Teddy Parker
Einer spielt falsch Bonanza Band 5
Engelbert-Verlag • Balve/Westf.
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Teddy Parker
Einer spielt falsch Bonanza Band 5
Engelbert-Verlag • Balve/Westf.
Bearbeitung und deutsche Fassung: Peter Wolick Verlags-Nr. 794 1. Auflage 1969 Illustrationen: Werner Kulle (c) 1969 by National Broadcasting Company, Inc.
Alle Rechte vorbehalten Veröffentlicht mit Genehmigung von Western Publishing Company, Inc. Racine/Wisconsin, USA Alle Rechte der deutschen Buchausgabe 1969 by Engelbert-Verlag, Balve Nachdruck verboten – Printed in Germany Satz, Druck und Einband: Gebr. Zimmermann, Buchdruckerei und Verlag GmbH, Balve/Westf.
Der Fremde
Dort, wo sich durch Felsentäler, tiefe Schluchten und über sanfte Hänge der Paßweg zu Tal windet, lag die Ponderosa, die Ranch Ben Cartwrights und seiner Söhne. Blauschimmernd schoben sich weit hinten am Horizont die Gebirgsketten in den Himmel. Einige ihrer gewaltigen Gipfel verloren sich in dunstigem Wolkenschleier, hinter dem in letztem Flammenspiel, verglühend wie eine riesige blutrote Scheibe, die Sonne versank. Ein kühler Wind wehte von den Bergen zu Tal. Hoss Cartwright fröstelte. Er war nach dem Abendessen vor das Haus gegangen, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Morgen lag ein anstrengender Tag vor ihm. Er hatte vom Vater den Auftrag bekommen, die weit abgelegenen Freikorrals zu kontrollieren. Die neugeborenen Kälber mußten gezählt und mit dem Brandzeichen der Cartwright-Ranch gezeichnet werden. Die kleine Herde der Hereford-Rinder, die Ben Cartwright gegen den Willen seiner Söhne gekauft hatte, war inzwischen größer geworden. Ja, der Vater hatte recht behalten: Das rauhe Bergklima bekam ihnen vorzüglich. Man brauchte sich kaum um sie zu kümmern. Das ersparte eine Menge Arbeit. Hoss seufzte, denn er war mit seinem Auftrag nicht zufrieden. Viel lieber wäre er zu Hause geblieben. Hop Sing, der chinesische Koch, der auf der Ponderosa die Rolle der Hausfrau spielte, kochte zu gut, und für ein gutes Essen war Hoss immer zu haben. Warum schickte der Vater nicht Little Joe in die Berge? Für solche Aufträge war der liebe Junge nicht zu gebrauchen, aber wenn es in die Stadt ging, dann war
er da. Dann gab er im Saloon an und spielte bei jeder Schürze den Herzensbrecher. Trotzdem liebte Hoss seinen kleinen Bruder, und er hätte sich für ihn sozusagen in Stücke reißen lassen. Nur manchmal, besonders, wenn Frauen im Spiel waren, hätte er ihn wegen seiner Angeberei bei den Ohren nehmen können. Little Joe schoß bei Frauen immer den Vogel ab. Hoss betastete seinen Bauch. Ja, er war wirklich etwas zu dick, und dann fehlte ihm auch dieser innige Blick, um bei den Frauen anzukommen. Diese mageren Windbeutel waren da besser dran. Na, vielleicht würde er bei dem Ausflug in die Berge etwas abnehmen. Den Witwentrösterblick, wie ihn Joe besaß, würde er sich aber niemals aneignen können. Mit diesen Gedanken ging Hoss ins Haus zurück. In dem großen Raum brannten zwei Lampen. Es war mollig warm, denn in dem offenen Kamin prasselte ein helles Feuer. Vater Cartwright saß an seinem Schreibtisch und war mit den Büchern beschäftigt. Beim Eintritt seines Sohnes sah er auf. „Ich mache mir tatsächlich Sorge um Indianer-Bill“, sagte er mit einem tiefen Seufzer. „Bill sollte schon vor einer Woche hier sein und mir über die Herde Bericht erstatten. Dann hättet ihr zusammen zurückreiten können, um die Kälber zu zeichnen. Jetzt mußt du eben allein reiten.“ „Und was ist mit unserem Liebling?“ fragte Hoss. „Er könnte doch auch mitkommen.“ „Ich habe etwas anderes zu tun“, meldete sich Little Joe. „Und nenne mich bitte nicht Liebling, sonst klebe ich dir eine.“ „Immer langsam!“ Ben Cartwright hob die Hand. „Sollte Indianer-Bill etwas zugestoßen sein, bleibst du oben. Dein Bruder kommt in zwei Tagen nach. Das verspreche ich dir.“ „Ich habe die Grenzzäune zu reparieren und muß in die Stadt zum Einkaufen. Hop Sing hat nichts mehr in der Vorratskammer“, wandte Little Joe ein.
„Ja, natürlich, in die Stadt“, grinste Hoss. „Vergiß nur nicht, im Saloon ein Spielchen zu machen. Denke aber daran, ich bin nicht da. Mich kannst du also nicht anpumpen, und ich kann dich auch nicht auslösen, wenn sie dich bis auf das Hemd ausgezogen haben.“ „He, du spielst?“ forschte Ben Cartwright und hob die Augenbrauen. „Das höre ich zum ersten Male.“ „Ach, so ist das nicht, Pa“, fiel Hoss sofort ein. „Nur in der letzten Woche, da hat ihm Steve Collins zehn Dollar abgenommen. Sonst spielt er nie. Ich will ihn ja auch nur warnen.“ Little Joe, der mit dem Reinigen der Gewehre beschäftigt war, deutete hinter dem Rücken des Vaters mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. Hoss wiegte den Kopf und schlug die Augen gen Himmel. Er hatte es eben gesagt, und daran war nichts mehr zu ändern. „Wenn ich dich einmal beim Spiel erwische, streiche ich dir das Taschengeld“, drohte der Vater, und dann wandte er sich wieder Hoss zu. „Wenn oben alles in Ordnung ist, schickst du Indianer-Bill sofort herunter. Ich muß die Zahl der neugeborenen Kälber wissen. Nächste Woche kommt Mr. Orton. Er möchte einige Hereford-Kälber kaufen, um auch eine Zucht anzulegen.“ „In Ordnung, Pa!“ „Hier, ich habe deine Colts und dein Gewehr gereinigt“, sagte Little Joe. Er stellte die anderen Gewehre in den Ständer neben der Tür und ließ Hoss’ Waffen auf dem Tisch liegen. „Aber nur, weil es Pa sagte. – Gute Nacht; ich gehe zu Bett.“ Damit ging er nach oben und warf seinem Bruder einen nicht sehr freundlichen Blick zu. „Ich danke dir auch.“ Hoss sah ihm nach. „Wir sehen uns morgen noch, nicht wahr?“ Little Joe antwortete nicht.
„Was hat er nur?“ Ben Cartwright erhob sich. „Was soll er haben? Er fühlt sich ertappt, sonst nichts. Das können die meisten Menschen nicht vertragen. – So, nun lege dich hin, Junge. Du hast morgen einen schweren Tag vor dir.“ „Ich werde Paiute reiten, und wenn es dir recht ist, nehme ich Ginger als Beipferd mit. Paiute kennt die Gegend.“ „Schon in Ordnung, Junge!“ Paiute war ein hochbeiniger Hengst. Hoss ritt ihn immer, wenn es ins Gebirge ging. Paiute war zuverlässig und ausdauernd. Seine Furcht vor Wölfen, mit denen er als Fohlen einmal in Berührung gekommen war, hatte der Hengst inzwischen verloren. Auch ein Puma konnte ihn nicht aus der Ruhe bringen, seitdem die Geschichte mit Rimrock passiert war. Damals hatte Hoss in demselben Gebiet, das er jetzt besuchen wollte, einen jungen Silberlöwen gefunden und während der Wintermonate in der Berghütte großgezogen. Der junge Puma war so zahm geworden, daß er Hoss bei seinen Kontrollritten begleitete. Rimrock, wie Hoss den kleinen Puma getauft hatte, saß dabei auf einer Decke hinter seinem Sattel. Paiute hatte natürlich zuerst verrückt gespielt, aber sich mit der Zeit an seinen zweiten Reiter gewöhnt. Heute lebte Rimrock in den Bergen und erfreute sich seiner Freiheit. Daran mußte Hoss denken, als er sein Zimmer aufsuchte. Am nächsten Morgen weckte ihn Hop Sing. Wie alle Chinesen konnte der Koch kein „R“ sprechen. Er ersetzte es durch den Laut „L“, und diese Wortbildung gab oftmals zu Heiterkeit Anlaß. Hop Sing kam leise ins Zimmer, zog die Vorhänge auf und nahm vor dem Bett von Hoss Aufstellung. „Mistel Hoss, vielleicht bitte aufstehen“, sagte er freundlich, bemüht, so sanft wie nur eben möglich zu sprechen, denn es war schon vorgekommen, daß diese Aufforderung mit dem
Wurf eines Stiefels beantwortet worden war. Besonders bei Little Joe war das Wecken gefährlich. Als sich Hoss nicht rührte, fügte der Chinese sanft hinzu: „Ich machen eine gutes Flühstück. Eiel mit Schinken und gutes, gutes Kaffee.“ Er schnalzte mit der Zunge und verdrehte die Augen. „Und fül Litt in die Beige schon alles feltig und gepackt. Hop Sing weiß, was Mistel Hoss gelne essen. Mistel Hoss wild sich fühlen wie im Paladies, wenn el sieht die vielen schönen Sachen.“ Bei Hoss ging das Erwachen immer sehr langsam vor sich. Er blinzelte durch die Lider, reckte sich, um sich aber dann noch einmal auf die Seite zu drehen. „Nein, nein, Mistel Hoss“, sagte Hop Sing. „Sie nicht holen, was ich sagte? – Flühstück feltig! – Ja, bitte, und Mistel Joe schon sitzen untel längst am Tisch.“ Das riß Hoss hoch. „Wie, Little Joe ist schon aufgestanden?“ Hop Sing legte die Fingerspitzen aneinander. „Doch, bestimmt. El schon längst essen und machen sogal schon fül Mistel Hoss die Pfelde feltig. Bitte, sehen aus Fenstel!“ In seinem langen Nachthemd ging Hoss zum Fenster und sah hinaus. Unten im Hof stand Paiute bereits fertig gesattelt, daneben Ginger, das Packpferd. In zehn Minuten war Hoss gewaschen, rasiert und angezogen. Mit einem fröhlichen „Hallo!“ kam er die Treppe herunter und nahm am Frühstückstisch Platz. Wie ein Schatten tauchte hinter ihm der Chinese auf, um ihm den Teller zu füllen. Little Joe nickte nur kurz. „Ich danke dir auch, daß du dich schon um die Pferde bemüht hast“, sagte Hoss, während er eine „Ladung“ Schinken mit Ei in den Mund schob. „Wirklich, nett von dir!“
„Dafür kannst du mich wieder mal bei Pa in die Pfanne hauen und erzählen, was für ein großer Spieler ich bin“, antwortete Joe sauer. „Ich machte das Spiel doch nur, weil mich Steve Collins drängte, aber Pa meint jetzt, ich säße jedesmal, wenn wir im der Stadt sind, am Spieltisch. – Du kennst ihn doch!“ „Weißt du, Joe, ich wollte es ja gar nicht sagen“, verteidigte sich Hoss. „Aber plötzlich war es heraus. Ich wollte dich bestimmt nicht anschwärzen. Du kennst mich doch!“ „Schon gut!“ Joe nahm einen Schluck Kaffee. „Wenn du bei den Eagle Rocks vorbeikommst, sieh dich vor. Es hat jetzt drei Tage geregnet. Das bedeutet erhöhte Steinschlaggefahr. Das wollte ich dir nur sagen. Sollte dich ein Gewitter überraschen, sieh zu, daß du die Hütte bei der Quelle erreichst, und bleibe einige Stunden dort, bis es trocken geworden ist. Der Pfad am Osthang ist nach einem Regen besonders glatt. Ich wäre damals beinahe mit dem Fuchs abgestürzt, habe euch nur nichts erzählt.“ „Ich passe schon auf“, nickte Hoss, während ihm Hop Sing erneut den Teller füllte. „Deine Sorge um mich ist rührend, aber ich bin ja schließlich kein Baby mehr. Vielleicht rätst du mir auch noch, eine dreifache Garnitur Unterhosen einzupacken.“ „Ja, natürlich, das hat man nun davon, wenn man sich um seinen Bruder sorgt“, erwiderte Joe etwas verstimmt. „Du bist doch manchmal völlig weggetreten. Du merkst einen Steinschlag erst, wenn dir die Brocken schon um die Ohren fliegen.“ „Ich bin weggetreten?“ Hoss fuchtelte mit der Gabel durch die Luft. „Da hört doch alles auf! Du bist weggetreten, wenn du eine Schürze siehst…“ „Um was geht es denn, meine Herren Söhne?“ fragte Ben Cartwright, der in diesem Moment den Raum betrat und am Tisch Platz nahm.
„Pa, er glaubt, ich bin ein Baby“, entrüstete sich Hoss. „Er erzählt mir alles, was ich selbst weiß. Bei den Eagle Rocks gibt es Steinschlag, am Osthang sind bei einem Gewitter die Pfade glatt, ich soll mir eine dreifache Garnitur Unterhosen einpacken…“ „Den Blödsinn hast du gesagt“, fiel ihm Joe in die Rede. „Aber du wärst bestimmt noch damit gekommen.“ „Kinder, streitet euch doch nicht“, mahnte der Vater. „Das ist alles viel zu dumm, um darüber überhaupt nur ein Wort zu verlieren.“ „Er hat doch angefangen, Pa! Ich habe ihm bereits das Pferd versorgt. Er brauchte nur noch ‘runterzukommen und sich vollzustopfen.“ „Jetzt ist Schluß!“ Ben Cartwright hob die Hand. „Ich will in Ruhe frühstücken.“ Er wandte sich an Hoss. „Und ich würde an deiner Stelle dem Bruder dankbar sein, wenn er sich Sorgen um dich macht.“ Mit einem Blick auf Joe fuhr er fort: „Du hast ihm also die Pferde versorgt. Dafür muß ich dich loben.“ „Das ist doch selbstverständlich.“ „Bei deiner angeborenen Abneigung vor dem Aufstehen?“ „Pa, er sitzt stundenlang im Sattel, während ich zu Hause bleibe. Da dachte ich mir, sei gut zu ihm…“ Hoss zog ein Gesicht. „Ich werde verrückt! Sei gut zu ihm! Pa, da kommt doch noch was nach. Ich kenne den Leisetreter.“ „Es ist jetzt Schluß damit!“ „Vielleicht noch etwas Eiel mit Schinken, Mistel Hoss?“ fragte Hop Sing, der den Rancher bedient hatte. Hoss wollte schon nicken, aber da sah er Joes Grinsen. „Nein, danke! – Man soll nicht zuviel essen, wenn man einen Ritt vor sich hat. Mir genügt es!“ „Das will ich auch meinen“, grinste Little Joe. „Von deinen Portionen würden zehn ausgehungerte Sioux-Indianer satt.“
„Bitte, Pa!“ Hoss setzte eine beleidigte Miene auf. „Wer fängt nun an?“ Ben Cartwright sah auf die Uhr. „Ich glaube, es wird Zeit für dich. Mache es gut, Junge, und denke daran, daß du IndianerBill sofort losschickst, wenn alles in Ordnung ist.“ Hoss erhob sich. „Okay, Pa! Wird alles bestens erledigt.“ Hoss reichte dem Vater die Hand, und Ben Cartwright wandte sich an Joe. „Du begleitest deinen Bruder hinaus.“ Hop Sing stand bereits mit dem Pistolengürtel und dem Gewehr an der Tür. „Wünsche einen guten Litt, Mistel Hoss! – Sollen gesund kommen wiedel zulück.“ „Danke, Hop Sing!“ Hoss legte den Pistolengürtel an und verließ mit seinem Bruder den Raum. Bevor er aufsaß, reichte ihm Joe die Hand. „Alles Gute, Hoss! – Was ich noch sagen wollte – könntest du mir vielleicht…“ Weiter kam er nicht, denn Hoss sagte sofort: „Kann ich, Joe!“ Er zog einen Zehndollarschein aus seiner Hemdtasche, faltete ihn zusammen und steckte ihn dem Bruder in den Gürtel. „Siehst du, ich kann sogar deine Gedanken erraten. Du hättest ihn aber sowieso von mir bekommen.“ „Vielen Dank! – Ich bin nämlich diese Woche etwas knapp, und Pa braucht das nicht zu wissen.“ Hoss deutete zum Fenster, hinter dem das lachende Gesicht des Vaters zu sehen war. „Du, ich glaube, er weiß es schon.“ Eine Stunde später hatte Hoss die Straße nach Virginia City verlassen und den Weg ins Gebirge eingeschlagen. Er ließ Paiute, der bisher getrabt hatte, in den Schritt fallen. Ginger, das Packpferd, folgte willig. Hoss hatte ihm den Zügel lang gemacht und am Sattelknopf befestigt.
Jetzt lag der schwerste Teil des Weges vor ihnen. Man konnte das Bergplateau, auf dem die Weiden lagen, auch auf einer weniger gefährlichen Strecke erreichen, aber dann verlor er wenigstens drei Stunden. Hoss wollte noch vor Dunkelheit die Hütte erreicht haben, und das konnte er nur, wenn er den Weg direkt durch das Gebirge nahm. Pa und Joe waren natürlich davon überzeugt, er werde die leichtere Route wählen. Gegen Mittag erreichte Hoss die Eagle Mountains, die AdlerBerge. Es war heiß geworden. Gewaltig reckten sich die turmhohen Felswände in die hitzeflimmernde Luft. Weit hinten segelten weiße Wolkenballen in der azurblauen Weite des Himmels. Auf den weißgrauen Felsen brannte die Sonne. Adler kreisten über den Schluchten, um dann plötzlich lautlos herabzustoßen. Kein Laut durchbrach die Einsamkeit der Bergwelt. Hart klapperten die Hufe der Pferde über den steinigen Boden. Hoss wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er nahm einen Schluck aus der Flasche, in die ihm Hop Sing starken ungesüßten Tee gefüllt hatte. Bald würde er die Quelle erreichen. Dort wollte er eine Pause einlegen und die Pferde tränken. Er warf einen Blick zurück. Weit hinten im Sonnenglast lag Virginia City. Sicher war Little Joe schon auf dem Weg dorthin. Er hatte den Wagen heute morgen schon aus der Scheune gefahren, und nur deshalb war er vermutlich so früh aufgestanden. Während er bald darauf an der Quelle Rast machte, fiel ihm wieder Indianer-Bill ein. Warum kam er nicht? Er war doch immer verläßlich gewesen. Ja, Pa hatte schon recht, wenn er sich Sorgen machte. Gierig soffen die Pferde das Wasser aus dem Segeltucheimer. Hoss hing ihnen danach die gefüllten Futterbeutel um und legte sich in den Schatten eines Felsens.
Wieder mußte er an Indianer-Bill denken, und dann ließ ihn plötzlich das Geräusch von Pferdehufen aufhorchen. Es war also noch jemand in dieser gottverlassenen Gegend. Hoss erhob sich, um nach dem Reiter Ausschau zu halten. Er konnte ihn jedoch nicht entdecken. Er wußte nicht einmal, woher das Geräusch gekommen war. Es konnte über ihm oder auch unter ihm gewesen sein. Die hohen Bergwände warfen jedes Geräusch vielfach zurück. Bald darauf trug ihn Paiute sicheren Schrittes über die schmalen Pfade, die sich oftmals hart an den steilen Hängen entlangzogen. Ginger folgte willig. Das Wasser hatte die Tiere erfrischt. Nach einer Viertelstunde zog sich der Pfad an einer tiefen Schlucht entlang. Tief unten rauschte schäumend ein Gebirgsbach über die Felsen. Hoss stieg nun ab und nahm Paiute an der Trense. Nach unten blicken durfte er nicht, sonst würde ihm schwindelig. So erging es ihm aber immer wieder. War er auf diesem Pfad, wäre er am liebsten wieder umgekehrt. Der Hengst ging an seiner Seite Schritt für Schritt über den schmalen Gebirgspfad. Er war so oft mit Hoss diesen Weg gegangen und hatte sich daran gewöhnt. Hoss sah sich um, weil Ginger plötzlich zu schnauben begann. Auch Paiute spielte mit den Ohren und bekam große Augen, und dann hörte Hoss auch schon das rasselnde Geräusch, das ihm nur zu gut bekannt war. Mitten auf dem schmalen Pfad vor ihnen sonnte sich eine ausgewachsene Klapperschlange. Sie zog sich zu einem Knäuel zusammen und hob angriffslustig den Kopf. Das Rasseln der Hornschalen ihres hochgestellten Schwanzes war ein Geräusch, das Hoss einen Schauder über den Rücken laufen ließ. Hier gab es kein Zurück mehr. Der Pfad war zu schmal.
„Ruhig, Alter!“ Hoss hielt Paiute zurück und fuhr ihm mit der Hand über die Nüstern. Hinter sich hörte er Gingers erregtes Schnauben. Spielten die Pferde verrückt, war er verloren. Sie sahen nicht mehr die Gefahr des Abgrundes, sondern nur das giftige und angriffslustige Reptil vor sich. Es war nur gut, daß die Schlange in ihrer Position verharrte. Hoss merkte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Er nahm sich in diesem Augenblick vor, den Pfad nie wieder zu benutzen. Während er dem Hengst mit der Linken die Nüstern strich, zog er seinen Colt aus dem Halfter. Er visierte das buntschillernde Bündel kurz an und zog durch, zwei-, dreimal. Dann hatte er nur noch damit zu tun, Paiute, der scheuen wollte, in der Hand zu behalten. Vor ihm wand sich der Schlangenkörper zuckend über den Pfad und stürzte Sekunden darauf in die Schlucht. Der Weg war frei. Hoss lehnte sich aufatmend gegen die Felswand. So blieb er stehen, bis sich die Pferde beruhigt hatten. Nach etwa einer Stunde war Hoss mit seinen Pferden wieder auf dem normalen Weg, der direkt zu den Weidegründen des Hochplateaus führte. Zwar hatte er einige Stunden gewonnen, dafür war er aber völlig mit den Nerven zu Ende. Ihm zitterten jetzt noch die Hände. Nein, für den Rest des Tages hatte er genug. Er konnte nicht mehr weiter und wollte die nächste Schutzhütte aufsuchen, um dort die Nacht zu verbringen. Das war die Hütte, die Joe ihm bei einem Gewitter empfohlen hatte. Diese Schutzhütten in den Bergen waren durch Spenden der Bürger Virginia Citys und der Rancher errichtet worden. Sie waren gut ausgerüstet und standen jedermann zur Verfügung.
Hoss sah sofort, daß hier lange Zeit niemand gewesen war. Er wischte den Staub vom Tisch und schleppte den Proviantsack und die Satteltaschen in den Raum. Dann versorgte er die Pferde und pflockte sie unter dem Schutzdach hinter der Hütte an. Bald flackerte ein helles Feuer auf der offenen Herdstelle. Jetzt brauchte er nur noch Wasser für den Tee, denn die Flasche war leer. Auf dem leeren Tank des Wasserreservoirs fand er mit Kreide die Worte: „Quellwasser hundert Meter rechts von der Hütte.“ So machte sich Hoss mehrere Male mit dem Segeltucheimer auf den Weg zur Quelle, um den ausgehöhlten Baumstamm zu füllen, der den Pferden als Tränke diente. Als er von seinem letzten Gang zur Quelle zurückkehrte, donnerte es bereits, und Sekunden darauf hatte der Himmel alle Schleusen geöffnet. Ein Platzregen prasselte hernieder, und Hoss war froh, jetzt nicht unterwegs zu sein. Bald zuckten die ersten Blitze vom Himmel. Er wollte deshalb noch einmal nach den Pferden sehen und mußte zu seiner Überraschung feststellen, daß neben Paiute und Ginger ein drittes Pferd angebunden war. Es war bereits abgesattelt. Er mußte inzwischen einen Mitbewohner bekommen haben. Hoss ging um das Haus herum, und als er sich der Tür näherte, tönte ihm aus der Hütte fröhliches Pfeifen und das Gesumme eines Banjos entgegen. Er öffnete die Tür und sah einen jungen Mann in mehr liegender als sitzender Stellung auf einem Stuhl hocken. Der Fremde hatte seine Beine ungeniert auf die Tischplatte gelegt. Er trug einen überaus eleganten grauen Reitanzug mit langer Jacke, ein schwarzes Hemd mit weißer Hängeschleife und einen fast weißen Stetsonhut, den er ins Genick geschoben hatte.
