Parker zapft das »Großhirn« an Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
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Parker zapft das »Großhirn« an Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Sie bemühte sich, Selbstsicherheit vorzutäuschen. Die junge Frau, die etwa achtundzwanzig Jahre zählte, war mittelgroß, schlank und trug einen einfa chen Regenmantel, der ihre Figur verbarg. Sie hatte die kleine Halle des Hotels betreten und ging zum Portier, der hinter einem Stehpult stand und Papiere sortierte. Er schaute kurz hoch und schaltete sein berufsmäßiges Lächeln ein. »Mr. Litters erwartet mich«, sagte sie. »Mrs. Miller?« fragte der Portier höflich. Er hatte sich sein Urteil bereits gebildet. Seiner Schätzung nach hatte er es mit einer netten Hausfrau zu tun, die sich auf dem Parkett eines Hotels selbst dieser Größe nicht besonders wohl fühlte. »Wie bitte? Ach s o . . . Mrs. Miller.« Sie nickte und preßte ihre kleine Handtasche fest gegen ihre Brust. »Sie finden Mr. Litters im Obergeschoß, Madam«, erklärte der Portier, »es lohnt sich nicht, den Lift zu benutzen. - Es ist der kleine Sitzungssaal, Nummer sechs.« Sie nickte und eilte dann zur Treppe. Als sie hinauf stieg, schaute sie kurz zum Portier hinüber, doch der beschäftige sich bereits wieder mit seinen Papieren.
Er hatte es sich abgewöhnt, neugierig zu sein. Menschliches war ihm in sei nem Beruf nicht mehr fremd. Die junge Frau, die ein recht hüb sches Gesicht hatte, holte tief Luft und stieg weiter nach oben. Sie fuhr sich nervös durch das Haar und zupfte an ihrem Regenmantel. Von Stufe zu Stufe wurde sie langsamer. Die Tür zum kleinen Sitzungssaal war weit geöffnet. Es handelte sich um ein größeres Zimmer, das die Bezeichnung Saal eigentlich nicht verdiente. Links und rechts von den beiden schmalen, hohen Fenstern langweilten sich ver staubt aussehende Zimmerpalmen. Es gab einen langen Tisch, um den herum acht Polsterstühle standen, dann eine Sitzgruppe, die aus einem altertümli chen Sofa und zwei Sesseln bestand. Auf dem Boden lag ein durchgetretener Teppich. Mrs. Miller, wie sie sich genannt hat te, sah sich nervös-erwartungsvoll um, denn der Raum war leer. Sie ging zu rück auf den Korridor, dann wieder hin ein in den sogenannten Sitzungssaal und warf einen Blick auf ihre Armband uhr. Nun - sie war pünktlich und hatte sich nicht verspätet. Terry Litters, wie der Briefschreiber sich genannt hatte, erwartete sie um elf Uhr in diesem Ho tel der Mittelklasse im Stadtteil Bloomsbury. Die Frau fuhr zusammen, als sie hin ter sich ein Räuspern hörte. Judy Ten ders, wie sie tatsächlich hieß, drehte sich um und sah sich einem Mann ge genüber, der ihr sofort unsympathisch war. Er war etwa fünfzig, untersetzt und
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dicklich. »Mrs. Tenders, nicht wahr?« fragte er mit weicher Stimme. »Haben Sie mir geschrieben?« Sie deutete auf ihre Handtasche, in der sich wohl der angesprochene Brief befand. »Ich habe geschrieben und freue mich, daß Sie gekommen sind«, ant wortete er, »ich schlage vor, wir gehen für einen Moment in mein Zimmer.« »Ich möchte lieber hier sein«, gab sie zurück. Sie sagte es ohne jeden Nach druck. »Kommen Sie«, forderte er sie auf, »Sie wissen genau, daß Sie mitkommen werden, Mrs. Tenders.« Er kümmerte sich nicht weiter um sie, wandte sich ab und ging den Korri dor hinunter. Judy Tenders zögerte ei nen Moment, senkte dann fast ergeben den Kopf und folgte dem Mann, der sich seiner Macht völlig sicher war. Er wartete, bis sie sein Zimmer betre ten hatte. Sie roch sofort das aufdringli che, schwere und süßliche Parfüm, das förmlich in Wolken im Zimmer hing. Terry Litters deutete auf einen Sessel. »Zuerst mal den Brief, den ich Ihnen geschrieben habe«, meinte er und streckte seine Hand aus. Judy Tenders öffnete gehorsam die Handtasche und reichte ihm einen Umschlag. Der Mann vergewisserte sich, daß sich darin das Schreiben befand. Dann steckte er den Umschlag ein. »Was wollen Sie eigentlich von mir?« fragte Judy Tenders und zwang sich zur Ruhe. »Mit Geld kann ich kaum dienen. Wirklich nicht...« »Ich will kein Geld«, antwortete der
Mann, der sich Jerry Litters nannte, »nein, nein, da kann ich sie völlig beru higen, Mrs. Tenders.« »Was wollen Sie dann?« fragte sie. Ih re Stimme klang etwas heiser. »Möchten Sie etwas trinken?« fragte er. Es ging ihm eindeutig darum, sie erst mal im Ungewissen zu lassen. »Ich . . . ich habe nicht viel Zeit«, ent schuldigte sie sich, »bitte, sagen Sie mir endlich, was Sie wollen.« »Ziehen Sie sich aus«, lautete seine Antwort. Diese Aufforderung klang wie selbstverständlich. »Was soll ich tun?« Sie sah ihn aus großen Augen an. »Ziehen Sie sich aus«, wiederholte er noch mal, »nun machen Sie schon ...« Er kümmerte sich nicht weiter um sie, sondern langte nach einer moder nen japanischen Spiegelreflex-Kamera, die auf einem kleinen Sekretär lag. Er überprüfte das aufgesetzte Blitzlichtge rät und lächelte abwesend. Judy Tenders schüttelte den Kopf, wollte etwas sagen, vielleicht protestie ren und wußte gleichzeitig, daß sie die sem Befehl doch nachkommen würde.
»Als ehemalige Pfadfinderin bin ich verpflichtet, jeden Tag eine gute Tat zu begehen«, stellte Agatha Simpson fest. »Eine vorbildliche Grundeinstellung, Mylady, wenn ich so sagen darf«, ant wortete Butler Parker, der am Steuer seines hochbeinigen Monstrums saß, das er durch die Innenstadt lenkte. »Wir haben bereits Mittag, Mr. Par ker«, verkündete die ältere Dame mit ihrer dunklen, baßbaritonalen Stimme, »sorgen Sie dafür, daß ich meiner Ver pflichtung nachkommen kann.« »Mylady haben besondere Wün sche?« wollte Josuah Parker wissen. Er war etwas über mittelgroß, alterlos und fast schlank. Er trug über seinem schwarzen Zweireiher einen schwarzen,
altmodisch aussehenden Covercoat. Auf seinem Kopf saß eine Melone, ebenfalls in schwarzer Farbe. Er sah aus wie das Urbild eines englichen Butlers. »Halten Sie an, Mr. Parker!« Sie hatte eine junge Frau ausgemacht, die ein deutig von zwei Männern belästigt wur de. Lady Agatha witterte eine Möglich keit, sich als Pfadfinderin zu betätigen. Die beiden Männer redeten auf eine of fenbar leicht beschwipste Frau ein, die einen einfachen Regenmantel trug und abweisend den Kopf schüttelte. Dabei geriet sie etwas aus dem Gleichgewicht und lehnte sich gegen eine Hauswand. Parker kam dem Wunsch seiner Her rin umgehend nach. Bevor er den Fah rersitz verlassen konnte, hatte die ältere Dame das hochbeinige Gefährt bereits verlassen und beeilte sich, ihre Pflicht als Pfadfinderin zu tun. Sie war eine ungewöhnliche Erschei nung und hatte das sechzigste Lebens jahr längst überschritten, besaß aber noch die Dynamik einer leicht gereizten Löwin. Lady Agatha hielt sich mit Golf und Bogenschießen in Form und war darüber hinaus eine begeisterte Auto fahrerin, die die Verkehrsregeln aller dings großzügig auslegte. »Sie Lümmel«, herrschte sie die ver dutzten Männer an, »geben Sie die Frau sofort frei.« »Na, hören Sie mal...«, erwiderte ei ner der beiden, der seine Hand auf die Schulter der jungen Frau gelegt hatte, »sehen Sie denn nicht, was los ist?« »Und ob ich sehe.« Ihr Pompadour war bereits in leichte Pendelbewegun gen geraten und schnellte nun nach vorn. Der im perlenbestickten Hand beutel befindliche >Glücksbringer< klatschte vor die Brust des überrasch ten Mannes, der leichtsinnigerweise noch nicht einmal einen halben Schritt zurückgetreten war. Er verfärbte sich, schnappte nach Luft und suchte unwillkürlich nach dem unsichtbaren Pferd, das ihn mit 3
»Die Hilflosigkeit bleibt auch unter Sicherheit getreten hatte. Er ahnte nicht, wie nahe er der Teilwahrheit war. den neuen Voraussetzungen eine Tatsa Im Pompadour befand sich nämlich ein che, Mylady«, erklärte der Butler, »mei echtes Pferdehufeisen, das nur ober ner bescheidenen Auffassung nach ha flächlich in Schaumstoff gehüllt war. ben Mylady durchaus eine gute Tat im Der Mann landete an der Hauswand Sinn der Pfadfinder begangen.« und schwankte jetzt ebenfalls wie die »Eben.« Sie war mit dieser Deutung junge Frau, die diesen Eingriff gar nicht sofort einverstanden. »Wir werden das mitbekommen zu haben schien. hilflose Ding nach Hause bringen, Mr. »Sind Sie wahnsinnig?« erkundigte Parker, bevor es erneut belästigt wer sich der zweite Mann, der nicht weniger den kann.« korrekt gekleidet war wie der Keuchen Sie leistete kaum Widerstand. Josuah de, der mit Myladys sogenanntem Parker geleitete die junge Frau, die > Glücksbringer < Bekanntschaft ge wirklich sehr nach Alkohol roch, in den macht hatte. Fond des Wagens, schloß dann hinter »Sie sollten sich schämen«, herrschte seiner Herrin die Tür, setzte sich ans Agatha Simpson den Fragenden an und Steuer und fuhr los. trat ihn ziemlich ungeniert gegen das Die beiden Männer, die wohl nur hilf Schienbein. Der Getroffene jaulte und reich hatten sein wollen, sahen das al hüpfte auf einem Bein davon. Dadurch tertümlich-hochbeinige Gefährt, das entging er dem zurückschwingenden mal ein Londoner Taxi gewesen war, Pompadour, der gegen die Hauswand und drückten sich in einen Hausein knallte und ein Stück Putz abblättern gang. Sie fühlten sich verfolgt und woll ließ. ten von der Alten nicht noch mal ange »Armes Kind«, sagte die Lady, die sprochen werden. sich der hilflosen Frau widmete, »Sie stehen ab sofort unter meinem Schutz.