Butler Parker Neu Nr. 235
Günter Dönges
PARKER spielt das Gangsterschach Butler Parker befand sich in einer seelische...
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Butler Parker Neu Nr. 235
Günter Dönges
PARKER spielt das Gangsterschach Butler Parker befand sich in einer seelischen Verfassung, die man als heiter und ausgelassen bezeichnen konnte. Er hielt seine bewährte Gabelschleuder in Händen und war gerade dabei, die dritte Fensterscheibe zu zertrümmern. Er hatte einen runden Kieselstein in die Lederschlaufe der Schleuder gelegt, spannte die beiden starken Gummistränge und visierte das Fenster an. Nachdem er die Lederschlaufe freigegeben hatte, jagte der erwähnte Kieselstein in rasantem Flug durch die Luft und erreichte Sekundenbruchteile später bereits die Scheibe, die explosionsartig auseinanderflog. Parker überlegte, ob er nicht noch ein viertes Fenster zertrümmern sollte. Noch hatte sich in dem Landhaus hinter der hohen Taxushecke nichts gerührt... Scan, Korrektur, Layout by Larentia Mai 2003 Diese digitale Kopie ist NICHT für den Verkauf bestimmt !
Die Bewohner waren wohl noch intensiv damit beschäftigt, diese Morgengabe psychisch zu verdauen. Als Parker das wütende Kläffen eines Hundes hörte, legte er die Sportschleuder zusammen, steckte sie in die Innentasche seines schwarzen Zweireihers und hängte den altväterlich gebundenen Regenschirm korrekt über den angewinkelten linken Unterarm. Er schritt gemessen weiter und bot ein Bild würdevoller Unschuld. Er zuckte mit keiner Wimper, als zwei Dobermänner aus dem Gartentor schössen und Kurs auf ihn nahmen. Josuah Parker blieb stehen, zeigte jedoch keine Angst. Er hatte das ausdruckslose Gesicht eines berufsmäßigen Pokerspielers, der sich durch nichts erschüttern läßt. Die beiden starken Hunde hatten ihn erreicht und verharrten. Sie waren irritiert, weil dieser Zweibeiner nicht ängstlich zurückwich, wie sie es gewöhnt waren. Die Geschmacksknospen in ihren Nasen meldeten auch nichts von Angstschweiß. »Zurück! Bei Fuß!« Eine helle, fast peitschende Stimme rief die beiden Dobermänner zurück. Ein Mann von etwa dreißig Jahren kam aus dem Garten und musterte den Butler. Er trug einen Jeansanzug, war schlank und wirkte sportlich durchtrainiert. »Ich gestatte mir, Ihnen einen schönen Tag zu wünschen«, sagte Josuah Parker und lüftete seine schwarze Melone. »Sie besitzen zwei Hunde, die bemerkenswert sind.« »Haben Sie irgendeinen anderen Menschen gesehen?« fragte der Mann und schaute die Straße hinunter. »Dies allerdings«, bestätigte der Butler in einer höflichen Art, die aber nichts mit servilem Benehmen zu tun hatte. »Ich komme gerade aus der City, von London. Meiner bescheidenen Schätzung nach kreuzten dort Tausende von Menschen meinen Weg.« Der Jeansträger fühlte sich sofort veralbert, doch dann
revidierte er sich. Diesem schwarzgekleideten Mann war Ironie wohl kaum zuzutrauen. »Ich meine, ob Sie hier auf der Straße irgendeinen Typ gesehen haben«, präzisierte er seine Frage, während die beiden Dobermänner seitlich neben ihm Platz nahmen. »Wären Sie möglicherweise in der Lage, eine genaue Personenbeschreibung zu liefern?« »Sie haben nichts gehört?« Der Mann im Jeansanzug versuchte sich ein Urteil zu bilden, doch er kam zu keinem Resultat Dieser Mann, der wie der hochherrschaftliche Butler in einem Film aussah, entzog sich jeder Beurteilung. »Das Klirren diverser Fensterscheiben traf meine Ohren«, erwiderte Parker würdevoll. »Hat es eine tiefere Bedeutung?« »Schon gut, schon gut«, sagte der Mann und winkte gereizt ab. »Werden Lausejungs gewesen sein.« »Dies möchte ich entschieden bestreiten«, entgegnete Parker. »Von sogenannten Straßenjungen war hier weit und breit nichts zu sehen, nur von einem Fahrzeug, das allerdings kurz vor der Hecke hielt.« »Ein Fahrzeug?« Der Jeansträger wurde hellhörig. »Ein unscheinbarer Morris«, behauptete der Butler weiter. »Im Wagen befanden sich zwei junge Männer.« »Sie haben sich nicht zufällig das Kennzeichen gemerkt?« »Dazu lag keine Veranlassung vor«, meinte Josuah Parker. »Sie gehen von der Annahme aus, daß man das Fensterglas zerstört hat?« »Keine Ahnung.« Der Mann wandte sich um und ging zurück in den großen Vorgarten, an dessen Ende ein anderthalbstöckiges Landhaus stand. Parker schritt würdevoll weiter und spürte, daß der Jeansträger ihn mißtrauisch beobachtete.
*** Agatha Simpson war eine große und ungemein stattliche Frau, die es längst aufgegeben hatte, auf ihre Linie zu achten. Sie war, höflich ausgedrückt, recht füllig und besaß die Ausstrahlung einer Herzogin. Lady Agatha, seit vielen Jahren Witwe, immens vermögend und mit dem Blut- und Geldadel Englands verschwistert und verschwägert, liebte die bequeme Kleidung. Sie bevorzugte Chanel-Kostüme, meist einige Nummern zu weit. Sie mußten selbstverständlich aus bestem, handgewobenen Tweed bestehen, der fast unzerreißbar war. Vor Jahren bereits hatte sie es aufgegeben, ihre Geburtstage zur Kenntnis zu nehmen. Eingeweihte wußten allerdings, daß sie die sechzig schon seit geraumer Zeit überschritten hatte. Agatha Simpson befand sich an diesem frühen Nachmittag in der Warren Street in einem langgestreckten Wohnbau mit sechs Stockwerken. Die Lady hatte die dritte, Etage erreicht und schritt fest und energisch durch einen langen Korridor, bis sie das Apartment Nr. 36 erreichte. Sie läutete und wartete ungeduldig auf das öffnen der Tür. Es dauerte jedoch längere Zeit, bis hinter der Tür sich etwas rührte. Die Dame merkte, daß sie durch einen Türspion beobachtet wurde, und bemühte sich daher, ihrem Gesicht einen verbindlich-friedlichen Ausdruck zu verleihen. Endlich öffnete sich die Tür, doch sie blieb durch eine Sperrkette gesichert. Das fragende und irgendwie ängstliche Gesicht eines älteren Mannes war zu erkennen. »Mr. Fielding?« fragte Lady Agatha. Ihre Stimme war dunkel. »Fielding«, bestätigte ihr Gegenüber. »Aber ich. kaufe nichts.«
»Schnickschnack.« Lady Agatha wurde bereits ungeduldig. »Ich will Ihnen nichts andrehen, junger Mann, ich komme wegen der Mieter-Initiative. Haben Sie nun angerufen oder nicht?« »Ich ... Ich habe mit einem Mr. Rander gesprochen, Madam.« Der Mann wurde mißtrauisch. »Anwalt Mike Rander, ich weiß, junger Mann. Er hat mich geschickt.« »Sie sind eine Angestellte von ihm?« fragte Fielding in völliger Verkennung der Sachlage. »Seine mütterliche Freundin«, stellte Lady Agatha in etwa richtig. »Wollen Sie mich nun einlassen oder nicht?« »Einen Moment, Madam.« Die Tür schloß sich, die Sperrkette wurde ausgehakt, und dann stand Fielding in voller Größe vor der älteren Dame. Es war nicht viel, was er an Statur zu bieten hatte. Er war gerade mittelgroß, hatte einen kleinen Bauch und ein rundes Gesicht mit großen Kinderaugen. Sein Kopfhaar war nur noch partiell vorhanden und weiß. Agatha Simpson schaute sich in dem Wohnraum um, der peinlich sauber war. Außer diesem Raum gab es noch eine winzige Küche und ein Bad. Das Mobiliar war alt, aber grundsolide. »Ich bin Lady Simpson«, stellte die Besucherin sich vor und setzte sich in einen der alten Ledersessel. »Kommen wir sofort zur Sache, Mr. Fielding: Sie haben Ärger mit Ihrem Hausbesitzer?« »Ja und nein«, lautete die etwas zögernde Antwort. »Die Sache ist nämlich so, Mylady... Eigentlich haben wir mehr Ärger mit den neuen Bewohnern, verstehen Sie?« »Nicht ein Wort«, entgegnete Lady Agatha rundheraus. Freunde, und Bekannte wußten, daß sie auf die Regeln gesellschaftlicher Höflichkeit pfiff. Sie war stets sehr direkt
und nannte die Dinge beim Namen. »Seitdem die neuen Mieter hier im Haus sind, ist die Hölle los«, berichtete Fielding und dämpfte unwillkürlich die Stimme. Er sah sogar nervös zur Tür, schien Angst zu haben vor dem Belauschtwerden. »Um welche Mieter handelt es sich?« wollte Lady Agatha wissen. »Sechs Leute«, antwortete Fielding. »Junge Männer, verstehen Sie?« »Noch immer nicht, Mr. Fielding. Wo ist das Problem?« Sie zwang sich zur Geduld. »Dieser Krach«, stöhnte der Mann. »Es ist kaum zu ertragen. Immer dieser Krach.« »Im Moment höre ich überhaupt nichts, junger Mann.« »Reiner Zufall, Mylady.« Der ältere Mann schien das schon fast zu bedauern. »Aber es kann jeden Augenblick ...« Er hatte den Satz noch nicht beendet, als Lady Agatha eine Kostprobe serviert bekam. Ohne jede Vorwarnung brüllte plötzlich ein Lautsprecher und ließ die Bilder an der Wand erbeben. Fielding hielt sich sofort die Ohren zu und schloß die Augen. Lady Simpson schluckte vor Überraschung und beobachtete die Lampe. Sie war in Schwingungen geraten. Die ältere Dame erhob sich und marschierte zur Tür des Apartments. Als sie sie öffnete, prallte sie fast zurück, denn sie wurde von den Schallwellen förmlich angefallen. Die Lady holte tief Luft, stemmte sich gegen sie und hielt auf die Quelle dieser irren und überlauten Pop-Musik zu. Sie blieb vor einer Tür stehen, die erfreulicherweise nur angelehnt war. Lady Agatha drückte sie auf und ... stand vor einer Lautsprecherbox, die etwa einen Meter hoch war. Sie wies vier offene Trichter auf, die diesen höllischen und gesundheitsgefährdenden Lärm produzierten ...
Die Sechzig jährige war eine Frau schneller Entschlüsse. Sie kickte mit dem rechten Fuß den Lautsprechersatz zur Seite... Und wenn eine Lady Agatha Simpson zutrat, tat sie es mit Energie. Die Box nahm übel und krächzte mißtönend. Sie gab keinen Laut mehr von sich, als die resolute Dame sie mit einem zweiten Fußtritt ins Innere des Apartments beförderte. Dann fetzte sie einen Vorhang zur Seite und sah sich den jungen Mann an, der in einem Faltstuhl saß, wie Regisseure ihn benutzten. Seine Trommelfelle hatte er durch Ohrenklappen geschützt, wie sie in der Industrie an lärmgefährdeten Stellen getragen werden. Erst mit einiger Verspätung merkte der junge Mann, daß die Musik nicht mehr spielte. Er riß die Ohrenklappen herunter, drehte sich um und sah Lady Agatha entgeistert an. »Ich werde mich mit Ihnen über Laut- und Zimmerstärke unterhalten, junger Mann«, sagte die ältere Dame grollend. Sie marschierte auf ihn zu, und der junge Mann merkte sofort, daß mit dieser Frau nicht gut Kirschenessen war. »Wer sich wie ein Flegel benimmt, wird auch entsprechend behandelt«, redete Lady Agatha weiter und ... verpaßte ihm blitzschnell eine ihrer gefürchteten Ohrfeigen. Der junge Mann mußte sie voll nehmen. Es riß ihn von den Beinen. Er legte sich waagerecht in die Luft und krachte dann auf den Fußboden. Er war ein paar Sekunden benommen, stand langsam auf und ballte die Fäuste. Er näherte sich seiner Kontrahentin und übersah dabei den perlenbestickten Pompadour, der an Lady Agathas linkem Handgelenk pendelte. *** Sie sahen deprimiert und mutlos aus. Sechs Frauen, im Alter zwischen fünfundzwanzig und
vierzig Jahren, hatten sich in einem einfach eingerichteten Wohnraum vor einem elektrischen Kamin versammelt und gerade ihre Sorgen vorgetragen. »Die Mieter-Initiative hat überhaupt nichts gebracht«, sagte die etwa vierzigjährige Mrs. Fall. »Wir haben Briefe geschrieben, wir haben uns bei der Polizei beschwert, wir haben sogar eine Delegation geschickt - aber alles war umsonst.« »Wir sind noch nicht mal empfangen worden«, fügte Mrs. Lester hinzu und winkte ab. »Schon in der Anmeldung hat man uns abgewimmelt.« »Und wie«, warf Mrs. Brook aufgebracht ein. »Zwei angebliche Bürodiener haben uns rausgeschmissen. Und wie sie uns rausgeschmissen haben, Mr. Rander!« Mike Rander hatte sich Notizen gemacht und zündete sich eine Zigarette an. Er war etwa vierzig Jahre alt, schlank, groß und sah aus wie ein Dressman, woran seine Kleidung nicht ganz unbeteiligt war. Er trug einen dunklen Blazer, graue Flanellhosen und eine Krawatte in den Farben der teuren Universität, die er einst besucht hatte. Mike Randers gut geschnittenes Gesicht zeigte einen leicht blasierten und desinteressierten Ausdruck. Im Grund schienen ihn die Dinge, die man ihm da gerade vorgetragen hatte, kaum zu berühren. »Sind Kündigungen ausgesprochen worden?« fragte er. »In unserem Block bisher sechs«, antwortete Mrs. Brook, die etwa fünfundzwanzig Jahre zählte. »Aber vier Familien sind bereits freiwillig ausgezogen.« »Diesen Terror kann man kaum noch ertragen«, seufzte Mrs. Fall auf. »Unentwegt Lärm und Krach, dann die Anpöbeleien im Treppenhaus und in den Gängen.« »Ist dagegen gar nichts zu machen?« fragte Mrs. Lester. »Hat irgend jemand eine Anzeige erstattet?« wollte Anwalt
Rander wissen. »Anzeigen am laufenden Band«, entgegnete die fünfundzwanzigjährige Mrs. Brook, die die Sprecherin der Mieter-Initiative war. »Bisher ist aber alles im Sand verlaufen.« »Sie sind sicher, daß man Sie aus dem Block vertreiben will?« erkundigte sich jetzt Kathy Porter, die neben Mike Rander auf einem Hocker saß. Sie hatte die bisherige Diskussion stenographisch festgehalten. Kathy Porter, kaum älter als Mrs. Brook, war schlank, ein wenig kleiner als Mike Rander und hatte kastanienbraunes Haar mit einem leichten Rotstich. Sie sah aus wie ein scheues Reh, schien verwundbar und sogar etwas ängstlich. In ihrem Cordanzug wirkte sie ungemein anziehend und löste in jedem Mann automatisch Beschützerinstinkte aus. Sie war die Sekretärin und Gesellschafterin einer gewissen Lady Agatha Simpson und wurde von ihr wie ein eigenes Kind gehalten. Im Augenblick assistierte sie Anwalt Rander der nach seiner Rückkehr aus den Staaten von der älteren Dame wie selbstverständlich »vereinnahmt« worden war. Sie hatte ihm die Verwaltung ihres Vermögens übertragen und hoffte seit einiger Zeit, daß aus den »beiden Kindern«, wie sie Mike Rander und Kathy Porter insgeheim nannte, eines Tags ein Paar wurde. »Wigmore wird es schaffen«, beantwortete Mrs. Brook die Frage von Kathy Porter. »Bisher hat er's immer geschafft.« »Er arbeitet also nach bewährtem Muster?« fragte Mike Rander Und machte wieder einen fast gelangweilten Eindruck. »Der reitet jede Masche, um seine Mieter aus den Häusern zu treiben«, sagte Mrs. Lester. »Zuerst kauft er alte Reihenhäuser und ganze Wohnblocks auf, dann setzt er die Mieter an die frische Luft und renoviert. Was dann passiert, können Sie sich ja leicht ausrechnen, Mr. Rander.«
»Er vermietet sie zu wesentlich höheren Preisen.« Mike Rander nickte. Die Methoden dieses Mannes waren ihm aus der Presse bekannt, doch bisher hatte er sich darum kaum gekümmert. »Wir können natürlich wohnen bleiben«, fiel Mrs. Brook ein, »aber eben nur dann, wenn wir die Mondpreise bezahlen können.« »Kann man dagegen wirklich nichts machen?« wollte Mrs. Fall wissen. »Juristisch kaum etwas.« Rander zuckte die Achseln. »Das Recht ist auf seiner Seite.« »Schönes Recht«, sagte Mrs. Brook bitter. »Hören Sie, Mr. Rander, wir wer. den unsere Wohnungen besetzen, verstehen Sie? Wir lassen uns nicht vertreiben. Und wenn wir uns anketten müßten, wir gehen nicht raus!« Sie redeten durcheinander und merkten nicht, daß die Tür zum Wohnraum sich öffnete. Zwei junge Männer blieben in der geöffneten Tür stehen, und einer von ihnen warf plötzlich eine zerdrückte Pappschachtel auf den Boden. Drei große Ratten, die bisher eingeschlossen waren, witterten eine Möglichkeit, die Flucht zu ergreifen. Sie rannten allerdings erst mal blindlings los und scheuchten die Frauen durcheinander, die die Nager entdeckt hatten und gellend schrien. »Nur'n Scherz«, sagte der stämmigere der beiden jungen Männer und kam langsam auf Mike Rander zu. »Sie sind der Anwalt, der hier 'ne Show abzieht?« »Lieber Mann, von einer Show kann keine Rede sein«, antwortete Mike Rander und zuckte mit keinem Muskel, als der junge Mann etwas weit zu einem Haken ansetzte. Sein Schlag war im Ansatz mehr als nur erkennbar, er meldete ihn förmlich an...
*** Der Geohrfeigte sprühte förmlich vor Haß. Es machte ihm überhaupt nichts aus, daß er es mit einer älteren Dame zu tun hatte. Er war gemaßregelt worden und wollte sich dafür mit seinen Mitteln revanchieren. »Sie wollen eine alte und hilflose Frau schlagen?« fuhr Agatha Simpson ihn an. »Mich schlägt man nicht«, sagte er leise, eindringlich und giftig. »Oder höchstens nur einmal.« Die Lady wich zurück und streckte abwehrend den rechten Arm aus. Der junge Mann tappte prompt in die Falle, griff nach ihrem Handgelenk und zerrte Agatha Simpson zu sich heran. In diesem Augenblick ließ die ältere Dame ihren perlenbestickten Pompadour gekonnt kreisen und vorschnellen. Der perlenbestickte Handbeutel, wie er von den Damen um die Jahrhundertwende gern getragen wurde, hatte es im wahrsten Sinn des Worts in sich. Im Pompadour befand sich Myladys sogenannter »Glücksbringer«. Es handelte sich dabei um ein echtes Pferdehufeisen, das sie aus Gründen der Humanität ein wenig mit dünnem Schaumgummi umwickelt hatte. Der Jüngling dachte, er sei von einem auskeilenden Pferd getreten worden. Er legte sich noch mal waagerecht auf die Zimmerluft und krachte erneut auf den Fußboden. Diesmal blieb er liegen und rührte sich nicht mehr. Lady Simpson, die ihren »Glücksbringer« genau zu dosieren wußte, kümmerte sich nicht weiter um den jungen Mann. Aus Erfahrung war ihr bekannt, daß die Schwellung auf der linken Wange des Getroffenen nach einigen Tagen wieder abklang. Sie schaute sich in dem kleinen Apartment um und wunderte sich, daß so gut wie kein Mobiliar vorhanden war. Es gab da
ein Feldbett, dann zwei dieser Faltsessel und ein modernes Tonbandgerät, an das der Riesenlautsprecher angeschlossen worden war. In der Küche stapelten sich auf einem Wandtisch volle und leere Konservendosen. Der junge Mann schien eine Vorliebe für Fertiggerichte aller Art zu haben. Lady Agatha kam zu dem Schluß, daß der Bewohner dieser kleinen Wohnung bestimmt nicht die Absicht hatte, hier für längere Zeit zu bleiben. Sie zuckte unwillkürlich zusammen, als plötzlich wieder Musik dröhnte, die ebenfalls trommelfellschädigend war. Sie ging ärgerlich und energisch zurück in den Wohnraum, doch der junge Mann lag noch immer auf dem Boden. Nein, diese donnernden Baßgeräusche, die wie dumpfe Paukenschläge wirkten, kamen aus einer anderen Wohnung. Agatha Simpsons Pompadour geriet bereits wieder in Schwingungen, als sie das Apartment verließ und auf die neue Geräuschquelle zuhielt. Sie brauchte nicht weit zu gehen. Am Ende des Korridors blieb sie vor einer geschlossenen Wohnungstür stehen und läutete. Erst nach einigen Sekunden ging ihr auf, daß man das Läuten unmöglich hören konnte. Sie bewegte den Drehknauf der Tür und nickte zufrieden, als das Schloß sich öffnen ließ. Die ältere Dame marschierte in die Wohnung und glaubte im ersten Moment an eine Halluzination. In einer sonst fast leeren Wohnung saß ein junger Mann in einer Art Regiesessel und bediente eine moderne Tonbandmaschine. Eine Leitung schlängelte sich von diesem Gerät hinüber zu einer Lautsprecherkombination, die wenigstens einen Meter hoch war. Der junge Mann trug ebenfalls Gehörschützer modernster Bauart. Er trug sie nicht mehr lange. Agatha Simpson hatte keine Schwierigkeiten, ungehört an
den Musikfreund heranzukommen, der ihr den Rücken zuwandte. Sie tippte ihm auf die Schulter, worauf der Liebhaber der lauten Töne sich überrascht umdrehte. Nach einer Ohrfeige legte er sich auf den kahlen Boden und war eindeutig benommen. Die Lady nahm die Lautsprecherbox und warf sie gegen die Wand, was dem Innenleben des Geräts nicht sonderlich bekam. Mit leichtem Kreischen, das dann in ein Wimmern überging, endete die Übertragung. Der junge Mann wollte aufstehen und sich wahrscheinlich auf die ältere Dame stürzen. Es blieb allerdings beim Versuch wie sich zeigte. Er stand kaum auf den schlotternden Beinen, als die Knie nachgaben. Der junge Mann legte sich erneut nieder. »Zimmerlautstärke«, sagte Agatha Simpson grollend. »Melden Sie Ihrem Wigmore, daß er mit diesen Tricks nicht weit kommt, dafür werde ich ab sofort sorgen.« *** Der Stämmige holte zu einem Haken aus und war überzeugt, daß er diesen blasierten Anwalt treffen und ausknocken würde. Er legte sein ganzes Körpergewicht in den Haken und ... traf nur die Luft. Er war schnell wieder auf den Beinen und baute sich erneut auf. »Bei wem haben Sie das Boxen eigentlich gelernt?« erkundigte sich Mike Rander ironisch. Er glich gerade jetzt einem Schauspieler namens Roger Moore, der sich als Darsteller des James Bond einen Namen gemacht hatte. Desinteressierter hätte dieser Filmstar auch nicht wirken können. »Du Lackaffe!« Der Stämmige fintierte, täuschte und wollte dann seinen Schlag landen. Und noch mal legte er in ihn alles,
was er hatte. Seine Faust zischte vor und ... landete auf der Sperrholzplatte eines Hockers, den Mike Rander gehoben und dem Angreifer entgegengestreckt hatte. Die Sperrholzplatte splitterte, gab nach und ließ die bereits zerschundene Hand passieren. Dann stöhnte der Schläger, setzte sich und starrte verbiestert auf seine Faust. Der zweite junge Mann hatte sich geschickt an Mike Rander herangearbeitet, der ihm den Rücken zugewandt hatte. Dieser junge Mann wollte sich nicht auf seine Fäuste verlassen, sondern auf ein Messer, das er in der linken Hand hielt. Die Frauen im Wohnzimmer stöhnten vor Entsetzen. Sie waren nicht fähig, dem eleganten Anwalt eine Warnung zuzurufen. Es war bereits beschlossene Sache, daß der Mann zustechen und sein Ziel auch finden würde. Doch dann kam alles ganz anders. Kathy Porter, das scheue Reh, verwandelte sich ohne erkennbaren Übergang in eine geschmeidige Pantherkatze, doch das bekam der Angreifer gar nicht mit. Kathy hechtete vor und schlug mit der rechten Handkante kurz zu. Zuerst landete das Messer auf dem Boden, dann dessen Besitzer. Er verdrehte die Augen, schnappte nach Luft und begab sich auf dem Eilweg in das Land der Träume. Die Frauen hatten sich weit hinten im Wohnraum zusammengedrängt und konzentrierten sich wieder auf die Ratten, die verunsichert waren. Sie zwängten sich ihrerseits in eine Ecke und wußten nicht so recht, wie sie sich verhalten sollten. Dann aber huschten sie zur geöffneten Tür und verschwanden nach draußen. »Sie werden ihren Weg schon finden«, beruhigte Mike Rander die Frauen. »Ich schlage vor, Sie gehen in Ihre Wohnungen. Ich möchte mich gern noch mit diesen beiden Burschen unterhalten, wenn ich darf, Mrs. Brook?«
Sie war die Mieterin der Wohnung und nickte nach kurzem Zögern. »Ich werde Sie in Ihre Wohnungen bringen«, warf Kathy Porter ein und nickte den verängstigten Frauen zu. »Muß ich hier bleiben?« fragte Mrs. Brook und sah Mike Rander an. »Durchaus nicht, Madam«, erwiderte er lächelnd, »ich glaube, ich werde allein zurechtkommen.«. Als er allein in der Wohnung war, lehnte Mike Rander sich gegen den Kamin und sah den stöhnenden Faustkämpfer an, der sich nicht getraute, seine Hand aus dem Hockersitz zu zerren. »Wigmore, nicht wahr?« fragte der Anwalt knapp. »Wer ist Wigmore?« fragte der Faustkämpfer mit gequetschter Stimme. »Also nicht Wigmore, wer sonst, lieber Mann?« »Wer was!?« Der Mann verdrehte die Augen, als er seine Hand vorsichtig bewegte. »Wer hat Sie losgeschickt? Noch können Sie frei reden, mein Junge, Ihr Partner schläft.« »Für das hier sehen wir uns wieder«, drohte der Mann, was allerdings ohne rechten Nachdruck geschah. »Soll ich Ihnen helfen?« Rander ging langsam auf ihn zu. »Man muß die Hand ruckartig aus dem Sperrholz ziehen.« »Sind Sie wahnsinnig?« Der Mann fuhr zurück. »Ich bin für Klarheit«, stellte Mike Rander fest. »Noch mal und zum letzten Mal: Wer hat Sie mit den Ratten geschickt?« Der verunglückte Faustkämpfer mußte wohl gemerkt haben, daß der Anwalt nicht scherzte. Er senkte die Augen, schaute dann zu seinem Partner hinüber und nannte einen Namen. »Etwas deutlicher«, bat der Anwalt. »Steven Cromer«,
wiederholte der Mann, nun etwas deutlicher und wesentlich lauter. »Aber von mir haben Sie den Namen nich', das werd' ich jederzeit beschwören.« »Und wo findet man diesen Steven Cromer?« »Soho, in der Nähe vom Westend-Hospital. Er hat da 'nen Blumenladen.« »Wie sinnig.« Mike Rander lächelte. »Übrigens, wenn Sie sich angegriffen fühlen sollten, kann ich die Polizei anrufen.« »Zum Teufel mit den Bullen«, antwortete der Mann auffahrend, um dann allerdings wieder zu stöhnen. »Wie viele Ratten haben Sie heute schon unters Volk gebracht?« stellte Mike Rander seine nächste Frage. Er sah zu dem zweiten Mann hinüber, der sich jetzt rührte und seinen Hals vorsichtig betastete. Seine Bewegungen wirkten noch ein wenig unkoordiniert. »Von mir aus können Sie verschwinden«, sagte Rander zu dem Boxkünstler und nickte auch dem Schneidwarenfreund zu. »Richten Sie diesem Wigmore aus, daß schlechte Zeiten für ihn anbrechen!« Sie gingen und waren sehr unsicher auf den Beinen. Der Faustkämpfer nahm den Hocker als Souvenir mit. Er getraute sich noch immer nicht, ihn von der Hand zu ziehen. Mike Rander folgte ihnen, bis sie tief unten im Treppenhaus verschwunden wäre. Vom Fenster aus beobachtete er dann, wie sie in einen Ford stiegen. Er merkte sich selbstverständlich das Kennzeichen und wandte sich um, das Kathy Porter erschien. »Netter Nachmittag«, sagte er zu ihr. »Ich glaube, es wird Zeit für den Tee, Kathy. Lady Simpson wartet bestimmt schon auf uns.« *** Das Haus der Lady war in Fachwerkbauweise errichtet
worden und stand auf den Gewölben einer ehemaligen Abtei. Es beherrschte einen kleinen U-förmigen Platz und wurde zu beiden Seiten von gleichfalls alten Fachwerkbauten eingeschlossen. Inmitten der hektischen Millionenstadt London war dies hier eine Oase der Ruhe und des Friedens. Die angrenzenden Häuser gehörten ebenfalls der Lady. Auf raffinierte Art standen alle untereinander in Verbindung. Josuah Parker hatte sich einiges einfallen lassen. Noch wohnte Mike Rander zwar in der nahen Curzon Street, wo sich auch seine Kanzlei befand, doch es war wirklich nur eine Frage der Zeit, bis der Anwalt seinen Widerstand aufgab und in eines der Häuser in Shepherd's Market zog. Lady Simpson wartete ungeduldig darauf, daß Mike Rander in ihren Wohnbereich wechselte. Butler Parker servierte den Tee in der Halle. Er trug jetzt eine gelb-schwarz gestreifte Weste und weiße Handschuhe. Mit der Feierlichkeit eines traditionsbewußten Zeremonienmeisters goß er Tee in Porzellantassen und rückte für seine Herrin die Kristallkaraffe mit dem obligaten Kreislaufbeschleuniger zurecht. Dabei handelte es sich um alten französischen Kognak, den die Lady ungemein schätzte. Nachdem Parker auf der Kante seines Stuhls Platz genommen hatte, faßte Anwalt Mike Rander noch mal zusammen, was sie sich mitgeteilt hatten. »Dieser Will Wigmore hat einen Burschen namens Steven Cromer vorgeschickt«, schloß er, »der die Dreckarbeit vor Ort erledigt.« »Kennen wir diesen Cromer, Mr. Parker?« fragte die ältere Dame und wandte sich an ihren Butler. »Besagte Person trat bisher kaum in Erscheinung, Mylady«, antwortete der Butler, der über intime Kenntnisse innerhalb der Unterwelt von London verfügte. »Er gilt als sogenannte dritte Garnitur und beschäftigt sich unter dem Deckmantel eines
Blumenladens mit kleinen Einbrüchen, Autodiebstahl und Trickbetrügereien.« »Hat er bisher solo gearbeitet?« fragte Mike Rander. »In der Tat, Sir«, antwortete Parker würdevoll. »Dann hat sich das jetzt geändert«, redete der Anwalt weiter. »Die beiden Burschen, die diese Zusammenkunft bei Mrs. Brook störten, haben eindeutig in seinem Auftrag gearbeitet.« »Mr. Cromer scheint eine gewisse Aufwertung erfahren zu haben, Sir.« »Ich werde ihn bald wieder abwerten«, versprach die ältere Dame grimmig. »Scheußlich, was die beiden Lümmel im Wohnblock mit ihren Lautsprechern getan haben! Ich glaube, sie werden für eine gewisse Zeit keine Lust mehr haben, Lärm zu produzieren.« »Arbeiten sie ebenfalls für diesen Steven Cromer?« wollte Kathy Porter wissen. »Kindchen, mit solchen Kleinigkeiten befasse ich mich grundsätzlich nicht«, schickte die passionierte Detektivin voraus, »ich interessiere mich mehr für die große Linie eines Falls. Mr. Parker wird das herausfinden.« »Wie Mylady wünschen.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Wenn es erlaubt ist, könnte meine bescheidene Wenigkeit einige Angaben zur Person des Mr. Will Wigmore vortragen.« »Warum nicht?« Lady Simpson knabberte bereits am dritten Törtchen und nickte ihrem Butler aufmunternd zu. »Mr. Wigmore ist ein sogenannter Wohnungsspekulant«, begann Josuah Parker. »Er kauft alte Einzelhäuser oder ganze Wohnzeilen auf, nimmt einige oberflächliche Renovierungen vor und erhöht dann derart drastisch die Mieten, daß die bisherigen, meist nicht sonderlich begüterten Mieter sich gezwungen sehen, ihre Wohnungen aufzugeben. Danach
verwandelt Mr. Wigmore die Häuser in Apartment-Hotels und vermietet die jeweiligen neuen Wohneinheiten zu Preisen, die man nur als horrend bezeichnen kann.« »Und falls langfristige Mietverträge existieren, so setzt er die ursprünglichen Mieter einem raffinierten Psychoterror aus«, fügte Mike Rander hinzu. »Lärm, Belästigungen und sogar Prügel«, sagte die ältere Dame grimmig. »Ab sofort werden diese Subjekte sehr vorsichtig werden.« »Wenn es gestattet ist, möchte ich mir erlauben, noch eine Methodenvariante des Mr. Wigmore zu erwähnen«, sagte Josuah Parker. »Besagter Spekulant verschafft sich darüber hinaus sogenannte Sperrgrundstücke.« »Was ist denn das schon wieder?« wollte Agatha Simpson wissen. »Falls städtische Behörden oder private Bauherren zu bauen gedenken, Mylady, ist Mr. Wigmore bereits gut informiert und erwirbt ein Einzelhaus oder ein kleineres Grundstück, das diese Planungen und Ausführungen erschwert. Diese Objekte läßt er sich zu ebenfalls erklecklichen Beträgen dann abkaufen.« »Und woher verschafft er sich die notwendigen Informationen?« warf Mike Rander ein. »Bezahlt er irgendwelche Leute in den Planungsbüros?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Sir«, erwiderte der Butler. »Auch diesem Aspekt sollte man möglicherweise nachgehen.« »Hat dieses Subjekt direkte Verbindungen zur Unterwelt?« Agatha Simpson war wieder mal ganz bei der Sache. Sie freute sich auf einen neuen Fall. Seit Jahren schon betätigte sie sich als Amateurdetektivin und hatte das Glück, von einem Fall in den anderen zu stolpern. Ohne Butler Parker hätte sie mit Sicherheit nie etwas ausgerichtet, doch darüber machte sie sich keine Gedanken Mit dem Charme und der Energie eines
Bulldozers ging sie jeden neuen Fall an und übertraf dabei den sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen. Butter Parker hatte dann stets alle Hände voll zu tun, seine Herrin vor Schaden zu bewahren. »Im engeren Sinn steht Mr. Wigmore mit der üblichen Unterwelt in Verbindung« beantwortete der Butter die Frage der älteren Dame. »Es bietet sich allerdings die Möglichkeit an, ob man Mr. Wigmore nicht mit seinen eigenen Waffen schlagen sollte.« »Genau das wollte ich gerade sagen«, gab Lady Agatha prompt zurück. »Warum hetzen wir diesem Subjekt nicht ein paar handfeste Gangster auf den Hals? Mr. Parker, kümmern Sie sich um die Details!« *** Steven Cromer, fünfundvierzig, ein rundlicher Typ, dessen strahlendes Lächeln ansteckend wirkte. Als Butter Parker und Mike Rander den Blumenladen in der Nähe des WestendHospitals betraten, war er gerade dabei, einen Blumenstrauß zusammenzustecken. »Hallo, die Herrschaften«, meinte er munter, doch sein Lächeln wirkte verkrampft. »Was kann ich für Sie tun? Ein hübsches Sträußchen für einen Krankenbesuch?« Man sah ihm an, daß er eine genaue Beschreibung zumindest von Mike Rander erhalten haben mußte, denn er musterte den Anwalt verstohlen, während er den Strauß zur Seite legte. »Wie geht es Ihren beiden Helden, Cromer?« fragte Mike Rander. »Wo haben Sie sich diese komischen Einzelkämpfer eigentlich zusammengesucht?« »Wie meinen Sie? Ich verstehe kein Wort.« Steven Cromer war die Ahnungslosigkeit in Person. »Helden...?