Ein Stutzer, stellte Hoss mit einem einzigen Blick fest. Er konnte diese aufgeblasenen Kerle nicht leiden, überall trieben sich diese feingemachten Städter in letzter Zeit herum. Ohne sein Pfeifen zu unterbrechen, berührte der Fremde mit den Fingerspitzen seinen Hutrand und bearbeitete weiter die Saiten seines Banjos. Der Kerl spielte nicht einmal schlecht, und sein Pfeifen war auch irgendwie gekonnt, mußte Hoss feststellen. Hoss nickte ihm kurz zu, und da sich der junge Mann bei seiner musikalischen Darbietung nicht stören ließ, machte er sich daran, Wasser für den Tee zu bereiten. Dabei bemerkte er, daß ihn der Fremde aufmerksam beobachtete. Es war überhaupt etwas an ihm, was Hoss irgendwie gefiel. Er konnte aber trotzdem ein unwilliges Gefühl nicht unterdrücken. Dieser Kerl schien auf Grund seiner Aufmachung sehr selbstbewußt zu sein. Er tat genauso, als gehöre ihm die Hütte allein. Seine ihm scheinbar sehr bequeme Stellung änderte er auch nicht, als Hoss an den Tisch herantrat, um den Proviantsack auszupacken. Musizierend, aber interessiert betrachtete er die Dinge, die Hop Sing für Hoss eingepackt hatte. Als ein großes Glas mit eingekochten Birnen zum Vorschein kam, dazu ein weiteres Glas mit Vanillepudding, unterbrach er für Sekunden sein Spiel und meinte mit einer bezeichnenden Bewegung auf das Puddingglas: „Großartig! – Genau mein Geschmack!“ Diese Feststellung schien ihn so fröhlich zu stimmen, daß er den Refrain des Liedes nicht mehr pfiff, sondern mit einer tiefen Baßstimme grölte. Hoss sah ihn nur an. Daraufhin beendete der Fremde seine Darbietung und meinte lachend: „Mein Konzert geht dir wohl auf die Nerven, wie?“ Hoss musterte ihn noch einmal von oben bis unten. „Will ich nicht gerade sagen, aber vielleicht nimmst du endlich deine
Quadratlatschen vom Tisch, dann sieht es gleich ein wenig gemütlicher aus.“ Ohne mit der Wimper zu zucken, kam der Fremde diesem Wunsch nach. „Ja, ja“, stöhnte er. „Mein Vater hat schon immer gesagt: Jeremias, du wirst es in deinem Leben zu nichts bringen. Du bist ein Windhund und hast keine Kinderstube. Und er hat recht.“ Er hob die Schultern. „Ich frage dich, Dicker, wie kann man mit dem Namen Jeremias überhaupt ernst genommen werden?“ Hoss mußte lachen. „An unseren Namen können wir wohl nichts ändern, und was bedeutet schon ein Name? Auf die Person kommt es an – oder?“ „Eben“, nickte der Fremde. „Aber die Leute denken da anders.“ Er stand auf und stellte sich in Positur. „Was sagst du zu meinem neuen Anzug?“ Hoss zog ein Gesicht. „Die Leute werden mich für einen feinen Mann halten.“ „Oder für einen Gecken“, grinste Hoss. „Woher kommst du?“ „Aus San Francisco, und damit du es gleich weißt, ich will nach Virginia City. Ich wäre längst dort, wenn ich mich nicht im Gebirge verirrt hätte. Schließlich fand ich diese Hütte, und da ich die Pferde sah, dachte ich mir, vielleicht will der Besitzer der Gäule auch nach Virginia City. In diesem Falle würde ich mich nämlich sofort anschließen.“ Hoss erinnerte sich an den unsichtbaren Reiter, dessen Hufschlag er gehört hatte. Das konnte nur der Fremde gewesen sein. „Ich reite erst in einigen Tagen zurück“, sagte Hoss. „Aber der Weg ist furchtbar einfach. Ich werde ihn dir beschreiben.“ „Morgen“, winkte der Fremde ab. Hoss ging zur Feuerstelle und nahm den siedenden Kessel aus dem Haken der Kette. Nachdem er den Tee bereitet hatte,
schnitt er einen kleinen Schinken an. Ja, Hop Sing hatte ihn gut bedient. Sogar der Pudding war nicht vergessen worden. Der Fremde hatte inzwischen sein Reitjackett ausgezogen. Er krempelte die Ärmel seines Hemdes auf und sah Hoss an. „Du kannst mithalten“, sagte Hoss. Er schob ihm das Brot und den Schinken zu. „Mr. Jeremies…“ „Cox“, ergänzte der Fremde. „Jeremias Cox! – Wenn du willst, kannst du mich Jerry nennen.“ „Gut, Jerry!“ Hoss fand immer mehr Gefallen an dem jungen Mann. „Ich bin Hoss Cartwright. Südlich von Virginia City liegt unsere Ranch, die Ponderosa. – Suchst du Arbeit?“ „Ach, du liebe Güte! – Jeremias Cox ging es auch ohne eine feste Arbeit immer gut.“ Jerry tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Brust. „Ich bin nämlich ein Glückspilz!“ „Ach!“ Hoss hielt unwillkürlich mit dem Kauen inne. „Und wie soll ich das verstehen – Glückspilz?“ „Schau, wenn ich dich nicht getroffen hätte, würde ich jetzt nicht diesen wunderbar zarten Schinken essen und hätte bis morgen hungern müssen“, lachte Jerry. „Und so geht es mir immer.“ In der nächsten halben Stunde merkte Hoss, daß dieser Jerry ein Spaßvogel sein mußte. Er nahm alles von der heiteren Seite und hatte eine unerschütterliche Ruhe. Seinen Händen sah man an, daß sie keine harte Arbeit gewohnt waren. Auf Hoss’ Einwand, er müsse doch irgend etwas tun, um leben zu können, erklärte Jerry, er schreibe Geschichten für Zeitungen. Er sei in den Westen gekommen, um sich hier Eindrücke zu holen. Außerdem spiele und singe er in den Saloons, und dabei fühle er sich ganz wohl. „Dann bist du also ein Studierter“, stellte Hoss fest. „Wir auf der Ponderosa sind natürlich nicht so gebildet, aber wir stehen unseren Mann. Sie ist die bestgeführte Ranch im ganzen Umkreis.“
„Und du gefällst mir“, sagte Jerry. „Du scheinst ein richtiger Kerl zu sein.“ Hoss lächelte verlegen. „Wenn du von dem Pudding etwas willst, bitte!“ Das ließ sich Jerry nicht zweimal sagen. Er füllte sich den Teller und schob den Rest Hoss zu. Am nächsten Morgen war Hoss schon früh wach. Er stand auf, um die Pferde zu versorgen. Dabei stellte er fest, daß Jerry eine ausgezeichnete Fuchsstute besaß. Das Tier war sehr gepflegt. Auf der Kruppe trug es als Brandzeichen einen Stern. Hoss überlegte. Wo hatte er das Brandzeichen schon einmal gesehen? Ja, natürlich, dieses Zeichen trugen die Armeepferde der Grenzreiter-Division. Wie kam Jerry an ein solches Pferd? Das war nur möglich, wenn er bei der Armee gedient hatte. In der Hütte brannte bereits das Feuer, als Hoss mit dem gefüllten Wassereimer zurückkam. Jerry hatte sogar den Tisch gedeckt und grinste ihm vergnügt entgegen. „Ich habe es mir überlegt“, sagte er. „Weißt du, ich möchte mit dir zurückreiten. Mir kommt es auf ein paar Tage nicht an.“ Hoss war von dem Vorschlag überrascht. „Ich muß aber noch einige Meilen hinauf“, meinte er. „Auf dem Hochplateau haben wir einige Freikorrals mit Hereford-Rindern. Ich muß die neugeborenen Kälber mit unserem Brandzeichen versehen, sonst könnten sie von Strolchen weggetrieben werden.“ „Bei dem Brennen könnte ich dir zur Hand gehen“, sagte Jerry. „Auf der Ranch meines Onkels in Dakota habe ich schon dabei geholfen.“ „Okay!“ Hoss nickte. „Dann reiten wir in einer Stunde los.“ Nachdem sie gefrühstückt hatten, räumten sie die Hütte auf. Jerry löschte das Feuer auf der Herdstelle und folgte Hoss, der draußen mit dem Satteln der Pferde beschäftigt war.
Hoss stellte erstaunt fest, daß Jerry keinen Pistolengürtel trug. Auch fehlte an seinem Sattelzeug das Futteral für das Gewehr. „Du hast keine Waffen?“ „Wozu?“ fragte Jerry zurück. „Ich habe nicht vor, mich mit jemandem zu schießen, und wenn man keine Waffe besitzt, kann man auch nicht bedroht werden. Auf einen Waffenlosen schießt niemand.“ Hoss blieb vor so viel Unbekümmertheit die Luft weg. „Weißt du, daß es hier in den Bergen Wölfe gibt?“ „Sie haben nur im Winter Hunger“, lächelte Jerry. „Außerdem besitze ich das hier.“ Er zog eine ledergeflochtene Bullpeitsche unter seiner Decke hervor und hing sie an den Sattelknopf. „Damit verstehe ich umzugehen.“ Er befestigte die Decke hinter dem Sattel und schnallte die Packtaschen fest. „Und wenn dir Strolche das Pferd wegnehmen wollen?“ fragte Hoss weiter. Er konnte einfach nicht begreifen, daß sich jemand ohne Waffen in die Berge wagte. „Dann spiele ich ihnen etwas auf dem Banjo vor oder zeige ihnen einige Kartenkunststücke“, erwiderte Jerry. „Das kommt immer an.“ In Hoss kam langsam die Wut hoch. Er hatte das Gefühl, der Bursche wollte ihn auf den Arm nehmen. „Gebe Gott, daß dir nur gute und liebe Menschen oder satte Wölfe begegnen“, schnaufte er. „Also los! – Reiten wir!“ Jerry hing sein Banjo über die Schulter und schwang sich auf seinen Fuchs. Jetzt ging es auf breiten Serpentinenpfaden in die Höhe. Jerry ritt fröhlich pfeifend an der Seite von Hoss, und dieser mußte feststellen, wie gut der junge Mann im Sattel saß. Es machte nicht den Eindruck, als habe er erst vor kurzer Zeit das Reiten gelernt, wie er behauptete. Nein, Hoss wurde aus seinem Begleiter nicht mehr schlau. Der Kerl mußte irgendwie verrückt sein, sagte er sich. Schon
daß er keine Waffen trug, war ein Zeichen dafür. Nur Leute, die nicht ganz klar im Kopf waren, ritten unbewaffnet in die Berge. Und dann war er auf jeden Fall auch arbeitsscheu. Daß er Geschichten schrieb, war bestimmt nur Angabe. Bald war der Scheitelpunkt des Gebirgszuges erreicht. Jetzt ging es wieder bergab. Hoss warf den Zügel des Packpferdes Jerry zu und preschte mit Paiute zu einem Felsenvorsprung. Sanft zog sich unter ihm der Hang zu einer mit Wiesen bedeckten Hochebene hin. Hier hatte Ben Cartwright seine Rinder stehen. Die Regierung hatte ihm auf seinen Antrag die ganze Hochebene als pachtfreies Weideland zur Verfügung gestellt. Ja, Ben Cartwright war immer auf dem Posten. Die anderen Rancher kamen nicht auf solche Möglichkeiten, aber hinterher machten sie dumme Gesichter. Sie hatten sogar ihre Witze darüber gemacht, als die Cartwrights die Rinder in die Berge trieben. Hereford-Rinder waren zäh und hielten sogar den Winter durch. Heute war die Herde um eine stattliche Anzahl gewachsen. Hoss sah die Herde unten weiden, aber die Freikorrals waren leer. Indianer-Bill hatte also den Auftrag des Vaters, gute Jungtiere und Kälber auszusortieren, nicht ausgeführt. Das mußte einen besonderen Grund haben. Die gut eingerichtete Blockhütte lag am Hang eines bewaldeten Hügelrückens. Dort hatte Hoss, als die Rinder gekauft worden waren, einige Wintermonate mit Rimrock, dem jungen Silberlöwen, verbracht. Hoss kniff die Augen zusammen. Zuerst glaubte er, ein dünnes Rauchwölkchen aus dem Schornstein der Hütte kräuseln zu sehen, aber dann merkte er, daß er sich getäuscht hatte. Dort unten tat sich nichts. Er zog seinen Colt und gab einen Schuß ab. Indianer-Bill mußte ihn hören. Er wartete
jedoch vergeblich darauf, daß sich die Tür öffnete und der Mischling herauskam. „Ist etwas?“ fragte Jerry, als Hoss zurückkehrte. „Unser Wachmann meldet sich nicht“, erwiderte Hoss. „Das kommt mir alles so komisch vor. Komm, sehen wir nach!“ In leichtem Trab preschten sie über den Hang zu Tal. Bald war die Hütte erreicht. Von einer inneren Unruhe getrieben, sprang Hoss vom Pferd. Die Fensterläden waren offen und die Hütte nicht verschlossen. Als er die Tür öffnete, prallte Hoss zurück. Der große Raum war völlig verwüstet. Das Regal mit dem Geschirr lag am Boden. Die beiden Betten waren zerwühlt und die Decken beschmutzt. Die Lagerstatt, die sich der Mischling mit Fellen auf dem Boden bereitete, war mit Blut besudelt. Auf dem Tisch standen die Reste einer Mahlzeit. Jerry war hinter Hoss in die Tür getreten. „Na, hier war aber etwas los!“ „Du merkst aber auch alles“, sagte Hoss unwillig. Was war hier geschehen? fragte er sich. Wo war Indianer-Bill? Jerry ging an ihm vorbei und hielt die Hand in die Asche. „Vor drei Stunden, so ungefähr, hat hier noch ein Feuer gebrannt. Bevor die Kerle die Hütte verließen, haben sie sich noch den Bauch vollgeschlagen.“ „Die Kerle?“ fragte Hoss verwundert. „Ja, es waren drei Mann“, erklärte Jerry und hob einen blechernen Trinkbecher vom Boden auf. „Er gehört vermutlich dem Indianer, wie?“ Hoss blieb vor Überraschung der Mund offen. Stumm nickte er und fügte nach einer Weile hinzu: „Woher weißt du denn das alles?“ „Indianer benutzen diese Blechbecher. Außerdem ist auf der Seite das indianische Zeichen für Vogelfeder eingeritzt. Drei
Tassen sind benutzt worden, also waren außer dem Indianer noch drei Mann in der Hütte.“ In Hoss stieg wieder Achtung vor Jerry auf. Jerry merkte die Verwunderung. „Du machst ein Gesicht, als wäre ich ein Hellseher“, lachte er. „Ich beobachte nur genau, sonst nichts.“ „Wenn du die Pferde versorgst, sehe ich mich mal bei den Weiden um“, schlug Hoss vor. „Ich muß wissen, was hier geschehen ist.“ „Okay, mache ich!“ Hoss ging hinaus, nahm Paiute die Satteltaschen ab und schwang sich in den Sattel. In gestrecktem Galopp preschte er der weidenden Herde zu. Hier schien alles in Ordnung zu sein. Die Tiere hatten sich prächtig gemacht. Doch dann merkte er plötzlich, daß Kälber und Jungtiere fehlten. In dem großen Freikorral war der Boden zerstampft. Also waren die Tiere von Indianer-Bill in den Korral getrieben worden, wie es der Vater befohlen hatte. Langsam dämmerte es Hoss. Viehdiebe! In dieser abgelegenen Gegend konnte ihnen nicht viel passieren. Sie konnten die Tiere in aller Ruhe nach Osten treiben und sie dort in der nächsten Ortschaft oder auf einer Ranch verkaufen. Die Tiere trugen kein Brandzeichen. Hoss sah sich den Boden genauer an und entdeckte eine breitgetretene Spur auf dem Hang, der nach Osten ins Tal führte. Damit fand er seine Vermutung bestätigt. Mit dem Gedanken an Indianer-Bill ritt er zur Hütte zurück. Es war durchaus möglich, daß ihn die Kerle umgebracht hatten. Wo sollte ex sonst sein? In der Zwischenzeit hatte Jerry die Pferde abgesattelt und in den Stall gebracht. Die Hütte war ausgefegt und aufgeräumt. Er war dabei, die Strohsäcke in den Betten in Ordnung zu bringen und mit Decken zu belegen.
„Nun, hast du etwas festgestellt?“ Hoss nahm seinen Hut ab und ließ sich seufzend auf einen Stuhl nieder. Er erklärte, was vermutlich geschehen war. „Was ist da noch zu machen? Die Kerle sind längst über alle Berge, denn die Sache kann sich schon vor Tagen abgespielt haben.“ „Du vergißt, daß die Asche auf der Feuerstelle noch warm war“, erinnerte Jerry. „Was hältst du von dem Gedanken, daß die Burschen die Rinder verkauften, zurückkamen und bis vor wenigen Stunden diese Hütte noch als Aufenthalt benutzten? Vielleicht sind sie aber jetzt schon auf dem Weg nach Virginia City.“ „Donnerwetter, du hast Ideen.“ Hoss nagte an seiner Unterlippe und sah nachdenklich vor sich hin. „Aber die sind gar nicht mal so schlecht. So könnte es tatsächlich gewesen sein. Weißt du, die Rinder könnten wir schon verschmerzen. Es geht mir hauptsächlich um Indianer-Bill. Er war ein treuer Kerl. Mein Vater würde es sehr bedauern, wenn ihm etwas zugestoßen wäre.“ „Das kann ich verstehen“, nickte Jerry. „Was können wir jetzt noch tun?“ Jerry überlegte eine Weile. „Wo könnte Indianer-Bill die Tiere hingebracht haben, wenn sie nicht gestohlen wurden?“ „Wie kommst du darauf?“ „Ich überlege eben alles“, antwortete Jerry. „Er stellt die Tiere, die jenseits des Gebirgszuges auf den Markt gebracht werden sollen, bei Sam Baker unter. Dort können sich die Aufkäufer aus den östlichen Gebieten die Tiere ansehen. Sam Baker hat sogar die Genehmigung von meinem Vater, die Tiere bei guten Preisen zu verkaufen.“ „Und wer ist Sam Baker?“ „Er kennt meinen Vater schon von frühester Jugend an. Sie waren Schulfreunde.“ Hoss schüttelte den Kopf. „Aber das kann in diesem Falle nicht zutreffen. Indianer-Bill hatte den
Auftrag, die Jungtiere und Kälber zum Abtransport nach der Ponderosa bereitzustellen. Ein gewisser Mr. Orton wollte die Tiere kaufen, um eine Zucht anzulegen.“ „Jedenfalls hatte er sie im Freikorral zusammengetrieben“, stellte Jerry fest. „Ohne Zweifel“, nickte Hoss. „Die Spuren führen in östliche Richtung. – Aber an Sam Baker habe ich gar nicht gedacht. Sollte Indianer-Bill meinen Vater mißverstanden haben?“ „Wenn wir nicht das Schlimmste annehmen wollen, wäre das eine Möglichkeit.“ „Und wer waren dann die Kerle, die die Hütte verwüsteten?“ fragte Hoss. Jerry hob die Schultern. „Das weiß ich allerdings auch nicht. Sehen wir doch gleich morgen früh bei Sam Baker nach.“ Damit war Hoss einverstanden. Trotzdem konnte er nicht daran glauben, die Tiere bei Sam Baker zu finden. IndianerBill wäre längst auf der Ponderosa erschienen, um über einen Verkauf der Tiere zu berichten. Am nächsten Morgen machten sich Hoss und Jerry auf den Weg zur Baker-Ranch. Sie lag jenseits des Gebirgszuges in einem Talkessel. Ginger, das Packpferd, war im Stall geblieben. Es war ein Ritt von gut einer Stunde. Sam Baker, der mit seiner Schwester die kleine Ranch bewirtschaftete, trat mit einem Gewehr in der Hand aus dem Haus, als Hoss und Jerry auf den Hof trabten. „Nanu? – Was soll denn das bedeuten?“ fragte Hoss. „Ach, du bist es, Hoss“, rief Sam Baker. Er war ein kleiner Mann mit grauen Haaren. Er neigte den Lauf des Gewehres zur Erde und erwartete seine Besucher auf der geräumigen Veranda. „Hat Indianer-Bill unsere Jungtiere zu dir gebracht?“
„Ja, und den Kaufvertrag habe ich auch“, erwiderte Sam Baker. „Nur das Geld habe ich nicht. Der Käufer wollte es deinem Vater selbst geben.“ Hoss staunte nur. „Das muß ein Irrtum sein. Die Tiere waren zum Verkauf auf der Ponderosa bestimmt. Indianer-Bill hatte nie den Auftrag, sie bei dir abzuliefern.“ Er sah sich um. „Wo ist Indianer-Bill?“ „Keine Ahnung! – Die Sache passierte bereits vor einigen Tagen. Wäre er nicht dabeigewesen, hätte ich mich gar nicht darauf eingelassen. Die Kerle machten einen verdammt komischen Eindruck.“ „Jedenfalls handelt es sich hier ohne Zweifel um ein Täuschungsmanöver“, fiel Jerry ein, der bis jetzt geschwiegen hatte. Sam Baker bekam große Augen. „Dann hat Ben das Geld überhaupt nicht bekommen?“ „Wir warten seit einer Woche auf Indianer-Bill“, erklärte Hoss. „Er sollte meinem Vater melden, wenn die Tiere zum Abtransport bereitstünden.“ „Aber Bill wollte die Kerle doch zur Ponderosa begleiten“, wandte Sam Baker ein. „Ich hätte mich doch sonst gar nicht auf den Handel eingelassen.“ „Wie sahen die Burschen aus?“ fragte Jerry. „Wie Strauchdiebe“, antwortete Sam Baker. „Deshalb laufe ich auch mit dem Gewehr herum. Ich möchte die Kerle nicht noch einmal auf meiner Ranch sehen. Als ich zögerte, die Tiere herauszugeben, bedrohten sie mich.“ „Ich fragte nach dem Aussehen.“ Sam Baker sah Jerry an. „Ja, warten Sie… Den vierten der Kerle, der im Sattel blieb, den sah ich mir etwas genauer an. Er trug einen grauen Stetson, ein schwarzes Reitjackett mit einer grauen Weste. Er hatte zwei silberbeschlagene Colts am
Gürtel. Das Lederzeug war nach mexikanischer Art mit Silberknöpfen verziert.“ Jerry nickte. „Das langt.“ „Er war auf jeden Fall der Boß“, fügte Sam Baker hinzu. „Könnten wir mal den Kaufvertrag sehen?“ fragte Jerry. „Natürlich!“ Sam Baker ging ins Haus und kam bald darauf mit dem Papier zurück. „Sie ließen mir kaum Zeit zum Durchlesen“, meinte er. „Das ist eine Zweitschrift“, sagte Jerry. „Das Original mit Ihrer Unterschrift besitzt vermutlich der Käufer, ein gewisser Miller.“ Er las das Schriftstück durch. „Nach diesem Vertrag haben Sie für die Rinder die Summe von dreitausend Dollar erhalten.“ „Sind Sie verrückt?“ schnaubte Sam Baker. „Ich habe nicht einen Cent erhalten. Ich sagte doch, das Geld sollte auf der Ponderosa ausgezahlt werden.“ „Ja, das sagen Sie“, lächelte Jerry. „Im Vertrag haben Sie aber unterschrieben, das Geld erhalten zu haben. Der Vertrag ist rechtsgültig, daran ist nichts zu ändern. Dieser Mr. Miller hat die Rinder von Ihnen gekauft und auch bezahlt. Mr. Cartwright hätte keine Handhabe, gegen den Käufer vorzugehen. Er kann sich nur an Sie halten.“ Mit einer hastigen Bewegung riß ihm Sam Baker das Schriftstück aus der Hand. „Das gibt es doch gar nicht!“ „Lesen Sie nur den letzten Absatz“, forderte Jerry. „Ich kenne mich da aus, denn bei meinem Onkel habe ich oft solche Verträge aufgesetzt.“ „Aber Ben wird mir doch glauben“, wandte sich Sam Baker an Hoss. „Die Kerle haben mich hereingelegt. Ich sagte doch, sie ließen mir nicht mal Zeit zum Durchlesen.“ „Immer mit der Ruhe, Mr. Baker!“ Hoss nagte an seiner Unterlippe. „Pa kennt Sie lange genug, um Ihnen zu glauben. Ich bin überzeugt, es war genau so, wie Sie erzählen.“
Ein Mann namens Lafitte
Little Joe war noch am gleichen Morgen, nachdem sein Bruder im die Berge geritten war, mit dem Einspänner nach Virginia City gefahren. Nachdem er seine Einkäufe getätigt hatte, sah er sich etwas in der Stadt um. Wenn man in der Woche nur einmal in die Stadt kam, gab es immer Neuigkeiten. Er las die Anschläge am Schwarzen Brett der Sheriff-Station, und dabei klopfte ihm plötzlich jemand auf die Schulter. Er wandte sich um und sah Steve Collins. Steve war ein stämmiger Bursche von etwa fünfundzwanzig Jahren. Er machte gerne ein Spielchen und war immer auf der Suche nach Partnern. „Auch mal wieder in der Stadt?“ „Ja, aber nicht, um ein Spiel mit dir zu machen“, lächelte Little Joe. „Mir tun die zehn Dollar jetzt noch weh. Hoss machte mir deswegen schon Vorwürfe.“ „Ich gebe dir Revanche“, lachte Steve Collins. „Eine Pokerrunde. Du setzt fünf und ich zehn Dollar. Ist das kein gutes Angebot?“ Joe zögerte. „Und ein Whisky geht auch noch auf meine Rechnung“, fügte Steve hinzu. „Ein Bier wäre mir lieber“, antwortete Joe. „Mein Hals ist wie ausgedörrt.“ „Komm schon!“ Joe hatte sich innerlich darauf vorbereitet, nur ein Spiel zu machen.
Nachdem sie an der Theke ein Bier getrunken hatten, ließen sie sich an einem Tisch nieder. Zehn Minuten später war Joe bereits um zehn Dollar reicher. Steve Collins hatte verloren. „Eigentlich war das nicht fair von mir“, sagte Joe. „Ich habe nur fünf gesetzt und zehn gewonnen.“ „Ich setze das Dreifache gegen Ihren Einsatz“, sagte plötzlich eine Stimme. Joe sah auf. Er blickte in ein narbenzerfressenes Gesicht unter einem schwarzen Stetson. Der Kerl trug ein kariertes Hemd, eine weich gegerbte Lederhose mit dunklem Reiteinsatz. Er hatte die Daumen hinter den Revolvergürtel geschoben und wartete auf eine Antwort. In Joe kam sofort ein komisches Gefühl auf. Er kannte diese Typen. „Nein, danke, Mister! – Ich wollte sowieso gehen.“ Auch Steve Collins erhob sich. „Vielleicht ein anderes Mal“, meinte er. Von der Theke her drang lautes Gelächter. „He, Billy, laß die Muttersöhnchen in Ruhe“, rief ein bulliger Bursche. „Außerdem werden sie nichts in der Tasche haben.“ „Aber dann werden sie bestimmt einen Whisky mit mir trinken, nicht wahr, meine Herren?“ Joe wollte sich an dem Kerl vorbeidrängen, aber der Narbige versperrte ihm den Weg. „Langsam, Kleiner! – Bist du vielleicht zu fern, um meine Einladung anzunehmen?“ „Nein, Mister“, sagte Joe. „Ich mag einfach nicht.“ „Er mag nicht!“ Der Kerl wandte sich seinen Kameraden an der Theke zu. „Habt ihr das gehört? – Einen vierfachen Whisky in ein Wasserglas!“
Er hielt Joe am Ärmel fest, während ihm einer seiner Kumpane das gefüllte Glas reichte. „So, Freund, das säufst du in einem Zuge aus, verstanden?“ Jetzt wurde Joe ärgerlich. Er hatte sich bemüht, keinen Krach anzufangen, aber hier ging es wohl nicht anders. Mochte der Vater denken, was er wollte. Man konnte sich nicht alles gefallen lassen. „Nehmen Sie die Hand weg“, fuhr Joe den Narbigen an. „Ich trinke nur mit Leuten, die mir angenehm sind.“ In diesem Augenblick fiel ein Schuß, und das Glas zersplitterte dem Narbigen in der Hand. Joe war zu Tode erschrocken. Er wandte sich um und sah auf der Treppe, die zum oberen Stockwerk führte, einen hochgewachsenen schwarzhaarigen Mann stehen, der den Colt noch in der Hand hielt. Er trug einen schwärzen Reitanzug und einen silberbeschlagenen Pistolengürtel. An der Theke war das Gespräch verstummt. Langsam kam der Mann über die Treppe in den Schankraum. „Du wirst dich bei dem jungen Mann entschuldigen“, fuhr er den Narbigen an. „Wenn er nicht mit dir trinken will, ist das seine Sache. – Los!“ „Entschuldigen Sie, Mister, es war nicht so gemeint“, sagte der Narbige, aber man sah ihm an, daß er vor Wut kochte. „Und nun verschwindet“, wandte sich der Mann an die an der Theke stehenden Männer. „So etwas wird hier in Virginia City nicht noch einmal passieren. Wollt ihr unbedingt, daß sich der Sheriff mit euch befaßt?“ „Schon gut, Mr. Lafitte“, sagte der Bullige. „Billy muß immer etwas aus der Reihe tanzen. Es wird nicht mehr passieren.“ Damit verließen die Männer das Lokal.
