Holger Schramm (Hrsg.) Musik im Radio
Musik und Medien Herausgegeben von Holger Schramm
Holger Schramm (Hrsg.)
Mus...
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Holger Schramm (Hrsg.) Musik im Radio
Musik und Medien Herausgegeben von Holger Schramm
Holger Schramm (Hrsg.)
Musik im Radio Rahmenbedingungen, Konzeption, Gestaltung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Für Sandra und Lara-Malou
1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15372-8
Inhalt
I. Rahmenbedingungen für die Konzeption und Gestaltung von Radioprogrammen 1
Angebot an Radioprogrammen ......................................................... 9 Jutta Popp
2
Nutzung von Radioprogrammen ..................................................... 35 Holger Schramm
3
Werbung in Radioprogrammen ....................................................... 65 Lars Peters
4
Rechtlicher Rahmen, Lizenzierung und Regulierung von Radioprogrammen.................................................................... 85 Wolfgang Schulz & Stephan Dreyer
II. Konzeption und Gestaltung von Musikprogrammen im Radio 5
Musikbasierte Radioformate ......................................................... 113 Holger Schramm & Matthias Hofer
6
Praxis der Musikforschung ........................................................... 135 Holger Schramm
7
Praxis der Musikprogrammgestaltung .......................................... 149 Holger Schramm
8
Konzeption und Gestaltung von AC-Formaten ............................. 167 Björn Stack
9
Konzeption und Gestaltung von CHR-Formaten .......................... 179 Kristian Kropp & Patrick Morgan
6 10
Konzeption und Gestaltung von Schlager-Formaten .................... 193 Philipp Beisteiner
11
Konzeption und Gestaltung von AOR-Formaten .......................... 209 Ecki Raff
12
Konzeption und Gestaltung von Klassik-Formaten ...................... 221 Stefan Schwabeneder
Literaturempfehlungen...................................................................................... 237 Autoren......................... .................................................................................... 241
I.
Rahmenbedingungen für die Konzeption und Gestaltung von Radioprogrammen
1
Angebot an Radioprogrammen
Jutta Popp
Die Grundlagen des heutigen Hörfunkmarktes wurden nach dem zweiten Weltkrieg gelegt. Die Besatzungsmächte etablierten eine föderal organisierte Struktur des Rundfunkmarktes mit einem öffentlich-rechtlichen Hörfunk nach dem Vorbild der britischen BBC, um einen weiteren Missbrauch des Rundfunks als Propagandainstrument – wie es während der NS-Zeit in Deutschland der Fall war – zu verhindern (Dussel, 2002). Seither hat sich die Hörfunklandschaft mehrfach gewandelt. Die föderale Struktur des Hörfunks beeinflusst aber nach wie vor den Radio-Angebotsmarkt. Ein Meilenstein in der Entwicklung des Hörfunks war Mitte der 1980er Jahre die Einführung privater Radiosender – mit weit reichenden Folgen für den Angebotsmarkt. Die öffentlich-rechtlichen Sender, die bis zu diesem Zeitpunkt die Radiolandschaft bestimmten, bekamen im dualen Angebotsmarkt Konkurrenz. Der Markt teilt sich seither in öffentlich-rechtlichen Hörfunk, dessen programmliche Ausrichtung gesellschaftlich-relevanten Zielen untergeordnet ist und der sich vorwiegend aus Gebührengeldern finanziert, und private Hörfunksender, die dem Gewinnmaximierungsprinzip folgen und auf Werbeeinnahmen angewiesen sind (Häusermann, 1998; Czygan, 2003). Mit der Dualisierung des Rundfunksystems ist die Radiolandschaft wesentlich vielfältiger geworden. Die neuen privaten Programme und die Ausdifferenzierung des öffentlich-rechtlichen Angebots haben die Auswahlmöglichkeiten der Zuschauer, sowohl hinsichtlich der Programmzahl wie auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten, erhöht. Heute sind es vor allem technologische Entwicklungen, die den Hörfunkmarkt in Bewegung halten (Häusermann, 1998). Digitalradio und Internetradio als neue Distributionswege des Hörfunks haben Platz für neue Radioveranstalter geschaffen und den Wettbewerb am Radiomarkt intensiviert. Nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Empfangsbedingungen findet die Konkurrenz der Radiosender aber immer noch vor allem „um die Hörer der jeweiligen Empfangsform“ statt (Czygan, 2003, S. 40). Im Folgenden wird daher der Angebotsmarkt Radio für die drei Distributionswege differenziert betrachtet.
10 1
Jutta Popp Analoges Radio
Die analoge Hörfunkübertragung umfasst die Verbreitung von Radioprogrammen über Antenne (terrestrisch), Kabel und Satellit. Für die terrestrische Übertragung stehen die Frequenzbereiche Langwelle, Mittelwelle, Kurzwelle und Ultrakurzwelle (UKW) zur Verfügung, die sich durch die Merkmale Reichweite und Empfangsqualität voneinander unterscheiden lassen. Bedeutung hat innerhalb der verschiedenen Übertragungsmöglichkeiten vor allem die Ultrakurzwelle (Böckelmann et al., 2006, S. 79), da die Radionutzung nach wie vor überwiegend auf den UKW-Frequenzen stattfindet. Zwar ist die technische Reichweite der UKW-Signale begrenzt, die Empfangsqualität ist im Vergleich zu den übrigen Frequenzbereichen jedoch deutlich besser. Radiosender, die eine große Hörerschaft erreichen möchten, sollten ihr Programm daher über UKW verbreiten (Breunig, 2001, S. 459).1 Problematisch sind die hohen Markteintrittsbarrieren am UKW-Hörfunkmarkt. Das Frequenzspektrum ist begrenzt und voll belegt. Öffentlich-rechtliche Programme und etablierte Sender, die sich um Zweit- oder Drittlizenzen bewerben, werden vorrangig zugelassen. Über Satellit und Kabel sind überwiegend die UKW-Programme zu empfangen. Ergänzt wird das Angebot durch Pay-Radio, das im Gegensatz zu den übrigen Angeboten nur durch die Zahlung eines Entgelts gehört werden kann. Über Satellit ist außerdem eine Vielzahl an Programmen ausländischer Radiostationen empfangbar.2 Ungewiss ist die Zukunft der analogen Hörfunkübertragung. Der Übertragungsstandard soll durch die digitale Hörfunkverbreitung abgelöst werden. Falls der Übergang von der analogen zur digitalen Übertragung wie geplant stattfindet, wird ab dem Jahr 2015 kein analoges Radiosignal mehr zu empfangen sein (vgl. Abschnitt 2). Die Umstellung auf die digitale Hörfunkübertragung soll unter anderem zur Überwindung der Frequenzknappheit im UKW-Bereich beitragen. Derzeit werden beide Übertragungstechniken parallel eingesetzt, so dass einige Radioanbieter ihr Programm simultan, d.h. sowohl analog wie auch digital, ausstrahlen. Eine Abschaltung der analogen Hörfunkübertragung hätte weitreichende Folgen für den Radiomarkt.
1 2
Die Darstellung in Abschnitt 1 beschränkt sich daher auf den UKW-Angebotsmarkt. http://www.eutelsat.de/
Angebot an Radioprogrammen
11
1.1 Anbietertypen und Anbieterstruktur am analogen Angebotsmarkt 1.1.1 Öffentlich-rechtliche Hörfunkprogramme In Deutschland veranstalten die neun Landesrundfunkanstalten der ARD und das DeutschlandRadio insgesamt 56 Hörfunkprogramme, das ZDF produziert kein eigenes Angebot (vgl. Tabelle 1).3 Ergänzt wird das Angebot durch die Fremdsprachenprogramme der Deutschen Welle, die als Rundfunkanstalt des Bundesrechts für den Auslandsrundfunk zuständig ist und ein deutschsprachiges sowie 29 Fremdsprachenprogramme auf sechs Kanälen ausstrahlt.4 Die Reichweite der Radioprogramme, die von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verbreitet werden, beschränkt sich bei Einländeranstalten auf das entsprechende Bundesland. Die Mehrländeranstalten NDR (Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern), MDR (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) und SWR (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz) versorgen mehrere Bundesländer mit ihren Hörfunkangeboten. Die Programme von DeutschlandRadio sind im gesamten Bundesgebiet empfangbar. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk finanziert sich in Deutschland vorwiegend aus Gebühren. Das Programmangebot muss sich daher mehr als im privaten Rundfunk gesellschaftlichen Zielen wie Sicherung der Angebots- und Meinungsvielfalt unterordnen. Besonders deutlich werden die unterschiedlichen Voraussetzungen zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Radioanbietern mit Blick auf die Produktionskosten. „Verglichen mit dem durchschnittlichen Aufwand der landesweiten privaten Hörfunkprogramme gab der öffentlichrechtliche Rundfunk mit 40 Mio. Euro je Programm das Siebenfache der privaten Anbieter aus“ (Die Landesmedienanstalten, 2006, S. 84). Diese relativ hohen Kosten der Programmproduktion sind u.a. auf den hohen Anteil eigenproduzierter Wortprogramme zurückzuführen. Mit den Informationsradios, den Landesprogrammen mit Schwerpunkt in regionaler Berichterstattung (beispielsweise NDR 1 Niedersachsen, NDR 1 Radio MV, NDR 1 Welle Nord für SchleswigHolstein und NDR 90,3 für Hamburg) und den Kultursendern ist ein Großteil des Programmangebots der öffentlich-rechtlichen Anstalten relativ wortlastig. Ein weiterer Schwerpunkt des öffentlich-rechtlichen Angebots liegt im Bereich der Jugendwellen sowie im Bereich Rock- und Popmusik.
3 Der 8. Rundfunkstaatsvertrag hat gem. § 19 (7) die Obergrenze der Programme, die von den Landesrundfunkanstalten verbreitet werden, auf den Stand vom 1. April 2004 festgelegt. 4 Das deutschsprachige Hörfunkangebot der Deutschen Welle ist über die analoge Kurzwelle sowie vollständig über Satellit und als Livestream im Internet zu empfangen.
12 Tabelle 1:
Jutta Popp Öffentlich-rechtliche Hörfunkprogramme5
Anstalt/Sender Norddeutscher Rundfunk Radio Bremen Westdeutscher Rundfunk Hessischer Rundfunk Saarländischer Rundfunk
Programme NDR 1 Niedersachsen, NDR 1 Welle Nord, NDR 90.3, NDR 1 Radio MV, NDR 2, NDR Kultur, NDR Info, N-JOY Bremen Eins, Nordwestradio, Bremen Vier Eins Live, WDR 2, WDR 3, WDR 4, WDR 5, Funkhaus Europa hr1, hr2, hr3, hr4, hrinfo, youfm
SR 1 Europawelle, SR 2 Kulturradio, SR 3 Saarlandwelle, UnserDing SWR 1 Rheinland-Pfalz, SWR 1 BadenWürttemberg, SWR 2, SWR 3, SWR 4 Südwestrundfunk Rheinland-Pfalz, SWR 4 BadenWürttemberg, DasDing, SWR cont.ra radioBerlin 88.8, Antenne Brandenburg, Rundfunk BerlinFritz, Radioeins, Inforadio, Radiomultikulti, Brandenburg Kulturradio MDR1 Radio Sachsen, MDR1 Radio SachMitteldeutscher sen-Anhalt, MDR1 Radio Thüringen, MDR Rundfunk Sputnik, MDRinfo, MDRfigaro, Jump Bayerischer Bayern 1, Bayern2 Radio, Bayern 3, Bayern Rundfunk 4 Klassik, B5 aktuell DeutschlandRadio Deutschlandfunk, Deutschlandradio Kultur Gesamt
Anzahl Programme 8 3 6 6 4 8
7 7 5 2 56
1.1.2 Private Hörfunkprogramme Der private Hörfunkmarkt umfasst insgesamt über 200 Radiosender, wobei die Zahl der verfügbaren Programme je Bundesland stark variiert (vgl. Tabelle 2). So können beispielsweise in Bayern dank des vielfältigen Lokalfunkmarktes 66 5
Quelle: eigene Recherche; nicht einberechnet sind die beiden Minderheitsprogramme Bramborske Serbske Radijo und Serbski Rozhlos, die einige Stunden pro Woche auf der Frequenz des infoRadios bzw. MDR 1 Radio Sachsen zu empfangen sind. Radio Bremen produziert das Nordwestradio in Kooperation mit dem NDR, der WDR das Programm Funkhaus Europa in Kooperation mit Radio Bremen.
Angebot an Radioprogrammen
13
private Radiosender empfangen werden, während dem Radiohörer in Mecklenburg-Vorpommern nur zwei Programme zur Auswahl stehen. Hinzu kommen jeweils an den Landesgrenzen und in den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und Berlin die aus den Nachbarländern einstrahlenden Radiosender. Aufgrund der föderal organisierten Rundfunkstruktur gibt es nur wenige bundesweit verbreitete Radioprogramme. Tabelle 2:
Private UKW-Hörfunkprogramme nach Bundesländern6
bundesweit landesweit Bundesland Baden2 1 Württemberg Bayern 2 2 Berlin/ 3 6 Brandenburg Bremen Hamburg 1 Hessen 5 Mecklenburg2 Vorpommern Niedersachsen 3 Nordrhein1 Westfalen Rheinland-Pfalz 3 Saarland 2 Sachsen 6 Sachsen-Anhalt 4 Schleswig3 Holstein Thüringen 3 Gesamt 8 41
regional
lokal 3 8
Gesamt 12
18
62
66
3
20
1 4
1 5 5 2 3 46
47
2
5 2 21 4
15
3 16
140
3 205
6 Quelle: Böckelmann, 2006, S. 84. Die Zuordnung der Radiosender zu den Bundesländern erfolgt nach Standort bzw. Verbreitungsgebiet. Nicht mitgezählt wurden solche Programme, die ausschließlich über Kabel, Satellit oder DAB verbreitet werden. Ebenfalls nicht in der Tabelle berücksichtigt sind Radiosender, die ausschließlich über Lang-, Mittel- oder Kurzwelle verbreitet werden, Zulieferund Spartenprogramme des lokalen Hörfunks in Bayern mit einer Sendelizenz von weniger als 12 Stunden pro Woche, Sender der alliierten Streitkräfte sowie Programme des Veranstaltungs-, Einrichtungs- und Ladenfunks (vgl. Böckelmann et al., 2006, S. 80).
14
Jutta Popp
In den einzelnen Bundesländern dominiert – in Abhängigkeit gesetzlicher Vorgaben – der landesweite oder der lokale Hörfunk. In neun Bundesländern gibt es keinen Lokalfunk, in Bayern und Nordrhein-Westfalen dagegen hat der lokale Hörfunk sogar übergeordnete Bedeutung. Mit der Betonung des lokalen Rundfunks verfolgen die entsprechenden Bundesländer die Sicherung der Programmund Meinungsvielfalt im regionalen Bereich (Breunig, 2001, S. 452). In Nordrhein-Westfalen liegt mit dem so genannten Zwei-Säulen-Modell eine Sondersituation vor. Um zu verhindern, dass im Bundesland ansässige und lokal dominierende Zeitungsverlage auch im Hörfunk eine Monopolstellung einnehmen, wurde ein aus den zwei Säulen Betriebsgesellschaft und Veranstaltergemeinschaft bestehendes Geschäftsmodell entwickelt. „Den Zeitungsverlagen wurde in den Verbreitungsgebieten des Lokalfunks je eine Beteiligungsoption an den Betriebsgesellschaften des Lokalfunks von bis zu 75 Prozent zugestanden, die restlichen 25 Prozent können die Kommunen übernehmen“ (Breunig, 2001, S. 452). Wird diese Option nicht wahrgenommen, steht es grundsätzlich jedermann offen, eine Betriebsgesellschaft zu gründen. Die Veranstaltergemeinschaft setzt sich – ähnlich den Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – aus Vertretern gesellschaftlicher Gruppen zusammen. Während die Betriebsgesellschaft für finanzielle und technische Aspekte der Hörfunkverbreitung verantwortlich ist, ist die Veranstaltergemeinschaft für die Programminhalte zuständig. Das Programmangebot der privaten Sender wird zu etwa 50 % von Mainstream-Angeboten aus dem Musikbereich bestimmt und richtet sich als ACFormat (Adult Contemporary mit Schwerpunkt im Bereich Popmusik) vorwiegend an die werberelevante Zielgruppe der 25- bis 49-Jährigen (KEK, 2005). Aus wirtschaftlicher Perspektive haben Mainstream-Sender den Vorteil einer größeren Zuhörerschaft, wodurch höhere Werbeeinnahmen erzielt werden können. Die primäre Ausrichtung der Radiosender am Massengeschmack führt allerdings dazu, dass die Hörfunklandschaft mitunter als „relativ gleichförmig“ wahrgenommen wird (Handel, 2002). Spartenprogramme im Privatfunk zeichnen sich vor allem durch ihre Schwerpunktsetzung im Bereich Musik aus. So gibt es Radioprogramme, die sich auf Techno (z.B. sunshine live) oder Black Musik (z.B. jam fm) spezialisiert haben. Daneben sind Sender am Markt, die mit ihrem Programm ausgewählte Zielgruppen ansprechen wollen, wie das Kinderradio Radio jojo oder metropol fm, das sich in seinem Sendegebiet gezielt an die türkischsprachige Bevölkerung richtet. Das „klassische Verhältnis“ von Musik zu Wort liegt im privaten Hörfunk in etwa bei 70:30, reine Wortprogramme gibt es kaum. Da es sich bei Wortprogrammen um eine Angebotsform handelt, die sich nur mit großem finanziellem Aufwand produzieren lässt, wird dieses Genre bislang vorrangig vom öffentlichrechtlichen Rundfunk bedient. Eine Ausnahme ist der private Sender Wilantis
Angebot an Radioprogrammen
15
fm, der im Raum Stuttgart terrestrisch verbreitet wird. Der Radiosender, der sich selbst als das „erste Wissensradio in Deutschland“ bezeichnet, sendet „rund um die Uhr Zahlen, Daten und Fakten aus den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Technologie und Innovation“.7 1.1.3 Bürgerradio Neben den privaten und öffentlich-rechtlichen Radioangeboten stellt seit 1987 das Bürgerradio die dritte Säule des Hörfunkmarktes in Deutschland (Merz, 1998). Diese nicht-kommerziell arbeitenden Radiosender wurden in Deutschland eingerichtet, um allen gesellschaftlichen Gruppen ein öffentliches Kommunikationsforum für ihre Anliegen zu bieten. Auch Themen, die in den Medien sonst eher weniger Berücksichtigung finden, können dort zur Sprache gebracht werden. Insgesamt 141 Bürgerradios gibt es in Deutschland – mit starken Varianzen zwischen den einzelnen Bundesländern (vgl. Tabelle 3). Bei Bürgerradios können fünf verschiedene Angebotstypen unterschieden werden. „Ein Offener Kanal ist nicht kommerzielles, werbefreies, lokales oder regionales Radio, das allen Bürgern den freien und gleichberechtigten Zugang garantiert.“8 Das technische Equipment stellen die Offenen Kanäle ebenso bereit wie Beratung in technischen und redaktionellen Fragen. Die Sendungen, die von Bürgern selbst produziert werden, müssen sich inhaltlich innerhalb der gesetzlichen Schranken bewegen (vgl. Kapitel 4), sind sonst aber an keine Vorgaben oder Anforderungen gebunden. Eine Sonderform des Offenen Kanals ist der so genannte Bürgerfunk (auch: Bürgerrundfunk) in Nordrhein-Westfalen. Hierbei handelt es sich – im Unterschied zum Offenen Kanal – nicht um eigenständige Radiosender. Vielmehr wird den von Bürgern produzierten Sendungen in den privaten Lokalradios ein Sendeplatz eingeräumt; d.h. die privaten Lokalsender in Nordrhein-Westfalen sind gesetzlich verpflichtet, 15 % ihrer Sendezeit den Sendungen des Bürgerfunks zu Verfügung zu stellen. Mit der Novellierung der Landesmediengesetze in Nordrhein-Westfalen im Mai 2007 wurde die finanzielle Unterstützung des Bürgerfunks eingeschränkt, die Sendezeit auf maximal eine Stunde täglich verkürzt und auf die späten Abendstunden verlegt. „Nicht-kommerzielle Hörfunkprogramme“ sind, wie Offene Kanäle, eigenständige Radiosender, die aber im Gegensatz zum Offenen Kanal über eine Redaktion verfügen, die für die Inhalte der Sendungen verantwortlich ist.9 Die Sen7
http://www.wilantis.de/seite/index.php?id=16 http://www.alm.de/116.html 9 http://www.alm.de/116.html 8
16
Jutta Popp
dungen werden von Redakteuren und ehrenamtlichen Mitarbeitern nach einem festgelegten Sendeschema produziert, die Redaktionen sind zugangsoffen. Tabelle 3: Bürgerradios nach Bundesländern10
Offene Kanäle BadenWürttemberg Bayern Berlin/ Brandenburg Bremen Hamburg Hessen MecklenburgVorpommern Niedersachsen NordrheinWestfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt SchleswigHolstein Thüringen Gesamt
nichtkomBürgermerz. funk Hörfunk
5
Ausund Fortbild.Kanäle
Hochschulrundfunk
16 3
1 2
21 2
2
7
1
2
1
3 2 7
2 7 1
1 12 46
12 14
4 3
1
60
7
3 4 16
Gesamt
12 3 3
46
2 49
2 21
9
8 141
Der Hochschulrundfunk dient der journalistischen Qualifikation von Studenten in allen Arbeitsbereichen der Hörfunkproduktion und -veranstaltung. Ein vergleichbares Ziel verfolgen die Aus- und Fortbildungskanäle, die journalistischen Nachwuchs ausbilden und Medienkompetenz vermitteln wollen, sich im Gegensatz zum Hochschulrundfunk aber nicht auf die Gruppe der Studenten beschrän-
10
Quelle: Bundesverband Offener Kanäle (o.J.), Die Landesmedienanstalten (2005)
Angebot an Radioprogrammen
17
ken. Bürgerradios sind werbefrei und werden durch die Landesmedienanstalten, aus Rundfunkgebühren und Spenden finanziert (Häusermann, 1998). 1.2 Situation am analogen Angebotsmarkt Die Situation am analogen Hörfunkmarkt ist durch einen harten Wettbewerb um Hörer und Werbeeinnahmen gekennzeichnet. Der Wettbewerb findet überwiegend auf den räumlich begrenzten Teilmärkten statt und wird nicht nur zwischen den privaten Anbietern ausgetragen, sondern auch zwischen den beiden Anbietertypen. In der Konkurrenz um die Gunst der Hörer lag im Jahr 2007 der öffentlichrechtliche Hörfunk mit einer Tagesreichweite von durchschnittlich 32,5 Mio. Hörern vor den privaten Anbietern mit knapp 28 Mio. Hörern (Klingler & Müller, 2007).11 Kennzeichnend für die Situation am Werbemarkt (vgl. Kapitel 3) waren in den Jahren 2000 bis 2004 stark sinkende Werbeeinnahmen (um ca. 30 %), die schließlich zu einer Verringerung der Beschäftigtenzahl im privaten Hörfunk um rund ein Viertel führten. Der öffentlich-rechtliche Hörfunk war von der Werbekrise weniger betroffen, da er aufgrund der Gebührenfinanzierung relativ frei vom Marktdruck am Hörfunkmarkt agieren kann. Etwa 82 % der Erträge sind Gebührengelder, nur knapp 3 % der Einnahmen stammen aus dem Bereich Werbung.12 Der Anteil der Werbeeinnahmen ist deshalb so gering, weil zum einen nur 32 der öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogramme Werbung ausstrahlen dürfen, zum anderen sich das Werbevolumen in engeren Zeitschranken bewegen muss als beim privaten Hörfunk (Scheibel, 2007). Auf dem privaten Hörfunkmarkt wird das Angebot vorwiegend durch landesweite und lokale Hörfunkprogramme bestimmt. Unter ökonomischen Gesichtspunkten hat sich das Konzept der landesweiten Radiosender als das wirtschaftlich erfolgreichere erwiesen. Aufgrund der im Vergleich zu den Lokalsendern hohen Reichweite sind sie für die Werbewirtschaft der interessantere und rentablere Werbeträger. Unter den bundesweiten Hörfunkanbietern erzielten 2004 nur vier der elf Programme ein positives Ergebnis (Die Landesmedienanstalten, 2006). Die Kosten der technischen Programmverbreitung machen das bundesweite Radio zu einem relativ teuren Konzept: Für die Verbreitung der elf
11 Die Daten zur Hörfunknutzung wurden im Rahmen der Media Analyse 2007 Radio II erhoben. Befragt wurden Personen ab 14 Jahre zu ihrer Radionutzung (von Montag bis Sonntag, in der Zeit zwischen 5.00 und 24.00 Uhr). 12 vgl. die entsprechenden Schätzwerte bei: Die Landesmedienanstalten, 2006, S. 83
18
Jutta Popp
bundesweiten Programme wurde 2004 annähernd gleich viel aufgewendet wie für die 143 lokalen Sender (Die Landesmedienanstalten, 2006). Zur Überwindung der Krise am Werbemarkt und zur Stärkung der eigenen Position am Radiomarkt haben die privaten Radioveranstalter verschiedene Strategien entwickelt. Ein Weg, der finanziell angespannten Situation am Werbemarkt zu begegnen, war die Erschließung neuer Geschäftsfelder, wodurch vor allem eine größere Unabhängigkeit von den Werbeeinnahmen erreicht werden sollte. Der Ertragsanteil außerhalb des Werbegeschäfts hat sich in den letzten fünf Jahren um 5 % erhöht und machte im Jahr 2004 21 % der gesamten Einnahmen des privaten Hörfunks aus (Böckelmann et al., 2006, S. 259). Unter den alternativen Erlösquellen sind Einnahmen aus Sponsoring, Veranstaltungen (z.B. Konzerte) und Programmverkäufen. Einen relativ großen Anteil unter den alternativen Erlösquellen nehmen die so genannten Telefonmehrwertdienste ein (Call-Media). Dabei handelt es sich um Anrufaktionen der Radiosender, bei denen die Hörer – meist im Rahmen von Gewinnspielen oder Abstimmungen – aufgefordert werden, beim Sender anzurufen. Die Anrufe sind für den Anrufer kostenpflichtig, wobei ein Anteil der daraus entstehenden Einnahmen beim Sender verbleibt und der andere Anteil an den entsprechenden TelekommunikationsVertragspartner geht. Eine relativ neue Einnahmequelle hat sich durch die Möglichkeit der Zweitverwertung von Radioinhalten im Internet eröffnet. Die Chance, im Rahmen von „crossmedialen Angebotsstrategien“ auf zwei Wegen an die Hörer heran zu treten, wird heute von fast allen privaten Radiosendern genutzt. Eine weitere Strategie, die am Hörfunkmarkt zu beobachten ist, ist der Zusammenschluss mehrerer Sender zu Senderketten und Senderfamilien. Bei einem Zusammenschluss zu Senderketten wird versucht, die Verbreitung eines Programms der Senderkette in einer gesamten Region bzw. einem Bundesland flächendeckend zu erreichen. Auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bedienen sich dieser Strategie (Böckelmann et al., 2006). Vorteilhaft ist dieser Zusammenschluss vor allem in Hinblick auf die Werbeeinnahmen, weil so eine flächendeckende Verbreitung der Werbebotschaft gewährleistet werden kann (Böckelmann et al., 2006, S. 85). Bei Senderfamilien sind Radioprogramme durch Senderbeteiligungen miteinander verflochten. Der Vorteile dieser Strategie liegt vor allem in der Nutzung von Synergieeffekten, die durch den Zusammenschluss verschiedener Sender entstehen können, wie z.B. im Rahmen einer gemeinsamen Werbevermarktung, einer Zusammenarbeit bei der Produktion von Nachrichten und anderen Programmbestandteilen. Nach Meinung von Experten wird die Bedeutung von alternativen Erlösquellen, darunter vor allem Sponsoring und Call-Media, in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen (Böckelmann et al., 2006).
Angebot an Radioprogrammen 2
19
Digitales Radio
Digitales Radio (kurz DAB: Digital Audio Broadcasting13) ist ein von der EUForschungsinitiative EUREKA 147 entwickeltes und international standardisiertes Verfahren zur digitalen Übertragung von Hörfunkprogrammen und anderen multimedialen Inhalten (Audio, Video, Daten).14 Ein besonderer Vorteil der digitalen Technik liegt in der Datenkomprimierung, die es ermöglicht, sechs Hörfunkprogramme auf einer Frequenz auszustrahlen (Vowe & Will, 2004). Die gesteigerte Frequenzökonomie öffnet den Markt für neue Hörfunkprogramme und begünstigt eine weitaus größere Programmvielfalt, als dies bei UKW-Radio der Fall ist (Kaumanns & Siegenheim, 2006). Für Radioveranstalter ergibt sich durch DAB die Möglichkeit, die eigene Produktpalette durch weitere Radioangebote zu verbreitern. Digitales Radio bietet auch Radiohörern Vorteile. Die Empfangsqualität ist gegenüber der analogen Hörfunktechnologie deutlich verbessert und störungsfrei.15 Zudem sind Radioprogramme in ihrem gesamten Sendegebiet auf nur einer Frequenz zu hören, wodurch beispielsweise bei Autofahrten durch ein Bundesland ein Frequenzwechsel entfällt. Ergänzend zu den Hörfunksignalen können mittels DAB Zusatzdienste in Ton und Bild übertragen werden, die auf dem Display des Empfangsgeräts visualisiert werden. Die Dienste können programmbegleitend (Program Associated Data – PAD), wie beispielsweise Angaben zu den gespielten Musiktiteln, Wetter- oder Straßenkarten, oder ohne unmittelbaren Bezug zum Programm (NonPAD - Non Program Associated Data) konzipiert werden. Bei Non-PADDiensten kann es sich beispielsweise um Stadt- und Hotelführer, Veranstaltungsund Restauranttipps oder Werbebotschaften handeln. Zum Empfang von digitalem Radio sind spezielle DAB-taugliche Empfangsgeräte erforderlich, die im Handel zu einem Preis ab etwa 60 € erworben werden können.16 Die Bandbreite der DAB-Empfänger reicht von kleinen tragbaren Taschenempfängern über Radiogeräte (auch integriert in Stereoanlagen) bis hin zu PC-Empfängern und Autoradios. Neben den rein digitalen Empfangsgeräten sind im Handel auch hybride Empfänger erhältlich, die UKW-Signale ebenso 13 Die Umbenennung von Digital Audio Broadcasting (DAB) in Digital Radio erfolgte im Jahr 2001 im Rahmen einer Marketingkampagne von der „Initiative Marketing Digital Radio“, einem Zusammenschluss von Geräteherstellern und Programmveranstaltern. 14 Das folgende Kapitel beschränkt sich auf T-DAB (Terrestrial Digital Audio Broadcasting), also die digitale Verbreitung terrestrischer Radiosender. Neben T-DAB gibt es die digitale Satellitenübertragung (DAB-S) und die digitale Kabelübertragung (DAB-C). 15 Ein störungsfreier Empfang ist in Deutschland derzeit allerdings nicht gewährleistet (vgl. Abschnitt 2.2). 16 http://www.digitalradiowest.de/c_geraetehandel.php
20
Jutta Popp
verarbeiten können wie DAB-Signale. Als zusätzliche Funktionen bieten einige Empfangsgeräte die Möglichkeit des zeitversetzten Radiohörens. Zu diesem Zweck werden die Radioprogramme im mp3-Format aufgenommen und nach Bedarf – unabhängig vom Sendeplan – abgespielt, gestoppt oder zurückgespult. Groben Schätzungen zu Folge sind derzeit zwischen 50.000 bzw. 100.000 und 546.000 digitale Radio-Empfänger in Deutschland im Einsatz, darunter vorrangig Autoradios (ZEM, 2007; epd, 2007). Abbildung 1: Verbreitung von Digitalradio in Deutschland17
Die ersten DAB-Pilotprojekte in Deutschland starteten Mitte der 1990er Jahre. Seit 1999 bzw. 2000 sendet Digital Radio in den einzelnen Bundesländern im 17
Quelle: http://www.digitalradiowest.de/c_ausbauplan_d.php
Angebot an Radioprogrammen
21
Regelbetrieb. 2005 lebten über 80 % der Bevölkerung in den Verbreitungsgebieten für digitales Radio (Trinloc, 2005). Inzwischen gibt es nur noch kleinere Gebiete, in denen kein Empfang möglich ist. Nach den Plänen der Bundesregierung soll das Digital Radio die bisherige analoge Hörfunkverbreitung spätestens bis zum Jahr 2015 endgültig ablösen, nach dem Willen der EU soll spätestens bis zum Jahr 2012 der analoge terrestrische Rundfunk eingestellt sein (Naß, 2006). Ob die Abschaltung der UKW-Technologie tatsächlich erfolgt, darüber herrscht bislang Uneinigkeit.18 Würde eine Abschaltung erfolgen, wären 300 Mio. UKW-Empfangsgeräte „über Nacht“ unbrauchbar (BMWA, 2005). Eine Grundversorgung der Bevölkerung wäre – zumindest nach der gegenwärtigen Verbreitung von DAB-Empfängern – nicht mehr gewährleistet. Auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten hätte ein erzwungener Umstieg immense Folgen, weil viele Radiostationen ihren Betrieb einstellen müssten (vgl. Vowe & Will, 2004, S. 21). 2.1 Anbietertypen und Anbieterstruktur Digitales Radio In Deutschland sind für jedes Bundesland ein landesweites Paket (Band III) mit einem Verbreitungsgebiet innerhalb der Landesgrenzen und zwei regionale Pakete (L-Band), dessen Sendegebiet in etwa den heutigen größeren LokalfunkVerbreitungsgebieten entspricht, zur Verbreitung von DAB vorgesehen (Rein, 2000). Kleinere Verbreitungsgebiete, wie es sie heute im UKW-Funk gibt, sind aus frequenzökonomischen Gründen nicht möglich (Rein, 2000; Bundesverband Freier Radios, 2002). Derzeit sind 85 landesweite und 57 lokale DAB-Programme zu empfangen, wobei sich der Versorgungsgrad in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich gestaltet (vgl. Tabelle 4). Die größte Sendervielfalt gibt es auf dem Hörfunkmarkt in Bayern, hier stehen den Radiohörern 19 lokale und sieben landesweite Programmangebote zur Verfügung. Knapp ein Fünftel des gesamten Angebots ist damit in Bayern verfügbar. Relativ klein ist das Angebot in den Bundesländern Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. In Bremen wird kein digitales Programm verbreitet, aber DAB-Sender aus Niedersachsen sind dort empfangbar (Matheus, Morich & Specks, 2005, S. 148). Die Mehrheit des digitalen Programmangebots bilden öffentlich-rechtliche Angebote. Zu berücksichtigen ist in Tabelle 4, dass einige der digital landesweit und lokal verbreiteten Radiosender in mehreren Bundesländern empfangen werden können und es daher zu Mehrfachzählungen kommt. Betrachtet man das Netto18
Initiative Digitaler Rundfunk, 2005
22
Jutta Popp
angebot, verringert sich die DAB-Senderzahl auf 90 Programme, darunter 39 öffentlich-rechtliche und 51 private Hörfunkangebote. Diese Angebote werden größtenteils auch über UKW verbreitet: Die Hälfte der digital verbreiteten privaten Radioprogramme ist parallel über UKW zu empfangen, von den 39 öffentlich-rechtlichen DAB-Programmen strahlen 32 im Simulcast-Betrieb aus. Tabelle 4:
DAB-Programme nach Bundesländern19
landesweit lokal BadenWürttemberg Bayern Berlin/ Brandenburg Bremen Hamburg Hessen MecklenburgVorpommern Niedersachsen NordrheinWestfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt SchleswigHolstein Thüringen Gesamt
öffentl.rechtlich
9
10
6
7
19
7
6
8
10
8 4
3
6 2
5
5
davon: davon: ausausschließl. schließl. digital privat digital
2
1
Gesamt
13
2
19
19
15
26
4
3
14
2 5
2 3
8 7 5
7
6
1
1
8
7
2
1
1
8
7 7 3 3
1 1
7 3 7
5 2 3
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19 Quelle: Hessen Digital Radio, 2007; eigene Recherche. Darüber hinaus sind auch nichtkommerzielle Radiosender am digitalen Radiomarkt empfangbar (beispielsweise Radio Free fm, Baden-Württemberg), die in Tabelle 4 nicht berücksichtigt wurden.
Angebot an Radioprogrammen
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Das digitale Zusatzangebot, d.h. Sender, die ausschließlich digital verbreitet werden, umfasst (netto) 26 private und sieben öffentlich-rechtliche Programme. Aus inhaltlicher Perspektive heben sich die neuen DAB-Sender von dem UKWAngebot nicht ab. Unter den Angeboten, die ausschließlich über DAB verbreitet werden, sind ebenfalls vorwiegend Mainstream-Angebote, die nicht auf ein Nischenpublikum zugeschnitten sind, sondern ebenso die Massen begeistern sollen. Die Mehrheit der DAB-Sender sind als Musikprogramm konzipiert: Neben Rock und Pop wird vor allem auch Country-Musik angeboten. Spezielle Angebote, wie ein Kinderprogramm oder ein türkischsprachiges Programm, sind die Ausnahme. Das Angebot der öffentlich-rechtlichen Programme, das ausschließlich digital verbreitet wird, setzt sich überwiegend aus einer Zweitverwertung der über UKW verbreiteten Inhalte zusammen. Neben dem Radioangebot und programmbegleitenden Informationen stehen den digitalen Radiohörern einige programmunabhängige Datendienste zur Verfügung. Im Datendienst-Angebot dominieren die Verkehrsmelder (z.B. WDR Vera, BR Verkehr), die vorwiegend von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten angeboten werden und für die mobile Nutzung im Auto gedacht sind. Hinzu kommen Wetterdienste, Dienste mit Informationen rund um den Flughafen oder dem Reiseangebot der Deutschen Bahn. 2.2 Situation am Angebotsmarkt Digitales Radio Aufgrund der fehlenden Akzeptanz von DAB in Deutschland bzw. der geringen Verbreitung von Empfangsgeräten ist die finanzielle Situation der DAB-Anbieter äußerst angespannt (Die Landesmedienanstalten, 2006). Infolge der geringen Hörerzahlen bleiben Werbekunden aus und die in den Anfangsjahren an private wie auch öffentlich-rechtliche DAB-Sender gezahlten Zuschüsse aus der Rundfunkgebühr sind inzwischen größtenteils eingestellt worden. Viele private Radiosender haben sich daher nach Beendigung der Subventionen aus dem DABBetrieb zurückgezogen (Jurran & Röbke-Doerr, 2005). Die mangelnde Verbreitung von DAB am Hörermarkt hat verschiedene Ursachen: Zum einen muss ein Haushalt bei einer Umstellung von analogem auf Digital Radio neue Empfangsgeräte anschaffen. Noch vor weniger als zehn Jahren kostete ein tragbarer DAB-Empfänger ca. 400€ (Sporn, 1998). Heute sind die DAB-Empfänger mit 60€ auch für den Durchschnittsverdiener erschwinglich, jedoch umfassen die günstigeren Modelle im Regelfall nicht das volle Funktionsspektrum. Bei Geräten mit eingeschränktem Leistungsumfang bleibt den Nutzern aber schnell der potentielle Mehrwert von DAB verborgen (Breunig, 2001, S. 462). Zum anderen besitzt ein durchschnittlicher Haushalt in der Regel
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fünf bis sechs UKW-Radios (Bayerischer Oberster Rechungshof, 2002). Ein kompletter Austausch der Geräte wäre daher mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden. Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch die ungewisse Zukunft von DAB, für Radiohörer wie auch für die Radioveranstalter. Warum Investitionen tätigen, wenn heute völlig unklar ist, ob DAB als neuer Radio-Standard nicht morgen von alternativen Technologien bereits abgelöst wird? An vielen Stellen wird das Ende von DAB längst angekündigt (vgl. dazu auch Matheus, Morich & Specks, 2005, S. 148), und verschiedene alternative Standards wie DMB, DVB-T, DRM und DRM+ stehen für die digitale Verbreitung von Radio ebenso zur Verfügung (Elitz, 2006; Steil & Kreutzer, 2006; ARD-Jahrbuch, 2006). Dass die DAB-Empfangsgeräte noch weit entfernt von einer Marktdurchdringung sind, liegt auch an dem geringen Bekanntheitsgrad der neuen Technologie. In einer repräsentativen Umfrage des ZEM (Zentrum für Evaluation und Methoden) wurde im Jahr 2007 der Bekanntheitsgrad und die Nutzung von DAB in Telefoninterviews erfragt (ZEM, 2007). Unter den 2.000 Befragten (ab 14 Jahre) gaben 36 % an, schon mal von DAB-Radio gehört zu haben, wobei der Bekanntheitsgrad unter Männern weitaus höher lag (49 %). Digitale Radioprogramme tatsächlich auch genutzt haben aber nur 8 %, in Besitz eines DABtauglichen Empfängers waren gerade einmal 6 % der Befragten. Damit hat sich der Bekanntheitsgrad von DAB in Deutschland in den letzten vier Jahren kaum verändert – die Vorgängerstudie aus dem Jahr 2003 hat ähnliche Ergebnisse hervorgebracht. Begründet wird die mangelnde Verbreitung von DAB in der Bevölkerung mit fehlenden Marketingaktivitäten, die Akzeptanz und Bekanntheit von DAB-Radio in der Bevölkerung hätten steigern können. Weiter problematisch ist die schwache Sendeleistung in Deutschland, die einen ungehinderten und störungsfreien Empfang in Gebäuden, mobil bei hoher Fahrzeuggeschwindigkeit und bei einfacheren Empfangsgeräten nicht sicherstellen kann (Matheus, Morich & Specks, 2005, S. 147). Die Sendeleistung wurde bislang nicht erhöht, da eine Beeinträchtigung im Flugfunkbereich befürchtet wird. Abhilfe bei der inhouse-Nutzung kann zwar eine Antenne schaffen, die dann aber zusätzliche Anschaffungskosten verursacht (Elitz, 2006, S. 6).20 Für die mangelnde Diffusion der neuen Technik werden auch die Medienpolitik und die in Deutschland vorhandenen Medienstrukturen verantwortlich gemacht. Die föderal organisierte Hörfunkstruktur hat dazu geführt, dass die von der EU zugewiesenen Frequenzen zur Verbreitung von DAB in Deutschland auf die einzelnen Bundesländer verteilt werden mussten (Elitz, 2006). Dadurch, dass an den Grenzen der Verbreitungsgebiete ein Wechsel der Programmpakete er20
http://www.alm.de/fileadmin/Download/Positionen/TKLM_DAB_251104.pdf
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forderlich ist, konnten sich die Vorteile der digitalen Technologie, wie eine Erhöhung der Programmvielfalt und bundesweit einheitliche Frequenzen, nicht (vollständig) entfalten (Vowe & Will, 2004). Hinzu kommt, dass die Einstrahlung von Sendern über die Landesgrenzen hinaus, wie es derzeit bei UKW der Fall ist, mit der Umstellung auf DAB wegfällt. Insbesondere in Ballungsräumen und an den Landesgrenzen werden damit die Hörgewohnheiten der Radionutzer konterkariert und eingeschränkt. 3
Internetradio
Als es 1992 mit der Digitalisierung von Audiodateien möglich wurde, Audiosignale über das Internet zu übertragen, war das Internet nicht länger nur Konkurrenzmedium zum Hörfunk, sondern auch eine neue Plattform zur Verbreitung von Radio (Barth & Münch, 1997, S. 619). Drei Jahre später war es erstmals möglich, Audiosignale mittels Streamingtechnologie direkt zu hören, so dass eine Übertragung und Speicherung der kompletten Datenmenge auf den Rechner nicht mehr notwendig war (Barth & Münch, 1997, S. 619). Die Voraussetzungen für die Entstehung von Internetradios waren damit geschaffen. Das Collegeradio WXYC-Chapel-Hill in den USA war die erste Radiostation, die ihr Radioprogramm neben der „normalen Ausstrahlung“ 24-Stunden live im Internet zugänglich machte (Kroh, 2002, S. 5 und 9). In Deutschland waren es B5 aktuell, der Informationssender des Bayerischen Rundfunks, und die Deutsche Welle, die als erste Radiostationen ihre Angebote über das Netz verbreiteten (Barth & Münch, 2001, S. 622). Mit der Verbreitung des Radios über das Internet wurde die räumliche Begrenzung des Radioempfangs, die mit UKW gegeben ist, aufgehoben. Im Ausland lebende Deutsche können ebenso auf ihr deutsches Lieblingsprogramm zugreifen wie Radiohörer, die innerhalb Deutschland umgezogen sind und nicht auf ihr Lokalprogramm verzichten möchten. DSL, verantwortlich für eine schnelle Downloadgeschwindigkeit, und die Flatrate als volumen- und zeitunabhängige Abrechnung der Internetnutzung haben durch ihre schnelle Verbreitung in Deutschland die Entwicklung von Internetradios begünstigt (Fisch & Gscheidle, 2006, S. 431; Breunig, 2001, S. 463). Die Klangqualität, die beim Radiohören im Internet aufgrund geringer Übertragungsleistung in den Anfangsjahren schlecht war, hat heute annähernd CD-Qualität erreicht (Kohr, 2002). Neben Handy und Laptop gibt es inzwischen auch portable Empfangsgeräte, so genannte iRadios, die unabhängig vom PC Internetradiosender empfangbar machen (Patalong, 2007).
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Jutta Popp
Fast alle Radiostationen in Deutschland verfügen heute über einen Internetauftritt mit Livestream. Viele Programme ergänzen dieses Angebot durch so genanntes On-Demand Streaming und/oder Podcasting, bei dem Radiohörer archivierte Sendungsbestandteile abrufen und im Falle des Podcasting auf einen Audioplayer herunter laden können. Mit der Möglichkeit des Downloads von Musikdateien, Nachrichten, Serviceinformationen etc. ist für den Radiohörer ein zeitsouveräner Umgang mit Radioangeboten möglich geworden. Gezielt und den individuellen Bedürfnissen entsprechend kann sich der Hörer sein eigenes Radioprogramm zusammensetzen. Auch inhaltlich kann das Internetradio gegenüber dem klassischen Hörfunk einen Mehrwert vermitteln, indem die Audioübertragung durch visuelle programmbegleitende oder programmunabhängige Angebote ergänzt wird. Beispielsweise können zum Livestream Informationen zum laufenden Musikstück (Angaben zum Künstler, Tourneedaten, Chartplatzierung) übertragen werden. 3.1 Anbietertypen Internetradio Das Internet begünstigt durch seinen „unbegrenzten Raum“, den fehlenden Markteintrittsbarrieren und den relativ geringen Verbreitungskosten die Entstehung neuer Radioprogramme. Insbesondere wurde der Markt für Sparten- und Special-Interest-Programme geöffnet, die sich an eine sehr kleine Zielgruppe richten (Breunig, 2001, S. 463; Kroh, 2002) und in der UKW-Verbreitung aufgrund der hohen Kosten nicht hätten überleben können. In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff „Mesomedium“ verwendet, da mit dem Internet die Makro- und Mikroebene um eine weitere „rentable Kommunikationsebene“ für elektronische Medien erweitert wurde, die zwischen Individual- und Massenkommunikation steht (Goldhammer, 2001, S. 447). In den Anfangsjahren mussten die Internetradios mit schlechten technischen Rahmenbedingungen, offenen rechtlichen Fragen des Urheberschutzes und einem relativ kleinen Internet-Nutzerkreis kämpfen. Mit dem Weg des Internets zum Massenmedium und der Überwindung der technischen und rechtlichen Schwierigkeiten haben immer mehr Radioanbieter den Sprung ins Netz gewagt, was zu einer äußerst dynamischen, fast unüberschaubaren Entwicklung geführt hat. Verstärkt wurde das Anbieterwachstum durch die Einfachheit, mit der „Jedermann“ Radio über das Netz verbreitet kann. Entstanden ist mittlerweile eine bunte Vielfalt unterschiedlicher Anbietertypen von Internetradios, die in klassische Hörfunksender, Internet-Only-Sender (Webcaster bzw. Webradios), Aggregatoren und Musikportale unterteilt werden können (Goldhammer, 2001).
Angebot an Radioprogrammen
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Klassische Hörfunksender sind Angebote, die sowohl terrestrisch als auch über das Internet empfangbar sind und das Netz nur als einen weiteren Verbreitungsweg nutzen (Simulcasting). Unter dieser Kategorie lassen sich sowohl öffentlich-rechtliche wie auch private Programmangebote finden. Während sich die öffentlich-rechtlichen Sender noch Anfang des Jahrtausends mit den Internetradioangeboten vornehmlich auf jüngere Zielgruppen – die Internetnutzer – beschränkten oder Informationsangebote über das Netz verbreiteten (Barth & Münch, 2001), sind heute von den öffentlich-rechtlichen Radioprogrammen alle Angebote auch per Livestream über das Internet empfangbar. Der WDR produziert darüber hinaus ein Kinder- und ein Kulturprogramm – beide Programme werden ausschließlich über das Internet verbreitet. Die Angebote der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten werden im Internet auf der Seite http://web.ard.de/radio/radionet/ gebündelt, können aber auch einzeln auf den entsprechenden Webseiten der Sender besucht und abgerufen werden. Wie viele der privaten UKW-Radioprogramme mit Livestream im Internet präsent sind, hat eine Untersuchung der AKM (Arbeitsgruppe Kommunikationsforschung München) im Jahr 2006 ermittelt (Böckelmann et al., 2006). Von den 60 bundesweiten und landesweiten Radioprogrammen waren bis auf zwei Programme alle Angebote auch im Internet verfügbar. Bei den lokalen Radioanbietern ist die Internetpräsenz weniger stark ausgeprägt. „Auf lokaler Ebene sind 83 von 141 Privatradios (59 %) auch im Internet auf Sendung, weitere 17 Lokalradios (12 %) zumindest mit dem Livestream ihres Mantelprogramms“ (Böckelmann et al., 2006, S. 94). Bei Webcastern oder Webradios handelt es sich um Internetradios, die ausschließlich für das Internet produziert und darüber verbreitet werden. Das Webradio ist längst über die Zeit hinaus gewachsen, in der Radio- oder Musikfreaks aus Liebhaberei ein Programm zusammen gebastelt haben. Heute haben auch große Unternehmen, allen voran Medienunternehmen wie Vodafone oder AOL, das Radio im Internet für sich entdeckt (Roth, 2006). Eine Übersicht über die Webcaster bietet die GEMA, bei der alle Programme gemeldet sind, die folgende Kriterien erfüllen: 21 „Webradio ist eine Musikübertragung im Internet, die vom Sender für die Empfänger in Form eines Programms zusammengestellt wird. Jeder Hörer hört zu einer bestimmten Zeit dasselbe.“ „Ein Webradio liegt nicht mehr vor bei Musikübertragungen, die im Ganzen oder in
21 Die GEMA ist die Verwertungsgesellschaft für Musikstücke in Deutschland. Die Liste der Webcaster ist verfügbar unter http://www.gema.de/cgi-bin/webradio/list.cgi.
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Jutta Popp Teilen zum Download angeboten werden, sowie u. a. bei Hintergrundmusik auf Homepages (...).“ „Ausgenommen sind weiterhin die zeitgleiche und unveränderte Übertragung terrestrisch verbreiteter Hörfunkprogramme (Simulcasting) sowie die Übertragung einzelner Veranstaltungen im Internet.“
Bei der GEMA sind 1.219 Webradios gemeldet, die diese Kriterien erfüllen (Stand: 16.10.2007). Da nicht davon auszugehen ist, dass alle Webcaster bei der GEMA gemeldet sind, und zudem jene Sender, die keine Musik ausstrahlen, nicht bei der GEMA registriert sind, kann der angegebene Wert nur als Näherung im unteren Bereich betrachtet werden. Andere Schätzungen gehen von 2.000 bis 2.500 Webcastern aus (Böckelmann et al., 2006, S. 95). Für Internetnutzer verfügbar sind natürlich auch die Angebote aus anderen Ländern. Weltweit wird die Anzahl der Internet-Only-Radiostationen auf zwischen 40.000 und 100.000 geschätzt (Böckelmann et al., 2006, S. 95). Neben Webcastern, die ähnlich wie Radiostationen ein komplettes Programm aus Musik- und Wortbestandteilen (Moderation, Nachrichten, Beiträge, Service, Comedy) produzieren, gibt es unter diesem Anbietertyp vor allem Sender, die ausschließlich Musik im Angebot haben. Der gänzliche Verzicht auf Wortbeiträge hat vor allem finanzielle Vorteile. Möglich wurde die Entstehung dieser so genannten Musik-Boxen, weil – anders als bei den UKW-Sendern – Webcaster nicht an inhaltliche Auflagen gebunden sind (Breunig, 2001, S. 462). Als dritten Angebotstyp gibt es unter den Internetradios so genannte Aggregatoren, die im eigentlichen Sinne kein eigenes Radio anbieten, sondern vielmehr das Programmangebot anderer Sender auf einer Website bündeln und es damit „auffindbarer“ machen (Goldhammer, 2001, S. 446; z.B. www.surfmusik. de, www.liveradio.de, www.webradio-finden.de/).22 Unter dem Anbietertyp Musik-Portal ist eine Vielzahl teils sehr heterogener Anbieter von Radioprogrammen bzw. Musik zusammen gefasst. Gleich ist allen Angeboten die Fokussierung auf individuelle Musikpräferenzen. Die Nutzer der Musik-Portale erstellen ihre eigenen Abspiellisten, die von den Besuchern bzw. den übrigen registrierten Usern der Website genutzt werden können. Die Musik wird nicht auf den PC der Nutzer geladen, sondern kann lediglich angehört (und gekauft) werden. Häufig werden den Nutzern der Musik-Portale neue Bands und Alben vorgestellt, die – dem gezeigten Nutzerverhalten entsprechend – mit den
22 Nicht immer sind die vier Angebotstypen von Internetradio strikt voneinander zu trennen. So handelt es sich beispielsweise bei http://www.liveradio.de nicht nur um einen Aggregator, sondern auch um einen Webcaster.
Angebot an Radioprogrammen
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jeweiligen Präferenzen übereinstimmen könnten (Hugendick, 2007; z.B. www.musicload.de, www.mog.com, www.finetunes.de). 3.2 Situation am Angebotsmarkt Internetradio Die vier Anbietertypen unterscheiden sich im Hinblick auf ihre Zielsetzung und strategische Ausrichtung auf dem Internet-Radiomarkt. Ihre wirtschaftliche Situation, die Möglichkeit und Notwendigkeit der Refinanzierung ist daher unterschiedlich ausgeprägt: Bei den Radiostationen fallen durch die Verbreitung ihrer Programme über das Netz kaum weitere Kosten an. Die Möglichkeit, auf zwei unterschiedlichen Wegen an den Radiohörer bzw. Internetnutzer heran zu treten, ist für Radiosender vielmehr mit zahlreichen Vorteilen verbunden. So können Radiostationen ihre Webradio-Angebote einsetzen, um vorhandene Hörer stärker an das Radio zu binden und neue Hörerschaften für das Radio zu gewinnen, indem das Radioprogramm inhaltlich durch Zusatz- und Hintergrundinformationen ergänzt wird oder beispielsweise Zusatzangebote wie Gewinnspiele oder Kommunikationsforen zur Verfügung gestellt werden. Durch die inhaltliche Überschneidung des Angebots können Synergieeffekte genutzt werden: „Beispielsweise können produzierte Nachrichtenbeiträge oder Interviews, die im Offline- bzw. On-Air-Programm nur in Ausschnitten Platz finden, ausführlicher oder in voller Länge im Internet erscheinen oder in einem entgeltpflichtigen Premiumangebot präsentiert werden“ (Kroh, 2002, S. 38). Zentrales Motiv für das Online-Engagement ist bei den privaten Anbietern aber die Erschließung neuer Werbe- und Erlösquellen. Für die öffentlich-rechtlichen Anbieter ist dieser Aspekt weniger bedeutsam; da sie ihren Webauftritt aus Gebührengeldern finanzieren, dürfen sie dort keine Werbung platzieren (Neuberger, 2002). Problematischer gestaltet sich die wirtschaftliche Situation der übrigen Anbietertypen, die mit einem relativ geringen Bekanntheitsgrad zu kämpfen haben. Grundsätzlich eröffnet das Webradio die verschiedensten Möglichkeiten der Refinanzierung. Insbesondere für Webcaster, die mit ihrem Programmangebot eine Nische besetzt haben und einen kleinen Nutzerkreis bedienen, könnten sich werbungstreibende Unternehmen interessieren, weil so Streuverluste verringert werden und die Ansprache sehr individuell erfolgen kann. Denkbar sind in diesem Zusammenhang auch Abonnement-Einnahmen von Nutzergruppen, deren Interessen sich über das regulär verbreitete Radio nicht decken lassen. Für Musik-Portale besteht darüber hinaus die Möglichkeit, weitere Einnahmen aus dem Verkauf von Nutzerdaten in Kombination mit musikalischen Vorlieben zu generieren. Interesse dürfte daran vor allem die Musikindustrie zeigen. Bislang ist die finanzielle Situation der Webcaster eher angespannt. Insbesondere für die klei-
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nen Anbieter war die von GEMA und GVL im Jahr 2005 verabschiedete neue Gebührenverordnung kaum zu stemmen.23 Um ihre finanzielle Situation zu verbessern, haben einige Webradio-Anbieter bereits eine Lizenz für die Verbreitung ihrer Programme über UKW beantragt (Barth & Münch, 2001, S. 44). Allen Anbietertypen am Angebotsmarkt Internet gemein ist ein großes Marktpotential – weltweit gibt es heute über eine Milliarde Onlinenutzer.24 Der Reichweite des Angebots sind derzeit aber noch technische Grenzen gesetzt. Nur ca. 500.000 Radiohörer können gleichzeitig ein Programm über Livestream empfangen. Über die Nutzung einzelner Internetradios ist relativ wenig bekannt. Zwar werden von INFOnline, einem Technologiepartner der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW), monatliche Nutzerzahlen der Internetseiten von Medienunternehmen erhoben.25 Allerdings werden hier nur die Besucher der Website gezählt. Ob dabei der Livestream der Anbieter genutzt wurde, ist den Angaben nicht zu entnehmen. Die Betrachtung der Radionutzung im Internet muss daher an dieser Stelle auf einer anbieterübergreifenden Ebene stattfinden: Nach der aktuellen ARD/ZDFOnlinestudie hören knapp ein Viertel der Internetnutzer „zumindest selten“ live im Internet Radio (Fisch & Gscheidle, 2006). Unter den jüngeren Onlinenutzern zwischen 14 und 29 Jahren erreicht dieser Wert über 30 %. 4
Ausblick
Die technologischen Entwicklungen haben den Angebotsmarkt Radio vielfältiger gemacht. Vor allem mit dem Internet ist eine Vielzahl neuer Radioanbieter entstanden, die mit Nischenprogrammen das Radioangebot erweitern. Ob sich der Angebotsmarkt Radio in einigen Jahren nochmals grundlegend ändern wird, hängt eng mit der weiteren Entwicklung von Digital Radio ab. Grundsätzlich ist eine Abwendung von der digitalen Hörfunkübertragung kaum mehr zu erwarten. Ob der digitale Übertragungsstandard der Zukunft aber DAB sein wird, ist ungewiss. Die Alternativen zu DAB bieten zahlreiche Vorteile, können zum Teil auf den bislang fertig gestellten Netzaufbau zurück greifen und sind vielleicht eher in der Lage, den Teufelskreislauf, in dem sich DAB derzeit befindet, zu überwinden. Was ändert sich dadurch für die Radiohörer? Falls die Zukunft der Radionutzung digital sein wird, ist langfristig eine größere Programmvielfalt zu erwar23 Die GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH) ist zuständig für die Leistungsschutzrechte der Interpreten und der Tonträgerindustrie. 24 http://www.internetworldstats.com/stats.htm (Stand: 10. März 2007) 25 http://www2.infonline.de/de/ivw-ausweisung/
Angebot an Radioprogrammen
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ten. Anders als bei der Umschaltung auf DVB-T im Fernsehen, ist allerdings eine 1:1-Abbildung des heutigen UKW-Hörfunkmarktes nicht ohne weiteres möglich. „Bei einer Umstellung auf DAB würden sich die Sendegebiete stark verändern, die Radiostationen müßten sich in die starre Sendegebietsplanung einfügen“ (Rein, 2000, o.S.). Zudem sind kleine Verbreitungsgebiete in der digitalen Übertragung nicht vorgesehen. Insbesondere für den lokalen Hörfunk ist daher fraglich, ob die Vielfalt in der Region, die heute stellenweise vorhanden ist, auch am digitalen Hörfunkmarkt gegeben sein wird. Neben dem Angebot werden sich für den Radiohörer auch die Möglichkeiten der Radionutzung vervielfältigen. Neue Empfangsgeräte, die eine ÜberallNutzung ermöglichen, neue Angebote, die einen zeitsouveränen Umgang mit den Radioinhalten möglich machen, können individuelle Ansprüche besser befriedigen. Das Radio der Zukunft wird noch präsenter sein, weil es sich jedem Tagesablauf anpassen kann. Literatur Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in der Bundesrepublik Deutschland/ ALM (Hrsg.) (2005). ALM Jahrbuch 2005. Berlin: Vistas. Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland/ARD (Hrsg.) (2006). ARD Jahrbuch 06. Baden-Baden: Nomos. Abrufbar unter: http://www.ard.de/id=495908/property=download/1pwt5el/index.pdf [Stand: 24.04.2007]. Barth, C. & Münch, T. (1997). Hörfunk im Internet. Angebotsformen und Entwicklungschancen in den USA und in Deutschland. Media Perspektiven, o. Jg.(11), 619-626. Barth, C. & Münch, T. (2001). Webradios in der Phase der Etablierung. Angebote, Nutzung und Inhalte des Hörfunks im Internet. Media Perspektiven, o. Jg.(1), 43-50. Bayerischer Oberster Rechungshof (2002). Einführung eines terrestrischen digitalen Hörfunks, TNr. 45. Abrufbar unter: http://www.orh.bayern.de/files/Jahresberichte/ 2002/Ergebnisse/02-45.pdf [Stand: 12.04.2006]. BMWA (Hrsg.). (2005). Digitaler Rundfunk im 21. Jahrhundert. Sachstandsbericht des BMWA in Zusammenarbeit mit Beteiligten von Bund, Ländern, Inhalteanbietern, Netzbetreibern im Rahmen der Initiative Digitaler Rundfunk der Bundesregierung. Abrufbar unter: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/S-T/sachstand-dighoerfunk-und-fernsehen,property=pdf,bereich=bmwi,sprache=de,rwb=true.pdf [Stand: 12.04.2006]. Böckelmann, F. et al. (2006). Hörfunk in Deutschland – Rahmenbedingungen und Wettbewerbssituation. Bestandsaufnahme 2006. Berlin: Vistas. Breunig, C. (2001). Radiomarkt in Deutschland: Entwicklung und Perspektiven. Analyse der Strukturen, Vertriebswege, Programmformen und Vermarktung des Hörfunks. Media Perspektiven, o. Jg.(9), 450-470.
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34
Jutta Popp
Links http://www.wilantis.de/seite/index.php?id=16 [Stand: 26.04.2007] http://www.alm.de/116.html [Stand: 27.04.2007] http://www.digitalradiowest.de/c_geraetehandel.php [Stand: 27.04.2007] http://www.internetworldstats.com/stats.htm (Stand: 10. März 2007) [Stand: 27.04.2007] http://www2.infonline.de/de/ivw-ausweisung/ [Stand: 27.04.2007] http://www.digitalradiowest.de/c_ausbauplan_d.php [Stand: 27.04.2007] http://www.alm.de/fileadmin/Download/Positionen/TKLM_DAB_251104.pdf [Stand: 12.04.2007] http://www.gema.de/cgi-bin/webradio/list.cgi [Stand: 27.04.2007] http://www.surfmusik.de [Stand: 12.04.2007] http://www.liveradio.de [Stand: 12.04.2007] http://www.webradio-finden.de/) [Stand: 12.04.2007] http://web.ard.de/radio/radionet/ [Stand: 12.04.2007] http://www.eutelsat.de/ [Stand: 10.10.2007]
2
Nutzung von Radioprogrammen
Holger Schramm
1
Stellenwert und Umfang der Radionutzung
Die Nutzung von Radioprogrammen bestimmt große Teile des Alltags vieler Menschen. Insbesondere in westlichen Industrienationen wie Deutschland gehört das Radiohören zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen (vgl. Tabelle 1): Danach hören immerhin 77,9 % aller Bundesbürger ab 14 Jahren mehrmals die Woche Radio. Nur das Fernsehen hat als Freizeitbeschäftigung eine größere Bedeutung (87,5 %). Tabelle 1: Mediennutzung und Freizeitbeschäftigung (in %)26 Mehrmals in der Woche …
Geschlecht Gesamt
Mann
Frau
Alter (in Jahren) 14-19
20-29
30-39
40-49
50-59
60-69
70+
Fernsehen
87,5
85,7
89,2
86,3
79,8
82,1
84,6
89,2
93,9
96,0
Radio hören
77,9
76,8
78,9
65,0
68,6
77,4
81,7
82,7
84,2
77,3
Zeitungen lesen
77,0
77,5
76,5
51,3
61,5
68,7
79,1
85,0
90,3
88,9
LPs, MCs, CDs, MP3s hören
41,4
43,7
39,3
81,6
67,6
49,2
40,5
30,0
25,2
17,7
Sport treiben
40,2
41,8
38,7
67,2
44,5
35,4
35,9
35,7
42,1
34,7
Bücher lesen
37,7
28,8
46,1
35,9
35,9
35,7
36,4
36,8
41,0
41,6
32,8
31,8
33,8
26,0
25,0
27,4
30,9
35,4
39,5
42,1
10,5
12,3
8,8
20,4
19,2
11,5
8,7
8,4
6,6
4,9
8,9
11,5
6,4
25,5
19,9
7,3
5,0
4,9
5,2
4,5
Zeitschriften lesen Videos, DVDs ansehen Ausgehen
Das Radio erzielte 2007 in Deutschland eine durchschnittliche Tagesreichweite von 77,1 % und erreichte damit täglich ca. 50 Mio. Menschen. Im Durchschnitt 26
Quelle: Arbeitsgemeinschaft der ARD-Werbegesellschaften, 2007, S. 73
36
Holger Schramm
hörte ein Erwachsener (im Alter von 14 Jahren oder älter) in Deutschland 186 Minuten Radio pro Tag (Montag-Freitag: 200 Minuten; Samstag: 165 Minuten; Sonntag; 138 Minuten). Legt man die hohe Radiogerätedichte und Tagesreichweite zugrunde, wie sie typisch ist für Industrienationen, weisen die Deutschen im internationalen Vergleich eine leicht überdurchschnittlich ausgeprägte Radionutzungsdauer auf (vgl. Tabelle 2; Schramm, 2008). Tabelle 2: Radionutzung 2001 im internationalen Vergleich27 Land
Tagesreichweite
Hördauer
(in %)
(in min)
Polen
77,4
325
Deutschland
81,8
218
Großbritanien
80,2
205
Frankreich
83,6
191
Spanien
56,0
185
Italien
67,8
182
USA
76,9
180
Schweden
77,5
163
Schweiz (deutschsprachiger Teil)
93,1
131
Schließt man die Nicht-Radionutzer aus und betrachtet nur diejenigen, die das Radio auch nutzen, steigt die durchschnittliche Tagesnutzung der Deutschen sogar auf 241 Minuten (Verweildauer). Die Altersgruppen von 40 bis 59 Jahren weisen mit über dreieinhalb Stunden Hördauer pro Tag die höchsten Werte auf – wahrscheinlich bedingt durch das Radiohören beim Weg zur Arbeit bzw. während der Arbeit. Bei Jugendlichen im Alter von 14 bis 19 Jahren spielt die Radionutzung mit durchschnittlichen 95 Minuten am Tag eine vergleichsweise geringere Rolle (vgl. Tabelle 3).