Einzelkämpfer...? Ich habe hier 'ne Blumenhandlung, Sir.« »Wie lange wohl noch?« Rander zündete sich eine Zigarette an. »Wer mit Dynamit spielt, muß mit Ärger rechnen.« »Eine Spruchweisheit, die aus dem militärischen Bereich stammt«, fügte Josuah Parker würdevoll hinzu. »Sie dürfte sich eindeutig auf einschlägig gemachte Erfahrungen gründen.« »Was ... Was soll das alles?« Blumenhändler Cromer schluckte nervös und lächelte längst nicht mehr. »Mr. Parker, Sie sollten es ihm erklären«, bat Mike Rander. »Vor etwa zwei Stunden fand in einem Wohnblock in der Clipstone Street die Versammlung einer sogenannten MieterInitiative statt«, schickte Parker höflich und gemessen voraus. »Im Verlauf einer angeregten Diskussion erschienen zwei junge Männer, die drei ansehnliche Ratten auf die anwesenden Damen losließen, was eine verständliche Panik auslöste, wie Sie sich vorstellen können, Mr. Cromer.« »Damit habe ich nichts zu tun«, fuhr der Blumenhändler dazwischen. »Davon weiß ich nichts.« »Die beiden jungen Männer waren erheblich anderer Meinung«, redete der Butter weiter. »Nachdem sie persönliches Ungemach erlitten, bequemten sie sich, Ihren Namen als Auftraggeber preiszugeben.« »Lüge, nichts als Lüge! Wenn Sie nicht sofort verschwinden, rufe ich die Polizei...« »Ihr Auftraggeber wiederum, Mr. Cromer, wird mit Ihrer Arbeit kaum zufrieden sein«, stellte der Butter klar. »Auch Ihre Musikfreunde in einem Wohnblock in der Warren Street kamen keineswegs zur Entfaltung.« »Warren Street?« Man sah Cromer deutlich an, daß er mit diesem Straßennamen nichts anzufangen wußte. Er pumpte sich noch mal auf und deutete dann zur Ladentür. »Verschwinden Sie, aber schleunigst, sonst rufe ich die Polizei.
Wo leben wir denn?« »Sie können selbstverständlich sofort anrufen, Mr. Cromer«, entgegnete der Butter, »aber lassen Sie sich noch beiläufig sagen, daß Sie offenbar keine Ahnung haben, wessen Kreise Sie zu stören im Begriff sind.« »Was für Kreise?« Cromer war irritiert. Mit der ein wenig manierierten und geschraubten Ausdrucksweise des Butlers wußte er nichts anzufangen. »Der Bezirk südöstlich von Regent's Park ist doch die Operationsbasis eines gewissen Mr. Archie Marsh. Sollte Ihnen das entfallen sein?« »Archie ... Archie Marsh?« Der Blumenhändler wußte auf Anhieb, was dieser Name bedeutete. Mike Rander wußte es nicht. Er hatte sich gerade eine rosafarbene Nelke abgebrochen und sie ins Knopfloch gesteckt. Er warf dem Butter einen interessierten Blick zu. »Mr. Archie Marsh betrachtet diese Region als sein privates Revier«, erläuterte Parker in Richtung Cromer. »Hoffentlich haben Sie sich mit ihm in Verbindung gesetzt, bevor Sie tätig wurden.« »Rufen Sie doch endlich die Polizei an, guter Mann«, warf Rander provozierend ein. »Ich... Ich merke schon, das alles ist ein Mißverständnis«, meinte Steven Cromer einlenkend. »Wahrscheinlich wollen mich da ein paar miese Typen in die Pfanne hauen.« »Wollen ist gut.« Mike Rander lächelte mokant. »Sie liegen bereits in dieser Pfanne! Archie ist ein ziemlich harter und übler Bursche.« »Sie kennen ihn?« fragte Cromer, dessen Augen flackerten. »Sie offenbar nicht«, gab Mike Rander gelangweilt zurück. »Warum sind Sie nicht dabei, einen kleinen Notkoffer zu packen? An Ihrer Stelle würde ich eine längere Reise antreten.«
»Noch dazu, da Sie sich in einer recht abträglichen Form über ihn geäußert haben«, fügte Parker höflich hinzu. »Mr. Marsh wird das nicht sonderlich gern vernehmen.« »Ich soll mich über ihn geäußert haben?« protestierte der Blumenhändler erstaunt. »Ziemlich ruppig sogar.« Mike Rander nickte und trieb dem Mann Schweißperlen auf die Stirn. »Davon weiß ich nichts, ich habe niemals ...« »Weiß es Archie Marsh?« Rander drückte seine Zigarette aus. »Mann, Cromer, Sie brutzeln bereits in der Pfanne. Sie schwitzen ja schon!« »Man könnte natürlich von Ihnen ablenken«, schlug der Butter jetzt vor. »Dies würde allerdings bedingen, daß Sie einige Informationen liefern.« »Welchen Wohnblock haben Sie noch auf Ihrer Liste?« fragte der Anwalt rundheraus. »Das mit der Clipstone Street und der Warren Street wissen wir ja bereits.« »Mit der Warren Street habe ich überhaupt nichts zu tun, das kann ich beschwören.« »Also bleiben wir mal bei der Clipstone Street, wo ihre beiden Typen Ratten freigesetzt haben«, schränkte der Anwalt ein. »Wo sonst noch haben Sie was angekurbelt?« »Ich... Ich bin nur für den Block in der Clipstone Street zuständig«, lautete die schnelle und hastige Antwort, »aber ich weiß, daß da noch andere Wohnblocks sind, die geräumt werden sollen.« »Von Ihnen, Cromer?« »Nein, nein, von anderen Gruppen.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Die Warren Street hat, glaube ich, Herb Stamford übernommen.« »Wer hat Sie für Ihren Job engagiert?« fragte Mike Rander
weiter. »Jo ... Jody Wenlock, Sir«, lautete prompt die Antwort. »Er hat gesagt, die Sache wäre völlig legal und gesetzlich.« »Sind Sie noch immer dieser Meinung, Cromer?« »Ich steig aus«, antwortete der Blumenhändler, »ich bin doch kein Selbstmörder.« »Der Name Will Wigmore ist Ihnen natürlich unbekannt, wie?« »Ist er!« Der Blumenhändler nickte. »Ich hab nur mit Jody Wenlock gesprochen.« »Und von ihm einen Vorschuß kassiert, nicht wahr?« Mike Rander nickte aufmunternd. »Nun sagen Sie schon, wieviel es gewesen ist.« »Fünfhundert Pfund«, gab Steven Cromer zurück. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag, lieber Mann«, sagte der Anwalt. »Überweisen Sie das Geld an die Mieter-Initiative in der Clipstone Street, einverstanden? So als 'ne Art Schmerzensgeld, Cromer. Sie ahnen ja nicht, wie die Frauen sich freuen werden.« *** »Wer, zum Teufel, ist Jody Wenlock?« fragte Mike Rander, als er auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Der Anwalt schnallte sich sorgfältig fest und studierte die Lage der Haltegriffe. Dies hatte seinen besonderen Grund. Er saß in Parkers Privatwagen, einem Gefährt besonderer Art. Es handelte sich um ein altes ehemaliges Londoner Taxi, das nach Parkers speziellen und auch skurrilen Wünschen umgestaltet worden war. Vom Taxi war nur noch das Äußere
zurückgeblieben, alles andere entsprach dem modernsten Stand der Technik. Unter der eckigen Motorhaube arbeitete ein Motor, der einem Rennsportwagen alle Ehre gemacht hätte. Die Federung entsprach in ihren Grundzügen der eines großen Citroen. Der Wagenboden ließ sich nach Belieben auf insgesamt fünf Stufen anheben. Wenn es gewünscht wurde, war Parkers Privatwagen einem Land-Rover weit überlegen, was dessen Geländegängigkeit anbetraf. Freund und Feind, die bereits Bekanntschaft mit diesem Vehikel gemacht hatten, bezeichneten den schwarzen Wagen rundheraus als Monstrum oder eine Trickkiste auf Rädern. Auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett gab es eine Vielzahl von unscheinbar aussehenden Kipphebeln und Knöpfen. Sie alle betätigten diverse technische Zusatzeinrichtungen, die geeignet waren, Verfolger, Angreifer, Diebe oder Neugierige zu schockieren. »Sie fragten nach Mr. Jody Wenlock, Sir«, antwortete der Butler in seiner stets feierlich-würdevollen Art, »besagte Person ist eine Art Agent.« »Und was vermittelt er, Parker?« Mike Rander benutzte die burschikose und vertrauliche Art wie seinerzeit, als der Butler noch ausschließlich für ihn gearbeitet hatte. »Ungesetzlichkeiten, Sir«, lautete Parkers Antwort. »Man kann bei Mr. Wenlock so gut wie alles bestellen, angefangen vom Diebstahl bis zum Mord.« »Ein unerfreulicher Zeitgenosse. Und die Polizei hat ihm bisher nicht das Handwerk legen können?« »Mr. Jody Wenlock ist ein vorsichtiger Mensch, Sir. In Kreisen der Unterwelt wird er geschätzt und gefürchtet.« »Und wie hat er sich getarnt, Parker? Ich wette, er arbeitet mit einem erstklassigen Aushängeschild, oder?«
»In der Tat, Sir! Mr. Wenlock betreibt einen sogenannten Ausschnitt-Dienst.« »Was stelle ich mir denn darunter vor?« »Er beschäftigt eine Anzahl Rentner sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts, Sir, die die Tages- und Wochenzeitschriften auswerten, und zwar in der Form, daß die betreffenden Personen Artikel über gewünschte Personen oder Themen mittels Scheren ausschneiden.« »Natürlich, jetzt fällt's mir wieder ein.« Mike Rander lächelte. »Falls ich mich für Botanik, Lady Simpson oder die Raumfahrt interessiere, wende ich mich an Wenlocks Büro und abonniere bei ihm.« »Dies, Sir, ist das übliche Verfahren.« Parker nickte andeutungsweise. »Es ist übrigens erstaunlich, wie schnell und gründlich man über eine bestimmte Person oder ein Sachgebiet informiert wird.« »Kann ich mir vorstellen, wenn man alle englischsprachigen Erscheinungen berücksichtigt. Das also ist Wenlocks Masche.« »Mr. Wenlock unterhält keine eigene Organisation«, wußte« der Butler weiter zu berichten. »Ich darf noch mal wiederholen, Sir, er vermittelt nur Einzelpersonen oder Organisationen.« »Und kassiert dafür dicke Provisionen, wie?« »Dies soll und muß man als sicher und gewiß unterstellen. Sir.« »Fahren wir jetzt zu ihm, Parker?« »Ihr Einverständnis voraussetzend, Sir, sollte man sich vielleicht vorher noch mit Mr. Stamford ins Benehmen setzen.« »Dieser Bursche, der laut Cromer ebenfalls für diesen Spekulanten Wigmore arbeitet?« »In der Tat, Sir. Seine Leute dürften in der Warren Street Myladys Ohren beleidigt haben.« »Und Sie wissen natürlich, wo er zu finden ist?«
»Es gibt einen Billard-Club, Sir, in dem Leute seines Schlags zu verkehren pflegen. Es handelt sich selbstverständlich um einen Privatclub.« »Stamford wird doch von Cromer längst vorgewarnt worden sein.« »Dies, Sir, muß ich, wenn es erlaubt ist, in Zweifel ziehen. Mr. Cromer wird sich sicher freuen, wenn auch Mr. Herb Stamford ein wenig gemaßregelt wird.« »Lassen wir uns überraschen, Parker.« Mike Rander hatte sich längst entspannt und schielte nicht mehr nach den Haltegriffen. »Wir sind uns doch wohl klar darüber, daß wir an diesen Spekulanten herankommen müssen, nicht wahr? Will Wigmore ist unser Mann.« »Ohne Zweifel, Sir. Ich habe mir bereits erlaubt, einige Fensterscheiben seines Landhauses mittels meiner Gabelschleuder zu zertrümmern.« »Wo bleibt Ihre Seriosität, Parker?« Rander lachte. »Sie sind ihm bereits auf den Pelz gerückt?« »Um Mr. Wigmore ein wenig einzustimmen, Sir. Zudem lag mir daran, Mr. Wigmore auf meine bescheidene Wenigkeit aufmerksam zu machen.« »Aha, Wagenkennzeichen und so.« Rander verstand sofort. »Ein einfaches und immer wieder sicheres Verfahren, Sir«, bestätigte der Butler. »Mr. Wigmore wird aller Voraussicht nach bereits erste Aktivitäten entwickeln. Es könnte durchaus der Fall sein, daß er sich schon hilfe- und ratsuchend an Mr. Jody Wenlock gewandt hat.« »Unser Artikeldienstmann, wie?« »Sehr wohl, Sir. Wenn man einem Menschen wie Wigmore zu nahe tritt, so wird solch eine Person mit einiger Sicherheit sehr aggressiv reagieren. Aggression aber ist bereits der erste Schritt zu einem Kardinalfehler, wie mich dünkt.«
»Irgendeine Spruchweisheit aus dem Fernen Osten?« spottete der Anwalt, der nur zu gut wußte, wie gern Parker Zitate und Sprichwörter verwandte. »Ein spontaner Einfall, Sir«, erwiderte der Butler bescheiden. »Er wurde natürlich aus einer gewissen Erfahrung heraus geboren.« *** McWarden leitete im Yard ein Sonderdezernat und war dem Innenministerium direkt unterstellt. In der Vergangenheit war es zwischen Butler Parker und ihm zu einer intensiven Zusammenarbeit gekommen. McWarden schätzte die Fähigkeiten Parkers sehr hoch ein und verdankte ihm manchen geklärten komplizierten Kriminalfall. »Sie waren für einige Wochen in den Staaten?« fragte McWarden. »Das wissen Sie doch, lieber McWarden«, flötete die Hausherrin förmlich und lächelte geradezu zuckersüß, was McWarden vorsichtig werden ließ. »Seitdem ist Ihre Aufklärungsquote bestimmt drastisch gesunken, nicht wahr?« »Ich konnte methodisch und ohne Hektik arbeiten«, stichelte der Chief-Superintendent sofort zurück. Ihn verband mit Lady Simpson eine gewisse Art von Haßfreundschaft. »Es war die reine Wohltat.« »Für die Unterwelt, nehme ich an«, gab sie postwendend zurück. »Sie muß goldene Zeiten gehabt haben, aber das wird sich ab sofort wieder ändern.« »Sie arbeiten an einem Fall, Mylady?« »Wie kommen Sie darauf?« Sie schüttelte den Kopf. »Oder sollten Sie in Schwierigkeiten stecken, McWarden?« »Sie werden ab sofort wieder auf mich zukommen, Mylady.
Und auch auf Sie. Es liegt nämlich eine Anzeige gegen Sie vor.« »Was Sie nicht sagen, junger Mann.« Sie benutzte bewußt diese Anrede. Sie wußte nur zu gut, wie sehr McWarden sich darüber ärgerte. »Körperverletzung«, Sagte McWarden. »Sie sollen zwei Mieter in einem Haus in der Warren Street mißhandelt haben.« »Sie werden mir so etwas doch wohl nicht zutrauen, McWarden, oder?« Sie lachte tief und amüsiert auf. »Ich bin eine alte Frau.« »Ich traue Ihnen eine Menge zu, Mylady«, gab der ChiefSuperintendent zurück. »Schon allein die Art der Körperverletzung spricht Bände.« »Was ist denn passiert?« Sie lehnte sich genußvoll zurück. »Eine Unterkieferverrenkung, eine Gehirnerschütterung«, zählte McWarden auf. »Dazu noch diverser Sachschaden. Sie sollen zwei brandneue Tonbandmaschinen und Lautsprecher demoliert haben.« »Wie kommt es, daß Sie sich für solche Lappalien interessieren, McWarden, falls es überhaupt stimmt, was man mir da vorwirft?« »Mich interessiert alles, was mit Ihnen zusammenhängt, Mylady. Es besteht übrigens kein Zweifel, daß Sie in diesem Haus waren. Ein Mr. Fielding sagte aus, er sei von Ihnen besucht worden.« »Wie kommt er dazu?« »Er hat's unfreiwillig ausgesagt«, erklärte McWarden. »Beamte haben ihn routinemäßig befragt. Er sagte, er habe sich wegen irgendeiner Mietgeschichte an Mr. Rander gewandt.« »Der nette alte Fielding.« Sie nickte und verstrahlte wieder Wohlwollen. »Ein reizender alter Herr.« »Ich weiß.« McWarden nickte. »Ich komme gerade von ihm.
Als Ihr Name fiel, Mylady, bin ich in meinem Büro sofort verständigt worden.« »Haben Sie per Rundschreiben vor mir warnen lassen?« fragte sie bissig. »Mr. Fielding und auch noch andere Bewohner des Hauses haben Ärger mit einem Mr. Will Wigmore.« McWarden ging auf die Frage der älteren Dame nicht ein. »Das Wort Ärger ist eine höfliche Umschreibung, McWarden. Wollen Sie sich nicht endlich setzen? Möchten Sie wirklich unbedingt einen Sherry haben?« »Das wäre reizend, Mylady. Wer kann solch einer Einladung schon widerstehen?« Er setzte sich und grinste fröhlich. Er nickte Kathy Porter, die ihn übrigens eingelassen hatte, freundlich zu. Sie brachte ihm den Sherry, den sie natürlich längst eingegossen hatte. »Flirten Sie nicht, McWarden, bleiben Sie beim Thema«, forderte die Hausherrin ihn jetzt grimmig auf. »Sie kennen diesen Spekulanten?« »Natürlich, Mylady. Darf ich offen sein?« »Können Sie das überhaupt?« »Ich bin froh, falls Sie sich mit Wigmore befassen. Das sage ich als Privatmann.« »Sie verwirren mich, McWarden.« Sie verzichtete auf Ironie. »Will Wigmore ist in meinen Augen ein Gangster, anders kann ich es nicht ausdrücken. Solch ein übler Kerl gehört hinter Schloß und Riegel. Je schneller, desto besser.« »Und warum sorgen Sie nicht dafür?« »Weil ich nicht an diesen raffinierten Burschen herankomme. Ja, genau das Gegenteil ist der Fall: Unsere Polizeibehörde muß ihm sogar Schützenhilfe leisten, wenn er irgendwelche Leute exmittieren läßt.« »Ich möchte fast glauben, daß Sie diesmal ehrlich sind,
McWarden.« »Ich war nie ehrlicher, Mylady. Will Wigmore beschäftigt ein halbes Dutzend erstklassiger Juristen in seinem Zentralbüro. Die nutzen jede halbwegs legale Möglichkeit, um Wigmore abzuschirmen. Und dieser Gangster scheut keine Mittel, seine Pläne durchzusetzen.« »Was ist mit Ihnen los, McWarden? Sie können sich ja noch ärgern!« Die Detektivin sah ihn erstaunt an. »Ich könnte an die Decke gehen, Mylady«, sagte er und zwang sich zur Ruhe. »Tun Sie mir einen Gefallen: Sorgen Sie dafür, daß diesem Spekulanten das Handwerk gelegt wird!« »Sie haben bisher wirklich nichts gegen ihn verwerten können?« wunderte sich Lady Agatha. »Wie gesagt, er beschäftigt ein halbes Dutzend erstklassige und teuer bezahlte Anwälte«, meinte McWarden grimmig. »Sie blocken alles ab. Wigmore läßt die Schmutzarbeit natürlich von bezahlten Schlägern und Ganoven erledigen, aber das kennt man ja.« »Sie haben die Namen dieser beiden Lümmel, die ich angeblich mißhandelt haben soll?« »Und deren Adressen, Mylady.« McWarden nickte. »Es könnte ja sein, daß Sie Gegenklage erheben wollen.« »Kathy, noch einen Sherry für meinen lieben Gast«, rief die ältere Dame ihrer Gesellschafterin zu. »McWarden, wenn Sie so weitermachen, kann aus Ihnen noch ein passabler Mensch werden.« »Offiziell weiß ich von nichts, Mylady.« »Waren Sie heute überhaupt hier?« fragte Lady Simpson gutgelaunt und zwinkerte ihm zu. »Ich kann mich nicht erinnern!« ***
Jody Wenlock, fünfundvierzig Jahre alt, schlank, erinnerte an einen Geier mit Brille. Dieses einprägsame Aussehen hing mit Sicherheit mit seinem schmalen Kopf und der betonten Glatze zusammen. Der Chef des Ausschnittdienstes war gerade durch seine drei kleinen Büroräume gepilgert und fuhr dann mit dem Lift in das Erdgeschoß. Voher schloß er selbstverständlich die Tür ab. In seiner Postbox in der Halle befand sich ein Brief, den er sofort aufriß. Auf einem einfachen Bogen Maschinenpapier wurde ihm mitgeteilt, er solle sich umgehend um einen Josuah Parker kümmern, der Butler bei einer gewissen Lady Agatha Simpson sei. Eine Unterschrift fehlte, dafür enthielt der Brief noch einen Scheck, der auf eine Bank in der Schweiz ausgestellt war. Der Aussteller war ein gewisser Andre Mueller, wohnhaft in Genf. Der Betrag, übrigens in harten Schweizer Franken, war beträchtlich. Normalerweise hätte Wenlock sich über diesen Scheck gefreut, zumal er der Empfänger war. Auch er unterhielt in Genf ein Konto, konnte die Summe also spielend leicht transferieren lassen. Aber Wenlock freute sich überhaupt nicht. Der Name Josuah Parker hatte ihn in Alarmstimmung versetzt. Wigmore und seine hochklassigen Juristen hatten selbstverständlich keine Ahnung, wer dieser Butler war. Er hingegen, Jody Wenlock, wußte mit diesem Namen viel anzufangen. Nachdenklich verließ er den Lift und ging zur Tür seines Privatbüros. Am liebsten hätte er auf diesen Vermittlungsauftrag verzichtet. Er hatte wirklich keine Lust, sich die Finger zu verbrennen. Wenlock sperrte die Tür auf und ... prallte fast zurück.
»Ein gewisser Leichtsinn ist Ihnen durchaus vorzuwerfen, Mr. Wenlock«, sagte nämlich genau der Mann, an den er gerade gedacht hatte. Josuah Parker saß im Besuchersessel und erhob sich höflich. Er lüftete seine schwarze Melone. »Leichtsinn! Wie kommen Sie in mein Büro?« Wenlock sah Parker in einer Mischung aus Wut und höllischem Respekt an. »Die Tür stand spaltbreit auf, wenn ich nicht sehr irre«, erwiderte der Butler. »Aber darüber sollte man nicht diskutieren. Ich bin im Auftrag Lady Simpsons zu Ihnen gekommen.« »Lady Simpson...«, Wenlock nickte unwillkürlich. Natürlich war sie ihm ebenfalls bekannt, wenngleich er bisher das Glück gehabt hatte, ihren Weg nicht kreuzen zu müssen. »Mylady wünscht, Ihren Ausschnittdienst in Anspruch zu nehmen«, redete Josuah Parker weiter. »Das Stichwort lautet: Will Wigmore. Wenn Sie es sich bitte notieren wollen ... Ich möchte davon ausgehen, daß dieser Name Ihnen wahrscheinlich nichts sagt.« »Äh, tut er auch nicht.« »Es handelt sich um einen, nun ja, Bauunternehmer«, redete Parker höflich weiter. »Er ist Spezialist in Renovierung alter Häuser. Mylady wünscht eine umfassende Information, sofern über Mr. Wigmore in der Presse berichtet wird. Dazu gehören auch alle Aktivitäten, die gegen ihn gerichtet sein sollten. Darf ich davon ausgehen, daß man sich verstanden hat?« »Will Wigmore.« Jody Wenlock notierte sich betont und langsam diesen Namen auf einem Notizblock. »Dies wäre bereits alles«, sagte Parker und lüftete höflich die schwarze Melone. Dann war er verschwunden, und Jody Wenlock glaubte im ersten Moment, er habe nur geträumt. Doch dann sah er den Namen, den er sich notiert hatte. Er fluchte und überlegte krampfhaft, wie er sich verhalten sollte.
