine große Bandbreite an unterschiedlichen Typen hervorbrachte, nur Personen befragt wurden, die als Patienten im Krankenhaus Erfahrungen sammeln konnten. Dies erschien für die Forschungsfrage nach Vertrauen ins Krankenhaus zunächst sinnvoll. Der Vollständigkeit halber hätten auch Patienten befrag werden müssen, die noch nie im Krankenhaus waren bzw. nicht ins Krankenhaus gehen, obwohl sie müssten (z.B. weil kein institutionelles Vertrauen in Krankenhäuser vorhanden ist). Eine weitere Einschränkung ist darin zu sehen, dass Patienten erst nach Abschluss ihres Krankenhausaufenthalts darüber befragt wurden. Dies sorgte dafür, dass sie oftmals zwischen den Konstrukten Vertrauen, Zufriedenheit und Wohlfühlen nicht unterscheiden, was die Ana
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lyse zuweilen recht schwierig gestaltete. Da Vertrauen, Wohlfühlgefühl und Zufriedenheit drei Konstrukte darstellen, die sehr eng miteinander zusammen hängen, hätte man Patienten idealerweise auch vor ihrem Aufenthalt fragen müssen, um a priori Vertrauenseinstellungen zu erfassen. Bei einer reinen Befragung der Patienten vor ihren Aufenthalten hätte man nicht die tatsächlichen vertrauensbildenden Faktoren erheben können, lediglich den Zustand und die Vermutungen bezüglich der Vertrauensbildung. Daher wäre eine Kombination von Interviews vor und nach den Aufenthalten zweckmäßig. Diese hätte weiterhin durch Beobachtungen vor Ort ergänzt werden können. Die vorliegende Arbeit bietet diverse Ansätze und Ideen für zukünftige Studien zum Thema Vertrauen. Dabei lassen sich zwei grobe Richtungen identifizieren. Einerseits bleiben noch einige Forschungslücken im Krankenhaus-Kontext, mit denen es sich zu beschäftigen gilt. So könnte man die erhobene Patientensicht zur Vertrauensbildung der Sicht des Krankenhauses und seinen Mitarbeitern gegenüberstellen. Ein Abgleich der Themen und Prozesse ließe erkennen, wie ähnlich beide Seiten die Problematik sehen bzw. welche Diskrepanzen vorhanden sind. Auch bleibt zu untersuchen, inwieweit die beiden entwickelten Vertrauensbildungs-Modelle und die elf Arbeitshypothesen in quantitativen Studien bestätigt werden. Die Determinanten des Patientenvertrauens in Krankenhäuser sollten in einem nächsten Schritt in ein Messinstrument zur Erhebung des Vertrauens ins Krankenhaus überführt und empirisch auf Validität und Reliabilität geprüft werden. Bei der Operationalisierung muss beachtet werden, dass mehrere Ebenen und Dimensionen in einer solchen Skala integriert werden. Andererseits bieten die Erkennisse dieser Arbeit - wie schon in Abschnitt 6.2.1 teilweise angesprochen - auch über den medizinischen Kontext hinaus Hinweise auf zukünftige Fragestellungen in der Vertrauensforschung. So sollte bei der Messung von Vertrauen zwischen verschiedenen Akteuren und Ebenen unterschieden werden. Eine weitere Differenzierung nach bestimmten Tätigkeiten, denen man vertrauen kann, sollte ebenfalls überlegt werden. Auch die Erhebung von Vertrauen und Misstrauen als zwei voneinander unabhängige Konstrukte ist zu prüfen, da beim Einsatz separater Skalen die Aussagekraft eines Modells deutlich steigen könnte, da nicht nur die Höhe des Vertrauens, sondern auch die Höhe des Misstrauens berücksichtigt werden sollte. Es ist zu prüfen, ob beiden Konstrukten tatsächlich verschiedene Antezedenten und Konsequenzen vor- bzw. nachgelagert sind. Die Feststellung, dass mehrere Ebenen des Vertrauens (institutionell und relational) und verschiedene Vertrauensbjekte bzw. -personen von Kunden wahrgenommen und unterschieden werden, sollte in Studien zukünftig berücksichtigt werden, um die Validität und Aussagekraft der Skalen zu erhöhen. Eine weiteȱ
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re Frage, die in dieser Arbeit offen geblieben ist, ist die der Kausalität zwischen Vertrauen und Zufriedenheit. Im Rahmen der Vertrauens- und Zufriedenheitsforschung von Kunden könnten in zukünftigen Studien die angenommenen Rollen derselben zusätzlich erhoben werden, um so Kundentypen noch differenzierter betrachten zu können. In diesem Zusammenhang sollte ein Messinstrument entwickelt werden, welches die im jeweiligen Kontext relevanten Aspekte der Rolle erfassen kann. Die Patientenrolle wurde in dieser Arbeit bereits im Bezug auf vier Dimensionen und ihre Ausprägungen inhaltlich konzipiert. Diese Konzeptionalisierung könnte als Basis für die Entwicklung einer Skala zur Erhebung der Patientenrolle genutzt werden. Das entwickelte Theorie-Modell zur Bildung des relationalen Patientenvertrauens sollte in andere Bereiche übertragen und in einer quantitativen Erhebung geprüft werden. Die Empfehlung, das C/D-Paradigma der Zufriedenheitsforschung auch auf die Vertrauensbildung zu übertragen, könnte so erprobt werden. Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass die vorliegende Arbeit sowohl der Krankenhaus-Praxis als auch der Wissenschaft dienlich ist. So liefert sie wichtige Erkenntnisse, die die Basis für eine stärkere Patientenorientierung in Krankenhäusern darstellen. Sicher ist, dass der Druck auf Krankenhäuser, sich als attraktiver Dienstleistungsanbieter zu positionieren, weiter steigen wird. Patienten- bzw. Kundenorientierung gewinnt also stetig an Bedeutung. Trotz des recht speziellen Kontexts der Studie lassen sich die Erkenntnisse grundsätzlich aber auch auf andere Bereiche übertragen, in denen ähnliche ungleiche Macht- und Informationsstrukturen zwischen Anbieter und Kunden herrschen. Auch für die Vertrauensforschung liefert die Arbeit einen wichtigen Beitrag. Sie macht deutlich, dass Dienstleistungen vielschichtige Prozesse darstellen, die deutlich mehr als nur die technische Erbringung der Leistung umfassen und daher auch von ihrer sozio-psychologischen Seite betrachtet werden müssen. Diese Seite wurde in der Arbeit intensiv analysiert und beleuchtet. Dabei wurde deutlich, dass bei der Dienstleistungserstellung aus Sicht der Patienten oftmals technische Facetten in den Hintergrund treten, während sozio-psychologische Aspekte an Bedeutung gewinnen. Diese Perspektive findet leider immer noch nicht ausreichend Berücksichtigung in Wissenschaft und Praxis. Diese Arbeit soll dafür sensibilisieren. „The social construction of organizations […] is intensely subjective and personal. We are informed that work organizations, as well as producing goods and services, are also sites where individuals make meaning for themselves, and have their meanings shaped. The profound emotional basis for this is only hinted at.” (Fineman 1993, S. 13)
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