Joe wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Dieser Mann hatte ihn jedenfalls vor einer Schlägerei bewahrt, die bestimmt nicht zu seinen Gunsten ausgegangen wäre. Mit einem kurzen: „Danke, Mister!“ verließ er den Saloon und traf auf der Straße Steve Collins. „Wer ist das?“ fragte Joe. „Das weiß niemand“, erwiderte Steve. „Seit einer Woche hat er sich dort eingemietet. Er nennt sich Lafitte. Ich halte ihn für einen Viehhändler.“ „Für einen Viehhändler?“ wiederholte Joe gedehnt. „Dafür macht er einen viel zu feinen Eindruck. Ich würde ihn eher für einen Berufsspieler halten.“ „Nein, nein, das ist er bestimmt nicht. Er rührt keine Karten an“, fuhr Steve Collins fort. „Ich tippe auf Viehhändler, weil er vorgestern mit Mr. Orton verhandelte und ich zufällig im Saloon das Gespräch hören konnte. Es ging um eine kleine Herde von Hereford-Rindern, die er Mr. Orton anbot.“ Joe lächelte. „Hör zu, Steve, da mußt du dich verhört haben. Du weißt, daß niemand als wir in dieser Gegend HerefordRinder besitzt. Mein Vater hat sie eingeführt, und sie stehen auf unseren Bergweiden. Orton wollte sie von uns kaufen.“ Steve Collins hob die Schultern. „Ich kann nur sagen, was ich hörte. Fahre doch bei Orton vorbei und frage ihn.“ Joe fiel plötzlich die Abmachung des Vaters mit Indianer-Bill ein, und dabei stieg Unruhe in ihm auf. Warum war der Mischling nicht gekommen? Na, das würde Hoss schon erfahren. Bill trank oftmals einen über den Durst, und es war auch schon vorgekommen, daß er sich tagelang in den Saloons der Umgebung herumtrieb. Vielleicht war er gar nicht bis zur Ponderosa gekommen, sondern unterwegs irgendwo hängengeblieben. „Sag, hast du Indianer-Bill nicht gesehen?“ Steve Collins verneinte. „Ich denke, er ist euer Wachmann.“
„Ja, das ist er. Ich frage nur, weil er sich schon vor einer Woche auf der Ponderosa melden sollte. Du weißt, er trinkt gerne einen.“ Joe reichte Steve Collins die Hand. „Wegen der Rinder werde ich mal bei Orton vorbeifahren.“ Die Ranch Ortons lag in der Ebene nördlich von Virginia City. Joe mußte durch die Stadt, und dann waren es noch gut zwei Meilen. Als Joe den Wagen in den Hof fuhr, kam ihm Mr. Orton bereits entgegen. Der Rancher war ein hochgewachsener Mann mit vollem grauem Haar. Mit den Cartwrights pflegte er seit Jahren gute Freundschaft. Er begrüßte Joe herzlich und bat ihn ins Haus. Bald darauf tauchte auch Cora, die Tochter des Hauses, auf. Joe wurde mit Tee bewirtet. „Ich wollte eigentlich nur kurz mal ‘reinsehen“, sagte Joe. „Nichts da“, wehrte Cora ab. „Du wirst dir auch noch mein neues Pferd ansehen. Pa hat es mir zum Geburtstag geschenkt.“ Joe rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. „Du hattest Geburtstag?“ „Ja, gestern“, lachte Cora. Sie war ein hübsches blondes Mädchen mit blauen Augen. Joe fühlte sich immer etwas verwirrt in ihrer Gegenwart. Cora war sehr temperamentvoll, und sie machte gar kein Hehl daraus, daß sie Joe gut leiden mochte. Aber gerade das war es, was Joe so verwirrt machte. Er mußte immer an Hoss denken, der ihm erklärt hatte, Cora lege es darauf an, ihn als Ehemann einzufangen. „Ja, sag mal, willst du mir denn nicht gratulieren?“ fragte Cora. „Das kann man auch noch nachträglich.“ „Natürlich!“ Joe stand auf und reichte ihr die Hand. „Alles Gute!“ Dann drehte er verlegen seinen Hut in der Hand. „Und?“ fragte Cora. Sie hielt ihm die Wange hin. „Wo bleibt der Geburtstagskuß?“
Joe warf Mr. Orton einen hilflosen Blick zu, dabei errötete er bis unter die Haarwurzeln. Orton lachte. „He, Joe, du bist doch sonst nicht so schüchtern.“ Da sich Joe aber nicht rührte, trat Cora auf ihn zu und gab ihm einen Kuß. Der Erfolg war, daß sich Joe vor Verlegenheit vier Löffel Zucker in den Tee tat und dann aus Mr. Ortons Tasse trank. Cora lachte, und Joe ärgerte sich. Er ärgerte sich vor allem über seinen Bruder Hoss. An seiner Unsicherheit trug nur Hoss die Schuld. Der Dicke hatte ihm mehr als einmal erklärt, wenn er Cora küsse, könne er sich gleich als ihren Verlobten betrachten. Diese feinen Mädchen waren immer so. Joe war dadurch kopfscheu geworden, und das äußerte sich in Verlegenheit. Bei den anderen Mädchen in Virginia City kannte er dieses Gefühl nicht. Nachdem er nach dem Tee auf der Koppel das Geburtstagsgeschenk, einen herrlichen Apfelschimmel, bewundert und geritten hatte, kam er endlich auf die Hereford-Rinder zu sprechen. „Ja, das ist richtig, ich habe eine kleine Herde gekauft“, erklärte Mr. Orton. „Ich war ganz überrascht, als man sie mir anbot, denn dein Vater sagte mir doch, nur ihr befaßtet euch mit der Zucht dieser Rasse.“ „Das stimmt auch, Mr. Orton“, erwiderte Joe. „Es würde meinen Vater bestimmt interessieren, woher diese Rinder stammen. Hier gibt es außer uns weit und breit keinen Züchter.“ Orton ging zu einem Sekretär und kam mit einem Schriftstück zurück. „Hier ist der Kaufvertrag. Der Verkäufer ist ein gewisser Mr. Lafitte. Ich zahlte für die Herde viertausend Golddollar, und das ist nicht zuviel, denn die Tiere sind in erstklassigem Zustand. Alles Jungtiere und Kälber.“
Joe erhob sich. „Dann werde ich das meinem Vater sagen. Der Vorvertrag zum Kauf unserer Rinder ist damit wohl hinfällig geworden.“ „Ja, tut mir leid“, nickte Orton. „Ich werde aber mit deinem Vater noch selbst darüber sprechen.“ Nicht sehr zufrieden, schwang sich Joe auf den Wagen. Zum Teufel, hier stimmte etwas nicht. Er trieb das Pferd zu einer schnelleren Gangart an. Wie kam dieser Lafitte zu der Herde? Unwillkürlich kam ihm der Gedanke, die ganze Sache habe etwas mit dem Ausbleiben Indianer-Bills zu tun. Eine Herde Rinder konnte nicht durch die Luft fliegen. Sollte Indianer-Bill die Tiere an diesen Lafitte verkauft haben? Vielleicht hatte er sich mit dem Geld aus dem Staube gemacht. Nein, das war unmöglich. Indianer-Bill arbeitete seit zwanzig Jahren für die Ponderosa. Trotzdem blieb in Joe die Vorstellung, es könne sich bei dem Verkauf nur um die Herde seines Vaters handeln. Auf der Ponderosa wurde er schon von Hop Sing erwartet. „Sie kommen sehl spät, Mistel Joe“, empfing ihn der Koch. „Was soll ich kochen, wenn keine Plodukte. Ich wollte kochen Bohnen mit Speck, und ich nicht habe Bohnen und nicht habe Speck.“ „Dann blat dil einen Stolch“, knurrte Joe. „Oh, Mistel Joe böse, wenn splechen wie Hop Sing“, antwortete der Chinese. „Bitte, wo ist Stolch? Ich ihn blaten.“ Er nahm die Säcke vom Wagen und verschwand murrend in der Küche. „Ja, du kommst aber wirklich spät“, empfing ihn Ben Cartwright, der in die Tür getreten war. „War etwas los?“ Joe ging mit dem Vater ins Haus und ließ sich in einem Sessel nieder. „Also?“ forschte Ben Cartwright. „Ärger gehabt? – Das sehe ich dir an.“
„Nein, nicht direkt Ärger, Pa“, antwortete Joe. „Das ist alles so sonderbar. – Sag, wer züchtet in unserer Gegend noch Hereford-Rinder?“ „Niemand! – Ich denke, du weißt das.“ Joe nickte. „Eben! – Und darum geht es.“ Er erklärte, was er von Orton erfahren hatte. „Unmöglich, Junge!“ Ben Cartwright schüttelte den Kopf. „Aber ich sage es doch, Pa! – Orton hat eine Herde Jungtiere gekauft. Ich habe den Kaufvertrag gesehen. Steve Collins brachte mich darauf. Er hat die Verhandlung zwischen Orton und diesem Lafitte im Saloon angehört. Ich bin natürlich sofort zu Orton gefahren, um mich zu überzeugen.“ Ben Cartwright war in seinen Schreibtischsessel gesunken. Er überlegte eine Weile. Dann sah er seinen Sohn kopfschüttelnd an. „Junge, da stimmt etwas nicht! – Du, es mag blödsinnig klingen, aber bei der Herde handelt es sich um unsere Rinder. Das ist mir jetzt schon klar. Auf den Weideplätzen muß etwas passiert sein, und deshalb ist auch Indianer-Bill nicht gekommen.“ „Das wird Hoss ja feststellen.“ Ben Cartwright erhob sich und ging mit langen Schritten durch den Raum. „Und wo wohnt dieser Lafitte?“ „Seit einer Woche im Saloon-Hotel, sagte mir Steve Collins. Willst du mit ihm sprechen?“ „Das überlege ich gerade.“ „Am besten wäre es doch, wenn wir Hoss’ Rückkehr abwarteten oder selbst zu den Weiden ritten, um uns vom Vorhandensein der Jungtiere zu überzeugen.“ Joe hob die Schultern. „Ich richte mich natürlich nach dir.“ „Dieser Lafitte muß auf jeden Fall einen Vertrag über den Ankauf der Tiere besitzen“, überlegte Ben Cartwright. „Sonst hätte ihm Orton die Herde bestimmt nicht abgenommen.“
„Und wenn er das nicht hat?“ „Der Verkauf an Orton wäre sofort hinfällig. Dieser Lafitte muß immer nachweisen können, woher er die Tiere hat. Angenommen, es handelte sich um unsere Tiere und er hätte sie gestohlen, säße er bestimmt nicht mehr im Saloon-Hotel. Das leuchtet dir doch ein.“ „Schon“, nickte Joe. „Was schlägst du also vor?“ „Ich werde mit Lafitte sprechen“, sagte Ben Cartwright. „Wir werden aber noch bis zum Abend warten. Vielleicht läßt Hoss etwas von sich hören.“ „Aber, Pa, das ist doch unmöglich“, erwiderte Joe. „Wenn sich Hoss beeilte, hat er um diese Zeit erst die Weideplätze erreicht.“ „…und kann Indianer-Bill sofort losschicken“, ergänzte der Vater. „Das war so ausgemacht.“ Bis zum Abend war aber keine Nachricht von Hoss eingetroffen. So machten sich nach dem Abendessen Ben Cartwright und Joe auf, um Klärung in diese ominöse Angelegenheit zu bringen. Im Saloon-Hotel war um diese Zeit Hochbetrieb. Der Besitzer wunderte sich, die Cartwrights zu sehen. Es war selten, daß sich Ben Cartwright zu dieser Stunde hier sehen ließ. Joe und sein Vater nahmen an einem Tisch Platz, und sofort war der Besitzer des Saloons bei ihnen, um sich nach ihren Wünschen zu erkundigen. „Nur einen kleinen Whisky“, meinte Ben Cartwright. „Du weißt, meine Leber ist nicht ganz in Ordnung. Dafür kannst du aber Joe einen großen bringen.“ „Danke, Pa!“
„Was ist mit diesem Lafitte, der seit einer Woche bei dir wohnt?“ forschte Ben Cartwright. „Kann man mit dem Mann mal sprechen?“ Der Besitzer zog ein Gesicht. „Weißt du, ihm sähe ich viel lieber auf den Rücken. Der Kerl ist undurchsichtig, und ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll. Er hat einige Kerle bei sich, die mir gar nicht gefallen.“ Joe hätte jetzt sagen können, er kenne diese Burschen, aber er schwieg. Seinen Zusammenstoß mit den Kerlen hatte er dem Vater natürlich verschwiegen. „Er sitzt drüben am Tisch“, fuhr der Wirt fort. „Wenn du mit ihm sprechen willst, sage ich ihm Bescheid.“ „Tue das!“ Ben Cartwright beobachtete, wie der Wirt seinen Auftrag ausrichtete. Lafitte sah zu ihnen herüber und erhob sich. Sekunden später trat er an den Tisch. „Sie wollten mich sprechen?“ Ben Cartwright musterte den hochgewachsenen Mann in dem schwarzen Reitanzug. Sein schwarzes Haar war sorgfältig gescheitelt. Auf seinem ebenmäßigen Gesicht stand ein verbindliches Lächeln, die Augen dagegen blieben kalt. „Mein Name ist Cartwright! – Bitte, nehmen Sie Platz!“ Lafitte setzte sich. „Wir kennen uns von heute morgen“, wandte er sich an Joe. „Nehmen Sie es meinen Leuten nicht übel. Ihre Späße sind nicht immer in meinem Sinn.“ Cartwright warf Joe einen Blick zu. „Ja, ich vergaß dir zu erzählen, Pa…“ „Schon gut!“ Cartwright wandte sich Lafitte zu. „Vielleicht wird es Ihnen komisch erscheinen, aber ich möchte gerne eine Auskunft von Ihnen.“ „Aber, bitte! – Fragen Sie!“ „Sie haben Mr. Orton eine Herde Rinder verkauft“, fuhr Cartwright fort. „Und zwar eine besondere Rasse, die nur ich
hier in der Umgebung züchte. Ich würde gerne erfahren, wo Sie die Rinder kauften.“ Er sah Lafitte an. „Sicher haben Sie einen Kaufvertrag.“ „Selbstverständlich“, lächelte Lafitte. „Ich habe ihn sogar bei mir.“ Er zog seine Brieftasche und nahm das Schriftstück heraus. „Bitte, der Vertrag wurde von einem Cliff Miller unterzeichnet. Er trat mir die Herde für dreitausend Golddollar ab.“ Ben Cartwright studierte den Vertrag, der in allen Punkten rechtskräftig war. „Und woher hat dieser Miller die Herde?“ „Er kaufte sie von einem gewissen Sam Baker oben in den Bergen. Diesen Vertrag habe ich mir natürlich auch aushändigen lassen, um ganz sicherzugehen.“ Lafitte zog ein zweites Schreiben aus der Brieftasche und legte es auf den Tisch. Das Schreiben trug die Unterschrift Sam Bakers, mit dem Vermerk, 3000 Dollar für den Verkauf der Hereford-Rinder erhalten zu haben. Lachend gab Ben Cartwright die Verträge zurück. „Wissen Sie, daß Sie meine Rinder von diesem Miller kauften? Dieser Sam Baker verkauft in meinem Auftrag. Zwar wollte ich die Tiere eigentlich selbst verkaufen, aber so ist Mr. Orton auch zu der Herde gekommen.“ „Na, dann ist alles in Ordnung!“ Lafitte erhob sich. „Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen.“ „Und nehmen Sie meine Neugier nicht übel“, meinte Ben Cartwright. „Aber mir war es zu komisch, daß noch jemand hier in der Gegend mit Hereford-Rindern handelt.“ „Und nehmen Sie mir nicht übel, daß ich tausend Dollar mehr verlangte, als ich bezahlte“, lächelte Lafitte. „Geschäft ist Geschäft.“ „Na, was hältst du von ihm?“ fragte Joe, als sie wieder auf den Pferden saßen.
Ben Cartwright seufzte. „Tja, was soll man davon halten? – Was er sagt, muß stimmen. Er hat die Papiere. Indianer-Bill muß mich falsch verstanden haben. Er hat die Tiere auf die Ranch Sam Bakers getrieben, und der hat sie diesem Miller verkauft.“ Joe erzählte nun, was ihm heute morgen passierte. „Das waren ganz üble Burschen, Pa. Wäre dieser Lafitte nicht dazwischengekommen, hätte die Sache schlimm ausgehen können. Ich hätte den Whisky nicht getrunken.“ „Stecke deine Nase nicht immer in den Saloon.“ Das war alles, was Ben Cartwright dazu zu sagen hatte. Joe sah ihm aber an, daß er sich Gedanken machte. Dieser Lafitte schien ihm nicht besonders gefallen zu haben.
Neue Überraschungen
Nach ihrem Besuch auf der Baker-Ranch waren Hoss und Jerry zur Hütte zurückgekehrt. Bis zum Mittag wollten sie noch bleiben, weil sich Hoss noch einmal nach Indianer-Bill umsehen wollte. Vielleicht hielt er sich bei dem alten Morgan auf. Morgan besaß eine Hütte in der Nähe des Passes. Er war mit Indianer-Bill befreundet, und der Mischling begleitete ihn oft in die Berge. Morgan kehrte dann stets mit einem Ledersäckchen Nuggets zurück, die er im Saloon gegen gute Golddollars eintauschte. Indianer-Bill verlor nie ein Wort darüber, wo er mit Morgan gewesen war. Es stand aber fest, er mußte den Claim des Alten kennen. Seit vielen Jahren war in dem Gebiet um Virginia City kein Gold mehr gefunden worden. Nur der alte Morgan besaß eine geheime Schürfstelle. Das war in Virginia City bekannt. So ging auch das Gerücht um, der Alte könne, wenn er wolle, ganz Virginia City aufkaufen. Wenn Morgan davon hörte, lachte er nur und meinte, er sei ein alter Mann. Was er noch zum Leben brauche, sei nicht viel. Doch das glaubte ihm niemand. Morgan war als geizig bekannt, und für viele stand fest, daß er für seinen Lebensabend genug Nuggets gehortet hatte. Er hätte sich leicht ein schönes Haus in der Nähe der Stadt bauen können, um dort den Lebensabend zu verbringen. Statt dessen lebte er mit seinem verwilderten Hund in der Hütte an der Paßstraße und kam nur in die Stadt, um Nuggets einzutauschen und Einkäufe zu erledigen.
Viele hatten versucht, Morgan in die Berge zu folgen, um die Schürfstelle des Alten zu erkunden. Jedesmal waren sie aber von dem Hund entdeckt worden, der von Morgan vermutlich darauf dressiert war, geheime Beobachter aufzuspüren. Hoss sah sich jedoch in seiner Vermutung getäuscht. Die Hütte des alten Morgan war verschlossen. Indianer-Bill war also nicht bei ihm. So machten sich Hoss und Jerry eine halbe Stunde später auf den Weg ins Tal. Kurz vor Dunkelheit trafen sie auf der Ponderosa ein. Jerry wollte sich hier verabschieden, doch Hoss ließ das nicht zu. „Du kannst einige Tage bei uns bleiben“, bot er Jerry an. „Mein Vater wird sich bestimmt freuen und mein Bruder ebenfalls.“ „Natürlich nehme ich dankend an“, antwortete Jerry. „Aber ich möchte mich nicht aufdrängen.“ Ben Cartwright stand bereits in der Tür, als sie von den Pferden stiegen. „Ist Indianer-Bill nicht mitgekommen?“ erkundigte er sich sofort. „Nein, Pa! – Ich habe Bill überhaupt nicht gesehen“, erwiderte Hoss und reichte seinem Vater die Hand. „Aber ich habe Neuigkeiten für dich, die nicht sehr erfreulich sind.“ Cartwright musterte Jerry, und dieser stellte sich mit einer leichten Verbeugung vor. „Mein Name ist Cox, Jeremias Cox, aber Sie können ruhig Jerry zu mir sagen, Mr. Cartwright.“ „Ich traf Jerry in der Hütte an der Quelle“, erklärte Hoss. „Er will nach Virginia City, und ich dachte, er könnte vielleicht einige Tage bei uns bleiben, bis er dort ein Zimmer gefunden hat. Jerry schreibt Geschichten für Zeitungen und will sich hier bei uns umsehen.“
„Dann seien Sie mir willkommen, Jerry!“ Ben Cartwright reichte ihm die Hand. „Hop Sing wird Ihnen ein Zimmer herrichten.“ „Ja, ich fül jungen Helln Zimmel hellichten“, echote Hop Sing, der plötzlich im Raum stand. „Vielleicht abel elst etwas essen? – Ich haben junges Hund mit Leis, plima, plima!“ „Er meint natürlich Huhn“, sagte Hoss lachend, und zu Hop Sing gewandt, meinte er: „Wir können ganz gut einen Happen gebrauchen.“ „Sofolt, Mistel Hoss!“ Hop Sing verschwand eilig in der Küche, und zehn Minuten später mußte Jerry feststellen, daß „Hund mit Leis“ ein ganz vorzügliches Gericht war. Inzwischen hatte Hoss dem Vater berichtet, was auf der Baker-Ranch geschehen war. „Also hat Sam den Vertrag mit diesem Miller unterzeichnet, aber keinen Cent bekommen“, stellte Ben Cartwright kopfschüttelnd fest. „Das verstehe ich nicht.“ „Das Geld sollte auf der Ponderosa dir übergeben werden“, erklärte Hoss. „Indianer-Bill ist mit den Männern ins Tal geritten.“ „Hier war aber niemand.“ Hoss hob die Schultern. „Sam Baker bestreitet, das Geld bekommen zu haben.“ „Davon bin ich sogar überzeugt“, nickte Cartwright. „Nun will ich dir mal erzählen, was wir inzwischen herausbekommen haben. Joe kam durch einen Zufall darauf.“ Hoss hörte sich den Bericht seines Vaters stumm an. Er schüttelte immer wieder den Kopf. „Dann hat dieser Mr. Lafitte also viertausend Golddollar von Orton für unsere Rinder kassiert?“ „So ist es“, nickte Ben Cartwright.
„Ich will mich nicht einmischen“, sagte Jerry vom Tisch her. „Aber würden Sie mir einmal beschreiben, wie dieser Lafitte aussieht? Sie haben ihn doch gesehen, nicht wahr?“ „Ich habe mit ihm verhandelt“, nickte Cartwright. „Warum wollen Sie das wissen?“ „Vielleicht kann ich Ihnen später die Antwort darauf geben.“ „Nun, er war ziemlich groß, schwarzes Haar…“ „…und er trug ein schwarzes Reitjackett mit einer grauen Weste“, führte Jerry den Satz weiter. „Sein Revolvergürtel war nach mexikanischer Art mit Silberknöpfen verziert. – Na, stimmt’s, Mr. Cartwright?“ Hoss’ Vater richtete sich unwillkürlich in seinem Sessel auf. „Ja, genau! – Woher wissen Sie das?“ „Weil Mr. Miller, der die Rinder von Sam Baker auf die etwas ungewöhnliche Weise, nämlich unter Druck, kaufte, genauso aussieht.“ „Ja, Pa, das stimmt“, fiel Hoss ein. „Sam Baker hat ihn uns so beschrieben.“ Ben Cartwright sah von einem zum anderen. „Und – was wollt ihr damit sagen?“ Jerry lächelte. „Sehr einfach, Mr. Cartwright. Dieser Lafitte ist Miller – oder umgekehrt. Durch die fingierten Verträge ist er aber gesichert, und niemand kann ihm einen Betrug nachweisen. Außer Sam Baker und Indianer-Bill hat Miller niemand gesehen.“ „Richtig“, sagte Hoss. „Es gibt gar keinen Mr. Miller.“ „Dann wäre dieser Lafitte also ein Betrüger“, stellte Cartwright fest. „Sagen Sie, Jerry, wie sind Sie darauf gekommen?“ „Das weiß ich selbst nicht“, lächelte Jerry. „Ich habe nur etwas nachgedacht. Es kann aber gar nicht anders sein, weil die Personenbeschreibung übereinstimmt. Um den Kerl zu
überführen, brauchen wir jetzt jemanden, der ihn als Miller identifiziert. Das wäre Indianer-Bill oder Sam Baker selbst.“ „Tja, das ist richtig“, überlegte Ben Cartwright. „In diesem Falle könnte der Sheriff sofort eingreifen. – Also, ich bin überrascht, Jerry. Ihre Gedanken sind folgerichtig wie bei einem Detektiv. Besser könnte es Mr. Pinkerton nicht machen.“ „Nicht wahr?“ freute sich Hoss. „Er ist überhaupt ein toller Kerl.“ „Halb so schlimm“, wehrte Jerry bescheiden ab. „Hoss regt sich zum Beispiel darüber auf, daß ich keine Revolver trage. Ich meine, das ist eine Lebensversicherung, weil niemand auf einen Waffenlosen schießt. Er hat es ja nicht nötig, denn von ihm droht keine Gefahr.“ „Aus diesem Blickwinkel habe ich das Revolvertragen noch gar nicht betrachtet“, lachte Ben Cartwright. „Ich muß feststellen, Sie sind ein heller Kopf, Jerry.“ „Danke, Mr. Cartwright! Ich wünschte, mein Vater könnte das hören. Er sagte immer: ,Jeremias, du bist das schwarze Schaf in der Familie. Du wirst es zu nichts bringen, weil es dir an Beständigkeit mangelt. Jedermann muß einer geregelten Arbeit nachgehen.’“ Jerry zog ein Gesicht. „Wenn ich mir das nur vorstelle, werde ich gleich müde.“ „Ich glaube, Sie übertreiben, Jerry!“ Ben Cartwright sah ihn kopfschüttelnd an. „Wissen Sie, ich habe mir in meinem Leben ein wenig Menschenkenntnis angeeignet. Sie fahren da bei mir gar nicht schlecht. Ich kenne meine Leute.“ In diesem Moment betrat Joe den Raum. „Das ist mein zweiter Sohn“, stellte Cartwright Joe vor. „Und das ist Jerry Cox. Hoss hat ihn in den Bergen aufgelesen. Ich glaube, du wirst dich gut mit ihm verstehen. Jerry wird einige Tage bei uns bleiben.“
Joe legte seinen Revolvergürtel ab. Dann reichte er Jerry die Hand. „Ich heiße Joe.“ Er wandte sich aber sofort an seinen Vater, nachdem er auch Hoss begrüßt hatte. „Was ist mit der Herde?“ „Mr. Lafitte ist ein Gauner. Damit ich dir das aber begreiflich machen kann, mußt du dich erst einmal setzen.“ Das tat Joe, und Ben Cartwright weihte seinen Jüngsten in die Geschichte ein. Joe hörte sich alles stumm an. „Und du bist völlig sicher, daß Sam Baker das Geld nicht bekommen hat?“ „Darüber besteht gar kein Zweifel, verstehst du?“ Ben Cartwright hob die Hand. „Ja, ich weiß, du magst ihn nicht, weil er dich immer wie einen kleinen Jungen behandelt.“ „Ich weiß vor allem, daß er einen Haufen Schulden hat“, erwiderte Joe. „Und was tut ein Mann nicht alles, wenn ihm das Messer an der Kehle sitzt. Ich halte Baker nicht für so dumm, einen Vertrag zu unterschreiben, wenn er das Geld nicht bekommen hat.“ „Ach, höre nicht auf ihn, Pa“, fiel Hoss ein. „Sam Baker hat das Geld nicht bekommen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“ „Davon bin ich auch überzeugt.“ Cartwright sah Jerry an. „Sind Sie nicht auch der Meinung?“ „Ich bleibe bei meiner Auslegung“, antwortete Jerry. „Lafitte ist Miller.“ Joe warf ihm einen geringschätzigen Blick zu. „Ich würde da nicht so sicher sein. – Ich mache euch aber einen Vorschlag. Wir fragen Lafitte, wo wir diesen Miller erreichen können, und lassen ihn uns von ihm beschreiben.“ „Nicht schlecht!“ Jerry nickte Ben Cartwright zu. „Man könnte sehen, wie er darauf reagiert.“ Ben Cartwright überlegte eine Weile. „Gut, fragt ihn.“ „Jetzt noch?“ fragte Hoss erstaunt.
Joe griff nach seinem Revolvergürtel. „Dann bringe du nur dein Fett zu Bett. Ich reite in die Stadt und werde ihn irgendwo auftreiben.“ „Vielleicht darf ich dich begleiten“, sagte Jerry. „Mir tut die Abendluft ganz gut, und ich könnte mich gleich mal in Virginia City umsehen.“ „Dann komme ich auch mit.“ Hoss griff nach seinem Hut und legte den Revolvergürtel um. „Und du?“ fragte Joe. Er sah Jerry an. „Er trägt keinen Gürtel“, erklärte Hoss. „Was sollte ihm in Virginia City schon passieren?“ „Dafür nehme ich aber mein Banjo mit“, lächelte Jerry. „Vielleicht kann ich mir ein paar Dollar verdienen.“ Joe zog ein Gesicht, aber er sagte nichts. Man sah ihm an, er wäre viel lieber ohne Jerry in die Stadt geritten.