« »Was ist denn?« fragte die junge Frau Liza Carpetti stand in der Küche ihrer mit schwerer Zunge. »Ja, was ist eigentlich?« Die passio Wohnung und rührte lustlos in einem nierte Detektivin wandte sich Josuah Suppentopf. Sie rauchte dazu eine Ziga Parker zu. »Reichen sie der Ärmsten ein rette und wußte bereits jetzt schon, daß Kreislaufbelebungsmittel, Mr. Parker.« sie kaum etwas essen würde. Ihr Mann »Darf man respektvoll darauf verwei kam erst am späten Nachmittag vom sen, Mylady, daß die junge Dame offen Dienst. Sie hatte das Fernsehgerät in sichtlich ihren Kreislauf nachhaltig ge dem kleinen Wohnraum eingeschaltet und sah immer wieder auf den Bild stärkt hat«, erwiderte Josuah Parker. »Tatsächlich. Sie riecht nach Alko schirm, wo in einer Show ein Spaßvogel ältere Witze an die Zuseher brachte. hol«, wunderte sich Agatha Simpson. »Nachdrücklich, Mylady«, steigerte Fast erfreut nahm sie das Läuten des Josuah Parker in seiner höflichen Art. Telefons zur Kenntnis und ging eilig in »Sollte ich den beiden Flegeln Un die enge Diele, wo der Wandapparat an recht getan haben?« Sie sah ihnen nach. gebracht war. Sie hob ab und meldete Sie hatten sich abgesetzt und legten es sich. darauf an, so schnell wie möglich einen »Mrs. Liza Carpetti?« fragte eine wei großen Abstand zwischen sich und die che, höfliche und dennoch unangeneh kriegerische Dame zu bringen. me Stimme. »Sie hätten mich Warnen müssen, Mr. »Genau die«, sagte die Frau. Parker«, fand Lady Simpson unwillig, »Sie sind allein, nicht wahr?« 4
»Was geht Sie das an?« erwiderte sie belustigt. Mochte die Stimme auch zu weich sein, Hauptsache, sie hatte etwas Abwechslung. »Sie sind oft allein, nicht wahr?« »Kommen Sie endlich zur Sache! Wer sind Sie eigentlich? »Ein Liebhaber schöner Frauen«, ant wortet die weiche Stimme, »ich würde Sie gerne aus nächster Nähe ansehen.« »Sind Sie verrückt!« Liza Carpetti spürte plötzlich eine Bedrohung. »Ich bin sicher, daß ich Sie bald se hen werde«, ging es weiter, »nackt, um genau zu sein.« »Idiot!« Liza Carpetti hängte auf und blieb nachdenklich stehen. Dann ging sie schnell hinüber in den Wohnraum, griff nach einer Flasche Süßwein, setzte sie kurzerhand an den Mund und trank. Die Frau zuckte zusammen, als das Telefon erneut läutete. Wie unter frem dem Zwang ging sie zurück in den en gen Korridor und hob ab. »Sie sollten nicht auflegen«, sagte die weiche Stimme, die etwas ärgerlich klang, »ich könnte Ihnen viele Unan nehmlichkeiten bereiten. Überlegen Sie doch mal.« »Wieso denn das?« fragte sie, obwohl sie begriffen hatte. »Ich könnte Ihrem Mann einen Tip geben.« »Wollen Sie mir Angst einjagen?« »Auf keinen Fall, Mrs. Carpetti.« Der Ärger war bereits wieder aus der Stim me verschwunden. »Ich erwarte Sie, sa gen wir, in einer halben Stunde, hier in Bloomsbury.« »Sie sind verrückt! Wie komme ich dazu, in ein Hotel zu gehen?« »Sie werden kommen, ich weiß es ganz genau . . . Es ist ja nicht weit.« Er nannte den Namen des Hotels und den Namen Terry Litters. »Ich erwarte Sie pünktlich.« »Ich werde nicht kommen!« »In einer halben Stunde Mrs. Carpet ti...« Auf der Gegenseite wurde aufge
legt, und Liza Carpetti brauchte einige Sekunden, bis auch sie auflegte. Dann ging sie zurück in den Wohnraum und trank erneut aus der Weinflasche. Sie wußte in etwa, wo dieses Hotel war. Den Weg konnte sie gut in einer halben Stunde schaffen. Liza Carpetti wohnte an der Grenze zwischen den beiden Stadtteilen Bloomsbury und Holborn. Sie trank noch mal und lief dann in die Küche. Die Suppe war angebrannt, doch das nahm Liza kaum zur Kennt nis. Sie schaltete die Heizplatte aus, schob den Topf zur Seite und öffnete die Schublade eines Unterschrankes, griff nach einem langen Fleischmesser und wog es nachdenklich in der Hand, warf es zurück in die Lade und griff erneut danach. Die Frau war nicht gewillt, sich unter Druck setzen zu lassen. Wenn sie nur einmal nachgab, war das nur der An fang eines langen Weges, den sie gehen mußte. Liza Carpetti trat zum Wand schrank im Korridor der kleinen Woh nung, warf sich den leichten Wollman tel über und holte dann das Messer aus der Küche.
»Nun reißen Sie sich mal zusammen, Kindchen«, grollte Lady Agatha, »die Sache ist überstanden. Sie befinden sich unter meinem Schutz.« »Darf man höflichst fragen, Madam, wo Sie zu wohnen belieben?« erkundig te sich Josuah Parker. Die Trennschei be zwischen Fond und Fahrerraum des Wagens war versenkt. »Mir ist schlecht«, sagte die junge Frau, die sich in ihre Ecke verkrochen hatte. »Haben Sie viel getrunken, Kind chen?« wollte Mylady wissen. »Whisky«, lautete die ziemlich unge naue Antwort, »und ich kann Whisky nicht vertragen.« 5
»Ich ebenfalls nicht«, vertraute Lady Agatha ihr an, »ich bin mehr für Ko gnak, Kindchen.« »Die Adresse, wenn ich bitten darf«, meldete sich der Butler zu Wort. »Lassen Sie mich irgendwo raus«, er widerte die junge Frau. »Aber auf keinen Fall, meine Liebe«, meinte die ältere Dame, »es ist meine Pflicht als ehemalige Pfadfinderin, Sie sicher nach Hause zu bringen. Sie ha ben ja eben erlebt, was so alles auf Lon dons Straßen passieren kann. Wie also heißen Sie, und wo kann ich Sie ab setzen?« »Bitte, Lady, lassen Sie mich raus«, sagte die junge Frau mühsam, »ich . . . ich muß mich gleich übergeben ...« »Warten Sie damit noch etwas«, emp fahl ihr Agatha Simpson umgehend, »Mr. Parker...» »Ich war so frei, diesen Hinweis be reits zu hören, Mylady«, erwiderte der Butler und stoppte den hochbeinigen Wagen, dem man rein äußerlich eine gewisse Altersschwäche ansah. Taxis dieser Art waren im Stadtbild von Lon don nur noch selten zu sehen. Alles an diesem Auto war hoch und eckig, der schwarze Lack allerdings glänzte wie frisch poliert. Dieser Wagen war Parkers Eigentum und wurde von Eingeweihten eine Trickkiste auf Rädern genannt. Unter der Haube arbeitete ein moderner Hochleistungsmotor, der durchaus in einen Rennwagen gepaßt hätte. Parker hatte zusätzlich dafür gesorgt, daß die Radaufhängung dem neuesten Stand der Technik entsprach. Darüber hinaus verfügte dieses >Monstrum auf Rädern< über eine Fülle von Einrichtungen, die dazu dienten, Gegner in Verwirrung zu bringen und restlos auszuschalten. Das Armaturenbrett war entsprechend übersät mit Schaltern, Knöpfen und Kipphebeln. Zusätzlich war Parker noch in der Lage, weitere Aggregate durch den Druck seiner Schuhspitzen 6
auszulösen. In diesem Fall bestand selbstver ständlich kein Grund, auch nur eine dieser technischen Finessen auszuspie len. Der Mitfahrerin war schlecht ge worden, und sie wollte für einen Mo ment den Wagen verlassen. Parker hat te durchaus nichts dagegen, zumal er an mögliche Reinigungsarbeiten dachte. Die junge Frau hatte die Tür aufge drückt und stieg aus. Sie eilte, immer noch ein wenig schwankend, Richtung Gitter eines Vorgartens und . . . lief dann plötzlich los, als würde sie von Furien gehetzt. »Sehen Sie das, was ich sehe, Mr. Par ker?« fragte Lady Agatha überrascht. »Die junge Dame scheint sich offen sichtlich entfernen zu wollen, Mylady«, antwortete der Butler. »Sie läuft mir davon, Mr. Parker! Tun Sie gefälligst etwas dagegen!« »Haben Mylady spezielle Vorstel lungen?« »Ich will sie nach Hause bringen . ..« »Könnte es nicht sein, daß die junge Dame allein sein möchte?« »So ein undankbares Geschöpf«, raunzte die Lady und sah schließlich, daß die junge Frau in einen Torweg flüchtete. »Mylady taten Myladys Pflicht«, stell te Josuah Parker klar. »Eine Trinkerin, Mr. Parker ...« »Dieser Eindruck drängt sich in der Tat auf.« »Nun, Hautpsache, ich habe sie vor zwei aufdringlichen Kerlen geschützt«, fand Agatha Simpson, während Parker die geöffnete Tür durch einen entspre chenden Knopfdruck pneumatisch schloß, »fahren Sie weiter, Mr. Parker.« »Da wäre noch die Handtasche der jungen Frau, Mylady.« »Regeln Sie das später, Mr. Parker«, meinte die Detektivin. »es fehlte noch, daß ich sie ihr nachtrage.« Josuah Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum wieder anrollen und nahm
Richtung zum Hyde Park, genauer ge sagt, auf ein idyllisches Fleckchen Erde namens Shepherd's Market in der Nähe der Curzon Street. Dort befand sich das altehrwürdige Fachwerkhaus der Lady Simpson, das auf den noch älteren Ge wölben einer ehemaligen Abtei stand. Es handelte sich bei diesem großen Haus um die Stadtwohnung Agatha Simpsons. Die Lady verfügte dank ih rer Vermögensverhältnisse noch über andere Häuser und Landsitze. Als man dort angelangt war, nahm Josuah Parker die kleine Handtasche der jungen Frau an sich und ahnte nicht, daß er bereits in einen Kriminal fall verwickelt worden war . . .