Wenn diese Lady sich für Wigmore interessierte, dann stand Parker natürlich dahinter. War es nicht höchste Zeit, sich von Wigmore zu trennen? Aber da war immerhin ein beachtlicher Scheck, auf den er auch wieder nicht verzichten wollte. Konnte er ihn in die Schweiz schicken und dann die Hände in den Schoß legen? Nein, das ging nicht. Jody Wenlock war zwar ein Gangster, doch er hatte schließlich einen Namen. Er konnte es sich nicht leisten, daß in Kreisen der Unterwelt und bei zukünftigen Kunden auch nur die Andeutung eines Gerüchts umlief, er sei ein Gauner. Wen also konnte er hier in London ansprechen und dann auf Butler Parker und Lady Simpson ansetzen? War es nicht richtiger, ein paar Spezialisten aus der Provinz kommen zu lassen, die mit dem Namen Parker nichts anzufangen wußten? Ja, das war wohl der beste Weg, um aus dieser heiklen Sache herauszukommen. Wenlock zog den Telefonapparat zu sich heran und wählte eine Nummer in Liverpool. Er verlangte einen gewissen Sam Lafton zu sprechen. Es dauerte eine Weile, bis der Gewünschte sich meldete. »Wenlock, London«, sagte der Unterweltagent dann knapp. »Sam, ich habe einen Auftrag. Wann kannst du hier sein? Es muß schnell gehen.« »Worum handelt es sich denn?« wollte Sam Lafton wissen. »Um ein paar schnelle Pfund und um einen Mann, der hier Ärger macht, Sam. Fünfhundert Pfund für eine kleine Lieferung ins Hospital.« »Spesen extra«, erwiderte Sam Lafton aus Liverpool. »Selbstverständlich. Wann kannst du hier sein?« »Morgen, sagen wir, so gegen neun Uhr?« »Einverstanden. Und wo treffen wir uns?« »Paddington Station. Ich werde dich dort abholen.«
»Moment mal, noch etwas. Warum ausgerechnet ich?« »Hier wird ein fremdes Gesicht gewünscht«, antwortete Jody Wenlock. »Das ist bereits der ganze Grund.« »Bis morgen.« Sam Lafton legte auf, und Wenlock fühlte sich ein wenig besser. Sam Lafton war eine gute Wahl. Der Mann aus Liverpool war kein brutaler Schlägertyp, sondern ging glatt als seriöser Bankangestellter durch. Mit dem Messer aber war er wie verwachsen. Wenlock verließ sein Büro, schloß sehr betont ab und fuhr hinunter in die Halle. Als er zu seinem Wagen ging, konnte er auf ein altes Taxi nicht weiter achten, es gehörte einfach zum üblichen Straßenbild, zumal die Taxikennzeichen ordnungsgemäß vorhanden waren. »Kennen Sie seine Privatadresse?« fragte Mike Rander, der im Fond des Taxis saß. »Noch nicht, Sir«, erwiderte Josuah Parker, »doch dies dürfte sich mit einiger Sicherheit bald ändern.« *** Agatha Simpson schätzte ihren Land-Rover, mit dem sie sich durch den Londoner Verkehr boxte. Sie saß am Steuer dieses Wagens, der übrigens einen leicht verbeulten Eindruck machte. Dies hing mit dem exaltierten Fahrstil der Dame zusammen, die es haßte, daß man ihr Vorschriften machte. Sie bewegte sich nach einer einfachen Grundregel durch den Verkehr: Sie nahm stets und überall die Vorfahrt für sich in Anspruch und schien, was die Ampelsignale betraf, unter einer gewissen Farbenblindheit zu leiden. »Es ist doch erstaunlich, Kindchen, wie diszipliniert die Autofahrer geworden sind«, meinte Agatha Simpson, als sie zwei Taxifahrer gekonnt ausgebremst hatte. »Endlich stellt sich
auf den Straßen ein Gefühl für Anstand ein.« »Sind Sie sicher, Mylady«, fragte Kathy und stemmte sich mit den Füßen gegen das Bodenbrett. Lady Agatha schien gerade einen Streifenwagen der Polizei rammen zu wollen. Es blieb nicht bei diesem Versuch. Der Fahrer des Streifenwagens bremste und handelte sich eine völlig deformierte hintere Stoßstange an seinem Wagen ein. Er stieg aus, zeigte ein sehr dienstliches Gesicht und kam auf den Land-Rover zu. Er zog bereits einen Block hervor, um seine Unfallanzeige aufzunehmen. »Seit wann sind Sie bei der Polizei, junger Mann?« herrschte Lady Agatha ihn an. Sie war ebenfalls ausgestiegen. »Seit... Seit zehn Jahren«, sagte er verwirrt und automatisch. Mit dieser Frage hatte er ganz sicher nicht gerechnet. »Und dann können Sie noch immer nicht fahren?« grollte die ältere Dame und schickte einen verzweifelten Blick gen Himmel. »Wie können Sie sich unterstehen, derart heimtückisch zu bremsen? Ist Ihnen gar nicht in den Sinn gekommen, daß Sie eine hilflose Frau in Lebensgefahr hätten bringen können?« »Moment mal, Madam«, sagte der Sergeant in Uniform und trat einen halben Schritt zurück, »hier liegt doch eindeutig ...« »Eindeutig! Das genau ist es, junger Mann.« Sie funkelte ihn an. »Von Sicherheitsabstand haben Sie wohl noch nichts gehört, wie? Sie sollten noch mal eine Fahrschule besuchen. Ein Skandal, wie rüpelhaft Sie sich im Verkehr bewegen.« »Madam, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie...« »... daß ich belästigt und gefährdet worden bin«, grollte die resolute Dame und wandte sich an die neugierigen Zuschauer, die sich inzwischen eingefunden hatten. »Leben wir in einem freien Land oder nicht? Muß der einfache Bürger sich alles
gefallen lassen? Wer bezahlt denn die Steuern? Wer schuftet Tag und Nacht, damit gewisse Herren in Uniform nach Belieben durch die Straßen fahren können?« Ihre Ansprache fand Beifall. Das Stichwort Steuer aktivierte die Zuschauer. Der Uniformierte sah hilflos zu seinem Kollegen hinüber, der neben dem Streifenwagen stehen geblieben war. »Sie können von Glück sagen, junger Mann, daß ich auf eine Anzeige verzichte«, verkündete Lady Simpson mit ihrer tiefen und weit tragenden Stimme. »Passen Sie in Zukunft besser auf und halten Sie sich an die Verkehrsregeln, die sind nämlich auch für die Polizei verbindlich ... So, und nun können Sie losfahren!« Sie wandte sich um, setzte sich an das Steuer und nickte Kathy Porter grimmig zu. Lady Simpson löste den Land-Rover auf eine ziemlich gewaltsame Art von der Stoßstange des Streifenwagens, setzte vehement zurück, beschädigte, wenn auch nur leicht und oberflächlich, den Kühler eines Vauxhall und bohrte sich dann zurück in den langsam vorbeigleitenden Verkehr. »Man muß diesen Herren sofort zeigen, daß man keine Angst vor ihnen hat«, meinte die ältere Dame dann. »Die Schuldfrage war ja wohl eindeutig, nicht wahr?« »Völlig, Mylady«, erwiderte Kathy Porter und lächelte. »Sie haben den Sicherheitsabstand nicht eingehalten.« »Papperlapapp, Kindchen, das ist eine Frage des Standpunkts«, entgegnete Agatha Simpson. »Subjektiv fühle ich mich unschuldig, und nur darauf kommt es an.« »Der Streifenwagen folgt nicht«, stellte Kathy fest. Sie hatte sich umgedreht. »Das möchte ich den Uniformierten auch nicht geraten haben. Ich lasse mich nicht unter Druck setzen, Kathy. Wie geht's jetzt weiter? Sie haben doch die Adresse im Kopf, nicht
wahr?« »Wir müssen gleich nach links abbiegen, Mylady. Die beiden Musikfreunde wohnen über einem privaten Billardclub.« Kathy Porter hoffte inständig, daß sie nicht zu Hause waren. Sie sorgte sich nicht um Lady Agatha, sondern fürchtete für die beiden Ganoven. Nach dem Zwischenfall mit dem Streifenbeamten befand sich die ältere Dame in Höchstform. War dieser Zustand erst mal erreicht, dann war eine Lady Simpson nicht mehr zu bremsen. *** Herb Stamford spielte Billard. Der massige Vierzigjährige hätte in jedem Kriminalfilm die Rolle eines finsteren Schlägers übernehmen können. Er handhabte den Billardstock allerdings mit Können und Eleganz. Nachdem er gerade einen Stoß angebracht hatte, wandte er sich an die beiden jungen Tonband- und Musikfreunde. »Habt ihr euch neue Tonbandgeräte besorgt?« fragte Stamford. »Die sind da, Herb«, sagte der Mann mit dem inzwischen wieder eingerenkten Unterkiefer mühevoll. Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer. »Okay, Jungens, dann macht euch mal langsam auf die Socken«, redete Herb Stamford weiter. »Zurück in die Warren Street?« Der junge Mann, der noch unter den Nachwirkungen einer leichten Gehirnerschütterung litt, sah seinen Boß fast entsetzt an. »Und wenn die Alte wieder aufkreuzt?« »Macht euch doch nicht lächerlich, ihr Anfänger!« Herb
Stamford winkte ab. »Ich begreif's ja immer noch nicht! Zwei ausgewachsene Typen lassen sich von 'ner Alten fertig machen. Seid bloß froh, daß ich das nicht an die große Glocke hänge!« »Du hast sie eben nicht erlebt, Herb«, antwortete der Gehirnerschütterte müde. »Die is' wie'n Panzer reingedonnert.« »Können wir nicht in 'nem anderen Wohnblock arbeiten?« fragte der Mann mit dem geschwollenen Unterkiefer. »Warren Street«, wiederholte Herb Stamford. »Richtet euch eben darauf ein, daß die Alte noch mal erscheint! Und dann keine Hemmungen!« »Herb, können wir vielleicht Verstärkung mitnehmen?« fragte der Mann, der von Myladys Pompadour getroffen worden war. »Ihr habt wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank, wie?« Herb Stamford schüttelte den Kopf. »Hat sie euch den Schneid abgekauft? Falls ja, dann kreuzt in den Wind und haut ab.« Er wollte noch einige Sätze hinzufügen, doch in diesem Moment war im Vorraum des Privatclubs ein dumpfer Fall zu vernehmen. Dann wurde der schwere Vorhang zur Seite gerissen, und eine stattlich aussehende Dame erschien auf der Bildfläche. Sie trug ein zerbeultes Tweed-Kostüm und einen etwas schief sitzenden Hut, eine eindrucksvolle Kreuzung aus einem Südwester und einem Napfkuchen. In der linken Hand dieser Dame pendelte ein perlenbestickter Pompadour. »Ich suche ein Subjekt namens Stamford«, herrschte die resolute Dame den Gangsterboß an, der sie völlig entgeistert anstarrte. »Er soll hier der große starke Mann sein.« Die beiden Tonband- und Musikfreunde machten sich klein und suchten nach einem Mauseloch, in dem sie verschwinden konnten. »Ich... Äh... Ich bin Stamford«, antwortete der Massige. Er
wußte sofort, daß dies die Frau war, die seine beiden Mitarbeiter an der Arbeit in der Warren Street gehindert hatte. »Sie Lümmel schicken also Rowdys in friedliche Wohnblocks und terrorisieren die Bewohner?« Die ältere Dame marschierte energisch auf Stamford zu. Hinter Lady Simpson war Kathy Porter zu sehen. Geschmeidig, aber auch wie zufällig wechselte sie zur Seite hinüber und stand jetzt neben dem Wandgestell, in dem eine Anzahl von Billardstöcken stand. Lady Simpson hatte die beiden Musikfreunde entdeckt. »Ich hörte, Sie haben Anzeige gegen mich erstattet?« fragte sie grollend. »Ich erwarte, daß Sie diese Anzeige augenblicklich wieder zurücknehmen, sonst lasse ich Sie von meinem Anwalt zur Raison bringen.« »Moment mal«, sagte nun Stamford und besann sich auf seine Muskelqualitäten. »Was soll die Show? Sie sind hier in 'nem Privatclub. Und wenn Sie nicht sofort...« »Sie sind also dieses Individuum, das für Wigmore arbeitet.« Sie muß ihn mit funkelndem Blick. »Ich glaube, ich werde Ihnen gleich eine Ohrfeige verabreichen.« Die beiden Musikfreunde an der Wand freuten sich plötzlich. Sie schienen gegen solch eine Behandlung nichts zu haben. Warum sollte Stamford nicht auch eine Kostprobe von dem schlucken, was sie bereits kassiert hatten? Herb Stamford griff nach seinem Billardstock und richtete die Spitze auf die füllige Dame. Seine Augen hatten einen tückischen Ausdruck. »Raus hier«, sagte er drohend, »ganz schnell sogar, sonst pieke ich mal!« »Tun Sie's bitte nicht«, ließ sich Kathy Porter in diesem Augenblick leise vernehmen. Auch sie hielt einen Billardstock in der Hand.
»Ach nee.« Er maß sie und grinste. »Du willst mich angreifen, Puppe?« Eigentlich hatte er nicht vor, nach ihr zu stoßen, er wollte mehr fintieren, um dann blitzschnell nach der älteren Dame zu schlagen. Er ließ die Spitze in Richtung Kathy vorschnellen und löste damit eine Kettenreaktion aus. Kathy hielt den Stock waagerecht in beiden Händen. Auch in den Künsten des Kendo erfahren, parierte sie die Finte, schlug Stamfords Billardstock zur Seite, wirbelte ihr Queue radförmig durch die Luft und ließ den Griff dann auf den Kopf des Gangsters klatschen. Herb Stamford schüttelte sich wie ein nasser Hund. Er starrte völlig verblüfft auf die schlanke junge Dame, die inzwischen wieder gelassen neben der älteren Dame stand. Sie schien sich überhaupt nicht bewegt zu haben. »Was war das?« fragte er dann mit heiserer Stimme. »Kendo, Sie Lümmel«, erklärte Lady Simpson schadenfroh, »auch japanisches Schwertfechten genannt. Sie können froh sein, daß ich die Schwerter zu Hause gelassen habe.« Stamford schoß das Blut ins Gesicht. Er war sehr schnell, riß seine Queue hoch und drang auf Kathy Porter ein. Er schlug wütend um sich und rechnete mit einem Volltreffer. Sein Billardstock beschrieb unregelmäßige Kreise und ... traf immer nur den von Kathy Porter waagerecht gehaltenen Stock. Wie er es auch anstellte, er drang einfach nicht durch und brüllte plötzlich auf, als die Spitze von Kathy Porters Queue seine linken unteren Rippen traf. Stamford blieb die Luft weg. Er verbeugte sich - ungewollt natürlich - vor Kathy Porter und hätte am liebsten auf dem Boden Platz genommen. Er fühlte sich hundeelend. »Sie geben schon auf?« hörte er die dunkle Stimme der älteren Dame. »Junger Mann, Sie sind ein Schwächling!«
Das ließ Herb Stamford sich nicht sagen! Er mobilisierte seine Restenergien, schaltete in übertragenem Sinn seinen Nachbrenner ein und schob den Kopf als Rammbock vor. Dann brauste er auf Kathy Porter zu, um sie mit seiner Körpermasse an die Wand zu quetschen. Er kam an Agatha Simpson vorüber. Sie hatte ihren perlenbestickten Pompadour angehoben und legte ihn fast beiläufig auf den Hinterkopf des Gangsters. Der im Pompadour befindliche »Glücksbringer« stoppte den Rammversuch. Herb Stamford landete auf dem Bauch, rutschte noch etwa eineinviertel Meter über den Boden und blieb dann zu Kathy Porters Füßen liegen. Die beiden Musikfreunde freuten sich. *** »Parker, wir kommen zu spät«, sagte Mike Rander, als der Butler seinen Privatwagen vor dem Billardclub stoppte. Er deutete auf den leicht zerbeulten Land-Rover, der am Straßenrand stand. »Mylady scheint in der Tat bereits aktiv geworden zu sein, Sir.« »Wie ist sie an Stamford geraten?« Rander stieg aus und richtete seine Krawatte. Er hatte es erstaunlicherweise gar nicht eilig. »Mylady hat möglicherweise vergessen zu erwähnen, daß die beiden Musikfreunde den Namen ihres Auftraggebers verraten haben, Sir.« »Sehen wir uns mal an, was sie angerichtet hat.« Mike Rander zündete sich eine Zigarette an und betrat zusammen mit Josuah Parker den kleinen Vorraum des privaten Billard-Clubs. Gleich hinter der Tür stießen sie auf einen jungen Mann, der
vor dem Tresen einer Garderobe auf dem Teppich lag und offensichtlich schlief. »Sie scheint ja wieder mal in Form zu sein«, stellte der Anwalt ironisch fest. »Mylady wurde sicher angegriffen«, entgegnete Parker. Er war weitergegangen und deutete auf einen zweiten Mann, der über der Lehne seines Sessels hing und ebenfalls schlief. »Mich beeindruckt immer wieder ihre zurückhaltende und damenhafte Art«, spöttelte Mike Rander, während Parker höflich zur Seite trat und den Anwalt vorausgehen ließ. Er blieb neben einem Vorhang stehen, orientierte sich mit schnellem Blick und verbeugte sich dann leicht in Richtung Lady Simpson und Kathy Porter. »Wir kommen in friedlicher Absicht«, sagte er dann zu der älteren Dame und hob beide Arme. »Und wir kommen zu spät, wie ich sehe.« »Hat der gute McWarden Sie alarmiert?« erkundigte sie sich. »Er erstattete Mylady einen Besuch ab?« fragte Josuah Parker. »Wegen dieser beiden Lümmel dort.« Sie zeigte auf die Musikfreunde, die sehr klein geworden waren. Herb Stamfords Beine bewegten sich übrigens leicht. Er schien wieder zu sich zu kommen. »Darf ich daraus schließen, Mylady, daß man eine Anzeige gegen Mylady zu erstatten wagte?« »Richtig, Mr. Parker.« Sie nickte grimmig. »Unterhalten Sie sich mal mit diesen beiden Individuen! Sie haben in der Warren Street diesen Lärmterror ausgeübt...« »Wie Mylady wünschen.« Parker lüftete die schwarze Melone und begab sich zu den beiden Tonbandfreunden, die prompt noch kleiner wurden. Lady Agatha aber baute sich neben Herb Stamford auf, der sich mit den Armen
hochzustemmen versuchte. »Stellen Sie sich gefälligst nicht so an«, herrschte sie ihn an. »Ich habe Sie ja nur ganz leicht angetupft, Stamford.« »Das also ist Stamford.« Mike Rander dachte nicht daran, dem Gangsterboß zu helfen. Er lehnte sich gegen den Billardtisch und musterte den Mann, der es endlich geschafft hatte, aber noch sehr wackelig auf den Beinen stand: Er sah die resolute Dame aus immer noch verglasten Augen an. »Also«, sagte sie und ließ den Pompadour wieder pendeln. »Von wem hatten Sie den Auftrag, die Leute in der Warren Street zu terrorisieren? Sie wissen schon, welches Haus ich meine!« »An Ihrer Stelle würde ich verdammt schnell antworten, lieber Mann«, warf Mike Rander ironisch ein. »Mylady ist sehr ungeduldig.« »Wen... Wenlock«, erwiderte Herb Stamford und machte erst gar keinen Versuch, seinen Auftraggeber zu schützen. »Kenne ich diesen Namen?« erkundigte sich Lady Agatha bei dem Anwalt. Ihr Namensgedächtnis war noch nie gut gewesen. »Sie wissen Bescheid, Mylady«, meinte Rander und nickte lächelnd. Er wollte hier vor Stamford keine längeren Erklärungen abgeben. »Richtig, ich kenne dieses Subjekt«, behauptete sie prompt, obwohl sie keine Ahnung hatte. »Der Name spricht Bände.« »Welche Straße und welcher Wohnblock stehen denn noch so auf Ihrem Terrorprogramm?« fragte der Anwalt. »Ich... Ich hatte nur die Warren Street«, sagte Stamford und hatte Mühe, die Worte zu formulieren. Sein Kopf dröhnte nämlich noch immer wie nach einem Huftritt. »Aber Cromer arbeitet in der Clipstone Street.« »Das ist ein alter Hut«, gab Mike Rander zurück. »Wir
kommen ja gerade von ihm. Er hat uns Ihre Adresse gegeben, Stamford.« »Er hat...!?« Herb Stamford begriff, wenn auch langsam, daß sein Rivale Cromer ihn verpfiffen hatte. »Er hat«, bestätigte Mike Rander ironisch. »Er hat Sie hereingelegt, wie Sie ihn gerade hereinlegen wollen.« »Das Schwein«, stöhnte Stamford und fingerte vorsichtig nach der Schwelle am Hinterkopf, die sich bereits zu einer fulminanten Beule ausweitete. »Es liegt mir fern, Sie unnötig zu belästigen«, schickte Josuah Parker voraus. Er hatte die beiden Tonbandfreunde zurückgelassen und stand vor Stamford. »Mylady wünschen die Namen und Adressen weiterer Leute zu erfahren, die im Auftrag des Mr. Wenlock tätig sind. Wenn Sie sich also freundlicherweise erinnern würden?« »Ich weiß nur noch von Archie Marsh«, lautete die überraschende Antwort, »aber was er tut, kann ich nicht sagen.« »Habe ich diesen Namen nicht auch schon gehört?« fragte die ältere Dame dazwischen. »Mit Sicherheit, Mylady«, antwortete Parker überaus höflich, um sich dann wieder Stamford zuzuwenden. »Kann man davon ausgehen, daß Sie Ihre Aktivitäten aufgeben werden?« »Ich passe«, meinte Stamford. »Wenn ich gewußt hätte, daß... Nee, ich passe.« »Ein lobenswerter Entschluß, Mr. Stamford«, sagte der Butler. »Geld ist nicht alles im Leben, wenn ich so sagen darf. Sie sollten sich wieder auf Ihre wahre Profession besinnen und Billard um Geld spielen.« »Wenlock heuert mich nicht mehr an.« Stamford meinte das, was er sagte.
»Mylady wünschen Ihnen und Ihren Mitarbeitern noch einen geruhsamen Abend«, schloß Parker. »Wer sagt denn, daß ich diese Lümmel ungeschoren davonkommen lassen will, Mr. Parker?« rief, die Detektivin dazwischen. »Ich möchte ihnen noch eine Lektion verpassen.« »Mylady haben bereits gewisse erzieherische Maßnahmen getroffen«, erinnerte Josuah Parker gemessen. »Man sollte die Herren vielleicht nicht über Gebühr strapazieren.« »Und was ist mit den armen Teufeln in dem Wohnblock? Sind sie nicht auch über Gebühr strapaziert worden, Mr. Parker?« »Nun, vielleicht wird Mr. Stamford die Freundlichkeit haben, den Mietern des erwähnten Hauses eine Art Schmerzensgeld zu zahlen, Mylady. Mr. Steven Cromer erklärte sich dazu spontan bereit.« »Fünfhundert Pfund«, warf Mike Rander ein. »Das dürfte dem Honorar entsprechen, das auch Stamford kassiert hat.« »Wie stehen Sie dazu, Sie Flegel?« herrschte die ältere Dame den drittklassigen Gangsterboß an. »Fünfhundert Pfund!?« Stamford schluckte. »Die noch heute überbracht werden, Sie Lümmel. Sie werden das Geld in bar an Mr. Fielding zahlen, der es dann aufteilen wird. Und noch etwas: Sollte ich erfahren, daß Sie oder Ihre Leute in der Warren Street Ärger machen, dann bekommen Sie es mit Lady Simpson zu tun. Schreiben Sie sich das gefälligst hinter die Ohren!« »Das Geld geht noch heute weg«, versprach Stamford. »Ich passe, ich mach' nicht mehr mit. Soll Wenlock doch sehen, woher er seine Leute nimmt.« ***
»Kraftbrühe mit feinen Klößchen aus dem Mark irischer Rinder«, verkündete Josuah Parker und servierte die Suppe. »Endlich«, seufzte Lady Agatha auf. »Denken Sie an meine Diät, Mr. Parker! Nicht mehr als sechs Klößchen, wenn ich bitten darf...« Mike Rander und Kathy Porter tauschten einen schnellen und amüsierten Blick. »Akzeptabel«, fand Lady Simpson, nachdem sie von der Kraftbrühe und den Markklößchen gekostet hatte. »Um auf Cromer und Stamford zurückzukommen, Mike, glauben Sie wirklich, daß sie nicht mehr tätig werden?« »Mylady haben einen ungemein tiefen Eindruck auf die beiden Herren gemacht«, schaltete sich Josuah Parker ein. »Die fünfhundert Pfund wurden bereits überbracht, wie ich telefonisch erfuhr.« »An Mr. Fielding und an die Frauen in der Clipstone Street?« Kathy Porter war ehrlich überrascht. »In beiden Fällen, Miß Porter«, bestätigte der Butler. »Also schön, vergessen wir diese kleinen Gangsterbosse«, sagte die ältere Dame. »Sind noch Markklößchen da, Mr. Parker?« »Mylady brauchen nur Wünsche zu äußern.« »Dann nehme ich noch zwei oder vier, Mr. Parker.« Sie nickte ihm huldvoll zu. »Sie sind Ihnen fast gelungen, doch zurück zu meinem Fall. Bleibt dieser Wenlock, so heißt er doch, mein Junge, nicht wahr?« »Jody Wenlock, Mylady.« Mike Rander nickte. »Er betreibt einen Ausschnittdienst, ich erzählte Ihnen bereits davon.« »Warum haben wir ihn nicht besucht?« wollte die Lady wissen. »Er hat diese beiden Lümmel doch auf die Hausbewohner gehetzt.« »Mr. Parker und ich haben bereits versucht, Kontakt mit ihm
aufzunehmen, Mylady«, antwortete der Anwalt vorsichtig, um nicht zu viel zu verraten. »Mr. Wenlock war nicht in seinem Büro.« »Hat er denn keine Privatadresse?« »Geräucherter Lachs nach schottischer Art«, verkündete der Butter geistesgegenwärtig und lenkte seine Herrin ab. »Klingt nicht schlecht«, meinte sie, »Fisch macht nicht dick, Mr. Parker.« »Morgen werden wir wissen, wo er seinen privaten Unterschlupf hat«, schwindelte der Anwalt jetzt flüssig weiter. »Er wird Ihnen bestimmt nicht entkommen, Mylady.« »Und McWarden wird sich wieder mal ärgern«, sagte sie froh. »Er rechnet doch bestimmt nicht damit, daß ich diesen Fall so schnell aufklären werde. Das heißt, eigentlich ist er wohl doch froh, und ja, wie auch immer ...« Sie hatte den Räucherlachs zu sich genommen und wartete ungeduldig auf das Roastbeef, zu dem es Croquetten gab. Parker servierte vollendet und zeigte sich als Meister auch auf diesem Gebiet. »Angenommen, ich unterhalte mich mit diesem Wenlock«, schickte die Detektivin voraus, »wird er diesen Spekulanten preisgeben und ans Messer liefern?« »Davon sollte man tunlichst nicht ausgehen, Mylady«, schaltete sich Josuah Parker ein. »Mr. Wenlock wird seine diversen Aufträge keineswegs von Mr. Wigmore persönlich erhalten haben.« »Natürlich nicht«, gab sie prompt zurück, »noch ein Scheibchen Roastbeef, Mr. Parker, ich habe ja kaum etwas gegessen.« »Wenlock wird man wohl auf raffinierten Umwegen engagiert haben«, führte Mike Rander weiter aus. »Wenn alle Stricke reißen, Mylady, dann stößt man vielleicht auf einen
Burschen aus dem Zentralbüro dieses Spekulanten, der dann pro forma fliegen wird.« »Und Wigmore weiß von nichts.« Kathy Porter lächelte wissend. »Chief-Superintendent McWarden hat ja bisher auch keine Handhabe gefunden, Wigmore etwas nachzuweisen.« »Was werde ich also unternehmen, um dem abzuhelfen, Mr. Parker?« fragte die Hausherrin und wandte sich an ihren Butler. »Was schlage ich vor?« »Mylady planten bereits, Mr. Wigmore ein wenig zu verunsichern«, erwiderte Josuah Parker. »Ein weites Feld, wenn ich so sagen darf.« »Die Einzelheiten überlasse ich Ihnen, Mr. Parker«, sagte sie postwendend. »Und wie sieht es mit dem Nachtisch aus?« »Ich habe mir gestattet, eine kleine Käseplatte zusammenzustellen«, meldete der Butler gemessen, »dazu gibt es nach Wunsch frisches Weißbrot oder Schwarzbrot. Zum Mokka erwarten Mylady einige Süßigkeiten in Form verschiedener Gebäcke.« »Nicht gerade üppig, aber ich lebe schließlich Diät«, sagte sie, worauf Mike Rander, Kathy Porter und diesmal auch Butler Parker Blicke tauschten. *** Butler Parker hatte während Wenlocks Abwesenheit eine elektronische »Wanze« im Büro angebracht. Später, als der Inhaber des Ausschnittdienstes dann angerufen hatte, war diese Miniaturausgabe einer »Wanze« so frei gewesen, die Unterhaltung in Parkers Wagen zu senden. Mittels eines speziell hergerichteten und kleinen Transistor-Radios hatten Parker und Mike Rander Wort für Wort abgehört. Moralische Bedenken hatte Parker nicht, sich eines solchen Minisenders zu
bedienen. Ihm ging es nur darum, gewisse Pläne seiner Gegner zu durchkreuzen. Erfahrungsgemäß wurde so immer wieder Blutvergießen vermieden. »Wo steht dieses WigmoreLandhaus?« fragte Mike Rander. Es war inzwischen dunkel geworden. Sie befanden sich auf einer Straße, die in nordwestliche Richtung führte. »Das Landhaus liegt zwischen Hampstead und Highgate, Sir«, beantwortete Parker die Frage des Anwalts... »In den vergangenen Jahren haben beide Vorsätze sich zu ausgesprochen exklusiven Wohnlagen entwickelt.« »Die Wigmore sich bestimmt leisten kann.« Rander nickte. »Auf wieviel Millionen schätzen Sie ihn?« »Nach verläßlichen Schätzungen, Sir, die von Insidern stammen, müßte Mr. Wigmore bisher etwa zwei Millionen Pfund in Immobilien erworben haben. Über sein Barvermögen existieren Schätzungen in etwa ähnlicher Höhe.« »Und wahrscheinlich zahlt er weniger Steuern als ich.« Rander seufzte unwillkürlich. »Mit letzter Sicherheit, Sir.« Parker erlaubte sich ein zustimmendes Nicken. »In seinem Zentralbüro befinden sich Steuerexperten der sogenannten Spitzenklasse. Sie werden die erforderlichen Abschreibungen und Verlustvorträge zur Geltung bringen.« »Was weiß man über sein Privatleben, Parker?« »Mr. Wigmore ist Junggeselle, Sir. Sein Privatleben findet hinter einem ungewöhnlich dichten Vorhang statt, wenn ich es so umschreiben darf.« »Ich kann mich nicht erinnern, je ein Foto von ihm gesehen zu haben.« »Er scheut das Licht der Öffentlichkeit, Sir.« »Wird höchste Zeit, daß sich das ändert, Parker. Wir sollten ihm diese Scheu nehmen, finden Sie nicht auch?«
»Durchaus, Sir. Dies wird vielleicht seiner Selbstfindung dienlich sein.« »Haben Sie über die Fensterscheiben schon neue Vorstellungen?« »Sie werden sich aus dem Moment heraus ergeben, Sir. Darf ich übrigens darauf verweisen, daß man sich dem Landhaus nähert?« »Dann überraschen Sie mich mal, Parker.« Rander setzte sich hoch. »Sie sind sich doch hoffentlich im klaren darüber, daß er seinen Bau inzwischen verstärkt bewachen läßt, oder?« »Gewiß, Sir, diese Erkenntnis wurde bereits entsprechend einkalkuliert. Aus diesem Grund war ich so frei, einige Spezialgeschosse mitzunehmen.« »Ich lasse mich überraschen.« Rander lächelte. »Hauptsache, diesem Wigmore wird deutlich gemacht, daß es auch für ihn Grenzen gibt.« *** Will Wigmore sah keineswegs wie ein gewissenloser Spekulant aus, wie man ihn oft in einschlägigen Filmen zu sehen bekommt. Er war fünfzig Jahre alt und lebte in einer erlesenen Umgebung mit kostbaren alten Möbeln, geschmackvollen Bildern und vielen Büchern, die sich nicht mit Finanz- und Steuerrecht befaßten. Er besaß eine umfangreiche Schallplattensammlung und schätzte Musik der Klassik und Romantik. Will Wigmore saß in seinem Arbeitszimmer und ging sachverständig einige Arbeitspapiere durch, die sein Büro zusammengestellt hatte. Er rauchte eine teure Importe und trank alten Portwein.