Im Saloon-Hotel wurden die Brüder Cartwright und ihr Begleiter mit großem Hallo empfangen. Es war selten, daß sie sich zu dieser späten Stunde hier sehen ließen. „He, Joe, was hast du denn da für ein Greenhorn mitgebracht? Das will doch nicht etwa Whisky trinken?“ rief ein dicker Cowboy. „Ich werde ihm gleich ein Glas Milch bestellen.“ Der Witz zündete wie eine Bombe. Alles lachte. Joe sah, daß auch der Narbige und seine Kumpane an der Theke standen. Lafitte saß im Hintergrund mit einigen Männern beim Pokerspiel. Er sah nur kurz auf. „Ist er das?“ fragte Hoss seinen Bruder. „Ja“, antwortete Joe. Hoss sah zu dem Tisch hinüber. „Der Kerl gefällt mir nicht.“
„Kümmere dich gefälligst um deinen Jerry“, erwiderte Joe. „Ich bin überzeugt, sie werden ein Späßchen mit ihm vorhaben.“ Das Späßchen sollte auch sehr bald kommen, denn der Narbige, mit dem Joe schon seine Erfahrungen gemacht hatte, trat Jerry in den Weg. „Na, wen haben wir denn da?“ fragte der Narbige freundlich, aber mit einem bösen Unterton in der Stimme. „Es muß schon ein ausgewachsenes Greenhorn sein, das hier ohne Waffen herumläuft.“ „Wieso?“ fragte Jerry und schlug einige Saiten auf seinem Banjo an. „Ich will niemandem etwas tun. Wozu brauche ich da eine Waffe?“ Die Männer an der Theke grölten vor Freude. Joe und Hoss sahen dem Spiel mit gemischten Gefühlen zu. „Wir müssen ihn heraushauen, wenn ihm dieser Kerl etwas will“, flüsterte Hoss seinem Bruder zu. „Er ist unser Gast.“ „‘ne schöne Flasche hast du dir da angelacht.“ „Und wenn dir nun jemand etwas tun will?“ fragte der Narbige zur größten Freude aller Anwesenden. „Was tust du dann?“ „Dann zaubere ich mir zwei Revolver“, erwiderte Jerry zur größten Überraschung von Hoss und Joe. „Wollen wir uns das mal zeigen lassen?“ fragte der Narbige die Umstehenden. Die Kerle an der Theke grölten vor Vergnügen. „Nur zu“, forderte der Narbige. „Schön!“ Jerry hing sein Banjo über die Schulter. „Achte bitte auf meine rechte Hand“, forderte er den Narbigen auf. Er vollführte mit der Rechten eine Kreisbewegung. Der Narbige starrte auf die Hand, während ihm Jerry mit der Linken die rechte Waffe aus dem Halfter zog. „Und jetzt achte auf meine Linke!“
Das tat der Narbige, und Jerry zog ihm mit der Rechten die linke Waffe aus dem Gürtel. So sah der Narbige plötzlich zwei Revolver in Jerrys Händen. Doch bevor er in den Waffen seine eigenen erkannte, trat Lafitte in den Kreis der Umstehenden. „Ausgezeichnet, junger Mann!“ Jerry reichte dem Narbigen die Waffen zurück. „Und jetzt möchte ich Ihnen einige lustige Lieder vorsingen“, wandte er sich an die Anwesenden. „Sollte Ihnen mein Vortrag gefallen, so sind Ihrer Spendefreudigkeit keine Grenzen gesetzt.“ Er legte seinen umgestülpten Hut auf den Tisch. Während Jerry mit seinem Vortrag begann, warf ihm Lafitte einen Zehndollarschein in den Hut. Die anderen Männer folgten seinem Beispiel. Hoss und Joe hatten die Szene mit angehaltenem Atem verfolgt. „Ihr Freund scheint ein Spaßvogel zu sein“, sagte Lafitte zu Joe. Er wollte zu seinem Tisch gehen, aber Joe hielt ihn zurück. „Einen Moment, Mr. Lafitte“, sagte Joe. „Ich möchte mich mit Ihnen über diesen Mr. Miller unterhalten. Sie zeigten meinem Vater und mir einen Vertrag über den Viehkauf. Dieser Mr. Miller hat unseren Beauftragten nicht bezahlt. Könnten Sie mir sagen, wo ich ihn erreichen kann?“ Lafitte sah ihn überrascht an. „Woher soll ich das wissen? Ich kenne diesen Mr. Miller nicht weiter.“ „Könnten Sie mir dann sein Aussehen beschreiben?“ „Tja, wie sah er aus?“ Lafitte überlegte eine Weile. „Er war schwarzhaarig, trug ein ähnlich aussehendes Reitjackett wie ich und einen mexikanischen Revolvergürtel.“ „So wie Sie?“ fragte Hoss. „Ähnlich“, nickte Lafitte. „An weitere Einzelheiten kann ich mich nicht erinnern.“
„Unser Beauftragter kommt morgen auf unsere Ranch“, fuhr Joe fort. „Er möchte sich noch einmal mit Ihnen über diesen Mr. Miller unterhalten. Wäre das möglich?“ „Natürlich“, lächelte Lafitte. „Ich wüßte zwar nicht, was ich ihm noch sagen könnte, aber bitte.“ „Na, siehst du“, wandte sich Joe an seinen Bruder. „Es gibt mehr Leute, die ein dunkles Reitjackett und einen mexikanischen Revolvergürtel tragen. Er hätte bestimmt nicht die Angaben gemacht, wenn er dieser Miller selbst wäre. Dazu holen wir morgen Sam Baker auf die Ponderosa, und Lafitte ist sogar bereit, mit ihm zu sprechen.“ „Du magst recht haben, Joe“, meinte Hoss. „Trotzdem habe ich das Gefühl, er macht uns etwas vor. Der Kerl ist so glatt wie eine Schlange. Hast du seine Augen gesehen, wie du ihm erklärtest, Sam Baker wolle mit ihm sprechen?“ „Er hätte von diesem Miller eine ganz andere Beschreibung geben können, um uns auf eine falsche Fährte zu führen“, erwiderte Joe. „Das tat er vielleicht nicht, weil er annimmt, Sam Baker könnte uns diesen Mr. Miller beschrieben haben“, folgerte Hoss. „Er weiß doch, daß wir mit Baker gesprochen haben. Der Kerl ist nur raffiniert, sonst nichts.“ „Einer spielt jedenfalls falsch“, sagte Joe. „Lafitte oder Sam Baker. Pa ist diesem Baker gegenüber viel zu vertrauensvoll. Ich kann mir über die ganze Angelegenheit wirklich kein Urteil mehr erlauben.“ Inzwischen hatte Jerry seine musikalische Darbietung beendet. Er bekam großen Beifall und kam freudestrahlend an den Tisch, an dem Joe und Hoss Platz genommen hatten. „Du, das mit dem Revolverzaubern war ein tolles Ding“, lachte Hoss. „Hast du noch mehr solche Tricks auf Lager?“ „Nein, aber Augen im Kopf“, erwiderte Jerry. „Was habt ihr Lafitte erzählt?“
Joe erklärte es ihm. „Er hat zwei seiner Leute mit einem Auftrag fortgeschickt, gleich nachdem er mit euch gesprochen hatte.“ Joe sah ihn an. „Und?“ „Das habe ich nur festgestellt. Ihr könnt euch ja euren Reim darauf machen.“ Jerry hob die Schultern. „Mich geht die Sache eigentlich gar nichts an.“ „Das alles wird sich sehr schnell klären, wenn wir Lafitte Sam Baker gegenüberstellen.“ Joe ging zur Theke und bezahlte. Dann winkte er Hoss und Jerry. Als sie an der Sheriff-Station vorbeiritten, war das Fenster hell erleuchtet. Hoss hielt unwillkürlich sein Pferd an. „Komm schon“, forderte Joe. „Pa wird schon auf uns warten.“ „Moment mal“, erwiderte Hoss und betrachtete den flachen Einspänner, der vor der Tür der Sheriff-Station stand. Auf ihm lag eine mit Decken umhüllte Gestalt. Jetzt wurde auch Joe aufmerksam. Er ritt neben seinen Bruder. In diesem Moment öffnete sich die Tür der Sheriff-Station, und Ted Turner, einer der Hilfssheriffs, kam mit mehreren Männern heraus. „Ist etwas passiert?“ fragte Joe. „Ihr kommt wie gerufen“, erwiderte der Hilfssheriff. „War Indianer-Bill nicht euer Wachmann auf den Bergweiden?“ „Ja“, sagte Joe ahnungsvoll. „Warum fragst du?“ „Dann steigt mal ab; ihr könnt ihn gleich identifizieren.“ Der Hilfssheriff schlug die Decke beiseite. Hoss und Joe stiegen von den Pferden und traten an den Wagen heran. Turner hob eine Stall-Laterne hoch. „Ist er das?“
Die Gestalt, die auf dem Wagen lag, war ohne Zweifel der Indianermischling. Hoss schluckte. „Ja, Ted, er ist es.“ „Wo habt ihr ihn gefunden?“ fragte Joe. „In der Nähe der Morgan-Hütte“, erklärte der Hilfssheriff. „Er hat drei Schüsse aus einem Neunmillimeter-Colt im Rücken. Der Doktor hat das bereits festgestellt. Außerdem hat man ihm die Fußsohlen über ein Feuer gehalten.“ „Zum Teufel, warum?“ fragte Joe. „Da fragst du mich zuviel.“ Ted Turner zog die Decke über den Toten. „Offenbar wußte er etwas, was andere von ihm erfahren wollten. Da haben sie mit dem Feuer ein wenig nachgeholfen. Kommt morgen in die Station, dann könnt ihr das Erkennungsprotokoll unterschreiben“, forderte der Hilfssheriff. „Jedenfalls ist das eine verdammte Schweinerei. Aus unserer Gegend war das niemand, darauf nehme ich meinen Eid.“ Wortlos stiegen die Cartwrights wieder in den Sattel. „Einer weniger, vor dem sich Lafitte fürchten müßte“, sagte Jerry. „Du bist ziemlich sicher, daß dieser Lafitte auch damit etwas zu tun hat“, meinte Joe. „Ich bin gespannt, was Pa sagen wird“, fügte Hoss hinzu. In der Nacht wachte Hoss plötzlich auf. Irgendein Geräusch hatte ihn geweckt. In den ersten Abendstunden schlief er nie sehr tief, und das war es wohl, warum er morgens nie aus den Federn konnte. Hoss richtete sich in seinem Bett auf und lauschte. Das Geräusch schien aus der nebenan liegenden Kammer zu kommen, und die hatte Hop Sing für Jerry hergerichtet. Vermutlich konnte Jerry in dem fremden Bett nicht schlafen. Hoss hörte, wie die Tür geöffnet wurde, dann gingen leise Schritte über den Korridor an seiner Zimmertür vorbei. Die
Treppenstufen der nach unten führenden Treppe knarrten, und Hoss hörte sogar, daß die Außentür geöffnet wurde. Schnell schlüpfte er aus seinem Bett und trat ans Fenster. Draußen war es mondhell. Er konnte den ganzen Hof übersehen. Ja, es war Jerry, der aus dem Haus kam. Hoss trat sofort vom Fenster zurück und stellte sich hinter die Gardine. Er mußte feststellen, was Jerry um diese Zeit im Hof zu suchen hatte. Jerry war vollständig angezogen. Er sah noch einmal zum Haus zurück und huschte dann schnell in den Stall. Kurze Zeit später führte er seinen Fuchs hinaus. Das Pferd war bereits gesattelt. Zu seiner größten Überraschung stellte Hoss fest, daß Jerry jetzt einen Revolvergürtel mit zwei schweren Colts trug. Er führte das Pferd an der Trense vom Hof und schwang sich draußen in den Sattel. Im Galopp preschte er in die Nacht hinaus. Gedankenvoll kletterte Hoss wieder ins Bett. Er nahm sich vor, auf die Rückkehr Jerrys zu warten, war aber dann doch eingeschlafen. Am nächsten Morgen weckte ihn Hop Sing auf die gewöhnliche Weise. „Mistel Hoss, Sie bitte sofolt aufstehen“, sagte der Chinese. „Kaffee plima, plima! Ich machen zum Flühstück eine gute Hafelblei und hintelhel Eiel…“ Wie eine Rakete schoß Hoss im Bett hoch, und Hop Sing flüchtete eilig zur Tür hinaus, in Erwartung, daß ihm ein Stiefel nachgeworfen wurde. Von draußen fuhr er fort: „Hop Sing alles lichtig gesagt. Flühstück wilklich plima, plima!“ So schnell war Hoss noch nie angezogen. Er rasierte sich aber nicht, sondern schlich zu der Zimmertür, hinter der Jerry schlief. Er öffnete sie vorsichtig und schaute hinein.
Jerry schlief friedlich in seinem Bett, als wäre er nie fortgewesen. Hoss überlegte tatsächlich, ob er das Ganze nicht geträumt habe. Er war sich dessen nicht ganz sicher. Als er die Tür schließen wollte, wurde Jerry wach. Er hob den Kopf und sah Hoss in der Tür stehen. „Hallo! Schon Zeit zum Aufstehen?“ Jerry richtete sich in seinem Bett auf. „Noch Zeit“, lächelte Hoss. „Ich wollte nur mal nach dir sehen. Gut geschlafen?“ „Wie ein Bär im Winterschlaf“, lächelte Jerry. „Ich bin dir wirklich dankbar, daß ich einige Tage bei euch bleiben kann. Im Saloon-Hotel hätte ich ein solches Bett nicht bekommen.“ Hoss nickte ihm zu und schloß die Tür. Draußen überlegte er noch einmal, ob er das alles nicht geträumt habe. Wenn es Wirklichkeit gewesen war, wo konnte Jerry in der Nacht gewesen sein? Darauf fand er keine Antwort. Little Joe und der Vater saßen schon beim Frühstück, als Hoss herunterkam. Bald darauf tauchte auch Jerry auf. „Entschuldigen Sie, Mr. Cartwright“, meinte er nach der Begrüßung. „Ich habe so gut geschlafen, daß ich überhaupt nicht wach werden konnte. Ich werde mich bessern.“ „Lassen Sie es gut sein, Jerry“, erwiderte Cartwright. „Ich will nur hoffen, daß es Ihnen bei uns gefällt.“ Während Hoss aß, mußte er Jerry immer wieder ansehen. Er hatte Jerry in der Nacht mit einem Revolvergürtel gesehen. Wenn es Tatsache gewesen war, so konnte Jerry die Revolver nur in seinem Proviantsack versteckt haben. Aber was bedeutete das alles? Hoss sah keinen Sinn in allem, und immer wieder drängte sich ihm die Frage auf: Wo war Jerry in dieser Nacht gewesen?
„Ich habe einen Entschluß gefaßt“, erklärte Ben Cartwright, nachdem sie das Frühstück beendet hatten. „Der Tod IndianerBills läßt mir keine Wahl. Ich werde nicht ruhen, bis ich den Mann, der ihn umbrachte, gestellt habe.“ So kannten Hoss und Joe ihren Vater nicht. Ben Cartwright war kein Mann von Gewalttätigkeit, und wenn er eine Fehde auszufechten hatte, versuchte er stets, die Lösung auf gütlichem Wege zu finden. Diesmal schien es aber anders zu sein. Cartwright hatte nicht vor, den Sheriff in diese Sache hineinzuziehen. „Könnt ihr euch erklären, wer etwas aus Indianer-Bill herauslocken wollte?“ wandte er sich an seine Söhne. „Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht, Pa“, sagte Hoss. „Mir ist da ein Gedanke gekommen. Du weißt, daß Indianer-Bill den alten Morgan oft in die Berge begleitete. In der Stadt sind sie alle der Ansicht, Indianer-Bill wisse, wo Morgans Schürfstelle ist. Vermutlich hat das jemand in Erfahrung gebracht und Indianer-Bill unter Druck setzen wollen.“ Ben Cartwright sah auf. „Und wer könnte das sein? – Wir wissen, daß Indianer-Bill mit den Leuten von Miller zuletzt gesehen worden ist. Angeblich wollte man zur Ponderosa, um mir das Geld für die Rinder zu übergeben. Auf diesem Wege hat man ihn umgebracht.“ „Wir müssen also herausfinden, wer dieser Miller ist und wo er sich aufhält“, sagte Little Joe. „Daß Miller mit diesem Lafitte identisch ist, steht für mich noch nicht fest. Meine Gründe habe ich erklärt.“ „Aber nicht mir“, wandte der Vater ein. „Er meint, Lafitte hätte eine andere Beschreibung Millers geben können“, erläuterte Hoss. „Wenn er wirklich Miller
wäre, so würde er niemals sein eigenes Aussehen auch noch beschreiben.“ „Es sei denn, er glaubt, Sam Baker habe uns bereits eine Beschreibung von Miller gegeben“, überlegte Ben Cartwright. „In diesem Falle muß er zwangsläufig Miller so beschreiben, wie ihn Sam Baker gesehen hat. Sonst würde jeder sofort mißtrauisch. Er kann sich also nur selbst beschreiben, wenn er dieser Miller ist.“ Jerry nickte zustimmend. „Was haben Sie jetzt vor?“ „Wir alle reiten zur Baker-Ranch und holen Sam Baker in die Stadt, um ihn Lafitte gegenüberzustellen“, erklärte Ben Cartwright. „Dann wird sich alles herausstellen, und in diesem Falle wissen wir auch, wer Indianer-Bill auf dem Gewissen hat. Vielleicht ist es noch früh genug, einen Anschlag auf den alten Morgan abzuwenden. Offenbar interessieren sich einige Leute für ihn.“ Little Joe schob seinen Teller zurück. „In Ordnung, Pa! – Kommt, reiten wir sofort los!“ „Verzeihen Sie, Mr. Cartwright“, sagte Jerry. „Nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich nicht mitkomme. Ich möchte mich mal in Virginia City umsehen. Vielleicht kann man mich bei der Zeitung gebrauchen.“ „Sie können tun und lassen, was Sie wollen, Jerry. Sollten Sie beim Virginia Star vorbeigehen, so bestellen Sie Mr. Worman einen Gruß. Vielleicht nützt das etwas.“ „Danke, Mr. Cartwright! Das werde ich nicht vergessen.“ Hoss hatte inzwischen die Pferde auf den Hof geführt. Paiute war bereits gesattelt, als die Männer aus dem Haus kamen. Ben Cartwright beobachtete, wie Jerry seinem Fuchs den Sattel auflegte. Dabei bemerkte er das Brandzeichen auf der Kruppe. „Sagen Sie, Jerry, wie kommen Sie an ein Armeepferd?“
„Ein Armeepferd?“ fragte Jerry zurück. „Wie kommen Sie darauf?“ „Der Fuchs trägt als Brandzeichen einen Stern, und das ist das Zeichen der Armee.“ „Das wußte ich nicht.“ Jerry schüttelte lachend den Kopf. „Darum kümmere ich mich nicht. Ich kaufte das Pferd von einem armen Teufel, der es mir nahezu aufdrängte. Er nahm dafür meinen alten Klepper, und ich zahlte ihm noch etwas drauf.“ „Hoffentlich bekommen Sie keine Schwierigkeiten. Die Armee verkauft im allgemeinen keine Pferde an Zivilisten. Haben Sie wenigstens eine Bestätigung für den Kauf?“ „Ach, du liebe Güte! Der Kerl konnte bestimmt nicht mal schreiben.“ Jerry schwang sich in den Sattel. „Bis dann! – Hoffentlich haben Sie bei Sam Baker Erfolg.“ Joe sah dem Davonreitenden mit zusammengekniffenen Augen nach. „Was hältst du von ihm, Pa? – Ich weiß nicht, mir kommt der Kerl komisch vor. Wozu braucht er die Bullpeitsche am Sattelknopf?“ „Ach, das sind Äußerlichkeiten“, erwiderte Ben Cartwright. „Mir scheint er nur etwas leichtsinnig zu sein.“ „Weil er keine Revolver trägt?“ „Nicht nur deshalb.“ Hoss war neben den Vater und Joe getreten. Er mußte daran denken, was er in der Nacht beobachtet hatte. Wo war Jerry gewesen? Was wußte er überhaupt von ihm? War Jerry wirklich der Mann, für den er sich ausgab? Von seinen Beobachtungen erzählte er natürlich nichts. Zehn Minuten später waren die Cartwrights auf dem Weg zur Baker-Ranch. An der Abzweigung nach Virginia City stießen sie auf drei Reiter, die aus der Stadt kamen. „Moment mal!“ Ben Cartwright hielt sein Pferd an. „Das ist doch dieser Jean Lafitte.“
„Ja, stimmt, Pa!“ Little Joe ritt neben den Vater. „Und die beiden Kerle kenne ich auch. Sie waren im Saloon-Hotel, als mir der Kerl den Whisky aufdrängen wollte.“ „Offenbar wollen sie in die Berge“, stellte Ben Cartwright fest. „Sollte mich gar nicht wundern, wenn sie das gleiche Ziel hätten.“ Lafitte hatte mit seinen Leuten bereits den Pfad ins Gebirge eingeschlagen, aber da hielt er plötzlich sein Pferd zurück. „Sie haben uns bemerkt“, sagte Hoss. „Seht, sie kehren um.“ Tatsächlich wendeten die Reiter ihre Pferde und kamen den Cartwrights entgegen. „Jetzt bin ich gespannt, was er uns sagen wird“, meinte Ben Cartwright. Er trieb sein Pferd an, und seine Söhne folgten ihm. „Hallo, Mr. Cartwright!“ Lafitte zügelte seinen Rappen, der erregt zu tänzeln begann. „Ich hörte, Sie haben: Schwierigkeiten mit diesem Mr. Miller.“ „Er hat meinen Beauftragten nicht bezahlt“, erwiderte Ben Cartwright. „Ich möchte wissen, wo ich ihn erreichen kann, aber Sie konnten meinem Sohn darüber auch keine Auskunft geben. Dreitausend Golddollar sind ‘ne Menge Geld.“ „Tut mir furchtbar leid. Sollte ich etwas erfahren, werde ich Sie sofort benachrichtigen.“ „Und dann ist noch etwas passiert, Mr. Lafitte“, fuhr Ben Cartwright fort. „Mein Wachmann, der diesen Miller und seine Leute zur Ponderosa begleitete, wurde erschossen aufgefunden.“ Lafitte schüttelte den Kopf. „Davon weiß ich nichts. Glauben Sie, daß dieser Miller…“ „Wer es war, ist völlig gleichgültig“, fiel ihm Ben Cartwright in die Rede. „Jedenfalls werde ich nicht eher ruhen, bis ich diesen Kerl gefunden habe. Ich bin sonst ein recht friedliebender Mensch, und das wird Ihnen jeder bestätigen,
aber diesmal lasse ich den Sheriff aus dem Spiel. Ich werde diesen Kerl finden, und wenn ich ihn in der Hölle suchen müßte.“ „Ich kann Ihnen dazu nur Erfolg wünschen“, lächelte Lafitte. „Wie gesagt, sollte ich etwas von diesem Miller erfahren, werde ich Sie sofort benachrichtigen. Mir ist das alles genauso unangenehm, aber ich bin schließlich durch die Verträge gedeckt.“ „Natürlich“, nickte Ben Cartwright. „Ihnen mache ich auch keinen Vorwurf. So, jetzt wollen wir mal sehen, wie das zündete“, lächelte Ben Cartwright, als Lafitte und seine Begleiter davonritten. „Was meinst du damit, Pa?“ fragte Joe. „Das wirst du bald erfahren.“ „Sie reiten in die Stadt zurück“, stellte Hoss fest. „Bist du dessen so sicher?“ Cartwright wandte sich an Joe. „Hör zu, Junge! – Ich reite mit Hoss weiter ins Gebirge. Du bleibst zurück und beobachtest den Weg. Sollte Lafitte mit seinen Männern zurückkommen, folgst du uns sofort. Wir warten auf dich bei den Eagle Rocks.“ „In Ordnung, Pa!“ Viel früher als Ben Cartwright erwartet hatte, kam ihnen Joe nachgeritten. „Sie sind sofort umgekehrt, als wir außer Sichtweite waren“, berichtete Joe. „Sie sind direkt hinter uns.“ „Wenn sie an der Paßstraße abbiegen, sind sie vor uns auf der Baker-Ranch“, überlegte Cartwright. „Wir müssen also den direkten Weg durch das Gebirge nehmen, wenn wir vor ihnen dort sein wollen.“ „Den Weg kenne ich“, sagte Hoss. „Das weiß ich“, lächelte der Vater. „Du reitest ihn immer, obwohl ich dich gewarnt habe. Ich habe dir nur nie etwas gesagt.“
Hoss schluckte nur. „So, bitte, zeige uns den Weg!“ forderte Ben Cartwright. „Den kenne ich auch“, sagte Joe. „Ich muß dich enttäuschen. Nicht nur Hoss reitet ihn, ich auch. Wir sparen wenigstens drei Stunden. Lafitte wird ihn kaum kennen.“ „Ja, meine Herren Söhne“, lächelte Ben Cartwright. „Dann muß ich wohl zugeben, daß ich ihn auch kenne. Ich reite ihn nämlich auch.“ „Aber, Pa, der ist doch viel zu gefährlich für dich“, erklärte Hoss besorgt. „Allein kannst du ihn nicht reiten.“ „Ja, das muß ich auch sagen“, stimmte Joe seinem Bruder zu. „Das ist unverantwortlich von dir, Pa.“ „Wollt ihr eurem alten Vater erklären, was er tun und lassen soll?“ Cartwright lachte. „Kommt, Jungs! Dann werde ich euch führen.“ Bald waren die Reiter mitten im Gebirge. Sie waren abgestiegen und führten die Pferde am Zügel. Der Pfad war an manchen Stellen nur einen Meter breit. Links von ihnen zog sich eine Wand haushoch hinauf, und rechts stürzten die Felsen mehrere hundert Meter tief in eine Schlucht. Unten schoß ein Gebirgsbach schäumend über die Felsen. Weit hinten sah man Virginia City im satten Grün der Weiden. Ben Cartwright, der seinen Söhnen vorausging, hielt plötzlich sein Pferd an. Irgendwoher klang Hufschlag durch die Stille der Bergwelt. Auch Joe und sein Bruder blieben stehen. Cartwright hob den Kopf. „Das ist über uns“, stellte er fest. Paiute begann zu schnauben. Offenbar erinnerte er sich an die Klapperschlange. Pferde vergessen nichts. Hoss nahm ihn scharf an der Trense. Über ihnen wurde das Hufgetrappel deutlicher. Jetzt waren die Reiter direkt über ihnen.