27
Quelle: IP, 2002. Leider sind die jüngsten international vergleichenden Zahlen bereits sieben Jahre alt bzw. aus dem Jahr 2001 (die IP hat ihren letzten Report im Jahr 2002 vorgelegt und danach die Radionutzungsanalysen eingestellt). Daraus resultiert auch die Diskrepanz zwischen der angegebenen Tagesreichweite von 81,8 % für Deutschland und der aktuellen Tagesreichweite für Deutschland von 77,1 %.
Nutzung von Radioprogrammen
37
Da der Musikanteil der Radioprogramme bei durchschnittlich 70 % liegt (Gushurst, 2000), dürften von den 186 Minuten Radionutzung ca. 130 Minuten auf das Hören von Musik entfallen. Zählt man die Nutzung von Musiktonträgern, MP3-Playern, des Musikfernsehens sowie die Nutzung von Musik an öffentlichen Orten (z.B. Kaufhaus, Restaurant, Friseur, Warteräume etc.) hinzu, kommt man gar auf vier bis fünf Stunden tägliche Musiknutzung (Schramm, 2004). Tabelle 3: Entwicklung der Radionutzung28 2004
2005
2006
2007
Weitester Hörerkreis in %
94,6
94,4
93,5
93,8
Tagesreichweite in %
79,2
79,3
77,1
77,1
Verweildauer in Minuten
248
244
242
241
Hördauer in Minuten
196
193
186
186
Männer
199
201
194
192
Frauen
194
186
179
180
14-19 Jahre
122
109
108
95
20-29 Jahre
185
172
155
172
30-39 Jahre
221
217
212
199
40-49 Jahre
225
231
214
215
50-59 Jahre
222
216
219
214
60-69 Jahre
200
196
197
193
70 Jahre und älter
150
155
147
163
Vergleicht man die Jahre 2004 bis 2007, ist ein Rückgang der Radionutzung um zehn Minuten zu verzeichnen, der größtenteils auf die Einbrüche der Radionutzung bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen zurück zu führen ist. So haben die 14-19-Jährigen im Jahr 2004 täglich das Radio fast eine halbe Stunde länger genutzt als im Jahr 2007, was in der Regel mit der steigenden Nutzung von mobilen Musikmedien (vor allem: MP3-Player) erklärt wird (z.B. Schramm & Hägler, 2007). Denn 82 % der Jugendlichen nutzen einen MP3-Player/iPod 28
Quelle: Arbeitsgemeinschaft der ARD-Werbegesellschaften, 2007, S. 72
38
Holger Schramm
mittlerweile täglich oder mehrmals pro Woche, und 85 % sind bereits im persönlichen Besitz eines MP3-Players/iPods (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest, 2007). Es kann also von einer hohen alltäglichen Durchschnittsnutzung der neuen Musikmedien – zumindest bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen – ausgegangen werden, was evtl. zur Substitution und zu Nutzungseinbrüchen bei den klassischen Musikmedien führen könnte bzw. bereits geführt hat. Es gibt aber auch entgegen gesetzte Anzeichen: Nach Angaben der ma 2007 II (Klingler & Müller, 2007, S. 463) erzielte das Radio selbst bei Besitzern von MP3-Playern eine Tagesreichweite von 78,1 % mit einer durchschnittlichen Hördauer von 187 Minuten, was den Schluss nahe legen könnte, dass Besitzer von MP3-Playern sogar etwas mehr Radio hören als der Durchschnitt. Hier besteht also weiterhin Klärungsbedarf, ob die Radionutzung durch die neuen Musikmedien verdrängt oder gefördert wird. 2
Radio als „Überall-Medium“
Das Radio wird überall und bisweilen über den ganzen Tag hinweg genutzt. Die Nutzungsspitze liegt dabei nach wie vor morgens gegen 8 Uhr (Frühstück, Autofahrt zur Arbeit). Abbildung 1:
29
Radionutzung im Tagesverlauf29
Abbildung aus: Klingler & Müller, 2007, S. 467
Nutzung von Radioprogrammen
39
Eine kleinere Nutzungsspitze ist zur Mittagszeit (Mittagspause auf der Arbeit) zu verzeichnen. Die Nutzung geht dann stetig im Laufe des Tages zurück, um dann mit Beginn der Prime Time im Fernsehen fast komplett weg zu brechen (vgl. Abbildung 1). Aufgrund der Tatsache, dass Radio ein rein auditives Medium ist und „nur“ den Hörsinn beansprucht, kann es hervorragend „nebenbei“ genutzt werden. Die meisten Radioprogramme sind mit ihren formatierten Musikprogrammen auf Nebenbeinutzung und Massenkompatibilität hin angelegt (Gushurst, 2000). Über 90 % der Zeit wird das Radio folglich nebenbei bzw. zur Begleitung anderer Tätigkeiten genutzt, z.B. beim Essen, bei Arbeiten im Haus (z.B. Kochen, Putzen, Bügeln), bei Arbeiten außer Haus (z.B. Gartenarbeit, Büroarbeit) und beim Autofahren (Schramm, 2004). Von den 186 Minuten tägliche Hördauer verbringt ein Radiohörer 29 Minuten mit Essen, 34 Minuten mit Arbeiten im Haus, 44 Minuten mit Arbeiten außer Haus, 30 Minuten mit Autofahren und 37 Minuten mit anderen Paralleltätigkeiten (vgl. Tabelle 4). Tabelle 4: Tätigkeiten bei der Radionutzung30 Geschlecht ges.
Mann
Frau
Essen
29
26
32
Arbeit im Haus
34
18
Arbeit außer Haus
44
63
Autofahren
30
sonst. Tätigkeiten
37 47,8
Alter (in Jahren) 14-19
20-29
30-39
40-49
50-59
60-69
70+
Hördauer in Min. 15
14
21
27
33
44
42
49
7
16
28
36
43
48
47
26
21
75
71
67
51
9
1
37
23
12
32
41
45
34
23
10
38
35
23
22
28
31
42
54
49
45,4
50,1
37,5
30,5
39,2
47,2
53,9
61,7
58,0
Reichweite in % Essen Arbeit im Haus
22,3
12,2
31,8
6,1
10,3
19,2
22,7
26,1
31,9
30,9
Arbeit außer Haus
10,7
14,5
7,0
4,7
16,8
17,2
16,9
12,6
2,4
0,5
Autofahren
38,3
43,3
33,6
21,9
40,9
50,8
52,9
45,3
29,9
15,2
sonst. Tätigkeiten
25,8
26,2
25,3
21,1
17,9
21,0
23,5
28,2
33,7
32,2
Bei Frauen nehmen die Arbeiten im Haus, bei Männern die Arbeiten außer Haus die meiste Zeit beim Radiohören ein. Mit steigendem Alter nimmt überdies die Hördauer beim Essen und den Arbeiten im Haus zu, während sie bei Arbeiten 30
Quelle: ma 2007 Radio II, Klingler & Müller, 2007, S. 466
40
Holger Schramm
außer Haus abnimmt, was aber auch auf die generelle Zu- bzw. Abnahme dieser Tätigkeiten bei steigendem Alter zurückzuführen sein kann. Insgesamt entfällt 56 % des Radiohörens auf die Nutzung „im Haus“, 42 % entfällt auf die Nutzung „außer Haus“31 (Klingler & Müller, 2007). Die Tagesreichweiten geben zudem darüber Aufschluss, dass zum Beispiel etwa die Hälfte der Deutschen täglich beim Essen Radio hört, dass aber nur 10,7 % täglich Arbeiten außer Haus verrichten, wenn sie Radio hören. Nur einige Paralleltätigkeiten verzeichnen also hohe Tagesreichweiten bei gleichzeitig großen Hördauern (vgl. Tabelle 4). Neben der zentralen Funktion des Begleitens anderer Tätigkeiten zwecks Arbeitserleichterung, Zeitverkürzung und Kompensation von Monotonie können neben informativen Gründen vor allem emotionale und sozialpsychologische Gründe/Motive für die Radionutzung identifiziert werden (Ecke, 1991; Keller, 1992; MacFarland, 1997; Sloboda & O’Neill, 2001; vgl. im Überblick: Schramm, 2004, 2005a): x x x x x
x x x
Stimmungsregulation (vgl. Schramm, 2005a; Knobloch & Zillmann, 2002) Erregungsstimulation bzw. Aktivierung oder Erregungs-/Stressabbau bzw. Entspannung (vgl. Gembris, 1985) Abschalten des Kopfes/der Gedanken, Probleme des Alltags vergessen (vgl. Katz & Foulkes, 1962; Schramm, 2005a) Tag-Träumen, in Erinnerungen schwelgen (vgl. Sloboda, 1999) Gefühl der Zugehörigkeit (Affiliationsmotiv) zu Personen mit gleichem Musikgeschmack und Lebensstil bzw. Gefühl der Abgrenzung (Distinktionsmotiv) von Personen mit anderem Musikgeschmack und Lebensstil (vgl. Diaz-Bone, 2002; Hoffmann, 2008; Knobloch, Vorderer & Zillmann, 2000) Para-soziale Interaktion und Beziehung mit Radiomoderatoren und Musikinterpreten/Bands (vgl. Rubin & Step, 2000) Lebenshilfe (vgl. Rösing, 1992) Information (vgl. Egger & Windgasse, 2007) o Nachrichten, politische Berichte o Sport-, Kultur- und Wirtschaftsberichte o Verkehrshinweise o Veranstaltungs-, Service- und Verbrauchertipps o Informationen zur Musik
31 Die fehlenden 4 % sind darauf zurückzuführen, dass die Tätigkeit Schlafen weder der Radionutzung im Haus noch außer Haus zugeordnet wird.
Nutzung von Radioprogrammen 3
41
Hörertypen
3.1. Hörertypen nach Anzahl der genutzten Radiosender Aufgrund der Vielzahl der Radiosender könnten sich die Radionutzer ein vielseitiges Programm zusammenstellen bzw. stets zwischen verschiedensten Programmoptionen hin und herschalten. Diesbezüglich ist das Radionutzungsverhalten jedoch statischer als beispielsweise das Fernsehnutzungsverhalten (Peters, 2003). Im Schnitt nutzen die Deutschen nur vier verschiedene Programme innerhalb von 14 Tagen (weitester Hörerkreis). Dieses so genannte „Relevant Set“ ist in den vergangenen Jahren stets konstant geblieben. Auch mit Blick auf die Anzahl der genutzten Radioprogramme pro Tag werden seit Jahren im Schnitt nur 1,6 Programme von den Deutschen gehört. 61,7 % nutzen täglich nur ein einzelnes Programm, schalten niemals hin und her und bleiben damit „ihrem“ Programm treu. 26,4 % der Hörer nutzen wenigstens zwei Programme, weitere 8 % nutzen drei Programme, 2,4 % nutzen vier Programme und nur 1,5 % nutzen fünf Programme und mehr (Klingler & Müller, 2007, S. 469). Insbesondere dieses „träge“, aber auch treue Radionutzungsverhalten ist der Grund, warum die Radiosender sehr vorsichtig und verhalten Programmänderungen durchführen. Denn ein „Gesetz“ der Radiobranche besagt, dass es sehr schwer ist, einen Hörer wieder zurück zu gewinnen, der sich aufgrund eines unerwarteten, irritierenden Programmpunkts oder einer unerwünschten Musik dazu entschieden hat, von seinem bisherigen Lieblingsprogramm zu einem anderen Programm zu wechseln (Peters, 2003). 3.2. Hörertypen nach Intensität und Tageszeit der Radionutzung Zu den traditionellen Instrumenten der Radioforschung gehört die Unterscheidung von Hörertypen nach der Intensität sowie nach der Tageszeit ihrer Radionutzung. Hier werden sechs Typen unterschieden: der Vielhörer, der Frühhörer, der Vormittagshörer, der Späthörer, der Gelegenheitshörer und der Wenighörer (vgl. Tabelle 5). Die Vielhörer werden zu 94,9 % täglich vom Radio erreicht und stellen mit durchschnittlich 428 Minuten täglicher Radionutzung den intensivsten Nutzertypen dar. Allerdings wird er „nur“ von knapp 12 % der Bevölkerung repräsentiert. Die Vielhörer gehören damit – nach den Wenighörern – zur zweitkleinsten Hörergruppe. 54 % dieser Gruppe sind Männer, 63 % sind berufstätig, der Altersschwerpunkt liegt zwischen 30 und 59 Jahren (Klingler & Müller, 2007, S. 467).
42
Holger Schramm
Mit 283 Minuten erzielt der Vormittagshörer die zweithöchste Nutzungsdauer pro Tag. Er wird zu 90,9 % vom Radio täglich erreicht. Wie sein Titel schon sagt, hört dieser Typ vornehmlich vormittags Radio. Mit 57 % sind die Frauen überrepräsentiert. Der Altersschwerpunkt liegt bei 60 Jahren und älter und etwa 44 % sind „nur“ berufstätig. Insgesamt deckt dieser Typ 16 % der deutschen Bevölkerung ab. Der Frühhörer wird von 22 % der Bevölkerung, also jedem vierten, repräsentiert und stellt damit einen sehr „normalen“ Hörertyp dar: Er hört im Schnitt 179 Minuten Radio pro Tag, also nur sieben Minuten weniger als der Gesamtschnitt, und wird zu 91,1 % täglich vom Radio erreicht. Er hört vor allem morgens, also beim Frühstück und auf dem Weg zur Arbeit, Radio. Frauen sind im Gegensatz zu Männern mit 53 % und Berufstätige im Gegensatz zu Haushaltsführenden und in Ausbildung Befindlichen mit 58 % leicht stärker vertreten. Tabelle 5: Hörertypen nach Intensität und Tageszeit32 Hörertypen
in Mio.
Anteil in %
Tagereich-
Hördauer
weite in %
in Minuten
Vielhörer
7,585
12
94,9
428
Frühhörer
14,053
22
91,1
179
Vormittagshörer
10,690
16
90,9
283
9,109
14
88,7
182
17,134
26
65,5
87
6,247
10
15,5
19
64,818
100
77,1
186
Späthörer Gelegenheitshörer Wenighörer gesamt
Die Späthörer weisen mit einer Tagesreichweite von 88,7 % und einer Hördauer von 182 Minuten nahezu gleiche Werte auf wie die Frühhörer. Mit 14 % der Gesamtbevölkerung ist diese Gruppe von Hörern aber unbedeutender als die Frühhörer. Der Späthörer nutzt das Radio überdurchschnittlich am Spätnachmittag und Abend, weist eine deutlich unterdurchschnittliche Nutzung über den Tag auf und stellt damit einen gerade nicht „normalen“ Radiohörer dar. Männer sind bei diesem Typ mit 57 % in der Mehrheit, ebenso die Berufstätigen mit 66 %. Eine weitere Besonderheit: Jeweils zwischen 14 % und 18 % der verschiedenen 32
Quelle: ma 2007 Radio II, Klingler & Müller, 2007, S. 468
Nutzung von Radioprogrammen
43
Altersgruppen zwischen 14 und 59 Jahren finden sich in diesem Hörtyp wieder. Er ist also – die über 60-Jährigen einmal ausgenommen – altersunabhängig. 26 % und damit die größte Gruppe innerhalb der Radiohörer in Deutschland stellen die so genannten Gelegenheitshörer dar. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Radio dann nutzen, wenn sich im Tagesablauf Gelegenheit dazu bietet. Sie haben daher keine bestimmte Schwerpunktnutzungszeit. 43 % der 1419-Jährigen und 30 % der 20-29-Jährigen sind diesem Hörertyp zuzurechnen und damit in dieser Gruppe von Radiohörern überrepräsentiert. Frauen (53 %) und Männer (47 %), ebenso wie Berufstätige (46 %) und Haushaltsführende (53 %) sind in „normalem“ Ausmaß vertreten, lediglich die in Ausbildung Befindlichen (17 %) sind überrepräsentiert, was durch die Altersstruktur erklärt werden kann. Da dieser Typ nur gelegentlich Radio hört, wird er auch nur zu 65,5 % täglich vom Radio erreicht. Nach dem Wenighörer weist dieser Hörertyp also die geringste Tagesreichweite auf. Ebenso erzielt er mit im Schnitt 87 Minuten täglicher Nutzungsdauer nach dem Wenighörer auch die geringste Nutzungsintensität. Die Wenighörer stellen mit 10 % schließlich die kleinste Hörergruppe dar, die jedoch stattliche 6,25 Mio. Personen umfasst und damit ein wertvolles Potenzial für Radiosender repräsentiert. Nur 15,5 % dieser Hörer werden im Schnitt an einem beliebigen Tag vom Radio erreicht. Selbst innerhalb von 14 Tagen haben nur 52,2 % dieser Gruppe mindestens einmal Kontakt mit dem Radio. Die durchschnittliche Nutzungsdauer beträgt nur 19 Minuten. Frauen sind mit 55 % leicht überdurchschnittlich vertreten, ebenso die 14-29-Jährigen und die ab 70Jährigen. Die Berufstätigen sind folglich mit 41 % unterdurchschnittlich vertreten. 3.3. Hörertypen nach Art des Musikhörens Da der Großteil des Radioprogramms aus Musik besteht und die Musik den wichtigsten Zuwendungsgrund zum Radio darstellt, sind Hörtypen und Hörweisen mit Blick auf die Musiknutzung an dieser Stelle von besonderer Relevanz. Leider gehört die Analyse von Musikhörern (noch) nicht zum Kernrepertoire der kommerziellen Radioforschung, weshalb an dieser Stelle ein kleiner „Ausflug“ in die Musikpsychologie unternommen werden muss: Das Hören von Musik setzt sich aus kognitiven, affektiven und konativen Elementen zusammen bzw. wird durch die geistig-intellektuelle (Musikstruktur, kompositorische Idee und Konstruktion), seelisch-gefühlshafte (Klanglichkeit, sinnliche Reizmomente) und körperliche Ebene (besonders durch die rhythmische Komponente) bestimmt (Gushurst, 2000, S. 100). Rösing (1985) schlägt die
44
Holger Schramm
Unterteilung in aufmerksames und unaufmerksames Hören bzw. in konzentriertes und unkonzentriertes Hören vor, wobei der Großteil der Radionutzung dem unkonzentrierten Hören zugerechnet wird. Behne (1986) ermittelte acht verschiedene Modalitäten, bei denen die Radionutzung aufgrund ihrer Nebenbeinutzung hauptsächlich dem diffusen Hören zugerechnet wird: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
diffuses Hören (erfolgt nebenbei bzw. in Begleitung anderer Tätigkeiten) motorisches Hören (geht mit Körperbewegungen einher) kompensatorisches Hören (geht mit der Verdrängung unangenehmer Stimmungen einher) vegetatives Hören (geht mit Körperreaktionen wie z.B. Gänsehaut einher) emotionales Hören (geht mit gefühlvoller Hingabe zur Musik einher) sentimentales Hören (geht mit Erinnerungen an vergangene Erlebnisse einher) assoziatives Hören (geht mit bildhaften Vorstellen einher) distanzierendes Hören (geht mit einer analysierenden, bewertenden Geisteshaltung einher)
Musik im Radio wird mitunter auch in Kombination mehrerer Modalitäten rezipiert, die sich ergänzen und beeinflussen (Raue, 1975; Rösing, 1993; Rötter, 1987). Diffuses Hören schließt beispielsweise motorisches Hören (z.B. Mitsingen während des Radiohörens beim Autofahren) nicht aus. Jeder Mensch verfügt über ein spezifisches Repertoire an Modalitäten, das er sich in verschiedenen Situationen nutzbar machen kann (z.B. zum Regulieren unangenehmer Stimmungen durch das Radiohören). Je größer das Repertoire an Modalitäten, desto facettenreicher kann eine Person Musik erleben und desto flexibler dürfte sie im (zielgerichteten) Umgang mit Musik sein (Schramm, 2005b). Dazu passen Befunde von Lehmann (1994), nach denen habituelles bzw. situationsübergreifendes und situationsspezifisches Musikhörverhalten in der Regel sehr hoch korrelieren, wobei Intensivhörer jedoch situativ stärker von ihrem habituellen Hörmuster abweichen. Schramm (2005a, 2005b) zeigte, dass der Musikgeschmack bzw. die Präferenz für bestimmte Musikgenres mit bestimmten habituellen Hörmuster der Menschen einhergeht. Die Musikkategorie bzw. das Musikgenre determiniert dabei nicht in jedem Fall die Hörmodalität (vgl. z. B. Behne, 1986; Schramm, 2001), erhöht aufgrund der Konstellation bestimmter Musikparameter jedoch die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Hörmodalität. So sind beispielsweise im HipHop die rhythmischen Bestandteile der Musik meist dominanter als die harmonischen und melodiösen Bestandteile, weshalb die Wahrscheinlichkeit für motorisches Hören hier sehr hoch ist.
Nutzung von Radioprogrammen
45
Insgesamt lässt sich festhalten, dass musikpsychologische Erkenntnisse (und hier vor allem Typologien zum Musikhören) bisher kaum in der kommerziellen Radioforschung Anwendung gefunden haben (vgl. zu ersten Ansätzen: MacFarland, 1997), was u.a. auch darin begründet liegt, dass eine entsprechende aussagekräftige Marktforschung eher aufwändig und kostenintensiv wäre. Dazu kommt, dass kein Radiomacher mittlerweile mehr auf die Standardmarktforschung verzichten möchte, weshalb eine musikpsychologisch basierte Marktforschung nur ein zusätzliches Mittel der Wahl wäre. Ob eine solche Forschung tatsächlich umsetzbare und gewinnbringende Erkenntnisse zu Tage fördern würde, wird ebenfalls von vielen Radiomachern bezweifelt, da Radioprogramme immer für eine Masse von Menschen konzipiert werden müssen, so dass individuellen Hörgewohnheiten eh nicht Rechung getragen werden könne. 3.4. Hörertypen nach Sinus-Milieus Die Sinus-Milieus gehen auf den französischen Soziologen Émile Durkheim zurück und gruppieren Menschen nach ihrer Lebenseinstellung und Lebensweise und ihrem sozialen Umfeld. Dazu gehören u.a. grundlegende Einstellungen zur Arbeit, zur Familie, zur Freizeit sowie zu Geld und Konsum. Sinus-Milieus sind ein bewährtes Instrument im Marketing, um Produkte zielgerichteter auf dem Markt zu platzieren. Seit 2001 geht das Sinus-Sociovisions-Institut, das den Begriff „Sinus-Milieu“ rechtlich geschützt hat, von folgenden zehn Milieus in Deutschland aus: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
Traditionsverwurzelte Konservative DDR-Nostalgiker Etablierte Bürgerliche Mitte Konsummaterialisten Postmaterielle Moderne Performer Hedonisten Experimentalisten
Diese Milieus werden von verschiedenen Radioprogrammen unterschiedlich stark angesprochen. Hedonisten und Moderne Performer beispielsweise nutzen CHR-Formate recht ausgeprägt. Besonders stark wenden sich insgesamt die
46
Holger Schramm
gesellschaftlichen Leitmilieus (Etablierte, Postmaterielle, Moderne Performer) dem Radio zu (vgl. Müller, 2007, S. 5-6). 3.5. Hörertypen nach der MedienNutzerTypologie (MNT) Die MedienNutzerTypologie (MNT) wurde als Instrument zur Beschreibung von Publikumssegmentierungen elektronischer Medien konzipiert und in einer ersten Version 1997/98 vorgestellt. Aufgrund der fortschreitenden Veränderung in der Medien- und Publikumsfragmentierung wurde im Jahr 2006 mit der MNT 2.0 eine Neujustierung der Typologie vorgenommen (Oehmichen, 2007), die nun auf die Nutzung verschiedener elektronischer Medien (also neben Radio und Fernsehen auch auf das Internet) angewendet werden kann. Die MNT 2.0 weist mit zehn verschiedenen Nutzertypen nun einen Typ mehr auf als die alte MNT. Die MNT verfolgt das Ziel einer Publikumssegmentierung nach dem LebensstilKonzept. Lebensstile scheinen insbesondere für das Radio sehr relevant zu sein, da es der prototypische mediale Tagesbegleiter – wenn nicht gar Lebensbegleiter – per se ist (Egger & Windgasse, 2007, S. 255). Zudem spielen in Lebensstile kulturelle Präferenzen und damit auch Musikpräferenzen mit hinein, so dass eine Beschreibung der Radionutzung anhand solcher Lebensstiltypen mehr als angebracht erscheint (Egger & Windgasse, 2007). Die MNT-Justierungsstudie umfasste ca. 4000 repräsentativ ausgewählte Personen und erbrachte folgende Lebensstiltypen: Junge Wilde (11,3 % der Gesamtbevölkerung), Zielstrebige Trendsetter (6,5 %), Unauffällige (11,6 %), Berufsorientierte (8,4 %), Aktiv Familienorientierte (15,0 %), Moderne Kulturorientierte (6,0 %), Häusliche (15,2 %), Vielseitig Interessierte (9,6 %), Traditionell Kulturorientierte (8,1 %) sowie Zurückgezogene (8,2 %). Bei diesen zehn Lebensstiltypen können ganz unterschiedliche Grundcharakteristiken identifiziert werden (vgl. Tabelle 6). So bilden die Jungen Wilden die jüngste Lebensstilgruppe und zeichnen sich dem entsprechend durch eher hedonistisches, materialistisches, konsumorientiertes, selbstbezügliches und teilweise noch unsicheres, jugendliches Verhalten aus. Die Berufstätigen dagegen haben neben dem Beruf wenig Zeit für anderes, verhalten sich in der Regel nüchtern und rational, haben nicht selten ein starkes Kulturfaible und sind eher ledig als verheiratet. Die Häuslichen – um ein drittes Beispiel zu nennen – stellen neben den Aktiv Familienorientierten die größte Gruppe dar und weisen meist ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit und Kontinuität im Alltag, eher traditionelle Wertvorstellungen und Rollenbilder sowie einen relativ engen Aktionsradius (zumeist im häuslichen Rahmen) auf. Diese Lebensstiltypen unterscheiden sich auf vielen Dimensionen der Radionutzung, so beispielsweise hinsichtlich der täglichen Hördauer (vgl.
Nutzung von Radioprogrammen
47
Tabelle 7). Die Jungen Wilden und die Unauffälligen hören mit etwas mehr als zwei Stunden täglich am wenigsten Radio, die Aktiv Familienorientierten hören schon fast drei Stunden und die Vielseitig Interessierten fast dreieinhalb Stunden Radio. Auch hinsichtlich der empfundenen Wichtigkeit von Programmbestandteilen sind deutliche Unterschiede zwischen den Lebensstiltypen zu erkennen (vgl. Tabelle 7): Musik ist selbstverständlich neben den Nachrichten das wichtigste Programmelement: 57,6 % aller Personen finden Musik als Element von Radioprogrammen „sehr wichtig“. Junge Wilde (76,2 %) und Zielstrebige Trendsetter (75,9 %) liegen hier mit ihrer Einstufung jedoch deutlich über dem Durchschnitt, Zurückgezogene (42,0 %), Häusliche (48,5 %) aber auch Kulturorientierte Traditionelle (43,1 %) und Moderne Kulturorientierte (45,1 %) liegen hier deutlich unter dem Durchschnitt. Junge Wilde finden im Gegensatz dazu die Nachrichten nicht so wichtig (43,0 %), wohingegen die Modernen Kulturorientierten (77,1 %) und die Vielseitig Interessierten (75,4 %) in den Nachrichten das wichtigste Programmelement überhaupt sehen. Regionale Informationen sind schließlich für die Aktiv Familienorientierten (43,7 %) und Vielseitig Interessierten (44,3 %) besonders attraktiv. Zurückgezogene (17,9 %) oder Junge Wilde (25,2 %) legen dagegen auf regionale Informationen keinen großen Wert. Informationen zur Musik werden von den Jungen Wilden (22,9 %) und den Zielstrebigen Trendsettern (19,9 %) am meisten und von den Häuslichen (5,5 %) und den Zurückgezogenen (8,0 %) am wenigsten geschätzt. Erstaunlich ist, dass die Moderation aus Sicht der Hörer vergleichsweise unwichtig ist: Nur 18,4 % meint, dass sie ein sehr wichtiger Programmbestandteil ist. Dieser niedrige Wert könnte selbstverständlich darin begründet liegen, dass die Moderation nicht zu den primären Gründen gehört, warum man ein Radioprogramm nutzt. Hier stehen die Musik, die Nachrichten und die Verkehrshinweise im Vordergrund. Kein Hörer würde nur aufgrund der Moderation einen Sender einschalten, wenn ihm ansonsten die Musik oder die Aufbereitung der Nachrichten nicht gefällt. Jedoch dürfte die Moderation – zumindest unbewusst – eine große Rolle spielen, wenn man ein Programm erst einmal eingeschaltet hat (Haas, Frigge & Zimmer, 1991; LaRoche & Buchholz, 2004).
100
gesamt
Quelle: Oehmichen, 2007, S. 227-228
69,1
8,2
33
65,2
8,1
47,5
64,6
57,5
15,2
9,6
53,2
6,0
Vielseitig Interessierte Kulturorientierte Traditionelle Zurückgezogene
41,6
15,0
Aktiv Familienorientierte Moderne Kulturorientierte Häusliche
40,9
8,4
38,7
11,6
Berufsorientierte
24,2
6,5
Zielstrebige Trendsetter Unauffällige
Altersdurchschnitt 22,9
11,3
Anteil
Junge Wilde
Lebensstilgruppe
Eher konservativ und traditionell geprägtes Weltbild, häuslicher Radius ist wichtig, gleichzeitig (hoch-)kulturelle Aktivitäten Traditionell, häuslich, eher passiv, hohe Bedeutung von Sicherheit und Harmonie, gering ausgeprägte Interessen
Hedonistisch, materialistisch, konsumorientiert, Selbstbezüglichkeit und -unsicherheit, adoleszentes Verhalten Pragmatische Idealisten, selbstbewusste Macher, breite Interessen, Erfolgsorientierung, Vollausschöpfung der Möglichkeiten neuer Medien Orientierung am Privaten, wenig Kontakte, passiv, übernehmen ungern Verantwortung, ökonomisch eingeschränkt, starkes Bedürfnis nach Unterhaltung und Ablenkung Starke Berufsbezogenheit, wenig Zeit für anderes, nüchtern, rational, Kulturfaible, eher ledig als verheiratet Familienmenschen, bodenständig, selbstbewusst, gut organisiert, clever/findig, dynamisch/lebendig (Ehemalige) kulturelle Avantgarde, u.a. arrivierte „68er“, intellektuellster Typ, hohes Aktivitätsniveau, medienkritisch, weltoffen Bedürfnis nach Sicherheit und Kontinuität im Alltag, eher traditionelle Wertvorstellungen und Rollenbilder, relativ enger Aktionsradius, häuslicher Rahmen wichtig Sehr breites Interessenspektrum, gesellig, aktiv, erlebnisfreudig, bodenständig
Charakteristika
Tabelle 6: Lebensstiltypen nach der MNT33
128 152 175 146 167 204 151 149 156
Unauffällige
Berufsorientierte
Aktiv Familienorientierte
Moderne Kulturorientierte
Häusliche
Vielseitig Interessierte
Kulturorientierte Traditionelle
Zurückgezogene
gesamt
Quelle: Egger & Windgasse, 2007, S. 256-257
143
Zielstrebige Trendsetter
34
121
Junge Wilde
Hördauer in Minuten
57,6
42,0
43,1
52,9
48,5
45,1
64,8
54,6
56,3
75,9
76,2
Musik
18,4
9,3
12,7
23,4
11,5
25,0
22,5
21,5
16,2
18,4
17,8
Moderation
63,7
60,3
68,1
75,4
62,1
77,1
67,6
61,7
57,5
64,5
43,0
Nachrichten
9,7
2,0
4,0
10,6
4,2
13,5
13,0
10,3
5,8
21,6
7,6
Veranstaltungstipps
13,0
11,0
7,6
16,6
16,5
5,1
12,7
7,7
9,9
16,2
21,1
Musikwünsche von Hörern
12,0
8,0
9,1
10,7
5,5
13,5
10,3
11,8
8,4
19,9
22,9
Informationen zur Musik
Tabelle 7: Hördauer und Wichtigkeit von Programmbestandteilen im Radio nach Lebensstiltypen (Programmbestandteil ist „sehr wichtig“, in %)34
34,3
17,9
28,0
44,3
37,2
34,8
43,7
28,5
38,0
29,8
25,2
Regionale Informationen
50
Holger Schramm
Mit Blick auf den Fokus dieses Buches sind die Musikpräferenzen und Radioprogrammpräferenzen dieser Lebensstiltypen besonders interessant (vgl. die Tabellen 8 und 9). Insgesamt zeigt sich, dass Pop und Rock die beliebtesten Musikgenres sind, gefolgt von Schlager, Klassik, Volksmusik35, HipHop und House/Dance36. Die Jungen Wilden finden vor allem Pop (72 %), Rock (62 %) sowie HipHop (67 %) und House (41 %) „sehr gut“ oder zumindest „gut“, weshalb sie als meist gehörtes Radioprogramm ausschließlich CHR- und ACFormate angeben. Auch die Berufstätigen finden vor allem Pop (73 %) und Rock (89 %) sehr gut/gut, haben jedoch im Vergleich zu den Jungen Wilden eine höhere Klassik- und eine niedrigere HipHop- und House-Vorliebe, weshalb sie weniger häufig die Jugendwellen bzw. CHR-Formate, dafür umso häufiger die AC-Formate sowie zumindest etwas häufiger Informations- und Kulturprogramme als meistgehörte Programme angeben. Den Spitzenwert in der Klassikpräferenz weisen die Modernen Kulturorientierten (95 %) und die Kulturorientierten Traditionellen (93 %) auf, weshalb Informations- und Kulturprogramme bei diesen beiden Gruppen einen vergleichsweise hohen Stellenwert genießen. Häusliche (89 %) und Zurückgezogene (80 %) haben eine sehr hohe Schlagerund Volksmusikpräferenz bei gleichzeitig unterdurchschnittlicher Pop-, Rock-, Hip-Hop-, House- und Klassikpräferenz. Folglich geben sie als meist gehörtes Format die Schlagerwellen an. Häusliche haben im Vergleich zu den Zurückgezogenen eine höhere Pop- und Rockpräferenz, weshalb sie neben den Schlagerwellen vor allem die privaten AC-Formate gerne hören. Bei den Zurückgezogenen kommen dafür die Oldie-Formate an zweiter Stelle, wenn auch mit weitem Abstand zu den Schlagerwellen. Interessant für breite Zielgruppensender sind die Aktiv Familienorientierten sowie die Vielseitig Interessierten, denn beide Gruppen sind bezüglich ihrer Musikpräferenzen recht breit aufgestellt. Während aber die Vielseitig Interessierten vor allem Schlager, Klassik und Volksmusik mögen und die Schlagerwellen primär einschalten, haben Aktiv Familienorientierte ihren Schwerpunkt in der Pop- und Rockmusik und folglich in der Nutzung von AC-Formaten.
35 Hier wurde die Nomenklatur von Egger und Windgasse übernommen. Gemeint ist hier vermutlich „volkstümliche Musik“, da Volksmusik im Radio mehr oder weniger gar nicht gespielt wird. 36 Anzumerken ist, dass Egger und Windgasse weit mehr Musikgenres auflisten. „Musical“ rangiert nach dieser Liste mit 58 % sogar einen Prozentpunkt vor „Pop“. Ich habe mich an dieser Stelle aus Platzgründen auf diejenigen Musikgenres beschränkt, die für die zentralen Radioformate die größte Relevanz aufweisen (vgl. Kapitel 5).
77 73 86 59 37 32 24 12 57
Unauffällige
Berufsorientierte
Aktiv Familienorientierte
Moderne Kulturorientierte
Häusliche
Vielseitig Interessierte
Kulturorientierte Traditionelle
Zurückgezogene
gesamt
Quelle: Egger & Windgasse, 2007, S. 260
79
Zielstrebige Trendsetter
37
72
Junge Wilde
Pop
Rock
57
19
27
39
36
68
87
89
59
76
62
50
80
53
86
89
28
47
14
45
16
13
Schlager
46
41
93
85
39
95
38
52
11
36
13
Klassik
Tabelle 8: Musikpräferenzen nach Lebensstiltypen (gefällt „sehr gut/gut“, in %)37
2
3
33
82
38
69
67
15
17
4
16
Volksmusik
24
3
3
6
7
17
30
21
28
61
67
HipHop
House
22
8
13
23
22
16
23
18
14
44
41
6
Zurückgezogene
gesamt
Quelle: Egger & Windgasse, 2007, S. 262
0
Kulturorientierte Traditionelle
38
1 1
Vielseitig Interessierte
2 1
Häusliche
6
Aktiv Familienorientierte
Moderne Kulturorientierte
4 7
Berufsorientierte
Zielstrebige Trendsetter
Unauffällige
20 18
Junge Wilde
Junge Wellen/ CHRWellen
16
6
11
14
7
23
22
34
14
22
10
Aktuelle Popwellen/ ACWellen
7
9
14
9
12
10
5
7
4
1
1
Oldiebasierte Wellen
15
32
29
36
29
9
6
1
8
0
0
deutschspr.orientierte Wellen/ SchlagerWellen
4
4
12
4
2
13
2
6
1
4
1
Informationsprogramme
Öffentlich-rechtliche Programme
2
4
11
1
2
9
0
2
-
0
-
Kulturprogramme
5
1
0
-
0
2
4
5
2
22
20
CHRWellen
26
7
11
14
24
16
43
24
44
25
33
ACWellen
Private Programme
Tabelle 9: Nutzung von Radioprogrammformaten nach Lebensstiltypen (meistgehörtes Programm, in %)38
Nutzung von Radioprogrammen 4
53
Radionutzung nach Regionen
Das Radio wird in verschiedenen Regionen Deutschlands durchaus unterschiedlich ausgiebig genutzt (vgl. Tabelle 10). Spitzenreiter mit mehr als 200 Minuten täglicher Radionutzung sind die nördlichen Flächenbundesländer MecklenburgVorpommern (219 Minuten), Niedersachsen (206 Minuten), Sachsen-Anhalt (203 Minuten), Brandenburg und Schleswig-Holstein (jeweils 202 Minuten). Alle drei Stadtstaaten (Hamburg, Bremen, Berlin) liegen in der unteren Hälfte des Rankings. Da auch bevölkerungsdichte Bundesländer wie NordrheinWestfalen am Schluss des Rankings zu finden sind, lässt sich in die Zahlen insgesamt ein Land-Stadt-Gefälle hinein interpretieren. Tabelle 10: Radionutzung nach Bundesländern39 Rang 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Bundesland Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Sachsen-Anhalt Brandenburg Schleswig-Holstein Sachsen Hessen Thüringen Hamburg Bayern Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg Bremen Saarland Nordrhein-Westfalen Berlin
Hördauer in Minuten 219 206 203 202 202 194 189 188 187 184 182 181 176 174 172 169
Tagesreichweite in % 84,9 78,4 81,0 80,0 79,5 80,3 76,8 78,3 74,4 78,9 77,2 76,1 76,9 73,0 73,9 72,8
Mecklenburg-Vorpommern, das Bundesland mit der niedrigsten Bevölkerungsdichte (ca. 75 Einwohner/km2) und der stärksten Radionutzung, kommt im Vergleich zu Berlin, dem Bundesland mit der höchsten Bevölkerungsdichte (ca. 3800 Einwohner/km2) und der schwächsten Radionutzung, auf 50 Minuten mehr tägliche Hördauer und auf mehr als 10 % Tagesreichweite – und dies, obwohl 39
Quelle: ma 2007 Radio II, Klingler & Müller, 2007, S. 470
54
Holger Schramm
Berlin eine der facettenreichsten und vermeintlich attraktivsten Radiolandschaften in Deutschland zu bieten hat (vgl. Kapitel 1). Insbesondere im Vergleich zum Vorjahr 2006 haben beispielsweise die Stadtstaaten Bremen (minus 26 Minuten), Hamburg (minus 17 Minuten) und Berlin (minus vier Minuten) an Boden verloren, während Flächenländer wie Mecklenburg-Vorpommern (plus 14 Minuten), Sachsen-Anhalt (plus 20 Minuten) oder Hessen (plus 17 Minuten) massiv an Nutzungsdauer zugelegt haben. Ob sich dieses Land-Stadt-Gefälle die nächsten Jahre verstärkt, muss abgewartet werden, zumal Flächenländer wie Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Sachsen, Thüringen oder Rheinland-Pfalz nahezu konstante Radionutzungsdauern von 2006 auf 2007 zu verzeichnen haben. In weiteren Flächenländern wie Bayern, Brandenburg und dem Saarland sind die Nutzungszahlen sogar leicht rückläufig (Klingler & Müller, 2007, S. 470), so dass die aktuellen ma-Zahlen allenfalls eine Momentaufnahme darstellen dürften. Da sich die Bundesländer mitunter stark in der Struktur und Vielseitigkeit ihres terrestrisch verbreiteten Radioangebot unterscheiden (vgl. Kapitel 1), ist folglich auch der Hörermarkt in den Bundesländern unterschiedlich fragmentiert (vgl. die Tabellen 11 und 12). Prototypisch für eine niedrige Fragmentierung ist beispielsweise das Bundesland Bremen, in dem sich drei öffentlich-rechtliche Programme und lediglich ein privates Programm den Markt aufteilen und in dem allein das öffentlich-rechtliche Programm Bremen Eins auf eine Tagesreichweite von 0,4 Mio. kommt, was gemessen am Gesamt-Hörermarkt Bremen (ca. 0,7 Mio.) eine beachtliche Reichweite darstellt. Mit Blick auf den Hörermarkt Bremen kommt selbstverständlich auch zum Tragen, dass die Programme des NDR einstrahlen und entsprechend Hörer binden. Die Fragmentierung ist also höher einzuschätzen, als es die nach Bundesland getrennte Darstellung der Reichweiten pro Sender deutlich macht. Niedersachsen ist ein weiteres Beispiel für niedrige Fragmentierung: Neben den öffentlich-rechtlichen Programmen können hier die Hörer lediglich zwischen drei privaten Programmen wählen, weshalb radio ffn (1,6 Mio. Hörer pro Tag), Hit-Radio Antenne (1,0 Mio. Hörer pro Tag) und selbst das AOR-Format RADIO 21 (0,3 Mio. Hörer pro Tag) jeweils mehr Hörer pro Tag erreichen als Zweidrittel aller Programme in Berlin und Brandenburg, die – neben Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen – zu den fragmentierten Hörermärkten zählen. In Berlin/Brandenburg erreicht beispielsweise kein einziges Programm mehr als 0,6 Mio. Hörer pro Tag. Die Hälfe aller privaten Programme kommen auf ca. nur 0,1 Mio. Hörer pro Tag – Zahlen, die angesichts der Größe der Hörermärkte Berlins und Brandenburgs doch sehr niedrig sind. Insgesamt werden in Deutschland täglich 32,5 Mio. Hörer (50,1 % Tagesreichweite) von den öffentlich-rechtlichen Programmen und 28,7 Mio. Hörer (42,9 % Tagesreichweite) von den privaten Programmen erreicht, womit in den
Nutzung von Radioprogrammen
55
letzten drei Jahren der öffentlich-rechtliche Hörfunk ca. 1,4 Millionen Hörer und der private Hörfunk ca. 300.000 Hörer pro Durchschnittstag verloren hat. Hier schlägt sich also der Rückgang der Reichweiten in beiden Radiosystemen nieder. Tabelle 11: Nutzung der öffentlich-rechtlichen Radioprogramme40 Programm
Tagesreichweite in %
Tagesreichweite in Mio.
Norddeutscher Rundfunk41 NDR 1 Niedersachsen NDR 1 Welle Nord NDR 1 Radio MV NDR 90,3 NDR 1 gesamt NDR 2 N-JOY NDR Kultur NDR Info NDR gesamt
3,7 0,9 0,7 0,6 5,8 3,0 1,3 0,4 0,6 9,9
2,4 0,6 0,5 0,4 3,8 1,9 0,8 0,3 0,4 6,4
Radio Bremen Bremen Eins Bremen Vier Nordwestradio RB gesamt
0,6 0,4 0,1 1,0
0,4 0,3 0,0 0,7
4,0 3,7 0,4 3,6 0,8 0,2 10,7
2,6 2,4 0,2 2,3 0,5 0,1 7,0
0,5 0,2 1,7 1,4 0,1 0,3 3,7
0,3 0,1 1,1 0,9 0,1 0,2 2,4
0,3 1,8 0,9 0,3 5,0 2,4 1,2 10,3
0,2 1,2 0,6 0,2 3,2 1,6 0,8 6,7
Westdeutscher Rundfunk 1LIVE WDR 2 WDR 3 WDR 4 WDR 5 Funkhaus Europa WDR gesamt Hessischer Rundfunk hr1 hr2 hr3 hr4 hr-info YOU FM hr gesamt Südwestrundfunk44 DAS DING SWR1 BW SWR1 RP SWR2 SWR3 SWR4 BW SWR4 RP SWR gesamt
40
42
Programm
Tagesreichweite in %
Saarländischer Rundfunk SR1 Europawelle SR2 KulturRadio SR3 Saarlandwelle 103,7 UNSER DING SR gesamt
0,3 0,0 0,3 0,1 0,7
0,2 0,0 0,2 0,1 0,5
Bayerischer Rundfunk Bayern 1 Bayern 2 Radio Bayern 3 Bayern 4 Klassik B5 aktuell BR gesamt
3,5 0,5 3,1 0,4 0,9 7,0
2,3 0,3 2,0 0,2 0,6 4,6
Rundfunk Berlin Brandenburg Antenne Brandenburg radioeins Fritz radioBERLIN 88,8 Inforadio kulturradio radiomultikulti RBB gesamt
1,1 0,5 0,5 0,5 0,5 0,1 0,0 2,7
0,7 0,3 0,3 0,3 0,3 0,1 0,0 1,8
Mitteldeutscher Rundfunk43 MDR 1 Radio Sachsen MDR 1 Radio Sachsen-Anhalt MDR 1 Radio Thüringen MDR 1 Überregional MDR Info MDR Figaro MDR Sputnik JUMP MDR gesamt
1,9 0,8 0,9 3,4 0,4 0,3 0,3 1,8 5,8
1,2 0,5 0,6 2,2 0,3 0,2 0,2 1,2 3,8
Deutsche Welle Deutschlandfunk Deutschlandradio Kultur
0,0 2,0 0,4
0,0 1,3 0,3
ARD gesamt
50,1
32,5
Radio gesamt
77,1
50,0
Quelle: Arbeitsgemeinschaft der ARD-Werbegesellschaften, 2007, S. 81 Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg 42 Nordrhein-Westfalen 43 Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen 44 Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz 41
Tagesreichweite in Mio.
56
Holger Schramm
Tabelle 12: Nutzung der privaten Radioprogramme45 Programm Schleswig-Holstein delta radio R.SH RadioSchleswigHolstein Radio NORA
Tagesreichweite in Mio.
0,3 1,2
0,2 0,8
0,3
0,2
Niedersachsen Hit-Radio Antenne radio ffn RADIO 21
1,5 2,5 0,5
1,0 1,6 0,3
Mecklenburg-Vorpommern ANTENNE MV OSTSEEWELLE MV
0,7 0,8
0,5 0,5
0,3
0,2
0,2 0,2 1,0 0,1
0,1 0,1 0,7 0,1
Bremen ENERGY Bremen
0,2
0,1
Nordrhein-Westfalen radio NRW 100’5 DAS HITRADIO 102.2 Radio Essen 107.8 Antenne AC
6,8 0,2 0,2 0,2
4,4 0,1 0,2 0,1
Hessen HIT RADIO FFH planet radio harmony.fm SkyRadio MAIN FM
2,8 0,5 0,2 0,1 0,1
1,8 0,3 0,1 0,1 0,1
Rheinland-Pfalz bigFM Hot Music Radio RPR1 ROCKLAND RADIO
0,8 1,7 0,2
0,5 1,1 0,1
Baden-Württemberg 106.0 Antenne Südbaden bigFM Der neue Beat DIE NEUE 107.7 die neue welle ENERGY Region Stuttgart Hit-Radio ANTENNE 1 HITRADIO OHR Radio 7 Radio Regenbogen Radio Seefunk Radio TON
0,1 0,7 0,3 0,1 0,2 1,4 0,1 0,9 1,1 0,1 0,4
0,0 0,4 0,2 0,1 0,1 0,9 0,1 0,6 0,7 0,1 0,2
Hamburg Das NEUE alster radio – 106!8 rock’n pop ENERGY Hamburg Oldie 95 Radio Hamburg Klassik Radio
45
Tagesreichweite in %
Programm
Tagesreichweite in %
Tagesreichweite in Mio.
Saarland Radio Salü
0,4
0,3
Bayern BAYERN-FUNKPAKET Radio Galaxy 95,5 Charivari (München) ENERGY München RADIO ARABELLA Radio Gong 96,3 (München)
4,0 0,4 0,2 0,2 0,4 0,4
2,6 0,2 0,1 0,2 0,3 0,2
Berlin-Brandenburg BB RADIO Berliner Rundfunk KISS FM rs2 104.6 RTL 105’5 Spreeradio ENERGY Berlin JAM FM Berlin JazzRadio Radio Paradiso Star FM 87.9 100,6 Motor FM Klassik Radio Gebiet Berlin Radio TEDDY
0,9 0,7 0,3 0,6 0,7 0,3 0,4 0,1 0,1 0,2 0,2 0,1 0,2 0,1
0,6 0,5 0,2 0,4 0,5 0,2 0,3 0,1 0,0 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1
Sachsen ENERGY Sachsen HITRADIO RTL SACHSEN R.SA RADIO PSR SACHSEN-FUNKPAKET
0,3 0,6 0,5 1,3 0,6
0,2 0,4 0,3 0,8 0,4
Sachsen-Anhalt 89.0 RTL Radio Brocken radio SAW ROCKLAND
0,8 0,8 1,5 0,1
0,5 0,5 0,9 0,1
Thüringen ANTENNE THÜRINGEN LandesWelle Thüringen
1,0 0,6
0,6 0,4
JAM FM Klassik Radio Radio Melodie RTL RADIO sunshine live
0,3 1,1 0,3 1,2 0,5
0,2 0,7 0,2 0,8 0,3
Private gesamt
42,9
27,8
Radio gesamt
77,1
50,0
Quelle: Arbeitsgemeinschaft der ARD-Werbegesellschaften, 2007, S. 82
Nutzung von Radioprogrammen 5
57
Wahrnehmung und Wirkung von Werbung im Radio
Das Radio als klassisches Nebenbeimedium wird selbst bei einem abwechslungsreichem Musikprogramm häufig nur mit geteilter Aufmerksamkeit verfolgt. Daher haben es Nachrichten- und Werbeblöcke besonders schwer, ganzheitlich wahrgenommen und verarbeitet zu werden, was sich u.a. im immer noch vergleichsweise geringen Interesse der werbetreibenden Industrie am Radio als Werbeträger widerspiegelt (vgl. Kapitel 3). Um die Wahrscheinlichkeit für eine aufmerksame Rezeption der Nachrichten- und Werbeblöcke zu erhöhen, werden als Rahmung auffällige Tonsignale/ Audio-Logos mit hohem Wiedererkennungswert eingesetzt, die sich akustisch von der Musik stark absetzen (Zander & Krapp, 2007). Da Musik in der Werbung heute häufiger und ganzheitlicher zur Gestaltung von Produkten und Marken im Sinne eines „Audiobranding“ eingesetzt wird (Langeslag & Hirsch, 2003; Bronner & Hirt, 2007), ist der akustische Unterschied zwischen Musikprogramm und Werbung über die Jahrzehnte hinweg immer kleiner geworden. Der Anteil an Musik in der Fernsehwerbung hat sich allein in den letzten 20 Jahren nahezu verdoppelt (Stewart & Furse, 1986; Murray & Murray, 1996). Ähnliche Anstiegsraten sind für das Radio zu vermuten (Zander & Krapp, 2007). Umso wichtiger ist daher die Funktion solcher separierender Tonsignale/ Audio-Logos geworden. Gelingt es, die Aufmerksamkeit mittels dieser Tonsignale auf die Werbeinseln zu lenken, kann die Musik in der Werbung wiederum eine Erhöhung der Aufmerksamkeit beziehungsweise Aktivierung während der Werberezeption, eine bessere Bewertung des umworbenen Produkts, eine bessere Erinnerung an die Werbung und das Produkt sowie eine Steigerung der Kaufabsichten bewirken (Tauchnitz, 1990, 2005). Diese positiven Wirkungen gehen nicht zwangsläufig mit dem Einsatz von Musik einher, sondern hängen beispielsweise ab von der Ausgangsaktivierung (Kafitz, 1977), dem Involvement (Park & Young, 1986), der Bewertung der Musik (Gorn, 1982), den musikalischen Komponenten wie zum Beispiel den eingesetzten Tonarten (Stout & Leckenby, 1988) und selbstverständlich auch der Häufigkeit des Werbekontakts (Anand & Sternthal, 1984) und zeigen sich manchmal nur auf einzelnen Dimensionen der oben skizzierten „Wirkungskette“ (Tauchnitz, 2005). So zeigte beispielsweise schon Kafitz (1977) vor 30 Jahren, dass musikunterlegte Radiowerbespots zwar eine Erhöhung des Aktivierungsniveaus, aber gleichzeitig eine geringere Erinnerungsleistung an die Werbebotschaften bewirken können. Neuere Befunde weisen zudem auf Synergien zwischen Radio- und Onlinewerbung hin (Gaßner, 2007). 74 % der Onliner haben vor der Internetnutzung das Radio gehört. Es deutet einiges darauf hin, dass Radiospots interessierte
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Holger Schramm
Nutzer auf spezifische Angebote im Internet, wo dann eine Fülle von Informationen dargeboten werden, aufmerksam machen können. Diese Synergien werden von der werbetreibenden Industrie ganz offensichtlich erkannt: Im Jahr 2006 haben E-Commerce-Unternehmen laut Nielsen Media Research ca. 21 Mio. Euro in Radiowerbung investiert. Der Anteil von Radio am Media-Mix dieser Unternehmen liegt damit bei 11 % und ist damit fast doppelt so hoch wie der Radioanteil am Werbemarkt insgesamt (Gaßner, 2007, S. 291). 6
Nutzung von Internetradio
Im Jahr 2007 hatten laut der neuesten ARD/ZDF-Online-Studie 40,8 Mio. Menschen (ab 14 Jahren) in Deutschland Zugang zum Internet. Davon nutzten 62,7 % das Internet gelegentlich, 60,7 % waren zumindest innerhalb von vier Wochen mindestens einmal online (tägliche Nutzungszahlen werden noch nicht ausgewiesen; vgl. van Eimeren & Frees, 2007). Obwohl 95,8 % der 14-19-Jährigen das Internet nutzt, ist bemerkenswert, dass 2007 erstmals mehr so genannte „Silver Surver“ (Personen im Alter von 60 und älter) online waren als Jugendliche. Abbildung 2:
46
Internetradionutzung und -verweildauer 1999 bis 200746
Quelle: ARD/ZDF-Online-Studien 1999-2007, Abbildung aus van Eimeren & Frees, 2007, S. 373
Nutzung von Radioprogrammen
59
Von diesen 40,8 Mio. Onlinenutzern hören sich 14 % mindestens einmal wöchentlich Audiodateien (MP3s, Radio, Podcasts) als Internet-Livestream oder Download an. 18 % der Männer und 10 % der Frauen sowie insbesondere Jugendliche (39 % der 14-19-Jährigen) und junge Erwachsene (28 % der 20-29Jährigen, 11 % der 30-39-Jährigen) greifen wöchentlich auf diese Audiodateien zurück (van Eimeren & Frees, 2007). 8 % aller Internetnutzer haben Podcasts schon einmal ausprobiert und dabei auf Comedy (58 % aller Podcastnutzer), Kultur (42 %), Hörspiele (40 %), Wissenssendungen (36 %), Nachrichten (34 %), Musiksendungen (32 %), Musikreportagen (27 %) oder Boulevardnachrichten/Buntes (24 %) zurückgegriffen (vgl. Abbildung 3) – alles Programmangebote, die wir aus dem terrestrisch verbreiteten Radio bereits kennen und die folglich auch größtenteils von Radiosendern auf ihrer Homepage als Podcasts bereit gestellt werden (vgl. Martens & Amann, 2007). Abbildung 3:
47
Genutzte Podcastinhalte von Radiosendern (gesamt, in %)47
Quelle: House of Research, Abbildung aus Martens & Amann, 2007, S. 549
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Holger Schramm
Bereits ein Fünftel (21 %) der Onlinenutzer nutzt das Internet bereits, um konkret Radio zu hören. Allerdings sank dieser Anteil im Vergleich zum Vorjahr 2006 um drei Prozentpunkte (vgl. Abbildung 2), was darauf hindeutet, dass hier bereits ein Deckeneffekt erreicht sein könnte bzw. die Radionutzung über das Internet eher stagniert, wenn nicht zurückgeht. Täglich wird Radio von 3,4 % der Onliner (und 2,1 % der Gesamtbevölkerung), also rund 1,4 Mio. Personen, über das Internet gehört. Wöchentlich nutzen zumindest 7 % der Onliner das Internetradio. Die Verweildauer lag dabei durchschnittlich bei stolzen 98 Minuten und hat sich damit seit 1999 (43 Minuten) mehr als verdoppelt (vgl. Abbildung 2). Insgesamt fristet die Nutzung von Internetradio jedoch gemessen an der Tagesreichweite und Tageshördauer des terrestrisch verbreiteten Radios nach wie vor ein Nischendasein, was u.a. darauf zurück zu führen ist, dass die meisten Hörer das Internetradio noch nicht ortsungebunden nutzen können, sondern auf den heimischen PC angewiesen sind. Zumindest äußerten 2007 schon 23 % der Onlinenutzer sehr großes Interesse an mobilem Radioempfang über das Handy, 17 % sehr großes Interesse an mobilem Radiohören über den Laptop, und 9 % würden sehr gern mobil über ihren Organizer das Radio nutzen (van Eimeren & Frees, 2007, S. 374). Hier bleibt abzuwarten, ob und wie sich die mobilen Medien zukünftig in Bezug auf die mobile Radionutzung durchsetzen. Literatur Anand, P. & Sternthal, B. (1984). The persuasive impact of music in advertising. Chicago: Northwestern University. Arbeitsgemeinschaft der ARD-Werbegesellschaften. (Hrsg.). (2007). Media Perspektiven Basisdaten. Daten zur Mediensituation in Deutschland 2007. Frankfurt a. M.: Herausgeber. Behne, K.-E. (1986). Hörertypologien. Zur Psychologie des jugendlichen Musikgeschmacks. Regensburg: Bosse. Bronner, K. & Hirt, R. (2007). Audio-Branding. Entwicklung, Anwendung, Wirkung akustischer Identitäten in Werbung, Medien und Gesellschaft. München: Fischer. Diaz-Bone, R. (2002). Kulturwelt, Diskurs und Lebensstil. Eine diskurstheoretische Erweiterung der bourdieuschen Distinktionstheorie. Opladen: Leske + Budrich. Ecke, J.-O. (1991). Motive der Hörfunknutzung. Nürnberg: Verlag der Kommunikationswissenschaftlichen Forschungsvereinigung. Egger, A. & Windgasse, T. (2007). Radionutzung und MNT 2.0. Eine erste Analyse auf Basis der weiterentwickelten MedienNutzerTypologie. Media Perspektiven, o. Jg. (5), 255-263. Gaßner, H.-P. (2007). Hören und Klicken. Synergien zwischen Radiowerbung und Internetnutzung. Media Perspektiven, o. Jg.(6), 290-294.
Nutzung von Radioprogrammen
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Werbung in Radioprogrammen
Lars Peters
Es ist so selbstverständlich wie trivial: Um einen Radiosender zu betreiben, ist Kapital notwendig. Dabei hängt es vom zu produzierenden Programm und der technischen Verbreitung ab, wie viel Geld für den Betrieb benötigt wird. Die Einnahmen hierfür stammen vorrangig aus zwei Quellen: Rundfunkgebühren und Werbung (Köcher, 2000). Während die öffentlich-rechtlichen Sender Einnahmen sowohl aus Gebühren als auch Werbung beziehen, finanzieren sich private Programme ganz überwiegend durch Werbung. Das bedeutet: Gäbe es die Hörfunkwerbung nicht, gäbe es keine privaten Anbieter und somit 211 Radiosender (ma 2007 II) weniger in Deutschland. Werbung im Radio gibt es bereits seit den Kindertagen des Mediums in den 1920er Jahren. Mit der Neuordnung des Rundfunks nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ebenfalls wieder Werbung in die Programme aufgenommen. Als letzte öffentlich-rechtliche Anstalt strahlt seit 1987 auch der WDR in seinen Radioprogrammen Werbung aus. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Hörfunkwerbemarkt in Deutschland auch ein reiner Verkäufermarkt: Da es nur einige öffentlich-rechtliche Sender gab, war das Angebot limitiert. Es gab mehr interessierte Werbekunden als Werbezeiten in den Programmen. Entsprechend mussten die ARD-Anstalten keine besonderen Anstrengungen unternehmen, um Werbebuchungen zu erhalten (vgl. Bruhn, 1995). Mit dem Start des privaten Rundfunks in Deutschland 1986 änderte sich diese Situation. Quasi über Nacht hatten die werbungtreibenden Unternehmen eine Alternative und waren nicht mehr auf die öffentlich-rechtlichen Programme angewiesen. Damit wandelte sich auch der Hörfunkwerbemarkt vom Verkäuferzum Käufermarkt (Bruhn, 1995): Es standen und stehen bis heute mehr Werbezeiten zur Verfügung als von Kundenseite nachgefragt werden. Dadurch sind die Sender gezwungen, ihre Programme als Werbemedium zu vermarkten. Entsprechend umwerben die Radiostationen und ihre Vermarkter die Werbekunden, damit sie Werbezeit bei ihnen buchen. Mit der weiter zunehmenden Anzahl von im Wesentlichen werbefinanzierten Radioprogrammen hat sich die Situation über die Jahre noch verschärft: Sowohl der öffentlich-rechtliche Hörfunk mit seiner Mischfinanzierung als auch die fast ausschließlich durch Werbeeinnahmen finanzierten privaten Programme konkurrieren um die Werbegelder.
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Lars Peters
Heute strahlen von den 341 in der Radioreichweiten-Untersuchung MediaAnalyse (ma) erfassten Sendern 244 Werbung aus. Davon sind 33 Anbieter öffentlich-rechtlich organisiert; unter ihnen befinden sich reichweitenstarke Programme wie WDR 4 oder SWR 3. Die verbleibenden 211 Sender sind private. Hierzu gehören der bayerische Platzhirsch Antenne Bayern ebenso wie der brandenburgische Lokalsender 94.5 Radio Cottbus. Werbefrei sind 97 Programme. Nur ein geringer Teil von ihnen, 26 Programme, gehören zum öffentlichrechtlichen Rundfunksystem, wie die besonders reichweitenstarken, älteren NDR1-Programme aber auch Zielgruppensender wie NDR Kultur, NDR Info oder der Deutschlandfunk mit kleineren Hörerschaften. Die verbleibenden, werbefreien Programme sind vor allem nicht-kommerzielle, lokale Anbieter. 1
Der rechtliche Rahmen
Im Rahmen ihrer Vermarktungsarbeit haben sich alle Sender und ihre Vermarkter an die rechtlichen Vorschriften zu halten. Denn bei der Werbegestaltung gibt es – ebenso wie bei der Zulassung von Hörfunkveranstaltern – Einschränkungen und Reglementierungen. Diese finden sich grundsätzlich im Rundfunkstaatsvertrag (RfStV). Die Bundesländer, in deren Hoheit die Veranstaltung des Rundfunks liegt, können jedoch weitere Bestimmungen erlassen. Die lizenzierenden und kontrollierenden Instanzen sind die Landesmedienanstalten (vgl. Kapitel 4). Grundsätzlich sind die Werberegelungen für den öffentlich-rechtlichen Hörfunk enger gefasst als für die privaten Anbieter. Bei ihnen sind Sonn- und Feiertage immer werbefrei. Allerdings gibt es zwischen den unterschiedlichen ARDAnstalten Abweichungen bei der zeitlichen Begrenzung am Abend: Während im NDR-Hörfunk nach 20 Uhr keine Werbung mehr ausgestrahlt werden darf, ist dies beim RBB möglich. Der NDR ist auch besonders strikt in Bezug auf die Anzahl von Programmen, die Werbung ausstrahlen dürfen: Im Norden Deutschlands ist das massenattraktive NDR 2 das einzige werbungführende, öffentlichrechtliche Programm. In Bayern hingen kann prinzipiell auf allen fünf öffentlichrechtlichen UKW-Wellen geworben werden. Da ist es nur logisch, dass für den NDR weniger Werbezeit zur Verfügung steht als den Anstalten in anderen Teilen der Republik. §16 (5) des Rundfunkstaatsvertrags begrenzt die Werbung der Landesrundfunkanstalten auf 90 Minuten werktäglich im Jahresdurchschnitt. Ausnahmen sind möglich, wenn am 1. Januar 1987 in den Ländern ein anderer zeitlicher Umfang vorgesehen war. Auch beim privaten Hörfunk gab und gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. Nicht zuletzt der Bezug auf den Rundfunkstaatsvertrag hat jedoch dazu geführt, dass die Privaten in allen Bundeslän-
Werbung in Radioprogrammen
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dern nicht nur an allen Tagen Werbung ausstrahlen dürfen, auch die Dauer ist prinzipiell einheitlich geregelt. Pro Sendestunde dürfen zwölf Minuten lang, also 20 % der Programmdauer, Werbespots ausgestrahlt werden, über den gesamten Tag dürfen es jedoch nicht mehr als 15 % der Sendezeit sein (§ 45 RfStV). Daneben gibt es Unterschiede in den Werberichtlinien, die auch auf die Angebotsstruktur im jeweiligen Bundesland zurückzuführen sind. In NordrheinWestfalen gibt es 47 lokale Privatradios, die einzeln oder gebündelt in regionalen oder landesweiten Kombinationen gebucht werden können. In Sachsen-Anhalt hingegen gibt es nur landesweite Programme; allerdings ist es den dortigen Sendern gestattet, für die Werbung die einzelnen Frequenzen auseinander zuschalten. Damit kann zur gleichen Zeit im Norden des Bundeslandes ein anderer Werbespot ausgestrahlt werden als im Süden oder im Harz. In Niedersachsen, wo es wie in Sachsen-Anhalt ebenfalls nur landesweite Programme gibt, besteht diese Regionalisierung der Werbung bei klassischen Spots nicht. Hier muss immer die Ausstrahlung für das gesamte Bundesland erfolgen. Dazu kommt, dass die Landesmedienanstalten in den Bundesländern unterschiedlich strikt im Bereich der Sonderwerbeformen vorgehen: Werbliche Einbindungen in das Programm sind in einigen Bundesländern leichter zu realisieren als in anderen. Vor diesem rechtlichen Hintergrund versuchen die Radiosender- und ihre Vermarkter, einen möglichst hohen Anteil der gesamten Werbespendings in den Hörfunk zu holen. 2
Entwicklung des Werbemarkts
Der Werbemarkt in Deutschland hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt. Nach dem Boomjahr 2000 und dem erheblichen Einbruch um 10,4 % bis 2002 haben die Werbespendings 2005 und 2006 neue Höchststände markiert (vgl. Abbildung 1). Dabei lag der Umsatz 2006 mit 20,1 Mrd. Euro noch einmal 5,1 % über dem Vorjahr.