Er war wieder mal mit sich zufrieden. Die Mietabrechnungen stimmten, und die neuen Projekte in der Nähe von Regent's Park ließen sich erfreulich an. Man teilte ihm hier schriftlich mit, die Räumung einiger Wohnblocks sei nur noch eine Frage von einigen Wochen. Will Wigmore empfand nicht die geringsten Skrupel. Plötzlich barst explosionsartig eine Fensterscheibe. Er sprang sofort auf und lief in den angrenzenden Wohnraum. Wigmore starrte auf eines der zerbrochenen Fenster und zuckte erneut zusammen, als ein kieselsteingroßer Gegenstand durch das geborstene Fenster jagte und an der Wand zerplatzte. Sekunden später breitete sich ein penetranter Geruch aus, der an faule Eier erinnerte. Will Wigmore hustete, hielt sich die Nase zu und eilte in den Korridor. Dabei rief er nach einem gewissen Hale. Weitere Fensterscheiben im Obergeschoß klirrten und barsten. Draußen bellten und kläfften die beiden Hunde, dann war Hales Stimme zu hören. Wigmore mußte sich weiter zurückziehen. Obwohl er die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog der schier unerträgliche Gestank durch den unteren Türspalt und ließ ihn erneut husten. Wigmore lief weiter in die Wohnhalle, doch hier prallte er gegen eine Wand aus beißendem Qualm, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Wigmore riß sein Taschentuch hervor, preßte es gegen Mund und Nase, tastete sich in die Wirtschafts- und Küchenräume, riß die Tür zum Garten auf und flüchtete ins Freie. Er hörte das Aufheulen eines Automotors und sah dann die Schweiwerfer seines Wagens, der aus der Garage schoß. Hale mußte im Wagen sitzen und die Verfolgung der Täter aufnehmen.
*** »Ein scheußlicher Gestank«, sagte Mike Rander und hielt sich die Nase zu. Selbst in Parkers hochbeinigem Monstrum war der penetrante Geruch zu spüren. »Ich erlaubte mir, eine doppelte Dosis zu verwenden, Sir«, sagte Josuah Parker, »als ich die Spezialgeschosse richtete, dachte ich an die terrorisierten Hausbewohner in den diversen Wohnblocks. Dies muß meine bescheidenen emotionalen Strukturen konditioniert haben, wenn ich es so ausdrücken darf.« »Ich habe nichts dagegen, Parker«, antwortete Rander. »Sie wissen hoffentlich, daß wir verfolgt werden?« »In der Tat, Sir!« Parker warf noch nicht mal einen prüfenden Blick in den Rückspiegel. »Meiner Ansicht nach muß es sich um den Hundeführer handeln, den ich bereits kennenlernte.« »Wie lange bleibt dieser Gestank im Haus haften, Parker?« »Schätzungsweise zwei bis drei Tage, Sir.« »Dann wird Wigmore ausziehen, oder?« »Mit solchen Gedanken wird Mr. Wigmore bereits jetzt spielen, Sir.« »Wird er nicht völlig untertauchen?« »Dies wird mit Sicherheit seine erklärte Absicht sein, Sir.« »Und wie bleiben wir am Mann?« Mike Rander wandte sich um und beobachtete das Fahrzeug, das ihnen folgte und schnell aufholte. »Noch vor der Rückkehr in die City, Sir, könnte man vielleicht Chief-Superintendent McWarden anrufen. Man kann davon ausgehen, daß er seine Mitarbeiter veranlassen wird, diesen Umzug zu beobachten.«
»Sie sind ein listiger Bursche, Parker.« »List ist effektiver als eine Armee tumber Soldaten, Sir.« »Irgendeine alte Spruchweisheit, Parker?« Rander schmunzelte. »Sie könnte aus dem Chinesischen stammen, Sir«, gab der Butler höflich zurück. »Wenn Sie darauf bestehen, werde ich den Wurzeln des Sprichworts nachgehen.« »Nur keine unnötige Arbeit, Parker. Wir werden übrigens gleich gerammt, denke ich.« »Der verfolgende Wagen hat in der Tat aufgeholt.« Parkers schwarz behandschuhte linke Hand ließ das Lenkrad los. Mit Daumen und Zeigefinger legte der Butler einen der vielen Kipphebel um, die auf dem Armaturenbrett zu sehen waren. Sekunden später schienen die voll aufgedrehten Scheinwerfer des Verfolgerwagens von Trunkenheit erfaßt worden zu sein. Sie strahlten nach links, dann wieder nach rechts und beschrieben Schlangenlinien bis zum Horizont. »Es hat ihn erwischt«, meldete Rander, der die Lichtspiele beobachtet hatte. »Ihre Krähenfüße sind unübertroffen, Parker.« »Der Wagen müßte im Straßengraben liegen, Sir.« »Werden wir ihn uns ansehen?« »Mit Ihrer gütigen Erlaubnis, Sir.« Parker nickte knapp. »Man sollte sich um den Fahrer kümmern.« »Der Mann hat prächtig reagiert.« »Der Wagen ist nur langsam weggerutscht«, gab Parker zurück. »Ich möchte betonen, daß ich bewußt auf Gleitmittel verzichtet habe, die Wirkung wäre sonst wohl zu nachhaltig gewesen.« Parker war in einen kleinen Weg gefahren, wendete und fuhr zurück zur Straße. Er verließ den Wagen und holte aus dem Kofferraum einen zusammenlegbaren Straßenbesen. Dann
schritt er mit dem Anwalt zu dem abgerutschten Wagen. Der Fahrer saß vor dem Lenkrad und versuchte, das Fahrzeug aus dem flachen Graben zu bringen. Er hatte den Rückwärtsgang eingeschaltet und schaukelte zentimeterweise vor und wieder zurück. Der Motor heulte wie ein gequältes Tier. »Darf man davon ausgehen, daß Sie nicht absichtlich im Graben sind?« fragte Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. Er stand plötzlich neben der geöffneten Fahrertür, und der Mann am Steuer zuckte wie bei einem elektrischen Schlag zusammen. Dann begriff er und reagierte ruppig. Er griff in sein Jackett und hatte sicher nicht die Absicht, nach seiner Brieftasche zu greifen. Parker schlug mit der Wölbung seiner schwarzen Melone kurz und knapp zu. Da sie mit solidem Stahlblech gefüttert war, mußte die Wirkung erstaunlich sein. Der Mann stöhnte und konnte seinen Arm nicht mehr bewegen. »Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen behilflich sein«, redete Parker weiter und zog eine Schußwaffe aus der Halfter. »Dafür werden Sie mir büßen«, drohte der Mann. »Sie sollten meiner bescheidenen Wenigkeit dankbar sein«, schlug der Butler vor. »Immerhin habe ich Sie vor einer unüberlegten Handlung bewahrt, die sich böse für Sie hätte auszahlen können.« »Sie ... Sie haben was auf die Straße gestreut«, stöhnte der Hundeführer. »Man sollte sich nicht in Einzelheiten verbeißen«, meinte Josuah Parker höflich. »Ich möchte vorschlagen, daß Sie den Motor abstellen und sich zu Fuß nach Hause begeben. Der Wagen sitzt heillos fest« »Wir sprechen uns noch.« Der Mann stieg zögernd aus. »Was is' mit meiner Kanone?«
»Ich werde sie Ihnen bei Gelegenheit rückerstatten. Grüße und Empfehlungen an Mr. Wigmore!« »In Ihrer Haut möcht' ich nicht stecken«, drohte der Mann weiter, bevor er sich in Bewegung setzte. »Ich weiß genau, wer Sie sind.« »Das hätte meine bescheidene Wenigkeit sonst auch gewundert«, antwortete der Butler, »schließlich dürften Sie sich heute morgen das Kennzeichen meines Wagens gemerkt haben.« Der Hundeführer verschwand in der Dunkelheit. Wenig später war er schon knapp achtzig Meter weiter unter einer Straßenlaterne zu sehen. Butler Parker ging zu Mike Rander hinüber, der mit dem Besen dabei war, die sogenannten Krähenfüße von der Straße zu kehren. Es handelte sich dabei um winklig aneinandergeschweißte Nägel. Wie sie auch fielen, zumindest eine lange Nagelspitze zeigte nach oben und wartete darauf, sich in den Pneu eines Wagens zu bohren. »Sir, Sie beschämen mich«, sagte Parker und griff nach dem Besen. »Übertreiben Sie nicht immer gleich.« Rander lächelte. »Besorgen Sie eine Taschenlampe, damit ich die Teerdecke nach Einzelexemplaren absuchen kann.« Butler Parker konnte mit einer Taschenlampe besonderer Art dienen. Er holte einen seiner Universal- und PatentKugelschreiber aus einer der vielen Westentaschen und schaltete durch einen Druck auf den Halteclip ein scharf gebündeltes Licht ein. Während Mike Rander nach Einzelstücken suchte und sie einsteckte, fegte Parker weiter, bis alle erkennbaren Krähenfüße beisammen waren. Aus der Innentasche seines Zweireihers zog er einen schwarzen Leinenbeutel und verstaute die Krähenfüße. Sie hatten bisher Glück gehabt. Auf der schmalen Straße, die zu Einzelhäusern hinausführte,
war bisher kein Wagen erschienen. Jetzt aber tauchten am entgegengesetzten Ende Scheinwerfer auf, die sich schnell näherten. Die beiden Männer verschwanden in der Dunkelheit, während der Wagen bereits die Unfallstelle passierte, dann hielt und zurücksetzte. »Scheint gut zu gehen, Parker«, flüsterte Mike Rander. Bisher hatte er kein Reifenplatzen wahrgenommen. Der Fahrer des Wagens war ausgestiegen und näherte sich dem Fahrzeug, das schräg im Graben stand. Er ging um den Wagen herum und stellte fest, daß er leer war. Sofort lief er dann zu seinem Wagen zurück. »Er wird jetzt wohl die Polizei alarmieren«, vermutete der Anwalt. »Dem ist voll und ganz beizupflichten, Sir«, antwortete Parker, »man sollte daher die Rückfahrt antreten, wenn ich diesen Vorschlag unterbreiten darf.« *** Der Zug aus Liverpool fuhr ein. Jody Wenlock ging zur Sperre und wartete auf seinen Gast. Sam Lafton arbeitete stets schnell, unauffällig und präzise. Sein Angebot reichte von der einfachen Körperverletzung bis zum Mord. In Liverpool betrieb er ein Geschäft für Zoobedarf. Er verkaufte Zierfische, Hunde- und Katzenfutter, exotische Vögel und Meerschweinchen. Sam Lafton hatte die Sperre passiert und übersah Wenlock, der spontan auf ihn zugehen wollte. Wenlock zuckte zurück und schalt sich einen Narren. Natürlich hatte Lafton recht, sich so zu verhalten. Kein noch so zufälliger Beobachter brauchte zu sehen, daß sie miteinander bekannt waren.
Der Mann aus Liverpool durchschritt die Halle und blieb vor einem Kiosk stehen. Er kaufte sich eine Zeitung und stieß mit einer jungen Dame zusammen, die knapp hinter ihm stand. Sie verlor ihre kleine Handtasche, deren Inhalt auf dem Boden landete. »'tschuldigung«, sagte Sam Lafton höflich, »war nicht meine Absicht. Warten Sie, ich helfe Ihnen.« »Sehr freundlich von Ihnen, Sir.« Sie ging mit ihm in die Knie und sammelte die Utensilien ein. Sam Lafton war ihr behilflich und kam gar nicht auf die Idee, daß dieser kleine Zwischenfall provoziert worden war. Jody Wenlock, der vorausgegangen war und im Eingang der Halle ungeduldig auf seinen Gast aus Liverpool wartete, blieb ebenfalls völlig ahnungslos. Ja, er lächelte sogar ironisch über die betonte Höflichkeit von Sam Lafton. Ihm sah man tatsächlich nicht an, welchem Hauptberuf er nachging. Lafton hatte sich inzwischen wieder aufgerichtet und ging zum Ausgang. Und noch immer übersah er Wenlock, der ihn nach London bestellt hatte. Er würde nun wohl in irgendein Restaurant gehen und dort erst Fühlung mit ihm aufnehmen. Sicher war sicher. Lafton hatte den Ausgang noch nicht ganz erreicht, als zwei Zivilisten ihn in die Mitte nahmen. Lafton zuckte mit keiner Wimper, blieb stehen und schüttelte den Kopf. Wenlock war neugierig geworden und pirschte sich an die drei Männer heran. »... ausgeschlossen, das muß ein Irrtum sein«, sagte Sam Lafton gerade energisch. »Aber bitte, wenn Sie es wünschen!« Einer der beiden Zivilisten wünschte es, und Sam Lafton griff in seine linke Manteltasche. Bruchteile von Sekunden später drückte sein Gesicht grenzenlose Verblüffung aus. Er zog die Hand aus der Manteltasche und mit ihr eine ... Geldbörse.
»Irrtum, wie?« fragte der andere Zivilist. »Sie haben natürlich keine Ahnung, wie die Geldbörse in die Tasche gekommen ist, wie?« »Das... Das ist mir völlig unverständlich.« Sam Laftons Gesicht hatte eine dunkelrote Farbe angenommen. Er drehte sich ein wenig zur Seite und musterte dann die junge Dame, die nervös an ihrer Brille fingerte. »Ich denke, Sie sollten mit uns ins Büro kommen«, redete der Zivilist weiter. Wenlock war inzwischen klar, daß es sich um Polizeidetektive handelte. »Natürlich, ich werde mitkommen.« Sam Lafton musterte erneut die junge Dame, mit der er am Zeitungskiosk zusammengestoßen war. Sein Blick sprach Bände. Ihm war aufgegangen, daß diese junge Frau ihn hereingelegt hatte. Er wußte nicht, wie und wann sie ihm ihre Geldbörse in die Manteltasche praktiziert hatte, aber er räumte insgeheim ein, daß sie das erstklassig gemacht hatte. Sam Lafton hätte sich bestimmt absetzen können, doch er hütete sich, dies zu tun. Wenn man ihn schon erwartet hatte, dann wußte man auch, wer er war und wo er wohnte. Er mußte sich damit abfinden, daß man ihn für einen Dieb hielt und dementsprechend behandelte. Er übersah erneut Wenlock, als er willig mit den beiden Zivilisten die Halle verließ. Die junge Dame folgte natürlich als Zeugin und Geschädigte. Jody Wenlock war es heiß geworden. Hoffentlich mißverstand der Mann aus Liverpool diesen Zwischenfall nicht. Er hatte schließlich nichts damit zu tun. Wenlock drehte ab und hatte nur den einen Gedanken, so schnell wie möglich in sein Büro zu gelangen. Er kam dicht an einem pensionierten Soldaten vorüber, der seinen Schnurrbart zwirbelte und sich gerade eine Zigarre anzündete. Jody Wenlock übersah ihn und drückte damit ungewollt ein Kompliment für Butler Parker aus, der auch ein
Meister der Maske war. *** »Ich werde Sie nicht lange stören, Mylady.« »Sie stören doch nie, lieber McWarden«, behauptete Lady Agatha überaus freundlich. »Mike, mein lieber Junge, einen Sherry für unseren Gast!« »Bringen Sie mein Weltbild nicht ins Wanken«, spottete McWarden und nahm Platz. »Sie haben mich bisher immer mit falschen Augen gesehen«, flötete die Hausherrin. »Sie ahnen ja nicht, wie sehr ich Sie schätze.« »Vielen Dank«, meinte der Chief-Superintendent, als Mike Rander ihm den Sherry servierte. »Ich bin ganz privat hier, Mylady. Vielleicht interessiert es Sie, wohin Wigmore sich abgesetzt hat.« »Hat er etwa Ärger gehabt?« erkundigte sich Agatha Simpson. »Hat er sich an die Polizei gewandt?« fügte der Anwalt hinzu. »Sehr massiv sogar.« McWarden nippte an dem alten Sherry und lächelte amüsiert. »Er verlangt Polizeischutz.« »Hat man ihn belästigt, McWarden?« wollte Lady Agatha wissen. »Ziemlich nachdrücklich sogar«, bestätigte der ChiefSuperintendent. »Und es hat mir gutgetan, wie man ihm mitgespielt hat. Zweimal gestern sind ihm Fensterscheiben zertrümmert worden. Beim zweiten Mal hat man sogar so etwas wie Stinkbomben in sein Landhaus geworfen. Die Männer der Funkstreife hätten am liebsten Gasmasken angefordert, so scheußlich muß es in Wigmores Haus gerochen
haben.« »Das hört sich ja direkt nach einem Lausejungenstreich an, McWarden«, sagte die Lady. »Die Lausejungen müssen nicht mehr im Kindesalter gewesen sein«, fuhr McWarden trocken fort und warf Mike Rander einen schnellen Blick zu. »Sie sind sehr fachmännisch vorgegangen. Kurz und gut, Wigmore hat noch in der vergangenen Nacht das Landhaus geräumt und sich abgesetzt.« »Und wo hält er sich jetzt versteckt?« erkundigte sich Mike Rander. »In Richmond«, antwortete McWarden. »Er besitzt da ebenfalls ein Landhaus.« »Was für ein hübscher Zufall, McWarden«, rief die Detektivin fröhlich. »Dort muß ich auch ein Landhaus haben, oder nicht? Nun, ich werde Kathy danach fragen, man kann schließlich nicht alles im Kopf haben.« »Ich nehme an, Sie werden bald dorthin übersiedeln, nicht wahr?« Chief-Superintendent McWarden lehnte sich zufrieden zurück. »Aber so genau möchte ich das auch gar nicht wissen. Übrigens, um auf die erwähnten Lausejungen noch mal zurückzukommen: Einer der beiden Streifenwagen blieb mit einer Doppelpanne auf der Straße liegen.« »Was Sie nicht sagen, McWarden!« Rander tat erstaunt. »Zwei Krähenfüße hatten sich in die Reifen gebohrt. Wollen Sie mal sehen?« Er griff in die Außentasche seines Jacketts und zog zwei Reifenzerstörer hervor, die Mike Rander nur zu gut kannte. »Was ist denn das?« fragte er unschuldig und nahm einen Krähenfuß in die Hand. »Scheußliches Ding!« »Das muß ich mir auch unbedingt ansehen.« Lady Simpson ließ sich das zweite Exemplar von McWarden reichen. »Nein, wer kommt nur auf solche Ideen! Es ist nicht zu glauben!«
»Durch diese Krähenfüße ist Wigmores Wagen in den Straßengraben geraten«, berichtete McWarden weiter. Er hielt es für sinnlos, sich weiter über diese Krähenfüße zu verbreiten. Woher sie stammten, wußte er selbstverständlich. Parkers hochbeiniges Monstrum war gut für jede Überraschung. »Er hält sich also in Richmond versteckt?« erinnerte Mike Rander. »Sie wissen nicht zufällig, wo genau?« McWarden nannte die Adresse. »Ich möchte annehmen, daß er jetzt Profis anheuern wird«, fügte er hinzu. »Er dürfte vorgewarnt sein.« »Er scheint Feinde zu haben«, vermutete der Anwalt und lächelte. »Erfreulicherweise.« McWarden trank das Glas leer und erhob sich. »Mr. Parker ist nicht zu Hause?« »Er kauft ein«, sagte die ältere Dame. »Er hat Miß Porter mitgenommen, um Ihre nächste Frage schon zu beantworten.« »Kauft er Nägel?« McWarden verbeugte sich in Richtung Lady Agatha. »In der vergangenen Nacht wurde ich übrigens angerufen. Eine höfliche Stimme informierte mich, daß Wigmore Ärger mit seinen Fensterscheiben habe. Ob Sie es glauben oder nicht, Mylady: Im ersten Moment dachte ich doch wirklich, es sei Mr. Parker gewesen.« *** Jody Wenlock befand sich im Büro seiner kleinen Firma und wartete auf den Anruf seines Gastes aus Liverpool. Endlich, fast eine Stunde war verstrichen, meldete sich Lafton. »Alles in Ordnung?« fragte Wenlock hastig, als er den Namen seines Freunds vernommen hatte. »Hören Sie, Lafton, ich will Ihnen von vornherein sagen, daß ich...«
»Sagen Sie mir gar nichts«, antwortete Lafton gefährlich ruhig. »Sobald ich mein Honorar habe, fahre ich zurück nach Liverpool. Und rufen Sie mich nie wieder an, ist das klar?« »Ich kann mir nicht erklären, wie...« »Sie brauchen mir nichts zu erklären, Wenlock. Tausend Pfund umgehend. Ich erwarte Sie vor Paddington Station.« »Tau... Tausend Pfund? Hören Sie, Lafton...« »Tausendfünfhundert«, lautete die knappe Antwort. »Wenn Sie nicht erscheinen, bleibe ich noch hier in London.« »Okay, das geht in Ordnung, Lafton, ich werde kommen.« Er legte auf und wischte sich über das schweißnasse Gesicht. Aus fünfhundert Pfund waren nun tausendfünfhundert geworden. Ein kleines Vermögen. Er spielte keinen Moment mit dem Gedanken, nicht zur Paddington Station zu fahren. Dazu war seine Angst vor Lafton viel zu groß. Er hatte die Drohung genau verstanden. Wenn Lafton noch in London blieb, dann nur, um sich mit ihm, Jody Wenlock, zu befassen. Nein, darauf wollte er es erst gar nicht ankommen lassen. Wenlock öffnete seinen Wandsafe und holte die erforderlichen Banknoten. Er steckte sie in einen starken Umschlag und verstaute ihn in der Innentasche seines Jacketts. Um pünktlich zu sein und Lafton nur ja nicht zu verpassen, machte er sich sofort auf den Weg. Er fuhr mit dem Wagen in Richtung Paddington und war zu aufgeregt, um sich nach etwaigen Verfolgern umzusehen. Bei dem herrschenden Verkehr hätte er sie wohl auch gar nicht ausmachen können. Weit vor der Zeit traf er am Bahnhof ein, ließ seinen Wagen auf einem nahen Parkplatz und legte den restlichen Weg zu Fuß zurück. Inzwischen hatte er sich mit den Tatsachen und dem Verlust seiner Banknoten abgefunden. Eigentlich war er
recht froh, Lafton auf solche Weise loszuwerden. Der Mann aus Liverpool hätte schließlich ganz andere Saiten anschlagen können. Jody Wenlock schaute sich in der Halle nach Sam Lafton um, konnte ihn aber nicht entdecken. Nun, es war noch zu früh. Bis zur vereinbarten Zeit fehlten fast noch zwanzig Minuten. Der Unterwelt-Agent schlenderte durch die weite Halle und sorgte dafür, daß Sam Lafton ihn sehen konnte. Er kreuzte den Weg eines alten und offensichtlich schlecht sehenden Herrn, der sich mit einem billigen Koffer abschleppte. Dieser Koffer krachte gegen Wenlocks linke Kniescheibe, der daraufhin stöhnte und im gesunden Knie einknickte. »Das tut mir leid, Sir«, sagte der alte Mann und rückte seine altmodische Brille zurecht. »Hoffentlich haben Sie sich nicht verletzt. Warten Sie, ich werde Ihnen helfen.« Und wie er Wenlock half! Der Unterwelt-Agent wollte einen Schritt zurücktreten und stolperte über den billigen Koffer, der erstaunlicherweise hinter ihm stand. Wenlock rutschte gegen den älteren Herrn, der nun seinerseits aus dem Gleichgewicht geriet und sich an Wenlock klammerte. »Gehen Sie zum Teufel«, schlug Wenlock wütend vor. »Kaufen Sie sich 'ne neue Brille!« Er rieb sich das schmerzende Knie, wartete, bis der alte Mann mit seinem Koffer davongeschlurft war und setzte dann seinen Weg fort. Zwischendurch blieb er immer wieder stehen und rieb sich das Knie. Nach zehn Minuten stand plötzlich Sam Lafton vor ihm. »Sie können von Glück sagen, daß ich ein friedlicher Mensch bin«, sagte Lafton. »Geben Sie mir das Geld!« »Ich begreife einfach nicht, wie...«
»Das Geld!« Sam Lafton sah sich verstohlen nach allen Seiten um. Er fühlte sich seit der Sache mit der Geldbörse nicht mehr wohl. Er hatte das Gefühl, ununterbrochen beobachtet zu werden. »Sie brauchen nicht nachzuzählen«, sagte Jody Wenlock und griff in die Brusttasche seines Jacketts. Er griff, fingerte, langte in die andere Innentasche und verfärbte sich. »Was ist?« drängte Lafton. Er wollte so schnell wie möglich zurück in Deckung. »Der Umschlag, Lafton, der Umschlag ...« »Los, nun machen Sie schon! Ich hab's eilig!« »Der Umschlag... Er ist weg!« Wenlocks Stimme war heiser geworden. Eine plötzliche Erkältung schien ihn befallen zu haben. »Reden Sie keinen Unsinn, Mann, kommen Sie mir bloß nicht mit faulen Ausreden!« Lafton wurde wütend. »Er ist weg, verschwunden. Ich kann mir das nicht... Moment mal... Der alte Mann mit dem Koffer.« »Was ist mit ihm?« »Er hat den Umschlag geklaut, die Sache mit dem Koffer war nur ein Trick.« »Ich hätte große Lust, mit Ihnen in den Waschraum zu gehen, Wenlock.« »Mein Ehrenwort, Lafton, ich hatte das Geld bei mir. Ich kann's beschwören. Ich bin bestohlen worden.« »Schicken Sie mir das Geld nach Liverpool«, sagte Lafton knapp. »Postlagernd Hauptpost. Und scheren Sie sich endlich zum Teufel!« ***
Das Kleeblatt befand sich im Salon des Wohnhauses in Shepherd's Market. Butler Parker servierte einen diätbetonten leichten Lunch, der aus Sandwiches und Tee bestand. Die Sandwiches waren allerdings üppig belegt und hätten mit Sicherheit auch den Hunger eines Kanalarbeiters gestillt. Parker sah wieder wie ein Film-Butler aus, auch Kathy Porter hatte sich rückverwandelt. Nach ihrem gemeinsamen Auftritt in der Halle von Paddington Station sahen sie recht unschuldig und wie gewohnt aus. »Wenlock wird also dreitausend Pfund los«, freute sich die ältere Dame. »Was machen wir mit den baren tausendfünfhundert, Mr. Parker?« »Myladys Einverständnis vorausgesetzt, sollte man sie an die Mieter-Initiativen weiterleiten zur Deckung der überhöhten Forderungen des Mr. Wigmore.« »Einverstanden.« Die Hausherrin nickte und befaßte sich mit kaltem Roastbeef, das Parker sicherheitshalber mitserviert hatte. »Wenden wir uns also diesem Widerling von einem Spekulanten zu.« »Myladys Landhaus in Richmond kann sofort bezogen werden«, meldete der Butler. »Einem Umzug steht nichts im Weg.« »Wir fahren noch heute«, erwiderte die Detektivin, »aber da existiert noch dieser Wenlock, nicht wahr?« »In der Tat, Mylady!« Parker nickte andeutungsweise. »Meiner bescheidenen Ansicht nach wird auch er alle Vermittlungen einstellen.« »Sie glauben, dieses Subjekt hat die Nase voll?« »Und anderes auch, Mylady«, warf Mike Rander ein. »Für Wigmore wird er keine Hand mehr rühren. Und zudem kommt noch seine Angst vor diesem Sam Lafton aus Liverpool. Wenlock weiß doch, wie wütend Lafton ist.«
»Könnte man diesen Wenlock nicht noch ein wenig schocken?« erkundigte sich Lady Agatha. »Mr. Parker, lassen Sie sich doch etwas Hübsches einfallen, ja?« »Haben Mylady spezielle Wünsche?« »Muß ich denn wieder mal alles allein machen?« grollte sie umgehend. »Kathy, Kindchen, haben Sie im Gegensatz zu Mr. Parker eine nette Idee?« »Mr. Lafton könnte Mr. Wenlock anrufen«, antwortete Kathy Porter. »Mr. Parker kann doch ausgezeichnet fremde Stimmen imitieren.« »Das ist mir etwas zu wenig«, gab Lady Agatha zurück, »aber die Richtung stimmt, würde ich sagen.« »Wir wissen, wo er wohnt«, sagte Mike Rander. »Er besitzt ein recht hübsches Häuschen drüben in Kensington.« »Und soll nicht an die frische Luft gesetzt Werden.« Agatha Simpsons Augen funkelten unternehmungslustig. »Er hat schließlich Ärger mit Wigmore.« »Myladys Anregungen sind bereits verstanden worden«, sagte Josuah Parker. »Mr. Wenlock könnte einen leichten Geschmack von dem bekommen, was die Herren Cromer und Stamford den Mietern zugefügt haben. Wenn es gestattet ist, möchte ich noch einige kleinere Einkäufe tätigen.« *** Jody Wenlock, der Agent der Unterwelt, kam nach Hause. Nach dem Verlassen der Paddington Station war er direkt zur Bank gefahren und hatte dort tausendfünfhundert Pfund abgehoben, was ihn sehr schmerzte. Beim nächsten Postamt hatte er sie in einen starken Umschlag gesteckt und an Sam Lafton adressiert. Hauptpostlagernd Liverpool. Nicht eine Sekunde hatte er mit dem Gedanken gespielt, Lafton diese
Banknoten vorzuenthalten. Er wußte schließlich sehr gut, wie gefährlich dieser Mann war. Nun fühlte er sich erleichtert. Bisher war nichts passiert. Lafton schien tatsächlich mit dem nächsten Zug nach Liverpool zurückgefahren zu sein. Momentan drohte also keine Gefahr. Jody Wenlock bewohnte ein hübsches Haus in einer relativ hübschen Gegend. Das schmale, dreistöckige Gebäude hatte er vor einigen Jahren erworben und bewohnte es allein. Wenlock, ein geldgieriger Mann, hatte nie geheiratet. Er war nicht gewillt, sein Geld mit einer Frau zu teilen, die ihn vielleicht noch störte, wenn er vor dem Farbfernseher saß und sich unterhalten ließ. Fernsehen war seine Leidenschaft. Er konsumierte alles, was die verschiedenen Kanäle anboten. Das schmale, dreistöckige Haus war fast unmöbliert. Er hielt sich praktisch nur in einem Wohnraum, im Schlafzimmer und in einer Küche auf. Hier bereitete er sich Fertiggerichte aus Dosen, wozu er gern Bier trank. Besuch lud er so gut wie nie ein. Er betrachtete das Haus als eine erstklassige Geldanlage. Eines Tags, wenn seine Schweizer Konten sich weiter gefüllt hatten, wollte er London verlassen, das Haus vermieten und in die Schweiz ziehen. Er hatte sich vorgenommen, dann aber alles nachzuholen und sich zu amüsieren. Jody Wenlock befand sich in der Küche und öffnete gerade eine Konservendose, als das Telefon läutete. Er hob überrascht den Kopf, denn diese Rufnummer kannte kaum jemand. Er hatte den Anschluß auf den Namen seiner längst verstorbenen Tante angemeldet. »Lafton«, sagte eine Stimme, die ihm sofort wieder den Schweiß auf die Stirn trieb. »Ich hab mir die Sache anders überlegt, Wenlock.« »Wo ... Woher kennen Sie die Telefonnummer?« »Ich sehe mir die Leute an, mit denen ich zusammenarbeite. Hören Sie, Wenlock, ich will Sie sprechen.«
»Lafton, ich habe die tausendfünfhundert Pfund bereits abgeschickt, wie wir's ausgemacht hatten. Hauptpostlagernd Liverpool, unter Ihrem Namen.« »In einer Stunde am Picadilly Circus, Wenlock, oder ich komme zu Ihnen! Ende!« Wenlock hielt noch für Sekunden den Hörer in der Hand, obwohl auf der Gegenseite längst hingehängt worden war. Was wollte Lafton von ihm? Wie hatte er diese Telefonnummer herausgefunden? Warum mochte seine Stimme so kalt geklungen haben? Wenlock sah auf seine Uhr. Es ging auf vier. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich sofort in seinen Wagen zu setzen. Er hatte nicht die geringste Lust, Lafton ausgerechnet hier im Haus zu empfangen. Hier war man allein, am Picadilly Circus aber gab es Tausende von Menschen. Als Jody Wenlock mit seinem Wagen in der nächsten Straße verschwunden war, erschien vor dem Haus ein hochbeiniges, uralt aussehendes Taxi und hielt. Der Fahrer, der eine hüftlange, abgewetzte, schwarze Lederjacke und eine entsprechende Lederkappe trug, öffnete den hinteren Wagenschlag und ließ einen Mann von etwa vierzig Jahren aussteigen, der einen dunklen Blazer und graue Flanellhosen trug. Während der Fahrgast zur Haustür ging, holte der Fahrer einen schwarzen Koffer aus dem Fond und trug ihn zur Tür, die sich inzwischen geöffnet hatte. Mike Rander war ebenfalls ein gelehriger Schüler des Butlers und hatte inzwischen gelernt, Türschlösser im Handumdrehen sich öffnen zu lassen, ohne über die Originalschlüssel zu verfügen. ***
Will Wigmore, der Spekulant, ertappte sich dabei, daß er bereits die dritte Beruhigungstablette an diesem Tag nahm. Er war noch in der vergangenen Nacht hierher nach Richmond umgezogen und hatte sicherheitshalber darauf verzichtet, in sein Büro zu fahren. Die bisherigen Ereignisse hatten ihn sehr genervt, und noch immer glaubte er, den penetranten Geruch in der Nase zu haben, der ihn aus dem Haus bei Hampstead vertrieben hatte. Für den späten Nachmittag hatte er seine beiden engsten Vertrauten herausbestellt. Er war nicht gewillt, sich von seinem bisherigen Kurs abbringen zu lassen. Hale, sein Fahrer, Hausdiener und Leibwächter, war draußen auf der Terrasse des Hauses zu sehen. Er war von der Themse heraufgekommen und schien das große Grundstück abgeschnitten zu haben. Wigmore öffnete einen Flügel der Terrassentür und winkte Hale. »Sir?« fragte Hale und sah seinen Herrn und Meister erwartungsvoll an. »Es hat geläutet, das werden Hagger-ty und Belgrave sein.« Hale ging um das Haus herum, und Will Wigmore wartete auf seine beiden engsten Mitarbeiter und Vertrauten. Sie erschienen .nach wenigen Minuten bereits auf der Terrasse und grüßten respektvoll. Haggerty war etwa dreißig, schlank und drahtig. Er sprühte förmlich vor Tatkraft. Eine randlose Brille verlieh ihm ein asketisches Aussehen. Belgrave, ein paar Jahre älter, hatte ein rundes, rosiges Gesicht und war auch sonst am Körper recht gut gepolstert, ohne allerdings dick oder gar schwammig zu wirken. Beide trugen Aktenkoffer und machten ein dienstliches Gesicht. »Kommen Sie herein«, bat Wigmore höflich wie immer.