Cartwright hob den Kopf. „Vorsicht, Pa!“ brüllte Hoss. Hoch in der Wand wurde ein dumpfes Poltern hörbar. Steinstaub rieselte herab. Bald waren die Reiter von einer weißen Staubwolke eingehüllt. Dann polterten plötzlich faustgroße Steinbrocken an ihnen vorbei. Die Pferde begannen unruhig zu werden. Paiute war von einigen Steinen getroffen worden. Mit großen Augen und schnaubenden Nüstern versuchte er, auf die Hinterhand zu gehen. Hoss konnte ihn kaum halten. Joe kämpfte ebenfalls mit seinem Pferd. „Los, weiter!“ brüllte Ben Cartwright. „Wir müssen den breiten Pfad erreichen, bevor sich die Steinlawine auslöst. Hier sind wir ungeschützt.“ Wie gut der Vater den Bergpfad kannte, sollten seine Söhne bald feststellen. In eine weiße Staubwolke eingehüllt, zerrte Ben Cartwright sein Pferd weiter über den Pfad. Hoss und Little Joe folgten ihm, die Pferde hart an der Trense. Bald wurde der Pfad breiter. Eine Ausbuchtung in der Felswand nahm die Reiter auf. Fest preßten sie sich mit ihren Pferden an die Felsen. Von oben rauschte eine weiße Wolke herab, kleine Steinbrocken folgten. Dann schwoll das Poltern an. In eine gelbe Staubwolke gehüllt, fielen jetzt schwere Steinbrocken über sie hinweg in die Tiefe. Zentnerschwere Steinblöcke donnerten an ihnen vorbei. Der schmale Pfad hinter ihnen war in eine graue Wolke gehüllt. Dort schlugen die schweren Steinblöcke auf und sprangen wie Gummibälle über den Rand der Schlucht. Das Toben dauerte einige Minuten, dann ließ der Steinschlag nach. Bald rieselte nur noch Steinstaub herab. Ben Cartwright wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Alles klar, Pa?“ rief Hoss. „Und ihr?“ fragte Ben Cartwright zurück. Es war alles in Ordnung. Hoss und Joe waren nicht getroffen worden, aber die Pferde hatten etwas abbekommen. Sie waren völlig mit Staub überdeckt, und Paiute mußte von einem spitzen Stein getroffen worden sein. Er blutete am Ohr. An der Quelle legten die Reiter eine Pause ein. Sie reinigten die Pferde, so gut es ging, und Hoss wusch seinem Pferd die Wunde aus. Ben Cartwright starrte nachdenklich vor sich hin. „Was ist, Pa?“ fragte Hoss. „Bist du etwa verletzt?“ „Nein, ich überlege nur, wie es möglich war, daß es Lafitte und seinen Leuten gelang, uns zu überholen. Sie haben die Steinlawine ausgelöst, das steht für mich fest.“ „Über uns liegt das Plateau, das von der Paßstraße zu erreichen ist“, sagte Joe. „Sie müssen bei den Eagle Rocks abgebogen sein, nachdem sie festgestellt haben, daß wir den Weg durch das Gebirge einschlugen.“ „Dann haben wir keine Zeit zu verlieren. Wer unser Feind ist, das wissen wir jetzt. Somit dürfte auch klar sein, wer dieser Miller ist.“ Ben Cartwright sah seine Söhne an. „Oder hat noch jemand von euch Zweifel?“ „Nein, Pa, ich gebe mich geschlagen“, erwiderte Little Joe. „Ich hatte Zweifel, das muß ich zugeben. Die Steinlawine kann sich nicht von selbst ausgelöst haben, und nur Lafitte und seine Leute sind es gewesen.“ Auf der Baker-Ranch war alles in Ordnung. Sam Baker war erfreut, seinen alten Jugendfreund zu sehen. Ben Cartwright ließ sich noch einmal alles genau erklären und erfuhr, daß Indianer-Bill die Herde, genau, wie es ihm aufgetragen worden war, in die Freikorrals getrieben hatte. Von dort brachte er sie aber zur Baker-Ranch, weil, wie er Baker erklärte, einige unbekannte Männer aufgetaucht waren,
die sich für die Tiere interessierten. Sie hätten sich alles angeschaut und seien dann verschwunden. Diese Zeit habe Indianer-Bill ausgenutzt, um die Tiere zur Baker-Ranch zu treiben. Was dann geschehen sei, habe ihm sicher Hoss berichtet. „Ja, das hat er“, sagte Ben Cartwright. „Und ich zweifle nicht daran, daß du kein Geld bekommen hast. Wir kennen auch bereits den Mann, der das alles in die Wege leitete. Dieser Mann nannte sich Miller und ist in Wirklichkeit ein gewisser Lafitte. Sag, würdest du den Mann, der sich Miller nannte, wiedererkennen?“ „Aber natürlich“, erklärte Sam Baker. „Ich habe ihn mir ganz genau angeschaut. Aber auch Indianer-Bill müßte ihn wiedererkennen.“ „Indianer-Bill ist tot“, sagte Ben Cartwright. „Du bist also der einzige Mensch, der diesen Miller gesehen hat, und deshalb komme ich zu dir. Du reitest mit uns jetzt in die Stadt und wirst diesem Lafitte gegenübergestellt. Er soll natürlich nichts davon merken. Ist er dieser Miller, so brauchst du es nur mir zu sagen.“ Sam Baker erklärte sich sofort dazu bereit. Little Joe war während der Unterredung draußen geblieben, um nach Lafitte und seinen Leuten Ausschau zu halten. Ben Cartwright war überzeugt, sie würden über kurz oder lang auf der Baker-Ranch auftauchen, und damit war sogar eine Gefahr für Sam Baker verbunden. Baker war der letzte Zeuge, und Lafitte würde alles daransetzen, um ihn, genau wie IndianerBill, auszuschalten. Das durfte nicht geschehen. Hoss, der ebenfalls nicht mit ins Haus gekommen war, hockte an der Westseite der Ranch auf dem Koppelzaun. Cartwright wollte kein Risiko eingehen.
Als der Vater mit Sam Baker aus dem Haus kam, schlossen sich ihnen Joe und Hoss an. Sie stiegen auf ihre Pferde und nahmen Sam Baker in die Mitte. „Haltet die Augen offen“, riet Ben Cartwright. „Sollten sich die Kerle sehen lassen, dann zögert nicht. Ihr wißt, ich bin sonst gegen jede Gewalt, aber Verbrechern kann man nur mit drastischen Maßnahmen beikommen.“ Sam Baker war sorglos. Er fühlte sich in Begleitung der Cartwrights sicher. Es ging auch alles gut, bis sie zu den Eagle Rocks kamen. Hier türmten sich die Felsen hoch in den Himmel. Von allen Seiten war der Weg, den die Reiter nahmen, einzusehen. Wenn etwas geschah, dann konnte es nur hier passieren. Eine Verfolgung zu Pferde war in diesem Gebiet nicht möglich. Die letzte Krümmung war erreicht, dann lag die Straße nach Virginia City vor ihnen. Ben Cartwright wollte schon aufatmen, aber da fiel direkt über ihnen ein Schuß. Hoss’ Paiute stieg auf die Hinterhand, denn das Projektil war nur haarscharf an seinem Kopf vorbeigesurrt. „Von den Pferden!“ Ben Cartwright riß Sam Baker von seinem Pferd und zog den Alten hinter einen Steinblock. Hoss und Joe sprangen ab, wälzten sich über den Boden, bis sie im Schutz eines Felsens lagen. Mehrere Projektile schlugen in ihrer Nähe ein. Wo saß der hinterhältige Schütze? Little Joe suchte mit den Augen die Felsen ab. Er hielt seinen Colt schußbereit in der Hand. Zwischen den grauen Steinblöcken war nichts zu sehen. „Siehst du ihn?“ fragte er Hoss. „Die Schüsse sind von links gefallen“, sagte Hoss. Er richtete sich etwas auf und deutete auf eine Felsengruppe. „Dort müssen die Kerle sitzen.“
Im selben Moment riß ihm ein Projektil den Hut vom Kopf. „Ich würde mir einen kleineren Hut anschaffen“, lachte Little Joe, obwohl es ihm gar nicht zum Lachen war. Gegen einen unsichtbaren Gegner zu kämpfen, war eine riskante Sache. Der Kerl hatte sie im Visier, während sie nicht einmal wußten, wo er zu suchen war. Hoss schnappte nach seinem Hut und setzte ihn wieder auf. Der Schreck war ihm in die Glieder gefahren, aber langsam kam Wut in ihm auf. „Bleibt ruhig, Jungs“, rief ihnen der Vater zu. „Wenn wir in Deckung bleiben, können sie uns nichts anhaben.“ Hoss hatte jetzt eine Bewegung zwischen den Felsen bemerkt. „Links, Joe, direkt vor dir, dort hocken sie“, rief er seinem Bruder zu. „Erkannt“, sagte Joe und rief seinem Vater zu: „Los, macht euch davon. Wir wissen, wo sie sind. Wir geben euch Feuerschutz.“ Während sie den Felsen unter Feuer nahmen, sprangen Ben Cartwright und Sam Baker auf und eilten zu den Pferden. Sie schwangen sich in den Sattel, aber da fiel ein einzelner Schuß aus einer ganz anderen Richtung. Sam Baker, der bereits den Fuß im Steigbügel hatte, zuckte zusammen, stürzte und blieb mit dem Fuß im Bügel hängen. Sein Pferd galoppierte Ben Cartwrights Fuchsstute nach und zog seinen Reiter im Steigbügel hängend über den Boden hinter sich her. Mit angehaltenem Atem hatten Hoss und Joe das Mißgeschick verfolgt. Von der Felsengruppe aus wurde noch einmal eine Feuersalve auf sie abgegeben, dann klang Hufschlag auf, und es wurde still.
Hoss und Joe blieben noch eine Weile in Deckung und lauschten auf den Hufschlag, der sich in der Ferne verlor. Als alles still blieb, fingen sie ihre Pferde ein und ritten dem Vater nach. Ben Cartwright kniete am Boden neben Sam Baker. Er sah auf, als seine Söhne neben ihm anhielten. „Nun, Pa?“ fragte Little Joe. Ben Cartwright stand auf. „Er ist tot“, sagte er mit einem tiefen Seufzer. „Aber der Kerl wird dafür büßen, so wahr ich Cartwright heiße.“
Jerry Cox macht von sich reden
Als die Cartwrights nach Hause kamen, war Jerry bereits aus der Stadt zurück. Er saß auf dem Sofa im Wohnzimmer und spielte auf seinem Banjo. Neben ihm stand Hop Sing, hatte die Fingerspitzen aneinandergelegt und lauschte der musikalischen Darbietung mit geschlossenen Augen. „Mistel Jelly spielen wundelschön!“ Hop Sing nickte Ben Cartwright zu. „Abel ich jetzt blingen sofolt das Essen.“ Damit verschwand er eilig in der Küche. Jerry legte sofort das Banjo beiseite. „Sie sehen nicht sehr zufrieden aus, Mr. Cartwright. Hatten Sie Ärger?“ „Sam Baker ist tot.“ Ben Cartwright hing seinen Revolvergürtel an den Haken. „Ihre Darstellung über Lafitte und diesen ominösen Mr. Miller stimmt genau. Der Drahtzieher ist Lafitte, dessen bin ich jetzt ganz sicher. Er ist auch verantwortlich für den Tod von Indianer-Bill und Sam Baker, und es hätte nicht viel gefehlt, so wären auch wir in den Bergen einem Anschlag von ihm zum Opfer gefallen.“ Er erzählte, was geschehen war, und Jerry hörte stumm zu. „Aber beweisen können Sie ihm nichts.“ Jerry ging mit großen Schritten durch den Raum. Er machte in diesem Augenblick gar nicht mehr den Eindruck des liebenswerten und fröhlichen großen Jungen. Er hatte plötzlich einen harten Zug um den Mund. „Ich tat Sam Baker unrecht“, sagte Joe. „Wie konnte ich nur einen Augenblick daran glauben, daß er uns betrügen würde.“ „Daran habe ich nie geglaubt“, warf Hoss ein. „Aber was sollen wir jetzt tun, Pa?“
„Ihr werdet euch um Lafitte kümmern“, antwortete Ben Cartwright. „Der Kerl hat hier in Virginia City noch andere Dinge vor, sonst hätte er sich längst aus dem Staube gemacht.“ Jerry hielt in seiner Wanderung inne. „Das dürfte gefährlich werden, Mr. Cartwright. Wenn diese Burschen merken, daß sie beobachtet werden, nehmen sie keine Rücksicht.“ „Das will ich auch nicht. Ich möchte ihn sogar aus der Reserve locken.“ Ben Cartwright wandte sich an seine Söhne. „Ihr habt ab heute auf der Ponderosa nichts mehr zu tun. Teilt dem Vormann eure Arbeitseinteilung für die Leute mit. Er soll sich um alles kümmern.“ Hoss sah seinen Bruder fragend an, um sich dann dem Vater zuzuwenden: „Und was sollen wir tun?“ „Ihr haltet euch zu jeder Stunde im Saloon-Hotel auf“, erklärte Cartwright. „Schaut mich nicht so dumm an. Ja, ich wollte nie, daß ihr euch dort herumtreibt, aber jetzt will ich es. Es ist sogar ein Befehl. Ich will über jeden Schritt, den Lafitte unternimmt, Bericht haben.“ Er ging zum Schreibtisch und nahm einige Dollarscheine aus der Geldkassette. „Hier, das reicht vorerst, aber betrinkt euch nicht.“ „Wenn Sie erlauben, werde ich mich Ihren Söhnen anschließen“, sagte Jerry. „Sechs Augen sehen mehr als vier.“ Nach dem Abendessen ritten Jerry und die Brüder in die Stadt. „Wer mir gestern noch gesagt hätte, Pa würde uns jemals zum reinen Vergnügen nach Virginia City schicken, den hätte ich glatt für verrückt erklärt“, lachte Joe. „Das hätte ich mir niemals träumen lassen.“ „Es wird kein reines Vergnügen“, meinte Jerry. „Merkt euch eines, dieser Lafitte ist mit allen Wassern gewaschen. Wenn er euch jetzt dort sieht, weiß er genau, was gespielt wird.“ Im Saloon war Hochbetrieb. Jerry hatte diesmal seine Bullpeitsche in die Schlaufe des Gürtels gehängt. Er nahm
sofort sein Banjo von der Schulter und schlug einige Akkorde an. „Ja, spiel einen“, forderte ein langer Cowboy. „Los, wir wollen etwas hören!“ Da auch von anderen Seiten Zurufe kamen, hob Jerry die Hand. „Ich singe jetzt das Lied vom Sheriff Bum“, verkündete er. „Und alle wiederholen stets die letzte Zeile, klar?“ Der Saal brüllte Zustimmung. Jerry stellte den rechten Fuß auf einen Stuhl und begann: „Wer wiegt sich in den Hüften stolz und trägt zwei schwere Western-Colts? Wer hält sich für den schönsten Mann der Welt? Wer zwickt die Mädchen irgendwo und lacht dazu noch schadenfroh? Wer fühlt sich überall als echter Frauenheld? Das ist der Sheriff Bum!“ Und der Saal wiederholte: „Das ist der Sheriff Bum!“ Jerry sang weiter: „Wer schießt nur Löcher in die Luft? Wer trägt die schönste Western-Kluft? Wer hält ‘nen Gauner für den Herrn Pastor? Wer liebt die rote Lilly so und geht bei jedem Kuß k. o.? Wer singt im Kirchenchor so falsch Tenor? Das ist der Sheriff Bum!“ Diesmal konnte der Saal die letzte Zeile nicht wiederholen. In der Tür standen drei Gestalten, denen man schon von weitem ansah, daß sie Streit suchten. Einer von ihnen hatte seinen Colt gezogen und in die Luft gefeuert. Joe und Hoss sahen, wie einer der Kerle langsam auf Jerry zutrat. Jerry sah ihm gelassen entgegen.
„Verschwinde mit deiner Niggerfiedel, Viehtreiber“, herrschte er Jerry an. „Wir wollen in aller Ruhe ein Spielchen machen und können keinen Krach gebrauchen.“ Er sah die Bullpeitsche am Gürtel. „Verstehst du damit umzugehen?“ „Ich denke schon“, antwortete Jerry. „Dann kommt herbei, Leute“, wandte sich der Kerl an den Saal. „Ihr werdet jetzt ein Schauspiel erleben. Dieses Milchgesicht wird mir mit der Bullpeitsche eine Zigarette aus dem Mund schlagen. Gelingt ihm das, ohne mir auch nur ein Barthaar zu berühren, habe ich eine Flasche Gin verloren. Trifft er mich aber, werde ich ihm beide Ohren mit Löchern verzieren.“ Er sah Jerry an. „Hast du gehört, was ich sagte?“ „Ich bin doch nicht taub“, lachte Jerry. Er nahm die Bullpeitsche vom Gürtel und ließ den zwei Meter langen Riemen über den Boden schnellen. „Ich bin bereit.“ Der Kerl sah ihn überrascht an. Er hatte nicht erwartet, daß Jerry seinen Vorschlag annehmen würde. Während er ihn mit finsterer Miene betrachtete, drehte er sich eine Zigarette und steckte sie in den Mund. Seine beiden Kumpane grinsten. „Fertig?“ fragte Jerry. Der Kerl nahm vor ihm Aufstellung und nickte. Hoss und Joe hielten die Luft an. Mit einem scharfen Pfeifen schnellte das Leder durch die Luft, und der Kerl hatte von der Zigarette nur noch einen winzigen Stummel im Mund. Der ganze Saal brüllte vor Begeisterung. „So, jetzt warte ich nur noch auf die Flasche Gin“, sagte Jerry. „War doch nur ein Scherz, Milchgesicht“, lachte der Kerl. Er wollte sich mit seinen Kumpanen an einem Tisch niederlassen, doch da schwirrte das Leder der Bullpeitsche zum zweiten Male durch die Luft. Es schlang sich um die Beine des Mannes
und riß ihn zu Boden. Der Kerl war so verblüfft, daß er mit offenem Munde liegenblieb. Seine Begleiter wollten zu den Waffen greifen, aber da hatten Joe und sein Bruder bereits die Colts in den Händen. „Laßt die Kanonen stecken“, sagte Hoss. „Wenn hier etwas ausgemacht wurde, so wird das auch gehalten. Unser Freund bekommt die Flasche Gin.“ „Gib ihm die Flasche“, sagte eine Stimme in die Stille. In der Tür des Saloons stand Lafitte. Er trat langsam näher und blieb vor Jerry und den Cartwrights stehen. „Ein nettes dreiblättriges Kleeblatt“, lachte er. „Steckt eure Revolver ein und wickele meinen Mann aus dem Leder. Ihr bekommt die Flasche Gin.“ „Es geht uns nicht so sehr um die Flasche wie um die Abmachung“, sagte Jerry. „Hätte ich verloren, wären meine hübschen Öhrchen jetzt mit zwei Löchern versehen.“ Er lockerte das Leder und rollte die Peitsche zusammen. Der Kerl erhob sich vom Boden, ging zur Theke und kam mit einer Flasche Gin zurück. Stumm hielt er sie Jerry hin. „Hoffentlich ist sie auch bezahlt“, meinte dieser. Der Kerl sah ihn nur wütend an und ging zum Tisch seiner Begleiter. Lafitte musterte Jerry. „Sie tragen keine Revolver“, sagte er amüsiert. „Ich habe es gestern schon bemerkt. Warum nicht?“ „Nicht, weil ich nicht damit umgehen könnte“, lächelte Jerry. „Das scheint gar nicht so schwer zu sein. Man zielt und drückt einfach ab. Ich stelle mir das jedenfalls so vor.“ „Na, dann versuchen Sie es doch mal.“ Lafitte zog einen Revolver aus dem Halfter und reichte ihn Jerry. „Sehen Sie dort oben die Verzierung über dem Regal?“ „Ja, es ist eine Krone mit fünf Kugeln auf den Zacken.“ „Wenn Sie mir eine Kugel herunterschießen, bekommen Sie eine weitere Flasche Gin.“
Jerry wog den Colt in der Hand. „Etwas schwer“, lächelte er, hob die Waffe, und der Schuß löste sich. Alle fünf Kugeln befanden sich noch an der Krone. Lafitte nahm ihm den Revolver aus der Hand. „Das macht man so!“ Er schoß, und die Krone hatte eine Kugel weniger. „Alle Achtung, Mr. Lafitte“, staunte Jerry. „Vielleicht probiere ich es noch mal. Ich glaube, ich weiß jetzt, wie man es macht.“ „Soll ich für meinen Freund schießen?“ fragte Little Joe, der nicht wollte, daß sich Jerry blamierte. „Nein, laß mich nur“, wehrte dieser ab. Er nahm den Revolver, den ihm Lafitte lächelnd reichte, und ohne richtig zu visieren, gab er schnell hintereinander zwei Schüsse ab. Oben an der Krone zerfetzten zwei Holzkugeln. Die Umstehenden johlten, und Hoss blieb vor Überraschung der Mund offen. Er sah Little Joe an, der noch immer zur Krone hinaufstarrte, als könne er nicht glauben, was er gesehen habe. Lafittes Lächeln wurde sauer. „Das war nicht schlecht.“ „Ich glaube, es gelingt mir sogar noch einmal.“ Jerry visierte die beiden letzten Kugeln kurz an, und wieder krachten zwei Schüsse. Auch diesmal zerfetzten die Holzkugeln. Die Krone war jetzt ihrer Zierde beraubt. „Na, was sagte ich“, triumphierte Jerry und reichte Lafitte den Revolver zurück. „Man müßte nur ein wenig damit üben. Ich glaube, ich könnte es bald noch besser.“ Für Joe war jetzt alles klar. Das konnte kein Zufall sein. Schon mit der Bullpeitsche hatte Jerry bewiesen, daß er ihnen etwas vormachte. Die Handhabung der schweren Peitsche erforderte eine lange Übung. Er sah seinem Bruder an, daß sich
dieser mit den gleichen Gedanken beschäftigte. Wer war dieser Jerry? Lafitte steckte den Revolver ins Halfter und ließ sich an der Theke eine Flasche Gin geben. Er kam damit zurück. „Hier, Ihre Prämie! – Für einen Mann, der nie einen Revolver in der Hand hatte, schießen Sie aber ausgezeichnet.“ Der Blick, mit dem er Jerry dabei ansah, ließ alles offen. Kurze Zeit später verließ Lafitte mit seinen Leuten das Lokal. „Was machen wir nur mit dem vielen Gin?“ fragte Jerry, der sich mit Hoss und Little Joe an einem Tisch niedergelassen hatte. „Wißt ihr, ich habe gar nicht gewußt, daß ich ein so guter Schütze bin.“ Hoss holte tief Luft. „Paß mal auf, du Himmelhund“, sagte er mit Betonung. „Du willst uns doch wohl nicht einreden, daß du nie einen Revolver in der Hand hattest.“ „Ja“, nickte Little Joe. „Das kannst du deiner Großmutter weismachen.“ Er stand auf. „Ich kümmere mich jetzt um Lafitte. Wir haben es Pa versprochen. Er will wissen, was der Kerl treibt.“ Jerry zog ihn auf den Stuhl zurück. „Das wäre grundfalsch. Er wartet nur darauf. Ihr, die Cartwrights, seid hier in Virginia City seine einzigen Feinde. Das weiß er ganz genau, und er wird versuchen, euch auszuschalten. Ihr habt nur eine einzige Chance, die Zeit für euch handeln zu lassen.“ „Und wie sollen wir das verstehen?“ „Abwarten“, erklärte Jerry. „Kommt, ich zeige euch, was passiert wäre, wenn Joe sich um Lafitte gekümmert hätte.“ Kurze Zeit später schwangen sich die Freunde auf die Pferde und folgten Jerry, der gleich nach der Stadt abbog und auf eine Felsengruppe zuritt. Von dort aus konnte man die ganze Umgebung überblicken und vor allem den Hauptweg, der aus der Stadt führte, einsehen.
„Um Lafitte zu folgen, hättest du den Hauptweg nehmen müssen“, erklärte Jerry. „Auch jetzt glauben sie, wir würden ihn benutzen.“ Jerry ritt weiter und deutete auf zwei Pferde, die zwischen den Felsblöcken versteckt waren. „Ihre Reiter sitzen oben in den Felsen und warten auf uns“, fuhr Jerry fort. „Kommt, wir wollen uns die Kerle mal ansehen!“ Sie stiegen von den Pferden, führten sie hinter eine Felswand und folgten Jerry, der über die Felsen nach oben kletterte. Hier im Freien herrschte ein fahles Dämmerlicht. Die Nacht war sternenklar und mondhell. Bald hatten sie eine Felsmulde erreicht, und schon klangen Stimmen an ihr Ohr. Zwei Kerle hockten auf einem Felsvorsprung, die Gewehre schußbereit in den Händen. Direkt unter ihnen lag der Hauptweg. „Sie müßten längst hier sein“, sagte einer der Männer, und seine Stimme schallte zu den Freunden herüber. „Ich sah, wie sie auf die Pferde stiegen.“ Jerry trat vor. „Wartet ihr auf uns?“ Die Kerle fuhren herum, aber schon hatten Hoss und Little Joe ihre Colts auf sie gerichtet. „Die Gewehre weg!“ forderte Joe. „Und die Revolver“, fügte Hoss hinzu. Die Waffen polterten zu Boden. Die Kerle hoben die Hände. Jerry beförderte die Waffen durch Tritte über den Rand der Felsen. „So, und nun kommt!“ Die Kerle gingen mit erhobenen Händen voraus und kletterten über die Felsen nach unten. Dort holte Jerry ihre Pferde und stellte sie etwa zwanzig Meter weit von den Burschen auf.
„Ihr könnt aufsitzen!“ Jerry nahm die Bullpeitsche vom Gürtel und rollte das Leder ab. Er ließ es durch die Luft pfeifen. „Aber einen kleinen Denkzettel sollt ihr doch bekommen. Wißt ihr, ich kann heimtückische Schützen nicht leiden. – Los!“ Die Kerle stürzten zu ihren Pferden, aber da ließ Jerry das Leder der schweren Peitsche durch die Luft surren. Es schlang sich um die Beine der Flüchtenden und riß sie zu Boden. Dann klatschte der Riemen über ihre Körper, immer wieder. Brüllend vor Schmerz versuchten die Kerle, ihre Pferde zu erreichen, aber immer, wenn sie sich aufrafften, riß ihnen das Leder der Peitsche die Beine unter dem Körper fort. Keuchend und schreiend wälzten sie sich über den Boden. Jerry kannte kein Erbarmen. Immer wieder surrte der Riemen auf die Kerle nieder. Er ging ihnen nach, bis sie die Pferde erreichten und sich mit letzter Kraft in den Sattel schwingen konnten. Hoss und Little Joe hatten das Schauspiel bewegungslos verfolgt. Schweratmend trat Jerry zu ihnen und rollte die Bullpeitsche zusammen. „Ich kann hinterhältige Schützen wirklich nicht leiden“, sagte er. „Und jetzt möchte ich auf der Ponderosa Mr. Cartwright zu einem Gin einladen, den Lafitte spendierte“, fügte er lächelnd hinzu. Stumm stiegen Little Joe und Hoss in den Sattel.