Rose Patnick, fünfundzwanzig, zier lich, schlank und ein wenig keß ausse hend, hatte bis gegen Mittag durchge schlafen. Sie war am Vorabend mit ih rem Mann auf einer Party gewesen und erst gegen Morgen nach Hause gekom men. Als sie erwachte, brauchte sie eini ge Zeit, bis sie sich wieder an Einzelhei ten erinnern konnte. Sie hatte leichte Kopfschmerzen, stand langsam auf und ging erst mal ins Bad, um sich aus dem Medikamentenschrank eine Tablette zu holen. Vor dem großen Spiegel, der in der Innenseite der Bad-Tür angebracht war, betrachtete sie sich eingehend. Sie trug nur einen Slip und konnte ohne Schwierigkeiten diese Prüfung vorneh men. Sie fand, daß sie sehr gut aussah und nickte sich zufrieden zu. Dann lä chelte sie plötzlich versonnen und dachte an den Flirt, den sie während der Party geführt hatte. Okay, der Mann hatte zwar wirklich berauschend ausge sehen, aber er schien auch viel Geld zu haben. Hatte sie sich mit ihm verabre det? Sie wußte es nicht mehr so ganz genau. Als sie die Kopfschmerztablette ge
schluckt hatte, schlenderte sie in die Küche und verzog das Gesicht. Ihr Mann hatte die übliche Unordnung hin terlassen. Sie haßte Hausarbeit und är gerte sich wieder mal darüber, diesen Bert Patnick geheiratet zu haben. In ih ren Augen war Bert ein glatter Versa ger, doch das hatte sie leider zu spät erkannt. Sie war auf diesen gutausse henden Mann hereingefallen, wie sie in zwischen wußte. Beruflich hatte er überhaupt keinen Ehrgeiz. Es genügte ihm vollkommen, Fahrer für eine Brot fabrik zu sein. Und dabei hatte er ihr damals vorgeschwindelt, er sei der Ma nager der Einsatzplanung. Rose beschwindelte ihren Mann nun auch, unterhielt ein ausgedehntes Pri vatleben und war sich im klaren dar über, sich dann von ihm scheiden zu lassen, sobald sich für sie eine bessere Chance ergab. Sie ging zur Haustür, um die Zeitung und die Milchflasche zu ho len, entdeckte einen Brief im Kasten und wunderte sich. Post erhielten beide so gut wie nie. Sie öffnete den kleinen Kasten mit dem Glaseinsatz, drehte und wendete den Brief und dachte zuerst an eine Rekla mesendung. Es war mehr Langeweile, daß sie den Brief mit dem kleinen Fin ger aufschlitzte. Sie war überrascht, als sie ihren Namen in Schreibmaschinen schrift las. Ein paar Minuten später hielt sie den Brief in der herunterhängenden Hand und versuchte, Ordnung in ihre Gedan ken zu bringen. Sie ging in den kleinen Wohnraum, warf sich in einen Sessel und überlas den Brief noch mal. Mit größter Genauigkeit waren darin Uhrzeiten, Daten und Adressen ge nannt. Rose Patnick wußte sofort, was das bedeutete. Irgend jemand schien sie während der vergangenen Wochen ge nau überwacht zu haben. Sie sah sich die Unterschrift noch mal an und schüttelte den Kopf. Dort stand tatsächlich »Ihr Mr. Großhirn«. Sie las diese Unter 7
schrift halblaut und warf den Brief dann wütend zu Boden. Der Verfasser des Briefes drohte ihr, ihren Mann zu informieren. Er kündigte an, er würde sich bald wieder melden und ihr mitteilen, was er von ihr wün sche. Rose Patnick nahm den Brief wie der hoch und überlas ihn erneut. Falls ihr Mann hinter ihr Privatleben kam, hatte sie einiges zu erwarten, darüber war sie sich völlig im klaren. Bert war groß, stark und rasend eifersüchtig. Schon oft genug in der Vergangenheit hatte er ihr gedroht sie umzubringen, falls er sie bei einem Seitensprung er tappte. Sie nahm ihm das voll ab. Bert neigte ohnehin zum Jähzorn. Was mochte dieser >Mr. Großhirn< nur wollen, fragte sie sich. Natürlich konnte es sich nur um Geld handeln. Und plötzlich war Rose Patnick froh, daß sie über eine hübsche Summe ver fügte, von der ihr Mann keine Ahnung hatte. Doch dann dachte sie daran, wie sie sich sich dieses Geld verdient hatte . . . Nein, sie war nicht bereit, alles Er sparte so einfach wegzugeben. Zorn und Wut stiegen in ihr hoch. Sie über legte, wer sie während der vergangenen Wochen wohl beschattet hatte. Sie ging die Nachbarschaft durch und konzen trierte sich dann auf einen Mann, der ein paar Häuser weiter wohnte und ihr nachstellte. Sie hatte diesen Mann bis her immer abblitzen lassen, ihn jedoch auch immer wieder animiert und mit ihm kokettiert. War es dieser Mr. John Adamski? Natürlich, nur er konnte es sein! Für sie gab es plötzlich keinen Zweifel mehr: Adamski wollte ihr Dau menschrauben anlegen. Schon fühlte sich Rose Patnick wie der wohler. Diesen Adamski konnte sie doch jederzeit mit der linken Hand aus tricksen. Sie zog das Telefon heran und suchte seine Nummer im Register. Bert hatte diese Nummer aufgeschrieben, denn er war mit John Adamski bekannt 8
und fast befreundet. Die beiden Männer waren in einem Schachclub und sahen sich häufig. Rose Patnick wußte genau, unter wel chem Vorwand sie Adamski zu sich ins Haus holen konnte. Er würde keinen Moment zögern, ihr seihe Hilfe anzubie ten. Er wartete doch nur darauf . . .
»Ich bin empört und beleidigt«, groll te Agatha Simpson, als sie aus der Wohnhalle in den Salon zurückkehrte. Sie sah Kathy Porter und Mike Rander, die sie abwartend musterten. »Ich glaube, ich muß etwas für mei nen Kreislauf tun«, redete die ältere Da me weiter. »Sofort, Mylady.« Mike Rander ging zu einem halbrunden Wandtisch, auf dem Flaschen und Gläser standen. Er kannte das richtige Mittel und füllte ei nen Schwenker mit altem französi schem Kognak. Mike Rander, ein wenig an den Dar steller des James Bond erinnernd, hatte die Vermögensverwaltung der Haus herrin übernommen, nachdem er aus den Staaten zurück war. Damit wurde er wieder von Butler Parker >übernom menPloppMr. Computer
»Aber nein. Bestimmt nicht, Sir«, gab der Portier schnell und nachdrücklich zurück. Man hörte förmlich heraus, daß er log, »wir sind ein seriöses Haus . . . Nein, nein, mit der Polizei hatten wir noch nie zu tun, darum ja auch meine Sorge.« »Die Polizei wird aus dem Spiel blei ben«, meinte Kathy Porter, »da wäre noch eine Frage: Hat dieser Mr. Litters Ihnen eine Liste der Damen gegeben, die hier vorsprechen wollten?« »Aber nein, Miß«, erklärte der Portier, und Kathy Porter und Mike Rander hat ten erneut den Eindruck, daß der Mann sehr gezielt die Unwahrheit sagte.
John Adamski ahnte nicht, welches Glück er hatte. Als Rose Patnick ihm die Milchfla sche auf den Kopf schlagen wollte, schob er sich plötzlich ruckartig vor und brachte seinen Kopf aus der Schlagrichtung. Er hatte vor, sich den Schließmechanismus aus einem ande ren Blickwinkel anzusehen. Deshalb hatte er den Kopf ein Stück in den Kühlschrank geschoben. Er zuckte na türlich zusammen, als die Milchflasche am oberen Rahmen der Tür zerschellte. Die Splitter landeten in seinem Nacken, die Milch ergoß sich über seinen Rücken. Rose Patnick war entsetzt einen hal ben Schritt zurückgewichen und starrte John Adamski an, der sich aufrichtete und ein wenig verwirrt war. »O Gott«; stammelte Rose Patnick und wandte sich ab. Ihr wurde erst jetzt so richtig bewußt, was sie geplant hatte. »Aber das macht doch nichts, kleine Frau«, sagte Adamski und lächelte ein wenig gequält, »so etwas kann jedem passieren...« »Ich . . . Ich wollte . . . Ich habe ...« Rose Patnick wandte sich ab und rann te aus der Küche hinüber in den Wohn 18
raum. Sie warf sich auf die schmale Couch und weinte hemmungslos. Sie merkte nicht, daß John Adamski ihr gefolgt war und sie ratlos betrachtete. »Was ist den?« fragte er endlich und trat neben sie. Er legte seine Hand auf ihre nackte Schulter. Das Dekolleté hat te sich verschoben, »wer weint wegen einer zerbrochenen Milchflasche?« Sie antwortete nicht und schluchzte weiter. Adamski zündete sich eine Ziga rette an, goß einen Brandy ein und reichte ihr das Glas. Er richtete die Frau auf und wiederholte die Geste. Fast au tomatisch griff sie zu und leerte das Glas. »Wer weint über verschüttete Milch?« zitierte er ein engliches Sprichwort und lächetle sie an. »Noch einen Schluck?« »Gehen Sie, Adamski«, sagte Rose Patnick, »bitte, gehen Sie! Ich muß al lein sein.« John Adamski zögerte einen Moment und nickte dann. Er ging zur Tür, lä chelte und kam sich in diesem Augen blick sehr edel und hilfreich vor. »Wenn Sie Ärger haben, Rose«, sagte er, »wenn Sie mal Hilfe brauchen, dann rufen Sie mich, ja?« »Sie wollen mir helfen?« fragte sie fast empört. »Ich bin kein junger Mann mehr, Ro se, aber ich bin auch kein Feigling«, meinte er, »genieren Sie sich nicht, mich anzurufen.« Sie verstand die Welt nicht mehr. Ro se Patnick sah ihn entgeistert an und wollte antworten, doch es schnürte ihr die Kehle zu. Hatte Adamski nicht ver sucht, sie unter Druck zu setzen? War er nicht der Verfasser des Briefes, der mit > Großhirn < unterschrieben war? Wie konnte man derart heucheln? »Warum haben Sie diesen Brief ge schrieben?« fragte sie leise, »warum spionieren Sie mir nach, Mr. Adamski? Sagen Sie doch endlich, was Sie wollen! Haben Sie doch endlich den Mut, Farbe zu bekennen!"