»Ich denke, wir haben da ein Problem zu lösen.« »Butler Parker und Lady Simpson«, antwortete Haggerty impulsiv. »Seitdem sie sich einmischen, spielen die MieterInitiativen verrückt.« »Wir werden überflutet von einstweiligen Verfügungen, von Klageschriften und Einsprüchen«, fügte Belgrave hinzu und tippte auf seinen Aktenkoffer. »Sie alle stammen von Anwalt Rander.« »Der mit Parker und Lady Simpson zusammenarbeitet«, sagte Haggerty kühl. »Der Fall liegt klar: Anwalt Rander will alle Kündigungen oder Mietanhebungen torpedieren.« »Sie haben die juristischen Gegenmaßnahmen ergriffen, Belgrave?« erkundigte sich Wigmore. »Selbstverständlich, Sir.« Belgrave, ein gerissener Mann, nickte. »Eines steht natürlich fest, und damit sollte man sich abfinden: Die eingeplanten Räumungstermine sind jetzt nicht mehr einzuhalten.« »Bisher hatten die Bürgerinitiativen weder einen Anwalt noch Geld, aber das hat sich nun gründlich geändert.« Haggerty rückte sich die strenge Brille zurecht. »Und da wäre noch etwas, Sir. Ich darf doch offen sprechen?« »Ich möchte genau informiert werden, Haggerty.« »Belgrave und ich hatten einen Mann unter Vertrag genommen, der die Mieter dazu bringen sollte, sogar noch vorzeitig die Apartments und Wohnungen zu räumen, fieser Mann ist ausgestiegen.« ? »Wer war das, Haggerty?« »Ein Jody Wenlock, Sir, keine besonders erfreuliche Erscheinung, aber bisher hatte er erstklassige Arbeit geliefert. Durch ihn und seine Vermittlungen haben wir in der Vergangenheit jeden Wohnblock leer bekommen.« »Aber doch hoffentlich im Rahmen der Gesetze, Haggerty,
oder?« Will Wigmore tat ahnungslos und naiv. »Körperliche Gewalt wurde in keinem Fall angewendet, Sir«, warf Belgrave ein. »Anzeigen wurden bisher nie erstattet.« »Gibt es einen zweiten Wenlock?« erkundigte sich Wigmore. »Wir sind gerade dabei, solch einen Mann zu suchen, Sir.« Wigmore wanderte durch den großen Raum und blieb dann vor der Terrassentür stehen. Er dachte engestrengt nach, um sich dann plötzlich abrupt zu seinen beiden Vertrauten umzuwenden. »Ich möchte noch mal auf diesen Butler und Lady Simpson zurückkommen«, sagte er im Plauderton. »Ihrer Ansicht nach blockieren diese beiden Personen also unsere Pläne, ja?« »Eindeutig, Sir«, antwortete Haggerty. »Wären Sie also indisponiert, würden die Mieter-Initiativenin sich zusammenfallen?« »Mit Sicherheit, Sir«, bestätigte Belgrave. »Ich setze auf Ihre Erfahrung, Haggerty und Belgrave. Sorgen Sie dafür, daß diese beiden Personen und auch dieser Anwalt natürlich - sorgen Sie dafür, daß da etwas Nachdrückliches passiert. Sie haben völlig freie Hand und können über die erforderlichen Mittel verfügen.« »Man könnte...« Haggerty verstummte, als Wigmore abwehrend die Hand hob. »Ich lasse Ihnen freie Hand«, wiederholte der Spekulant noch mal. »Sie werden schon die richtige Methode finden.« *** Jody Wenlock hatte fast eine Stunde am Picadilly Circus auf
den Mann aus Liverpool gewartet und sich in Geduld geübt. Nach dieser Stunde, als Sam Lafton sich noch immer nicht gemeldet hatte, war Wenlock zu seinem dreistöckigen Haus in Kensington zurückgefahren. Wohl fühlte er sich nach wie vor nicht. Noch immer hatte er die Stimme dieses Mannes im Ohr mit der Aufforderung, sofort zu kommen. Warum hatte Lafton sich nicht blicken lassen? Hatte es wieder Ärger mit der Polizei gegeben? Wollte Lafton ihn bewußt hochnehmen und in Angst und Schrecken versetzen? Was mochte der Killer aus Liverpool nur planen? Jody Wenlock, der Agent der Unterwelt, war heilfroh, als er endlich wieder in seinem schmalbrüstigen Haus war und die Tür hinter sich schließen konnte. Nach der Nervenanspannung leistete er sich einen doppelten Whisky und eine Dose Bier. Der Alkohol machte ihn ein wenig freier, wie er glaubte, und er hatte Lust, sich vor den Fernsehapparat zu setzen. Er schaltete das Gerät ein und sah sich einen lustigen Zeichentrickfilm an, der eigentlich für die Heranwachsenden gedacht war. Jody Wenlock entspannte sich, dachte an die Haustür und lief noch mal hinaus ins Treppenhaus. Doch der Riegel war vorgeschoben. Selbst mit einem Nachschlüssel hätte kein noch so geschickter Dieb sich einschleichen können. Nach dem Zeichentrickfilm folgte ein Reisebericht vom Mittelmeer. Er stellte sich vor, dort irgendwo friedlich in einem kleinen Haus am Meer zu wohnen, weitab von allem Ärger, den er hier in London hatte ... Solch ein Haus konnte er sich ohne weiteres leisten. Schon jetzt brauchte er eigentlich nicht mehr zu arbeiten. Dank seiner Vermittlertätigkeit und der für ihn abfallenden Prozente war er ein vermögender Mann. Ja - und dann hing Wenlock fast flach unter der Decke seines Wohnzimmers, so jäh und entsetzt war er aufgesprungen. Seine Trommelfelle vibrierten und schienen zerreißen zu wollen. Ein schriller Sirenenton, der immer höhere Frequenzen ansteuerte,
erfüllte den Wohnraum. Die Fensterscheiben klirrten, und Wenlock jagte erst mal aus dem Raum. Wie gehetzt schaute er sich um. Woher kam dieses nervenzerfetzende Sirenengeheul? Er stopfte sich die Zeigefinger in die Ohren und wagte sich zurück in den Wohnraum. Obwohl er die Gehörgänge verstopft hatte, schmerzten die Trommelfelle immer noch. Es dauerte qualvoll lange, bis er endlich herausbekam, wo die Sirene sich befand. Sie war in dem alten, soliden Sideboard montiert worden. Wenlock griff nach dem Schlüssel, um die beiden Schranktüren zu öffnen, doch er griff ins Leere. Der Schlüssel war abgezogen worden. Er bekam die Türen nicht auf. Und sie Sirene schrillte munter weiter. Sie war noch ein wenig lauter als die Musik, die die Untermieter in der Warren Street produziert hatten, um die Hausbewohner in das erste Stadium des Wahnsinns zu treiben. Wenlock wußte sich nicht anders zu helfen, als mit einem Hocker die Schranktüren zu zertrümmern. Er wütete wie ein Berserker und brauchte einige Zeit, bis er es endlich geschafft hatte. Er griff nach einer Art Nebelhorn und zerrte es nach draußen. Verbunden mit zwei Leitungen folgte ein schwarzer Kasten, den Wenlock wütend zu Boden schmetterte. Als dabei die beiden Leitungen abrissen, erstarb langsam das Sirenengeheul. Wenlock ließ sich in den Sessel fallen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er starrte auf das nebelhornähnliche Ding und den schwarzen Kasten. Er ahnte schon fast, wer ihm dieses Gerät ins Haus praktiziert hatte. Wie unter einem Peitschenhieb zuckte er erneut zusammen, als das Telefon sich meldete. Er sprang auf, riß den Hörer von der Gabel und meldete sich. »Parker ist mein Name, Josuah Parker«, sagte eine feierlichgemessene Stimme. »Wundern Sie sich tunlichst nicht darüber,
woher meine bescheidene Person an diese Nummer geraten ist. Bevor Sie sich unnötig echauffieren, möchte ich Ihnen sagen, daß ich sie in Ihrem Büro entdeckte. Eine Ihrer monatlichen Telefonabrechnungen fand sich unter dem Aktenbock. »Parker... Parker ... Hören Sie... Haben Sie diese Sirene...!?« Vor Wut und Empörung und jetzt auch Haß konnte Wenlock nicht weitersprechen.. »Nur eine kleine Kostprobe«, antwortete der Butler höflich. »Bisher war Ihnen wahrscheinlich nicht bekannt, mit welchen Methoden jene Leute arbeiten, die Sie vermittelt hatten. Nun hingegen dürften Sie wissen, was man unter psychischem und physischem Terror versteht. Falls weitere Kostproben gewünscht werden, lassen Sie es mich bitte wissen. Ich wünsche Ihnen noch eine geruhsame Nacht!« *** »Reicht denn das?« fragte Lady Agatha zweifelnd. »Eine einzige Sirene, Mr. Parker?« »Sie würde mit Sicherheit nicht dem entsprechen, was die terrorisierten Mieter erduldeten«, gab der Butler zurück, der zusammen mit Mike Rander sich wieder im Haus in Shepherd's Market befand. »Wir haben noch zwei weitere installiert«, schaltete sich Mike Rander lächelnd ein. »Nach den Zeituhren geht die zweite so etwa gegen Mitternacht los, die dritte ungefähr um zwei Uhr dreißig.« »Das klingt aber schon sehr viel besser«, meinte die Detektivin. »Und wie funktionieren diese Dinger, Mr. Parker?« »Die Sirenen, Mylady, werden von Blockbatterien mit der benötigten Energie versorgt. Die jeweilige Zeit läßt sich mittels einer kleinen Quarzuhr feinregulieren.«
»So hätte ich es auch gemacht.« Sie nickte sachverständig, obwohl sie von Technik keine Ahnung hatte. »Recht begabt, Mr. Parker, recht begabt!« »Mylady beschämen meine bescheidene Wenigkeit.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Wenlock ahnt nicht, daß noch eine zusätzliche Überraschung auf ihn wartet«, meinte Mike Rander. »Aber die hat nichts mit einer Sirene zu tun.« »Das klingt immer besser.« Die ältere Dame nickte wohlwollend. »Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, Parker«, forderte Mike Rander den Butler auf. »Sie waren erstklassig als Lafton.« »Vielen Dank, Sir!« Parker hüstelte leicht. »Ich möchte allerdings betonen, daß es nicht sonderlich schwer war, die Stimme des Mr. Lafton zu imitieren.« »Sie haben diesen Lümmel als Lafton angerufen?« fragte Lady Simpson und sah Parker interessiert an. »Um ihn aus dem Haus zu locken, Mylady. Bei dieser Gelegenheit ließ sich in Erfahrung bringen, daß Wenlock tausendfünfhundert Pfund Hauptpostlagernd Liverpool abgeschickt hat. Der Empfänger heißt Sam Lafton.« »Dieses Subjekt wird das Geld doch hoffentlich nicht in Empfang nehmen können, Mr. Parker?« »Dies sollte man allerdings wünschen, Mylady.« »Ich verstehe nicht, Mr. Parker.« Ihr Blick wurde streng. »Ich habe McWarden angerufen, Mylady«, warf Mike Rander ein. »Ich fühle mich nämlich bestohlen. Man hat mir in der Halle von Paddington Station einen Umschlag mit tausendfünfhundert Pfund gestohlen. McWarden dürfte inzwischen seine Kollegen in Liverpool benachrichtigt haben.« »Reicht denn das?« Sie hatte den Trick noch nicht
durchschaut. »Es reicht, Mylady«, meinte der Anwalt. »Ich habe ihm den vermutlichen Dieb genau beschrieben. Und eigenartigerweise paßt die Personenbeschreibung genau auf Lafton.« »Da Mr. Lafton bereits schon mal wegen Diebstahls einer Geldbörse vernommen wurde, Mylady, wird man ihm den Diebstahl des Umschlags ebenfalls zutrauen.« »Er wird viel Ärger bekommen, und ich werde später erklären, der Umschlag drüben in Liverpool sei nicht der Umschlag, den ich vermisse.« Der Anwalt schmunzelte. »Nach seiner zweiten Einvernahme durch die Polizei wird Lafton wahrscheinlich in die Staaten übersiedeln. Der Mann ist ja nicht dumm. Er weiß spätestens ab morgen, daß sein Inkognito gelüftet ist.« »Ich glaube, ich sollte sehr zufrieden sein.« Agatha Simpson lehnte sich zurück. »Mr. Parker, wir alle, denke ich, sollten auf diesen Schachzug ein Gläschen trinken.« »Schachzug ist das richtige Wort, Mylady«, erwiderte Mike Rander. »Parker hat die Bauern auf dem gegnerischen Feld geschlagen. Jetzt bleiben nur noch die Dame und der König.« »Welche Dame?« Die Detektivin wurde hellhörig. »Im übertragenen Sinn, Mylady«, schränkte Mike Rander ein. »Es dürften sich noch zusätzliche Figuren auf dem Schachbrett befinden«, warf Josuah Parker gemessen ein. »Dieses Gangster-Schach, wie man es nennen könnte, steht noch keineswegs vor dem Matt.« »Aber da sind doch nur noch dieser Spekulant und vielleicht gerade seine engsten Mitarbeiter«, stellte Kathy Porter fest. »Wenlock wird bestimmt keine Lust mehr haben, für Wigmore zu arbeiten und neue Ganoven zu engagieren.« »Mr. Wenlock dürfte in der Tat bereits von diesem
imaginären Schachbrett sein«, antwortete Josuah Parker. »Mr. Wigmore aber dürfte seine engsten Vertrauten inzwischen aufgefordert haben, schwerste Geschütze aufzufahren.« »Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben, Mr. Parker«, warf die resolute Dame grimmig ein. »Diese sprichwörtlichen Geschütze dürften auf Mylady und die Mieter-Initiativen gerichtet werden«, schloß Butler Parker. »Ein Mann wie Mr. Wigmore wird wohl erst jetzt das werden, was man richtig wach nennt.« *** Die beiden Wigmore-Vertreter Haggerty und Belgrave waren erstaunt, als ein großer schlanker Mann an ihren Tisch trat und ihre Namen nannte. »Das ist Mr. Belgrave, ich bin Haggerty«, sagte der Wigmore-Angestellte. »Sie sind Mr. Marsh?« »Hoffentlich wollen Sie nicht meine Papiere sehen«, sagte Archie Marsh und setzte sich an den Tisch. »Wie gefällt es Ihnen hier?« »Gepflegtes Restaurant«, meinte Belgrave, der ein wenig nervös war. Zum erstenmal in seinem Leben saß er einem richtigen Gangsterboß gegenüber. Er gestand, daß er sich solch einen Menschen völlig anders vorgestellt hatte. Sein bisheriges Wissen hatte er aus einschlägigen Kriminalfilmen bezogen. Und dort sahen Gangsterbosse wie Nachfahren des Neandertalers aus. Archie Marsh hingegen trug einen gutgeschnittenen Anzug, ein dazu passendes, leicht getöntes Hemd und eine diskret gemusterte Krawatte. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein, war groß, schlank und hatte ein sonnengebräuntes Gesicht mit kühlen grauen Augen.
»Ich passe wohl nicht in Ihr Klischee, wie?« fragte Marsh ironisch. »Entschuldigung, Mr. Marsh«, antwortete Belgrave hastig. Er fühlte sich durchschaut. »Erst mal vielen Dank, daß Sie gekommen sind«, warf Haggerty ein. »Ich denke, wir können offen miteinander reden.« »Es ist Ihr Risiko«, erwiderte Marsh und lächelte. »Wie sind Sie auf mich gekommen? Würde mich interessieren.« »Sie sind uns empfohlen worden.« »Von wem?« wollte Marsh sehr direkt wissen. »Ihr Name fiel mal während einer Unterhaltung mit Mr. Wenlock.« »Ich habe gehört, er hat für Sie ein paar Leute engagiert. Ich habe auch gehört, daß diese Leute nicht viel Erfolg hatten.« »Haben Sie auch gehört, warum das so gekommen ist?« »Reden wir nicht um den heißen Brei herum.« Marsh winkte dem Kellner des Restaurants und bestellte kaltes Roastbeef und ein paar gegrillte Tomaten. Als der Kellner gegangen war, zündete er sich eine Zigarette an. »Natürlich weiß ich, daß Cromer und Stamford abgewirtschaftet haben, war ja auch nicht anders zu erwarten. Offen gesagt, ich habe in aller Ruhe abgewartet.« »Sie wissen, worum es geht?« »Ihr Mr. Wigmore will da ein paar Wohnblocks räumen lassen«, entgegnete Marsh trocken. »Alles bekannt, meine Herren. Ich habe schließlich ein erstklassig funktionierendes Nachrichtensystem. Was in meiner Region passiert, bleibt mir nicht verborgen.« »Ah, Mr. Wigmore hat keine Ahnung, daß Mr. Haggerty und ich diese Dinge betreiben, ich meine, in dieser Form«, sagte Belgrave eindringlich.
»Natürlich hat er keine Ahnung.« Marsh lächelte wissend. »Er ist völlig ahnungslos und läßt Sie die Dreckarbeit machen. Das kennt man, das ist nicht neu.« »Wären Sie an einem lukrativen Auftrag interessiert, Mr. Marsh?« erkundigte sich Haggerty. »Was verstehen Sie unter lukrativ?« »Ich denke, Sie sollten uns Ihren Preis nennen.« »Der hoch ausfallen wird. Sie haben bisher nämlich nicht von einem Butler namens Parker gesprochen.« »Sie kennen diesen Mann?« »Umgekehrt wird auch ein Schuh daraus, Haggerty. Sie haben Parker doch bereits kennengelernt, wenn auch indirekt. Er hat Cromer und Stamford mit der linken Hand ausgespielt, er hat Wenlock aufs Kreuz gelegt und wird auch Ihren Mr. Wigmore austricksen.« »Ist er tatsächlich so gut, Mr. Marsh?« wollte Belgrave wissen. »Offen gesagt, ich bin froh, daß unsere Wege sich bisher noch nicht gekreuzt haben, aber ich stelle mir das nicht besonders angenehm vor. Dieser Mann steckt voller Tricks. Er tut immer genau das, was man nicht erwartet.« »Er ist Butler bei einer Lady Simpson«, sagte Haggerty. »Und betreut noch einen Anwalt namens Mike Rander und kümmert sich um eine gewisse Kathy Porter.« Archie Marsh schaute versonnen in die Tiefe des Restaurants. »Dieses Kleeblatt hat es in sich. Pech für Ihren Mr. Wigmore, daß Parker sich für die Mieter-Initiative interessiert.« »Aber auch ein Mr. Parker wird doch wohl zu neutralisieren sein - oder etwa nicht?« Belgrave sah den Gangsterboß eindringlich an. »Unschlagbar ist kein Mensch.« »Was stellen Sie sich unter Neutralisation vor?« fragte Marsh und lächelte ironisch.