In den nächsten Tagen passierte nichts. Lafitte und seine Leute schienen vom Erdboden verschwunden zu sein. Hoss und Joe hatten dem Vater von dem Auftritt Jerrys im Saloon berichtet und auch die nächtliche Szene mit den heimlichen Schützen geschildert. Ben Cartwright hatte daraufhin besondere Anordnungen getroffen. An den
wichtigen Punkten der Ponderosa waren bewaffnete Wächter eingesetzt worden, denn es war durchaus möglich, daß Lafitte einen Überfall plante. Sein Verschwinden war rätselhaft. Als an diesem Morgen Ben Cartwright und seine Söhne von einem Kontrollritt zur Ponderosa zurückkehrten, hörten sie schon draußen das Banjo summen und Jerrys Gesang. Dazwischen war aber noch eine hohe Stimme zu vernehmen, und die sang jetzt allein zur Begleitung des Banjos: „Wel zwickt die Mädchen ilgendwo und lacht dazu noch schadenfloh? Wel fühlt sich übelall als echtel Flauenheld? Das ist del Sheliff Bum!“ Ben Cartwright öffnete die Tür und sah Jerry mit dem Banjo auf dem Sofa sitzen. Vor ihm stand Hop Sing und wiegte den Oberkörper im Takt hin und her. Eine Flasche Gin und zwei Gläser standen auf dem Tisch. Als die Cartwrights eintraten, brach Jerry sein Spiel ab, aber Hop Sing sang solo weiter. „Das ist del Sheliff Bum!“ „Na, bekommt er jetzt Gesangunterricht?“ fragte Ben Cartwright. „Ich habe ihm ein Scherzliedchen beigebracht“, erwiderte Jerry. „Er ist ganz begabt, muß ich sagen.“ „Ja, lustiges Schelzliedchen“, nickte Hop Sing. „Und schöne Melodie. Abel ich jetzt sofolt gehen in die Küche.“ Und fröhlich trällernd machte er sich davon. Ben Cartwright nahm ein Glas auf. „Ist das nicht ein wenig früh? – Hop Sing wird uns das Essen anbrennen lassen. Er ist keinen Alkohol gewohnt.“ Hoss und Little Joe nahmen auf dem Sofa Platz, nachdem sie ihre Revolvergürtel abgelegt hatten. „Wir wollten mal mit dir sprechen, Jerry“, begann Little Joe, und Ben Cartwright nickte dazu. „Wir möchten gerne wissen, wer du in Wirklichkeit bist. Du wolltest dich doch bei der
Zeitung bewerben, aber Mr. Worman vom ,Virginia Star’ sagte uns, du wärst nie bei ihm gewesen.“ „Ich bin davon abgekommen, weil ich mich nicht an eine geregelte Arbeit gewöhnen kann.“ Jerry hob die Schultern. „Und wer sollte ich sonst sein? – Ich bin Jeremias Cox, von dem sein Vater behauptet, er sei ein Luftikus. Dazu besitze ich die sonderbare Begabung, alles, was ich probiere, sofort zu können. Banjospielen habe ich zum Beispiel nie gelernt und kann es trotzdem.“ „Und mit dem Revolver umgehen?“ fragte Joe. „Willst du behaupten, du hast das auch nie geübt?“ „Ich muß zugeben, ich habe schon mal auf einem Rummel an der Schießbude damit geschossen“, erklärte Jerry. „Das klappte auch sofort. Jerry Cox ist eben ein Glückspilz und ein Wunderknabe.“ „Na, schön!“ Ben Cartwright seufzte. „Lassen wir das! Sie wollen nicht, Jerry, und Sie werden Ihre Gründe dafür haben. Aber bitte, halten Sie uns nicht für dumm.“ „Mr. Cartwright, ich weiß genau, was ich von Ihnen zu halten habe“, sagte Jerry. „Die Cartwrights sind überall als Ehrenmänner bekannt. Ich möchte Sie bitten, mich als Ihresgleichen zu betrachten, ganz gleich, was einmal geschehen wird.“ „Ich weiß zwar nicht, was Sie damit sagen wollen“, überlegte Ben Cartwright. „Aber ich verspreche es Ihnen. Bisher haben Sie mir keinen Anlaß gegeben, daran zu zweifeln.“
Ein feiger Überfall
Hoss hatte an diesem Morgen vom Vater den Auftrag bekommen, sich in der Stadt umzusehen, denn noch immer war von Lafitte und seinen Leuten keine Spur zu entdecken. Ein Überfall auf die Ponderosa, mit dem Ben Cartwright gerechnet hatte, war bisher nicht erfolgt. Die Kerle hätten sich aber auch blutige Köpfe geholt. Die Cowboys der Ponderosa waren von Cartwright mit Gewehren ausgerüstet worden. Ben Cartwright konnte nicht verwinden, daß ihm der Mörder Indianer-Bills und Sam Bakers entkommen war. Er gab aber auch noch nicht auf. Insgeheim hoffte er, Lafitte und seiner Bande doch noch auf die Spur zu kommen. Er hielt es für möglich, daß sich die Kerle in den Bergen versteckten und über alles, was in Virginia City geschah, genau im Bilde waren. Aus diesem Grunde ritten Jerry und Little Joe Patrouille in den Bergen. Auch sie hatten aber bisher nichts Bemerkenswertes entdecken können. Hoss band Paiute vor dem Saloon-Hotel an, um zuerst einmal durch die Stadt zu schlendern. Vor dem Modeladen stand ein eleganter Einspänner mit gelbem Lederzeug. Hoss überlegte gerade, wem der Wagen gehören könnte, als in der Tür des Modeladens Cora Orton auftauchte. Sie war mit Paketen beladen, und Hoss fand sich sofort bereit, ihr behilflich zu sein. „Lieb von dir, Hoss“, sagte Cora. „Weißt du, dein Bruder ist ein richtiger Stoffel. Als er letzthin bei uns war, wollte er mir nicht mal einen Geburtstagskuß geben. Er hatte nur die Herde im Kopf.“
Hoss lächelte verlegen. „Geburtstag hattest du? – Hätte ich das gewußt, wäre ich mit einem Blumenstrauß zum Gratulieren gekommen.“ „Du kannst es noch nachholen“, lächelte Cora. „Wenn du willst, komme doch morgen zum Tee zu uns. Mein Vater würde sich bestimmt auch freuen, übermorgen fahre ich nach San Francisco, um meinen Onkel zu besuchen.“ Sie deutete auf die Pakete. „Dafür habe ich mir die neuen Kleider gekauft. – Ich fahre mit der ersten Postkutsche.“ Hoss drehte verlegen seinen Hut in der Hand, zumal ei bemerkte, daß Steve Collins auf der anderen Straßenseite stand und sie beobachtete. „Na, willst du?“ fragte Cora. Sie fingerte an ihren Löckchen herum und warf ihm einen schelmischen Blick zu. Hoss merkte, wie ihm die Röte hochstieg. „Ich überlege gerade“, erwiderte er. „Ja, ja, ich glaube schon, daß es möglich ist.“ „Und – könntest du Little Joe mitbringen?“ „Aber wozu?“ fragte Hoss und bekam ein Gesicht, als hätte er auf ein Senfkorn gebissen. „Du sagst selbst, er sei ein Stoffel. Er hätte dir noch nicht mal einen Geburtstagskuß gegeben.“ „Ja, das stimmt! – Obwohl ich ihn dazu aufforderte.“ „Mir hättest du das nur einmal zu sagen brauchen.“ Hoss lächelte breit und schlug den Blick gen Himmel. „Mädchen wie du sind genau meine Kragenweite.“ „Ein komischer Ausdruck“, sagte Cora. „Aber er ist von Little Joe“, versicherte Hoss. „Das sagt er immer, wenn ihm ein Mädchen gut gefällt.“ „Ich weiß nicht…“ Cora zog ein Schmollmündchen. „Gibt es viele Mädchen, die ihm gut gefallen?“
„Viele?“ Hoss lachte, und das hörte sich an, als hätte ein Pferd den Husten. „Wäre er ein Maharadscha, so würde er für seinen Harem das Kapitol in Washington gebrauchen.“ „Pfui!“ Cora nahm auf dem Kutschbock Platz. „Dann verzichte ich auf seinen Besuch.“ Sie trieb das Pferd an und fuhr davon. „Ja, aber ich könnte doch kommen…“ „Käse“, sagte Steve Collins. Er war neben Hoss getreten und sah dem Wagen nach. „Und sie macht nicht mal Winke winke.“ Hoss stülpte ärgerlich seinen Hut auf den Kopf. „Was die Mädchen nur alle von Little Joe wollen? Unsereiner ist dagegen gar nichts. Dabei geht Joe dreimal in mich hinein.“ „Mach dir nichts daraus“, tröstete Steve Collins. „Komm, wir werden uns einen genehmigen. Ich zahle, denn ich habe einen guten Job bekommen.“ „Und?“ fragte Hoss. „Ich begleite den Geldtransport der State-Bank bis zum ersten Pferdewechsel“, erklärte Steve Collins. „Das Geld, das auf unserer Bank innerhalb von drei Monaten eingezahlt wurde, soll übermorgen nach San Francisco gebracht werden.“ „Eine Sonderfahrt?“ fragte Hoss. „Nein, mit der ganz normalen Postkutsche“, flüsterte Steve Collins. „Aber niemand darf davon erfahren. Bei einer Sonderfahrt ist das Risiko zu groß. Niemand wird darauf kommen, daß sie das Geld mit der normalen LinienPostkutsche befördern.“ Er sah Hoss stolz an. „Ich bekomme für die Fahrt sogar den Hilfssheriff-Stern, darf also mit der Waffe eingreifen.“ Hoss überlegte. Mit der gleichen Postkutsche fuhr Cora auch nach San Francisco. Hier bestand die Möglichkeit, sich gegenüber Joe in ein besseres Licht zu setzen.
„Paß auf“, wandte sich Hoss an Steve Collins. „Wie wäre es, wenn du an diesem Tag krank würdest und ich an deiner Stelle die Postkutsche begleitete?“ Er erklärte, warum er diesen Vorschlag mache. „Nur, um dem Mädchen zu imponieren?“ fragte Steve Collins. „Na, meinetwegen. Mir geht es eigentlich nur um das Geld, das mir dafür gezahlt wird.“ „Davon will ich keinen Cent.“ Hoss schüttelte den Kopf. „Mir geht es nur um die Fahrt und damit sie mich sieht.“ „Ach, du liebe Güte!“ Im Saloon hatte der Betrieb zugenommen. Hoss hielt sofort nach Leuten Ausschau, die zur Bande Lafittes gehören konnten. Die Einheimischen waren ihm alle bekannt. Er sah jedoch niemanden, der ihm neu erschien. „Da, schau, Morgan ist wieder da“, sagte Steve Collins. Hoss warf einen Blick zur Theke. Dort stand ein alter grauhaariger Mann, der von einer Gruppe Neugieriger umringt war. Der Wirt hinter der Theke hielt eine kleine Waage in der Hand und war dabei, winzige Goldkörnchen, die ihm der Alte reichte, zu wiegen. Er legte den Gegenwert stets in Dollars auf den Tisch. Hoss trat hinter den Alten und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Vater Morgan!“ Ein schwarzer struppiger Hund, der bisher still unter dem Tisch gelegen hatte, sprang an Hoss hoch. „Ja, ist gut, Walter!“ Hoss fuhr dem Hund durch das Fell. „Ja, ist schon gut!“ „Gut, daß ich dich treffe, Hoss.“ Morgan hielt ein Nugget in der Größe des kleinen Fingernagels hoch. „Ich will nur das noch abwiegen lassen.“ Unter den staunenden Ausrufen der Umstehenden bekam der Alte den Gegenwert ausgezahlt und schlurfte zum Tisch, an
dem Hoss und Steve Collins inzwischen Platz genommen hatten. Der schwarze Hund folgte ihm. Morgan stellte eine Flasche Whisky auf den Tisch. „Hier, trinkt, Kinder!“ Er beugte sich vor. „Was ist mit Indianer-Bill? – Die Leute erzählen, man hat ihn umgebracht?“ Hoss berichtete, was er wußte. „Kannte er deine Schürfstelle?“ Morgan nickte. „Wenn ich sprengen mußte, half er mir dabei.“ „Er hat sie nicht verraten, obwohl man etwas nachhelfen wollte“, fuhr Hoss fort. „Man hat ihn bei deiner Hütte gefunden.“ In diesem Augenblick betraten zwei Männer den Schankraum und stellten sich an die Theke. Sie sahen sich im Lokal um, tranken ihr Glas aus und verschwanden wieder. Hoss überlegte. Wo hatte er diese Kerle schon einmal gesehen? Ja, jetzt erinnerte er sich. Sie gehörten zu den Burschen, mit denen der Kerl am Tisch saß, dem Jerry die Zigarette aus dem Mund geschlagen hatte, also zur Bande Lafittes. Die Kerle waren wieder da. Der Vater hatte recht behalten mit der Annahme, eines Tages würden die Kerle wieder auftauchen. Was sollte er tun? Sollte er sofort zur Ponderosa reiten und seine Beobachtung mitteilen? Der alte Morgan hatte dem Whisky inzwischen eifrig zugesprochen. Auf keinen Fall konnte Hoss den Alten in diesem Zustand nach Hause reiten lassen. „Hast du die beiden Burschen gesehen?“ fragte Steve Collins. Hoss nickte. „Kennst du sie?“ „Nein, aber sie lungern schon den ganzen Morgen in der Stadt herum“, erwiderte Steve. „Ich glaube, sie gehören zu den Leuten von diesem Viehaufkäufer.“ „Du meinst Lafitte.“
„Ja, richtig, so heißt er. Er verkaufte Orton eine Herde Rinder. Ich hatte schon mit Joe darüber gesprochen.“ Jetzt war Hoss ganz sicher. Lafitte mußte in der Nähe sein. „Willst du mir einen Gefallen tun, Steve?“ Collins sah auf. „Und der wäre?“ „Reite zur Ponderosa und sage meinem Vater Bescheid“, bat Hoss. „Sage ihm, zwei von Lafittes Leuten wären in der Stadt aufgetaucht. Er solle sich vorsehen.“ Steve Collins sah ihn verständnislos an. „Ist denn etwas mit ihm?“ „Er ist ganz einfach ein Gauner“, erklärte Hoss. „Der Tod von Indianer-Bill und Sam Baker kommt auf das Konto seiner Leute. Das steht für uns fest. Aber das kann ich dir so schnell nicht erklären.“ „Brauchst du auch nicht.“ Steve Collins trank sein Glas aus. „Ich gehe schon!“ „Und ich begleite Vater Morgan nach Hause“, rief ihm Hoss nach. Draußen schwang sich Steve Collins auf sein Pferd. In leichtem Trab preschte er durch die Stadt und hatte bald den Hauptweg erreicht, der nach Süden führte. Hier zweigte ein Pfad ab, auf dem man geradewegs zur Ponderosa gelangte. Er führte zwischen einer langgezogenen Felsengruppe hindurch, und hier bemerkte Steve Collins plötzlich, daß sich zwei Reiter aus dem Schatten der Felsen lösten. Sie ritten direkt auf ihn zu. Steve Collins war arglos. Erst als sie näher kamen, erkannte er in den Männern die beiden Burschen, die er im Saloon bemerkt hatte. Schnell schlug er seinem Pferd die Hacken in die Weichen, ritt einen Bogen, um dann in gestrecktem Galopp die Ponderosa zu erreichen. Steve war ein guter Reiter, und er hatte ein schnelles Pferd.
Die Burschen blieben ihm aber hart auf den Fersen. Wie wild schlugen sie auf ihre Pferde ein, und einer von ihnen, der über einen ausgezeichneten Renner verfügte, holte langsam auf. Steve bemerkte es. Er versuchte, alles aus seinem Pferd herauszuholen, aber der Verfolger war schneller. Er näherte sich unaufhaltsam. Als sich Steve Collins umsah, erkannte er, daß der Kerl sein Lasso schwang, und dann riß ihn das Seil auch schon aus dem Sattel. Hart schlug er auf und verlor das Bewußtsein. Er erwachte, an Händen und Füßen gefesselt, zwischen den Felsen. Einer der Kerle stand vor ihm und stieß ihn mit der Stiefelspitze in die Seite. Wo er sich befand, wußte Collins nicht. Er wußte auch nicht, wie lange er besinnungslos gewesen war. „Laß ihn erst mal zu sich kommen“, sagte der andere der Burschen. Er saß auf einem Felsen und beobachtete die Umgebung. „Ich dachte schon, er hätte sich das Genick gebrochen.“ Steve Collins hielt die Augen geschlossen und überlegte. „Ich dachte mir gleich, daß ihn dieser Dicke zur Ponderosa schicken würde.“ Der Kerl wandte sich von Collins ab und trat zu seinem Kumpan. „Ich merkte sofort, er hatte uns wiedererkannt.“ „Verdammtes Pech, daß sich der Dicke gerade mit dem Alten abgeben muß“, knurrte der andere Gauner. „Am besten sagst du Lafitte Bescheid. Er meint, der Alte käme allein. Dieser dicke Cartwright sieht mir so aus, als würde er sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen lassen.“ Steve Collins war ein heller Kopf. Aus den wenigen Worten erkannte er sofort, daß die Gauner einen Anschlag auf den alten Goldgräber vorhatten. Hoss und er waren ihnen
dazwischengekommen. Offenbar war Morgan heute morgen aus den Bergen zurückgekehrt und von ihnen beobachtet worden. Wenn Hoss mit dem Alten zur Hütte kam, lief er den Kerlen direkt in die Arme. Was war aber zu tun? Auf der Ponderosa würden sie nicht einmal wissen, wo Hoss war. Die Kerle hielten eine leise Beratung ab, dann nahmen sie ihre Gewehre und kletterten über die Steinblöcke aus Collins’ Sichtkreis. Sekunden darauf verhallte der Hufschlag ihrer Pferde. Für Steve Collins war in diesem Moment alles klar. Die Kerle hatten vor, ihn hier umkommen zu lassen. Hatten sie ihn zu der Felsengruppe gebracht, vor der sie ihn erwarteten, dann würde ihn so leicht niemand finden. Durch sie führte kein Weg. Auch sein Rufen würde niemand hören, denn der Hauptweg lag weitab. Trotzdem gab Collins nicht auf. Er dachte an sein Pferd, das nach seinem Sturz weitergelaufen war. Es würde die eingeschlagene Richtung beibehalten und somit die Ponderosa reiterlos erreichen. Vermutlich war das den Kerlen auch eingefallen, und sie hatten sich aus diesem Grunde aus dem Staube gemacht. Collins rollte sich bis zu einem Steinblock, um sich daran hochzuziehen. Mit einiger Mühe gelang es ihm auch. Vor sich hatte er ein Geröllfeld, das ziemlich steil nach unten abfiel. Die Kerle hatten ihn hundert Meter hoch zwischen die Felsen geschleift, in der Hoffnung, daß ihn hier so leicht niemand finden würde, genau, wie er erwartet hatte. Unten flimmerte die Hitze über der Landschaft. Der Pfad, der zur Ponderosa führte, lag etwa dreihundert Meter von der Felsengruppe entfernt. Sollte er sich über den Hang nach unten rutschen lassen? Wenn jemand den Pfad benutzte, würde man ihn vielleicht entdecken. Vermutlich geriet aber dann das ganze Geröllfeld in Bewegung, und er würde unten von den
nachfolgenden Steinen erschlagen werden. Von diesem Gedanken kam Collins ab. Nein, das war zu gefährlich. Er sah plötzlich eine andere Lösung. Vor ihm lagen mehrere große Steine. Wenn es ihm gelang, sie in Bewegung zu versetzen, polterten sie über den Hang nach unten. Auf diese Weise konnte er vielleicht auf sich aufmerksam machen. Das hatte aber nur Zweck, wenn jemand in der Nähe war. Jedenfalls konnte das seine Rettung werden. Collins kam zu dem Entschluß, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Er zwängte sich mit aller Mühe zwischen den Steinblöcken hindurch und blieb völlig erschöpft am Rand des Hanges liegen. „Hallo, Mistel Caltwlight! – Hallo, Mistel Caltwlight!“ Der Rancher, der am Schreibtisch mit seinen Büchern beschäftigt war, wandte sich Hop Sing zu. Der Chinese stand in der Tür und fuchtelte erregt mit den Händen durch die Luft. „Wil Besuch bekommen, abel Mann velschwunden. – Ja, ganz bestimmt! – Mann nilgendwo zu finden. Nicht im Stall, nicht in Scheune. Hop Sing übelall suchen.“ „Was redest du da?“ Ben Cartwright erhob sich. „Ja, kommen helaus. Pfeld stehen im Hof und Leitel nicht da.“ Im Hof fand Cartwright eine schwarze Stute. Das Pferd war schweißnaß und ziemlich abgetrieben. „Nun, was ich gesagt?“ Hop Sing lief um das Pferd herum. „Wo ist Leitel? – Vielleicht untelwegs vellolen?“ „Das sieht tatsächlich so aus.“ Cartwright ging um das Tier herum. Das Sattelzeug war in Ordnung. Schaum flockte dem Rappen von der Trense. Er stampfte erregt mit den Vorderhufen und wich zurück, als der Rancher ihn berühren wollte. „Hole eine Decke!“
Der Chinese lief in den Stall und kam bald darauf mit dem Gewünschten zurück. Cartwright warf dem Pferd die Decke über und wollte es in den Stall führen. Da ritt einer von den Leuten in den Hof, die als Beobachter eingesetzt waren. „Wir haben das Pferd kommen sehen, Mr. Cartwright“, berichtete er. „Es war reiterlos. Ich wollte Ihnen das nur sagen.“ „Kümmere dich um das Tier, Ben“, sagte Cartwright. „Reibe es ab und gib ihm zu saufen.“ Der Mann stieg ab, um den Auftrag auszuführen. „Dolt kommen Mistel Joe und Banjomann“, rief Hop Sing. „El vielleicht wiedel Schelzlied singen von Sheliff Bum.“ Cartwright wandte den Kopf und sah Little Joe und Jerry Cox in den Hof reiten. Sie kamen von einem Patrouillenritt zurück. „Du verschwindest jetzt am besten in deine Küche“, wandte sich der Rancher an den Chinesen. Während Hop Sing murrend ins Haus ging, sprangen die Ankommenden von den Pferden. „Schau dir mal den Gaul an“, forderte Ben Cartwright Joe auf. „Er kam reiterlos an.“ Little Joe zog die Decke von dem Rappen. „Das Pferd gehört Steve Collins, Pa.“ „Bist du sicher?“ „Ganz sicher, Pa! – Er hat ihn von Sherman gekauft.“ Little Joe deutete auf das Brandzeichen. „Hier das ,S’ bedeutet Sherman Ranch. Steve führte ihn mir damals gleich nach dem Kauf vor und fragte mich, was ich von ihm hielte.“ Er sah seinen Vater nachdenklich an. „Aber Steve Collins läßt sich doch nicht abwerfen. Das ist völlig ausgeschlossen.“ „Könnte er ihm ausgerissen sein?“ Joe zog ein Gesicht. „Ich weiß nicht…“
„Er kam über den Pfad aus der Richtung Horse Rocks“, berichtete Ben. „Der Wachmann an der Nordkoppel entdeckte ihn zuerst.“ „Ich denke, wir schauen mal nach“, sagte Jerry, der bisher geschwiegen hatte. „Wenn dieser Steve ein guter Reiter und das Pferd kein Ausreißer ist, kann ihm doch nur etwas passiert sein.“ „Tja!“ Ben Cartwright überlegte. „Am besten, ihr schaut euch mal um, und dann könnt ihr gleich Hoss mitbringen. Er ist in der Stadt.“ „Gut, Pa!“ Jerry saß bereits im Sattel, was Ben Cartwright zu der Bemerkung veranlaßte: „Das Aufsteigen müssen Sie aber fleißig geübt haben, Jerry. Anfängern fällt das meistens schwer.“ Jerry grinste nur. Kurze Zeit später preschten Little Joe und Jerry den Horse Rocks zu. Jerry ließ die Blicke nicht vom Boden. Offenbar suchte er nach Spuren, und mit dieser Annahme sollte Joe recht behalten. Jerry wurde Little Joe immer rätselhafter. Auf den Patrouilleritten sah Jerry Dinge, die Joe gar nicht wahrnahm. Er mußte demnach sogar im Spurenlesen geübt sein. Warum kleidete sich Jerry wie ein Stutzer? Warum untertrieb er alles? Er war ein ausgezeichneter Revolverschütze und konnte wie ein Gaucho mit der Bullpeitsche umgehen. Warum trug er keine Waffen? Warum machte er ihnen etwas vor? Das waren alles Fragen, die Little Joe immer wieder durch den Kopf gingen. Wer war dieser Jerry Cox? „Stop!“ Jerry bedeutete Joe mit einer Handbewegung, er möge anhalten. Er selbst ritt weiter, kehrte aber bald darauf um. Während er an Little Joe vorbeiritt, rief er: „Es waren drei
Reiter. Einer ritt voraus, zwei folgten ihm. Offenbar wurde der erste von den anderen gejagt.“ Joe staunte nur. „Aber wie ihre Großväter hießen, kannst du mir wohl nicht sagen, wie?“ „Völlig klar“, lachte Jerry. „Der Boden ist von den Hufen frisch aufgewühlt. Wenn du die Augen aufmachst, kannst du es selbst feststellen.“ Er zeigte Joe die Stellen, und dieser mußte zugeben, daß er es jetzt auch sah. „Hier hat der zweite Reiter den Flüchtenden erreicht“, führte Jerry weiter aus. „Hier hat sich das Pferd des zweiten Reiters mit der Hinterhand in den Boden gestemmt. Und wann geschieht das? – Wenn ein Pferd zurückgerissen wird. Und hier ist der erste Reiter gestürzt, während sein Pferd weiter zur Ponderosa galoppierte. Somit war der erste Reiter Steve Collins.“ Little Joe staunte nur. „Dann ist Steve Collins verfolgt worden, als er zu unserer Ranch wollte?“ „Dieser Weg führt doch nur zur Ponderosa – oder?“ Little Joe nickte. „Aber was wollte er bei uns?“ „Du hättest besser fragen sollen: Wo ist Steve Collins?“ Jerry ließ seinen Blick über das Gelände gehen. „Ich möchte mir die Felsengruppe dort drüben einmal anschauen“, meinte er. „Die Spuren der Verfolger weisen in diese Richtung.“ Sie ritten auf die Felsengruppe zu, und da passierte es auch schon. Aus dem Geröllfeld des Hanges lösten sich einige Steine und polterten, springend wie Gummibälle, über den Hang, rissen weitere Steinbrocken mit sich, und bald kam der ganze Hang ins Rutschen. Jerry hielt sein Pferd an. „Die Lawine kann sich nicht von selbst gelöst haben. Ich glaube, die Kerle sind noch dort oben.“ Er schlug seinem Pferd die Hacken in die Weichen und preschte auf die Felsengruppe zu.