»Ich habe Ihnen einen Brief geschrie ben?« John Adamski stutzte und schüt telte den Kopf. »Ich spioniere Ihnen nach? Wie kommen Sie denn darauf?« »Sie sind ein gemeiner Feigling! Und was ist das hier?« Rose Patnick griff unter ein Kissen und präsentierte auf gebracht den Brief, der die Lawine aus gelöst hatte. John Adamski nahm ihn an sich, las und zeigte sich überrascht. »Diesen Brief habe ich nicht geschrie ben«, sagte er dann mit Nachdruck, »so etwas habe ich nicht nötig.« »Er stammt wirklich nicht von Ih nen?« Sie wurde rot und riß ihm den Brief aus der Hand. »Das sieht nach einer handfesten Er pressung aus«, antwortete John Adam ski, »was könnte er Ihrem Mann sagen, Rose? Um Kleinigkeiten kann es sich nicht handeln. Was sollen die Daten und Adressen bedeuten?« Rose Patnick senkte den Kopf. »Ach so, jetzt verstehe ich.« John Adamski griff nach der Brandyflasche und goß sich einen Schluck ein. »Jetzt begreife ich erst...« »Es war ja wohl auch nicht schwer«, meinte sie und stand auf. »Okay, Sie haben mich in der Hand, John. Sie wis sen ja jetzt Bescheid. Sie haben ge wonnen.« »Einen Moment mal«, protestierte er, als sie den Morgenmantel öffnen wollte, »Sie sollten mich nicht beleidigen, Ro se. Ich würde nie eine Situation ausnut zen . . . Niemals! Aber ich denke, wir sollten uns zusammensetzen und ge meinsam darüber nachdenken, wer die sen Brief geschrieben haben könnte.« »Ich wollte Ihnen die Milchflasche auf den Kopf schlagen.« »Das ist mir inzwischen aufgegan gen.« Er lächelte flüchtig. »Da habe ich ja noch mal Glück gehabt. Also, wer könnte den Brief geschrieben haben, Rose?« »Ich weiß es nicht, John.« »Wir werden das herausbekommen,
Rose.« »Und dann?« »Und dann werde ich mir diesen Kerl kaufen. So ein Dreckskerl, so ein mieser Erpresser... Der kann sich auf einiges gefaßt machen!«
»Läuten Sie noch mal, Mr. Parker«, sagte Agatha Simpson, »man muß uns doch gehört haben.« Der Butler hatte seinen Zeigefinger bereits erneut auf den Klingelknopf ge legt und beließ ihn dort. Das Schrillen der Türklingel war mehr als deutlich zu vernehmen, doch im Haus rührte sich nichts. Nach dem Intermezzo im Hotel waren die Lady und ihr Butler weitergefahren, um die Handtasche abzuliefern, die die junge Frau im Wagen zurückgelassen hatte. In dieser Handtasche hatte Josu ah Parker Papiere gefunden, die auf die Besitzerin der Tasche schließen ließen. Diese Frau wohnte im östlichen Stadt teil von Holborn, man hatte also noch nicht mal einen größeren Umweg ma chen müssen. Josuah Parker nahm den Zeigefinger zurück und griff in die linke Mantelta sche seines schwarzen Covercoats. Sein Gefühl sagte ihm, daß in diesem Haus einiges nicht stimmte. Die junge Frau hatte sich fluchtartig abgesetzt und war doch sicher auf dem schnellsten Weg nach Hause gefahren. Ihr Zustand hatte es bestimmt nicht zugelassen, in der Stadt zu bleiben. Warum also öffnete sie nicht, obwohl man durch ein schmales Seitenfenster deutlich erkennen konn te, daß das Fernsehgerät eingeschaltet war. Der Ton allerdings war abgedreht worden. »Ich werde jederzeit beeiden, Mr. Par ker, daß die Tür nur angelehnt war«, ließ sich die Detektivin vernehmen, als sie das schwarze Lederetui sah, das Par ker aus der Manteltasche geholt hatte. 19
Es handelte sich dabei um das Spezial besteck des Butlers, das er sich nach seinen speziellen Vorstellungen kon struiert und auch angefertigt hatte. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis das Türschloß im übertragenen Sinn die Waffen streckte und sich aufsperrte. »Mrs. Tenders?« rief Parker mit höf lich-fester Stimme, »bitte, Sie sollten tunlichst nicht erschrecken. Die Tür war leichtsinnigerweise nur angelehnt.« »Lassen Sie mich mal.« Lady Agatha, die sich noch immer als hilfreiche Pfad finderin sah, drängte sich ungeniert an Parker vorbei und marschierte ener gisch in die Tiefe des kleinen Hauses. Sie warf einen Blick in das Zimmer, wo das Fernsehgerät stand, stutzte und . . . stürzte sich dann auf die junge Frau, die wie leblos auf einer Couch lag. Mylady war glücklich. Sie sah eine Möglichkeit, eine zweite gute Tat an diesem Tag zu begehen, riß den Oberkörper der jungen Frau hoch, betrachtete das wachsbleiche Gesicht und nickte zufrieden. »Ein Selbstmordversuch, Mr. Par ker«, stellte sie fest, »ich habe mich also nicht getäuscht.« »Wie es stets der Fall ist, Mylady«, erwiderte Josuah Parker, obwohl er sich gut daran erinnern konnte, daß sei ne Herrin diesen Umweg als reine Zeit verschwendung betrachtet hatte. Er trat näher und sah sich die Frau an. »Wie gut, daß ich in Erster Hilfe aus gebildet wurde«, meinte die ältere Da me, »ich brauche sehr viel Wasser, Mr. Parker.« »Darf man anregen und vorschlagen, Mylady, die junge Dame unter die Du sche zu stellen?« »Sie braucht eine Herzmassage, Mr. Parker. Ich werde das sofort erledigen. Sie sollten für einen Moment den Raum verlassen. « »Wie Mylady bereits feststellten, dürf te die junge Frau noch ein wenig mehr getrunken haben«, erwiderte Parker. 20
»Hatte ich das?« Sie nickte zögernd. »Natürlich, man sieht doch auf den er sten Blick, daß kein Selbstmordver such vorliegt. Schaffen wir sie ins Bad, falls es so etwas hier überhaupt gibt.« Die Skepsis war berechtigt, denn das Reihenhaus war alt, schmal und sah ab gewohnt aus. Es gab allerdings ein win ziges Badezimmer, in dem sogar eine Dusche war. Josuah Parker hielt den Kopf der jungen Frau unter die Brause und drehte das Wasser an. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Begos sene nach Luft schnappte, sich wehrte und endlich die Augen aufschlug. »Eine Roßkur, wenn ich so sagen darf, die aber notwendig schien, Mrs. Tenders«, erklärte der Butler, »Mylady war der durchaus verständlichen An sicht, Sie könnten Tabletten oder Phar maka in anderer Form zu sich genom men haben.« »Wer... wer sind Sie?« fragte Judy Tenders mit müder Stimme und wollte wieder die Augen schließen. »Sehen Sie mich gefälligst an, wenn Sie mit mir sprechen«, forderte Agatha Simpson grollend, »ich werde Ihnen ei nen starken Kaffee kochen . . . Mr. Par ker, würden Sie das für mich erle digen?« »Handwarmes Wasser würde die Ma gentätigkeit vielleicht wirkungsvoller anregen, Mylady.« »Eben«, lautete ihre Antwort. »Genau das meine ich ...« Als Judy Tenders fast gezwungener maßen ein Glas lauwarmes Wasser hat te trinken müssen, wurde ihr schlecht. Sie stand plötzlich vom Stuhl auf, den die Detektivin ihr zugewiesen hatte, und rannte in das kleine Badezimmer. »Es geht eben doch nichts über die alten Pfadfindermittel, Mr. Parker«, sagte Lady Agatha zufrieden, »gleich wird sie sich wohler fühlen. Und dann möchte ich eine Erklärung dafür haben, warum sie aus dem Wagen geflüchtet ist.«
Im Wohnraum läutete das Telefon. Josuah Parker schritt gemessen dorthin und nahm den Hörer ab. »Judy Tenders?« fragte eine weiche, unangenehm klingende Stimme. Der Butler reicht den Hörer an Lady Agatha weiter, die selbstverständlich neugierig gefolgt war. »Judy Tenders?« fragte die weiche, unangenehme Stimme noch mal. Agatha Simpson wußte sofort, daß sie diese Stimme schon mal gehört hatte. »Ja?« fragte sie und bemühte sich gei stesgegenwärtig, den baritonalen Ton fall ihrer Stimme zu heben. Es wurde fast ein dunkler Mezzosopran daraus . . . »Ich brauche hundert Pfund«, sagte die Stimme, »sagen wir, bis Freitag, ja? Ich bin sicher, daß Sie das Geld schnell verdienen werden . . . Wann und wo Sie es abliefern können, werde ich Ihnen noch rechtzeitig mitteilen.« Es wurde sofort aufgelegt. Lady Aga tha wandte sich zu Josuah Parker um und nickte grimmig. »Darf man davon ausgehen, daß My lady eine wichtige Entdeckung ge macht haben?« erkundigte sich der Butler. »Davon können Sie ausgehen, Mr. Parker.« Sie strahlte unvermittelt, »Ich wußte doch gleich, daß diese Fahrt sich lohnen würde. Man muß eben den rich tigen Instinkt haben, Mr. Parker. Aber so etwas hat man - oder man hat es nicht!«