»Nun ja, er soll von diesen Mietervereinigungen ablassen«, umschrieb Haggerty schnell. »Das Wie, Mr. Marsh, ist nicht unsere Sache. In diesem Zusammenhang möchten wir Ihnen noch vorschlagen, sich um die Räumung der Wohnblocks zu kümmern. Wir haben da noch ein paar Objekte, die uns am Herzen liegen.« »Ich weiß, außer Cromer und Stamford hatte Wenlock noch zwei andere Leute engagiert, aber die sind inzwischen abgesprungen. Das ist der neueste Stand der Dinge.« »Tatsächlich?« Belgrave wußte davon noch nichts. »Sie können's mir abnehmen.« Archie Marsh nickte und unterbrach das Gespräch, als serviert wurde. Als der Kellner den Tisch wieder verlassen hatte, beugte er sich ein wenig vor. »Sie wollen also eine schnelle, gründliche und möglichst lautlose Arbeit, ja?« »Das ist genau, was uns vorschwebt, Mr. Marsh«, bestätigte Haggerty. »Wigmore ist steinreich, sagt man.« »Bitte, nennen Sie diesen Namen auf keinen Fall. Wie gesagt, er weiß nichts von diesem Gespräch, er weiß auch nicht, auf welche Art und Weise die Wohnblocks geräumt wurden und werden.« Belgrave sah den Gangsterboß förmlich beschwörend an. »Ich weiß von vier Wohnblocks«, gab Marsh zurück. »Wahrscheinlich stehen noch mehr auf Ihrer Wunschliste, könnte ich mir wenigstens vorstellen. Also, mein Preis: Pro Wohnblock bekomme ich zehntausend Pfund. Für die... Neutralisation dieses Butlers zahlen Sie mir zwanzigtausend Pfund.« »Mr. Marsh«, stöhnte Haggerty, »ich habe mich verhört, nicht wahr?« »Keine Ahnung, Haggerty.« Marsh zuckte die Achseln. »Ich
denke nur an den Gewinn, den Ihr Wigmore machen wird. Der scheffelt doch Millionen, ohne einen Finger rühren zu müssen.« »Ihr Honorar ist entschieden zu hoch angesetzt«, widersprach Belgrave abwehrend. »Falls Sie darauf nicht eingehen, meine Herren, werde ich mich auf die Seite der Mieter schlagen.« Archie Marsh lächelte überlegen. »Wie war das?« Haggerty sah zuerst den Gangsterboß, dann seinen Partner Belgrave an. »Vielleicht entdecke ich plötzlich mein soziales Gewissen«, redete Marsh ungerührt weiter. »Ich wiederhole noch mal: fünfzehntausend Pfund für jeden Wohnblock, dreißigtausend für die Neutralisation von Parker.« »Aber eben haben Sie doch noch ganz andere Zahlen genannt«, protestierte Haggerty. »Und gleich werde ich neue nennen«, sagte Marsh und befaßte sich mit dem Roastbeef. »Ich werde von Minute zu Minute teurer.« »Abgemacht«, erklärte Belgrave hastig. »Abgemacht«, bestätigte Haggerty. »Die Anzahlung beträgt fünfzig Prozent«, schloß Marsh die Zahlenspiele. »Zahlbar bereits morgen. Wie ich's gern haben möchte, werde ich Ihnen noch sagen. So, und jetzt können Sie gehen, ich möchte in aller Ruhe essen.« *** »Wann werde ich nach Richmond übersiedeln, Mr. Parker?« erkundigte sich die Detektivin nach dem Dinner. »Falls Mylady eine ausgesprochen ruhige Nacht zu
verbringen wünschen, könnten Mylady in einer knappen Stunde das Haus verlassen.« »Und wenn ich keine ruhige Nacht verbringen möchte?« Sie hatte sofort verstanden. »In diesem Fall sollten Mylady vielleicht die Nacht hier im Haus verbringen. « »Wir werden Besuch bekommen, Mr. Parker?« erkundigte sich Mike Rander. »Eine letzte Garantie dafür kann man selbstverständlich nicht übernehmen«, lautete Parkers Antwort. »Es wäre allerdings möglich, daß die Gegenseite sich inzwischen anderer Helfer versichert hat.« »Sie rechnen damit, daß Wigmore endlich zurückschlägt?« fragte Kathy Porter. »Indirekt schon, Miß Porter. Nachdem Mr. Wenlock wohl dem Büro Wigmore seine Mitarbeit gekündigt hat, dürften die Herren dieses Büros sich neu orientiert haben.« »Stichwort Archie Marsh, nicht wahr?« Rander hatte sich eine Zigarette angezündet. »Sehr wohl, Sir. Die Bosse der dritten Garnitur, nämlich die Herren Cromer und Stamford, arbeiteten in der Region, die Mr. Marsh für sich beansprucht. Aus welchen Gründen auch immer, Mr. Marsh hat diese Arbeit geduldet und dürfte nun angesprochen worden sein oder es noch werden.« »Logisch.« Der Anwalt nickte. »Marsh wird wahrscheinlich geduldig gewartet haben, bis Wigmores Leute sich an ihn wenden mußten.« »Genau das wollte ich gerade sagen, mein lieber Junge.« Lady Agatha schwindelte wieder mal. »Und noch in dieser Nacht wird er seine Kreaturen auf mich hetzen.« »Mit solch einer Reaktion sollte man früher oder später rechnen, Mylady«, sagte der Butler. »Mr. Archie Marsh ist
bekannt für seine Härte.« »Was treibt er denn so für die Öffentlichkeit, Mr. Parker?« wollte die Hausherrin wissen. »Mr. Marsh ist der Besitzer einiger Restaurants und Nachtlokale, Mylady, die sehr seriös betrieben werden, wie ich hinzufügen möchte. Unter diesem Deckmantel aber scheint er einen Call-Girl-Ring zu betreiben und auch Rauschgifte aller Art verkaufen zu lassen.« »Warum habe ich mich bisher noch nicht mit diesem Subjekt befaßt?« fragte sie Parker und sah ihn empört an. »Mylady waren bisher zu sehr mit anderen Fällen beschäftigt«, antwortete Josuah Parker. »Aber jetzt hat seine Stunde geschlagen.« Sie nickte erfreut. »Wie hart ist er, Mr. Parker?« »Er und seine Leute schrecken auch nicht vor Mord zurück, Mylady, aber sie bevorzugen die Klinge, wenn ich es so umschreiben darf.« »Sie sollten die Nacht hier in meinem Haus verbringen, Mike.« Sie wandte sich besorgt an den Anwalt. »Drüben in der Curzon Street sind Sie völlig allein.« »Was mir bestimmt nichts ausmacht, Mylady.« Rander lächelte. »Tun Sie mir den Gefallen, Mike«, bat sie überraschenderweise. »Und überlegen Sie sich endlich, ob Sie nicht in eines der benachbarten Häuser umziehen wollen. Sie stehen doch schließlich leer.« »Irgendwann werde ich mich entscheiden, Mylady.« »Je schneller, Mike, desto besser. Mr. Parker, bin ich für einen nächtlichen Massenbesuch vorbereitet?« »Mylady können versichert sein, daß Eindringlinge die Nacht in diesem Haus nie wieder vergessen werden!«
*** Archie Marsh hatte natürlich in einem seiner eigenen Restaurants mit Haggerty und Belgrave gesprochen. Er hielt sich jetzt in einem sehr üppig eingerichteten Büro auf, das für ihn reserviert war. Er hatte zwei Gäste eingeladen, die er schlicht und vertraulich Paul und Danny nannte. Vom Typ her ähnelten sie sich sehr. Sie waren etwa fünfundzwanzig Jahre alt, schlank und sportlich durchtrainiert. Auch sie sahen keineswegs wie Schläger aus. Bei der Auswahl seiner Spitzenleute traf Marsh stets eine sorgfältige Auswahl. Paul und Danny leiteten zwei seiner Restaurants und verstanden ihr Fach. Sie hätten es mit jeder Spitzenkraft aus der Hotellerie aufnehmen können. Sie übten natürlich noch einen zweiten Beruf aus und leiteten gewisse Abteilungen jener Organisation die Marsh aufgebaut hatte. Da sie von ihm erstklassig bezahlt wurden, waren sie ihm ergeben. »Die Lage ist also bekannt«, faßte Archie Marsh noch mal zusammen, »es geht um Butler Parker, im Grund nur um ihn allein. Und wie gefährlich dieser Mann ist, dürftet ihr ja wissen.« »Wie weit dürfen wir gehen, Mr. Marsh?« fragte Paul, der ein wenig gelassener wirkte als sein Partner. »Totales Abservieren nur im Notfall«, antwortete der Gangsterboß. »Parker hat erstklassige Verbindungen zum Yard, besonders zu diesem McWarden.« »Also Hospitalaufenthalt für ein paar Wochen«, schlug Danny vor. Im Gegensatz zu Paul wirkte er aggressiver. »So in etwa.« Marsh nickte. »Das gilt natürlich auch für die Lady, für den Anwalt und die kleine Porter. Aber immer schön abstufen. Ich möchte keine Schlagzeilen sehen.« »Und wann fällt der Startschuß, Mr. Marsh?« wollte Danny
wissen. »Er ist bereits gefallen.« Marsh lächelte. »Ich gehe davon aus, daß dieses komische Quartett sich erst mal auf seinen Lorbeeren ausruhen wird. Genau da setzen wir ein.« »Noch in dieser Nacht?« Paul fragte ruhig und gelassen. »Würde ich vorschlagen«, antwortete Marsh in seiner zivilen Art. »Nehmt nur erstklassige Leute mit, die Auswahl überlasse ich euch. Stattet den Amateuren einen kleinen nächtlichen Besuch ab und sorgt dafür, daß die Notärzte etwas zu tun bekommen!« *** Butler Parker, an den so nachdrücklich gedacht wurde, machte seine Runde durch das altehrwürdige Fachwerkhaus. Mylady und Kathy Porter befanden sich bereits in ihren Schlafräumen, Mike Rander saß noch in der Bibliothek und arbeitete an einem Schriftsatz für einen Klienten, den er vertrat. Parker hatte die schweren Blendläden vor den vergitterten Fenstern geschlossen und überprüfte noch mal die hauseigene Fernsehanlage. Er schaltete nacheinander die kleinen Monitore ein und vergewisserte sich, daß die versteckt installierten Fernsehkameras draußen am Haus auch richtig funktionierten. Dann schaltete er die offizielle Stromleitung ab und versorgte diese Anlage mit dem Strom aus einer schweren Batterie, die im Keller stand. Falls ihre Leistung abfiel, schaltete sich übrigens automatisch ein Notstromaggregat ein. Parker vergewisserte sich ferner, daß die Kamine durch schwere Stahlplatten geschlossen waren und begab sich dann auf den Dachboden. Er kümmerte sich überhaupt nicht um die Dachfenster, sondern um einige schwarze kleine Kästchen, die scheinbar regellos am Balkenwerk befestigt waren. Sie
sprachen auf Massenveränderungen auf dem Dachboden an und meldeten alles sofort nach unten. Einige Minuten später schaltete Parker das Licht im Erdgeschoß aus, ging in den kleinen quadratischen Vorraum und prüfte die Haustür. Erstaunlicherweise hakte er die Sicherheitskette aus und ersetzte sie durch das Vorlegen einer handelsüblichen Faltsperre. Parker begab sich dann ins Souterrain des Hauses, wo sich seine Privaträume befanden. Er verfügte hier über eine kleine Wohnung und eine erstaunlich große, gut eingerichtete Werkstatt, die jeden Hobbywerker in helles Entzücken versetzt hätte. Die vergitterten Fenster zum Lichthof waren auch hier durch schwere Stahlblendläden gesichert. Man hätte sie wahrscheinlich nur mittels starker Sprengladungen aufbrechen können. Parker öffnete einen Wandschrank und sah sich einer Vielzahl kleiner Monitore gegenüber, die alle nicht größer waren als Bierglasuntersetzer. Er schaltete diese »Multivisionswand« ein, nahm ein technisches Magazin zur Hand und setzte sich in einen bequemen Ledersessel. Nach den Regeln seines »Gangsterschachs« war jetzt die Gegenseite am Zug. Er war sicher, daß der Angriff bald erfolgte. *** Sie kamen etwa eine Stunde nach Mitternacht. Die beiden Gangster-Vormänner Paul und Danny hatten sich für das Dach entschieden, auf dem einige schöne und einladende Giebel- und Dachfenster zu sehen waren. Sie hatten bereits ihren ersten Fehler begangen, doch sie
wußten es nicht. Einer der Elektronikspezialisten, den sie mitgenommen hatten, war bereits tätig geworden. Er hatte erst mal die Telefonzuleitung gekappt und dann die Hauptstromzuführung rechts vom Haus unterbrochen. Nach der Vorstellung von Paul und Danny waren die Bewohner des Hauses damit von der Außenwelt abgeschnitten und hatten keine Möglichkeit, zum Beispiel die Polizei zu informieren. Daß es sich um Attrappen handelte, wußten die Gangster nicht. Die tatsächlichen Versorgungsleitungen befanden sich tief unter der Zufahrtstraße. »Wir nehmen den Giebel rechts«, sagte Danny, »dann am Erker vorbei und rauf zum Dachfenster.« »Ich warte an der Haustür, bis ihr geöffnet habt«, meinte Paul. »Wie lange werdet ihr brauchen?« »Knapp zehn Minuten, höchstens.« Danny ließ es sich nicht nehmen, als erster am Haus hochzusteigen. Er hatte das Gefühl, sich auf einer bequemen Treppe zu befinden, so leicht war dieser Aufstieg. Das schwere Balkenwerk des alten Fachwerks bot immer wieder kleine Vorsprünge an, die man als Stufen nutzen konnte. Mit der Schnelligkeit einer Katze hatte er die Fassade bereits geschafft und blieb oberhalb vom Erker auf dem schrägen Dach stehen. Er stemmte sich mit den Schuhen gegen die Dachtraufe und wartete, bis die beiden Begleiter folgten. Das Fenster war schnell geöffnet. Dies geschah routiniert und völlig geräuschlos. Die beiden Spezialisten stiegen auf den Dachboden, dann folgte Danny. In ihm stellte sich bereits ein Hochgefühl ein. Wieder mal konnte er seinem Boß Archie Marsh beweisen, wie gut er war... Er hatte eine Taschenlampe eingeschaltet und suchte den Dachboden ab. Er entdeckte alte Möbel, Kisten, ausrangierte Koffer und Trödelkram aller Art. Dann blieb sein Blick auf der
Tür haften, die vermutlich hinunter ins Haus führte. Danny wandte sich noch mal um und leuchtete das geöffnete Dachfenster ab. Nein, es war alles in bester Ordnung. »Weiter«, sagte Danny und trat zur Seite. Einer seiner beiden Begleiter hielt bereits einen Universal-Nachschlüssel in der Hand und schob ihn ins Türschloß. Als er vorsichtig Fühlung mit dem Mechanismus aufnahm, ereigneten sich seltsame Dinge. Da war zuerst einmal ein scharfes Schnappen zu vernehmen. Die drei Männer fuhren herum, und Danny richtete den Lichtkegel seiner Taschenlampe automatisch wieder auf das Dachfenster. Er öffnete weit die Augen und glaubte zu träumen. Gewiß, die beiden kleinen Fensterflügel waren noch immer weit und nach innen geöffnet, doch zur Straße hin hatte sich ein Rollgitter herabgesenkt. »Wartet«, zischte er seinen beiden Begleitern zu. Danny lief zum Fenster und rüttelte am Rollgitter. Es saß unverrückbar fest und war wohl nur mit einem Schweißbrenner zu durchtrennen. Danny spürte, daß seine Körpertemperatur anstieg. Er lief zu den übrigen Dachfenstern und ... entdeckte auch hier Rollgitter. Sämtliche Giebel- und Dachfenster waren nun gesichert und ließen kein Entkommen mehr zu. »Wir müssen weiter«, drängte er, als er zur Tür zurückgekommen war. »Diese billigen Tricks werden ihm nichts nützen.« Die beiden Spezialisten schauten die Tür nun ein wenig mißtrauisch an. Es war ihnen klar, daß durch das Einführen des Nachschlüssels der Mechanismus der diversen Rollgitter ausgelöst worden war. Ob diese Tür noch weitere Überraschungen bot?
»Nun macht schon endlich«, sagte Danny und bemühte sich um Gelassenheit. »Wenn alle Stricke reißen, steigen wir durch das Dach raus.« Während er das ankündigte, richtete er den Lichtstrahl der Taschenlampe auf die Dachlatten, die normalerweise die Pfannen zu tragen pflegen. Er erlebte die nächste Überraschung! Es gab keine Dachlatten, und von einem Balkenwerk war ebenfalls nichts zu entdecken. Das alles befand sich hinter Eisenblechen, vom Dachboden aus gesehen. Und diese Eisenbleche sahen nicht gerade dünn und kümmerlich aus. Sie wiesen noch nicht mal Schrauben oder Nieten auf, da sie miteinander verschweißt waren. Es gab praktisch keinen Punkt, an dem man so etwas wie ein Stemmeisen hätte ansetzen können. »Los, macht doch schon«, sagte Danny. Seine Stimme klang ein wenig belegt. »Wir müssen weiter.« Der Nachschlüsselfachmann stocherte wieder mit seinem Patentgerät im Schloß und hatte dabei ein flaues Gefühl im Magen. Er spürte, daß sie mit weiteren Überraschungen zu rechnen hatten. »Ich sag's doch!« Danny atmete erleichtert auf, als die Tür sich ohne Schwierigkeiten aufsperren ließ. Sein Begleiter zog sie vorsichtig zurück und Danny leuchtete in einen kleinen Korridor, an dessen Ende eine weitere Tür zu sehen war. »Gleich sind wir unten«, redete Danny leise weiter und konnte nicht wissen, wie richtig er die weitere Entwicklung beurteilte. Er schritt zur zweiten Tür und mimte Selbstsicherheit. Die beiden Begleiter folgten ihm und ... fuhren herum, als die Tür, die sie gerade geöffnet hatten, sich hinter ihnen schloß. Sie stürzten zurück und sahen sich dann betreten an. Hier war von einem alten und einfachen Kastenschloß nichts mehr
zu sehen. Ja, es gab überhaupt kein Schlüsselloch, das man hätte benutzen können. »Was ist denn jetzt schon wieder?« Danny war zurückgekommen und leuchtete die glatte Tür ab. Dann klopfte er mit dem Fingerknöchel gegen das Türblatt. Er hatte sofort den Eindruck, es mit einer Panzertür zu tun zu haben. »Das sieht nach 'ner raffinierten Falle aus«, sagte einer der beiden Begleiter von Danny. »Herzlichen Dank für das gütige Kompliment, meine Herren«, war in diesem Augenblick eine höfliche und gemessene Stimme zu vernehmen, die aus einem versteckt angebrachten Lautsprecher drang. »Darf ich Ihnen in Anbetracht dessen, was Sie noch erwartet, raten und empfehlen, sich nicht zu verspannen. Sie werden es dann wesentlich leichter haben!« *** »Die lassen sich aber Zeit«, sagte Paul ärgerlich und warf einen Blick auf seine teure Armbanduhr. »Die knappe Viertelstunde ist längst vorbei.« Er stand mit seinen beiden Männern in der Türnische eines jener Häuser, die das altehrwürdige Haus der Lady Simpson flankierten. Er wußte natürlich nicht, daß diese Häuser Bestandteil des Gesamtkomplexes waren, und ahnte nicht, daß auch er bereits einem gewissen Josuah Parker avisiert worden war. »Da tut sich was«, sagte einer seiner Begleiter umgehend und deutete auf die Haustür. Sie wurde vorsichtig nach innen aufgezogen. Dann blinkte für einen Moment eine Taschenlampe auf. »Endlich.« Vormann Paul war erleichtert. Er nickte seinen
beiden Begleitern zu und setzte sich in Bewegung. Die drei Männer huschten zu dem kleinen überdachten Vorbau und schoben sich seitlich durch den Türspalt in den windfangartigen Vorraum, der zur Wohnhalle des Hauses hin durch eine Glaswand abgetrennt war. Einer der beiden Begleiter war so freundlich und rücksichtsvoll, die Haustür wieder ins Schloß gleiten zu lassen. »Dann wollen wir mal zur Sache kommen«, meinte Paul. »Noch mal, Leute, keine lebensgefährlichen Verletzungen, aber auch nicht zu schüchtern.« Vormann Paul ging zur Glastür und wollte natürlich in die Wohnhalle. Die Glastür ließ sich allerdings nicht öffnen, was ihn ein wenig stutzig machte. Mit diesem Hindernis hatte er nicht gerechnet. »Dieser Idiot«, schimpfte er leise und dachte an Danny. Er glaubte, man habe die Glastür versehentlich verschlossen. Er klopfte gegen die Scheibe und merkte, daß sie ungewöhnlich dick und solide war. Er wußte sofort, daß es sich um Panzerglas handelte. »Wo steckt denn dieses Kamel?« Paul hatte seinen persönlichen Hausschlüssel aus der Tasche geholt und klopfte gegen die schwere Glasscheibe. Irgendwo in der Wohnhalle mußte sich doch Danny befinden, wer sonst sollte die Haustür geöffnet haben. »Auch Ihnen einen Gruß, meine Herren«, war plötzlich eine höfliche Stimme zu hören. Auch sie kam aus einem versteckt angebrachten Lautsprecher. »Allerdings möchte ich Sie nicht gerade willkommen heißen, zumal dies unredlich wäre.« Paul brach prompt der Schweiß aus, seine beiden Begleiter warfen sich gegen die Glaswand und prallten von ihr ab. Sie rieben sich die schmerzenden Schultern. »Wo... Wo stecken Sie, Parker?« fragte Paul und bemühte sich um eine forsche Sprache. »Die Mätzchen hier nutzen
nichts, machen Sie schon auf!« »Verständliche Gründe sprechen dagegen«, war die Stimme des Butlers wieder zu vernehmen. »Darf ich Ihnen ebenfalls raten, sich ein wenig zu entspannen? Sie werden gewisse Überraschungen dann wesentlich leichter aufnehmen.« »Wo ... Wo befinden sich die anderen?« Paul war noch immer derart geschockt, daß er gar nicht auf den Gedanken kam, die erste Gruppe verraten zu können.. »Die drei Herren versuchen noch immer krampfhaft, sich gegen das Unvermeidliche zu stemmen«, antwortete Parkers Stimme. »Ich bitte das wörtlich nehmen zu wollen.« Dann klappte der Boden, auf dem die drei Männer standen, unter ihren Füßen einfach weg. Paul und seine beiden Begleiter rutschten durch eine Falltür und brüllten verständlicherweise auf, zumal sie keine Ahnung hatten, wo und wie dieser Sturz enden würde. *** Sie stemmten sich tatsächlich gegen das Unvermeidliche. Danny und seine beiden Begleiter befanden sich in einem großen Trichter, der fünf Personen hätte aufnehmen können. Dieser Trichter bestand aus Stahlblech und bot kaum einen Halt, so fugenlos und glatt war er. Er schien sogar mit einem flüssigen Bodenpflegemittel poliert worden zu sein. Danny stemmte sich mit gespreizten Beinen gegen die glatte Trichterwand und schnaufte vor Anstrengung. Er trug nämlich an der Last der beiden Mitarbeiter, die über ihm waren und mit ihren Füßen einen festen Punkt auf seinen Schultern, auf dem Kopf und sogar hin und wieder auf seinem Nasenrücken suchten. Sie verschmähten auch keineswegs die Ohren ihres Vormanns.
Daß es sich um einen überdimensional großen Küchentrichter handelte, war recht gut zu erkennen. Über den Männern brannte ein schwaches rotes Licht, die Einfüllöffnung war deutlich auszumachen. Diese Öffnung war vom Durchmesser her gesehen groß genug, um einen erwachsenen Mann ohne weiteres passieren zu lassen. Danny hatte das inzwischen längst erkannt und wollte nicht nach unten wegrutschen. Er wußte schließlich nicht, wo man nach dem Passieren dieses Rohrs landen würde. Das schwache rote Licht reichte nicht aus, um auf den Grund zu sehen. Die drei Männer keuchten, schnauften und rutschten zentimeterweise immer weiter nach unten. Die Gleitschicht auf dem Stahlblech wurde immer schlüpfriger, was mit dem Angstschweiß zusammenhing, den die Hände der drei Gangster absonderten. »Ich schaff's nicht mehr«, keuchte Danny. Sein linker quergestellter Fuß rutschte unhaltbar weiter nach unten. Er spürte, daß er innerhalb der nächsten Sekunden in der Röhre verschwand. Die beiden Begleiter hörten diese Vorankündigung und strampelten noch intensiver auf Danny herum. Der Vormann stöhnte, als ein fremder Fuß sein rechtes Ohr als Trittstufe benutzte. Kurz darauf schrammte eine Schuhsohle über den Nasenrücken und brachte den Knorpel ein wenig aus der Form. Das war zuviel für Danny. Er gab auf und ließ sich wegrutschen. Er schrie auf, als er blitzartig nach unten verschwand. Er flutschte durch das Abflußrohr und hatte überhaupt keine Chance, die Fahrt zu bremsen. Dunkelheit umgab ihn, und dieses Trichterrohr schien immer enger zu werden. Panik erfaßte den Gangstervormann. Inzwischen schrie er auch schon nicht mehr, sondern kreischte hemmungslos. Die Röhre, durch die er fast senkrecht
nach unten fiel, wurde schließlich noch enger und ging dann übergangslos in einen elastischen Schlauch über, der aus zähem Stoff bestand. Seine Schultern wurden zusammengezwängt, sein Körper bremste jäh. Und dann war dieser Fall plötzlich beendet. Danny hatte das Gefühl, in zäher Wursthaut zu stecken. Es war unmöglich, sich aus diesem Zwang zu befreien. Schließlich landeten auch noch die beiden Mitarbeiter auf ihm. Ihr Schwung trieb ihn noch tiefer in diese unheimliche »Pelle« und löste bei ihm wilde Platzangst aus. Er brüllte sich die Kehle heiser und merkte nicht, daß seine beiden Mitarbeiter ihm dabei lautstark assistierten. Es dauerte Minuten, bis die drei Gangster sich ein wenig beruhigt hatten. Danny versuchte, sich mit den Ellbogen Bewegungsfreiheit zu verschaffen, doch der elastische, zähe Stoff, der seinen Körper umschloß, ließ das nicht zu. »Was ... Was ist das?« hörte er über sich einen Begleiter fragen. »Ich... Ich ersticke«, sagte der andere Begleiter mit versagender Stimme. »Wenn es erlaubt ist, möchte ich die Herren beruhigen«, war plötzlich Parkers Stimme zu vernehmen. Sie schien von überall her zu kommen. »Sie befinden sich in einem sogenannten Rettungsschlauch, wie die Feuerlöschpolizei ihn seit einiger Zeit verwendet. Dieser Schlauch erlaubt es, vom Feuer bedrohte Personen selbst aus Hochhäusern gefahrlos zu Boden zu bringen.« »Ich... Ich ersticke«, sagte einer der beiden Begleiter oberhalb von Vormann Danny noch mal. »Davon kann keine Rede sein, wie ich Ihnen versichern darf«, war Parkers Stimme wieder zu hören. »Der Rettungsschlauch ist das, was man atmungsaktiv zu nennen
pflegt. Abgesehen von einer gewissen konstruktionsbedingten Enge, die vielleicht als unangenehm empfunden wird, kann Ihnen nichts passieren. Ich werde mich zu einem späteren Zeitpunkt um Sie kümmern, meine Herren. Im Augenblick gibt es noch einiges für meine bescheidene Wenigkeit zu tun.« Danny zappelte noch, gab dann aber Ruhe. Er haßte seinen Boß Marsh und schwor, sich irgendwann umschulen zu lassen. Die beiden Begleiter über ihm dachten übrigens ähnlich... *** Paul und seine beiden Handlanger fühlten sich weniger beengt. Nachdem sie durch die Falltür geplumpst waren, wippten und krabbelten sie wie große Babys in einem viereckigen Raum herum, der zu einem Drittel mit Schaumstoffschnitzeln angefüllt war. Ihr tiefer Fall war ungewöhnlich sanft verlaufen. Sie hatten allerdings einige Zeit gebraucht, bis sie sich endlich an die Oberfläche gearbeitet hatten. Nun lagen sie flach und mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf der nachgiebigen, weichen Schaumstoffschnitzelunterlage und harrten der Dinge, die schließlich irgendwann mal kommen mußten. Die Beleuchtung in diesem hohen fenster- und türlosen Raum war ausreichend. Sie konnten sich gegenseitig sehen und Kontakt miteinander halten. »Ich möchte die Herren nicht unnötig stören«, war plötzlich die Stimme des Butlers zu hören. »Parker, lassen Sie uns hier raus«, brüllte Vormann Paul. »Eine endgültige Entscheidung darüber kann nur Agatha Simpson treffen«, antwortete Parker über einem hoch oben an der Decke angebrachten Lautsprecher. »Da Mylady jedoch
noch der Ruhe pflegt, werden Sie sich gedulden müssen.« »In dem Ding hier wird man glatt verrückt.« »Mylady nimmt das Frühstück gegen neun Uhr ein«, redete der Butler weiter. »Solange werden Sie noch warten müssen, meine Herren.« »Wo ... Äh ... Wo steckt...« Paul hatte Hemmungen, den Namen seines Freunds und Partners zu nennen. »Die anderen drei Besucher befinden sich wohlauf«, beruhigte Parker den Vormann. »Wenn Sie erlauben, würde ich mich jetzt auch gern ein wenig niederlegen.« »Mo ... Moment noch, Parker«, brüllte Paul hinauf zum Lautsprecher, der wohl auch ein Mikrofon enthielt. »Warten Sie noch... Hören Sie, wenn Sie uns hier rauslassen, dann...« »Selbstverständlich werden Sie kein Dauergast des Hauses sein«, versicherte Parker ihm. »Es fragt sich allerdings, ob Sie für einen gewissen Mr. Marsh noch akzeptabel sein werden.« »Wer ... Äh ... Wer ist Marsh?« Paul tat ahnungslos. »Lassen wir das.« Parkers Stimme klang wissend und milde. »Ich wünsche den Herren noch Ruhe und Entspannung.« Es knackte kurz im Lautsprecher, dann herrschte auch hier im Raum erst mal andachtsvolle Stille. »Das verdammte Miststück«, brach es dann aus Vormann Paul hervor, »irgendwann bin ich mal an der Reihe, aber dann...« »Ihre Ausdrucks weise ist befremdend«, war plötzlich noch mal die Stimme des Butlers zu vernehmen. »Ich möchte Sie darauf hinweisen, daß technische Einrichtungen es durchaus gestatten, den Raum auch mit Wasser zu füllen. Fassen Sie dies natürlich nicht als Drohung auf, sondern nur als einen allgemeinen Hinweis!« Vormann Paul und seine beiden Handlanger verzichteten ab sofort darauf, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Die
Schaumstoffschnitzel reichten ihnen völlig, an Wasser waren sie auf keinen Fall interessiert. *** »Ihre Prognosen stimmen auch nicht mehr, Mr. Parker«, sagte Lady Agatha am anderen Morgen, als sie zum Frühstück erschien. Sie trug einen wallenden Morgenmantel und schaute zum Sideboard hinüber, auf dem ihre Diät stand. »Mylady hatten eine gute Nacht?« »Zu gut«, räsonierte sie, »es ist ja nichts passiert. Wo sind Ihre angekündigten Gangster geblieben?« »Wenn es genehm ist, Mylady, könnte man mit sechs Herren dienen.« »Wie war das?« Sie blieb abrupt stehen. »In der Nacht blieben sechs Männer in den diversen Fallen, Mylady.« »Und das erfahre ich erst jetzt?« Sie grollte. »Es lag meiner bescheidenen Wenigkeit fern, Mylady wegen solch einer Bagatelle zu stören.« »Sechs Gangster? Recht ordentlich.« Sie nickte und ließ sich am Frühstückstisch nieder. »Was gibt es zum Frühstück, Mr. Parker? Sie wissen, ich nehme nur eine Kleinigkeit zu mir.« »Rührei mit Schinken, Mylady, gebratene Würstchen aus Irland, diverse Wurst aus deutschen Landen, Marmelade, frisches Brot und dazu Orangensaft und Kaffee.« »Sie sollten meine Diät nicht übertreiben«, meinte sie. »Wo stecken Kathy und Mr. Rander?« »Miß Porter und Mr. Rander sind bereits auf dem Weg nach Richmond«, berichtete der Butler. »Mr. Rander möchte sich gern mit der Lage jenes Hauses vertraut machen, in das Mr.