Joe folgte ihm. Vor ihnen prasselte die Steinlawine herab und hüllte die Gegend in eine weiße Staubwolke. Mit einer Handbewegung zügelte Jerry sein Pferd, das auf die Hinterhand stieg. Joe riß seinen Fuchs zurück und ritt neben ihn. „Was ist los?“ Jerry legte die Hand hinter das Ohr, und jetzt vernahm auch Joe den schwachen Hilferuf. Er kam oben vom Hang. Zehn Minuten später fanden sie Steve Collins. Er hatte sich noch nicht von den Fesseln befreien können. Er berichtete, als er Reiter auf dem Pfad bemerkt habe, habe er die Steinlawine ausgelöst. Daß man ihn so schnell fand, damit habe er aber nicht gerechnet. „Das hast du zuerst einmal deinem Rappen zu verdanken“, sagte Little Joe. „Als er reiterlos auf der Ponderosa eintraf, dachten wir gleich, es sei etwas passiert, und machten uns sofort auf den Weg.“ Er deutete auf Jerry. „Ohne seine Hilfe hätte ich dich aber nicht gefunden.“ „Dann danke ich Ihnen, Mister!“ Steve Collins bot Jerry die Hand. „Dann sind Sie sicher der Kunstschütze aus dem Saloon-Hotel. Ganz Virginia City spricht darüber.“ Er sagte das lächelnd, wurde aber sofort ernst. „Wir müssen sofort zur Hütte des alten Morgan. Kommt, ich erkläre euch das unterwegs.“ Unterdessen war Hoss mit dem alten Morgan aufgebrochen. Trotz seines Schwipses saß der Alte gut im Sattel. Er übernahm sogar die Führung und schlug ein solches Tempo an, daß der struppige Hund bald mit hängender Zunge an ihrer Seite lief. Morgan besaß zwei Hütten. Eine oben in den Bergen, in der er sich aufhielt, wenn er in seinem Claim arbeitete, die andere bewohnte er während der Winterzeit. Sie lag zwei Meilen von
Virginia City entfernt in einem bewaldeten Talkessel. Hier wohnte er auch, wenn er für kurze Zeit aus den Bergen in die Stadt kam. Der alte Morgan lud Hoss noch zu einem Drink ein, den dieser nicht abschlagen wollte. Kaum hatten sie sich an dem dicken Holztisch niedergelassen, als vor der Hütte Hufschlag hörbar wurde. Die Tür wurde aufgestoßen, und auf der Schwelle stand Lafitte. Morgan wollte instinktiv zur Waffe greifen, aber Lafitte hielt bereits seinen Colt in der Hand. Hinter ihm drängten sich drei seiner Galgenvögel in den Raum. „Legt die Waffen auf den Tisch!“ forderte Lafitte. Hoss hatte das ganze Spiel mit offenem Mund verfolgt. Mechanisch legte er seinen Colt auf den Tisch, denn Gegenwehr war in diesem Falle völlig zwecklos. Man hatte sie überrumpelt. „So, und ‘raus mit dem Gold“, forderte Lafitte, während er die Revolver mit einer Handbewegung vom Tisch fegte. „Komm, Alter, sonst mache ich dir Beine. Wir wissen, daß du deine Schätze hier versteckt hast.“ „Da können Sie aber lange suchen“, lachte der alte Morgan. „Ich habe nicht eine Unze in dieser Hütte. – Was die Leute in der Stadt reden, ist Blödsinn.“ Lafitte musterte ihn feindselig. „Auf diese Ausrede falle ich nicht herein.“ Er wandte sich an seine Leute. „Macht ein Feuerchen! Wir werden ihm die Fußsohlen ein wenig anwärmen. Der Indianer hat nicht gesungen, aber den Alten werden wir bestimmt dazu bringen.“ „Hören Sie, lassen Sie den alten Mann in Ruhe“, sagte Hoss. „Ich weiß, daß er sein Gold nicht hier aufbewahrt. Er hat es in der Berghütte unter dem Fußboden versteckt. Wenn Sie wollen, führe ich Sie hin.“
„Nein“, zeterte der alte Morgan. „Das wirst du nicht tun. – Sie bekommen nichts, gar nichts, und wenn sie mich töten.“ Lafitte überlegte. Er gab dem Mann, der sich an der Feuerstelle beschäftigte, einen Wink. „Laß das!“ Dann wandte er sich Morgan zu. „Du wirst uns auch noch deine Schürfstelle zeigen.“ Und grinsend fügte er hinzu: „Die Fußsohlen sind eine empfindliche Stelle. Ich kann euch nur raten: Versucht nicht, uns hinters Licht zu führen.“ Hoss, der alles nur so dahingesagt hatte, um die Kerle davon abzuhalten, den alten Mann zu quälen, war nicht mehr sicher. Das Zetern des Alten bewies, daß er seine Goldvorräte tatsächlich in der Berghütte versteckt haben mußte. Also hatte er Lafitte unbewußt auf die richtige Spur geführt. „Bindet ihnen die Hände auf den Rücken“, befahl Lafitte seinen Leuten. Während ihm die Hände gebunden wurden, überlegte Hoss. Steve Collins war um diese Zeit längst auf der Ponderosa und hatte dem Vater die Bestellung ausgerichtet. Vielleicht war der Vater mit Joe und Jerry sofort in die Stadt geritten, und dann würden sie vermutlich auch bei der Hütte des alten Morgan vorbeireiten, um ihn mitzunehmen. Ob sie vermuteten, was geschehen war? Die Hütte war leer, und das mußte ihnen zu denken geben. Als sie den alten Morgan fesseln wollten, sprang der struppige Hund einen der Männer an. Dieser riß sofort seinen Colt aus dem Halfter und richtete ihn auf den Hund. „Nicht schießen“, flehte der Alte. „Bitte, nicht schießen! Ich schicke ihn fort. Glaubt mir, er gehorcht mir aufs Wort.“ „Aber nur, wenn du uns deine Schürfstelle und deinen Goldschatz zeigst“, lächelte Lafitte. „Ja, ich mache alles, was ihr wollt, aber laßt mir den Hund“, bat der alte Morgan. „Ich habe doch nur ihn.“ „Dann schicke ihn fort.“
Hoss ahnte, was der Alte vorhatte. Wenn Morgan krank war oder sonst eine Hilfe brauchte, schickte er Walter zur Ponderosa. Stets machte sich dann einer von ihnen auf den Weg zur Hütte des Alten, um nachzuschauen. „Ja, komm, mein guter Hund!“ Morgan kraulte dem Tier den Kopf. „Nun lauf schön! Lauf zu Hop Sing, schnell!“ Den Namen Hop Sing nannte er, weil dieser den Hund, wenn er auftauchte, stets fütterte, und den Namen kannte Walter ganz genau. Er war auch sofort zur Tür hinaus. Lafittes Bande bestand aus sechs Galgenvögeln, die Hoss und den alten Morgan in die Mitte nahmen. Lafitte setzte sich an die Spitze des Zuges. Dann ritten sie dem Gebirge zu. Wie gut sie die Gegend kannten, das sah Hoss an den Wegen, die sie einschlugen. Es waren Pfade, auf denen ihnen niemand entgegenkommen konnte. Lafitte mußte sich also schon eine Zeitlang in der Umgebung von Virginia City aufgehalten haben. Hoss rechnete wieder. Der Hund konnte die Ponderosa in knapp einer Viertelstunde erreicht haben. Wenn der Vater nicht in die Stadt geritten war, würde er auf jeden Fall sofort zur Morgan-Hütte kommen. Also konnte er in knapp einer halben Stunde dort eintreffen. Er hatte aber diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da tauchte hinter ihnen ein Reiter auf. Er sprengte an ihnen vorbei und setzte sich neben Lafitte an die Spitze des Zuges. Hoss sah, daß er auf ihn einredete. Er gehörte also zu der Bande und war vermutlich als Beobachter eingesetzt worden. Sekunden darauf hatte der Bandenchef seine Leute im Gelände verteilt. Er selbst führte den alten Morgan und Hoss hinter eine Felswand und trug ihnen auf, sich ruhig zu verhalten. Dann kehrte er zu seinen Leuten zurück. Offenbar hatten die Kerle vor, jemanden in einen Hinterhalt zu locken. Daß es aber der Hinterhalt für Joe, Jerry und Steve
Collins sein könnte, auf diesen Gedanken kam Hoss überhaupt nicht. Wenn Steve Collins auf der Ponderosa erschienen war und die beiden Cartwrights und Jerry sofort aufgebrochen waren, konnten sie zu diesem Zeitpunkt nicht schon hinter ihnen sein. Sie hatten um diese Zeit höchstens Virginia City erreicht. Was wirklich vorgefallen war, davon wußte Hoss natürlich nichts. Hoss sah sich um. Sie waren jetzt unbeobachtet. Ein Fluchtversuch war trotzdem unmöglich. Es bestand nur die Möglichkeit, sich irgendwo zu verstecken und so lange zu warten, bis die Kerle abgezogen waren. Auch der alte Morgan orientierte sich. Seine Angst in der Hütte war gespielt. Das erkannte Hoss jetzt, und die Achtung vor dem Alten stieg in ihm. Morgan ließ den Blick seiner grauen Augen über die Felswände gehen. Dann griff er in den Stiefelschaft und holte einen „Derringer“ heraus, eine kleine einschüssige Pistole. Hoss sah es mit Überraschung. „So, und jetzt komm“, forderte der Alte. „Drüben in den Felsen befindet sich ein Höhlenlabyrinth. Wenn wir den Eingang finden, werden sie uns vergeblich suchen.“ Er knotete Hoss die Fesseln auf. „Ich weiß jetzt genau, wo wir sind.“ In diesem Augenblick fielen im Gelände die ersten Schüsse, und diese Gelegenheit nahmen Hoss und Morgan wahr, um sich davonzumachen. Mit schnellen Sprüngen erreichten sie einen kleinen Hang, ließen sich hinabrollen und blieben schweratmend im Schutz einiger Felsbrocken liegen. Hoss wunderte sich über die Behendigkeit des Alten, der wenige Minuten später den Eingang der Höhle fand. Tiefe Dunkelheit nahm die Männer auf.
Die Patrouille sucht Black Tiger
Sofort, nachdem die ersten Schüsse gefallen waren, ließ sich Jerry Cox aus dem Sattel gleiten. Auch Steve Collins und Joe Cartwright sprangen von den Pferden, um hinter den Felsen Deckung zu suchen. Als sie die Hütte des alten Morgan leer fanden, war es Jerry, der sofort die Spuren der Reitergruppe entdeckte. Er machte seine Begleiter darauf aufmerksam. Joe ahnte, was vorgefallen war. Lafitte und seine Leute waren mit Hoss und dem alten Morgan auf dem Weg ins Gebirge. So entschlossen sich Joe und seine Begleiter, ihnen sofort zu folgen. Wenn sie sich beeilten, konnten sie die Gruppe noch vor den Eagle Rocks abfangen. Joe nahm einen Weg, von dem er glaubte, er sei Lafitte und seinen Leuten unbekannt. Doch hier sollte er sich getäuscht haben. Auch die Galgenvögel hatten diesen Weg eingeschlagen, und der Mann, der der Gruppe als Beobachter folgte, entdeckte sehr bald die Verfolger. So waren sie arglos in den Hinterhalt geraten. Joe sah, wie Jerry seinen Fuchs hinter einen Felsen zerrte und in die zusammengerollte Decke hinter seinem Sattel griff. Mit zwei großkalibrigen Colts in den Händen ließ er sich neben Joe zwischen die Felsen fallen. „He, da staune ich aber“, sagte Joe verblüfft. „Staune nicht, sondern schieße“, sagte Jerry mit einem grimmigen Gesichtsausdruck. „Alles zu seiner Zeit. Jetzt kann ich sie gebrauchen.“ Gleichzeitig aus beiden Läufen feuernd, glitt er an den Felsen entlang auf ein Gebüsch zu.
Steve Collins nahm mit seinem Gewehr die Felsen unter Feuer, und auch Joe nahm die Gestalten aufs Korn, die sich ihnen von Felsen zu Felsen springend zu nähern versuchten. Jerry hatte inzwischen seinen Platz wieder gewechselt. Wie eine Schlange kroch er über den Boden und tauchte bald seitlich der Banditen auf. Wieder feuerte er aus beiden Läufen. Von dieser Seite hatten Lafitte und seine Leute keinen Angriff erwartet, und als jetzt plötzlich auch noch in ihrem Rücken ein Colt zu feuern begann, stellten sie das Schießen ein und rannten zu ihren Pferden. In wildem Galopp preschten sie davon. Joe wunderte sich über den unerwarteten Helfer, der plötzlich im Rücken der Banditen aufgekreuzt war. Er mußte drüben zwischen den Felsen hocken. Joe erhob sich. „He, kommen Sie heraus! Die Kerle sind fort!“ rief er. Zu seiner größten Überraschung kam Walter, der struppige Hund Morgans, auf sie losgestürmt, und dann wurde Ben Cartwrights hohe Gestalt sichtbar. Vater Cartwright hielt die Colts noch in den Händen. „Du, Pa!“ Joe schüttelte nur den Kopf. Sein Vater ging diesen Auseinandersetzungen mit der Waffe stets aus dem Wege. Er überließ das sonst immer dem Sheriff und seinen Leuten. „Du darfst nicht vergessen, daß es diesmal um den Mörder von Indianer-Bill und Sam Baker geht“, antwortete Ben Cartwright, als ihn sein Sohn daraufhin ansprach. „Und ich habe geschworen, daß ich nicht eher ruhen werde, bis ich ihn dem Sheriff übergeben kann.“ Wie erwartet, war der Hund Morgans zur Ponderosa gelaufen. Daraufhin hatte sich Ben Cartwright sofort auf den Weg gemacht, in der Annahme, dem Alten sei etwas passiert.
Der Hund habe ihn aber nicht zur Hütte geführt, so erklärte Cartwright, sondern ihn auf die Spur der Gauner gebracht. So sei er dann zu ihnen gestoßen. Zehn Minuten später hatte Walter auch den alten Morgan und Hoss in der Höhle gefunden. Als sie in den Sattel stiegen, sah Joe, daß Jerrys Revolver wieder verschwunden waren.
Der Sheriff sah Ben Cartwright kopfschüttelnd an. „So sei doch vernünftig, Ben. Ich kann diesen Lafitte nicht festnehmen. Es liegt nichts gegen ihn vor.“ „So, es liegt nichts gegen ihn vor“, nickte Cartwright grimmig. „Was habe ich dir denn eben alles erzählt? Seine Leute haben Sam Baker auf dem Gewissen und Indianer-Bill. Sie haben den alten Morgan und meinen Sohn in der Hütte überfallen und uns später in eine Schießerei verwickelt. Ist das nichts? Hoss und Joe und auch der alte Morgan können das doch bezeugen. Ist das nicht Grund genug zu einer Anklage?“ Joe und Hoss, die mit dem Vater im der Sheriff-Station erschienen waren, nickten. „Ich brauche Beweise“, erklärte der Sheriff eindringlich. „Sollte ich ihn wirklich auf Grund der Zeugenaussagen verhaften, so wird ihn der Richter gegen eine Kaution wieder freilassen. – Tut mir leid, Ben, ich kann dir nicht helfen.“ „Dann wohnt er weiter im Saloon-Hotel und spielt den feinen Mann“, wetterte Cartwright. „Und wir alle wissen, daß wir es mit einem abgefeimten Banditen zu tun haben, der vielleicht noch andere Raubzüge plant.“ „Tut mir leid!“ Der Sheriff zuckte die Schultern. „Aber etwas anderes. Sage diesem jungen Mann, der bei euch wohnt: Sollte er noch einmal im Saloon mit einem Schießeisen hantieren, so muß ich ihm eine Ordnungsstrafe auferlegen. Der Besitzer
wollte eine Anzeige machen, aber ich habe ihn davon abhalten können. Den Schaden muß er natürlich ersetzen.“ „Ich kümmere mich darum“, erwiderte Ben Cartwright. „Kommt!“ Damit verließen die Cartwrights die Sheriff-Station und begaben sich geradewegs ins Saloon-Hotel. Cartwright bezahlte dort zwanzig Dollar für die zerschossene Krone über dem Thekenregal. Einige Kavallerie-Soldaten, die mit einer Patrouille nach Virginia City gekommen waren, standen an der Theke. Ein junger Leutnant, der die Patrouille führte, kam mit Joe ins Gespräch. Da Soldaten sehr selten nach Virginia City kamen, fragte Joe nach dem Grund. „Ach, wir sind schon Wochen unterwegs“, erklärte der Leutnant. „Wir suchen einen jungen Burschen, der sich Black Tiger nennt. Er ist ein Einzelgänger, und deshalb ist die Suche nach ihm auch so schwierig. Der Kerl hat in der Gegend von Yonkers einen unserer Leute erschossen und ist mit dem Pferd auf und davon. Sie kennen auch nicht zufällig jemanden, der ein Armeepferd besitzt oder in letzter Zeit eins erworben hat?“ Joe schüttelte den Kopf. „Wie sieht der Kerl denn aus?“ „Er ist ziemlich groß, schwarzhaarig, bis an die Zähne bewaffnet und läuft mit einer Bullpeitsche herum“, erklärte der Leutnant. Joe traf es wie ein Schlag. „Mit einer Bullpeitsche sagen Sie?“ Der Leutnant nickte. „Ja, so hat man ihn mir beschrieben. – Kennen Sie jemanden, auf den diese Beschreibung zutrifft?“ Joe schüttelte den Kopf, aber er konnte nicht verhindern, daß ihm die Röte in den Kopf stieg. Zum Teufel, das traf doch alles auf Jerry zu, überlegte er. Das Aussehen, die Bullpeitsche, sein Fuchs trug auf der Kruppe das Brandzeichen der Armee. Jerry war nur nicht bis an die Zähne bewaffnet. Also stimmte das
schon nicht. Auch hatte er gesagt, er habe das Pferd von einem Unbekannten erworben. Ob er das dem Leutnant mitteilen sollte? Joe kam aber wieder davon ab, weil Hoss ihm winkte. Der Vater wollte gehen. Stumm ritten die Cartwrights zur Ponderosa zurück, und dabei mußte Joe immer wieder an Jerry denken. Ja, was wußten sie schon von ihm? Hoss hatte ihn im Gebirge kennengelernt. Die Beschreibung des Leutnants traf auf Jerry zu, und Waffen besaß er auch, das hatte Joe bei dem Überfall der Banditen feststellen können. Dann das Pferd mit dem Brandzeichen der Armee. Nein, Joe war auf einmal nicht mehr ganz sicher. Warum untertrieb Jerry? Vermutlich doch nur, um sich nicht verdächtig zu machen. Von Black Tiger hatte man sicher eine andere Vorstellung. Was war jetzt zu tun? Sollte er dem Vater von allem, was er erfahren hatte, Mitteilung machen? Joe konnte sich nicht dazu entschließen. Mit Hoss wollte er aber sprechen. Sie mußten herausfinden, ob Jerry dieser Black Tiger sein konnte. Auf der Ponderosa waren die Wachen nach dem Überfall der Lafitte-Banditen auf Morgan verdoppelt worden. Ben Cartwright hatte dem Alten auf der Ponderosa ein Zimmer angeboten. Er hielt es für zu gefährlich, Morgan allein zu lassen. Dafür hatte sich der Alte stillschweigend in die Wachmannschaft eingereiht. Er saß mit dem Gewehr im Arm auf dem Koppelzaun, als die Cartwrights einritten. „Nun, Vater Morgan, alles in Ordnung?“ rief ihm Hoss zu, während er vom Pferd stieg. „Alles okay!“ Morgan schwenkte das Gewehr in der Hand. „Hier kommt niemand durch, darauf könnt ihr euch verlassen.“ Aus dem Schatten der Tränke erhob sich der alte schwarze Hund und trottete auf die Reiter zu, um sie zu begrüßen. Ben Cartwright kraulte ihm das Fell, bevor er ins Haus ging.
Hoss brachte die Pferde in den Stall und sattelte sie ab. Joe half ihm dabei, und dann sagte er: „Ich muß mal mit dir sprechen, Hoss. Es handelt sich um Jerry.“ „Wo ist er überhaupt?“ „Keine Ahnung!“ „Mistel Jelly auf Kontloll-Litt“, hörten sie Hop Sings Stimme. Er war hinter ihnen in den Stall gekommen. „Ich bestellen, el bald zulückkommen. Wil wiedel gesungen heute molgen Schelzlied von Sheliff Bum. – Oh, Mistel Jelly plima, plima Banjomann.“ Damit zog der Chinese trällernd ab. „Auf Kontrollritt?“ Joe sah Hoss an. „Sag mal, was hältst du von Jerry?“ „Was soll ich von ihm halten? Er ist ein prima Kerl, und ich würde mich freuen, wenn er noch etwas bei uns bliebe.“ Joe nickte. „Und wenn er ein Bandit wäre?“ Hoss blieb der Mund eine Weile offen. „Soll das ein Witz sein? Wie kommst du darauf?“ Joe erzählte nun, was er im Saloon von dem Leutnant erfahren hatte. „Und alles trifft auf Jerry zu“, schloß er seinen Bericht. „Jerry könnte dieser Black Tiger sein, überlege doch mal!“ „Das tue ich schon eine ganze Weile, aber ich kann nicht daran glauben“, erwiderte Hoss. „Das ist einfach unmöglich. Was hätte das alles für einen Sinn, sich so zu verstellen? Er brauchte sich mir in der Hütte doch gär nicht anzuschließen.“ „Natürlich brauchte er das nicht, aber vielleicht hat er hier in der Gegend etwas vor“, überlegte Joe. „Und bis dahin sitzt er bei uns auf der Ponderosa sicher. Wer sich bei uns aufhält, dem mißtraut man nicht.“ Hoss erinnerte sich jetzt der Nacht, als er Jerry beobachtete. Wo war Jerry in dieser Nacht gewesen? Und er hatte Revolver getragen. Er erzählte es Joe.
„Wo er seine Revolver hat, weiß ich“, sagte Joe. „In der Decke, die gerollt hinter seinen Sattel geschnallt ist. Er nimmt sie nie ab, wenn du das schon gemerkt hast.“ „Hallo, um was geht es denn?“ Es war Jerrys Stimme. Er stand in der Stalltür, seinen Fuchs an der Trense. „Um deine Revolver“, sagte Joe. „Wenn du es genau wissen willst. Du hast doch welche, nicht wahr?“ „Das weißt du doch“, lächelte Jerry. Er führte seinen Fuchs in die Box und sattelte ihn ab. „Ich trage sie nicht, weil sie mir zu lästig sind, und dann bleibe ich bei der Behauptung, daß niemand auf einen Unbewaffneten schießt. Ich fühle mich dadurch einfach sicherer. – Noch etwas?“ Beim Essen, an dem auch der alte Morgan teilnahm, kam Joe auf die Kavallerie-Patrouille zu sprechen. Er bemerkte, wie Jerry aufsah. „Sie suchen einen gewissen Black Tiger“, sagte Joe. „Der Kerl hat einen Soldaten erschossen und muß ein ganz gefährlicher Bursche sein.“ „Man sollte diese Kerle gleich aufhängen“, warf der alte Morgan ein. „Wäre ich Sheriff, sähe es in meinem Gebiet anders aus.“ „Sie sollten sich lieber um Lafitte bekümmern“, meinte Ben Cartwright. „Es ist mir ein Rätsel, warum der Sheriff da nicht eingreifen kann.“ Er fuchtelte erregt mit der Hand durch die Luft. „Wenn das so weitergeht, muß sich jeder Rancher eine Privatarmee halten. Ich werde das bei Gelegenheit dem Stadtrat vortragen.“ Am Nachmittag kam Besuch auf die Ponderosa. Hoss hatte sich gerade etwas aufs Ohr gelegt, da fuhr Mr. Orton mit seinem Einspänner in den Hof, und in seiner Begleitung befand sich Cora.
Hoss hörte ihre Stummen und schoß wie eine Rakete vom Sofa hoch. „He, was ist los?“ fragte Joe, der mit Jerry bei einem Schachspiel saß. „Hat dich eine Bremse gestochen?“ „Nein“, antwortete Hoss und strich sich die Haare glatt. „Ich hatte einen schlimmen Traum. Dieser Black Tiger wollte mir an den Kragen“, log er. Ben Cartwright ging seinen Gästen entgegen. „Wir kommen zufällig hier vorbei“, erklärte Orton, nachdem er den Rancher begrüßt hatte. „Cora wollte sich unbedingt verabschieden. Sie fährt morgen für einige Zeit nach San Francisco.“ In einen weißen Spitzentraum gehüllt, trippelte Cora in den Raum. Hoss lächelte wie die aufgehende Morgensonne, was ihm von Joe einen entsprechenden Blick eintrug. „Hallo, Joe!“ Cora eilte sofort auf Little Joe zu, um ihn zu begrüßen, dann reichte sie Jerry die Hand. Hoss folgte ihr auf dem Fuße und legte ihr von hinten die Hände auf die Augen. „Na, und wer kann das sein?“ fragte er, den Blick gen Himmel gerichtet. Cora tastete nach seinen Händen. „Die Pranken können nur Hoss gehören“, lachte sie. „Erraten!“ Little Joe sah ihn nur an. „Mein Bruder macht wieder seine berühmten Späße. – Hasch mich, ich bin ein Fliederbusch!“ Ben Cartwright stellte Jerry als seinen Gast vor und rief nach Hop Sing, der bald darauf eintrat. „Tee?“ fragte der Chinese. „Wenn ja, alles schon gelichtet. Hop Sing sein schnell. El gehölt den Wagen und schon stellen Wassel auf Feuel.“ Er legte die Fingerspitzen aneinander. „Tee gleich feltig.“ Damit verschwand er.
Ben Cartwright zog sich mit Orton in den Hintergrund des Raumes zurück. Sie hatten ihr eigenes Gesprächsthema. Cora hatte zwischen Jerry und Joe Platz genommen. „Sind Sie der junge Mann, der sich im Saloon als Kunstschütze produzierte?“ fragte sie Jerry. „Ganz Virginia City spricht davon. Ich hörte es von unseren Cowboys.“ „Es war ein Zufall, Miß Orton“, antwortete Jerry. „Oh – so wurde es mir aber nicht geschildert.“ „So war es auch nicht“, wandte Joe ein. „Jerry ist nur bescheiden.“ „Und so eine große Kunst war es nun auch wieder nicht.“ Hoss lächelte Cora zu. „Ich hätte das genauso geschafft. Umsonst hat mich der Sheriff wohl kaum zum Begleiter der Postkutsche gewählt. Dazu kann man nur richtige Männer gebrauchen.“ „He, spinnst du?“ fragte Joe. „Wieso, hast du nicht gehört? – Ich begleite morgen die Postkutsche nach San Francisco.“ Hoss neigte sich Cora zu. „Ja, ich begleite dich, Corachen. Ich reite neben dem Wagen her.“ „Und warum hat man dich nicht dazu ausgewählt?“ wandte sich Cora an Joe. Sie war direkt traurig. „Ihn!“ Hoss warf einen Blick gegen die Zimmerdecke. „Dazu braucht man Männer.“ „Ja.“ Joe nickte sauer. „Hampelmänner, so wie du einer bist. – Weiß Pa eigentlich schon, daß du die Postkutsche begleiten willst?“ „Das werde ich ihm schon sagen.“ Hop Sing trat mit dem Tee ein. Er hatte ihn schnell serviert und wandte sich an Jerry. „Soll ich vielleicht holen Banjo?“ fragte er. „Oh, Miß, Mistel Jelly gloßel Banjomann. El spielen Schelzliedchen von Sheliff Bum, und Hop Sing kann singen.“
Cora stimmte sofort zu, und der Chinese verschwand eilig, um das Banjo zu holen. So begann Jerry bald darauf mit seinem Vortrag. Er hatte soeben die erste Strophe des Liedes beendet, da wurde im Hof Pferdegetrappel hörbar. Alle wandten sich dem Fenster zu. Ben Cartwright erhob sich und trat ans Fenster. „Kavalleristen mit einem Leutnant. Was suchen die denn bei uns?“ Er öffnete die Tür. „Nun, was gibt es, Leutnant?“ Der Offizier legte grüßend die Hand an den Hut. „Mr. Cartwright, nicht wahr?“ „Ganz recht!“ „Entschuldigen Sie, aber ein gewisser Lafitte gibt an, auf Ihrer Ranch befinde sich ein junger Mann, der ein Armeepferd besitzt. Nach der Beschreibung, die er uns gab, sind wir sicher, daß es sich um Black Tiger handelt.“ Ben Cartwright hob hilflos die Schultern. „Ja, das stimmt, der junge Mann reitet ein Armeepferd, aber das hat er unterwegs gekauft. Das ist aber schnell geklärt.“ Er wandte sich um und suchte Jerry, aber die Stelle, an der dieser gestanden hatte, war leer. „Wo ist Jerry?“ Jetzt bemerkten auch Hoss und Joe, daß sich Jerry nicht mehr im Raum befand. Beim Eintreffen der Patrouille mußte er sich durch die Küche davongemacht haben. „Er war doch eben noch da“, stellte Ben Cartwright stirnrunzelnd fest. Der Leutnant in der Tür gab seinen Soldaten einen Wink. Die Männer sprangen von den Pferden. In diesem Augenblick öffnete sich die Stalltür. Jerry Cox erschien auf seinem Fuchs. Er hielt einen Colt in der Hand und gab mehrere Schüsse ab. Dann preschte er in gestrecktem Galopp der Straße zu.