»Ich sah in einen Abgrund der menschlichen Seele«, verkündete Aga tha Simpson zwei Stunden später. Sie war mit dem Butler in das Haus in Shepherd's Market zurückgekehrt und saß zusammen mit Kathy Porter und Mike Rander am Tisch. Josuah Parker servierte das Abendessen, das auf die Diät seiner Herrin Zugeschnitten war. Sie hatte sich vor einigen Monaten fest
vorgenommen, etwas gegen ihre Fülle zu unternehmen. Während Lady Agatha von einem Ab grund der menschlichen Seele sprach, musterte sie mißtrauisch die Speisen. Parker, der ein vorzüglicher Koch war, reichte gegrilltes Lammfleisch, Kroket ten, grüne Bohnen und zusätzlich eine riesige Gemüseplatte. »Salat ist sehr gesund, mein Kind«, dozierte sie und schob die Platte ihrer Gesellschaftern zu, um dann auch Mike Rander aufmunternd zuzunicken. Dann plünderte sie ausgiebig die Braten platte. »Mr. Parker, erzählen Sie, was ich er lebt habe«, forderte sie Josuah Parker auf, »ich möchte mich jetzt nicht ablen ken lassen.« Kathy Porter und Mike Rander tauschten einen schnellen, amüsierten Blick und warteten, bis der Butler eine Platte mit Roastbeef abstellte. Agatha Simpson war irritiert, denn mit diesen Leckerbissen hatte sie nicht gerechnet. Sicherheitshalber reservierte sie sich einige Scheiben und tarnte sie mit grü nen Bohnen. »Proteine, Kinder«, sagte sie dazu, »man sollte stets gezielt essen.« Zur Unterstreichung ihres Ratschlags versorgte sie sich noch schnell mit kal tem Braten, den Parker zur Disposition stellte. Dann schaute sie ihren Butler erwartungsvoll an. »Wenn es erlaubt ist, werde ich mich relativ kurz fassen«, schickte Josuah Parker voraus, »Myladys Gespräche mit Mrs. Judy Tenders, die ungewöhnlich einfühlsam geführt wurden, wie ich be tonen möchte, ergaben folgenden Tat bestand: Mrs. Tenders gehört eindeutig zu jener Gruppe von jungen Frauen, die das bekannte Hotel besuchten, nach dem sie von dem unbekannten Mr. Ter ry Litters dazu aufgefordert wurden und keine Möglichkeit sahen, sich solch einem Ansinnen zu widersetzen.« »Ich habe fast alles verstanden«, warf 21
Mike Rander ein und amüsierte sich wieder mal über die Ausdrucksweise des Butlers. »Und um welche Damen handelt es sich?« erkundigte sich Kathy Porter. »Die erwähnten Damen, Miß Porter, waren alle mal Mitglieder eines soge nannten Callgirl-Rings. Im Falle Mrs. Judy Tenders' liegt das allerdings be reits ein knappes Jahr zurück. Inzwi schen verehelichte sich Mrs. Tenders und dürfte einen Lebenswandel führen, den man nach bürgerlichen Vorstellun gen als moralisch einwandfrei zu be zeichnen pflegt.« »Callgirls also ...« Rander nickte langsam. »Und jetzt sollten sie sich für Aktaufnahmen zur Verfügung stellen?« »Wahrscheinlich handelt es sich da bei um eine erste Vorstufe für weitere Verlangen und Erpressungen«, redete Josuah Parker weiter, »Mrs. Tenders er hielt einen Brief, der mit >Mr. Großhirn< unterschrieben war. Leider hat sie die sen Brief vernichtet.« »Sie ahnt, wer dieser >Mr. Großhirn< ist, Mr. Parker?« fragte Kathy Porter. »Dies ist leider nicht der Fall, Miß Porter«, entgegnete der Butler, »Myla dy konnten allerdings in Erfahrung bringen, wer den Callgirl-Ring seiner zeit leitete.« »Eine gewisse Mary Fonbrake, nicht wahr, Mr. Parker?« Agatha Simpson be schäftigte sich weiter mit den Proteinen in Form von Lammfleisch und Roast beef. »In der Tat, Mylady, der Name lautet Mary Fonbrake«, pflichtete Parker sei ner Herrin bei, »auch die gegenwärtige Adresse dieser ... Dame ist bekannt.« »Und Sie haben sie noch nicht be sucht?« wunderte sich Mike Rander. »Ich hätte ihr gern den Marsch gebla sen«, warf die ältere Dame ein, »aber sie ist leider verreist, wie ich erfuhr. Sie wird erst morgen zurückkommen.« »Dann sieht's ja gut aus«, fand Anwalt Rander, »diese Mary Fonbrake dürfte 22
uns sagen können, wer Terry Litters ist.« »Falls Mrs. Fonbrake noch unter den Lebenden weilt, Sir«, gab der Butler zu bedenken, »darf ich daran erinnern, daß der Besitzer der weichen, unangeneh men Stimme die Gepflogenheit hat, so fort zu schießen .. ?«
»Es ist mir eine Ehre, Mylady, Ihnen behilflich sein zu dürfen«, versicherte Horace Pickett und küßte der älteren Dame formvollendet die Hand. Als La dy Agatha diese Hand zurücknahm, vergewisserte sie sich mit schnellem Blick, ob die schmale Goldkette und der Ring noch vorhanden waren. Ihr war schließlich bekannt, daß Horace Pickett ein Meister seines Fachs war. Dieser >EigentumsumverteilerEigentumsneuver dung mit einem Kognak ist er sogar teilerEigentumsvertei streckt«, berichtete Horace Pickett, der ler< und sah Parker überrascht an. von Josuah Parker telefonisch einge »Dann wissen Sie ja auch wohl, wie ge wiesen worden war, »Mary Fonbrake fährlich dieser Mann ist.« hat tatsächlich einen Callgirl-Ring ge »Sein Ruf kann in der Tat nicht als leitet. Sie entschuldigen, Mylady, daß gut bezeichnet werden«, fand Josuah ich diese Begriffe in Ihrer Gegenwart Parker und nickte andeutungsweise, verwende.« »aber Mr. Benny Barnlett dürfte auf kei »Papperlapapp, mein lieber Pickett«, nen Fall die erwähnten Damen zu sich gab sie lachend zurück, »ich weiß sogar, ins Hotel bestellt haben, um Aktaufnah men anzufertigen.« was Bordsteinschwalben sind.« »Ganz sicher nicht, Mr. Parker«, ant »Nach meinen Informationen waren die Mitglieder dieses Rings meist Ange wortete Horace Pickett, »solche miesen stellte oder Hausfrauen, die unregelmä Touren - entschuldigen Sie, Mylady! solche miesen Touren braucht der nicht ßig, ähem, arbeiteten ...« »Handelte es sich um einen exklusi zu reiten.« ven Ring, Mr. Pickett?« fragte Josuah »Es wäre von einigem Interesse zu Parker. erfahren, ob Mr. Barnlett das Personal Mary-Fonbrake-Unternehmens »Nein, nein, das nicht«, versicherte des Pickett, »er war mehr seriöse Mittella übernommen hat«, redete der Butler ge, verstehen Sie?« weiter, »darüber hinaus könnten Sie »Was verstehe ich darunter, mein Lie und Ihre Freunde liebenswürdigerwei se in Erfahrung zu bringen versuchen, ber?« wollte die ältere Dame wissen. »Nun ja, Mylady, die Damen . . . Also, welche Damen seinerzeit für Mrs. Mary die Frauen . . . Die also ... Sie also sind Fonbrake arbeiteten.« nette Hausfrauen, wenn ich's mal so »Das wird sich machen lassen«, ent ausdrücken kann. Sie ließen sich nur gegnete Pickett. von Männern einladen, die auch nicht »Ferner sollten Sie persönlich, Mr. gerade anspruchsvoll sind, verstehen Pickett, nach einer Dame namens Aga Sie?« tha Simpson suchen, die diesem Ring »Sicher ist nicht, ob er auf gelöst wor ebenfalls angehörte. Nähere Anweisun 23
gen dazu werden Sie noch erhalten. Darf es noch etwas Mokka sein?« »Aber ja, Mr. Parker«, freute sich Ho race Pickett, »und auch gegen einen Kognak wäre nichts einzuwenden.« »Das gilt selbstverständlich auch für mich, Mr. Parker«, schaltete sich Lady Simpson ein, »wenn ich nur daran den ke, daß eine Namensvetterin als Call girl arbeitete, brauche ich sogar einen doppelten Kognak.« »Das gilt auch für mich, Mylady«, fand Horace Pickett...