68
Lars Peters Brutto-Werbeumsatz in Deutschland gesamt 1999-200648
Abbildung 1: 25
18.3
Mrd. €
20
16.2
17.1
16.4
17.2
2001
2002
2003
18.2
19.1
2004
2005
20.1
15 10 5 0 1999
2000
2006
Die Werbegelder, die in die Hörfunkwerbung fließen, machen nur einen geringen Anteil an den gesamten Werbeausgaben in Deutschland aus. Von den insgesamt 20,1 Mrd. Werbe-Euro betrug der Anteil der Radiowerbung lediglich 6,1 % bzw. 1,2 Mrd. Euro – dabei ist der Hörfunk das von den Deutschen täglich am längsten genutzte Medium. Der Löwenanteil (41,2 % bzw. 8,3 Mrd. Euro) wurde hingegen in das Fernsehen investiert. Auch die Tageszeitungen (26,4 %) und die Publikumszeitschriften (20,7 %) konnten einen wesentlich höheren Werbemarktanteil erzielen als das Radio. Abbildung 2:
Werbeaufwendungen 2006 nach Gattungen in %49 2.2 6.1
Radio Fernsehen
20.7
Plakat 41.2
Tageszeitung Publikumszeitschriften Fachzeitschriften
26.4 3.4
48 49
Basis: Brutto-Werbeumsätze nach Nielsen Media Research Basis: Brutto-Werbeumsätze nach Nielsen Media Research
Werbung in Radioprogrammen
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Die vergleichsweise schwache Stellung des Radios wird noch deutlicher, wenn man berücksichtigt, dass in der Auswertung von Nielsen Media Research die Online-Werbung nicht erfasst ist. Laut OVK (2007) betrugen die OnlineBruttowerbeaufwendungen im Gesamtjahr 2006 1,9 Mrd. Euro. Dies entspricht einem Wachstum gegenüber dem Vorjahr von 84 %. Damit wurde erstmals mehr Geld in Internet-Werbung investiert als in Hörfunk-Werbung. 3
Werbeumsatz der Gattung Radio: Brutto- vs. Netto-Werbeumsatz
Zur genaueren Beschreibung der Hörfunk-Werbemarktentwicklung können zwei Kennzahlen herangezogen werden: Der Brutto- und der Netto-Werbeumsatz. Zur Ermittlung des Brutto-Werbeumsatzes wird die Anzahl der Werbesekunden in einem Stundenintervall mit dem in der Preisliste für diesen Zeitpunkt angegeben Sekundenpreis multipliziert. Nielsen Media Research führt diese Berechnung auf Basis der von den Sendern gemeldeten Werbe-Sekundenanzahl durch und weist monatlich die Brutto-Werbeumsätze der erfassten Programme aus. Demnach wurden 2006 insgesamt 1,22 Mrd. Euro in Radiowerbung investiert. Ähnlich erfolgt die oben dargestellte Ermittlung der Brutto-Werbeumsätze der anderen Medien. Allerdings wird kaum ein Werbespot zum Listenpreis, also dem Bruttopreis, abgerechnet. Entsprechend der Mal- und Mengenstaffel etwa in Verlagen wird Kunden, die viel Werbezeit bei einem Sender buchen, ein Rabatt eingeräumt. Überschreiten die Werbebuchungen eines Kunden beispielsweise bei radio ffn in Niedersachsen im Laufe eines Jahres 15.000 Sekunden, bekommt er die gesamte Medialeistung 15 % günstiger (vgl. radio ffn-Gesamtpreisliste, 2007). Zusätzlich wird ihm bei rechtzeitigem Zahlungseingang Skonto in Höhe von 2 % gewährt. Kunden, die nicht nur bei einem Sender Werbung schalten, sondern mehrere Sender in einer Kombination über einen Vermarkter belegen, erhalten ebenfalls einen Preisnachlass. Häufig sind es jedoch nicht die Kunden selbst, die die Werbung buchen. Gerade auf nationaler Ebene übernehmen Mediaagenturen diese Aufgabe. Durch die Bündelung großer Werbeetats verschiedener Kunden können diese zusätzliche Vereinbarungen mit den Vermarktern aushandeln. Doch auch lokale und regionale Werbekunden müssen sich nicht mit den Rabatten aus der Preisliste zufrieden geben. Als regionale Großkunden genießen etwa Brauereien aus dem Sendegebiet häufig zusätzliche Preisnachlässe. Nicht veröffentlichte Auswertungen lassen darauf schließen, dass die Sender regionalen Kunden mitunter noch höhere Rabatte gewähren als sie nationale Kunden erhalten. Diese Rabatte führen dazu, dass letztlich weniger Geld, der NettoWerbeumsatz, von den Kunden an die Sender gezahlt wird. Diesen Wert ver-
70
Lars Peters
sucht der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) jährlich zu erfassen. Dazu werden die Sender aufgefordert, ihren Netto-Werbeumsatz zu melden. Da der ZAW die Korrektheit der gemeldeten Daten nicht überprüfen kann, ist das Verfahren und damit der ausgewiesene Netto-Umsatz noch unzuverlässiger als der Brutto-Werbeumsatz. Hinzu kommt, dass die beiden Werte eigentlich nicht mit einander verglichen werden können, da die SenderGrundgesamtheit bei beiden Erhebungen variiert. Da jedoch keine genaueren Werte vorliegen, wird trotz dieser Einschränkungen mit den entsprechenden Zahlen gearbeitet. Abbildung 3:
Brutto- und Netto-Werbeumsatz des Hörfunks in Deutschland 1999-200650
1600
Mio. €
1200 800
1043 934 691
733
1220
1167
1009
967
916
897
664
668 585
579
680
618
400 0 1999
2000
2001
2002
Brutto-Werbeumsatz
2003
2004
2005
2006
Netto-Werbeumsatz
Im Gegensatz zu den 1,2 Mrd. Euro, die 2006 als Brutto-Werbeumsatz für den Hörfunk ausgewiesen wurden, beträgt der Netto-Wert lediglich 680,5 Mio. Euro. Das heißt: Nur 55,8 % der Brutto-Umsätze sind tatsächlich bei den Sendern eingebucht worden. Durchschnittlich werden den Werbungtreibenden somit 44,2 % Rabatt auf ihre Buchungen im Radio gewährt. Die Schere zwischen Brutto- und Netto-Umsätzen ist seit 1999 immer weiter auseinander gegangen (vgl. Abbildung 3). Das hat zu der Situation geführt, dass 2005 erstmals wieder höhere Brutto-Umsätze als im Jahr 2000 vermeldet werden konnten. Der NettoUmsatz liegt aber auch 2006 noch unter dem des Jahres 2000.
50 Basis: Brutto-Werbeumsätze nach Nielsen Media Research, Netto-Werbeumsätze lt. ZAWErhebung (Zentralverband der Werbewirtschaft, 2001, 2006)
Werbung in Radioprogrammen 4
71
Werbeumsatz öffentlich-rechtlicher und privater Radiostationen
Von den Werbegeldern, die ins Radio fließen, profitieren die privaten Anbieter am stärksten. 2006 entfielen fast drei Viertel der Gesamtausgaben (72,6 %) auf diese Stationen. Die verbleibenden 27,4 % wurden entsprechend bei den öffentlich-rechtlichen Programmen eingebucht. Seit 1990 haben die ARD-Sender somit zwei Drittel ihres damaligen Marktanteils verloren (Abbildung 4). Damit hat sich die Situation grundlegend geändert: Entfiel auf die privaten Sender 1990 nur ein Viertel des Werbeumsatzes im Radio, so ist dies nunmehr der Anteil, den die öffentlich-rechtlichen Sender generieren. Die stärksten Verschiebungen zwischen den Systemen erfolgten dabei bis zum Ende der 1990er Jahre. Doch auch in den Jahren ab 2000 konnten die privaten Anbieter ihren Vorsprung – wenn auch nur noch im Dezimalstellenbereich – weiter ausbauen. Abbildung 4:
Marktanteile im Radio nach Werbeaufwendungen (in %)51
100% 80% 60% 40% 20% 0% 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
Private
Öffentlich-Rechtliche
Ein Grund für die Veränderungen in den 1990er Jahren ist der Tatsache geschuldet, dass in vielen Bundesländern – so etwa im gesamten Osten der Republik – erst im Laufe dieses Jahrzehnts überhaupt private Radiostationen auf Sendung gingen. Gleichzeitig haben die privaten Anbieter seit 1990 ihre Vermarktung auf nationaler Ebene deutlich professionalisiert. Ein Meilenstein war dabei die Gründung des gemeinsamen Vermarkters RMS.
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Basis: Brutto-Werbeumsätze nach Nielsen Media Research
72 5
Lars Peters Vermarktersituation
Die RMS, die Radio Marketing Service GmbH & Co. KG, wurde 1990 von den norddeutschen Privatsendern R.SH, Radio Hamburg und radio ffn mit dem Ziel gegründet, als zentrale Einheit die Vermarktung der Sender auf nationaler Ebene zu übernehmen. Der Gedanke dahinter war einfach: Für jeden einzelnen Sender war der Unterhalt einer bundesweit tätigen Verkaufsorganisation zu teuer. Gleichzeitig war eine Bündelung aus Kundenperspektive wünschenswert, denn so muss der Kunde bzw. seine Mediaagentur für die Buchung von mehreren privaten Sendern nicht mit jedem einzelnen Sendervertreter sprechen, sondern nur noch mit einem einzigen Ansprechpartner von der RMS. Gleichzeitig konnten so neue Vermarktungsangebote geschaffen werden: Bei der Buchung einer Kombination aus mehreren Sendern entfällt für den Kunden Arbeit, da er nicht mehrere Sender einzeln buchen muss. Gleichzeitig erhält er zumeist einen Preisnachlass bei der Buchung einer Kombination. Mittlerweile vertritt die RMS 146 Einzelsender im gesamten Bundesgebiet und ist damit Marktführer in der Radiovermarktung. Das öffentlich-rechtliche Gegenstück zur RMS ist die ARD-Werbung Sales & Services GmbH, AS&S, die seit 2007 eine eigene Radio-Einheit unterhält, die AS&S Radio GmbH. Die AS&S vermarktet alle öffentlich-rechtlichen Programme, die Werbung führen. Außerdem vertritt sie auch einige private Hörfunksender wie zum Beispiel RTL 104.6 in Berlin oder 106!8 rock’n pop in Hamburg. Zum Jahreswechsel 2006/2007 haben außerdem die bis dahin von Energy Media vermarkteten Energy-Sender die AS&S mit ihrer Vermarktung betraut. Auf nationaler Ebene sind damit nur noch die RMS und die AS&S relevant. Auf regionaler bzw. lokaler Ebene bearbeiten die Sender ihre Kunden selbst oder haben hierfür eigene Vermarktungsorganisationen gegründet. Auch hier gibt es Zusammenschlüsse, wie etwa die Gong-Gruppe oder die mir.) in Leipzig, die für drei sächsische Sender arbeitet und außerdem eng mit der mir.) Thüringen verbunden ist. Insgesamt setzten die Sender des RMS-Verbundes 2006 brutto 779,6 Mio. Euro um, der AS&S-Verbund erreichte 440,0 Mio. Euro. Dem entsprechend ist die RMS der marktführende Radiovermarkter mit einem Marktanteil von 63,9 %. Dieser Anteil liegt im Vergleich zu 2005 noch einmal 0,4 Prozentpunkte höher.
Werbung in Radioprogrammen 6
73
Brutto-Umsätze einzelner Programme
Die Werbeumsätze im Hörfunkmarkt verteilen sich ganz unterschiedlich auf die einzelnen Programme. Der umsatzstärkste deutsche Sender im Jahr 2006 war die Radio-Kombi Baden-Württemberg. Hierbei handelt es sich nicht um ein einzelnes Programm, sondern den Zusammenschluss der privaten Stationen (regionale wie lokale) in Baden-Württemberg. Der erhebliche Anstieg des absoluten Umsatzes dieses Senderverbundes von 2005 auf 2006 um 62,5 % ist auf die geänderte Erhebung der Daten zurückzuführen: Während 2005 nur die landesweiten Werbeumsätze der Radio-Kombi Baden-Württemberg Eingang in die Statistik fanden, ist dies seit 2006 auch für die Buchungen auf regionaler und lokaler Ebene der Fall. Insgesamt konnte der Senderverbund 6,1 % aller Werbeausgaben im Radio auf sich vereinen. Legt man nur die privaten Stationen zu Grunde, beträgt der Anteil der Radio-Kombi Baden-Württemberg 8,4 % (vgl. Tabelle 1). Der Sender mit den zweitgrößten Werbeeinnahmen war 2006 Antenne Bayern. Gut 70 Mio. Euro wurden bei dieser Station eingebucht. Damit erreichte das Programm eine Steigerung zum Vorjahr in Höhe von 18 %. Dieser Wert ist nicht auf methodische Einflüsse zurückzuführen. Vielmehr hat der Sender in der ma 2006 II seine Reichweite erheblich steigern können. Für die zusätzlichen Hörer konnte der Sender erhöhte absolute Werbepreise durchsetzen, womit letztlich mehr Geld eingenommen werden konnte. An dritter Stelle dieser Auflistung steht radio NRW. Wie die Radio-Kombi Baden-Württemberg ist auch dies kein eigenständiger Sender, sondern er bildet vielmehr das Dach der Lokalradiostationen in Nordrhein-Westfalen (eine Ausnahme stellen die beiden Aachener Lokalstationen dar, die aus dem Verbund ausgetreten sind). Dass ein quasi landesweites Programm im mit Abstand bevölkerungsreichsten Bundesland weniger Umsatz generiert als das Äquivalent in Baden-Württemberg oder der Marktführer in Bayern, überrascht zunächst. Aber auch hier ist ein methodische Problem des Rätsels Lösung: Für radio NRW sind nur die landesweiten Werbeeinbuchungen erfasst. Eine Vorstellung vom Umfang der Werbeumsätze auf regionaler Ebene in Nordrhein-Westfalen gibt die Lokalfunk Kombi Westfalen, die Teil von radio NRW ist und im nationalen Vergleich immerhin den elftgrößten Einzelumsatz erzielt. Die Kombi umfasst die Lokalstationen in Westfalen, wobei das Gebiet von Bocholt im Westen bis Höxter im Osten und von Lübbecke im Norden bis Lüdenscheid im Süden reicht.
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RMS RMS RMS RMS AS&S AS&S RMS AS&S RMS AS&S RMS RMS RMS RMS RMS RMS RMS AS&S RMS RMS
Vermarkter
74,2 70,9 68,6 59,0 44,7 38,7 38,4 37,3 34,5 33,4 33,2 32,1 32,0 31,7 29,8 29,3 29,1 27,5 25,4 24,4
Umsatz absolut in Mio. €
Quelle: Nielsen Media Research/Radio Marketing Service
Radio-Kombi Baden-Württemberg ANTENNE BAYERN radio NRW HIT RADIO FFH Eins Live SWR3 radio ffn WDR2 BB RADIO Bayern 3 Lokalfunk Kombi Westfalen Radio Hamburg Hit-Radio Antenne Radio Schleswig-Holstein RPR 1. radio SAW RADIO PSR NDR 2 rs2 BAYERN FUNKPAKET
Sender
62,5 18,0 -11,8 2,1 -7,2 2,5 25,8 12,2 8,1 11,6 15,4 11,9 -5,5 6,1 -2,4 -7,3 -23,4 -7,7 6,0 -5,9
Veränderung zu 2005 in %
Tabelle 1: Umsätze der größten deutschen Radiosender 200652
6,1 5,8 5,6 4,8 3,7 3,2 3,2 3,1 2,8 2,7 2,7 2,6 2,6 2,6 2,4 2,4 2,4 2,3 2,1 2,0
Marktanteil gesamt in % 8,4 8.0 7,7 6,7 4,3 3,9 3,7 3,6 3,6 3,6 3,4 3,3 3,3 2,9 2,8
Marktanteil an Privaten in %
Marktanteil an ÖffentlichRechtlichen in % 13,4 11,6 11,2 10,0 8,3 -
Werbung in Radioprogrammen
75
Die Umsätze der weiteren Sender können mit Ausnahme des Bayern Funkpakets ohne größere Einschränkungen verglichen werden. Beim Bayern Funkpaket, dem Zusammenschluss der Lokalradiostationen in Bayern, sind – wie auch bei radio NRW – die Umsätze auf lokaler und regionaler Ebene nicht berücksichtigt. Der Marktanteil der Sender am Hörfunkwerbemarkt zeigt wie fragmentiert die deutsche Radiolandschaft ist. Selbst die größte Einheit, die Radio-Kombi Baden-Württemberg, erreicht nur einen Marktanteil von 6,1 %. Die unterschiedlich hohen Marktanteile innerhalb der Systeme, also innerhalb des öffentlichrechtlichen und des privaten Systems, resultieren aus der bereits dargestellten Tatsache, dass es insgesamt deutlich weniger öffentlich-rechtliche Programme gibt, die Werbung führen, als private Anbieter. 7
Relation Reichweite-Umsatz
Einen Zusammenhang verdeutlicht die Tabelle 1 nicht, er sei an dieser Stelle jedoch angeführt: Die Umsatzveränderungen der Sender ergeben sich vor allem aus den Entwicklungen ihrer Reichweite. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Umsätze zumeist erst ein Jahr nach Bekanntgabe der Reichweiten in der MediaAnalyse (ma) steigen oder einbrechen (vgl. Peters, 2007). Der Grund hierfür ist einfach: Obwohl die ma zweimal pro Jahr veröffentlicht wird, dient nur die zweite Veröffentlichung im Juli als Grundlage für die Preisbildung – und zwar der Preisbildung des Folgejahres. Die neuen Preise werden zwar bereits im Spätsommer bekannt gegeben. Sie gelten bei den allermeisten Sendern jedoch erst ab dem nächsten Kalenderjahr. Entsprechend basiert der in Tabelle 1 dargestellte 18-prozentige Umsatzanstieg bei Antenne Bayern von 2005 auf 2006 auf einem Reichweitenzuwachs des Senders von 2004 zu 2005. Deutlicher geht aus der Tabelle hervor, dass landesweite Programme in bevölkerungsreichen Bundesländern mehr Werbeumsätze generieren können als Sender mit einer geringeren technischen Reichweite. Das ist logisch, denn die Werbungtreibenden und die sie vertretenden Mediaagenturen werden versuchen, mit ihrer Werbeinformation für möglichst geringe Kosten möglichst viele Personen der anvisierten Zielgruppe zu erreichen. Die absoluten Kosten für eine Werbesekunde oder den typischen 30Sekunden-Spot sind zwischen den Sendern dabei jedoch nicht direkt vergleichbar. Daher werden diese Kosten in Relation zur Reichweite gesetzt. Hierzu wird – wie bei anderen Gattungen auch – ermittelt, wie hoch die Kosten sind, um mit einem Werbeträger 1.000 Kontakte zu erreichen: der Tausend-Kontakt-Preis (TKP). Der TKP ermöglicht Kunden und Agenturen den direkten Vergleich,
76
Lars Peters
welcher von zwei oder mehreren Sendern für sie der effizientere ist. Dabei kann der TKP nicht nur für die gesamte Zielgruppe (aufgrund der Erhebung der Media-Analyse umfasst diese alle Personen ab 14 Jahren) ermittelt werden, sondern für jede beliebige Zielgruppe, sei sie nach Alter, Geschlecht oder Konsumverhalten definiert. Da Radiostationen zu jeder Tageszeit unterschiedlich viele Hörer haben (vgl. Kapitel 2), ist natürlich auch die Berechnung der TKPs für einzelne Sendestunden möglich und nötig. Für die Schaltung von Werbezeiten bei den Radiostationen sind jedoch nicht nur die Kosten ausschlaggebend: Mitunter ist ein Sender sehr günstig, seine Reichweite ist jedoch nicht groß genug, um die Kampagnenziele des Werbekunden zu erfüllen. In diesem Fall sind weitere Sender zu buchen, um die gewünschte Medialeistung zu erreichen. Da die privaten Radiostationen versuchen, möglichst viel Werbeumsatz auf sich zu vereinen, müssen sie ein Programm erstellen, das von einem Publikum gehört wird, welches wiederum für die werbungtreibende Industrie interessant ist. Die am häufigsten nachgefragte Zielgruppe sind seit Jahren Personen zwischen 14 und 49 Jahren. Je mehr Hörer dieser Gruppe ein Sender anspricht, desto kostengünstiger kann er die Kontakte zu ihnen den Kunden anbieten. Allerdings verändert sich der Altersfokus mit der Änderung der demografischen Situation in Deutschland langsam, so dass auch ältere Hörer zunehmend an Attraktivität für die werbungtreibende Industrie gewinnen.. 8
Radioformat und Umsatz
Da ein Sender über die Gestaltung seines Programms seine Zielgruppe festlegt, ist die Wahl des Programmformats von größter Bedeutung für seinen wirtschaftlichen Erfolg. Die Struktur, die Inhalte und die Präsentation des Senders werden deshalb auf Basis von Marktforschungsinformationen genau auf diese Zielgruppe ausgerichtet. Besondere Wichtigkeit erfährt dabei die Einhaltung der Musikfarbe und ein zielgruppenadäquates Wortangebot (vgl. Goldhammer, 1995; Prüfig, 1993; Haas, Frigge & Zimmer, 1991). Die breite Masse wird am besten mit der Musik aus den letzten zwei oder drei Jahrzehnten erreicht. Sender, die Klassik oder Jazz spielen, werden hingegen nur die Liebhaber dieser Musikrichtungen überzeugen und somit kleinere Hörerschaften aufweisen (vgl. Kapitel 5 sowie 8-12). Da diese Hörer jedoch als schwer durch Werbung erreichbar gelten, können die entsprechenden Sender mehr Geld für die Kontakte verlangen und so ggf. trotz der kleineren Reichweite rentabel arbeiten. Da das Gros der Werbegelder auf die Zielgruppe der 14-49-Jährigen ausgerichtet ist, bieten die kommerziellen Veranstalter vor allem Programme für diese
Werbung in Radioprogrammen
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Zielgruppe an. Urban Contemporary (UC) und Contemporary Hit Radio (CHR) heißen die bevorzugten Formate für junge Hörerschaften (14-29 Jahre), Adult Contemporary (AC) für mittlere (14-49) sowie Oldie und Schlager für ältere (3059). Auch die öffentlich-rechtlichen Sender haben Programme mit entsprechenden Formaten im Angebot. Sie sind auch diejenigen, die die Zielgruppe 50+ mit deutsch-melodiösen Programmen großflächig bedienen, während dieses Segment für kommerzielle Anbieter derzeit kaum lukrativ ist. Neben diesen sehr eindeutig auf Altersgruppen ausgerichteten Formaten gibt es andere, die sich vorrangig über ihren speziellen Musikstil oder viele Wortbeiträge definieren: Rock, Klassik und News/Talk zählen hierzu (vgl. Kapitel 5). Abbildung 5:
Umsatz je Hörer und Jahr53
140 122 120 92
Euro
100 79
80
71 58
60 40
21
16
20
3
2 0 UC
CHR
AC
Oldie
Deutsch
Rock
Klassik
News/Talk
Sonstiges
Die Bedeutung der jungen Hörer für die Wirtschaftlichkeit eines Senders veranschaulicht die Betrachtung des Werbeumsatzes pro Hörer und Jahr (Abbildung 5). Die sehr jungen Formate Urban Contemporary und Contemporary Hit Radio generieren demnach den höchsten Umsatz pro Hörer. Diese Hörer sind der werbungtreibenden Wirtschaft besonders viel Geld wert. Das gilt auch für die Rock53
Quelle: ma 2005 II Radio, Hörer Mo-Sa 6-18 Uhr, Brutto-Werbeumsätze nach ACNielsen 2006; Anmerkung: Formatzuordnung durch den Autor. Basis: UC (2 Sender), CHR (10), AC (30), Oldie (10), Deutsch-Melodiös (9), Rock (2), Klassik (1), News/Talk (2), Sonstiges (1 = Bayern2Radio). Da die ma des Vorjahres die Basis für die Mediaplanung des Folgejahres determiniert, sind hier die Reichweiten 2005 dem Umsatz 2006 gegenübergestellt.
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Lars Peters
Angebote. Ebenfalls überdurchschnittliche Umsätze pro Hörer erzielen die ACFormate. Da diese Programme außerdem die absolut größten Reichweiten in der werberelevanten Zielgruppe aufweisen, sind sie die Cash Cows im Hörfunkmarkt. Die melodiösen Schlagerradios erreichen zwar ebenfalls große Hörerschaften, sie kommen jedoch nicht einmal auf 20 Euro pro Hörer und Jahr. Das in dieser Auswertung erfasste Klassik-Angebot und die sonstigen Formate (hier Bayern2Radio) können nur durch zusätzliche Gebühren finanziert werden. 9
Werbungtreibende Wirtschaftsbereiche im Radio
Die Werbungtreibenden, die die benannten Zielgruppen nachfragen, stammen aus den unterschiedlichsten Bereichen (vgl. Tabelle 2). Der größte Wirtschaftsbereich im Radio ist der Kraftfahrzeug-Markt, der im Wesentlichen die diversen Auto-Hersteller umfasst. Mit 185 Mio. Euro steht dieser Zweig für ein Sechstel (15,2 %) aller Werbebuchungen im Radio. Damit investiert er auch relativ betrachtet überproportional ins Radio: Fließen von allen Werbegeldern nur 6,1 % in den Hörfunk, so sind es bei der Kraftfahrzeug-Branche 10 %. Zweigrößter werbungtreibender Wirtschaftszweig im Radio sind die anderen Mediengattungen: Fernsehen, Verlage, Kino und Internet-Seiten. Dahinter folgen mit immer noch über 150 Mio. Euro und somit einem Anteil von knapp 13 % an allen Werbeumsätzen im Hörfunk der Handel und Versand. Eher gering sind hingegen die Spendings der Bereiche Körperpflege sowie Freizeit und Sport. Sie stehen nur für 0,4 bzw. 0,3 % der Umsätze im Radio. Der Wirtschaftsbereich, der relativ am meisten auf Hörfunkwerbung setzt, ist die Bau-Wirtschaft. Dahinter stehen Baumärkte und Anbieter von zum Beispiel Farben und Rostschutzmitteln. Sie investieren knapp ein Viertel ihrer gesamten Werbeausgaben in den Hörfunk (23,7 %). Ähnlich überzeugt vom Erfolg der Radiowerbung sind auch die Werbungtreibenden aus dem Bereich Haus- und Gartenausstattung (23,6 %), die Möbel sowie Haus- und Gartengeräte herstellen und vertreiben. Vergleichsweise Radio-abstinent sind hingegen die Bereiche Körperpflege (0,3 %), Pharmazie (1,9 %) und Ernährung (2,2 %).
54
1.855,4 3.581,1 2.458,9 393,0 943,5 1.106,8 1.249,2 488,6 266,8 1.272,3 1.766,2 721,4 177,5 240,7 370,4 103,5 618,5 50,3 1.489,7 21,6 20.119,3
Werbespendings gesamt in Mio. €
Quelle: Nielsen Media Research/Radio Marketing Service
Kraftfahrzeug-Markt Medien Handel und Versand Haus- und Gartenausstattung Getränke Dienstleistungen Finanzen Touristik Bau-Wirtschaft Büro, EDV und Kommunikation Ernährung Sonstige Werbung Energie Verkehrsmittel und -Einrichtung Textilien und Bekleidung Haus-, Land-, Forst- und Jagdwirtschaft Pharmazie Kunst und Kultur Körperpflege Freizeit und Sport Gesamt
Firma
Tabelle 2: Top 20 Wirtschaftsbereiche im Radio54
185,5 177,3 157,8 92,8 75,2 75,1 67,1 65,5 63,2 62,2 38,6 38,5 28,3 19,0 17,4 13,5 11,8 11,1 4,7 4,0 1.219,5
Werbespendings im Radio in Mio. €
Anteil an Radiowerbung gesamt in % 15,2 14,5 12,9 7,6 6,2 6,2 5,5 5,4 5,2 5,1 3,2 3,2 2,3 1,6 1,4 1,1 1,0 0,9 0,4 0,3 100,0
Anteil Radio an Werbespendings in % 10,0 5,0 6,4 23,6 8,0 6,8 5,4 13,4 23,7 4,9 2,2 5,3 15,9 7,9 4,7 13,0 1,9 22,0 0,3 18,6 6,1
80
Lars Peters
10 Werbungtreibende Kunden im Radio Noch deutlicher wird das Bild, wenn die Werbeumsätze auf die einzelnen werbungtreibenden Kunden herunter gebrochen werden (vgl. Tabelle 3). Im Jahr 2006 waren dies exakt 4.858. Größter Werbungtreibender im Radio war 2006 die Media-Saturn-Holding, die für Media Markt und Saturn Werbung schaltet. Mit knapp über 40 Mio. Euro steht dieses Unternehmen für 3,3 % der gesamten Spendings im Radio. Dieser zunächst vergleichsweise klein erscheinende, relative Wert ist durchaus herausragend. Deutlich wird das nicht zuletzt daran, dass der absolut zweitgrößte Kunde im Radio, die Adam Opel AG, mit knapp 19 Mio. Euro und einem Marktanteil von 1,6 % nicht einmal die Hälfte dieses Betrags erreicht. Etwa gleich viel Werbegeld wie Opel wird von den dritt- und viertgrößten Kunden investiert: OBI und McDonald’s. Unter den 20 größten Werbungtreibenden im Radio finden sich – die Aufstellung der Wirtschaftsbereiche im Radio lässt es ahnen – viele Auto-Hersteller: Fiat, Citroen und Ford schalteten nach Opel am meisten Hörfunkwerbung. Dahinter folgen Audi, Toyota und BMW. Damit sind sieben der 20 größten Werbekunden im Radio PKWHersteller. Weniger bekannt dürfte der Kunde Shop24Direct AC Distribution und Marketing sein. Dieser Werbungtreibende vertreibt zum Beispiel CDSammlungen. Diese werden häufig in langen Spots in den Abendstunden bei den Radiosendern ausgestrahlt. Aufgrund der hohen Sekundenzahl werden hier erhebliche Rabatte gewährt. Mitunter werden die Spots auch als CPO (Cost per Order) abgerechnet. Dabei richtet sich der zu zahlende Preis für die Werbung nach der Anzahl der eingegangenen Bestellungen. Insofern dürfte der NettoBetrag, der von diesem Kunden tatsächlich an die Sender gezahlt wird, deutlicher unter dem angegebenen Brutto-Betrag liegen als bei den meisten anderen hier aufgeführten Werbungtreibenden. Carglass setzte bei seiner Werbung 2006 fast ausschließlich auf den Hörfunk: 98,3 % der gesamten Spendings in Höhe von 11,5 Mio. Euro flossen den Radiosendern zu. Auch die TOOM Baumärkte verlassen sich fast ausschließlich auf die Kraft der Hörfunkwerbung (95,0 % Anteil Radio an Werbespendings). Dabei ist einschränkend anzumerken, dass in dieser Statistik von Nielsen Media Research die Direktwerbung und damit die wöchentlichen Broschüren im Briefkasten, die vom Handel sehr stark genutzt werden, keine Berücksichtigung finden. Bei der Werbestatistik wird typischerweise nur klassische Werbung erfasst, die im Werbeblock ausgestrahlt wird. Daneben haben sich in den letzten Jahren gerade bei den privaten Hörfunkstationen neue Werbeformen etabliert, wobei die Grenze zwischen Werbung und Programm immer weiter aufweicht.
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Werbespendings im Radio in Mio. € 40,4 19,0 18,7 18,6 17,7 17,3 13,4 11,6 11,3 10,9 10,9 10,7 10,5 9,7 9,3 9,3 9,1 8,9 8,9 8,6 1.219,5
Werbespendings gesamt in Mio. € 454,4 147,0 53,2 127,1 169,7 38,5 26,1 15,6 11,5 65,3 88,9 103,8 11,0 106,1 31,8 72,0 139,8 145,5 76,7 18,2 20.199,3
Quelle: Nielsen Media Research/Radio Marketing Service
Media-Saturn-Holding Adam Opel AG OBI McDonald’s Deutschland T-COM, Bon Toto-Lotto Gesellschaften Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte Shop24Direct AC Distribution und Marketing Carglass Autoglas-Service FIAT Automobil AG Citroen Deutschland FORD Werke TOOM Baumarkt AUDI AG Stage Entertainment Marketing und Sales Karstadt Warenhaus TOYOTA Deutschland Deutscher Sparkassen- Giroverband BMW ALLTOURS Flugreisen Gesamt
Firma
Tabelle 3: Top 20-Kunden im Radio55
0,8 0,7 0,7 0,7 0,7 100,0
0,9 0,9 0,9 0,9 0,9 0,8 0,8
Anteil an Radiowerbung gesamt in % 3,3 1,6 1,5 1,5 1,4 1,4 1,1 1,0
12,9 6,5 6,1 11,6 47,4 6,1
98,3 16,7 12,3 10,3 95,0 9,1 29,4
Anteil Radio an Werbespendings in % 8,9 12,9 35,2 14,7 10,4 44,9 51,1 74,5
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Lars Peters
11 Werbeformen im Radio Die geringsten Möglichkeiten für innovative Werbeformen im Programm haben die öffentlich-rechtlichen Sender. Ihnen ist lediglich die Blockwerbung gestattet. Dabei wird das Programm alle 30 Minuten unterbrochen, typischerweise vor dem Nachrichten- bzw. Serviceblock zur vollen und halben Stunde. Die vorherrschende Werbeform sind 20- bis 30-sekündige Werbespots. Möglich sind auch Sponsorings einzelner Programmelemente. Die klassische Spotwerbung im Werbeblock steht auch bei den privaten Anbietern für das Gros des Werbeumsatzes. Allerdings sind die kommerziellen Sender deutlich freier in der Platzierung der Werbung und ggf. sogar bei deren redaktioneller Einbindung. Bereits innerhalb des Werbeblocks sind verschiedene Spotgestaltungen und Platzierungen möglich, die mehr Aufmerksamkeit generieren sollen und entsprechend teurer kalkuliert werden. Die Sender der RMS bieten etwa den Visual- und den Podcast-Spot an. Hierbei wird an den normalen Spot eine mehrsekündige Allonge angehängt. In diesem bis zu sechs Sekunden langen, vorproduzierten Element wird auf die Internetseite des Senders verwiesen. Dort wird beim Visual Spot das beworbene Produkt visualisiert und im Falle des Podcast-Spots ein Podcast zum Download angeboten. Ein anderes Beispiel ist der Cover-Spot. Dabei wird dem Werbekunden die erste und die letzte Platzierung im Werbeblock eingeräumt. Der Nachrichten-Spot hingegen wird entweder direkt vor oder nach den Nachrichten ausgestrahlt. Die Platzierung soll hier neben der erhöhten Aufmerksamkeit auch die Seriosität der Werbebotschaft erhöhen. Klassische Spots können aber auch außerhalb des Werbeblocks in das Programm eingefügt werden, zum Beispiel auf dem Single-Spot-Platz. Der Vorteil hier: Der Spot ist nicht nur besonders nah am Programm, er ist auch der einzige Spot in diesem Mini-Block. Neben diesen klassischen Spots bilden Radiokooperationen eine wichtige Einnahmequelle für die Radiostationen. Hierbei handelt es sich häufig um Promotions bzw. Gewinnspiele, die um ein Produkt oder ein Event des Werbungtreibenden herum gebaut sind. Typischerweise agieren dabei Sender und Kunde als Absender der Aktion. Da der Übergang zwischen Programm und Werbung hier fließend ist, gibt es durchaus rechtliche Probleme, die mitunter zu Abmahnungen durch die die privaten Anbieter kontrollierenden Landesmedienanstalten führen. Die Promotions und Gewinnspiele sind jedoch nicht allein auf die Generierung von Werbeeinnahmen ausgerichtet. Sie können gerade während der Erhebung der ma dem Ziel dienen, Hörer an einen Sender zu binden.
Werbung in Radioprogrammen
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12 Weitere Finanzierungsformen privater Radiostationen Daneben ergibt sich durch die Gewinnspiele eine weitere Einnahmequelle für die Sender: die so genannten Transaktionskosten. Dabei fließt ein Teil der Gebühren für die Telefonate, die die Hörer führen, um an einem Gewinnspiel teilzunehmen, an die Sender. Dieser Ansatz wurde in den letzten Jahren stark ausgebaut. Allerdings scheint der Trend zunächst gebremst. Die Telefongebühren bleiben Zusatzgeschäft; die Haupteinnahmen kommen weiterhin aus der Werbung. Das muss jedoch nicht so bleiben. Denn neben den Werbe- und Transaktionsgebühren sind auch direkte Einnahmen realisierbar, bei denen die Hörer ähnlich wie beim Pay-TV für Programmpakete zahlen und diese dann zumeist werbefrei hören können. Jede dieser Finanzierungsformen hat direkt Auswirkungen auf die inhaltliche Gestaltung der Radioprogramme und ihre Formatierung. Werbefinanzierte Programme müssen nicht nur klassische Werbung und Sonderwerbeformen im Sendeablauf integrieren. Sie müssen auch dafür sorgen, die von der Werbewirtschaft nachgefragte Zielgruppe in ausreichender Größe zu erreichen. Auch für die Generierung von Einnahmen über Telefongebühren sind erhebliche inhaltliche Maßnahmen im Programm zu ergreifen, da verstärkt Gewinnspiele zum Einsatz kommen. Und auch wenn es wie beim Pay-Radio weder Werbung noch Gewinnspiele geben muss, da die Finanzierung über Hörerentgelte erfolgt, hat dies Auswirkungen aufs Programm: Es muss quantitativ mehr Inhalt produziert werden – und sei es nur, dass insgesamt mehr Musik gespielt wird. Radio, und somit auch das vorherrschende Formatradio, sind also in mehrfacher Hinsicht direkt von ihrer Finanzierungsform abhängig. Und im Moment geht ohne Werbung zumindest bei privat-rechtlich organisierten Sendern gar nichts. Literatur Bruhn, M. (1995). Marketing: Grundlagen für Studium und Praxis. Wiesbaden: Gabler. Goldhammer, K. (1995). Formatradio in Deutschland. Konzepte, Techniken und Hintergründe der Programmgestaltung von Hörfunkstationen. Berlin: Spiess. Haas, M. H., Frigge, U. & Zimmer, G. (1991). Radio-Management. Ein Handbuch für Radio-Journalisten. München: Ölschläger. Köcher, A. (2000). Medienmanagement als Kostenmanagement und Controlling. In M. Karmasin & C. Winter (Hrsg.), Grundlagen des Medienmanagements (S. 219-243). München: Fink. OVK (2007). OVK Online-Report 2007/01. Zahlen und Trends im Überblick. Düsseldorf: Online-Vermarkterkreis im BVDW.
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Lars Peters
Peters, L. (2007). Formatwechsel privater Hörfunkanbieter. Strategien zur optimalen Ausschöpfung des Werbemarktes. In W. Möhring, W. J. Schütz & D. Stürzebecher (Hrsg.), Journalistik und Kommunikationsforschung. Festschrift für Beate Schneider (S. 47-60). Berlin: Vistas. Prüfig, K. (1993). Formatradio – ein Erfolgskonzept? Ursprung und Umsetzung am Beispiel Radio FFH. Berlin: Vistas. Zentralverband der Werbewirtschaft (2001). Werbung in Deutschland 2001. Berlin: edition ZAW. Zentralverband der Werbewirtschaft (2006). Werbung in Deutschland 2006. Berlin: edition ZAW.
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Rechtlicher Rahmen, Lizenzierung und Regulierung von Radioprogrammen
Wolfgang Schulz & Stephan Dreyer
In Anbetracht ihres ihnen zugedachten Einflusses auf den Prozess der öffentlichen und privaten Meinungsbildung werden den Rundfunkveranstaltern und ihren Mitarbeitern nicht nur spezielle Rechte zuteil, sondern Sie unterliegen auch Pflichten und Beschränkungen. Dieses Kapitel soll die rechtliche Ausgestaltung des deutschen Rundfunksystems und damit auch die Lizensierung und Regulierung von Radioprogrammen überblicksartig darstellen. 1
Quellen des Rundfunkrechts
Ein Blick auf die Rechtsgrundlagen, die für Radiomacher relevant sind, zeugt von der Komplexität dieses Regulierungsbereiches: Aufgrund wichtiger Vorgaben durch die Europäische Union einerseits, und dem durch den Föderalismus bedingten Auseinanderfallen der Gesetzgebungszuständigkeiten an Bund und Länder andererseits, sind viele verschiedene Richtlinien, Gesetze und untergesetzliche Vorgaben (wie z.B. Satzungen) für Radioveranstalter relevant. 1.1 Allgemeine Regelungen Zunächst gelten für Rundfunkunternehmen und ihre Mitarbeiter – wie für alle anderen Marktteilnehmer und Individuen – die allgemeinen Rechtsvorschriften, die nicht rundfunkspezifischer Natur sind. Auf europäischer Ebene finden die Vorgaben des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) Anwendung, die unter anderem bestimmte Grundfreiheiten innerhalb der Staatsgrenzen der Mitgliedstaaten vorsehen. So statuiert der EGV etwa einen freien Warenverkehr, Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit – der EuGH versteht Rundfunkangebote als Dienstleistungen im europarechtlichen Sinne. Die EU interpretiert ihre Kompetenz zur Herstellung eines gemeinsamen Binnenmarktes weit und erlässt daher auch in Bereichen Richtlinien, die Einfluss auf Rundfunkinhalte haben. Eine
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Wolfgang Schulz & Stephan Dreyer
Grenze dieser Kompetenz sieht der EGV allerdings für den Bereich der Kultur vor: Art. 151 EGV erlaubt nur Förderungen, wahrt aber die „Kulturhoheit“ der einzelnen Mitgliedstaaten. Über den räumlichen Bereich der EU hinaus gehen die Vorgaben der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte (EMRK): Alle Staaten, die dieser Konvention beigetreten sind, verpflichten sich zur Einhaltung der darin aufgenommenen Menschenrechte und Grundfreiheiten. Für den Bereich der Medien ist insbesondere die Festschreibung der Meinungsäußerungsfreiheit sowie die Freiheit, „Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben“ in Art. 10 EMRK relevant, wobei der zweite Absatz auch auf dieser Ebene nicht nur die Veranstalterrechte verdeutlicht, sondern mögliche Auflagen und Pflichten ausdrücklich zulässt. Verlässt man den europäischen Rechtsrahmen und blickt auf Deutschland, so fällt zunächst ins Auge, dass die deutsche Verfassung – das Grundgesetz (GG) – Gesetzgeber auf unterschiedlichen Ebenen kennt: Grundsätzlich sollen dabei die einzelnen Bundesländer die Gesetzgebungshoheit besitzen, nur für bestimmte Bereiche statuiert das GG Bundeskompetenzen zum Erlass von Gesetzen. So ist der Bund – im Hinblick auf den Rundfunk – für das Erlassen von Gesetzen in den Bereichen z.B. der Wirtschaft und der Telekommunikation befugt, während die Länder wiederum für die Kultur zuständig sind. Dies führt in der Praxis dazu, dass sich relevante gesetzliche Vorgaben für Rundfunkveranstalter sowohl in Bundesgesetzen wie in den jeweiligen Bundesländern geltenden Landesgesetzen finden. Um trotz der Landesgesetzgebung einen bundesweit einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen, schließen teilweise alle Länder gemeinsame Staatsverträge ab, deren Inhalt dann durch die Ratifizierung in den Landesparlamenten für alle Bundesländer gleich gilt (vgl. Abschnitt 1.2.3). Auch auf nationaler Ebene gelten die allgemeinen Gesetze für Rundfunkunternehmen und deren Mitarbeiter. Vorgaben, die zu berücksichtigen sind, stammen dabei aus den Bereichen des Strafrechts (Strafgesetzbuch, StGB) sowie des Zivil- und Ordnungsrechts (Bürgerliches Gesetzbuch, BGB; Wettbewerbsrecht: Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG; Urheberrechtsgesetz, UrhG; Bildnisschutzrecht: Kunsturheberrechtsgesetz, KUG; Kartellrecht: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, GWB; Datenschutz: Bundesdatenschutzgesetz, BDSG; Telekommunikationsgesetz, TKG; Online-Recht: Telemediengesetz, TMG).
Rechtlicher Rahmen, Lizensierung und Regulierung
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1.2 Rundfunkspezifische Regelungen Neben den eben genannten allgemeinen Vorgaben bestehen eine Vielzahl von europäischen und nationalen Rechtsvorschriften speziell für den Bereich der (Massen-)Kommunikation und den Rundfunk. 1.2.1
Europarechtliche Vorgaben
Für Radioveranstalter existieren keine speziellen EU-Rechtsvorschriften. Auf europäischer Ebene sieht die Fernsehrichtlinie56 Vorgaben für Rundfunkveranstalter vor, etwa für die Bereiche des jeweils anwendbaren nationalen Rechtsrahmens, der Kurzberichterstattung, der Werbevorschriften, der zulässigen Sendeinhalte und der Produktionsquoten. Wie der Name sagt, gilt die Richtlinie für Fernsehdienste, Radioangebote sind von den Vorgaben, die die einzelnen Mitgliedstaaten vor der Geltung noch in nationales Recht umzusetzen haben, nicht umfasst. Auch die Anfang 2007 politisch verabschiedete Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf europäische „audiovisuelle Mediendienste“ umfasst reine Tonangebote ohne Bilder nicht. Gleiches gilt für das Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen des Europarats. Die im Jahr 2000 von der EU beschlossene E-Commerce-Richtlinie, die Vorgaben zu dem jeweils anwendbaren nationalen Recht, zu Haftungsfragen und zur Kennzeichnung von werblichen Inhalten macht, soll nur auf Dienste angewendet werden, die auf individuellen Abruf hin verfügbar gemacht werden, und gilt insoweit nicht für Radiodienste. Da Radio auf technische Dienstleister angewiesen ist, die den Transport der Rundfunksignale über Satellit, Kabel oder terrestrische Signale hin zum Empfänger organisieren, können Richtlinien der EU zum Bereich der Telekommunikation zumindest mittelbar relevant für den Rundfunk sein. Hier hat die EU ein ganzes Richtlinienpaket57 geschnürt, von denen einzelne Vorgaben Einfluss auf den rundfunkrechtlichen Rahmen haben können. 56 Auch: „Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen“; Richtlinie 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, angepasst zuletzt am 30.07.1997 durch Richtlinie 97/36/EG. 57 Datenschutzrichtlinie (Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation); Universaldienstrichtlinie (Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten); Rahmenrichtlinie (Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste; Genehmigungsrichtlinie (Richtlinie 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die
88 1.2.2
Wolfgang Schulz & Stephan Dreyer Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen
Neben den oben erwähnten Regelungen der verfassungsrechtlichen Gesetzgebungszuständigkeit von Bund und Ländern enthält das Grundgesetz die verfassungsrechtlich gewährten Grundrechte. Für den Rundfunk sind insbesondere die Freiheitsverbürgungen in Art. 5 Abs. 1 relevant, wobei Satz 1 die Meinungs- und Informationsfreiheit, Satz 2 die Freiheit der Kommunikation durch Massenmedien (Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit) und Satz 3 schließlich ein absolutes Zensurverbot festschreibt. Die relativ offene Formulierung der Verfassung bedarf der rechtswissenschaftlichen Auslegung und Interpretation. In der Praxis geschieht dies durch zahlreiche Urteile und Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts, die die Rechtssetzung und Rechtssprechung in diesem Bereich prägen. Das Gericht macht die verschiedenen Schutzdimensionen von Art. 5 Abs. 1 immer wieder deutlich: Zum einen weisen die Kommunikationsfreiheiten (wie alle anderen Grundrechte auch) einen abwehrrechtlichen Gehalt auf, d.h. staatliche Eingriffe – etwa Durchsuchungen in Redaktionen – in einem grundrechtlich geschützten Bereich sind nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Daneben müssen, sollten durch die Ausübung des Grundrechts die Grundrechte Dritter verletzt werden (etwa Persönlichkeitsrechte im Falle von Rundfunkberichterstattung), die verschiedenen in diesen Fällen kollidierenden Grundrechte in Ausgleich gebracht werden. Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht schon früh postuliert, dass die in Art. 5 Abs. 1 S. 2 erwähnte Rundfunkfreiheit neben der abwehrrechtlichen Komponente einen Gewährleistungsauftrag an den Staat enthält, der als Vorraussetzung für die Rundfunkbetätigung eine Ausgestaltung durch den Gesetzgeber vorsieht.58 In dieser Interpretation hat der Gesetzgeber eine nationale Rundfunkordnung zu schaffen, die sich am Ziel einer freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung orientiert. Diese „positive Ordnung“ soll materielle, verfahrensmäßige und organisatorische Voraussetzungen der Funktionsfähigkeit des Rundfunks sicherstellen. Dienen rechtliche Regelungen also ausschließlich diesen Ausgestaltungszwecken, stellen derartige gesetzliche Vorschriften keine Eingriffe in das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG dar, sondern sind vielmehr dem in Art. 5 Abs. 1 GG zum Ausdruck kommenden Gewährleistungsbzw. Ausgestaltungsauftrag geschuldet. Nicht vom Ausgestaltungsauftrag umfasste Regelungen, die in das Grundrecht eingreifen – Abgrenzungen können im Einzelnen schwierig sein – müssen allerdings verfassungsrechtlich gerechtfertigt Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste); Zugangsrichtlinie (Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung). 58 BVerfGE 73, 118 (166); 74, 297 (334)
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sein, etwa durch die in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Gründe (z.B. Jugendschutz oder Ehrschutz) oder aber durch verfassungsimmanente Schranken, wie etwa die grundrechtlichen Freiheiten Dritter. 1.2.3
Einfaches Bundesrecht
Unterhalb der Verfassung stehen die einfachen Gesetze des Bundes und der Länder. Soweit den Ländern eine Gesetzgebungskompetenz zufällt, haben diese von Staatsverträgen Gebrauch gemacht, um im Hinblick auf bundesweiten Rundfunk und Telemedien einen einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen (vgl. Abschnitt 1.1). Der in der Rundfunkpraxis relevante Rundfunkstaatsvertrag gilt für die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunk in Deutschland – also Hörfunk und Fernsehen – unabhängig davon, über welche Plattform (Kabel, Satellit, Terrestrik, Online) und mit Hilfe welcher Technik (analog/digital) das Angebot im Einzelnen verbreitet wird. Der Rundfunkstaatsvertrag statuiert ein duales Rundfunksystem, in dem private Anbieter neben gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Rundfunk veranstalten dürfen (§ 1 Abs. 1 RStV). Soweit der Rundfunkstaatsvertrag keine anderweitigen Regelungen enthält, ist jedoch das Landesrundfunkrecht desjenigen Bundeslandes anwendbar, in dem der Veranstalter eine Zulassung beantragt hat (vgl. Abschnitt 1.2.4). Die Landesrundfunkgesetze verweisen in konkreten Teilen jedoch immer wieder auf die Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrages, wodurch dessen große praktische Relevanz auch für landesweiten Rundfunk deutlich wird. Neben dem Rundfunkstaatsvertrag haben die Länder teilweise alle gemeinsam (ZDF-StV), teilweise in Ländergruppen (NDR-StV, WDR-StV, HR-StV usw.) Staatsverträge geschlossen oder einzelne Gesetze erlassen, die die gesetzliche Grundlage für die Einrichtung und Betätigung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bilden. Für Telemedien, also alle elektronischen Informations- und Kommunikationsdienste (wie z.B. Internetseiten, Newsletter etc.), gilt das Telemediengesetz des Bundes, das gegenüber den recht rigiden Anforderungen an den Rundfunk eine abgestufte Regulierung, z.B. in Bezug auf den Marktzutritt (Zulassungsund Anmeldefreiheit) und die Inhalte (keine quantitativen Werberegelungen, keine Produktionsquoten) vorsieht, und Teile des RStV. Schwierig gestaltet sich in der Praxis teilweise die Abgrenzung zwischen Rundfunk und Telemedien, etwa bei Internet-Radios oder Near-Video-on-Demand-Angeboten. Für solche Fälle sieht § 20 RStV vor, dass der Anbieter des Dienstes einer Zulassung bedarf, „wenn und soweit“ sein Angebot dem Rundfunk zuzuordnen ist. In Zwei-
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felsfällen kann der Anbieter eine rundfunkrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung bei der für ihn zuständigen Landesmedienanstalt beantragen. Auch wenn es bereits zugelassene Internetradios gibt, gehen die zuständigen Landesmedienanstalten derzeit noch nicht gegen Anbieter solcher Radios vor, die keine Zulassung haben; dies kann sich aber ändern, wenn klar ist, dass dieser Empfangsweg eine echte Alternative zu traditionellem Rundfunk darstellt. Hinzuweisen sei noch auf den Jugendmedienschutzstaatsvertrag, in dem die Länder sich auf jugendschutzrechtliche Vorgaben für Rundfunk und Telemedien geeinigt haben (vgl. dazu unten Abschnitt 4.1.2). 1.2.4.
Landesrecht
Für landesweite Rundfunkprogramme gelten die Vorschriften des im jeweiligen Sitzland anwendbaren rundfunkspezifischen Landesrechts. Diese von dem jeweiligen Landesparlament beschlossenen Landesmedien- oder Landesrundfunkgesetze enthalten die in der Praxis für den privaten Rundfunk im jeweiligen Bundesland wichtigsten Vorschriften: Neben inhaltlichen Anforderungen an das Rundfunkprogramm finden sich hier Regelungen zur Zulassung von Rundfunkanbietern, zur Zuweisung von Frequenzen und zu Organisation und Instrumenten der Aufsicht über die Rundfunkanbieter durch die jeweilige Landesmedienanstalt (vgl. im Einzelnen unten Abschnitt 2.1). 1.2.5.
Untergesetzliche Vorschriften
Unterhalb der durch die Parlamente beschlossenen Gesetze bestehen für die Landesmedienanstalten – und auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – teilweise Ermächtigungen, Satzungen und Richtlinien für bestimmte Einzelbereiche zu erlassen, etwa im Hinblick auf Jugendschutz im digitalen Fernsehen oder Kabelbelegungsregelungen. 2
Medienzulassung und Medienorganisation
2.1 Marktzutrittsregulierung Während Telemedien zulassungs- und anmeldefrei sind, sehen die Gesetzgeber im Bereich des Rundfunks eine ausgefeilte Marktzutrittsregulierung vor. Vorschriften zur Zulassung und Frequenzzuweisung sind dem oben dargestellten
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verfassungsrechtlichen Ausgestaltungsauftrag geschuldet, um eine funktionierende Rundfunkordnung zu gewährleisten und Gefahren für die kommunikative Chancengleichheit (z.B. vorherrschende Meinungsmacht) auszuschließen. 2.1.1
Verbot mit Zulassungsvorbehalt (private Rundfunkveranstalter)
In der Regel sehen die Landesrundfunkgesetze einen zweistufigen Marktzutritt vor („Führerscheinmodell“): Zur Veranstaltung von Rundfunk bedarf der Anbieter zunächst einer Zulassung durch die zuständige Landesmedienanstalt. Als Inhaber dieser Zulassung darf er Rundfunkangebote produzieren und dem Rezipienten anbieten, etwa über seine Homepage oder über Satellit. Regelmäßig ist der Veranstalter – jedenfalls derzeit bei traditionellem Hörfunk – darüber hinaus aber darauf angewiesen, eine Frequenz zugewiesen zu bekommen, auf der er sein Programm verbreiten kann. Auf dieser zweiten Stufe erfolgt nach Ausschreibung von Übertragungskapazitäten insofern ein gesetzlich detailliert ausgestaltetes Zuweisungsverfahren, in dem die Frequenz einem bestimmten Anbieter für die Nutzung im Rahmen seiner Angebote zugewiesen wird (vgl. unten Abschnitt 2.2). Im ersten Schritt, der rundfunkrechtlichen Zulassung eines Anbieters, stellt das Rundfunkunternehmen einen Zulassungsantrag bei der für ihn zuständigen Landesmedienanstalt. Die Landesrundfunkgesetze sehen für die Zulassung bestimmte Zulassungsvoraussetzungen und -beschränkungen vor. Zu den Zulassungsvoraussetzungen gehören regelmäßig, dass der Antragsteller gerichtlich verfolgt werden kann, er seinen Hauptwohnsitz innerhalb der EU hat und die wirtschaftliche und finanzielle Gewähr für den tatsächlichen Start und die Aufrechterhaltung des Programms gibt. Auch dürfen keine Tatsachen Anlass zu Bedenken geben, dass der Antragsteller der verantwortlichen Erfüllung seiner Veranstalteraufgaben nicht nachkommen könnte. Auf dieser Stufe findet insofern die verfassungsrechtlich geforderte Vorabkontrolle der erwartbaren inhaltlichen Ausgewogenheit, Sachlichkeit und gegenseitigen Achtung des geplanten Programms statt. Wer aus organisatorischen oder wirtschaftlichen Gründen eine Erfüllung der rundfunkrechtlichen Aufgaben nicht erwarten lässt, kann daher nicht zugelassen werden. Ausgeschlossen von einer Zulassung sind im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geforderte Staatsfreiheit des Rundfunks auch öffentliche Unternehmen, Mitglieder der Legislative, Exekutive oder Judikative sowie politische Parteien oder von diesen „abhängige“ Unternehmen. Zulassungsbeschränkungen ergeben sich aus Vorschriften zur Verhinderung von vorherrschender Meinungsmacht (sog. negative Vielfaltssicherung). Darunter fallen ebenso Vorschriften, die einem Veranstalter eine Höchstzahl an eige-
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nen Programmen oder ein Höchstmaß an Programmbeteiligungen auferlegen, wie Regelungen, die übermäßiges „Einkaufen“ in Rundfunkanbieter durch Unternehmen verbieten, die eine marktbeherrschende Stellung auf einem rundfunkrelevanten verwandten Markt haben (z.B. marktbeherrschende Presseunternehmen). Anders als bei bundesweitem Fernsehen unterscheiden sich die Regelungen beim Hörfunk. Teilweise setzen die Landesrundfunkgesetze dabei auf die Beschränkung der Mehrfachveranstaltung, teilweise auf ein Zuschauermarktanteilsmodell, bei dem ein Veranstalter mit allen Programmen, an denen er beteiligt ist, nur bis zu einer gewissen Grenze Marktanteile halten darf. Erfüllt der Antragsteller alle persönlichen Zulassungsvoraussetzungen und verstößt eine Zulassung nicht gegen etwaige Zulassungsbeschränkungen, erhält der beantragende Rundfunkanbieter die Zulassung durch die zuständige Landesmedienanstalt. Tritt nach der Zulassung ein Umstand ein, nach dem im Voraus betrachtet eine Zulassung nicht möglich gewesen wäre, so kann die Zulassung durch die Landesmedienanstalt entzogen werden. Neben den normalen Zulassungsverfahren sehen die meisten Landesrundfunkgesetze vereinfachte Zulassungsverfahren für Modellversuche und Angebote mit einer nur geringen Empfängerzahl (z.B. hotelbezogene Angebote) vor. 2.1.2
Zulassung und Organisation durch Gesetz
Neben den privaten Rundfunkunternehmen, die durch einen Zulassungsantrag den Zutritt in den Rundfunkmarkt suchen, werden andere Veranstalter durch Gesetz errichtet. Dies gilt für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (s. oben) und für die nach Landesrecht teilweise vorgesehenen Offenen Kanäle oder Bürgerkanäle. In diesen Fällen sieht eine gesetzliche Norm die Einrichtung einer Rundfunkveranstalters vor, statuiert dessen Programmauftrag und bestimmt die Finanzierung. 2.1.3
Zulassungsfreiheit mit Anzeige- oder Untersagungsvorbehalt
Neben der Zulassung durch Gesetz oder durch Zulassungsentscheidung kennt der RStV für Annexdienste digitalen Rundfunks (z.B. elektronische Programmnavigatoren in Set-Top-Boxen) gem. § 53 RStV eine Anzeigepflicht mit dem Vorbehalt, dass die Landesmedienanstalt den Dienst z.B. bei diskriminierenden Zugangsabsprachen untersagen kann.
Rechtlicher Rahmen, Lizensierung und Regulierung
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2.2. Regulierung von technischen Übertragungswegen Da die Inhalteanbieter, also die Rundfunkveranstalter, auf technische Übertragungsplattformen angewiesen sind, um ihr Sendesignal auf den Weg in Richtung des Rezipienten zu bringen, hat die technische und organisatorische Ausgestaltung dieser Services unmittelbaren Einfluss auf die Verbreitungsmöglichkeiten der Rundfunkanbieter. Die Regulierung der Übertragungsplattformen, auf denen Rundfunksignale verbreitet werden, ist insoweit ebenfalls rundfunkrechtlich determiniert. Durch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Bereich der Telekommunikation sind in diesem Bereich Telekommunikations- und Rundfunkrecht eng miteinander verschränkt und Kooperationspflichten zwischen Bund und Ländern unabkömmlich. Im Bereich der terrestrischen Rundfunkübertragung – also analoge und digitale Programme, die über die Antenne zu empfangen sind – wird zunächst geprüft, ob auf den Frequenzbändern, die für Rundfunkdienste vorgesehen sind, noch Kapazitäten frei sind oder neue Kapazitäten frei werden. Ist dies der Fall, so erfolgt die Frequenzzuordnung zu einer der beiden Säulen des Rundfunksystems – private Veranstalter oder öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Dies geschieht meist durch Klärung zwischen Landesmedienanstalt und öffentlichrechtlichen Anstalten, kann im Streitfall aber durch die Landesregierung oder staatsferne Schlichtungsinstanzen festgelegt werden. Sind neue Übertragungskapazitäten dem Bereich des privaten Rundfunks zugeordnet worden, so kommt es im nächsten Schritt zu einem Frequenzzuweisungsverfahren, in dessen Verlauf ein privater Rundfunkveranstalter (bei digitaler Terrestrik nachgeordnet, aber möglich: ein privater Telemedienanbieter, z.B. Teleshoppingsender über DVB-T) die Frequenz zugewiesen bekommt. Das Zuweisungsverfahren ist gegenüber der Zulassung eines Fernseh- oder Hörfunkveranstalters (vgl. Abschnitt 2.1) ein eigenständiges Verwaltungsverfahren. Da insbesondere für private Hörfunkveranstalter die terrestrische Übertragung den entscheidenden Weg zum Rezipienten darstellt, wird mit der Zuweisung faktisch eine Marktzutrittsentscheidung gefällt. In der Konsequenz knüpfen die Landesrundfunkgesetze auch an die Zuweisungsentscheidung Regelungen zur Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht (vgl. schon Abschnitt 2.1.1) und positive Vielfaltssicherungsanforderungen. Herrscht Kapazitätsknappheit und sind mehrere Bewerber zulassungsfähig, so hat die Landesmedienanstalt eine Auswahl vorzunehmen, die sich nach gesetzlich vorgegebenen Maßstäben richtet. Regelmäßig soll danach derjenige Bewerber ausgewählt werden, der den weitestgehenden Beitrag zur Förderung der Programmvielfalt leistet; der Begriff der Programmvielfalt verweist dabei auf unterschiedliche Vielfaltsdimensionen, also nicht nur die Meinungsvielfalt, son-
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dern auch die gegenständliche, die Genre-Vielfalt und andere Dimensionen (Hoffmann-Riem, 1994, Rn. 60 f.). Der Anstalt steht dabei ein Beurteilungsspielraum zu, der von Gerichten nur eingeschränkt überprüfbar ist (zum Beurteilungsspielraum von Landesmedienanstalten vgl. Bumke, 2002, Rn. 50 f., m. w. N.). Seit 2006 wird über die Frequenznutzung für Handy-Rundfunk (DVB-H und DMB) diskutiert, was neue Möglichkeiten für Musikformate, neue „Player“ aber auch neue Rechtsfragen hervorruft. Auch die Zuweisung kann bei nachträglichem Eintreten eines Umstandes, der die Zuweisung unterbunden hätte (etwa die Umstellung des Programmformats), zurückgenommen werden. Anders als für das Radio ist das Breitbandkabel der in Deutschland wichtigste Übertragungsweg für Fernsehprogramme – knapp 52 % der deutschen Haushalte empfangen Fernsehen über diesen Verbreitungsweg. Dennoch spielt das Kabelnetz auch für Radioprogramme eine nicht zu unterschätzende Rolle. So werden etwa Regionalprogramme über das Kabelnetz bundesweit verfügbar gemacht. Für derartige Rundfunkprogramme gilt, dass die unveränderte Weiterverbreitung ohne Zulassung in allen Bundesländern möglich ist – der Veranstalter muss nur in einem der Bundesländer (oder in einem EU-Mitgliedstaat) rechtmäßig zugelassen sein. Dennoch gilt für die Veranstalter der weiterverbreiteten Programme eine Anzeigepflicht gegenüber den jeweiligen Landesmedienanstalten. Gerade vor dem Hintergrund der weiterverbreiteten Rundfunkprogramme wird deutlich, dass auch das Kabel noch eine „knappe Ressource“ ist, so dass eine Auswahl stattfinden muss, die sich – wiederum gesetzlich vorgegeben – an einem chancengleichen, an dem Ziel freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung orientierten Zugang von Rundfunkveranstaltern zum Kabel orientiert. Die Maßstäbe, die für Kabelbelegungsentscheidungen vorgeschrieben sind, sind denen der Auswahl bei den Frequenzvergabeverfahren (s. oben) ähnlich – etwa der Beitrag eines Programms zur Förderung der Programmvielfalt im Gesamtangebot der Kabelanlage. Während es im Bereich des analogen Kabels verschiedene, jeweils landesspezifische Modelle gibt, dienen in digitalisierten Kabelanlagen gesetzlich vorgegebene „Körbe“ der Konkretisierung der Belegungsentscheidung, die bei der Belegung bedient werden müssen, darunter auch fremdsprachige europäische Voll- und Spartenprogramme. Die über das gesetzlich bestimmte Kontingent („Must-Carry“) hinaus verfügbaren Kanäle kann der Netzbetreiber unter Beachtung der allgemeinen Gesetze in der Regel selbst belegen. Bei der digitalen Verbreitung von Rundfunkprogrammen gewinnen Zusatzdienste an Bedeutung, etwa – wenn es sich um Bezahlangebote handelt – die
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Verschlüsselungssysteme (Conditional-Access-Systeme), die die Verschlüsselung und Freischaltung der Programme ermöglichen, sowie Programmnavigatoren, die die Erschließung des großen Programmangebots erleichtern. Hier besteht Diskriminierungspotential, das durch Vorschriften im Telekommunikationsrecht (§§ 48 ff. TKG; vgl. dazu Frevert, 2005, S. 23 ff.; König, 2005, S. 289 ff.) sowie durch § 53 RStV minimiert werden soll (zum Konzept des § 53 RStV s. Schulz, 2002, Rn. 1 ff.). Auch die Rundfunkübertragung über Satellit spielt im Hinblick auf die Empfängerausstattung eine große Rolle in Deutschland. Der RStV sieht zwar Einzelvorschriften für die Verbreitung über Satellit vor, da aber keiner der Satellitenbetreiber seinen Sitz in Deutschland hat, haben etwaige Vorschriften eine nur geringe praktische Relevanz. Neben den traditionellen Übertragungswegen treten zunehmend IP-basierte Verbreitungswege in den Vordergrund der Vermarktungsstrategien von Hörfunksendern, z.B. in Form von über das Internet abrufbaren Live-Streams. Inwiefern die Kabelvorschriften (s. oben) auf diese Übertragungsnetze anwendbar sind, ist in der Rechtswissenschaft umstritten. Verfassungsrechtlich müssen sich aber auch diese Plattformen an dem Vielfaltsgebot des Grundgesetzes messen lassen. Mit Inkrafttreten des 10. RÄStV im September 2008 werden die rechtlichen Anforderungen im Hinblick auf alle Übertragungsplattformen (also auch IPTV-Plattformen) angeglichen. 3
Medienprivilegien
Um ihrer Funktion im Prozess einer freien individuellen und öffentlichem Meinungsbildung willen (vgl. oben zu Art. 5 Abs. 1 GG) werden den Massenmedien und ihren Mitarbeitern (und somit auch Radiosendern und ihren Mitarbeitern) in bestimmten Bereichen gewisse Sonderrechte zugestanden, die die Erfüllung dieser Funktion erleichtern oder absichern sollen. 3.1 Auskunfts- und Informationsrechte Um ihre Funktion als Medium und Faktor im Meinungsbildungsprozess wahrnehmen zu können, benötigen Massenmedien gesetzlich bestimmte Auskunftsrechte, die dem Einzelnen aus verwaltungsökonomischen Gründen nicht in diesem Umfang zustehen.59 Für den Rundfunk ist dies in § 9 a RStV geregelt, dane59
BVerwGE 70, 310 (311 f.)