Wigmore übergesiedelt ist.« »Er wird doch nichts auf eigene Faust unternehmen, Mr. Parker?« Sie sah ihn besorgt an. »Auf keinen Fall, Mylady. Er möchte nur das sondieren, was man gemeinhin das Terrain nennt.« »Mit diesem Makler möchte ich nämlich allein abrechnen«, redete sie weiter. »Ich werde ihm einige Wahrheiten an den Kopf werfen und auch einige Ohrfeigen verabreichen.« »Ein durchaus verständlicher Wunsch, Mylady.« »Was mache ich mit diesen sechs Subjekten, die sich eingefunden haben, Mr. Parker? Was sind das für Individuen?« »Es dürfte sich um Gangster handeln, Mylady, die man keinesfalls unterschätzen sollte.« »Wo haben Sie sie untergebracht? Unten im Gewölbe?« »Noch nicht, Mylady. Zur Zeit befinden sich die sechs Herren sowohl in der Fallgrube als auch im Rettungsschlauch.« »Wie lange schon?« Sie sah ihn erfreut und zufrieden an. »Der Einbruchs versuch, Mylady, fand etwa eine Stunde nach Mitternacht statt.« »Dann werden sie also bisher Blut und Wasser geschwitzt haben. Ob unser guter Chief-Superintendent sich für sie interessieren wird, Mr. Parker?« Agatha Simpson hatte sich natürlich längst vorlegen lassen und nahm das frugale Frühstück zu sich. »Spuren eines Einbruchs, Mylady, werden sich schwerlich vorweisen lassen. Die bewußten Herren waren nicht in der Lage, Spuren eines gewaltsamen Einbruchs zu hinterlassen.« »Ich verstehe, Sie haben diese Subjekte eingeladen, nicht wahr?« »Dies sollte man allerdings eingestehen, Mylady.« »Dann sorgen Sie doch dafür, daß die Lümmel gegen
irgendein hübsches Gesetz verstoßen, Mr. Parker.« »Man wird sich Mühe geben, Mylady, einen entsprechenden Einfall zu produzieren.« »Packen Sie die Flegel aber nicht zu sanft an, Mr. Parker.« »Sehr wohl, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »In diesem Zusammenhang möchte ich mir erlauben, auf die heutige Wachablösung vor dem Buckingham Palace hinzuweisen.« »Und was hat es mit den sechs Subjekten zu tun?« »Während der Wachablösung ließe sich möglicherweise ein kleiner Zwischenfall arrangieren, Mylady.« »Die Einzelheiten überlasse ich Ihnen, Mr. Parker.« Sie nickte huldvoll. »Hauptsache, es gibt einen Wirbel, der sich gewaschen hat!« *** Danny und seine Mitarbeiter, die immer noch wie von einer überdimensional großen Wursthaut zusammengepreßt wurden, bekamen plötzlich Bewegungsfreiheit. Zuerst rutschte der Vormann ein wenig nach unten, strampelte hoffnungsfroh und ... glitt dann weiter. Die über ihm im Rettungsschlauch festsitzenden beiden Mitarbeiter folgten sofort und fielen ein paar Sekunden später über ihren Vormann, der auf hartem Betonboden lag. Danny wurde bei dieser Gelegenheit zwar noch mal getreten und leicht angequetscht, doch darüber verlor er weiter kein Wort. Er setzte sich auf, nachdem die beiden anderen Männer ihn freigegeben hatten, und schaute hoch zur Öffnung der riesigen Wurstpelle. Dieser Rettungsschlauch verschwand in der kreisrunden Öffnung eines Zwischenbodens. »Endlich«, seufzte Danny. »Verdammt, das war hart.«
»Und jetzt?« wollte der erste Mitarbeiter wissen. Er interessierte sich bereits für den kleinen viereckigen Raum, in dem sie sich befanden. Er war ohne Fenster und Türen. »Abwarten!« Danny hatte jeden inneren Schwung verloren. Er fingerte an seinen Nasenknorpel und massierte dann vorsichtig seine Ohren. Er hatte einfach keine Lust mehr, noch weitere Abenteuer zu erleben. »Mann, der hat uns reingelegt«, stellte der zweite Mitarbeiter fest. »Ich glaub', die Sache geht gleich weiter.« »Ob der Butler uns umbringen wird?« fragte der erste Mann. »Unsinn!« Danny schüttelte den Kopf. »Schließlich haben wir ja noch unsere Waffen.« »Und was machen wir hier damit?« fragte nun wieder der zweite Begleiter. »Irgendwann wird ja einer kommen«, hoffte Danny und gähnte. »Klar doch.« Der erste Mitarbeiter gähnte ebenfalls. »Und wenn schon.« Der zweite Mitarbeiter öffnete intensiver den Mund als seine beiden Vorgähner zusammen. Sie setzten sich nebeneinander, lehnten sich mit dem Rücken gegen die Betonwand und schlossen versuchsweise die Augen. Danny ertappte sich dabei, daß sein Kinn auf die Brust fiel. Er riß sich zusammen, fühlte eine bleierne Müdigkeit in sich, öffnete weit die Augen und gähnte erneut. Er schaute zu seinen beiden Mitarbeitern hinüber. Sie schienen bereits eingeschlafen zu sein. Sie waren ein wenig gegeneinander gerutscht und machten einen friedlichen und entspannten Eindruck. Genau in diesem Augenblick wurde Danny klar, daß man sie betäubte. Zu riechen war zwar nichts, doch dieser plötzliche Gähnreiz und das unwiderstehliche Schlaf verlangen redeten eine deutliche Sprache. Er war aber bereits zu apathisch, um sich dagegen noch aufzulehnen. Ja,
genau das Gegenteil war der Fall. Er streckte die Beine aus und schloß die Augen. Er wollte von nichts mehr wissen. Nach etwa einer Viertelstunde öffnete sich eine Tür, die die drei Männer hatten übersehen müssen. Sie befand sich skurrilerweise in einer der Raumecken und war zimmerhoch. Butler Parker erschien auf der Bildfläche und trug eine Nasenklammer, wie Sporttaucher sie verwenden. In seinem Mund befand sich eine dickbauchige Zigarre, die er fest mit den Lippen umschloß. In dieser Zigarre - sie war natürlich nur Tarnung - befand sich eine spezielle Gasmaskenpatrone. Der Butler hatte ein kleines Transportmittel mitgebracht. Er schob einen ausgedienten Servierwagen vor sich her und verlud die drei Personen darauf. Bei dieser Gelegenheit zeigte sich, über welche erstaunlichen Körperkräfte der Butler verfügte. Er rollte die drei Männer in einen Korridor und dann durch eine Tür in die Doppelgarage des Hauses, die von der Rückseite aus zugänglich war. In dieser Garage stand ein geschlossener Lieferwagen der Königlichen Post, wie deutlich zu lesen war. Butler Parker dirigierte den Servierwagen an die hintere Wagentür und verlud seine Fracht in den Kastenaufbau. Dort lagen bereits Paul und seine beiden Freunde. Auch sie schliefen fest, befanden sich jedoch in einem Zustand, den man vielleicht als ein wenig gewagt hätte bezeichnen können. Bis auf ihre buntgemusterten Slips oder oberschenkellangen Unterhosen waren sie nackt. Butler Parker holte seine zwiebelförmige Taschenuhr aus einer der vielen Westentaschen. Bis zum Aufzug der Königlichen Wachen vor dem Buckingham Palace blieb nicht mehr viel Zeit. Er hatte es zwar nicht weit bis zum Königlichen Palast, doch er hatte ja schließlich noch einige Vorbereitungen zu treffen, was die drei Männer betraf, die er gerade im Wagen verladen hatte. Zudem konnte es nicht mehr lange dauern, bis sie wieder zu sich kamen. Butler Parker hatte die Dosis des Lachgases aus
bestimmten Gründen gering gehalten. Seine sechs nächtlichen Besucher sollten bald voll und ganz bei der Sache sein. *** »Sind Sie erkältet, McWarden?« erkundigte sich Agatha Simpson eine Stunde später. Butler Parker hatte den Chief-Superintendent in den Salon der Lady geführt und blieb abwartend neben der Tür stehen. »Wieso sollte ich erkältet sein?« fragte McWarden, der einen ausgesprochen heiteren Eindruck machte. »Sie haben rote Augen wie ein Kaninchen.« »Das waren die Lachtränen«, meinte der Kriminalist, um sofort danach zu glucksen. »Es war irrsinnig komisch, wirklich.« »Was ist denn passiert?« Sie sah ihn abwartend an, schien aber von der Ursache dieses Glucksens nichts zu ahnen. »Ich... Ich wurde anonym angerufen«, schickte McWarden voraus, »irgendeine männliche Stimme gab mir den Tip, mit ein paar Leuten zum Buckingham Palace zu kommen.« »Falls Sie sich über die Königliche Familie lustig gemacht haben sollten, McWarden, so möchte ich Sie warnen«, fiel Lady Agatha ihm streng in die Rede. »Sie wissen, daß ich mit dem Königshaus weitläufig verschwistert bin.« »Nein, nein, keine Sorge! Gott, war das komisch!« McWarden gluckste und wischte sich neue Lachtränen aus den Augenwinkeln. »Das hätten Sie sehen müssen, Mylady.« »Sie benehmen sich reichlich albern«, sagte die Lady streng, kicherte aber bereits ein wenig mit. »Die Horse Guards trabten auf ihren Pferden heran«, schilderte der Chief-Superintendent jetzt und riß sich
zusammen, »die kamen also wie üblich auf das Tor zu, und ringsum Hunderte, nein, was sage ich, Tausende von Touristen, alle mit Fotoapparaten und Kameras bewaffnet. Man kennt das ja. Und plötzlich...« McWarden versuchte ernst zu bleiben, doch es gelang ihm nicht. Er gluckste und platzte dann heraus. Sein sonst stets gereizter Gesichtsausdruck war zu einem grinsenden Vollmond geworden. Agatha Simpson lachte jetzt hemmungslos mit, und selbst Parker leistete sich in Anbetracht dieser ausgelassenen Situation den Anflug eines andeutungsvollen Lächelns. »... und plötzlich hüpften sechs Männer wie Känguruhs zwischen den scheuenden Pferden herum«, berichtete McWarden weiter. Sechs Männer in Slips und Unterhosen, Mylady, das muß man sich mal plastisch vorstellen! Sechs nackte Burschen, die wie verrückt herumrannten und dann von den Horse Guards gejagt wurden!« »Hoffentlich stand die Queen nicht am Fenster...« Lady Agatha lachte tief und dunkel. »Sie hätte sich wahrscheinlich vor Lachen gekrümmt«, vermutete der Chief-Superintendent. »Die Horse Guards galoppierten also hinter den Burschen her und jagten sie hinüber in den Green Park. Und das alles wurde fotografiert, daß die Verschlüsse heiß wurden.« »Und Ihre Leute, McWarden?« »Jagten hinter den Reitern her und pickten dann die Burschen nacheinander auf. Es war eine Fuchsjagd, wie man sie wohl nie wieder sehen wird. Man sollte diese Einlage bei jeder Wachablösung bringen.« »Darf man höflichst fragen, woher die sechs Männer kamen?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen. Er hatte sich selbstverständlich längst wieder unter Kontrolle. »Wir fanden später einen Wagen der Königlichen Post«, sagte McWarden und tupfte sich mit seinem Taschentuch die
Tränen von den Wangen. »Wo man ihn sich besorgt hat, weiß ich noch nicht, aber das ist auch unwichtig. Es war die Sache wert.« »Was geschieht jetzt mit diesen Subjekten?« wollte die Detektivin wissen. »Na ja, sie sind erst mal eingelocht worden«, sagte McWarden. »Und man wird sie bestimmt wegen einiger Delikte anklagen und verurteilen.« »Werden sie mit einer Geldstrafe davonkommen?« »Kaum«, antwortete der Chief-Superintendent. »Das alles hat sich schließlich vor dem Palast der Königin abgespielt. Zu einer Geldstrafe wird man ihnen bestimmt ein paar Wochen Haft aufbrummen. Das reicht doch, Mr. Parker, oder?« »Die Kritik an einem Gerichtsentscheid, Sir, steht meiner bescheidenen Person nicht zu.« »Richtig, was ich noch sagen wollte, Mr. Parker: Diese sechs Männer sind Angestellte eines Mr. Archie Marsh. Was sagen Sie dazu?« »Wenn Sie erlauben, Sir, werde ich diesen Namen zur Kenntnis nehmen«, gab der Butler gemessen zurück. »Hat dieser Marsh seine Angestellten zu diesem Unfug angestiftet?« erkundigte sich die ältere Dame. »Er streitet das ab, Mylady.« Chief-Superintendent McWarden hob die Schultern, »aber er weiß inzwischen genau, was seine Leute vor dem Königlichen Palast getrieben haben. Er war sehr empört.« »Solche Subjekte sollte man auf die Galeere schicken«, sagte die ältere Dame. »Bedauerlich, daß es so etwas nicht mehr gibt, finden Sie nicht auch?« »Die Verkäufer der Abendzeitungen werden keine Mühe haben, ihre Blätter los zu werden«, vermutete McWarden. »Wie ich hörte, wird auch die BBC darüber berichten. Ich
denke, ein paar Fotos werden um die Welt gehen...? Wenn man nur wüßte, wer das ausgeheckt hat, was meinen Sie, Mr. Parker?« McWarden grinste und zwinkerte dem Butler zu. *** »Mr. Parker?« fragte Archie Marsh. Seine Stimme drückte Überraschung aus. »Ich erlaube mir, in Lady Simpsons Auftrag anzurufen«, sagte Josuah Parker. Nach dem Weggang von ChiefSuperintendent McWarden hatte er sofort den Gangsterboß angerufen. Die Telefonnummer war selbstverständlich im amtlichen Telefonbuch verzeichnet. »Was gibt es denn?« fragte Marsh und bemühte sich eindeutig um Munterkeit, wie zu hören war. »Möglicherweise werden Sie einige Ihrer Mitarbeiter vermissen«, schickte der Butler voraus. »Daß sie sich nicht gemeldet haben, hat bestimmte Gründe.« »Ich ... Äh ... Ich vermisse keine Mitarbeiter. Warum sollte ich?« »Über diesen Themenkomplex wünscht Mylady mit Ihnen zu sprechen, Mr. Marsh«, sagte Parker weiter. »Mylady erwartet Sie in etwa einer halben Stunde in ihrem Haus hier in Shepherd's Market.« »Wie komme ich denn dazu, mich herumkommandieren zu lassen?« Marsh geriet in Zorn. »Darf ich mir einen persönlichen Rat erlauben? Sie würden gut daran tun, diese Einladung anzunehmen, Mr. Marsh.« »Soll das eine Drohung sein?« »Ein Mann mit Ihrer Lebenserfahrung wird die Ehre zu
schätzen wissen, Mylady besuchen zu dürfen. In einer halben Stunde, um die Zeit noch mal zu nennen, Mr. Marsh.« Parker legte auf und begab sich zurück in den Salon, in dem die Hausherrin sich befand. »Die Einladung wurde respektvoll angenommen«, berichtete der Butler. »Mr. Marsh zeigte sich zwar überrascht, doch er wird seiner Neugier folgen.« »Ich hätte zu ihm fahren sollen«, räsonierte sie. »Glauben Sie denn wirklich, daß dieses Subjekt kommen wird?« »Mit letzter Gewißheit, Mylady. Mr. Marsh hätte wahrscheinlich mit allem gerechnet, nicht aber mit dieser förmlichen Einladung. Mylady verhalten sich also so, wie ein Mr. Marsh es niemals erwartet hätte.« »Das will ich meinen.« Sie nickte versöhnt. »Ob er schon von der Pleite seiner Leute weiß?« »Mr. Marsh weiß zumindest, daß der nächtliche Besuch keinen Erfolg zeitigte, Mylady. Daraus wird er gewisse Schlüsse ziehen.« »Worauf will ich eigentlich hinaus, Mr. Parker?« »Mylady wollen Mr. Marsh veranlassen, die Bewohner gewisser Wohnblocks in Ruhe zu lassen«, antwortete der Butler. »Mylady erreichen sogar möglicherweise, daß Mr. Marsh zum Anwalt der Mieter-Initiativen wird.« »Aha, das habe ich noch gar nicht gewußt!« Sie war ein wenig verblüfft. »Mr. Marsh ist ein kühler Rechner« führte der Butler weiter aus. »Er dürfte genau durchkalkulieren, wo seine kurz-, mittelund langfristigen Vorteile liegen.« »Hoffentlich schneiden Sie sich nicht in die Finger, Mr. Parker.« Sie war von Parkers Taktik noch nicht überzeugt. »Aber das sage ich Ihnen gleich, Mr! Parker: Sollte dieses Subjekt sich unverschämt benehmen, werde ich ihm meinen
Pompadour um die Ohren schlagen. Hoffentlich fällt er aus der Rolle!« *** Er kam allein und fiel nicht aus der Rolle. Lady Simpson, die ihn im Salon empfing, war ein wenig irritiert. Sie hatte einen unangenehmen Bösewicht erwartet, der unbedingt schlechte Manieren haben mußte. Archie Marsh hingegen war höflich, zuvorkommend und zeigte ihr gegenüber Respekt. »In der vergangenen Nacht erhielten Mylady den ungebetenen Besuch von sechs Männern«, schickte der Butler gemessen voraus. »Man braucht wohl nicht besonders zu betonen, daß diese Burschen, die sicher zu den besten Ihrer Mitarbeiter gehören, erwartet wurden. Sie befinden sich zur Zeit in Haft.« »Ich streite energisch ab, Ihnen je sechs Leute ins Haus geschickt zu haben«, antwortete Archie Marsh gereizt. »Mylady nehmen das zur Kenntnis.« Parker deutete eine Verbeugung an. »Um diese sechs Männer geht es übrigens gar nicht.« »Ihr Fußvolk interessiert mich nicht«, warf die ältere Dame herablassend ein. »Diese erwähnten Besucher, Mr. Marsh, kamen nicht von ungefähr, wie es so treffend heißt.« »Gut, Mr. Parker, nehmen wir mal an, daß es so gewesen ist«, antwortete der Gangsterboß. »Mylady sind einem gewissen Mr. Wigmore ein Dorn im Auge«, setzte der Butler dem Gangsterboß auseinander. »Mr. Wigmore, oder präzise ausgedrückt, Mr. Wigmores Interessenvertreter haben sich mit einem Spezialisten in
Verbindung gesetzt, der gewisse Aufgaben übernehmen soll. Einzelheiten dazu kann man sich wohl ersparen.« »Das klingt alles ziemlich vage, Mr. Parker.« Archie Marsh lieferte bereits ein erstes Rückzugsgefecht. »Die Absicht Mr. Wigmores ist es, Mieter aus einigen Wohnblocks zu vertreiben«, führte der Butler gemessen aus. »Dieser neu engagierte Spezialist, der über eine schlagkräftige Organisation verfügt, soll diese Dinge nun energisch vorantreiben, womit er sich automatisch in Gegensatz zu Myladys Wünschen stellt.« »Ich höre zu, aber ich nehme keine Stellung dazu.« »Mylady wünschen, daß die Mieter in Ruhe gelassen werden. Zur Zeit haben Mylady nicht die Absicht, sich mit den Geschäftspraktiken jenes Herrn zu beschäftigen, der die Räumung der Wohneinheiten vorantreiben soll.« »Mr. Parker spricht von Ihnen, junger Mann«, warf die Detektivin in ihrer direkten, ungenierten Art ein. »Irgendwann werden wir bestimmt aufeinandertreffen, Marsh.« »Ich soll also den Auftrag zurückgeben?« Marsh wurde ebenfalls direkt und versuchte sich an einem etwas überheblichen Lächeln. »Was sind das für Mieter?« »Liebenswerte Menschen, Mr. Marsh, die man aus Spekulationsgründen aus ihren Wohnungen vertreiben will. Bisher versuchte man es mit dem sogenannten Psychoterror, nun aber scheint Mr. Wigmore Brachialgewalt anwenden zu wollen«, sagte der Butler. »Von der Sie natürlich überhaupt nichts halten, junger Mann, nicht wahr?« Die Detektivin sah den Gangsterboß lächelnd an. »Kann schon sein«, erwiderte Archie Marsh. »Mr. Wigmore wird wahrscheinlich nach anderen Spezialisten suchen«, stellte Parker fest. »Und sie würden dann in Ihrer Region arbeiten, wenn ich gewisse Gebietsaufteilungen
innerhalb von London richtig beurteile.« »Wissen Sie, junger Mann, was mich ärgert?« Agatha Simpson räusperte sich. »Dieser Wigmore ist doch ein ausgemachter Feigling. Er läßt andere die Kastanien für sich aus dem Feuer holen.« »Ich glaube, es war gut, Ihre Einladung angenommen zu haben, Mylady«, antwortete der Gangsterboß. Dann wandte er sich an Parker. »Den Mietern wird bestimmt nichts passieren. Wissen Sie, ich habe einen Sinn für Gerechtigkeit.« »Von dieser Voraussetzung, Mr. Marsh, gingen Mylady aus«, versicherte Josuah Parker dem Gangsterboß. »Der Kluge handelt, während der Tor redet, um eine alte Spruchweisheit in diesem Zusammenhang zu zitieren.« *** »Wie sehen Sie denn aus?« fragte Will Wigmore erstaunt und überrascht zugleich, nachdem seine beiden Vertrauten Haggerty und Belgrave das Arbeitszimmer betreten hatten. Seine Frage war berechtigt. Haggerty hatte ein blaues Auge, während Belgraves Nase durch eine Schwellung den doppelten Umfang angenommen hatte. Darüber hinaus humpelten beide Männer ein wenig. Sie waren zu ihrem Arbeitgeber nach Richmond gekommen und machten einen kleinlauten, nervösen Eindruck. »Wir waren in der Warren und in der Clipstone Street«, antwortete Haggerty. »Wir wollten uns ansehen, wie Marshs Leute arbeiten«, fügte Belgrave hinzu. »Und Sie sind mit Mietern verwechselt worden?« fragte Wigmore amüsiert. »Wenn das so ist, dann haben Sie jetzt den richtigen Mann engagiert. Mein Kompliment!«
»Wir sind nicht verwechselt worden«, korrigierte Haggerty. »Man hat uns ganz gezielt vorgenommen«, sagte Belgrave. »Wissen Sie, was passiert ist, Mr. Wigmore? Man hat uns bewußt mißhandelt.« »Daran besteht überhaupt kein Zweifel«, sagte Haggerty. »Es war schrecklich. Körperliche Gewalt! Sie haben uns nach unseren Namen gefragt und erst dann zugeschlagen.« »Vor den Augen der Mietparteien«, beschwerte sich Belgrave. »Das war eine gezielte Aktion.« »Wie soll ich das verstehen?« »Wir hatten uns mit einem Mann in Verbindung gesetzt, der normalerweise nur eine Woche gebraucht hätte, die Mietparteien knieweich werden zu lassen«, berichtete Haggerty. »Sie wollen ja nie Einzelheiten hören, Mr. Wigmore, aber ich kann Ihnen sagen, dieser Mann hat die Möglichkeiten, die Wohnblocks zu räumen.« »Und er hat sogar einen ansehnlichen Vorschuß kassiert«, klagte Belgrave. »Plötzlich steht er auf seiten der Mieter. Sie hätten den Applaus der Mieter hören sollen, Sir.« »Sie haben den falschen Mann engagiert und mein Geld zum Fenster hinausgeworfen!« Will Wigmore zeigte plötzlich, daß unter der dünnen Tünche seiner guten Manieren nackte Brutalität herrschte. »Dafür werde ich Sie zur Rechenschaft ziehen!« »Dafür können Sie mich mal...« Haggerty wurde deutlich. »Wir steigen nämlich aus! Suchen Sie sich andere Leute, die die Dreckarbeit für Sie erledigen!« Belgrave war wütend geworden. »Irgendwo hört der Spaß auf...« »Wir lassen uns doch nicht für Sie zusammenschlagen«, fügte Haggerty hinzu. »Und ich sage Ihnen gleich, Sie werden keinen Mann finden, der gegen die Mieter vorgeht.« »Wir sollten die Dinge nicht dramatisieren«, lenkte Wigmore
überraschend ein. Er hätte im Moment nicht gewußt, wie er Haggerty und Belgrave ersetzen konnte. »Nehmen Sie erst mal ein paar Tage Urlaub. Und dann werde ich Ihnen ein Schmerzensgeld zahlen. Wieviel an Vorschuß haben Sie denn bezahlt?« »Vier Blocks zu fünfzehntausend, das sind sechzigtausend Pfund«, rechnete Haggerty zusammen. »Davon die Hälfte als Vorschuß, also dreißigtausend Pfund.« »Und noch mal fünfzehntausend Pfund Vorschuß für Ausschaltung dieses Butlers«, rechnete Belgrave weiter auf. »Das macht zusammen fünfundvierzigtausend Pfund, die Sie in den Kamin schreiben können.« »Sind Sie wahnsinnig?« brauste Wigmore auf. »Das ist ja ein Vermögen!« »Das zehnfache davon hätten Sie mit der linken Hand verdient, wenn die Sache mit der Wohnblockräumung geklappt hätte«, sagte Haggerty wegwerfend. »Und zudem haben Sie den betreffenden Zahlungsauftrag unterschrieben. Sie können sich das Geld ja bei Marsh zurückholen. Viel Vergnügen im voraus!« »Ich kündige hiermit«, warf Belgrave ein. »Ich ebenfalls.« Haggerty nickte. »Ich wünsche Ihnen nur, daß Sie bald mal spüren, wie diese Burschen zulangen können.« »Aber das ist noch nicht alles«, schloß Belgrave die guten Wünsche ab. »Dieser Butler Parker wird sich jetzt mit Ihnen befassen, Wigmore. Viel Vergnügen! Er hat Sie schon aufs Kreuz gelegt, Sie wissen es nur noch nicht!« *** Einer wußte es inzwischen sehr genau.