mer nicht geändert hatte. Der Gangster betrieb eine Bananenreiferei und einen Gemüsegroßhandel in der Nähe von Covent Garden. Es handelte sich kei neswegs um eine Scheinfirma, sondern um einen florierenden Betrieb, dessen Einkünfte ordnungsgemäß und gewis senhaft versteuert wurden. Für den Gangster Barnlett war das die bürgerli che Visitenkarte und zugleich auch eine Tarnkappe gegenüber den Behörden. Er verfügte somit über Einkünfte, die er belegen konnte. Das Geld jedoch, das seine Callgirls verdienten, erschien na türlich nie in den Büchern und über stieg beträchtlich den Umsatz seines Großhandels in Bananen und Gemüse. Mitternacht war vorüber. Nach einiger Zeit bog Josuah Parker Agatha Simpson befand sich im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum von einer Zufahrtstraße ab, durchfuhr und begutachtete das Leben und Trei einen weiten, hohen Torbogen, der groß ben auf den Straßen der eigentlichen genug war, um auch Lastwagen durch City. Trotz der bereits frühen Morgen zulassen, und hielt geraume Zeit später stunde waren die Hauptstraßen noch vor einem alten, vierstöckigen Back gut besucht. Als Parker den Stadtteil steinbau in einem Hinterhof. Soho durchquerte, registrierte die älte »Das sieht aber sehr still aus«, meinte re Dame sogar einen Verkehr wie am die ältere Dame enttäuscht. Abend. Einheimische und Touristen »Mr. Barnlett besitzt im vierten Stock drängten sich durch die schmalen Stra jenes Hauses ein großes Appartement, ßen und genossen das mehr als reich wie meiner Wenigkeit versichert wur haltige Angebot an Amüsement aller de«, antwortete der Butler, »die Anliefe Art. rung von Gemüse aller Art und auch von Lady Agatha ließ sich von ihrem But Bananen dürfte erst in etwa einer Stun ler zu Benny Barnlett chauffieren. Sie den beginnen. wollte dem Gangster, der für Callgirls »Diese Stunde wird mir völlig rei zuständig war, einen Besuch abstatten. chen, Mr. Parker«, gab sie unterneh Sie hatte darauf bestanden, obwohl sie mungslustig zurück, »ich hoffe, daß das von Mr. Horace Pickett noch mal ein Türschloß nicht abgesperrt ist.« dringlich vor diesem Mann gewarnt »Die Tür zum Treppenhaus, Mylady, worden war. Sie war eine Frau, die stets dürfte erfahrungsgemäß nur angelehnt direkt ihr Ziel ansteuerte und keine sein«, versicherte Josuah Parker im Umwege kannte. Es war vielleicht gera Vertauen auf sein kleines Spezialbe de ihre Direktheit und Ungeniertheit, steck, »aber man sollte davon ausgehen, die ihre Gegner immer wieder ver daß es im Erdgeschoß eine Art Wach blüffte. stube geben wird.« Josuah Parker wußte, wo man nach »Mit solch kleinen Widerwärtigkeiten menschlichem Ermessen den Gangster beschäftige ich mich nicht«, meinte sie Barnlett fand. Einige Anrufe vor Antritt abfällig, »erledigen Sie das in meinem dieser Ausfahrt hatten ihm gezeigt, daß Sinn, Mr. Parker.« Barnlett seine Gewohnheiten noch im »Wie Mylady wünschen.« Parker öff 24
nete die Fahrertür, lüftete höflich die schwarze Melone und schritt zu der glatten, schwarz gestrichenen Eisentür, die den Zutritt zum Treppenhaus ver sperrte. Er war davon ausgegangen, daß man seinen Privatwagen bereits beim Passieren des Torweges elektronisch zur Kenntnis genommen hatte. Gang ster vom Kaliber eines Benny Barnlett waren in der Regel recht vorsichtige Männer, die an ihrem Leben hingen. Parker hatte die Tür erreicht und machte die kleine viereckige Klappe aus, die man in Augenhöhe in sie einge schnitten hatte. Bevor sie geöffnet wur de, hatte er bereits einen kleinen Zer stäuber aus einer seiner Manteltaschen geholt. Er war kaum größer als jene Be hälter, die zur Aufnahme von Rachenund Nasensprays dienten. Parker klopfte mit dem bleigefütter ten Bambusgriff seines Universal-Re genschirms gegen die Türfüllung und läutete gleichzeitig. Er setzte darauf, daß man sein sogenanntes hochbeini ges Monstrum für ein reguläres Taxi hielt, zumal er das bewußte Hinweis schild ausgefahren hatte. Die Sichtklappe in der Tür öffnete sich, und das Gesicht eines Mannes war schwach zu erkennen. »Was wollen Sie?« fragte der Mann, der dann anschließend automatisch die Augen schloß und dafür den Mund öff nete. Er schnappte verzweifelt nach Luft und bekam nicht mit, daß Josuah Parker einen seiner gefürchteten Pa tent-Kugelschreiber durch die Sicht klappe in den Wachraum warf. Danach hielt der Butler es für ange bracht, sich ein wenig zu entfernen. Er wollte auf keinen Fall mit jenen Dämp fen in Kontakt kommen, die dem Kugel schreiber inzwischen nachhaltig entwi chen . . .
Benny Barnlett war etwa fünfzig, 25
groß und hager. Als Held eines Filmdrehbuchs wäre er sicher als ein dicker, schmatzender und unappetitlicher Gangster darge stellt worden, der sich von willigen Frauen bedienen ließ. Die Wirklichkeit sah anders aus. Barnlett saß zwar in einem recht luxuriös eingerichteten Wohnraum, aber er befand sich vor ei nem Arbeitstisch und arbeitete. Er war nicht allein. An einem Neben tisch saß ein junger, drahtiger Mann, der etwa achtundzwanzig oder dreißig Jahre zählte. Er trug Hose und Hemd und zusätzlich noch eine Schulterhalf ter, die mit einem kurzläufigen 38er ge spickt war. Der junge Mann blätterte in einem Sportmagazin. »Sobald die ersten Laster kommen, werden wir eine Runde drehen, Ste ven«, sagte Benny Barnlett und blickte kurz von den Papieren hoch, »ich möchte mir unsere Vertragshotels an sehen.« »Sie waren doch erst gestern dort, Mr. Barnlett«, sagte Steven Bowl, der Leib wächter des Gangsters. »Eben, Steve«, antwortete der Gang sterchef und lächelte flüchtig, »also wird man heute bestimmt nicht mit mir rechnen.« »Glauben Sie, daß man Sie reinlegen will?« »Damit rechne ich immer, Steven«, gab Barnlett zurück, »jeder möchte sei nen privaten Schnitt machen. Und wenn man nicht aufpaßt, ist das auch der Fall und ...« Benny Barnlett wurde leicht abge lenkt. Er hatte gerade das Gefühl ge habt, als sei die Tür zum Wohnraum aufgedrückt worden. Was natürlich nicht der Fall sein konnte. Keiner der Männer im Erdgeschoß hätte es gewagt, ohne Voranmeldung heraufzukommen. »Ist was, Chef?« fragte Steven. Es zeigte sich, wie ungemeim schnell Ste ven Bowl war. Er hielt bereits den 38er schußbereit in der rechten Hand und 26
sah ebenfalls zur Tür hinüber. »Ich . . . Ich glaube nicht, Steven. Se hen Sie aber nach!« Geschmeidig und schnell wechselte der Leibwächter zur Tür hinüber und öffnete sie. Da er es sich einfach nicht vorstellen konnte, daß ein Fremder hier oben erschien, war er unvorsichtig und leichtsinnig. Er schob seinen Oberkör per vor und . . . handelte sich einen har ten Schlag ein, der ihm die Schußwaffe aus der Hand riß. Der 38er landete auf dem Teppichboden, doch Steven Bowl zeigte trotz einiger Benommenheit Klasse. Er ließ sich nach vorn wegkippen, rollte sich ab und sah sich einem Mann gegenüber, der einen schwarzen Cover coat und eine Melone trug, die er höf lich lüftete. Als Steven Bowl diesen Mann angehen wollte, landete die Wöl bung der Kopfbedeckung auf seiner Stirn. Bowl glaubte, von einem Vorschlag hammer getroffen worden zu sein. Er schloß augenblicklich die Augen und fiel an die gegenüberliegende Korridor wand. Er konnte nicht wissen, daß die Wölbung der Melone mit Stahlblech ge füttert war. Bowl war bereits ohnmäch tig, bevor er sich vollends niedersetzte. »Sie sollten tunlichst jede Bewegung vermeiden, Mr. Barnlett, die Mylady möglicherweise falsch deuten könnte«, sagte Josuah Parker, der inzwischen den Raum betreten hatte und seine schwarze Melone erneut lüftete. Gleich zeitig richtete er die Spitze seines altvä terlich gebundenen Regenschirms auf den Gangsterchef, der aufgesprungen war und die Schublade aufzerren woll te, was allerdings nicht auf Anhieb klappte. »Wer . . . Wer sind Sie?« fragte Barn lett und zwang sich zur Ruhe. Dann hätte er sich am liebsten die Augen ge wischt und eingeredet, er träume - e ben diesen Mann, der eindeutig wie ein hochherrschaftlicher Butler aussah.
Doch das allein war es nicht, was ihn verwirrte. Neben diesem Butler er schien eine große, füllige Dame, die ein zu weites Tweed-Kostüm im ChanelLook trug. Auf dem Kopf der Frau, die geradezu majestätisch wirkte, saß ein skurril aussehender, total unmoderner Hut, der an einen Napfkuchen erinner te. Am linken Handgelenk der Erschei nung baumelte ein altertümlich ausse hender, perlenbestickter Pompadour. Benny Barnlett fiel es wie Schuppen von den Augen. Er hatte von dieser Frau bereits gehört, die meisten Ge schichten, die man sich von ihr erzählte, aber einfach nicht geglaubt und als Märchen abgetan. Diese Frau existierte also wirklich! »Lady Simpson oder so?« fragte Barnlett zögernd und vergaß die Schuß waffe in seiner Schreibtischlade. »Nur so, junger Mann«, erwiderte die Detektivin ärgerlich und marschierte auf Benny Barnlett zu, »ich habe mit Ihnen zu reden.« »Wie sind Sie . . . Wie sind Sie herein gekommen?« stotterte Barnlett. »Ersparen Sie sich solche dummen Fragen«, raunzte die Lady, »und wagen Sie es nicht, die Lade zu öffnen!« Genau dieser Hinweis erinnerte Barn lett daran, daß er noch durchaus mit einer Schußwaffe umgehen konnte. Er streckte den Arm aus und riß die Lade auf. Seine Finger langten nach der 7,65er, doch sie erreichten die Automa tik nicht. Dafür traf Myladys flache Hand die Wange des Gangsters. Er hatte umgehend den Vorzug, so etwas wie einen nächtlichen Sternen himmel zu sehen, obwohl er noch nicht mal zum Fenster hinaussah . . .