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ben statuieren Landespressegesetze und Landesrundfunkgesetze für Presse und Rundfunk einschließlich deren Hilfsunternehmen Auskunfts- bzw. Informationsrechte. Das Auskunftsrecht besteht nur gegenüber Behörden, also nicht gegenüber Privaten oder Unternehmen, die nur im Ausnahmefall nach allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften auf Auskunft in Anspruch genommen werden können.60 Schwierigkeiten können im Einzelfall dann auftreten, wenn eine Gemeinde hoheitliche Stellen privatisiert (z.B. Abfallverwertung) und an privatrechtlich organisierte Organisationen überträgt. Hier ist mit Blick auf den Umstand, dass die Vorschrift der Sicherung der Funktionsfähigkeit der Medien gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG dient, zumindest von einer Behörde auszugehen, wenn eine Grundrechtsbindung der Organisation gegeben ist (zum Umfang der Grundrechtsbindung vgl. Höfling, 2003, Rn. 72 ff.).61 Auskunftsrechtsberechtigte sind nicht nur Festangestellte von Medienunternehmen, sondern alle Mitarbeiter der Medien, die ihrer Funktion nach an der Beschaffung, Verarbeitung und Verbreitung von Nachrichten sowie der geistigen Einflussnahme auf die Meinungsbildung mitwirken, d.h. etwa auch freie Mitarbeiter, sofern diese im Zweifelsfall ein Legitimationsschreiben vorlegen können. Begrenzt wird der Auskunftsanspruch regelmäßig bei schwebenden Verfahren oder in Fällen, in denen eine Geheimhaltungsvorschrift oder aber persönliche Schutzrechte (Datenschutz, Persönlichkeitsschutz) Dritter entgegenstehen. Der Anspruch umfasst ausschließlich Tatsachen, keine Wertungen oder Stellungnahmen. Die begehrten Auskünfte sind dem Anspruchsteller in einer sachgerechten Form zu übermitteln und in der Regel kostenlos zu erbringen, wobei Gebühren für Abschriften, Material etc. möglich sind. 3.2 Zeugnisverweigerungsrechte, Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschränkungen Massenmedien sind für die Erfüllung ihrer Funktion auch auf vertrauliche oder interne Insider-Informationen angewiesen. Um dem Informanten Anonymität zusichern zu können und das Vertrauensverhältnis zwischen Informant und Journalist zu schützen, sieht § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht für Medienschaffende vor. 62 Ist der Medienmitarbeiter in einem (strafrechtlichen) Prozess als Zeuge geladen, kann er dort seine Aussage verweigern. Eine 60
vgl. auch LG Frankfurt, AfP 1989, 572. Zum Auskunftsanspruch, der nicht gegenüber Behörden geltend gemacht werden kann, vgl. den Theaterkritiker-Fall in RGZ 133, 38. vgl. zum Begriff der „Behörde“ BVerfGE 10, 20 (48) 62 BVerfGE 20, 162 (176); 77, 65 (80) 61
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Grenze erfährt das Zeugnisverweigerungsrecht, wenn es bei dem Prozess um besonders schwerwiegende Straftaten geht (zur Konzeption des novellierten § 53 StPO vgl. im Überblick Meyer-Goßner, 2004, § 53 Rn. 25 ff.). Flankiert wird das Recht der Zeugnisverweigerung von Beschlagnahmeund Durchsuchungsverboten im Hinblick auf Material von Personen und Redaktionen, soweit deren Zeugnisverweigerungsrecht reicht (§§ 97 Abs. 1 Nr. 5, 98 StPO). Grenze ist dabei allerdings die Strafverstrickung der betroffenen Medienmitarbeiter (§ 97 Abs. 5 S. 2 StPO), soweit der dadurch ermöglichte Eingriff in die Pressefreiheit verhältnismäßig bleibt. 3.3 Datenschutzprivileg Medien können ihre öffentliche Aufgabe nicht optimal erfüllen, wenn sie nicht über besondere Möglichkeiten verfügen, auch Daten über Personen zu verarbeiten oder zu nutzen, um ggf. Informationen bewerten und vernetzen zu können. Durch eine Vorschrift, die eine Datenerhebung von der Einwilligung durch den Betroffenen abhängig macht – dies ist der Grundsatz im derzeitigen Datenschutzrecht – würde kritischer Journalismus faktisch unmöglich gemacht. Das Datenschutzprivileg gewährt Medien daher eine weitgehende Ausnahme von Vorschriften des Datenschutzes.63 Auf Ebene der Selbstkontrolle wird der redaktionelle Datenschutz durch entsprechende Vorschriften des Presserates flankiert. Im Gegenzug zu dieser Privilegierung hat derjenige, dessen Daten gespeichert werden, bei Vorliegen schutzwürdiger Interessen einen Anspruch auf Auskunft und Berichtigung, allerdings erst nach der Berichterstattung.64 3.4 Kurzberichterstattung Die Einräumung von Exklusivrechten kann der Informationsfunktion der Medien entgegenstehen. Aus diesem Grund erhalten Rundfunkveranstalter durch § 5 RStV ein Recht auf Kurzberichterstattungen über Veranstaltungen und Ereignisse, die öffentlich zugänglich und von allgemeinem Informationsinteresse sind. Zudem existiert mit § 5 a RStV eine Regelung, die sicher stellt, dass bestimmte bedeutsame Großereignisse nicht ausschließlich im Pay-TV gezeigt werden dürfen (zum Kurzberichterstattungsrecht s. Michel & Brinkmann, 2002, Rn. 1 ff.; zu den „listed events“ siehe Altes, 2002, Rn. 114 f. In Bezug auf Hörfunkberichter63
siehe § 37 Abs. 3 MedienStV HH SH; § 17 ZDF-StV; § 42 NDR-StV; §§ 47 ff. RStV §§ 42 Abs. 4 NDR-StV; § 17 Abs. 3 ZDF-StV, § 37 Abs. 1 MedienStV HH SH in Verbindung mit § 47 d Abs. 2 RStV 64
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stattung ist es in der Praxis immer wieder zu rechtlichen Auseinandersetzungen darüber gekommen, inwiefern das Kurzberichterstattungsrecht eine Teilnahme von Radiojournalisten vor Ort rechtfertigt. 3.5 Weitere Medienprivilegien Weitere die Medien privilegierende Vorschriften finden sich daneben in einer Vielzahl unterschiedlicher Gesetze: Dazu gehört der privilegierte Zugang zu Stasi-Akten nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz (§§ 34 i. V. m. 32 StUG) ebenso wie Sonderregelungen im Steuerrecht und beim Postvertrieb. Im Urheberrecht gilt im Hinblick auf tagesaktuelle Berichterstattung eine Privilegierung, d.h. die Urheberrechte der Rechteinhaber werden eingeschränkt (vgl. die §§ 48 ff. Urheberrechtsgesetz). Sofern Journalisten tatbestandlich Rechte Dritter verletzen, können sie sich u.U. auf das aus dem Strafrecht abgeleitete Institut der „Wahrnehmung berechtigter Interessen“ berufen (vgl. § 193 StGB). Danach handeln Journalisten nicht rechtswidrig, wenn sie durch die Berichterstattung einem ernsthaften öffentlichen Informationsinteresse nachkommen. Voraussetzung dafür ist die Beachtung der erforderlichen journalistischen Sorgfaltspflichten (vgl. dazu Abschnitt 4.2.1; vgl. Soehring, 2000, Rn. 2.8. ff.).65 4
Medienlasten und -pflichten
Die oben beschriebenen Privilegien erhalten die Medien nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Erfüllung ihrer Funktion. Die Funktion von Medien in einem demokratischen Staat geht insofern einher mit Verantwortung und medienspezifischen Pflichten, die teilweise als konkrete gesetzliche Verpflichtung festgeschrieben sind, teilweise aber auch als rechtliche Grundsatznormen weniger den Einzelnen, sondern vielmehr das Mediensystem in seiner Gänze als Regelungsadressat vorsieht – etwa bei der Formulierung von Vielfaltspflichten und Programmgrundsätzen, die so breit formuliert sind, dass eine Durchsetzung gegenüber einzelnen Anbietern rechtlich kaum möglich ist.66
65 66
vgl. grundsätzlich BVerfGE 34, 269, BGH NJW 1966, 1617 siehe etwa § 31 Abs. 1 LRG NRW
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4.1 Öffentliche Medienverantwortung 4.1.1
Programmgrundsätze, Sorgfaltspflichten, Vielfaltsanforderungen
In Bezug auf das Gesamtprogramm sehen die Landesrundfunkgesetze ähnlich wie § 41 RStV Programmgrundsätze vor: Dazu zählt die Achtung der verfassungsmäßigen Ordnung, der Würde des Menschen sowie der sittlichen, religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen anderer. Die Medien sollen demnach „die Zusammengehörigkeit im vereinten Deutschland sowie die internationale Verständigung fördern und auf ein diskriminierungsfreies Miteinander hinwirken“. Konkreter wird es im Hinblick auf die Wahrheitsfindung und die Beachtung von Sorgfaltspflichten. Für den Rundfunk sehen die Landesrundfunkgesetze und § 10 Abs. 1 S. 2 RStV die Befolgung der anerkannten journalistischen Grundsätze vor. Daneben besteht das Gebot der Unabhängigkeit und Sachlichkeit in Bezug auf die Berichterstattung. Konkretisiert wird dies bei Nachrichtensendungen noch durch das Gebot der Trennung von Nachrichten und Kommentar. Auch die oben beschriebenen Vielfaltssicherungen im Rahmen des Zulassungsverfahrens sind belastende gesetzliche Vorgaben für Medien, die der verfassungsrechtlichen geforderten Verhinderung von vorherrschender Meinungsmacht geschuldet sind. Wenn Rundfunk in seiner Gesamtheit zu Information und Meinungsbildung beitragen soll, müssen gesetzliche Möglichkeiten zur Verhinderung von Meinungsmacht vorgesehen werden. Eine Konzentrationskontrolle sieht der RStV in den §§ 25 ff. vor: Erreicht ein Fernsehsender einen bestimmten Zuschauermarktanteil, so treffen ihn Maßnahmen zur Vielfaltssicherung, z.B. durch die Einräumung von Sendezeiten an unabhängige Dritte oder durch die Einrichtung eines Programmbeirates. Für den Hörfunk gelten die positiv formulierten Vielfaltsanforderungen zwar auch, diese beiden Instrumente der Konzentrationskontrolle sind für den Radiobereich allerdings nicht vorgesehen. Insofern belassen es die Gesetzgeber bei Radio mit einer meinungsmachtbezogenen Kontrolle im Rahmen des Zulassungsverfahrens bzw. bei der Übertragung von Unternehmensanteilen von Lizenzinhabern (vgl. oben Abschnitt 2.2). 4.1.2
Jugendschutz
Eine in der Hörfunkpraxis weniger relevante programminhaltliche Bindung betrifft den Jugendmedienschutz: Um Jugendlichen eine freie Persönlichkeitsentwicklung zu ermöglichen – dies folgt aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG
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(vgl. dazu Schulze-Fielitz, 2004, Rn. 117)67 – hat der Gesetzgeber auch sicherzustellen, dass von Kindern und Jugendlichen mediale Einflüsse fern gehalten werden, die zu erheblichen schwer oder gar nicht korrigierbaren Fehlentwicklungen führen können.68 Im Bereich des Hörfunks findet der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) der Länder Anwendung. Der Staatsvertrag etabliert ein System, in dem die Kontrolle primär Einrichtungen freiwilliger Selbstkontrolle obliegt, die einer vorherigen Anerkennung durch die staatlichen Aufsichtsbehörden bedürfen (§ 19 JMStV), in diesem Bereich also die Landesmedienanstalten, bei länderübergreifenden Angeboten durch eine zentrale Kommission, die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Das auf dem Modell der Koregulierung basierende Konzept des JMStV sieht vor, dass staatliche Aufsichtsmaßnahmen gegenüber einem Anbieter nicht möglich sind, soweit dieser Mitglied einer Organisation der freiwilligen Selbstkontrolle69 ist und das entsprechende Programm dieser Stelle vorab vorgelegt hat. Insofern entfaltet die Mitgliedschaft in der Selbstkontrolle eine „Schutzschildwirkung“ gegenüber Aufsichtsmaßnahmen der Landesmedienanstalten. Die Landesmedienanstalten können in solchen Fällen lediglich prüfen, ob die Selbstkontrolleinrichtung ggf. ihren Beurteilungsspielraum überschritten hat und ihr gegenüber Aufsichtsinstrumente nutzen. Der JMStV unterscheidet zwischen Angeboten, die absolut unzulässig sind („jugendgefährdende Inhalte“; z.B. härtere pornografische Darstellungen, rassistische oder Gewalt verherrlichende Inhalte), und solchen Angeboten, die nur ab einem bestimmten Alter genutzt werden dürfen („entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte“; z.B. Gewaltdarstellungen oder erotische Sendungen). Entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte können angeboten werden, wenn der Anbieter sicherstellt, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe diese Inhalte üblicherweise nicht wahrnehmen. Als Instrumente nennt das Gesetz Sendezeitbeschränkungen (Inhalte für Personen ab 16 Jahren erst nach 22.00 Uhr, Inhalte für Personen ab 18 Jahren erst nach 23.00 Uhr) oder Vorsperrungen, die einen unbeaufsichtigten Zugriff auf nicht altersgerechte Sendungen verhindern sollen. Länderübergreifende Fernsehsender haben zudem einen Jugendschutzbeauftragten zu bestellen, für Radioveranstalter gibt es keine vergleichbare Vorschrift.
67
BVerfGE 79, 51 (63) vgl. BVerfGE 30, 336 (347) Für das Fernsehen ist dies die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen, FSF. Für Radio hat sich eine Selbstkontrolleinrichtung bisher nicht anerkennen lassen.
68 69
Rechtlicher Rahmen, Lizensierung und Regulierung 4.1.3
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Produktionsquoten und Versorgungspflichten
Die EU-Fernsehrichtlinie legt fest, dass die Mitgliedstaaten den ansässigen Fernsehveranstaltern bestimmte Quotenregelungen aufzuerlegen haben, d.h. dass ein wesentlicher Anteil der Sendungen europäischen Werken vorbehalten sein soll (§ 6 RStV). Eine der nicht unumstrittenen Regelung ähnliche Vorgabe an Radiosender gibt es dagegen nicht. Daneben treffen insbesondere die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten weitreichende technische und räumliche Versorgungspflichten (§ 6 Abs. 3 NDRStV), die die Anstalt verpflichten, das gesamte vorgegebene Sendegebiet gleichwertig mit ihren Programmen zu versorgen. Private Veranstalter, die eine terrestrische Übertragungskapazität erhalten, trifft dagegen eine nur auf die Technik verfügbaren technischen Möglichkeiten begrenzte Versorgungspflicht (§ 25 Abs. 5 RStV), die eine effektive Nutzung der immer noch knappen Übertragungswege sicherstellen soll. Die von der Musikwirtschaft propagierte „Quote“ für deutsche oder/und deutschsprachige Musik hat einen Niederschlag in einer Protokollnotiz zum Rundfunkstaatsvertrag gefunden, ist aber keine verbindliche Regelung.70 4.1.4
Besondere Sendezeiten und Verlautbarungen
Abschließend unterliegen Rundfunkveranstalter der Verpflichtung, auf Anfrage Sendezeiten für amtliche Verlautbarungen71 und für Dritte72, etwa im Zeitraum der Wahlvorbereitung oder für religiöse Sendungen, vorzusehen. Im Rahmen der Wahlwerbung ist der Sender zur Gleichbehandlung verpflichtet. Die Zurverfügungstellung von Sendezeit erfolgt regelmäßig gegen eine Erstattung der Selbstkosten.
70
vgl. Protokollerklärung der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein zu § 11 RStV im Anhang des Siebten Rundfunkänderungsstaatsvertrags 71 z.B. § 14 MedienStV HH SH, § 11 NDR-StV, § 10 ZDF-StV 72 § 13 MedienStV HH SH, § 15 NDR-StV, § 11 ZDF-StV, § 42 RStV
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4.2 Ordnungsrecht der Medien 4.2.1
Sicherung der Verantwortlichkeit und Transparenzpflichten
Auch für den Rundfunkbereich gibt es Vorschriften, die ordnungsrechtlichen Charakter haben. Um bei Beschwerden oder Kritik sowie bei ordnungs-, strafund aufsichtsrechtlichen Maßnahmen einen Adressaten auf Seiten des Rundfunkveranstalters zu haben, verpflichten verschiedene gesetzliche Vorgaben die Sender zur Benennung eines Verantwortlichen, der rechtlich unbeschränkt verfolgbar ist und seinen Hauptwohnsitz in der EU hat.73 Verstöße gegen solche Impressumspflichten stellen regelmäßig Ordnungswidrigkeiten dar; zusätzlich kann wettbewerbsrechtlich dagegen vorgegangen werden. Obgleich die Anforderung plausibel erscheint, dass diejenigen, die Transparenz über öffentliche Vorgänge herstellen, selbst transparent agieren sollten, existieren kaum Vorschriften, die dies im Rundfunk sichern, etwa die Anzeige von Änderungen in der Struktur der Unternehmensbeteiligungen gegenüber der Landesmedienanstalt.74 4.2.2
Aufzeichnungs-, Aufbewahrungs- und Ablieferungspflichten
Um der Landesmedienanstalt die Aufsicht zu erleichtern, teils auch zur Beweissicherung in zivilrechtlichen Verfahren, sind die Rundfunksender verpflichtet, ihr Programm aufzuzeichnen und die Mitschnitte für einen bestimmten Zeitraum (regelmäßig 6 Wochen) zu archivieren. Im Falle einer Beanstandung muss die betroffene Sendung der Landesmedienanstalt bzw. dem Einsichtnehmenden dann zugänglich gemacht oder übergeben werden. 4.3 Persönlichkeitsschutz Durch Berichterstattung im Rundfunk können Persönlichkeitsrechte von Betroffenen verletzt sein, die in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG (sog. „Allgemeines Persönlichkeitsrecht“) geschützt sind. Das dadurch entstehende Spannungsverhältnis zwischen dem Persönlichkeitsrecht einerseits und der Rundfunkfreiheit des Veranstalters aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG andererseits wird auf einfachgesetzlicher Ebene durch eine in der Rechtsprechung entwickelte, fein ausdifferen73
§§ 14 Abs. 5, 15 Abs. 4, 29 NDR-StV, § 12 ZDF-StV, §§ 8 Abs. 1-3 MedienStV HH SH, § 7
TMG 74
§ 20 Abs. 2 MedienStV HH SH
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zierte Dogmatik gesteuert, die auf den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen der §§ 823, 826, 1004 BGB beruhen (für den Bildnisschutz § 22, 23 KUG; vgl. zum Presserecht Steffen, 2006, Rn. 55 ff.) und für alle Medien in gleicher Weise gelten. Im Rahmen dieses Kapitels sollen insoweit nur rundfunkspezifische Vorschriften angesprochen werden. 4.3.1
Gegendarstellung
Kommt es zu der Berichterstattung über eine Person – unabhängig von deren Ausgestaltungsart und deren Wahrheitsgehalt – so existiert mit dem Gegendarstellungsanspruch ein spezifisches Instrument der Reaktion für den Betroffenen, das sich in ähnlicher Weise in allen medienspezifischen Gesetzen wiederfindet. Grundgedanke der Gegendarstellung ist das Konzept der kommunikativen „Waffengleichheit“: Der Betroffene selbst hat kaum Möglichkeit, Medienöffentlichkeit für seine Sicht der Dinge herzustellen. Durch die Möglichkeit der Gegendarstellung kann er der Berichterstattung seine eigene Darstellung gegenüber stellen. Aufgrund der Meinungsfreiheit ist eine Gegendarstellung jedoch nur gegen Tatsachenbehauptungen zulässig. Der Betroffene ist auch nur dann anspruchsberechtigt, wenn er individuell, d.h. in seiner eigenen Rechtssphäre, betroffen ist und ein berechtigtes Interesse an der Gegendarstellung hat (vgl. Wenzel, Burkhard & Gamer, 2003, Kap. 11, Rn. 70 ff; Löffler & Ricker, 2005, Kap. 24, Rn. 1 ff.). Die Landesrundfunkgesetze formulieren hohe formale Voraussetzungen an das Verfahren bis zur Gegendarstellung, etwa im Hinblick auf die Inhalte der Gegendarstellung und deren Gestaltung und Platzierung, so dass es in der Praxis vergleichsweise selten zu einer Durchsetzung des Anspruchs kommt. 4.3.2
Datenschutz
Insbesondere auf Übertragungsplattformen, die technisch über einen Rückkanal vom Rezipienten zum Veranstalter verfügen, etwa bei Internet-Radio, bestehen Möglichkeiten, Rückschlüsse auf die Mediennutzung des Hörers wie z.B. Interessen zu ziehen. Dies ist datenschutzrechtlich relevant und fällt nicht unter das datenschutzrechtliche Medienprivileg (s. oben), da hier eine Datenverarbeitung gerade nicht zu journalistisch-redaktionellen Zwecken erfolgt. Für diese Fälle existieren gesetzliche Regelungen zum Datenschutz in den entsprechenden
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Rundfunkgesetzen, die vergleichbar mit den allgemeinen datenschutzrechtlichen Regelungen sind.75 5
Medienfinanzierung
Da die Finanzierung von Rundfunk schlichtweg existenziell für das Bestehen von Veranstaltern ist, sind an staatliche Begrenzungen von Finanzierungsgrundlagen hohe rechtliche Anforderungen zu stellen. Auf der anderen Seite müssen die Gesetzgeber auch den Bereich der Finanzierung in die Ausgestaltung der Rundfunkordnung mit einbeziehen, um eine Rundfunkordnung zu gewährleisten, die gegen spezifische inhaltliche Einflussnahmen, etwa durch finanzielle Versprechen, strukturell gewappnet ist. 5.1 Privatwirtschaftliche Entgelte 5.1.1
Benutzerentgelte
Im Rahmen von Pay-TV sind die Gebühren für das Abonnement eines Senders oder Sendungen, die im Einzelabruf genutzt wurden, die Haupteinnahmequellen. Aufgrund der grundsätzlichen Vertragsautonomie existieren keine speziellen rundfunkrechtlichen Vorgaben an die Sender. Private Rundfunkveranstalter sind insofern frei in der Entscheidung, ob sie ihr Programm als Pay-TV anbieten wollen – und zu welchen Konditionen. Für den Radiobereich sind Benutzerentgelte jedoch die absolute Ausnahme. 5.1.2
Werbeerlöse
Für die privaten Rundfunkveranstalter sind die Werbeerlöse mit Abstand die wichtigste Finanzierungsquelle, auch für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stellt sie eine kleine, aber nicht unerhebliche wirtschaftliche Absicherung dar. In dieser Eigenschaft sind die programmlichen Möglichkeiten, Werbeeinnahmen zu maximieren, der ständigen Gefahr ausgesetzt, dass einzelne Programminhalte nur deswegen produziert oder platziert werden, um zusätzliche Einnahmen aus dem daraus erhofften Werbeeffekt zu generieren. Dies hätte aber gleichzeitig eine Einschränkung der journalistischen Handlungsfreiheit zur Folge 75
§§ 47-47 f. RStV; § 37 MedienStV HH SH; §§ 41 f. NDR-StV, § 16 ff. ZDF-StV
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und stünde im Widerspruch zu der verfassungsrechtlichen Funktion der Massenmedien. Um diesem Risiko entgegenzutreten und oder die Irreführung der Rezipienten zu vermeiden, stellen die Rundfunkgesetze den Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm auf: Werbung als solche muss kenntlich gemacht und vom redaktionellen Teil getrennt sein (§ 16 i.V.m. § 7 Abs. 3 RStV). Schleichwerbung ist unzulässig. Begrifflich definiert § 2 Abs. Nr. 5 RStV Werbung sehr weit als „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs, die im Rundfunk von einem öffentlich-rechtlichen oder privaten Veranstalter entweder gegen Entgelt oder eine ähnliche Gegenleistung oder als Eigenwerbung gesendet wird mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen […] zu fördern“ (zum Werbebegriff vgl. Schulz, 2002, Rn. 77 f.). In der Praxis gestaltet sich jedoch die Beweisführung schwierig, dass die werbliche Nennung im Programm gegen ein Entgelt oder eine andere Gegenleistung erfolgt ist, wodurch die Verletzung des Trennungsgebots in der Praxis eine nur untergeordnete Rolle spielt. Weitere (zulässige) Werbeformen sind Teleshopping, Sponsoring sowie Split-Screen- und virtuelle Werbung, wobei die beiden Letzteren im Radio systembedingt keine Rolle spielen. Über den Trennungsgrundsatz hinaus gehen konkrete qualitative und quantitative Werbevorschriften: So ist in Deutschland die Tabakwerbung im Rundfunk verboten, die Werbung für Arzneimittel nur eingeschränkt möglich. Auch an Werbung, die sich an Kinder und Jugendliche richtet, werden erhöhte Anforderungen gestellt. Für den Rundfunk gelten darüber hinaus zeitliche Werbebeschränkungen: So darf der Anteil an Werbung innerhalb einer Stunde 20 %, d.h. 12 Minuten, nicht überschreiten. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten unterliegen teils noch weitergehenden Restriktionen, bis hin zu einem kompletten Werbeverbot im Radio (Sponsorhinweise sind allerdings auch dann erlaubt). Auch macht der RStV, auf den die Landesrundfunkgesetze in der Regel verweisen, Vorgaben bezüglich der Einfügung der Werbung. So dürfen bestimmte Sendungen nicht beliebig oft und einige gar nicht unterbrochen werden. Weitere Werberegeln finden sich im Wettbewerbsrecht, wobei § 3 UWG (Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb) das Verbot unlauterer Wettbewerbshandlungen enthält, „die geeignet sind, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen“. Als ein Beispiel für eine unlautere Wettbewerbshandlung nennt das Gesetz die Verschleierung des Werbecharakters oder irreführende Werbung. Einklagen können solche wettbewerbsrechtlichen Verstöße Wettbewerber und Verbände, nicht jedoch der einzelne Rezipient.
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5.2 Gebührenmittel Für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stellen die Rundfunkgebühren die Hauptfinanzierungsquelle dar.76 Da dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine verfassungsrechtliche Bestands- und Entwicklungsgarantie77 zukommt, besteht ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf eine funktionsgerechte Finanzierung. Der Rundfunkgebühren-Staatsvertrag (RGebStV) sowie der Rundfunkfinanzierungs-Staatsvertrag (RFinStV) konkretisieren diesen Anspruch auf einfachgesetzlicher Ebene: In einem komplexen Prozess melden die Rundfunkanstalten ihren Finanzbedarf periodisch an, der von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Anstalten (KEF) geprüft wird. Die KEF setzt dann die ermittelte Gebührenhöhe fest, wobei die Länder bei der gesetzlichen Festlegung von diesem Vorschlag in Grenzen abweichen können – so geschehen im Jahr 2005, wonach die Anstalten der ARD Verfassungsbeschwerde einreichten, da sie die Staatsfreiheit des Gebührenverfahrens durch das Abweichen der Länder verletzt sahen. Im September 2007 bestätigte das BVerfG die Beschwerden der Rundfunkanstalten; die Anstalten können die durch die Abweichung bedingten Mindereinnahmen im Rahmen der kommenden Rundfunkgebührenrunde nachfordern. Gebührenpflichtig ist jeder, der ein Rundfunkgerät zum Empfang bereit hält, unabhängig von der tatsächlichen Nutzung. Seit 2007 sind auch internettaugliche PCs als Rundfunkgeräte erfasst und damit grundsätzlich gebührenpflichtig. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts dienen die Einnahmen aus den Rundfunkgebühren nicht allein den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, sondern vielmehr der Finanzierung der „Gesamtveranstaltung Rundfunk“ im dualen System – 2 % werden daher für Landesmedienanstalten, offene Kanäle und Bürger-Kanäle, Infrastrukturprojekte und für Medienforschung abgeführt.78 6
Medienaufsicht
Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Staatsfreiheit steht einer Medienaufsicht eigentlich entgegen. Um die Funktionsfähigkeit des Rundfunks und andere Rechtsgüter zu schützen, erscheint es allerdings notwendig, durch Aufsicht Kor-
76 § 13 Abs. 1 S. 1 RStV; privater Rundfunk darf aus Rundfunkgebührenmitteln nicht finanziert werden, s. § 43 S. 2 RStV 77 vgl. BVerfGE 83, 238 (298); 90, 60 (91) 78 10 RFinStV, § 40 RStV, § 55 MedienStV HH SH
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rekturen vorzusehen sowie die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben zu kontrollieren und ggf. zu sanktionieren. Eine rechtliche Kontrolle zur Einhaltung von Gesetzen findet im Bereich des Strafrechts durch die Strafverfolgungsbehörden, zivilrechtlich durch die jeweils Betroffenen und wettbewerbsrechtlich durch die Konkurrenten und Verbände bzw. die Kartellbehörden statt. Darüber hinaus gibt es für den Rundfunk zusätzliche spezifische Aufsichtsvorkehrungen: Das Bundesverfassungsgericht geht hier davon aus, dass die Aufstellung gesetzlicher Bestimmungen zur Schaffung einer positiven Ordnung (vgl. Abschnitt 1.2.2) durch eine effektive Aufsicht ergänzt werden muss, etwa durch binnenpluralistisch organisierte Gremien oder durch externe Aufsichtsinstanzen, insbesondere durch staatsfern organisierte Landesmedienanstalten. 6.1 Medieninterne Kontrolle Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kennzeichnen interne Kontrollorgane, die pluralistisch zusammengesetzt sind. Die Zusammensetzung und Aufgaben dieser Rundfunkräte (ZDF: Fernsehrat, Deutschlandfunk: Hörfunkrat) sind in den Staatsverträgen geregelt, wobei sich die Vorgaben der Gesetzgeber auf die Auswahl der in den Räten repräsentierten Gruppen beschränkt; die Mitglieder werden dann von den genannten Verbänden bzw. Gruppen entsandt. Während die Rundfunkräte vor allem für Programmangelegenheiten zuständig sind, haben die daneben bestehenden Verwaltungsräte Kompetenzen für Fragen der Geschäftsführung außerhalb des Programmbereichs, insbesondere für die Überwachung der Tätigkeit der Intendanten sowie für die Feststellung der Wirtschaftsbzw. Haushaltspläne und der Jahresabschlüsse. Die den Rundfunkanstalten jeweils vorsitzenden Intendanten entscheiden in eigener Verantwortung über das Programm, wenn auch unter dem Risiko einer nachträglichen Beanstandung durch die Rundfunkräte. Fast alle Rundfunkgesetze sehen zudem eine (begrenzte) Rechtsaufsicht durch die Landesregierung über die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor. Diese Rechtsaufsicht darf jedoch lediglich subsidiär für die Fälle eingreifen, in denen die anstaltsinterne Kontrolle versagt. Mit Blick auf das Zensurverbot sind präventive Aufsichtsmittel in Programmangelegenheiten grundsätzlich ausgeschlossen.
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6.2 Medienexterne Kontrolle Im Gegensatz zu der internen Kontrolle bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist die Aufsicht über privatwirtschaftliche Rundfunkunternehmen vornehmlich unternehmensextern eingerichtet worden. Dabei wird die staatlich geschaffene Rundfunkaufsicht – sprich: die Landesmedienanstalten – zum Teil durch freiwillige Selbstkontrolleinrichtungen ergänzt (vgl. Abschnitt 4.1.2). Um auch im Bereich des privaten Rundfunks den Grundsatz der Staatsfreiheit der Medien einzuhalten, ist gesetzlich die Einrichtung von staatsfernen Landesmedienanstalten als Träger der Rundfunkkontrolle vorgesehen, die für das Bundesland zuständig sind, für das sie eingesetzt werden. Ihrer Rechtsform nach sind sie Anstalten des öffentlichen Rechts. Um eine staatsfreie Rundfunkaufsicht zu gewährleisten, besitzen die Landesmedienanstalten jeweils ein in der Regel plural, zum Teil auch aus Sachverständigen zusammengesetztes Gremium als Hauptorgan und einen geschäftsführenden Direktor. Die Gremienmitglieder sind meist von dem jeweiligen Länderparlament gewählte Personen, die von Verbänden und gesellschaftlich relevanten Gruppen vorgeschlagen bzw. entsandt werden. Daneben wurde eine Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) eingerichtet. Die ALM und ihre gemeinsamen Stellen, etwa für Werbung und Programm, erfüllen Koordinationsfunktionen. Daneben existieren Expertengremien für spezifische Fragestellungen, wie im Bereich Konzentrationskontrolle (KEK) oder Jugendschutz (KJM, vgl. Abschnitt 4.1.2), die im Bedarfsfall als beratende Stellen für die jeweils zuständige Landesmedienanstalt fungieren. Die Landesmedienanstalten finanzieren sich aus dem zweiprozentigen Anteil an der Rundfunkgebühr (vgl. Abschnitt 5.2) sowie über Gebühren und Abgaben. Die Landesmedienanstalten nehmen neben den Aufgaben der rundfunkrechtlichen Zulassung neuer Veranstalter (vgl. Abschnitt 2) auch solche der laufenden Überwachung wahr: Anknüpfungspunkte sind sowohl das Verhalten der einzelnen Rundfunkunternehmen (Verhaltensaufsicht, z.B. in Bezug auf die Einhaltung der Werbevorschriften oder des Jugendschutzes) als auch der Blick auf das Funktionieren der Rundfunkordnung insgesamt (Strukturaufsicht), etwa im Bereich der Vielfaltssicherung. Daneben sind ihnen Aufgaben der technischen Versorgungsplanung und Versorgungskontrolle zugewiesen. Ihnen erwachsen Kompetenzen bei der Zugangsregulierung etwa im Digitalen Fernsehen (§ 53 Abs. 5-7 RStV) und damit auch eine Aufsicht über den Bereich der reinen Rundfunkveranstalter hinaus, etwa im Hinblick auf Betreiber von Kabelanlagen oder Anbieter von Zusatzdiensten digitalen Fernsehens (z.B. Conditional Access-Anbieter, vgl. § 53 RStV), soweit Mediengesetze auf diese anwendbar sind. Aufsichtliche Maßnahmen der Landesmedienanstalten gegen die Verletzung von Pflichten sind in gestufter Weise vorgesehen: Als schärfste Form der Sankti-
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on droht der Widerruf der Zulassung (das Programm darf dann nicht mehr gesendet werden) bzw. die Untersagung der Weiterverbreitung eines Programms im Kabelnetz – jedoch jeweils erst nach dem Hinweis, der Beanstandung und der Unterlassungsaufforderung gegenüber dem Veranstalter. Daneben gibt es als abgeschwächte Sanktion für Rechtsverstöße das Ruhen der Zulassung, ggf. auch nur in Bezug auf bestimmte Sendungen oder Beiträge. Auch können die Landesmedienanstalten Bußgelder in einer Höhe bis zu 500.000 € aussprechen. Gegen die Maßnahmen der Landesmedienanstalten steht den betroffenen Rundfunkveranstaltern der Rechtsweg offen. Die Landesmedienanstalten unterliegen ihrerseits – ähnlich den öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten (vgl. Abschnitt 6.1) – einer begrenzten staatlichen Rechtsaufsicht durch die entsprechende Landesregierung. Literatur Altes, B. (2002). Kommentierung von § 5 a. In W. Hahn & T. Vesting (Hrsg.), Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht (1. Auflage). München: Beck. Bumke, U. (2002). Kommentierung von § 20. In W. Hahn & T. Vesting (Hrsg.), Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht (1. Auflage). München: Beck. Frevert, T. (2005). Regelungen des neuen TKG zur Rundfunkübertragung. MMR - Multimedia und Recht, 8, 23-28. Hoffmann-Riem, W. (1994). Kommunikations- und Medienfreiheit. In E. Benda, W. Maihofer & H.-J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik (2. Auflage). Berlin: Gruyter. Höfling, W. (2003). Kommentierung von Art. 1. In M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz (3. Auflage). München: Beck. König, M. & Kösling, S. (2005). Die digitale Zugangsfreiheit im 8. RÄStV - Nur Anpassung an das TKG oder materielle Änderungen beabsichtigt? Zeitschrift für Urheberund Medienrecht (ZUM), 49, 289-298. Löffler, M. & Ricker, R. (2005). Handbuch des Presserechts (5. Auflage). München: Beck. Meyer-Goßner, L. (2004). Strafprozessordnung (47. Auflage). München: Beck. Michel, E.-M. & Brinkmann, T. (2002). Kommentierung von § 5. In W. Hahn & T. Vesting (Hrsg.), Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht (1. Auflage). München: Beck. Schulz, W. (2002). Kommentierung von § 2 RStV. In W. Hahn & T. Vesting (Hrsg.), Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht (1. Auflage). München: Beck. Schulz, W. (2002). Kommentierung von § 53. In W. Hahn & T. Vesting (Hrsg.), Beck'scher Kommentar zum Rundfunkrecht (1. Auflage). München: Beck. Schulze-Fielitz, H. (2004). Kommentierung von Art. 5 I, II. In H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Band 1 (2. Auflage). Tübingen: Mohr Siebeck. Soehring, J. (2000). Presserecht (3. Auflage). Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag.
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Steffen, E. (2006). Kommentierung von § 6 LPG. In M. Löffler, K. E. Wenzel, K. Sedelmeier & E. H. Burkhardt (Hrsg.), Presserecht (5. Auflage). München: Beck. Wenzel, K. E., Burkhardt, E. H. & Gamer, W. (2003). Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung (5. Auflage). Köln: Schmidt.
II.
Konzeption und Gestaltung von Musikprogrammen im Radio
5
Musikbasierte Radioformate
Holger Schramm & Matthias Hofer
1
Einleitung
Aufgrund der zunehmenden Konkurrenz durch das Fernsehen und der Entwicklung immer elaborierterer Methoden in der Hörerforschung differenzierten sich die Radioformate Mitte der 50er Jahre in den USA immer weiter aus (MacFarland, 1997). Als wichtiges formatbestimmendes Element zählte dabei immer mehr die Musik79, und mit der steigenden Diversifikation der Musikstile wurden gegen Anfang der 60er Jahre auch die Musikformate der Radiostationen immer vielfältiger (Haas, Frigge & Zimmer, 1991). Wer Hörer an sich binden wollte, musste einzigartig sein und demzufolge auch andere Musik spielen als andere Sender. Gleichermaßen musste man seinem Musikformat aber auch treu bleiben, um seine Hörer nicht zu irritieren oder gar zu verlieren (vgl. Kapitel 2). In Deutschland setzte die gleiche Entwicklung mit der dualen Rundfunkordnung im Jahr 1984 ein. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Radiolandschaft durch öffentlich-rechtliche Hörfunkangebote im Westen und den Staatsrundfunk in der DDR geprägt. Mit dieser Öffnung wandelte sich das Radio vom Angebotszum Nachfragemedium (Scherer, 2002). Im deutschen Hörfunk werden drei Formen von Programmformaten unterschieden. Die erste Form beinhaltet vor allem Informations-, News- und Talkbasierte Programme. Eine zweite Form, die so genannten Full-ServiceProgramme, sind besonders häufig in Deutschland zu finden (Goldhammer, 1995). Dazu zählt z.B. das Format „Middle of the Road“ (MOR). Die dritte Form sind die musikbasierten Formate, die sich über die gesendete Musik differenzieren, welche die Programmfarbe eines Radioprogramms zu einem gewichtigen Teil mit bestimmt. Musik macht den Großteil der meisten Radioprogramme aus (Gushurst, 2000), und auch für die meisten Hörer ist die Musik das wichtigste Selektionskriterium (Goldhammer, 1995). Entsprechend haben sich musikbasierte Formate im Vergleich zu den zwei erstgenannten am weitesten ausdifferenziert.
79 Dieser Umstand ist nicht zuletzt deswegen wenig verwunderlich, weil Radio schon damals meist als Hintergrundmedium fungierte, ihm also vergleichsweise Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
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Die in Deutschland gebräuchlichsten Musikformattypen sollen in diesem Kapitel überblicksartig vorgestellt und gegeneinander abgegrenzt werden. Des Weiteren soll die Bedeutung der einzelnen Musikformate sowohl im Angebotsals auch im Werbemarkt thematisiert werden. Da die Idee der Programm- und Musikformate vor 50 Jahren in den USA geboren wurde (Haas, Frigge & Zimmer, 1991), scheint es sinnvoll, in einem weiteren Schritt den Blick hinaus aus Deutschland in die USA zu richten. 2
Musikformate in der deutschen Radiolandschaft
Ob ein Radiosender gehört wird und ob er schließlich im Hörer- und im Werbemarkt bestehen kann, hängt nicht unwesentlich von seinem Musikprogramm ab. Entsprechend der vielfältigen Musikpräferenzen der Hörerschaft, aber auch der steigenden Anbieterzahlen und somit des steigenden Konkurrenzdrucks kann man heute in Deutschland auf ein breites Spektrum von verschiedenen Musikund Submusikformaten blicken (vgl. auch Kapitel 8-12): 2.1 Adult Contemporary (AC) Dieses Format gilt in den USA seit den 80er Jahren als das erfolgreichste und auch in Deutschland verzeichnet dieses Format den größten Höreranteil: Im Jahre 2006 vertrauten 56,9 % der deutschen Privatradiosender (132 Sender)80 auf das massenattraktive AC-Format (Die Landesmedienanstalten, 2007, S. 311). Die Kernzielgruppe hat ein Alter von 14 bis 49 Jahren81, wobei diese Gruppe aufgrund ihres hohen Gesamteinkommens am interessantesten für die Werbewirtschaft ist (Die Landesmedienanstalten, 2007; Keith & Krause, 2007). Nicht nur bei der Werbewirtschaft, sondern auch beim Publikum trifft das Format auf große Akzeptanz. Es definiert sich über melodische Pop- und Rockmusik der letzten Jahrzehnte – einschließlich aktueller Pop- und Rockmusik (Radiozentrale, 2008). Anspruchsvollere Musik wie Jazz oder Klassik, aber auch Progressive Rock werden nicht gespielt (Goldhammer, 1995).
80
Für dieses und die folgenden Formate können wir lediglich jeweils Angaben zu den privaten Radiosendern machen, da die entsprechenden Formatangaben zu den öffentlich-rechtlichen Radiosendern nicht vorliegen. 81 Die Angaben der Altersgruppen variieren z.T. in verschiedenen Publikationen: Golfhammer (1995) sowie Haas, Frigge und Zimmer (1991) sprechen von 25-49-Jährigen.
Musikbasierte Radioformate
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Haas, Frigge und Zimmer (1991) unterteilen das AC-Format in zwei Subformate: Oldie Based AC und Current Based AC, wobei sich letzteres wiederum in drei Subformate gliedern lässt82: Hot AC, Soft AC und Euro Based AC. Oldie Based AC Dieses Format beinhaltet vor allem Hits aus den 60er, 70er und 80er Jahren, wobei das Gewicht auf den 70er Jahren liegt (Haas, Frigge & Zimmer, 1991). Entsprechend gestaltet sich das Alter der Zielgruppe: Vor allem das obere Alterssegment der AC-Hörer soll vom Oldie Based AC angesprochen werden. Teilweise werden aber auch aktuelle Hits gespielt, um „nicht ‚zu alt‘ zu erscheinen“ (Goldhammer, 1995, S. 163). 2006 hatten 19 Privatsender das Oldie Based AC-Format. Current Based AC Eine Variation aus aktuellen Titeln und Recurrents83 bestimmt dieses ACFormat. Teilweise fließen noch Hits aus den 90ern, seltener Hits aus den 80er oder gar 70er Jahren in das Programm ein. Hot AC In diesem Musikformat werden eher schnellere, progressive Hits aus den aktuellen Charts gespielt. Das Hot AC wird nicht zuletzt aus diesem Grund als das jüngste AC-Format bezeichnet (Radiozentrale, 2008). Im Jahre 2006 hatten 12 Privatsender in Deutschland dieses Format (Die Landesmedienanstalten, 2007). Soft AC Ruhigere Popmusik und vor allem Love- und Kuschelsongs finden sich beim Soft AC (Haas, Frigge & Zimmer, 1991). Insbesondere in den Abendstunden werden Lovesongs gespielt. Dieses Musikformat ist in der deutschen Privatradiolandschaft eher schwach vertreten: Nur zwei Sender hatten 2006 dieses Musikformat (Die Landesmedienanstalten, 2007)84.
82 Goldhammer (1995) nimmt diese „Sub-Subkategorisierung“ nicht vor, orientiert sich aber dennoch an Haas, Frigge und Zimmer (1991). Auch auf www.radiozentrale.de wird nicht weiter unterteilt. Wir orientieren uns ebenfalls an der Unterteilung von Haas, Frigge und Zimmer (1991). 83 Recurrents sind Titel, welche bereits einmal in den Charts waren, den Zuhörern aber nach wie vor geläufig sind (Goldhammer, 1995). Recurrents sind Musiktitel, die in der Regel zwischen drei Monate und fünf Jahre alt sind. Titel, die älter als fünf Jahre sind, werden häufig in der Programmplanung schon als „Oldie“ bezeichnet – ganz entgegen des normalen Sprachgebrauchs: Hier wird der Begriff „Oldie“ meist für Musiktitel aus den 50er, 60er und 70er Jahren verwendet (Gushurst, 2000, S. 69). 84 Zählt man Oldie Based Soft AC auch noch zum Soft AC-Format, steigt die Zahl auf acht Sender (Die Landesmedienanstalten, 2007).
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Euro Based AC Neben den bekannten englischsprachigen Pop- und Rocksongs werden in diesem Format verstärkt deutsche, italienische und französische Titel gespielt. Englische Titel, die gespielt werden, sollen möglichst einen „typisch deutschen“ Sound haben (Goldhammer, 1995, S. 163). Zwei deutsche Privatsender spielten 2006 dieses Format (Die Landesmedienanstalten, 2007). Als Subformat kann man das German Based AC Format verstehen. Der Fokus liegt dort auf deutschen Titeln. Es gab 2006 zwei Sender dieses Formats (Die Landesmedienanstalten, 2007). 2.2 Contemporary Hit Radio (CHR) Als Todd Storz und sein Assistent Bill Stuart 195585 die Idee des Formatradios entwickelten, erhielt das neue Hörfunkkonzept den Namen „Top 40“ (Goldhammer, 1995, S. 16). Das Contemporary Hit Radio-Format gilt als Nachfolger dieses ersten Radioformats. Charakteristika diese Formats sind nach Haas, Frigge und Zimmer (1991, S. 179): x x x x x x
eine auf die 40 Top Chart-Titel begrenzte Playlist progressiver Up-Tempo-Sound keine Oldies keine absteigenden Hits eine begrenzte Anzahl von Recurrents eine schnelle Rotation der Playlist (vgl. zur Rotation: Kapitel 7), d.h. in Deutschland 60 bis 80 Titel, wobei die Rotation in Deutschland wesentlich geringer ist als in anderen Ländern (Goldhammer, 1995)
Die Zielgruppe, die mit diesem Musikformat angesprochen werden soll, entspricht dem jüngeren Segment des AC-Formats, den 14-24-Jährigen, weswegen das Format auch als Jugendformat bezeichnet wird (vgl. Kapitel 9). Rund 20 % der deutschen Privatradiosender (45 an der Zahl) sendeten 2008 dieses erfolgreiche Musikformat (Die Landesmedienanstalten, 2007).
85
MacFarland (1997) datiert die Geburt der Idee zwei Jahre später. Diese soll in einer Bar in Omaha stattgefunden haben, in der die beiden beobachteten, dass die Leute immer die gleichen Musikstücke in der Jukebox wählten. Am Feierabend taten die Angestellten, die ebenfalls den ganzen Tag diese Titel gehört habe, es ihnen gleich und wählten diese Titel erneut. So kam die Idee der auf die Top 40 begrenzten Playlists auf, da die Leute immer die gleichen Lieder hören wollten.
Musikbasierte Radioformate
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Wie das AC-Format lässt sich auch das CHR-Format in verschiedene Subformate untergliedern. Zu dieser Differenzierung innerhalb des Formats hat sicherlich auch die Wettbewerbssituation zwischen den einzelnen Sendern geführt. Entsprechend finden sich nur einige wenige Sender pro Subformat. Unterschieden werden folgende Formate: Mainstream CHR, Dance Oriented CHR, Rock Oriented CHR (Haas, Frigge & Zimmer, 1991). Daneben wird noch das German/Euro Based CHR erwähnt (Radiozentrale, 2008). Mainstream CHR Dieses Subformat entspricht dem klassischen CHR-Format (Haas, Frigge & Zimmer, 1991). Hier werden fast ausschließlich Hits aus den aktuellen Charts gespielt. Dabei wird nicht auf einen bestimmten Stil geachtet. Dance Oriented CHR Bei diesem Subformat ist die Musikpalette auf Club- und Discohits beschränkt (Goldhammer, 1995). 2006 sendeten zwei deutsche Privatsender dieses Musikformat (Die Landesmedienanstalten, 2007). Zu dieser Kategorie kann man auch Black Music CHR zählen. Rock Oriented CHR Auch hier finden sich im deutschen Raum zwei Sender, welche dieses rocklastige Programm senden (Die Landesmedienanstalten, 2007). Die Musik muss wie bei allen CHR-Formaten aktuell und in den Charts sein. German/Euro Based CHR Aktuelle deutsche bzw. französische und italienische Hits kann man neben den englischsprachigen Hits in diesem CHR-Subformat hören. Die Nähe zum Euro AC-Format liegt auf der Hand. Es sind aber auch hier wieder vor allem aktuelle Charttitel, die in die Playlist Eingang finden. 2.3 Urban Contemporary (UC) Mit „städtische zeitgenössische Musik“ übersetzte Goldhammer (1995, S. 175) dieses Format. Der Unterschied zu klassischen CHR-Formaten liegt in der Länge der Stücke, die problemlos mehr als die „radiotauglichen“ drei Minuten übersteigen kann, sowie in der Mischung aus Soul, Funk und aktueller Rap- und RnBMusik. Techno oder House in all seinen Facetten sind in diesem Format ebenfalls nicht fehl am Platz. Entsprechend lässt sich das UC-Format weiter untergliedern in Black, Soul/Funk und Dance. Vor allem das jüngere Publikum zwi-
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schen 18 und 34 Jahren soll von der im UC-Format gespielten Musik angesprochen werden (Radiozentrale, 2008). Eine genaue Unterscheidung zwischen UC und Black CHR ist schwierig. Im ALM-Jahrbuch 2006 wird UC demnach auch dem CHR zugerechnet, obwohl im UC-Format nicht nur Hits aus den Charts, sondern auch szenenspezifische, teils unbekannte Neuheiten gespielt werden. 2.4 Album Oriented Rock (AOR) Mainstream gefällt allen, aber eben nicht jedem. Daher hat sich – sozusagen als Gegenpol zu den massentauglichen Formaten und aus einer tiefen Abneigung gewisser Radiomacher gegenüber dem durchgeplanten, seichten und weitgehend gradlinigen Pop- und Rocksound – das so genannte „Progressive Radio“ etabliert (Haas, Frigge & Zimmer, 1991, S. 189; Goldhammer, 1995). Es sollten Albumtitel gespielt werden, die der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt waren und die nie als Singleauskopplungen in die Charts kamen. Bevor man sich Ende der 60er Jahre ausschließlich auf Rockmusik – eben das Album Oriented Rock – festlegte, wurden neben Albumrock z.T. auch Jazz und Klassik in verschiedenen Blöcken gemischt, allerdings ohne Erfolg (auf dem Publikums- und damit auch auf dem Werbemarkt). Das Format spricht vor allem die höher gebildeten 18-45-jährigen männlichen Zuhörer an – Frauen werden eher nicht erreicht. Die Playlists der jeweiligen Sender erreicht ein Vielfaches der CHR-Sender. Eine Differenzierung in verschiedene Subformate hat auch in diesem Musikformat stattgefunden. Unterschieden werden idealtypisch Classic Rock, Hard/Heavy Rock und Soft Rock Classic Rock Dieses Format hat sich seit den 80er Jahren vermehrt durchgesetzt (Haas, Frigge & Zimmer, 1991). Gespielt werden Klassiker von AC/DC bis ZZ Top. Die Musik ist jedenfalls nie (oder eben oft) „Status Quo“. Hard/Heavy Rock Harte, schnelle und aggressivere Rocktitel finden sich in diesem Subformat (Radiozentrale, 2008). Bands wie Slayer oder Machine Head dürften öfters gespielt werden.
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Soft Rock Rockballaden oder einfach softe Musik mit Rockeinschlag werden in diesem Format gespielt. Aerosmiths „Crying“, aber auch Titel von Nickelback dürften in Programmen mit diesem Format vorkommen. 2.5 Beautiful Music/Easy Listening Dieses Format war in den 60er Jahren in den USA sehr erfolgreich und wird mit dem Namen Gordon McLendon in Verbindung gebracht. Was in den 60er und 70er Jahren Beautiful Music hieß, wird ab den 80er und 90er Jahren Easy Listening genannt (Haas, Frigge & Zimmer, 1991; Goldhammer, 1995). Das musikalische Timbre dieses Musikformats ist leicht, ruhig und nicht aufdringlich. Die Musik soll vor allem für Entspannung sorgen. Das Alter der Zielgruppe für Easy Listening beträgt 40 Jahre oder mehr (Radiozentrale, 2008). Die Attraktivität des Easy-Listening-Formats für die Werbewirtschaft ist nach Goldhammer (1995) aufgrund des vergleichsweise hohen Alters der Zielgruppe fraglich. Die Anzahl der Sender, die in Deutschland dieses Musikformat senden, lässt sich schwer ausmachen, da das Format im ALM-Jahrbuch nicht explizit erwähnt wird. Zumindest bezüglich der Altersgruppe lassen sich so genannte Melodieradio-Formate mit dem Easy-Listening-Format vergleichen. 2.6 Melodieradio-Formate Mit diesen Musikformaten steht die deutsche Radiomusiklandschaft quasi auf eigenen Beinen, denn es handelt sich dabei nicht um eine Imitation USamerikanischer Musikformate. Oldies, (Deutscher) Schlager und volkstümliche Musik werden für eine Zielgruppe im Alter von 35 Jahren und älter gespielt (Radiozentrale, 2008). Das Durchschnittsalter der HörerInnen liegt bei den meisten Programmen dieses Formats bei über 50 Jahren. Das Melodieradio-Format erfreut sich – zumindest auf der Hörerseite – großer Beliebtheit. Im Jahre 2006 spielten in Deutschland fünf Privatsender diese Musik (Die Landesmedienanstalten, 2007). Zu diesem Musikformat wird auch das so genannte Arabella-Format gezählt. Das Arabella-Format Der Begründer dieses Formats – Radio Arabella aus München – strahlte dieses Musikformat erstmals 1989 aus. Gespielt wurde eine Mischung aus volkstümlicher Musik, Deutschem Schlager, Evergreens sowie amerikanischen und roma-
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nischen Klassikern (Goldhammer, 1995; Haas, Frigge & Zimmer, 1991). Radio Arabella wurde mit seinem Musikprogramm stilprägend für ein eigenes Musikformat, das aufgrund seiner hohen Zielgruppenaffinität auch für die Werbewirtschaft interessant ist (Goldhammer, 1995). Deutscher Schlager und Volksmusik Sehr nahe am Arabella-Konzept sind Sender dieses Musikformats, die nahezu ausschließlich deutsche Schlager und volkstümliche Musik spielen und dabei auf anderssprachige Titel nach Möglichkeit verzichten. Trotz hoher Akzeptanz in bestimmten Zielgruppen hat sich die von Goldhammer (1995) prognostizierte positive Entwicklung der Sender mit diesem Format – zumindest auf dem Werbemarkt – allerdings nicht bewahrheitet, da die werbetreibende Industrie ältere Hörersegmente nach wie vor eher ignoriert. Es verwundert daher nicht, dass solche Formate vor allem beim öffentlich-rechtlichen Hörfunk, der auf die Werbeeinnahmen nicht so stark angewiesen ist wie der private Hörfunk, in die Tat umgesetzt werden (Die Landesmedienanstalten, 2007). Gold (Oldies) Ebenfalls als Subformat des Melodieradio-Formats kann das Goldformat betrachtet werden. Die Kernzielgruppe ist allerdings mit 20-45 Jahren etwas jünger (Radiozentrale, 2008). Englische Oldies der 50er bis zu den 80er Jahren scheinen demnach auch für Teile der jüngeren Hörerschaft attraktiv zu sein. 2.7 Middle of the Road (MOR) „Für jeden und niemanden“ (Haas, Frigge & Zimmer, 1991, S. 213) oder als Brückenformat, so wird das Format „Middle of the Road“ bisweilen bezeichnet. Das Musikformat ist mit dem AC-Format vergleichbar. Das „von allem ein bisschen, aber nicht zu sehr“ hat seit seiner Einführung in den USA in den 50er Jahren bis in die 70er Jahre hinein großen Erfolg gehabt. Die gespielten Musikstile entsprechen dem Format-Namen und sind breit gefächert: Vor allem ruhige, nicht zu alte, aber auch nicht zu neue melodische nationale und internationale Titel werden gespielt. Die anvisierte Zielgruppe ist zwischen 35 und 55 Jahren alt (Radiozentrale, 2008). Dieses Format wird in den USA auch „Full-Service“, „Variety“, „General Appeal“ oder „Diversified“ genannt (Goldhammer, 1995, S. 174). Wie eingangs erwähnt, handelt es sich bei diesem Format nicht um ein Musikformat im eigentlichen Sinne. In Deutschland hat bis in die 80er Jahre vor allem die ARD ihr Programm nach diesem Format ausgerichtet. Mit der steigenden Differenzierung der einzelnen Musikprogramme war aber sehr schnell klar,
Musikbasierte Radioformate
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dass mit Musik, die niemandem missfällt, aber auch nicht wirklich jemanden gefällt, nur schwerlich Hörer an den Sender gebunden werden können. Mittlerweile senden in Deutschland gerade noch fünf Privatsender dieses Musikformat (Die Landesmedienanstalten, 2007). Es bleiben noch Musikformate zu erwähnen, die sich durch eine hohe Spezialisierung auf eine bestimmte Musikrichtung auszeichnen86. Unterschieden werden neben den bereits erwähnten Rock-Formaten (Classic Rock, Hard/Heavy Rock, Soft Rock) die Formate Klassik, Jazz und Country: Klassik Dieses Musikformat ist das Hitformat für klassische Musik. Beliebte Stücke der klassischen Musik (Konzerte, Sinfonien, Opern und Operetten) werden gespielt (Radiozentrale, 2008). Bundesweit hatte 2006 nur ein Privatsender dieses Programm im Angebot (Die Landesmedienanstalten, 2007): Klassik Radio. Daneben gibt es aber noch öffentlich rechtliche Sender wie Bayern 4 Klassik. Die Kernzielgruppe dieses Formats besteht aus Personen, die über 30 Jahre alt und gebildet sind und die über ein höheres Einkommen verfügen. Diese Gruppe ist somit auch für die Werbewirtschaft interessant. Jazz Das Jazzangebot richtet sich ebenfalls an besser verdienende Über-Dreißiger mit hoher Bildung. Gespielt werden Titel aus dem breiten Jazz-Spektrum (Radiozentrale, 2008). Bei den Privatradiosendern hält sich auch die Zahl der Jazzsender in Grenzen, denn lediglich ein einzelner war 2006 zu finden. Be Bop, Dixie, Cool Jazz aber auch Freejazz (eher weniger) werden gespielt. Zu Jazz lässt sich auch das von Haas, Frigge und Zimmer (1991) erwähnte Format „Big Band“ zählen. Country Die „Volkstümliche Musik der USA“ hat sich auch in Deutschland etabliert, zumal hierzulande mittlerweile eine rege Countryszene aktiv ist. Allerdings finden sich in der deutschen Lokalradiolandschaft keine Countrysender mit terrestrischer Verbreitung (Die Landesmedienanstalten, 2007). Mit dem „Young Country“-Format, bei dem neuere Titel gespielt werden, sollen jüngere Countryfans angesprochen werden.
86 Damit ist der Gipfel der Spezialisierung aber noch nicht erreicht. Es gibt teilweise Sender, die ihr Musikprogramm an einer einzigen Band – zum Beispiel Led Zeppelin – ausgerichtet haben (Goldhammer, 1995).
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Abbildung 1 zeigt die Verteilung der deutschen Privatsender nach Musikformaten. Von oben nach unten nimmt der Anteil an Musik im Programm tendenziell ab (vgl. Haas, Frigge & Zimmer, 1991, S. 165). Abbildung 1: Anteil der verschiedenen Formate deutscher Privatradiosender87
In der folgenden Synopse (vgl. Tabelle 1) sind die oben beschriebenen Musikformate mit der jeweiligen Zielgruppe sowie jeweils einem Senderbeispiel nochmals überblicksartig aufgeführt.