„Da, Black Tiger!“ Der Leutnant rannte zu seinem Pferd und schwang sich hinauf. Die Soldaten saßen ebenfalls auf, um dem Flüchtenden zu folgen. „Ich kann das nicht glauben“, sagte Ben Cartwright. „Kann man sich so in einem Menschen täuschen?“ Er wandte sich an seine Söhne. „Habt ihr das gewußt?“ „Nein, aber geahnt“, antwortete Joe. „Aber ganz sicher bin ich immer noch nicht.“
Der Überfall
Jerry Cox ritt wie der Teufel dem Gebirge zu. Er hatte versucht, die Soldaten einige Male irrezuführen, aber sie waren ihm nicht auf den Leim gegangen. Die Burschen hatten ausdauernde Pferde und mußten die Gegend kennen. Jerry hatte jetzt den breiten Serpentinen weg, der direkt zum Paß führte, erreicht. Er sah sich um. Seine Verfolger waren dicht hinter ihm. Allen voraus ritt der junge Leutnant, der wie wild auf sein Pferd einschlug. Jerry merkte, der Bursche holte mächtig auf. Vor ihm tauchten die ersten Ausläufer der Eagle Rocks auf. Jerry zog seinen Colt und gab einige Schüsse auf seine Verfolger ab. Das hatte Wirkung. Der Leutnant blieb plötzlich zurück, und auch die ‘Soldaten schienen keine rechte Lust mehr zu haben, hier im Gebirge als lebende Zielscheiben zu dienen. Jerry stellte es lächelnd fest und setzte zufrieden seinen Weg fort. In der nächsten Krümmung riß er den galoppierenden Fuchs auf die Hinterhand. Mitten auf dem Weg stand Lafitte und hob die Hand. „Links hoch“, herrschte er Jerry an. „Ich habe schon auf dich gewartet. Offenbar ziehen sich die Soldaten zurück. Meine Leute lassen sie nicht aus den Augen. – Steig ab!“ Jerry schwang sich von seinem Fuchs. „So sieht also Black Tiger aus“, grinste Lafitte. „Als ich den Fuchs sah, hätte ich es mir doch denken können.“ Jerry musterte ihn mißtrauisch. „Und warum schicktest du mir die Soldaten auf den Pelz?“
„Um mit dir zusammenzutreffen“, lächelte der Bandit. „Meine Leute haben deinen Ritt genau verfolgt. Du mußtest diesen Weg nehmen, wenn du ihnen entkommen wolltest. Und dann habe ich den Leutnant auf dich aufmerksam gemacht, weil ich nicht wollte, daß sie dich vielleicht im Bett erwischen. Du hattest doch keine Chance. Jeder konnte den Soldaten dein Aussehen beschreiben, über kurz oder lang wäre der Sheriff auf der Ponderosa erschienen.“ „Wenn du es so siehst, muß ich dir danken“, erwiderte Jerry. Er war plötzlich ein ganz anderer Mensch geworden. Die Fröhlichkeit, die sonst von ihm ausströmte, war wie fortgewischt. Die Hände auf den Kolben der Colts, die an einem breiten Revolvergürtel hingen, folgte er Lafitte, den Fuchs am Zügel. Bald standen sie in einer geräumigen Höhle, die aufs beste eingerichtet war. Felle lagen am Boden, und in der Mitte brannte ein kleines Feuer. Die Höhle mußte also einen natürlichen Abzug haben. Vom Eingang aus, der versteckt zwischen Felswänden lag, konnte man die ganze Gegend bis nach Virginia City übersehen. Diese Höhle diente Lafittes Männern als Unterkunft, während er selbst im Saloon-Hotel wohnte und von dort die Raubzüge leitete. „Warum bist du hier?“ fragte Lafitte, nachdem sie am Feuer Platz genommen hatten. „Du weißt es doch schon“, antwortete Jerry. „Ich wollte die Sache allein machen, aber nun muß ich wohl mit euch teilen.“ „Die Postkutsche?“ Jerry nickte. „Morgen früh werden mit der normalen Linienpost hunderttausend Golddollar nach San Francisco geschafft. – Ich wußte es schon lange, und aus diesem Grunde hielt ich mich hier in der Gegend auf.“ Und lächelnd fuhr er fort: „Du müßtest doch eigentlich genug haben.“
„Eigentlich ja“, grinste Lafitte. „Aus dem Überfall auf die North-Stern-Bank haben wir eine hübsche Summe auf die Seite gebracht. – Das meinst du doch – oder?“ Jerry nickte. „Hast du keine Angst, daß dir deine Leute den Schädel einschlagen könnten, um sich mit dem Geld aus dem Staube zu machen?“ „Das Versteck kenne nur ich, und aus diesem Grunde habe ich sie an der Kandare. Es liegt ganz hier in der Nähe.“ Lafitte sah sich um. „Du gefällst mir“, fuhr er fort. „Obwohl ich mir Black Tiger anders vorgestellt habe. Ich mache dir einen Vorschlag. Wir machen morgen den Überfall auf die Postkutsche zusammen, und dann reiten wir beide über die Grenze nach Mexiko.“ „Und deine Leute?“ „Sie dürfen nicht wissen, wohin ich gehe“, antwortete Lafitte. „Sie könnten mich sonst erpressen, und ich möchte in Mexiko in Ruhe und Frieden leben.“ „Wer möchte das nicht?“ Jerry lachte lautlos. „Glaubst du, mir macht es Spaß, von den Soldaten gejagt zu werden?“ „Dann nimmst du meinen Vorschlag an?“ Jerry nickte. „Vielleicht ist es eine Dummheit, wenn ich mich mit dir einlasse und dir vertraue“, fuhr Lafitte fort. „Aber ich glaube, wir sind aus einem Holz geschnitzt. Wir können ohne Mitwisser arbeiten. Als ich wußte, daß du Black Tiger bist, kam mir gleich dieser Gedanke.“ „Ich denke, du hast keine schlechte Wahl getroffen“, lächelte Jerry. „Auf Black Tiger kannst du dich verlassen.“ Eine halbe Stunde später trafen Lafittes Leute ein. Es waren auch die beiden Burschen darunter, die Jerry mit der Bullpeitsche traktiert hatte. Sie waren nicht sehr erfreut, ihn zu sehen.
„Ihr wißt, wer dieser Mann ist“, wandte sich Lafitte an seine Leute. „Er wird morgen mit euch den Überfall auf die Postkutsche ausführen. Ich werde in Virginia City die Abfahrt beobachten. Reiten die Soldaten mit, gebe ich euch früh genug Bescheid.“ Jerry nahm die Bullpeitsche vom Gürtel und hielt sie spielerisch in der Hand. „Wenn jemand morgen nicht mitmachen will, so soll er es jetzt sagen. Blindgänger kann ich nicht vertragen.“ „Und noch eins“, sagte Lafitte, der bereits am Höhlenausgang stand. „Ich werde euch morgen auszahlen. Ihr könnt dann in alle Himmelsrichtungen verschwinden.“ Nachdem Jerry den Überfall auf die Postkutsche in allen Einzelheiten mit Lafittes Leuten besprochen hatte, legte er sich in einer Ecke zur Ruhe, die Hände griffbereit auf den Colts. Er traute diesen Männern nicht.
Auf der Ponderosa brannte bis spät in die Nacht hinein noch Licht. Ben Cartwright konnte sich nicht damit abfinden, sich in Jerry so getäuscht zu haben. Auch Hoss und Little Joe waren geradezu krank vor Enttäuschung. „Aber wir hätten gleich wissen sollen, daß mit Jerry etwas nicht stimmte“, sagte Ben Cartwright. „Das Armeepferd hätte uns zu denken geben sollen.“ „Ich halbe noch immer nicht daran geglaubt, bis er auf die Soldaten schoß“, erklärte Little Joe. „Was glaubst du, Pa, werden ihn die Soldaten erwischt haben?“ „Das werden wir noch erfahren. Ich glaube aber nicht. Sie haben Black Tiger monatelang in Dakota gejagt, und immer wieder ist er ihnen entkommen.“ Cartwright trat ans Fenster.
„Erinnert ihr euch, was Jerry einmal zu mir sagte, als wir ihn wegen seiner Schießkunst ansprachen?“ „Und was sagte er?“ fragte Hoss. „Er sagte: Mr. Cartwright, ich weiß genau, was ich von Ihnen zu halten habe. Die Cartwrights sind überall als Ehrenmänner bekannt. Ich möchte Sie bitten, mich als Ihresgleichen zu betrachten, ganz gleich, was einmal geschehen wird. – Na, erinnert ihr euch?“ Little Joe nickte. „Ja, wir sagten, er möge uns nicht für dumm halten, und das antwortete er darauf.“ Hop Sing erschien in der Tür und servierte zum vierten Male an diesem Abend Tee. Sein Gesicht war bewegungslos. Beim Hinausgehen blieb er in der Tür stehen. „Mistel Caltwlight, Hop Sing nicht glauben, diese Banjomann ein bösel Mensch“, sagte er mit Nachdruck. „Bösel Mensch nicht singen Schelzliedchen, velstehen?“ „Ja, das denkst du.“ Cartwright trat vom Fenster zurück. „Trotz allem, wenn ich ehrlich sein will: Ich kann es auch nicht glauben.“ „Nein, bestimmt nicht, Mistel Caltwlight“, fuhr der Chinese fort. „El bestimmt nicht diese Black Tigel. El nicht sein kann, weil diese Black Tigel tot.“ „Was sagst du da?“ „Ja, ich bekommen alle Monat Zeitung mit Postkutsche Chinatown-Stal aus San Flancisco, Sie wissen?“ „Ja, natürlich weiß ich das! Chinesische Zeitung“, nickte Cartwright. „Und sie schleiben, lange, lange Zeit zulück, Bandit Black Tigel tot.“ Hop Sing nickte eifrig. „Ich selbst gelesen, und deshalb Banjomann nicht sein kann Black Tigel, velstehen?“ „Das stand wirklich in eurer Zeitung?“ fragte Little Joe ungläubig.
„Ja, elschossen bei Lalamie“, versicherte der Chinese. „Bei Übelfall auf State-Bank.“ „Dann ist ja alles in Ordnung“, lachte Hoss und atmete wie erlöst auf. Sein Gesicht wurde aber sogleich wieder ernst. „Aber die Patrouille! – Sie müßten doch wissen, daß Black Tiger erschossen worden ist.“ Er sah seinen Vater an. „Und Jerry schoß auf die Soldaten“, fügte Joe hinzu. „Zeitungen schreiben viel“, seufzte Cartwright. „Nur um eine Schlagzeile zu haben, setzen sie die tollsten Gerüchte in die Welt.“ Draußen klang Hufschlag auf, und bald darauf öffnete sich die Tür. Auf der Schwölle stand Ben Turner, der Hilfssheriff. „Hallo, Leute!“ Cartwright trat ihm entgegen. „Habt ihr ihn?“ „Black Tiger?“ Ben Turner schüttelte den Kopf. „Längst über die Berge. Die Patrouille ist hinter ihm her.“ Er wandte sich an Hoss. „Der Sheriff läßt dir sagen, du sollst dich um sieben Uhr am Hintereingang der Bank einfinden.“ „Wozu?“ fragte Cartwright. „Er soll die Postkutsche begleiten. Steve Collins fühlt sich nicht wohl und hat Hoss als Ersatzmann angegeben“, erklärte Ben Turner. „Es geht diesmal ein Geldtransport mit, und da brauchen wir Bewachung.“ Er warf Hoss einen Sheriffstern zu. „Hier, dein Abzeichen! – Das war’s, Leute!“ Damit ging er. „Davon erfahre ich erst jetzt?“ fragte der Vater. „Er wußte es schon heute nachmittag“, grinste Little Joe. „Du darfst nicht vergessen, Pa, Cora Orton fährt mit der gleichen Postkutsche. Er hat da schon gewußt, daß sich Steve Collins nicht wohl fühlen würde. – Ein kluges Brüderchen!“ „Rede nicht!“ Hoss polierte den Sheriffstern an seiner Weste. „Das ist ein Ehrendienst, zu dem nur ehrenwerte Männer aufgefordert werden.“
„Na, schön“, seufzte Ben Cartwright. „Eigentlich hatte ich vor, dich auf der Südkoppel zu beschäftigen.“ „Das macht Little Joe“, grinste Hoss. „Er wird sich freuen, mir diese Arbeit abzunehmen.“ Am nächsten Morgen fand sich Hoss beizeiten am gewünschten Treffpunkt ein. Der Sheriffstern blitzte auf seiner Brust, und er war bester Laune. Der Gedanke, mit Cora Orton eine kleine Reise zu machen, hatte ihn so fröhlich gestimmt, und der Gedanke, daß Little Joe auf der Südkoppel beschäftigt war, ließ ein zufriedenes Gefühl in ihm aufkommen. Da konnte Joe seinen Witwentrösterblick bei den Kälbern und Kühen zeigen. Die würden sich wenig daran stören. Außer Hoss waren noch zwei andere junge Männer aus Virginia City zur Begleitung der Postkutsche eingesetzt. In der State-Bank nahmen sie vier lederne Geldtaschen in Empfang. Sie waren so schwer, daß die jungen Burschen sie nur mit Mühe zu der Postkutsche, die im Hof der State-Bank stand, schleppen konnten. Sie wurden in einem dafür vorgesehenen Fach, unter den Sitzen der Fahrgäste, verstaut. Der Sheriff überwachte die Beladung, und als das geschehen war, rief er Hoss und seine zwei Wachmänner in den Büroraum der Bank. „Hört zu, Jungs“, erklärte der Sheriff. „Niemand weiß etwas von diesem Geldtransport. Sollte trotzdem unterwegs etwas passieren, so leistet vorerst keinen Widerstand. Die Kerle haben es dann nur auf die Brieftaschen der Fahrgäste abgesehen, und die bekommen ihren Verlust von der Bank ersetzt. Wenn sie aber die Kutsche durchsuchen, dann könnt ihr eingreifen. Ist das klar?“ „Ja“, sagte Hoss. „Nur wird es dann bereits zu spät sein.“ Der Sheriff lächelte. „Keine Sorge, es wird gar nicht dazu kommen. Ich sage das nur, weil die State Lines für die Sicherheit der Fahrgäste die Verantwortung übernommen hat.
Sie hat mit unserem Geldtransport nichts zu tun. Das Leben der Fahrgäste darf unter keinen Umständen gefährdet werden.“ Punkt zehn Uhr stand die Postkutsche vor dem Gebäude der State Lines in der Nähe der Sheriffstation. Bill Sherwood, der Kutscher, und Ted Staufer, der Beifahrer, verstauten das Gepäck der Reisenden auf der Plattform hinter dem Wagen. Alles wurde mit Stricken und Riemen gesichert. Wie es hieß, sollten vier Reisende mitfahren. Hoss wartete natürlich auf das Eintreffen von Cora Orton. Er hatte sein bestes Hemd angezogen, und an der neuen Lederweste, die ihm Joe zum Geburtstag geschenkt hatte, blitzte der Sheriffstern. In aller Frühe war Paiute gestriegelt worden. Der hochbeinige Renner machte einen prächtigen Eindruck. Immer wieder ritt Hoss die Straße hinab, um nach Cora Orton Ausschau zu halten. Vermutlich würde sie ihr Vater zur Postkutsche bringen. Endlich tauchte der Einspänner weit hinten in einer Staubwolke auf. Hoss ritt zur Kutsche zurück, stieg ab und nahm dort in malerischer Pose Aufstellung. An den Wagen gelehnt, die Daumen hinter den Revolvergürtel geklemmt und den Blick seiner blauen Augen in die Ferne gerichtet, so sollte Cora ihn vorfinden. Hoss sah sich im Geiste selbst dort stehen und war ganz zufrieden. Als der Einspänner heranrollte, setzte er zu allem noch ein grimmiges Gesicht auf, das Einsatzbereitschaft demonstrieren sollte. Aus den Augenwinkeln sah Hoss, wie Mr. Orton seiner Tochter aus dem Wagen half. Und jetzt mußte Cora ihn bald sehen. „He, Hoss, hast du einen Frosch verschluckt?“ Das war doch Little Joes Stimme. Hoss fuhr herum und sah seinen Bruder hoch zu Roß neben dem Einspänner stehen. Er
trug seinen besten Anzug und grinste wie eine fröhliche Klapperschlange; so kam es Hoss jedenfalls vor. „Was willst du denn hier?“ „Ich hatte Cora gestern versprochen, sie zur Postkutsche zu begleiten“, lächelte Joe. „Und was man verspricht, muß man halten.“ „Hallo, Hoss!“ Cora winkte ihm freundlich zu, während Joe vom Pferd stieg. Auch Mr. Orton begrüßte Hoss und meinte, bei einer solchen Begleitung könne er seine Tochter getrost reisen lassen. „Das können Sie bestimmt, Mr. Orton“, nickte Joe. „Ich reite nämlich auch noch mit, freiwillig.“ „Und die Arbeit auf der Südkoppel?“ fragte Hoss. „Die hat mir der alte Morgan abgenommen“, lächelte Joe. „Du siehst, es ist alles in bester Ordnung.“
Um diese Zeit stand Jerry Cox auf einem Felsvorsprung in der Nähe der Straße, über die die Postkutsche ihren Weg nehmen mußte. In der Nähe lagerten Lafittes Galgenvögel. Ihre Pferde dösten im Schatten einer Felswand. Unten auf der Straße wurde ein einzelner Reiter sichtbar. Jerry erkannte Lafitte, der bis jetzt in Virginia City beobachtet hatte. „Er kommt!“ Jerry trat zurück, und die Galgenvögel erhoben sich erwartungsvoll. Kurze Zeit später ritt Lafitte in ihren Kreis. „Alles in Ordnung“, berichtete er. „Die Patrouille ist nicht mehr in der Stadt, auch der Sheriff ist mit seinen Leuten unterwegs. Sie sind hinter dir her“, wandte er sich an Jerry. „Black Tiger soll in Yonkers gesehen worden sein. Ich hörte es im Saloon.“ „Na, dann muß das ja stimmen“, lachte Jerry.
„Außer dem Kutscher und dem Beifahrer wird der Wagen von vier Wachmännern begleitet“, berichtete Lafitte weiter. „Darunter befinden sich Hoss und Joe Cartwright. Na, du kennst sie ja.“ Jerry nickte. „Desto besser!“ Er drehte sich zu den Leuten um. „Wir greifen in dem Waldweg, gleich hinter der Stadt, an. Nur im äußersten Notfall wird geschossen, verstanden? Ich arbeite lieber lautlos.“ „Er hat recht“, nickte Lafitte. „Alles muß schnell gehen. Ihr bringt die Geldtaschen sofort in die Höhle.“ Er wandte sich an Jerry. „Und wir treffen uns hier oben, wenn alles geklappt hat.“ „Wie verabredet“, nickte Jerry. Damit schwang er sich auf seinen Fuchs, und Lafittes Galgenvögel bestiegen ihre Pferde. Dann ritten sie über den Pfad zur Straße hinab. Lafitte sah ihnen mit einem breiten Grinsen nach. Eine halbe Stunde später sprengte Jerry auf seinem Fuchs den Pfad hinauf. An seinem Sattelknopf hing eine der Geldtaschen, die sie bei dem Überfall der Postkutsche erbeutet hatten. Lafitte, der im Schatten der Felsen auf seine Rückkehr gewartet hatte, sprang auf. „Alles in Ordnung“, berichtete Jerry. „Sie gaben nicht mal einen Schuß ab.“ Er klopfte auf die Geldtasche. „Die habe ich erst mal für uns sichergestellt. Es könnte sein, daß die Bewachung unsere Leute verfolgt, oder sie stoßen auf die Kavallerie-Patrouille, die aus Yonkers zurückkommen könnte, wenn sie Black Tiger nicht gefunden haben. Ich bin da nicht ganz sicher.“ „Gut“, lachte Lafitte. „Du kalkulierst auch jede Möglichkeit ein.“ „Als ehemaliger Einzelgänger muß ich das“, antwortete Jerry. „Black Tiger macht nur ganz sichere Geschäfte.“
„Ich auch“, sagte Lafitte. „Und deshalb habe ich dich auch zum Partner gewählt. Ich denke, wir werden in Mexiko nur gute Geschäfte machen.“ Kurze Zeit später machten sie sich auf den Weg zur Höhle, aber bevor sie den schmalen Pfad erreicht hatten, zügelte Jerry seinen Fuchs. „Tut mir leid, Lafitte, aber ich habe ein komisches Gefühl“, sagte Jerry. „Ich möchte mich erst überzeugen, ob dort alles in Ordnung ist. Auch traue ich deinen Leuten nicht.“ „Blödsinn!“ Lafitte stieg von seinem Pferd. „Gut, ich sehe nach!“ Er ließ sein Pferd zurück und kletterte den Pfad hinauf, kam aber Minuten darauf bereits in wilder Eile zurück. „Die Patrouille hat unsere Leute abgefangen“, berichtete er schreckensbleich. „Wir müssen sofort weiter.“ Jerry klopfte lächelnd auf die Geldtasche. „Ja, Black Tiger kann sich auf seinen Spürsinn verlassen. Wenn du willst, können wir uns jetzt trennen. Ich behalte die Tasche, und du hast ja noch irgendwo das Geld von dem Überfall auf die North-Stern-Bank versteckt.“ „Nein, dabei mußt du mir helfen“, sagte Lafitte. „Ich habe alles vorbereitet. Wir reiten zusammen nach Mexiko, so, wie es ausgemacht war. Bis zum Abend müssen wir die Hütte am Nordhang erreicht haben. Dort warten wir ab, bis sie die Nachforschungen eingestellt haben.“ „Schön“, nickte Jerry. „Dann bin ich aber an dem Geld der North-Stern-Bank zur Hälfte beteiligt – oder?“ „Selbstverständlich! Damit können wir uns beide zur Ruhe setzen, wenn wir wollen“, antwortete Lafitte. „Komm, wir holen es und machen uns sofort auf den Weg.“ Lafitte schwang sich auf sein Pferd, und Jerry folgte ihm. Wie gut der Bandenchef die Gegend kannte, sollte Jerry bald feststellen. Er führte ihn auf schmalen Bergpfaden zu einer Quelle, die an dieser Stelle mit breitem Wasserguß über einen
Abhang tief unten in einen Bergbach schoß. Hier hielt er an und schwang sich vom Pferd. Er nahm das Lasso vom Knauf und band es sich um die Brust. „Unter dem Wasserfall liegt das Versteck“, erklärte Lafitte. „Ich habe das Geld in einem regenarmen Monat, als die Quelle nur ein dünnes Rinnsal war, dort untergebracht. Hier war es vor jeder Nachforschung sicher.“ Er reichte das Ende des Lassos Jerry. „Es könnte sein, daß ich auf den nassen Steinen ausgleite.“ Behende kletterte Lafitte über die vorstehenden Steine und war bald unter dem Wasservorhang verschwunden. Völlig durchnäßt kehrte er Minuten darauf zurück, einen kleinen Koffer in der Hand. „He, ist das alles?“ fragte Jerry mißtrauisch. „Dummkopf“, lachte Lafitte. „In dem Koffer befinden sich nur Hunderter. Ich konnte sie mir bei der North-Stern-Bank doch aussuchen.“ Er befestigte den Koffer mit Riemen hinter seinem Sattel und hatte dann plötzlich seinen Colt in der Hand. „Nimm die Hände hoch, Dummkopf!“ Jerry sah ihn überrascht an. „Das kannst du doch nicht machen.“ Er hob langsam die Hände, und Lafitte zog ihm blitzschnell die Colts aus den Halftern. „So, und jetzt noch die Geldtasche“, forderte Lafitte. Jerry wollte sie ihm reichen, aber da fiel in einiger Entfernung ein Schuß. Lafitte schrie auf und ließ den Colt fallen. Von seiner Hand tropfte Blut. Auf einem Felsvorsprung sah Jerry eine Gestalt mit einem Gewehr stehen. An dem hohen Hut erkannte er, daß es Hoss Cartwright war. Er bückte sich und nahm Lafittes Colt vom Boden auf, und in diesem Moment trat Little Joe zwischen den Felsen hervor, den Colt in der Hand. Jerry grinste ihn an. „Willst du mich jetzt festnehmen?“
„Du Falschspieler“, erwiderte Joe. „Wir wissen seit gestern, daß Black Tiger tot ist, aber ich möchte nur wissen, wer du wirklich bist, du Himmelhund.“
Ausklang
Auf der Ponderosa wurde ein Fest gefeiert. Haupthelden des Tages waren Jerry Cox und Hoss, der Jerry durch seinen Meisterschuß gerettet hatte. „Tja“, sagte Jerry. „Wie ihr schon wißt, bin ich Jeremias Cox, Major der zweiten Kavallerie-Division. Ich kam in dieses Gebiet, weil wir wußten, daß sich Lafitte und seine Leute hier aufhielten. Wir hätten ihn wegen verschiedener Delikte sofort festnehmen können. Damit war uns aber nicht gedient, denn wir wußten, daß er den Raub der North-Stern-Bank hier versteckt hatte. Aus diesem Grunde wurde ich von meiner vorgesetzten Dienststelle ausersehen, sein Vertrauen zu erringen.“ „Dann war also alles gespielt?“ fragte Hoss. „Natürlich“, lachte Jerry. „Die Patrouille wußte Bescheid. Bei der Verfolgung schoß ich natürlich hoch über ihre Köpfe hinweg. Sogar euer Sheriff wurde von mir unterrichtet und wußte über alles Bescheid. Aus diesem Grunde solltet ihr auch bei dem Überfall auf die Postkutsche keine Gegenwehr leisten, und ich selbst mußte dafür sorgen, daß Lafittes Galgenvögel nicht schossen.“ „Und wo warst du in der Nacht, als dich Hoss beobachtete?“ fragte Joe. „Ich traf mich mit der Patrouille“, erklärte Jerry. „Sie wartete nur darauf, mir in die Stadt zu folgen. Ich mußte sie aber noch etwas hinhalten, weil sie sonst zu früh aufgetaucht wäre.“ „Jerry – Verzeihung, Major Cox – , Sie sind ein Teufelskerl“, lachte Ben Cartwright. „Aber ich habe Ihnen den Black Tiger nicht geglaubt.“
„Ja, hier lag die einzige Gefahr“, fuhr Jerry fort. „Lafitte hätte von dem Tod Black Tigers wissen können. Ich war nicht sicher, ob er mir nicht eine Falle stellen würde. Natürlich hatte ich nie damit gerechnet, daß er mich zu guter Letzt umbringen würde, um sich mit dem Geld aus dem Staube zu machen, doch da trat unser guter Hoss in Erscheinung. Es war wirklich ein Meisterschuß, das muß ich sagen.“ Hoss warf sich in die Brust. „Und nach dem Überfall sind wir nur dir gefolgt, weil wir das alles nicht glauben konnten“, erklärte er. „Wir waren immer hundert Meter hinter euch.“ „Dafür kann ich euch nur danken.“ Jerrys Gesicht wurde ernst. „Der einzige Fehler war, daß ich Lafitte vertraute, und das hätte schlimm ausgehen können.“ Hop Sing erschien in der Tür. Statt Tee wurde heute Wein getrunken. Ben Cartwright hatte einen besonders guten Jahrgang aus dem Keller holen lassen. Er bezog ihn aus San Francisco. Der Chinese füllte die Gläser und hielt eine neue Flasche hoch. „Noch genug da“, verkündete er. „Wil alle uns fleuen, daß Mistel Jelly gesund zülück.“ Damit verschwand er. Ben Cartwright hob sein Glas. „Auf das Wohl unseres Gastes.“ „Auf das Wohl der Cartwrights und der Ponderosa“, erwiderte Jerry. „Velzeihung!“ Hop Sing stand wieder in der Tür. Er hielt Jerrys Banjo in der Hand. „Vielleicht Sie spielen zul Feiel des Tages Schelzliedchen von Sheliff Bum, ja? Ich Banjo gut aufgehoben.“ „Meinetwegen“, antwortete Jerry mit einem tiefen! Seufzer und schlug den Blick gegen die Zimmerdecke. „Dieses Schelzliedchen wird mich noch im Schlaf verfolgen.“ Ende