»Sie sollten sich in Grund und Boden schämen, eine hilflose Frau angreifen zu wollen«, sagte Agatha Simpson, »ich glaube, ich werde Ihnen noch eine zwei
te Ohrfeige verabreichen.« Benny Barnlett wollte antworten, doch er schaffte es nicht. Seine Backe war wie gelähmt, der Unterkiefer ließ sich nicht bewegen. Er starrte die ältere Dame an und winkte mit den Händen ab. »Nun gut, warten wir damit noch et was«, verkündete Lady Agatha groß mütig, »es kann ja auch sein, daß Sie mir ein paar Auskünfte geben werden.« Benny Barnlett nickte andeutungs weise. Langsam wich die Starre aus sei nem Gesicht. Er schaute zu, wie Josuah Parker die Schußwaffe aus der Lade holte und in einer seiner Taschen des schwarzen Covercoats verschwinden ließ. Dann wechselte der Butler hinüber zu einem Wandtisch und füllte ein Glas mit Whisky. Er reichte es dem Gang sterchef, der einige Mühe hatte, das Glas zu halten. Nachdem er sich er frischt hatte, ging ihm erst auf, was pas siert war. Er war hier oben in seiner einmalig gut gesicherten Wohnung ge radezu überfallen und überrumpelt worden, obwohl doch Spitzenkräfte sei ner Organisation ihn bewachten! Solch einen Besuch hatten noch nicht mal routinierte Konkurrenten geschafft. »Kommen wir endlich zur Sache«, raunzte Agatha Simpson, »Mr. Parker wird Ihnen einige Fragen stellen. Und ich werde Ihnen sagen, ob ich Ihnen die Antworten abnehme oder nicht.« »Es handelt sich nur um einige unwe sentliche Auskünfte«, schickte Josuah Parker voraus, »Ihnen dürfte das Unter nehmen einer gewissen Mary Fonbrake bekannt sein, nicht wahr?« »Ja oder nein?« wollte die Detektivin wissen. »Doch . .. Ja!« Benny Barnlett nickte hastig. »Nach Myladys Informationen haben Sie seinerzeit diesen Callgirl-Ring über nommen«, redete der Butler in seiner höflichen Art weiter, »über den mora lisch-ethischen Aspekt dieser Callgirl 27
Ringe soll an dieser Stelle nicht disku geöffnete Tür bemerkte. Der junge, drahtige Mann stand am Türrahmen tiert werden...« »Darüber werde i c h mich mal mit und machte sich bereit, Lady Simpson Ihnen unterhalten«, warf Lady Agatha als Geisel zu nehmen. Als Waffe hielt der Leibwächter einen kleinen zweiläu grimmig ein. »Haben Sie seinerzeit das gesamte, figen Derringer in der Hand. »Flossen hoch«, kommandierte Ste sagen wir, Verwaltungspersonal mit übernommen?« fragte Parker den ven Bowl, nachdem er tief Luft geholt Gangsterchef. hatte, »Flossen hoch, sonst niete ich »Nein, nein, ich habe mir nur die Li euch um!« sten der Damen geben lassen«, versi cherte Barnlett prompt, »es war kein großer Laden, verstehen Sie.« »Warum haben Sie diesen Ring über »Ein ganz munterer Betrieb«, stellte nommen?« wollte Agatha Simpson Mike Rander fest, »das Geschäft scheint wissen. zu florieren.« Er saß zusammen mit Kathy Porter in »Ich wollte den Markt bereinigen«, lautete die schlichte, treuherzige Ant einem Mini-Cooper, der ein Stück vor wort des Gangsters, »es gab da laufend dem Hoteleingang unauffällig am Stra ßenrand parkte. Mike und Kathy beob Ärger mit den Tarifen und so ...« »Sie haben Mrs. Mary Fonbrake aus achteten das Gebäude, in das dieser Terry Litters die ehemaligen Callgirls bezahlt?« »Aber natürlich, das war ein korrek bestellt hatte, um Aktaufnahmen von ihnen herzustellen. tes Geschäft.« Sie beobachteten nicht ohne Grund »Was geschah mit den Damen, die normalerweise auf Abruf bereitzuste dieses kleine Hotel der unteren Mittel klasse, das übrigens >Skydream< hieß. hen pflegen, Mr. Barnlett?« »Ich habe bisher fünf Paare gezählt, »Wer weiter mitmachen wollte, konn te das tun, aber die meisten Frauen sind die alle nicht länger als eine halbe Stun abgesprungen, beziehungsweise ...« Er de im Haus blieben«, meinte Kathy Por ter, »der Portier ist auf keinen Fall ein stockte und zeigte Nervosität. »Beziehungsweise?« fragte die Detek Unschuldsengel.« »Morgen werden wir mehr über die tivin mit einem Unterton, der Barnlett veranlaßte, seinen Kopf zurückzu ses Hotel wissen«, sagte Mike Rander, »Chief-Superintendent McWarden wird nehmen. »Nun ja, die meisten Frauen haben da wieder mal hilfreich einspringen wir sogar ausgeladen, um's mal so aus müssen.« zudrücken«, redete er dann hastig wei Um eine Verfolgung der Callgirls, die ter, »sie entsprachen nicht dem Stan mit ihren >Kunden< kamen und gingen, dard, Lady. Ich meine, sie waren nicht brauchten sich Mike Rander und Kathy mehr elegant und jung genug und wur Porter nicht zu kümmern. Einige Frau den nach Hause geschickt.« en von Horace Pickett hatten die Über »Diese Namensliste würde Mylady wachung in ihre bewährten Hände ge nommen. gern einsehen«, sagte Josuah Parker. »Die... Die ist nicht mehr vorhan »Ein neues Pärchen«, rief Kathy Por den«, behauptete Benny Barnlett umge ter, »wahrscheinlich war das >Sky hend und setzte seine Hoffnung auf Ste dream< schon zu Zeiten der Mary Fon ven Bowl, der inzwischen wieder zu brake ein beliebter Treffpunkt.« sich gekommen war, wie er durch die »Darauf möchte ich schwören, Ka 28
thy«, antwortete der Anwalt, »dieser Portier hatte ein verdammt schlechtes Gewissen, als wir ihm einige Fragen stellten. Und Ärger mit der Polizei hat er mit Sicherheit bereits hinter sich.« »Wer mag der Besitzer des Hotels sein?« »Werden wir ebenfalls von McWarden erfahren, Kathy. Wahrscheinlich ist das >Skydream< ein Vertragshotel von die sem Benny Barnlett, der den CallgirlRing von Mary Fonbrake übernommen hat.« Das Pärchen, das Kathy Porter beob achtet hatte, war inzwischen im Hotel verschwunden. Durch ein Fernglas konnte Mike Rander ohne Schwierig keiten beobachten, wie der Portier der jungen Frau ohne weiteres einen Zim merschlüssel überreichte. »Eindeutig eine Art Absteige«, mein te der Anwalt, »in spätestens einer hal ben Stunde wird das Liebespaar wieder auf der Bildfläche erscheinen.« »Warum zwingt dieser Terry Litters die Callgirls zu Aktaufnahmen?« Kathy Porter setzte sich noch beque mer zurecht. »Wenn er sie erpressen würde, könnte man wenigstens einen Sinn erkennen, aber so?« »Diese Erpressungen werden be stimmt noch kommen, Kathy. Hat er erst mal sie Aktaufnahmen, kann er den Frauen die Daumenschrauben anlegen. Ich gehe nämlich davon aus, daß diese Frauen inzwischen verheiratet sind oder es bereits waren, bevor sie dem Callgirl-Ring beitraten.« »Terry Litters muß also ein Insider sein, nicht wahr?« »Ganz klar, Kathy. Ich geh sogar noch einen Schritt weiter: Litters ge hörte entweder seinerzeit zum CallgirlRing der Fonbrake, oder aber er stammt aus dem Kreis um Benny Barnlett, der das jetzt zusätzlich noch kontrolliert.« »Und wenn wir es mit einem Ehe mann zu tun haben, der sich rächen will?«
»Sollte man selbstverständlich auch nicht ausschließen, Kathy. Aber wir brauchen jetzt erst mal Informationen. Ich möchte wissen, was unsere Lady inzwischen so treibt... Schade, daß wir nicht dabei sein können.« »Wir bekommen Besuch«, warf Kathy ein bei einem Blick in den Rückspiegel, »wahrscheinlich einer von Picketts Freunden.« Mike Rander wandte sich um und machte eine männliche Gestalt aus, die ungeniert und direkt den Mini-Cooper ansteuerte. Ja, diese Gestalt winkte jetzt sogar verstohlen und wollte so zu erkennen geben, daß man sich mit dem Zielobjekt >Skydream< befaßte. Der Mann schaute sich wiederholt um, ging schneller und erreichte schließlich den Wagen. Er klopfte ge gen die Scheibe, und Kathy Porter kur belte sie ein Stück abwärts. »Ich hab da ein Problem«, sagte der Mann, dessen Gesicht man erkennen konnte, »einer meiner Freunde hat Ärger.« »Was liegt denn an?« erkundigte sich Mike Rander vom Beifahrersitz her. »Das hier«, antwortete der Mann und richtete den Lauf einer schallgedämpf ten Waffe auf Kathy Porter und Mike Rander, »steigt aus, Schnüffler, bevor ich 'nen Krampf im Zeigefinger be komme!« »Überredet«, erwiderte Mike Rander, »ich glaube, daß Sie uns gründlich reingelegt haben, Mann...»