87
Quelle: Die Landesmedienanstalten, 2007, S. 311
Hot AC
-
-
Euro Based AC
German Based AC
Soft AC AC/CHR
CHR
-
-
Oldie Based AC
leichte Popmusik leichte Hörbarkeit Hits aus den 60ern, 70ern und 80ern hoher Anteil an aktuellen Charts jüngstes ACFormat Mix aus aktuellen deutschen, italienischen und französischen Titeln Vor allem deutsche Titel sanfte Popmusik aktuelle Popsongs aus den Charts schnelle, aktuelle Musik aus den Top 40
Charakteristika -
AC
Musikformat
14-24-Jährige
14-49-Jährige 14-24-Jährige
14-49-Jährige
14-49-Jährige
14-34-Jährige
35-49-Jährige
14-49-Jährige
Zielgruppe
Tabelle 1: Synopse der Musikformate in Deutschland mit Beispielsendern
Senderbeispiel
SDR3
Magic 95 HIT RADIO FFH
Neckar Alb Radio
Bayern 3
Antenne Thüringen
Berliner Rundfunk 91!4
Radio NRW
-
Mainstream CHR/EHR
Rock CHR
Dance CHR
Urban Contemporary (UC) Rock
Album-Oriented Rock
Classic Rock
Soft Rock
Hard/Heavy Rock
Oldies (Gold)
Englische Titel der 50-80er
Schnelle, aggressive Rocktitel
Aktuelle und ältere Rocktitel unbekanntere Songs bekannter Rockmusiker Rocktitel aus den 60ern, 70ern und 80ern Ruhigere und sanftere Rockmusik
Europäische Mainstreamtitel aus Rock und Pop Rocktitel aus den Charts Elektronische Musik aus den Top 40 HipHop, RnB, Soul Rockantenne
KISS FM
sunshine live
Radio Gong Nürnberg
bigFM Hot Music Radio
18-45-Jährige, höher hardradio.com* gebildet, eher männlich 20-40-Jährige RTL Radio
18-45-Jährige, höher Radio 21 gebildet, eher männlich 18-45-Jährige, höher Classic Rock Radio* gebildet, eher männlich 18-45-Jährige, höher ROCKLAND RADIO gebildet
18-34-Jährige
18-34-Jährige
14-24-Jährige
14-24-Jährige
14-24-Jährige
-
-
-
Volksmusik
Klassik
Jazz
Middle of the road (MOR)
40+-Jährige
35+-Jährige
Jazz aller Art
Klassische Musik
30+-Jährige, besser Verdienende 35-55-Jährige
30+-Jährige, besser Verdienende
Volkstümliche Mu- 35+-Jährige sik im weitesten Sinne
Aktuelle und ältere Schlagertitel
Evergreens des 35+-Jährige deutschen Schlager Deutsche Oldies
Ruhige, unaufdringliche Musik Soll entspannen
Musik für jeden Geschmack, nicht zu aufdringlich - Relativ hoher Wortanteil * hier handelt es sich um ein Webradiosender
-
-
-
-
-
Schlager
Melodie Radio/Arabella
Beautiful Music/Easy Listening
SDR 1
JazzRadio 101,9
Klassik Radio
RSA 2
SPREERADIO 105,5
Radio Kö
Radio Alpenwelle
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Nach dieser Übersicht soll der Blick aus Deutschland hinaus in die USA gerichtet werden. Der folgende Überblick ist nur kursorischer Natur, und die Liste der Musikformate ist keinesfalls vollständig, denn mittlerweile gibt es beinahe so viele Musikformate wie es unterschiedliche Musikstile gibt. 3
Musikformate in den USA
Die USA sind die Geburtsstätte der Radioformate und somit auch der Musikformate (Haas, Frigge & Zimmer, 1991). Ab den 40er Jahren setzte sich die Top40-Playlist bei den meisten Sendern durch. Auf Dauer konnte dieser Einheitsbrei – alle spielten dieselben Top 40 – aber nicht funktionieren: „The proliferation of stations all playing the same music inevitably resulted in an attempt at differentiation through refinement“ (MacFarland, 1997, S. 64). So entschieden sich die einen Radiostationen, die Playlist mit Oldies anzureichern, und die anderen kürzten sie. Mit dem Aufkommen neuer Musikstile (Country, Pop, Rock, Rap) stiegen dann auch die Möglichkeiten für die Sender, sich durch die verschiedenen Musikstile voneinander abzugrenzen. Man kann also sagen, dass sich die amerikanische Radiolandschaft im Vergleich zur deutschen schon sehr früh ausdifferenziert hat. Des Weiteren verfügt die USA über eine weitaus größere Radiosenderdichte als Deutschland (vgl. Abbildung 2). Die Marktanteile der verschiedenen Musikformate sind in den USA zudem anders verteilt als in Deutschland. Das in Deutschland eher schwach vertretene Countryformat beispielsweise erfreut sich in den USA größter Beliebtheit. 3.1 Country Seit den 80er Jahren ist Country zu einem der beliebtesten Musikformate geworden. Mit Countrymusik besingt man und besinnt man sich auf traditionelle amerikanische Werte (Shane, 1995-1996). 2007 war das Countryformat mit 1.683 Sendern (11,7 %; vgl. Abbildung 3) das dominierende Musikformat in den USA (AQH Anteil88 = 12,7 %). Unterschieden wird zwischen Classic Country und Modern Country. Country wird von allen Altersgruppen, im Kern aber vor allem von den 25-64-Jährigen gehört (Arbitron, 2008).
88 AQH = Average Quarter Hour Person. Das ist der durchschnittliche Anteil von Personen, der ein bestimmtes Format im Zeitraum von 15 Minuten mindestens 5 Minuten hört. Sofern nichts anderes erwähnt wird, gelten diese Angaben für HörerInnen ab 12 Jahren.
Musikbasierte Radioformate Abbildung 2:
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Senderanzahl und Senderdichte im internationalen Vergleich89
3.2 Adult Contemporary (AC) Das meistgehörte Musikformat in Deutschland ist in den USA nur das drittpopulärste (an zweiter Stelle sind 1553 Sender mit News- und Talkformaten; dies entspricht 10,8 %): 2007 gab es in den USA 798 AC-Sender (dies entspricht 5,5 %). Vor allem Frauen (65,3 %) hören Sender mit diesem Musikformat. Die Zuhörer sind 35 Jahre oder älter. Am meisten hören die 45-54-Jährigen dieses Format. Die eigentliche Hauptzielgruppe der Radiobranche, die 25-35-Jährigen (MacFarland, 1997), hören Sender dieses Formats zu einem eher geringen Anteil (13,4 % laut Arbitron, 2008, S. 21). Hot Adult Contemporary wurde 2007 von 451 Radiosendern (3,1 %) in den USA gespielt. Auch hier sind es meist Frauen (62,2 %), die dieses Musikformat hören. Allerdings sind diejenigen, die das Format am meisten hören, rund zehn Jahre jünger. Daneben werden noch Urban Adult Contemporary, New AC/Smooth Jazz, Modern AC und Rhythmic AC unterschieden90. Unterschiede zwischen diesen Formaten lassen sich zum einen in der gespielten Musik und zum anderen in der Altersstruktur der Hörerschaft ausmachen. So hatten New AC/Smooth JazzSender 2007 einen höheren AHQ-Anteil bei den 45-54-Jährigen (28,5 %) als Hot 89
Abbildung aus Goldhammer (2004) Die Format Definitionen stammen alle von Arbitron (2008). Die Unterschiede zwischen den einzelnen Formaten sind teilweise schwer auszumachen.
90
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AC-Sender (18,8 %). Zudem wird New AC/Smooth Jazz eher von besser situierten Menschen gehört. 3.3 Contemporary Hit Radio (CHR) Unterschieden wird in den USA zwischen Pop Contemporary, Rhythmic CHR und Urban Contemporary, wobei zwischen den beiden letzten kaum ein Unterschied besteht, weder bezüglich der Altersgruppen91, welche das Musikformat am meisten hören, noch der gespielten Titel92 noch der AQH Anteile93. Auch die Anzahl der Sender ist beinahe identisch94. Auffällig ist allerdings – und in diesem Punkt lassen sich die beiden Musikformate tatsächlich gut unterscheiden –, dass Rhythmic CHR vor allem an der Westküste gehört wird und Urban Contemporary vor allem an der Ostküste (Arbitron, 2008). Ein kleines, aber nicht unwesentliches Unterscheidungsmerkmal wird von MacFarland (1997) angeführt: „Urban Adult Contemporary stations struggled with how much Rap music to play, if any, whereas stations already airing Rap grappled with controversies over lyrics“ (S. 81). Das erinnert doch sehr an den „East Coast vs. West CoastBeef95“ (Franke, 2005, S. 45). Pop CHR spricht vor allem die jungen HörerInnen im Alter zwischen 12-34 Jahren an. Hier werden vor allem aktuelle Popsongs aus den Charts gespielt. 3.4 Rockformate In den USA sind die Rockformate allesamt Spielarten des Progressive Formats (MacFarland, 1997). Classic Rock ist das am weitesten verbreitete Rockformat. 514 Stationen (3,6 %) senden Hits von Aerosmith bis ZZ Top, vornehmlich für die Gruppe der 45-54-jährigen Männer. Das Format kommt auf einen AQHAnteil von 4,0 %. Das bereits im Abschnitt 2 erwähnte Album Oriented Rock Format (AOR) senden in den USA 174 Sender (1,2 %), die zusammen auf einen AQH-Anteil von 2,1 % kommen. Alternative und Album Adult Alternative sprechen vor allem das jüngere Publikum der 25-34-Jährigen (29,5 %) an. Vor allem Männer hören Sender dieses Musikformats (64,5 %). Bei diesem Format wird 9191
Beide Musikformate werden von den 12-34jährigen am meisten gehört (rund 75 % aller Zuhörer) Bei Sendern beider Musikformate war 2007 T-Pain feat. Young Toc mit dem Song „Buy u a drank (Shawty Snappin‘)“ Nummer 1 der Top List. Und auch sonst stimmen die Top-Ten-Listen weitgehend überein. 93 Rhythmic CHR kam 2007 auf 4,0 % und Urban Contemporary auf 3,7 % 94 Rhythmic CHR: 156 Sender, Urban Contemporary: 154 Sender. 95 „Beef“ ist ein Szeneausdruck für Konflikt (Franke, 2005) 92
Musikbasierte Radioformate
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vor allem Independent96 Rock gespielt, z.B. White Stripes oder Red Hot Chili Peppers (Arbitron, 2008). Der Unterschied zwischen Alternative und Album Adult Alternative dürfte darin bestehen, dass bei letzterem nicht nur die Hits der jeweiligen Bands gespielt werden. 3.5 Oldies/Classic Hits/Rhythmic Oldies/Nostalgia Classic Hits und Oldies sind ebenfalls sehr beliebte Musikformate, die auch in den USA vor allem von den Altersgruppen gehört werden, welche die Songs aus ihrer Jugendzeit kennen. Bei den Classic Hits – dazu gehören etwa Songs wie „Respect“ von Aretha Franklin oder „I’m a believer“ von den Monkees – sind dies vor allem die 45-54-Jährigen. Bei den Oldies sind die Hörer rund 10 Jahre älter. Sender mit dem Format Rhythmic Oldies spielen vermehrt alte Funk- und Dance-Hits. Insgesamt gab es 2007 in den USA 1.056 Sender (7,7 %) mit den genannten Musikformaten (Arbitron, 2008). Das Format Nostalgia kann auch zu der Kategorie Oldies gezählt werden. Sender mit diesem Format werden bisweilen auch Big Band genannt (Keith & Krause, 2007). Somit weisen sie eine gewisse Nähe zu Jazzformaten auf. 3.6 Jazz/ Smooth Jazz Jazz hat in den USA, dem Entstehungsort dieser Musik, eine lange Tradition im Radio. Jedoch gab es laut Arbitron (2008) im letzten Jahr lediglich 76 Sender, die Jazzmusik spielten. Ob man das oben besprochene Musikformat Smooth Jazz auch zu Jazz zählen kann, ist fraglich. Auf jeden Fall zeigt sich hier die Uneindeutigkeit der Musikformatbezeichnung. 3.7 Klassik In den USA gibt es 275 Klassik-Sender, die einen AQH-Anteil von 2,0 % aufweisen. Das Format wird vor allem von den Über-65-Jährigen rezipiert. Händel, Bach Mozart sind die „Zugpferde“ dieses Formats.
96 Wobei hier anzumerken ist, dass man mit einem AQH Anteil von 2,1 % nicht mehr wirklich von „independent“ sprechen kann. Aber der Terminus bezeichnet mittlerweile sowieso eher eine gewisse Art von Musik als das Verhältnis der einzelnen Künstler zu den Plattenlabels.
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Holger Schramm & Matthias Hofer
3.8 Gospel Eine Eigenheit in der Formatlandschaft der USA ist die hohe Zahl an Sendern mit religiösen bzw. christlichen Formaten. So gibt es 489 Sender (2,1 %), die ausschließlich Gospelmusik spielen, und 1.717 Sender (11,9 %), die unter „Christian“ oder „Religious“ laufen (Arbitron, 2008). Allerdings sind die AQHAnteile eher gering: Sie liegen zwischen 0,2 % und 2,2 %. Zum Vergleich: In Deutschland finden sich lediglich vier Privatsender mit terrestrischer Verbreitung, die religiöse Inhalte senden, und keine explizit als Gospelsender ausgewiesenen Stationen (Die Landesmedienanstalten, 2007). 3.9 Spanish Adult Hits/Tejano97/Spanish Tropical/Spanish Oldies Auch diese Musikformate sind eine US-amerikanische Eigenheit. Hier werden fast nur spanisch-sprachige Titel gespielt. Zusammen kommen die vier Musikformate auf 141 Sender und einen AQH-Anteil von 1,8 %. Angesichts der Tatsache, dass in den USA die Hispanics (so werden die spanisch-sprachige Bewohner der USA genannt) die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe ist (Nagler, 2004), erstaunt diese Zahl jedoch nicht. An dieser Stelle soll die Aufzählung ein Ende finden. Es sollte deutlich geworden sein, dass das Gewicht der verschiedenen Musikformate in den USA anders verteilt ist als in Deutschland. In Deutschland ist das AC-Format am weitesten verbreitet, in den USA wird zu einem großen Teil Country gehört. Es gibt in den USA natürlich noch weit mehr Formate. In Abbildung 3 sind alle Formate aufgeführt, die in „Arbitron Radio Today – Edition 2008“ (Arbitron, 2008) gelistet sind. Die verschiedenen Formate sind nicht nach ihrem Musikanteil geordnet, sondern nach ihren AQH-Anteilen im Jahr 2007. Des Weiteren sind nicht nur Musikformate, sondern auch so genannte Variety-, Middle-ofthe-Road- sowie News- und Talkformate enthalten.
97
Tejano ist die spanische Bezeichnung für Texaner.
Musikbasierte Radioformate Abbildung 3: Radioformate in den USA98
98
Quelle: Arbitron, 2008, S. 11
131
132 4
Holger Schramm & Matthias Hofer Fazit
Radio gilt als Nebenbeimedium, das nicht die gesamte Aufmerksamkeit eines Menschen in Anspruch nimmt (vgl. Kapitel 2). Musik kann man zu vielen Tätigkeiten hören, und daher definieren sich Radiosender am ehesten durch die Musik, die sie spielen. Musik ist das, was einem Sender zu einem gewichtigen Teil seine Identität bzw. sein Image verleiht. Wie das Kapitel gezeigt hat, ist die Vielfalt der Musikformate groß – in den USA, dem Mutterland der Radioformate, ungleich größer als in Deutschland. Das dürfte verschiedene Gründe haben: Zum einen kann die USA auf eine längere Radiotradition zurückblicken, die zudem nicht von den Praktiken eines autoritären Terrorregimes, das den Volksempfänger zur Volksmanipulation missbrauchte, überschattet wurde. Zum anderen gibt es die duale Rundfunkordnung in Deutschland erst seit 1984. Die Differenzierung aufgrund des Konkurrenzdrucks hat hierzulande im Vergleich zu den USA also relativ spät eingesetzt. Es herrschte in Deutschland lange Zeit eine gewisse Skepsis gegenüber privaten Radioanbietern vor, während in den USA die Liberalisierung des Radiomarktes bereits früh begrüßt wurde. Was das Kapitel auch gezeigt haben sollte, ist, dass die verschiedenen Musikformate oftmals kaum scharf von einander abzugrenzen sind. Am Beispiel Rhythmic CHR vs. Urban Contemporary ist dies besonders deutlich geworden. Ob eine solch feinkörnige Differenzierung wirklich Sinn macht, bleibt dahingestellt. Letztendlich entscheidet sowieso die konkrete Musik und nicht das Label des Musikformats, ob der Sender gehört wird oder nicht. Literatur Arbitron (2008). Radio Today 2008 Edition: How America Listens to Radio. Verfügbar unter: http://www.arbitron.com/downloads/radiotoday08.pdf. Die Landesmedienanstalten (Hrsg.). (2007). ALM Jahrbuch 2006. Berlin: Vistas. Franke, D. (2005). Hip Hop: Kultur, Musik, Geschichte (aus der freien Enzyklopädie Wikipedia, WikiPress, Band 3). Berlin: Zenodot. Goldhammer, K. (1995). Formatradio in Deutschland: Konzepte, Techniken und Hintergründe der Programmgestaltung von Hörfunkstationen. Berlin: Spiess. Goldhammer, K. (2004). Radio in Deutschland. Status Quo 2004. Vortrag auf der Popkomm 2004, 01.10.2004, Berlin. Gushurst, W. (2000). Popmusik im Radio. Musik-Programmgestaltung und Analysen des Tagesprogramms der deutschen Servicewellen 1975-1995. Baden-Baden: Nomos. Haas, M. H., Frigge, U. & Zimmer, G. (1991). Radio Management. Ein Handbuch für Radio-Journalisten. München: Ölschläger. Keith, M. C. & Krause, J. M. (2007). The radio station: broadcast, satellite & internet. Burlington: MA Focal Press.
Musikbasierte Radioformate
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MacFarland, D. T. (1997). Future radio programming strategies: cultivating listenership in the digital age. Mahwah, NJ: Erlbaum. Nagler, J. (2004). Gesellschaftsstruktur und -politik. In Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), USA -Geschichte, Wirtschaft, Gesellschaft (Informationen zur politischen Bildung, Heft 268, S. 2-17). München: Bundeszentrale für politische Bildung. Radiozentrale (2008). Musikformate. Abgerufen am 28.03.2008 unter: http://www. radiozentrale.de/site/61.0.html?&L=. Scherer, F. (2002). Rundfunkfreiheit – von der Freiheit der Berichterstattung über die duale Rundfunkordnung ins Regelungsdickicht? ZEuS, 5(3), 1-25. Shane, E. (1995-1996). Modern Radio Formats: Trends and Possibilities. Journal of Radio Studies, 3, 3-9.
6
Praxis der Musikforschung
Holger Schramm
1
Einleitung
Mit Beginn des dualen Rundfunksystems in Deutschland bzw. mit Beginn des kommerziellen Wettstreits um Radiohörer und Marktanteile wurden sowohl die bereits mehrere Jahrzehnte bewährten Radioformate (vgl. Kapitel 5) als auch die Methoden der Markt- und Musikforschung aus den USA adaptiert (vgl. Hofmann, 1993; Neuwöhner, 1998). So verwundert es auch nicht, dass Coleman Research, der Marktführer der kommerziellen Radioforschung in den USA, mittlerweile auch in Europa präsent ist und in Deutschland die Musikforschung für Radiosender maßgeblich mit prägt. Beobachtet man die deutsche Radioszene, so sprechen einige Indizien dafür, dass neben das Bauchgefühl der Musikredakteure seit den 90er Jahren und vor allem im vergangenen Jahrzehnt mehr und mehr die Zahlen und Ergebnisse der Markt- und Musikforschung als Planungsgrundlage für die Musikprogramme getreten sind. Die einschlägige Literatur konnte dies zunächst nur unzureichend belegen (vgl. zum Beispiel: Goldhammer, 1995; Haas, Frigge & Zimmer, 1991; Neuwöhner, 1998, Gushurst, 2000). Erst durch die grundlegende Erhebung von Schramm et al. (2002) konnten erstmals aussagekräftige Erkenntnisse gewonnen und der hohe Stellenwert der Musikforschung belegt werden99. Aufgrund des interindividuell unterschiedlichen Musikgeschmacks und der unterschiedlichen Fähigkeiten in der Wahrnehmung und Verarbeitung von Musik (de la Motte-Haber, 1996) erweist es sich generell als sehr schwierig, Radioprogramme zu entwickeln, die von einem möglichst großen Personenkreis positiv bewertet und in der Folge regelmäßig genutzt werden (Münch, 1994). Dennoch wird dies mit Hilfe repräsentativer standardisierter Markt- und Musikforschung recht erfolgreich umgesetzt (Balon, 1990; Fletcher, 1987). Diese Forschung ist primär darauf angelegt zu vermeiden, dass Hörer den Sender wechseln, weil sie sich bestimmte Songs überhört haben. Eine prinzipiell hohe Sendertreue und nur vereinzelte Umschaltvorgänge pro Tag (vgl. Kapitel 2) weisen darauf hin, dass die Strategien der Radiosender, basierend auf den Ergebnissen der Markt- und Musikforschung, mehr oder weniger aufgehen (Peters, 2003). 99
Große Teile dieses Kapitels sind bereits in Schramm et al. (2002) abgedruckt.
136 2
Holger Schramm Methoden der Musikforschung
Innerhalb der Musikforschung von Radiosendern bestimmen zwei Arten von Musiktests die Szenerie: Call-Outs und Auditorium-Tests. 2.1 Call-Outs Call-Outs sind schneller und günstiger durchzuführen und werden daher von den meisten Radiosendern präferiert. Dabei werden wöchentlich oder zumindest alle zwei Wochen 30 bis 50 Musiktitel in Form von Hooks (markanter Ausschnitt eines Titels mit einer Länge von ca. acht bis zwölf Sekunden und mit dem vermeintlich höchsten Wiedererkennungswert) ca. 100 bis 200 zufällig ausgewählten Personen der anvisierten Zielgruppe über das Telefon vorgespielt (Schramm et al., 2002). Jeder Titel wird von diesen Personen auf mehrere Kriterien hin beurteilt. In der Regel handelt es sich um drei Aspekte: Bekanntheit („Haben Sie diesen Titel schon einmal gehört?“), Gefallen („Wie gefällt Ihnen dieser Titel?“) und Sättigung („Würden Sie diesen Musiktitel in Ihrem meistgehörten Radioprogramm gerne häufiger hören?“). Über die Sättigung (auch Burn Out genannt) wird primär ermittelt, ob sich die HörerInnen die entsprechenden Titel überhört haben. Bei den Telefonbefragungen werden insbesondere solche Titel getestet, die sehr häufig im Radio gespielt werden, sich also in einer hohen Rotation befinden und bei denen Sättigungstendenzen wahrscheinlicher sind. Als Vorteile der Telefonbefragungen nennen Haas, Frigge und Zimmer (1991, S. 323) unter anderem die schnelle Reaktion auf Stimmungsschwankungen der Hörer und die kontinuierliche und in kurzen Abständen durchgeführte Beobachtung von Musiktitelentwicklungen. Titel können so bei bestimmten Kennwerten zeitnah in die Playlist aufgenommen oder ausgeschlossen werden. Hin und wieder werden zu den bereits genannten drei Aspekten zusätzliche Fragen, zum Beispiel nach der vermuteten Senderzugehörigkeit, nach dem emotionalen Ausdruck der Musik oder nach der gewünschten Tageszeit, zu der ein Titel gespielt werden soll, gestellt. Die Ergebnisse der drei Kriterien Bekanntheit, Gefallen und Sättigung werden anschließend zu einem so genannten PowerScore verdichtet und durch die Kombination mit Soziodemografie- und Mediennutzungsdaten in zielgruppenspezifische Titelindizes überführt, aus denen leicht abzulesen ist, welcher Titel bei welchen HörerInnen gut oder weniger gut abschneidet (Schramm et al., 2002). Angereichert mit Zusatzinformationen über diverse Musikparameter wie Musikgenre, Tempo, Instrumentierung, Geschlecht des Interpreten, Vorlaufzeit bis zum Beginn des Gesangs, Titellänge, Art des Titelendes/Outros (vgl. Kapitel 7) und gewünschter Rotation werden die Titel in
Praxis der Musikforschung
137
Datenbänke eingespeist, auf deren Grundlage spezielle Computerprogramme auf die Zielgruppe abgestimmte Musikprogrammabläufe errechnen. Diese müssen von einem Musikredakteur nur noch dergestalt nachbearbeitet werden, dass ein harmonischer und der Senderphilosophie entsprechender Musikablauf gewährleistet ist (vgl. Kapitel 7; Münch, 1998). 2.2 Auditorium-Test Die Auditorium-Tests hingegen sind zeitlich aufwändiger, kostenintensiver und werden deshalb auch nur ein- bis zweimal pro Jahr von den Radiosendern finanziert. Eine Gruppe von 150 bis 300 Personen wird nach bestimmten Quoten – meist entsprechend der soziodemografischen Zusammensetzung der Zielgruppe des Senders – rekrutiert und in ein Hotel, einen Kino- oder Hörsaal eingeladen. Dort bekommen sie mehrere hundert Hooks (laut Schramm et al., 2002, in Einzelfällen sogar bis zu 1000 Hooks) vorgespielt und müssen Bewertungen anhand der oben genannten drei Kriterien vornehmen. Die Gruppe hört die Titel entweder gemeinsam über eine Stereoanlage, wobei gegenseitige Ablenkung und mögliches Gruppenverhalten die Validität der Daten einschränken (altes Vorgehen), oder bekommt die Titel in einer individuellen, randomisierten Reihenfolge per Kopfhörer vorgespielt (neues Vorgehen). Beim ersten Fall werden Reihenfolgeeffekte dadurch neutralisiert, dass man einer zweiten gleich großen Gruppe die Titel in genau umgekehrter Abfolge (Spiegelbild-Methode) vorgibt. Als technische Neuerung wird mancherorts das Potentiometer eingesetzt, bei dem die Befragten mit Hilfe eines Drehreglers ähnlich einer Lautstärkeregelung stufenlos zwischen Missfallen bzw. Gefallen entscheiden können. Die Auditorium-Tests eignen sich zum Testen großer Teile der Playlist, also auch derjenigen Titel, die sich nicht in der höchsten Rotationsstufe befinden (Recurrents, Back-Katalog; vgl. Kapitel 7). Laut Haas, Frigge und Zimmer (1991, S. 323-324) haben sie überdies die Vorteile, eine sehr große Datenmenge innerhalb kürzester Zeit zu generieren und die Klangqualität der Hooks im Vergleich zu den Telefoninterviews zu verbessern bzw. im Fall von Kopfhörereinsatz sogar zu optimieren. 2.3 Ergänzende Musiktests Neben den beiden Hauptmethoden kommen bei einzelnen Sendern hin und wieder auch andere, ergänzende Musiktests zum Einsatz. Zu nennen sind hier zum Beispiel:
138 x
x x
x
x
Holger Schramm qualitative Methoden: z. B. werden Gruppendiskussionen mit Fokusgruppen durchgeführt, um an tiefer gehende und komplexere Einstellungen, Motivstrukturen und Nutzungsgewohnheiten der HörerInnen zu gelangen (vgl. Kepper, 1996). Call-In: HörerInnen können per Anruf beim Sender eine Auswahl an Hooks abhören und diese bewerten. schriftliche Befragung: den HörerInnen werden Fragebögen zugesandt, auf denen die zu bewertenden Titel mit Interpreten gelistet sind. Die HörerInnen müssen die Titel also auch ohne unmittelbaren Höreindruck zuordnen und bewerten können (wird so gut wie nicht mehr eingesetzt). Studio-Test: HörerInnen werden ins Radiostudio eingeladen und können sich eine Auswahl an Hooks über einen MiniDisc-Player/MP3-Player wiederholt anhören, bevor sie die Titel bewerten (meist in Kombination mit Gruppendiskussionen eingesetzt). Online-Befragungen: HörerInnen können über die Homepage des Radiosenders Hörerwünsche angeben sowie beispielsweise Hooks aus der aktuellen Playlist anhören und bewerten. Hierbei können Daten wie beim CallOut erhoben werden, nur dass die Online-Befragung niemals repräsentativ sein kann. Bei Onlinebefragungen werden vor allem internetaffine HörerInnen mit spezifischer, überdurchschnittlicher Bindung zum Sender mitmachen (also primär die Hardcore-Fans des Senders). Da diese Befragten selbst entscheiden, ob sie bei der Befragung teilnehmen oder nicht, wird das Zufallsprinzip bei der Auswahl der Befragten (= Voraussetzung für repräsentative Ergebnisse) ausgehebelt. Nichtsdestotrotz kann ein Sender über diesen Weg wertvolle zusätzliche Hinweise zur Programmgestaltung erhalten – und dies ganz umsonst von den treuesten Fans.
Neuwöhner (1998) weist bezüglich der Unterschiede zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern darauf hin, dass beide zwar ähnliche Methoden einsetzen, dass sich die privaten Sender aber auf die so genannten „Akzeptanzforschung“ in Form von Call-Outs und Auditorium-Test beschränken können, während der öffentlich-rechtliche Hörfunk auch eine Abbildung anderer Bewertungsdimensionen sicher stellen muss. Um Programmverantwortlichen von Kultur- oder Informationssendern angemessene Entscheidungshilfen an die Hand zu geben, ist ebenfalls ein breiteres und qualitativeres Methodenspektrum gefragt.
Praxis der Musikforschung
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2.4 Mapping-Studien Ein spezieller Fall von Musiktest ist die Mapping-Studie, die meist bei Neugründung oder Neupositionierung (Relaunch) eines Radiosenders vorgeschaltet wird (vgl. Meyer, 2007): Nach Schramm et al. (2002) werden hierbei bis zu 50 Musikstilrichtungen getestet und jeweils durch drei Titel beziehungsweise Hooks repräsentiert. Ziel der Studie ist es, Hörer-Cluster zu bilden bzw. Aussagen treffen zu können, wie viele potenzielle HörerInnen des Zielmarkts welche Musik mögen, welche Musikpräferenzen sich überschneiden beziehungsweise ausschließen und welche Art von Musik welchem Sender zugeschrieben wird, um somit für die eigene Positionierung eine Marktlücke bezüglich der Musik und des Senderimages zu finden (so genannte Differenzierungsstrategie, vgl. Meyer, 2007; Wolling & Füting, 2007). Selbst von Sendern, die keinen Relaunch vollziehen wollen, würden Mapping-Studien zwecks Beobachtung des sich schnell wandelnden Marktes etwa alle drei Jahre in Auftrag gegeben. Das Interessante an einer solchen Mapping-Studie ist, dass die Radiolandschaft eines Hörermarktes entsprechend der Wahrnehmungen der HörerInnen kartografiert und die verschiedenen Hörer-Cluster darin verortet werden können (Meyer, 2007). So kann es beispielsweise sein, dass der betreffende Markt bereits mit zwei AC-Sendern ausgestattet ist, die sich beide so positionieren, „das Beste der 80er, der 90er und die Superhits von heute zu spielen“, und dies entsprechend über Senderjingles und -promotion auch an ihre anvisierte Zielgruppen kommunizieren. Ob dies allerdings auch so bei den HörerInnen ankommt, ist wieder eine ganz andere Frage. Wenn beispielsweise die „Hits der 80er“ von den HörerInnen keinem der beiden Sender zugeschrieben werden, so könnte sich ein neuer Sender dazu entschließen, genau dieses Segment schwerpunktmäßig zu bedienen, um hier die Marktführerschaft zu erlangen. Mapping-Studien bilden somit die von den HörerInnen wahrgenommene Radiolandschaft ab und nicht das tatsächliche Radioangebot, wie es von den Sendern kommuniziert und u.U. sogar umgesetzt wird. Um das tatsächliche Musikprogrammangebot in einem Markt zu erfassen, müssen systematische Inhaltsanalysen der entsprechenden Programme erstellt werden. Diese Analysen gehören nicht zum Standardrepertoire der Musikforschung von Radiosendern und werden allenfalls von den Landesmedienanstalten durchgeführt bzw. in Auftrag gegeben. Ein aktuelles Beispiel einer solchen Analyse ist die Studie von Wolling und Füting (2007), die sieben AC- bzw. CHRProgramme aus drei Märkten (Bundesländern) vergleichend analysiert hat (vgl. Abbildung 1). Betrachtet man zunächst die Formatpositionierungen, wie sie von den sieben Sendern selbst angegeben werden, so würde man eine enorme Konkurrenz vermuten: In Thüringen streiten Antenne Thüringen (Hot AC-Format) mit der Landeswelle Thüringen (Soft-AC-Format) und vor allem mit JUMP
140
Holger Schramm
(Young Hot AC-Format) um Marktanteile. In Sachsen-Anhalt konkurriert Radio SAW (Hot AC-Format) ebenfalls mit JUMP (Young Hot AC-Format) sowie mit Hit-Radio Brocken (Mainstream AC-Format). Und in Hessen dürfte Hit-Radio FFH (Hot AC-Format) mit seiner Musik ebenfalls um – zumindest in Teilen – gleiche Zielgruppen werben wie hr3 (CHR-Format). Abbildung 1:
Konkurrierende Sender in drei Märkten100
Die anhand der Inhaltsanalyse gewonnenen Daten überraschen vor diesem Hintergrund (vgl. Abbildung 2): So spielt JUMP, der Sender mit der vermeintlich jüngsten Zielgruppe in den Märkten Thüringen und Sachsen-Anhalt, weniger Pop-Charts-Titel (44 %) als Antenne Thüringen (52 %) oder Radio SAW (71 %). Antenne Thüringen spielt fast 20 % weniger Pop-Charts und dafür fast 20 % mehr Pop der 80er/90er als Radio SAW – und das, obwohl sich beide Sender als Hot AC-Formate verstehen. Dies verweist darauf, dass sich hinter den Radioformaten häufig ganz andere Gewichtungen von Musikkategorien verbergen können bzw. dass die Programmgestalter der verschiedenen Radiosender unter den Formaten auch etwas anderes verstehen können. Jedoch greift eine derartige Inhaltsanalyse auf Basis von groben Musikkategorien wie Pop vs. Rock bzw. Pop der 80er/90er vs. Pop-Charts mit Blick auf die Wahrnehmung des Programms durch die HörerInnen häufig zu kurz. Denn fragt man die HörerInnen nach ihren subjektiven Höreindrücken, so werden die soeben skizzierten Unterschiede zwischen den Sendern oftmals gar nicht bemerkt.
100
Quelle: Abbildung aus Wolling & Füting, 2007, S. 68
Praxis der Musikforschung Abbildung 2:
Anteil an Musikkategorien der konkurrierenden Sender101
Abbildung 3:
Anteil an Musiktypen der konkurrierenden Sender102
101 102
Quelle: Abbildung aus Wolling & Füting, 2007, S. 70 Quelle: Abbildung aus Wolling & Füting, 2007, S. 73
141
142
Holger Schramm
Dies könnte daran liegen, dass die HörerInnen weniger in Musikgenres und -kategorien, als vielmehr in emotionalen und aktivierenden Qualitäten der Musik denken und vor allem fühlen. Eine Inhaltsanalyse der gleichen sieben Sender entlang musikalischer Ausdrucksparameter erbrachte ein komplett anderes Erscheinungsbild und konnte die vermeintlichen Unterschiede zwischen den Sendern größtenteils nivellieren (vgl. Abbildung 3). 3
Stellenwert der Musikforschung
In der Studie von Schramm et al. (2002) gaben knapp die Hälfte der Radiosender an, Musikforschung zu betreiben. Dies scheint auf den ersten Blick recht wenig. Man sollte jedoch bei der Betrachtung dieser Ergebnisse bedenken, dass viele kleinere Radiosender in einer Kooperation mit einem größeren Sender stehen, dessen Musikanteil von ihnen als Mantel übernommen wird. Als Beispiel für diese Vorgehensweise sind die Lokalsender in Nordrhein-Westfalen zu nennen, die ihre Musik von Radio NRW beziehen. Auch wenn diese Sender selbst keine Titel testen, beruht ihr Programm über Umwege doch auf Forschungsergebnissen des Zuliefer-Senders, sofern dieser forscht. Der Großteil der Sender hat in den Jahren zwischen 1994 und 1998 mit der Musikforschung begonnen. Während die Forschung in den Anfangsjahren noch von den Sendern selbst durchgeführt wurde, wird heute zunehmend auf Institute oder Beratungsfirmen zurückgegriffen. Nur noch knapp 10 % der forschenden Sender führen ihre Forschung selbstständig durch, alle anderen greifen im Bedarf auf externe Institute zurück, wobei ca. Zweidrittel der Sender ausschließlich oder zumindest überwiegend extern forschen lassen (Schramm et al., 2002). Dementsprechend ist durch den wachsenden Musikforschungsmarkt auch eine steigende Zahl von Musikforschungsinstituten zu verzeichnen, die neben den Erhebungen auch Beratungen durchführen. Insgesamt teilen sich ca. ein Dutzend Firmen den Markt. Als führende Anbieter auf dem Markt gelten Coleman Research, C.M.R und Research Group. Die beiden zuerst genannten Firmen werden ausschließlich von Privatsendern konsultiert und versorgen zusammen ca. die Hälfte der befragten und musikforschenden Privatsendern mit Ergebnissen. Öffentlich-rechtliche Stationen wählen tendenziell eher kleinere Beraterfirmen. In der Branche ist es zudem üblich, dass sich insbesondere ehemalige Musikchefs von Radiosendern als Berater selbstständig machen. Auch wenn jedem Institut sein Spezialgebiet bescheinigt wird, ist dennoch folgende Tendenz erkennbar: Die Mehrzahl der Radiosender konsultiert nur ein einziges Institut und bezieht alle Ergebnisse aus einer Hand, was mit geringeren Kosten begründet wird, die
Praxis der Musikforschung
143
sich durch gewisse „Paketangebote“ der Institute ergeben (Schramm et al., 2002). Um bei den Musiktests gut abzuschneiden, muss ein Musiktitel zwangsläufig erst einmal für diese Tests ausgewählt werden. Da nicht jeder Titel getestet werden kann, sollen bestimmte Quellen die Entscheidung für oder gegen einen Titel erleichtern. In der Regel liefern die Musikredaktionen den Instituten die zu testenden Titel bereits in geschnittener Form. Welche Titel in die Tests gegeben werden, hängt damit zum großen Teil von der Einschätzung der Musikredaktion ab. Laut Angaben der deutschen Radiosender kommt dem Sachverstand der Musikredakteure nach wie vor der größte Einfluss zu. Erst dahinter folgen die diversen Charts oder das Musikfernsehen (Schramm et al., 2002): Abbildung 4:
Wichtigkeit verschiedener Informationsquellen für die Auswahl von Titeln für die Musiktests103
6 5.5 5
4.98
Musikredaktion
4.5
Deutsche Single-Charts
4 3.5 3 2.5
Airplay-Charts 3.35
3.35
3.23
Internationale Charts 3.02
Media-Control-Listen Musikfernsehen
2.29 2.16
Plattenfirmen-Promotion
2 1.5 1
103
Quelle: Schramm et al., 2002, S. 237; Bewertungsskala: 1 = überhaupt nicht wichtig, 6 = sehr wichtig
144 4
Holger Schramm Probleme der Musikforschung
Die wissenschaftliche Erkenntnis, dass neue und damit unbekannte Titel zumeist schlechter bewertet werden als bekannte Titel (de la Motte-Haber, 1996), wird auch von den meisten Radiopraktikern bestätigt: Es ist ein generelles Problem, dass ein Großteil der Menschen etwas Neues zunächst einmal nicht so gerne annimmt und negativ bewertet. Obwohl man sich des Problems bewusst ist, zeigte die Studie von Schramm et al. (2002), dass mehr als die Hälfte der forschenden Sender auch neue Titel testet. Der Anteil an allen getesteten Titeln liegt im Schnitt bei ca. 26 %. Neue Titel werden dabei vorrangig in Call-Outs getestet. Dies betrifft vor allem Sender, die aufgrund ihres Formates auf aktuelle Titel in ihrem Programm angewiesen sind, wie beispielsweise CHR- oder Hot-ACStationen. Unter den Radiosendern herrscht weitestgehend Konsens, dass sich wegen des geschilderten Phänomens neue und alte Titel im Prinzip nicht gleichzeitig testen lassen (vgl. zu einer ersten Überprüfung dieses methodischen Problems: Schramm, Vorderer, Tiele & Berkler, 2005). Ein Musiktitel ist nach Einschätzung vieler Musikredakteure erst für einen Musiktest geeignet, wenn er mehrere dutzend Male auf dem Sender gelaufen ist. Viele Sender umgehen das Risiko und testen Titel, die bereits auf Konkurrenzsendern zu hören sind. Den Sendern, die neue Titel ins Programm nehmen, kommt daher eine Pionierrolle zu; sie bringen neue Titel ins Radio und spielen sie bekannt. Einige Sender testen neue Titel in Szene-Clubs und versuchen aus diesen Beobachtungen kommende Hits zu erkennen. Als Pionier-Sender fungieren meist Spartensender. Durch ihre spezielle Ausrichtung ist ihr Publikum neuen Titeln gegenüber meist eher aufgeschlossen. Ein weiteres „Problem“ liegt im prinzipiellen Vertrauen gegenüber den Musikforschungsinstituten. Bei der Bewertung der Arbeit der Institute und der Glaubwürdigkeit ihrer Forschungsergebnisse findet sich unter den Radiosendern sowohl blindes Vertrauen als auch ausgeprägtes Misstrauen. Viele Musikredakteure haben offenkundig wenig Kenntnis davon, wie die Tests genau durchgeführt werden und verstehen sich schlicht und einfach als Auftraggeber, die sich auf die Validität der Ergebnisse verlassen. Andere, meist erfahrenere Musikredakteure sind mitunter misstrauisch und kontrollieren die beauftragten Institute, indem sie beispielsweise heimlich an Auditorium-Tests teilnehmen. Als Hauptgrund wird häufig die Stichprobenziehung genannt. Vielfach glauben die Musikredakteure nicht, dass vom Sender geforderte Quotierungsmerkmale eingehalten werden bzw. dass überhaupt genug Personen für die Tests rekrutiert werden (Schramm et al., 2002).
Praxis der Musikforschung
145
Insgesamt scheinen die Radiosender jedoch mit der Musikforschung unter dem Strich zufrieden zu sein. In der Studie von Schramm et al. (2002) wurden verschiedene Aussagen zur Musikforschung vorwiegend positiv beurteilt. Alle Aussagen wurden dabei von den Sendern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks negativer bewertet: Abbildung 5:
Bewertung der Musikforschung104
4 Musikforschung ist ihr Geld wert
4.91 4.69 4.27
Methoden sind geeignet, um Titel zu testen
5.17 4.94 4.45
Musikforschung bringt nützliche und zuverlässige Ergebnisse
5.2 5 1
1.5
2
2.5
3
3.5
4
4.5
5
5.5
Öffentlich-rechtliche Radiosender Private Radiosender alle
Die bestehenden Musiktests zu verbessern, erweist sich als ein schwieriges Unterfangen (Schramm et al., 2002): Man wünscht sich perfektere und komplexere Verfahren, sieht aber gleichzeitig ein, dass diese nur sehr schwer und für viel Geld umsetzbar sind. Als mögliche Verbesserungen werden beispielsweise der Einbezug der spezifischen Hörsituation in die Bewertung, eine genauere Bewertung durch ausgiebige Einzelgespräche oder große, repräsentative Stichproben, die auch ein größeres Sendegebiet erschließen, von den Radiosendern genannt. Vor dem Hintergrund der Machbarkeit seien nach Meinung vieler Radiosender die angewendeten Verfahren momentan aber das Beste, was möglich sei. Bei der Frage nach weiteren Bewertungskriterien innerhalb der Musiktests würde schnell 104 Quelle: Schramm et al., 2002, S. 240; Bewertungsskala: 1 = stimme überhaupt nicht zu, 6 = stimme voll und ganz zu
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Holger Schramm
deutlich werden, dass Musikforschung vor allem funktional sein muss. Aufgrund der Schnelllebigkeit des Geschäfts müssen Entscheidungen schnell getroffen werden und daher die Testergebnisse schnell verfügbar sein. Zusätzliche Kriterien bzw. komplexe Auswertungen würden mehr Zeit in Anspruch nehmen und höhere Kosten verursachen. 5
Fazit und Ausblick
Art und Stellenwert der eingesetzten Musikforschung haben sich über die Jahre hinweg kaum verändert. Stets rangieren die Call-Outs vor den Auditorium-Tests. Neue Methoden der Musikforschung wurden in den vergangenen 20 Jahren ganz offensichtlich kaum entwickelt. Es sieht so aus, als vertrauten die Radiosender nach wie vor auf die Musiktests, die Mitte der Achtziger eingeführt wurden, und stellen die Zahlen der Musikforschung nicht in Frage. Methodische Detailkenntnisse oder gar Verbesserungsvorschläge werden kaum geäußert. Warum sollten die beauftragten Institute also etwas ändern an ihren Musiktests? Dementsprechend sind die Eckdaten bezüglich Umfang der Stichproben, Anzahl der getesteten Hooks und Anzahl und Art der abgefragten Kriterien ebenfalls unverändert. Lediglich bei den Auditorium-Tests weisen Indizien darauf hin, dass sich Zahl der getesteten Hooks pro Testlauf in den letzten 20 Jahren eher noch erhöht hat. Erstaunlicherweise werden mit einem Anteil von ca. 26 % relativ viele neue Titel in die Musiktests aufgenommen. Handelt es sich bei diesen Titeln tatsächlich um unbekannte Titel oder doch um Titel, die erst kurze Zeit bekannt sind? Einiges weist jedoch darauf hin, dass auch die neuen, bekannten und nicht nur die neuen, unbekannten Titel in diese Kategorie eingerechnet werden. Nichtsdestotrotz ist ein solcher Anteil erstaunlich, da den Programmverantwortlichen in der Regel bekannt ist, dass neue Titel in den Musiktests stets schlecht abschneiden. In welchem Maße diese Titel trotz ihres schlechten Ergebnisses in die Playlist dennoch aufgenommen werden, ist nicht bekannt bzw. hängt von der Senderphilosophie ab. Festzuhalten bleibt, dass das gleichzeitige Testen von bekannten und unbekannten Titeln wenig Sinn macht, wenn eines der abgefragten Kriterien die Bekanntheit ist und dieses Kriterium in ein Gesamttestergebnis bzw. PowerScore eingeht. Hier müsste über alternative Musiktests oder ein getrenntes Testen von alten und neuen Titeln nachgedacht werden (Schramm et al., 2005). Generell lässt sich feststellen, dass Musiktests durchaus noch Entwicklungspotenzial aufweisen. Zwar sind insbesondere die privaten Sender, die bereits Musikforschung durchführen (lassen), in hohem Maße mit den bestehenden Musiktests zufrieden und finden sogar den Preis für Musikforschung angemessen, jedoch wird auch hier vereinzelt Misstrauen und Kritik an Stichprobenrekru-
Praxis der Musikforschung
147
tierung, Testdurchführung und Ergebnissen geäußert. Weiterhin betreibt eine Vielzahl der Sender noch keine Musikforschung und nennt als Gründe unter anderem den hohen Preis und das mangelnde Vertrauen in die Methoden und Ergebnisse der Musikforschung. Grundlagenforschung wie auch kommerzielle Musikforschungsinstitute sollten an einer Weiterentwicklung und Verbesserung der Musiktests interessiert sein. Erstere, um unter anderem den Prozess des alltäglichen Musikhörens über das Radio und die Bewertung von Musik besser zu verstehen; Letztgenannte, um validere Testergebnisse zu generieren, die eine optimalere Beratung der Radiosender ermöglichen und den hohen Preis für Musikforschung rechtfertigen. Ungeachtet dieser methodischen Weiterentwicklung sollten auch in Zukunft Studien den Stand und Stellenwert der Musikforschung bei deutschen Radiosendern dokumentieren, um den Wandel dieser Musikforschung im Zeitverlauf festzuhalten. Literatur Balon, R. E. (1990). Radio in the '90s. Audience, promotion and marketing strategies. Washington, DC: National Association of Broadcasters. de la Motte-Haber, H. (1996). Handbuch der Musikpsychologie (2., erg. Aufl. mit Beiträgen von Reinhard Kopiez und Günther Rötter). Laaber: Laaber-Verlag. Fletcher, J. E. (1987). Music and program research. Washington, DC: National Association of Broadcasters. Goldhammer, K. (1995). Formatradio in Deutschland: Konzepte, Techniken und Hintergründe der Programmgestaltung von Hörfunkstationen. Berlin: Spiess. Gushurst, W. (2000). Popmusik im Radio. Musik-Programmgestaltung und Analysen des Tagesprogramms der deutschen Servicewellen 1975-1995. Baden-Baden: Nomos. Haas, M. H., Frigge, U. & Zimmer, G. (1991). Radio Management. Ein Handbuch für Radio-Journalisten. München: Ölschläger. Hofmann, R. (1993). Streng geheim: Musikforschung. Radiomacher entdecken den Musikgeschmack ihrer Hörer. Diplomarbeit am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung, Hochschule für Musik und Theater Hannover. Kepper, G. (1996). Qualitative Marktforschung. Methoden, Einsatzmöglichkeiten und Beurteilungskriterien (2., überarb. Aufl.). Wiesbaden: DVU. Meyer, J.-U. (2007). Radio-Strategie. Konstanz: UVK. Münch, T. (1994). Musikgestaltung für massenattraktive Hörfunkprogramme – Zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit. Rundfunk und Geschichte. Mitteilungen des Studienkreises, 20(2/3), 99-106. Neuwöhner, U. (1998). Musikstudie oder Titeltest: Methoden der Musikforschung. In C. Lindner-Braun (Hrsg.), Radioforschung: Konzepte, Instrumente und Ergebnisse aus der Praxis. (S. 153-174). Opladen: Westdeutscher Verlag. Peters, L. (2003). Von Welle zu Welle. Umschalten beim Radiohören. Berlin: Vistas.
148
Holger Schramm
Schramm, H., Petersen, S., Rütter, K. & Vorderer, P. (2002). Wie kommt die Musik ins Radio? Stand und Stellenwert der Musikforschung bei deutschen Radiosendern. Medien & Kommunikationswissenschaft, 50, 227-246. Schramm, H., Vorderer, P., Tiele, A. & Berkler, S. (2005). Music Tests in Commercial Radio Research. European Music Journal [Online Journal]. Verfügbar unter: http://www.music-journal.com/. Wolling, J. & Füting, A. (2007). Musik im Radio zwischen Mainstream und Profil. Medien & Kommunikationswissenschaft, 55 (Sonderheft „Musik und Medien“), 62-77.
7
Praxis der Musikprogrammgestaltung
Holger Schramm
1
Einleitung
Welche Faktoren bestimmen die Musikzusammenstellung eines Radioprogramms? Es versteht sich zunächst von selbst, dass aufgrund umkämpfter Hörermärkte und der damit einhergehenden Formatierung von Radioprogrammen die Musik zum Radioformat und der anvisierten Zielgruppe optimal passen muss. Ein Oldie-Sender kann nicht auch noch „die Hits der 80er und 90er und das Beste von heute“ spielen, da er seine Kernkompetenz und sein Image im Bereich der Oldies aufbauen muss, um hier die Qualitäts- und Marktführerschaft zu erreichen und Stammhörer, die diese Musik mögen, möglichst auf Dauer zu gewinnen. Ein nicht zu unterschätzender Einflussfaktor sind des Weiteren die Musikkonzerne, die mit immer aufwändigeren Promotionpaketen die Radiosender bemustern und sie dazu bewegen wollen, ihre Musikprodukte zu spielen. Dass solche Aktionen die Airplay-Einsätze von Musiktiteln und damit ihren Erfolg begünstigen, ist mittlerweile unbestritten (vgl. von Zitzewitz, 1996). So hat in den USA die Verflechtung von Musikindustrie und Radiosendern mittlerweile ein alarmierendes Ausmaß angenommen, von dem der deutsche Markt jedoch weit entfernt ist (vgl. Deul, 2001). Letzte Instanz für die Entscheidung über das Spielen oder Nichtspielen von Musiktiteln ist jedoch in jedem Fall die Musikredaktion eines Senders. Sie bewertet und interpretiert die Ergebnisse der Musikforschung, sie begutachtet die von den Musikkonzernen beworbene Musik nach ihrer Tauglichkeit für das eigene Programm, sie verfolgt die Entwicklung von Musiktiteln anhand internationaler und nationaler Charts, sie informiert sich via MTV und VIVA über Neuerscheinungen, die im Fernsehen manchmal eher laufen als im Radio, sie verschafft sich in Diskos und Musikclubs einen eigenen Eindruck über die Wirkung von vermeintlich sendertauglicher Musik auf ihre HörerInnen und entscheidet dann auf Basis der häufig jahrelangen Berufserfahrung, welche Musik gespielt werden soll und welche nicht (vgl. Haas, Frigge & Zimmer, 1991; Gushurst, 2000). Dieses Kapitel gibt einen Überblick über Prozesse und Entscheidungen, die von einer Musikredaktion bei der Gestaltung eines Musikprogramms durchlaufen werden.
150 2
Holger Schramm Das richtige Maß an Abwechslung und Komplexität
Um eingängige und massenkompatible Musikprogramme zu gestalten, die als Begleitprogramme gut durchhörbar sind, wird der Komplexitätsgrad der Musik im Radio unter Berücksichtigung der Zielgruppe eher niedrig (Rösing & Münch, 1993) und die damit einhergehende Musikforschung der Radiosender einfach gehalten (vgl. Kapitel 6; Schramm et al., 2002). Die meisten Sender nehmen folglich mit ihrer Entscheidung, Musikprogramme auf kleinstem gemeinsamen Komplexitätsniveau zu entwerfen, eher in Kauf, Hörer zu langweilen als sie zu überfordern (Schramm, 2004). Diese strategische Ausrichtung wird mit der Annahme eines eher trägen Hörers begründet: Radio wird primär zur Begleitung anderer Tätigkeiten genutzt und ist somit das klassische Nebenbeimedium (Stümpert, 2004a; vgl. Kapitel 2), das mit eher niedriger Aufmerksamkeit und unter Aufwendung geringer kognitiver Resourcen genutzt wird. Dieses geringe Maß an kognitiver Aktivität wird von den meisten HörerInnen u.a. dazu genutzt, um mehr oder weniger unbewusst zu registrieren, ob ihnen die Musik gefällt oder nicht und ob, wenn ihnen die Musik nicht gefällt, der Aufwand lohnt, nach einem vermeintlich besseren bzw. zu den aktuellen Bedürfnissen passenderen Musikprogramm zu suchen. Nun liegt es in der menschlichen Natur, dass Bekanntes in der Regel besser gefällt als Unbekanntes, weil die Verarbeitung unbekannter Informationen mehr kognitive Resourcen benötigt. Deshalb kommen die Radiosender mit ihrer Entscheidung, primär bekannte Titel zu spielen, der Informationsverarbeitung der HörerInnen entgegen. Entscheidend ist jedoch, dass sich die HörerInnen die Titel noch nicht übergehört haben dürfen, da dieses zu Langeweile und Reaktanz führen könnte, die wiederum kognitive Resourcen beanspruchen würde. Letztendlich nehmen die meisten Radiosender aber an, dass ein geringes Maß an Langeweile (durch zu viele bekannte Titel) weniger zum Umschalten auf einen anderen Sender verleitet als ein geringes Maß an Überforderung (durch zu viele unbekannte Titel). Da beim Hören mehrerer Titel mit ähnlichem Komplexitäts- und Bekanntheitsgrad die Aktivierung schneller nachlässt und sich die HörerInnen schneller langweilen würden (Berlyne, 1971), werden klanglich-strukturelle Kontraste und Wirkungsdynamiken bei der Zusammenstellung der Radioprogramme berücksichtigt (MacFarland, 1997). Dabei werden auch Wochen- und Tagesabläufe der HörerInnen sowie der Jahresablauf mit seinen saisonalen Besonderheiten berücksichtigt (Haas, Frigge & Zimmer, 1991). Über folgende Kriterien kann ein Musikprogramm abwechslungsreich gestaltet werden (vgl. z.B. Stümpert, 2004b):
Praxis der Musikprogrammplanung x x x x x x x x
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Wechsel der Musikrichtungen, soweit das Format dies zulässt (z.B. Wechsel zwischen Pop, Rock, Soul, RnB, HipHop etc.) Wechsel von männlichen und weiblichen Interpreten Wechsel von rein instrumentalen und vokalen Titeln (wird eigentlich nie umgesetzt) Wechsel zwischen schnellen, aktivierenden und langsamen, beruhigenden Titeln Wechsel mit anderssprachigen Titeln (wenn Hauptsprache Englisch) Wechsel zwischen älteren und jüngeren Titeln Wechsel zwischen kommerziell erfolgreichen und erfolglosen bzw. bekannten und unbekannten Titeln (wird in einem Top-40-Programm selbstverständlich nie umgesetzt) Wechsel in der Ausdrucksstimmung der Titel, z.B. Wechsel zwischen eher fröhlichen und eher traurigen Titeln
Der Wechsel zwischen Musiktiteln mit ganz unterschiedlicher Anmutung wird nicht nur aus dem Grund vorgenommen, um das Musikprogramm für die HörerInnen ganzer Sendestunden abwechslungsreich zu gestalten. Ziel ist es auch, in möglichst kurzer Sendezeit einen möglichst facettenreichen Eindruck vom Gesamtkonzept des Programms zu vermitteln, damit HörerInnen der anvisierten Zielgruppe zu jedem Zeitpunkt einer Sendestunde einschalten können und in relativ kurzer Zeit dann auf Musik stoßen, die ihnen gefällt. Die Idee ist also, dass ein Hörer, der noch beim Einschalten des Senders auf einen Musiktitel stößt, der zwar nicht zu seiner Lieblingsmusik zählt, der ihn aber auch nicht komplett abstößt, erst einmal nicht umschaltet und den nächsten und übernächsten Musiktitel abwartet. Gefällt wenigstens einer dieser nachfolgenden Titel, so bleibt der Hörer dran und schaltet nicht um, weil er sich zumindest darauf verlassen kann, dass alle zehn Minuten Musik gespielt wird, die ihm richtig gut gefällt – und die restliche Musik nimmt er billigend in Kauf. Auch bei dieser Strategie besteht selbstverständlich wieder die Gefahr, dass die HörerInnen, die beim Einschalten gerade nicht auf ihre Lieblingsmusik treffen, bei anderen Sendern nach passenderer Musik suchen. Das werden sie auch tun, wenn das Spektrum ihrer Lieblingsmusik relativ eingeschränkt ist und ein anderer Sender genau dieses Spektrum anbietet. Bei HörerInnen, bei denen das Spektrum jedoch breiter ist bzw. die HörerInnen nicht ganz so festgelegt in ihrem Musikgeschmack sind, fährt man als Radiosender besser, einen möglichst breiten Mainstream des Musikgeschmacks zu bedienen. Das Wort „Mainstream“ verweist darauf, dass es allerdings nicht sinnvoll ist, als AC-Sender beispielsweise alle Musikstilrichtungen der Pop- und Rockmusik zu präsentieren. „Extreme“ Musikrichtungen innerhalb der Pop- und Rockmusik fallen ganz aus dem Programm raus, da sie
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Holger Schramm
dem Mainstream, den der Durchschnitthörer noch toleriert, nicht mehr zugerechnet werden können (Gushurst, 2000, S. 68). Ganz anders liegt der Fall freilich bei Radioprogrammen, die gezielter eingeschaltet und aufmerksamer verfolgt werden. Man spricht hier von so genannten „Einschaltprogrammen“, unter die alle wortlastigen Formate und vor allem die Kulturprogramme fallen. Während bei den Begleitprogrammen der Musikanteil 70 % und höher ist, weisen Einschaltprogramme Wortanteile bis zu 80 % aus. DeutschlandRadio ist ein gutes Beispiel für ein Programm mit einem Wortanteil über 50 % (Benecke, 2004). Während einige dieser Formate ausschließlich E-Musik bzw. klassische Musik spielen, gestalten andere einen Mix aus Klassik, Jazz, Chansons, Liedern, Weltmusik und Evergreens. Auch bei solchen Musikprogrammen sollte man auf eine gewisse Passung und Abwechslung achten, allerdings muss das Kriterium der Durchhörbarkeit (Stümpert, 2004a) hier nicht allzu streng umgesetzt werden, da die Musiktitel in den meisten Fällen eh einzeln als so genannte „Trenner“ zwischen verschiedene Informations- und Magazinblöcken gesetzt werden. In einen „Flow-Zustand“ beim Musikhören kommen die HörerInnen also nicht, denn dies ist auch nicht das Anliegen solcher Programme. Die Musik soll in den meisten Fällen lediglich dafür sorgen, dass die HörerInnen zwischen den Informationsblöcken mal abschalten können, um für die nachfolgenden Informationen wieder aufnahmebereit zu sein. 3
Musikprogrammplanung nach „Rezept“? Von Playlists, Rotationen, Stundenuhren und Planungssoftware
Hat sich ein Radiosender nach eingehender Marktanalyse (u.a. mittels MappingStudie, vgl. Kapitel 6; vgl. im Überblick vor allem Meyer, 2007) für ein Programmformat entschieden, so muss er als erstes die Playlist seines Programms bestimmen. Die Playlist umfasst alle Musiktitel, die der Sender in sein Programm integrieren möchte – unabhängig davon, ob der Titel häufig (z.B. bis zu mehrmals täglich) oder selten (z.B. nur zwei-, dreimal im Jahr) gespielt wird. Die Playlist stellt quasi das Musikrepertoire eines Radioprogramms dar und umfasst bei AC-Sendern nur noch selten mehr als 1000 Titel, häufig sogar nur zwischen 200 und 500 Titeln (Stümpert, 2004b). Der Trend geht dabei zu noch kleineren Playlists – insbesondere bei den CHR-Sendern, welche die „Top-40“Idee oft sehr wörtlich nehmen und jenseits der Top 40 kaum noch andere Titel spielen. Mit Blick auf solche Formate gilt eine Playlist nicht selten als umso professioneller, je weniger Titel sie umfasst (Stümpert, 2004b). Denn wenn es einem Radiosender gelingt, mit 40 Titeln die gleiche oder gar eine höhere Einschaltquote zu erreichen wie ein Radiosender, der 100 Titel in seiner Playlist hat,
Praxis der Musikprogrammplanung
153
dann ist ersterer ökonomischer vorgegangen. Selbstverständlich könnte man hier Kriterien der kulturellen Vielfalt sowie der Kreativität der Musikredaktion dagegen halten, jedoch lassen sich solche Kriterien heutzutage nur noch selten mit einem reichweitenstarken und ökonomisch erfolgreichen Programm vereinbaren. Oder anders gesagt: Wenn die große Masse halt die Top 40 von morgens bis abends hören möchte, dann sollte man ihnen dies auch bieten – und sei es für die Musikredakteure noch so wenig abwechslungsreich. Hat man das Musikrepertoire erst einmal definiert und eingegrenzt, so folgt als nächstes eine Einteilung der Playlist nach verschiedenen Kategorien von Musik, die später die Grundlage für die konkrete Planung der Programmstunden bilden. Der Musikredakteur benutzt dafür eine Programmplanungs-Software wie z.B. „Selector“ (amerikanisches Original und Marktführer) oder „MusicMaster“ (deutsches Pendant), die seit den 80er Jahren aus der Musikprogrammplanung nicht mehr weg zu denken ist (Linnenbach, 1987; Münch, 1998). Die Kategorisierung sollte von einem erfahrenen Musikredakteur vorgenommen werden, der ein sicheres „Feeling“ bei der Musikkategorisierung hinsichtlich der vermeintlichen Musikwahrnehmung der angepeilten Programmzielgruppe entwickelt hat (vgl. Neu & Buchholz, 2004). Ob ein Titel z.B. als eher irritierend oder eher nicht irritierend eingestuft wird, muss der Musikredakteur aufgrund seiner Kenntnisse und Erfahrungen mit der entsprechenden Hörerzielgruppe entscheiden, denn ein und derselbe Musiktitel kann z.B. für HörerInnen eines CHRSenders irritierend und für HörerInnen eines AC-Senders nicht irritierend sein. Unabhängig vom Musikformat des Senders sind die Kategorien wiederum nach Gruppen, Untergruppen und Unter-Untergruppen aufgeteilt, so dass eine immer feinere Einteilung der Musik bzw. detailliertere Zuschreibung von Musikmerkmalen entsteht. Als Kategorien fungieren in der Regel Alterseinteilungen, zum Beispiel für einen AC-Sender (vgl. Neu & Buchholz, 2004; Haas, Frigge & Zimmer, 1991; vgl. für einen CHR-Sender z.B. auch das Kapitel 9): x x x x x
Kategorie A = aktuelle Hits Kategorie B = Recurrents (Hits, die ein paar Monate bis zu ein paar Jahren alt sind, vgl. Kapitel 5) Kategorie C = Hits der 90er Kategorie D = Hits der 80er ...
Nach Einteilung in Kategorien wird jeder Musiktitel Gruppen und Untergruppen zugeordnet. Eine Gruppierung kann beispielsweise mit Blick auf die Passung mit der Zielgruppe erfolgen (vgl. Neu & Buchholz, 2004):
154 x x x x
Holger Schramm Gruppe 1 = Hits mit höherem Wiedererkennungswert, eher nicht irritierend Gruppe 2 = Hits mit höherem Wiedererkennungswert, eher irritierend Gruppe 3 = Hits mit niedrigerem Wiedererkennungswert, eher nicht irritierend Gruppe 4 = Hits mit niedrigerem Wiedererkennungswert, eher irritierend
Jede dieser Gruppen kann nun in weitere Untergruppen entlang verschiedenster Kategorisierungsmerkmale eingeteilt werden. Übliche Merkmale sind dabei: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17.
Musikrichtung/Musikgenre Tempo (z.B. fast vs. medium vs. slow) Klangfülle Art der Instrumentierung (z.B. gitarrenlastig vs. keyboard-lastig) Intensität (z.B. hot vs. medium vs. easy) Sprache, in der gesungen wird Geschlecht des Interpreten Anzahl der Sänger (Solo vs. Duo vs. Gruppe) Ausdrucksstimmung des Titels (z.B. traurig vs. fröhlich vs. aggressiv) Länge des Intros („Ramp“ = Instrumentalvorspiel) = Vorlaufzeit vom Beginn des Titels bis zum Beginn des Gesangs Länge und Art des Ende/Outros („Cold“ = abruptes Ende, „Cold Fade/Quick“ = schnelles Ausblenden, „Fade“ = langsames Ausblenden) Eignung für Eröffnung einer Programmstunde („Opener“) Eignung für bestimmte Tageszeiten Eignung für bestimmte Jahreszeiten (z.B. Sommertitel) Thematischer Bezug (z.B. Karnevalstitel) Informationen als Moderationshilfe (z.B. Jahr der besten Hitparadenplatzierung) ...
Nach Angaben von Neu und Buchholz (2004, S. 288) muss ein Musikredakteur mindestens einen Monat lang arbeiten, um eine Playlist von ca. 600 Titeln entlang all dieser Kategorien und Unterkategorien einzuteilen. Als nächstes muss der Musikredakteur in der Programmplanungs-Software festlegen, wie jede einzelne Programmstunde an jedem Tag der Woche zusammengesetzt werden soll bzw. in welcher Reihenfolge welche Art von Musiktitel in welcher Programmstunde abgespielt werden sollen. Dabei werden auch so genannte „Platzhalter“ für Werbung, Senderpromotion („Promo“), Teaser, Gewinnspiele sowie alle halbe Stunde für den Nachrichten- und VerkehrsfunkBlock mit eingeplant und in einer so genannten Stundenuhr (auch Programmuhr
Praxis der Musikprogrammplanung
155
oder Musikuhr genannt) visualisiert. Spätestens an dieser Stelle beginnt der kreative Teil für den Musikredakteur, der auf Basis dieser Stundenuhren den Computer mit dem Rezept „füttert“, mit dem die Software später einen Programmablauf inkl. konkreter Musiktitelvorschläge errechnet. Der Musikredakteur muss dabei u.a. folgende Punkte entscheiden: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
8.
ob der Nachrichten- und Verkehrsfunk-Block vor oder nach der halben bzw. vollen Stunde gesendet wird wie viele Wortbeiträge, Teaser und Promos pro Stunde eingestreut werden an welchen Stellen Wortbeiträge, Promos und Teaser eingespielt werden an welchen Stellen wie viele Musiktitel hintereinander gespielt werden, bevor wieder ein Wortbeitrag eingestreut wird ob nur „Opener“ nach den Nachrichten- und Verkehrsfunk-Blöcken eingesetzt werden welche Merkmale ein Titel erfüllen muss, der nach Wortbeiträgen folgt105 wie oft welche Kategorien von Musiktitel pro Stunde gespielt werden dürfen. Beispiel: x Kategorie A: 6x pro Stunde x Kategorie B: 4x pro Stunde x Kategorie C: 2x pro Stunde x Kategorie D: 1x pro Stunde welche Merkmale die Musiktitel erfüllen müssen, die hintereinander in einem Block gespielt werden.