Jody Wenlock, der Besitzer des Ausschnittdienstes und Vermittler dunkler Unterweltgeschäfte, lag in einem Londoner Hospital und haderte mit seinem Schicksal. Er lag ziemlich steif und unbeweglich im Bett und wartete auf seine baldige Genesung. Sie war allerdings nicht so schnell zu haben. Die beiden angebrochenen linken Rippen brauchten ihre Zeit, um wieder in Ordnung zu kommen. Und auch sein Unterkiefer machte ihm noch einige Sorgen. Er war von einem erfahrenen Chirurgen mittels Silberdraht wieder gerichtet worden. Dies alles hatte Wenlock einem gewissen Sam Lafton zu verdanken, der ihn in seinem Geschäftsbüro besucht hatte. Die Unterhaltung war nur knapp und dann ungemein schmerzhaft gewesen. Sam Lafton hatte sich verschaukelt gefühlt, nachdem Kriminalbeamte ihm auf der Post in Liverpool einen Umschlag aus der Hand genommen hatten. Noch mal war Lafton in den harten Verdacht eines Taschendiebstahls geraten und ausgiebig vernommen worden. Nach diesem für ihn so peinlichen Intermezzo hatte Sam Lafton, der Killer aus Liverpool, sich sofort wieder in den nächsten Zug gesetzt und war zurück nach London gefahren, um dem vermeintlichen Gauner Wenlock eine derbe Lektion zu erteilen. Darüber hinaus wollte der Mann aus Liverpool auch endlich sein Geld sehen. Es war aber alles ganz anders gekommen ... Nachdem er Jody Wenlock seinen Standpunkt per Faust klargemacht hatte, war wiederum die Polizei auf der Bildfläche erschienen, um ihn wegen Körperverletzung einzuvernehmen. Sam Lafton hatte die Nerven verloren und verrückt gespielt. Diese ununterbrochene Belästigung durch die Polizei hatte ihn durchdrehen lassen. Es war zu einem zünftigen Handgemenge gekommen, in dessen Verlauf Sam Lafton unglücklicherweise
die Treppe hinuntergefallen war. Da er nicht über die Qualitäten eines professionellen Stuntman verfügte, war die Landung alles andere als weich ausgefallen. Der Mann aus Liverpool lag pikanterweise genau in dem Hospital, in dem auch Jody Wenlock Gast war. Auch er war leicht eingegipst worden und hatte ein paar Wochen vor sich. Dazu warteten noch einige weitere Monate auf ihn. Nach seiner Genesung wollte sich ein Richter mit ihm befassen. An diesem frühen Nachmittag erhielt zuerst Jody Wenlock Besuch. Er lag in einem Privatzimmer, denn er konnte sich das leisten. Der Agent der Unterwelt richtete sich ein wenig auf und fühlte dann eine leichte Panik in sich aufsteigen, als er Butler Parker erkannte, der höflich seine schwarze Melone lüftete. »Man hörte von Ihrem Mißgeschick«, sagte der Besucher und näherte sich dem Krankenbett. »Darf man davon ausgehen, daß es Ihnen den Umständen entsprechend einigermaßen geht?« »Was ... Was wollen Sie hier?« fragte Wenlock und hatte nur noch Angst. »Sie sollen sich nicht allein und einsam fühlen, Mr. Wenlock«, antwortete Josuah Parker und legte ein kleines Päckchen auf die Bettdecke. »Ich habe mir erlaubt, Ihnen einige Erfrischungen zu bringen. Sie dürfen versichert sein, daß sie völlig regulär sind und mit Sicherheit keine Überraschungen in sich bergen.« »Woher wissen Sie, daß ich hier liege?« fragte Wenlock mißtrauisch. »Nur wer forscht, wird auch finden«, zitierte Parker. »Legen Sie Wert darauf, daß man die Bewohner einiger Wohnblocks dahingehend unterrichtet, daß Sie hier das Bett hüten müssen?«
»Nein, nein, lassen Sie das«, sagte Wenlock hastig. »Man würde Sie sicher gern besuchen und betreuen.« »Lieber nicht«, lautete die noch hastigere Antwort, »ich brauche keinen Besuch.« »Sie begnügen sich mit Mr. Sam Lafton?« »Mit Lafton?« Wenlocks Augen wurden kreisrund. »Dem Mann aus Liverpool«, fügte der Butler hinzu. »Er liegt ebenfalls hier im Krankenhaus.« »Hier im Hospital?« Wenlock brach der Schweiß aus. »Beim Begehen einer Treppe erlitt er einen leichten Unfall«, redete der Butler weiter. »Ich glaube, er liegt am Ende dieses Korridors. Ihm wird mein nächster Besuch gelten.« »Auch das noch!« Jody Wenlock schloß die Augen und dachte an die Prügel, die er von Lafton bezogen hatte. »Weiß er, daß ich hier bin?« »Er wird es gleich erfahren, Mr. Wenlock. Möglicherweise« wird er sich freuen, einen Leidensgenossen so nahe bei sich zu wissen. Ich wünsche eine gute Genesung.« Josuah Parker lüftete die schwarze Melone und verließ das Krankenzimmer, um auch dem Killer aus Liverpool seine Aufwartung zu machen. Sam Laftons Hals war von einer Gipsmanschette umgeben. Sein linker Arm war bis weit über den Ellbogen ebenfalls eingegipst worden. Er bekam einen trockenen Mund, als Josuah Parker sich gemessen seinem Bett näherte und dann höflich grüßte. Auch Lafton erhielt ein kleines Päckchen, das er allerdings nicht weniger mißtrauisch musterte als Jody Wenlock. »Man versicherte mir, Mr. Lafton, daß der ausgerenkte Halswirbel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder in Ordnung kommen wird«, sagte der Butler, »oder war ein Wirbel sogar angebrochen?«
»Angeknackst«, antwortete der Mann aus Liverpool mühsam. »Was wollen Sie von mir? Ich werde schreien, wenn Sie auch nur eine Hand rühren.« »Sie scheinen meinen Besuch mißzuverstehen.« »Wem habe ich dehn diesen ganzen Mist zu verdanken, he?« meinte Sam Lafton leise. »Inzwischen is' mir nämlich ein Licht aufgegangen. Sie haben mich am laufenden Band ausgetrickst.« »Ohne Groll gegen Sie zu hegen«, versicherte Parker dem Berufskiller, »ich bringe übrigens gute Nachricht.« »Ausgerechnet Sie«, antwortete Lafton bitter. »Hier auf dem Korridor liegt ein gewisser Mr. Wenlock«, redete der Butler weiter, »im Gegensatz zu Ihnen ist er beweglicher.« »Wen... Wenlock ist hier?« Laftons Gesicht nahm eine fahle Farbe an. »Er lebte geradezu auf, als er von Ihrem Hiersein erfuhr.« »Hat er... Ich meine - hat er was gesagt?« »Ich ahne, worauf Sie anspielen, Mr. Lafton. Nein, er hat nicht gesagt, wem er seinen Aufenthalt hier auf der Station verdankt. Vielleicht möchte er sich ganz privat und vertraulich mit Ihnen darüber unterhalten.« Als Parker gegangen war, beobachtete Sam Lafton ununterbrochen die Tür zu seinem Krankenzimmer, in dem er zur Zeit leider allein lag. Er wartete auf Jody Wenlocks Besuch, den Parker ja schließlich angekündigt hatte. In seiner Hand lag die Klingel, um dann sofort die diensttuende Stationsschwester alarmieren zu können. Er war fest davon überzeugt, daß Wenlock nicht aus Höflichkeit kam ... ***
Will Wigmore überlegte, wen er ins letzte Vertrauen ziehen konnte. Erdachte nicht daran, seine Pläne hinsichtlich der bisherigen Wohnblockpolitik aufzugeben. War nicht auch der beste Mitarbeiter zu ersetzen? War es nicht eine Frage des Gelds? Für einen Will Wigmore war jeder Mensch käuflich. Er entdeckte seinen Chauffeur, Diener und Leibwächter und winkte Hale zu sich heran. Der schlanke, sportliche Mann kam in leichtem Trab, und baute sich erwartungsvoll vor seinem Herrn und Meister auf. Die beiden Dobermänner nahmen Platz. »Wir haben da ein kleines Problem, Hale«, begann Wigmore. »Sie wissen ja, wer dieser Butler Parker ist.« »Macht er schon wieder Ärger, Sir?« »Er wird sogar sehr lästig, Hale.« »Hatte ich erwartet, Sir.« Hale nickte. »Warum lassen Sie mich nicht mal ran?« »Trauen Sie sich so etwas zu, Hale?«»Das würd' ich schaffen, Sir. Und da war' auch noch die Sache mit den Krähenfüßen auf der Straße. Sie wissen schon, was ich meine. Und da is' auch noch das Ding mit den Fensterscheiben.« »Sie mögen Mr. Parker nicht?« »Ich möcht' ihm gern eins aufbrennen.« »Wie lange arbeiten Sie jetzt für mich, Hale?« »Seit drei Jahren, Sir.« »Sie haben damals für mich ganz allein ein Vierfamilienhaus geräumt, wissen Sie noch?« »Ging wie geschmiert, Sir, aber danach hatten Sie's ja mehr mit der ruhigen Tour.« »Sie kamen damals gerade aus Kanada, nicht wahr?« »Aus dem Zuchthaus, Sir«, entgegnete Hale und grinste. »Sie haben mir die große Chance geboten.«
»Weil ich Vertrauen zu Ihnen hatte und immer noch habe, Hale. Sie würden also mit diesem Butler fertig werden?« »Jederzeit, Sir.« »Obwohl Sie wissen, wie trickreich er ist?« »Gerade deswegen, Sir.« Hale lächelte verhalten. »Soll er verschwinden? Ich meine - so für immer?« »Ich würde Ihnen dafür eine Sonderprämie zahlen, Hale. Und anschließend könnten Sie eigentlich eine eigene kleine Firma gründen, die sich mit der Räumung von Wohnungen befaßt. Was halten Sie davon?« »Sir, ich bin Ihr Mann.« »Aber keine Schlagzeilen. Ich liebe unauffällige Arbeit, Hale.« »Na ... Na ... Natürlich!« Mehr bekam Hale nicht heraus. Dicht neben seinem Herrn und Meister war ein langer Sportpfeil in einem Blumenkübel gelandet und wippte herausfordernd mit seinem Schaft aus Aluminium, *** Die beiden Dobermänner hechelten durch den großen, parkähnlichen Garten und verschwanden kläffend im dichten Gesträuch, das das Grundstück zur Straße hin abgrenzte. Von dort mußte der Sportpfeil gekommen sein. Hale schien sich in ein Raubtier verwandelt zu haben. Er lief den beiden auf den Mann dressierten Hunden nach und freute sich auf die Begegnung mit dem Sportschützen. Seiner Ansicht nach konnte es sich nur um den Butler handeln. Er glitt durch das dichte Strauchwerk, das eine Tiefe von fast anderthalb Metern besaß und erreichte dann die dort im Maschendraht eingelassene schmale Tür, an der die beiden Hunde hochsprangen. Sie waren ganz versessen darauf, ihre
Fänge in die Waden einer jungen Dame zu schlagen, die betreten, verlegen, aber auch sehr attraktiv aussah. Sie mochte etwa fünfundzwanzig sein, war schlank, etwas über mittelgroß und trug Shorts und eine leichte Bluse. Sie hielt einen sehr modernen Sportbogen in Händen. »Ist was passiert?« fragte sie, als sie Hale sah. »Haben. Sie...?« Er wußte nicht recht, wie er sich verhalten sollte. »Äh, haben Sie den Pfeil geschossen?« »Aus Versehen.« Sie nickte bestätigend. »Ist das Haus denn jetzt plötzlich bewohnt?« »Wie Sie sehen.« Er hielt die schmale Pforte geschlossen und beruhigte die beiden Hunde. »Wie leicht hätte da was passieren können«, entschuldigte sie sich. »Ich weiß gar nicht, wie ich mich entschuldigen soll. Es ist wirklich nichts passiert?« »Wo wohnen Sie denn?« erkundigte sich Hale. »Da drüben«, gab sie zurück und deutete ziemlich großzügig und vage zum Themsebogen hinunter. »In Zukunft war' ich an Ihrer Stelle vorsichtiger«, sagte Hale. »Ich werd' Ihnen den Pfeil bei Gelegenheit vorbeibringen.« »Nein, nein, das ist nicht nötig.« Sie schüttelte den Kopf und sah ein wenig ängstlich auf die geifernden, aber jetzt stillen Hunde. »Ich... Ich bleibe nur noch heute hier.« »Okay«, sagte Hale, in dem ein vager Verdacht aufstieg. »Vergessen wir also die ganze Geschichte.« Sie lächelte ihm noch mal zu und hatte es dann sehr eilig, die schmale Straße hinunterzugehen. Sie verschwand bald darauf in einem Fußweg zwischen den vereinzelt stehenden Landhäusern. Hale grinste.
Natürlich, daß er nicht früher daran gedacht hatte! Parker arbeitete doch für eine Lady. Und die wiederum hatte doch so etwas wie eine Sekretärin. Die Zusammenhänge waren klar: Die Bogenschützin hatte den Pfeil niemals aus Versehen abgeschossen! Hale öffnete die Tür, ließ aber die beiden Dobermänner zurück. Dann lief er hinter der jungen Frau her, erreichte den schmalen Fußweg und entdeckte sie weit hinten am Themseufer. Sie ging sehr schnell in Richtung Old Deer Park. Er blieb in Deckung. Die junge Bogenschützin schaute sich einige Male um, doch dann zog Hale sich immer blitzschnell zurück, um nicht gesehen zu werden. Die Bogenschützin steuerte das Tor eines alten Landsitzes an und war dann verschwunden. Wohnte sie wirklich dort? Handelte es sich um ein Ablenkungsmanöver? War sie dort nur in Deckung gegangen, um den schmalen Fußweg zu beobachten und nach ihm Ausschau zu halten? Hale dachte nicht daran, ihr weiter zu folgen. Er blieb an der Ecke stehen und bewies, daß er Geduld hatte. Diese Geduld zahlte sich aus. Nach etwa fünf Minuten tauchte die Bogenschützin wieder auf und lief hastig weiter. Nun hielt sie auf einen dreiflügeligen alten Landsitz zu, dessen Mauern aus Bruchsteinen und Fachwerk bestanden. Hohe und alte Bäume umgaben das Anwesen. Die Mauer, ganz aus Bruchsteinen, mochte zwei Meter hoch sein. Diesmal schien sie ihren Wohnsitz erreicht zu haben. Hale wartete weitere zwanzig Minuten, doch die junge Frau ließ sich nicht mehr sehen. Er ging zurück zu seinen beiden Hunden, die wachsam und aufmerksam hinter dem hohen Maschendraht saßen und auf ihn gewartet hatten. Hale betrat das Grundstück seines Herrn und Meisters, ging zur Terrasse zurück und
grinste ein wenig verächtlich, als er sie leer vorfand. Natürlich hatte Wigmore sich ins Haus zurückgezogen und pflegte seine Angst. Jetzt war eigentlich der richtige Augenblick gekommen, um mit ihm über die Prämie und eine fette Anzahlung zu reden. *** »Er hat angebissen«, sagte Mike Rander zu Lady Agatha, die vor einer halben Stunde in ihrem Landhaus in Richmond eingetroffen war. »Kathy hat ihn ganz schön mißtrauisch gemacht und dann bei ihm die Ladung gezündet.« »Warum haben Sie diesem Subjekt den Pfeil nicht gleich ins Gesäß geschossen?« fragte die resolute Dame und sah Kathy Porter fast vorwurfsvoll an. »Mylady, Mr. Wigmore ist Ihr Mann«, erwiderte Kathy lächelnd. »Sie haben ihn doch für sich allein reserviert.« »Gutes Kind.« Lady Simpson nickte versöhnt. »Natürlich werde ich mich mit ihm in aller Ruhe über seine Praktiken unterhalten. Mr. Parker, wird dieser Gärtner - oder was er sonst sein mag, noch in dieser Nacht kommen?« »Man sollte sich darauf einrichten, Mylady. Dank der Vorarbeit Mr. Randers und Miß Porters dürfte der Mann nun konditioniert sein.« »Haben wir hier im Haus ein hübsches Verlies, Mr. Parker? Ich bin natürlich auch mit einem kleinen Folterkeller zufrieden.« »Es existiert in der Tat ein Verlies, Mylady, in dem sich noch alte Ketten und Halseisen befinden.« »Stammt der Landsitz aus Ihrer Familie, Mylady?« erkundigte sich Mike Rander. »Es ist ein alter Familienbesitz«, bestätigte die Detektivin.
»Mr. Parker, wer hat hier gewohnt?« »Eine Seitenlinie des Earl of Budness, Mylady«, antwortete der Butler wie selbstverständlich. »In dem Verlies wurden seinerzeit Schuldner festgehalten, die ihre Steuern nicht pünktlich bezahlten.« »Scheußlich.« Die ältere Dame schüttelte sich. »Erinnern Sie mich nicht an die Steuern. Das hier wäre jetzt der richtige Platz für Steuereintreiber.« »Sie wollen Wigmore hier festsetzen, Mylady?« fragte Kathy Porter, die die Bogenschützin gespielt hatte. »Hoffentlich ist es im Verlies dunkel und feucht, Mr. Parker, sonst helfen Sie mit ein paar Eimern Wasser nach.« »Der augenblickliche Zustand des Gewölbes, Mylady, bietet die Garantie für einen unangenehmen Aufenthalt.« » Das ist ja sehr schön. «Sie war zufrieden. »Soll er sitzen, bis er schwarz wird.« »Den Normen des Gesetzes entspricht das aber nicht, Mylady«, sagte Mike Rander. »Als Anwalt muß ich Ihnen das sagen.« »Und was sagen Sie als Mike Rander?« Sie lächelte. »Ein paar Stunden können nicht schaden, denke ich. Er kann sich ja im Haus verlaufen haben.« »Eben«, meinte sie sofort. »Und dann schlug die Tür unglücklicherweise hinter ihm zu.« »Wigmore wird anschließend zur Polizei laufen und einen Riesenskandal auslösen, Mylady«, warnte Kathy Porter. »Ich glaube nicht, daß er selbst nach solch einer Behandlung auf Wohnungsräumungen verzichten wird.« »Wenn es erlaubt ist, möchte ich mir erlauben, Miß Porter beizupflichten«, sagte der Butler. »Es geht darum, Mr. Wigmore mit den Gesetzen in Konflickt zu bringen.« »Das wird verdammt schwer sein, Parker.« Rander lehnte
sich zurück. »Wie soll man ihm beweisen, daß er diese Rowdys auf die Mieter angesetzt hat? Er wird sich darauf hinausreden, daß seine Angestellten dies ohne sein Wissen und ohne seine Billigung veranlaßt haben.« »Soll dieses Subjekt etwa ungeschoren davonkommen?« fragte die ältere Dame entrüstet. »Das paßt mir überhaupt nicht. Mr. Parker, was sagen Sie dazu?« »Nach dem bisherigen Stand der Dinge, Mylady, dürfte Mr. Wigmore juristisch nicht beizukommen sein. Er müßte in einer Art und Weise, die zu erörtern wäre, dazu gebracht werden, gegen Gesetze zu verstoßen.« »Das sage ich doch die ganze Zeit schon«, kam prompt ihre Antwort. »Will mich denn hier keiner verstehen? Mr. Parker, sorgen Sie dafür, daß man diesem Scheusal endlich die Maske vom Gesicht reißen kann.« »Wie Mylady wünschen.« Parker deutete eine knappe, zustimmende Verbeugung an. »Falls man seinen Leibwächter isoliert, bleiben Mr. Wigmore meiner bescheidenen Ansicht nach nur noch zwei Möglichkeiten.« »Und die wären, Mr. Parker?« »Entweder ergreift Mr. Wigmore die Flucht, oder aber er wird zu einem verzweifelten Angriff übergehen, den man dann keineswegs auf die sprichwörtlich leichte Schulter nehmen sollte.« *** Hale, Fahrer, Diener und auch Leibwächter des Spekulanten, hatte sich inzwischen informiert. In einem kleinen Pub im Zentrum von Richmond hatte man ihm arglos gesagt, wer die Eigentümerin jenes Landhauses war, in dem die junge Bogenschützin verschwand. Hale wußte jetzt
Bescheid, daß Lady Simpson dort wohnte und damit selbstverständlich auch ihr Butler und dieser Anwalt, der die Interessen der Mieter vertrat. Hale hatte eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Als geborener Londoner, im Osten aufgewachsen, war er schon in jungen Jahren straffällig geworden und hatte verschiedene kürzere Haftstrafen verbüßt. Dann war es wegen schwerer Körperverletzung und verbotenem Waffenbesitz zu einer längeren Gefängnisstrafe gekommen. Nach der Entlassung hatte er sich ein paar Jahre in Kanada aufgehalten und war dort prompt wieder ins Gefängnis gesteckt worden. Diesmal war er wegen Totschlags im Affekt verurteilt worden. Nach dieser Zeit war er an Wigmore geraten, der sich zu seinem Schutz solch einen vielseitigen Mann schon immer gewünscht hatte. Hale wußte mit Waffen umzugehen. Und er besaß auch verschiedene Kracher, die er bisher gut versteckt gehalten hatte. Nachdem er nun wußte, wer in dem Landhaus wohnte, war er nach London zurückgefahren und hatte aus dem immer noch verpesteten Landhaus seines Arbeitgebers ein Gewehr mit Zielfernrohr geholt. Genauer gesagt, er hatte es aus dem Versteck im Gewächshaus gezogen, zusammengebaut und nach Richmond zurückgebracht. Mit seinem Herrn und Meister hatte Hale inzwischen ein Abkommen getroffen. Fünfzigtausend Pfund insgesamt sollte er dafür bekommen, den Butler unschädlich zu machen. Genauer hatte Wigmore sich wieder mal nicht ausgedrückt. Zehntausend Pfund besaß Hale inzwischen als Anzahlung, was sein Selbstgefühl ungemein stärkte. Es war inzwischen dunkel geworden, hier draußen an der Themseschleife herrschte ein mildes Klima. Hale schraubte den langen Schalldämpfer auf die Mündung seines Präzisionsgewehrs und war bereit, den mörderischen
Pirschgang anzutreten. Er warf einen Blick in den Wohnraum, in dem Wigmore Akten studierte. Der Spekulant hatte die Vorhänge dicht geschlossen und schien Angst zu haben, noch mal von einem Pfeil belästigt zu werden. Wigmore schaute hoch, als Hale eintrat. »Ich schau mich draußen ein bißchen um, Sir«, sagte er. »Sie gehen...? Ich meine, Sie wollen noch in dieser Nacht...?« Wigmore hütete sich erneut, deutlich zu werden. Er ließ es bei Andeutungen bewenden. »Ich denke, daß es heute gehen wird«, erwiderte Hale. »Viel Glück!« Wigmore stand auf und nickte seinem Faktotum zu. »Passen Sie auf sich auf, Hale!« »Das geht schon in Ordnung«, reagierte Hale lässig. »Morgen kassiere ich den Rest der Prämie, Sir.« »Aber denken Sie daran, daß ich keine Schlagzeilen sehen will, Hale.« »Keine Sorge, Sir, Sie werden nicht reingezogen.« Hale verließ das Wohnzimmer, und Wigmore ging ihm leise nach. Er sah gerade noch, wie Hale mit dem Gewehr in der Hand die Diele des Hauses verließ. Wigmore war betroffen. Plötzlich bedauerte er, Hale eingeweiht zu haben. Der Mann konnte zu einem Sicherheitsrisiko werden. Was war dagegen zu unternehmen? Wie konnte man das angenehme, nämlich die Ausschaltung Parkers, mit dem nützlichen verbinden, nämlich für seine eigene Sicherheit sorgen? Wigmore kalkulierte kühl. Es mußte doch einen Weg geben, diesen nützlichen Idioten nach der Tat auszuschalten ... ***
Butler Parker hatte vor dem Verlassen des Hauses seinen schwarzen Spezialkoffer geöffnet. Seiner Ansicht nach würde Wigmores Leibwächter noch in dieser Nacht versuchen, klare Verhältnisse zu schaffen. Ein Mann wie Wigmore mußte nach dem abgeschossenen Pfeil in Panik geraten sein. Inzwischen mußte Wigmore noch zusätzlich wissen, daß Lady Simpson, Miß Porter, Mike Rander und Parker hier auf diesem alten Landsitz nahe der Themse Quartier bezogen hatten. Was das bedeutete, konnte ein Mann wie Wigmore sich leicht ausrechnen. Also würde er jetzt seine bisher geübte Vorsicht aufgeben und natürlich seinen Leibwächter losschicken, die Gefahr zu beseitigen. Nachdem die Dunkelheit sich über das Land gelegt hatte, war der Butler in seiner gemessenen Art losgegangen und hatte inzwischen Posten bezogen. Er saß auf einem alten Baum und hatte es sich auf einer Astgabel bequem gemacht. Zum Ersteigen des Stamms hatte er eine Strickleiter benutzt, die er mit einem Mauerhaken hoch oben fixiert hatte. Als er die Strickleiter ausgezogen hatte, schaltete der Butler sein Nachtsichtgerät ein. Es handelte sich um ein modernes Gerät, wie es von der Armee verwendet wird. Dieses Gerät, von einer Batterie betrieben, benutzte die sogenannten Restlichtmengen und verstärkte sie zu einem erstaunlich guten Bild. Wo das menschliche Auge so gut wie nichts mehr zu sehen vermochte, war auf der kleinen Bildscheibe des Geräts jede Einzelheit im Gelände auszumachen. Als Waffe hatte der Butler seinen Universal-Regenschirm mitgenommen. Dieser altväterlich aussehende Schirm hatte es im wahrsten Sinn des Worts in sich. Er ließ sich nach Bedarf umrüsten und verschoß entweder Blasrohrpfeile mittels Preßluft oder jagte kleine Schrotpatronen durch den Lauf. Daß
die Blasrohrpfeile mit einem speziellen Gift versehen waren, verstand sich am Rand. Parker hatte sich für Blasrohrpfeile entschieden. Sie waren lautlos und lahmten das Opfer innerhalb weniger Sekunden. Parker war nicht der Mann, der Blut sehen wollte. Es ging ihm nur darum, seine Gegner auszuschalten und kampfunfähig zu machen. Nach einer Stunde im Baum suchte er mit seinem Nachtsichtgerät erneut die nähere Umgebung des Landsitzes ab, in dem Mylady wohnte, um dann zum Themseufer hinüberzuschwenken. Fast auf Anhieb entdeckte er eine Gestalt, die vor dem Schilfsaum in geduckter Haltung sich Myladys Landsitz näherte. Das konnte nur Hale sein. Butler Parker wartete, bis die Gestalt das Ufer verließ. Sie war jetzt noch deutlicher zu erkennen. Sie trug ein Gewehr in der linken Hand. Hale hatte also vor, diesem Schachspiel brutal ein Ende zu setzen. Für einen Schuß war es zu weit. Josuah Parker ließ seine Strickleiter herunter und stieg mit der Geschicklichkeit eines Hochseilartisten nach unten. Er nahm den UniversalRegenschirm über den linken angewinkelten Arm und schnitt dem Mörder geschickt den Weg ab. Zwischendurch blieb er immer wieder stehen und beobachtete Hale durch das Nachtsichtgerät. Der Mörder war ahnungslos. Er glaubte sich im Schutz der Dunkelheit, zumal der Mond sich hinter einer Wolkenbank verbarg, die von London aus sich dem Themsebogen entgegenschob. Parker ging neben einem Zaunpfosten in Stellung, entsicherte seinen »Schirm« und wartete, bis er Hale mit seinen Augen erkannte. Eine Sekunde später war es, so weit. Hale zuckte zusammen und griff mit der freien Hand nach seiner Hüfte. Die Finger ertasteten den Pfeil, den er fast wütend aus dem Fleisch zerrte, dann riß er sein Gewehr hoch und suchte nach dem unheimlichen Schützen. Noch schien Hale nichts von dem Lähmungs- und
Betäubungsgift zu spüren. »Nun komm schon, du Schwein«, rief Hale, der die Nerven verloren hatte. Dann feuerte er in schneller Folge einige Schüsse ab, die irgendwo in der Böschung landeten. Er feuerte übrigens nicht in Parkers Richtung, denn Hale hatte keine Ahnung, wo der Besitzer des Giftpfeils sich befand. Doch dann wirkte das chemische Präparat an der Pfeilspitze. Hale sackte auf die Knie, stützte sich für einen Moment mit den Händen auf im Gras und fiel dann zur Seite. Dies alles konnte der Butler in seinem Nachtsichtgerät deutlich erkennen. Dennoch wartete er sicherheitshalber. Er wollte nicht das Opfer einer Falle werden. Dieser nächtliche Zweikampf hatte sich fast unhörbar abgespielt. »Außer dem typischen »Plopp« der schallgedämpften Schüsse war nichts zu vernehmen. Und diese »Plopps« konnten irgendwoher vom Fluß gekommen sein. Josuah Parker legte sich den Bambusgriff seines UniversalRegenschirms über den linken Unterarm und schritt gemessen auf den Mann zu, der die Absicht hegte, einige Menschen kaltblütig zu ermorden. *** Will Wigmore wartete auf die Rückkehr seines Leibwächters, als das Telefon sich plötzlich meldete. Das konnte nur Hale sein, wer sonst kannte diese Nummer? »Wigmore«, sagte er knapp. »Hale«, lautete die undeutliche Antwort. »Kommen Sie rüber, es ist geschafft.« »Ich soll...?« »... Rüberkommen«, sagte Hale. »Oder soll ich Sie holen, Chef? Das hier geht auf unser gemeinsames Konto. In einer Viertelstunde sind Sie hier! Und versuchen Sie nicht
abzuhauen! Ende!« Wigmore ließ den Hörer förmlich auf die Gabel fallen und überlegte blitzschnell. Hale hatte es also geschafft. Daran bestand überhaupt kein Zweifel. Er war drüben im Landsitz der Mylady allein. Ja, besser konnte es doch gar nicht kommen! Wenn er Hale dort drüben beseitigte, ließ sich das leicht tarnen, dann war sein Leibwächter eben von Parker erschossen worden. Wigmore lächelte tückisch. Er hatte sich in Hale also getäuscht. Er wollte ihn, Wigmore, mit in diesen Mord einbeziehen und zum Mitwisser und Mitschuldigen stempeln. Wahrscheinlich würde dann die Reihe der kleinen und großen Erpressungen beginnen. Wigmore hatte es plötzlich sehr eilig, sein Haus zu verlassen. Er konnte nicht schnell genug zum Landsitz der Ladyj kommen. Hale glaubte schlau und gerissen zu sein. Er hatte keine Ahnung daß er sich auf der ganzen Linie verkalkuliert hatte. Schon nach zehn Minuten hatte Wigmore das Tor zum Park erreicht. Im Haus brannte nur im Erdgeschoß Licht, die Tür war weit geöffnet. Und für einen Moment sah Wigmore sogar seinen Leibwächter, der mit dem Gewehr in der Hand hinter der Tür zu erkennen war. Der Spekulant lief weiter zur Tür, betrat die Wohnhalle und blieb betroffen stehen. Auf der Treppe, die ins Obergeschoß führte, lag Lady Simpson. Neben einer Stufe war der Anwalt zu erkennen. Und Parker lag vor einem Servierwagen und starrte mit weit geöffneten Augen zur Kassettendecke. *** »Ich glaub's einfach nicht«, sagte Wigmore und wandte sich Hale zu, der gerade sein Gewehr abstellte. »Wie haben Sie das geschafft, Hale?« »Ich bin als Jagdaufseher gekommen und dann hab ich
meine private Treibjagd veranstaltet«, antwortete Hale, der ein wenig verbissen wirkte. »Morgen werden Sie den Rest der Prämie bekommen«, versprach Wigmore und schob sich geschickt an das Gewehr heran, das Hale gegen einen schweren Sessel gelehnt hatte. »Und was jetzt?« fragte sein Leibwächter. »Wohin mit den Leichen?« »Was schlagen Sie vor, Hale?« wollte der Spekulant wissen. »Großfeuer hier? Oder werfen wir sie in die Themse?« »Ein Großfeuer wäre nicht schlecht.« Wigmore nickte und nahm wie zufällig die Waffe in die Hand. »Vorsicht, da ist noch ein Schuß im Lauf«, sagte Hale ahnungslos. »Wie schön«, meinte Wigmore und entsicherte blitzschnell. Er richtete den Lauf auf Hale. »Das paßt genau!« »Was soll das bedeuten?« Hale wich zurück und erkannte wohl, was sein Herr und Meister vorhatte. »Das ... Das können Sie doch nicht machen... Ich habe doch ...« »Sie haben alles zu meiner Zufriedenheit erledigt«, bestätigte Wigmore. »Und jetzt werden Sie von Butler Parker erledigt. So wird es die Polizei deuten, denke ich.« Wigmore drückte gnadenlos ab. »Ihr Verhalten ist nicht frei von einer gewissen Unfairneß,« ließ sich in diesem Moment Butler Parker vernehmen und richtete sich auf. »Ich möchte betonen, daß ich mich bemühe, eine höchst diskrete Umschreibung dieses Mordversuchs zu liefern.« Hale war weniger diskret. Er hatte sich bereits auf seinen Herrn und Meister gestürzt und drosch mit seinen Fäusten auf ihn ein. Wigmore wurde durchgeschüttelt, was Lady Simpson mit Befriedigung zur Kenntnis nahm. Auch sie hatte sich erhoben und nickte nun
Mike Rander zu, der neben ihr stand und ebenfalls einen recht nunteren Eindruck machte. Chief-Superindentent McWarden unterhielt sich derweil leise mit zwei stämmigen Zivilisten, die zu seiner Begleitung gehörten. Er bekam offensichtlich gar nicht mit, was sich seitlich neben ihm zwischen dem Spekulanten und Hale abspielte. Und er hatte seinen Begleitern sehr viel zu sagen! *** »Damit ist Ihr Spiel aus, Sie Subjekt«, sagte Agatha Simpson später, als Wigmore wieder in der Lage war, etwas aufzunehmen. »Sie können von Glück sagen, daß nicht ich Sie gezüchtigt habe.« Wigmore sah mitgenommen aus. Die Treffer, die Hale gelandet hatte, waren deutlich zu erkennen. »Mr. Parker hat sich also nicht getäuscht«, warf ChiefSuperintendent McWarden ein. »Er machte Ihrem Leibwächter klar, was ihn so oder so erwarten würde. Nun ja, ich habe ihm auch ein wenig gut zugeredet.« »Ich wollte nicht schießen«, stöhnte Wigmore. »Nein, nur morden«, sagte McWarden. »Wigmore, Sie sind reif für eine Mordanklage. Es zählt kaum, daß wir die Patrone entschärft haben, es kommt darauf an, daß Sie abgedrückt haben.« »Und daß er mich angestiftet und gezwungen hat, die Leute da zu erschießen«, ließ Hale sich schnell vernehmen, »darauf nehme ich vor Gericht jeden Eid.« »Lassen wir das mal«, sagte McWarden abwinkend, »er wird auch so im Zuchthaus landen. Nun werden sich auch viele Mieter trauen, gegen ihn und seine Firma auszusagen. Schafft sie weg!«
McWarden nickte seinen beiden Begleitern zu, doch Wigmore schien noch etwas auf dem Herzen zu haben. »Wieso ... Wieso sind Sie ...?« Er sprach nur undeutlich, da ihm einige Schneidezähne fehlten. »Ach so, das meinen Sie!?« Der Chief-Superintendent lächelte. »Draußen steht mein Hubschrauber. Von London bis hierher nach Richmond braucht man halt doch ein paar Minuten, Wigmore.« Butler Parker erschien aus der Tiefe des Raums und servierte Portwein und Kognak. Kathy Porter rollte den Servierwagen mit Tee und Kaffee herein. McWarden bediente sich nur zu gern und nahm ein Glas in die Hand. »Trinken wir auf dieses Gangsterschach«, sagte er und sah den Butler betont an. »Mr. Parker lernt erfreulicherweise dazu«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Irgendwann wird er das Spiel beherrschen, wenn er sich an meine Ratschläge hält.« »Sehr wohl, Mylady«, antwortete Jo-suah Parker, und in seinem Gesicht rührte sich kein Muskel, was übrigens Konzentration erforderte, denn außer Lady Agatha lächelten alle mehr oder weniger deutlich. ENDE
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