Steven Bowl, der Leibwächter des Gangsterchefs Benny Barnlett, wieder holte noch mal, es sei seine feste Ab sicht, Lady Simpson und Butler Parker >umzunietenFlossen< hochnahm, wie er es ausdrückte. Der kleine doppelläu fige Derringer in seiner Hand unter strich jetzt noch nachdrücklicher seine 29
Absicht. »Mylady und meine bescheidene We nigkeit haben Ton und Inhalt Ihrer Worte durchaus zur Kenntnis genom men und richtig verstanden«, schickte Josuah Parker in seiner höflichen Art voraus, »und Sie können versichert sein, daß dies keineswegs auf die leich te Schulter genommen wird, wenn gleich man gerade an dieser Stelle doch deutlich betonen sollte, daß Sie Rede wendungen ins Treffen führen, die eine der Situation angemessene Haltung und Würde keineswegs beinhalten.« »Was . . . Was hat er gesagt?« fragte Steven Bowl irritiert und warf seinem Chef einen scheuen Blick zu. »Wenn Sie erlauben, werde ich inter pretieren«, redete Josuah Parker ge messen weiter und hob dabei wie bei läufig die Spitze seines Universal-Re genschirms, »Mylady ist durchaus be reit, sich dieser neuen Situation anzu passen, falls man Wünsche in einer Form zum Ausdruck bringt, die der herrschenden Konvention entspre chen.« Steven Bowl runzelte die Stirn. Sein Chef Benny Barnlett grübelte ein we nig. Die beiden Gangster waren von Parkers Worten verwirrt worden. Sie fürchteten, wichtige Details überhört zu haben. Barnlett vergaß darüber, seine Schußwaffe in Position zu bringen. Er hatte sie inzwischen in seiner rechten Hand. Steven Bowl achtete leichtsin ngerweiße nicht weiter auf die Schirm spitze und verfolgte mit seinem Blick den rechten Zeigefinger des Butlers, der gegen die Zimmerdecke wies. »Was soll das?« fragte er mißtrau isch. »Aus Gründen der Fairneß sollte ich ihnen zeigen, was sich über Ihrem Kopf zusammenbraut«, antwortete Butler Parker und löste mit seinem linken Zei gefinger den Schuß aus. Angetrieben vom Gasdruck einer Kohlensäurepatrone, die sich oben im 30
Schirm befand, jagte ein stricknadellan ger, buntgefiederter Blasrohrpfeil durch den hohlen Schirmstock, verließ die kaum wahrnehmbare Mündung vorn an der Schirmzwinge und setzte sich umgehend im Oberarm des Leib wächters fest. Der zuckte zusammen, schoß seiner seits, verriß den Schuß aber und ließ das Geschoß in der Zimmerdecke ver schwinden. Dann warf Bowl seine Waf fe zu Boden und stierte aus förmlich hervorquellenden Augen auf den Blas rohrpfeil in seinem Oberarm. Gift...«, flüsterte er endlich. »Dies sollte man keineswegs aus schließen«, antwortete Josuah Parker und widmete sich für einen Moment seiner Herrin, die sich gerade auf ihre Art mit dem Gangsterchef Barnlett be faßte. Der wollte retten, was noch zu retten war, hatte seine Waffe hochge nommen und litt umgehend an einem leichten Unwohlsein. Lady Agatha hat te einen Aschenbecher benutzt, um Barnletts Brust einer kleinen Bela stungsprobe zu unterziehen. Der schwere Aschenbecher aus Preßglas tropfte gerade von Barnletts Brustbein und hinterließ bei dem Gangster ein Gefühl der Atemnot und Beklemmung. Bevor er sich davon erholte, machte die ältere Dame ihre Drohung wahr und verabreichte Barnlett eine weitere Ohr feige. Daraufhin nahm der Chef der Callgirlring-Unternehmen wieder in seinem Sessel Platz und gab sich aus giebig einer tiefen Resignation hin. »Ich . . . Ich sterbe«, ließ der Leib wächter sich vernehmen. »Mit letzter Sicherheit, wenn ich so sagen darf«, pflichtete Josuah Parker dem jungen Mann bei, »lassen Sie es mich folgendermaßen ausdrücken, wir alle werden geboren, um eines Tages zu sterben...« »Der Pfeil ist vergiftet?« fragte Ste ven Bowl heiser. »Verspüren, Sie möglicherweise be
relts die Vorboten einer gewissen Läh mung?« erkundigte sich Josuah Parker. »Ich . . . bin müde . . . !« »Sie sollten ein wenig ausruhen und sich von der Hast des rüden Alltags er holen«, empfahl Josuah Parker dem jungen Leibwächter und hatte keine Mühe, den buntgefiederten Pfeil wieder an sich zu bringen. Er zog ihn mit sanf tem Ruck aus dem Oberarm und ließ ihn in einem kleinen Köcher verschwin den, der auf der Innenseite des Univer sal-Regenschirms angebracht war. Steven Bowl kam dem Rat des But lers nach und nahm auf dem Fußboden Platz. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, schloß die Augen und zeigte plötzlich das friedliche Aussehen eines satten Säuglings. Bowl rückte sich zurecht, streckte die Beine weit aus und war innerhalb weniger Augenblik ke eingeschlafen. "Der Pfeil, den Parker mit seinem Re genschirm verschossen hatte, war na türlich nicht vergiftet gewesen, aber doch immerhin chemisch präpariert worden. Die Pfeilspitze war mit einer Substanz bestrichen, die für schnelles Einschlafen und ausgiebige Entspan nung der Muskulatur sorgte. »Darf ich jetzt um die Liste jener Da men bitten, die Sie von Mrs. Mary Fon brake übernommen haben?« Parker hatte sich zu Benny Barnlett begeben. »Natürlich, natürlich«, beeilte sich Barnlett und schielte zu Lady Simpson hinüber, »und was kann ich sonst noch für Sie tun?« Er war völlig geschockt. Solch eine Behandlung war dem Gangsterchef noch nie widerfahren. Er stand auf und beeilte sich, Myladys Wünsche präzise zu erfüllen.
Der > MannQuartett< auf recht unkonventionelle Art und Weise agierte, da ihn Vorschriften einengten. Auf der anderen Seite ärgerte er sich
immer wieder darüber, daß man ihm Informationen vorenthielt. Agatha Simpson liebte es über die Maßen, ihm fertig gelöste Fälle zu präsentieren. Es war für ihn dann stets bitter, ironische Bemerkungen der älteren Dame über sich ergehen lassen zu müssen, die sich mit den Arbeitsmethoden der Polizei befaßten. »Darf man sich erlauben, Sir, Ihnen eine Erfrischung anzubieten?« erkun digte sich Parker höflich. »Und ob«, meinte McWarden. »Gegen einen Whisky wäre nichts einzuwen den, denke ich.« »Sie sind im Dienst, mein Lieber«, erinnerte Lady Agatha. »Ich werde mich davon für eine halbe Stunde suspendieren, Mylady«, gab McWarden schlagfertig zurück, »im merhin bringe ich einige interessante Nachrichten, die ich dienstlich eigent lich nicht abliefern dürfte.« »Okay, ein Schlückchen wird Ihnen ja auch kaum schaden«, lenkte die Hausherrin ein, »falls Sie tatsächlich In formationen bringen.« »Ich denke schon«, meinte der ChiefSuperintendent lächelnd, »Sie investie ren den Whisky also nicht nutzlos.« »Halten Sie mich etwa für geizig?« schnappte die ältere Dame sofort zu. »Zuerst mal zu dieser Mary Fonbra ke«, erwiderte McWarden, ohne auf My ladys Frage einzugehen, »sie war bisher nicht aufzutreiben. Ich lasse ihre Woh nung diskret überwachen, aber wie ge sagt, sie ist wie vom Erdboden ver schwunden.« »Das sind doch alte Hüte, McWar den«, grollte Lady Agatha. »Sie hatte einen Callgirl-Ring aufge zogen, der, sagen wir mal so, unprofes sionell arbeitete, was die Damen be traf«, berichtete McWarden weiter, »sie betreute nur Amateurinnen, wenn Sie wissen, was ich meine.« »Ich bin schließlich kein Backfisch mehr«, stellte Agatha Simpson klar.
»Um was für Frauen handelte es?« »Hausfrauen, Sekretärinnen, grüne Witwen . . . Sie alle arbeiteten für die Fonbrake nur sporadisch und wahr scheinlich nach Lust und Laune, wenn gerade mal Geld nötig war. Natürlich waren es lauter hübsche Frauen, aber als aufregend würde ich sie nicht gera de bezeichnen.« »Eine Frage des Geschmacks, McWarden«, stichelte die Lady prompt. »Erfahrungsgemäß sind solche Call girls aber recht gefragt, eben weil sie nicht professionell ihre Dienste anbie ten«, redete McWarden ungerührt wei ter, »der Ring der Fonbrake ist dann vor vielen Wochen von Benny Barnletts Gang geschluckt worden.« »Die Hüte werden immer älter und staubiger«, bemerkte Lady Agatha spitz. »Barnlett ist ein Vollprofi«, meinte McWarden, der nun ärgerlich wurde, »ich warne davor, sich mit ihm anzu legen.« »Tatsächlich?« fragte Agatha Simp son scheinheilig. »Der Mann lebt in einer Art Festung«, zählte der Chief-Superintendent weiter auf, »ich möchte gleich sagen, daß wir vom Yard bisher keine Handhabe hat ten, um gegen ihn vorzugehen.« »Darf man höflichst fragen, mit wel cher Methode dieser Mr. Barnlett zu ar beiten pflegt?« schaltete sich Josuah Parker ein, bevor Agatha Simpson eine scharfzüngige Bemerkung machen konnte. »Barnlett, Mr. Parker?« fragte McWarden und nickte. »Nun, er hat hier in London und anderen Städten Ver tragshotels, wie ich sie mal nennen möchte. In diese Hotels schickt er die Callgirls und deren Kunden, seine Mit arbeiter fahren dann später die Hotels ab und kassieren. Kontrollen würden die Polizei nicht weiterbringen. Es ist schließlich nicht strafbar, wenn zwei er wachsene Menschen sich ein Doppel 33
zimmer mieten.« »Gehört das >Skydream< zum Kreis dieser Vertragshotels, Sir?« fragte Parker. »Eindeutig ...« McWarden nickte. »Gerade dieses Haus ist eine richtige Absteige.« »Der Portier ist behördlicherseits be reits aktenkundig geworden?« »Der Portier heißt Sidney Tolden und ist bereits mehrfach vorbestraft«, laute te Mc Wardens nächste Auskunft, »Er pressung, Körperverletzung und Dieb stahl.« »Und wem, wenn man weiter fragen darf, Sir, gehört dieses Hotel namens >Skydream