Für den letztgenannten Aspekt im Folgenden ein Beispiel, wie bei einem ACSender die ersten drei Musiktitel einer Stundenuhr definiert sein könnten: x
105
nach den Nachrichten/dem Verkehrsfunk immer ein Opener mit folgenden Merkmalen: o Kategorie A = aktueller Hit o Intensität = hot o Tempo = fast o Sprache = englisch o Musikrichtung = Rock o Interpret = männlich
Viele Musikredakteure programmieren hier so, dass nach Wortbeiträgen stets ein aktivierender, dynamischer Musiktitel folgt, um einen Kontrast zum vermeintlich weniger aktivierenden Wortbeitrag zu setzen. Häufig wird auch kein deutsch-sprachiger Titel hinter einem Wortbeitrag platziert, damit von den HörerInnen kein ungewollter Bezug zwischen Inhalt des Beitrags und dem Text des Musiktitels hergestellt wird (Neu & Buchholz, 2004, S. 288).
156 x
x
Holger Schramm danach immer ein Titel mit folgenden Merkmalen o Kategorie A = aktueller Hit o Intensität = medium o Tempo = medium o Sprache = englisch o Musikrichtung = Pop o Interpret = weiblich danach immer ein Titel mit folgenden Merkmalen o Kategorie B = Recurrent o Intensität = easy o Tempo = slow o Sprache = deutsch o Musikrichtung = Pop o Interpret = männlich
Insbesondere die Punkte 7 und 8 (siehe vorherige Seite) entscheiden über die musikalische Anmutung und das musikalische Profil eines Radioprogramms und werden wie „Geheimrezepte“ von den betreffenden Musikredakteuren behandelt, die für die verschiedenen Tagesabschnitte, die verschiedenen Wochentage und teilweise auch für die verschiedenen Jahreszeiten unterschiedliche „Rezepturen“ entwickeln (vgl. z.B. die zwei Stundenuhren in Abbildung 1 und Abbildung 2). Jenseits dieser bereits genannten Kriterien müssen diverse andere „Regeln“ aufgestellt werden. Dazu gehören vor allem die so genannten Rotationsregeln, die darüber bestimmen, wie oft und wann die Musiktitel im Programm zu hören sind. Beispiel: x x x x
Titel der Kategorie A: 3x täglich Titel der Kategorie B: 1x täglich Titel der Kategorie C: 1x pro Woche Titel der Kategorie D: 2x im Monat
Je nach dem, wie man diese Regeln gestaltet, benötigt man eine mehr oder weniger umfangreiche Playlist. Je öfter die Titel gespielt werden, je höher also die durchschnittliche Rotation der Titel, desto kleiner die Playlist.
Praxis der Musikprogrammplanung Abbildung 1:
157
Stundenuhr Berliner Rundfunk am Donnerstag, 2. Februar 2006, 18 bis 19 Uhr 106 ''60 Minuten Berlin'' Stundenuhr Service Werbung News Service Promo Teaser +Opener Promo Musik
Musik
Musik
Golden Kamera
Musik Musik
Promo
Musik
Kiezreport
Irakgeiseln Musik Musik
Promo
Musik
Musik
Promo
Musik
Musik Promo Teaser +Opener Service Promo News Werbung
Abbildung 2:
Streik (Verdi)
Stundenuhr Hit Radio FFH am Montag, 2. Oktober 2006, von 06.55 bis 07.55 Uhr 106 HIT RADIO FFH Stundenuhr Service Opener+Teaser News Promo Promo Werbung Musik Promo Musik Promo ''Wetten, dass'' Musik Promo Musik Musik FFH-Kostenkiller Comedy Musik
Musik FFH-Kostenkiller
106
Promo Service Musik Werbung Service Promo Opener News Werbung
Musik
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung; abrufbar unter: www.bpb.de
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Holger Schramm
Zu den Rotationsregeln gehört weiterhin die Frage, ob ein Musiktitel erst durch verschiedene Tagesabschnitte rotiert sein muss, bevor er wieder im gleichen Tagesabschnitt gespielt werden darf. So kann man z.B. verhindern (oder gerade bewusst festlegen), dass ein und derselbe Titel an zwei aufeinander folgenden Tagen zu den immer gleichen Zeiten gespielt wird. Man kann zudem festlegen, dass eine bestimmte Anzahl von Tagen vergangen sein muss, bevor ein Titel wieder gespielt werden darf, und dass die Position innerhalb der Programmstunde auch von Einsatz zu Einsatz rotieren muss. Um ein 24-Stunden-Programm für eine ganze Woche zu erstellen, benötigt die Software nur wenige Sekunden (Münch, 1998). Jedoch ist damit die Musikprogrammplanung noch nicht abgeschlossen. Jede vom Computer erstellte Programmstunde muss „per Hand“ vom Musikredakteur kontrolliert und nachbearbeitet werden, was mit ca. zwei Stunden Arbeit pro Tagesprogramm angesetzt werden kann (Neu & Buchholz, 2004, S. 290). Denn der Computer funktioniert zwar fehlerlos im Hinblick auf die Regeln, mit denen man ihn füttert. Jedoch kann man nicht alle Konstellationen, die bei der Zusammenstellung eines Musikprogramm auftreten können, über eine solche Software antizipieren, so dass Kreativität, Erfahrung und das subjektive Gefühl des Musikredakteurs auch an dieser Stelle gefragt ist. Aufgrund des regelhaften Vorgehens des Computers können beispielsweise zu stereotypische Sendestunden mit immer den gleichen Abfolgen von immer den gleichen Musiktiteln entstehen. In diesen Fällen muss per Hand nachgebessert werden oder die Regeln für die Programmstunden müssen entsprechend gelockert werden. Der Computer erkennt beispielsweise auch nicht, wenn Original- und Coverversion eines Songs hintereinander folgen oder wenn ein Titel von Phil Collins direkt auf einen Titel von Genesis (den ebenfalls Phil Collins singt) folgt. Auch kann es vorkommen, dass Titelende eines Songs nicht zum Titelanfang des nachfolgenden Songs passen, so dass der Musikredakteur hier entweder einen anderen nachfolgenden Titel auswählen muss oder den Übergang mit einer so genannten Transition (auch Bridge oder Brückenjingle genannt) gestalten muss (vgl. Lengenfelder, 2004). 4
Stellenwert der Musikforschung
„Manche bilden sich ja ein, sie könnten aus dem Bauch entscheiden. Ich sage: Nur aus dem Bauch heraus kann niemand heute ein 100-prozentiges Programm machen.“ (Schramm et al., 2002, S. 238). Mit diesen Worten begründete ein Programmverantwortlicher den Einsatz der Musikforschung in seinem Sender. Um das Musikprogramm optimal zu gestalten, ist für viele Sender die Musikforschung inzwischen das Herzstück der Musikprogrammgestaltung. Die Befürwor-
Praxis der Musikprogrammplanung
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ter dieser Forschung führen in der Regel die in den ma-Zahlen dokumentierte positive Reichweitenentwicklung ihrer Sender maßgeblich auf den konsequenten Einsatz von Musikforschung zurück. Um Programmentscheidungen treffen zu können, die auch in umkämpften Märkten auf Zuspruch treffen, ist – so die inzwischen weit verbreitete Annahme – neben intuitiven Eingebungen mehr und mehr auch eine empirische Untermauerung gefragt. Dabei wird häufig erwähnt, dass Musikforschung für die Sender unterschiedlich wichtig werden kann. So sei eine öffentlich-rechtliche Drei-Länder-Anstalt eher auf Musikforschung angewiesen als ein Sender, der nur in einem Bundesland zu empfangen ist (Schramm et al., 2002). Das Maß, in welchem die aus der Musikforschung gewonnenen Ergebnisse in das Programm einfließen, variiert freilich von Sender zu Sender. Bei einigen Sendern wird nach der Devise „Musik-Research ist das Programm“ verfahren. Andere Sender beziehen sich nach wie vor primär auf die Expertise der Musikredaktion und messen den Ergebnissen der Musiktests weniger Bedeutung bei. In diesen Fällen dienen die Musiktests lediglich als Orientierung. In der Studie von Schramm et al. (2002) zeigte sich, dass der Musikforschung insgesamt – im Durchschnitt aller Radiosender – dennoch die größte Rolle zukommt (vgl. Abbildung 3). Nach Sendertypen aufgeschlüsselt zeigte sich, dass für die Privatsender die Musikforschung die Hauptquelle für die Programmgestaltung darstellt, während für die öffentlich-rechtlichen Stationen die Einschätzung der Musikredaktion das wichtigste Kriterium ist (Schramm et al., 2002, S. 238-239). In den meisten Fällen dienen die quantitativen Daten der Musikforschung als Grundlage, auf der die Musikredakteure das Programm dann qualitativ aufbauen. Sender, die auf Musikforschung zurückgreifen, unterscheiden sich nicht in der Größe ihrer Musikredaktion von den restlichen Sendern. Man kann also nicht davon sprechen, dass Fachpersonal und erfahrene Musikredakteure durch den Einsatz der Forschung überflüssig wird – eher umgekehrt sind Fachkräfte gefragt, die mit den Ergebnissen auch umgehen können: „Mängel entstehen nicht aus der Musikforschung, sondern aus Unsicherheiten und Unerfahrenheit der Programmplaner, die mit den Ergebnissen entweder nicht umgehen können oder sich zu sehr von ihnen leiten lassen, statt von ihrer Erfahrung.“ (Schramm et al., 2002, S. 239). Die Studie von Schramm et al. (2002) konnte somit aufzeigen, dass sich ein erfolgreiches Musikprogramm nur dann gestalten lässt, wenn eine kompetente Musikredaktion die Ergebnisse der empirischen Forschung zu deuten und zu bewerten weiß.
160
Holger Schramm
Abbildung 3:
Stellenwert verschiedener Quellen für die Musikprogrammgestaltung107
6 5.5 5
5.22
Musikforschung
4.73
Musikredaktion
4.5
Hörerwünsche
4 3.5 3 2.5
Airplay-Charts 3.38 3.11
Deutsche Single-Charts
3.07
Internationale Charts 2.76
2.7
2.36
2.29
2
Media-Control-Listen Musikfernsehen Plattenfirmen-Promotion
1.5 1
5
Einbeziehen von Charts und anderen Quellen
Um sich darüber zu verständigen, welche Musiktitel für die Playlist des Senders in Frage kommen, trifft sich die Musikredaktion regelmäßig (das kann u.U. sogar jede Woche sein) in so genannten Abhörkonferenzen bzw. Musikredaktionskonferenzen (vgl. Gushurst, 2000, S. 70). In diesen Meetings werden u.a. folgende Fragen diskutiert: 1. 2. 3.
Wie bewertet und interpretiert man die Ergebnisse der Musikforschung bzw. des aktuellen Call-Outs? Welche Musiktitel sind neu auf dem Markt bzw. in die Charts eingestiegen? Welche Musiktitel haben sich wie in den Charts entwickelt (aufsteigende oder absteigende Tendenz)? Titel mit absteigender Tendenz sollten vorsichtig behandelt werden (hier sollte man auf die Burn-Out-Werte des Call-Outs achten)!
107 Quelle: Schramm et al., 2002, S. 239; Bewertungsskala: 1 = überhaupt nicht wichtig, 6 = sehr wichtig
Praxis der Musikprogrammplanung 4. 5.
6. 7. 8.
9.
161
Welche Musiktitel möchte man in der folgenden Woche im Call-Out testen? Welche Musiktitel sollten auch ohne Ergebnisse aus den Musiktests in die Playlist aufgenommen werden? Dies betrifft z.B. Interpreten/Bands, die so erfolgreich sind bzw. so stark von der Zielgruppe des betreffenden Senders akzeptiert werden, dass allein der Name des Interpreten/der Band in der Regel ausreicht, um eine Neuveröffentlichung attraktiv zu gestalten und den Song in kurzer Zeit hoch in den Charts zu platzieren (z.B. Songs von Madonna). Welche Musiktitel wurden über die Promoter der Musikindustrie angeboten bzw. beworben und bieten sich für das eigene Programm an? Auf welche Musiktitel sollte man trotz guter Ergebnisse in den Musiktests verzichten, weil sie u.U. nicht zum Image oder zur Klangfarbe des Senders passen? Welche Musiktitel werden von der unmittelbaren Sender-Konkurrenz wie häufig gespielt? Hier kann man tendenziell auf zweierlei Weise vorgehen: Entweder man spielt bewusst die gleichen Titel, um sich als direkte Konkurrenz zu positionieren, oder man spielt – zumindest in Teilen – andere Titel, um das eigene Profil zu betonen und sich eher als Alternative zu positionieren. Welche Musiktitel laufen schon im Musikfernsehen (z.B. auf MTV und VIVA) und sind noch nicht „on air“? Wie ist die Airplay-Tendenz dieser Songs einzuschätzen? Das zeitnahe Aufgreifen von Trends und das schnelle Agieren auf Entwicklungen im Markt ist sicher für CHR-Sender noch wichtiger als für Sender mit breiterem und weniger aktuellem Repertoire. HörerInnen eines CHR-Senders verlangen geradezu von „ihrem“ Sender, dass er den Trends und Entwicklungen nicht hinterherläuft, sondern sie nach Möglichkeit sogar setzt und gestaltet. Vor diesem Hintergrund ist das Musikfernsehen nicht für jeden Radiosender ein adäquates Trendbarometer. CHRSender holen sich vielmehr ihre Anregungen aus Szene-Clubs oder aufgrund von Trends und Neuveröffentlichungen in den USA und Großbritannien, da sich diese Trends häufig zeitverzögert dann auch auf breiter Front in Deutschland zeigen.
Zentrale Orientierung über die Akzeptanz von Musiktiteln im Markt liefern diverse Charts, die ein Musikredakteur richtig einzuschätzen wissen sollte (vgl. hierzu z.B. Altig, 2007; Bundesverband Musikindustrie, 2008; Moser & Scheuermann, 2003; Weinacht & Seegel, 2006). Daher im Folgenden ein kurzer Überblick: Die wichtigsten Charts sind zunächst die deutschen Top-100-Single-Charts, die (wie auch die deutschen Top-100-Album-Charts) im Auftrag des Bundesver-
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bands Musikindustrie (bis 2007: Bundesverband der phonographischen Wirtschaft) von der Firma Media Control GfK International wöchentlich ermittelt werden. Media Control trägt auch die Veröffentlichungsrechte. Die wichtigsten Veröffentlichungen erfolgen in den Branchenzeitschriften „Musikwoche“ und „Musikmarkt“. In diesen Zeitschriften sind auch die berühmten Chart-Poster enthalten, die in den Plattenläden als Orientierung für die Kunden häufig aushängen. Grundlage für die Chartberechnungen sind zunächst die Verkaufszahlen von Tonträgern innerhalb einer Chartwoche. Die Ermittlung der HändlerTonträgerverkäufe erfolgt seit 1997 ausschließlich auf elektronischem Wege durch das flächendeckend eingeführte Bestellsystem PhonoNet. Die am Chartpanel teilnehmenden Musikgeschäfte müssen bestimmte Kriterien erfüllen, z.B. eine repräsentative Breite des Repertoires führen. Im Jahre 2007 wurden die Verkäufe von etwa 3.000 Verkaufsstellen („Outlets“) berücksichtigt. Damit nähert sich das Chartpanel statistisch betrachtet einer Vollerhebung. Heute reichen meist 5.000 wöchentliche Verkäufe bundesweit, um obere Ränge der Top 10 der Single-Charts zu erreichen. „Für die Top 100 reichen in schlechten Wochen mitunter ‚dreistellige Zahlen‘, weiß Manfred Gillig-Degrave, als Chefredakteur des Musik-Handelsmagazins ‚musikwoche‘ einer der bestinformierten BranchenInsider im Lande“ (Patalong, 2008). Seit Januar 2001 werden Verkäufe von Online-CD-Händlern wie Amazon.de und seit Juli 2002 auch Musikvideos (DVD, VHS) in die Berechnung der Single- und Album-Charts mit einberechnet. Seit September 2004 werden außerdem die digitalen Downloads von Download-Shops wie z.B. iTunes in die Wertung der Single-Charts mit einbezogen und für die Ermittlung der neu eingeführten Download-Charts benutzt. Seit Juli 2007 werden für die Single-Charts auch so genannte „Digital-Only-Releases“ erfasst, also reine Online-Veröffentlichungen. Zudem wurde das Zählverfahren geändert. Für die Chartplatzierung ist nicht mehr wie bisher die Anzahl verkaufter Tonträger bzw. Downloads ausschlaggebend, sondern der von einem Produkt erzielte Umsatz. Das meistverkaufte Album einer Woche muss also nicht mehr zwangsläufig auf Platz 1 der Charts stehen. Zusätzlich zu den Top 100 Single-Charts, den Top 100 Album-Charts ermittelt Media Control weitere Verkaufs-Charts, z.B. die Top 30 CompilationCharts (Alben), die Top 40 Dance-Charts, die Top 20 Klassik-Charts (Alben), die Top 30 Jazz-Charts, die Top 20 Musik-DVDs sowie die Top 20 Deutscher Schlager. Die wichtigsten ausländischen Verkaufs-Charts sind die UK Top 40 (britische Single-Charts, die auch Basis für die erfolgreiche Fernsehsendung „Top of the Pops“ ist) sowie die Billboard Hot 100 (Single-Charts des US-
Praxis der Musikprogrammplanung
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amerikanischen Billboard-Magazins; neben den Verkäufen gehen hier auch die Radioeinsätze in die Berechnung mit ein). Trendcharts wie die Deutschen Black Charts, Deutschen Dance Charts oder die Deutschen Alternative Charts werden hingegen von der Firma DJ Propaganda erstellt und vermarktet. Sie spiegeln keine realen Verkaufszahlen wieder. Von besonderem Interesse für Radiosender sind die Airplay-Charts, da sie auf den Einsätzen (Airplays) der Musiktitel im Radio beruhen, als Indikator für die Entwicklung eines Titels in den Verkaufscharts gelten und somit noch „sensibler“ als die Media Control Charts auf aktuelle Entwicklungen reagieren. Durch die Zuordnung von Radiosender und Musikprogramm wird zudem die Positionierung eines Musiktitels hinsichtlich der Zielgruppen transparent. Die Airplay-Charts geben die Rangfolge der im Radio gespielten Titel nach Anzahl der Einsätze pro Woche und Reichweite wieder. Die Charts können durch die Auswertung der von den Sendern erstellten Sendelisten oder durch die direkte Beobachtung der gesendeten Programme erfolgen (vgl. www.radiocharts.com). Basis der Ermittlung der Airplays ist heutzutage meist ein elektronisches Erkennungssystem, bei dem jeder Song durch so genannte „Fingerprints“ erfasst ist, d.h. in kurzen zeitlichen Abständen wird eine Art musikalischer Fingerabdruck genommen. Das Ermittlungssystem vergleicht dann die elektronische Struktur der ausgestrahlten Titel in den überwachten Sendern permanent mit den Fingerprints in der Datei. Wird ein Titel erkannt, wird automatisch der jeweilige Einsatz mit Titel, Interpret, Sender und Uhrzeit festgehalten und später ausgewertet. Bei der Auswertung werden die Plays mit den jeweiligen Hörer-Reichweiten der Sender gewichtet. Das irische Unternehmen Nielsen Music Control ermittelt in 18 Ländern die Airplay-Charts, so auch in Österreich und Deutschland (vgl. www.nielsenmusiccontrol.com). In der Schweiz werden die offiziellen Schweizer Charts durch das deutsche Unternehmen MusicTrace erstellt. Diese Firma bietet im Auftrag mehrerer Plattenlabels ebenfalls deutsche Airplay-Charts an (vgl. www.radiocharts.com). 6
Fazit und Ausblick
Welche Faktoren bestimmen nun die Musikzusammenstellung eines Radioprogramms maßgeblich? Unter den Sendern, die Musikforschung betreiben, hat selbige auch den höchsten Stellenwert als Quelle für die Musikprogrammgestaltung. Die Einschätzung der Musikredaktion hat zwar auch eine große Bedeutung, rangiert aber hinter der Musikforschung. Die Musikredaktion nimmt jedoch aus einem weiteren Grund eine Schlüsselposition ein: Sie ist mit Abstand der wichtigste Faktor für die Auswahl von Titeln für die Musiktests und nimmt eine Art
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Gatekeeperfunktion wahr, indem sie letztendlich darüber entscheidet, welche Titel überhaupt die Chance haben, im Musiktest gut abzuschneiden (vgl. Kapitel 6). Insofern ist sie trotz Musikforschung insgesamt der einflussreichste Faktor. Charts und Hitparaden spielen sowohl für die Titelzusammenstellung in den Musiktests als auch im letztendlichen Musikprogramm eine eher untergeordnete Rolle (dies ist selbstverständlich auch von Radioformat zu Radioformat verschieden). Interessant ist, dass die Promotionsaktivitäten der Musikkonzerne als unbedeutend erachtet werden. Dies ist zum einen ein erfreuliches Ergebnis, da ein unabhängiges Arbeiten der Radiosender von den Musikkonzernen sicherlich wünschenswert ist; zum anderen muss aber auch vermutet werden, dass dieses Ergebnis teilweise auf sozial erwünschtes Antwortverhalten der Programm- und Musikchefs zurückzuführen sein könnte: Wer gibt schon gerne zu, sich hin und wieder von den Plattenpromotern beeinflussen zu lassen? Erfreulich ist weiterhin, dass die Hörerwünsche bei der Zusammenstellung des Musikprogramms ebenfalls eine gewichtige Rolle spielen. Das Radioprogramm ist also nach wie vor etwas „Organisches“, das nicht nur auf der Basis von Musikforschung und Computerprogrammen generiert wird, sondern in das auch der Musikgeschmack der Musikredakteure und der Hörer mit einfließt. Ein zentraler Aspekt für die Programmgestaltung ist die Frage nach dem Anteil neuer, unbekannter Titel. Soll der Musikredakteur das Risiko eingehen, einen Titel in die Playlist aufzunehmen, der in den Musiktests aufgrund seiner geringen Bekanntheit nur schlecht abschneiden konnte bzw. der gar nicht getestet wurde? Dieses Risiko wird derzeit noch eingegangen, jedoch in geringerem Maße als zu Beginn des dualen Rundfunksystems. Der Konkurrenzkampf speziell der privaten Sender hinterlässt auch hier seine Spuren. Die Musik muss also einige Hürden und Entscheidungsinstanzen überwinden, bevor das Publikum sie über das Radio hören kann. Zurzeit spielen das Gefühl und die Expertise der Musikredakteure dabei noch eine vergleichbar größere Rolle als die Musikforschung. Und dies muss man begrüßen, solange die Musiktests keine Ergebnisse produzieren, die ein optimal auf die Hörerbedürfnisse abgestimmtes Musikprogramm gewährleisten. Literatur Altig, U. (2007). Die media control Charts. In B. Schneider & S. Weinacht (Hrsg.), Musikwirtschaft und Medien. Märkte – Unternehmen – Strategien (S. 161-169). München: Fischer. Benecke, M. (2004). Formate für Einschaltprogramme. In W. von La Roche & A. Buchholz (Hrsg.), Radio-Journalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis im Hörfunk (S. 277-281, 8. Auflage). Berlin: List.
Praxis der Musikprogrammplanung
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Konzeption und Gestaltung von AC-Formaten
Björn Stack
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Einleitung
Der Name des Formats ist Programm: Adult Contemporary, „ zeitgemäße Musik für Erwachsene“. Ein Radiosender spielt einfach die Musik, die dem Zeitgeist entspricht und Erwachsenen gefällt. Damit ist eigentlich alles gesagt und gleichzeitig nichts. Denn einerseits kann jeder Musiktitel einen erwachsenen Menschen ansprechen und zeitgemäß ist prinzipiell auch jede Musikstilrichtung: Pop, Rock, Jazz, auch Schlager - wenn Stefan Raab oder Guildo Horn beim Eurovision Song Contest teilnehmen - und selbst Klassik, in einem Mozart-Jahr. Andererseits stellt sich die Frage, ob sich all diese Stilrichtungen mit der Fülle ihrer unterschiedlichen Epochen, Künstler und Titel in einem einzigen Musikprogramm wieder finden können. Eine Antwort fällt nicht schwer: Für jeden würde es befremdlich klingen, wenn ein Radiosender nach den Nachrichten zunächst Andrea Berg spielen würde, dann Scooter - gefolgt von Elvis, ACDC und Beethovens Neunter. Aber selbst wenn man „extreme“ Musikstilrichtungen eliminieren und Formate nach E- und U-Musik (Klassik/ernste Musik vs. Unterhaltungsmusik) splitten würde, wäre dann z.B. die U-Sparte nicht immer noch viel zu groß, um diese Vielfalt der Zielgruppe anzubieten? Müssen also einzelne Subformate gebildet werden, die erwachsen und zeitgemäß klingen? Und welche Titel passen dann wie und unter welchen Umständen in diese Formate? Fest steht: Neben Wortbeiträgen, Moderation, Nachrichten und Service u. ä. ist die Musik eines Radiosenders ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Programmelement für jedes Format, auch für AC. In diesem Kapitel soll deshalb das AC-Format zunächst mit seinen Ausprägungen/Subgruppen definiert, typologisiert und zu anderen Formaten abgegrenzt werden. Anschließend soll die tägliche Arbeit am AC-Format (die Musikplanung) kurz skizziert werden, um abschließend einen Blick in die Zukunft des Formates zu wagen.
168 2
Björn Stack Definition des AC-Formats
Ohne Zweifel: Das AC-Format ist ein sehr populäres und erfolgreiches HörfunkFormat, sowohl in den USA als auch bei uns in Europa. Dies liegt sicherlich daran, dass – wie eingangs beschrieben – vieles unter die Rubrik „zeitgemäße Musik für Erwachsene“ fällt. Dennoch beschränken sich die AC-Formate in der Praxis auf wenige Stilrichtungen, Künstler und Titel. Was also ist „adult contemporary“? Zur Definition des Formats sollen zunächst das „C“ = contemporary, also zeitgemäß, und anschließend die Adults („A“) beschrieben werden. 2.1 Contemporary Für Gabi Kleinau (Musikchefin 105’5 Spreeradio) ist AC ein Format, das „nicht nervt“ und „nicht ablenkt“ von Tätigkeiten, denen der Hörer nachgeht. Das Programm soll während des Tages den Hörer im besten Sinne begleiten und ihn nicht stören, sondern erfreuen und beschwingen. An diesen Kriterien werden Musiktitel primär für das Format ausgewählt. Damit die Musiktitel zum Tagesablauf passen, müssen sie den Geschmack des Publikums an diesem Tag, diesem Monat, Jahr oder Jahrzehnt treffen. Sie müssen also den Zeitgeist widerspiegeln, ohne als Störfaktor angesehen zu werden. Für Katrin Prüfig (1993) steht deshalb fest: „Ausgeschlossen sind grundsätzlich Hardrock-Titel, Jazz und Klassik“ (S. 31)108. Auch für Matthias Koch (Musikredakteur radio ffn) sind die Titel eines AC-Formats in „keinerlei Hinsicht extrem“ und hauptsächlich der Popmusik zuzuschreiben. Dennoch schließt er andere Stilrichtungen nicht aus: „Meist handelt es sich um MainstreamPopsongs oder um Mainstream anderer aktuell populärer Musikrichtungen, zur Zeit z.B. härterer Rock. Oder, in Zeiten der 90er: Dance.“ Das AC-Format ist also flexibel, es verändert sich. Was vor 20 Jahren zeitgemäß war, entspricht nicht zwangsweise dem heutigen Zeitgeist. Verschiedene Lebensgefühle wandeln sich mit den Generationen und mit ihnen auch der Musikgeschmack. Dabei sind es die unterschiedlichsten Faktoren, die einen Einfluss auf den Zeitgeist und somit auf das AC-Format haben können: Soziale, demographische und historische Aspekte spielen hierbei ebenso eine Rolle wie technische oder wirtschaftliche. Nicht außer Acht zu lassen sind auch regionale Begebenheiten, die ein Lebensgefühl oftmals beeinflussen. So können sich Trends in urbanen Ballungs108
vgl. auch Rösing & Münch (1993)
Konzeption und Gestaltung von AC-Formaten
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räumen wie Frankfurt, Berlin oder Hamburg schneller durchsetzen als z.B. in Ortschaften im Schwarzwald oder in der Lausitz. Es ist also nachvollziehbar, dass ein Radiosender mit einem AC-Format im eher ländlich geprägten, konservativen Bayern deutlich anders klingt als beispielsweise in Nordrhein-Westfalen mit seinen zahlreichen Städten im Ruhrgebiet. Trotz der unterschiedlichen regionalen Spezifika und dem stetigen Prozess der Anpassung lässt sich festhalten, dass AC prinzipiell als ein Pop-Format bzw. als ein Format für pop-ähnliche Stilrichtungen definiert werden kann. 2.2 Adult Das „A“ (adult) ist zunächst eigentlich ganz einfach zu beschreiben: Erwachsen ist – zumindest für Radiomacher – ein Mensch zwischen 25 und 49 Jahren.109 Das entspricht exakt der Zielgruppe, die die Werbewirtschaft gern als „relevant“ bezeichnet. Die Auswahl an Songs eines AC-Formats richtet sich fast immer nach dieser Alters-Zielgruppe. Dabei kommt der Musik, die in der Jugend- und JungeErwachsenen-Zeit der Hörer aktuell war, eine zentrale Bedeutung zu. Jeder erinnert sich gerne an seine Jugendzeit zurück; den ersten Kuss, die Führerscheinprüfung, den Einzug in die erste eigene Wohnung. Musik hat uns durch diese Lebensphase begleitet, sie hat uns sozialisiert, durch sie fühlten wir uns zugehörig oder grenzten uns ab, und gerne lassen wir uns durch Musik im Radio an diese Zeit erinnern. Glaubt man einer Studie von Holbrook und Schindler aus dem Jahre 1989, so ist es die Musik, die wir hörten, als wir 23,5 Jahre alt waren, „die uns nicht aus den Ohren will“ (Behne, 1993, S. 346). Für Gabi Kleinau ist die (jugendliche) Zeit des „Experimentierens“ für die Hörer eines AC-Formats vorbei: Der erste Job, der Hausbau und die Familiengründung stehen im Vordergrund. Daher möchte der „Adult“ im Radio Musik von „früher“ hören, die er kennt und mit der er etwas verbindet. Da der ACHörer aber nicht als „unmodern“ oder „gestrig“ gelten möchte, spielen zudem neue, aktuelle Musiktitel eine nicht zu unterschätzende Rolle. Diese müssen allerdings dem Mainstream zuzuordnen sein und sich gut in den Musikfluss einpassen, um nicht als störend empfunden zu werden. Bezüglich der Ausrichtung eines AC-Formats nach Altersgruppen darf jedoch nicht die Individualisierung der Gesellschaft außer Acht gelassen werden: Trendsportarten wie z.B. Inlineskaten gehen nicht nur 16-jährige Mädchen nach, sondern auch 40-jährige Angestellte. Keiner wundert sich heute, wenn ein 20109
Im Vergleich zu anderen Formaten ist AC zudem sehr gut geeignet, weibliche Hörer anzusprechen (Haas, Frigge & Zimmer, 1991).
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Björn Stack
Jähriger auf dem Golfplatz steht und ein 70-Jähriger im Internet surft oder in die Universität geht. Kleinau weist in diesem Zusammenhang zu Recht auf die „Auflösung der Altersgruppen“ hin. Auch dies sei den gesellschaftlichen Veränderungen geschuldet: „Adult“ definiere sich nicht mehr zwangsläufig als eine Gruppe Menschen eines bestimmten Alters, sondern vielmehr als eine LifestyleGruppe. Musikprogramme müssten daher „Erlebniswelten“ schaffen. Da z.B. Mode oder Sportarten, aber auch Vereinsarbeit oder ein gemeinsamer Arbeitgeber mitunter mehr verbinden können als der Faktor Alter, sollte dies auch auf Musik zutreffen. Während in den 60er Jahren Eltern wohl kaum mit ihren Kindern gemeinsam ein Konzert der Rolling Stones besucht haben, ist dies auf heutigen Konzerten der Band keine Seltenheit – ebenso bei Madonna oder Herbert Grönemeyer. Ein echter Metallica-Fan (egal welchen Alters) ist auf solchen Konzerte hingegen wohl eher nicht anzutreffen. Es erscheint logisch, das AC-Format also nicht nur nach Alter, sondern auch nach Lifestyle- oder Erlebnisweltaspekten (z.B. nach Sinus-Milieus; vgl. Kapitel 2) auszurichten. Das Problem von Radiosendern ist jedoch oftmals, dass eine konsequente Verfolgung dieses Gedankens zu einer so großen ZielgruppenSegmentierung führen würde, dass sich die Frage nach der Wirtschaftlichkeit des Senders stellt, da zu viele potenzielle Hörer ausgeschlossen würden. Auf jeden Fall lässt sich zusammenfassen, dass AC vor allem an die Altersgruppe der 25-49-Jährigen gerichtet sein sollte, ohne aber die unter 25-Jährigen oder über 50-Jährigen zu vergessen: In diesen Altersgruppen sind durchaus Hörer, die – überspitzt gesagt – „AC-frühreif“ oder „AC-jung-geblieben“ sind und somit mit dem Format angesprochen werden können. 3
Subformate/Ausprägungen von AC
Ausgehend vom Grundgedanken dieses Kapitels (welche Titel gehören in ein AC-Format: prinzipiell alle?) konnte das Feld bislang eingegrenzt werden: AC umfasst primär Mainstream-Popmusik der letzten 30 Jahre. Doch diese Eingrenzung ist noch zu weit gefasst. Die Praxis hat gezeigt, dass erst die Bildung von Untergruppen des AC-Formats zu stimmigen, zielgruppenaffinen Programmen führt. Diese Subformate nennen sich Current Based AC, Hot AC, Soft AC, Oldie Based AC, Euro AC (teilweise sogar noch in German AC spezifiziert) und sollen im Folgenden behandelt werden (vgl. auch Kapitel 5).
Konzeption und Gestaltung von AC-Formaten
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3.1 Soft AC Soft AC lässt sich als ruhiger Vertreter unter den AC-Subformaten charakterisieren. Dieses Format wird oftmals für eher ältere Zielgruppen erstellt, zudem wird es überproportional von weiblichen Hörern genutzt. Matthias Koch sieht als klares Merkmal des Soft AC-Formates, dass es eine „Tendenz zu Balladen und melodiösen Songs“ aufweist. Auch Goldhammer (1995) stellt fest: „Soft ACFormate konzentrieren sich vor allem auf ruhige, sanfte Musiktitel“ (S. 164). Für Gabi Kleinau hingegen hat Soft AC nicht zwangsweise etwas mit langsamer und softerer Musik zu tun. Zwar sei der Melodiefluss wichtig. Entscheidendes Soft AC-Merkmal ist für sie aber, dass die Titel dieses Formats für den Hörer einen hohen Wiedererkennungswert aufweisen: „Die Soft AC-Hörer suchen eine Insel, die sie nicht anstrengt, die einfach angenehm und bekannt ist, nicht reizüberströmt – eben etwas Schönes“. Typische Künstler für Soft ACFormate (hoher Wiedererkennungswert) sind: x x x x
Joe Cocker Rod Stewart Phil Collins Tina Turner
Entscheidend ist, dass Musiktitel eines Soft AC-Formats nicht allzu viele Ecken und Kanten aufweisen, so dass das Radioprogramm als Begleitmedium angenommen wird. Und das sind eben oftmals (aber nicht ausschließlich) eher Balladen oder ruhigere Popstücke. Typische Soft AC-Titel sind z. B.: x x x x
PhD/Won’t let you down Terence Trent D´Arby/Sign your Name Sting/Fields of Gold Take That/Back for good
3.2 Current Based AC/ Hot AC Die Subformate Current Based AC und Hot AC sind in ihrer Ausgestaltung in der Praxis sehr ähnlich, teilweise werden beide Begriffe für das gleiche Format verwendet. Deshalb wird in diesem Abschnitt primär der Begriff Hot AC verwendet bzw. beschrieben.
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Björn Stack
Inhalt dieses Formates sind „progressive AC-Titel“ (Haas, Frigge & Zimmer, 1991). Die Hörer von Hot AC sind in der Regel jünger als Hörer von Soft AC, da sich dieses Subformat oftmals stärker an den Charts orientiert.110 Gabi Kleinau sieht den entscheidenden Unterschied zwischen Soft und Hot AC in dem Musikinteresse der Hörer: Während Hörer von Soft AC-Sendern primär das Radio als Begleitung nutzen und nicht genervt und auch nicht zur Beschäftigung mit musikalischen Inhalten „verführt“ werden wollen, seien die Hörer von Hot AC-Formaten eher bereit, sich auf Musik als solche einzulassen. Hot AC bietet also Musik, die nicht immer den höchsten Wiedererkennungswert aufweist. Hier werden eher neue Künstler gespielt, früher aktuelle Trends aufgegriffen, mit musikalisch anspruchsvolleren und anregenden Elementen gearbeitet und auch Songs gespielt, die nicht immer einen eingängigen Refrain (Hookline) aufweisen. Typische Künstler eines Hot AC-Formates sind: x x x x
Nelly Furtado Kelly Clarkson Lenny Kravitz Prince
Selbstverständlich können auch Künstler so unterschiedliche Musikstücke produzieren, dass verschiedene Werke in unterschiedliche Formate passen. Ein Beispiel von der Gruppe Genesis: Während der Titel „In too deep“ als typischer Soft AC-Titel bezeichnet werden kann, ist „Jesus he knows me“ eher ein Musiktitel für ein Hot AC-Format, da es viel weniger eingängig ist und mit einem anspruchsvolleren Sound produziert ist. Einige Beispiele für Hot AC-Titel: x x x x
Simply Red/Something got me started Herbert Grönemeyer/Zeit, dass sich was dreht Duran Duran/Wild Boys Madonna/Ray of Light
Hot AC ist also ein frisches, abwechslungsreiches Subformat von AC. Oftmals geht dieses mit einem höheren Tempo und einem höheren Aktualitätsgrad der Titel innerhalb des Formates einher. Auf jeden Fall sind die Titel, im Gegensatz zu Songs in einem Soft AC-Format, nicht notwendigerweise stark melodiegetrieben.
110 Bei Current Based AC-Formaten liegt der Schwerpunkt noch stärker auf aktuellen Titeln als bei einem Hot AC-Format. vgl. auch Goldhammer (1995).
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3.3 Oldie Based AC Dieses Subformat konzentriert sich, wie der Namen schon sagt, auf Oldies, vor allem auf Musikstücke der 60er, 70er und 80er Jahre (Goldhammer, 1995). Der freie Musikjournalist Peter Michael Möckel beschreibt dieses Subformat als Programm, das einen hohen Anteil älterer Titel (z.B. Abba, Beatles) anbietet, die, anders als bei einem reinen Oldieformat, mit „aktuellen Hits aufgelockert werden“. Die Hörer von Oldie Based AC-Formaten stellen – nicht überraschend – eine eher ältere Zielgruppe dar. 3.4 Euro AC/German AC Diese Subformate sind eine sehr spezielle Sonderform von AC. Nach Haas, Frigge und Zimmer (1991) kombinieren sie deutsche, italienische und französische AC-Titel mit englischsprachigen AC-Titeln, die einen „typisch deutschen Sound haben“ (S. 167). Dabei sei eine Nähe zu deutschen Schlagern durchaus möglich (Goldhammer, 1995). Peter Michael Möckel sieht hingegen keine Schlager innerhalb dieses Formats. Für ihn sind typische Künstler Eros Ramazzotti und Nevio, zum Teil auch Xavier Naidoo und Herbert Grönemeyer111. 3.5 Kombinationen von AC-Subformaten und Überschneidungen Die beschriebenen AC-Subformate bilden die Grundlage für die Typologisierung von Musikprogrammen. Dabei sind es teilweise aber auch Mischformen aus zwei Subformaten, die den Erfolg eines Radiosenders ausmachen, z.B. ein Mix aus Soft AC und Oldie Based AC oder Hot AC und Soft AC. Nicht ungewöhnlich ist es zudem, dass ein Sender zwei Formate in zwei verschiedenen Sendungen in einem Programm anbietet: Während ein AC-Sender am Samstagabend seine Hörer eher bei Laune halten will (Hot AC-Titel), möchte er diese nicht gleich am Montagmorgen er- und verschrecken (Soft AC-Titel). Auch mit anderen Musikformaten gibt es zahlreiche Überschneidungen. Dabei sei darauf hingewiesen, dass Formate generell nicht trennscharf sind. Die Grenzen sind fließend112. So wird es viele Songs geben, die sowohl bei einem Sender mit einem Oldie-Format, als auch bei einer Oldie Based AC-Station im
111
vgl. auch Haas, Frigge & Zimmer (1991) Formate stellen nur – zur besseren Strukturierung - die Basis eines Programms dar (vgl. dazu auch Kapitel 5 und 7). 112
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Musikprogramm rotieren. Ebenso werden Titel eines Soft AC-Programms in einem Schlager/Easy Listening-Format zu finden sein. Überschneidungen sind auch zwischen Hot AC- und CHR-Formaten (vgl. Kapitel 9) häufig. Prüfig (1993) sieht zwischen CHR-Stationen und AC-Sendern sogar die stärksten Mitbewerber im Kampf um die Hörergunst. Zwischen diesen beiden Formaten gibt es mitunter so viele Übereinstimmungen, dass strategisch direkt eine Mischform aus beiden Formaten geplant wird, wenn der Markt für ein solches Misch-Format gegeben ist. Matthias Koch bezeichnet dieses als „Adult CHR“. 4
Planung des AC-Formats
Wenn die Entscheidung für eines der Subformate getroffen ist, wird ein ACFormat im Prinzip nicht anders geplant als ein CHR-, ein AOR-Format oder ein anderes Format: Die einzelnen Titel werden nur ins Programm genommen, wenn Sie durch Musik-Research (z.B. Call-Outs oder Auditorium-Tests; vgl. Kapitel 6) positiv getestet wurden. Nach Festlegung des generellen Musikpools, der Rotation, der Stundenuhr und der Programmplätze wird das tägliche Programm geplant (vgl. Kapitel 7). Über die generelle Erstellung von Musikprogrammen wurde in diesem Buch bereits ausführlich berichtet (vgl. Kapitel 6 und 7). An dieser Stelle soll daher nur auf einen Aspekt bei der Planung von AC-Formaten eingegangen werden: Wie plane ich ein unverkennbares AC-Format und schaffe für meine Sendermarke einen Wiedererkennungswert? Kurz: Wie gebe ich meinem Format ein Format? Diese Frage ist deshalb so brisant, weil trotz – wie eingangs beschrieben – einer großen, möglichen Auswahl von Musikstücken nur sehr wenige in ein ACFormat aufgenommen werden. Den Grund dafür bringt Musikexperte Ecki Raff auf den Punkt: „Der kleinste gemeinsame Nenner des Massengeschmacks wird hier zum Hauptkriterium“. Jeder einzelne Titel muss so abgestimmt sein, dass er das größtmöglichste Hörerpotenzial am Markt ausschöpft. Das Problem: Titel, die einem solchen gemeinsamen Nenner entsprechen, sind nicht so zahlreich wie man annehmen möchte. Im Gegenteil: Oft finden nach den Research-Studien nur wenige Titel den Weg in das Programm, weil der größte Anteil nicht den Anforderungen des Programms bzw. der Hörer entspricht. Wenn sich nur sehr wenige Titel als erwachsen, zeitgemäß und massenkompatibel erweisen, kann dies dazu führen, dass viele AC-Sender (auch im gleichen Markt) eine hohe Überschneidung in ihrer Musikrotation aufweisen. Die Gefahr einer Verwechselbarkeit ist gegeben. Es erscheint wichtig, sich durch die Musik-
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planung von anderen Sendern abzusetzen, um somit den Radiosender klar zu positionieren (vgl. Kapitel 7). Eine Möglichkeit, ein abwechslungsreiches, unverwechselbares Musikprogramm zu erstellen, besteht in dem geschickten Platzieren der einzelnen Titel innerhalb des Musikprogramms (Mikro-Ebene). Dieses ist vor allem bei einer geringen Titelanzahl in der Rotation unerlässlich. Durch das Festlegen der Titelabfolge, der Anzahl verschiedener Tempi pro Stunde, dem Verhältnis von neuen vs. bekannten Titeln, von weiblichen vs. männlichen Gesangsstimmen und vielen weiteren Kriterien wird versucht, ein Programm mit eigenem Profil zu erstellen. Ein weiteres Ziel der Musikredaktion besteht darin, einen „Gesamtsound“ bzw. einen unverkennbaren, „Sender-Sound“ zu schaffen (Makro-Ebene). Im Zentrum steht dabei die Frage, für was der Sender steht. Es geht also nicht um einzelne Titel, sondern um das gesamte Musikprogramm: Soll das Programm rockiger oder poppiger klingen, bestimmt der Beat oder die Melodie das SoundKonzept, soll es hip oder eher konservativ klingen? All dies sind Fragen, die geklärt werden müssen, um einen Klangteppich zu schaffen, der einen so hohen Wiederkennungsfaktor aufweist, dass die Hörer ihn möglichst klar einem Sender zuordnen. Dieser „Sender-Sound“ kann aber zum nächsten Problem führen: Vorhersehbarkeit. Gabi Kleinau bringt es auf den Punkt: „Bei einem AC-Format muss man eine Erlebniswelt schaffen, in der der Hörer weiß, was ihn erwartet, aber gerade diese Erwartbarkeit auch immer wieder brechen, um keine Langeweile aufkommen zu lassen.“ Eine Möglichkeit, Akzente und somit Abwechslung in das Programm zu bringen, ist die Aufnahme neuer Titel. In der Praxis ist dies aber die meistdiskutierte Frage in jeder Musikredaktion: Welche neuen Musiktitel sollen wann ins Programm aufgenommen werden? Ist es für einzelne Titel zu früh, sie zu spielen, weil sie den Hörern nicht bekannt sind und somit als Störfaktor angesehen werden? Gleichzeit müssen aber auch zur Stärkung des Profils (zumindest bei einem Hot AC-Format) „Ecken“ und „Kanten“ in das Programm. Neue Titel klingen frisch, bringen Abwechslung und lassen somit keine Langeweile zu (vgl. Kapitel 7). Wichtig ist dabei darauf zu achten, dass keine Hörer zum Abschalten bewegt werden – weder aus Langeweile, noch aus Anstrengung. Während die Musikredaktion bezüglich älterer, vorhandener Titel in der Rotation bereits auf die Ergebnisse des Musik-Researchs zurückgreifen kann, liegen diese in der Regel bei neuen Musiktiteln nicht vor. Aktuelle Songs müssen daher bei Abhörsitzungen, u.a. anhand von Airplay- und Singlecharts und nicht zuletzt aufgrund der
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Björn Stack
Erfahrung der Musikredaktion in die Musikrotation neu aufgenommen werden (vgl. Kapitel 7). Zusammengefasst lässt sich festhalten: Ein AC-Format ist nicht gleich ein AC-Format. Wissen aus den Musiktests, Chartplatzierungen, Fingerspitzengefühl sowie Erfahrung der Musikredaktion und nicht zuletzt die Vorstellung/Vision der Programmverantwortlichen geben einem AC-Format erst das Format. 5
Zukunft des AC-Formats
AC ist auch deshalb so populär, weil es sich stets angepasst und weiterentwickelt hat. Wenn sich AC weiterhin an den Faktoren „Massengeschmack“ und „Begleitsound“ orientiert, wird es auch in Zukunft zu den viel versprechenden Formaten in der Radiolandschaft gehören. Dabei seien einige Überlegungen zu zukünftigen, möglichen Veränderungen des Formats angemerkt. Beobachtet man die Individualisierung bzw. die Fragmentierung in einigen Teilen/Bereichen der Gesellschaft könnte dies auch Einfluss auf die Basis der AC-Formate nehmen. Ein mögliches Szenario wäre die Aufteilung von AC (sowohl bei Soft AC als auch bei Hot AC) in zwei Richtungen: 1. Rock AC 2. Pop/Dance AC Während ein Rock AC-Format eher Titel von Nickelback, Aerosmith, Juli und Foreigner spielen würde, fänden sich bei einem Pop/Dance-formatierten Programm eher Stücke aus dem elektronischen (Synthi-) Pop Bereich wieder, also Pet Shop Boys, Madonna oder die Scissor Sisters. Natürlich würden solche Formate nur die Basis bzw. den Grundsound liefern. Ein „gitarrenfreies-Format“ im ACBereich ist ebenso wenig denkbar wie ein AC-Programm ohne melodiöse Komponenten. Um sich von anderen AC-Stationen abzusetzen, wäre es ein weiteres Szenario, das AC-Format weiter aufzubrechen. Das Format könnte sich dafür bei anderen Formaten bedienen. Denkbar ist hier eine stärkere Mischform, z.B. aus Soft AC und MOR oder Hot AC und AOR. Aktuell haben erste Sender ihr Format bereits soweit gedehnt, dass diese nicht mehr so eindeutig als AC-Station definiert werden können. Die Basis besteht zwar weiterhin aus Mainstream-ACSongs, es werden jedoch zunehmend „Ausreißer“ in das Programm eingefügt, einerseits um dem Programm ein stärkeres Profil zu geben, andererseits um die Verweildauer zu verlängern oder um neue Hörer für das Programm zu gewinnen.
Konzeption und Gestaltung von AC-Formaten
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Andersherum könnte die technische Entwicklung (Digital-Radio, Webradio etc.; vgl. Kapitel 1) dazu führen, dass sich die Formate – aufgrund wachsender Konkurrenz – nicht ausweiten, sondern stärker fokussieren müssen und AC sich weiter „verspartet“. Bei all diesen Überlegungen muss jedoch immer eines berücksichtigt werden: Formateinteilung nach AC, CHR oder Schlager u. ä. sind nicht ausschließlich auf die Musik begrenzt. Wie beschrieben versuchen sich AC-Sender zwar durch die Schaffung eines Sendersounds, durch das Platzieren von Musiktiteln und durch eine Auswahl von neuen, aktuellen Songs von anderen Sendern abzusetzen, dabei spielen aber natürlich auch andere Programmelemente eine entscheidende Rolle: Allgemeine Ansprache und Anmutung, Umsetzung redaktioneller Inhalte, Personality bei den Moderatoren, Informationsangebot, Jingles und On-Air-Aktionen können das Format mindestens genauso stark prägen wie die Musik: „Wenn Personality im Sender ist, tritt die Musik in den Hintergrund“ (Kleinau). Auch Matthias Koch zieht den Schluss, „dass neben der Musik sehr viele Faktoren das Format bestimmen, so dass jeder Sender auch sein ganz eigenes, individuelles Format hat.“ Und Peter Michael Möckel konstatiert: „An die Stelle der Musik als wichtigstem Unterscheidungsmerkmal ist die individuelle Verpackung getreten, begleitet von Gewinnspielaktionen und Comedy-Elementen.“ 6
Fazit
Das AC-Format gehört zu den erfolgreichste Radioformaten. Zu Recht: Kein anderes Format vereint den Geschmack so vieler Radiohörer. Der Grund dafür ist einleuchtend: Die Zielgruppe (25-49 Jahre) ist groß, das Programm orientiert und konzentriert sich bei jedem einzelnen Titel an erfolgreichen und beliebten Mainstream-Pophits, und den Musikfluss störende Faktoren werden eliminiert. So können AC-Programme die Funktion einnehmen, die Hörfunk an sich wahrnimmt: als Begleitmedium. Um dennoch für Abwechslung und Innovationen zu sorgen, ist es entscheidend, ob und wie sehr einzelne Musiktitel von einem Grund- bzw. Gesamtsound abweichen. An dieser Stelle können sich Radiosender absetzen, Alleinstellungsmerkmale erarbeiten und somit eine Marke aufbauen – auch unabhängig von anderen Programmelementen wie Verpackung, Moderation und Nachrichten. Fest steht: In welcher Ausprägung, in welchem Subformat auch immer – das AC-Format wird es im Kern immer geben. Denn zu keinem Zeitpunkt hat und wird sich das Prinzip des Formats der zeitgemäßen Musik für Erwachsene ändern – sondern nur der Zeitgeist oder die Erwachsenen.
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Björn Stack
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Konzeption und Gestaltung von CHR-Formaten
Kristian Kropp & Patrick Morgan
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Einleitung
Was wäre, wenn es in Deutschland keine CHR-Formate geben würde? Deutschland wäre noch ärmer in seiner Audiostruktur und die Ipod-Fangemeinde hätte noch größeren Zuspruch. Denn CHR ist Trend, das Neue, Musik von heute und morgen. In den USA zum TOP-40-Industrieprodukt degeneriert, als Abspielstation der meist verkauften aktuellen Hits, haben die deutschen CHRAusprägungen echten Trendcharakter, mit einem wesentlich stärkeren Gewicht auf dem unbekannten Neuen. Dass es in Deutschland dennoch nur ein knappes Dutzend dieser FM- Trendsetter gibt, hat einen einfachen Grund: Schuld ist der „German way“, wie hierzulande Radioreichweiten erhoben und berechnet werden. In Deutschland liegt ein starker Fokus auf den Hörfunkreichweitenwährungen „Verweildauer“ und „Hörer pro durchschnittlicher Stunde“. In Großbritannien z.B. ist die zentrale Währung der „weekly cume“: die Hörer pro Woche. Da CHR-Formate cume-starke Formate mit kürzerer Verweildauer aufgrund der Konsumentenstruktur darstellen, benachteiligen die deutschen Reichweitenwährungen folglich die CHR-Formate. 65 bis 70 % der CHR-Nutzer sind unter 30 Jahren, mit einem deutlich segmentierten Medienkonsum und der Konsequenz, dass 80 % zwar täglich Radio hören, aber entsprechend kürzer als die der Zielgruppe zwischen 30 und 49 Jahren (vgl. Kapitel 2). Dennoch sind CHR-User für die werbetreibende Industrie von besonderem Interesse. Es sind early adopter, die in den Sinus Milieus oder Limbic Types gerne mit den Konsumenten-Typologien „Modern Performer, Abenteurer, Hedonisten“ bezeichnet werden, also Mediennutzer, die eine Radiomarke sehr stark unter Stimulanzkriterien auswählen. Deswegen ist CHRProgramming heute auch immer: die Suche nach neuen, unbekannten Reizen und Ausbruch aus dem Gewohnten. Entdecke und erforsche deine Umwelt, suche nach Abwechslung, vermeide Langeweile, sei anders als die anderen! An diesen Grundmotiven der Nutzerschaft ist deutlich zu erkennen, warum amerikanisches CHR in Deutschland nicht 1:1 übertragbar ist. Die TOP-40-Rotationen brennen
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Kristian Kropp & Patrick Morgan
binnen kürzester Zeit die Songs aus, womit eine wesentliche Grunderwartung der „early adopter“ nicht mehr ausreichend befriedigt wird: die Abwechslung. 2
Musikformat
Der Hauptgrund für Jugendliche das Radio einzuschalten, ist die Musik und die Suche nach Neuem. Die Aufgabe der Musikredaktion besteht darin, genau den Geschmack der Zielgruppe zu treffen und das Verlangen nach Neuem mit stimulierender Musik zu befriedigen. Ideal wäre es, wenn man diese Bedürfnisse voraussagen könnte; leider besitzt niemand diese hellseherischen Fähigkeiten. Daher ist es umso wichtiger, objektive Aussagen über einzelne Musiktitel zu bekommen und diese dann formatgerecht auszuwerten, damit die Zusammenstellung der Playlist genau das wiedergibt, was von den Hörern gewünscht wird. 2.1 Welche Titel werden gespielt? Die Zielgruppe bestimmt das Musikformat. Sobald klar ist, für welche Gruppe von Hörern Radio gemacht wird, lässt sich die Musik einfacher bestimmen. Beim Sendestart oder der Neupositionierung eines Jugendsenders sollten die Programmmacher darauf achten, welche Musik die Konkurrenz im Sendegebiet spielt. Am besten man sucht eine Musiknische, die noch nicht besetzt ist und ausreichend Potenzial für Reichweiten verspricht. Man taucht mit einem engen Musikformat in den Markt ein und öffnet sich langsam mit der wachsenden Zielgruppe. Dies wird erreicht, indem man Musik spielt, die sich von anderen Sendern abhebt. Für ein CHR eignet sich Musik mit einer „Kante“. Alternative Rock und HipHop bieten sich dafür an. Es gibt zwei Philosophien bezüglich des Musikformats: a) b)
Die Musikforschung bestimmt die Musik. Daher wird meist nur gut testendes Material gespielt, und neue Musik hat kaum Chancen in die Playlist aufgenommen zu werden. Es werden nur Titel gespielt, die zum „sound“ des Senders passen. Die Musikredaktion setzt sich gegen den Call-Out durch, indem manche Musiktitel trotz guter Testwerte nicht gespielt werden, weil sie nicht zum Image des Senders passen.
Speziell bei einem CHR-Format sollte man darauf achten, „trendy“ und „innovativ“ zu sein. Der Sender muss Neues ausprobieren und den Platz des „first mo-
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vers“ im Radiomarkt besetzen. Neue Musik, neue Künstler sowie neue Musikrichtungen laufen zuerst beim CHR- und dann beim AC-Sender. Innerhalb der Musikredaktion muss klar sein, wofür der Sender steht. Hier empfiehlt es sich eine „Music Mission Statement“ (MMS) zu erarbeiten. In zwei bis drei Sätzen sollte das Musikformat für jeden Musikredakteur nachvollziehbar formuliert werden. Dieser kann auch in der Redaktion aufgehängt werden. Ein Beispiel: „Radio XYZ steht für up-tempo, elektronische Musik und HipHop. Balladen und Rock gibt es kaum zu hören. Die Zielgruppe geht gerne in Clubs, ins Kino und lädt regelmäßig Klingeltöne runter.“ Jede geplante Musikstrecke sollte mit dem MMS übereinstimmen. 2.2 Welche Entscheidungshilfen werden wie eingesetzt? Es gibt eine Reihe von Entscheidungshilfen, die einem CHR-Musikredakteur bei der kniffligen Frage „Was soll ich spielen?“ behilflich sind. Bei der Zusammenstellung der Playlist sind die Airplaycharts, die Verkaufscharts, die Promotion der Plattenfirmen und die Musikforschung unentbehrliche Helfer (vgl. Kapitel 7). Wie was gewichtet wird hängt in erster Linie von der richtigen Interpretation ab. Man sollte dabei immer prüfen, inwieweit die Hörer stimuliert werden können. 2.2.1 Airplaycharts Die Airplaycharts geben einen schnellen Überblick über konkurrierende Sender. Die Entwicklung eines Titels in einem bestimmten Sendegebiet lässt sich gut über die Einzeltitelauswertung verfolgen. Wenn viele Sender den gleichen Titel spielen, erhöht sich der Bekanntheitsgrad des Songs. Da die Testmethoden hauptsächlich auf der Erinnerungsleistung der Hörer basieren, ist dies eine Erleichterung für die Musikforschung im Hinblick auf Testergebnisse von neuer und unbekannter Musik. Je schneller ein Titel bekannt wird, desto schneller bekommt man im Call-Out-Verfahren ein Ergebnis. Die Musikredaktion profitiert davon, weil ein Titel, der bei mehreren Sendern läuft, in der Regel zwei bis drei Wochen früher bekannt ist. Allerdings ist es als Nachteil zu bewerten, wenn man sich als CHR Sender musikalisch nicht von der Konkurrenz abhebt. Ein weiterer Nachteil ist die Verfälschung der Airplaycharts. Neue Titel werden mit 0,5 Punkten pro Play aufgewertet, was dazu führt, dass ein Titel mit weniger Einsätzen eine bessere Platzierung erzielt als ein Song mit höheren Einsätzen.
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Nützlich sind Vergleiche der Playlisten mit anderen CHR-Formaten, die ein ähnliches Musikformat in einem anderen Gebiet haben. Ein Sender in München kann sehr schnell sehen, wie andere Radiostationen in Hamburg oder Berlin mit dem gleichen Titel verfahren. Bei den Airplaycharts lassen sich Wochentrends und Tagesplays auswerten. Im Hinblick auf neue Musik sieht man sofort wie die Konkurrenz den Titel eingesetzt hat. 2.2.2 Verkaufscharts Die Verkaufscharts spielen kaum eine Rolle bei einem modernen Radiosender. Sie geben einen Überblick über Titel, die bundesweit gekauft werden. Die Platzierungen stehen quasi eine Woche im voraus fest. Die aktuellen Verkaufscharts beziehen sich immer auf die Verkäufe der Vorwoche. Media Control ermittelt die Verkaufscharts im Auftrag des Deutschen Phonoverbands (vgl. Kapitel 7). Daher weiß man, welche Titel in der kommenden Woche im Mittelpunkt stehen. Wer sich von Verkaufszahlen blenden lässt, spielt die falsche Musik. Verkaufscharts geben keinen regionalen, sondern einen nationalen Überblick. Wie sich ein bestimmter Titel aus der Top Ten im Sendegebiet verkauft hat, wird nicht ermittelt. Man kann die Chartplatzierung nicht eins zu eins mit dem Musikgeschmack der Hörer im Sendegebiet gleichsetzen. Ebenfalls lassen sich keine Aussagen über die Qualität der Musik für die Zielgruppe machen. Selbst die Plattenindustrie nutzt die Verkaufscharts in erster Linie als Marketingtool, um das Budget der Werbemittel festzulegen. Hilfreich für die Musikredaktion wären die Verkaufscharts, wenn sie Daten über das Kaufverhalten eines bestimmten Sendegebiets liefern würden. Für die Musikredaktion wäre eine regionale Auswertung mit Altersstruktur, Geschlecht und Wohnort wesentlich interessanter. Dabei würde man erfahren, welche Titel die Hörer im Sendegebiet kaufen. Diese Verkaufsergebnisse könnten mit der Zielgruppe in Relation gesetzt werden und somit direkt in die Umsetzung der Playlist einfließen. Leider werden solche Daten nicht ausgewertet. Die Verkaufscharts liefern keine Erkenntnisse für die Playlist. Der Titel „Schnappi das Krokodil“ war 2004 auf Platz 1 der deutschen Verkaufscharts. Trotz Charterfolgs wurde der Song kaum im Radio berücksichtigt.
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2.2.3 Promotion Songplugger bzw. Promoter sind wichtig für die Musikredaktion, weil sie die Kontaktpersonen zur Musikindustrie sind. Die meisten arbeiten direkt für eine Plattenfirma, es gibt aber auch selbstständige Promoter. In erster Linie versuchen sie Songs auf die Playlist der Radiosender zu bekommen. Dazu schicken sie die neuesten CDs in die Musikredaktionen. In den letzten Jahren werden weniger CDs bemustert, es wird immer häufiger auf eine digitale Bemusterung per MP3 zurückgegriffen. Die zweite Variante ist zudem günstiger für die Plattenfirmen, weil sich die Plattenfirmen das Porto und die Produktion des Tonträgers sparen. In Deutschland sind alle Majors und einige Indielabels am Musik Promotion Network angeschlossen. Auf diesem Portal gibt es nicht nur Musiktitel, sondern auch Fotos und alle relevanten Informationen zu den Künstlern. Die Musikbemusterung ist nicht kostenlos. Die Radiosender haben mit den jeweiligen Labels Verträge und zahlen für die physischen (CDs) sowie die digitale (mp3)Bemusterung jährlich einige tausend Euro. Promoter stellen nicht nur die neuesten Produkte vor, sie fragen auch, ob einzelne Musiktitel beim Sender berücksichtigt werden. Bei Ablehnung versuchen sie Argumente zu finden, warum ein Sender den Titel doch spielen sollte. Promoter rufen mehrmals wöchentlich in der Musikredaktion an und kommen persönlich einmal im Monat beim Sender vorbei um Ihre Produkte vorzustellen. Viele Kooperationen können auf diesem Weg direkt mit dem Promoter vereinbart werden. Das kann zum einen ein Interview, eine Tourpräsentation, ein exklusives Radiokonzert oder eine „Meet & Greet“-Verlosung sein, bei der ein Gewinner einen Star persönlich trifft. Desweiteren kann man Deals einfädeln: Ein Sender erklärt sich dazu bereit einen Newcomer zu spielen, im Gegenzug erhält er exklusive Senderechte für einen Topact bzw. der Newcomer verpflichtet sich im kommenden Jahr ein Konzert für den Radiosender zu geben. Gute Promoter kennen das Musikformat des Radiosenders. CHR-Sender mit einem hohen Neuheitenanteil werden häufig als erstes mit neuen Musikthemen bemustert. Durch eine gute und enge Zusammenarbeit profitieren beide Parteien. Die Sender bekommen frisches stimulierendes Material, und die Songs der Promoter werden frühzeitig gespielt. 2.2.4 Musikforschung Wie oft soll welcher Song gespielt werden? Wann nimmt man einen Titel am besten von der Playlist herunter? Diese Fragen werden mit Hilfe der Musikforschung beantwortet. Die Musikredaktion erhält objektive Beurteilungen bezüg-
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lich, der Leidenschaft (passion, like), der Ablehnung (dislike, hate) und des Sättigungsgrads (burn) der Musiktitel. Call-Outs werden primär für aktuelle Titel , der Auditorium-Test primär für ältere Titel verwendet. Diese Methoden basieren auf Bekanntheit. Neue unbekannte Titel haben es deshalb schwer, mit diesem Verfahren positiv bewertet zu werden. Bei der Befragung wird zuerst nach der Bekanntheit gefragt. Erst wenn bei der Bekanntheit mit „ja“ geantwortet wird, fragt man nach dem Gefallen und dem burn. Der Sender kann deshalb einen neuen Titel erst nach einigen Wochen testen. Es werden Hooks angespielt. Ein Hook ist das markante an einem Musiktitel, meistens der Refrain. Die Musikredaktion entscheidet, welcher 8-12 Sekunden Abschnitt des Songs herausgeschnitten und der Zielgruppe vorgespielt wird. Wenn ein Titel nicht bekannt ist, fällt er durch das Raster und wird nicht bewertet. Die aktuellen Titel, die mit gut bzw. sehr gut abschneiden, werden am häufigsten gespielt und landen somit in der Power oder Hot Kategorie. Wenn Titel bei der Befragung wenig Akzeptanz haben, werden sie nicht mehr gespielt. Songs mit einem hohen burn-Wert werden ebenfalls von der Playlist heruntergenommen. Hat jedoch ein Titel eine hohe Akzeptanz und einen hohen burn, dann wird der Titel zurückgestuft, d.h. er bleibt auf der Playlist wird jedoch weniger gespielt. Neue Musik ist der Schlüssel des Erfolgs beim CHR. Mit Ihr hält man die Zielgruppe bei Laune. Jugendliche verlangen ständig nach neuen Impulsen und möchten stimuliert werden. Um aussagekräftige Ergebnisse bezüglich der Akzeptanz der Zielgruppe erzielen zu können, muss man die Titel einige Wochen spielen, damit sie im Call-Out-Verfahren bewertet werden können. Genau hier wendet ein CHR-Sender alternative Testmethoden an. Es empfiehlt sich, regelmäßig „Listener Advisory Boards“ (LABs) und Online-Research für neue Musik durchzuführen (vgl. Kapitel 6). Bei den LABs werden Stammhörer eingeladen, um über deren Musikvorlieben zu diskutieren. Die Musikredaktion erhält verlässliche Aussagen über Musiktrends direkt von den Stammhörern. Diese lassen sich problemlos auf die Playlist übertragen. Beim Online-Research werden Musiktitel im Internet getestet. Hörer werden auf eine Internetseite eingeladen und können dort via Mausklick Musiktitel nach dem Call-Out-Verfahren bewerten. Der Vorteil dabei ist, dass die Teilnehmer selbst entscheiden können, wann sie an der Befragung teilnehmen möchten und eine laufende Bewertung abbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt beenden können. Während der Medienanalyse empfiehlt es sich, wöchentlich Call-Outs und Online-Research durchzuführen. LABs finden ein- bis zweimal im Monat statt, ein AuditoriumTest ein- bis zweimal pro Jahr.
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2.3 Wer entscheidet, was gespielt wird? Grundsätzlich entscheidet die Zielgruppe, welche Musik ein Radiosender spielt. Dennoch muss die Musikredaktion aus der Fülle von Neuveröffentlichungen auswählen, was am besten zu den Hörern und dem Sender passt. Dafür werden täglich Musiktitel abgehört, die man dann in der Abhörsitzung vorstellt. Wöchentlich finden mehrere Meetings statt, um die für das Format und den Geschmack der Zielgruppe geeigneten Titel herauszufinden (vgl. Kapitel 7). Im Sichtungsmeeting trifft sich Anfang der Woche die Musikredaktion und hört sich alle neuen Produkte der Vorwoche an. In der Regel sind es zwischen 20 und 30 Titel, in manchen Wochen kann diese Anzahl auf bis zu 50 Songs steigen. Kurz nach Weihnachten und in den Sommermonaten sind es weniger Titel, weil es in dieser Zeit tendenziell weniger Veröffentlichungen gibt. Im Sichtungsmeeting werden Titel, die für das Format untauglich sind, aussortiert. Es ist durchaus üblich, alle eingesandten Titel anzuhören, auch Songs von Künstlern ohne Plattenvertrag. Es kann immer etwas für den Sender dabei sein. Die Musikredaktion eines CHR-Senders hört sich somit auch manchmal einen deutschen Schlager oder Jazz-Titel an und prüft sie auf ihre Tauglichkeit für den Sender. Fallen sie durch das Raster, werden sie in den weiteren Meetings nicht mehr berücksichtigt. Um keine Titel auszulassen oder zu verpassen, ist es sinnvoll, wöchentlich Listen über sämtliche Neuheiten der Plattenfirmen anzufordern. Dazu reicht eine Email vom Promoter über zukünftige Veröffentlichungen. Die gefilterten Songs werden Mitte der Woche im Station-Musikmeeting mit möglichst allen Mitarbeitern des Senders besprochen. Dabei ist die Meinung von Praktikanten ebenso gefragt wie die des Geschäftsführers, jeder ist in die Entscheidung pro oder contra Musiktitel miteinbezogen. Man diskutiert, ob die Songs zum Sender passen oder ob sie besser in einem Spezialformat berücksichtigt werden können. Die Mitarbeiter haben ebenfalls die Möglichkeit, Titelvorschläge zu machen. Es ist wichtig, dass das Team an dem Auswahlverfahren beteiligt ist, weil die Musik mit circa 80 % Programmanteil das wichtigste Element eines Senders ist, und die Mitarbeiter den Sender repräsentieren. Hierbei geht es allerdings nicht darum, was die einzelnen Mitarbeiter gerne hören möchten, sondern was nach ihrer Vorstellung dem Hörer am besten gefällt. Im Playlistmeeting werden neue Titel beschlossen. Die Songs, die im Musiktest schlecht abschneiden fliegen raus und die Rotationskategorien werden neu justiert. Diese Entscheidungen trifft die Musikredaktion in der Regel allein, aber bei manchen Sendern kann dies auch zusammen mit dem Programmdirektor geschehen. Zuerst werden die Research-Ergebnisse ausgewertet. Dadurch bekommt man einen Überblick darüber, welche Titel in andere Kategorien wandern beziehungsweise komplett von der Playlist ausgeschlossen werden. Dann ver-
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sucht man, die freien Plätze mit dem besten Material zu füllen. Es wird die neue Musik ausgewählt, die am wahrscheinlichsten dem Gusto der Zielgruppe entspricht. Alle Resultate aus dem Station-Musikmeeting fließen in die Entscheidungen mit ein. Dabei muss die Musikredaktion eines CHR-Senders immer den „Sound“ des Senders berücksichtigen, selbst wenn es dadurch zu Widersprüchen mit den unterschiedlichen Research-Ergebnissen kommt. 3
Musikplanungssoftware
Musikplanungssoftware findet heutzutage in allen Musikredaktionen ihren Einsatz. Sie wird weltweit gebraucht, um Sendepläne zu erstellen. Das Programm erleichtert die tägliche Arbeit, weil man mit ein paar simplen Regeln, den „täglich grüsst das Murmeltier – Effekt“ vermeiden kann. Mit anderen Worten. Man wird nicht jeden Morgen mit „I got you babe“ von Sonny & Cher zur gleichen Uhrzeit geweckt. Es gibt eine Reihe von EDV-Programmen: RCS Selector, Repertoire, Music Master oder Powergold, um einige zu nennen. Die Software ermöglicht eine automatische oder manuelle Planung der Musik, verwaltet die Titel der Playlist und liefert Einsatzanalysen. Für die GEMA- und GVL-Abrechnungen sind sie auch hilfreich, da sie mit wenigen Mausklicks ausgewertet werden können. Gleichzeitig kann man die Programme als Archivsystem verwenden. Die Nutzungsvoraussetzungen werden vom Musikredakteur bestimmt. Das Regelwerk wird mit der Musikphilosophie abgestimmt. Wenn man zum Beispiel keine drei Rocktitel hintereinander spielen möchte kann man hierfür eine Regel festlegen. Die beschreibenden Attribute der Musiktitel werden ebenfalls definiert. Sämtliche Musiktitel werden erfasst. Bei der Titelerfassung werden folgende Merkmale festgehalten: Interpret, Titel, Kategorie, Geschlecht, Stimmung, Energie, Tempo, Musikcode (Pop, Rock, HipHop, Soul, usw.), Jahrgang, Laufzeit, Intro-Zeit, Song-Ende, Plattenfirma, Label-Code Nummer sowie Texter und Komponist. Man achtet darauf, die Titel so zu kodieren, dass man sie von Songs mit ähnlichen Attributen trennen kann. Zum Beispiel muss das Unterscheidungsmerkmal Reggae beim Titel im Musikcode klar bestimmt sein, damit keine zwei Reggae Titel hintereinander gespielt werden.
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Musikkategorien
Die CHR-Sender versuchen, Lieblingstitel ihrer Hörer zu spielen. Dabei gehen sie von folgenden Hörgewohnheiten der Zielgruppe aus: Wenn man sich eine Single kauft, hört man sich den Titel mehrmals hintereinander an. Dies funktioniert bis zu dem Zeitpunkt, an dem man den Titel nicht mehr hören kann, dann sucht man sich einen neuen Titel und wiederholt das Schema. Genau dieses Verfahren versucht das Radio umzusetzen. Die Lieblingstitel der Zielgruppe sollen so lange gespielt werden, bis ein gewisser Sättigungsgrad erreicht ist. Gleichzeitig möchte man die Zielgruppe nicht langweilen, sondern stimulieren, unterhalten und überraschen. Mit Hilfe der Musikkategorien lässt sich dies realisieren. Die Musikuhr legt die Reihenfolge der einzelnen Musikkategorien, die innerhalb einer Stunde gespielt werden, fest. Hier liegt das Geheimnis jedes Senders und die Kunst des Musikredakteurs. Diese Rezeptur verkörpert die Philosophie des Formats. Kein Sender bzw. Musikredakteur würde diese „DNA“ offen legen. Hier wird beispielsweise festgelegt, wie hoch der Rockanteil innerhalb der Stunde sein darf, an welchen Positionen die stimulierenden Titel verstärkt eingesetzt werden oder wie viele Balladen gespielt werden dürfen. Somit wird bereits im Vorfeld festgelegt, welcher Titel unmittelbar nach den Nachrichten gespielt werden soll. Grundsätzlich unterscheidet man drei Hauptgruppen von Musikkategorien: aktuelle, ältere und neue Musik, die wiederum in Subgruppen aufgeteilt wird. Aktuelle Titel beinhalten die Power- und Hot- Kategorien, ältere Titel die Recurrent- und Gold-Kategorie und neue Titel die Neu-Kategorie. Abbildung 1 zeigt eine typische CHR-Uhr, die nach Musikrichtung, Ära und Tempo abgestimmt ist. Die Musikabfolge ist so gewählt, dass ein Hörer innerhalb von 20 Minuten immer wieder mit neuer Musik stimuliert wird. Des weiteren ändern die Songs, die unmittelbar hintereinander gespielt werden, ihr Genre.
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Abbildung 1:
Stundenuhr einer CHR-Station (im Jahr 2007) Evanescnse Timbaland feat. N. Furtado & Bring Me to Life (2003) J. Timberlanke Give it to Me (2007) Culcha Candela Hamma (2007)
Suggababes About You Now (2007)
Akon teat. Snoop Dogg - I Wanna Love You (2006) Rihanna Please Don't Stop the Music (2007) Arctic Monkeys Teddy Picker (2007)
Linking Park What I'Ve Done (2007)
Craig David Hot Stuff (2007)
Black Eyed Peas My Humps (2007)
Pink Dear Mr. President (2007) P. Diddy feat. C. Aguilera Tell Me (2006)
4.1 Aktuelle Musik Power-Kategorie Die Songs mit den meisten Einsätzen sind aus der Power-Kategorie. Die Titel sind aktuell und häufig in den Charts vertreten. Die hohe Rotation wird durch Research-Daten abgesichert. Die Musiktitel der Power-Kategorie sind mit Abstand die beliebtesten Titel der Zielgruppe auf der Playlist. Aus diesem Grund werden sie am häufigsten gespielt. Bei einem CHR-Sender können das zwischen 40 und 60 Einsätzen in der Woche sein. Es gibt auch Sender, die mit 90 Plays in sieben Tagen ihren Spitzenwert erreichen. Jedoch besitzt die Power-Kategorie die wenigsten Titel. Hot-Kategorie Die Titel in der Hot-Kategorie haben die gleichen Eigenschaften wie in der Power-Kategorie. Sie unterscheiden sich in der Einsatzhäufigkeit. Die Einsätze pro Woche liegen zwischen 25 und 35 Plays. Ihre Testwerte liegen leicht unter den
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Power Ergebnissen. Es gibt insgesamt mehr Titel in der Hot- als in der PowerKategorie. Power- und Hot-Titel versucht man strategisch dort einzusetzen, wo sie am meisten stimulieren können. Das kann beispielsweise nach langen Wortunterbrechungen wie z.B. der Werbung oder den Nachrichten sein. Eine andere Variante wäre es, die Titel so zu platzieren, dass sie dort eingesetzt werden, wo die Konkurrenz eine Schwäche hat. Power- bzw. Hot-Titel laufen parallel zum Werbeblock des Mitbewerbers. Damit werden Hörer gebunden, die zum eigenen Sender wechseln. 4.2 Ältere Titel Recurrent-Kategorie Diese Kategorie ist eine Folge-Kategorie für Power- und Hot-Titel. Sie enthält somit nur Songs, die zuvor in einer hohen Rotation eingesetzt wurden. Hier werden die Einsätze der Songs deutlich geringer. Die Einsätze liegen zwischen 14 und 25 pro Woche. Es ist ein Auffangbecken für Titel mit hoher Akzeptanz und ansteigendem Sättigungsgrad. Diese Songs sind nach wie vor Lieblingstitel der Zielgruppe, d.h. ihre Testwerte bezüglich der Leidenschaft sind positiv, allerdings möchte man sie weniger häufig im Radio hören und deshalb werden sie seltener eingesetzt. Häufig handelt es sich um Titel, die in den Verkaufscharts absteigen bzw. nicht mehr vertreten sind. Ein Power- oder Hot-Titel muss nicht zwingend in die Recurrent-Kategorie gelangen, es ist auch üblich, dass die Songs direkt von der Playliste runterfliegen und somit nicht mehr eingesetzt werden. Gold-Kategorie Die Gold-Kategorie enthält die ältesten Titel des Formats. Sie werden am wenigsten eingesetzt und haben somit die niedrigste Rotation. Die Songs laufen zwischen 5 und 10 Mal pro Woche. In der Regel sind es Image-Songs, die zum Sender passen bzw. die Zielgruppe ansprechen. Einige Titel werden ohne Testwert gewählt. Wenn es einem Jugendsender gelingt, Titel zu wählen, die bei der Konkurrenz nicht laufen, kann es die Hörer überraschen und stimulieren. Diese Titel dürfen nicht zu oft eingesetzt werden, sonst verlieren sie ihre Wirkung. Es gibt auch CHR-Sender, die ausschließlich positiv getestete Gold-Songs spielen.
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4.3 Neue Musik New-Kategorie Die wichtigsten Titel eines CHR-Senders sind die Neuheiten. Die junge Zielgruppe hört sich sehr schnell an Titeln satt. Daher sucht sie ständig nach Neuem. Der Sender, der richtig reagiert, wird die Zielgruppe stimulieren und als Hörer gewinnen. Wer das Risiko scheut und zu verhalten agiert, wird wahrscheinlich auf die falschen Titel setzen und somit das Publikum wenig begeistern. Bei der Auswahl der Titel muss man stets die Zielgruppe vor Augen haben. Ziel ist es Songs auszuwählen, die eine reale Chance haben, in die Power- bzw. HotKategorie aufgenommen zu werden. Dies sind Titel, die nach einigen Wochen auf der Playlist in ihrer Bekanntheit steigen und dann bei der Musikforschung (Call-Outs) von der Zielgruppe positiv bewertet werden. In dieser Kategorie wird im deutschen Radio der größte Fehler begangen. Häufig fehlt der Mut, neue ungetestete Titel zu spielen, weil man zunächst nicht weiß, wie der Titel beim Publikum ankommt. Das Risiko lässt sich reduzieren, wenn man die Titel in einer Musikuhr geschickt platziert und gekonnt präsentiert. Mit der New-Kategorie erfüllt man die Suche nach Neuem, liefert unbekannte Reize und bricht aus dem Gewohnten aus. Das Publikum entdeckt Neues und man stillt den Hunger nach Abwechslung. Die New-Kategorie vermeidet Langeweile, weil sie ständig neue Impulse liefert. Diese Kategorie erfüllt das Grundmotiv der jugendlichen Nutzerschaft. Denn ein CHR-Sender ist ein Trendsetter und Meinungsführer. Er bestimmt, was die anderen Sender morgen spielen werden. 5
Musikverkaufe
Soziale Beeinflussung ist der Schlüssel zu einer erfolgreichen Musikverkaufe. Dies ließ sich in einem Experiment113 von M. J. Salganik, P. S. Dodds und D. J. Watts belegen. Hintergrund des Experiments war es herauszufinden, warum erfolgreiche Songs, Filme und Bücher so schlecht vorhersagbar sind. Um dies zu untersuchen, wurde ein künstlicher Musikmarkt ins Leben gerufen. Insgesamt haben 14.341 Personen an dem Experiment online teilgenommen. Je mehr Informationen ein Individuum über die musikalische Bewertung anderer bekommt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die musikalische Präferenz des Individuums mit der Mehrheit übereinstimmen wird. In anderen Worten, je mehr Hörer mitbekommen wie gut die Musik von den Moderatoren 113
„Experimental Study of Inequality and Unpredictability in an Artificial Cultural Market“
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und anderen Hörern angenommen und beurteilt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Ihnen die Musik gefallen wird. Im Experiment machte sich dies wie folgt bemerkbar: Je mehr Informationen eine Person vor der Beurteilung eines Songs von anderen erhalten hatte, desto eher wurde die eigene Entscheidung für oder gegen das Lied davon beeinflusst. Ein Beispiel: Song 1 wurde sichtbar von 70 % abgelehnt, der Teilnehmer bewertet den Song ebenfalls negativ. Song 2 wurde von 85 % positiv bewertet, daraus resultierte eine positivere Bewertung des Songs als in den Kontrollgruppen. Für die Musikverkaufe kann man daraus folgendes ableiten: x x x
Leidenschaftliche und emotionale Musikverkaufe beeinflussen die Hörerschaft positiv! Positive Hörer Call-Ins zur Musik erhöhen das Musikimage! Bei neuer Musik ist es sehr wichtig, die Hörer von den positiven Eigenschaften des Songs zu überzeugen!
Je besser die Musik verkauft wird, desto eher wird sie von den Hörern angenommen. Der Erfolg eines CHR-Senders ist davon abhängig wie gut die Musikplanung und die Musikverkaufe (Moderation und Musikverpackung (Drop-Ins, Hook-Promos, Brandings) aufeinander abgestimmt sind. Neue unbekannte Musik muss dem Hörer schmackhaft gemacht werden. Aktuelle bekannte Titel müssen die Meinung des Hörers, dass diese Titel gut sind, bestärken. Links www.bigfm.de https://www.musik-promotion.net/ http://www.musictrace.de/ http://www.rms.de/ http://www.media-control.de/ http://www.musikjournalismus.info
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Konzeption und Gestaltung von Schlager-Formaten
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Einleitung
Wozu sollte man ein Schlagerformat konzepieren? Natürlich um Marktanteile zu holen! Allen Prognosen zum Trotz lebt der deutsche Schlager, obwohl seit den 80er Jahren oft tot gesagt, immer noch, es scheint sogar als würde er eine Renaissance erleben, was folgende Beispiele besonders deutlich machen: Die Schlagersängerin Andrea Berg114 hat in der Longseller Statistik der Media Control/Musikmarkt Albumcharts die Beatles und Pink Floyd hinter sich gelassen. Im Jahr 2006 schaffte es Semino Rossi mit 3 Alben gleichzeitig in die Charts. Im Jahr 2007 fand man in den Top 100 der Album Charts gleich 4 Alben der Gruppe Die Amigos. Das Lied „Ein Stern der Deinen Namen trägt“ hielt sich als erster Schlager seit den 70er Jahren mehrere Wochen auf Platz 1 der Singlecharts in Deutschland und Österreich. Der Sänger Michael Wendler hat im Jahr 2007 zum dritten Mal in Folge die Oberhausen Arena mit fast 12.000 Konzertbesuchern ausverkauft. Ein weiterer Hinweis auf die Relevanz des Schlagers, sind die auffallend hohen Marktanteile von Schlagerformaten wie z.B. WDR4, SWR4 Baden Württemberg bzw. jenen Formaten, die zumindest einen beachtlichen Schlageranteil im Programm haben, wie z.B. NDR1 Niedersachsen, NDR 90,3, MDR1 Radio Sachsen, MDR1 Radio Sachsen Anhalt oder Radio Arabella. In Österreich: ORF Radio Salzburg, Radio Burgenland und Radio Steiermark. Die Hörfunkwellen NDR1 Niedersachsen und WDR4 belegen regelmäßig auch bundesweit Spitzenpositionen (die MA 2007 I weist beiden Programmen bundesweit jeweils 4,1 % tägliche Reichweite aus, was 2,7 Mio. HörerInnen entspricht). Bemerkenswert sind auch die Zugriffszahlen auf Internetportale, die sich ausschließlich mit Schlager und volkstümlichen Schlager beschäftigen, z.B.
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Das Album „Best of“ von Andrea Berg hat sich bis zum 02.05.2008 insgesamt 331 Wochen ohne Unterbrechung in den Top 100 der Media Control Album Charts gehalten! „Wish you were here“ von Pink Floyd galt mit 299 Wochen bisher als das Album, das sich in der Geschichte der deutschen Albumcharts am längsten ununterbrochen in den Top 100 gehalten hat. Nun hält diesen Rekord ein Schlageralbum.
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www.abella.de (rund 11.000 Besucher täglich115), www.smago.de (rund 3.000 Abrufe täglich). Seit Beginn des neuen Jahrtausends ist auch ein deutlicher Trend zu mehr Akzeptanz der deutschen Sprache in der Popmusik zu erkennen, was auch Imagegewinne für den klassischen Schlager in den jüngeren Zielgruppen gebracht hat. 2
Zielgruppendefinition
Allgemein galt bisher die Regel: Schlager- und Schlager/Oldieprogramme richten sich primär an die „ältere“ Zielgruppe 49+. Vor dem Hintergrund, dass in diese Zielgruppe zunehmend Menschen ‚hineinaltern’, deren musikalische Sozialisation durch die Einflüsse von Beat und Rockmusik der 60er und 70er Jahre geprägt ist, greift diese Eingrenzung jedoch zu kurz. In der Praxis ist festzustellen, dass sich Zielgruppen nicht mehr ausschließlich nach Altersgruppen definieren lassen. Vielmehr kommt es auf die musikalische Sozialisation, die Lebensumstände (Bildungsgrad, Einkommen etc.), die Situation in denen ein Programm gehört wird und nicht zuletzt auf das Milieu an – so genannte Geschmackscluster bzw. Mediennutzertypen. Es kann davon ausgegangen werden, dass ein 60-Jähriger, der formell genau ins „Beuteschema“ eines Schlagerformates passt, aber in seiner Jugend die Musik der Rolling Stones, von Cream, The Who, Spencer Davis Group oder Jimi Hendrix bevorzugte, auch im Alter nicht für ein schlagerdominiertes Programm zu gewinnen sein wird. Es macht daher keinen Sinn, Schlager mit Klassikern der Rock und Beat Ära zu kombinieren (siehe unten). Das sind zwei sozio-emotionale Erlebniswelten, die einander auch musikalisch ausschließen. Anders verhält es sich mit Menschen des Clusters 49+, die in ihrer Jugend schon eher eingängigen Rock’n Roll, Pop oder Schlager gehört haben. Viele Popsongs z.B. von Elvis, Pat Boone, Cliff Richard, Hermans Hermits, den frühen Bee Gees oder Beatles sind durchaus in ein Schlagerformat integrierbar, denn Menschen, die diese Klangfarben bevorzugen, sind auch toleranter gegenüber modernern Schlagern als jene, die sich schon in ihrer Jugend von deutscher Trivialkultur distanziert haben. Interessant ist jedoch für Planer eines Schlagerformates auch ein Blick auf die Angehörigen jenes Clusters, die zwar nicht primär mit Schlager, aber mit klanglich „schlagernaher“, eingängiger, durchweg harmonischer Popmusik sozialisiert wurden. Diese findet man bereits in der Gruppe 30+. Große Teile dieser Generation sind mit den Discofoxhits der 70er und 80er Jahre groß geworden 115
abgefragt bei www.statbrain.de am 17.04.2007
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(Abba, Boney M., Modern Talking, Jason Donovan, frühe Kylie Minogue, Rick Astley). Dagegen werden Fans von U2, The Cure, James Blunt oder den Red Hot Chilli Peppers ähnlich schwer für eine Schlagerwelle zu gewinnen sein wie die 30 Jahre älteren Jimi Hendrix Fans. Generell gilt: Schlagerfans oder zumindest schlagertolerante Hörer finden sich in allen Altersdekaden und Milieus116. Ist der Markt groß genug, ist es durchaus denkbar, dass künftig in einem Sendegebiet zwei unterschiedlich ausdifferenzierte Schlagerformate bzw. Schlager/Oldieformate bestehen können. Ein konservatives Schlagerformat, das sich aus folgenden Klangbestandteilen zusammensetzen könnte: Flippers, Vikinger, Semino Rossi, frühe Kristina Bach, Helene Fischer, Amigos, Brunner und Brunner, Andy Borg, Gaby Albrecht, Chris Roberts, Roy Black, Freddy Quinn, gemischt mit internationalen Liedern von Engelbert, Al Martino, Pat Boone, Elvis Presley oder Abba. In dieses Format könnten sogar noch eher schlagerhafte volkstümliche Titel integriert werden. Die klangliche Wirkung lässt sich hier mit melodisch, harmonisch, kuschelig, kitschig umreißen. Das progressive Schlagerformat ist klanglich geprägt von poppig produzierten Discoschlagern (Olaf Henning, Andrea Berg, Michelle, Michael Wendler etc.), gemischt mit Discofox Oldies wie „Moviestar“ von Harpo, „Brown Girl in the Ring“ von Boney M., „The Loco Motion“ von Kylie Minogue oder „Together forever“ von Rick Astley) sowie Kultschlagern wie „Griechischer Wein“, „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ etc. Die klangliche Wirkung wäre hier happy, gut gelaunt, kultig, fröhlich, up-tempo. Die meisten Schlager bzw. Schlager/Oldieformate vereinen zurzeit noch beide oben dargestellten Varianten mit beständigem Erfolg. Wichtig für die Macher von Schlagerformaten ist: Die Musikredakteure und Programmverantwortlichen, die musikalisch nicht ideologisch sind und frei von Vorurteilen ans Werk gehen können, sind klar im Vorteil. Im Idealfall mag der Musikredakteur die Musik, die er verkaufen muss, selbst und hat im allerbesten Fall auch schon als DJ, Tanzmusiker oder Off Air Moderator bei einschlägigen Veranstaltungen direkten Kontakt zu den Zielgruppen gehabt. Diese Live Erfahrungen können natürlich nicht unmittelbar auf die Arbeit beim Radio übertragen werden, verschaffen jedoch einen Vorteil bei der Einschätzung der Zielgruppenbedürfnisse. Wer sich für Schlager und populäre, triviale Musik schämt, sollte die Finger von solchen Formaten lassen und sein Glück anderswo versuchen, denn die erfolgreiche Positionierung eines jeden Musikformates hängt auch sehr am individuellen Gefühl der Verantwortlichen, sich in die Erlebniswelt der Zielgruppe hinversetzen zu können. 116
NDR1 Niedersachsen liegt mit einem relativ hohen Schlageranteil in der Zielgruppe der Akademiker bei einem Marktanteil von 18 % und damit vor NDR Kultur bzw. NDR Info (MA 2007I).
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Philipp Beisteiner Was ist Schlager?
Bevor man ein Schlagerformat auf den Markt bringt, sollte Klarheit über den Begriff des Schlagers herrschen. Nach der gängigen Literatur ist Schlager ein „um die Jahrhundertwende aus den, sich mit der herausbildenden Musikindustrie verbundenen wirtschaftlichen Mechanismen entstandene Form des populären Liedes. Der Begriff kommt eigentlich aus der Handelssprache, wo er einen Verkaufserfolg, gleich welcher Art bezeichnete“ (Ziegenrücker & Wicke, 1989, S. 346). Das erste Musikstück, das öffentlich als Schlager bezeichnet wurde, war übrigens der Johann Strauß Walzer „An der schönen blauen Donau“.117 Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man heute unter Schlager als Musikfarbe im Radio ein meist deutschsprachiges Lied mit eingängiger, einfacher Melodie und nicht zu anspruchsvollem Text. Eine genaue Abgrenzung zu anderen Genres wie Deutsch Pop, Deutsch Rock oder Neue Deutsche Welle ist oft schwierig, da die Grenzen in vielen Fällen fließend sind. Fest steht: Ein deutscher Text macht noch keinen Schlager, es müssen noch einige klanglichemotionale Merkmale hinzukommen. Typische Schlagertitel erfüllen spezielle klangliche Klischees, die sich bspw. mit den Attributen harmonisch, melodisch, nicht zu poppig oder rockig umschreiben lassen. Manche Menschen bezeichnen diese Klangwelt auch als „trivial“ bzw. „kitschig“. Dies ist jedoch eines der markanten Alleinstellungsmerkmale des klassischen Schlagers. Der NDR1-Niedersachsen-Musikchef Lutz Ackermann hat diese Klangfarbe z.B. als „weißes, mitteleuropäisches, im liebevollsten Sinne schnulziges Klangklischee, im Gegensatz zum amerikanischen Pop, Rock oder Soulfeeling“ definiert. Die subjektive Wahrnehmung, welche Lieder die Klangklischees eines typischen Schlagers erfüllen, ist in der Praxis sehr unterschiedlich und es muss bei jedem einzelnen Lied in der Abhörkonferenz abgewogen werden, ob es sich um einen Schlager handelt oder nicht. Für viele Musikredakteure sind z.B. Lieder der Gruppe PUR, von Udo Lindenberg, Stefan Gwildis oder der Münchener Freiheit Schlager. Bei genauem Hinhören stellt man jedoch fest, dass der Sound und das Klanggefühl eher dem Bereich Soft-Rock/Pop oder Liedermacher nahe kommen, wenngleich auch in deutscher Sprache. Das heißt nicht, dass diese Musikrichtungen für ein Schlagerformat gänzlich ungeeignet sind. Man muss sich aber bewusst machen, dass mit solchen Klangfarben primär nicht die Bedürfnisse der eigentlichen Schlagerzielgruppe befriedigt werden.
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„Neue Wiener Fremdenblatt“ vom 17. Februar 1867
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Beispiele für klischeetypische, deutsche Schlager: x x x
80er Jahre: „Hello again“/Howard Carpendale; „Adios Amor“/ Andy Borg, „Die Fischer von San Juan“/Tommy Steiner, „Ein bisschen Frieden“/Nicole, „Die rote Sonne von Barbados“/Flippers 90er Jahre: „Schenk mir diese eine Nacht“/Brunner und Brunner, „Erst ein Cappuccino“/Kristina Bach; „Je t’aime mon amour“/ Claudia Jung 2000er: „Du hast mich tausendmal belogen“/Andrea Berg, „Ein Stern der Deinen Namen trägt“/ DJ Ötzi und Nik P., „Für Dich“/ Yvonne Catterfeld
Je konsequenter man sich innerhalb dieses klanglichen Bezugssystems bewegt, desto besser trifft man die musikalisch emotionale Gefühlswelt der Kernzielgruppe. Diese Überlegungen spielen auch eine große Rolle bei der Frage: Welche anderen Musikrichtungen passen zu einem klassischen Schlagerformat? 4
Was passt zu Schlager?
In der Vergangenheit mussten Schlagerformate dem Umstand Rechnung tragen, dass ihre Kernzielgruppe noch während der Kriegsjahre musikalisch sozialisiert wurde und – abgesehen von mangelnden Fremdsprachenkenntnissen – speziell gegen die englische Sprache große Ressentiments hatte. Mittlerweile gab es jedoch auch im Bereich der Schlagerzielgruppen einen Generationenwechsel, so dass diese rigorosen Vorbehalte gegen eine Fremdsprache nicht mehr so ins Gewicht fallen, wie noch in den 90er Jahren. Viele Sender erzielen mittlerweile mit unterschiedlichen Ausformungen eines Schlager/Oldieformates sehr respektable Markanteile. Es spricht aus heutiger Sicht überhaupt nichts mehr dagegen, ein Schlagerformat auch mit internationalen, fremdsprachigen Titeln anzureichern, sofern sich diese gut in das Klangbild integrieren lassen. Schlager mit anderen Musikrichtungen zu kombinieren, eröffnet sogar die Chance, auch noch aus anderen Musikclustern Hörer zu gewinnen: Das können internationale Schlager sein (das sind fremdsprachige Titel, die jedoch die oben beschrieben Klangklischees erfüllen, z.B. „Under the man in the Moon“/Engelbert, „Spanish Eyes“/Al Martino, „Sweet September“/Tony Christie, „Seven Days“/Audrey Landers, „Toutes les femmes son belles“/Frank Michael) oder Popsongs/Oldieklassiker, die diesem Klangklischee nahe kommen bzw. sich damit homogen mischen lassen (viele Songs von Abba, Boney M., Modern Talking, Baccara, Carpenters, Cliff Richard). Sogar modernere Popsongs der letzten Jahre können diese Klanganforderungen erfüllen und sich gut in ein Schlagerformat integrieren („Eternal Flame“/Bangles, „Nikita“/Elton John, „Reality“/Richard
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Sanderson, „Heal the world“/Michael Jackson, „Upside Down“/Jack Johnson, „Nine Million Bicyles“/Katie Melua, „Shalalala“/Vengaboys). Dies bietet die Chance, das Programm auch für schlagertolerante Hörer anderer Formate attraktiv zu machen. Dabei dürfen jedoch die klanglichen Vorlieben der Kernzielgruppe nicht aus den Augen verloren werden. Ist die Anzahl internationaler, poppig anmutender Titel zu hoch oder wählt man Titel, die dem Klangklischee zu fern sind, besteht schnell die Gefahr, das Profil zu verwässern und im sprichwörtlichen Sinn zwischen den Stühlen zu sitzen. Vor allem internationale Titel sollten in einem Schlagerformat ein Gewürz sein – ähnlich dem Salz in der Suppe: Zu wenig macht es langweilig, zu viel ungenießbar. Mit wie vielen und welchen internationalen Genres man ein Schlagerformat anreichern kann, hängt wesentlich von dem Markt ab, in dem man es etablieren möchte. In einem Markt in dem noch niemand die Schlagerkompetenz besetzt, kann die Mischung vielfältiger, internationaler ausgerichtet sein, als in einem Markt in dem schon andere Sender Schlager spielen. Das Merkmal „deutschsprachig“ sollte jedoch als USP (Unique Selling Proposition) nicht aus den Augen verloren werden, gerade in Radiomärkten, die hauptsächlich von international geprägten AC- und CHR-Formaten besetzt sind. Klassische Schlagerformate (DOM = deutsch orientiert, melodiös) spielen bei einem Musikbedarf von 14 Titeln pro Stunde, je nach Feinjustierung der Klanganmutung, zwischen zwei und sechs fremdsprachige Lieder. Ab einer internationalen Quote von mehr als 50 % spricht man in der Praxis nicht mehr von DOM. Die Klangausrichtung ist dann häufig bereits den Pop/OldieFormaten zuzuordnen (Oldie Based AC). Es haben sich aber auch so genannte „Melody Best Mix“-Formate entwickelt (z.B. NDR1 Niedersachsen), die davon abgegangen sind, ausschließlich nach definierten Musikgenres zu formatieren, sondern die rein klangfarben-orientiert programmieren und eine vom DOMFormat ausgehende, melodiöse Mischung aus Schlager, Softpop, Oldie, Instrumentalmusik u.ä. anbieten. Diese Formate haben zwar einen Anteil internationaler Musik von 50 % und mehr, orientieren sich klanglich jedoch am DOM Format. Streng genommen handelt es sich dabei um eine exakt für den deutschen und österreichischen Markt abgestimmte Kombination aus Oldie Based AC und DOM. Eine trennschafte Abgrenzung ist in der Praxis oft schwer möglich, da die Grenzen fließend sind. Als Faustregel gilt: Ist das oben definierte „Schlagerfeeling“-Klang bestimmend und die internationalen Titel müssen nach Klang und Anmutung zum Schlagergefühl passen, spricht man von DOM, liegt die Quote fremdsprachiger Titel bei 50% oder mehr, spricht man von „Melody Best Mix“Format. Ist der Sound bereits merkbar Pop/Oldie orientiert (das ergibt sich oft schon, wenn die internationale Quote über 50 % steigt) und die deutschen Lieder müssen sich in diese Klangwelt integrieren, wird man von einem „Best-Mix“-
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Format sprechen. Hier laufen dann eher Songs von beispielsweise Pur, Wolfgang Petry, Reinhard Fendrich oder Münchener Freiheit als von den Flippers, Kristina Bach oder Brunner und Brunner. Poppig ausgerichtete Best-Mix-Formate spielen auch Lieder von Herbert Grönemeyer, Westernhagen oder Xavier Naidoo, verzichten hingegen auf klassische Schlager. Hier wiederum verschwimmen die Grenzen zu Pop/Oldie Formaten mit deutschsprachigen Anteil. 5
Volkstümliche Schlager
Innerhalb der volkstümlichen Schlager muss zwischen „echten“ volkstümlichen Schlagern (wie „Patrona Bavariae“/Naabtal Duo, „Der rote Diamant“/Kastelruther Spatzen oder „Herzilein“/Wildecker Herzbuben) und Liedern, die Stilmittel des volkstümlichen Schlagers mit jenen des klassischen Schlagers und moderner Softpopmusik vermischen (z.B. Gaby Albrecht, Mara Kayser, Axel Becker, neuere Produktionen von Stefanie Hertel), differenziert werden. Die Grenze ist hier fließend. Es gibt zudem Interpreten, die sowohl volkstümliche Lieder, Schlager als auch Lieder, die zwischen beiden Genres anzusiedeln sind, im Repertoire haben.. Ob und wie viele volkstümliche Schlager im Programm vorkommen, hängt von der Feinjustierung des Formates ab. Man muss sich jedoch vergegenwärtigen, dass die echten volkstümlichen Schlager ein beachtliches Polarisierungspotential haben. Die „unechten“ volkstümlichen Schlager haben andererseits das Potential, ein moderneres Schlagerformat zu bereichern, da sie eine besonders vertraute, harmonische und im positiven Sinne kitschige Ausstrahlung haben. Dadurch bringen sie eine gewisse Ruhe und Harmonie in den Programmfluss. Es bedarf jedoch einer sensiblen Einzelfallabwägung, da ein „zuviel“ dieser Ausstrahlung ebenfalls ein nicht zu vernachlässigendes Polarisierungspotential in sich birgt. Als Faustregel kann hier gelten: Ein eher im konservativen Segment verhaftetes Programm ist gut damit beraten, mehr sogenannte volkstümliche Titel im Repertoire zu haben als ein Schlagerprogramm, das sich etwas progressiver positionieren möchte. Ein Programm, das auf eine Mischung aus Schlager und Oldies setzt, wird sehr bald an die klanglichen Grenzen der Kombinierbarkeit von volkstümlichen Schlagern mit poppigeren Oldies stoßen. Welche Variante sinnvoller ist (also Schlager mit volkstümlichen Schlagern und wenig internationalen Elementen zu kombinieren oder Schlager mit Oldies und Softpop zu mischen), hängt vom Markt, in dem man tätig ist, und der anvisierten Zielgruppe ab. Bevor man diese Entscheidung trifft, sollte man sich den Werkzeugen der modernen Marktforschung bedienen. So erhält man Klarheit, ob im konkreten Sendegebiet
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eher eine traditionell konservative, eine international geprägte Ausrichtung der Klangfarbe oder eine Mischform Erfolg versprechend ist. 6
Aufbau des Repertoires
Anders als AC- und CHR-Formate sind Schlagerprogramme bzw. Formate mit einem hohen Schlageranteil nicht auf die schnell wechselnden aktuellen Hits angewiesen, denn die Zielgruppe definiert sich kaum noch über die Aktualität der Musik, die sie hört. Im Schlagerbereich entwickeln sich aus diesem Grund nur noch wenige Einzeltitel zu echten Hits. Das macht es schwerer und arbeitsintensiver, ein passendes Repertoire aufzubauen, da man seit den 80er Jahren in den Hitparaden kaum noch Schlager findet. Das liegt daran, dass die Singlecharts hauptsächlich das Kaufverhalten einer jugendlichen Minderheit und deren Musikgeschmack widerspiegeln. Um Titel die bis Anfang der 80er Jahren entstanden sind zu finden, reicht in der Regel ein Blick in die Hitparade des Musikmarktes ,da es damals die beliebten Schlager auch regelmäßig auf die vorderen Chartplätze geschafft haben. Auskunft, welche, später erschienenen Titel bei der Zielgruppe bekannt und beliebt sind, auch wenn sie in den Singlecharts gar nicht auftauchen, geben z.B. die Repertoire Charts des Musikmarkts, die es für Schlager, Deutsch Rock und Volkstümliche Musik gibt. Auch ein Blick in alternative Hitlisten, z.B. Sieger der ZDF Hitparade oder Hitlisten von anderen Sendern, können eine Orientierungshilfe sein. Einige Sender veröffentlichen ihre Playlisten sogar im Internet. Man sollte sich nicht scheuen, auch einen Blick auf das Repertoire von erfolgreichen Kollegen zu werfen. Auf der Suche nach alternativen Interpreten kann das Internet hilfreich sein. Gibt man beispielsweise bei www.amazon.de einen Sänger ein, bekommt man Hinweise welche anderen Sänger von Fans dieses Interpreten ebenfalls gekauft wurden. Eine ähnliche Funktion bieten Musikportale wie www.last.fm, oder www.pandora.com. Es empfiehlt sich auch regelmäßig, die großen TV Shows (wie Musikantenstadl, Feste mit Florian Silbereisen oder Willkommen bei Carmen Nebel) zu verfolgen. Lieder und Interpreten, die dort auftreten sind jedenfalls schon mal einem großen Teil des Schlagerpublikums in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol bekannt. Hat man auf diese Weise einen Titelgrundstock erarbeitet, lohnt es sich auch, weitere Alben der „entdeckten“ Interpreten auszuwerten. Oftmals finden sich dort wahre Schätze, die nicht Promotionsschwerpunkt der Plattenfirma waren, aber hervorragend in das Klangbild des Formates passen und dieses in der richtigen Dosierung bereichern.
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Hinweise, welche Schlager und Interpreten sich gerade gut verkaufen, geben auch die Hitlisten auf kommerziellen Verkaufsportalen wie www.abella.de. Über Neuerscheinungen informieren die meisten Künstler und Plattenfirmen auf ihren Internetseiten. Sobald Sie ein Schlagerformat auf den Markt bringen, werden Sie auch Besuch von Promotionmitarbeitern der Labels bekommen. Ob ein Titel, den ihnen der Promoter einer Plattenfirma in den höchsten Tönen anpreist, jedoch ein Hit wird, weiß keiner. Oftmals wird von Promotionmitarbeitern suggeriert, ein Lied läuft bereits bei allen anderen Sendern und Sie würden gerade einen potentiellen Hit verschlafen – seien Sie jedoch kritisch: Ob das Lied in die Klangfarbe passt, die Sie für ihren Sender individuell designt haben, entscheiden alleine Sie. Verlassen Sie sich auf Ihr Gefühl! Da es bei Schlagerformarten in der Regel nicht so sehr darauf ankommt, die neuesten Titel zu spielen, ist ein verlässlicher, gut überlegter Titelgrundstock aus Liedern der vergangenen 20 bis 40 Jahre (je nach Feinausrichtung der Klangfarbe) notwendig. Natürlich könnte man auch ein Format aus überwiegend aktuellen Schlagern gestalten, damit würden aber nur Fans aktueller Schlager angesprochen. Man würde so das Potential älterer Schlagerfans bzw. schlagertoleranter Pop- und Oldiefans nicht optimal ausschöpfen. Als Faustregel gilt: Es sollten mindestens 2.500 Titel zur Verfügung stehen, da sich im Repertoire eines Schlagerformates bis zu ¾ altbekannte und bewährte Melodien wieder finden sollten und ein zu kleines Repertoire die Gefahr birgt, dass schnell der Eindruck entsteht, „die spielen immer dasselbe“. Große Oldies (deutsche wie internationale) erzeugen wesentlich mehr Aufmerksamkeit beim Hörer als viele neuere Schlager und klingen länger nach. Da die durchschnittliche Hördauer von Schlager und Schlager/Oldieformaten (bis zu 240 Minuten pro Tag) zehn mal länger ist als bei CHR- und AC-Programmen empfiehlt sich, eine niedrigere Rotation der einzelnen Titel, die nicht aktuell sind. Es ist auch nicht notwendig, Lieder aus der aktuellen Kategorie drei- bis fünfmal täglich zu spielen. Dies wird von vielen Hörern sogar eher als lästig empfunden. Viele Sender haben gute Erfahrungen damit gemacht, Neuerscheinungen eine Zeit lang einbis zweimal täglich einzusetzen. 7
Kategorisierung des Repertoires
Damit man in Musikuhren festlegen kann, welche Klangfarben und Stilrichtungen bzw. welches Tempo an welcher Stelle im Musikplan vorkommen soll, müssen die einzelnen Lieder in Kategorien eingeteilt und näher bezeichnet werden. Üblicherweise wird für jede Musikrichtung eine Oberkategorie (Schlager, Volkstümlich, Pop, International, Oldie, …) festgelegt, die dann nach weiteren
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Merkmalen ausdifferenziert werden kann. Wie diese Kategorien im Detail aussehen, hängt sehr von der individuellen Definition des Formates ab. Häufig wird Musik nach Epochen (also 70er, 80er, …) kategorisiert. Wobei es keinesfalls streng auf das Erscheinungsjahr ankommt, sondern für welche Epoche die Klangfarbe typisch ist. Um die Dynamik des Musikflusses genau festlegen zu können, ist auch noch eine Bezeichnung der Intensität bzw. des Tempos jeden Liedes notwendig. Im Folgenden werden mögliche Kategorien für ein Schlagerformat oder Schlager/Oldieformat, die sich in der Praxis bewährt haben, aufgezählt: 1. 2.
3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
Aktueller Schlager der letzten Wochen (Powerplay), der nach einer gewissen Zeit gegebenenfalls eine Zeit lang pausiert und in eine entsprechende Kategorie nachrutscht. Klischeetypischer Schlager der letzten 10 Jahre (Flippers, Brunners, Claudia Jung, Kristina Bach). Könnte auch noch weiter nach Epochen ausdifferenziert werden, was aber nicht unbedingt nötig ist, da sich Stil und Klangfarbe bei diesen Schlagern im Lauf von 10 Jahren nur unwesentlich entwickelt haben. Volkstümlicher Schlager/besonders harmonischer, ruhiger, „kitschiger“ Schlager Disco/Popschlager Schlagerklassiker der 70er bis Mitte der 80er Jahre Deutsche Oldies ca. 1956 bis 1969 Kultschlager (hier könnten in Programmen mit geringrem Oldieanteil ausgewählte Titel der Kategorien 5 und 6 zusammengefasst werden) Internationale Schlager (Audrey Landers, Engelbert, Frank Michael) Popclassics 80er (von Modern Talking und ähnliche Discoschlager) Popclassics 70er (Elton John, Abba, Boney M.) Popoldies 50er/60er (ausgewählte Titel von Pat Bonne bis Byrds, Bill Haley bis Beatles) Instrumentals alt Instrumentals neu
Die Beschreibung der Intensität (damit wird das gefühlte Tempo, die Dynamik bezeichnet) eines Titels kann in beispielsweise drei Stufen: S-Soft/Slow, MMedium/Easy, F-Fast/Flott beschrieben werden. Dazu kommt eine Beschreibung des Gesangs nach Geschlecht M-männlich, W-weiblich und G-gemischt. Weitere Attribute können sein: rhythmisch, harmonisch, auffällig, rockig, Gitarre, Saxophon.
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Dies macht es später möglich, eine Musikstunde nach Musik- und Klangrichtungen zusammenzustellen und darüber hinaus auch die Dynamik und Dramaturgie einer Musikabfolge genau festzulegen. Außerdem kann so vermieden werden, dass zu viele besonders rhythmische Songs oder sehr auffällige Stimmen, die kumuliert ein gewisses Nervpotential entwickeln, in zu kurzem Abstand gesendet werden. Natürlich können solche Auffälligkeiten auch strategisch gezielt geplant werden. Generell gilt: Die abstrakte Beschreibung von Musik ist zu einem großen Teil subjektiv. In der Abhörkonferenz kommt es häufig vor, dass Kollegen Intensität/Tempo eines Liedes unterschiedlich empfinden. Egal, wie man sich entscheidet, man sollte sich in jedem Fall über die Konsequenzen der Entscheidung für den Gesamtklang bewusst sein. Beispiel: Ein Lied kann nicht eindeutig der Fast oder Medium Kategorie zugeordnet werden. Nimmt man solche Lieder in die M-Kategorie auf, erhöht man dadurch die Intensität dieser Kategorie. Ordnet man solche Songs der FKategorie zu, verringert sich die Intensität dieser Kategorie. Durch jede einzelne Entscheidung beeinflusst man die Gesamtintensität des Musikprogramms. Gleiches gilt im Zweifel zwischen Low und Medium. Dient die M-Kategorie dazu, nach F-Titeln den Druck etwas zu reduzieren, sollte der Titel im Zweifel in die F-Kategorie aufgenommen werden. Ist höhere Intensität/ mehr Druck gewünscht, sollten diese Lieder in die M-Kategorie. (siehe auch unten Jahreszeitendramaturgie) 8
Regionale Besonderheiten
Schlagerformate bieten mehr als alle anderen die Chance, auch regionaltypische, musikalische Strömungen abzubilden. In Regionen, in denen es eine starke Bindung zu Italien oder Frankreich (z.B. Österreich, Schweiz, Bayern, Saarland, Baden Württemberg) gibt, macht es Sinn, die fremdsprachigen Kategorien nochmals nach Sprachen zu untergliedern, also bspw. nach Englisch, Italienisch, Französisch, um so auch gezielt romanische Titel regelmäßig in der Musikuhr festlegen zu können. Die deutschsprachigen Kategorien sollten ebenfalls je nach regionaler Besonderheit verfeinert werden. In Österreich und Süddeutschland ist es sinnvoll, die Stilrichtung Austropop (z.B. Reinhard Fendrich, Wolfgang Ambros, EAV, Stefanie Werger, Peter Cornelius, …) als eigene Kategorie zu definieren oder diese Lieder in den entsprechenden Kategorien besonders zu kennzeichnen. Ähnliches gilt für die neuen Bundesländer und für die vorwiegend dort bekannten Künstler. In Nord- und Westdeutschland gibt es zwar keine mit dem Austropop
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oder der ostdeutschen Musikszene vergleichbare eigenständige Musikrichtung, dennoch gibt es viele regionale Künstler, die im Programm Beachtung finden sollten. Deren Lieder sollten in die jeweils passende, klangliche Kategorie aufgenommen und ebenfalls entsprechend gekennzeichnet werden. Gerade Schlager und Schlager/Oldieformate haben die Chance, durch den Einsatz regionaler Künstler als besonders mit ihrem Sendegebiet verbunden wahrgenommen zu werden und können so nicht nur im Wortbereich regionale Kompetenz zeigen. 9
Dramaturgie des Musikprogramms
Das Wichtigste bei einem Schlager und Schlager/Oldieformat ist ein langer durchhörbarer Musikfluss. Erfolgreiche Schlager- und Schlager/Oldieprogramme liegen bei der durchschnittlichen Hördauer (bis zu 240 Minuten pro Tag) mit Abstand vor CHR- und AC-Programmen. Darum muss die Abfolge der Musikrichtungen und Intensitäten einzelner Lieder gut durchdacht und geplant sein. Es sollte ein so genanntes Klangdesign entwickelt werden. Im Idealfall kommen innerhalb einer Daytime-¼ Stunde alle Intensitäten/Tempi mindestens einmal vor. Beispiel: Der Opener ist ein Titel aus der F-Kategorie. Um klangliche Abwechslung zu erreichen, würde auf einen schnellen Opener ein Medium Titel folgen, auf diesen, ein Low Titel. Danach wieder ein M oder F. Diese „Dreierwelle“ gibt dem Musikfluss einen eigenen Rhythmus, der als ausgewogen empfunden wird. Mehrere flotte Titel erzeugen eine dynamische, hektische Wirkung, die schnell als nervig wahrgenommen wird. Mehrere Songs aus der Low Kategorie wirken ruhig und romantisch. Dies kann zu langweilig wirken. Jahreszeitendramaturgie Der Opener muss natürlich nicht, wie im Beispiel dargestellt, unbedingt aus der F-Kategorie kommen. Es spricht nichts dagegen, eine Stunde auch mal mit einem M- oder sogar L-Titel zu beginnen – abhängig von der Jahreszeit oder Tageszeit und dem Klanggefühl, das man an dieser Stelle verbreiten möchte. In der Praxis erhöhen viele Sender in den Frühlings- und Sommermonaten die Intensität bzw. das Tempo des Musikflusses und fahren in der dunklen Jahreszeit wieder zurück. So wird musikalisch eine Entsprechung zum unterschiedlichen Lebensgefühl während der Jahreszeiten geschaffen. Einen besonderen Effekt der Emotionalisierung erreicht man auch durch jahreszeitenspezifischen Einsatz von Oldies. Das heißt, man setzt diese Oldies vermehrt in der Jahreszeit ein, in der sie damals auch in den Charts waren. Dadurch werden die Erinnerungen, die man mit diesem Melodien verbindet, verstärkt (z.B. Wetter, Urlaub, Großereignisse, …).
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Die geschickte Variation von Intensität und Tempo gibt einem Musikprogramm seinen Rhythmus. Die Kombination der einzelnen Musikstile verleiht ihm die Melodie. Durch sie werden auch die Positionierung und das Image des Formates maßgeblich bestimmt. Es wird festgelegt, wie viele internationale Titel, wie viele aktuelle Schlager, wie viele volkstümliche Schlager und Oldies pro Stunde laufen. Musikformate, die hauptsächlich ihre Schlagerkompetenz herausstellen wollen, werden in der Regel nicht mehr als drei bis vier internationale Titel pro Stunde einplanen. Soll das Format im Bereich Schlager/Oldie positioniert werden, erreicht die Quote internationaler Popmusik der letzten 40 Jahre 50 bis 60 % des Stundenanteils. Die Quote der unterschiedlichen internationalen Klangfarben entscheidet maßgeblich über die Gesamtwirkung des Formates. Abbildung 1:
Musterstunde Schlagerformat: harmonisch, traditionell, konservativ
Schenk mir Nachrichten/ diese eine Nacht – Brunner und Brunner lt's now or never – wetter Spanish Exes – Elvis Presley Al Martino Komm mit mir im Frühling nach Venedig – Break G. G. Anderson Biscaya – James Last
Schuld war nur der Bossa Nova – Manuela
Alle Sterne von Athen – Kristina Bach
Break
Wind in meinem Haar – Gaby Albrecht
Break
Nikita – Elton John Break Santa Maria – Roland Kaiser Du hast mich tausedmal belogen – Andrea Berg
Hab' ich Dir heute schon gesagt, dass ich Dich liebe – Chris Roberts Under the man in the moon - Engelbert Rot sind die Rosen – Break: Verkehr/$ Alpen Trio Tirol Wetter/Schlagzeilen
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Abbildung 2:
Musterstunde Schlagerformat: dynamisch, progressiv Und es war Sommer – Peter Maffay
Dancing Queen –Abba Kosinus und Maximus – Michael Larsen
Nachrichten/ wetter
Ein Stern, der deinen Namen trägt – DJ Ötzi und Nik P. Griechischer Wein – Udo Jürgens Break Rivers of Babylon – Boney M.
Sag' lhr auch – Bernhard Brink
Break Ein Bett im Kornfeld – Jürgen Drews
Break
Zwischen Himmel und Erde – Helene Fischer Break
Sie liebt den DJ – Michael Wendler Hello Again – Howard Carpendale
Rose Garden – No Milk Today – Herman's Hermits LynnAnderson Wir sind alle über 40 – Break: Verkehr/ Brunner & Brunner Wetter/Schlagzeilen
Es muss auch entschieden werden, ob und wie viele deutsche Oldies laufen sollen, ob volkstümlicher Schlager und Instrumentalmusik im Programm vorkommen sollen. Das Ergebnis (also wie viel wo von) hängt von der Zielgruppendefinition und dem Markt ab, in dem man sich positionieren möchte. Es gilt die Devise: Ein gutes Schlagerprogramm ist mehr als die Summe seiner Teile. Wer nur gut getestete Titel aneinanderreiht, wird das tatsächliche Potential nie ganz ausschöpfen. Noch ein Wort zu Moderation von Schlager- und DOM-Formaten. Gerade ältere Kollegen haben oftmals mit dieser Musik so ihre Probleme. Ein absolutes „Don’t“ ist es, den Hörer seine eigene Distanz zur Musik spüren zu lassen. Keiner verlangt von einem Moderator, der Schlager u.Ä. nicht mag, euphorische Music Sells zu präsentieren – Professionalität und Respekt vor dem Publikum gebieten jedoch, dass sich auch „Alt Rocker“, die bei einem Schlager- oder DOM-Format gestrandet sind, einen Grundstock an Repertoirekenntnis und Wissen über die Interpreten sowie die Erlebniswelt der Zielgruppe aneignen!
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Noch ein Fettnäpfchen: Deutsche Texte verleiten seit eh und je auch dazu, dass man in der Moderation auf sie Bezug nimmt. Ein Fall fürs Radiomuseum sind sinnentleerte Musikmoderationen wie z.B. „Reinhard Mey hat’s gut, der schwebt über den Wolken, da wo es garantiert nicht regnet, ziemlich angeschmiert ist hingegen Jürgen Drews, der sein Bett im Kornfeld aufgeschlagen hat – und das in diesem verregneten Sommer.“ Kein schlechter Scherz – genau so gehört vor gar nicht all zu langer Zeit! Besser den Music Sell mit einer kleinen Info garnieren „Hier jetzt Musik von den Beach Boys – die klingen bei jedem Wetter nach Sommer – liegt vielleicht daran, dass sich Bandchef Brian Wilson eine Lastwagenladung feinsten Sand in sein Wohnzimmer gekippt hat um beim Komponieren in Strand Stimmung zu kommen.“ Dies erfordert ein wenig mehr Recherche, zahlt sich aber aus! Literatur/Links Ziegenrücker, W. & Wicke, P. (1989). Sachlexikon Popularmusik. München: Piper. www.schlagerkueche.tv www.smago.de www.last.fm www.abella.de www.ariola.de www.emi.de www.mcpsound.at www.kochuniversal.com www.palm-records.de www.musikmarkt.de www.media-control.de www.schlager-board.de www.schlager-forum.de www.chartsurfer.de www.ads-schlager.de
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Konzeption und Gestaltung von AOR-Formaten
Ecki Raff
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Einleitung
„Stairway To Heaven“ von Led Zeppelin war nie eine Single, „Penny Lane“ von den Beatles war die B-Seite zu „Strawberry Fields Forever“, Genesis hatten keinen einzigen Nummer-1-Single-Hit in Deutschland. All diese Künstler sind so genannte Album Artists. Ihre Fangemeinde ist erwachsen und kauft in der Regel das komplette Album und nicht die Single. Ein Radiosender, der diese Zielgruppe ansprechen möchte, muss völlig anders an seine Musikauswahl herangehen als beispielsweise ein Sender, dessen Musikrichtung eindeutig auf populäre Musik aus den Charts ausgerichtet ist. AOR, Album Oriented Rock, ist ein besonderes Musikformat. Im Gegensatz zu den klassischen Playlisten aus dem AC-Bereich (Adult Contemporary) wird hier nicht der kleinste gemeinsame Nenner des Massengeschmacks zum Hauptkriterium, sondern die Leidenschaft für eine bestimmte Musikrichtung, in diesem Falle Rock. Wer nun glaubt, dass die Konzentration auf einen einzigen Musikstil und die Möglichkeit, aus diesem Stil nicht nur Singlehits, sondern auch alle Albumtitel in ein Musikprogramm zu integrieren, dazu führt, dass nichts auf der Welt einfacher sei als die Planung eines solchen Programms, der irrt. Im Gegenteil: Kann ein normal ausgebildeter Musikredakteur in AC-Programmen auf eine große Auswahl verlässlicher Tools für seine Musikplanung zurück greifen, die es ihm verhältnismäßig einfach machen, sein Programm objektiv ideal zusammenzustellen, muss der Redakteur eines AOR-Formates neben umfangreichen Repertoire-Kenntnissen im Bereich Rock auch in der Lage sein, den Lifestyle der avisierten Zielgruppe nachvollziehen zu können. In AC-Formaten gibt es zum Beispiel das Tool der Airplay-Charts. Diese zeigen die exakte Anzahl der Einsätze neuer Titel bei allen relevanten Radiostationen. Dort kann man sehen, ob bestimmte Titel eher von CHR-Sendern oder Mainstream-Sendern gespielt werden, und so zumindest diese Information in die eigenen Überlegungen mit einfließen lassen. Im Bereich des AOR kann man kaum inländische Vergleichswerte heran-
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ziehen. Das liegt daran, dass die Anzahl von Sendern im AOR-Bereich verschwindend gering ist. Darüber hinaus greifen auch für die Planung und Pflege eines AORFormates Kriterien, die Strategie, Zielgruppe und Emotion miteinander vereinen. Auf den folgenden Seiten möchte ich einen Überblick geben über die einzelnen Schritte zur Erstellung und Pflege der Musikplanung in AOR-Formaten. In immer dichter werdenden Wettbewerbsmärkten gewinnen solche Spartenprogramme enorm an Bedeutung, da die Versorgung mit klassischen AC-Programmen in den einzelnen Märkten mehr als gesättigt ist. 2
Was ist Album Oriented Rock – AOR?
Wie bei allen Formatdefinitionen im Hörfunk gilt auch für AOR, dass eine eindeutige und deutliche Erklärung nicht existiert. Es gibt weder Grundregeln dafür, wie bekannt einzelne Titel sein müssen noch darüber, aus welcher Ära sie überwiegend entstammen müssen. Radiohörer unterscheiden nicht in Begriffen wie AC, CHR oder AOR. Radiohörer denken viel einfacher. Ein Sender gefällt, wenn die Musik „ganz gut“ ist, und er weckt Leidenschaft, wenn er „genau meine Musik“ spielt. Die Definition der Musikrichtung Rock ist ebenfalls nicht eindeutig. Waren die Beatles eine Rockband? Vielleicht nicht ausschließlich, allerdings haben sie sehr viele Rocktitel aufgenommen. Es gibt keine eindeutige Zuordnung. Wie überall in der Musik spielen verschiedene Einflüsse eine Rolle. Wenn man sich darauf beschränkt, dass Rock nur dann Rock ist, wenn mindestens eine verzerrte Gitarre auftaucht, dann wären sogar einige Titel von Prince oder Michael Jackson der Kategorie Rock zuzuordnen. Eine Vorstellung, bei der es einem passionierten Rockfan graust. Passt „moderner“ Rock von Nickelback in dasselbe Radioprogramm wie Classic Rock von der Spencer Davies Group? In hoch kompetetiven Märkten wie in den USA existieren deshalb verschiedene Rockstationen in derselben Gegend nebeneinander, die sich wenig Konkurrenz machen, weil sie unterschiedliche Lifestylegruppen des Rock ansprechen. AOR-Stationen konzentrieren sich überwiegend auf den Classic Rock der 60er bis 80er Jahre. Aber selbst dort ist sich die Fangemeinde uneinig, was dem Rock zuzuordnen ist und was nicht. Wie findet man nun heraus, was „genau meine Musik“ ist? Dazu zunächst ein kleiner Ausflug in die Vergangenheit: Das übliche Gefühl, dass ein Titel im Radio auslöst, ist häufig die Erinnerung an eine bestimmte Lebenssituation. Bei erwachsenen Zielgruppen sind prägende Ereignisse des Lebens oft untrennbar mit einer bestimmten Musik oder sogar einem bestimmten Musiktitel verbunden.
Konzeption und Gestaltung von AOR-Formaten
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Der erste Kuss, die erste Party, der erste „Klammerblues“, die erste Trennung. In der Regel ist man als Jugendlicher auch stets informiert über die Geschehnisse auf dem Musikmarkt. Das nimmt ab, wenn andere Dinge in den Vordergrund rücken. Ein großer Radiomann drückte es einmal so aus: „Ab Anfang 20 rennen die Leute nicht mehr in den Plattenladen, sondern zu IKEA!“ Die emotionale Bindung gegenüber neuen Titeln nimmt in der Regel ab. Natürlich verfolgt man noch die Karriere seiner Lieblingsinterpreten, wird auf bestimmte Titel aufmerksam, aber die tiefe emotionale Bindung an Situationen in Verbindung mit Musiktiteln geschieht nicht mehr so häufig. Und dann, 30 Jahre später, kommt ein Radiosender und spielt „Take The Long Way Home“ von Supertramp. Und vielleicht ist sofort dieses Bild wieder im Kopf, wie man fasziniert dem damals neuen Album „Breakfast in America“ mit seinen engsten Freunden auf der Stereoanlage der verreisten Eltern laut gehört hat. Man erinnert sich, dass der Titel die zweite Seite des Albums eröffnet hat, weiß noch, dass man vielleicht einen ersten zaghaften Schluck aus Papas verbotener Minibar genommen hat (zumindest verknüpft der Autor diese Erfahrung mit Supertramp). Diese Rückkehr in die Vergangenheit mag einem Mittvierziger heute ein Lächeln ins Gesicht treiben. Er dreht das Radio lauter und ist plötzlich wieder 14 Jahre alt. Ein Mittdreißiger würde in diesem Fall allerdings einen Titel hören, der ihm vielleicht ganz gut gefällt, der aber in seiner prägenden Phase bereits 10 Jahre alt war und somit nicht mit großartigen Ereignissen in Verbindung zu bringen ist. Genau hier liegt die Herausforderung bei der Planung von AOR-Formaten. Die Titel mit der größten Bekanntheit bleiben natürlich die Single-Hits der Interpreten. Die laufen auch ein paar Jahre lang (oder Jahrzehnte) auf mehreren Radiostationen. Im Fall von Supertramps Album waren es „Logical Song“ und „Breakfast in America“, die ihren Weg in den AC-Stationen gegangen sind und auch heute noch gespielt werden. Die weiteren Albumtracks des Longplayers lösen bei einem bestimmten Teil der Zielgruppe tiefe Emotionen aus, während andere vielleicht noch an der Stimme erkennen, um welche Band es sich handeln könnte. Je weiter nun die Range der avisierten Zielgruppe ist, desto schwieriger wird es, ein Musikprogramm zusammen zu stellen, das allen Hörern gerecht wird und sich doch von herkömmlichen Radiostationen unterscheidet. AOR bedeutet also, mit viel Fingerspitzengefühl einen Gesamtsound zu kreieren, der die bekannten Songs mit den spannenden Titeln der Alben so mischt, dass ein abwechslungsreiches Programm entsteht, das jedem einzelnen, dem 45-Jährigen ebenso wie dem 35-Jährigen oder dem 55-Jährigen, regelmäßig emotionale Highlights bietet. Die Erfahrung zeigt, dass diese Programme weniger das Problem haben, dass einzelne Titel nicht mehr akzeptiert werden, sondern dass Hörer sich nach längerer Zeit der Nutzung auch einmal für andere Radiostationen ent-
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Ecki Raff
scheiden, um einen anderen Gesamtsound zu bekommen. Man spricht in diesem Fall von „Soundburn“. Wie wichtig die richtige Verteilung der Ära in einer typischen Viertelstunde ist, soll hier an ein paar kleinen Beispielen verdeutlicht werden. Hier sind Titel genannt, die bei einer AOR-Station in Deutschland Teil des Repertoires sind. Die Zusammenstellung kann – wenn sie nicht sorgfältig geplant wird – zu höchst unterschiedlichen Anmutungen führen. Beispiel 1: x x x x
Led Zeppelin – Stairway To Heaven Spencer Davies Group – Keep On Running AC/DC – Back in Black The Beatles – Revolution (Album Version)
Beispiel 2: x x x x
Led Zeppelin – Stairway To Heaven Genesis – I Can’t Dance The Eagles – Hotel California Kiss – God Gave Rock And Roll To You
Wie erwähnt, alle Titel sind Teil des Musikarchivs eines existierenden AORSenders. In Beispiel 1 klingt das Programm sehr 60er/70er-lastig und sehr rockig, während es in Beispiel 2 eher ein gemäßigter Mix der 70er und 80er Jahre ist. Die Kunst der Musikredakteure ist die Ausgewogenheit so herzustellen, dass – wann immer der Hörer einschaltet – er die Garantie hat, eine Abfolge von Titeln zu hören, die aus verschiedenen Zeiten kommen, verschiedene Intensitäten besitzen und verschiedene Bereiche des Rock abdecken. Und zwar über 24 Stunden, sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr. Diese Herausforderung wird umso schwieriger, je weniger Titel das Gesamtarchiv umfasst. Im Folgenden eine recht ausgewogene Stunde. Der betreffende AORSender verspricht seinen Hörern, die besten Rocksongs von 60er bis zu den 80ern er zu spielen:
Konzeption und Gestaltung von AOR-Formaten Abbildung 1:
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Stundenuhr einer AOR-Station Werbung/News
Bruce SpringsteenHungry Heart
Aerosmith - Rag Doll Kiss - Beth (live)
Boston- More Than A Feeling
Rolling Stones Gimme Shelter
Mr . Big - Be with You
Bryan Adams Running To You
Deep Purple - Smoke On The Water
Steppenwolf Born To Be Wild
Genesis - Carpet Crawle Van Halen - Panama
Bon Jovi - Wanted (Dead Or Alive) Werbung/News
Wir sehen hier eine Stunde mit Musik, die nach Ära, Sound und Tempo sehr gut abgestimmt ist. Egal zu welcher Zeit ein Hörer in dieser Stunde einschaltet, er bekommt innerhalb der nächsten 25 Minuten die Einlösung des Senderversprechens. Es startet mit einem Rocker von Aerosmith aus den 80er Jahren, geht über in eine Ballade von Kiss aus dem 70ern, nimmt wieder Tempo auf mit dem späten 60er Jahre-Titel der Rolling Stones und rollt in mittlerer Geschwindigkeit in Bryan Adams Hit-Single „Run To You“. Wirkliche Nummer-1-Single-Hits finden sich nicht unter den Titeln. „Gimme Shelter“ von den Rolling Stones war nicht einmal als Single-Auskopplung auf dem Markt, aber dafür als erster Titel auf dem legendären „Let it Bleed“-Album platziert. Bon Jovi haben mit „Wanted“ gerade mal die Top 50 der deutschen Single-Charts gestreift, „Smoke On The Water“ von Deep Purple erschien zwar als Single und erreichte die Top 20, das dazu gehörige, bahnbrechende Album „Machine Head“ allerdings gelangte in Deutschland und England auf Platz 1 der Album-Charts. Und genau hier liegt der Unterschied zwischen AC-Stationen und AORStationen: Regelmäßige Auswertungen in verschiedenen Hörfunkmärkten zeigen, dass die großen AC-Sender bis zu 95 % ihres Programms aus topplatzierten Single-Hits bestücken. Im AOR-Bereich liegt der Prozentsatz deutlich darunter.
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Ecki Raff
In der vorliegenden Stunde ist lediglich Mr. Big mit „To Be With You“ ein klarer Nummer-1-Hit gewesen. 3
Wie viele Titel verträgt ein AOR-Programm?
Natürlich stimmt die Annahme nicht, dass Menschen ausschließlich in der Vergangenheit leben. Natürlich wollen auch selbst konservative Radiohörer wissen, was neu ist (wobei die Bedeutung des Wortes „konservativ“ hier „an Werten festhaltend“ meint). Das ist eine Aufgabe, die klassische AOR-Sender einfach nicht übernehmen können. AOR-Formate leben von den Erinnerungen, die durch die Musik geweckt werden, nicht von ihrer Kompetenz, neue Stars zu entdecken und auch nicht von einer Informations- und Nachrichtenkompetenz. Insofern erlebt man häufig, dass AOR-Stationen über genau so viele Stammhörer wie Zweithörer verfügen. Als Zweithörer bezeichnet man diejenigen Menschen, die einen Stammsender haben und nebenbei in bestimmten Situationen überwiegend einen zweiten Sender nutzen – im Falle von AOR ausschließlich wegen der dort gespielten Musik. Die Programmmacher stellt das vor eine fast unlösbare Aufgabe. Denn die grundsätzlichen Parameter für die Planung eines Programms für Stamm- oder Zweithörer sind so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Natürlich stellt sich die Frage, warum ein Sender überhaupt darüber nachdenkt, Zweithörer zu bedienen und nicht versucht, alle Hörer zu Stammhörern zu machen. Letzteres ist sicherlich richtig für AC- und CHR-Stationen, die sich im Markt gegen große Konkurrenz behaupten müssen. Spartenprogramme allerdings folgen anderen Regeln. Sie gehen nicht an den Start, um die Markführerschaft zu erkämpfen. Sie beabsichtigen, einen ganz bestimmten qualitativen und quantitativen Teil des Marktes zu besetzen. Am Ende entscheidet auch hier die Wirtschaftlichkeit. AOR-Stationen haben überwiegend männliche Hörerschaften, während AC-Sender vornehmlich ausgeglichene oder eher weibliche Zielgruppen ansprechen. Die Männerlastigkeit ist aber unter Umständen attraktiv für bestimmte Werbekunden wie beispielsweise Baumärkte, die über einen AORSender zwar quantitativ weniger Menschen erreichen, dafür aber die Streuverluste stark reduzieren, weil die Qualität der Zielgruppe besser zu dem beworbenen Produkt passt. Dennoch gilt, dass jeder Hörer mehr auch ein mehr an Werbeeinnahmen bedeutet. Also sind die Zweithörer ebenso wichtig wie die Stammhörer. Ein Zweithörer hat von einem Radiosender jedoch einen anderen Eindruck als ein Stammhörer, da er nur selektiv einschaltet. Will man ausschließlich Zweithörer bedienen, spielt man eine enge Auswahl der besten Titel, so dass gewährleistet ist, dass der Zweithörer, wann immer er einschaltet, sofort Gefallen
Konzeption und Gestaltung von AOR-Formaten
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an dem Programm findet. Da er ja – im Gegensatz zu den Stammhörern – weniger Zeit mit dem Radiosender verbringt, fallen ihm schnelle Wiederholungszyklen kaum auf, dem Stammhörer allerdings schon. Ein Programm, das auf Zweithörer ausgelegt ist, nimmt in Kauf, dass Leute, die länger den Sender hören als erwartet, entnervt abschalten, wenn sie zum fünften Mal am Tag „Hotel California“ von den Eagles hören. Ein Zweithörer schaltet ein, sagt „Toll! Hotel California!“ und verpasst in der Regel die anderen vier Einsätze. Legt man nun die Programmplanung auf Stammhörer aus, die regelmäßiger und länger den Sender nutzen, so muss gewährleistet sein, dass die Anzahl der Musiktitel so hoch ist, dass kein großer Abnutzungseffekt entsteht. Dies ist umso schwieriger, da die AOR-Programme ja keine „neuen Titel“ spielen und sich stets aus einem gleich bleibenden Pool bedienen müssen. Um das Problem zu verdeutlichen, sei nur als Beispiel angeführt, dass dem Autor zwei Sender bekannt sind, von denen einer erfolgreich mit 1.600 verschiedenen Titeln seine Stammhörer bindet, während der Wettbewerber mit nur 150 Titeln auf die Zweithörer setzt. In einem AOR-Format, das schon von vornherein mit der Herausforderung leben muss, verschiedene Altersgruppen unter einen Hut zu bringen, ist die Ausrichtung der Planung auf Stamm- und Zweithörer also dann eine weitere Hürde, die es auf dem Weg zum Erfolg zu nehmen gilt. Wie kann man das gewährleisten? Die Antwort lautet: „Gar nicht!“ Jeder Kompromiss führt dazu, dass am Ende beide Teile der Hörerschaft suboptimal bedient werden. Die Stammhörer haben dennoch zu viele Wiederholungen im Programm, die Zweithörer stoßen zu oft beim Einschalten auf Titel, die ihnen vielleicht nicht gefallen. Beide Zielgruppen werden nach Alternativen suchen. Der Vorteil im deutschsprachigen Raum ist (noch), dass sich in den einzelnen Märkten kaum Alternativen im Bereich Rock finden lassen, so dass der „Kompromiss-Sender“ am Ende doch wieder gewählt wird, weil er zumindest den für die Hörer wichtigen Sound liefert. Am Ende muss man durch umfangreiche Studien versuchen zu erkennen, welches Hörerpotential das größere ist. Mit der zunehmenden Digitalisierung der Hörfunklandschaft werden über kurz oder lang unzählige Alternativen entstehen und sicherlich auch flächendeckend empfangbar sein. Und das wird zur Folge haben, dass auch AORStationen sich klar und deutlich auf eine Hörergruppe konzentrieren müssen.
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Ecki Raff Welche Titel passen in ein AOR-Programm? Wie viele „Hits“, wie viele Albumtracks?
Von den Beatles mit „I saw her standing there“ bis hin zu Nickelback mit „How you remind me!“ reicht die Palette an möglichen Titeln. Natürlich muss sich ein Programm, das sich per Definition an Alben orientiert, auch an die erfolgreichen Titel dieser Alben halten. AOR bedeutet nicht zwingend, dass man nur B-Seiten und das letzte Lied der zweiten Seite ins Programm hievt. Das wäre nur interessant für ein paar Insider unter den Hörern. Wie bereits eingangs erwähnt, entstand das Format AOR aus der Situation heraus, dass es eine nicht unbedeutende Anzahl an Künstlern gibt, deren Erfolg sich nicht über Single-Verkaufszahlen definiert, sondern über die Zahl der Alben, die sie im Laufe ihrer Karriere absetzen konnten. Wussten Sie, dass Elvis Presley zu Lebzeiten nur eine einzige Nummer-1-Single in Deutschland hatte? „In The Ghetto“. Unbestritten ist jedoch, dass er dennoch einer der größten Stars war, die die Welt je gesehen hat. Genesis-Singles lagen eher wie Blei in den Regalen, Aerosmith haben in ihrer langen und erfolgreichen Karriere erst in den 90ern geschafft, eine Single unter den Top-5 zu platzieren. Beide Bands sind dennoch in der Lage, weltweit Stadien mit Zuschauern zu füllen und in regelmäßigen Abständen Zusammenstellungen ihrer größten Hits zu veröffentlichen. Keinem Fan und auch nicht den meisten Radiohörern würde je in den Sinn kommen, Künstler an der Zahl ihrer Single-Hits zu messen. Alle Gewinner von „Deutschland sucht den Superstar“ und selbst Big Brother-Erstling Zlatko können von sich behaupten, in Deutschland mindestens so erfolgreich gewesen zu sein wie Elvis Presley, wenn man die Anzahl der Nummer-1-Hits zugrunde legt. AOR wirkt als Format da ehrlicher als die Momentaufnahme aus den Single-Verkaufscharts. Selbstverständlich sind die harten Fakten wie Verkaufszahlen nicht unerheblich und immer ein Indiz dafür, bestimmten Interpreten und ihrer Musik besondere Beachtung zu schenken. Und sicherlich ist ein Künstler, der gar keine Platten verkauft hat, auch nicht die allererste Wahl bei der Zusammenstellung eines Musikprogramms. Entscheidend für ein AOR-Programm bleibt somit primär, dass die Musik von den Hörern eindeutig der Rock-Kategorie zugeordnet wird. Aber ist die Zuordnung immer so unstrittig? Seit jeher werden Musiktitel von Musikredakteuren kategorisiert. Jeder Titel, der seinen Weg in das Programm eines Senders macht, bekommt Merkmale zugewiesen. Diese standen früher auf Karteikarten, heute benutzt man Software dazu. Die vergebenen Kriterien machen es am Ende leichter, einen passenden Titel zu finden. Typische Kriterien sind Tempo, Ära, Stimmung eines Titels, Sprache, singt ein Mann oder eine Frau und vieles mehr. Und dann gibt es das Kategoriemerkmal „Sound“. Sollten Sie einmal an einer Musikredaktion vorbei gehen und hinter den Türen
Konzeption und Gestaltung von AOR-Formaten
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hören sie wilde, laute Debatten, dann ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass die Musikredakteure sich gerade darüber streiten, welchen „Soundcode“ sie für einen Titel vergeben wollen. Während der eine Redakteur darauf besteht, dass ein bestimmter Titel Hard Rock ist, hält seine Kollegin unbeirrt daran fest, dass es sich hier eindeutig um Poprock handelt. Einigkeit besteht recht selten. Das liegt nicht an mangelhafter Ausbildung der Musikredakteure, sondern daran, dass sie, wie auch die Hörer alle ein individuelles Empfinden beim Hören von Musik und somit einen eigenen Maßstab haben, nach dem sie Musiktitel bewerten. Da am Ende das Programm für die Hörer gemacht wird, ist der einfachste und auch häufig praktizierte Weg der, dass man eine repräsentative Auswahl von Hörern in den Sender einlädt und mit ihnen darüber diskutiert, wie sie die Musik einordnen würden. Anhand von Beispieltiteln werden dann alle anderen Titel in der Regel recht schnell bestimmten Soundkategorien zugeordnet. Welche Titel man nun für das Programm auswählt, ist am Ende wieder die Entscheidung der Hörer. Will man sich als Sender für Zweithörer positionieren, dann muss man in langen Befragungen die 150 Titel auswählen, die fast alle Hörer sehr mögen. Schwieriger wird es, wenn man mehr Musik braucht für sein Programm. Weil allein schon die grundsätzliche Auswahl so immens groß ist, lässt sich das komplette Musikpotential gar nicht vor Sendestart an Hörern testen. Auch das ist ein Unterschied zu den AC-Programmen, die aus einer recht überschaubaren Anzahl wirklicher Single-Hits ihr Programm zusammenstellen können. Und hier greift dann wieder etwas, was in der starr strukturierten, marktforscherischen Radiowelt inzwischen beinahe aus der Mode gekommen ist: die Erfahrung der Redakteure und Mitarbeiter, die im Idealfall die Geschichte der Musik miterlebt haben. Es ist nicht unüblich in AOR-Stationen, dass Mitarbeiter ihre privaten Plattensammlungen in den Sender bringen und Titel vorschlagen. So entsteht über die Jahre ein so umfangreiches Archiv, dass Stück für Stück dann natürlich auf Hörerakzeptanz getestet werden kann. Die Methoden unterscheiden sich dann natürlich kaum von den üblichen Marktforschungstechniken, die auch im Bereich der AC-Sender Anwendung finden. Man spielt den Hörern in Auditoriums-Tests Ausschnitte der Titel vor und fragt nach Bekanntheit und Akzeptanz.
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Ecki Raff Besonderheiten
In der Tat aber gibt es bei AOR-Stationen die Möglichkeiten, bestimmte Titel zu spielen, die nie oder kaum in die Radiowelt Einzug halten. Oft unterscheiden sich Single- und Albumversionen bestimmter Titel voneinander. Oder es gibt so genannte „Radio Edits“, bei denen Lieder auf die allseits übliche und verträgliche Länge von 3:30 Minuten gekürzt werden. Da sich die Zielgruppe überwiegend über die Album-Käufer und Kenner definiert, haben AOR-Sender die Möglichkeit, diese besonderen Album-Versionen auch zu spielen. Deshalb ist es keine Seltenheit, dass das 10 Minuten lange „Child in Time“ von Deep Purple gespielt wird oder sogar die 12 Minuten lange Version von „The End“ von den Doors. Besondere Live-Aufnahmen finden ebenso Einzug in das Programm wie B-Seiten und teilweise unveröffentlichte Aufnahmen; natürlich in der Regel in Maßen und alles mit besonderer Ankündigung im Programm. Es gibt sogar AOR-Sender, die an bestimmten Abenden ganze Alben ohne Unterbrechung am Stück spielen. 6
Einige Anmerkungen zur Moderation von AOR-Programmen
Für AOR-Formate gilt wie für alle anderen Formate auch: Bei allem, was on air passiert, beanspruchen Radiomacher von ihren Hörern Zeit und Aufmerksamkeit. Wenn die Hörer bereit sind, ihre Zeit und ihre Aufmerksamkeit dem Sender zu widmen, dann wird der Sender authentisch und relevant für die Hörer sein. Mit Blick auf die Reichweitenermittlung ist es auch für AOR-Programme wichtig, dass sich die Hörer daran erinnern, den Sender genutzt zu haben. Selbstverständlich ist deshalb auch bedeutend, die starken Tagesteile überdurchschnittlich zu bewerben. Natürlich ist es unabdingbar, jedem neu einschaltenden Hörer sofort und unmittelbar deutlich zu machen, welchen Sender und welches Produkt ihn hier erwartet. Die weit verbreitete Seuche, Moderatoren jede Silbe vorzuschreiben, greift vielleicht kurzfristig. Die Hörer bekommen einen schnellen Eindruck vom Grundprodukt, und sie sind durch permanente Penetration in der Lage, sich an das Produkt zu erinnern. Eine dauerhafte Bindung der Hörer an das Programm gelingt allerdings nur, wenn sie – wie oben erwähnt – gerne ihre Zeit und Aufmerksamkeit dem Sender widmen. Und dafür braucht es mehr als nur das Ablesen von Senderimages. Dazu braucht es starke Persönlichkeiten, die in der Lage sind, so originell und schlagfertig zu sein, dass es die Hörer anspricht, und so authentisch und relevant zu sein, dass sich die Hörer zuhause fühlen. Das Bild, dass ein Morgenmoderator ein täglich gern gesehener Gast am Frühstückstisch ist, macht das sehr deutlich.
Konzeption und Gestaltung von AOR-Formaten
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Ein Hörer, der sich für ein AOR-Programm entscheidet, verknüpft Erinnerungen mit der Musik, die vielleicht manchmal ein wenig verblasst sind. Dieser Hörer verknüpft Erlebnisse mit der Musik, von denen nur er weiß. Dieser Hörer erwartet, dass jemand, der ihm solch bedeutende Musik präsentiert, auf seiner Wellenlänge ist. Er erwartet, dass die Moderatoren ein ähnliches Leben wie sein eigenes gelebt haben. Denn wie sonst wären sie in der Lage, ihn täglich aufs Neue mit der Musik so tief ins Herz zu treffen? Und hier wieder ein nützliches Bild: Ein guter Moderator in einem AOR-Format ist ein erwachsener Mensch mit einer eigenen Meinung, der vielleicht mit einem Glas Rotwein im Zimmer des Hörers auf dem Boden sitzt und tolle Platten und schöne Geschichten dazu präsentiert. Und gleichzeitig kann man sich mit ihm vernünftig über all das unterhalten, was es Neues gibt und dass auch die Gegenwart ihre Reize hat. Ein Moderator muss eine Art großer Bruder sein. Solche Leute zu finden, ist schwierig, ihnen ein Korsett anzulegen, ist geradezu unmöglich. Für die Programmverantwortlichen gilt daher ein alter Leitsatz aus den USA: „Hire a great personality and get out of the way.“ 7
Fazit
AOR ist eine Nische in der Radiolandschaft. Eine Nische, die ein erwachsenes Publikum in deren Jugend abholt und die Erinnerung an prägende Ereignisse weckt. Gleichzeitig bekommt die angesprochene Hörerschaft eine musikalische Heimat geliefert, die sie bei den Massen- und Jugendprogrammen nicht oder nur zum Teil finden kann. In diesem Sinne kann ein AOR-Programm nur ein ganz bestimmtes Segment des Marktes erreichen und wird darüber hinaus kaum die Gelegenheit haben, sich über weitere Programminhalte zu profilieren. Der Kern ist die Musik und der dazu gehörende Lebensstil. In Deutschland sind es vor allen Dingen die Radiostationen Radio 21 aus Niedersachsen und Rockland aus Rheinland-Pfalz, die ein AOR-Format mit dem Schwerpunkt Classic Rock anbieten. Insofern ist diese Formatausprägung in unseren Landen noch recht jung im Gegensatz zu den USA, in denen AOR in fast jedem Markt eine Rolle spielt. Die zunehmende Vielfalt in den Hörfunkmärkten Europas wird aber auch dazu führen, dass sich AOR-Formate als echte Alternative zu den gängigen Massenprogrammen entwickeln und zu mehr Vielfalt im Hörfunk führen werden. In diesem Sinne: Keep on Rocking!
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Konzeption und Gestaltung von Klassik-Formaten
Stefan Schwabeneder
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Einleitung
„Kulturprogramme“ – für viele Radiomacher ein Bereich, in den man sich nie im Leben wagen möchte. Gilt doch ein Kulturprogramm als staub trocken, öde, kopflastig – einfach nicht so, wie Radio eigentlich immer empfunden werden möchte. Dabei wird dieses Vorurteil der wunderbaren klassischen Musik nicht gerecht – im Gegensatz zu den Kulturprogrammen, die sich dieses Genres annehmen: Die sind nämlich tatsächlich oft dröge und bedienen den Intellekt, aber nicht das Herz. Aber warum ist das so? Warum empfinden viele Menschen kulturelles Programm als schwer und ermüdend? An dieser Stelle läuft man sehr schnell Gefahr, Äpfel mit Birnen zu verwechseln. Ich kann nicht ein erfolgreiches Popradioformat über die klassische Musik stülpen – und dann wird auch der klassische Sender erfolgreich. Aber es gibt Radiogesetze, die immer greifen – egal, welchen Inhalt man senden möchte. Ich werde in meinem Kapitel darauf eingehen, welche Formatradiogesetze im klassischen Bereich greifen können. Ich blende den Jazz bewusst aus, weil der Jazz im Gegensatz zur Klassik nun wirklich als Randphänomen in Deutschland wahrgenommen wird und sich mit dieser Sparte niemals eine lukrative Hörermasse erreichen lässt. 2
Format/Programmuhr
Warum setzt ein Sender ein Format ein? Dem Format eines Senders geht eine Vision für den Sender voraus. Die Frage müsste zuerst lauten: Warum gründe ich ein Radioprogramm und möchte klassische Musik senden? Diese simple Frage „Warum sende ich das, was ich sende?“ können viele Radiomacher nicht beantworten, weil ihnen die Vision des Senders fehlt. Wo wollen wir mit dem Programm hin und wen wollen wir erreichen? Erst wenn ich diese Fragen klar beantworten kann, dann weiß ich auch, wie ich das Programm formatieren muss, um ans Ziel zu gelangen.
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Stefan Schwabeneder
Leider klingen die meisten Kulturprogramme genau nach dem Gegenteil von dem, wie ein erfolgreiches Radioprogramm klingen sollte: Man hat eher den Eindruck, es handele sich um ein Sammelsurium an Programmvariationen, die nicht zu einander passen, bzw. um Musikarten, die aus den Massenprogrammen fallen und sich daher auf der Kulturwelle wiedertreffen. Ein Beispiel: Oft wird Jazz mit Klassik in einen Programmtopf geworfen, und jeder wundert sich, warum dieses Programm niemand hören will (auch wenn es sich immer wieder um Spezialstunden handelt). Interessanterweise hat man in mehreren Studien herausgefunden, dass Klassikhörer viel lieber Oldie aus den 50ern und 60ern hören als Jazz. Bevorzugen Klassikkonsumenten also tatsächlich eher Elvis und Beatles als Duke Ellington und Norah Jones? Nun, das hängt wiederum davon ab, welche Zielgruppe der Sender erreichen will. Wie weit dehne ich den weitesten Hörerkreis (WHK) aus, welche Bereiche lassen sich clustern, welche Schnittmenge kann ich mit einem Programm bedienen? Programmstrategen versuchen immer wieder, „aus dem Bauch“ heraus zu definieren, welche Musik ihre Zielgruppe (egal, ob Hardcore-Klassikhörer oder nur Easy-Listening-Konsumenten) hören will und welche Musikrichtungen zusammenpassen könnten. Leider vermisse ich bis heute fundiertes Research im Bereich Klassik, um die Musik und deren Randbereiche clustern zu können. Meistens hapert es am Geld, weil Research nicht gerade günstig ist. Aber selbst ohne Research lässt sich ein einigermaßen erfolgreiches Klassik-Radioprogramm erstellen. Man muss nur gewisse Grundmechanismen anwenden: Ein Format gewährleistet, dass das Programm immer so klingt, wie der Sender sich auch positionieren möchte. Ein Format wird von vielen Radiomachern als Geißel empfunden, als künstlerische Einengung. Dabei hat ein Format einen sehr praktischen Zweck: Die Führung des Programms und des Moderators/Redakteurs. Lassen Sie es mich mal biblisch ausdrücken: Das Format ist für den Moderator da, nicht der Moderator für das Format. Ich möchte Sie mit zwei Alternativstrategien konfrontieren, damit Sie mit Ihrem Format den richtigen Weg einschlagen können. Strategie 1: Sie wollen Ihre Hardcore-Stammhörer (so genannte P1’s) erreichen. Die Hörer kennen Ihr Programm und Sie sind mit der Menge an Zuhörern zufrieden. Was ist zu tun? Sie erhöhen die Musikvariation (im Popbereich würde man sagen: Man erhöht die Musikrotation). Da der Hörer das Programm kennt, muss ihm auch ständig Abwechslung geboten werden. Ich kann dadurch das Format öffnen
Konzeption und Gestaltung von Klassik-Formaten
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und durch Spezialsendungen die Vielfalt erhöhen. Das Programm kommt auch mit wenigen Programmhinweisen aus. Die Penetranz von Jingles und Promos ist gering bis kaum vorhanden. Problem: Sie haben wirklich nur die Stammhörerschaft und werden kaum neue Zuhörer gewinnen können. Den WHK werden Sie so niemals „abfischen“ können. Strategie 2: Ihr Ziel ist es, mit Klassik ein breites Publikum zu bedienen. Sie wollen den Marktanteil erhöhen, um evtl. sogar für die Werbewirtschaft interessant zu sein. Dann müssen Sie die Rotation der Titel verengen, Sie müssen sich auf bestimmte Cluster innerhalb der Klassik fokussieren und die Musik klar positionieren (mehr unter „Musikplanung vs. Themenauswahl“). Problem: Sie müssen die Spagat schaffen zwischen Stammhörerschaft und WHK, wobei grundsätzlich der Fokus immer auf dem WHK liegen sollte. Der Stammhörerschaft wird bald auffallen, dass nicht „jede“ Musik gespielt wird, sie wird merken, dass sich Titel/Aufnahmen wiederholen. Nicht zu vergessen, dass Sie begleitend die EigenPromofrequenz stark erhöhen müssen für ein Programm, das eigentlich weniger Inhalt bringen wird (siehe unter „Verpackung/Jingles/Einsatz der Elemente“). Sie werden wahrscheinlich zu Beginn der Programmumstellung bombardiert werden mit Beschwerden, weil Ihr Sender scheinbar „immer das gleiche spielt“. Gleichzeitig werden allerdings die Einschaltquoten nicht zurückgehen, meistens im Gegenteil: Mit flankierenden Off-Air-Maßnahmen im Marketingbereich wird es immer einen Hörerzuwachs geben – vorausgesetzt man traut sich, „alte Radiophilosophien“ im Kulturbereich über Bord zu werfen und eine Vision zuzulassen. 2.1 Die Zielgruppe definieren Um eine Zielgruppe definieren zu können, muss ich unbedingt das „Zuhörerland vermessen“, d.h. ich muss durch Mapping-Studien (vgl. Kapitel 6) und Cluster herausfinden, welche klassikaffinen Menschen in meinem Sendegebiet leben, was sie arbeiten, welche anderen Interessen sie haben, etc. Erst wenn ich diese Informationen habe, die zugegeben viel Geld kosten, kann ich mein Format zielgerichtet einsetzen. Ich weiß dann nämlich, welche Musik wann wie passt, welche Themen zu welchen Tageszeiten eingesetzt werden.
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Stefan Schwabeneder
2.2 Eine greifbare Vision aufstellen Ein Schiff erreicht nur dann den Hafen, wenn es weiß, welchen Hafen es ansteuern soll. Genauso ist es mit Ihrem Sender. Er hat dann Erfolg, wenn das Format, das Sie erstellt haben, bei allen Mitarbeitern als Vision verankert wird. Das Programm muss gelebt werden können. Ihre Mitarbeiter werden nur dann das Ziel erkennen, wenn Sie ein Bild vom Ziel haben. Damit meine ich mehr als nur „wir werden mehr Hörer haben!“: Das ist zu abstrakt. Jeder Mitarbeiter muss spüren, was Ihr Sender verkörpern und welches Bild der Hörer von Ihrem Sender haben soll. Das bedeutet auch: Reduktion auf das Wesentliche. Schreiben Sie fünf Visionspunkte auf und verankern Sie diese im Format. Beispiele könnten sein118: Beispiel 1: 1. 2. 3. 4. 5.
Wir sind die BILD-Zeitung der Klassik. Unser Programm soll in erster Linie „Spaß machen“ und das Gefühl ansprechen. Unsere Moderatoren haben eine eigene Meinung und sprechen frei. Wir fischen im WHK – der Stammhörer ist vorerst egal. Wir spielen nur klassische Hits.
Beispiel 2: 1. 2. 3. 4. 5.
Wir wollen die Jugend für Klassik begeistern. Unsere Moderatoren sprechen bewusst die Jugend an und verstehen sie. Unser Fokus liegt auf Stammhörerschaft. Wir bringen auch längere Wortstrecken à la „Talkradio“ und sprechen mit der Jugend. Wir sind immer Partner, sobald es um Jugendaktionen geht.
Wie schon erwähnt: Man sollte zuerst überhaupt seinen Markt kennen, bevor man eine Vision dafür hat. 118 Das sind mögliche Varianten. Bitte stören Sie sich nicht an den Inhalten. Sie dienen nur zur Verdeutlichung.
Konzeption und Gestaltung von Klassik-Formaten
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Wahrscheinlich wird Beispiel 2 nicht den Erfolg haben, weil grundsätzlich die Jugend einen Vorbehalt hat gegenüber klassischer Musik. Aber man kann nie wissen, wohin sich der Markt bewegt. 2.3 Die Vision in ein Programm überführen Habe ich die Vision klar formuliert und der Crew verinnerlicht, wird das Format klar definiert und in eine Programmuhr gegossen, die Musikauswahl geformt, das Marketing daraufhin getrimmt, die Moderatoren/Redakteure weitergebildet etc. Eine Programmuhr dient dazu, das Format im Programm für den Hörer zu jeder Tageszeit unterbewusst greif- und hörbar zu machen. Ihre Vision vom Programm muss ja den Hörer erreichen, sonst können Sie „visionieren“, so oft Sie wollen; der Hörer wird Ihr Programm nur dann verstehen, wenn Sie in der Programmuhr klare Richtlinien setzen. Wenn Sie beispielsweise sagen, Sie wollen nebenher als Begleitmedium fungieren, dann sollte auch das Verhältnis zwischen Moderation und Musik ausgewogen sein. Beim Erreichen des WHK müssen Sie immer die gleiche Anmutung und immer wiederkehrende Elemente einsetzen, damit sich der Hörer, der hin und wieder einschaltet, sich sofort wohl und wie zu Hause fühlt. Man kann das ein bisschen mit McDonald’s vergleichen: Egal, zu welcher Filiale sie gehen, sie kennen sich sofort aus: Sie wissen sofort, wo Sie bestellen können, Sie wissen relativ schnell, was neu ist, Sie kennen das Altbewährte. Auf gut Deutsch: Sie fühlen sich wohl (Warum glauben Sie, hat McDonald’s so einen großen Erfolg weltweit? Egal welcher kultureller Hintergrund, welcher Intellekt: Menschen mögen Dinge, die sie sofort fassen können.). Wenn wir nun ein Klassikprogramm senden wollen und damit aber den WHK erreichen wollen, sollten wir uns fragen, was der WHK (der eine Affinität zu Klassik hat, aber kein Klassikfan ist) hört und kennt. Ich unterstelle mal, dass die meisten bereits einen erfolgreichen Popsender gehört haben oder mit einem bestimmten Sender aufgewachsen sind. Damit herrscht eine gewisse Hörgewohnheit vor. Bestes Beispiel dafür sind die Nachrichten: Sie werden zur vollen Stunde erwartet. Es kommen zuerst die Meldungen, dann das Wetter und danach der Verkehrsservice. Erst dann beginnt die Sendung. Dies illustriert, wie „gelernt“ der Aspekt der Radio-Nachrichten ist. Ähnlich verhält es sich mit dem Beginn aller TV-Programme um 20.15 Uhr. Es wurde über Jahrzehnte hinweg „gelernt“, dass in Deutschland in der ARD um 20 Uhr die „Tagesschau“ beginnt und bis 20.15 Uhr dauert. Das hat sich dermaßen eingeprägt, dass sich alle anderen Sen-
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der daran halten. Alte Gewohnheiten der Massen sollte man also ausnutzen und nicht versuchen zu brechen. Wo sind die großen Schnittmengen von WHK und Klassik? Die Frage ist nun: Welche Anker bietet die Klassik für den Nicht-Klassik-Fan im WHK und welche Gewohnheiten hat der Nicht-Klassik-Fan, die mit Blick auf den WHK in das Klassik-Format integriert werden können? Wichtig dabei ist, dass ich nur klassikaffine Hörer gewinnen kann – jemand, bei dem sich bei symphonischem Klang bereits alle Nackenhaare sträuben, wird niemals einen klassischen Sender anhören. Welche Anker hat die Klassik für den WHK? 1.
2. 3. 4. 5.
Großes Repertoire bekannter Melodien, die einfach zu konsumieren sind (vgl. Edvard Griegs „Morgenstimmung“, Carl Orff, Beethovens „Fünfte“, Bachs „Air“, Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ etc.). Vieles kennt der klassikferne Hörer auch aus der Werbung. bekannte Persönlichkeiten (vgl. Mozart, Händel…) Klatsch und Tratsch (vgl. Anna Netrebko, Pavarotti, Opernball etc.) symphonische Filmmusik (ein großer Anker für Klassikferne, da die Filmmusik heutzutage von beiden Seiten extrem gut angenommen wird) Zugang zu einer Welt, die – richtig kommuniziert – sehr anziehend wirken kann.
Welche Gewohnheiten hat der WHK? 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Nachrichten zu jeder vollen Stunde, Service halbstündlich, Wetter Moderatoren mit Personality (siehe unter Moderation/Personality) Radio wird als „Nebenbei“-Medium verstanden und genutzt. Es darf nicht zu kompliziert bzw. zu fordernd sein. eine klare Führung durch gewisse Audiologos, Promos, Eigenwerbung (daran haben sich die Hörer gewöhnt!) leichte Ansprache Morningshow, die sich an den (eher stressigen) morgendlichen Ablauf zuhause anpasst
Durch Mapping-Studien und Research ließen sich bei weitem mehr Anker und Gewohnheiten auf beiden Seiten herausfinden. Die grundsätzliche Frage lautet: Wo liegen die Schnittstellen zwischen der Klassik- und der Pop-Welt? Und wo
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liegen die Grenzen (auch in Bezug auf die Masse derer, die Klassik überhaupt noch konsumieren)? Schauen wir uns mal eine typische Programmuhr an (vgl. Abbildung 1). Im Popbereich ist das relativ einfach. Eine Stunde könnte hier folgendermaßen aussehen: Abbildung 1: Typische Programmuhr Nachrichten/ Titel 12
Opener Titel 1 Titel 2
Titel 11
Beitrag
Werbung
Titel 3
Titel 10
Titel 4 Titel 9 Werbung
Beitrag Titel 5
Titel 8 Titel 7
Halbblock mit Servuice
Titel 6
Wenn wir von durchschnittlich dreieinhalb Minuten pro Titel ausgehen (insgesamt also rund 42 Minuten Musik) plus sechs Minuten Werbung plus sechs Minuten Nachrichten/Service plus Beiträge und Moderationen sind wir am Ende bei 60 Minuten. Die Programmuhr funktioniert: Egal, wann der Hörer einschaltet, er wird mit dem gleichen Format konfrontiert, und das ist positiv. Im Vergleich zur Popmusik hat man im klassischen Bereich ein kleines Problem: Erstens: Es gibt es eigentlich keine Singleauskopplungen (also auch keine Hits). Zweitens: Wenn ich mich entscheide, einzelne Ausschnitte aus Werken zu spielen, dann können die Längen trotzdem stark variieren. Bei den großen Längenunterschieden in der Klassik, die sich von einer Minute bis über 12 Minuten erstrecken können, wird diese Uhr problematisch. Trotzdem brauchen wir
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eine Programmuhr als Instrument (vgl. Abbildung 2), um eine einheitliche Programmfarbe zu bekommen. Abbildung 2: Stundenuhr eines Klassiksenders Werbung/News La Califfa Thema des Films
Les Chasseresses -Delibes Wiedersehen in Brideshead
Moderation
Moderation
Sinf Nr3 F-dur op90 S3 Poco allegretto - Brahms
Sinf Nr1 B-dur Frühlings-S. S3 Schumann
Ratatouille / Thema des Films
Liebesthema (Cousins / Film)
Moderation
Moderation Ouv Der Barbier von sevilla - Rossini
Vergebung / Olivier Truan News
Eine Klassik-Stundenuhr muss dabei variabler sein, ohne dass diese Variabilität auffällt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.
Nachrichten (4 Minuten) Opener (Kurz-Moderation) Titel 1 Titel 2 (folgt nur, wenn Titel 1 und 2 zusammen nicht mehr als 8 Minuten ergeben, sonst nur ein Titel) Beitrag Titel 3 Titel 4 (folgt nur, wenn Titel 1 und 2 zusammen nicht mehr als 8 Minuten ergeben, sonst nur ein Titel) Werbung Titel 5
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10. Titel 6 (folgt nur, wenn Titel 1 und 2 zusammen nicht mehr als 8 Minuten ergeben, sonst nur ein Titel) 11. Halbblock mit Service 12. … Obwohl wir bei einer variablen Variante manchmal zwei und manchmal nur einen Titel hintereinander spielen (da die Länge entscheidet), bekomme ich trotzdem eine Verlässlichkeit ins Programm, und Verlässlichkeit ist eine der Grundvoraussetzungen für ein erfolgreiches Radioprogramm. 3
Musikplanung vs. Themenauswahl
Jetzt sind wir im Herzstück eines Radiosenders, der sich über die Musik positioniert, angelangt: Die Musikplanung! Ein kleiner Vorschlag: Am besten machen wir es so: Wir spielen ALLES! Kraut und Rüben! Dann tun wir niemandem weh, weil wir nichts weglassen müssen. Oder: Kann es sein, dass wir dann vielleicht allen Hörern wehtun? Wir haben im vorhergehenden Abschnitt behandelt, warum wir formatieren und eine Programmuhr brauchen. Leider muss ein Sender für Marktanalysen und Musikresearch auch bereit sein, Geld in die Hand zu nehmen, um den Markt zu sondieren. Die Radiosegmente werden immer dichter, so dass selbst die KlassikSender durch die Digitalisierung mit einer zunehmenden Segmentierung des Hörermarktes zu kämpfen haben. Momentan teilen sich diesen Markt der EMusik in Deutschland die öffentlich-rechtlichen Sender und lediglich ein bundesweiter privater Anbieter, aber es hören ja auch bei weitem weniger Menschen klassische Musik. Ich muss gerade in der Musik die Anker kennen, mit denen ich im WHK „fischen“ kann und muss durch die Musik einen einzigartigen, wieder erkennbaren Sound für den Sender kreieren. Einen Klangteppich, an dem ich weiß: „Das ist mein Klassiksender!“ Dass es sich um einen Klassiksender handelt, erkennt man sowieso sofort; aber dass es mein geliebtes Radioprogramm ist, das muss man an der Musik erkennen können. Klassik ist also nicht gleich Klassik.119 Seien Sie sich immer im Klaren, welche Musikart in Ihrer Zielgruppe am meisten polarisiert. Im klassischen Bereich ist es die Oper aufgrund des klassischen Gesangs. Vor allem die Sopranstimmen laden zum Abschalten ein. Die Problematik ist allerdings, dass die meisten Themen, die wir aus dem Kulturbereich boulevardesque aufbereiten können, in der Oper und ihren Stars zu finden 119 Ich möchte im Folgenden nicht allzu sehr ins Detail der Musikplanung gehen, weil es den Rahmen sprengen würde. Außerdem fehlen hierfür auch die entsprechenden Mapping-Daten.
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Stefan Schwabeneder
sind. Selbst die BILD-Zeitung schreibt über Anna Netrebko und Rolando Villazon: Themen, die unbedingt auch in einem Klassik-Radioprogramm vorkommen sollten. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang sofort stellt ist, ob ich nach einem Beitrag über Anna Netrebko dann auch einen Titel von ihr spielen muss? Dies sollte ich nur machen, wenn mein Musik-Research ergeben hat, dass der betreffende Titel nicht polarisiert bzw. der Abschaltfaktor gering ist. Sonst vergraule ich mir die meisten Hörer im WHK-Bereich und behalte nur die Hardcore-Klassik-Fans. Vergessen Sie nie, dass Radio ein Nebenbei-Medium ist. Es geht um einen Klangteppich, um einen Sound; nicht darum, ob ich die klassische Welt korrekt wiedergebe! Die Musikauswahl funktioniert komplett unabhängig vom Wortinhalt einer Sendung. Wenn ich Musik spiele, sollte diese meinem Ziel, meiner Vision, meinem Format untergeordnet sein, damit der Hörer sich beim Einschalten des Programms sofort auskennt und sich wohl fühlen kann. Beispiel: Wenn ich symphonische Musik als Sound definiert habe, gilt es auszuloten (eigentlich: zu clustern), welche Musikgattungen und -arten noch zu diesem Klangteppich passen und wo die größten Schnittmengen sind. Symphonien, Wiener Klassik, Barock, Romantik: das passt gut zusammen (natürlich gibt es hier auch Ausnahmen!). Bei Impressionismus muss ich aufpassen, auch bei Oper wird es schwierig! Musicals polarisieren genauso wie die Oper bzw. die Operette! Klassik und Jazz? Erhebungen haben immer wieder ergeben, dass Klassik und Jazz für den WHK (oft auch für den Stammhörer) nicht unbedingt gut zusammenpassen. Interessanterweise findet man in Kaufhäusern oft die klassische Abteilung direkt neben der Jazz-Abteilung. Man könnte also annehmen, dass das zusammenpassen könnte. Aber in einem Kaufhaus bummeln zu gehen, ist ein bewusster Vorgang. Radio höre ich nebenbei. Man kann also nicht von einem aufs andere schließen. Wie schon erwähnt, passen klassische Musik und Filmmusik aber sehr gut zusammen. Das funktioniert immer (siehe auch die Erfolge der Kuschelklassik-CDs). Ich würde mir folgende gedanklichen Schritte für die Musikauswahl eines klassischen Programms immer vor Augen halten: 1. 2. 3.
Musik-Research durchführen und Schnittmengen herausfinden Sich nicht durch Themen und Verkaufszahlen vom Weg abbringen lassen Einen eigenen Sound kreieren, der natürlich auch immer wieder angepasst werden sollte (Jahreszeiten, neue Erhebungen, Modeerscheinungen)
Welche Themen kann ich zusätzlich noch in meinem Programm unterbringen? Worüber sollte ich berichten? Eigentlich gibt es bei der Auswahl der Themen hier keinen Unterschied zu anderen Wellen wie z.B. Schlager- oder Popwellen. Wie jede Redaktion wird auch hier abgewogen, ob ein Thema relevant ist oder
Konzeption und Gestaltung von Klassik-Formaten
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nicht. Klar ist, dass die klassikaffinen Hörer eher auch Meldungen aus der Kultur zuhören als bei anderen Sendern. Und natürlich bringe ich keine Meldung über Justin Timberlakes neue Single. Das passt nicht zusammen. Die Redaktion muss aber erkennen, welche Themen für den WHK eines Klassik-Programms interessant sind. Hier ein kleiner Überblick: a. b. c. d. e. f. g. h.
Nachrichten aus aller Welt/Politik Wetter/Verkehrsservice Servicethemen (Testergebnisse/Technik/Auto/Medizin etc) Wirtschaft Film, Theater und Schauspiel, vor allem auch der „Klatsch und Tratsch“ Klassik- und Filmneuerscheinungen Wenn die Popwelt in die Klassikwelt rutscht (z.B. Paul McCartney, der eine klassische CD mit Orchester aufgenommen hat; Sting, der beim „Echo Klassik“ auftritt etc.) Fernsehen (wie z.B. Wetten, dass…?, Beckmann, Scheibenwischer…etc.)
In allen diesen Bereichen lässt sich ein allgemein interessantes Wort zusammenstellen, ohne gleich in die Schublade des Alten, Schweren und Verstaubten zu gelangen. Alles in allem sollte die Musikauswahl und die Themen, die gesetzt werden, mit einem Slogan zusammengefasst werden können: Klassik macht Spaß! Denn alle wollen Spaß am Leben; und die, die es nicht wollen, sind wahrscheinlich auch nicht die, die Sie als Radiomacher erreichen wollen, oder? 4
Moderation/Personality
Gerade der Moderator sollte die Vision des Senders verinnerlichen, denn schließlich hat er (oder sie) die wichtigste Rolle im Radioprogramm: Der Vermittler zwischen Inhalt und Hörer. Der Moderator bringt erst „Leben in die Bude“. Damit meine ich nicht, dass er immer extrem laut und quirlig sein muss, sondern dass er die Einzelsteine (Musik, Themen, Nachrichten etc.) zu einem Mosaik zusammenstellen muss. Und ein Mosaik ist bekanntlich ein Bild, womit ich auch schon beim wichtigsten Punkt innerhalb der Moderation bin: Der Moderator muss ein Bild erzeugen beim Rezipienten. Welcher der folgenden beiden Aussagen kommt Ihnen bildhafter vor? x x
„Ich spiele mit meiner engsten Verwandtschaftsgruppe, in dem ich einen gleichseitigen Hexaeder über ein gesäumtes Schnittholz gleiten lasse.“ „Ich spiele mit meiner Familie gerne Würfel-Brettspiele.“
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Wenn Sie genau aufpassen, passiert ersteres sehr oft im Feuilleton oder im Kulturprogramm. Beim Lesen mag es ja noch amüsant sein, solche Sätze zu lesen, aber beim Hören wird es mühsam und verleitet eher dazu, das Programm zu wechseln. Leider verwenden viele Moderatoren im Kulturprogramm gestelzte schwierige Sätze. Die Gründe hierfür mögen vielseitig sein: Einer möchte sich im Intellekt profilieren, andere trauen sich nicht, am Mikrophon locker zu sein oder haben Angst vor Fehlern. Aber genau der lockere Plauderton ist das, was Hörer am Medium „Radio“ so lieben. Sie wollen eine natürliche Ansprache, sie wollen einen Menschen hören, der ihnen etwas erzählt – passend zur Grundvision des Programms und zur Zielgruppe. Zurück zum Bild: Ein Moderator muss beim Hörer ein Bild erzeugen. Das funktioniert aber nur, wenn der Moderator selbst ein Bild im Kopf hat, wenn er sich während der Moderation ein Bild davon machen kann, wovon er gerade spricht. Manche schreiben sich vorher den Moderationstext auf und lesen ihn ab. Ich habe nichts gegen aufschreiben, aber bei der Präsentation muss der Moderator das Bild des Inhalts im Kopf haben – nur dann spricht er in der richtigen Geschwindigkeit, mit der richtigen Betonung und wirkt authentisch. Diese Authentizität macht aus dem Moderator letztendlich eine Personality. Und diese Personality brauchen wir immer – egal, um welches Radioprogramm es sich handelt. Beim Hörer müssen während der Moderation Bilder im Kopf entstehen (können!) Kleiner Tipp für alle Moderatoren, die noch nicht verstehen, wie die Bilder im Kopf des Hörers entstehen: Beobachten Sie sich selbst einmal, wenn Sie jemandem erzählen, was Sie gestern Abend beim Italiener gegessen haben. Sie werden kurz überlegen, Ihnen kommen selbst die Bilder in den Kopf. Währenddessen Sie ihrem Gegenüber nun erzählen, wie lecker die Pizza Napoli war, sehen Sie selbst die duftende Pizza mit dem zerlaufenden Käse und den Tomaten vor sich. Sie haben automatisch die richtige Betonung und Geschwindigkeit – und dem Zuhörer fließt in diesem Fall das Wasser im Munde zusammen und bekommt Hunger. Weil Sie selbst warten, bis das Bild sich bei Ihnen bildet, lassen Sie auch dem Zuhörer Zeit, dass sich bei ihm das Bild aufbauen kann. Wenn das passiert, haben Sie den Hörer für sich gewonnen. Übertragen Sie diese Vorgehensweise auf Ihre Moderation über Anna Netrebko oder über Mozart und Sie moderieren so, dass der Hörer Sie für authentisch hält. Umgekehrt merken Sie auch sehr schnell, wenn Sie als Moderator einem Thema nicht gewachsen sind bzw. Sie sich nicht genügend vorbereitet haben: Sie können sich von dem Thema kein genaues Bild machen! Sicherlich haben Sie
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diese Hinweise in der Moderation schon mal gehört, trotzdem werden diese Tipps im Kulturbereich viel zu selten beherzigt. 5
Verpackung/Jingles/Einsatz der Elemente
Wenn Sie sich einen erfolgreichen Popsender anhören, werden Sie feststellen, dass die Verpackungen und Jingles eine Einheit in sich sowie eine Einheit mit der Musik und dem Wort bilden. Im Klassikbereich hat sich das scheinbar noch nicht ganz so sehr herumgesprochen. Es herrscht gegenüber der Musik eine falsche Ehrfurcht. Die Musik, so heißt es oft, soll alleine für sich wirken und nicht durch Jingles und Verpackungen gestört werden. Ich plädiere jetzt nicht für einen Ramp-Talk im Klassikbereich, aber Musik, Moderation und Verpackungen müssen eine Einheit bilden. Klar werden die Stücke ausgespielt, und natürlich nimmt der Moderator die Energie des Titels in seine Art des Sprechens, aber es ist doch noch ein Unterschied zu „hölzern“ und „altbacken“. Jeder Sender braucht Jingles! Jeder Sender braucht eine ID, ein akustisches Logo und Positionierungsmöglichkeiten. Um im WHK-Bereich wiederum Hörer an sich binden zu können, muss auch die Verpackung mit der Musik und dem Inhalt harmonieren: x x
x
Verwenden von einer Station Voice Ein akustisches Logo (Instrumental und gesungen), wobei der Beginn und das Ende wiederum tonfrei sein sollte. Am besten Übergänge von und zu Sound-Effekten, um keine Disharmonie zu den Musikstücken entstehen zu lassen. Das würde wiederum sehr störend wirken. Falls das Budget nicht ausreicht, kann auch ein Soundeffekt als akustisches Logo funktionieren (z.B. Wellen) – wichtig ist, dass die Jingles letztendlich einen starken Wiedererkennungswert haben (sehr gut eignen sich die Nachrichtenverpackungen).
Jeder Sender braucht Teasings – auch wenn es den Machern schwer fällt! Nun zu einem Punkt, der in vielen Programmen immer wieder vernachlässigt wird: Teasings. „Teasing“ heißt auf Deutsch „reizen“. Wir reizen den Hörer, damit er immer wieder auf das Programm aufmerksam gemacht wird. „Hinwei-
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Stefan Schwabeneder
sen“ wäre das schönere Wort. Auch ein Kulturprogramm sollte während des laufenden Programms auf andere Sendeflächen verweisen bzw. durch Teasings dafür sorgen, dass sich die Verweildauer des Programms erhöht. Es gibt dazu drei Möglichkeiten: Moderatives Teasing Wird eingestreut, wenn es im laufenden Programm gerade passt. Beispiel: Beitrag läuft über einen neuen Kinofilm, Moderator weist auf eine SpezialFilmmusik-Sendung am Abend hin. Produzierte Promos Werden von der Musikredaktion (bzw. der Redaktion/der Promoplanung) geplant, d.h. der Moderator findet die Promos fest in seiner Sendung verplant, damit man strategisch den Sender gut positionieren kann und dieses nicht dem Zufall überlassen wird. Man unterscheidet auch hier mehrere Arten: x x x
Sendungspromos (weisen auf eine Show hin) Imagepromos (bzgl. Musik/Nachrichten/Moderatoren) MA-Promos (für die Mediaanalyse speziell kreierte Inhalte werden hier massiv beworben)
Livereader Die Inhalte der Promos werden vom Moderator persönlich präsentiert und schmackhaft gemacht. Auch Livereader werden vor der Sendung verplant! Jeder Sender muss Elemente (Jingles/Promos) strategisch einsetzen! Bei diesen Elementen ist wichtig, dass der Sender sehr strategisch vorgeht. Ein paar Beispiele hierzu: x
x
Hat ein Klassik-Sender sein Musikprogramm verändert, ist es sinnvoll, stündlich Musik-Image-Promos zu schalten – verbunden mit einem BestTester aus der Musikrotation (damit das Versprechen des Promos auch gleich eingehalten wird; es hat keinen Sinn, vor den Nachrichten das Musikimage zu promoten). Hat der Klassik-Sender viel Erfolg, aber ein Image-Problem, weil er eventuell zu seichte Klassik gespielt hat, dann ist es wichtig, inhaltliche Promos zu Konzerten, Interviews und Spezialsendungen zu schalten, ohne die Musik zu verändern.
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Hat ein Klassik-Sender ein Nachrichten-Image-Problem, dann sollte man hier mit Promos und Moderationen entgegenwirken.
Wichtig dabei ist, niemals mehrere große Kampagnen parallel zu schalten, da sonst die Botschaft nicht klar beim Hörer hängen bleibt. Sie sollten immer in Wellen denken: Einen Monat Thema A, im nächsten Monat Thema B durch Promos verstärken. Versuchen Sie auch, auf Stimmungen in Ihrer Zielgruppe aufzuspringen. Versuchen Sie, mit Ihrer Zielgruppe kontrolliert Kontakt zu haben (bitte nicht auf Hörermails Programm verändern, sondern kontrolliert von Ihnen selbst), um herauszufinden, was die Hörer in ihrem täglichen Leben am meisten bewegt. 6
Promotion
Versuchen Sie vor allem, durch flankierende Maßnahmen (Plakate, Anzeigen, Veranstaltungen) den WHK abzugreifen. Es hat keinen Sinn, Konzerte zu promoten, zu denen sowieso die Stammhörerschaft hingeht (außer die Konzerte sind so wichtig, dass man sich damit schmücken kann). Promoten und unterstützen Sie Projekte, Konzerte und andere Veranstaltungen, bei denen Sie wissen, dass dort der WHK sitzt. Setzen Sie Promotion ein, wo der WHK sitzt! Beispiele: x Wenn Sie die meiste Filmmusik spielen, dann machen Sie Werbung in Kinos und präsentieren Sie Filmpremieren. x Wenn Sie keine Oper spielen, weil die Musik zu sehr polarisiert, dann präsentieren Sie unbedingt eine Opern-Aufführung, am besten mit Starbesetzung. x Sportveranstaltungen (Tennis, Golf, evtl. Fußball) sind klassische WHKGebiete. Seien Sie mutig und gehen Sie in diese Bereiche. x Veranstalten Sie eine Lounge-Tour, auf der angenehme klassische Musik mit Lounge-Atmosphäre gespielt wird. Ein Klassik-Sender hat meistens ein Image-Problem, dem durch flankierende Maßnahmen im Off-Air-Bereich entgegengewirkt werden kann.
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Stefan Schwabeneder Fazit
Sie haben wahrscheinlich gemerkt, dass sich kaum Unterschiede finden zwischen Pop- und Klassikradio. Da beide das gleiche Medium sind und eigentlich beide Hörer haben wollen, sollten beide auch die gleichen Grundsätze anwenden können. Das größte Manko im Bereich Klassik ist das Budget für MappingStudien und Research, um sein Zielpublikum besser definieren zu können. Und der Expansion der Klassikreichweite sind natürliche Grenzen gesetzt. Die Frage ist: Ab wie viel Hörer rechnet sich ein Klassik-Sender überhaupt? Wie hoch ist die Relevanz für die werbetreibende Wirtschaft? Vor diesem Problem stehen alle Spartensender, trotzdem gibt es Radiogrundregeln, die jeder beachten sollte.
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Autoren
Philipp Beisteiner122, Jg. 1974, hat in Salzburg und ver Jura studiert, aber bereits als Gymnasiast nebenbei für den Österreichischen Rundfunk in Salzburg gearbeitet. Dort hat er später auch maßgeblich am Aufbau der Musikredaktion und der Neuausrichtung des Musikformates sowie der Einführung von Selector mitgewirkt. Seit 1997 arbeitet er bei NDR1 Niedersachsen in Hannover im Team der Musikredaktion von Lutz Ackermann. Darüber hinaus ist er als Moderator von Musik- und Magazinsendungen und als Autor tätig. Als freier Autor arbeitet er auch immer wieder für den WDR, MDR, Radio Bremen u.a. ARD-Sender sowie Printmedien (z.B. Auf Eins, Anwalt Aktuell). Weitere Informationen unter www.philippbeisteiner.de. Stephan Dreyer, Jurist, Jg. 1975, studierte Rechtswissenschaft an der Universität Hamburg. Seit Februar 2002 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hans-Bredow-Institut tätig. Sein Forschungsinteresse gilt dem Recht der neuen Medien, insbesondere im Bereich Games, sowie neuartigen Verbreitungsplattformen, etwa DVB-H oder IPTV. Am Institut betreut er daneben die didaktische Konzeption sowie die Organisation der E-Learning-Angebote auf Grundlage der „Global Classroom“-Plattform. Im Rahmen seiner Dissertation untersucht er die Problematik von rechtlichen Entscheidungen unter Unsicherheit im Jugendmedienschutz.
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Foto: Andreas Garrels
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Autoren
Matthias Hofer, lic. phil., Jg. 1980, studierte 2002-2008 Publizistikwissenschaft, Computerlinguistik und deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Zürich. Seit Juli 2008 ist er wissenschaftlicher Assistent am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich und promoviert zu emotionalen Medienwirkungen. Während des Studiums arbeitete er in der Marktforschung der Tamedia AG und absolvierte ein Praktikum beim Regionalradiosender KanalK. Seit Jahren gilt sein Interesse der Musik. So hat er bereits bei einigen Filmprojekten die Filmmusik beigesteuert. Als Musiker spielte und spielt er in verschiedenen Bands. Kristian Kropp, Jg. 1963, startete seine Karriere in der Kommunikationsindustrie Anfang der 80er Jahre. Nach einem Volontariat bei der überregionalen Tageszeitung Rhein-Neckar-Zeitung mit Sitz in Heidelberg folgte das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Heidelberg. Danach kamen die Medien-Stationen Allgemeine Zeitung Mainz, Erstes Privates Fernsehen, 3Sat Ludwigshafen, Radio Regenbogen (Chefreporter) und Hit-Radio Antenne Niedersachen (Chefredakteur). Seit 2000 ist Kropp Geschäftsführer und Programmdirektor der größten deutschen multimedialen Plattform (Radio, Internet und Mobile) für junge Menschen - bigFM in Stuttgart. Kristian Kropp engagiert sich überdies als Vorsitzender des Arbeitsausschusses „Targeting Medien“ bei der Radiozentrale in Berlin und ist ehrenamtliches Mitglied des Boards „Kreativwirtschaft“ von Baden-Württemberg. Patrick Morgan, Dipl.-Soziologe, Jg. 1972, studierte Soziologie und Medienpsychologie in Saarbrücken. Während des Studiums arbeitete er bei Radio Salü in Saarbrücken (19941999), danach folgte MTV in London (1999-2002). Dort schrieb er seine Diplomarbeit zum Thema Musikfernsehen. Seit 2002 ist Patrick Morgan Musikchef, seit 2008 stellvertretender Programmdirektor von bigFM, Deutschlands größtem privaten Jugendradio. Er hat einen Lehrauftrag an der Universität in Mannheim und an der Hochschule für Musik und Theater in München. Seit mehreren Jahren ist er als Musiker verschiedener Bands (Black Eyed Blonde, Tell Your Mother) aktiv.
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Dr. Lars Peters, Dipl.-Medienwiss., Jg. 1973, studierte Medienmanagement und Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Marketing in Hannover, Örebro/Schweden und Den Haag/Niederlande. 2002 promovierte er über das Umschalten beim Radiohören. Nach seiner Tätigkeit als freier Projektleiter bei der Unternehmensberatung GPM wechselte er als Assistent der Geschäftsführung zum größten deutschen Radiovermarkter Radio Marketing Service nach Hamburg. Derzeit arbeitet er beim gleichen Unternehmen im Business Development. Daneben ist Lars Peters als Dozent an der Hamburg Media School und dem Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung in Hannover aktiv. Außerdem publiziert er zu medienwissenschaftlichen Themen (Schwerpunkt Radio und Medienwirtschaft) und im Unterhaltungsbereich. Jutta Popp, Dipl.-Kffr., Jg. 1975, studierte Betriebswirtschaftslehre mit einem Schwerpunkt im Fach Kommunikationswissenschaften in Regensburg und Nürnberg. Seit 2003 ist sie am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg in verschiedenen Projekten als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Sie veröffentlichte zum Themenbereich Radio verschiedene Publikationen und ist darüber hinaus Redaktionsmitglied der Zeitschrift Medien & Kommunikationswissenschaft. Ihr Forschungsinteresse gilt vor allem der Mediennutzung, den Qualitäten von Medienangeboten sowie dem Bereich Medienökonomie. Ecki Raff, Jg. 1964, betreut mit seiner Firma RAFF RADIO seit 2003 erfolgreich terrestrische und digitale Hörfunkprojekte in Europa. Nach kaufmännischer Ausbildung und BWL-Studium begann sein Radioleben 1990 bei Radio NRW in Oberhausen. Später war er als Programmchef verantwortlich für die Erlangung und Erhaltung der Marktführerschaft von Hit-Radio Antenne im heiß umkämpften Hörfunkmarkt in Niedersachsen. Gleichzeitig koordinierte er die Marktforschung und Musikplanung für die Programme mehrerer Sender der damaligen AVE-Beteiligungen. Zur Zeit betreut RAFF RADIO mehr als 50 verschiedene Musikformate und eine Reihe landes-
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weiter Hörfunkstationen in verschiedenen Teilen Europas. Das Grundprinzip, das RAFF RADIO befolgt, ist das des Contextual Radio Programming, das ein Radioprogramm als Gesamtheit versteht. Dr. Holger Schramm, Dipl.-Medienwiss., Jg. 1973, studierte Medienmanagement (angewandte Medienwissenschaft, Kommunikationsforschung und Rechtswissenschaften) und Musik in Hannover, Detmold und Austin/USA. 2003 promovierte er über das Musikhören zwecks Stimmungsregulation. Seit 2003 ist Holger Schramm am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich tätig, seit 2007 ist er Sprecher der Fachgruppe Rezeptions- und Wirkungsforschung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. 2006 war er Gastprofessor in Köln, 2007 Vertretungsprofessor in Hannover. Er veröffentlichte u.a. zahlreiche Publikationen über Musikrezeption und -wirkungen und ist Herausgeber der Buchreihe „Musik und Medien“ im VS-Verlag. Des Weiteren berät er Radiosender und Musikredaktionen. Seine Hauptarbeitsgebiete sind: Medienrezeptions- und Medienwirkungsforschung, Unterhaltungs- und Emotionsforschung, Musik und Medien, Sport und Medien sowie Methoden der Kommunikationsforschung. Weitere Informationen unter www.medienrezeption.ch/ schramm. Dr. Wolfgang Schulz, Jurist, Jg. 1963, studierte in Hamburg Rechtswissenschaft und Journalistik. Nach einem Jahr als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der „Aufbauqualifikation Fachreferent/in für Öffentlichkeitsarbeit (DIPR)“ arbeitet er seit 1993 am Hans-Bredow-Institut. Seit 1997 ist er Habilitand des Fachbereichs Rechtswissenschaft und Lehrbeauftragter im dortigen Wahlschwerpunkt Information und Kommunikation sowie am Institut für Journalistik der Universität Hamburg; seit Januar 2000 auch Mitglied des Landesjustizprüfungsamtes. Ab 1999 fungierte er als stellvertretender Geschäftsführer sowie als Leiter des Bereichs Medien- und Telekommunikationsrecht des Instituts, seit Juli 2001 ist er Mitglied im Direktorium. Die Schwerpunkte seiner Arbeit liegen bei Problemen der rechtlichen Regulierung in Bezug auf Medieninhalte (insbesondere Gewaltdarstellungen), Fragen des Rechts neuer Kommunikationsmedien, vor allem des digitalen Fernsehens, und der Rechts-
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grundlagen journalistischer Arbeit, aber auch in den rechtsphilosophischen Grundlagen der Kommunikationsfreiheiten und der systemtheoretischen Beschreibung des publizistischen Systems. Dazu kommen Arbeiten zu Handlungsformen des Staates, etwa im Rahmen von Konzepten „regulierter Selbstregulierung“. Stefan Schwabeneder, Jg. 1969, arbeitet seit seinem 17. Lebensjahr im Radio. Seine beruflichen Wege führten ihn als Moderator und Redakteur für die Rundfunksender Radio Fantasy in Augsburg bzw. Radio Gong 96,3 in München schließlich 1998 zum Österreichischen Rundfunk ORF. Als Programmgestalter und Autor für das Hörfunkprogramm Hitradio Ö3 in Wien schrieb er Radiocomedy und arbeitete an programmdramaturgischen Inhalten für das Programm inkl. strategischer Promotion. Anschließend zog es ihn 2003 zurück zu Antenne Bayern, bevor er von 2004 bis 2006 die Programmdirektion von Klassik Radio, dem größten Klassikprogramm Deutschlands, übernahm. Seit 2006 ist er als Autor und Programmgestalter beim Bayerischen Rundfunk für Bayern 3 tätig. Des Weiteren hat er einen Lehrauftrag für Moderation und Programmdramaturgie an der Hochschule für Musik in Karlsruhe, Institut Lernradio, und war Dozent für Comedy am Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses – ifp in München. Weitere Informationen unter www.schwabeneder. com. Björn Stack, Dipl.-Medienwiss., Jg. 1975, studierte Medienmanagement (angewandte Medienwissenschaft, Kommunikationsforschung und Rechtswissenschaften) am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Seit 1993 ist er als freier Journalist und Moderator für verschiedene Radiosender tätig, vor allem für den niedersächsischen Privatsender radio ffn. Programmverantwortlich für Redaktion und Musikplanung ist er bei verschiedenen Projekten für Event-Hörfunkfrequenzen, z. B. für Messeradio-Programme. Seit 2005 ist er geschäftsführender Gesellschafter der Agentur BlueSky Media in Hannover. Kerngeschäftsfelder der Agentur sind Medien- und PR-Beratung, Kommunikationsstrategien sowie Hörfunk- und Podcast-Produktionen. Weitere Informationen unter www.blueskymedia.de.